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German Pages [329] Year 2017
Dennis Stammer
Im Erleben Gott begegnen Zur philosophischen Theologie Simon L. Franks
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495817919
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B
Dennis Stammer Im Erleben Gott begegnen
VERLAG KARL ALBER
A
https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Kann »Gott« Thema einer vernünftigen, undogmatischen Philosophie sein? Wenn ja, in welcher Weise? Über eine systematische Rekonstruktion des philosophischen Werkes von Simon L. Frank (1877– 1950) werden diese Fragen erörtert. Der erkenntnismetaphysische Grundansatz Franks vereinigt Transzendentalphilosophie und Phänomenologie. Er führt zu einer »Fundamentalontologie«, die durch ihre immanente Verbindung zur Anthropologie wesentlich personale Ontologie ist. Der Überschritt zur philosophischen Theologie wird anhand des Begriffes »religiöser Erfahrung« herausgearbeitet. Wissenschaftlichkeit sowie philosophische und religiöse Adäquatheit dieses Unterfangens werden überprüft. Dabei wird sowohl dem Verdacht auf »Ontotheologie« als auch dem Vorwurf des »Pantheismus« kritisch nachgegangen.
Der Autor: Dr. Dennis Stammer, geboren 1982 in Lübeck, studierte Philosophie an der Hochschule für Philosophie München.
https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Dennis Stammer
Im Erleben Gott begegnen Zur philosophischen Theologie Simon L. Franks
Verlag Karl Alber Freiburg / München
https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Die vorliegende Untersuchung wurde 2015 von der Hochschule für Philosophie München, Philosophische Fakultät S.J., als Dissertation angenommen.
Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg/München 2016 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48791-4 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81791-9
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Inhalt
Verzeichnis der Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
I.
Zum Denken Simon L. Franks . . . . . . . . . . . . . . .
17
II.
Ontologie als die Frage ›Was ist?‹ . . . . . . . . . . . . .
20
1.
Konkrete Entitäten – Der Begriff der »empirischen Wirklichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . Abstrakte Entitäten – Der Begriff der »objektiven Wirklichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . Die Realität des Subjekts – Das »unmittelbare Selbstsein« und das »lebendige Wissen« . . . . . . . . . . . . . . .
2. 3.
III. 1. 2.
3.
(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebendiges Sein – Das Sein als Realität des Transzendierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ontologische Argument . . . . . . . . . . . . a) Der selbstevidente Kern des sog. »ontologischen Gottesbeweises« . . . . . . . . . . . . . . . . b) Modale Argumentation und Beweischarakter des Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden) a) Die Negation als Grund der Differenz . . . . . b) Ein Holismus der Seienden . . . . . . . . . . . c) Das Sein als Einheit von Einheit und Vielheit – der Antinomische Monodualismus . . . . . . .
22 26 31
39
. . . . . .
40 47
. . .
48
. . . .
. . . .
53 60 62 76
. . .
80
. . . .
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Inhalt
d) Ein erläuternder Exkurs: Der Antinomische Monodualismus und die analogia entis . . . . . . . . . . . e) Konkrete Beschreibung des Transrationalen als Aufgabe der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . ›Religiöse‹ Philosophie: Rückbindung an den ontologischen Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kriterien für (Un-)Wissenschaftlichkeit . . . . . . . b) Ist Franks Philosophie überhaupt Wissenschaft? . . . c) Mystik und Wissenschaft – eine Frage des Realismus?!
105 106 112 130
IV.
Anthropologie: Das Sein des Menschen . . . . . . . . . .
136
1.
Körper und Seele – Der Mensch als Naturwesen der Objektiven Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen . . . . . . . . a) Das seelische Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das geistige Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mensch als Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Frage nach der Erkenntnisweise von Personalität – »Offenbarung« als »Begegnung« . . . . . . . . . . . b) Die Wir-Einheit des Seins . . . . . . . . . . . . . . c) Personalität als Transzendentalie . . . . . . . . . . . Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott . . . . . . . . a) Die personale Variante des ontologischen Arguments . b) Ist der Grund individueller Personalität ›mehr‹ als absolute Realität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. 5.
2.
3.
4.
87 92 97
138 141 141 144 152 153 161 167 173 175 186
V.
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹ ? . . . . . .
195
1.
Zur philosophischen Frage nach Gott . . . . . . . . . . a) Zur Frage nach Gottes ›Existenz‹ . . . . . . . . . . . b) ›Onto-Theologie‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weshalb Franks philosophische Theologie keine OntoTheologie ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religiöse Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Glaube und Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begriff der Erfahrung resp. des Erlebens . . . . . c) Metaphysische und religiöse Erfahrung . . . . . . .
197 199 202
2.
6 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
206 216 217 230 244
Inhalt
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes . . Gottes Sein als Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Monismus- bzw. Pantheismus-Vorwürfe gegen Frank . b) ›Pan-en-theismus‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Theodizee-Problematik im Panentheismus Franks Zur Bedeutung der philosophischen Theologie Franks . .
254 269 270 279 294 304
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
323
3. 4.
5.
7 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Verzeichnis der Siglen
Apic. theor. Cherubin. Dato patr. De anima De ber. De coniec. De fil. De mente De pace De poss. DH Discours DK Docta ign. DU EinlW Enn. EnzW GA GdW GGdG Idiota sap. Jrl KrV LiF LW Med. Menon Met. Monad. MuiG Pensées Persuad. PL Polit.
Cusanus, Nicolaus Angelus Silesius Cusanus, Nicolaus Aristoteles Cusanus, Nicolaus Cusanus, Nicolaus Cusanus, Nicolaus Cusanus, Nicolaus Cusanus, Nicolaus Cusanus, Nicolaus Denzinger/Hünermann
De apice theoriae Cherubinischer Wandersmann De dato patris luminum Über die Seele De beryllo De coniecturis De filiatione dei Idiota de mente De pace fidei Trialogus de possest Kompendium der Glaubensbekenntnisse Descartes, René Discours de la méthode Diels, Hermann Die Fragmente der Vorsokratiker Cusanus, Nicolaus De docta ignorantia Frank, Semen L. Das Unergründliche Fichte, Johann Gottlieb Erste u. zweite Einl. in d. Wiss.lehre Plotin Enneaden Hegel, G. W. F. Enzyklopädie der Wissenschaften Heidegger, Martin Gesamtausgabe Frank, Simon L. Der Gegenstand des Wissens Frank, Simon L. Die geistigen Grundlagen der Gesellschaft Cusanus, Nicolaus Idiota de sapientia Frank, Simon L. Jenseits von rechts und links Kant, Immanuel Kritik der reinen Vernunft Frank, Simon L. Licht in der Finsternis Frank, Simon L. Lebendiges Wissen Descartes, René Meditationes de prima philosophia Platon Menon Aristoteles Metaphysik Leibniz, Gottfried Wilhelm Monadologie Frank, Simon L. Mit uns ist Gott Pascal, Blaise Über die Religion (Pensées) Pascal, Blaise Die Kunst zu überzeugen Migne, Jacques Paul Patrologia Latina Platon Politeia
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Verzeichnis der Siglen Non aliud NuHS PhG RM SdL SdM Theait. Theod. Tractatus Treatise Ven. sap. WdL I WdL II WissL
Cusanus, Nicolaus
Directio speculantis seu de li non aliud Hegel, G. W. F. Nürnberger und Heidelberger Schriften Hegel, G. W. F. Phänomenologie des Geistes Frank, Simon L. Die Realität und der Mensch Frank, Simon L. Der Sinn des Lebens Frank, Simon L. Die Seele des Menschen Platon Theaitetos Leibniz, Gottfried Wilhelm Theodizee von der Güte Gottes Wittgenstein, Ludwig Logisch-philosophische Abhandlung Hume, David A Treatise of Human Nature Cusanus, Nicolaus De venatione sapientiae Hegel, G. W. F. Wissenschaft der Logik. Erster Teil Hegel, G. W. F. Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil Fichte, Johann Gottlieb Wissenschaftslehre (1804)
Die vollständigen Titelangaben finden sich im Literaturverzeichnis am Ende des Werkes.
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis meiner Studien zur Philosophie Simon L. Franks. Sein Denken sprach mich unmittelbar an, da es die grundlegenden Fragen der abendländischen Philosophie auf systematische Weise durch alle Bereiche (Erkenntnistheorie, Metaphysik, Anthropologie, Sozialphilosophie, Gotteslehre etc.) gehend erörtert – und dies zugleich mit einer Leidenschaft und Klarheit, die ihresgleichen sucht. Zu tiefstem Dank bin ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Peter Ehlen SJ verpflichtet, der mir nicht nur den Zugang zu Franks Werk ermöglichte, mich auf meinem Studienweg begleitete und an der Werkausgabe mitarbeiten ließ. Er gab mir außerdem das Vertrauen, dass die wahre philosophia perennis sich auch in Zeiten gegenläufiger Trends bewährt. Verfassen konnte ich die Arbeit im Rahmen meiner Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Wolfhart PannenbergForschungsstelle am Institut für Religionsphilosophie der Hochschule für Philosophie München. Für diese Gegelegenheit danke ich Hilke und Prof. Dr. Wolfhart Pannenberg sowie Prof. Dr. Gunther Wenz, Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher und Dr. Ludwig Jaskolla. Für die Durchsicht des Manuskripts und einige wichtige Hinweise danke ich herzlich Margarethe Drewsen M.A. Ein besonderer Dank gebührt Prof. Dr. Josef Schmidt SJ, der mich von Beginn an für die Fragen der philosophischen Theologie begeisterte und mir einer meiner wichtigsten philosophischen Lehrer wurde. Weiterhin danke ich allen, die mich auf meinem Weg unterstützt haben, allen voran Dr. Ruben Schneider und meiner Familie. München, 9. September 2015
Dennis Stammer
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»Jegliches Wissen, das wir besitzen, hat die Selbstenthüllung der absoluten Realität zu seiner Grundlage.« Simon L. Frank 1
»Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben; Werd’ ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben.« Angelus Silesius 2
1 2
LW, 289. Cherubin., 12. Zitiert von Simon L. Frank in DU, 364.
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Einleitung
Der Titel »Im Erleben Gott begegnen« bringt meines Erachtens den zentralen Gedanken der philosophischen Theologie Simon L. Franks (1877–1950) zum Ausdruck. Aber wie soll das gehen: Im Erleben Gott begegnen? Und was ist daran noch philosophisch? Jede Philosophie – auch die philosophische Gotteslehre – ist ein Nachdenken. Sie besitzt reflexiven Charakter, der das Denkobjekt bereits voraussetzt. Gewisse Erfahrungen sind demgemäß vorweg zu tätigen, bevor sie immer erst nachträglich bedacht werden können. Wieso steht also das Erleben im Zentrum? Noch dazu steht anscheinend das Erleben von etwas im Zentrum, dessen Erleben gemeinhin als etwas Außergewöhnliches gilt, wenn nicht gar für einige als etwas Unmögliches – zumindest aber gegenüber dem wissenschaftlich-vernünftigen Frageansatz der gegenwärtig überwiegenden Philosophie als etwas Befremdliches: Gott bzw. eine Gottesbegegnung. Ist Gott nicht dem religiösen Glauben vorbehalten, der privat vollzogen und (für jene, die ihn bekennen) in der entsprechenden Theologie exegetisch und dogmatisch reflektiert wird? Warum sollte sich die Philosophie mit diesem Thema (über ein religionswissenschaftliches Interesse hinaus, welches lediglich das Faktum religiöser Phänomene zu beschreiben und auf bio-psycho-sozialer Basis zu erklären sucht) befassen? Derlei und weitere Fragen mögen den Leser beim ersten Kontakt mit dieser Arbeit umtreiben. Ihm sei bereits zu Anfang versichert, dass das Anliegen dieses Werkes ein streng philosophisches ist. Es werden keine theologischen Vorannahmen getätigt. Mag der Titel auch gewissermaßen einen mystagogischen Charakter haben, so ist die primäre Intention doch die argumentativ vernünftige, philosophische Darstellung. Weiter ist ausdrücklich zu betonen, dass der Gegenstand dieser Darstellung der Philosophie grundsätzlich nicht fremd ist. Die Fragen nach dem ›ersten Prinzip‹, dem ›letzten Grund‹ oder der ›wahren Wirklichkeit‹ gehören seit den Vorsokratikern zum Kern
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Einleitung
der abendländischen Philosophie. Sie sind als metaphysische Fragen die ›erste Philosophie‹ (prima philosophia). 1 In der Tradition dieses Fragens steht auch die Philosophie des russischen Denkers Simon L. Frank. In einer systematischen Entfaltung seines Denkens soll sich zeigen, warum das mit dem Namen ›Gott‹ Umschriebene seines Erachtens nicht losgelöst vom ›Erleben‹ betrachtet werden kann. Denn um der philosophischen Frage nach dem tiefsten Grund der Wirklichkeit gerecht zu werden, bedarf es nach Frank sowohl erkenntnistheoretischer als auch ontologischer Überlegungen. Darüber hinaus ist einzusehen, warum diese wesentlich zusammengehören. So sehr man die philosophische Theologie als ›erste Philosophie‹ in ihrer metaphysischen Dimension mit Frank auch als ›Fundamentalontologie‹ fassen kann, so sehr ist sie doch bei ihm zugleich Erkenntnismetaphysik. Nur am Kulminationspunkt von Erkennen und Sein, in dem von Frank so genannten »lebendigen Wissen« 2, präsentiert sich das Erfragte. Dieses ›Präsentieren‹ ist jedoch weder deduktive Erkenntnis oder selbstkonstruierter Begriff noch passive Affektion durch ein Erkenntnisobjekt. Es ist hingegen für Frank wesentlich ›Begegnung‹, verstanden als radikal personale Beziehungseinheit. Die Thematisierung des Lebendigen Wissens ist von entscheidender Bedeutung. Einerseits muss erläutert werden, dass es sich hierbei um keine spezifisch religiöse Sonderform der Erfahrung oder des Glaubens handelt, die nur einem kleinen Kreis Eingeweihter offen steht oder der Vernunft unzugängliche positive Offenbarungsprämissen voraussetzt. Andernfalls wäre der Bereich der Philosophie hin zur Religion oder Esoterik verlassen. Dennoch ist mit Frank andererseits zu zeigen, dass die gewöhnliche rationale Einstellung, mit der Objekte und Sachverhalte der endlichen Wirklichkeit begriffen werden, nicht hinreichend ist, um das Sein als solches und im Ganzen, bzw. das Absolute, zu erfassen. Stattdessen ist die Rationalität mit Frank auf rationale Weise zu überschreiten – nicht zu einem ihr entgegengesetzten, irrationalen Bereich, sondern gleichsam zu ihrem
Vgl. Schmidt 2003, 17 f. sowie 23–25. Frank erarbeitet den Begriff erkenntnistheoretisch in GdW, dort insbes. 456–460. Vgl. zur Begriffsgeschichte auch Ehlen 2009, 139–146. Siehe in der vorliegenden Darstellung dazu bes. die Abschnitte II, 3 und III, 1. Im Folgenden wird außerhalb von direkten Zitaten Lebendiges Wissen als Terminus großgeschrieben.
1 2
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Einleitung
eigenen Grund, welcher ›mehr‹ ist als rational. Der somit unternommene transzendentale Überschritt gewährt die notwendige Weite des Denkens für einen vertieften Erfahrungsbegriff. Dieser begründet einen vernünftigen Zugang zu einer phänomenologisch tiefer erschließbaren Realität, deren Gewissheit nicht von weiteren Bedingungen abhängig ist – letztlich zum Unbedingten selbst. Das Lebendige Wissen markiert schließlich als transrationales Erleben der Immanenz des Transzendenten in der eigenen Teilhabe am absoluten Sein der Realität den zentralen Aspekt der frankschen Erkenntnismetaphysik. Als allumfassende, unbegrenzte Realität kann sie dem Erkenntnisblick nicht wie ein Objekt der Erfahrung gegenüberstehen. Ohne in irgendetwas (oder einer Menge von) Einzelnem ganz aufzugehen, ist sie in allem, was ist, gegenwärtig. Neben der erkenntnismetaphysischen Aufgabe, dieses Lebendige Wissen sowohl vor dem rationalen wie vor dem irrationalen Straßengraben zu bewahren – d. h. seine Transrationalität zu verdeutlichen und auf die intersubjektiv von jedem jederzeit nachvollziehbare Vollzugsgewissheit zu verweisen –, besteht eine weitere wichtige Aufgabe: Das auf diesem Wege entdeckte absolute Sein ist daraufhin zu befragen, ob überhaupt, und wenn ja, wie es in Bezug zum ›Gott‹ der Religion steht. Ist damit nicht doch im pascalschen Sinne nur ein ›Gott der Philosophen‹ erreicht? Das Denken Simon L. Franks weist diesbezüglich eine besondere Stärke auf: die Integration des Personalismus in die neuplatonisch inspirierte Ontologie. Der Seinsbegriff Franks zeigt sich schon anhand der erkenntnistheoretischen Überlegungen in seiner transrationalen Eigenart und übergegenständlichen Dynamik des Transzendierens. Aber erst in den Überlegungen zur Personalität wird das Seinsdenken von Frank in die letzte Tiefe geführt, wo das Transzendieren seinen Gipfel erreichen und sich so der Blick für dasjenige öffnen kann, welches als der göttliche Urgrund des absoluten Seins in je individueller Weise begegnet. Wiederum ist dieser Urgrund also nicht unabhängig vom eigenen Erleben zu haben – auch und schon gar nicht in einem Begriff oder System von Begriffen. Es kann lediglich der vernünftig nachvollziehbare Weg des Denkens verdeutlicht werden, der zu einem allgemeinen Verständnis religiöser Erfahrung führt. Der personale Charakter dieser Erfahrung kann auf allgemein-philosophische Weise erörtert werden, was jenen Punkt verstehen hilft, an dem die individuelle Erfahrung Gottes als Begegnung im eigenen Erleben – als 15 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Einleitung
»mein Gott«, als »Gott-mit-mir« – zum jede allgemein-begriffliche Form übersteigenden Wesen des »lebendigen Glaubens« wird. 3 Die franksche Philosophie nimmt auf diese Weise eine Vermittlungsposition zwischen Philosophie und Religion ein. Frank weist auf die genuine Zusammengehörigkeit beider hin. Er stellt die Gefahr heraus, in welche der Versuch einer grundsätzlichen Trennung mündet: Nicht nur die Religion, sondern auch die Philosophie verfielen in »Obskurantismus«, wenn Letztbezug und Reflexion getrennt würden. 4 Im Zentrum seiner philosophischen Theologie steht der Begriff der »Gottmenschlichkeit«, in welchem die Beziehung zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Schöpfung pan-en-theistisch zum Ausdruck kommt. 5 Der Panentheismus ist von Frank nicht als religiöses Dogma rezipiert, sondern das Ergebnis seiner ontologischen Reflexionen, welche seines Erachtens letztlich mit der christlich-theologischen Seins-Deutung konvergieren. 6 Den Weg dieser Reflexionen aus der ontologischen Grundfrage (Abschnitte I bis III) über die Anthropologie (Abschnitt IV) bis zum Gottesbegriff (Abschnitt V) nachzuzeichnen und an den kritischen Anfragen aus wissenschaftlichen wie religiösen Perspektiven gleichermaßen zu prüfen, ist das Hauptanliegen dieser Arbeit.
MuiG, 76. Vgl. RM, 232. 5 Siehe dazu Abschnitt V, 4b. 6 Vgl. RM, 125 f. Vgl. zu den Parallelen des frankschen Begriffs des Gottmenschentums und der gegenwärtigen Theologie Ehlen 2009, 260–264. 3 4
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I.
Zum Denken Simon L. Franks
Kann ›Gott‹ Thema der Philosophie sein? Dafür soll argumentiert werden. Es ist jedoch vorab zu fragen, was für eine Art und Weise von Philosophie bzw. Philosophieren überhaupt demonstriert werden soll. Nicht nur die relative Unbekanntheit des behandelten Autors, sondern auch die Vielzahl möglicher Verständnisweisen von ›Philosophie‹ (insbesondere ›philosophischer Theologie‹) erfordert eine vorausgehende Situierung des Ansatzes. Im Angesicht einer großen Mehrheit von Philosophen, die gegenwärtig ihre Argumentationsnormen vornehmlich aus der Diskussion mit den Wissenschaften im Sinne des englischen Begriffs ›science‹ (d. h. Naturwissenschaften) gewinnen, ist pointierter zu erfragen, ob die dargestellte Philosophie wissenschaftlich bleibt – obwohl sie Gott zum Thema hat. Wenn man annimmt, dass Gott kein Gegenstand der Natur ist, muss der Philosophiebegriff entsprechend weiter gefasst werden. Wie weit aber geht eine solche Erweiterung? Kann sie im Sinne eines strengen Philosophiebegriffes gerechtfertigt werden? Was bedeutet die Wissenschaftlichkeit der Philosophie dann noch? Genauer ist vor der Thematisierung der leitenden Gottesfrage (ob so etwas wie Gott existiert, und wenn ja, in welchem Verhältnis wir zu ihm stehen) zu klären, was mit ›existieren‹ überhaupt gemeint ist. Dies ist die Frage nach dem Seinsbegriff. Gerade sie ist für Franks Ansatz grundlegend. Eine schnelle Kategorisierung des Denkens von Simon L. Frank im Blick auf sein Leben und Werk 1 kann also nicht hinreichen. Es ist zwar nicht falsch, Franks Denken anhand seiner philosophischen Gewährsmänner als ›neuplatonisch‹ (Platon, Plotin, Augustinus, Nikolaus von Kues), ›transzendentalphilosophisch‹ (Kant, Fichte, Schelling, Hegel), ›phänomenologisch‹ (Husserl, Scheler) und ›personalistisch‹ (Buber, Ebner, Rosenzweig) zu kennzeichnen. Dennoch verbleibt eine solche Etikettierung an der Oberfläche und nährt einen
1
Für ausführliche biographische Details zu Simon L. Frank vgl. Boobbyer 1995.
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Zum Denken Simon L. Franks
eklektizistischen Verdacht: Handelt es sich noch um ein originär einheitliches Denken? 2 Die Frage bejahend soll Franks Denken eingangs als einheitlicher Prozess der Entfaltung eines Grundgedankens betrachtet werden. Im systematischen Nachvollzug soll sich zeigen, dass Frank die ursprünglich philosophischen Fragen »Was ist eigentlich der Mensch? Welchen Sinn hat sein Leben? In welcher Beziehung steht er zu den letzten Urgründen des Seins?« 3 in der alle seine philosophischen Werke durchziehenden ontologischen Grundfrage nach der ›wahren Wirklichkeit‹ vereint. 4 Die unterschiedlichen philosophischen Ansatzpunkte Franks wie auch die Veränderungen und Weiterentwicklungen der Problemstellungen, Ansätze und begrifflichen Ergebnisse als Kennzeichen für »Brüche« und »Widersprüchlichkeiten« 5 statt als konsequente Entfaltung einer Grundfrage zu deuten, erweist sich bei genauerer Betrachtung als haltlos, weil es die Konstanz der genuin platonischen Grundfrage aus dem Blick verliert. So zieht sich der von der ontologischen Frage ausgehende Aufweis der transzendentalen Anwesenheit des absoluten Seins im Lebendigen Wissen durch alle philosophischen Werke Franks mit ihren unterschiedlichen Problemstellungen. 6 Die metaphysisch-ontologische Grundposition bleibt dabei bis zum Letzten seiner Werke dieselbe. 7 Die »Entwicklung« des frankschen Denkens kann deswegen durchaus als »kontinuierlich auf dem einmal gelegten Fundament ohne Brüche und totale Neuansätze« 8 sich vollRörig 2010, 24 f., bezweifelt sowohl die Einheitlichkeit wie auch, dass überhaupt »von einer bestimmten Frankschen Denkart« gesprochen werden kann. 3 Jrl, 166. 4 Vgl. Ehlen 2004, 22. Siehe zum alle Werke durchziehenden Grundgedanken des ›ontologischen Arguments‹ Abschnitt III, 2, insb. Anm. 33. 5 Rörig 2010, 24 f. 6 LW, 53 f., 94, 119–121, 178, 218–220, 261, 276 f., 286–290; GdW, 457 f.; SdM, 228– 230; 2012, 120 f., 166–169 und 171 f. sowie 183; DU, 173; GGdG, 167 f.; LiF, 114 f. und 118–120; MuiG, 39–42, 54–62, 88 sowie 131 f., RM, 139–143 i. V. m. 160 f. und 165 usw.; vgl. auch Ehlen 2004, 41–43. Siehe Abschnitt III, 2. 7 Rörig 2010, 59–86, meint dagegen explizit in den ontologischen Grundpositionen der Hauptwerke Franks bruchhafte Übergänge entdecken zu können. Gegen diese Ansicht siehe ausführlich Abschnitt III, 3c, insb. Anm. 170. Vgl. gegen Rörig auch Slesinski 1996, 200 f. Der methodischen Frage, ob es Frank gelungen ist, »aus den verschiedenen Zugängen zur Sache bruchlos eine eigene Philosophie zu schaffen«, ist schon Ehlen 1998 (insb. dort: 24) nachgegangen; in einem systematischen Nachvollzug zeigt er die positive Bestätigung. 8 Ehlen 2009, 343. 2
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Zum Denken Simon L. Franks
ziehend betrachtet werden. Der Versuch anders gearteter Interpretationen ist freilich zu berücksichtigen und kritisch zu prüfen. Er begründet umso mehr die Notwendigkeit, mit der erläuternden Darstellung der ontologischen Grundfrage zu beginnen. Anhand der Grundfrage nach der ›wahren Wirklichkeit‹ lässt sich zudem Franks Philosophiebegriff näher charakterisieren. Einerseits enthält jene Grundfrage die Frage nach dem Gegenstandsbereich, andererseits nach der entsprechenden Methode von Franks philosophischem Denken. Obwohl beide Fragen im Aufbau dieser Arbeit nacheinander Behandlung finden (Abschnitt II und III), ist darauf hinzuweisen – und wird deutlich werden –, dass eine grundsätzliche Trennung von Gegenstand und Methode verfehlt wäre. Sie befinden sich bei Frank in einer unzertrennlichen Beziehung zueinander. Der Gegenstand des philosophischen Fragens – das Sein als solches – gibt gewissermaßen die Methode des Zugangs zu ihm vor. Jedoch wird er als das, was er eigentlich ist, erst auf dem Wege seiner Erschließung – im transzendental erwiesenen Lebendigen Wissen – offenbar. Es kann entsprechend nicht mit einem schon vorher bestimmten Gegenstand des Denkens – schon gar nicht mit einem vorbestimmten Gottesbegriff – angefangen und von diesem her einfach deduziert werden. Der einzig adäquate Anfangspunkt kann nur der philosophisch Fragende selbst sein, in dessen Fragen beide Aspekte in ihrer gegenseitigen Bezogenheit enthalten sind. Dies wird sich zum einen vonseiten der ontologischen Grundfrage selbst zeigen, wenn sie ihre transzendentale Methode reflektiert (Abschnitt III, 3). Zum anderen eröffnet sich im Hinblick darauf ein Selbstverständnis als ›religiöse Philosophie‹, das zu klären ist (Abschnitt III, 4). Insbesondere Anfragen an die Wissenschaftlichkeit der ontologischen Frage sind aufzugreifen (Abschnitt III, 5). Mit der Thematisierung des Gegenstandsbereiches zu beginnen, bedeutet anzuzeigen, was mit der philosophischen Frage intendiert ist. Mit anderen Worten heißt es darzustellen, was nach Franks Verständnis ›Philosophie‹ meint bzw. ist, wenn sie als »Ontologie« begriffen wird. 9
9
Vgl. GdW, 83 f., DU, 170.
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II. Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
Eine einfache Kennzeichnung der Philosophie Franks als ›Ontologie‹ wäre hochgradig unklar, weil dieser Terminus philosophiegeschichtlich ganz unterschiedlich besetzt ist. 1 Anhand der »reifen Summe von Franks Denken« 2 lässt sich allerdings in einem didaktischen Gang die Entwicklung des Seinsbegriffs nachvollziehen, womit zugleich das Verständnis der frankschen Ontologie geklärt werden kann. Dabei geschieht keine Definition des Gegenstands der Philosophie als bloße Setzung. Vielmehr wird im Rahmen dieser Arbeit ›Ontologie‹ propädeutisch in einem ersten Schritt als Frage nach bestimmten Entitäten verstanden. Ein gegenwärtig verbreitetes Ontologieverständnis einer einflussreichen Strömung der Philosophie angelsächsischer Provenienz kann dieserart als Gesprächspartner aufgenommen werden. Dieses Verständnis sieht in der Anlehnung an W. v. O. Quine das ontologische Grundmotiv in der Frage »Was ist?«. 3 Die Aufgabe der Ontologie wird so gleichsam zu einer reinen Bestandsaufnahme der Seinsinhalte. Ihre Methode besteht darin, die »beste Theorie«, die man in irgendeinem wissenschaftlichen Kontext besitzt, in die »maßgebliche Logik« zu übersetzen. Anhand der »gebundenen Variablen« (d. i. die logische Form sinnvoller Sätze) erschließt sich dann, auf welche Art von Entitäten man in der Referenz festgelegt ist. Alles darüber Hinausgehende wird als Ideologie angesehen. 4 Vgl. zur Geschichte und Verwendung des Begriffs »Ontologie« Weissmahr 1991, 9– 12, bzw. Weissmahr 2010b, 340 f., sowie Kremer/Wolf 1984. 2 Ehlen 2004, 21 [Sofern nicht anders vermerkt, stehen alle Hervorhebungen der Zitate im Original]. Ehlen bezeichnet dieserart Franks letzte Schrift »Die Realität und der Mensch« und betont, dass die »maßgeblichen Einsichten« schon in den früheren Hauptwerken zu finden sind. Sie seien in RM aber in reifer Gestalt »unter neuer, anthropologischer Rücksicht systematisch verdichtet.« (Ebd.) 3 Vgl. Quine 1948. 4 Schaffer 2009, 347 f.: »On the now dominant Quinean view, metaphysics is about what there is. […] metaphysical questions are existence questions, such as whether numbers exist. […] the Quinean task is to list the beings. […] the Quinean method is to begin with our best theory and canonical logic, translate the former into the latter, 1
20 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
Schon eine solche Bestimmung dessen, was ist, darf nach Frank aber nicht bei einer einfachen Aufzählung bestimmter Elemente einer begriffsschematischen Menge von Entitäten stehenbleiben. Hingegen sei zu fragen, wie und auf welche Weise die jeweiligen Entitäten ›sind‹. Seines Erachtens besteht die Aufgabe der Ontologie erst in der Untersuchung der »großen Zusammenhänge zwischen materiellen, seelischen und geistigen Erscheinungen, Einzeltatsachen und Allgemeinem, Abstraktem und Konkretem, Zeit und Ewigkeit, Begrenztem und Unbegrenztem« 5 hinsichtlich der jeweiligen Seinsbedeutung. Diesbezüglich zeigt sich der volle Sinn der Seinsfrage scheinbar in einer schrittweisen Extensionserweiterung des Seinsbegriffs. Denn in der Erörterung der mit der Annahme bestimmter Entitäten verbundenen ontologischen Implikationen findet sich bei Frank jeweils der notwendige Grund zu einer anschließenden Erweiterung des Seinsbegriffs. Die Begründungen der schrittweisen Erweiterungen weisen jeweils allerdings schon auf eine grundsätzliche Problematik des so konzipierten Ontologieverständnisses hin. Schlussendlich wird es für das rechte Verständnis unverzichtbar, sich die von Frank aus der Problematisierung gewonnene transzendentale Einsicht bewusst gegenwärtig zu halten. Das begrifflich formulierte Resultat bleibt ohne die transzendentale Grundeinsicht eine leere Abstraktion. ›Sein‹ droht als extensional weitester und intensional ärmster Begriff verstanden zu werden, im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners der Menge aller möglichen Entitäten, über welche bedeutungsvolle Aussagen – im Sinne der Referenzmöglichkeit – gemacht werden können. Daraus entstünden grundlegende Missverständnisse der Ontologie im frankschen Sinne – und schlussendlich auch der philosophischen Theologie. Der erste Schritt darf also nur als Teilschritt auf dem Weg zum wahren Seinsbegriff verstanden werden. Er bleibt für diesen aber gleichwohl unentbehrlich, weil er gerade in der problematisierenden Absetzung auf den eigentlichen Seinsbegriff verweist. Des Weiteren ist für Frank die platonische Frage nach dem ›wahren Sein‹ nicht erst ein fachspezifisches Problem der Philosophie. Der
and see what the bound variables must range over for the result to be true. […] these are the entities we are committed to. That is ontology. The rest is ideology.« Schaffer sucht demgegenüber einen anderen Zugang, der aristotelisch nicht nach Entitäten, sondern nach Begründungen fragt. 5 LW, 272.
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
Ausgangspunkt kann vielmehr vom Alltäglichen her genommen werden. »Jegliches menschliche Wissen«, gleich ob es einem lebenspraktisch-alltäglichen Bedürfnis nach Orientierung oder einer wissenschaftlichen Intention im engeren Sinne entspringt, ist nämlich seines Erachtens gezwungen, »diese Frage immer wieder neu zu stellen und zu beantworten.« 6 Die Erfahrungen der Begrenztheit und Irrtumsanfälligkeit des menschlichen Wissens nötigen dazu, zwischen bloßen »Meinungen«, »Vorstellungen« und »Vermutungen« einerseits und der wahren Wirklichkeit andererseits zu unterscheiden. Mit anderen Worten handelt es sich um die Frage, wann und wie wir von irgendetwas gerechtfertigterweise ›Sein‹ prädizieren können. Daraus ergibt sich eine erste Unterscheidung zwischen (1) dem ›Subjektiven‹ und (2) dem ›Objektiven‹. Das bedeutet einerseits (1) all dasjenige, was nur für wahr bzw. real gehalten wird und andererseits (2) dasjenige, was wirklich ist. Für eine erste Bestimmung des ›Objektiven‹ geht Frank vom Alltagsbewusstsein aus, das auf die Erfahrung rekurriert. Als Kriterium für die Wirklichkeit eines Erfahrungsgegenstands nimmt es vor allem die Faktizität und Allgemeinheit. Was unabhängig vom erfahrenden Subjekt Bestand hat und als solches wahrnehmbar ist, trägt demnach das Kennzeichen des wahrhaft Seienden, indem es sich als konkrete Entität in den Begriff der »empirischen Wirklichkeit« 7 fügt.
1.
Konkrete Entitäten – Der Begriff der »empirischen Wirklichkeit«
Die Alltagsintuition neigt nach Frank gewöhnlich zum Empirismus. Darunter versteht er »die Lehre, daß unser gesamtes Wissen letzten Endes auf die Gesamtheit von ›Erfahrungsdaten‹ rückführbar ist.« 8 Allerdings lehnt Frank schon für diesen Begriff eine materialistische oder sensualistische Verkürzung ab. Unter Vorbehalt positiv blickt er dagegen auf die Weite der Erfahrungsbegriffe und der damit verbundenen Wirklichkeitskonzeptionen des »radikalen Empirismus« bei William James und der »Phänomenologie« von Edmund Husserl. SoRM, 128 f. RM, 129. Im Folgenden wird Empirische Wirklichkeit als Terminus außerhalb direkter Zitate großgeschrieben. 8 DU, 51. 6 7
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Konkrete Entitäten – Der Begriff der »empirischen Wirklichkeit«
fern sie »überhaupt alles, was uns in irgendeiner Form ›gegeben‹ ist, sich uns ›eröffnet‹ oder ›vorliegt‹«, in den Bereich der Erfahrungsdaten aufnehmen, stellen sie laut Frank das für den sensualistischen Empirismus notwendige »Korrektiv der Enge und Inadäquatheit« dar. 9 Die Notwendigkeit des Korrektivs begründet sich ihm zufolge schon dadurch, dass man die Unterscheidung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven nicht einfach durch diejenige zwischen Innen und Außen ersetzen kann, weil es neben den Phänomenen des »materiellen Seins«, d. i. alles, was »räumlich« oder »sinnlich« erfahrbar ist, weiterhin die »Phänomene des Seelenlebens« bzw. das »psychische Sein« gibt. 10 Äußerlich seien die Seelenphänomene zwar nicht direkt mit den Sinnen, sondern nur vermittelt über die physischen Ausdruckserscheinungen wahrnehmbar. Gleichwohl gehören Emotionen und Stimmungen nach Frank zum direkten Erfahrungsschatz des Erfahrungssubjektes, weil sie in der inneren Erfahrung mit derselben Faktizität wie die äußerlichen Erfahrungsobjekte gegeben sind. Die seelischen Phänomene dürfen ferner nicht um ihren ontologischen Gehalt beschnitten werden, nur weil sie im Inneren des Subjektes auftreten. Ihre unmittelbaren Wirkungen auf das Erfahrungssubjekt seien schließlich genauso wenig von der Hand zu weisen wie ihre Auswirkungen auf die physische Wirklichkeit. Frank verweist exemplarisch auf den »Sadismus, die krankhafte Herrschsucht und [den] Größenwahn Hitlers«, 11 welche leidvolle Wirkungen auf das psychische Sein unzähliger Menschen wie auch zerstörerische Wirkungen auf die physische Situation der Welt inklusive ihrer Bewohner hervorbrachten, die in ihrem Ausmaß Naturkatastrophen nicht nachstehen. Vermittelt durch diese Wirkungen erweisen sich die seelischen Phänomene, obwohl sie selbst nicht als äußerlich sinnliche Objekte erfahrbar sind, sondern wesentlich zum Innenleben des Subjekts gehören, als nicht weniger objektiv. Das spezifische Missverständnis, die Seelenphänomene dem Objektiven von vornherein strikt gegenüber zu setzen und sie somit unmittelbar zu entwirklichen, kann nach
DU, 51; vgl. auch MuiG, 33 f. Eine ausführliche Erörterung des frankschen Erfahrungsbegriffes findet sich im Abschnitt V, 2b. 10 RM, 129; vgl. auch DU, 187. 11 RM, 130. 9
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
Frank vermieden werden, indem man den Begriff des »Subjektiven« (des Illusionären) vom »Subjekthaften« (dem Subjekt Zugehörigen) unterscheidet. Es gilt dann, dass das dem Subjekt zugehörige »›subjekthafte‹ Sein […] nicht weniger real [ist] als das äußerlich-objektive Sein«. 12 Den Konsequenzen dieser Unterscheidung verwehrt sich der Epiphänomenalismus. Er hält seelische Phänomene für wirkungsund bedeutungslose Begleiterscheinungen des Physischen. Frank argumentiert dagegen, dass die mit dem Epiphänomenalismus einhergehende beschränkende Lokalisierung des Psychischen in den Innenbereich des Physischen schon definitorisch im Widerspruch zur Unterscheidung zwischen Psychischem und Physischem steht. 13 Wenn das psychische Sein durch den unterscheidenden Gegensatz zu dem im allgemeinen Erfahrungsraum befindlichen Physischen bestimmend gekennzeichnet werde, dann sei schließlich zu betonen, dass das psychische Sein per se »überhaupt nicht räumlich ausgedehnt« 14 gedacht werden könne – andernfalls wäre es etwas Physisches. Deswegen seien »räumliche Bestimmungen« (wie etwa die beschränkende Lokalisierung im menschlichen Körper, aber auch mechanistische Vorstellungen der Wirkungsweise psychischer Prozesse) generell nicht auf sie anwendbar. 15 Zwar ist Frank zufolge (gegen jeden psychophysischen Parallelismus) eine Verbindung zwischen Körper und Seele zuzugestehen, weil physische Schäden am Körper die Manifestation seelischer Phänomene beeinträchtigen und andererseits seelische Phänomene physische Veränderungen hervorrufen können. 16 Dieser »indirekt durch seine [körperliche] Vermittlung lokalisiert[e]« 17 Aspekt des psychischen Seins lässt aber nicht darauf schließen, dass die Seele grundsätzlich auf den Körper beschränkt bleibt. Vielmehr wird die Seele in der inneren Erfahrung als »eine eigentümliche Unendlichkeit« 18
Vgl. RM, 152 und DU, 190. Vgl. RM, 154 f. 14 RM, 154. 15 RM, 154 f. 16 Frank argumentiert allerdings nicht in Bezug auf psychosomatische Phänomene, sondern akzentuiert vor allem, wie angeführt, die ihm zeitgeschichtlich nahe liegenden sozio-politischen Folgen seelischer Phänomene. 17 RM, 155. 18 Ebd. 12 13
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Konkrete Entitäten – Der Begriff der »empirischen Wirklichkeit«
wahrgenommen, die sich dadurch auszeichne, dass sie gerade keine festen Grenzen hat. 19 Die Frage nach der Eigenart psychischen Seins wird unter Abschnitt IV, 2 weiter ausgeführt. An dieser Stelle genügt als vorläufiges Ergebnis die Feststellung, dass ausgehend von der äußeren sinnlichen Erfahrung sowie der inneren »ebenso konkret empirisch[en], aber nicht sinnlich[en]« 20 Erfahrung, die Extension des Begriffes der Empirischen Wirklichkeit sowohl materielle als auch seelische Phänomene umfassen muss. Mit der Anerkennung des psychischen Seins als Teil der Empirischen Wirklichkeit ergibt sich zugleich eine Veränderung der Unterscheidung zwischen dem ›Subjektiven‹ und ›Objektiven‹ : Auch zum Subjekt gehörige – subjekthafte – Phänomene sind als nicht minder wirklich und in diesem Sinne als objektiv gegeben zu betrachten. Dieserart ergibt sich ein erster Grund, der Frank veranlasst, nicht bei dem Begriff der Empirischen Wirklichkeit stehen zu bleiben. Denn die Frage danach, ob ein bestimmtes subjekthaftes Phänomen wahrhaft wirklich ist, kann nicht daran entschieden werden, ob es sinnfällig oder raumzeitlich-konkret geben ist, sondern allein daran, dass es der (innerlichen) Erfahrung tatsächlich »als Objekt gegenübersteht«. 21 Allein die Tatsache, dass etwas – ganz gleich ob innerlich oder äußerlich – in der Erfahrung präsent ist, zeugt von dessen Realität, unabhängig davon, ob das Erfahrene seinem Inhalt nach richtig interpretiert wird (so sind etwa Sinnestäuschungen gleichwohl reale Erfahrungen, welche lediglich unzutreffend interpretiert werden). Genaugenommen kann als Kriterium der UnterVgl. DU, 187–189, und ähnlich SdM, 83–87; siehe dort auch bes. SdM, 244: »[Die] empirische Seite des Seelenlebens, von der es sich außen zeigt und an der äußeren gegenständlichen Welt teilnimmt, [ist] diejenige Seite von ihm […], mit der es unmittelbar mit dem Körper verbunden ist. Nur über die Verbindung mit den körperlichen Prozessen ist das Seelenleben eine räumlich und zeitlich lokalisierte Realität, steht uns als Gesamtheit und Einheit von Prozessen gegenüber, die an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit ablaufen; und nur durch die nämliche Verbindung mit dem Körper offenbart es überhaupt die empirische Gesetzmäßigkeit seiner Phänomene, denn die Gesetzmäßigkeit, in ihrer Eigenschaft als bestimmte Ordnung der Koexistenz und Abfolge, setzt schon die Lokalisierung in der Zeit voraus (und praktisch, jedenfalls meistens, auch im Raum). An sich selbst aber, d. h. in seiner inneren, qualitativen Natur, ist das seelische Sein […] nicht nur unräumlich, sondern auch zeitlos, und daher sind alle Kategorien des empirisch-gegenständlichen Wissens nicht darauf anwendbar.« Unter »empirisch-gegenständlichem Wissen« ist an dieser Stelle das empirische Wissen materieller Phänomene zu verstehen. 20 RM, 131. 21 Ebd. 19
25 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
scheidung zwischen Schein und wahrhaftem Sein folglich die empirische Gegebenheit nicht hinreichen – vor allem nicht, wenn darunter nur eine Menge von raumzeitlich konkreten Entitäten verstanden wird. Vielmehr ist die »Unterscheidung zwischen ›subjektiven‹ und ›objektiven‹ Elementen der Erfahrung keine reale«, sondern eine »distinctio rationis«, die »von dem Standpunkt abhängt, von dem aus wir das Verhältnis betrachten.« 22
2.
Abstrakte Entitäten – Der Begriff der »objektiven Wirklichkeit«
Zusätzlich zur Anerkennung seelischer Phänomene, bzw. des psychischen Seins, und der damit verbundenen Fraglichkeit des Begriffs der Empirischen Wirklichkeit als Bezeichnung des wahren Seins führt Frank die »idealen Elemente« als Grund zur Erweiterung des Seinsbegriffs an. 23 Im Gegensatz zu konkret-sinnlichen oder psychischen Phänomenen seien sie kein direkter Gegenstand der Erfahrung – weder der äußeren noch der inneren Erfahrung. Aber als formale Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsdaten sind etwa »Raum«, »Zeit«, »Kausalität«, »Qualität« und »Relation« notwendig mit jeder Erfahrung als konstitutive Elemente verbunden und mitgegeben, wie Frank unter Bezug auf Kants transzendentale Ästhetik und Logik ausführt. 24 Außerdem müsse man in diesem Zuge zu den idealen Elementen neben den die Erfahrung konstituierenden formalen Elementen auch die logisch-mathematischen Verhältnisse im Allgemeinen zählen. Obwohl auch sie nicht direkt erfahren werden, sind beispielsweise »Gleichheit, Verschiedenheit, logische Unterordnung (das Verhältnis zwischen Gattung und Art), die Ursache-WirkungBeziehung« 25 doch notwendig mit jeder Erfahrung verbunden. Frank akzeptiert, ausgehend von der transzendentalen Reflexion auf die Bedingungen der empirischen Erfahrung, also neben den in Raum und Zeit erfahrbaren konkreten Entitäten auch die Realität abstrakter Entitäten. Entgegen dem kantischen Phänomenalismus, der die Bedingungen des Erkenntnisvermögens nur »als etwas Sub22 23 24 25
RM, 131 Fn. 1. RM, 132. Ebd. Ebd.
26 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Abstrakte Entitäten – Der Begriff der »objektiven Wirklichkeit«
jektives, durch das Wesen des menschlichen Bewußtseins bedingtes« 26 gelten lässt, folgt Frank einem metaphysischen Platonismus und erklärt die »transzendentale Logik« zur »Logik des Seins selber«. 27 Die nominalistische Kritik an der Annahme der Realität abstrakter Entitäten führt Frank auf ein vulgär-platonistisches Missverständnis sowie materialistische Vorurteile zurück. Dabei werde missachtet, dass die Existenzweise der abstrakten Entitäten nicht dieselbe sei wie diejenige konkreter Entitäten. Wer sich die abstrakten Entitäten als platonische Ideen über einer »Great Line of Being« 28 im »Reich der Ideen« derart existierend vorstellt, dass gleichsam das »Pferd im Allgemeinen« dort »auf irgendeiner Wiese weide«, 29 missversteht den Unterschied zwischen ›abstrakt Allgemeinem‹ und ›konkret Individuellem‹ grundlegend. Im Gegensatz zum Konkreten, das seine individuelle Existenz qua Definition in Raum und Zeit hat, ist der »Seinsmod[us]« der »ideal Seiende[n]« bzw. der abstrakten Entitäten als allgemeiner Inhalte ein grundsätzlich anderer: Sie ›sind‹ wesentlich »in der Form überräumlicher und überzeitlicher Einheit«. 30 Wer den Gedanken überräumlicher und überzeitlicher Entitäten nur deswegen ablehnt, weil es einzig »nach dem Muster des materiellen Dinges existierende« konkrete Seiende geben könne, welchen gegenüber »alle übrigen Inhalte als ›subjektive Erfindung‹« 31 gelten müssen, bringt eigentlich nur dogmatisch eine materialistische Grundeinstellung zum Ausdruck, die keine weitere Begründung enthält. Frank moniert deshalb scharf: »Aber die hartnäckige tautologische Wiederholung einer willkürlichen Voraussetzung ist kein Beweis.« 32 Von einer anderen Seite her insistiert die aristotelische Kritik, dass »die idealen Elemente als Eigenschaften oder Verhältnisse konkret seiender Dinge zur empirischen […] Wirklichkeit gehören.« 33 Als Exemplifikation des Allgemeinen im konkret Individuellen bedeutet dies nach Frank jedoch keinen Widerspruch zur überräumlichen und überzeitlichen Existenzweise der allgemeinen Inhalte als 26 27 28 29 30 31 32 33
LW, 206. DU, 170. Siehe dazu weiterführend Abschnitt III, 2b sowie IV, 3c. Jubien 1997, 39–41, 67. RM, 136 f. RM, 137. Ebd. Ebd. Vgl. auch GdW, 408 f. RM, 137.
27 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
solcher. Nur weil sie in den Dingen konkret erfahrbar sind, erübrigt das nicht die Frage nach der von den konkreten Dingen unabhängigen, objektiven Bedeutung ihres abstrakten Gehalts. Die »Universalia« können Frank zufolge »zugleich ›in rebus‹ und ›ante res‹« 34 verstanden werden. Auf die naheliegende konzeptualistische Auffassung geht Frank ebenfalls ein: Die so verstandenen »idealen Elemente« – ob nun für sich bestehend im platonischen Ideenhimmel »ante res« oder konkret instanziiert »in rebus« – existieren ihm zufolge nicht schlechthin ›an sich‹ bzw. begegnen uns nicht nur ›von außen‹ als bloße Objekte. Hingegen stellen sie sich in gewisser Weise als von unserem Denken abhängig dar. Das konzeptualistische oder phänomenalistische Extrem vermeidet Frank jedoch explizit. Platonische Ideen sind für ihn sowohl (1) »etwas Objektiv-seiendes« als auch (2) ein »Produkt oder Phänomen unseres Denkens«. 35 Seines Erachtens ist die Verbindung zwischen (1) und (2) nur dann problematisch, wenn die »Elementarsphäre des ›Denkens‹ (oder des ›Geistes‹)« von vornherein auf den »faktisch-psychologische[n] Denkprozeß« 36 des Menschen in seiner Subjektivität reduziert wird. Frank korrigiert auf diese Weise die Dualität zwischen »platonischem Ideenreich« und »zeitlicher Welt« in einer spezifisch neuplatonischen Manier: Die Beziehung des menschlichen Denkens bzw. Geistes zum »idealen Sein« entspricht ihm gemäß der Teilhabe an einer »universalen Vernunft«. 37 Ohne den metaphysischen Erörterungen zur Realität abstrakter Entitäten im Einzelnen weiter nachgehen zu können, ist festzuhalten, dass sie an diesem Punkt der Überlegungen Franks für die Entwicklung des Seinsbegriffes gleich Zweifaches leisten: Zum Ersten wird ein weiterer Grund genannt, den Begriff der Ebd. RM, 138. 36 Ebd. 37 Vgl. RM, 138 f. Vgl. zu diesem neuplatonischen Verständnis der Realität des Idealen auch GdW, 421: »Das Reich des Idealen wie auch das des Realen sind Einheiten, und als solche Einheiten decken sie sich vollständig – keines ist ohne das andere denkbar, denn in ihnen als Einheiten fallen Denkmöglichkeit und reales Sein zusammen. Und wie sich eine einzelne Idee (sofern wir ihr überhaupt ein relatives Sein zuschreiben können) in der Vielfalt ihrer wechselnden empirischen Exemplare verkörpert, so ist auch das ideale Reich als Einheit, das heißt als einheitliche Grundlage der vielfältigen Systeme der Ideen, in der wechselnden Vielfalt der empirischen Verkörperungen seiner verschiedenen Aspekte, das heißt der darin enthaltenen besonderen Ideen verwirklicht.« 34 35
28 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Abstrakte Entitäten – Der Begriff der »objektiven Wirklichkeit«
Empirischen Wirklichkeit zu erweitern. Neben den in Raum und Zeit erfahrbaren Entitäten sind die formalen Bedingungen der Erfahrung sowie die logisch-mathematischen Beziehungen als abstrakte Entitäten unseres Denkens ebenfalls real – wenn auch in anderer Weise. Es bietet sich deshalb an, den Seinsbegriff auf die sowohl dem Erfahren als auch dem Denken gemeinsame Gegebenheitsweise der Gegenständlichkeit oder Objektivität zu erweitern. Ob etwas wahrhaft wirklich ist, entscheidet sich dann allein daran, ob es als Gegenstand der Erfahrung und Denken umfassenden Erkenntnis verifiziert werden kann. Dies nicht zuletzt, weil für Frank Erfahrung und Denken notwendig aufeinander bezogen sind (ganz im Sinne von Kants transzendentaler Erkenntnislehre: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.« 38). Jedes mögliche Erkenntnisobjekt fügt sich schlussendlich in die vom Erkenntnissubjekt unabhängige »gegenständliche« oder »objektive Wirklichkeit«. 39 Sie stellt einen univoken Seinsbegriff dar, der die Gesamtheit dessen, ›was es gibt‹ beinhalten soll. Insofern sie alles welthaft ›Wirkliche‹ oder ›natürlich Seiende‹ umfasst, kann sie nach Frank mit demjenigen übereinkommen, was man unter »Welt« oder »Natur« versteht; ebenso kann man aber auch »supranaturalistische« Entitäten (»Gott, die Engel, körperlose Geister oder Seelen usw.«), wenn sie als Objekte der Erkenntnis verstanden werden, zur Objektiven Wirklichkeit zählen. 40 »Das Bild der Welt als universale systematische Einheit der objektiven Wirklichkeit kann enger oder weiter sein, einfacher oder komplexer, es ändert nichts an der allgemeinen Vorstellung vom Sein als einem geschlossenen, geistig überschaubaren, allumfassendem System objektiv und konkret seiender Dinge oder Träger des Seins mit ihren vielfältigen Eigenschaften und Beziehungen.« 41
Unter anderem in Franks Werk »Das Unergründliche« wird der Begriff der Objektiven Wirklichkeit auch als »gegenständliches Sein«, »gegenständliche Wirklichkeit« oder einfach nur als »Wirklichkeit« bezeichnet. Die verschiedenen Bezeichnungen meinen alle vornehmKant, KrV B 75. Siehe die entsprechenden erkenntnistheoretischen Überlegungen Franks, dargestellt in Abschnitt III, 3a und ferner auch Abschnitt V, 2a und b. 39 Der Begriff der Objektiven Wirklichkeit wird im Folgenden als Terminus außerhalb direkter Zitate großgeschrieben. Er deckt sich mit dem eingangs angesprochenen Seinsverständnis der quineanischen Ontologie (siehe Anm. 4). 40 RM, 134. 41 RM, 134 f. 38
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
lich die Summe der dem erkennenden Subjekt als von ihm unabhängige Objekte gegenüberstellbaren Entitäten. Somit sind sie koextensiv zu der in diesem Sinne verstandenen ›objektiven‹ Wirklichkeit. Es bedarf dennoch einer gewissen Vorsicht, was den Ausdruck der ›Objektivität‹ anbelangt, da Frank ihn bisweilen im weiten Sinne komplementär zu einem Begriff der »Subjektivität« entsprechend dem Unterschied zwischen »wahrer Gültigkeit« und »illusorischer« oder »unbeständiger Grundlosigkeit« verwendet. 42 Dabei handelt es sich nicht um einen terminologischen Fehler oder unbedachte Fahrlässigkeit, sondern um eine gewisse nicht zu vermeidende alethologischaxiologische Zweideutigkeit, die sich aus dem gemeinsamen Grund von Erkennen und Sein ergibt, wie noch zu sehen sein wird. 43 Zum Zweiten wird für Frank gerade anhand der Überlegungen zur Seinsweise der idealen Elemente genau dieser neue, weitere Seinsbegriff zum Problem. Die Auffassung, dass nur ›subjektiv‹ sein kann (»im Sinne willkürlicher, illusorischer, fehlerhafter Vorstellungen und Meinungen«), was nicht im strengen Sinne als Seiendes ein vom Subjekt unabhängiger Gegenstand der Erkenntnis ist, kennzeichnet für ihn die Einstellung einer »rationalen Metaphysik«. 44 In dieser Haltung werde die Einstellung der objektivierenden »begrifflichen Erkenntnis« 45 verabsolutiert. In gewisser Weise werde das ›wahre Sein‹ in seiner lebendigen Fülle so doch auf das bloße »Spiegelbild« einer möglichen rationalen Betrachtungsweise reduziert. 46 Zwar ist alles, was ist, prinzipiell objektivierbar; aber schon die beschriebene Abhängigkeit abstrakter Entitäten vom produktiven Denkvollzug des menschlichen Individuums ist Frank ein Hinweis darauf, dass dies nicht die einzige – und wie sich sogleich darstellen wird, auch nicht die primäre – philosophische Einstellung sein kann. In der verabsolutierten Einstellung Begrifflicher Erkenntnis zeigt sich vielmehr das
Vgl. beispielsweise DU, 273 f., und RM, 244 f. Vgl. DU, 273, und RM, 167. Siehe Abschnitte III, 2 und 4 sowie IV, 4. 44 RM, 134 f. sowie 183. 45 RM, 140. Im Folgenden wird Begriffliche Erkenntnis als Terminus außerhalb von Zitaten großgeschrieben. Die Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis entspricht weitgehend der »Einstellung des Theoretikers«, welche Kuhlmann der »Einstellung des Akteurs« gegenübersetzt (Kuhlmann 2009, 36). Auch er sieht in Ersterem die gewohnte, kongnitiv-wissenschaftliche Einstellung, die alles notwendig entweder zum vom Subjekt verschiedenen Gegenstand oder zum vom Gegenstand verschiedenen Gedankenbild macht. 46 RM, 140. 42 43
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Die Realität des Subjekts – Das »unmittelbare Selbstsein« und das »lebendige
dem Empirismus entgegengesetzte Extrem des Rationalismus. Frank kritisiert ein solches rationalistisches Ontologieverständnis mit den Worten Kants auch als »dogmatische Metaphysik«. 47
3.
Die Realität des Subjekts – Das »unmittelbare Selbstsein« und das »lebendige Wissen«
Auf der Suche nach der wahren Wirklichkeit erörtert Frank den von (inneren und äußeren) Erfahrungsgegenständen ausgehenden Begriff der Empirischen Wirklichkeit und den um Denkinhalte erweiterten Begriff der Objektiven Wirklichkeit. Alles, was in irgendeiner Weise Objekt der Erkenntnis sein kann, soll als Entität in der Objektiven Wirklichkeit seinen Platz finden. Doch sieht Frank in dieser Einstellung ein rationalistisches Vorurteil. Es besteht darin, dass das ›wahre Sein‹ ausnahmslos anhand der Unabhängigkeit vom Subjekt begriffen werden soll. In den Überlegungen zu dem nur in der inneren Erfahrung gegebenen psychischen Sein fand sich bereits eine erste Problematisierung dieser Tendenz. Denn das psychische Sein reicht nach Frank gegenüber jeder Begrenzung wesentlich in eine unendliche, grenzenlose Tiefe. Darüber hinaus weist Frank in der Betrachtung der abstrakten Entitäten auf ihr objektives, aber vom Denken nicht schlechthin unabhängiges Sein hin. Dieses habe seinen Grund vielmehr in der Teilhabe des menschlichen Geistes an der universalen Vernunft (was eine einfache begriffsschematische Festlegung sowohl auf einen Universalienrealismus im Sinne des Platonismus als auch auf einen Konzeptualismus oder Phänomenalismus verbietet). Soviel Berechtigung und Notwendigkeit die Annahme einer vom Subjekt unabhängigen Objektiven Wirklichkeit auch haben mag und so sehr sie der wissenschaftlichen Einstellung des philosophischen Denkens prima facie auch entgegenkommt, laut Frank ist nicht nur eine erneuVgl. RM, 134 und 183. Ontologie wird auf diese Weise zu einem begriffsschematischen Formalismus. Gegenüber der quineanischen Ontologie äußert sich entsprechend die Kritik, dass die Intention einer solchen Ontologie eher »anti-metaphysisch pragmatistischer« Art sei (Schaffer 2009, 348 f.). Nach Lowe gipfelt das ganze Unternehmen in einen letztlich relativistischen »Semantizismus« (Lowe 2009, 13–15). Bereits bei dem Versuch einer restlosen Einordnung der verschiedenartigen Entitäten in (onto)logische Begriffsschemata (Platonismus bzw. Realismus, Konzeptualismus, Nominalismus usw.) zeigt sich dementgegen Franks Problembewusstsein, das bereits dazu Anlass gibt, eine solche rationale Ontologie zu überschreiten.
47
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
te Erweiterung, sondern eine grundlegende Vertiefung des Seinsbegriffs erforderlich: »Das Sein im Sinne dessen, was ›wahrhaft ist‹, erschöpft sich nicht in der ›Wirklichkeit‹ im Sinne eines Systems in der Zeit verlaufender Prozesse und im Raume befindlicher Dinge; es erschöpft sich überhaupt nicht in der ›Welt der Objekte‹ verstanden als Inhalte, auf die unser Denken von außen stößt und welche mit der Unabweisbarkeit von ihm unabhängiger Tatsachen vor ihm stehen. Das wahrhafte Sein hat eine noch tiefere Schicht, in der es zu unserem Bewußtsein, zu unserem inneren Sein in einem intimeren Verhältnis steht. In dieser Schicht haben wir es nicht nur als etwas uns Äußerliches, sondern haben es in der Weise, daß wir irgendwie selbst in unserem inneren Wesen zu ihm gehören.« 48
Beide von Frank bisher für das »intimere Verhältnis« angeführten Argumente sind in der Philosophiegeschichte wie auch gegenwärtig nicht unumstritten. 49 Die Existenz sowohl psychischer Phänomene als auch abstrakter Entitäten hat bis heute ihre Kritiker. Aber selbst wenn man von dem eigentümlichen Neuplatonismus in Bezug auf die Realität abstrakter Entitäten und der Annahme einer gewissen überräumlichen Grenzenlosigkeit der seelischen Phänomene in der inneren Erfahrung einstweilen absieht, gibt es nach Frank einen weiteren, unumstößlichen Grund, in der ausschließlichen Annahme der Objektiven Wirklichkeit eine zu überwindende Beschränkung und nicht das ›wahre Sein‹ zu erkennen. Zumindest »der auf sie [die Objekte] gerichtete VerstandesRM, 139. Eine erstaunliche Nähe zu Franks Denken hat der Objektive Idealismus Vittorio Hösles (welcher ebenfalls nicht müde wird, den schweren Stand in der gegenwärtigen philosophischen Landschaft zu betonen). Er argumentiert für eine »objektive Vernunft« als »Grund allen Seins« und weitgehend auf der dargestellten Linie Franks: »Diese objektive Vernunft kann nicht sinnlich wahrgenommen werden; auch ist sie nicht Gegenstand der Introspektion oder der Interpretation. Sie ist Gegenstand des Denkens. Sie ist anders als die Natur nicht räumlich, anders als subjektive Bewußtseinsakte nicht zeitlich; sie ist in diesem Sinne von allem Realen strenger unterschieden, als es etwa physische Objekte voneinander oder selbst etwas Physisches von etwas Psychischem ist. Aber eben weil sie nicht räumlich oder zeitlich ist, wäre nichts irreführender als die Auffassung, sie sei in einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit: Sie ist weder im Raum noch in der Zeit. Sie ist der Inbegriff aller apriorischen Wahrheiten, die das Sein der Welt bestimmen und von dem endlichen Denken im Rückgang auf sich selbst erfaßt werden. Insofern ist sie allem Seienden immanent.« (Hösle 1997, 208); Frank würde freilich die Missverständlichkeit kritisieren, dass die objektive Vernunft »Gegenstand des Denkens« sein soll.
48 49
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Die Realität des Subjekts – Das »unmittelbare Selbstsein« und das »lebendige
blick« 50 bleibt der Begrifflichen Erkenntnis in seiner Eigenart doch grundsätzlich entzogen. Im Versuch, ihn zu objektivieren, ist er bereits immer in Gebrauch, sodass er nie sein eigener Gegenstand zu werden vermag. Ganz wie nach Wittgensteins Tractatus das eigene Auge nicht in das Gesichtsfeld des Betrachters treten kann, 51 lässt sich präzisiert übertragen, dass das eigene geistige Sehen sich selbst niemals direkt als seinen Gegenstand sehen kann. Auch in dem nachträglichen Reden darüber, dass es den Verstandesblick gibt, in welchem er gegenständlich als Inhalt thematisiert und somit doch unvermeidlich zu einem Objekt gemacht wird, bleibt er in seiner akthaften Eigenart als Vollzug entzogen. Gerade dies Letztere ist aber sein Wesen. Jenes akthafte, nur unthematisch im Vollzug anwesende Sein gilt Frank deshalb als »eine Realität besonderer Art […] die sich prinzipiell von der objektiven Wirklichkeit unterscheidet«. 52 Während jedes Seiende – sei es ein konkret-sinnliches, physisches Ding, ein seelisches Phänomen oder ein allgemeiner Inhalt – dem Erkennen immer als Objekt »gegenübersteht«, kann diese »Realität« prinzipiell nicht als Objekt begriffen werden. Im Gegenteil: »Es ist dies eine Realität, die sich durch sich selbst erschließt, die sich nicht dadurch erschließt, daß ein anderer auf sie blickt, sondern kraft dessen, daß ihr Sein selbst ein unmittelbares Sein-für-sich, Selbstdurchsichtigkeit ist.« 53
Entsprechend der bereits von Descartes mit dem »cogito ergo sum« 54 und vor ihm von Augustinus mit dem »si enim fallor sum« 55 artikulierten Selbstgewissheit der unmittelbaren Vollzugseinsicht des denkenden bzw. zweifelnden Ich erschließt Frank somit ein ›Sein‹, das nicht unabhängig vom Subjekt erkannt werden kann. Obwohl es seinem eigentlichen Wesen nach nicht als Objekt der Begrifflichen Erkenntnis – und somit auch nicht als eine ›Entität‹ im Sinne eines Teils der Objektiven Wirklichkeit – erfahren oder gedacht werden kann, ist RM, 141. Vgl. Tractatus, 138, Nrn. 5.633 und 5.6331. 52 RM, 143. Vgl. zum Begriff »Vollzugswissen« in Bezug auf Franks Seinsbegriff der Realität Ehlen 2006, 293: »Was Frank unter Realität versteht, wäre verfehlt, wollte man sie – sei es auch noch so sublim – zu einem bestimmten und so abgegrenzten, uns gegenüberstehenden Objekt machen. Unser Wissen von ihr ist ein Vollzugswissen, das Frank ›lebendiges Wissen‹ nennt«. 53 RM, 143. 54 Discours, IV, 3: »je pense, donc je suis«. 55 Augustinus, De civitate Dei, XI, cap. 26 (PL 41, 340). 50 51
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
es dennoch nicht »illusorisch« und bloß »scheinhaft«. Ganz im Gegenteil bezeichnet Frank es als »eine sich unmittelbar offenbarende und deshalb unleugbare und unbezweifelbare Realität«. 56 Aber handelt es sich vielleicht nur um den rein formalen Gegensatz zum Erkenntnisobjekt? Ist diese vermeintlich unbezweifelbare ›Realität‹ nicht lediglich das inhaltsleere »Erkenntnissubjekt« als »Träger oder Ausgangspunkt des Erkennens«, 57 das sich gegenüber den erkannten Objekten ebenso gut aus der Dritte-Person-Perspektive (gleichsam aus einem »Blick von nirgendwo« 58) beschreiben lässt? Wäre es so, von der individuellen Subjektivität abstrahiert, nicht viel wissenschaftlicher erfasst? Mit anderen Worten: Besteht das einzig echte ›Sein‹ nicht doch nur in den objektiven Entitäten (und ebenso das Erkenntnissubjekt, soweit es sich auf eine objektive Entität reduzieren lässt)? Frank macht geltend, dass der formale Aspekt des Erkenntnissubjekts zwar durchaus auch zu dieser Realität gehört, diese aber keinesfalls auf ihn oder ihre objektivierbare Seite reduzierbar ist. Auch der Versuch, die Realität des Subjekts stattdessen als reflexives IchBewusstsein der Erkenntnisintention zu fassen, verbleibt in der Vorstellung eines »reinen Denkens«, das »mit der lebendigen menschlichen Persönlichkeit, mit dem individuellen inneren Leben nichts gemeinsam« hat. 59 Denn als intentionales Bewusstsein wäre es letztlich doch wieder aus einer »›gegenständlichen‹ Einstellung« begriffen, wenn auch in dem neuen Wortgewand als ›Ausrichtung‹ von einem Subjekt auf ein Objekt bezeichnet. Nichtsdestotrotz wäre es ein Bewusstsein »von etwas«, das jeden Bewusstseinsinhalt (sei er innerlich oder äußerlich erfahren) in Entitäten der Objektiven Wirklichkeit verwandelt.
DU, 190. DU, 190 f. 58 Vgl. die gegenwärtigen Überlegungen Nagels zur Problematik der Erste- und Dritte-Person-Perspektive in Nagel 1992; er argumentiert u. a. dafür, dass die »Bestimmung des objektiven Selbst« »nur im Zusammenhang einer spezifisch rationalistischen Erkenntnistheorie verstanden werden kann«, d. h. seines Erachtens, dass die »Weltbeschreibung«, nicht mehr an den Standpunkt einer subjektiven Perspektive gebunden, »in einem gewissen Sinne zu einem Blick von nirgends her wird« (ebd., 123). Ob in einer solchen rationalistischen Verallgemeinerung der Einstellung Begrifflicher Erkenntnis das Wesentliche Sein des Subjekts noch erfasst werden kann, ist die Frage. 59 DU, 192. 56 57
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Die Realität des Subjekts – Das »unmittelbare Selbstsein« und das »lebendige
Demgegenüber zeugt für Frank schon die psychische Realität des »Unter-« bzw. »Unbewussten« davon, dass es im Subjekt ein ›Sein‹ gibt, das sich nicht auf Bewusstseinsinhalte oder rein formale Aspekte zurückführen lässt. 60 Das Sein des Subjekts umfasst darüber hinaus nicht nur zeitweilig unbewusste Inhalte, sondern ist grundsätzlich mehr und anders als jeglicher Komplex von Bewusstseinsinhalten. Im Unterschied auch zu jeder Form eines reflexiven Bewusstseins, das seinen Bewusstseinsinhalt (und ferner auch sich selbst, sofern es zum Gegenstand seiner reflexiven Erkenntnis wird) als Erkenntnisgegenstand und somit als Teil der Objektiven Wirklichkeit begreifen muss, geht dieses Selbstsein jeder Art von Bewusstseins-»Entzweiung« voraus, weil es nicht auf die Vermittlung der gegenständlichen Erkenntnisintention – auch nicht in einem reflexiven Akt – angewiesen ist. Hingegen ist es die jeden gegenständlichen Bewusstseinsakt bedingende Voraussetzung einer »untrennbaren, unmittelbaren Einheit«, in der »›Sein‹ und ›Haben‹ – mithin das ›Objekt des Habens‹ und das ›Habende‹ selbst – zusammenfallen«. 61 Weil es sich als das, was es wesentlich ist, gerade nicht durch irgendeine Vermittlung von Inhalten erschließt, sondern demgegenüber einzig im unmittelbaren (Selbst-)Erleben zugänglich ist, nennt Frank es »unmittelbares Selbstsein«. 62 Nach Frank eignen sich von der Erkenntnisrelation her abgeleitete Begriffe (beispielsweise ›Bewusstsein‹ – ›Inhalt‹, ›Denken‹ – ›Gedachtes‹, ›Subjekt‹ – ›Objekt‹, ›Erfahrung‹ – ›Erfahrenes‹ oder dgl.) nicht zur Bezeichnung dieser primären Realität, da sie in der einseitigen Verabsolutierung eines Relatums doch immer korrelative Teilaspekte bleiben, deren Korrelat auf artifizielle Weise entweder gänzlich vereinnahmt, aufgelöst oder ausgeblendet werden muss. 63 Ganz im Sinne eines (sonst eher vulgär zur Abwertung der Philosophie gebrauchten) »Primum vivere, deinde philosophari« 64 favorisiert Vgl. DU, 193. DU, 194. 62 Jenen Überlegungen aus »Die Realität und der Mensch« zur »Realität des Subjekts« (RM, 148–154) entsprechen die Ausführungen über »Das Unergründliche als unmittelbares Selbstsein« in »Das Unergründliche« (DU, 185–219). Der Terminus des Unmittelbaren Selbstseins kann als Synonym der unmittelbaren Anwesenheit der Realität des Subjekts bzw. der nur durch das Sein des Subjekts vermittelten Anwesenheit der Realität gebraucht werden. Auch er wird im Folgenden außerhalb direkter Zitate großgeschrieben. 63 LW, 164 f. 64 RM, 140. 60 61
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
Frank als Bezeichnung »das Wort ›Leben‹ […] in seinem ursprünglichsten Sinne eines Seins als unmittelbarer Selbsterfahrung, als Einheit des ›Erlebens‹ und dessen, ›was erlebt wird‹.« 65 In ihm kommt vor allem die »›Fülle‹, ›ursprüngliche innere Einheit‹, ›Konkretheit‹, ›Dichte‹, ›Lebendigkeit‹ u. dgl.« zum Ausdruck, die jeder noch so umfassend gedachten Menge von abstrakten »Begriffsinhalten als solchen fehlt.« 66 Gerade sie machen seines Erachtens das wahre Sein aus. Genügt einem dies als Bestimmung des Selbstseins noch nicht, weil man nach wie vor bei der Frage verharrt, was jene als ›Leben‹ bezeichnete Realität des Unmittelbaren Selbstseins sei, muss man sich zuerst einmal die Intention der Frage bewusst machen. Fragt sie mit dem ›Was‹ nach begrifflich bestimmten Erkenntnisinhalten, so ist die Frage abzuweisen – allerdings nicht ohne Angabe des entscheidenden Grundes, weshalb die Antwort niemals in »qualitativ bestimmten oder bestimmbaren Inhalten« 67 bestehen kann: Solche bezeichnen nämlich nach Frank prinzipiell nur etwas, das »in« oder »an« oder mit dem Selbstsein »in Zusammenhang« vorkommt, jedoch nicht, was es selbst ist. 68 Das eigentliche Wesen des Selbstseins besteht im Gegensatz dazu überhaupt nicht in irgendeinem ›Was‹ verstanden als objektiver Inhalt, sondern darin, »eine Art, Weise oder Form des Seins, mithin eine Form des Seins der Realität als solcher« 69 zu sein. Jedem bestimmten Inhalt voraus, ist es deshalb wesentlich »transdefinit« 70, wie noch ausführlich dargestellt werden wird (siehe bes. Abschnitte III, 1 und IV, 2b). Erst über diese Realität wird laut Frank die letzte wahre Wirklichkeit erreicht, nach der die ontologische Frage strebt. Sie wird zwar vermittelt durch das Subjekt im eigenen Unmittelbaren Selbstsein erlebt, ist aber »nicht weniger real« als die Objektive Wirklichkeit, »sondern eher realer als letztere«. 71 Mit ihr wird die eigentlich »primäre Realität« entdeckt, weil sie sich »hinsichtlich des kategorialen Seinsmodus von jeglicher objektiven Wirklichkeit« 72 folgender65 66 67 68 69 70 71 72
DU, 195 [Übersetzung korrigiert, D. St.]. Vgl. auch LW, 276 f. DU, 72. DU, 195. Ebd. Ebd. DU, 92–97. RM, 153. Ebd.
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Die Realität des Subjekts – Das »unmittelbare Selbstsein« und das »lebendige
maßen unterscheidet: Während jedes Seiende der Objektiven Wirklichkeit nur durch die Vermittlung der Begrifflichen Erkenntnis zugänglich wird und sich daraus Irrtums- und Täuschungsmöglichkeiten ergeben, kann diese Realität grundsätzlich nicht bezweifelt werden, ohne sich selbst performativ zu bestätigen (mit Augustinus gesprochen: »si enim fallor sum«). Denn als Realität des Subjekts ist sie nicht »sub modo cognoscendi, sondern sub modo essendi«, in der Weise des eigenen Seins – als unmittelbare Einheit von Wissen und Leben – als »lebendiges Wissen« 73 unmittelbar erlebt. Oftmals werde diese Realität in ihrer Eigenart zwar gar nicht bemerkt, weil man gemeinhin wie »hypnotisiert« 74 nur auf die Objektive Wirklichkeit LW, 186; vgl. auch GdW, 229 sowie 457 f. Ehlen weist auf die »Nähe« des Lebendigen Wissens »zur Spätphilosophie Fichtes« hin (Ehlen 2000, 27 f. Fn. 40; siehe dazu Franks eigenen Hinweis in GdW, 447 Fn. 11; siehe auch Abschnitt III, 2); vgl. im Übrigen die ausführliche Begriffsgeschichte (Ehlen 2009, 139–145). Aktuell wird im Kontext der als »Monismus-Debatte« (Lerch 2009, 12) bezeichneten Auseinandersetzung um die Möglichkeit einer subjekttheoretisch fundierten All-Einheitslehre zwischen Dieter Henrich bzw. Klaus Müller und Thomas Pröpper bzw. Magnus Striet die Problematik als zweifache »Henrich-Schwierigkeit« der Reflexionstheorie sehr ähnlich diskutiert (ebd., 25 Fn. 75). Die »zweistellige Relation« des »Wissens von etwas« wird als Schwierigkeit eines grundlegenden Selbstbewusstseins erfasst, welche darin besteht, dass die reflexive »Selbsterkenntnis« »im Ich eine Subjekt-Objekt-Spaltung« in »Ich-Subjekt« und »Ich-Objekt« hervorruft (ebd., 28–30). »Selbstbewusstsein« wird dergestalt zum »Ergebnis einer aktiv synthetisierenden Reflexionsleistung des Ich« (ebd., 31), wodurch der subjekttheoretische Ansatz in einen misslichen doppelten Begründungszirkel gerät: Das Ich müsste sich im Akt der reflexiven Selbsterkenntnis einerseits bereits voraussetzen, um sich selbst zu konstituieren; und andererseits müsste es sich als Subjekt der Reflexion mit dem hervorgebrachten Objekt seiner selbst identifizieren, was wiederum ein vorhergehendes Wissen um sich voraussetzt. Es muss vielmehr ein dem Reflexionsakt als dessen Möglichkeitsbedingung vorausgehendes ursprüngliches und unmittelbares »Wissen um sich als Aktivität« – ferner als »Wirklichkeitsgewissheit« in sich schließende »gewusste Einheit von ›Aktivität‹ und ›Wissen‹« – angenommen werden (ebd., 36 f.). Die offensichtliche Nähe zu Franks Lebendigem Wissen bestätigt sich neben der Anlehnung beider Ansätze an Überlegungen Fichtes darin, dass das Ich-Bewusstsein nach Henrich ebenfalls auf einen tieferen Grund hin überschritten werden muss. Während Henrich den Überschritt mit einem »Ich-losen Bewusstsein« im Sinne eines »primären Grundes von Bewusstsein überhaupt« (Lerch 2009, 49 f.) ausdrücklich nicht als »Selbstsein« (ebd., 47) bezeichnet, wählt Frank den anderen Weg. Beide gelangen jedoch zum gleichen Ergebnis, dass nur ein all-eines »absolutes Sein« als letzter Grund in Frage kommt, wie bei Frank noch zu sehen ist (Abschnitt III, 3; in Bezug auf Henrich vgl. Lerch 2009, 80– 82). Franks personale Ontologie übersteigt jedoch auch diesen Ansatz noch um einen entscheidenden Schritt (siehe Abschnitte IV, 3 und 4 sowie V, 2 und 3; in Auseinandersetzung mit Müllers Personenbegriff siehe Anm. 63). 74 RM, 151, LW, 312, vgl. auch DU, 186 f., und MuiG, 59. 73
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Ontologie als die Frage ›Was ist?‹
fixiert sei. Dennoch könne man sich vor der eigenen Realität nicht verschließen oder zurückziehen, wie es bei der Objektiven Wirklichkeit bis zu einem bestimmten Grade möglich sei. Ihre Anwesenheit ist in keiner Weise hintergehbar und liegt jeder Objekterfahrung bedingend voraus, weil sich der objektive Gehalt nur für ein Subjekt durch den vollzogenen Bestimmungsprozess der Begrifflichen Erkenntnis ergibt. 75 Inwiefern kann aber wirklich davon die Rede sein, dass in der Entwicklung des Seinsbegriffs mit der unmittelbaren Vollzugseinsicht des Unmittelbaren Selbstseins bzw. dem Lebendigen Wissen der ›Realität des Subjekts‹ tatsächlich die letzte wahre Wirklichkeit erreicht ist? Wenn auch eine gewisse Unbezweifelbarkeit des eigenen Seins zugestanden werden muss, so ist doch fraglich, ob damit tatsächlich das Sein als solches gemeint sein kann. Ist es nicht vielmehr lediglich mein eigenes kontingentes Dasein, das sich als für mich unhintergehbar erweist, sofern es – im Sinne der Tätigkeit oder des Vollzugs – existiert? 76 Handelt es sich nicht lediglich um die subjektive Erfahrungsperspektive einer Entität der Objektiven Wirklichkeit, von der in wissenschaftlicher Hinsicht doch gerade zu abstrahieren ist? Die philosophische Sachgemäßheit der Überlegungen Franks entscheidet sich an solchen Fragen. Wenn die Realität des Subjekts ein unbedeutender und deshalb zu vernachlässigender Teil der Objektiven Wirklichkeit wäre, dann wäre der univoke Seinsbegriff der Objektiven Wirklichkeit vollkommen hinreichend für philosophischwissenschaftliche Fragen. Es ist also zu eruieren, welche Argumente Frank dagegen geltend machen kann. Diese lassen sich allerdings nur im Rahmen einer nun angezeigten Reformulierung der ontologischen Frage klären.
Vgl. RM, 153. Siehe zum Bestimmungsprozess Abschnitt III, 3a. Die der »Unhintergehbarkeit« (Kuhlmann 2009) nahestehende Intention der Transzendentalpragmatik wird eigens im Abschnitt III, 5b angesprochen.
75 76
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III. (Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Nachdem im ersten Schritt die ontologische Frage als Bestandsaufnahme der Seienden im Sinne der Frage »Was ist?« interpretiert wurde, führte die Untersuchung der Entitäten selbst – am meisten und unmittelbar jedoch der Blick auf das Sein des Subjekts als Unmittelbares Selbstsein – dahin, die ontologische Frage neu zu stellen. Sie fragt nicht mehr nach Entitäten, sondern danach, was sie zu Entitäten macht. Im eigenen Sein des Subjekts lässt sich mit Frank am deutlichsten dieses Sein in seiner Eigenart als Vollzug einsehen. Von daher ergibt sich die neue Formulierung als Frage danach, was es eigentlich heißt ›zu sein‹ ? Weil es Frank gerade nicht um einen abstrakten Seinsbegriff (einer Menge von Entitäten, die vom Denkvollzug als bloße Verstandesobjekte unterschieden sind) geht, präzisiert er die Bestimmung seines Ontologiebegriffs angelehnt an Heidegger (aber ohne explizite Nennung) mit dem Terminus »Fundamentalontologie«. 1 Demgemäß geht es um die Frage nach dem Sein als solchen, das als Prinzip der Seienden diesen als ihre Seinsweise zugrunde liegt. Damit handelt es sich zugleich um die Frage nach dem Sein im Ganzen. Sie eröffnet sich Beide Denker machen die Seinsfrage zum Zentrum ihrer Philosophie und verstehen sie als »transzendentale Frage«. Im Gegensatz zu Heidegger betont Frank von Anfang an den im Selbstsein des Menschen liegenden und von ihm nicht trennbaren Bezug zum absoluten (ferner göttlichen) Sein. Zur »Fundamentalontologie bei Frank und Heidegger« vgl. bes. Ehlen 2004, 56–63, sowie Ehlen 2009, 135–138. Zur HeideggerRezeption bei Frank siehe auch Plotnikov 1994. Boobbyer 1995, 183 zitiert dazu aufschlussreich aus einem 1942 von Frank an Ludwig Binswanger geschriebenen Brief: »Heidegger is spiritually a dead end. … His ›ground‹ is not a true ground which one can stand on. It is like a rock onto the edge of which you can cling while in full view of the abyss. I always ask: Why the fear – and not the trust? Why should anxiety be an ontollogically grounded state, and trust just accursed theology? … A true foundation is only that which is more than my own existence; a true foundation can only be ›home‹, floor, we-being.« In einem weiteren Brief 1950, kurz vor seinem Tod, findet sich allerdings auch viel wertschätzendes bezogen auf Heideggers »Holzwege« (vgl. Boobbyer 1995, 219 f.).
1
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
nur vom Seienden her – jedoch auf andere Weise als es die Ontologie einer rationalen Metaphysik vermeint. Denn, was es heißt ›zu sein‹, kann nicht lediglich im Blick auf das Seiende von außen, in einer rein gegenständlichen Betrachtung der Seinsobjekte geklärt werden. Mit anderen Worten kann die Seinsweise nicht unabhängig vom Seienden in seinem Seinsvollzug erfasst werden, sondern zeigt sich nur in der unmittelbar erlebten Teilhabe am Sein selbst – nach Frank im Lebendigen Wissen des Unmittelbaren Selbstseins. Rückwendend lässt es sich auf die Bedingungen der Möglichkeit hin befragen. Dieserart eröffnet sich der methodische Zugang der Transzendentalphilosophie. Er muss sich aber von der Sache selbst her, insbesondere hinsichtlich des Übergangs von der Seinsweise des Seienden zum Sein als solchen und im Ganzen begründen. Mit anderen Worten ergibt sich die Frage, inwiefern es berechtigt ist, im Sein des Subjekts das Sein selbst als solches und im Ganzen zu sehen?
1.
Lebendiges Sein – Das Sein als Realität des Transzendierens
Die Vollzugseinsicht des Unmittelbaren Selbstseins hat nach Frank wie gezeigt den Charakter der Selbstgewissheit an sich, weil es jeder begrifflich objektivierenden Erkenntnis im Lebendigen Wissen bedingend vorausliegt. Deshalb ist die Realität des Subjekts gegenüber der Objektiven Wirklichkeit laut Frank als erkenntnistheoretisch primär anzusehen. Wäre die Realität allerdings auf das Subjekt in seiner Gegenüberstellung zur Objektiven Wirklichkeit beschränkt, bliebe ihre Bedeutung fraglich. Das Subjekt mit seinem Unmittelbaren Selbstsein wäre nichts anderes als eben ein bestimmter Gegenstand der Objektiven Wirklichkeit, der zudem noch über ein untrügliches Erleben seiner selbst als Realität in sich verfügte. Es wäre nur zu leicht, die Bedeutung dieses Realitätserlebens als eine poetisch-unwissenschaftliche Selbsterfahrungsäußerung abzutun. Allerdings besteht der Unterschied zur Objektwelt nach Frank nicht nur darin, dass die Qualität der Vollzugseinsicht den subjektiven Erkenntnischarakter der Selbstgewissheit trägt. Vielmehr wird im Unmittelbaren Selbstsein eine Realität erlebt, die sich nicht auf das Subjekt als bestimmte Entität beschränkt. Mit der Vollzugseinsicht in die eigene Realität des Subjekts ist zugleich die Einsicht verbunden, dass diese Realität mehr ist als nur die Realität dieses Sub40 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Lebendiges Sein – Das Sein als Realität des Transzendierens
jekts oder einer irgendwie begrenzten Menge von Objekten. Sofern sie nur meine Realität ist, zeigt sich unmittelbar die Bezogenheit auf Anderes. Nur durch diese Bezogenheit auf ein mir gegenüber anderes Sein, bin ich ferner überhaupt in der Lage, das sich mir als ›meine Realität‹ offenbarende Sein als ›eigenes‹ zu begreifen. 2 Die Vollzugseinsicht des Unmittelbaren Selbstseins ist folglich nach Frank mit der Einsicht verbunden, »daß ich mein eigenes Sein nicht anders denn als Teil oder Glied des Seins überhaupt, das über dessen Grenzen hinausgeht, haben kann.« 3 Frank verdeutlicht es am Unterschied der Begriffe »Haben« und »Sein«: 4 Die gesamte »äußere Welt«, d. h. all jenes, was mich umgibt, zu mir gehört oder in Verbindung mit mir steht (auch all jenes, auf das ich zum Überleben angewiesen bin, sowie die zu mir in Beziehung stehenden Personen) ist etwas, das ich habe, aber nicht selber bin. Mehr noch: Auch die »innere Welt« tritt mir in ihren Phänomenen gegenüber als etwas, das ich habe (Gefühle, Stimmungen, Charaktereigenschaften etc.). Mein Sein, dasjenige, was ich bin, ist davon zu unterscheiden, wie die Realität des Subjekts bzw. das Unmittelbare Selbstsein von der Objektiven Wirklichkeit unterschieden wurde. Dennoch sind nach Frank offensichtlich unterschiedliche Grade der Nähe zu mir vorhanden. Der Baum vor meinem Fenster steht mir beispielsweise ferner als das Stück Brot, das ich esse, oder die Empfindung des Geschmacks dabei. Weiterhin gibt es in der Beziehung zu Personen neben dem Unterschied zwischen flüchtigen Begegnungen und innigen Freundschaften auch mich unauflöslich bestimmende Beziehungen wie die Kind- und Elternschaft. Schließlich bin ich zutiefst durch meine Sprache und Kultur geprägt, sodass ich sie in gewisser Weise nie nur habe. Die Familienbeziehungen, Kultur und Sprache gehören derart zu mir, dass ich mich in meinem Sein folglich nicht unabhängig davon begreifen kann, ohne mich in ein abstrakt leeres Wesen zu verwandeln, das gerade nicht mehr mein Sein wäre. Frank folgert daraus für die Begriffe des Habens und Seins: »Im engen Sinne bin ich ›ich selbst‹ nur im Unterschied zu dem, was ich habe und was außerhalb meiner Grenzen liegt. Aber in einem weiteren Sinn bin ich mittelbar auch das, was ich habe; ich gehöre mit zu jener Sphäre des Seins, die ich habe, weil diese Sphäre hin2 3 4
Vgl. RM, 159. RM, 157. Vgl. RM, 160 f.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
sichtlich des Charakters ihres Seins meinem eigenen Sein gleichartig ist.« 5
Der Begriff der Grenze ist an dieser Stelle zentral. Das endliche Subjekt wird sich nach Frank im Lebendigen Wissen des Unmittelbaren Selbstseins auch seiner Endlichkeit und Begrenztheit bewusst. Denn mein Selbstsein ist gerade nicht alles, was ist, sondern nur meines. Das bedeutet aber keinesfalls Isolation des Subjekts. Im Gegenteil – der Begriff der Grenze führt von sich her über sich hinaus. Jede Grenze ist nach Frank Ausdruck einer realen Beziehungseinheit, weil sie nur als Verbindung zwischen Zweien gedacht werden kann. Eine Grenze, die radikal von nichts außerhalb ihrer abgrenzte oder andersherum irgendetwas völlig isolierte, wäre schlechthin undenkbar. Hingegen ist die »Grenze […] ein relativer Begriff«, der immer einen »Übergang zu etwas« bedeutet. 6 Das Selbstsein ist somit als Begrenztes gleichsam eingebettet in die umgebenden Strukturen des Seins. Genauer ist es sogar durchdrungen von ihnen, sofern es aus begrenzten Inhalten (Sprache, Kultur, aber auch psychischen und physischen Inhalten etc.) besteht. Nur auf dem Hintergrund des Anderen, von dem es sich abgrenzt, kann es laut Frank überhaupt in der jeweilig bestimmten Weise selbst sein. Denn es begreift sich nicht nur epistemologisch im Kontrast zu Anderem, sondern konstituiert sich ontologisch im Hervorgang aus dem Anderen und besteht fortwährend in der Verbindung mit ihm, wie später noch ausführlich zu zeigen ist. 7 Dieserart wird verständlich, RM, 160. GdW, 196. Vgl. auch DU, 55. Ähnlich wie Frank (aber auf dem Hintergrund einer heideggerianischen Denkungsart) deutet A. K. Wucherer-Huldenfeld gegenwärtig das Wesen der Grenze als »relative Grenze« (Wucherer-Huldenfeld 1997, 130) und sieht in ihr den »Grundzug« bzw. das »wesenhaft[e] Charakteristikum« der »End-lichkeit« (ebd., 118). Er bedenkt dies im Rahmen einer »Philosophischen Theologie«, welche er als »Anliegen, das dem personal vollzogenen Wesen des Menschen entspringt, und zwar als die erste, und anfängliche, die erhabenste und wichtigste Lebensfrage und Aufgabe der Philosophie« (ebd., XII) bezeichnet. Über den heideggerianischen Ansatz führen ihn die dialektischen Überlegungen zum Grenzbegriff vor allem in die metaphysikkritische Ontotheologie-Problematik (ebd. 136 und 219 ff.), worauf später (Abschnitt V, 1b) ausführlicher einzugehen ist. Schon hier ist allerdings sein Bezug zu Frank dadurch anzuzeigen, dass Wucherer-Huldenfeld die positive Intention der heideggerschen Kritik unter Verweis auf Frank in der »Unergründlichkeit« als Zielpunkt angibt (Wucherer-Huldenfeld 2011, 373; wobei er für seinen Kontext bei Frank treffender DU, 342 sowie 349 i. V. m. 359–361, zitieren könnte). 7 Siehe ausführlich dazu Abschnitte III, 3a und b. 5 6
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Lebendiges Sein – Das Sein als Realität des Transzendierens
warum mit dem Relationsbegriff der Grenze zugleich eine Partizipationsbeziehung etabliert ist: In Anlehnung an Descartes’ Überlegungen zur ontologischen Priorität des Unendlichen vor dem Endlichen 8 verbindet Frank den Begriff der Grenze mit ihrer Überschreitung und bezieht so das Unmittelbare Selbstsein des endlichen Subjekts auf das Sein als solches. Obwohl sprachlich scheinbar nur durch die Negation vom Endlichen abgeleitet, ist ihm zufolge doch ontologisch das unendliche Sein primär, weil es gegenüber dem endlichen mehr Fülle enthält. Das Endliche hingegen hat sein eigenes Sein nur in beschränkter Fülle, sofern es Teil des Unendlichen ist. Wenn das Subjekt sich im Lebendigen Wissen also selbst erlebt – als das, was es ist –, erlebt es sich in seiner endlichen Teilhabe am absoluten Sein als solchen. Ohne die »Teilhabe am Sein jenseits der Grenzen meiner selbst« 9 wäre das Selbstsein unmöglich. In dieser Teilhabe äußert sich für Frank schließlich »[d]er grundlegende Wesenszug ›meines inneren Seins‹« in dem »ihm immanent zugehörige[n] Moment des Transzendierens.« 10 Die Frage, was es heißt ›zu sein‹, findet im Transzendieren des Unmittelbaren Selbstseins ihre Antwort: ›Zu sein‹ heißt »Heraustreten über die Grenzen seiner selbst als etwas Beschränktem.« 11 Das ist in diesem Zusammenhang in doppeltem Sinne zu verstehen: einerseits im Sinne des Bezugs auf andere gleichermaßen endlich Seiende; andererseits in Bezug zu jenem, das sich prinzipiell von jeder Endlichkeit unterscheidet, d. i. das unbegrenzt Absolute. Die teilhabend-transzendierende Bezogenheit in ihrer Doppelstruktur lässt sich durch die Bedürftigkeit des endlichen Seins am leichtesten erklären. Die Angewiesenheit auf anderes (Eltern, Nahrung usw.) bestätigt die Endlichkeit meines Seins. Gegenüber den Bedürfnisobjekten bin ich jedoch nicht schlechthin passiv. Jeder Bedürfnisäußerung, jedem Hinbewegen zur Bedürfnisbefriedigung ist schon ein gewisses Hinausgehen über meine Grenzen eigen. Mein endliches Sein ist also nicht bloß irgendein statisches Objekt mit Defizienzeigenschaften. Ihm kommt nach Frank auch nicht erst sekundär die Eigenschaft des Transzendierens hinzu. Es ist vielmehr wesentlich ein
Vgl. u. a. RM, 157 f., und LW, 301, in Bezug auf Med., III, 24: »plus realitatis esse in substantia infinita quam in finita«. 9 RM, 161. 10 Ebd. Vgl. dazu auch Ehlen 2006, 293 f. 11 RM, 157. 8
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
zutiefst dynamisches Sein. Es besteht darin, sich aktiv im Werden auf Anderes zu beziehen. Frank favorisiert mit einer differenzierten Anlehnung an H. Bergson 12 den Begriff des »Lebens«, um das Unmittelbare Selbstsein in dieser Dynamik zum Ausdruck zu bringen. Es ist »als Erleben ständiges Transzendieren über das Einzelleben, oder – was dasselbe ist, – ein Hineinwachsen in dasjenige und immanentes In-sich-haben auch dessen, was außerhalb der Grenzen des Einzelwesens, als solchen, liegt.« 13 Der letztlich ermöglichende Grund für das Transzendieren ist dann nicht allein der teilhabende Bezug zu anderen endlichen Seienden. Vielmehr erweist sich das lebendige Sein des Subjekts als endlicher Teil des Seins als solchen. Dieses wird im Unmittelbaren Selbstsein als je eigenes Leben in individueller Teilhabe erlebt. »Die ursprüngliche, von innen her gegebene Realität fällt durchaus nicht mit ›meinem Sein‹, mit meinem inneren Leben zusammen; das innere Leben ist mein Leben vor dem Hintergrund des Seins überhaupt, des allumfassenden Seins.« 14
Unter der Rücksicht, dass das Unmittelbare Selbstsein nur endlicher Teil des absoluten Seins ist, wird es in seiner Teilhabe von Frank als »das Grenzenlose in der konkreten Form des Begrenzten« 15 beschrieben. Die grenzenlose Fülle sei jedoch nicht derart ›begrenzt‹ in den Teilen, dass sie dort gleichsam portioniert in beständig-statischen Formen, isoliert von allem anderen bestünde. Vielmehr ist jedem »konkret Seienden« nach Frank offensichtlich die »Gestalt des Werdens« zu eigen, in der sich das »Moment des ›über seine Ränder Fließens‹, des ›über seine Grenzen Hinausgehens‹«, 16 kurz: des Transzendierens, zeigt. Es ist derart nie fertig abgeschlossen, sondern »vollzieht sich« in der Zeit und bildet auf diese Weise genau dasjenige Moment, das »der All-Einheit – dem Sein als Ganzem – zukommt und das Wesen von dessen Unergründlichkeit ausmacht«, 17 auf eine konkrete Vgl. dazu schon GdW, 391 Fn. 22. Vgl. auch Ehlen 2009, 77 f. und 144 f. LW, 219; vgl. DU, 97–100 sowie 274. Vgl. auch RM, 218, wo der »Begriff des Lebens« noch einmal ausdrücklich unter dem Aspekt der schöpferischen Dynamik als »transzendierendes Prinzip« Darstellung findet. 14 RM, 159. 15 DU, 204. 16 DU, 100. 17 Ebd. 12 13
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Lebendiges Sein – Das Sein als Realität des Transzendierens
Weise ab. Damit geht das eigene Wesen des grenzenlosen Seins als solchen – d. h. als »Transdefinites« – in das Seiende ein: »Es ist mehr und anderes als alles, was es gleichsam in fertiger und vollendeter Gestalt schon ist.« 18 Damit eine echte Veränderung im Transzendieren gedacht werden kann, reicht es aber nicht aus, sie als eine teilweise Eigenschaftsveränderung zu denken, die sich lediglich ›an‹ etwas vollzieht und das Seiende (gleich einer ewig statisch bleibenden Substanz) selber gar nicht betrifft. Als wesentliches Transzendieren muss nach Frank das »Moment des Werdens« dem Seienden als eine echte »Potentialität«, ein reales »Sein-können« zukommen, welches nicht allein als »rein reflexive Kategorie« der »Möglichkeit« zu denken ist, sondern »eine konstitutive Kategorie«, ein »Vermögen« darstellt, das ein gewisses »Schaffen« ermöglicht. 19 Das Seiende ist so an sich keine reine Bestimmtheit im Sinne der Objektiven Wirklichkeit, sondern enthält in sich »Unbestimmtheit«, die geformt werden kann – sowohl durch Anderes, aber auch in einer Form der eigenaktiven Selbstbestimmung. 20 Es ist dabei nie nur eine Variation von bereits gewesenen Zuständen, so als ob man dieselben Bausteine nur in eine jeweils andere Ordnung brächte. Im Gegenteil besteht sein transzendierendes Sein darin (Selbst-)Verwirklichung zu sein, dergestalt dass es in der aktiven Teilhabe am Sein als solchen und im Ganzen ein »vollziehendes Bestimme[n]« 21 darstellt, das wahrhaft Neues hervorbringt. Die allumfassende Realität des absoluten Seins wird somit bei Frank als unendliche Fülle nicht derart vorgestellt, dass sie in vollkommen fertiger Weise »der toten Unbeweglichkeit, Unfruchtbarkeit und Passivität eines Steins oder gar der abgeschlossenen Fixierung und Außerzeitlichkeit einer geometrischen Figur gleicht.« 22 Vielmehr können laut Frank die »Begriffe der Aktualität und Potentialität, von Abgeschlossen-Fertigem und Werdendem […] bezüglich der Realität einander nicht so scharf entgegengesetzt, nicht so gegeneinander abDU, 96 und 110; zur Anwendung auf das Unmittelbare Selbstsein und damit auf das Sein der Seienden DU, 204. Siehe auch Abschnitte III, 3c und d. Diese ontologische Grundeinsicht bleibt für Frank bis ins sog. ›Spätwerk‹ zentral, wie folgende Stelle belegt: »Jede Realität an sich ist immer etwas Größeres und Anderes als alles, was wir über sie wissen und aussagen können.« (MuiG, 88) 19 DU, 101. 20 Vgl. DU 101 f. 21 DU, 109. 22 RM, 220. 18
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
gesondert werden«, 23 weil sie das Absolute sonst nach der Weise eines Begrenzten begreifen. Frank zieht ein cusanisches Verständnis vor, das die beiden Momente im Kreativitätsbegriff als »unteilbare, überlogische Einheit von Kreativität und Vollendung, von Werden und Ewigkeit« 24 in eine »seiende Potentialität« 25 vereint. Dergestalt hat die absolute Realität und mit ihr jede teilhabende endliche Realität, eine ursprüngliche »Kreativität«: »Die Realität schafft nicht nur das andere ihrer selbst; ihre primäre Kreativität besteht darin, daß sie sich selbst schafft, nichts anderes ist, als Kreativität.« 26 Der Kreativität entspricht der »Begriff des Lebens« nach Frank besonders gut, weil dieser im Sinne »eines sich selbst offenbaren Seins und eines dynamischen, schöpferischen, transzendierenden Prinzips, das irgendwie auch das in sich enthält, was in ihm aktual nicht vorhanden ist,« 27 verstanden werden kann. Er verbindet mit dem Begriff also nicht bloß eine rein naturalistische Form des biologischen Lebens. »Lebendigkeit« umschreibt hingegen die gewisse Dynamik der transzendierenden Realität. Sie bringt diese seines Erachtens besser zum Ausdruck als etwa »Werden«, weil dieses abstrakt verstanden nur die (lineare) Überführung von der Potentialität in die Aktualität bedeute und somit der Zeit unterworfen wäre. 28 Als seiende Potentialität ist die absolute Realität gleichsam Vorbild und Ziel jedes einzelnen Seienden, welches stets unvollkommen aktualisierte Potentialität ist und nach Verwirklichung strebt. Dieses Streben ist wiederum nichts anderes als (abgeleitete) »Selbstschöpfung« und nur dadurch möglich, dass es teilhat an der primären Realität, welche den »Erstursprung der schöpferischen Aktivität« und somit den Grund von jeder transzendierenden »Spontaneität« und schließlich »Freiheit« darstellt. 29 Es liegt nahe, für dieses Seinsverständnis, das im Folgenden freilich noch viel ausführlicher darzustellen und zu begründen ist (siehe vor allem Abschnitt III, 3), auch den Geistbegriff heranzuziehen. Ebd. Ebd. 25 RM, 309; die Nähe zum cusanischen »possest« bzw. »posse ipsum« beschreibt ausführlich Ehlen 2009, 313–316. 26 RM, 221. 27 RM, 218. 28 Vgl. RM, 219. Vgl. dazu auch Ehlen 2004, 88–92. 29 Vgl., 224 f. Siehe ferner Abschnitt III, 4 zum ›ontologischen Grund‹ als Ziel der philosophischen Frage. 23 24
46 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Das ontologische Argument
Frank ist sich allerdings der idealistischen Verführungskraft eines solchen Begriffes bewusst. Bezieht man den Geistbegriff nur auf das Subjekt und versteht ihn etwa als mentalen Gehalt einer isolierten Entität, wäre seine eigentliche Absicht verfehlt. Als bloßer Begriff der Gegenübersetzung (hier Geist, da Materie) würde er, über seine Grenzen hinaus erweitert, eine abstrakte Vereinseitigung bedeuten. 30 Wird allerdings die Bedeutung jeder Begrenzung in ihrer selbsttranszendierenden Verbindung eingesehen, kann in der Verdeutlichung der Lebendigkeit des (über das Individuum hinausreichenden) Seins auch der Geistbegriff in seiner Tiefe wiedergewonnen werden: »Geist ist kein fertiges Etwas, keine ›Substanz‹, nicht einmal ein ›Wesen‹, dessen Sein man von seinem aktiven Leben unterscheiden könnte. Das aktiv schöpferische Leben ist nicht seine Eigenschaft, sein Attribut oder Zustand, sondern sein Sein selbst«. 31
Dergestalt versteht Frank das Seiende in aktiv-dynamischer Partizipation am Sein eben als Partizipialform dieses Seins, als ein wahrhaft Transzendierendes. Als endliches Seiendes bleibt es das Sein selbst jedoch nur in seiner potentiellen Fülle, d. h. das »Sein in der Form des Werdens, des Seinkönnens, des Strebens und der Verwirklichung«. 32 Aus dieser Darstellung ergeben sich zunächst zwei Anfragen: Ist der Übergang vom endlichen Sein zu einem absoluten Sein durch das Erlebnis des Transzendierens im endlichen Subjekt gerechtfertigt – und wie kann dieses absolute Sein gedacht werden? Wie ist darüber hinaus das (Teilhabe-)Verhältnis einerseits der Seienden untereinander sowie andererseits zum Sein als solchen zu begreifen? Es sind die Fragen nach der Berechtigung des ontologischen Arguments sowie nach der ontologischen Differenz, die im Folgenden eingehend zu erörtern sind.
2.
Das ontologische Argument
Mit der Realität des Subjekts bzw. dem Unmittelbaren Selbstsein im Lebendigen Wissen argumentiert Frank dafür, dass das Sein als sol-
30 31 32
Vgl. LW, 164 f., sowie RM, 184 Fn. 7. RM, 225. Siehe zum geistigen Leben auch Abschnitt IV, 2b. DU, 207 f.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
ches und im Ganzen als Grund des Transzendierens im endlichen Subjekt anwesend ist. Das Sein des Subjekts ist wesentlich transzendierend, weil – bzw. es besteht letztlich darin, dass – es am absoluten Sein teilhat. Ist jedoch die Annahme eines absoluten Seins überhaupt berechtigt? Ist der Übergang zu einem absoluten Grund im Sein als solchen ausgehend vom unhintergehbaren Sein des Subjekts, welches als Beschränktes erlebt wird und sich in seiner Beschränktheit selbst überschreitet, auf intelligible Weise möglich? In der Beantwortung dieser Fragen besteht nach Frank die wahre Bedeutung des unter der Bezeichnung ›ontologischer Gottesbeweis‹ in der Philosophiegeschichte zu fragwürdiger, wenn nicht gar zwielichtiger Bekanntheit gelangten Arguments. 33
a)
Der selbstevidente Kern des sog. »ontologischen Gottesbeweises«
Sowohl der direkte Bezug auf Gott als auch das Verständnis als deduktiv-schlussfolgernder Beweis stellen nach Frank Missverständnisse des ontologischen Arguments dar. Auf jedes dieser Missverständnisse wird ausführlich einzugehen sein. Nichtsdestoweniger ist ein wahrer Kern im ontologischen Argument herauszuheben: Es demonstriert Frank zufolge in Gegenübersetzung zu jedem durch Begriffe und Schlussfolgerungen vermittelten Wissen um gegenständliche Inhalte des Seins, dass das ›Sein‹ selber absolut selbstevident ›ist‹. 34 Wenn es sich aber tatsächlich so verhält, wozu bedarf es dann überhaupt noch eines Arguments? Es wurde schon jene quasi hypnotische Fixierung auf die gegenständlich Seienden der Objektiven Wirklichkeit erwähnt. 35 Sie verleitet nach Frank sogar zum ÜberVgl. DU, 352, GdW, 229, und LW, 187 f., 276, 285, sowie ausführlich der Anhang »Zur Geschichte des ontologischen Gottesbeweises« in GdW, 461–520. 34 Vgl. LW, 289; in Bezug auf die entsprechende Stelle in GdW, 226 f., betont Ehlen 2009, 191, dass die »offensichtliche Tautologie« (»das Sein ist«) den Sinn des Arguments gerade auf den Punkt bringt, insofern man »Sein« gar nicht anders als »real« denken kann, weil es »sich über den Gegensatz von ›Denkbarkeit‹ und ›Realität‹ außerhalb des Denkens erhebt«. Siehe auch LW, 303: »[D]er ontologische Beweis [ist] nichts anderes […] als die Erkenntnis der Selbstevidenz des Absoluten als solchen.« 35 Siehe Abschnitt II, 3 in Bezug auf RM, 151, und LW, 312; vgl. auch DU, 186 f., und MuiG, 59. 33
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Das ontologische Argument
sehen der eigenen prinzipiell nicht-gegenständlichen Realität des Subjekts. Das ist in etwa so zu verstehen, wie man die auf der eigenen Nase sitzende Brille vergeblich suchen kann. Zusätzlich macht Frank vor allem eine aus der »Lebenspraxis« geborene Trägheit (»Bedürfnis nach einer Ökonomie der geistigen Kräfte«) und Angst (»Wunsch nach Stabilität und Sicherheit«) dafür verantwortlich, dass man bezüglich der Annahme des absoluten Seins zu einer falschen »Selbstbeschränkung« des Bewusstseins neigt. 36 Davon ausgehend werde gewissermaßen der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen und lieber mit der beschränkten »kleinen Welt« der relativen Objekte vorliebgenommen. Gemeinhin werde die Annahme des Absoluten eher für verrückt gehalten. Dessen Ablehnung stelle dagegen das »›normale‹, ›nüchterne‹ Alltagsbewusstsein« dar. 37 Laut Frank ist aber genau diese »Beschränktheit des Bewusstseins« »bis zu einem gewissen Grade wahnhaft«, weil sie dazu neigt, sich vor der über das Gewohnte und Bekannte hinausgehenden Realität zu verschließen und sich stattdessen in einer fiktiven Kleinwelt zu isolieren. 38 Dieser Gedanke ist hier nicht als argumentum ad hominem angeführt und auch bei Frank nicht so zu interpretieren. Er verdeutlicht nur jene teilweise bis ins Emotionale gesteigerte Opposition gegenüber dem ontologischen Argument wie auch die Leichtigkeit, mit der seine Gegner sich ohne weitere Argumente auf einen vermeintlich »gesunden Menschenverstand« zurückziehen können. Dass der menschliche ›Verstand‹ tatsächlich so funktioniert, dass für ihn das Absolute eine Unbegreifbarkeit darstellt, wird noch genauer zu erörtern sein (siehe Abschnitt III, 3 insb. Unterabschnitt d). Aller scheinbaren Trivialität zum Trotz wird jedenfalls die Beweislast demjenigen zugeschoben, der für die Annahme eines Selbstevidenten eintritt, weil es als solches doch nicht ohne Weiteres für wahr genommen wird. Natürlich wird es dadurch gerade als solches umso stärker infrage gestellt: Ist es denn überhaupt noch wirklich selbstevident, wenn man dafür argumentieren muss? Anhand der historischen sogenannten ›ontologischen Gottesbeweise‹ (Anselm von Canterbury, Descartes, Spinoza etc.) und ihren DU, 48. DU, 50. 38 DU, 49 f. Psychologisch bestätigt wird eine solche Deutung etwa von Gruen 1986, demzufolge die Beschränkung der Weltwahrnehmung auf »abstrakte Begriffe« zugleich »spontane Lebensäußerungen reduzieren« und so zu einem »reduzierten Selbst« führen kann (ebd., 61–63). 36 37
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Kritikern (vor allem Gaunilo, Gassendi und Kant) rekonstruiert Frank den systematischen Kern des Arguments. Er weist darauf hin, dass es nicht darum gehen kann, aus einem selbst konstruierten, abstrakten Gottesbegriff, dessen Realität zu deduzieren. 39 In dieser Form handelt es sich nach Franks Meinung um einen rationalistischen »›scholastische[n]‹ Sophismus«, 40 der zu Recht von seinen Kritikern verurteilt wird. Das Argument werde zu einer bloßen »Tautologie«, weil man »Begriffsinhalt« eben als etwas definiere, das »bedeutungsvoll und sinnvoll ist, unabhängig davon, ob der Gegenstand, auf den es sich bezieht und von dem es abstrahiert ist, real vorhanden ist oder nicht«. 41 Deswegen lasse sich ausgehend von ›bloßen Begriffen‹ über deren reale Verwirklichung eben prinzipiell nichts sagen. Meines Erachtens kommt Frank dieser Form des Gegeneinwandes zu weit entgegen. Eine prinzipielle Trennung zwischen den begrifflichen Inhalten und der realen Wirklichkeit würde Erstere ihrer Referenz und damit auch ihres Inhalts berauben. Entsprechend weist B. Weissmahr in ähnlichem Zusammenhang darauf hin, dass es notwendig immer einer »erfahrenen Grundlage« für jede Begriffsbildung bedarf. 42 Eine bloß abstrakte Idee – völlig unabhängig von jeder konkreten Realität, die prinzipiell nichts über die reale Wirklichkeit aussagt – darf deshalb nicht mehr als Begriff gelten. Da sie ihrer Abstraktionsbedeutung verlustig geht, insofern sie gar keine Beziehung zu irgendeiner Abstraktionsgrundlage hat, ist sie nicht einmal, was sie dem Namen nach als abstrakte Idee sein soll. Bestenfalls wäre es ein wirres, zufälliges Sprachgebilde, das aber schon als solches über ein Mindestmaß an Realitätsbezug verfügen müsste. Es ist verwunderlich, dass Frank die kantische Trennung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen, die er schon in seiner Erkenntnislehre ausführlich argumentativ überwunden hat, 43 unbestritten im kantischen Gegenargument wieder aufnimmt. Der Fortgang der Rekonstruktion wird dadurch allerdings nicht beeinträchtigt, da Frank mit der Form des so verstandenen Gottesbeweises auch das Gegenargument ablehnt. Seine Überlegungen zum eigentlichen Sinn des Arguments, werden von einer anderen Seite her zu demselben erkenntnisVgl. LW, 283–285 und 292 f. Ausführlich zu Anselm GdW, 482–487, zu Descartes GdW, 491–497, und zu Spinoza GdW, 499–503. 40 LW, 287. 41 LW, 285 [Hervorhebung D. St.]. 42 Weissmahr 1994, 98. 43 Vgl. GdW, insb. 118–125. 39
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Das ontologische Argument
theoretisch relevanten Ergebnis gelangen, dass jede Begriffsbildung, jedes Urteil, mithin jedes Wissen notwendig eine grundlegende Einheit von Sein und Denken voraussetzt, wie gleich (vor allem Abschnitt III, 3a) zu sehen und schon an dieser Stelle explizit zu unterstreichen ist. Es geht im ontologischen Argument Franks Ansicht nach eigentlich um die Frage, ob das Schema abstrakter Begriffsbildung, wie es in Bezug auf die Gegenstände der Erfahrung (vermeintlich) zu Recht verwendet wird, schlechthin verallgemeinerbar ist. Kann man wirklich von jeder Realität einen Begriffsinhalt so abstrahieren, dass die Begriffe unabhängig von seiner konkreten Verwirklichung bestehen? Die These des nach Frank richtig verstandenen ontologischen Arguments bestreitet dies und verweist auf eine Realität, von der »wir überhaupt nicht nur den ›gedachten Inhalt‹, die von der Realität abstrahierte bloße Idee, haben können, d. h. bei [der] wir ihre nur hypothetisch angenommene ›Idee‹ nicht von ihrer Realität abstrahieren, nicht trennen können, die vielmehr unserem Denken so gegeben [ist], daß wir sofort und notwendig ihre Realität selbst haben.« 44
Fragt man danach, wo eine derartige Realität zu haben ist, verweist Frank auf das cartesische »cogito ergo sum« 45 – die Realität des Subjekts. Sie sei weder eine »abstrakte Idee« noch ein »äußerer Gegenstand«; und sie sei prinzipiell nie in nur einer dieser beiden Formen gegeben. Hingegen ist sie Frank zufolge das Paradebeispiel einer »Realität, die sich selbst enthüllt«, die nur in ihrer »Selbstoffenbarung« da ist und nicht vermittelt durch einen begrifflichen Inhalt. 46 Allerdings besteht die selbstevidente Eigenart dieser Realität gerade nicht darin, dass sie das eigene Ich ist. Limitiert auf die Rücksicht, dass sie nur Ich als ein »gegebene[s] vereinzelte[s], individuelle[s]« 47 ist, bleibt das cogito nur ein objektiviertes Seiendes neben anderen. In diesem Sinne wird es laut Frank von Descartes leider wieder als »denkende Substanz« in das rationale Metaphysikschema der Objektiven Wirklichkeit eingeordnet, wodurch Letzterer »die ganze Tragweite seiner Entdeckung« verkennt. 48 Nur weil im Subjekt dessen Realität 44 45 46 47 48
LW, 286. Ebd. sowie RM, 142. LW, 286 f.; vgl. entsprechend die Überlegungen aus Abschnitt II, 3. LW, 288. RM, 142.
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»die Äußerung eines allgemeinen, universalen, absoluten Prinzips ist«, 49 hat es seinen selbstevidenten Charakter. Frank betont also: Nicht, weil es Ich ist, kann es in seiner Realität nicht bezweifelt werden, sondern weil es Ich ist – weil sich im Sein des Subjekts das absolute Sein selbst auf individuelle Art und Weise vollziehend zum Ausdruck bringt. Nur in der Absolutheit dieses Seins selbst besteht der Grund der Selbstevidenz. Die Frage, ob etwas existiere oder nicht, kann nach Frank dahingehend umformuliert werden, ob etwas ein Bestandteil des Seins ist – ein Seiendes. Jede Existenzfrage setzt dementsprechend das Sein voraus. Die Frage nach der Existenz des Seins selber jedoch sei sinnlos, weil sie einerseits mit der Frage als Bedingung der Möglichkeit das Sein voraussetze. Andererseits missdeute die Frage das Sein als einen seienden Bestandteil. Hingegen ist das Sein vielmehr schlechthin absolut, weshalb nur es selbst sich über jeden Zweifel erhebt. 50 »Das Absolute ist jene Realität, die unserem Denken nicht als ›Gegenstand‹ gegeben ist, sondern als etwas, das unserem Denken untrennbar eigen ist, und zwar deshalb, weil unser Denken das ist, was nicht verneint werden kann, denn die Verneinung selbst, wie auch alles übrige, ist sein Ausdruck und deshalb, bezogen auf es selbst, sinnlos.« 51
Was ich bin, was mein individuell-konkretes Eigensein ausmacht, ist prima facie 52 genauso fraglich wie jedes andere gegenständlich Seiende. Es hängt ab von seinen kontingenten Beziehungen zu Anderem. Nur dass ich bin, dass mein Sein ist – genauer: dass Sein ist, stellt nach Frank die eigentliche Selbstevidenz der cartesischen Einsicht dar. In diesem Zuge wird der Gedanke des cartesischen cogito von ihm entsprechend umformuliert in »cogito, ergo est esse absolutum.« 53
LW, 288. Vgl. LW, 290. 51 LW, 290. Vgl. zur Konstanz dieser Einsicht im Werk Franks schon die GdW um fünf Jahre vorausliegende Schrift zum »Pragmatismus als Erkenntnislehre«, insb. LW, 97. 52 In Bezug auf das »geistige Leben«, ferner die »Personalität«, wird auch in dieser Hinsicht eine Korrektur vorzunehmen sein (siehe Abschnitte IV, 2b und IV, 3). 53 LW, 290. 49 50
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Das ontologische Argument
b)
Modale Argumentation und Beweischarakter des Arguments
Mit dem Seinserleben des Lebendigen Wissens bzw. im Unmittelbaren Selbstsein ist nach Frank auf diese Weise das absolute Sein erschlossen. Wie aber ist das möglich? Wie kann durch das relative und bedingte, d. h. durch das kontingente, endliche Seiende, welches ich bin, schließlich das absolute Sein als solches in Erscheinung treten? Bleibt mein Sein nicht vielmehr nach wie vor mein Sein, auch wenn – wie es im letzten Abschnitt dargestellt wurde – es in einer teilhabendtranszendierenden Beziehung zu denken ist? Ist es nicht ein verfehlter Schluss von einem faktisch kontingenten Dasein auf eine prinzipielle Notwendigkeit? 54 Nur unwesentlich dem Wortlaut nach über Frank hinausgehend, allerdings ganz in seinem Sinne, 55 kann darauf geantwortet werden: Die Alternative zum absoluten Sein wäre einzig das absolute Nichts (damit ist kein bloß physisches Nichts gemeint, das beispielsweise als leerer Raum, Vakuum oder Quantenfluktuation verstanden, doch immer nur ein relatives Nichts wäre, insofern es zwar die Abwesenheit von etwas Anderem, aber dennoch immer das Sein von etwas bedeutet). 56 Tertium non datur. Wollte man dazwischen ein Relatives annehmen, so wäre dieses metaphysisch grundlos und fiele Leibniz’ Prinzip vom zureichenden Grund zum Opfer: Hat nämlich irgendwann einmal absolut nichts bestanden, so kann schlechthin nichts sein, denn aus Nichts entsteht nichts (ex nihilo nihil fit). 57 Obwohl Im Kontext transzendentaler Letztbegründung problematisiert etwa Ossa 2007, 116, den Übergang von einem einzelnen Faktum (dem performativen Gehalt einer Behauptung) zu einer allgemeinen Notwendigkeit, wozu die folgende Argumentation eine Verständnishilfe bieten könnte. 55 Vgl. GdW, 194–198, RM, 166, und LW, 291 f. sowie 299 f. 56 Vgl. zu den unterschiedlichen Verständnisweisen des Begriffes ›Nichts‹ etwa Weissmahr 2010a, 331 f., und Schmidt 2003, 141–143. 57 Eigentlich entspricht dem leibnizschen Prinzip eher der ciceronische Satz »nihil fit sine causa«. Vgl. die Formulierungen von Monadologie § 32: »Und das des zureichenden Grundes, vermöge dessen wir bedenken, daß sich keine Tatsache als wahr oder existierend herausstellen kann, ohne dass es einen zureichenden Grund gäbe, warum es sich so und nicht anders verhält, obschon diese Gründe uns oft nicht bekannt sein können.« (Monad., 453) und Theodizee § 44: »[N]ichts geschieht, ohne daß es eine Ursache oder wenigstens einen bestimmenden Grund gibt, d. h. etwas, das dazu dienen kann, a priori zu begründen, weshalb etwas eher existiert als nicht existiert und weshalb etwas gerade so als in einer anderen Weise existiert.« (Theod., 273) Die Formulierung »ex nihilo nihil fit« geht dagegen eigentlich auf die aristotelische Überlieferung des Melissos von Elea zurück: »Immerdar war, was da war, und immerdar 54
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
ich als solcher faktisch kontingent bin, d. h. auch hätte nicht sein können, ist zumindest das Faktum meines kontingenten Seins jetzt und hier unbezweifelbar. Damit verbunden ist aber die Möglichkeit meines kontingenten Jetzt-und-hier-sein-Könnens notwendig immer gewesen und wird immer gewesen sein. Frank greift genau diesen Gedanken für den ontologischen Beweis aus dem cusanischen Begriff des »possest« bzw. »posse ipsum« auf und schreibt: »Wenn etwas ist oder nicht ist, so setzt das die Möglichkeit zu sein oder nicht zu sein voraus. Aber diese Möglichkeit selber als Bedingung des Seins und des Nichtseins – kann auch sie nicht sein? […] Wie kann man fragen ob die Möglichkeit besteht, wenn die Frage selber die Möglichkeit zu sein oder nicht zu sein voraussetzt und deshalb ohne das Sein der Möglichkeit undenkbar ist?« 58
Daraus folgt, dass das absolute Nichts unmöglich ist – mehr noch: Es ist die Unmöglichkeit selbst. Sofern Sein ist, ist es notwendig absolut. Das bedeutet nichts anderes, als dass das absolute Sein mir als endlichem, kontingentem Seienden in meinem Sein, selbstevident gegenwärtig ist. 59 Das ontologische Argument verknüpft sich insbesondere in der hier vorgebrachten modalen Reflexion mit einem kosmologischen Argument, welches das endliche Seinserleben zu seinem Ausgangspunkt hat. Von diesem schließt es gemäß dem »metaphysischen Kausalprinzip« (nicht naturgesetzlich induktiv!) auf die notwendige Bedingung eines unendlichen Seins zurück. 60 Hernach fügt Frank wird es sein. Denn wär’ es entstanden, so müßte es notwendigerweise vor dem Entstehen nichts sein. Wenn es nun also nichts war, so könnte unter keiner Bedingung etwas aus nichts entstehen.« (DK30[20] B1) Sie findet sich aber auch bei Leibniz in veränderter Fassung und kann durchaus auf sein Prinzip vom zureichenden Grund bezogen werden, wie Schmidt 2003, 136, zeigt. 58 LW, 299 f., in Bezug auf Cusanus’ Apic. theor., cap. 1, n. 13. 59 Diese modale Form des ontologischen Arguments findet gegenwärtig einigen Anklang; vgl. u. a. Schmidt 2003, 134 f., sowie Puntel 2012, 234–236; sie liegt letztlich auch Spaemanns »Letztem Gottesbeweis« aus dem »Futurum exactum« bzw. Futur II zugrunde (vgl. Spaemann 2007, 31 f.; vgl. auch Spaemann 2006, 129–131). 60 Frank lehnt explizit eine bestimmte Form des »Kosmologischen Gottesbeweises« ab, sofern darunter ein induktiver Rückschluss nach naturgesetzlicher Art verstanden wird. Solcherart wäre Gott nur ein oberstes Seiendes gleichsam innerhalb einer hierarchisch gegliederten Seinspyramide nach dem Muster der Objektiven Wirklichkeit (vgl. Ehlen 2009, 195 f., in Bezug auf DU, 351 f.). Demgegenüber zeigt Schmidt 2003, 72, dass ontologische und kosmologische Argumentationsformen auch anders zusammengebracht werden können, sodass sie von vornherein miteinander verschränkt
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Das ontologische Argument
allerdings noch ein ontologisches Argument im engeren, d. h. rein begrifflichen Sinne 61 hinzu, wenn er wiederum in Bezug auf Cusanus ausführt, dass die notwendige Bedingung des Seins wie des Nichts in ihrer Möglichkeit beruhe. Der Begriff des Nichts als Negation des Seins setze so doch immer schon die Möglichkeit des Seins voraus und werde somit in seiner Radikalität als absolutes Nichts schlechthin unmöglich. 62 Hat es auch den Anschein, dass es sich bei solchen Argumentationen um logische Schlussfolgerungen handelt, muss nach Frank sogleich eingestanden werden, dass das ontologische Argument eigentlich kein ›Beweis‹ im engeren Sinne ist. Als »ursprünglich selbstevidente Wahrheit« könne das Sein generell nicht irgendwie mittelbar durch Prämissen und Konklusionsregel deduziert werden. Als Prinzip der absoluten Realität sei es die »Grundlage jeglichen Wissens«, die jedem »Relativen und Partikulären« notwendig vorausgehe. 63 Deshalb kann es immer nur nachträglich, im denkenden
sind: »Denn der KGB [Kosmologische Gottesbeweis] kommt nicht ohne jene apriorische Idee des ueS [unendlichen Seins] aus, deren Wahrheit sich dann in der Analyse der Erkenntnis des endlichen Seienden erweist, und der OGB [Ontologische Gottesbeweis] stößt auf die Idee des Höchsten in der Reflexion auf das tatsächliche Denken und Begreifen, das immer schon auf Sein bezogen und auch selbst schon realer Vollzug ist.« Insbesondere ist dabei der Unterschied zwischen »naturgesetzlicher Kausalität« und dem »metaphysischen Kausalprinzip« zu betonen (ebd., 75 f., siehe dazu auch Abschnitt V, 1c). Letzteres macht im Grunde nur den transzendentalphilosophischen Grundgedanken aus und deckt sich in seinem materialen Aspekt ebenfalls mit dem ontologischen Beweis, insofern das ›Unendliche‹ dem ›Endlichen‹ notwendig vorausgeht, weil Letzteres nur als Teil des Ersteren begriffen werden kann. Frank sieht diese Überlegung als eigentlichen ontologischen Beweis bei Descartes an (vgl. LW, 301). 61 Wobei auch dies keine hypothetische Annahme eines willkürlichen Begriffskonstruktes unabhängig vom Denken meinen kann, sondern ebenfalls eine transzendentale Reflexion auf das notwendig im Begriffsvollzug Anzunehmende. Man könnte das Folgende auch einfach umformulieren in: ›Absolutes Nichts‹ ist als Begriff unmöglich, weil der Begriff des ›Nichts‹ eine Relation impliziert, die in der Verabsolutierung ihr Relat zerstört und dadurch sich selbst, während der Begriff des Seins alle Relation – auch die des (relativen) Nichts – in sich enthalten kann, wenn er absolut gedacht wird. Dies ist ganz analog zum Gedanken der Wir-Einheit (siehe Abschnitte IV, 3b und c) übertragbar. 62 LW, 300, in Bezug auf Cusanus, De poss., n. 67. Vgl. auch LW, 294, in Bezug auf Anselm: »Alles, was als seiend und nichtseiend gedacht wird, was sein kann und nicht sein kann, wird als entstehend gedacht. Gott aber als absolut Größtes oder als absolute Fülle ist als entstehend undenkbar – folglich ist er undenkbar als nichtexistierend.« 63 Vgl. LW, 289 f.
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Nachvollzug, hermeneutisch erschlossen, aber nie als solches bewiesen werden. Es wird in diesem Zuge allerdings nicht reinweg postuliert. Auch stellt es keine bloß hypothetische Annahme dar, welche man auch hätte nicht setzen können und welche sich erst nachträglich epistemologisch legitimieren lässt. Vielmehr handelt es sich um einen Aufweis, dergestalt dass »Sein […] nicht aus der bloßen Idee deduziert [wird], sondern […], daß das Gedachte von vornherein eben nicht ›bloß Gedachtes‹ ist.« 64 Es ist also von vornherein kein subjektives Konstrukt. Weiter ist es aber auch keine nur der Subjektivität eigene Bedingung, wie Kant es mit der »transzendentalen Apperzeption« interpretierte. Nach Frank hat Kant die Transzendentalphilosophie nicht radikal genug zu Ende gedacht: Man kann nicht einfach bei einem Bedingten – der Subjektivität als Korrelat der Objektivität – stehen bleiben. Es muss stattdessen zu einer »primären Einheit« weiter vorgedrungen werden, welche »als eine absolute bzw. transsubjektive« gelten kann. 65 Erst bei einem an sich Un-bedingten angelangt, wird nach Frank das Ziel der Transzendentalphilosophie erreicht. Sie kann deswegen nie reine Erkenntnislogik bleiben, sondern muss notwendig in die Ontologie übergehen. 66 Der Weg führt also vom erkennenden Subjekt zum Sein. Wirklich da ist das Sein nach Frank nur im Dasein selbst – dann aber mit absoluter Notwendigkeit. Das ontologische Argument im engeren Sinne ist also wie gezeigt gar kein rein abstrakter Beweis, der von einem denkmöglichen propositionalen Gehalt ausgeht und aus diesem etwas Zusätzliches – nämlich seine Existenz – ableitet. Dementgegen zeigt es, dass der Begriff des Seins von seinem Sein schlechthin unabtrennbar ist. Frank stützt seine Argumentation unter anderem LW, 187. An dieser Stelle spricht Frank selber im Gegensatz zur ›Deduktion‹ von einem ›Aufweis‹. Vgl. auch LW, 294, wo er betont, dass es sich nicht um einen »Syllogismus« handelt, sondern der »Begriff des Absoluten« in einem »didaktische[n] Verfahren« in seiner unleugbaren Selbstevidenz dargestellt wird. In RM, 254, bezeichnet Frank alle »rationalen ›Gottesbeweise‹« entsprechend mit Bezug auf Hegel als »nur sekundäre, abgeleitete Erklärungen« einer zugrundeliegenden »Erfahrungswahrnehmung Gottes«, welche als »lebendige Intuition« niemals unabhängig von der »Realität unseres ganzen realen Wesens« geschehen kann. Damit ist bereits auf die den ontologischen Beweis erkenntnislogisch vertiefende, aber ontologisch bedingend vorausgehende religiöse Erfahrung hingewiesen, wie sie später (Abschnitt V, 2) Darstellung findet. 65 LW, 190. 66 Vgl. GdW, 83 f., DU, 170, sowie LW, 205. 64
56 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Das ontologische Argument
durch einen Vergleich mit Fichtes »Begriff des Sehens«, der nur in sich selbst als Akt, »unmittelbar lebendig, kräftig und thätig daseiend« 67 existiert. Genau wie alles Gesehene niemals das vollzogene Sehen ist, kann auch das Sein niemals in einer abstrakten Idee allein begriffen werden, der gegenüber der Seinsvollzug etwas bloß äußerlich Hinzukommendes wäre. Ja, in einer solchen abstrakten Idee wäre gerade davon abstrahiert, was da begriffen werden sollte. Ist aber die Zusammengehörigkeit von Sein und Begriff (verstanden als Vollzug des Begreifens) einmal eingesehen, so ist der Seinsbegriff als unvordenkliche Wahrheit grundgelegt. Diesbezüglich hätte Frank den expliziten Bezug zu Fichte noch ausweiten können. 68 Die Selbstevidenz des Seinsbegriffs gilt beiden als unableitbare Grundlage jeglichen Wissens. Ganz im Sinne Franks argumentiert Fichte prinzipiell gegen die Möglichkeit »zwingender Beweise«, weil diesen mit der »Idee der Gewißheit« selbst »etwas schlechthin Undemonstrierbares zugrundeliegt«, das nicht durch »bedingte, mittelbare Gewißheiten« abgeleitet werden kann. 69 Vielmehr setzt nach Fichte der Sinn jeder »bedingten Gewißheit« (mit anderen Worten der hypothetischen Gültigkeit von Prämissen und/ oder Schlussregeln) schon notwendig voraus, dass es unbedingte »Gewißheit« als solches gibt. 70 Dahinter steht, nebenbei bemerkt, im Weiteren die schon in Platons Menon aufgekommene Frage nach einem strengen Wissensbegriff. Soll Wissen nicht bloß zufällig »wahre Meinung« sein, kann die Angabe von Gründen, welche wiederum nur aus weiter zu begründenden Meinungen bestehen, letztlich nicht hinreichen. Es muss vielmehr auf ein letztbegründetes Wissen zurückgeführt werden. 71 In LW, 288, sich beziehend auf Fichtes 27. Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 (WissL, 268). 68 Zum Einfluss Fichtes auf Frank vgl. Ehlen 2009, 34–37, sowie Ehlen 1997, 391 und dort bes. Fn. 8. 69 EinlW, 95. 70 Ebd. 71 Vgl. Menon, 97e–99c, und Theait., 202d–210b. Die viel zitierte Position, dass ›Wissen‹ durch eine Begründung gerechtfertigte Meinung sei (»καὶ διαφέρει δεσμῷ ἐπιστήμη ὀρθῆς δόξης«) (Menon, 98a), stellt Platon selber im Theaitetos kritisch in Frage: »ἔστιν ἄρα, ὦ ἑταῖρε, μετὰ λόγου ὀρθὴ δόξα, ἣν οὔπω δεῖ ἐπιστήμην καλεῖν« (Theait., 208b); »καὶ παντάπασί γε εὔηθες, ζητούντων ἡμῶν ἐπιστήμην, δόξαν φάναι ὀρθὴν εἶναι μετ᾽ ἐπιστήμης εἴτε διαφορότητος εἴτε ὁτουοῦν. οὔτε ἄρα αἴσθησις, ὦ Θεαίτητε, οὔτε δόξα ἀληθὴς οὔτε μετ᾽ ἀληθοῦς δόξης λόγος προσγιγνόμενος ἐπιστήμη ἂν εἴη« (Theait., 210a-b). Vgl. dazu auch Rohs 1987 in 67
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Abschnitt III, 5 wird diese kontrovers diskutierte Frage hinsichtlich des metaphysischen Anspruchs von Letztbegründung in Auseinandersetzung mit einer gegenwärtigen wissenschaftstheoretisch herrschenden Meinung eigens erörtert. Nicht von ungefähr erhält das ontologische Argument an dieser Stelle der Überlegungen alethologischen Charakter. Als Zentralgedanke der Ontologie Franks entspricht dem ontologischen Argument in der Erkenntnislehre das Lebendige Wissen. 72 Es ist der nicht nur für die Philosophie Franks, sondern für den Sinn eines jeden philosophischen Treibens überhaupt unverzichtbare Konvergenzpunkt zwischen Ontologie und Erkenntnislehre. Dass sich mit den Begriffen unseres Denkens (in ihrem approximativen Streben nach Adäquatheit) überhaupt irgendetwas Sinnvolles über die Wirklichkeit sagen lässt, d. h. dass Ontologie als solche möglich ist, hat seinen Grund in diesem Punkt: In der Einheit von Denken und Sein. Es verwundert deswegen nicht, dass Frank das ontologische Argument in seinem Kern schon auf jene These des Parmenides zurückführt: »ταὐτὸν δ᾽ ἐστὶ νοεῖν τε καὶ οὕνεκεν ἔστι νόημα«. 73 Im Zusammenhang der Überlegungen zur Bedeutung der Negation für die Erkenntnis wird diese Einsicht – insbesondere hinsichtlich der transzendental-phänomenologischen Methode und der (Trans-) Rationalität – noch ausführlich zu prüfen sein (siehe die Abschnitte III, 3a und ferner auch III, 5). Einstweilen wird der Kern des ontologischen Arguments mit seiner kosmologischen und alethologischen Komponente vorgebracht: Auseinandersetzung mit der Gegenposition Franz von Kutscheras, auf welche noch eingegangen wird (Abschnitt III, 5a). Gegenwärtig wird die Problematik um den Wissensbegriff als »gerechtfertigte wahre Meinung« im anglophonen Sprachraum, unter Bezug auf Gettier 1963 mit der Bezeichnung »Gettierproblem« diskutiert. 72 Zum Lebendigen Wissen als »Angelpunkt« der Philosophie Franks vgl. auch Ehlen 2004, 35. Dass dem Lebendigen Wissen in Franks Spätwerk (repräsentiert durch RM) nur noch untergeordnet erkenntnistheoretische Bedeutung zukomme (Rörig 2010, 147 f.), lässt sich schlicht mit dem Hinweis auf RM, 140–148 in Verbindung mit 179 f., und im Blick auf die Bedeutung der »metaphysischen Erfahrung«, welche Frank expressis verbis mit dem Lebendigen Wissen gleichsetzt (RM, 232), für die »religiöse Erfahrung« widerlegen (siehe im Weiteren Abschnitt V, 2b). 73 Vgl. GdW, 466, in Bezug auf DK 28 B8. Vgl. auch LW, 295. Im Übrigen ist damit ein Vergleichspunkt zu V. Hösles Objektivem Idealismus gegeben, wenn dieser schreibt: »Nur die Koinzidenz von Sein und Erkennbarkeit im Absoluten erklärt, wieso wir im Bereich des Endlichen, das durch deren Differenz gekennzeichnet ist, im Prinzip wahrheitsfähig sind.« (Hösle 1997, 211)
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Das ontologische Argument
(1) Transzendental: Wenn es etwas gibt (irgendein Seiendes), dann ist das absolute Nichts unmöglich und das absolute Sein als Bedingung der Möglichkeit notwendig vorausgesetzt. (2) Phänomenologisch: Dass es etwas gibt, kann im Unmittelbaren Selbstsein selbstevident und unhintergehbar erlebt werden. (3) Ergo: Das absolute Sein ist notwendig. Was aber ist dieses absolute Sein? Die Frage wurde schon in Bezug auf das Sein des Subjekts in einer befremdlich anmutenden Weise zurückgewiesen, die hier noch einmal wiederholt werden muss: Intendiert die Frage als Antwort einen begrifflich bestimmten Erkenntnisinhalt, so wäre dieser doch etwas, was das absolute Sein hat oder besitzt, aber nicht, was es ist. Allerdings wäre der Versuch gleichwohl vergebens, wenn man das absolute Sein im Unterschied zu seinen Inhalten bestimmen wollte, weil vom Absoluten unterschieden, d. h. gegenüber dem Absoluten, schlechthin nichts ist – und dieses ist in seiner Substantivierungsform als metaphysisches Nichts unmöglich. 74 Wenn jedoch das, was das Sein beinhaltet (das Seiende), nicht vom Sein unterschieden werden kann, handelt es sich dann nicht um eine undifferenzierte, alles gleichmachende Einheit, in der es letztlich außer dem Sein selbst keine Seienden gibt? 75 Das klingt so befremdlich, dass die Neigung, das Absolute abzulehnen, unverzüglich wieder aufkeimt. Denn was Seiende sind – und dass ich ein Seiendes unterschieden von anderen Seienden bin –, das kann ich aus Erfahrung feststellen. Ist dann die Vielheit der Seienden nicht doch gegenüber einer alles verschlingenden Einheit vorzuziehen, welche mit Hegel gesprochen einer »Nacht« gleicht, in der »alle Kühe schwarz sind« 76? So schnell, wie das ontologische Argument die scheinbar triviale Selbstevidenz des absoluten Seins vorgebracht hat, steht selbige schon wieder in Frage. Genauer kann, wie geklärt wurde, die Frage jedoch nicht bedeuten, ob und was das Sein ist. Sie muss stattdessen lauten: ›Wie ist das Sein?‹ Dergestalt wird das Verhältnis zwischen dem Sein und den Seienden erfragt, welches im Folgenden als ›ontologische Differenz‹ betrachtet werden soll.
Vgl. RM, 171 f. Dieser Kritik ist Franks All-Einheits-Philosophie in vielfacher Form immer wieder ausgesetzt. Ausführlich werden die Monismus-Vorwürfe im Abschnitt V, 4 behandelt. 76 PhG, 22. 74 75
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Zuvor ist nur noch darauf hinzuweisen, dass auch eine weitere voreilige Deutung des bisherigen Ergebnisses möglich ist: Handelt es sich bei ›dem Absoluten‹ nicht um ›Gott‹ ? Was außer Gott kann für sich in Anspruch nehmen, wahrhaft absolut zu sein? Und wollte man dies bestreiten, müsste Gott dann nicht in irgendeiner Beziehung zu dem Absoluten gedacht werden, sodass letztlich beide relativ würden? Dem Leser sei auf diese berechtigten Anfragen hin die Bitte um Geduld entgegengebracht. Frank selbst lehnt die Identifizierung des Absoluten mit Gott ausdrücklich ab. 77 Eine ausführliche Begründung lässt sich allerdings erst auf dem Hintergrund der Überlegungen zur ontologischen Differenz und vor allem nach den anthropologischen Erörterungen geben. Erst wenn geklärt ist, was ›Sein‹ wirklich bedeutet und was das spezifisch menschliche Sein ausmacht, kann die Frage nach dem Sein Gottes sowie nach seinem Verhältnis zum absoluten Sein und zum Menschen fundiert beantwortet werden (siehe Abschnitt V).
3.
Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
Der von Martin Heidegger geprägte Begriff der »ontologischen Differenz« 78 kommt im Werk Simon L. Franks nicht wörtlich vor. Er eignet sich dennoch wie kaum ein anderer, um die aufgekommenen Fragen zum Verhältnis von Einheit und Vielheit, Identität und Differenz in der Frage nach dem Sein des Seienden zu thematisieren. Denn mit den Überlegungen zum Sein als Realität des Transzendierens zeigte sich die ›Grenze‹ bereits in einer besonderen ontologischen Bedeutung: als Beziehung stiftende Unterscheidung. Sie begründet bei Frank sogar eine aktiv-dynamische Teilhabebeziehung der Seienden. Weiter führt sie im ontologischen Argument über das Seiende hinaus zum absoluten Sein, dem gegenüber es schlechthin nichts gibt. Damit tun sich allerdings scheinbar nur zwei Möglichkeiten auf, um das Verhältnis der Seienden zum Sein ontologisch zu interpretieren: (1) Sie sind miteinander identisch. Dann wird das Seiende in seiner Vielheit vom Sein als dessen Einheit gewissermaßen verVgl. RM, 226 f. In GA 24, 22, findet er erstmals wörtlich Verwendung, sinngemäß aber schon in der Erläuterung der Seinsfrage im zeitgleich entstandenen Werk »Sein und Zeit«; beispielsweise dort: »Das Sein des Seienden ›ist‹ nicht selbst ein Seiendes.« (GA 2, 8).
77 78
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
schluckt. Oder alternativ wird das Sein zur an sich bedeutungslosen Summe der Seienden erklärt. (2) Sie sind voneinander verschieden. Dann wird gleichermaßen das Seiende gegenüber dem Sein zu einem nur scheinbaren Sein, und das absolute Sein wird als dem Seienden Gegenübergesetztes, von ihm Unterschiedenes, zu einem Begrenzten, d. h. endlichen Seienden. Folglich scheint es, man kann nicht beides haben: Entweder nimmt man einen ontologischen Monismus an, dann gibt es allein das absolut Eine ohne die Vielheit der Endlichen; oder man entscheidet sich für einen ontologischen Pluralismus, der nur Endliches ohne das Absolute akzeptiert. In einer solchen, vermeintlich alternativlosen, Entscheidungssituation steht der Selbstevidenz des Absoluten die allgegenwärtige Erfahrung der Endlichkeit entgegen. Zudem ist die Unterscheidung zwischen Monismus und Pluralismus schon in sich problematisch: Der Monismus versucht in der Überbetonung der Einheit die Vielheit der Seienden gegenüber der absoluten Einheit des Seins hinweg zu erklären, beispielsweise indem er sie auf bloße Erscheinungsformen des einen Absoluten reduziert. Als scheinhaftes Sein wäre es aber nach wie vor etwas dem Einen gegenüber Anderes und nicht schlechthin Nichts. Eine gewisse Differenz bliebe bestehen. Als ihr Gegenstück stände es der absoluten Einheit weiterhin gegenüber und begrenzte sie auf ein Relatives, nicht mehr absolut Eines. Von der anderen Seite her würde in der Ablehnung der monistischen Einheit der Pluralismus der vielen Seienden selbst zu einer absoluten Position werden. Sie müsste behaupten, dass es letztlich nur das Viele gebe. Können die vielen Einzelnen aber in der extremen Betonung der Verschiedenheit ohne jede Einheit überhaupt noch als Vielheit gedacht werden? Es ergäbe sich vielmehr eine unzusammenhängende Pluralität, in der nichts mehr etwas miteinander zu tun hätte, die nicht einmal mit dem einheitlichen Begriff der Pluralität bezeichnet werden könnte. Auf die gleiche Weise können Sein und Seiende auch nicht in strikter Trennung nebeneinander, in einem absoluten Dualismus begriffen werden. Sie hätten dann rein gar nichts mehr miteinander zu tun und wir könnten diesen Absatz erneut von vorne beginnen. 79 Es zeigt sich mit Frank gesprochen, dass die vermeintlich ausweglose Alternative zwischen Identität und Differenz, Einheit und Vielheit, eigentlich gar keine echte Alternative ist, sondern eine 79
Vgl. RM, 187–189, sowie Schmidt 2003, 240–243.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
»simplifizierende und verfälschende Abstraktion, die nicht imstande ist, die konkrete Fülle und Struktur der Realität auszudrücken.« 80 Dementgegen setzt Frank die ausführliche Klärung der ontologischen Bedeutung der Negation als Prinzip der Unterschiedenheit. 81 Die Aufgabe, die ontologisch konstitutive Funktion der Unterscheidung für die Seienden in ihrer Vielheit wie auch die Möglichkeit die Unterscheidung als zum Sein selbst gehörige, aber nicht (abstrakt) auf es selbst anwendbare, Differenz ontologisch zu explizieren, soll unter dem Begriff der ontologischen Differenz dargelegt werden. Das Ergebnis ist ein ontologischer Standpunkt, den Frank gemäß der cusanischen docta ignorantia (belehrtes Nichtwissen) und coincidentia oppositorum (Zusammenfallen der Gegensätze) als »antinomischen Monodualismus« bezeichnet. 82
a)
Die Negation als Grund der Differenz
In einem ersten Schritt ist die Bedeutung der Differenz zu klären. Dafür sind Franks erkenntnistheoretische Überlegungen heranzuziehen. Zuerst wird phänomenologisch die wesentliche Eigenart von Erkenntnis als Transzendieren aufgewiesen, um dann transzendentalphilosophisch zu ergründen, wie sich das Erkennen im Prozess des Bestimmens vollzieht. Dabei wird die Bedeutung der Negation als Grund der Differenz deutlich. In der Reflexion auf ihre Funktion gewinnt Frank schließlich die Einsicht der docta ignorantia. Am Ausgangspunkt jeder Erkenntnis steht nach Frank die Frage. Sie ist ihm zufolge die »primäre Erkenntniseinstellung«. 83 Als Frage nach ›etwas‹ ist sie grundsätzlich auf »Unbekanntes« ausgerichtet, das aktiv in einer »Bewegung des Erkennens« 84 bestimmt werden muss. Rein »immanente«, d. h. unmittelbar ohne Vollzug eines bestimmenden Urteils gegebene Erkenntnisinhalte gibt es laut Frank DU, 183. Vgl. DU,164 f. 82 Vgl. DU, 183 f. [Übersetzung korrigiert, D. St.]. Im Folgenden wird die fehlerhafte Übersetzung ›antinomistisch‹ durchgehend in ›antinomi[s]ch‹ korrigiert, und Antinomischer Monodualismus wird als Terminus außerhalb von Zitaten großgeschrieben. Zur Koinzidenzlehre des Cusaners siehe ausführlich Flasch 1973, Zweiter Teil, 155– 339. Siehe auch Anm. 181. 83 LW, 173. 84 DU, 46. 80 81
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
nicht. 85 Er begründet es phänomenologisch wie folgt: Weil die Ausdehnung eines konkreten Gegenstands im Raum wie auch seine Dauer in der Zeit stets über den jeweiligen Umfang und Moment des Wahrnehmens hinausreichen, ist keine konkrete Entität jemals vollkommen der Wahrnehmung immanent. »Kein konkretes ›Ding‹ kann überhaupt unmittelbar gegeben sein«, 86 weil es als Ganzes – in jedem Aspekt des zeitlichen Vorher und Nachher sowie der räumlichen Tiefe etc. – überhaupt nie dem Bewusstsein in einem einzigen Augenblick zugänglich wird. Also ist bei jeder Erkenntnis eines konkreten Gegenstandes ein »Hinausgehen ›über die Grenzen des Gegebenen hinaus‹« notwendig. 87 Der Erkenntnisinhalt ist mithin nie unmittelbar fertig als solcher gegeben, sondern konstituiert sich erst dadurch, dass das unmittelbar Gegebene in einen Bezug zu etwas aktuell Nichtgegebenem gestellt wird, das die augenblickliche Wahrnehmung ergänzt. Dies jedoch nicht nur summativ, denn als ein besonderer Gegenstand muss er sich zudem gegenüber Anderem abheben, was er nicht ist. Sonst gäbe es nur eine undifferenzierte Einheitswahrnehmung, in der eigentlich gar nichts erkannt würde. Hätte ich auch ein ganz schlichtes Wahrnehmungsobjekt, das gleichsam vollständig mein Wahrnehmungsfeld ausfüllte (z. B. ein überdimensioniertes rotes Tuch), könnte ich es als Erkenntnisinhalt nur dann erfassen, wenn ich es gegenüber etwas davor oder dahinter, darüber oder darunter Liegendem oder etwas vorher oder nachher Seiendem unterscheidend abgrenzen könnte. Mit den Worten Franks ist der Gegenstand in seiner jeweiligen Bestimmtheit also nur begreifbar durch die Verbindung mit und durch die Abgrenzung von etwas dem »immanenten Material des Wissens« gegenüber »Transzendentem«. 88 Besonders deutlich wird es anhand der Betrachtung der logischen Inhalte, welche man doch prima facie gegenüber konkreten Objekten als vermeintlich in sich abgeschlossene, raum-zeitlich invariante Inhalte auffasst. Dass etwa ein wahrgenommener Farbfleck die Farbe ›Rot‹ hat, ferner dass ›Röte‹ als zeitüberdauernder und allVgl. pointiert LW, 202 f.: »Einen von selbst, gleichsam in fertiger Form gratis ›gegebenen‹ Erkenntnisinhalt gibt es nicht; jeder Erkenntnisinhalt ist zugleich Erkenntnisprodukt, Ergebnis einer Arbeit der Erkenntnis, eines erkenntnisartigen Eindringens in das Unbekannte.« Vgl. auch GdW, 112 f. 86 GdW, 115. 87 GdW, 113. 88 GdW, 116–117. 85
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
gemeiner Inhalt existiert, setzt nach Frank aber ebenfalls bereits die Verbindung zu über den momentanen Wahrnehmungsausschnitt hinaus gegebenen Inhalten voraus: Es setzt, argumentiert Frank, eine vollzogene Abgrenzung zu all jenem voraus, was nicht dieser Fleck, nicht Rot und nicht eine Farbe ist. Nur in der Abhebung von diesem Hintergrund wird der einzelne Inhalt als solcher bestimmt und in seiner Verbindung zu den anderen Inhalten weiter bestimmbar. 89 Ein Erkenntnisinhalt konstituiert sich nach Franks phänomenologischer Betrachtung somit durch ein aktives Bestimmen im Sinne eines geistigen »Eindringens« in aktuell Unbekanntes, »in einen nichtgegebenen Inhalt«. 90 Das Bestimmen ist derart aufgefasst ein urteilendes In-Beziehung-Setzen von »Gegebenem« mit »Nichtgegebenem« und hat seinen Sinn in der Ausrichtung auf einen unbekannten Gegenstand. Frank folgert daraus zweierlei: Zum einen zieht er eine erkenntnistheoretische Konsequenz für die Bestimmung des Wissensbegriffs. Jegliches Wissen findet über einen auf etwas gerichteten Denkakt im Urteil seinen Ausdruck. Immer geht es darum, an einem »›Gegenstand‹ der Erkenntnis« einen »Inhalt« zu bestimmen. 91 Gleich ob schon Bekanntes weiter bestimmt oder noch Unbekanntes neu bestimmt werden soll, die Form des Urteils bleibt (entsprechend dem aristotelischen ›τί κατά τινός‹) ›etwas von etwas‹ auszusagen. 92 Das Erkennen ist Frank zufolge demnach prinzipiell nicht gleichsetzbar mit einem bloßen Rezipieren fertiger propositionaler Gehalte. Stattdessen ist es der dynamische Vollzug der Aufdeckung eines Unbekannten (›x‹). Zweitens bedeutet das laut Frank aber weiterhin, dass der Hintergrund eines Unbekannten, Transzendenten jeder Inhaltsbestimmung ständig zugrunde liegen muss. Auch nach einem, oder nach beliebig vielen, Bestimmungsakten kann sich das Unbekannte nie restlos auflösen, weil der Inhalt nur als Inhalt des Unbekannten seine jeweilige Bedeutung hat. »Der erkannte Inhalt A hebt sich – eben als erkannter, manifester und klarer – von seinem dunklen Hintergrund ab, löst sich aber nicht von ihm, sondern wird im Gegenteil auf diesem Hintergrund, auf dieser Grundlage als etwas erkannt, das unzertrennlich zu ihm ge89 90 91 92
Vgl. GdW, 117–123. Vgl. auch RM, 165 f. Vgl. GdW, 120. DU, 43 f. Vgl. LW, 217.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
hört. Damit bedeutet jedes gegenständliche Wissen, wird es in seinem vollem Sinne genommen, daß das Unbekannte, auf das sich unsere Erkenntnis richtet bzw. das sie ›meint‹, teilweise erkannt, als bestimmter Inhalt erhellt wird, und daß es zugleich doch als Unbekanntes ständiges Ingrediens unserer Erkenntnis bleibt, auf das diese stets gerichtet ist und innerhalb dessen alles bereits Erkannte an den ihm gebührenden Platz gesetzt wird.« 93
Frank begründet es durch eine Analyse des Erkenntnisurteils weiter. Die grundlegende Form des Urteils führt er auf »x ist A« zurück. 94 Dabei wird ein Inhalt (›A‹) von etwas (›x‹) ausgesagt. »X ist die Bezeichnung des Unbekannten, das im Urteil als A bestimmt wird.« 95 Zwar reflektiert Frank an anderer Stelle auch über die Bedeutung der Kopula »ist« und versteht sie ähnlich dem Ansatz von J. Maréchal als Seinszuschreibung, die transzendental entfaltet werden kann. 96 Grundsätzlich lässt sich der Kern der frankschen Argumentation aber auch gemäß prädikatenlogischer Notation durchführen (unter Verzicht auf Darstellung der Kopula, etwa in der Form ›F(x)‹, wobei ›F‹ für den Inhalt steht, der von etwas (›x‹) ausgesagt wird): Wird ›etwas‹ (›x‹) im Vollzug der Abgrenzung von Transzendentem als »dieses und kein anderes« auf einen Begriff gebracht, konstituiert sich erst der Denkinhalt (›A‹) durch die vollzogene »Beziehung des Unterschiedes«. 97 Der Vollzug der Unterscheidung ist nach Frank nichts anderes als die Funktionsweise des »Prinzip[s] der Bestimmtheit«, 98 welches in der Anwendung des »Identitätsprinzips« (Es gilt, dass A = A), des »Nicht-Widerspruchsprinzips« (Es gilt nicht, dass A und nicht-A) und des »Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten« (Es gilt, dass entweder A oder nicht-A) besteht. 99 Der Erkenntnisbegriff ergibt sich in der vollzogenen Abgrenzung demzufolge dadurch, dass ein ›Dieses‹ (A) gegenüber einem ›Anderen‹ (nicht-A) abgesondert wird. So folgt eine »Bestimmung« (entsprechend dem Spinoza zugeschriebenen Dictum »omnis determinatio est negatio« 100) dem »Gesetz der NegaDU, 46. GdW, 105 f. 95 GdW, 106. 96 Siehe LW, 271–275, im Vergleich zu Maréchal 1947. 97 DU, 54. 98 DU, 77; vgl. LW, 199. 99 Vgl. GdW, 272–276, DU, 76 f., LW, 198 f. und RM, 180 f. 100 Das »Omnis« findet sich bei Spinoza (50. Brief an J. Jelles vom 2. 6. 1674) nicht, 93 94
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
tion. Es lautet: x (das Gedachte) wird durch Negation in die korrelativen gesonderten Teile A und non-A zerlegt.« 101 Frank moniert aber sogleich, dass der Sinn der Bestimmung nicht in einer einfachen Teilung aufgeht. Vielmehr steht »non-A« zwar im Akt der abgrenzenden Unterscheidung als »korrelativer Teil« zu »A« und drückt somit »in sich den gesamten Rest des Denkbaren aus«. 102 Aber damit diese Unterscheidung zwischen beiden überhaupt möglich wird, ist der »Komplex«, »der A und non-A umfaßt«, 103 stets vorauszusetzen. Als »das einheitliche Prinzip für beide«, kann das »Gesetz der Bestimmtheit« auf den beide umfassenden Komplex selber »nicht angewandt werden«, weil er »die Bedingung des Gesetztes der Bestimmtheit ist«. 104 Er stehe zwar in einem »Verhältnis der Ähnlichkeit« zu den Teilen, sei aber als ›Ganzheit‹ vor jeder Teilbeziehung grundsätzlich nicht abgrenzend in Form eines Inhalts (ob nun als ›A‹ oder ›non-A‹ oder ihre äußerliche Zusammenfügung in einer bestimmten Relation ›R‹) fassbar. 105 In diesem der Abgrenzung vorausgehenden – und somit prinzipiell jeder Bestimmung vorausliegenden und dadurch – an sich Transzendenten erkennt Frank das ›x‹, welches bestimmt werden soll. Es ist das Unbekannte, welches durch die Unterscheidung zwar auf den Begriff gebracht werden soll. Aber mit jeder vollzogenen Bestimmung bleibt das »Moment x […] erhalten«, 106 weil sich der Inhalt bleibend auf es bezieht. Denn nur »in Bezug auf dieses x« 107 hat der Erkenntnisinhalt laut Frank seinen Sinn, d. h. wenn er tatsächlich ein Inhalt des zu bestimmenden Unbekannten ist. Darin besteht die grundsätzliche »Dualität von Gegenstand und Inhalt«, welche im Urteil »x ist A« (bzw. F(x)) seinen Ausdruck findet. 108
sondern erst in Hegels Jacobi-Rezension aus den Heidelberger Schriften (NuHS, 434) und in seiner Seinslogik (WdL I, 121). Vgl. dazu Coreth/Schöndorf 2008, 81 sowie Jaeschke/Arndt 2012, 602. 101 GdW, 274. 102 Ebd. 103 GdW, 276. 104 Ebd. 105 Vgl. GdW, 280–287. 106 GdW, 345 f. 107 GdW, 346. 108 Ebd. Siehe auch GdW, 320: »Der Begriff bezeichnet den Gegenstand und bedeutet seinen Inhalt, der Inhalt ist nur denkbar als Inhalt eines gewissen Gegenstandes, also in Bezug auf diesen Gegenstand.«
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
»Wissen ist Urteilen, und jedes Urteil hat seinen letzten Sinn in der Formel ›x ist A‹, in der der Inhalt die Funktion des unbekannten Gegenstandes x ist und x die Grundlage und Sanktion des Inhalts.« 109
Folglich steht das als ›A‹ bestimmte ›x‹ im Urteilsergebnis nie in Form eines isolierten ›A‹ da. Es bleibt vielmehr immer ein innerlicher Verbund »Ax«. 110 In ihm ist »die Einheit der ersten Bestimmtheit mit dem Unbestimmten« ausgedrückt, 111 aus der sich weitere Bestimmungen und Bestimmungszusammenhänge erschließen lassen. Nur weil das Unbekannte durch keine Bestimmung je restlos erschöpft wird, sondern sogar in den Bestimmtheiten selbst stets erhalten bleibt, ist es Frank zufolge möglich, dass mehrere Inhalte von einem Gegenstand (»Ax, Bx etc.«) ausgesagt bzw. dass auch logische Verbindungen zwischen Inhalten (»x ist A, Ax ist B, daher gilt x ist B etc.«) hergestellt werden können. 112 Für ein konkretes Ding klingt das vielleicht nicht abwegig, weil es in bestimmter Weise von einem jeweils begrenzten Standpunkt aus begriffen weiterhin unbekannte Aspekte hat. Aber Frank geht viel weiter. Jeder Inhalt verbleibe in der Verbindung mit Unbekanntem, ja, er bestehe nur in dieser. Dazu gehören ihm zufolge auch die logisch-mathematischen Inhalte, weil auch sie sich nur in der abgrenzenden Verbindung zu Anderem denken lassen, indem sie ein ›Dieses‹ gegenüber und in Verbindung mit ›Anderem‹ sind. Ferner haben sie diesen differenzierten Zusammenhang miteinander nur darin, dass sie als solche Inhalte des Unbekannten sind. Und dieses Unbekannte durchdringt sie stets weiter, sonst könnten wir sie weder synthetisch noch analytisch entfalten. Weil sie als abstrakte »Inhalte« stets »im Zusammenhang mit anderen Inhalten oder als Glieder umfassenderer (wenngleich natürlich idealer) Komplexe« bestehen, lassen sie sich also doch auch »nur mit Hilfe des Schemas ›Ax ist B‹« erklären. 113 Beispielsweise geht der mathematische Gehalt der ›4‹ eben nicht restlos darin auf ›2 + 2‹ zu sein, sondern enthält in sich die Möglichkeit auch ›4 � 1‹ sowie ein bestimmter Teil von ›8‹ oder ›16‹, ein ›Element der natürlichen Zahlen‹ usw. zu sein. So sind abstrakte Zusammenhänge nicht weniger im »Urteil« durch Unterscheidung konstituierte 109 110 111 112 113
GdW, 125. Vgl. auch GdW, 105 f. wie auch DU, 45 f. GdW, 99 f. sowie GdW, 346. GdW, 101. GdW, 350. GdW, 122.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
»begriffliche Bestimmtheiten«, die das »Eindringen« in ein Unbekanntes ›x‹ voraussetzen, 114 auf dessen Grundlage sie ihre jeweils bestimmte Bedeutung im Zusammenhang mit anderen Inhalten erst erhalten. Dass es Anderes als Unbekanntes selber unablässig gibt, auf welches wir im Vollzug des Erkennens ausgerichtet sind, erweist sich deshalb als notwendige Voraussetzung, als »Möglichkeitsbedingung jeglicher Erkenntnis«. 115 Nur weil jede Bestimmung auf dem Hintergrund des Unbestimmten getroffen wird und mehr noch auch als Bestimmung selbst von dem Unbestimmten weiterhin durchdrungen wird, ist jede anfängliche und weiterführende Bestimmung von Inhalten möglich. Der Inhalt »A« ist immer »Ax« auf dem Hintergrund des im Bestimmungsprozess vollzogenen Urteils »x ist A«. 116 Der Frage nach etwas schon Bestimmtem (›Was ist A?‹), die zur Weiterbestimmung (›Ax ist auch B, C, D …‹ bzw. ›(x) Ax Bx …‹) führt, geht ferner als Bedingung der Möglichkeit die Grundfrage ›Was ist x?‹ voraus. Denn bei jedem schon gegebenen Inhalt handelt es sich um einen bereits geschehenen Bestimmungsprozess. Entsprechend lassen sich komplexe abstrakte Zusammenhänge aufdecken, weil der bestimmte Gehalt durch seine inhärente Verbindung mit dem Unbekannten auch in sich weitere Differenzierungen ermöglicht. Wie zahlreich die Bestimmungen aber auch sein mögen, erschöpft sich nach Frank das ›x‹ niemals. Es bietet stets weitere Möglichkeiten inhaltlicher Abgrenzung, sodass er sagen kann: »Alles, was erkannt und bekannt ist, hört damit nicht auf, für uns ein unergründliches Geheimnis zu sein.« 117 Damit wird nicht nur die prinzipielle Unvollständigkeit jeder bestimmenden Erkenntnis behauptet, derzufolge nur Annäherungen an einen vollständigen Ausdruck des wahren Sachverhalts möglich sind. 118 Darüber hinaus wird auf diese Weise das zu bestimmende Unbekannte (›x‹) als solches – als ein noch nicht-bestimmtes und niemals restlos bestimmbares Transzendentes – als einzig wahrhaft Immanentes entdeckt. 119 Denn egal welchen Inhalt ich auch sehe oder denke, wie groß ich ihn mir auch vorstellen mag, immer ist es gewiss, 114 115 116 117 118 119
GdW, 123. DU, 46. Vgl. GdW, 101. DU, 65. Vgl. GdW, 337. Vgl. GdW, 208 und DU, 47.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
dass es ihm gegenüber ein ›Mehr‹ gibt, das unbekannt bleibt. Zugleich ist dieses unbekannte ›Mehr‹ nicht nur ein ›noch nicht erkannter Inhalt‹. Jeder mögliche Inhalt gewinnt seine Bedeutung allein auf dem Hintergrund seiner Verbindung mit dem Unbekannten als solchen, dessen Inhalt er darstellt. Egal wie komplex die Inhalte sind, wie zahlreich ihre Verbindungen und wie präzise ihre Abgrenzungen auch sein mögen, immer besteht die Bedeutung des Gehalts doch nur darin, dass es eben Inhalte dieses Unbekannten sind und bleiben, das sich als solches einer restlosen Bestimmung entzieht. Im untrüglichen Wissen um die allgegenwärtige Anwesenheit des prinzipiell als solches Unerkennbaren beruht nach Frank schließlich die Einsicht der »docta ignorantia«. 120 Wie ist es aber möglich, ›das Unbekannte‹ überhaupt als solches zu erkennen, wenn Erkennen als Prozess der Bestimmung doch das Unbekannte voraussetzt und ihm in jeder getroffenen Bestimmung gleichsam immer hinterherrennt? In dieser von Frank auch als »Transzendenzproblem« 121 bezeichneten Frage nach dem Transzendenzbegriff verbirgt sich gleich zweierlei Bedeutung: zum Ersten der Begriff von einem »von der Erkenntnis unabhängige[n] Sein der Gegenstände« 122 und zum Zweiten weiterhin der »Begriff« der Unabhängigkeit von der Erkenntnis, also der »Transzendenz« selber. 123 Ersteres ist die Frage nach der Referenzmöglichkeit unseres Erkennens, d. h. ob es einen erkenntnistheoretischen Grund dafür gibt, an der Möglichkeit eines Erkenntnisrealismus festzuhalten. Die Ablehnung eines ›naiven Realismus‹, nach welchem Inhalte passiv rezeptiv in ihrem wahren Gehalt einfach vorgefunden und aufgenommen werden, und die Betonung eines in seiner Annäherung doch letztlich stets inadäquaten Bestimmungsprozesses legen eine antirealistische Möglichkeit nahe. Sind unsere Begriffe vielleicht nur unsere selbstkonstruierten Vorstellungen von einem unbegreifbaren Ding an sich nach kantischer Art? Woher wüsste man dann jedoch überhaupt, ob es sich um eine Annäherung handelt, wenn es doch keinen Vergleichsmaßstab zwischen subjektivem Begriff und Objektiver Wirklichkeit gäbe? 120 121 122 123
Vgl. LW, 171 f. und 267. Vgl. DU, 79–82. Siehe den Titel des gleichnamigen Aufsatzes in LW, 161–191. LW, 161. LW, 168.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Mit dem bereits aufgewiesenen Transzendieren können diese Fragen beantwortet werden: Das Bewusstsein wird von Frank gerade nicht als ein ›geschlossenes Gegenüber‹ zum zu erkennenden Sein betrachtet. Nur unter der Annahme der Trennung des Erkenntnissubjektes vom Erkenntnisobjekt wird die Bezugsmöglichkeit ihm zufolge überhaupt zum Problem. In der aktiv-bestimmenden, über seine eigenen Grenzen hinausgehenden Ausrichtung auf das Unbekannte, kann Frank hingegen die Möglichkeitsbedingung der Erkenntnis in der realen Anwesenheit des unbekannten Seins selber phänomenologisch und transzendental aufweisen. An dieser Stelle wird jene bereits im ontologischen Argument (Abschnitt III, 2) angesprochene Anwesenheit des Seins als solchen (nicht als fertig Bestimmtes, sondern jeder Bestimmung Zugrundeliegendes) im Lebendigen Wissen zum Maßstab der Referenz. Als Übereinstimmung von Denken und Sein (gemäß der »adaequatio intellectus et rei« 124) ist sie als den Bestimmungsprozess leitende Vorgabe des Transzendierens dem Erkennenden in seinem Erkennen immanent. Der Erkenntnisprozess ist selbst ein Transzendieren auf etwas Anderes hin im Sinne der Partizipation am Sein. 125 Die das Transzendieren zum Ausdruck bringende Formulierung des »Grenzenlosen in der konkreten Form des Begrenzten« 126 kann in diesem Zusammenhang von ihrer erkenntnistheoretischen Seite noch einmal bestätigt werden: Wenn die Konstitution eines begrifflichen Urteils durch die Unterscheidung vollzogen wird, in der ein ›Dieses‹ von ›Anderem‹ abgegrenzt wird, ist ›Anderes‹ nicht nur mit jedem Inhalt immer vorauszusetzen, so, dass es weitere Bestimmungsobjekte geben muss. Vielmehr impliziert die Einsicht der docta ignorantia gerade die Notwendigkeit eines prinzipiell Anderen, das als unausschöpfbar Bestimmbares jeder bestimmenden Objektivierung voraus in allem anwesend ist. Unser Erkennen ist dementsprechend seinem Wesen nach ein »potentielles Haben der Unendlichkeit« im Sinne eines unabschließbaren »Fortgangs« der Bestimmungen, ein »Sein in der Form des Werdens, des Seinkönnens, des Strebens und der Verwirklichung«. 127 Es ist in selbstevidenter Weise das Überschreiten jeder Bestimmung und besteht selbst geradezu in einem realen 124 125 126 127
Vgl. LW, 169. Vgl. LW, 167 und RM, 164 f. DU, 204 und 207 f. LW, 183 f.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
›Weg-von-zu‹ – im Transzendieren über jeden Einzelinhalt hinaus. Als solches ist das Erkennen aber nie etwas Begriffenes, kein Erkenntnisgegenstand oder abstrakter Gehalt, sondern ein selbstdurchsichtiges Erleben des eigenen Begreifens. Insofern verbindet sich die docta ignorantia als Einsicht in den Prozess der Bestimmung mit dem Lebendigen Wissen des eigenen Seins. Sie ist nicht lediglich ›Unwissen‹, sondern verstehendes Erleben oder Lebendiges Wissen, das uns in der Unbegreifbarkeit doch den Realismus verbürgt – in einem Wissen um unser Nichtwissen, das im unhintergehbar realen Vollzug gegenwärtig ist. »Da hier Subjekt und Objekt zusammenfallen, oder genauer: da es hier eigentlich weder das eine noch das andere gibt (das eine wie das andere wird erst in nachträglicher Reflexion und durch den sprachlichen Ausdruck eingeführt), ist hier das gelehrte, wissende Nichtwissen zugleich ein nichtwissendes Wissen. Sofern es Erfahrung, Erleben, Selbstoffenbarung des Seins als des Unergründlichen ist, ist es ein Nichtwissen, das aus sich selbst, aus seinem eigenen Element, aus der Tiefe des Unergründlichen, mit dem es zusammenfällt, sein Wissen seinsmäßig schöpft.« 128
Der zweite Aspekt des Transzendenzproblems enthält die an dieser Stelle für die Einsicht der docta ignorantia bedeutungsvolle Frage nach dem ›Begriff des Unbegreifbaren als solchen‹. In ihm zeigt sich die ganze Schwierigkeit einer mit dem Begriff »Metalogik« 129 charakterisierbaren Intention. Denn der Begriff ›Metalogik‹ erregt in doppeldeutiger Weise Anstoß. Einerseits stellt ›Meta-Logik‹ ein ›Nachdenken über die Funktionsweise des rationalen Denkens‹ dar; andererseits – und dies ist die schwierigere Bedeutungsnuance – wird dadurch beansprucht, ›etwas über den Bereich rationalen Denkens Hinausgehendes‹ zu erschließen. Der erste Aspekt ist die Einsicht der transzendentalen Reflexion der docta ignorantia, die zum Lebendigen Wissen führt. Der zweite Aspekt ist die mit der coincidentia oppositorum bezeichnete metalogische Seinseinheit, welche Frank mit dem Begriff des Antinomischen Monodualismus zum Ausdruck bringt. Die unabdingbare Voraussetzung für ein rechtes Verständnis 128 DU, 197. Vgl. auch DU, 57–59; insb. 59: »[D]ieses Wissen um die eigene Unwissenheit ist das spezifische Merkmal jedes wirklichen Wissens.« Neben dieser cusanischen Reminiszenz zeigt sich zudem eine gewisse Nähe zur Hegelschen Begriffsentwicklung, welche sogleich noch einmal aufzunehmen sein wird. 129 Vgl. GdW, 289–293, LW, 200 sowie DU, 73–83.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
dessen, was mit Letzterem gemeint ist, ist der Weg über die docta ignorantia. Ohne die Einsicht des belehrten Nichtwissens ist die Behauptung des ›Zusammenfalles der Gegensätze‹ oder einer ›letzten metalogischen Einheit‹ über die Maßen missverständlich, wenn nicht gar schlechthin falsch. Nahe läge dann etwa, sie als »Selbstausschaltung der Ratio« zum Zwecke eines »irrational-unmittelbare[n] Verhältnis[ses] zum Absoluten« 130 zu interpretieren. Es ist notwendig zuerst zu hinterfragen, was überhaupt mit ›Rationalität‹ gemeint ist, um im zweiten Schritt deutlich zu machen, auf welche Weise und auf was hin sie überstiegen werden soll. Die Rationalität des durch die Unterscheidung gewonnenen Wissens der begrifflichen Inhalte beruht nach Frank auf der Anwendung der »Denkgesetze«. Darunter versteht er wie gerade angesprochen das »Prinzip der Identität (A ist A)«, das »Prinzip des Widerspruchs (A ist nicht nicht-A)« und das »Prinzip des ausgeschlossenen Dritten (das, was nicht nicht-A ist, ist A)«. 131 Zusammen bilden sie das »Bestimmtheitsprinzip« 132 bzw. das Prinzip der ›Rationalität‹. Dabei ist das die begriffliche Form konstituierende »Instrument« die Negation. 133 Dass jedes ›Erkennen‹ sich notwendig durch Bestimmung mittels der Negation vollzieht, erweist die »ungeheure Macht der Negation«, wie Frank unter Bezug auf Hegel sagt. 134 Man kann gleichsam nicht an ihr vorbeigehen. Wollte man etwas nicht negieren, so täte man es doch damit sogleich. Wurde das Sein selbst bereits als »Unbestimmtes«, »Unbegreifbares« oder auch »Nichtgegebenes«, »Unbekanntes«, »Transzendentes« bezeichnet, zeigt sich nun die missliche Lage deutlich: Als auf Negation beruhende Glieder einer Unterscheidung sind diese Bezeichnungen offensichtlich ebenfalls rationale Begriffe, deren Wesen in der abgrenzenden Beschränkung (De-finition) besteht. Die gesuchte letzte Einheit des Seins ist damit genauso verfehlt wie durch die Kennzeichnung mit positiven Begriffsbestimmungen. Man könne nun zwar in eine »potenzierte Negation« übergehen, die den Charakter begrifflicher Bestimmtheit erneut negiert, indem man etwa behauptet, das Sein liege »jenseits der Grenzen der Negation«, weil die Negation hier
130 131 132 133 134
Cohn 1965, 217. RM, 180 f. Fn. 6; vgl. auch LW, 198 f. und 268 sowie DU, 76 f. und 154–156. LW, 199. Vgl. DU, 77. DU, 154 f. DU, 155.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
»nicht anwendbar« sei. 135 Man entkommt der Negation dadurch offensichtlich dennoch nicht. Die einzige Lösungsmöglichkeit besteht laut Frank darin, die Negation nicht zu beseitigen, sondern sie vielmehr anzuerkennen. Die Anwendung der Negation auf sich selbst in der »Negation der Negation« dürfe nicht versuchen, die Negation fortzuschieben, sondern müsse sie ihrer Funktion gemäß als Bestimmung der Negation – ähnlich der »bestimmten Negation« Hegels 136 – begreifen: »Die Negation der Negation ist die positive Einsicht in Grund und Sinn der Negation.« 137 Diese Einsicht in das Wesen der Negation eröffnet schließlich den Sinn der ontologischen Differenz: Ist in der Anwendung der Negation auf sich selbst ihre abstrahierende Funktion klar geworden – dass sich durch sie notwendig eine Unterscheidung ergibt, die jeweils ein ›Dieses‹ im Gegensatz zu einem ›Anderen‹ begreift und dadurch das Begriffene mit der Abgrenzung vom Anderen beschränkt –, wird auch die eigentliche Intention der »potenzierten Negation« deutlich. Sie besteht darin, »jene Beschränktheit zu korrigieren oder zu beseitigen, welche in der jeweils niedrigeren Negation beschlossen ist.« 138 Die eigentliche Absicht ist also nicht, die Negation loszuwerden, sondern sie in ihrer Abstraktheit zu überwinden. 139 Damit ist in erster Linie gemeint, dass ihre ausschließende Bedeutung als »Zurückweisung des Falschen« 140 in ihrer Radikalität revidiert werden muss. Nicht ein irgendwie gearteter Ausschluss aus dem Sein ist demgemäß ihr Sinn, sondern die »Feststellung von Gegensätzlichkeit« im Sinne der Zuweisung des rechten Platzes »im Rahmen des Seins« durch grenzziehende Unterscheidung. 141 So ergibt sich durch die Negation »die Differenziertheit des Seins« in ihrer »positiven ontologischen Struktur«. 142 Nach Frank ist das Ergebnis, dass das Sein selbst jede Negation als reale »negative Beziehung« in sich umfasst. 143 Ferner gilt, dass es 135 136 137 138 139 140 141 142 143
Ebd. WdL I, 49. Vgl. auch PhG, 57: »das bestimmte Negative«. DU, 158; vgl. auch RM, 175. DU, 163. Vgl. DU, 167 und RM, 175. DU, 164. DU, 165. DU, 164 f. DU, 165. Vgl. RM, 172 und 181.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
keine vollkommen isolierten Inhalte oder Gegenstände der Wirklichkeit geben kann. Jedes gegebene »Etwas ist nur dadurch ein bestimmtes Etwas, weil es über sich hinausweist.« 144 Weil es seinem realen Gehalt nach – als Seiendes (als Partizipialform des Seins) – ein Transzendierendes ist, ist es in seiner Teilhabe am Sein unablösbar mit dem Ganzen des Seins verbunden. Was das genau bedeutet, wird im nächsten Abschnitt näher ausgeführt. Zuvor ist nur noch zu betonen, dass mit der durch die bestimmte Negation gewonnenen ontologischen Differenz zwei Einsichten verbunden sind, die nur prima facie gegenläufig scheinen. Einerseits ergab sich die Abstraktheit jeder rationalen Erkenntnis, weil gegenüber dem transzendierend Seienden in seiner steten Verbindung mit Unbekanntem jeder Begriff ungenau bleibt. Keine irgendwie geartete Summe von Begriffen ist in der Lage, das Sein als solches wie auch das Seiende exakt zu erfassen. Jedes rationale metaphysische System hat deswegen lediglich modellhaften Charakter. Andererseits darf die rationale Erkenntnis nicht entwertet werden. Die ›Denkgesetze‹ bzw. das ›Prinzip der Bestimmtheit‹ ist nicht außer Kraft gesetzt oder aufgelöst. Es wurde kein Gegensatz zur Rationalität legitimiert. Ein solcher Gegensatz könnte ohnehin nur durch Anwendung der Negation, d. h. aufgrund der Gültigkeit der Denkgesetze, gewonnen werden. Im Gegenteil enthüllten sich die Denkgesetze »als Seinsgesetze, als Strukturprinzipien des Seins selber«. 145 »Inhaltlich« gibt die rationale Erkenntnis das Sein also durchaus wieder, allerdings nur soweit es mit seiner »schematischen Struktur« übereinkommt. 146 Allerdings kann seine ›trans-de-finite Lebendigkeit‹ nach Frank niemals adäquat mit Begriffen erfasst werden, weil sie als ontologischer und erkenntnistheoretischer Grund im stets transzendierenden Vollzug jeder Unterscheidung vorausgeht – sowohl hinsichtlich der einheitlichen Grundlage des Vollzugs der Negationsbestimmung in jeder aktiven Unterscheidung als auch hinsichtlich der notwendig fortdauernden Anwesenheit des zu erkennenden Unbekannten. Deshalb ist jedes bestimmte System von Inhalten nach Frank lediglich ein »rationalisierter«, gleichsam »kristallisierter, oberflächlicher und in fertiger Faktizität erstarrter Teil der
LW, 181. LW, 207. Vgl. zur Frage der Ontologisierung der Denkgesetze auch Szombath 2004, 93–95. 146 LW, 207. 144 145
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
lebendigen Realität« 147 – aber auch nicht weniger. Die Einsicht der docta ignorantia ist also das rational begründete Wissen um die Funktionsweise und Begrenztheit der Rationalität, in dem sich das vernünftig Seiende selbst als Bestimmendes erlebt, als reales Vollziehen der Rationalität. Ein Hinausgehen über die Grenzen der Rationalität kann dementsprechend nicht bedeuten, einen Bereich von Denkinhalten ›über‹ dem Bereich des Rationalen zu entdecken. Sofern etwas ein Denkinhalt ist, gehört es zum Bereich des rational Erfassbaren. Da jeder Gegensatz eine Bestimmung durch Negation ist, kann es auch keinen Gegensatz zum Bereich des Rationalen geben, denn dieser wäre als solcher nicht weniger rational (selbst wenn man ihn als Bereich des Irrationalen oder dgl. bezeichnete). Gibt es also ›das Transrationale‹ oder ›Metalogische‹ eigentlich gar nicht? Als »Blick auf die allgemeinen Bedingungen der Gegenständlichkeit« 148 sieht Frank darin das Nachdenken ›über‹ die Rationalität in der transzendentalen Reflexion. Doch wohin gelangen wir mit der dadurch gewonnen Einsicht? Frank antwortet auf diese Frage, dass es ein ›Transrationales‹ zwar nicht als ›transzendenten Inhalt‹ jenseits der Rationalität gebe. Vielmehr sei eben »das Transzendentale« erreicht, welches einen »Grenzbereich« darstelle, den man nie als direkten Gegenstand des Denkens haben könne, sondern nur indirekt wie eine »Atmosphäre«. 149 Im Gegensatz zur rational-gegenständlichen Erkenntnis, die versuche, das »Rätsel des Seins« durch inhaltliche Bestimmungen zu lösen, wodurch sie zwar die Inhalte der Realität durchaus erfasst, aber nicht die Realität selber als solche, ist das »transzendentale Denken« ihm zufolge eine »immanente Selbsterkenntnis, eine später, nachträglich, logisch formulierte Rechenschaft in der sich uns – im Durchgang durch das Rational-Logische – immanent offenbarenden transrationalen Realität.« 150 Welche Konsequenzen aus dieser Einsicht für die Ontologie zu ziehen sind, ist im Folgenden in Bezug auf das Verhältnis der Seienden zueinander und zum Sein im Ganzen zu klären.
147 148 149 150
RM, 190. DU, 168. DU, 172. DU, 173 [Übersetzung geändert, D. St.]. Vgl. RM, 185.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
b)
Ein Holismus der Seienden
Das Transzendieren der Seienden über sich hinaus ist vom Unmittelbaren Selbstsein im Lebendigen Wissen (Abschnitt II, 1) ausgehend in seiner ontologischen Evidenz (Abschnitt II, 2) dargestellt wie auch erkenntnistheoretisch (in Abschnitt II, 3a) begründet worden. Auf diesem Hintergrund ist nun der wechselseitige Bezug der Seienden zueinander zu erörtern. Eine auf endliche Entitäten als Objektive Wirklichkeit beschränkte ontologische Konzeption ist mit der Annahme des Transzendierens genötigt, ihr ontologisches Begriffsschema essenziell zu erweitern. Seiende können nicht mehr bloß als statisch nebeneinander liegende Dinge aufgefasst werden, die lediglich äußerlich in bestimmten Verhältnisrelationen stehen, für sich aber unabhängig von diesen Beziehungen in eigenständiger Weise existieren. Dies entspräche etwa einem vulgären Aristotelismus, der eigenständige Substanzen mit ihren akzidentellen Attributen annähme. Dabei würde die Relation zudem das schwächste, für das Wesen der Substanzen vernachlässigenswerteste Attribut darstellen. 151 Frank kennzeichnet ein solches ontologisches Begriffsschema als oberflächlich und zieht wegen der Einsicht in die Realität des Transzendierens ein holistisches Verständnis des Seienden vor. Er begreift den transzendierenden Bezug der Seienden als interne Relationen (»innere gegenseitige Verbundenheit« 152) und erschließt dadurch ihr Verhältnis zum Sein im Ganzen. 153 Im Zuge dessen ist die grundlegende ontologische Verhältnishaftigkeit jener Beziehungen, als durch Negation bestimmte Unterscheidungen, genauer zu hinterfragen. 151 Ganz in Franks Sinne kritisiert Weissmahr 1991, 96 ff. (zur Relation besonders ebd., 163–167), die »klassische Wesensmetaphysik« der hochscholastischen Aristotelesrezeption und hebt die fundamentale ontologische Bedeutung der Relation »als die Einheit oder Identität der Verschiedenen« für die Seienden hervor (ebd., 133–135). Sein Fazit entspricht Franks Verständnis der »Realität« als transzendierendes Sein der Seienden: »Jedes Seiende ist, insofern es mit sich selbst identisch ist, eine bezogene Substanz (eine »substantia relata«), und jedes Seiende ist, insofern es mit anderem identisch ist, eine Selbstand habende, d. h. subsistente Beziehung (also eine »relatio subsistens«). Deshalb ist das absolute Sein die absolut bezogene Substanz der absolut subsistenten Relationen.« (Ebd., 169) 152 RM, 156. 153 Vgl. RM, 156 f. und 187. In Stammer 2013, 25 f., und Stammer 2014 habe ich diesbezüglich auf die Nähe zum Begriff der Prehensionen bei Alfred N. Whitehead hingewiesen.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
Gewöhnlich, so Frank, wird zwar die Meinung vertreten, dass »Negationen und die durch sie ausgedrückten Unterscheidungen als nicht zum konkreten objektiven Inhalt gehörig zu betrachten« 154 sind. Die Negationen mittels derer Entitäten voneinander unterschieden werden (»ein solches ist nicht ein anderes« 155) scheinen nur ein »formales Instrument unseres Denkens« 156 darzustellen. Demgemäß würde niemand behaupten, dass es zum »inneren, konkreten positiven Inhalt« etwa des Wales gehört, »kein Fisch« zu sein. 157 Das hat laut Frank seinen Grund jedoch nur darin, dass die Entität bereits vorab durch die begriffliche Erkenntnistätigkeit zu einem Objekt gegenüber dem restlichen Sein abstrahiert wurde. Aber die Möglichkeit auch dieser Unterscheidung (dass der Wal sich unabhängig vom Fisch begreifen lässt) beruht auf einer letzten Einheit des Seins, welche »ihre Gliederung« als »eigene immanente Struktur« enthält. 158 Mit anderen Worten: Nur weil Wal und Fisch sich in einem der Erkenntnis vorausgehenden realen Seinsverhältnis zueinander befinden, kann dieses überhaupt nachträglich sinnvoll mit den Mitteln der Begrifflichen Erkenntnis zum Ausdruck gebracht werden. Ursprünglich und eigentlich steht jedes Objekt als Teil der allumfassenden Einheit des Seins also gerade so in Beziehung zum »es umfassenden Ganzen, […] daß, was sich außerhalb seiner befindet, sein Wesen nicht in geringerem Maße konstituiert, als das, was zu ihm selbst gehört.« 159 RM, 158. DU, 155 f. Frank beruft sich auf das cusanische Non aliud; vgl. auch GdW, 276 f. Fn. 9. 156 RM, 158. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 RM, 158. Vgl. dazu, in beeindruckender Form den Holismus der Seienden einschließend, auch Henrici 1978, 27 f.: »Ein Faktum ist immer ein Ganzes und auf das Ganze bezogen. Es kann nicht bloß zur Hälfte oder unvollkommen der Fall sein; es ist der Fall oder es ist nicht der Fall. Wenn es aber der Fall ist, dann ist die ganze Reihe seiner Vorbedingungen vollständig durchlaufen. Darum lässt sich ein Faktum nie ›aus-denken‹, durch Denken oder Rechnen nachkonstruieren. Was dabei herauskäme, wäre immer nur ein Modell des Faktums, das abstrakt und daher bis zu einem gewissen Grade allgemeingültig bleibt, während das Faktum letzt-konkret und höchst einzeln ist. In dieser seiner konkreten Einzelheit (›dies und nichts anderes ist der Fall‹) ist das Faktum dennoch nicht isoliert. Das Weltganze ist nicht ohne dieses eine Faktum, und dieses eine Faktum ist nur im Weltganzen. Dadurch, dass es der Fall ist, steht es nicht nur gleich zu allem anderen, was auch der Fall ist und war und sein wird; es drängt sich auch durch sein bloßes Der-Fall-Sein allem anderen, was der Fall sein will, zur Berücksichtigung auf. ›Wenn ein Kind seinen Schnuller aus der Wiege wirft, wa154 155
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Das gegenständliche Begriffsschema der Objektiven Wirklichkeit als Summe von Entitäten mit bloß äußerlichen Relationen ist dadurch zugunsten einer »Vielheit der einzelnen Elemente als eine[r] gleichsam verflochtene[n] oder sich gegenseitig durchdringende[n] Vielheit […], d. h. als Vielheit in einer sie umfassenden und durchdringenden Einheit« 160 überwunden. Indessen kann diese Einheit nach Frank kein weiteres Seiendes im Sinne einer äußerlich hinzugefügten Menge, Summenrelation oder dergleichen sein. Es bedürfte sonst abermals (ad infinitum iterierend) einer weiteren übergeordneten Verbindung. 161 Die Einheit kann also selbst nicht im Gegensatz zur Vielfalt der Seienden gedacht werden. Sie ist als interne Relation vielmehr ein den einzelnen Entitäten zugrundeliegendes Sein, das doch andererseits wesentlich über sie hinausreicht, sie miteinander verbindet und sie dadurch selber konstituiert. So ist der Holismus der Seienden nicht einfach eine äußerliche Summe der sich voneinander unterscheidenden Entitäten. Mit anderen Worten: Das ›Sein als Ganzes‹ geht nicht darin auf, ein miteinander verknüpftes Netz von Seienden zu sein. Frank bringt hingegen die »primäre Bedeutung« des Seinsbegriffes folgendermaßen zum Ausdruck: »Die Realität ist jene primäre, gemeinsame Atmosphäre, in die eingetaucht zu sein und der zuzugehören jeden Inhalt zu einem seienden macht, ihm den Charakter der Objektivität (im weiten Sinne des Wortes) verleiht. Objektivität ist nichts anderes als Verwurzelung in der Realität.« 162
Der Begriff »Realität« wird von Frank dem Begriff des »Seins« zumeist vorgezogen, weil es seines Erachtens »eine unwillkürliche und unausrottbare Neigung gibt, das Wort ›Sein‹ im Sinne des Seins von etwas, das ›an sich‹ und ›unabhängig von uns ist‹ zu verstehen«, 163 d. h. als Objektive Wirklichkeit bzw. Menge von Seiendem. Dementgegen betont der Begriff der Realität nach Franks Ansicht vor allem ckelt der Sirius‹, und wenn die Nase der Kleopatra kürzer gewesen wäre, wäre die Weltgeschichte anders gelaufen.« 160 RM, 157. 161 Vgl. GdW, 277–288. 162 RM, 167. 163 DU, 147; vgl. auch RM, 218, in Bezug auf die Realität als schöpferisches Transzendieren bzw. »Leben«: »Eben deshalb ziehen wir das Wort ›Realität‹ dem Wort ›Sein‹ vor, da man unter Sein gewöhnlich etwas zu verstehen pflegt, was als etwas Fertiges und in diesem Sinne Unbewegliches und Verfestigtes dem ›Werden‹ entgegengesetzt ist.«
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
die »Konkretheit und lebendige Fülle«. 164 Das Verhältnis zwischen Sein und Seiendem soll so vor einem fundamentalen Missverständnis bewahrt werden. Die franksche Intention kann derart gefasst werden, dass den Seienden jeweils ein aktiv-dynamisches Sein eignet, das eine wechselseitig-konstitutive Teilhaberelation zum Sein als solchen ausmacht. Dieses Sein begründet sie jeweils als selbständige aktiv Seiende und ermöglicht ihnen als ihr gemeinsamer Seinsgrund den Bezug auf die anderen Seienden. Man kann also sagen: Das einzelne Seiende ist einerseits nicht verschieden vom Sein selbst. Im Gegenteil wird das menschlich Seiende in seinem Unmittelbaren Selbstsein von Frank mit dem Begriff aus Aristoteles’ »De Anima« als »in gewisser Weise alles« 165 aufgefasst. Andererseits korrigiert er jedoch sofort, dass dies nicht schlechthin Identität bedeute. Das Seiende sei zugleich »nicht alles, sondern nur ein einzelnes«. Es sei »›Alles‹ – die All-Einheit des Seins – als einzelnes genommen«. 166 Auf diese Weise begreift Frank das Seiende, ganz im Geiste des Nikolaus von Kues, als kontrahiertes Absolutes: »es [das Absolute] kontrahiert gleichsam, geht in sich selbst und gerade in dieser geminderten, komprimierten Seinsform – nur als eines unter vielem anderen – hat es sich, ist es Sein-für-sich oder Selbstsein«. 167 Was kann das aber bedeuten? Das endliche Seiende ist weder mit 164 Ehlen 2009, 72; vgl. auch Ehlen 2004, 24. Auch hier darf wieder der Einfluss von Fichte auf Frank vermutet werden, wenn jener in seiner Wissenschaftslehre von 1804 einen »Begriff der Realität« entwickelt und diesen als »absolutes inneres Leben des Lichtes« dem Sein als »Objektivität« gegenüberstellt, welches nur »ein in sich beschlossenes, darum todtes Fürsichbestehen und Aufsichberuhen« ist (WissL, 95 f.). Frank nennt explizit Fichte und Hegel als diejenigen, welche »die eigentliche alles umfassende Realität – jenseits der Grenzen objektiver Wirklichkeit [entdeckt]« haben (RM, 144). Vgl. zum Anschluss Franks an Fichte auch Ehlen 2004, 47: »Jedes begriffliche Wissen ist, wie Frank mit Fichte sagt, ›Nachkonstruktion‹ des Verstandes; es bietet bestenfalls ein dem Irrtum ausgesetztes flaches ›Spiegelbild‹ der ›lebendigen Konkretheit‹ der Realität.« 165 DU, 204, in Bezug auf De anima, 431b 20 (die Stelle aus dem Buch III, Abschnitt 8 von Περὶ Ψυχῆς lautet in der Übers. v. W. Theiler 1959, 62: »[…] daß die Seele gewissermaßen die Gesamtheit der Dinge ist.«). 166 DU, 204. 167 DU, 204 f. [Übersetzung korrigiert, D. St.]. Schon in GdW, 241, stellt Frank dem zweiten Teil zum Verhältnis zwischen All-Einheit und Bestimmtheit folgendes Cusanus-Zitat (aus Docta ign., II, cap. 9) voran: »Forma rerum non sunt disctinctae, nisi ut sunt contracte. Ut sunt absolute, sunt indistincta, quae est verbum in divinis«. Vgl. zur cusanischen »Lehre von der contractio« Volkmann-Schluck 1968, 52–59.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
dem absoluten Sein identisch noch von ihm verschieden. Heißt das nicht schlussendlich, vor der gestellten Aufgabe der Verhältnisbestimmung zwischen Sein und Seiendem zu kapitulieren? Ist Ontologie nicht vielmehr alternativlos beschränkt auf die Kategorien der Identität und Differenz – davon abgeleitet Monismus, Dualismus und/oder Pluralismus? 168
c)
Das Sein als Einheit von Einheit und Vielheit – der Antinomische Monodualismus
Das philosophische Denken Simon Franks bleibt in allen seinen Hauptwerken – von der erkenntnistheoretischen Grundlegung in »Der Gegenstand des Wissens« (1915) über »Das Unergründliche« (1936) bis zu »Die Realität und der Mensch« (1950) – bei der Frage nach dem Verhältnis von Sein und Seiendem konstant dem Gedanken treu, dass das Sein nicht rational vom Seienden verschieden aber auch nicht rational mit ihm identisch erklärt werden kann. Hingegen argumentiert er durchgehend mit der dargestellten transzendentalen Reflexion auf das Unterscheidungsverhältnis für eine »metalogische Einheit« von Einheit und Vielheit. 169 Von Anfang an ist Nikolaus von Kues ihm dabei der Gewährsmann für die dahinter stehende Einsicht des »belehrten Nichtwissens« (docta ignorantia) und des »Zusammenfallens der Gegensätze« (coincidentia oppositorum). 170 168 In diesem Sinne deutet Gläser 1975, 161 f., die folgende Lösung Franks als ontologiefremde Integration »anthropologischer Begriffe«, als letztlich »unausgereifte Kombination von Ontologie und Personalismus«. 169 Vgl. GdW, 289–293, sowie DU, 73–97, und RM, 180–191. 170 Vgl. GdW, 276 f. Fn. 9, 289–293, insb. 288 f. Fn. 19 und 291 f., DU, 141–143, 154– 184, 341, sowie RM, 179–191. Vgl. auch Ehlen 2004, 45–49. Damit kann Rörig 2010, 59–86, ausdrücklich widersprochen werden, wenn sie wie bereits angemerkt (vgl. Anm. 7) die Einheitlichkeit der Grundpositionen in den Hauptwerken Franks bezweifelt und bruchhafte Übergänge zu entdecken meint: von einem frühen »Monismus« im »Gegenstand des Wissens« (ebd., 60) zum »Monodualismus« in »Das Unergründliche« (ebd., 68) sowie schließlich hin zu einem »Dualismus« im Spätwerk »Die Realität und der Mensch« (ebd., 76). Während der Vorwurf des Monismus gegen Franks Denken nicht nur in Bezug auf seine frühen Werke häufiger erhoben wurde, was noch genauer zu erörtern ist (siehe Abschnitt V, 4), erscheint der Dualismus-Verdacht überraschend (lediglich in Bezug auf Franks frühe idealistische Phase, in der er die Unterscheidung zwischen Bewusstsein und Realität überbetonte, wurde ein Dualismus von Swoboda 1992, 510, festgestellt, der jedoch schon versöhnende Tendenzen beinhaltet, welche in GdW mit dem Lebendigen Wissen Ausarbeitung fanden). Al-
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
Die Grundfrage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit spiegelt für Simon Frank zugleich die (in Abschnitt III, 3a dargestellte) Problematik der »Überwindung der Abstraktheit des Begriffs« wieder. 171 Wenn das Seiende von seiner Verwurzelung in der Einheit des Seins losgelöst als Objekt begriffen wird, ist es bloß ein abstrakter Gegenstand unserer Erkenntnis. Seine wahre Fülle, konkrete Lebendigkeit, oder anders gesagt: eben das Sein des Seienden, besteht dagegen nur in der aktiv-teilhabenden Verbindung mit der Einheit des absoluten Seins – im realen Vollzug des Transzendierens. Genauso wie das Seiende in seiner Vielheit sich unterschieden vom Sein in einen abstrakten Verstandesinhalt verwandelt, ist vice versa die Einheit des Seins nicht im Unterschied zu den Seienden begreifbar. Obwohl diese Einheit des Seins doch allem Anschein nach etwas anderes ist als die vielen Seienden, heißt eine Unterscheidung, sie »den partikularen, logischen bestimmten Inhalten entgegensetzen, […] sie vielmehr gerade dadurch unwillkürlich auf einen partikularen, logischen bestimmten Inhalt reduzieren.« Mehr noch: Als der Unterscheidungsgegensatz zu jeglichem bestimmten Inhalt wäre sie »etwas völlig Form- und Inhaltsloses« – letztlich würde dieses »grenzenlose und unbestimmte ›alles‹« zu einem »nichts«. 172 Franks Argument gründet auf den Überlegungen zum Wesen des Begriffs. Er weist sowohl auf eine »gewisse Analogie zur Hegelschen Dialektik« 173 wie auch auf die »logische Seite« der »Denkweise« der »Negativen Theologie« 174 hin. Letztere behaupte die »absolute« Andersartigkeit Gottes gegenüber jeder positiven Bestimmung. Oblerdings beruht Rörigs Verdacht anscheinend lediglich auf wissenschaftlichen Ungenauigkeiten: Rörig 2010, 78–82, zitiert den Absatz RM, 182, nicht bis zum Ende, sondern unterschlägt mit dem unmittelbar nächsten Satz, die klare Widerlegung ihrer ersten Dualismusthese: »Diese beiden verschiedenen Bedeutungen der Realität sind nur ihre beiden untrennbar miteinander verknüpften Momente, in deren Verbindung […] gerade die unteilbar-ganzheitliche, wahrhaft konkrete Einheit der Realität als solche zum Ausdruck kommt.« Ebenso kann im Hinblick auf RM, 275 und 394, sowie LiF, 247, welche eine Entfaltung des schon in GdW, 406, angelegten cusanischen Gedankens der panentheistischen Einheit von Schöpfer und Schöpfung darstellen, nicht von einem »Dualismus […] zweier absoluter Instanzen« (Rörig 2010, 86) in Bezug auf »Gott« und die »Realität« die Rede sein. Siehe dazu auch Abschnitt V, 4. 171 DU, 163. 172 RM, 181. Vgl. auch DU, 160. 173 DU, 162. Ausführlich zum Verhältnis Frank und Hegel siehe Kline 1996, 213–229; vgl. auch die Ähnlichkeit betonend Szombath 2004, 63 f. Siehe zu Franks Hegelinterpretation auch Anm. 180. 174 RM, 173; vgl. auch Frank 1936.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
wohl dabei jede inhaltliche Aussage negiert wird, liegt das Bestreben der negativen Theologie nach Frank aber nicht darin, auf die »Inhaltsleere«, sondern im Gegenteil auf die positive Überfülle Gottes hinzuweisen. 175 Weil jedoch die stets aus der endlichen Welt gewonnenen positiven Bestimmungen gegenüber der Fülle Gottes immer eine abstrakte Verarmung bedeuten, sind sie »als partikuläre und abgeleitete Bestimmungen« 176 zu negieren: »Die negative Theologie läßt sich von der Intuition leiten, daß das Wesen Gottes als erster Ursprung und Grund des Seins überlogisch und überrational ist, und gerade deshalb nicht in einer logischen Bestimmung erfaßbar, welche nur hinsichtlich partikularer und sekundärer Seinsinhalte sinnvoll ist. Der Sinn der Negation aller positiven Bestimmungen besteht darin, uns eine Vorstellung der kategorialen Verschiedenheit Gottes von jeglichem Sein, das uns durch irdische Erfahrung zugänglich ist, zu vermitteln.« 177
Der damit ausgedrückte metalogische Impetus darf nun nicht derart missverstanden werden, dass etwas »absolut abgesondert Transzendentes« behauptet wird, 178 dem gegenüber lediglich ein mystisches Schweigen geboten wäre. Die Anwendung der Negation würde solcherart auf irreführende Weise zu einer Trennung – zu einer abstrakten Verschiedenheit – führen, die ihrerseits zu negieren wäre. Vielmehr bedarf es nach Frank der ausgeführten Reflexion auf die Bedeutung der Negation, um die Problematik genauer zu erkennen. Diesbezüglich treffen sich die Intentionen der negativen Theologie mit denen der hegelschen Dialektik. Beide sehen in der Negation das »Moment, das die logische Form des Wissens konstituiert«. 179 Beide gelangen durch die bestimmte Negation zur Überwindung der Abstraktheit des Begriffs. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass beide in ihrer Intention auch einseitig fehlinterpretiert werden können. Die spekulativ-mystische Philosophie des Nikolaus von Kues zielt mit der coincidentia oppositorum genauso wenig auf ein die Rationalität ausschließendes Aufgehen im Einen, wie man andererseits die Dialektik Hegels nicht auf eine bloß andauernde Fortbestimmung reduzieren kann, in der 175 176 177 178 179
Vgl. RM, 173 f. RM, 174. Ebd. [Hervorhebung D. St.]. Ebd. RM, 175.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
von einer These über die Antithese zur Synthese geschritten wird, welche wieder als neue These dient usw. 180 Das ›mystische Nichts‹ der Bestimmungslosigkeit auf der einen Seite und die ›schlechte Unendlichkeit‹ endloser Bestimmungen auf der anderen haben vielmehr eine vermittelnde Alternative in der recht verstandenen Einsicht der docta ignorantia: als Wissen um die Begrenztheit des Begriffs und dadurch um die über jeden abstrakten Begriff hinausgehende Realität des Transzendierens, die im Lebendigen Wissen in jedem Bestimmungsvollzug unmittelbar selbstevident ist. So wird ein Vergleich der Bestrebungen Hegels und Franks möglich, der beide nicht vereinseitigend zu kurz kommen lassen muss. Vielmehr zeigen sich verblüffende Parallelen zwischen Hegels »absolutem Begriff« bzw. der »absoluten Idee« und dem Ziel des über die coincidentia oppositorum erlangten Antinomischen Monodualismus. 181 180 In diesem Sinne interpretiert auch Frank Hegels Dialektik als »potenzierte Negation«, deren Ergebnis als bloße »Synthese« zugunsten des »Transrationalen« zu überwinden sei (DU, 184). Dagegen verwahrt Hegel die dialektischen Methode explizit vor einem »unendlichen Progreß« (WdL II, 567 f.) und betont, dass stattdessen »jeder Fortgang im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben« ist und ferner »das rückwärtsgehende Begründen« und »das vorwärtsgehende Weiterbestimmen […] ineinanderfällt« (WdL II, 572). Auch ist der Unterschied zwischen dem Verstandes- und dem Vernunftdenken zu beachten (vgl. EnzW, 179). Es darf vermutet werden, dass die Interpretation Franks durch eine marxistische Hegel-Lesart bedingt ist, mit welcher Frank früh in Berührung kam (vgl. Boobyer 1995, 8 f., 29); Kline 1996, 230, Fn. 27, führt es allgemein auf die popularisierte Lesart von Marx’ »Das Elend der Philosophie« (1946) zurück. Im Vergleich der Hegel-Lesart Trendelenburgs mit Franks Kritik an Hegel liegt es nahe, Frank die in Russland verbreitete Trendelenburg-Interpretation zuzuschreiben. Vgl. dazu etwa Schmidt 1977, 17–19, in Gegenüberstellung zu LW, 202 (noch polemischer LW, 52), betreffend den frankschen Vorwurf eines »Panlogismus« (»›Erzeugen‹ durch das ›reine Denken‹«) gegen Hegel; insbesondere bzgl. des Punktes der dialektischen Fortentwicklung siehe Schmidt 1977, 47 f., in Gegenüberstellung zu DU, 160–163, 184. Eine Frank nahe Interpretation der hegelschen Dialektik, die zudem transzendentalpragmatische Aspekte bei Hegel entdeckt, gibt Weissmahr 2006, 161–167. 181 Vgl. zum komplexen Verhältnis von cusanischer Koinzidenzlehre, hegelscher Dialektik und Franks Antinomischem Monodualismus Szombath 2004, 98–105, sowie kritisch Rörig 2010, 133–136 und 152–158. Die Nähe der Intentionen des Cusaners und Hegels kann schon in der Bezeichnung des cusanischen »Non aliud« als »conceptus absolutus« (Non aliud, cap. 20, n. 94) gesehen werden. Diese begriffliche Ähnlichkeit ist nicht nur oberflächlich. Noch an zwei weiteren Stellen des cusanischen Werkes erscheint sie auch inhaltlich in verblüffender Nähe zum hegelschen Denken: »Solus per se seu absolutus conceptus est actu omnis conceptibilis conceptus.« (De poss., n. 40) »Nam absolutus conceptus aliud esse nequit quam idealis forma omnium, quae
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Die im ontologischen Blick auf die letzte Seinseinheit entstehende Problematik der Vermittlung zwischen Identität und Differenz lässt sich nicht durch eine Unterordnung von einem unter das andere auflösen. Identität und Differenz stehen bei genauer Betrachtung in einem wechselseitigen Bestimmungsverhältnis und sind unabhängig voneinander nicht denkbar. Entsprechend sind beide Versuche – einerseits die Einheit des ›Seins als solchen‹ im Unterschied zu seinen seienden Inhalten, andererseits die Vielheit der Seienden im Unterschied zum ›Sein als Ganzem‹ begreifen zu wollen – gleich unmöglich. In beiden Fällen ergäbe sich ein abstraktes Extrem, das seine Bedeutung nur im Unterschied – und das heißt in der Beziehung zum anderen – hat. Dadurch wird erkenntlich, dass die Stufe der rational-abstrakten Inhalte so nicht überstiegen wurde. Weil die letzte Beziehungseinheit jeden Unterschied in sich enthält, kann sie selber durch keinen rationalen Begriff gefasst werden. Will man dennoch versuchen, sie logisch zum Ausdruck zu bringen, ergibt sich nach Frank dabei die Form eines »antinomischen Wissen[s]«. 182 Die gegensätzlichen Bestimmungen werden nicht aufgelöst, sondern im hegelschen Sinne »aufgehoben« (d. h. bewahrt und auf eine neue Stufe gehoben), worin entsprechend das »Zusammenfallen« der coincidentia oppositorum besteht. 183 In diesem Kontext ist nachdrücklich zu betonen, dass der Antinomische Monodualismus, auch wenn ihn Frank als einzig angemessenen »ontologischen Standpunkt« bezeichnet, 184 gerade keine rationale oder irrationale Auflösung der ontologischen Frage bedeutet. Die »transrationale Einheit« als »›Schweben‹ zwischen und über« den Gegensätzen begrifflich-rationaler Bestimmungen, welche durch den Antinomischen Monodualismus angezeigt werden soll, ist kein starrer Begriff, den man auf philosophische Anfragen unvermittelt concipi possunt, quae est omnium formabilium aequalitas.« (Idiota sap. II, n. 34) Andersherum gipfelt Hegels Bestimmungsfortgang der dialektischen Methode, die kein abstrakt lineares Forschreiten bedeutet, sondern in der »das rückwärtsgehende Begründen des Anfangs und das vorwärtsgehende Weiterbestimmen desselben, ineinanderfällt und dasselbe ist«, in die »absolute Idee«, die er »erfülltes Sein« nennt, welches »als die konkrete, ebenso schlechthin intensive Totalität« verstanden wird (WdL II, 570–573). 182 RM, 181. 183 Vgl. DU, 178–180, wie auch im personalen Kontext DU, 257, wo Frank explizit mit dem Begriff des »Aufhebens« Bezug auf Hegel nimmt. Vgl. zu Letzterem WdL I, 113 f. 184 DU, 183.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
zur Antwort geben könnte. 185 Es ist keine fertige Wahrheit, mit der gleichsam alles gesagt wäre, wenn man sie dem Namen nach kennt. Der Antinomische Monodualismus gewinnt seine Bedeutung vielmehr nur in der Einsicht der docta ignorantia. Dass die wechselseitige Bezogenheit von Einheit und Vielheit eine sie begründende Einheit voraussetzt, die selbst sich dem begreifenden Erkennen entzieht, kann in der Reflexion auf das Erkennen begriffen werden. Die Zurückweisung der ständigen Versuchung des begrifflichen Denkens, in einer der rational-gegensätzlichen Bestimmungen stehen zu bleiben oder die Gegensätze in »einer einfachen, verschmolzenen und undifferenzierten Einheit« 186 aufzulösen, anstatt sie aus ihrer Beziehungseinheit mit dem Gegensatz hervorgegangen zu verstehen, bleibt dabei eine stete Herausforderung. Frank stimmt in diesem Zusammenhang Cusanus zu, dass es »eine große Sache« ist, »sich in der Verbindung des Gegensätzlichen festmachen zu können«, weil es »zwischen« und/oder »über« diesen beiden Seiten – der Differenz einerseits und der Identität andererseits – keine rational bestimmbare »Mitte« gibt. 187 Als »antinomische Einheit von Identität und Verschiedenheit, von Fülle und Absonderung« kann sie nach Frank – wenn überhaupt – nur in einem »überlogischen Verhältnis« zum Ausdruck gebracht werden. 188 Versucht man es auf eine »abstrakt-symbolische Formel« zu bringen und »[bezeichnet] die Realität mit A und alles übrige, d. h. alle partikularen Inhalte, als B«, ergibt sich: »A = A + B, so paradox dies auch aus der Sicht der gewöhnlichen, logisch-mathematischen Form unseres Denkens erscheinen mag.« 189 Die letzte Einsicht der »metalogische[n] Überwindung der Negation als Zurückweisung beider Glieder der Alternative« von Identität und Differenz führt auf diese Weise zu einer letzten »Einheit von Sonderung und Verschmelzung (gegenseitiger Durchdringung).« 190
185 DU, 179 f. Zur Problematik, die Dialektik der docta ignorantia als ›antinomische Aussagen‹ zu bezeichnen, vgl. Ehlen 2009, 148. 186 DU, 182. 187 DU, 180 sowie ebd. Fn. 55: »Magnum est posse se stabiliter in cuniunctione figere oppositorum.« (De ber., cap. 22, n. 32 [die Hrsg. von »Das Unergründliche« zitieren ungenau; Stellenangabe korrigiert, D. St.]). 188 RM, 184. Vgl. auch RM, 189, und DU, 182 f. 189 RM, 184. 190 DU, 182; LW, 279.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Damit gelangt Frank erkenntnismetaphysisch argumentierend zu einer ontologischen Grundposition, die ihr Pendant im anthropologisch-theologischen Rahmen mit der Formulierung des Konzils von Chalcedon hat, welche die Einheit von Mensch und Gott in der Person Jesu Christi als »ungetrennt und unvermischt« bezeichnet. 191 Diese ist aber nicht einfach unvermittelt übernommen oder logisch ungerechtfertigt als »neue Kategorie« aus der Anthropologie in die Ontologie eingeführt. 192 Hingegen ist sie das konsequente Ergebnis des transzendentalen Überstiegs. Von ihm aus wird begründet einsehbar, dass die »Realität« nicht als ein »extensives Ganzes« gefasst werden kann, »das alles bloß von außen her in sich vereinigt«. 193 Sie zeigt sich stattdessen über das belehrte Nichtwissen als »eine Einheit, die ihre Teile so von innen her durchdringt, daß sie – in größerem oder geringerem Ausmaß – in einem jeden von ihnen als Ganzes, d. h. in ihrem wahren Wesen anwesend ist.« 194 Das bedeutet, jedes einzelne Seiende wird in seinem eigenen Sein so begründet, dass es »in größerem oder geringerem Maße – Teilhaber an der Realität als solcher« ist und dadurch von ihr her »Ursprünglichkeit«, »Eigenständigkeit und Selbstverständlichkeit« gewinnt. 195 Nur dergestalt kann dann auch wieder der Begriff der »Substanzialität« eingeführt werden, insofern die einzelnen Seienden (mit der chalcedonischen Formel gesprochen) ›ungetrennt-unvermischte‹ Teilhaber am Sein als solchen und so »nichts anderes als die Äußerung des überlogischen Wesens der Realität gleichsam an einem Ort oder einer einzelnen Instanz des Seins« sind, wodurch ihnen »der ganze primäre Charakter des überlogischen Wesens des Seins […] auf abgeleitete Weise« zukommt. 196 Damit ist eine Seinsstufung verbunden, weil es Frank zufolge unterschiedliche »Grade« der Teilhabe des Seienden am Sein gibt. 197 191 Eigentlich wörtlich: »in zwei Naturen unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt« (in duas naturas inconfuse, immutabiliter, indivise, inseparabiliter) (DH, 302). 192 Vgl. Gläser 1975, 161 f. Gegen Gläser ist auf DU, 409–414, und RM, 289 f., hinzuweisen, welche systematisch erst sehr viel später, jeweils auf dem Hintergrund der erkenntnismetaphysischen Vorarbeiten, Bezug auf die anthropologisch-theologische Verwendung nehmen. 193 RM, 186. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 RM, 187. 197 RM, 217: »Die sittliche Erfahrung gibt eine der offensichtlichsten Bestätigungen
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
d)
Ein erläuternder Exkurs: Der Antinomische Monodualismus und die analogia entis
Zur vertiefenden Erläuterung der Einsicht lässt sich die antinomische ›Schwebe‹ in einen Bezug zur ontologischen Analogielehre stellen. Frank meidet zwar diesen expliziten Bezug – und er äußert sich über die Bedeutung der Analogielehre insbesondere bei Thomas von Aquin beiläufig eher geringschätzig. 198 Es gibt jedoch keinen Grund, ausgehend von dem eher oberflächlichen und generell negativen Urteil Franks über Thomas von Aquin 199 den systematischen Gehalt der Analogielehre schlechterdings im Vergleich mit Franks Denken abzuweisen. An anderer Stelle hebt Frank zudem sogar ausdrücklich den »tiefe[n] Sinn der Methode der Analogie – der analogia entis« hervor und sieht darin die gestufte Teilhabe der Seienden in unterschiedlichem Seinsmaße, welche bei aller individuellen Unterschiedenheit ihren letzten gemeinsamen Einheitspunkt gerade in der »Unergründlichkeit« ihres Ursprunges trägt. 200 Es ist anzunehmen, dass (neben der persönlichen Abneigung gegen das in seinen Augen rational-dogmatische System thomanischer Scholastik) auch die in der Philosophiegeschichte breit geführten Diskussionen um den Analogiebegriff Frank dazu verleitet haben, diesen als gewissermaßen vorbelasteten Begriff nicht zu gebrauchen. Mit Blick auf die vielfältigen Diskussionen, denen hier nicht im Detail nachgegangen werden für das Vorhandensein von Realitätsstufen – für die Möglichkeit qualitativ verschiedener Seinsformen, in denen sich ein größerer oder geringerer Grad der Festigkeit, Fülle, Tiefe, Rechtmäßigkeit oder ›Begründung‹ der Realität zeigt.« Dass ausgerechnet die »sittliche Erfahrung« Frank als Bestätigung dient, hängt vom primären Zusammenhang des Sollens- mit dem Seinsbegriff bei ihm ab, worauf Ehlen 2009, 162– 183, ausführlich eingeht. Der Einwand des ›naturalistischen Fehlschlusses‹ im Sinne eines Verstoßes gegen das ›Humesche Gesetz‹ der grundlegenden Sein-Sollens-Dichotomie (vgl. Treatise, 233–246) ergibt sich indes nicht, weil dieser lediglich eine Gleichsetzung des faktischen Seins (= empirisch konkrete Objektive Wirklichkeit) mit dem unbedingt Gesollten kritisiert. 198 Vgl. RM, 237 Fn. 6. 199 Vgl. insbesondere das vernichtende Urteil über Thomas in GdW, 487 Fn. 56. Siehe zur Thomas-kritischen Haltung Franks auch Ehlen 2004, 111–113. 200 DU, 359–361. Vgl. zur Nähe der thomanischen Seinsanalogie Ehlen 2009, 196– 198 und 204 f., sowie Ehlen 2004, 112. Wucherer-Huldenfeld 2014, 169 f., sieht den Sinn der analogia entis als »ontologische Analogie« ebenso darin, dass sie »jeweils ein einzigartiges Teilhabeverhältnis [bezeichnet]« als je individuelle Partizipationsweise des Seienden am »Unergründliche[n]«; an anderer Stelle (Wucherer-Huldenfeld 2011, 373) bezieht er diesen Ausdruck explizit auf Frank.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
kann, sieht man jedoch am Analogiebegriff genau jene Problematik des Verständnisses des Antinomischen Monodualismus. Im Gegenzug sind Franks Überlegungen auch für die Analogielehre verständnisfördernd. Dies soll kurz skizziert werden, um das für den Fortgang der Überlegungen notwendige Verständnis des Antinomischen Monodualismus zu befördern. Wenn etwa W. Pannenberg in seiner umfassenden »Untersuchung zur Geschichte der Analogielehre« zu dem Ergebnis kommt, dass »›analoges‹ Reden« notwendig »ein univokes Element einschließen muss, wenn es überhaupt etwas besagen soll«, 201 verhilft die Gegenüberstellung der frankschen Position zu einem weitergehenden Verständnis. Pannenberg macht seine Position daran fest, dass die Attributions- und die Proportionalitätsanalogie jeweils auf ein erstes univokes Analogatum (bestehend in einem univok ausdrückbaren Kausalverhältnis oder einem Verhältnis von Verhältnissen) gewissermaßen als tertium comparationis zurückbezogen werden müssten, um die Ähnlichkeitsrelation der Analogie zu etablieren. Dagegen kann mit Frank auf die Einsicht der docta ignorantia verwiesen werden: Sucht man durch die Analogie ein univokes Ergebnis im Sinne Begrifflicher Erkenntnis zu erlangen, hat man ihren eigentlichen Sinn verfehlt. Statt die Begrenztheit rationalen Begreifens einzusehen, sich dadurch über sie zu erheben und sich so der vereinfachenden Abstraktionen zu enthalten, würde die Analogie als methodisches Durchgangsstadium hin zu einer neuen – vermeintlich besseren – rationalen Synthese missverstanden. 202 Dementgegen ist das die Analogie fundierende Gemeinsame der Seienden aus einer frankschen Perspektive gerade ihr transdefinites – unergründliches – Sein. Allerdings ist eine solche ›franksche Perspektive‹ in Bezug auf die Analogie unter Franks Interpreten kein Gemeinplatz. Auch hier lassen sich zwei Seiten aufzeigen. Einerseits weist etwa R. Tannert (sich im frankschen Interesse wähnend) die Analogielehre als »problematisch und überflüssig, ein Relikt abbildtheoretischen Begreifens« ab und betont mit Nachdruck die überrationale Einheit des Seins, auf deren Hintergrund »alles Kategoriale präsubtraktiv eins«
Pannenberg 2007, 212. Vgl. Weissmahr 2010, 25, der ganz in diesem Sinne die Attributions- und Proportionalitätsanalogie kritisiert: »In beiden Fällen besteht eine Tendenz, unter den Analogaten ein eindeutiges Moment festzuhalten, weshalb sie immer im Sinne einer Univozität (miss)verstanden werden können.« 201 202
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
sei. 203 Andererseits vermisst R. Gläser gerade bei Frank jene die Tiefe des »unüberbrückbaren Grabens« der »negativen Theologie« einebnende Verbindung des »Bandes der Teilhabe«, welche er in der Analogielehre sieht. Für Gläser besteht der Grund für die vermeintliche Ablehnung der seines Erachtens ontologisch wichtigen Analogielehre in der frankschen »All-Einheitslehre«. Diese würde nach Gläsers Einschätzung sonst unausweichlich in eine »Schichtungsontologie« mit »emanatorischem Charakter« münden. 204 Im ersten Fall wird die Analogielehre abgewiesen, weil sie vermeintlich eine problematische Differenz in die alles umfassende Einheit einbringt. Im zweiten Fall wird die Analogielehre gefordert, um der Differenz gegenüber die Einheit zu wahren. Abgesehen von der berechtigten Anfrage, ob in beiden Fällen sowohl die Analogielehre als auch die Intention Franks wirklich treffend erfasst sind, wird die Bedrängnis einer letzten Entscheidung zwischen Identität und Differenz deutlich. Aber nur wenn man die Problematik nicht unmittelbar auf eine Vorentscheidung zugunsten einer Seite überspringt, sondern sich der Schwierigkeit, sie als solche bewusst machend, stellt, kann der Überschritt über ein abstraktes Vorurteil hinaus in frankscher Intention gelingen. Ist die Univokation als eindeutige Aussage das Extrem der Identität und die Äquivokation als völlige Verschiedenheit der Bedeutungen das Extrem der Differenz, so sind sie im ontologischen Verständnis als Monismus und Dualismus/Pluralismus abstrakt einander gegenübergestellt. Es gibt schlechthin keine rationale Alternative. Allerdings ist mit Franks transzendentaler Analyse der Erkenntnis die Einsicht gewonnen, warum es sich so verhält. Die abstrakte Unterscheidung ist die Form des begrifflich-rationalen Denkens und hat lediglich abstrakte Begriffe als ihre univoken Ergebnisse. Schon das unerfüllbare Erfordernis, völlig getrennte Bedeutungen eines Begriffs für etwas wirklich Äquivokes zu finden, offenbart die grundlegende Problematik: Jeder Begriff besteht doch gerade aus einer Unterscheidung von etwas anderem auf dem Hintergrund einer gemeinsamen Realität, von der er nicht völlig isoliert werden kann. Hiermit ist die
Tannert 1973, 156. Gläser 1975, 155. Ähnlich vermisst auch Slesinski 1996, 210 f., eine explizite Behandlung der Analogielehre bei Frank, allerdings um die seines Erachtens bestehende »große Kluft« zwischen rationalem und Lebendigem Wissen zu überbrücken. 203 204
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
einleitend dargestellte Schwierigkeit wiedergegeben, auf welche die Reflexion zur ontologischen Differenz eine Antwort geben sollte. Ganz der Intention des frankschen Antinomischen Monodualismus folgend betont etwa Karl Rahner diesbezüglich, dass die »Analogie« gerade nicht als »Zwitter zwischen Univokation und Äquivokation« verstanden werden darf, derart dass sie nur ein »nachträgliches Mittleres zwischen« beiden wäre. 205 Stattdessen ist sie in der »transzendentalen Erfahrung« des »Selbstvollzugs« »das Ursprünglichste«, demgegenüber »äquivoke und univoke Aussagen (sosehr sie uns aus unserer Wissenschaft und unserem alltäglichen Umgang mit Erfahrungswirklichkeiten vertraut sind) defiziente Modi jenes ursprünglicheren Verhältnisses sind«. 206 Die Nähe zur dargestellten Einsicht der docta ignorantia und des Lebendigen Wissens ist auffallend, insbesondere wenn Rahner die Analogie als »eine Schwebe« bezeichnet, »die wir selber ursprünglich als geistige Subjekte in unserem Selbstvollzug sind«. 207 Ausgehend von Rahner verfolgt Béla Weissmahr den Sinn der Analogielehre weiter und macht sie zum Zentrum seiner Ontologie. 208 »Abstrakte Begriffe« sind auch ihm gemäß nur auf dem Hintergrund einer »überbegrifflichen Erkenntnis« der jeder Differenziertheit zugrundeliegenden analogen Realität möglich. 209 Diese letzte Einheit wird wie bei Frank so auch von Weissmahr mit antinomischen Begrifflichkeiten zum Ausdruck gebracht, wenn er beschreibt, dass man »die ontologische Analogie selbst stets analog« 210 verstehen muss: »In der Realität und deshalb auch in der überbegrifflichen Erkenntnis durchdringen sich Übereinstimmung (Identität) miteinander und Verschiedenheit (Differenz) voneinander gegenseitig.« 211 Man kann die Bedeutung der Analogielehre also auf franksche Weise als durch transzendentales Denken und Lebendiges Wissen gewonnene Einsicht der »antinomischen Zweieinheit« 212 deuten. Die »untrennbar miteinander verknüpften Momente« von Identität und 205 206 207 208 209 210 211 212
Rahner 1976, 80. Rahner 1976, 80 f. Rahner 1976, 80. Vgl. dazu auch Ehlen 2009, 197 f. Vgl. zum Bezug der Ontologie Weissmahrs zu Frank auch Szombath 2004, 64 f. Weissmahr 1991, 91 f. Weissmahr 1991, 94. Ebd. RM, 183.
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
Differenz werden zum Ausdruck dafür in »einer abstrakt-logisch widersprüchlichen Verbindung« vereint. 213 Gerade dadurch wird kein abstrakter Begriff, sondern »die unteilbar ganzheitliche, wahrhaft konkrete Einheit der Realität als solche« 214 auf metalogische Weise zur Sprache gebracht. Dies konfrontiert das Denken über die coincidentia oppositorum mit sich selbst und fordert es so heraus, sich transzendental auf seine Grenzen zu besinnen, worin die positive Einsicht der docta ignorantia besteht. Sie offenbart einerseits zwar die »Relativität jeglichen Widerstreits und jeder Dissonanz innerhalb des Seins«, 215 ebnet aber andererseits die Differenz dadurch nicht in einer absoluten Einheit ein. Nach Frank gehört der »Widerstreit […] antagonistischer Prinzipien« ausdrücklich zum Sein dazu. 216 Sowohl die »Differenziertheit« als auch die »Eindeutigkeit« machen ihm zufolge die »ontologisch begründete Struktur« aus, sodass »prägnante Unterscheidung, die klare Grenzziehung zwischen dem Differenten, die Verteilung von Heterogenem […] als auch die praktische Anstrengung im Kampf mit allem Illegitimen, das einen ihm nicht zustehenden Platz usurpiert hat«, als zum Sein gehörig anerkannt werden müssen. 217 Außer einer völligen Isolation eines Inhaltes gegenüber allen anderen (absolute »Verschlossenheit und Besonderung des Einzelnen« 218) schließe die Realität nichts aus und löse gleichzeitig auch nichts in sich auf, weil sie als »trans-de-finite« Fülle jegliche Begrenzung als solche in sich bergend begründe und zugleich übertreffe. 219
RM, 182. Ebd. 215 DU, 166. 216 Ebd. 217 DU, 167. Vgl. RM, 185 f. 218 RM, 185. 219 Vgl. DU, 92–97. Eine gewisse Ähnlichkeit zu der von Weischedel geforderten »abschiedlichen Haltung« des »radikalen Fragens« ist feststellbar: »Wenn alles fraglich ist, dann kann man sich an nichts mehr halten, als wäre es ein Gewisses und Beständiges. Wenn ferner die Fraglichkeit ein Schweben zwischen Sein und Nichtsein ist, dann ist gerade die abschiedliche Haltung erforderlich, weil sie selber den Charakter des Schwebens trägt. Sie begibt sich nicht in die scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Seins, sie widersteht aber auch den Verlockungen des Nichtseins; zwischen beiden hält sie sich in der Schwebe« (Weischedel 1983, 256). 213 214
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
e)
Konkrete Beschreibung des Transrationalen als Aufgabe der Philosophie
Die Nähe des Antinomischen Monodualismus zur Analogielehre bestätigt sich abermals und findet eine weitere Erläuterung hinsichtlich der Reflexion Franks auf die Reichweite der Philosophie. Betont Frank einerseits mehrfach, dass die »eigentliche Intention und hohe Bestimmung der Philosophie« darin besteht, das Denken durch die Einsicht in seine Begrenztheit zu überwinden, 220 so gibt er andererseits zu verstehen, dass jenes ›belehrte Nichtwissen‹ doch mehr als ein bloßes ›Unwissen‹ ist. 221 Zwar könne man die transzendentale Einsicht nicht als Wissen um transzendente Gegenstände verstehen, ferner überhaupt nicht als ein Wissen in der Form begrifflicher Inhalte. Dennoch sei sie nichtsdestoweniger ein ›Wissen‹, das in seinem transrationalen Charakter nicht »stumm und unausdrückbar bleiben« dürfe, weil es sonst zugleich »unüberprüfbar, sinnlos und dem Denken absolut unzugänglich« wäre. 222 Solch ein mystischer Trugschluss wäre allein schon deswegen verfehlt, weil dadurch ein rationaler Gegensatz zum Denkbaren erzeugt würde. 223 Man könnte nun monieren, dass ein pyrrhonisches Schweigen möglich bleibt, das sich auch der Beschäftigung mit der Frage nach dem Verhältnis zum Denkbaren enthält, um nicht in performative Schwierigkeiten zu geraten. Die natürliche Konsequenz wäre eine Beschränkung der philosophischen Reichweite auf das rational Denkbare. Alles darüber Hinausgehende wäre vielleicht Religion oder Kunst zugänglich, aber nicht der Philosophie. Letztere hätte dann das Sein als bloß Gedachtes (die Objektive Wirklichkeit) zum einzigen Gegenstandsbereich. Damit ergäbe sich eine Ontologie wie sie im II. Abschnitt dargestellt wurde. Sie geriete jedoch in alle aufgezeigten Schwierigkeiten: Als abstraktes Modell der Wirklichkeit wäre sie lediglich annähernd adäquat (zudem ohne sich dies begründet bewusstmachen zu können) und könnte die DU, 181 f., vgl. auch RM, 179 f. Vgl. beispielsweise DU, 58 f., 157, und bes. 174 f., LW, 267 und 298, sowie RM, 179. 222 RM, 177. 223 Frank betont andernorts, dass »hier alle menschlichen Worte kraftlos [bleiben] – nicht, weil das, was sie ausdrücken wollen, unklar und strittig wäre, sondern im Gegenteil, weil es so ursprünglich, so intim mit unserer Seele verschmolzen, so umfassend und unbedingt notwendig ist, daß es schon nicht mehr genau in Gedanken und Worten ausgedrückt werden kann, die immer nur das Besondere, Abgeleitete, Relative zum Ausdruck bringen.« (MuiG, 41) 220 221
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
zentralen Fragen nach dem Sein als solchen und im Ganzen nicht mehr hinreichend bearbeiten. Bei aller zuzugestehenden methodischen Selbstbeschränkungsmöglichkeit könnte kein Anspruch auf Wahrheit mehr erhoben werden. Die Fragen nach der Seinsweise der (konkreten und abstrakten) Entitäten wie auch nach der Realität des Subjekts und dem Verhältnis von Einheit und Vielheit verlören sich in abstraktionsbedingte Aporien. Als Wissenschaft des bloß Denkbaren hätte eine solche Philosophie ihren realistischen Bezugspunkt verloren und würde sich in begriffsschematischen Formalismen erschöpfen, deren metaphysische Interpretationen über hypothetische Gedankenspiele nicht hinaus kämen. Demgegenüber ist die transzendentale Argumentation mitnichten ein Freibrief, sich erneut altgedienten Redeweisen zuzuwenden, als wäre nichts gewesen. Das Wissen um die Inadäquatheit jedes abstrakten Begriffes soll auch nicht in einen erkenntnistheoretischen Pessimismus führen – etwa mit der relativistischen Überlegung, dass, wenn alles letztlich Inadäquat bleibe, ein Begriff so gut wie jeder andere sei und man eben ins Blaue hinein begreifen müsse. Die transzendentale Argumentation ist bei Frank an das Lebendige Wissen gekoppelt. Das Lebendige Wissen, das wir nicht haben, sondern sind, ist »umfassender […] als unser Denken.« 224 In ihm ist nach Frank das jeden Begriff übertreffende – trans-de-finite – Sein selbst als »Ziel und Maßstab der Erkenntnis« 225 unmittelbar anwesend. Nur weil »das unmittelbare Selbstsein nicht davon zu trennen ist, daß sich in ihm und durch es« die »ursprünglich[e] Selbstoffenbarung der Realität als solcher« 226 ereignet – als ein aktives Transzendieren der eigenen Grenzen –, wird Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht. Allein deswegen, weil das Sein selbst wesentlich sich-selbst-enthüllend bzw. sich-selbst-offenbarend ist, kann unser bestimmendes Begreifen sich in der aktiven Teilhabe an diesem Sein und bezogen auf anderes Seiendes hin vollziehen. Damit ist einerseits eine strenge Richtschnur vorgegeben, die jeden Relativismus zugunsten eines »absoluten Realismus« überwindet. 227 Andererseits ist mit der unmittelbaren Anwesenheit des sich selbstoffenbarenden Seins im Lebendigen Wissen nicht nur die Möglichkeit rationaler Bestimmungen begründet. 224 225 226 227
RM, 177. LW, 97. DU, 272. Vgl. LW, 288 f. Siehe zum »absoluten Realismus« auch Stammer 2015.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Wie R. Gläser feststellt, hat Frank zwar keine explizite Sprachphilosophie entwickelt; dennoch lässt sich bei ihm eine sprachphilosophische Reflexion in nuce ausmachen, die eine über rationale Begriffe hinauszielende »Wort-Theorie« darstellt. 228 Frank nimmt dafür die Einsicht des Antinomischen Monodualismus auf, indem er schreibt, dass »das originäre Wesen des Wortes« nur in der »untrennbaren Einheit« des »Sowohl-Als-auch« und »Weder-Noch« – einerseits in der »Funktion als Gegenstandsbezeichnung« und andererseits in der »Funktion, Gefühle auszudrücken« – besteht. 229 Dies lässt sich wie folgt erklären: Nach Frege stellt die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung (bzw. zwischen Begriffsinhalt und Begriffsumfang/ Referenz) die Semantik eines rationalen Begriffs dar. 230 Der Sinn als intensionaler Gehalt verhält sich antiproportional zur Extension der bezeichneten Gegenstände. Je mehr Entitäten ein Begriff umfasst, umso abstrakter wird er. In diesem Verständnis hat beispielsweise der Begriff ›Apfel‹ eine größere Intension und eine kleinere Extension als der Begriff ›Obst‹. Entsprechend ist dann ›Sein‹ der weiteste und abstrakteste Begriff. Diese Semantik ist allerdings nur die Artikulation einer auf objektive Inhalte und gegenständliches Sein, d. h. auf Objektive Wirklichkeit, beschränkten Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis, wie Franks transzendental-phänomenologische Erkenntnisanalyse gezeigt hat. Dies kann jedoch laut Frank nicht dadurch überwunden werden, sich, gleichsam in das gegenteilige Extrem flüchtend, auf »Interjektionen« als subjektiv-irrationale Äußerungen »emotionaler Zustände in der Begegnung mit [einem] Gegenstand« zu verlegen. 231 Eine gegenübersetzende »Trennung in Subjekt und Objekt bzw. Subjektivität und Objektivität« ist ihm zufolge nur wiederum Ausdruck einer rationalen Unterscheidung. 232 Ihr liegt transzendental erweisbar das absolute Sein (bzw. die »Realität«) zugrunde, wie es sich im Lebendigen Wissen selbst kundtut. Die Bedeutung des Wortes erhält laut Frank nur von der Realität her ihren ursprünglichen Sinn, weil jedes Urteil sich wie gesehen nur Gläser 1975, 158. Vgl. zur Wort-Theorie Franks auch Ehlen 2006a. DU, 375 f. 230 Vgl. Frege 1892. Nebenbei bemerkt ist auch bei Frank mit ›Begriff‹ nicht ein einzelnes Wort gemeint, sondern ein propositionaler Wissensgehalt, der sich grundsätzlich immer in einem Urteil (gemäß der Form ›x ist A‹ bzw. ›F(x)‹) ausdrückt wie unter Rückbezug auf Abschnitt III, 3a anzumerken ist. 231 DU, 376. 232 Ebd. 228 229
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Die ontologische Differenz (das Sein der Seienden)
auf diesem gemeinsamen Hintergrund der Unterschiedenheit konstituiert. 233 Wie die Realität in ihrer absoluten Selbstevidenz nicht von außen begriffen werden kann, sondern sich nur von sich selbst her kundgibt, weil ihr Sein die sich »durch sich selbst erschließ[ende] […] Selbstdurchsichtigkeit« 234 ist, so ist auch der primäre Sinn des Wortes für Frank die auf Kommunikation ausgerichtete Expressivität als »Selbstoffenbarung«. 235 Das Wort ist »›Ausdrucks‹-mittel« in der »›Ausrichtung‹ auf einen Anderen«. 236 Erst sekundär davon abgeleitet – und, wie man weiter ausführen könnte, auch niemals restlos unabhängig von dem primären Sinn – ist das Wort ein auf das Haben von Inhalten gerichtetes Begreifen. 237 Demgemäß hat das »menschlich[e] Wort« seine »vollwertig[e] Bedeutung« in der »Poesie«, welche Frank zufolge »weder eine begrifflich abstrakte Bestimmung oder ›objektive Beschreibung‹ gegenständlicher Realität ist, noch ein rein subjektives Sichaussprechen«, sondern die »menschliche Offenbarung des Geheimnisses der Urrealität in all ihrer Tiefe und Bedeutsamkeit, die dem ›prosaischen‹ Wort entgleitet.« 238 Die mit dem Begriff ›Poesie‹ verbundene Konnotation gefühlsschwärmerischer Romantik gibt leider häufig Anlass zu Missverständnissen. Es kann nur immer wieder betont werden, dass keine Ablehnung der Rationalität intendiert ist, sondern eine sie bewahrende und auf eine neue Stufe bringende Überschreitung. Entsprechend stellt Frank in der Betrachtung der Poesie den Aspekt der »›Ausdruckskraft‹ der Sprache« heraus. 239 Er gibt zwar zu, dass »Poesie im engen Sinne des Wortes« sich vor allem der »Ausdruckskraft des rein irrationalen Elements im Worte – der unwillkürlichen Assoziation der Ideen, der Bilder, der Emotionen, die sich mit den Nuancen der Bedeutung und selbst mit dem phonetischen Körper des Wortes verbinden, gleichsam mit seiner ›Aura‹« – bedient. 240 Frank setzt diese Seite der Expressivität jedoch von einer weiteren ab, die seines Erachtens »auch der Philosophie zu Gebote steht«: 241 233 234 235 236 237 238 239 240 241
Siehe Abschnitt III, 3a. RM, 142. DU, 226. DU, 226 f. Vgl. DU, 226 f., und LW, 288 f. DU, 376 f. RM, 177. RM, 177 f. RM, 178.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
»Die Begriffe und Gedanken nämlich werden so miteinander verbunden, daß schon in ihrer Zusammenstellung ihre bloß rationale, abstrakte Bedeutung überwunden und die konkrete Realität gerade in dem Aspekt zum Ausdruck gelangt, in dem sie über den Begriff hinausgeht und sich prinzipiell von ihm unterscheidet. Hierin liegt der Sinn dessen, was wir Beschreibung der konkreten Realität im Unterschied zu ihrer logischen Analyse nennen können.« 242
Die Konkrete Beschreibung ist mit der angesprochenen analogen Redeweise vergleichbar. Auf dem Hintergrund der transzendentalen Einsicht in die Begrenztheit jedes auf Unterscheidung basierenden Begriffs wird im Hin und Her die überrationale »Schwebe« zwischen und über den Gegensätzen doch zur Sprache gebracht. Allerdings geschieht dabei keine Inhaltsvermittlung durch ein irgendwie geartetes irrationales Element. 243 Hingegen basiert die Möglichkeit der Konkreten Beschreibung darauf, mit der Sprache die Aufmerksamkeit auf die Selbstkundgabe der Realität als unergründlicher lenken zu können. Es kann also niemand mittels der Konkreten Beschreibung die Realität einem Kommunikationspartner direkt vermitteln. Vielmehr wird in der expressiven Artikulation der Selbstkundgabe der Realität meines Unmittelbaren Selbstseins jene über mich hinausreichende und auch alle anderen in ihrem Sein begründende Realität beschrieben, so dass sie in der Kommunikation mit einer anderen Person auch ihrem Erleben offen stehen kann. 244 Ein zwingender Beweis wird dadurch nicht gegeben, wenn auch die transzendentale Argumentation ein rationales Argument liefert, die begriffliche Einstellung überschreiten zu müssen. Dieser Überschritt kann durch eine 242 Ebd. Im Folgenden wird Konkrete Beschreibung als Terminus außerhalb von Zitaten großgeschrieben. 243 Ehlen 2004, 43–49, und Ehlen 2009, 146–151, bezeichnet die Konkrete Beschreibung als eine »auratische Beschreibung«; damit liegt es nahe implizit auch das irrationale Moment zu akzeptieren. Meines Erachtens geht Frank an dieser Stelle nicht so weit, sondern beschränkt sich gerade in der Absetzung vom irrationalen Moment der Poesie hinsichtlich des Spielraumes der Philosophie auf das zitierte »Element der Ausdruckskraft des Wortes, das auch der prosaischen Rede zu Gebote steht«. Gleichwohl intendiert Ehlen mit der Verwendung des Begriffes ›Aura‹ ebenfalls keine irrationale Erweiterung, die der Rationalität entgegen steht oder als univokes ›Mehr‹ angegeben werden könnte, sondern eine transrationale Erweiterung des »Begriff[s] ›auf unbegrenzte Art‹«, welche »mit dem sonst ›toten Buchstaben Geist verbinde[t]‹«, wie Ehlen mit Bezug auf Kant sagt (Ehlen 2004, 44; Ehlen 2009, 147). 244 Deutlicher wird das expressive Moment im Rahmen des künstlerischen Schaffens genau in diesem Sinne als individueller Ausdruck der unergründlichen Realität selbst beschrieben (vgl. RM, 307 f.).
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›Religiöse‹ Philosophie: Rückbindung an den ontologischen Grund
Konkrete Beschreibung begünstigt, aber nicht vorweg- oder abgenommen werden. Hingegen muss im Nachvollzug der transzendentalen Argumentation der eigene Seinsvollzug in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Die unthematische Vollzugsgewissheit des eigenen Seins kann durch die Konkrete Beschreibung aus den indirekt-abstrakten Überlegungen der Transzendentalphilosophie in konkrete Lebenszusammenhänge gestellt werden, wo sich das »konkret-überlogische Wesen« der Realität phänomenologisch darbietet. Dies sind bei Frank vor allem die Erfahrungen des Unbedingten in der Gemeinschaft, der Sittlichkeit, der Schönheit und der Kreativität, auf welche in ihrer Bedeutung für den Gang der Überlegungen sogleich zurückzukommen sein wird. 245
4.
›Religiöse‹ Philosophie: Rückbindung an den ontologischen Grund
Spätestens seit die Explikation der (Fundamental-)Ontologie Franks in den Antinomischen Monodualismus gipfelte, welcher in seiner Ähnlichkeit zur analogen Redeweise der Theologie herausgestellt wurde, kann die Frage aufgeworfen werden, ob es sich bei dieser Art von Philosophie um eine ›religiöse‹ handelt. Versteht man den Religionsbegriff so, wie ihn Laktanz und Augustinus vom lateinischen Wort »religare« (»zurückbinden«) herleiten, 246 kann dem durchaus zugestimmt werden. Damit ist dann jedoch nicht zugleich jenes Vorurteil bestätigt, welches Frank im Vorwort seiner Religionsontologie antizipiert: dass es sich bei seinem Denken um eine »illegitime und formlose Zwitterbildung zwischen objektiv-systematischer, ›voraussetzungsloser‹ Philosophie und einer aus dem religiösen Glauben geborenen Theologie« 247 handele. Der bisherige Gang der Überlegungen hat gezeigt, dass die ontologische Grundfrage keinerlei dogmatische Inhalte einer wie auch immer gearteten religiös-theologischen Lehrmeinung voraussetzt. Im Gegenteil konzentriert sich die dargestellte Fundamentalontologie ganz und ausschließlich auf ihren Fragegegenstand: das Sein als solches und im Ganzen. Freilich stellt 245 RM, 191. Vgl. zu den Lebensbereichen in RM die Abschnitte II, 3, 4, 5 und 6 und entsprechend in DU den Zweiten Teil, Kapitel 6 und 8. 246 Vgl. Schmidt 2010, 406. 247 DU, 24.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
gerade dieses Sein eine unhintergehbare Annahme dar, die allerdings transzendental begründet und im Lebendigen Wissen erlebt werden kann. Jedoch kann das Sein nach Frank niemals einen bestimmten Gegenstand der Erkenntnis abgeben. Es ist nur durch das eigene (Unmittelbare Selbst-)Sein als solches zugänglich. 248 Deswegen scheidet eine direkte Vermittlung durch einen wie auch immer gearteten Begriff grundsätzlich aus. Entsprechend kann die fundamentalontologische Frage nach dem Sein nur transzendental erschlossen werden. Die notwendige Aufgabe, das Sein durch die Vertiefung in den eigenen Seinsvollzug zu ergründen, bleibt jedoch bestehen. Folglich ist die ontologische Frage immer auch eine zutiefst existenzielle Frage nach dem eigenen Urgrund. Auf diese Weise wird folgende Bestimmung von Frank verständlicher: »[J]egliche Philosophie, die sich selbst und ihren Gegenstand erkennt – von den antiken griechischen Weisen Heraklit, Sokrates und Platon bis zur neuesten Philosophie unserer Tage – ist religiöse Philosophie, ist Suche und vernünftige Begründung der geistigen Urgründe des Seins.« 249
Philosophie ist demgemäß als argumentative und vom existenziellen Vollzug untrennbare Rückbindung an den eigenen Seinsgrund – und damit als ›religiös‹ im weiteren Sinne des Wortes – begreifbar. Das heißt allerdings auch, dass Philosophie so verstanden »niemals in reiner Theorie« oder allein »im interesselosen Begreifen der Welt« ihr Ziel haben kann. 250 Sie erstrebt immer auch, wenn nicht gar in erster Linie, eine »religiös-emotional[e] Sinngebung des Lebens«, wie Frank in Bezug auf die »russische Philosophie« bemerkt 251 (wobei er doch vor allem sein eigenes philosophisches Bestreben zum Ausdruck gebracht haben dürfte). Allerdings ist damit keine irrational-romantische Schwärmerei oder irgendeine Art von Fideismus gemeint. In seiner Beschäftigung mit der religionsphilosophischen Bedeutung Schleiermachers wird Franks Sensibilität für diese Problematik deutlich. Er anerkennt und lobt an Schleiermacher insbesondere, dass dieser »die eigenständige Natur der Religion […] erhellen« will, ohne Vgl. DU, 334 f. SdL, 142 [Hervorhebung D. St.]. V. Hösle nimmt ebenfalls eine gewisse philosophische ›Religiosität‹ in diesem Sinne nicht nur als »mit der modernen Wissenschaft vollständig kompatibel«, sondern als deren wahre »Grundlage« an (Hösle 1997, 211). 250 Jrl, 162. 251 Ebd. 248 249
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›Religiöse‹ Philosophie: Rückbindung an den ontologischen Grund
eine »unklare, verschwommene Identifizierung mit Metaphysik, Moral oder Poesie« vorzunehmen. 252 Vielmehr »markierte er eindeutig die unverletzlichen Grenzen zwischen diesen geistigen Sphären und ihrer weiteren selbständigen Entwicklung« im Bewusstsein, dass »die Religion, die an sich das höchste und absolute Prinzip des geistigen Lebens ist, zugleich doch als eine geistige Funktion zu verstehen ist, die die übrigen geistigen Funktionen nicht verdrängt und nicht mit ihnen verschmilzt.« 253 Was Frank in Bezug auf Schleiermacher über die Religion als Prinzip des geistigen Lebens hervorhebt, lässt sich auf dem Hintergrund der Ausführungen zur ontologischen Differenz auf Franks eigenes philosophisches Fragen übertragen. Es ist auf die einzige letzte Wahrheit gerichtet, welche als höchste und absolute jedem Unterschied prinzipiell voraus liegt. Damit sie aber eine solche sein kann und nicht verkürzt wird, muss sie derart absolut ursprünglich sein, dass sie auch den Gegensatz zwischen Theorie und Praxis, als Grund auch dieser Unterscheidung, überwindet. Wie das Lebendige Wissen sowohl der Erfahrung als auch dem Denken ermöglichend zugrunde liegt – in einer lebendigen Einheit verstehenden Erlebens, oder ontologisch gewendet: selbstdurchsichtigen Seins –, so ist der letzte geistige Urgrund des Seins nicht auf die Begründung nur der rationalen oder der praktischen Seite reduzierbar. Frank führt hingegen aus, 254 dass die philosophische WarumFrage immer mit dem Intentionsziel des letzten Grundes auch »das sinngebende Erstbegründende des Seins« meint. 255 Der Begriff der »Wahrheit« gewinnt somit einen »eminenten, potenzierten Sinn«: 256 Es gehe nicht nur um eine »Erkenntniswahrheit« im Sinne der adaequatio intellectus et rei oder um bloße »Evidenz« als »offenes Vorliegen, Selbstmanifestation und Selbstoffenbarung der Realität«. 257 Ihnen voraus – sie als Begründendes umfassend – liege vielmehr das »an sich Gültige«. 258 Dessen Gültigkeit erweist sich Frank zufolge nicht durch »blinde Notwendigkeit oder Faktizität«, Gewalt oder
252 253 254 255 256 257 258
LW, 102. LW, 101 f. Vgl. zum Folgenden DU, 277–279. Vgl. auch Szombath 2004, 170–172. DU, 334. DU, 333. Ebd. DU, 335.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Zwang. 259 Es sei hingegen letzte Unbedingtheit, deren theoretische Überzeugungskraft und praktisch-ethische Attraktion in ihrem Sein selbst liegen. Diese unbedingte Gültigkeit lässt sich nach Frank mit dem russischen Wort »Pravda« (Правда) in seiner schwer ins Deutsche zu übersetzenden theoretisch-praktischen Doppelbedeutung von »theoretischer Wahrheit« und »Rechtmäßigkeit« auf treffliche Weise als Einheit von Wahrheit und Gutheit im letzten Seinsgrund darstellen. 260 Der Zusammenhang zwischen den beiden Wahrheitsaspekten (dem theoretischen und dem praktischen) und seine Rückführung auf eine letzte »Gültigkeit« kann zudem mit Franks Verständnis der Modalitäten ausgeführt werden. Grundsätzlich unterscheidet Frank »empirische« und »logische« Modalitäten. 261 Diese sind jedoch nicht unabhängig voneinander – sondern letztlich durch eine NegationsBeziehung – bestimmt. »Möglichkeit« bedeutet entsprechend dem logischen Sinn die widerspruchsfreie »Denkbarkeit« von etwas. Als solche ist sie ein »abstrakter Begriff«, der allerdings seine Bedeutung nur aus einer »Beziehung zur Wirklichkeit« erhält. 262 Denn ohne die empirisch verstandene Möglichkeit als »Möglichkeit, sich zu verwirklichen«, 263 bleibt der Sinn einer unrealisierten Möglichkeit unverständlich. Auch wenn die logischen Möglichkeiten im abstrakten Sinne eine über die konkrete Wirklichkeit hinausgehende objektive Bedeutung haben, sind sie von der Empirischen Wirklichkeit nicht vollkommen trennbar. Das »logisch Notwendige« wird demgemäß von Frank als »hypothetischer« Zusammenhang zwischen zwei Inhalten (A ! B) verstanden, der gerade im Unterschied zu allem, was empirisch-faktisch nur kontingent existiert, eine notwendige Bedeutung hat. 264 Andererseits besteht aber die Bedeutung nicht vollkommen unabhängig vom empirisch Faktischen. Denn, ob der logisch notwendige Zusammenhang real besteht, hängt davon ab, ob dem abstrakten Inhalt eine konkrete, faktische Tatsache entspricht. Mag der Zusammenhang als logische Folgebeziehung zwischen A und B DU, 333. DU, 333 f. Vgl. zu »Pravda« bei Frank auch Jrl, 184; vgl. allgemein zur »Wahrheit« als »Pravda/Istina« Haardt 2004, 134 f.; sehr ähnlich entfaltet auch Schmidt 2003, 157–159 i. V. m. 189–194, den frankschen Gedanken auf eigene Weise. 261 Vgl. DU, 133 f., sowie LW, 290 f. 262 DU, 133. 263 DU, 132 f. 264 GdW, 409 f. Vgl. LW, 291. 259 260
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›Religiöse‹ Philosophie: Rückbindung an den ontologischen Grund
auch notwendig sein, so hat er dennoch nur Bedeutung, wenn es prinzipiell eine den Inhalt A erfüllende Entität gibt. 265 Die faktische Tatsache wiederum ist vom logischen Standpunkt aus zwar kontingent. Wenn sie aber vorliegt, ist sie unhintergehbar notwendig existent. Frank bezeichnet sie als »empirische Notwendigkeit«. 266 Noch jeder speziellen modallogischen Semantik voraus argumentiert er damit für eine notwendige Verbindung der epistemischen und der metaphysischen Ebene. Das »Denkbare« und das »Wirkliche« können ihm zufolge zwar nicht einfachhin gleichgesetzt werden. Dennoch müsse die »logische Notwendigkeit« als »Notwendigkeit des Möglichen« und die »Möglichkeit« als »Möglichkeit der Verwirklichung« gedeutet werden. 267 Daraus ergibt sich ein Verweis auf eine tiefer liegende Notwendigkeit, welche die spezifischen Momente empirischer und logischer Notwendigkeit in sich begründet. Die unhintergehbare »Tatsächlichkeit« des »kategorischen« Faktums, welche die höchste Wahrheit für den »Empirismus« ausmacht, und das »apodiktische« Moment eines logischen Zusammenhangs als die »Undenkbarkeit von etwas Anderem«, wie sie der »Rationalismus« anstrebt, müssen Frank zufolge als »Teilmoment[e]« einer »unbedingten oder absoluten Notwendigkeit verstanden werden, außerhalb derer sie im gewichtigen metalogischen (und folglich auch ontologischen) Sinne völlig undenkbar« sind. 268 Die Warum-Frage kann dann zwar einerseits logisch auf die Frage der Einordnung eines Inhaltes in einen »notwendigen Zusammenhang« 269 oder andererseits empirisch auf die Frage nach einem »realen Grund« im Sinne der Einordnung in einen kausalen Wirklichkeitszusammenhang gebracht werden. 270 Doch das eigentliche philosophisch metaphysische Anliegen ist damit nicht befriedigt. Die Frage nach dem Grund betrifft über die logisch-rationale und die empirisch-faktische Dimension hinaus vielmehr »das Sein selbst«. 271 Sie ist somit nicht nur die Frage nach einem logischen oder realen Grund, 265 Damit bringt er die Unmöglichkeit einer radikalen Trennung zwischen Begriff und Sein zum Ausdruck, die in Bezug auf das kantische Gegenargument zum Ontologischen Beweis (Abschnitt III, 2a) angesprochen wurde. 266 LW, 290. 267 DU, 133. 268 DU, 133 f. Vgl. LW, 291. 269 DU, 276 f. 270 DU, 278. 271 Ebd.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
sondern nach einem »idealen«, d. h. eine von dem Bedürfnis, das Sein »verstehen« zu wollen, geleitete Frage nach »dem Recht und dem Sinn«, deren Ziel eine »ideale und sinnvolle Notwendigkeit« ist. 272 Der gesuchte Grund muss also selber etwas von sich her derart Beschaffenes sein, dass er weder logisch kontingent noch faktisch zufällig ist. Abstrakte oder konkrete Entitäten können dies in ihrer Einseitigkeit nicht leisten. Sie scheiden damit als Zielobjekte der philosophischen Frage aus. Es wird vielmehr ein beiden vorausliegender Seinsgrund im Sinne eines »selbstwertigen, innerlich-gültigen, selbstevidenten […] Prinzip[s]« gesucht. 273 Dieser muss als wirklich »sinngebende[r] Grund« in der Lage sein, alle »Erscheinungsformen« des »Wertes als solchen, des an sich Gültigen« zu begründen, womit nach Frank nicht nur »das sittlich Wertvolle« gemeint ist, sondern auch die in der »ästhetischen Erfahrung« als Unbedingtes erlebte »Schönheit«. 274 Der ontologische Grund hat demzufolge neben dem theoretischen auch einen praktischen Aspekt. In ihm vereint sich der logische mit einem axiologischen und teleologischen Charakter, insofern es um einen strebenden Bezug auf einen höchsten intrinsischen Wert geht. Dieser nimmt die Vernunft in ihrer sich denkend vollziehenden Ausrichtung auf Wahrheit in Anspruch, wie er das Handeln unter einen unbedingten Maßstab der Gutheit stellt. Aber diese letzte Werthaftigkeit erschöpft sich auch nicht im ethischen Bereich. Sie wird darüber hinaus auch als der Grund kreativer Tätigkeit deutlich. Im ästhetischen Bereich äußert sich der unbedingte Wertaspekt in der Schönheit als sinnerfüllender Grund des Schaffensausdrucks. Die schöpferische Tätigkeit ist für Frank nicht nur ein Beispiel neben anderen. In der ethischen Erfahrung zeige sich die Realität in ihrer Unbedingtheit als unseren Willen werthaft ansprechende intrinsische Forderung – dem »kategorischen Imperativ« entsprechend sogar als »Wille des absoluten Prinzips« selber. 275 Dieselbe Realität offenbare sich in der kreativen Tätigkeit des Menschen als (selbst)schöpferiDU, 279. DU, 280 f. 274 DU, 281. Siehe im Einzelnen zur Erfahrung der Realität als Schönheit und Sittlichkeit weiterführend auch RM, 191–197, und RM, 209–217. Die Erfahrung des ›sittlich Schönen‹ wird insbesondere im Zusammenhang der Frage nach dem Begriff der Religiösen Erfahrung (siehe dort Unterabschnitt V, 2b) einen wichtigen Punkt ausmachen. 275 RM, 214 f. 272 273
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›Religiöse‹ Philosophie: Rückbindung an den ontologischen Grund
scher Grund – als »primäre Kreativität«, derer wir teilhaftig sind und die durch unser Handeln Ausdruck erhält. 276 Der intrinsische Maßstab des Denkens und des Handels zeigt sich somit nicht nur als ein dem menschlichen Streben in vollkommener Vollendung extern und fertig gegenüberstehender. Frank zufolge kann man den ontologischen Grund weder als abstraktes Ideenreich im Sinne einer Summe vollendet-zeitloser Formen und Werte begreifen noch als einen in sich selbst ruhenden unbewegten Beweger, der in abgeschlossener Vollendung lediglich werthaft attrahiert. Beides wäre eine abstrakte Verkürzung. Dagegen erfordert das für die kreative Tätigkeit nötige Moment des Werdens von Neuem eine Überschreitung des abstrakten Gegensatzes zwischen »Aktualität und Potentialität, von Abgeschlossen-Fertigem und Werdendem« im letzten Grund. 277 Gemäß der Einsicht in die Bedeutung der ontologischen Differenz muss auch hier »die Einheit von ›diesem‹ und dem ›anderen‹« gesehen werden. 278 Derart ist sie »eine unteilbare, überlogische Einheit von Kreativität und Vollendung, von Werden und Ewigkeit«. 279 Zum selben Ergebnis gelangte Frank schon in seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen mit der Frage nach dem dynamischen Charakter der Bestimmungen. Begriffsinhalte liegen weder fertig vor noch werden sie rein willkürlich konstruiert. Erkennen zeigte sich als Prozess eines aktiven Hervorbringens von Bestimmungen, das dennoch ein echtes Erkennen von Inhalten des Unbekannten selbst ist (Abschnitt III, 3a). Frank eruiert den transzendentalen Grund dafür in einer absoluten All-Einheit als »Einheit von Ruhe und Schaffen«, die sich einerseits für das abstrakte Denken nur in einer digitalen Vielheit einzelner Zustände, andererseits aber als ein Werden im Sinne eines steten »Strebens«, verstanden als »Übergang von einem zum anderen«, darstellt. 280 Auf der Suche nach einem Begriff, der sich von den abstrakten Vereinseitigungen absetzt und die Einheit von Vollendung und Werden als Kreativität im Sinne »eines sich selbst offenbaren Seins und eines dynamischen, schöpferischen Prinzips« zum Ausdruck bringt, favorisiert Frank von Anfang an den »Be-
276 277 278 279 280
RM, 221; zum Prinzip des Schöpferischen im Menschen vgl. ferner RM, 306–316. RM, 220. Ebd. Ebd. GdW, 398 und 406. Vgl. auch DU, 97–100.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
griff des Lebens«. 281 Als dem Unterschied zwischen Theorie und Praxis vorausgehende »lebendige Wahrheit« 282 wird so die letzte Unbedingtheit des ontologischen Grundes zur »absolut ursprünglichen Realität«. 283 Frank versteht den ontologischen Grund als »Konvergenz- und Ausgangspunkt jeglichen Seins«, den man in Analogie zum Leben auch als »Urleben« oder »lebendige Urquelle des Lebens« begreifen kann. 284 Alles Seiende findet auf diese Weise in der Teilhabe an der selbsttranszendenten, kreativen Realität einen Grund, der in seiner wesenhaften Selbstmitteilung jegliches Einzelseiende in seinem Sein als Partizipialform der selbsttranszendierenden und kreativen Realität begründet. Damit wird jedem Seienden in unterschiedlichem Maße auch die Unbedingtheit – als Wert und kreative Spontanität, ja, als Autonomie und Freiheit – im eigenen geistigen Grund zuteil. 285 Ferner findet schließlich von hier aus auch die Personalität ihren – nicht nur allgemeinen – transzendentalen Grund in dieser Realität, sodass die Realität in ihrer letzten Tiefe selbst zumindest nicht weniger als »Person« sein kann. 286 Sowohl auf das »geistige Leben« als auch auf die »Personalität« ist im Rahmen der anthropologischen Überlegungen noch ausführlich einzugehen (siehe Abschnitte IV, 2b und 3). Es ist an dieser Stelle allerdings ausdrücklich zu erwähnen, dass Frank versucht, Missverständnissen zuvorzukommen, die seine Darstellung in das »Räumliche« projizieren oder abstrakt-rationalen Einseitigkeiten erliegen. Es gehe nämlich nicht darum, eine erste Entität ›irgendwo‹ im Sein anzunehmen. Dagegen schließt er sich abermals der negativen Theologie des Nikolaus von Kues an und betont, dass der »Urgrund […] sein Zentrum überall und seine Peripherie nirgends« hat und deshalb »die All-Einheit oder das All-Eine« ist. 287 Als »Urrealität« erfüllt und durchdringt sie in ihrem Begründungsvollzug das gesamte Sein. Nur mittels vom logischen Standpunkt gesehen antinomischen Begriffen kann man sie als »zugleich transzendente und immanente«, nirgends
RM, 218 f., GdW, 398, 406, 416 und passim, DU, 151, 195, 273, 283. Siehe Abschnitt III, 1. 282 DU, 334. 283 DU, 333. 284 DU, 335; vgl. ebenso LW, 277. 285 Vgl. DU, 275, sowie RM, 217. 286 Vgl. RM, 250 f., und LW, 277 f. 287 DU, 337. 281
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
abwesende »Tiefendimension« der Realität bezeichnen, deren Wesen in transzendierender Selbstmitteilung besteht. 288 Damit bahnen sich erneut Fragen sowohl nach dem Gottesbegriff als auch nach dem Verhältnis der Philosophie zur Religion und zur Wissenschaft an: Inwiefern ist das mit ›Gott‹ Gemeinte identisch mit oder verschieden von diesem letzten Seinsgrund religiöser Philosophie? Handelt es sich bei dieser Art von religiöser Philosophie noch um strenge Wissenschaft? Überschreitet sie nicht mit den Grenzen des begrifflichen Denkens zugleich die Grenzen ihrer Wissenschaftlichkeit hin zur Religion als einer Form unintelligibler Mystik?
5.
Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
Eingangs wurde die ontologische Grundfrage als Zentralaspekt des frankschen Denkens hervorgehoben. Ein gegenwärtig weit verbreitetes Verständnis von ›Ontologie‹ (als Frage nach demjenigen, ›was ist‹) wurde angesprochen und mit Frank kritisiert. Seine Argumentation dafür, dass Ontologie nicht in der Frage nach dem Bewusstsein in gegenständlicher Form gegebenen Entitäten aufgeht, wurde nachgezeichnet. Seines Erachtens hat Ontologie vielmehr das Sein selbst als solches und im Ganzen zum Thema. Dieses Sein sei aber prinzipiell nicht als ein bestimmter Gegenstand der Erkenntnis zugänglich, sondern nur transzendental aufgrund der aktiven Teilhabe erlebbar in der unthematischen Vollzugseinsicht des Lebendigen Wissens. Dadurch wird die ontologische Frage zu der fundamentalontologischen Frage mit existenzial-ontologischem Charakter: Was bedeutet es letztlich ›zu sein‹ ? Die Überlegungen des ontologischen Arguments stellten die Selbstevidenz dieses Seins als Absolutes heraus. Die Ausführungen zur ontologischen Differenz zeigten es sowohl in seiner Transrationalität wie auch als Grund der intern relationalen Struktur der Seienden. Als Einheit von Einheit und Vielheit liegt das Sein nach Frank jeder durch Unterscheidung konstituierten Bestimmung voraus. Und andersherum: Jeder Unterschied hat seinen Grund im Sein. Die daraus resultierende Problematik, dass das Sein selbst und als solches sich jeder Bestimmung entzieht, wurde transzendental erklärt und in einem Exkurs zur analogen Rede vertieft. Eine über die bloße 288
Vgl. RM, 250 f.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Einsicht in die Unbestimmbarkeit hinausgehende Möglichkeit sprachlichen Ausdrucks wurde mit den Überlegungen zur Konkreten Beschreibung dargestellt. Schlussendlich konnte dieserart Franks Denken als ›religiöse Philosophie‹ verstanden werden, die sich transzendental an den ontologischen Grund rückbindet. Letzterer wurde mit Frank als unbedingter, lebendiger Urgrund einer dynamischschöpferischen All-Einheit charakterisiert, welcher darüber hinaus Grund der Personalität, wenn nicht gar selbst personal ist. Bevor ausführlich auf die Bedeutung der Personalität in Franks ontologischem Denken eingegangen und der Zusammenhang mit dem Gottesbegriff untersucht werden kann, ist die Frage zu klären, inwieweit der legitime Bereich der Philosophie als Wissenschaft nicht schon überschritten wurde. Darf Philosophie sich im dargestellten Sinne als religiös verstehen? Handelt es sich noch um Philosophie, wenn sie die Grenzen der Rationalität übersteigt und sich einer expressiven Beschreibung bedient? Ist es wissenschaftlich – insbesondere gegen jeden Ideologie- und Fundamentalismusverdacht – zu rechtfertigen, dass der Gegenstandsbereich der Philosophie mit dem Absoluten ein metaphysisch letztes, unhintergehbares Sein anzielt und das Ergebnis des Fragens zudem noch in einem ›überrationalen‹ Wissen bestehen soll?
a)
Kriterien für (Un-)Wissenschaftlichkeit
Dies ist nicht der Rahmen, um die Fülle wissenschaftstheoretischer Debatten abzubilden oder gar eine eigenständige Wissenschaftstheorie oder -philosophie zu entwerfen. Es kann hier lediglich darum gehen, die vorgebrachten Anfragen an die Wissenschaftlichkeit der philosophischen Methode Franks mit einem Seitenblick auf das dahinter stehende wissenschaftliche Selbstverständnis zu klären. Da aber schon die Reflexion eines wissenschaftlichen Selbstverständnisses im Allgemeinen nicht mehr zum Gegenstandsbereich einer spezifischen Teilwissenschaft gehört, sondern als Frage nach dem Wesen von Wissenschaft eine philosophische Frage darstellt, sind zumindest einige wissenschaftstheoretische Kriterien zu diskutieren, anhand derer sich die dargestellte Philosophie zu verantworten hat. Ohne die Geschichte der wissenschaftstheoretischen Reflexion (vom Theorienrealismus über den Konstruktivismus bis hin zum Strukturalismus) erörtern zu können, soll ›Wissenschaftlichkeit‹ ein106 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
gangs recht weit gefasst werden. Sie ist nicht wie etwa bei dem englischen Begriff ›science‹ auf die Naturwissenschaften einzuschränken. Demgegenüber wird der Vorzug des deutschen Wissenschaftsbegriffes daran deutlich, dass er auch die Sozial- und Geisteswissenschaften einschließt. Derart kann »Wissenschaft« als dasjenige »menschliche Unternehmen« begriffen werden, das »mittels systematischer und kritischer Untersuchungen auf den Erwerb eines bestmöglichen Verständnisses der Funktionsweisen von Natur, Menschen und menschlicher Gesellschaft abzielt«. 289 Die vielfältigen Wissenschaftsbereiche mit ihren unterschiedlichen Methoden machen es zwar nicht leicht, einzelne Kriterien herauszustellen, die für alle Bereiche übergreifend erklären können, was eine Überzeugung als »epistemisch gerechtfertigt« 290 erscheinen lässt. Es kann jedoch eine Abgrenzung von Elementen vorgenommen werden, die in allen Bereichen »Unwissenschaftlichkeit« kennzeichnen, beispielsweise: • • • • • • •
»Autoritätshörigkeit«, »Unwiederholbarkeit von Experimenten«, »einseitige Vorauswahl von Beispielen«, »mangelnde Bereitschaft zur Überprüfung einer Theorie«, »Missachtung von Widerlegungen«, »eingebaute Täuschungen« und »Unvollständigkeit«. 291
Auch wenn mit der Ausrichtung auf empirisch überprüfbare Erklärungen von Funktionsweisen eher die empirischen Wissenschaften angesprochen werden, ist der von dieser Liste ausgehende Wissenschaftsbegriff doch auch für die Philosophie interessant. Sofern »Wissenschaft« ganz allgemein begriffen wird als »systematische auf Wissen abzielende Forschung, deren Gültigkeit nicht von einzelnen Individuen abhängig ist, sondern bei der es jedem offensteht, sie zu überprüfen und nachzuvollziehen«, 292 sind diese Anforderungen Hansson 2014, Abschnitt 2: »[T]he natural and social sciences and the humanities are all parts of the same human endeavour, namely systematic and critical investigations aimed at acquiring the best possible understanding of the workings of nature, people, and human society.« 290 Hansson 2014, Abschnitt 2 in Bezug auf Fuller 1985, 331. 291 Diese Auflistung entspricht derjenigen von Hansson 1983. 292 Hansson 2014, Abschnitt 4.6: »Science is a systematic search for knowledge whose validity does not depend on the particular individual but is open for anyone to check 289
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
auf die Philosophie übertragbar. Kriterien einer explizit ›wissenschaftlichen‹ Philosophie können durchaus davon abgeleitet werden. In dieser Linie kann sie definiert werden als »ein mit Begriffen (nicht Bildern, Erzählungen oder Sinnsprüchen) argumentierendes Vorgehen systematischer Art, das sich ohne jede Bindung an Autorität oder Tradition rein an Vernunftgründen orientiert.« 293 Ein wichtiger Unterschied zu den Spezialwissenschaften besteht jedoch in ihrer universalen Ausrichtung. Das Fragen der Philosophie steht nicht unter einer methodisch beschränkten Hinsicht, sondern ist prinzipiell unbegrenzt. Ihr Ziel – insbesondere in der dargestellten frankschen Weise – ist Wahrheit im Horizont des Letzten oder Ganzen. Das ist aus wissenschaftstheoretischer Perspektive nicht unproblematisch. Gerade auf dem Hintergrund des von Karl Popper etablierten kritischen Rationalismus, der einen grundsätzlichen Fallibilismus fordert und der Wissenschaft den »Wahlspruch« zugrundelegt, »ich kann mich irren, du magst recht haben, aber gemeinsamen werden wir vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen«, 294 in Verbindung mit dem Gedanken »wissenschaftlicher Revolutionen« unter Verwendung des Paradigmenbegriffes bei Thomas S. Kuhn 295 erwuchs ein Selbstverständnis der Wissenschaft, das gegenwärtig auch die Philosophie beeinflusst. Wissenschaftliche Theoriebildung steht demzufolge vor allem im Zeichen der Hypothetizität. Sie muss sich darauf bescheiden, sich nur je vorläufig an intersubjektiven Standards bewähren zu können. Mit dieser pragmatischen Einstellung zur eigenen Wissenschaftsleistung sind die Einzelwissenschaften durchaus erfolgreich. Nimmt es da Wunder, dass auch für die Metaphysik gefordert wird, sie müsse sich verändern? Kritisch blickt etwa Hans Poser auf den Anspruch der philosophischen Tradition, unrevidierbare »ewige Wahrheiten« entdecken zu wollen. 296 Denn die von ihr intendierte »philosophia perennis« habe die Philosophie bislang ebenso wenig verwirklichen können wie »die Wissenschaften ewige Gesetze«. 297 Vielmehr muss sich seines Erachtens auch die Metaphysik damit begnügen, jeweils immer nur voror rediscover.« Vgl. auch die ähnlich lautende Bestimmung von ›Wissenschaft‹ bei Schöndorf 2010a, 582. 293 Schöndorf 2010, 360. 294 Popper 1992, 278. 295 Vgl. Kuhn 1996. 296 Poser 2001, 294. 297 Ebd.
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
läufig, eine »Ordnung des Wissens« herzustellen, die lediglich »zeitgebunden« »Orientierung« gibt. 298 Es steht der Vorwurf im Raum, dass insbesondere dort, wo Philosophie auf letzte Prinzipien gerichtet nach einem keiner weiteren Begründung bedürfenden Grund fragt, sie eigentlich das Gebiet der Wissenschaftlichkeit verlasse – ja sich sogar eines Fundamentalismus verdächtig mache. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang exemplarisch die Überlegungen Franz von Kutscheras. Er argumentiert für die Abkehr von einem sogenannten »fundamentalistischen Erkenntnisideal«. 299 Dieses beanspruche als »Fundament« bzw. »Basis unserer Erkenntnis« eine »Letztbegründung«. 300 Nach Kutschera ist damit vorausgesetzt, dass es prinzipiell »Sätze [gibt] die einer Begründung nicht bedürftig sind, die evident sind und keinen vernünftigen Zweifel an ihrer Geltung lassen.« 301 Dagegen sprechen seines Erachtens sowohl die Subjektivität als auch die Zeitabhängigkeit von Evidenzerfahrungen, woraus die nicht durchgängige »Zuverlässigkeit« dieses Kriteriums folgt. 302 Weiterhin sei auch die Engführung auf Unbezweifelbarkeit problematisch, weil dies nur noch »Basissätze« erlaube, welche »analytisch wahr« sein müssen. 303 Daraus folge wiederum eine »zu schmal[e Basis]«, um irgendetwas »über die spezielle Beschaffenheit der realen Welt« auszusagen. 304 Beides spricht schließlich seines Erachtens dafür, dass der sogenannte »fundamentalistische Wissensbegriff« »zu eng« ist. 305 Statt einem letztbegründeten »perfekten Wissen« genüge eine pragmatische Ausrichtung an »intersubjektiven Standards der Rationalität«. 306 Eine Wissenschaftliche Überzeugung müsse sich lediglich »bewähren«, indem sie »internen Kriterien« für die »Brauchbarkeit« eines wissenschaftlichen »Paradigmas« gerecht werde. 307 Diese bestehen vor allem in »Konsistenz«, »Kohärenz« und »Informativität«. 308 Obzwar dadurch »keine hinreichende Bedingung für Wahrheit« gegeben sei, könne man wenigstens anhand der Kriterien 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308
Poser 2001, 295. Kutschera 1993, 131–140. Kutschera 1993, 133. Ebd. Kutschera 1993, 134 f. Kutschera 1993, 135. Ebd. Kutschera 1993, 136. Ebd. [Hervorhebung entfernt, D. St.]. Kutschera 1993, 155. Ebd.
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jene Theorien ausschließen, welche die notwendigen Bedingungen nicht erfüllen. 309 Kutschera argumentiert demgemäß ganz im Sinne Posers, dass auch die Philosophie Überprüfbarkeit inkludieren muss und sich in diesem Lichte als prinzipiell fallibel und vorläufig zu verstehen hat. Selbst wenn eine auch nur ansatzweise Darstellung der Letztbegründungsdebatte hier ebenfalls nicht vorgenommen werden kann, ist zumindest darauf hinzuweisen, dass die dargestellte Position derzeit ein Übergewicht an Vertretern innehat, die sich mit Odo Marquard gesprochen philosophisch »vom Prinzipiellen verabschiedet« 310 zu haben scheinen. Äußert man trotz allem die Absicht einer letztbegründenden Philosophie, entspricht laut Wolfgang Kuhlmann mittlerweile der »Grundtenor« etwa folgender Einschätzung: »Letztbegründung wird als bekannte Extremposition genannt, als erwiesenermaßen aussichtslos charakterisiert und darüber hinaus auch als eigentlich witz- und nutzlos bezeichnet. Letztbegründung sei unmöglich, aber es fehle auch nichts Wesentliches, wenn sie nicht möglich sei.« 311
Wie konnte es soweit kommen? Ist nicht die Frage nach ›der einen letzten Wahrheit‹ – die platonische Grundfrage Franks – von jeher der Ausgangspunkt nicht nur von Philosophie und Wissenschaft, sondern das Zentralmotiv jeder menschlichen Warum-Frage? Eine nach wie vor interessante Analyse dazu bietet Vittorio Hösle. Ihm zufolge gibt es einen Wandel innerhalb des wissenschaftlich-philosophischen Selbstverständnisses, dem nicht nur »stringente Argumente«, sondern vor allem auch eine Reihe von zeitbedingten allgemeinen »Erfahrungen zugrunde liegen«: 312 Die modernen Menschen haben zivilisatorische, kulturelle und wissenschaftliche Veränderung erlebt. Im Zuge der Aufklärung sei das Christentum als »herrschend[e] Ideologie der abendländischen Kultur« in eine Krise geraten, von der es sich bis heute nicht erholt habe. 313 Gerade durch die Auseinandersetzung mit dem Christentum konnten »moderne Wissenschaft«, »säkularisierte Kunst« und der »demokratische Staat« gewonnen werden, die tunlichst nicht wieder verlorengehen 309 310 311 312 313
Ebd. Vgl. Marquard 1981. Kuhlmann 2009, 10. Hösle 1987, 216. Hösle 1987, 217.
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dürfen. 314 Zudem sei im Zuge der Entdeckung fremder Kulturen ein neues Bewusstsein der eigenen Geschichtlichkeit und Relativität erwacht. »Historismus« und »Evolutionstheorie« sowie jene unabsehbaren naturwissenschaftlich-technischen Revolutionen warfen die vermeintlich feste Ordnung des Weltgefüges zugunsten des Relativen um. 315 Noch dazu machte das moderne Bewusstsein mit den Weltkriegen die schreckensvolle Erfahrung des »Totalitarismus«. 316 Auf diesem Hintergrund hat sich nach Hösle ein genereller Verdacht errichtet, »daß ein Denken, das absolute Normen erkennen zu können vermeint, einen Hang dazu haben muß, andere Meinungen zu unterdrücken, die eigenen Ansichten anderen aufzuzwingen.« 317 Oder aber, man sei von der Absicht getrieben, hinter die modernen, segensverheißenden Entwicklungen, die im Ringen der Aufklärung gewonnen wurden, zurückzufallen. Andererseits ist zugleich mit dem Erfolg der Naturwissenschaften nach Hösle aber auch eine grandiose Ausdehnung des Horizonts technischer Machbarkeiten entstanden, die nicht nur weltzerstörerisches Potenzial (ob direkt nuklear oder indirekt klimatisch) erreichen, sondern in allgemeiner Weise ein aus »wissenschaftlich-technischer Rationalität« folgendes »Gefühl der Bedrohtheit« verursachen kann. 318 Als individueller Mensch erfahre man gegenüber der technischen Rationalität bisweilen »Ohnmacht« und ein gewisses Gefühl des Verlusts »geistiger Heimat«, 319 sodass man den Geltungsansprüchen der Rationalität aus diesen Gründen auch kritisch – bis hin zu einer generellen Ablehnung jeglicher rationaler Begründungsansprüche für Sinnbezüge – gegenüberstehen könne. Ganz im Sinne dieser Analyse kann auch Hans Poser gelesen werden. Der Erfolg der Einzelwissenschaften mit ihren technischen Produkten ist seines Erachtens bis in den Lebensalltag vorgedrungen – so weit, dass er sogar weltanschauliche Bedeutung erlangt hat als »Bestimmung der Lebenseinstellung durch die wissenschaftliche Vernunft«. 320 Dementsprechend sei nicht mehr allein der Wissenschaftler in seinem methodisch beschränkten Forschungsgebiet den 314 315 316 317 318 319 320
Ebd. Hösle 1987, 217 f. Hösle 1987, 218. Ebd. Ebd. Hösle 1987, 219. Poser 2001, 292.
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Verpflichtungen eines wissenschaftlichen Rationalitätsstandards ausgesetzt. Auch unsere alltägliche Weltsicht neige mittlerweile dazu, die Regeln des wissenschaftlichen Diskurses ob ihrer Effektivität zu übernehmen und im lebensweltlichen Kontext als rationale Normen anzuerkennen. Andererseits werden dieselben in Wissenschaft und Technik sinnvollen Effektivitätsmaßstäbe, wie insbesondere die Notwendigkeit der Ausklammerung des subjektiven Individuums und eine alles umfassende funktionalistische Instrumentalisierungsperspektive, im lebensweltlichen Alltag als Verlust an Menschlichkeit erfahren. Daraus speise sich wissenschaftsextern eine kritische Einschätzung wissenschaftlicher Verfahren und Geltungsansprüche. 321 Der eigene Anspruch der Wissenschaft reduziere sich dem kritischen Rationalismus und dem Pragmatismus folgend im Wandel des neuzeitlichen Selbstverständnisses zwar auf »durch judikale Festsetzungen geregelte Intersubjektivität«. 322 Nach Poser bleibt aber dennoch gegenüber drohender Wissenschaftsfeindlichkeit und Irrationalismus das Ideal der »Objektivität« jener »Leitstern«, anhand dessen die Unterscheidung eines prinzipiell jedem zugänglichen »wissenschaftlichen Denkens« von einem bloß »magischen« oder esoterischen vorgenommen werden muss. 323 Insofern ergibt sich von zwei Seiten ein kritischer Blick auf das Projekt der Philosophie. Zum einen jener der anderen (Einzel-)Wissenschaften, insbesondere unter wissenschaftstheoretischer Reflexion ihres Möglichkeitshorizontes, und zum anderen jener des zu einer Form von Szientismus neigenden Alltagsbewusstseins, das dieselben Maßstäbe übernimmt und zugleich aber seine Sinn- und Lebensfragen von wissenschaftlichen Begründungsansprüchen ausnimmt.
b)
Ist Franks Philosophie überhaupt Wissenschaft?
Für die Beurteilung der Wissenschaftlichkeit des frankschen Ansatzes sind unter den aufgezählten kritischen Anmahnungen besonders (1) die Ablehnung der Letztbegründung zugunsten rationaler Standards der Intersubjektivität und damit verbunden (2) das individuelle Subjektivität ausklammernde Ideal der Objektivität hervorzuheben. 321 322 323
Vgl. Poser 2001, 288 f. Poser 2001, 293. Ebd.
112 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
Weiterhin wird im Hinblick auf die angeführte Definition der philosophischen Methode (3) die expressive Methode der Konkreten Beschreibung, sofern sie Transrationales in überbegrifflicher Weise auszudrücken beansprucht, fragwürdig. Bevor diese drei Punkte anzugehen sind, kann aber im Blick auf die restlichen Kriterien vorab bereits festgestellt werden, dass Franks Denken im Hinblick auf die Bestimmung einer wissenschaftlichen Philosophie nicht an ihnen scheitert. Statt Autorität oder Tradition hörig zu folgen, ist Franks Philosophie wie dargestellt ›religiös‹ gerade im Sinne einer eigenständigen Rückbindung an die allgemeinen Vernunftgründe. Diese Rückbindung vollzieht sich also vernünftig argumentierend und einsehend. Insbesondere dafür ist die Annahme eines letzten Grundes – einer letzten Wahrheit –, auf welche die Vernunft notwendig bezogen ist, jedoch unumgänglich. Denn was wäre die Konsequenz, wenn man den Bereich letzter Prinzipien von der vernünftigen Diskussion ausnehmen würde? Wäre es wünschenswert, dass die Prinzipien für unsere Entscheidungen in Leben und Wissenschaft auf diese Weise automatisch den Dimensionen willkürlicher Bauchentscheidungen und irrationaler Beliebigkeit oder biopsycho-sozialer Determinationen zugewiesen würden? 324 Stünde nicht gerade dann der Sinn des Unternehmens Wissenschaft radikal in Frage? Wie aber lässt sich ein Plädoyer für die Möglichkeit und den Sinn einer Letztbegründung halten? (1) Nach Simon Frank ist vor allem die grundsätzliche Unterscheidung zwischen »Philosophie« und »Einzelwissenschaften« zu berücksichtigen. 325 Letztere haben seines Erachtens »alles Relative« zum Vgl. Hösle 1987, 215 und 221. Vgl. ähnlich auch Wucherer-Huldenfeld 2011, 200–205, der sich der Verortung philosophischer Theologie widmet und Philosophie als (fundamental-)ontologische Wissenschaft ausführlich analysiert (siehe besonders ebd., 391–398), wobei er, in Franks Sinne die zentrale Rolle der docta ignorantia hervorhebend, feststellt: »Das sachkundige (wissenschaftliche) Vorgehen der Philosophie kann ihr aufgrund ihrer prekären Stellung nicht von außen, niemals durch eine andere, spezielle Wissenschaft diktiert werden. Sie hat für Sinn und Charakter ihrer Wissenschaftlichkeit selber aufzukommen. Insofern sich Philosophie ihren thematischen Gegenstand, das Seiende als Seiendes, vor aller Vergegenständlichung geben lässt, ist sie im strengen Wortsinn gegenstandslos, aber das ist für sie kein Mangel, sondern darin besteht ihr Vorzug. Ihr phänomenologisches Aufweisverfahren ist daher nicht an anderen, auch nicht an den sogenannten exakten Wissenschaften zu messen, deren Wissenschaftler/innen (als Menschen) notwendig an der lebensweltlichen Kenntnis des Seienden hinsichtlich 324 325
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Gegenstand. 326 Sofern es sich nur um beschränkte Forschungsgegenstände und Methoden handelt und das Forschungsfeld »aus Tatsachen und begrifflichen Inhalten, aus realen und idealen Zusammenhängen« besteht, fällt es »restlos in die Kompetenz von Einzelwissenschaften«. 327 Entsprechend gehört auch »formale Logik« nach Frank neben Mathematik und Naturwissenschaften in den Bereich der Einzelwissenschaften, weil sie lediglich auf etwas Spezielles im Unterschied zu Anderem, nämlich auf die Strukturen »der allgemeinsten formal-idealen Zusammenhänge« gerichtet ist. 328 Demgegenüber sei dasjenige, was nicht nur unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet werde, was keinen methodischen Beschränkungen unterliege, eben »das Absolute – man mag sich drehen und wenden wie man will – der eigentliche und einzige Gegenstand der Philosophie«. 329 Zudem weist Frank auf das Vorurteil hin, dass vermeintlich nur die Einzelwissenschaften im Gegensatz zur Philosophie die »konkrete Wirklichkeit« untersuchen. 330 Denn, so das Vorurteil, sie alleine blieben doch nicht dem elfenbeinturmartigen theoretischen Denken verhaftet, sondern wendeten sich der lebendigen Wirklichkeit empirisch zu. Dabei handelt es sich jedoch laut Frank um eine Täuschung, weil die Inhalte der empirischen Einzelwissenschaften durch ihre methodischen Beschränkungen nicht weniger abstrakt sind. Die Forschungsgegenstände werden in Versuchsanordnungen künstlich vereinzelt und objektiviert. Immer nur nachträglich (nach den experimentellen Versuchen und Analysen) werden die Zusammenhänge wiederum als von den Versuchsobjekten unterschiedene Einzelinhalte isoliert unter einer bestimmten Forschungshinsicht, der eine Theorie zugrunde liegt, betrachtet. Die wahre »Fülle und Lebendigkeit« 331 der Einzeldinge besteht hingegen nach Frank nur im Zusammenhang des Ganzen – vor jeder abstrahierenden Analyse. Die (Natur-)Wissenschaften können also eigentlich keine größere Konkretheit gegenüber der Philosophie beanspruchen. Frank behauptet sogar, dass das seines Seins teilnehmen, denen aber (als Fachleuten) gemäß der ›Natur‹ ihrer Wissenschaften das Seiende nur innerhalb ihres jeweiligen partikulären Horizontes unter methodischer Vergegenständlichung zugänglich ist.« (Ebd., 394) 326 LW, 266. 327 LW, 266 f. 328 LW, 267. 329 LW, 266. 330 GGdG, 87. 331 Ebd.
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
einzig wirklich vollkommen Konkrete das Sein als solches und im Ganzen selbst ist, welches schlussendlich nur von einer Philosophie in den Blick genommen wird, die nach dem Sein als dem Absoluten fragt. »Philosophie ist darum nicht die abstrakteste, sondern im Gegenteil die konkreteste oder, richtiger, die einzig konkrete Wissenschaft. Denn, auf die All-Einheit gerichtet, hat sie es mit der Realität in ihrer ganzen Fülle und folglich mit der einzig wahren Realität zu tun.« 332
Folgt man einstweilen der Unterscheidung zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften, ohne die Möglichkeit der Philosophie gleichsam als einer auf das Absolute zielenden Sonderwissenschaft (genauer: ›grundlegenden Allgemeinwissenschaft‹) sofort in Abrede zu stellen, kann man die letzte Wahrheiten ablehnende Haltung prinzipieller Hypothetizität in Bezug auf wissenschaftliche Theorien durchaus berechtigt für die Einzelwissenschaften gelten lassen. 333 Sofern ›das Relative‹ Gegenstand der Wissenschaft ist und diese nur unter beschränkter Hinsicht mittels einer bestimmten Methode bedingte Ergebnisse erzielt, kommt Vollständigkeit oder Ganzheit per definitionem nicht in ihrem Horizont vor. Mag beispielsweise die Physik eine auch noch so vollständige physikalische Beschreibung der Wirklichkeit abgeben, bleibt ihr Ergebnis immer nur eine Beschreibung unter physikalischer Hinsicht, der gegenüber es stets mehr und anderes gibt. Denn all dasjenige, wovon sie in methodischer Hinsicht abstrahiert (z. B. Erlebnisqualitäten, moralische Prinzipien etc.), wird auch durch die vollständigste physikalische Beschreibung grundsätzlich nicht erfasst. Der Anspruch, eine letzte Begründung aus einem einzelwissenschaftlichen Bereich liefern zu können, ist somit tatsächlich sinnlos – er stellt lediglich eine Verirrung in eine entsprechende Form des Reduktionismus dar. Ein solcher versucht, seinen wissenschaftlichen Teilbereich für das Ganze auszugeben. Dasjenige, wovon er abstraEbd. Vgl. auch Kuhlmann 2009, 53: »Radikaler Fallibilismus kann in der Wissenschaft vernünftig erscheinen, wenn man (im Stillen) mit einer Metadisziplin (der Philosophie, besonders der Erkenntniskritik) rechnet, an die man die Abschlussprobleme der Sache delegieren könnte. […] Das, was in den Wissenschaften, die ihre letzten Verfahrensfragen legitim ausblenden können, möglich scheinen kann, nämlich ein radikal fallibilistisches wissenschaftliches Forschungsprogramm, das ist in der Philosophie, die ja nichts legitim ausblenden darf oder an eine andere (Meta-)Disziplin weiterreichen kann, nicht möglich.« 332 333
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
hiert, wäre allerdings nicht ausgelöscht oder je auslöschbar, sondern es wäre gerade dasjenige, wodurch er sich bestimmt und von dem er deshalb in gewissem Sinne auch abhängt. Auf dem Hintergrund der Ausführungen Franks zur Unterschied bildenden Negation im Zusammenhang der ontologischen Differenz (Abschnitt III, 3a), wurde dieses wechselseitige Bestimmungsverhältnis bereits erklärt. Kann sich aber die Philosophie davon ausnehmen? Was rechtfertigt die Unterscheidung zu den Einzelwissenschaften? Und inwiefern soll mit ihr deshalb die Möglichkeit von Letztbegründung verbürgt sein? Mag man auch mit Kant annehmen, dass die metaphysischen Fragen (wie jene nach dem ersten Prinzip, der letzten Wahrheit, dem Sein als solchen und im Ganzen, dem unbedingt Guten usw.) nun einmal zum Wesen des Menschen gehören, 334 sind mit dem bloßen Faktum der Fragen doch die Möglichkeit eines auf Antwort zielenden Unternehmens jenseits der Einzelwissenschaften und die Art der möglichen Methode nach wie vor ungeklärt. Sosehr man sich diesbezüglich den kritischen Anfragen nicht entziehen darf, ist es aber gleichwohl umgekehrt unangebracht, unmittelbar gegen jeden einen »Fundamentalismusverdacht« zu hegen, der nur nach »Fundamenten« im Sinne von letzten Gründen fragt. 335 Stattdessen ist auf die grundsätzlichen Optionen zu reflektierten: Ist es denn hinreichend für die Wissenschaft, die Wirklichkeit nur unter bestimmten Perspektiven in eingeschränkter Weise zu erforschen? Sofern man sie lediglich in die Funktion von wiederum vorherbestimmten Ergebnissen (Wohlstandsmehrung, technischer Fortschritt und dgl.) stellt, kann man das anzunehmen geneigt sein. Dabei wird jedoch ausgeblendet, dass auch die Bestimmung der Funktionen nur im Horizont einer auf das Ganze zielenden Weltanschauung geleistet werden kann, in der Werte und Sinnprinzipien die Maßstäbe von Wertungen und Entscheidungen darstellen. Werden diese Fragen dem vernünftigen Diskurs entzogen, bleibt beispielsweise unklar, was ein ›gutes Leben‹, eine ›menschenwürdige Gesellschaftsform‹ oder eben jener den Wissenschaften als Ideal vorschwebende unerreichbare Maßstab von ›Objektivität‹ sein sollen. Diesbezüglich kritisiert Frank ganz elementar die Forderung eines bloßen Approximations-Ideals, das ›rein transzendent‹ wie das 334 335
Vgl. KrV, B 21. Vgl. Müller 2001, 13.
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
kantische ›Ding an sich‹ dem Erkennen als unerreichbarer Zielpunkt vorgestellt wird. 336 Wie nämlich könnten wir von dem ›Ding an sich‹ wissen, wenn es doch letztlich ›rein transzendent‹ wäre und bliebe? Wie könnten wir überhaupt den Begriff der Transzendenz als ›Unabhängigkeit von der Erkenntnis‹ besitzen, wenn er doch gerade nicht begreifbar sein soll? Und vor allem wie könnten wir uns dem unerreichbaren Ideal jemals praktisch tatsächlich annähern, wenn – wie Frank mehrmals Kant zitiert – »wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, womit wir unsere Erkenntnis vergleichen könnten«? 337 Auch rationale Bewährungskriterien benötigen für ihre jeweilige Zweckmäßigkeit die entsprechende Legitimation, dass sie tatsächlich zum Ideal führen. Versuchte man sie pragmatisch zu rechtfertigen, verfiele die Argumentation in einen Zirkel. 338 Fragen wie diese können durch keine empirischen Kriterien, ferner durch keine einzelwissenschaftliche Forschung adäquat beantwortet werden. Dort wären sie nur unter der jeweils speziellen methodischen – und das heißt abstrakten – Hinsicht erschlossen, welche verabsolutiert in einen Reduktionismus mündet. Zu Recht wäre dann damit allerdings jenes »Gefühl der Bedrohtheit« beschworen, von dem Hösle sprach. 339 Die »technische Rationalität« ist seiner Einschätzung folgend rein auf die Fragen nach Mitteln zu einem bestimmten Zweck gerichtet, für dessen Umsetzung sie »alles zu opfern bereit ist.« 340 Gerade die prinzipielle Ablehnung der Möglichkeit einer vernünftigen Erörterung letzter Gründe ist dann aber gleichzusetzen mit einer unrechtmäßigen Verabsolutierung des »verhängnisvollen Grunddualismus von Szientismus auf der einen und Irrationalismus auf der anderen Seite«. 341 Erst dieser eröffnet den Raum für all jene bedrückenden Erfahrungen des modernen Bewusstseins (Totalitarismus, technisches Zerstörungspotential ungeahnten Ausmaßes etc.), weil er in der Relativierung von letzter Vernünftigkeit rational unkontrollierbare Mächte als Letztinstanzen gelten lässt. Dagegen plädiert Hösle für eine Wiedergewinnung eines weiteren Vernunftbegriffes, mit welchem neben der Zweckrationalität der »tech336 Insbesondere Franks Aufsatz »Erkenntnis und Sein. I. Das Transzendenzproblem«, in: LW, 161–191, widmet sich eingehend dieser Problematik. 337 LW, 53, 164, 192, 208, 222 sich beziehend auf KrV, A 104. 338 Vgl. Hösle 1997, 78; vgl. auch Kuhlmann 2009, 53 f. 339 Hösle 1987, 218. 340 Hösle 1987, 230. 341 Ebd. Vgl. auch Hösle 1997, 71.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
nischen Vernunft« auch eine »wertrationale« Form der Vernunft anerkannt werden kann, die nicht nur fragt: »Wie kann ich dieses bestimmte Ziel erreichen?«, sondern auch: »Was ist ein legitimes Ziel? Welche Mittel sind erlaubt?« 342 Die Wissenschaft einer solchen wertrationalen Vernunft, welche ihre Fragen auf die letzten Gründe richtet, kann dies nicht unter einer zweckrationalen Perspektive bzw. ihr vorgegebenen Normen tun. Sie muss ihr Fragen in einer Weise radikalisieren, dass sie sich selbst nicht davon ausnimmt. Sie kann überhaupt nur adäquat vorgehen, indem sie das einzige allen Menschen prinzipiell in gleicher Weise zugängliche Mittel der Vernunft auf sich selbst anwendet und nach ihren eigenen Gründen fragt. In diesem Zuge wird die Vernunft transzendental reflexiv gewendet. Sie bedenkt sich selbst – und zwar nicht nur als einen dem Erkenntnissubjekt gegenüberstehenden Gegenstand der Erkenntnis, sondern als im Vernunftvollzug befindliches Erkennen. Dieser Punkt ist für das Anliegen – etwa einer transzendentalpragmatischen Argumentation für die Möglichkeit der Letztbegründung 343 – notwendig, weil nur hier im Denken (nicht als sein Gegenstand) jene bereits im ontologischen Argument dargestellte letzte Subjekt und Objekt übergreifende Einheit von Denken und Sein als unhintergehbar realer Vollzug erscheint, dessen Voraussetzungen nicht ohne performativen Widerspruch geleugnet werden können. Diese notwendigen Bedingungen der Möglichkeit des faktisch im Vollzug befindlichen Erkennens können als Kandidaten für letzte Gründe diskutiert werden. Im ontologischen Argument (siehe Abschnitt III, 2) wurde ausgeführt, wie dadurch auf vernünftige Art und Weise zu einem letzten, absoluten Sein vorgedrungen werden kann. Davon ausgehend können schließlich auch die Konsequenzen für die unterschiedlichen metaphysischen Fragebereiche gezogen werden. Transzendentale Argumente sind des Weiteren die schärfste Waffe gegen die Gegner einer auf letzte Wahrheit gerichteten Philosophie: Wollte man etwa prinzipiell die Möglichkeit einer Letztbegründung bestreiten, so muss man sich gefallen lassen, daran erinnert zu werden, dass dies zu fordern, einen Anspruch auf letzte Geltung impliziert. Es kann sogar zugespitzt in den augenfälligen 342 Hösle 1987, 230. Vgl. auch Hösle 1997, 95 sich rückbeziehend auf »die klassische Unterscheidung von Verstand und Vernunft«. 343 Vgl. etwa die Darstellung der »strikten Reflexion« in Kuhlmann 2009, 35–39.
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
Widerspruch umformuliert werden, dass es ›letztlich nichts Letztliches‹ gebe. 344 Erschwerend kommt hinzu, dass mit unserem im wissenschaftlichen Diskurs stets aktiven Erkenntnis- und Behauptungsvollzug, jeweils ein Sein als Faktum gesetzt wird, dessen notwendige Bedingungen der Möglichkeiten unhintergehbar real sein müssen. (2) Das heißt allerdings, dass für die nach letzten Gründen fragende Philosophie die prinzipielle Ausklammerung des Subjekts nicht gelten darf. Ist es für die Einzelwissenschaften ein nützliches Erfordernis, unter gänzlicher Konzentration auf die jeweils spezielle Fragerücksicht von jeder subjektiven Beimengung zu abstrahieren, um Objektivität im Sinne intersubjektiv nachvollziehbarer Allgemeinheit zu erreichen, so darf die Philosophie in ihrem Streben nach wahrhaft letzten Gründen ihre Fragerücksicht gerade nicht einengen. Sie muss hingegen den Fragenden und sein Fragen notwendig einbeziehen. Sie muss dies zudem auf eine Weise bewerkstelligen, dass der subjektive Erkenntnisvollzug nicht in ein Erkenntnisprodukt der Objektiven Wirklichkeit aufgelöst wird. Das bedeutet im Kontext frankschen Denkens, dass die Philosophie beginnt, sich reflexiv-explikativ, einen hermeneutischen Nachvollzug anbietend, auf das Subjekt als aktiven Teilhaber am einen, gemeinsamen Sein zu beziehen. Dies ist der methodische Ort des von Frank erarbeiteten Lebendigen Wissens. Fragt man sich nun, ob durch die Nicht-Ausklammerung des Subjekts die rationalen Standards der Wissenschaftlichkeit unterlaufen sind, kann dies frei heraus verneint werden. Denn ebenso wie die Ausklammerung in den Einzelwissenschaften der intersubjektiven Überprüfbarkeit eines vom Subjekt unterschiedenen (objektiven) Zusammenhangs dient, ermöglicht die reflexive Hinwendung zum Lebendigen Wissen des Subjekts erst die philosophische Besinnung auf den letzten Grund, weil jener eben nicht etwas vom Subjekt Verschiedenes (rein transzendent Objektives) ist. Obwohl Frank das Unmittelbare Selbstsein als »das einzige Tor zum geistigen Sein […], in dessen Tiefe wir den Urgrund als sinngebendes Erstbegründendes erlangen,« 345 ansieht, ist damit zugleich kein bloß Subjektives (nur auf das Subjekt Beschränktes) oder Vernunftfremdes (Irrationales oder gar Illusionäres) erreicht. Vielmehr wird das Sein gerade in der transzendentalen Besinnung als ein das Subjekt in seiner Subjektivität 344 345
Vgl. den Einwand gegen das Münchhausentrilemma bei Schmidt 2003, 118 f. DU, 334. Vgl. dazu auch Ehlen 2010, 285.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
übersteigendes und begründendes offenbar. Wie bereits dargestellt wurde, ermöglicht dies eine ontologische Begründung der jeweils einzelnen Erkenntnissubjekte und -objekte wie des Erkenntniszusammenhangs (als Teilhabe an einer universalen Vernunft auch im Sinne einer Begründung der (Zweck-)Rationalität). Ferner kann der letzte Grund auch für die Möglichkeit der Intersubjektivität im ontologisch wechselseitig konstitutiven personalen Verhältnis aufgewiesen werden, wie noch zu sehen ist (Abschnitte IV, 3 und 4). Jedenfalls werden in Franks Denken zum einen jene rationalen Bewährungskriterien (Kohärenz, Konsistenz und Informativität) für die Explikation der Philosophie keineswegs aufgegeben. Sie bleiben als Kriterien jeder – zugestandenermaßen immer zeit- und kulturbedingten – theoretischen Artikulation unangegriffen erhalten. Ihnen wird lediglich ein sie begründender Maßstab vor bzw. übergeordnet. Zum anderen ist die geforderte intersubjektive Nachprüfbarkeit nicht nur in der Form ontologisch begründet, dass sowohl der intersubjektiv letzte Maßstab argumentativ im absoluten Sein erschlossen und die Intersubjektivität selbst transzendental fundiert wird. Darüber hinaus ist die intersubjektive Nachprüfbarkeit sogar noch praktisch erleichtert: Während die Voraussetzungen, um etwa Erkenntnisse der modernen Physik nachzuprüfen, recht hoch sind (von der Komplexität quantentheoretischer Grundlagen bis hin zum technischen Aufwand der Experimente im subatomaren Bereich), kann ein verstehendes Erleben des eigenen Seins im Lebendigen Wissen als Basis der Philosophie sich auf die nötigen kognitiven und volitiven Voraussetzungen bescheiden, welche für ausnahmslos jedes wissenschaftliche Forschen unabdingbar sind. Folglich handelt es sich in Bezug auf Punkt (1) und (2) bei der frankschen Fundamentalontologie weder um ein esoterisches Geheimwissen, das nur Auserwählten oder Erleuchteten zugänglich ist, noch um eine gegen die Kriterien von Wissenschaftlichkeit verstoßende Ideologie. Doch wie steht es um Punkt (3)? Wird mit der von Frank geforderten Transrationalität bzw. Metalogizität des Seins nicht gleichsam alles wieder zunichte gemacht? Ist Franks Konkrete Beschreibung einer transrationalen Realität eine legitime Methode wissenschaftlicher Philosophie? Diese Frage zu klären wird umso dringlicher, wenn man etwa folgendes Zitat aus einem von Frank 1925 im Rahmen der Kant-Gesellschaft auf Deutsch gehaltenen und veröffentlichten Vortrag heranzieht: 120 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
»Die Philosophie ist ihrem Wesen nach eben nicht nur Wissenschaft; vielleicht ist sie sogar nur in einem abgeleiteten Sinne überhaupt Wissenschaft; primär, in ihrem wurzelhaften Wesen, ist sie überwissenschaftliche intuitive Weltanschauungslehre, die mit der religiösen Mystik in einer sehr engen […] Verwandtschaftsbeziehung steht.« 346
Es ist zu konstatieren, dass bei der kritischen Überprüfung der frankschen Philosophie auf ›Wissenschaftlichkeit‹ ein solches Zitat enorme Sprengkraft besitzt. Dies kann zum Anlass genommen werden, zugleich mit den nötigen Begriffsklärungen vielleicht eines der zentralsten – weil häufig zu Missverständnissen und Vorurteilen verleitenden – Probleme zu diskutieren und in seinem positiven Impetus zu verdeutlichen. Dafür ist allerdings ein kleiner Umweg zu nehmen. Zuerst muss die im Zitat vorgenommene Absetzung der Philosophie von ›Wissenschaft‹ im Sinne der unter (1) getroffenen Unterscheidung von ›Philosophie‹ und ›Einzelwissenschaften‹ interpretiert werden. In ›radikaler‹ Weise nach ihren eigenen Wurzeln fragend 347 kann die Philosophie dann als ›überwissenschaftlich‹ gelten, sofern ›wissenschaftlich‹ die vorbestimmten Fragerücksichten und Methoden der Einzelwissenschaften bezeichnet. Hoch problematisch ist jedoch neben dem Begriff der »Weltanschauungslehre« 348 vor allem der Rekurs auf den Intuitionsbegriff, weil dieser in der Philosophie viele Jrl, 161. Vgl. zur »Radikalität« des Fragens als ein auf die eigenen »Wurzeln« (von lat. »radix«) gerichtetes auch Schmidt 2003,18. Vgl. auch Zenkowskij 1930, 35, demzufolge »eine wurzelhafte Eigentümlichkeit« vor allem dem »religiöse[n] Gebiet« zukommt. 348 Auf den Begriff der ›Weltanschauungslehre‹ kann in diesem Kontext nur kurz am Rande durch den Hinweis eingegangen werden, dass eine Frank nahe Interpretation des Verhältnisses von ›Philosophie‹ und ›Weltanschauung‹ (allerdings in heideggerianischer Ausdrucksweise) bei Wucherer-Huldenfeld 2014, 307–313 zu finden ist. ›Weltanschauung‹ wird dort treffend auf den Punkt gebracht als »in erster Linie keine theoretisch distanzierte Betrachtung, sondern eine Weise, wie wir uns praktisch (Widerfahrendes würdigend, entscheidend und verantwortlich) in der Welt aufhalten und uns selbst zur Welt und zu unserem Leben verhalten« (ebd., 309). Dies ist insofern Frank nahe, als sein Philosophiebegriff nicht im Sinne eines rein theoretischen Unterfangens des Verstandesdenkens von bloß Denkmöglichem aufgefasst werden kann, sondern immer das Seiende als aktiv am Sein teilhabendes, sich stets im Seinsvollzug befindendes und somit auch in der fundamentalontologischen Grundfrage niemals abstrakt neutrales, sondern konkret auf Sinn bezogenes versteht. Es gibt dann keine »philosophische Weltanschauung« neben anderen möglichen, sondern Philosophie kann als Weltanschauungslehre so begriffen werden, wie Wucherer-Huldenfeld es 346 347
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
Bedeutungen haben kann. Frank hat mit ›Intuition‹ jenes Lebendige Wissen im Blick, das weder reine Verstandeskonstruktion noch passive Erfahrungswahrnehmung von Erkenntnisinhalten bedeutet. Es ist, wie dargestellt, jener Kulminationspunkt von Denken und Sein in der unthematisch erlebten aktiven Teilhabe am Sein. 349 Als transzendentaler Grund der Erkenntnis ist damit weder ein irrationales Bauchgefühl noch esoterisches Wissen bestimmter Offenbarungsinhalte gemeint. Wird es von Frank ›transrational‹ oder ›metalogisch‹ genannt, so intendiert das eine (vielleicht nicht genügend behutsame) Absetzung von einer bloß diskursiven, formalen Form der Vernunft, welche von Frank als Begriffliche Erkenntnis bezeichnet ganz in der Linie der rein »formallogischen« bzw. »technischen Rationalität« Hösles steht. 350 Fordert Hösle eine Wiedergewinnung des weiteren Vernunftbegriffes, der auch zur Prinzipienerkenntnis fähig ist, geht Franks Impetus in dieselbe Richtung. Der mit Hösle angesprochene Grunddualismus – einerseits technische Rationalität (Szientismus), andererseits Irrationalismus, tertium non datur – ist jenes Grunddarstellt: »[S]ie ist in einem ausgezeichneten Sinne Haltung, die das Dasein freilegende und befreiende ›Grund-Haltung schlechthin‹« (ebd., 313). 349 Vgl. zum Intuitionsbegriff bei Frank: GdW, 455 f. In RM, 232, wird das Lebendige Wissen als »metaphysische Erfahrung« bezeichnet, welche Frank wenig später »lebendige philosophische Intuition der Realität« (RM, 247) nennt. Als »mystische Intuition« sieht Frank sie im ontologischen Beweis ausgedrückt, sofern dieser »die einfache Formulierung der Eigenart des mystischen oder lebendigen Wissens, im Unterschied zum Wissen des Abstrakten, des Gegenständlichen« ist (LW, 303). In anderem Zusammenhang unterscheidet Frank »zwei Erkenntnisarten« (LW, 200) und stellt dabei der Begrifflichen Erkenntnis eine »intuitive Erkenntnisart« (LW, 201) gegenüber, die im Gegensatz zur »Partialintention« bestimmter Einzelinhalte eine »Totalintention« des Ganzen darstellt (LW, 206). Diese »intuitive Erkenntnis« darf, auch wenn Frank sie als Grundlage jeder bestimmten Erkenntnis bezeichnet (208), nicht voreilig mit Franks Intuitionsbegriff verwechselt werden. Sie bedeutet im Zusammenhang der methodisch-didaktischen Überlegungen an jener Stelle eine erkenntnistheoretische Vorstufe, die nur zu einem »intuitiven Seinsbild«, nicht jedoch zum »Sein selber« gelangt (LW, 209). Als »anschauende Intuition« setzt Frank sie noch einmal von der »konkrete[n] Realität« ab, weil sie »nur einen zeitlos-unbeweglichen Extrakt aus der konkret-lebendigen Fülle der Wirklichkeit darstellt.« (LW, 211) Demgegenüber sieht er das adäquate »intuitiv-innerliche Wissen« erst in der konkreten Einheit von »Leben« und »Wissen« im »wissenden Erleben« als »überrationale Fülle der Lebensintuition«, d. h. im Lebendigen Wissen (LW, 218–220). Siehe weiterhin die Ausführungen zum vertieften Begriff der Erfahrung bzw. des ›Erlebens‹ im Abschnitt V, 2b. 350 Vgl. Hösle 1997, 76 f. und 95. Wie bereits in Anm. 45 ausgeführt besteht eine Nähe zur »Einstellung des Theoretikers« bei Kuhlmann 2009, 36.
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
übel, dem auch Frank mit dem Reden von der ›Trans-rationalität‹ entgegentreten will. Hösle betont zwar durchaus scharf die Notwendigkeit einer »Transzendierung der technischen Rationalität« 351 und bezeichnet die Reduktion der Philosophie auf formale Logik (im Blick auf den logischen Positivismus) als »eine der […] irrationalsten, ja bei allem Anschein der Vernunft wahnhaftesten Lehren« 352 des 20. Jahrhunderts. Zugleich beanstandet er aber ebenso ausdrücklich, dass eine »undifferenzierte Rationalitätskritik« mit einer »pauschale[n] Diffamierung von Rationalität nicht nur keine Probleme lösen, sondern sie verschärfen wird.« 353 Hingegen müsse auch die formale Logik immer als Mittel einbezogen werden und die Erarbeitung einer Prinzipien vernehmenden hermeneutischen Vernunft methodisch kontrolliert vonstattengehen. Während Hösle von Hegel ausgehend einen »objektiven Idealismus« etablieren möchte und in diesem Zuge den Rationalitätsbegriff erweitert (bzw. gegen dessen Verengung ankämpft), sodass dieser als Wertrationalität auch die Prinzipienerkenntnis umfassen kann, tut sich Frank wohl auch auf dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte mit dem Idealismus schwerer. Zwar hatte er sich um 1904 selber intensiv mit dem kantischen Kritizismus, insbesondere mit Fichte, beschäftigt und identifiziert. Jedoch geschah dies in einer gewissen Abgrenzung von der hegelschen oder schellingschen Metaphysik. Beide erschienen ihm zu objektivistisch. Primär gegen eine materialistische Metaphysik gewandt, hatte für Frank das »transzendentale Ich« als »Bewusstsein« zu jener Zeit ontologische Priorität, ohne dass er seinen Standpunkt selbst als einen »metaphysischen Idealismus« hätte vertreten wollen. 354 Frank schrieb, dass ihn die subjektivistische Schlagseite der kantisch-fichteschen Position zu jener Zeit auch nicht gänzlich befriedigte. Wie er später sah, führt sie vielmehr auf unerfreuliche Weise in den Pragmatismus und Psychologismus. 355 In der erkenntnistheoretischen Grundlegung seines eigenen philosophischen Systems war für Frank schließlich die Schlüsseleinsicht, nicht vom »Bewusstsein«, sondern vom »Sein« auszugehen. 356 Dass Hösle 1997, 96. Hösle 1997, 77. 353 Hösle 1997, 95, in Bezug auf Heidegger und von ihm beeinflusste Denker wie Gadamer. 354 Boobbyer 1995, 29 f. 355 Vgl. Boobbyer 1995, 58 f. 356 Boobbyer 1995, 84. 351 352
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
dieser Umbruch in einem gewissen Ringen um einen Standpunkt ›zwischen und über‹ einem subjektivem Idealismus und einem naiven Realismus geschieht, lässt sich bei Frank auch an den Selbstbezeichnungen seines denkerischen Systems ablesen. Er begreift es als »konkreten« oder »absoluten Idealrealismus« 357 oder »absoluten Realismus« 358 und setzt bisweilen beide Bezeichnungen miteinander gleich. 359 Freilich ist in Franks Realismus-Begriff das Sein nicht nach dem Bild des materiellen Dinges (im Sinne von lat. ›res‹), sondern wie ausgeführt (Abschnitte III, 1 und III, 4) wesentlich transzendierend als kreativ-dynamisches Leben, als geistiges Sein und sinngebender Grund entwickelt. Setzt Hösle dagegen den »Realismus« mit dem »Naturalismus« gleich, 360 hat er in seiner an Dilthey anschließenden Typologisierung den »naiven Realismus« vor Augen, gegen den auch Frank sich absetzt. 361 Ausdrücklich versteht Hösle seinen »objektiven Idealismus« als »Synthese von Realismus und subjektivem Idealismus«. 362 Die Nähe der Intentionen der frankschen und hösleschen Ansätze wird besonders deutlich, wenn Hösle die »Annahme eines gemeinsamen Ursprungs sowohl der Wirklichkeit als auch der Inhalte unseres Denkens aus einer absoluten Vernunft« 363 als »entscheidendes Charakteristikum des objektiven Idealismus gegenüber Realismus und subjektivem Idealismus« 364 näher wie folgt bestimmt als: »die Anerkennung einer eigenen Sphäre gegenüber natürlichem Sein und Bewußtsein, die nicht auf diese beiden Seinsbereiche zurückführbar ist – eben der apriorischen Wahrheiten in einer absoluten Vernunft. Diese sind nicht durch Abstraktionen aus der Realität zu gewinnen, wie Realismus und Empirismus meinen; ebensowenig aber reduzieren sie sich auf psychologische Bewußtseinszustände, LW, 53, 221 und 289; GdW, 475, 509 und 514; DU, 134. LW, 177, 189, 190, 221 und 289, sowie GdW, 222 und 414; DU, 134 und 137. 359 An dieser Stelle ist auf eine nötige Korrektur (hier von mir in eckigen Klammern eingefügt) im Text von LW, 289 hinzuweisen, mit der zugleich das Anliegen verstärkt zum Ausdruck kommt: »Mit derselben Notwendigkeit, mit welcher der psychologische Idealismus, wenn man ihn zu Ende denkt, zum absoluten [Idealismus] wird, [wird der absolute Idealismus zum absoluten Ideal-Realismus], oder, was dasselbe ist, zum absoluten Realismus.« 360 Hösle 1987, 235 f. 361 Vgl. LW, 193, 202, 208; GdW, 127, 167, 170. 362 Hösle 1997, 208. 363 Hösle 1987, 242. 364 Hösle 1987, 243. 357 358
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
wie der Psychologismus annimmt. Aber sie sind auch nicht reduzierbar auf intersubjektive Gebilde wie geschichtlich realisierte wissenschaftliche Theorien.« 365
Wie Hösles Kritik am Realismus somit Frank nicht trifft, so geht auch dessen Kritik am Idealismus an Hösle vorbei. Während für Frank das Sein wesentlich geistig ist, macht für Hösle die Vernunft mehr als nur Bewusstsein oder (formale bzw. technische Zweck-)Rationalität aus. Hösles Position steht überdies dem Ansatz der Transzendentalpragmatik nahe, 366 für den gerade die Einheit von Denken und Sein im Vollzug der Vernunft zentral ist. Nur über die »strikte Reflexion« auf das »performativ« in jeder »Vernunftpraxis« – also in der Weise des faktischen Seinsvollzuges – »Präsupponierte« wird hier nach W. Kuhlmann der Bereich letzter Gründe erschlossen. 367 Die Nähe der »strikten Reflexion« zu Franks Lebendigem Wissen ist ausdrücklich hervorzuheben. 368 Ebd. Vgl. Hösle 1987, 233 f.; zu Ähnlichkeiten und Differenzen vgl. neben Hösle 1987, 241–244, insbesondere auch Hösle 1997, 219–240; Hösle bezeichnet die Transzendentalpragmatik als »reflexive Transzendentalphilosophie der Intersubjektivität« (ebd., 109) und lobt die Herausarbeitung des »transzendentalen Status« der Intersubjektivität (ebd., 110 und 205) sowie den Mut des Anspruchs einer Letztbegründung (ebd., 110 und 142). Insbesondere Kuhlmann wird von Hösle für seine »umfassende systematische Darstellung der Transzendentalpragmatik« würdigend hervorgehoben (ebd., 115 Fn. 5). Hösle beklagt aber vor allem eine mangelnde ontologische Ausgestaltung in der geradezu verabsolutierenden Fokussierung auf die Intersubjektivität des Diskursparadigmas. In dieselbe Kerbe schlägt von theologischer Seite auch Müller 1994, 456, wenn er resümiert: »Der terminus ad quem all dieser kommunikativen Vollzüge bleibt nur eine Idee, etwas, von dem jetzt noch nicht gesagt werden kann, was es denn in Wirklichkeit einmal sein werde: die ideale Kommunikationsgemeinschaft. Medium des transzendentalpragmatischen Letztbegründungsgedankens ist aber die sich als ideale kontrafaktisch antizipierende reale Kommunikationsgemeinschaft.« Nach Hösle lassen sich diese Probleme durch die Annahme des objektiven Idealismus vermeiden. Neben einer ausführlichen modallogischen Rekonstruktion der Letztbegründungsbeweise Hösles widmet sich in dessen Sinne dem Unterschied zur Transzendentalpragmatik Ossa 2007, 38–54. Von der Gegenseite her setzt sich Kuhlmann 2009, 102–105, von der metaphysischen Deutung des Reflexionsargumentes durch Hösle ab. Er hält sie für »weder nötig noch möglich« und wählt stattdessen im Anschluss an Peirce einen »sinnkritischen Realismus« (ebd., 105) der durch die Transzendentalpragmatik eruierten synthetischen Sätze a priori. 367 Kuhlmann 2009, 38. 368 Auch wenn gerade an dieser Stelle die Überlegungen Dieter Henrichs zur »Reflexionsfalle« (vgl. Lerch 2009, 25 ff., insb. in Bezug auf Henrich 1982. Siehe auch Anm. 73) den Weg Franks bevorteilen. 365 366
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Der kleine denkerische Umweg bestätigt also durchaus Franks Analysen zur Problematik der Anwendung von Begrifflichkeiten auf den Bereich der ersten oder letzten Gründe. Liest man im Seitenblick auf Hösle den ›metalogisch zu überwindenden‹ Rationalitätsbegriff bei Frank im Sinne einer »zur technischen Rationalität verkümmert[en]« 369 Vernunft und versteht das Lebendige Wissen nicht als esoterisch-mystisches Offenbarungswissen, sondern im Seitenblick auf die Transzendentalpragmatik als »strikt reflexives Handlungswissen« einer der Prinzipienerkenntnis fähigen, 370 letztendlich absoluten Vernunft, besteht die ganze Problematik des Punktes (3) in der Explikationsweise jener von Hösle angesprochenen irreduziblen »Sphäre gegenüber natürlichem Sein und Bewußtsein«. Betont man wie Hösle den transzendentalen Grund jeder möglichen Bestimmung letztlich als Bereich »apriorischer Wahrheiten«, liegt es nahe, von einer »absoluten Vernunft« zu sprechen. Frank hebt dagegen den Vollzugscharakter stärker hervor, wenn er das »Transzendentale« als »Grundlage« jeder Denkbestimmung einen »Grenzbereich« nennt, der sich jeder direkten rationalen Bestimmung deswegen entzieht, weil er nur im Akt des Bestimmens selber selbstoffenbar erlebt und erst im Nachhinein explikativ zur Sprache gebracht werden kann. 371 Frank diffamiert also die Rationalität gerade nicht pauschal, sondern weist ihr als formal-technischer – in der reflexiven Anwendung der Rationalität auf sich selbst – ihre Grenzen auf, die vernünftig zu übersteigen sind. Ist vergegenständlichende Verallgemeinerung – d. i. ›Abstraktion‹ als durch Anwendung der Negation gewonnene Unterscheidung – die Bestimmung der Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis, so eignen sich weder die Begriffliche Erkenntnis noch ihr Gegenteil (die Irrationalität), um das der Unterscheidung zugrundeliegende Prinzip zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr erscheint für sie vor allem die Möglichkeit einer phänomenologischen Beschreibung unter Hinzuziehung transzendentaler Begründung angemessen. 372 Noch einmal ist zu betonen, dass Frank seine Methode der KonHösle 1987, 219. Vgl. Kuhlmann 2009, 44. 371 DU, 172 f. 372 Auch die Transzendentalpragmatik kann an diesem Punkt nicht mehr mit Beweisen, sondern nur noch mit Beschreibungen arbeiten, die das unthematische Handlungswissen aus dem »Schatten der Abstraktion« entbergen und vor der Vergegenständlichung bewahren (vgl. Kuhlmann 2009, 38). Dass das »Herausarbeiten der 369 370
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
kreten Beschreibung ausdrücklich vom »rein irrationalen Elemen[t]« der Poesie, d. h. »der unwillkürlichen Assoziation der Ideen, der Bilder, der Emotionen, die sich mit den Nuancen der Bedeutung und selbst mit dem phonetischen Köper des Wortes verbinden, gleichsam mit seiner ›Aura‹«, absetzt. 373 Damit wird jeder möglichen Versuchung begegnet, Franks Hochschätzung der Poesie insbesondere als »menschliche Offenbarung des Geheimnisses der Urrealität in all ihrer Tiefe und Bedeutsamkeit, die dem ›prosaischen‹ Wort entgleitet«, 374 schlicht anti-rational oder gar philosophiefeindlich zu interpretieren. Frank geht es um das expressive Element der Poesie, das ihm zufolge »auch der Philosophie zu Gebote« steht, weil auch in der »prosaischen Rede« »Begriffe und Gedanken […] so miteinander verbunden« werden können, »daß schon in ihrer Zusammenstellung ihre bloß rationale, abstrakte Bedeutung überwunden und die konkrete Realität gerade in dem Aspekt zum Ausdruck gelangt, in dem sie über den Begriff hinausgeht und sich prinzipiell von ihm unterscheidet.« 375 Es geht also nicht darum, etwa mit blumigen Metaphern oder Bildern an jenen Stellen, wo die Argumente versagen, eine willkürliche irrationale Stimmung oder dergleichen zu erzeugen. Jene atmosphärische Erweiterung der Sprache durch die Poesie lässt vielmehr die Erkenntnis über eine bloße Kennzeichnung gegenständlicher Entitäten (im Sinne der Abschnitte II, 1 und 2) in die geistige – und das heißt, in die zu tiefst vernünftige – Realität vordringen. Die expressive Komponente von Begriffszusammenstellungen wird genutzt, weil ein Mit-nichts-anderem-Vergleichbares, Von-nichts-anderem-Unterscheidbares und Auf-nichts-anderes-Zurückführbares keine Möglichkeit eines einfachen rationalen Begriffs bietet und deswegen auf beschreibenden Umwegen dem Verständnis nahe gebracht Argumentationsbedingungen den Charakter einer Beschreibung« annimmt, merkt etwa Ossa 2007, 116, kritisch an. 373 RM, 177 f. 374 DU, 376 f. 375 RM, 178. Ehlen verweist für die philosophische Nutzbarkeit der Poesie neben Kant auf die platonischen Dialoge, welche »in ihrer mytologischen Bildsprache den philosophischen Gehalt treffender zum Ausdruck bringen als das eine rational-begriffliche Analyse vermöchte.« (Ehlen 2004, 44 f. und Ehlen 2009, 147) Bei verschiedenen modernen Philosophen lassen sich bis in die Gegenwart hinein ähnliche Ansätze finden, die versuchen das expressive Moment der Sprache im Hinweis auf Dialogizität bzw. Narrativität für die Philosophie fruchtbar zu machen. Im angelsächsischen Raum sind etwa Stanley Cavell (bspw. Cavell 1969), Charles Taylor (bspw. Taylor 1995) und Eleonore Stump (bspw. Stump 2010) zu nennen.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
werden muss. Zudem kann dieses ›Verstehen‹ nach Frank nicht mittelbar über einen Erkenntnisinhalt, sondern nur im Sinne eines verstehend erlebenden Nachvollzugs, d. h. im eigenen Lebendigen Wissen, geschehen (siehe dazu Abschnitt III, 3 e). Die Methode der Konkreten Beschreibung ist demzufolge keine willkürliche Herangehensweise und auch kein poetischer Abschied von der philosophisch-wissenschaftlichen Begründungspflicht. Hingegen führen gerade die rationalen Begründungen der Irreduzibilität bzw. Nicht-Relativität jenes transzendentalen Grenzbereiches dahin, dass einsichtig wird, warum der Vernunftbegriff zu erweitern bzw. zu übersteigen ist. 376 Rationale Argumente im Sinne von stets unter Bedingungen stehenden, ableitenden Begründungen sind hier schlicht unanwendbar, weil es um die letzten Prinzipien der Möglichkeit eines solchen Begründens geht. Nicht, weil man sich der Begründungsverantwortung eigenmächtig entzieht, sondern weil die Begründungskette auf einen nicht weiter begründbaren letzten Grund stößt, ist vom herkömmlichen (formallogischen bzw. technisch-)rationalen Verfahren abzuweichen. Ist der letzte Grund transzendental eingesehen, kann er in seiner steten Inanspruchnahme in jedem möglichen Argument aufgewiesen werden, was ein hinweisendes Beschreiben – vorzugsweise in analoger Rede – in begründeter Weise einschließt. Das Resultat der Prüfung auf Wissenschaftlichkeit hängt also vom Wissenschafts- und Vernunftbegriff ab. Lässt man als wissenschaftlich nur gelten, was mit bedingten Argumenten vorgetragen wird und sich an bestimmten empirischen Fakten bestätigen lässt, verengt man den Wissenschaftsbegriff auf jenen der Einzelwissenschaften (wenn nicht gar auf Naturwissenschaft). Zugleich verengt man in diesem Zuge den Vernunftbegriff auf die formallogische bzw. technische Rationalität. In diesem Fall ist ›Philosophie‹ von ›Wissen376 ›Erweitern‹ und ›Übersteigen‹ stellen keine methodischen Alternativen dar. Es hängt immer davon ab, welchen Vernunftbegriff man ansetzt. Wird grundsätzlich unter ›Vernunft‹ nur und ausschließlich ein bloß diskursives Denkvermögen im Sinne des ›Verstandes‹ (ratio) verstanden, wäre der ›Überstieg‹ die bessere Begriffswahl (siehe zum ›transzendentalen Überstieg‹ auch Abschnitt IV, 3c), während die ›Erweiterung‹ in Richtung der »klassischen Unterscheidung« zwischen ›Verstand‹ und ›Vernunft‹ weist (vgl. Hösle 1997, 95). Ein vertiefter Vernunftbegriff wäre aber im frankschen Kontext ähnlich möglich wie der vertiefte Erfahrungsbegriff (siehe den nächsten Unterabschnitt III, 5c und später Abschnitt V, 2b). Die bereits angesprochene Nähe des Lebendigen Wissens zu Fichtes Begriff des ›Sehens‹ (Abschnitt III, 2b) zeigt eine solche Richtung an, wie auch schließlich die ›Gewissheit‹ des Glaubens als religiöser Erfahrung (Abschnitt V, 2a).
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
schaft‹ zu unterscheiden und ihr überzuordnen, wie Frank es tut. Denn, wie Philosophie als Frage nach den letzten Prinzipien einerseits nicht auf die Logik reduzierbar ist, weil diese – um noch einmal Hösle im Sinne Franks zu Wort kommen zu lassen – »nur lehren [kann], was aus bestimmten Annahmen folgt, nicht, ob diese Annahmen selbst richtig sind«, 377 so setzen andererseits auch die empirischen Wissenschaft schon in ihren grundlegenden induktiven Erkenntnisverfahren wie auch der anschließenden Theoriebildung metaphysische Axiome voraus, die sie selbst nicht begründen, zugleich aber auch nicht einfach offen lassen können. 378 In der philosophischen Begründung der letzten Prinzipien ist dagegen ›vernünftig‹ im weiteren Sinne, d. h. ›trans-rational‹, zu verfahren, insofern das unmittelbare Vollzugswissen des Subjekts nicht-gegenständlich den Ausgangspunkt der transzendentalen Reflexion bildet. Die expressive (nicht irrationale) Weise der Beschreibung rechtfertigt sich schließlich an der transzendental begründbaren Eigenart der letzten Prinzipien. Es ist somit durchaus möglich, Philosophie – insbesondere als Frage nach den ersten bzw. letzten Wirklichkeitsgründen – der Wissenschaft nicht lediglich gegenüberzusetzen. So weist Hösle darauf hin, dass die Verengung auf die technisch-rationale bzw. formal-logische Form des spezifisch wissenschaftlichen Wissensbegriffes erst ein recht junges Phänomen sei. Von der Antike bis zur Neuzeit (schließlich bei Hegel) seien die Termini »Wahrheit« und »Wissenschaft« allein der Philosophie vorbehalten gewesen. 379 Reduziert man folglich den Wissenschaftsbegriff nicht allein auf die methodisch beschränkte Frage nach bestimmten Einzelsachverhalten, sondern erkennt die vernünftige Frage nach der Wahrheit als solcher bzw. der wahren Wirklichkeit oder dem Sein als solchen und im Ganzen als genuin wissenschaftliche Frageweise an, kann auch daran festgehalten werden, dass eine so fragende und sich verantwortende Philosophie (in Abgrenzung von der Möglichkeit, auch philosophische Fragen, etwa unter praktischer Rücksicht, bloß in Bezug auf Einzelprobleme zu stellen) nach wie vor als die grundlegende Allgemeinwissenschaft zu gelten hat. 377 Hösle 1997, 77; dort noch expliziter: »Die formale Logik denkt nicht. Und sowenig diese Feststellung einen Tadel der Logik beinhaltet, sosehr bedeutet sie einen Tadel derjenigen, die die Logik mit der Philosophie, das Werkzeug (bzw. ein Werkzeug) mit der Sache selbst verwechseln.« 378 Vgl. Hösle 1997, 78 f. 379 Hösle 1996, 25.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
c)
Mystik und Wissenschaft – eine Frage des Realismus?!
Abschließend sind noch einige Anmerkungen zu der von Frank angesprochenen Nähe zur Mystik zu machen: Sosehr die dargestellte Fundamentalontologie auch keine religiösen Offenbarungsinhalte als Vorgabe akzeptiert, gibt es doch zumindest eine Vorgabe, die den Charakter einer Offenbarung trägt und die unabdingbar ist. Diese ist das Sein selbst, wie es sich im Lebendigen Wissen unmittelbar in der individuellen Teilhabe am Sein selbstoffenbart. Damit ist auch schon der Bezugspunkt genannt, welcher die franksche Philosophie mit ›Mystik‹ 380 im weiteren Sinne verbindet: Das Lebendige Wissen ist kein Konstrukt des Menschen. Das Unmittelbare Selbstsein ist vielmehr etwas dem Menschen radikal Vorgegebenes, das nur durch transzendentale Selbstbesinnung vernommen werden kann. Dabei ist das Vernehmen ein unmittelbares Erleben der Teilhabe am absoluten Sein. Es liegt jeder Interpretation voraus und ist zugleich mit einem Wissen um die bleibende Inadäquatheit jeder begrifflichen Beschreibung dieses Seins verbunden (docta ignorantia). Das erste Erleben der Realität des Unmittelbaren Selbstseins kann zudem als tiefgreifende und lebensverändernde Offenbarungserfahrung erscheinen. 381 Wie in der Mystik lässt sich dieses Ersterleben des Lebendigen Wissens durchaus als eine »seltene Grenzerfahrung« 382 deuten. Damit ist dennoch kein esoterisches Geheimwissen von Auserwählten bezeichnet, das einzig auf göttliche Sonderinspirationen zurückginge, sondern ein prinzipiell jedem jederzeit zugängliches Wissen. Es gelangt nur deswegen selten zu Bewusstsein, weil die Aufmerksamkeit gewöhnlich fast ausnahmslos auf Objekte bzw. Erkenntnisinhalte gerichtet ist. Das über diese hinausgehende Realitätserleben wird ferner nicht notwendig religiös interpretiert, sondern kann in unterschiedlichen Lebenskontexten beispielsweise in ästhetischer, sittlicher, gemeinschaftlicher oder schöpferischer Weise erfahren werden. Peter Ehlen weist etwa darauf hin, dass sich »in formaler Hinsicht […] das ›verstehende Erleben‹ der Verbundenheit in ehelicher Liebe nicht von der Erfahrung des Mystikers, mit Gott vereint zu sein [unterscheidet]«, 383 weswegen die Nä380 381 382 383
Vgl. zum Begriff der ›Mystik‹ etwa Heidrich 1984 sowie Schöndorf 2010b. Vgl. beispielsweise RM, 142 f., 240, und LW, 307, in Bezug auf Augustinus. Vgl. Schöndorf 2010b, 311. Ehlen 2009, 143.
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
he Lebendigen Wissens zum »mystischen Bewußtsein« treffend sei. Insbesondere in Bezug auf die »unio mystica« zitiert Ehlen Franks folgende Charakterisierung des Erlebens der Realität: »Die Realität, die in dieser inneren mystischen Erfahrung gegeben ist, überschreitet immer die Grenzen des Gegensatzes zwischen dem ›subjektiven Leben‹ und dem ihm äußerlichen ›Gegenstand‹, sie ist nicht der äußerlich-gegenständlichen Betrachtung anheimgegeben, sondern dem inneren lebendigen Wissen – einem Wissen, in dem die Realität selbst sich in uns eröffnet.« 384
Ehlen hebt in diesem Frank-Zitat »Realität selbst […] in uns« hervor 385 und verdeutlicht auf diese Weise die Immanenz des Transzendenten – die (freilich transzendierende) Anwesenheit der absoluten Realität im endlichen, an ihr teilhabenden Seienden. Die Annahme einer restlosen Auflösung des Erlebenden im Erlebten, des Endlichen im Absoluten, wäre hier genauso unangemessen wie in der unio mystica. Ist es nun wissenschaftsfremd, sich in einer solchen Weise philosophisch an ein vernehmendes ›mystisches Wissen‹ zu binden? Das wäre der Fall, wenn mit Franks Forderung der Trans-rationalität unter Hinzuziehung des Mystik-Begriffes etwa ein abergläubisches, irrationales Fürwahrhalten dogmatischer Inhalte oder die Aufgabe der Rationalität im Sinne eines dogmatischen Abbruches rationaler Rückfragen vor einem willkürlich anzunehmendem Abschlussgedanken gemeint wäre. Dass es sich bei der Erarbeitung des Lebendigen Wissens im Gegenteil eigentlich um die Forderung der Erweiterung des Vernunftbegriffes handelt – bzw. um den Versuch der Überwindung eines einseitig abstrakten Rationalitätsbegriffes, welcher in Form einer Verengung auf formale Logik oder Zweckrationalität begegnet – zugunsten einer der Prinzipieneinsicht fähigen höheren Vernunft, sollte der Vergleich mit der Position Vittorio Hösles nahebringen. Dazu lässt sich berechtigterweise anfragen, ob es denn förderlich sei, gerade den Begriff der Mystik ins Spiel zu bringen, weil er doch der Vernunft zutiefst fremde Assoziationen weckt. Ähnlich wie bei dem Begriff der religiösen Philosophie entsteht tatsächlich im Angesicht der Zeitumstände zumindest Erklärungsbedarf. Dass allerdings die Bedeutung des Mystikbegriffes, obzwar freilich grundsätzlich
384 385
GGdG, 168. Ehlen 2009, 143.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
missverstehbar, doch nicht nur negativ aufgefasst werden muss, sondern auch eine klärende Bedeutung haben kann – insbesondere als das vernehmende Moment der Vernunft gegenüber einer abstrahierenden oder konstruierenden Funktion des Verstandes, die Realität und Prinzipien gegenüber doch immer in der Distanz abstrahierter Gedankenmodelle verbleibt –, mag anhand eines Bezuges zu Hegel deutlich werden. Dieser führt in seiner Dialektik (wie bereits angesprochen) über den abstrakten Verstandesbegriff hinaus zu einer spekulativen Vernunft, die er selbst sich nicht der Mystik gleichzustellen scheut. Dies soll wegen des hervorragenden Bezuges zur frankschen Intention in einem längeren Zitat belegt werden: »Hinsichtlich der Bedeutung des Spekulativen ist hier noch zu erwähnen, daß man darunter dasselbe zu verstehen hat, was früher, zumal in Beziehung auf das religiöse Bewußtsein und dessen Inhalt, als das Mystische bezeichnet zu werden pflegte. Wenn heutzutage vom Mystischen die Rede ist, so gilt dies in der Regel als gleichbedeutend mit dem Geheimnisvollen und Unbegreiflichen, und dies Geheimnisvolle und Unbegreifliche wird dann, je nach Verschiedenheit der sonstigen Bildung und Sinnesweise, von den einen als das Eigentliche und Wahrhafte, von den anderen aber als das dem Aberglauben und der Täuschung Angehörige betrachtet. Hierüber ist zunächst zu bemerken, daß das Mystische allerdings ein Geheimnisvolles ist, jedoch nur für den Verstand, und zwar einfach um deswillen, weil die abstrakte Identität das Prinzip des Verstandes, das Mystische aber (als gleichbedeutend mit dem Spekulativen) die konkrete Einheit derjenigen Bestimmungen ist, welche dem Verstand nur in ihrer Trennung und Entgegensetzung für wahr gelten. Wenn dann diejenigen, welche das Mystische als das Wahrhafte anerkennen, es gleichfalls dabei bewenden lassen, daß dasselbe ein schlechthin Geheimnisvolles sei, so wird damit ihrerseits nur ausgesprochen, daß das Denken für sie gleichfalls nur die Bedeutung des abstrakten Identischsetzens hat und daß man um deswillen, um zur Wahrheit zu gelangen, auf das Denken verzichten oder, wie auch gesagt zu werden pflegt, daß man die Vernunft gefangennehmen müsse. Nun aber ist, wie wir gesehen haben, das abstrakt verständige Denken so wenig ein Festes und Letztes, daß dasselbe sich vielmehr als das beständige Aufheben seiner selbst und als das Umschlagen in sein Entgegengesetztes erweist, wohingegen das Vernünftige als solches gerade darin besteht, die Entgegengesetzten als ideelle Momente in sich zu enthalten. Alles Vernünftige ist somit zugleich als mystisch zu bezeichnen, womit jedoch nur so viel gesagt ist, daß dasselbe über den Verstand hinausgeht, und kei-
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Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
neswegs, daß dasselbe überhaupt als dem Denken unzugänglich und unbegreiflich zu betrachten sei.« 386
Monieren nun aber die Hegelianer nicht zurecht, dass Frank genau jene ›Gefangennahme der Vernunft‹ durchführt, weil er ›das Denken‹ mit dem ›abstrakten Verstand‹ gleichsetzt und zudem die letzte Wirklichkeit als ›Unergründliches‹ entzieht? Dass die Tendenz vorhanden ist, kann wohl nicht bestritten werden. Jedoch kann man zu bedenken geben, dass die Vernunft schon zu Zeiten Franks – und noch mehr heute, wie der Blick auf Hösle zeigt – bereits in der ›Gefangenschaft‹ vorgefunden wird. Außerdem ist entgegenzuhalten, dass Frank dialektisch keinesfalls einseitig wird. Er formuliert bezüglich der Absetzung vom abstrakten Verstandesdenken sehr sorgsam folgendermaßen: »Die Realität ist unergründlich, sofern wir unter ergründen die unmittelbare Feststellung des in begrifflicher Form erkannten Wesens verstehen.« 387 Demgegenüber ist ihm zufolge »das wahre Wesen der Philosophie […] ein die Grenzen der Rationalität transzendierendes Denken«, 388 wodurch auch der Begriff des Denkens eine transzendentale Erweiterung erfährt. Es wäre gänzlich verfehlt, das Lebendige Wissen als Gegensatz zum Denken zu deuten. Das verstehende Erleben des geistigen Seins bei Frank gegen die reflexiv spekulative Vernunft und den absoluten Geist bei Hegel auszuspielen, indem man sich etwa fragt, ob nun der ›Geist‹ oder das ›Sein‹ den letzten Primat habe, würde die Absicht beider Denker verkennen. Denn leitend ist die Grundeinsicht des ontologischen Beweises, d. i. gerade die Einheit von Denken und Sein. So formuliert Frank die Intention des Lebendigen Wissens mit dem Seinsbegriff im Sinne dieser Einheit: »das Sein selber wird im erlebenden Wissen eben dadurch adäquat erfaßt, oder vielmehr es erfaßt in ihm durch unseren Geist sich selber, weil es eben selber nicht dunkles Sein ist, das auf einen fremden, es von außen her erleuchtenden Erkenntnisstrahl warten müßte, sondern Leben und Wissen an sich ist.« 389
Explizit weist er an jener Stelle mit Plotins Enn. V 6,6 und V 8,4 darauf hin, dass das Sein als geistiges selber ein erfülltes »Leben« als 386 387 388 389
EnzW, 178 f. RM, 176. DU, 172. LW, 220.
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(Fundamental-)Ontologie als Frage danach, was es (letztlich) bedeutet ›zu sein‹
»Weisheit« im Sinne eines letzten einheitlichen Grundes des Denkens und des Lebens ist. Die Realität ist bei Frank deswegen auch ausdrücklich nicht den Bestimmungen des Denkens entgegengesetzt. Dergestalt wäre der Seinsbegriff der Abstraktheit erlegen. 390 Vielmehr enthält die Realität als ursprüngliche Einheit jede Bestimmung begründend in sich und überschreitet jede Bestimmtheit allein deswegen, weil sie auch der, nicht im Gegensatz zur Vernunft stehende, Grund für jede mögliche weitergehende Bestimmung bleibt. Dies ist nicht nur ein blindes Postulat, sondern kann auf dem Hintergrund jener bereits dargestellten transzendentalen Erkenntnisanalyse zur Einsicht gebracht werden (Abschnitt III, 3a). Die transzendierende Erhebung ist für Frank folglich kein Verlassen der Vernunft in einen ihr gegenüber jenseitigen Bereich, sondern gerade ihre Aufhebung im Sinne des hegelschen Dreiklangs zur »wahrhafte[n] Konkretheit des Denkens«. 391 Ohne die Einheit von Denken und Sein, Erkenntnistheorie und Ontologie, ohne den weiteren Vernunftbegriff als ein der Mystik nahestehendes Vernehmen des geistigen Seins in der lebendigen Teilhabe an ihm folgt unausweichlich eine Spaltung in einerseits einen letztlich naturalistischen Empirismus oder andererseits einen antirealistischen Rationalismus. Franks Ansicht nach ist für die »letzte Begründung des Realismus« eine Auseinandersetzung mit beiden Schlagseiten nötig. 392 Da die Philosophie jedoch primär in der Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis vorgehe, habe sie vor allem eine »Widerlegung des Rationalismus« nötig. 393 Allein dadurch kann seines Erachtens ein »absoluter Realismus« erreicht werden, welcher allerdings »erst als konkreter Idealrealismus« seine wahrhaftige Gestalt gewinnt. 394 Erst an dieser Stelle wird dann auch jener unverbrüchliche Maßstab erlangt, der als transzendenter Leitstern einer approximativ objektivierenden Wissenschaft vorschwebt, wie etwa Popper, Poser usw. es im Blick haben. Denn jene philosophia perennis, welche Poser der Philosophie in Abrede stellt, ist mitnichten ein für immer feststehendes, eindeutig und vollständig formulierbares Wissen des abstrakten
390 391 392 393 394
Vgl. RM, 181 f. RM, 182; vgl. auch DU, 172 f. LW, 221. Ebd. Ebd.
134 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Zur ›Wissenschaftlichkeit‹ der philosophischen Methode Franks
Denkens über die letzten Strukturen der Wirklichkeit. Vielmehr lebt sie aus jener vernünftigen Einsicht der letzten Wirklichkeit, die zwar für jede Zeit und ihre spezifischen kulturellen Umstände immer wieder neu artikuliert werden muss, aber dennoch als eine unverbrüchliche Grundeinsicht die Philosophie mindestens von Platons Zeit an (wenn nicht schon seit Anbeginn) leitet 395 und letztlich die Grundbedingung auch für jedes einzelwissenschaftliche Unternehmen bildet.
395
Vgl. DU, 24.
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IV. Anthropologie: Das Sein des Menschen
Mit den Darlegungen der Abschnitte I bis III ist Franks Philosophie als Ontologie – genauer als Fundamentalontologie – charakterisiert. Im Zentrum steht die Frage nach dem Sein als solchen und im Ganzen. Dass ›Sein‹ nicht bloß etwas statisch Gegebenes im Sinne der univoken Existenz einer bestimmten Entität, sondern etwas zutiefst Lebendiges ist, wurde mit dem Begriff des Transzendierens herausgearbeitet. Es zeigte sich als aktive Bezogenheit auf das Andere hin – sowohl auf das andere Seiende als auch auf das absolute Sein als radikal Anderes. Dabei wurde das Einzelseiende als ein Teilhabendes, als Partizipialform dieses absoluten Seins beschrieben. Was es heißt ›zu sein‹, entdeckte sich mit Frank nicht über den gewöhnlichen Weg eines abstrahierenden Erkennens, das auf Erkenntnisinhalte als gegebene Objekte gerichtet ist. Vielmehr erforderte die fragende Rückbindung an den Grund des eigenen Seins einen transzendentalen Überstieg des Verstandesdenkens bzw. der Rationalität. Nur in einem verstehenden Erleben des eigenen Seinsvollzugs – im Lebendigen Wissen – wurde mit Frank das Sein selbst in der ihm eigentümlichen Art und Weise als transzendierende Realität wahrnehmbar. In der Reflexion auf die Wissenschaftlichkeit wurden sowohl der Ausgang vom erkennenden Subjekt gegenüber dem objektivierenden Zugang der empirischen Wissenschaften hinterfragt als auch die Vernünftigkeit des Lebendigen Wissens. Dabei wurde argumentiert, dass in der Frage nach dem Ganzen als solchen und seinem Grund die Philosophie radikal über vorab beschränkte Perspektiven hinausgehen muss. Insbesondere das erkennende Subjekt kann nicht ausgeklammert werden. Mit dem jedem menschlichen Fragen und somit auch jedem Wissenschaftsvollzug zugrundeliegenden Vernunftvermögen ist vielmehr ein Allgemeinstes thematisiert. Dennoch bleibt es im Lebendigen Wissen nicht derart allgemein wie ein abstraktes Objekt oder ein bestimmter Erkenntnisinhalt. Stattdessen ist es in der sich vollziehenden Erkenntnistätigkeit das geradezu Konkreteste – näm136 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Anthropologie: Das Sein des Menschen
lich geistiges Sein. Außerdem wurde die Konkrete Beschreibung als ein die transzendentalphilosophischen Argumentationen erweiterndes Mittel dargestellt, das nicht der Irrationalität verfällt. Das poietische bzw. expressive Moment der Sprache erwies sich als eine solche Ausdrucksweise, die der transrationalen Realität in ihrer Urgestalt als wesentliche Selbstoffenbarung entspricht. Auf dem Hintergrund der Ausführungen zum ontologischen Beweis (Abschnitt III, 2) kann gesagt werden: Die Realität als solche und im Ganzen ist kein dunkles, statisch verschlossenes Sein, das erst gewaltsam eröffnet werden müsste. Sie ist vielmehr – gerade in ihrer alles Begrenzte transzendierenden Unergründlichkeit, die sich im personalen Wesen des Menschen deutlich zeigt – wesentlich auf Kommunikation, d. h. wechselseitige Selbstmitteilung, hin angelegt. 1 Somit rechtfertigt sich nicht nur überhaupt die philosophische Betrachtung des Menschen (auch als eine phänomenologische) im Rahmen der Ontologie. Vielmehr ist die Frage nach dem Sein als solchen und im Ganzen schlechterdings unmöglich, ohne eine transzendentale Vertiefung in das menschliche Sein vorzunehmen. Das Unmittelbare Selbstsein stellt die unhintergehbare Voraussetzung jedes wissenschaftlichen Vernunftvollzuges und den einzig unmittelbaren, wahrhaft konkreten (nicht durch Abstraktion objektivierenden) Zugang zum Sein als solchen dar. Nachdem implizit bereits die beiden zentralen Grundaspekte (die Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis und die Objektive Wirklichkeit einerseits und andererseits das Lebendige Wissen und das Unmittelbare Selbstsein bzw. die lebendige Realität des Subjekts) für die ontologischen Erörterungen herangezogen wurden, hilft die anthropologische Betrachtung vor allem, die schwierig anmutende analoge Verbindung (den von Frank so bezeichneten Antinomischen Monodualismus) näher zu verstehen. Denn, dass die beiden ontologisch scheinbar so verschiedenen Bereiche weder in eine prinzipielle Trennung auseinanderfallen noch schlechthin in einer Einheit verschwimmen, zeigt sich nirgendwo näher und eingängiger (prinzipiell durch jeden nachvollziehbar) als im »zweieinen Wesen des Menschen«. 2 Im Weiteren wird am Sein des Menschen das Transzendieren in einer ganz besonderen Weise deutlich, d. i. in seiner Personalität. Entsprechend den bereits dargestellten Überlegungen zur Vgl. DU, 376: »Die Realität selber, das Unbegreifliche, erhält im Wort ihre Stimme. In ihm spricht die Realität von sich selber, ›drückt sich aus‹, ›äußert sich‹.« 2 RM, 257. 1
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
ontologischen Differenz, wird auf diese Weise wiederum jene doppelte Bezogenheit sichtbar. Zum einen wird der Mensch nach Frank erst in der Gemeinschaft mit anderen Personen selbst zur jeweiligen Person. Zum anderen findet er den letzten Grund der Personalität erst in der Verwiesenheit auf einen (über-)personalen Urgrund. Erst wenn in einer näher fokussierenden anthropologischen Betrachtung jener Aspekt der Personalität als Vollentfaltung des Transzendierens – und damit als eigentliches Wesen des allgemein ontologischen Seinsbegriffes – deutlich wird, kann, ja, muss der Übergang zur Frage nach dem Wesen Gottes erfolgen, sofern sich diese Frage von dem Wesen des menschlichen Seins her notwendig stellt.
1.
Körper und Seele – Der Mensch als Naturwesen der Objektiven Wirklichkeit
Der augenfälligste und gemeinhin selbstverständlichste Ausgangspunkt bei der Frage nach dem Wesen des Menschen kann mit seiner leiblichen Verfasstheit genommen werden. Dies entspricht dem ersten Schritt in den ontologischen Überlegungen zu den konkreten Entitäten bzw. der Empirischen Wirklichkeit (Abschnitt II, 1). Beginnend mit dem empirischen Sein des Menschen kann Frank phänomenologisch auf die sinnliche Erfahrung der materiellen Körperlichkeit rekurrieren. Der Mensch wird dargestellt als ein von materiellen Phänomenen durch äußere Einwirkung bestimmtes Seiendes. Allerdings erfährt er sich nicht nur als ein passiver Körper. In ihm vollzieht sich vielmehr eine innere Eigendynamik mit einer spezifischen Erfahrungsweise. Der Mensch nimmt sich als belebten Körper, als lebendigen Organismus, d. h. als leibliches Wesen wahr. Durch eine rein äußerliche, sinnliche Erfahrung wäre diese Wahrnehmung nicht möglich. Eine solche könnte streng genommen nur verschieden gestaltete sich bewegende Körper registrieren, deren Bewegungsursache auf wiederum externe Ursachen zurückgeführt werden müsste bzw. fraglich bliebe. Vielmehr ist die Wahrnehmung der eigenen Leiblichkeit eine nicht sinnliche, innere Erfahrung, für deren »›seelische‹ Phänomene« (Emotionen, Stimmungen etc.) Frank dieselbe Berechtigung einfordert, zur Empirischen Wirklichkeit gezählt zu werden, wie für die »materiellen« Gegenstände der äußeren Erfahrung. 3 3
Vgl. RM, 131.
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Körper und Seele – Der Mensch als Naturwesen der Objektiven Wirklichkeit
Demgemäß zeigt sich an dieser Stelle bereits eine erste ›ZweiEinheit‹ des Menschen. Der Mensch ist weder rein körperlich noch rein seelisch. Keine der beiden Seiten ist nach Frank sinnvoll zu leugnen. Das empirisch gegebene Sein sowohl des Materiellen wie auch des Seelischen erscheint als eine »unabhängige Realität«, die sich faktisch »objektiv« aufnötigt. 4 Weil die Empirische Wirklichkeit aber oftmals leichthin auf die Erfahrung des Materiellen reduziert wird und Frank in jener faktischen Unabhängigkeit der Objektivität das eigentliche Moment der unabweisbaren Wirklichkeit beider Phänomenbereiche sieht, charakterisiert er die Einheit des materiellen und seelischen Seins als den natürlich-weltlichen Aspekt des Menschen folgendermaßen: »Durch seinen Körper und sein seelisches Leben, soweit dieses durch körperliche Prozesse bestimmt und überhaupt der natürlichen Gesetzmäßigkeit unterworfen ist, gehört der Mensch zur Natur oder Welt, allgemeiner ausgedrückt, zu dem, was wir ›objektive Wirklichkeit‹ genannt haben.« 5
Hinsichtlich des Seins als »Naturwesen« ist der Mensch nach Frank nur »eine der Arten aus der organischen Tierwelt«. 6 Der Naturbegriff deckt sich mit dem weiteren Begriff der Empirischen Wirklichkeit, insofern der Aspekt des Lebendigen, ferner des psychisch Innerlichen impliziert ist. Als Platoniker gehören für Frank, wie gezeigt wurde (Abschnitt II, 2), sogar die nicht-empirischen, idealen Objekte als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zur »Natur« als Objektiver Wirklichkeit dazu. Innerhalb der Objektiven Wirklichkeit sind Naturwesen dagegen von übernatürlichen Wesen (»Gott, die Engel, köperlose Geister oder Seelen usw.«) im Sinne eines »Supranaturalismus« zu unterscheiden. 7 Die Natürlichkeit des Menschen unangetastet lassend, d. h. ohne ein Verhältnis zu supranaturalen Objekten vorauszusetzen, argumentiert Frank dafür, dass mit dem natürlichen Wesen des Menschen noch nicht die »Vollständigkeit seines Seins« bestimmt ist. 8 Denn die den Menschen grundlegend bestimmende Zwei-Einheit sei nicht die materiell-seelische. Sie lasse gerade die »fundamentalen Aspekte des 4 5 6 7 8
RM, 130 f. RM, 257. RM, 257. RM, 134. RM, 257.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
menschlichen Seins« außer Acht, die ihn von den Tieren unterscheiden: »Erkenntnis, das sittliche Leben und die schöpferische Aktivität.« 9 Diese setzen die Fähigkeit des »Transzendierens« in einem Maße voraus, das durch bloße »Naturphänomene« nicht abgedeckt wird. 10 Wiederum folgt daraus nicht einfach ein Postulat übernatürlicher Erfahrung von supranaturalen Entitäten. Vielmehr besteht die Problematik schon darin, dass die »Idee der ›objektiven Wirklichkeit‹« 11 nicht möglich wäre, wenn man darauf beschränkt wäre, nur ein Teil von ihr zu sein. Gegenüber dem anorganischen, bloß körperlich Seienden (beispielsweise Steine) hat der Mensch mit seinem seelischen Aspekt eine empfindende Innerlichkeit und eine dynamische Reaktion, sodass er es in seiner leiblichen Verfasstheit übersteigt. Allerdings reagiert der Mensch nicht nur unmittelbar auf die empfundene Wirklichkeit. Er erfasst sowohl die äußeren als auch die inneren Phänomene als solche. Er begreift sie als von ihm unabhängige Realität, somit als objektiv wirklich. Dass aber etwas als Objektive Wirklichkeit erkannt werden kann – d. i. Begriffliche Erkenntnis –, impliziert, sich über die Objekte erheben zu können. Der Mensch erhebt sich also einerseits über das nur faktische Gegebene und findet andererseits gegenüber dem Tier seine »differentia specifica« gerade darin, dass sein Transzendieren ihm ermöglicht, animal rationale zu sein – »ein urteilendes und wertendes Wesen«. 12 Der Mensch ist folglich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er nicht nur eine lebendige, fühlende Entität der Objektiven Wirklichkeit ist, sondern auch ein den Bereich des faktisch Gegebenen, des objektiv Wirklichen transzendierendes, d. h. ein geistiges Wesen. Was dies im Unterschied zum seelischen Sein bedeutet, ist näherhin zu explizieren.
RM, 258. Vgl. ebd. 11 RM, 258. 12 RM, 259. 9
10
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Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
2.
Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
a)
Das seelische Sein
Bereits bezüglich des seelischen Seins des Menschen, in der inneren Erfahrung des eigenen Seins, weist Frank darauf hin, dass sich dieser Bereich nicht auf die Objektive Wirklichkeit beschränken lässt. Zwar zählt er seelische Phänomene zur Objektiven Wirklichkeit, sogar zur Empirischen Wirklichkeit im weiteren Sinne. Doch erschöpft sich das seelische Sein nach Frank nicht in den der inneren Erfahrung gegebenen bestimmten Phänomenen. Dergestalt wäre die Seele des Menschen gleichsam ein Bündel von emotionalen Zuständen und/oder Prozessen, die sich, nach dem Muster äußerlicher bzw. physisch-materieller Objekte vorgestellt, lediglich im Inneren des menschlichen Körpers wie in einem Container befänden. Frank betont gerade die zu jeder Lokalisierung im Widerspruch stehende »Unräumlichkeit« 13 als jenes Merkmal, das die Seele vom physischen Sein unterscheidet. Obwohl sich die seelischen Phänomene durch ihre Verbindung mit dem Körper dem Menschen objektiv aufdrängen können, wodurch sich die Seele der Begrifflichen Erkenntnis (und damit der äußerlichen Betrachtung, der psychologischen Forschung wie allgemein dem auf die Objektive Wirklichkeit fokussierten Bewusstsein) überhaupt erst darbietet, ist dies dennoch nur eine abgeleitete Gestalt ihres eigentlichen Wesens. Dem objektiv beschreibbaren phänomenalen Inhalt voraus »eröffnet« sich laut Frank das Wesen des seelischen Seins vielmehr nur »im Erleben selbst unmittelbar von innen heraus.« 14 Gerade auf diesem Wege jedoch erscheint es der phänomenologischen Betrachtung als »ein Sein, eine sich unmittelbar offenbarende und deshalb unleugbare und unbezweifelbare Realität.« 15 Als Unmittelbares Selbstsein ist das seelische Sein nach Frank jene lebendige Realität des Subjekts, die jedem auf ein Objekt gerichteten Erkenntnisakt notwendig als dessen Vollzug zugrunde und somit ontologisch voraus liegt. Denn der Akt jeder grenzziehenden Unterscheidung ist, wie ausführlich dargestellt wurde (Abschnitt III, 1 und 3a), der Wahrnehmung alles Begrenzten und somit auch der Er13 14 15
DU, 187. Vgl. RM, 155, und SdM, 83–87. DU, 189. DU, 190
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
kenntnis von objektiven Phänomenen vorgeordnet. In Hinblick darauf »beginnt« das, was die Seele als Unmittelbares Selbstsein wesentlich ausmacht, allerdings nach Frank erst dort, »wo wir die Grenzen alles Gegenständlichen schon überschritten haben.« 16 Keine irgendwie geartete Summe von Bestimmungen emotionaler Zustände oder Prozesse (weiterhin auch keine physiologische Erklärung neuronaler Strukturen) wäre ihm gemäß in der Lage, sie restlos zu objektivieren. 17 Frank stellt es neben seinen erkenntnistheoretisch transzendentalphilosophischen Überlegungen in einer phänomenologischen Beschreibung dar: Über die Objektive Wirklichkeit gewinnt man durch die körperliche Vermittlung lediglich einen »Zugang von außen«, der wie ein »unterirdischer Schacht« in »eine eigentümliche Unendlichkeit« führt, die »sich in unermeßliche, bodenlose Tiefen verliert«. 18 Kann man einerseits in und an der Seele keine Grenzen festmachen, so ist das Selbstsein nach Frank doch andererseits als solches nicht mit dem Absoluten gleichsetzbar. Zwar erscheint es als »dynamische Lebenskraft«, 19 die »sich selbst als Absolutes« 20 hat, insofern es für sich der unhintergehbare Bezugspunkt jeder objektiven Erkenntnis ist, sodass Frank die Seele mit Aristoteles als »in gewisser Weise alles« bezeichnen kann. 21 Jedoch betont er dabei explizit die »gewisse Weise«; denn als Selbst-Sein ist es ihm zufolge zugleich »nicht alles, sondern nur ein einzelnes«, dem Anderen gegenübergesetztes, weiterhin ein von ihm bedrängtes und auf es angewiesenes Seiendes. So ergibt sich für Frank die Bestimmung der Seele als UnDU, 189. Vgl. DU, 274: »Die Seele ist wesensmäßig und darum stets noch anderes als das, was sie ihrem abgeschiedenen, inneren, logisch bestimmbaren Gehalt nach ist.« 18 RM, 157. Vgl. auch, die gesamten folgenden Überlegungen in dichter Form einbegreifend, MuiG, 46: »[D]ie Seele ist kein abgeschlossenes Gefäß. Sie selbst hat eine bodenlose Tiefe und ist dort, in ihrer Tiefe, nicht nur offen und in Berührung mit Gott und saugt ihn in sich ein, indem sie sich der Begegnung mit ihm öffnet […], sondern sie lebt in gewissem Sinne auch mit ihm ein gemeinsames Leben, befindet sich mit ihm in einer solchen Gemeinschaft, daß er in sie einfließt und sie in ihn.« Das »gemeinsame Leben« ist ein »geistiges«, das im folgenden Abschnitt beschrieben wird und zum Verständnis der Personalität führt. Ausgehend von dieser kann die »Gemeinschaft« der menschlichen Seele in der »Begegnung« mit Gott als religiöse Erfahrung und schließlich im »Gottmenschentum« ausgeführt werden (Abschnitte V, 2c und 3). 19 DU, 209. 20 DU, 204 [Übersetzung korrigiert, D. St.]. 21 Ebd., sich beziehend auf De anima, 431 b 20. 16 17
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Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
mittelbares Selbstsein folgendermaßen: Es ist »›Alles‹ – die All-Einheit des Seins – als einzelnes genommen«. 22 Obwohl in seiner Tiefe ins Unendliche gehend und für sich von einer unmittelbaren Unbedingtheit gekennzeichnet, ist das Unmittelbare Selbstsein derart zugleich ein Kontingentes. Zum einen ist seine unhintergehbare Einzigkeit und unmittelbare Eigenheit des Seins Ausdruck der Unbedingtheit, zum anderen ist dies aber zugleich Ausdruck des Ungenügens. Denn im Selbsterleben erscheint Frank zufolge das eigene Sein als »etwas Unvollständiges, Partikulares, nur potenziell Unendliches, d. h. Erweiterungsfähiges, und […] etwas Elementhaftes, Chaotisches, Grundloses«. 23 Es hat sein Wesen deshalb nur »in Form des Strebens zum Sein«. Nur insofern es über sich selbst hinausgeht und sich selbst auf das ihm gegenüber Andere hin verlässt, gewinnt es sich als transzendierendes Sein, d. h. in der Teilhabe am Anderen. Bis zu einem gewissen Punkt gilt das auch für das Tier. Auch dieses ist dynamisches Leben. Auch das Tier erlebt sich selbst als unhintergehbares Zentrum der Erfahrung, das im Überschreiten seiner Grenzen auf andere Seiende hin, d. h. im Transzendieren, sein eigenes Selbstsein in der Teilhabe vollzieht. Auch das Tier besitzt somit ein seelisches Sein. Jedoch fehlt ihm ein wichtiger Aspekt des Transzendierens gegenüber dem Menschen. Das Transzendieren aktualisiert sich beim Tier gleichsam nur zum Überschreiten der eigenen Faktizität bis zu jener grundlosen Spontaneität, welche im menschlichen Selbstsein als ein Ungenügen erlebt wird. Dementgegen zeigt sich laut Frank ein höheres Maß der Transzendenzfähigkeit beim Menschen darin, dass er »über die Fähigkeit verfügt, sich von allem zu distanzieren, was faktisch ist, einschließlich der Wirklichkeit seiner selbst, auf alles von außen zu schauen und sein Verhältnis zu etwas anderem zu bestimmen«. 24 Tier und Mensch sind als Naturwesen in ihrem seelischen Sein verwandt. Allerdings bleibt das Transzendieren des Tieres auf das lebendige Sein als ein getriebenes »Außer-sich-selbst-sein« 25 – m. a. W. auf bloßes Verhalten – beschränkt. Dagegen wird die Getriebenheit von den Bedürfnissen seiner faktisch-körperlichen Verfasstheit dem 22 23 24 25
DU, 204. RM, 258; vgl. DU, 208. RM, 259. DU, 209.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
Menschen als Bedingende bewusst, sodass er in der Lage ist, sein pures Eigensein – dabei durchaus mit sich ringend – überwinden zu können hin zu einer »Freiheit«, die als »Bei-sich-selbst-sein« zu einem »aktive[n] Prinzip der Selbstgestaltung« werden kann. 26 Nur von Letzterer her wird »Erkenntnis« in einem vollen Sinne möglich, weil die auch bei Tieren anzutreffende Wahrnehmungsintention als Transzendieren sich dort doch gleichsam in ihrer Eingebettetheit in der Welt verliert. Der Mensch kann dagegen sein »unmittelbares Selbstsein selbst und als solches« transzendieren, 27 was die Bedingung für die Begriffliche Erkenntnis einer unabhängig von ihm bestehenden Objektiven Wirklichkeit ist. Im Weiteren eröffnet sich ihm dadurch allererst das geistige Sein, weil er sich – im Transzendieren über sich selbst – selbst gegeben wird.
b)
Das geistige Sein
Das Transzendieren zum geistigen Sein kann, insbesondere bei der Bestimmung des Menschen im Unterschied vom Tier, wie ein Additum erscheinen. Immerhin soll es den Menschen zu etwas befähigen, das dem Tier versagt bleibt. Eine derartige Unterscheidung zwischen ›Seele‹ und ›Geist‹ wäre jedoch nach Frank ein fataler Fehler. Schon das seelische Sein lasse sich nur durch eine methodische Abstraktion abgesetzt vom geistigen Sein betrachten. 28 Eigentlich gründe die Seele in ihrer Unbegrenzbarkeit, gerade als jenes grenzenlose Streben des Transzendierens, im geistigen Sein: »In ihrer eigentlichen Tiefe, d. h. in ihrem wahren Wesen ist die Seele dasjenige, was sich ihr jenseits ihrer eigenen Grenzen zeigt.« 29 Damit ist zugleich die gegenteilige Möglichkeit, das geistige Sein nur als eine spezielle Funktion der Seele zu begreifen, ausgeschlossen. Denn es nur für sich zu betrachten, d. h. beschränkt auf das jeweils einzelne Seelenleben der Seienden, würde eine Verabsolutierung eines grundlosen Abstraktums bedeuten. Frank lehnt diese Ansicht unter dem Begriff des »Panpsychismus« ab. 30 DU, 209 f. DU, 216 f. 28 Vgl. DU, 273 f. 29 DU, 274. 30 Vgl. DU, 198. Franks Überlegungen entsprechend ist in der gegenwärtig vor allem im angelsächsischen Raum auflebenden Diskussion um den Panpsychismus eine Ten26 27
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Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
Die Entfaltung der engen Beziehung zwischen Seele und Geist kann nach Frank nicht durch eine einfache begriffliche Bestimmung geschehen. Bei dem Hinweis stehen zu bleiben, dass die Seele ihren Grund im geistigen Sein habe, 31 wäre genauso unzureichend vereinfacht wie die abstrahierende Gegenübersetzung des seelischen Seins zu einem ihm jenseitigen geistigen Sein. Frank behauptet stattdessen, dass es »keine eindeutige, genau festgelegte Grenze zwischen ›Seele‹ und ›Geist‹« 32 gibt. Man dürfe »nicht annehmen, daß der Unterschied zwischen ›geistigem‹ und ›seelischem‹ Leben ein objektiver, deutlich ausgeprägter Unterschied zweier realer, ihrem materiellen Inhalt nach verschiedener Schichten des Innenlebens sei.« 33 Zur Begründung kann das Verhältnis transzendental in seinem notwendigen Bedingungsverhältnis und im Sinne des frankschen Antinomischen Monodualismus als ungetrennt-unvermischte Einheit konkret beschrieben werden. Seinen Ausgangspunkt kann eine solche Beschreibung in der Phänomenologie des erfahrenden Subjekts finden. 34 Emotionen und Stimmungen werden dabei von Frank als ein mich bedrängender Aspekt des Seelenlebens zur Objektiven Wirklichkeit gerechnet. Im strengen Sinne sind diese Phänomene etwas, das von mir selbst zu unterscheiden ist. Sie sind etwas, das, obgleich denz feststellbar, das seelische und das geistige Sein zu vermischen und den Geistbegriff in diesem Zuge auf ›phänomenales Bewusstsein‹ zu verkürzen. Es ist hier zu betonen, dass gerade im Bereich der metaphysischen Überlegungen zwischen ontogenetischen und ontologischen Bedingungen zu unterscheiden ist. Zwar ist im Hinblick auf die natürliche Entwicklung geistiger Seiender auch das Anliegen gegenwärtiger panpsychistischer Strömungen zu honorieren, einen cartesischen Materiebegriff abzuweisen und stattdessen proto-mentale Anlagen in allem Seienden bis zu den niedersten Stufen anzunehmen. Jedoch sollte keine Proto-Mentalität von phänomenalem Bewusstsein oder Erfahrung, sondern letztlich nur das zur Begründung der höchsten Form der Seinsentwicklung Fähige den ontologischen Grundbegriff bilden. Dafür ist es wichtig, das Bewusstsein des – wenn auch nicht abstrakten – Unterschiedes zwischen seelischem und geistigem Sein zu bewahren. Zur gegenwärtigen Panpsychismus-Debatte siehe Brüntrup 2008, 152–177, und zum Problem des dort verwendeten Seelenbegriffs ebd., 11 f. Vgl. zur geistigen Realität bei Frank im Unterschied zu den Erlebnisqualitäten der »Philosophy of Mind« auch Ehlen 2010, 283 f. 31 So schreibt Frank, »daß das geistige Sein in seinem allgemeinsten Sinn der Grund und die Wurzel der Realität des unmittelbaren Selbstseins ist« (DU, 276, [Hervorhebung D. St.]). 32 DU, 285. 33 RM, 149, wobei ›objektiver Unterschied‹ im Sinne der Begrifflichen Erkenntnis Objektiver Wirklichkeit zu verstehen ist. 34 Vgl. zum Folgenden RM, 148–150.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
es in meinem eigenen Inneren stattfindet, nicht mit mir identisch ist. Sie sind also etwas, das ich habe, aber nicht bin. Doch schon an dieser Stelle werden die Grenzen gewissermaßen fließend. Sofern ich meine Befindlichkeit auf jene objektivierende Weise beispielsweise einem Arzt oder Psychologen mitteilen kann, handelt es sich um das »seelisch[e] Leben«. 35 Davon unterscheidet Frank den »›intimen‹ Gehalt meines Innenlebens«, der mich selbst ausmacht. 36 Er nennt es das »geistige Leben«, das als »der Inhalt meines Ich« »nur mir allein unmittelbar zugänglich« ist. 37 Die Selbstartikulation des Gehalts des Geisteslebens deckt sich äußerlich betrachtet mit derjenigen der seelischen Befindlichkeit – abgesehen davon, dass man Erstere in der Regel nur sehr nahestehenden Personen kundtut. Es sind begriffliche Vermittlungen von Erlebnissen, die nicht eindeutig ihrem »objektivem Inhalt« nach voneinander unterschieden werden können. 38 Frank zufolge liegt der Unterschied vielmehr im »Charakter des Erlebens selbst«, so dass »[e]in und dasselbe Erlebnis […] sowohl ein rein äußerliches seelisches Phänomen als auch ein sehr intimer und wesentlicher Inhalt des tiefen geistigen Lebens ›sein‹ [kann], je nachdem, wie es empfunden wird.« 39 Er verdeutlicht es am Beispiel der »erotischen Verliebtheit«, welche je nachdem nur eine mich mehr oder weniger äußerlich betreffende Emotion, aber auch ein mir zutiefst angehörendes Ereignis meines geistigen Lebens sein kann. 40 Keine verallgemeinernde Erkenntnis ist in der Lage den Unterschied von außen festzuschreiben, da es hier um kein aus der Objektiven Wirklichkeit ableitbares Faktum geht, sondern um die »nur durch das Subjekt selbst von innen her faßbar[e]« »innere Realität« des jeweiligen Menschen, die Frank explizit mit dem deutschen Wort der »Existenz« zum Ausdruck bringt. 41 Davon ausgehend lässt sich auf dem Hintergrund der Ausführungen des Abschnitts III das geistige Sein als jener tiefste Punkt des Lebendigen Wissens beschreiben, an dem sich das Sein selbst im erlebenden Subjekt als über dieses hinausreichende Realität offenbart.
35 36 37 38 39 40 41
RM, 149. Ebd. Ebd. Vgl. dazu auch Ehlen 2006, 294. RM, 149. RM, 149 f. RM, 150. Ebd.
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Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
Denn was hier mit der Existenz des Subjektes angesprochen ist (d. i. das Unmittelbare Selbstsein), meint keinen festgeschrieben Gehalt, kein eng umgrenztes oder gar isoliertes Innenleben. Dies wäre nur der abstrakte Seelenbegriff. Vielmehr ist die Existenz bei Frank ein transzendierender Selbstvollzug, der in der Teilhabe am Sein als solchen und im Ganzen besteht. Das geistige Sein markiert dabei gerade jenen Aspekt »meines inneren Seins«, der die »Teilhabe am Sein jenseits der Grenzen meiner selbst« und damit mich selbst als transzendierendes Sein ausmacht. 42 Diesbezüglich ist noch einmal jene ontologische Einsicht Franks zu wiederholen, dass »seine eigene Realität zu haben […] nichts anderes [heißt] als – in größerem oder geringerem Maße – Teilhaber an der Realität als solcher zu sein, d. h. ihre Ursprünglichkeit, ihre Eigenständigkeit und Selbstverständlichkeit zu erlangen.« 43 Nur ausgehend von dieser Teilhabebeziehung am absoluten Sein spricht Frank den problematischen Begriff der »Substanzialität« an und versteht ihn »als die Äußerung des überlogischen Wesens der Realität gleichsam an einem einzelnen Ort oder einer einzelnen Instanz des Seins«. 44 Damit verbunden hebt er jedoch zugleich eindringlich hervor, dass die »Substanzialität« keine Aseität im engeren Sinne meint, d. h. keine isolierte Substanz nach cartesischem Verständnis (»das, was zu seinem Sein keines anderen bedarf«), sondern dass ihre Substanzialität gerade darin besteht, ihr eigenes Sein aus der Teilhabe am jenseitigen Sein zu beziehen. 45 Nur durch diese teilhabende Beziehung »kommt [der Substanz] der ganze primäre Charakter des überlogischen Wesens des Seins zu – aber auf abgeleitete Weise, und zwar durch ihre Teilhabe an der allumfassenden Realität als solcher und ihre Verwurzelung in ihr.« 46 Was diese Verwurzelung bedeutet, bringt Frank in Bezug auf den Unterschied zwischen Seele und Geist bildlich dergestalt zum Ausdruck, »daß das eine und das andere, Wurzeln und Boden, in ihrer gemeinsamen Grenze oder schon in den angrenzenden Teilen irgendwie ineinander übergehen, d. h. daß das unterste Ende der Wurzel in irgendeinem Sinne schon den Charakter und die Eigenschaften des
42 43 44 45 46
RM, 161. RM, 186. Siehe dazu die vorausgehende Darstellung unter Abschnitt III, 1. RM, 187. Vgl. Abschnitt III, 3c. RM, 187. Ebd.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
Bodens hat, ohne dabei aufzuhören, Wurzel zu sein, und daß der Boden mit seinen Säften nicht nur die Wurzeln nährt, sondern sich auch irgendwie in diesen festsetzt.« 47
Die Begründung des Unmittelbaren Selbstseins in seinem geistigen Sein als Teilhabe kann so als immanente Anwesenheit des es übersteigenden absoluten Seins verstanden werden. Diese Anwesenheit ist, wie gezeigt, 48 die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass das begrenzte Seiende sich über seine Grenzen hinaus transzendieren kann. Die phänomenologische Beschreibung kann dies noch einmal von einer anderen Seite weiter verdeutlichen. Nicht nur als ergänzende metaphorische Beschreibung des transzendental aufgewiesenen Verhältnisses zwischen ›Wurzel‹ und ›Boden‹, sondern insbesondere in der Beschreibung des sich im unmittelbaren Erleben zeigenden Moments des Übergangs vom seelischen zum geistigen Sein, erweist sich Franks feinfühliges Artikulationsgeschick des mit rationalen Begriffen nur antinomisch fassbaren Unterschieds. Er schildert es wie folgt: »Sofern sich das unmittelbare Selbstsein als Subjektivität weiß, d. h. als etwas wesensmäßig Unvollendetes, Gehaltloses, Labiles, Strebendes und Potentielles, d. h. Willkürliches und Unbegründetes oder Grundloses, enthält dieses Bewußtsein schon selber die Tendenz zur Objektivität, die Tendenz zu dem, was das seelische Sein begründet, und ihm allererst das wahre, im Boden wurzelnde, sinnerfüllte Sein verleiht. In der verbindenden, transzendierenden Kraft des ›Nicht‹ – im Bewußtsein der eigenen Begrenztheit und Mangelhaftigkeit – ist schon von sich aus die Beziehung zu etwas anderem, der Besitz von etwas anderem unmittelbar beschlossen.« 49
Im Unmittelbaren Selbstsein ist also zugleich zweierlei präsent. Einerseits wird die eigene Unhintergehbarkeit bewusst, die es gegenüber der Objektiven Wirklichkeit prima facie als ein Unbedingtes und Absolutes auszeichnet. Andererseits erfährt es sich im gleichen Zuge nicht als vollkommen unbedingt und absolut. Die eigene Unbedingtheit wird vielmehr als eine bedingte Unbedingtheit, die eigene Absolutheit als eine abgeleitete eingesehen. Erst im Bewusstsein der eigenen »Subjektivität« (nicht im erkenntnistheoretischen Sinne, sondern im Sinne der Kontingenz), dem Bewusstsein, dass die eigene Substanzialität auf eine Begründung angewiesen bleibt, welche ihr 47 48 49
DU, 286. Siehe Abschnitt III. DU, 274.
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Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
von etwas anderem her »Objektivität« (wiederum nicht im erkenntnistheoretischen Sinne, sondern im Sinne absoluter Gültigkeit als innerer Evidenz und intrinsischer Werthaftigkeit) verleiht, gelangt es in den Bereich des Geistes. Denn dieses Andere ist kein ihm äußerlich Gegenüberstehendes der Objektiven Wirklichkeit (zunächst wird von der erst im folgenden Abschnitt thematisierten personalen Begegnung abgesehen). Als solches unterläge es all jenen kontingenten Faktoren, die, weil selbst jeweils unter weiteren Bedingungen stehend, nicht in der Lage wären, eine letzte sinnerfüllende Begründung zu liefern. Hingegen ist nach Frank ein »Transzendieren nach innen« 50 nötig, das die eigene Begrenztheit auf dasjenige hin übersteigt, von dem das Unmittelbare Selbstsein in seiner Teilhabebeziehung lebt. Der Überstieg darf dabei nicht als linearer Wechsel von einem Bereich in einen anderen missverstanden werden. Vielmehr besteht er in der Einsicht, dass ich in meinem Unmittelbaren Selbstsein etwas bedarf, das ontologisch prinzipiell gehaltvoller ist als jenes. Um die eigene »Grundlosigkeit« aufzuwiegen erfordert es genauer gesagt etwas, das dem eigenen Selbstsein weder »gleichgültig« noch »blind« gegenübersteht wie die Objektive Wirklichkeit. 51 Im Gegenteil muss es mit unserem eigenen Sein so verwandt sein, dass es als nicht von ihm getrennter, aber doch absolut über ihn hinausreichender ontologischer Grund 52 zutiefst anwesend und einer letzten Seinsbegründung fähig ist. Wo sich aber diese Einsicht existenziell im eigenen Kontingenzbewusstsein eröffnet – jene Einsicht des ontologischen Argumentes, dass es für mein faktisch unhintergehbares Sein eines absoluten Grundes notwendig bedarf und dass damit die Anwesenheit dieses Grundes zugleich transzendental verbürgt ist (siehe Abschnitt III, 2b) –, ist bereits eine »zutiefst innerliche Beziehung« mit dem »geistigen Sein« erreicht, in einer solchen Weise »daß sich das unmittelbare Selbstsein, in der Verbindung mit dem geistigen Sein diesem angleicht und mit ihm verschmilzt, so daß es sich selbst als geistiges Sein besitzt.« 53 Denn im Erleben des eigenen Transzendierens auf den mir gegenüber absolut gehaltvolleren Grund hin, der dennoch meine zutiefst innerliche Begründung ist, wird das eigene 50 51 52 53
DU, 275. Vgl. RM, 244 f. Siehe Abschnitt III, 4. DU, 275.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
Transzendieren selbst in einer Weise der Teilhabe offenbar, nämlich als jene an etwas, das unbedingt – d. h. ohne äußerliche Bedingungen, unerzwingbar, ungegenständlich und über jeden Begriff in Transdefinitheit hinausgehend – »Sein und Geltung« bzw. »Leben« und »Sinn« verleiht. 54 Frank bestimmt das geistige Sein also ebenfalls nicht als einen irgendwie begrenzbaren Raum. Es entzieht sich als transdefinites vielmehr überhaupt jeder gegenständlichen Bestimmung. Demgegenüber beschreibt er es konkret als eine »Weise des Seins«, die in teilhabender Offenheit für den Bereich letzter sinngebender Begründung diesem entspricht und dadurch auch an der »wesensmäßigen Unergründlichkeit« des absoluten Grundes selbst Anteil nimmt. 55 Das Verhältnis des geistigen Seins zum seelischen Sein kann folglich ebenfalls nicht durch eine rational ausschließende Bestimmung als ›transzendent‹ oder ›immanent‹ festgelegt werden. Die rational gegensätzlichen Bestimmungen werden von Frank explizit, dem »Prinzip des antinomischen Monodualismus« folgend, 56 über ihnen schwebend so ausgedrückt: »Der Geist ist der Seele gegenüber sowohl transzendent als auch immanent, und zwar nicht im Sinn einer einfachen, summativen Koexistenz dieser zwei Relationen, sondern im Sinn ihrer inneren Wesenseinheit, kraft derer wir auch sagen können, daß […] der Geist der Seele gegenüber weder transzendent noch immanent ist.« 57
In diesem – wie Frank nachdrücklich betont – »Paradoxon, das man nicht beseitigen oder überwinden kann und darf«, nämlich, »daß das zutiefst Immanente […] schon das Transzendente ist« 58, erreicht die transzendentale Besinnung des Unmittelbaren Selbstseins einen Punkt, der das letzte Bei-sich-selbst-sein als Sich-selbst-transzendieren ausweist: »Das Innerste unseres seelischen Lebens, also das uns am meisten Immanente, verwirklicht sich und besteht bloß in einem immanenten Transzendieren über das rein immanent Seelische.« 59 Dadurch ist abermals das dynamische Moment der frankschen Ontologie herausgestellt. Es ist nicht so, dass statische Dinge miteinander 54 55 56 57 58 59
Vgl. DU, 273 und 282 f. Siehe ferner Abschnitt III, 4. Vgl. DU, 283. DU, 287. Ebd. DU, 288. DU, 293.
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Seelisches und geistiges Leben – Der Mensch als transzendierendes Wesen
in auswechselbaren Relationen stünden. Auch ist das Transzendieren oder das Leben der Entitäten kein ihnen als schon bestehenden Entitäten hinzukommendes Akzidenz. Vielmehr besteht ihr Sein selbst und als solches darin, sich selbst zu transzendieren. ›Selbst‹ als Seiendes ›zu sein‹ heißt für Frank, ›sich selbst zu transzendieren‹. Das Maß des Transzendierens entscheidet über das Maß des Seins. Wo sich das Seiende nicht nur über seine bloße Faktizität erhebt, sondern zudem seine notwendige Bedingtheit durch einen unbedingten Grund erkennt, der als solcher im Inneren der eigenen Seele als über sich selbst absolut hinausgehender, letzter werthafter Grund erlebt wird, eröffnet sich die geistige Dimension von Freiheit und Moral. Denn im geistigen Erlebnis von dem, was unbedingt gültig und wahrhaft sinnvoll ist, begegnet dem seelischen Sein laut Frank in sich selbst ein über es hinausreichender Anspruch, der ohne äußerlichen Zwang, sondern mit intrinsischer Legitimität und Gültigkeit Anerkennung fordert. Diese transzendental-phänomenologisch auf die eigene Innerlichkeit gerichteten Darstellungen entdecken in der eigenen Tiefe eine über die bloße Vereinzelung hinausreichende Verbindung zu allem anderen durch den letzten Grund des Seins. Man könnte dieser Darstellung freilich entgegenhalten, sie sei bei aller artikulativen Feinfühligkeit dennoch lediglich spekulatives Raisonnement. Schließlich ist der Nachvollzug zu einem gewissen Maße auch abhängig davon, wie weit man die Fähigkeit der eigenen Selbstwahrnehmung zu teilen vermag. Ein besonderer Vorzug des frankschen Denkens kann dieser Problematik abhelfen. Was sich mit dem geistigen Leben im Inneren des Menschen als seine über ihn hinausreichende Unbedingtheit und damit als die Fähigkeit zur Freiheit und Moral zeigt, die ihn zutiefst selbst ausmacht, ist nichts anderes als dasjenige, was unter der ›Personenwürde‹ des Menschen begriffen werden kann. Frank findet ausgehend von seiner phänomenologischen Beschreibung des geistigen Lebens treffende Worte für die Zwei-Einheit von Transzendenz und Immanenz des geistigen Grundes: »Die Person ist das Selbst, wie es vor dem Angesicht höherer, geistiger, objektiv gültiger Mächte steht und zugleich von ihnen durchdrungen ist und sie repräsentiert«. 60 Was Personalität aber bedeutet, ist nicht nur auf die Weise der transzendentalen Vertiefung in das eigene Selbstsein zu erschließen. 60
DU, 293.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
Von der anderen Seite her – durch die äußere Erfahrung – ist dieselbe Einsicht in das Wesen des eigenen geistigen Seins als personales Sein ebenfalls erreichbar: in der Beschreibung und Analyse der Erfahrung personaler Begegnung. Gerade in dieser »Integration des phänomenologischen Personalismus in die Ontologie der All-Einheit« kann das vorzügliche Vermächtnis frankschen Denkens gesehen werden, das einen besonderen Beitrag zur modernen Philosophie leistet. 61 In der folgenden Darstellung dieses Weges gewinnt das Moment der Personalität, wie es über die Betrachtung des geistigen Lebens entwickelt wurde, zudem einen weiteren Aspekt, der den Verweischarakter im Transzendieren zum geistigen Urgrund als Anspruch deutlich werden lässt. Erst daran anschließend kann der Bezug jenes Urgrundes zur Idee Gottes Ausführung finden.
3.
Der Mensch als Person
Frank erschließt transzendental-ontologisch das Unmittelbare Selbstsein in seiner Doppelstruktur bedingter Unbedingtheit – einerseits in der ihm per se zukommenden, faktischen Unhintergehbarkeit, die andererseits gerade in dieser Unbedingtheit doch auf eine begründende Teilhabe angewiesen ist. Er vertieft den Gedanken in der phänomenologischen Beschreibung des Seelen- und Geisteslebens. Das Ergebnis dieser komplexen Überlegungen stellt der Begriff der Person dar. Was mit dem Unmittelbaren Selbstsein den Ausgangspunkt bildete, zeigt sich im Rückblick als nicht vollständig entfaltete Potentialität, die ihre »[v]ollkommene Aktualisierung […] – nämlich [ihre] Entfaltung oder Entwicklung zum Ich« 62 sich nicht selber geben kann. Dieser Verwiesenheit auf den geistigen Urgrund der Personalität, scheint (zu Recht, wie im Abschnitt IV, 4 zu sehen sein wird) eine theologische Tendenz anzuhaften. Allerdings besteht sie nicht in einer dogmatische Voraussetzung, sondern wird transzendental-phänomenologisch konsequent entwickelt. Dasselbe Ergebnis kann des Weiteren, gewissermaßen von der anderen Seite der Erfahrung her, durch eine phänomenologische Betrachtung der ontogenetischen und psychogenetischen Entwicklung der menschlichen Person bestätigt werden. In diesem Zuge erhält die 61 62
Ehlen 2004, 105; vgl. auch ebd., 343. DU, 222 [Übersetzung korrigiert, D. St.].
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Der Mensch als Person
Ontologie Franks ihren letzten Schliff. Wurde das Transzendieren als Weise des Seins der Seienden aufgewiesen (siehe Abschnitt III, 1), so zeigt sich dieses transzendierende Sein in den anthropologischen Überlegungen gerade in seiner allgemeinen »Urweise« als personal. 63
a)
Die Frage nach der Erkenntnisweise von Personalität – »Offenbarung« als »Begegnung«
Es wurde bereits in den Erörterungen des Transzendierens (Abschnitt III, 1) ausgeführt, dass das Unmittelbare Selbstsein ohne den Bezug zu einem ihm gegenüber Anderen nicht als eigenes Sein begriffen werden kann. 64 Das andere Sein, von dem wir uns insbesondere in der körperlichen Konstitution abhängig erfahren und das uns die eigene Begrenztheit auf verschiedene Weisen faktisch bewusst werden lässt, scheint zunächst die Objektive Wirklichkeit zu sein – sei es in materieller oder seelischer Hinsicht. Nach Frank ist die »Beziehung zum gegenständlichen Sein« der Objektiven Wirklichkeit jedoch lediglich dasjenige, in dem sich das Unmittelbare Selbstsein »erstmalig« im Sinne der zeitlichen beobachtbaren Psychogenese aus der Gegenübersetzung heraus »zu manifestieren und zu aktualisieren beginnt«. 65 Der Grund dafür liegt darin, dass es sich auf diese Weise nur aus der ihm selbst gegenüber äußerlichen Unterscheidung »zu dem, was ihm heterogen ist«, bestimmt. 66 Das Ergebnis der Bestimmung ist nach Frank noch kein im vollen Sinne bei sich seiendes Subjekt, das als ein ›Ich‹ im Sinne eines autonom individuellen Realitätszentrums gelten könnte. In der Herausbildung des eigenen Selbstseins handelt es sich stattdessen um eine Phase, in der das eigentliche Wesen des Unmittelbaren Selbstseins bloß als »eine unvollkommene, halbfertige, unvollendete Aktualisierung« vorhanden ist. 67 Die Wahrnehmung der Unterschiedenheit von der Objektiven Wirklichkeit als eine Gegenübersetzung zum »Nicht-Selbst« (den fichteschen Terminus des »Nicht-Ich« explizit an dieser Stelle zurückweisend) ist nach Frank vorläufig zum noch unentwickelten »Ich« lediglich konstitutiv
63 64 65 66 67
DU, 249; vgl. auch RM, 205. Vgl. RM, 159. DU, 221. Ebd. Ebd.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
für die »Momente ›mein‹, ›mir‹, ›mit mir‹ u. dgl.« 68 Diese auf Gegensätzlichkeit basierende Weise der (Selbst-)Bestimmung gelangt entsprechend nur zu etwas, das ich habe, das mir als Objekt gegeben ist, das ich aber nicht selber bin. 69 Demgegenüber bedarf es für die Weiterentwicklung zum vollgültigen ›Ich‹, d. h. zur Person, laut Frank einer Beziehung der Bestimmung, die nicht nur äußerlich – im Sinne der bloßen Gegebenheit – verbleibt. Dies bestätige sich bereits empirisch an der Entwicklung des Kindes, welche als onto- und psychogenetischen Ausgangspunkt nicht die objektiv-materielle Faktizität eines für sich bestehenden Einzelnen habe. 70 Nur die »Beziehung zu dem geheimnisvoll rätselhaften, gewissermaßen wunderbaren Moment des Du«, 71 d. h. die Beziehung zu einer anderen Person, kommt für Frank als Möglichkeitsbedingung voller Aktualisierung infrage. In der personalen Beziehung zeigt sich sowohl ontologisch als auch entwicklungsgeschichtlich die notwendige Voraussetzung des je eigenen geistig-personalen Seins. Dies zu erklären bedarf allerdings eines Umweges. Denn gewöhnlich versteht man sowohl den Personenbegriff wie auch die für ihn konstitutive Beziehung zur anderen Person nicht auf Anhieb in hinreichender Weise. Um die Problematik zu verdeutlichen, nutzt Frank die in der Philosophie geläufige (und auch aktuell diskutierte 72) Frage nach dem »Fremdpsychischen«. Sie fragt danach, wie die Annahme eines mir gegenüber »anderen Ich« bzw. eines »fremdem Bewußtseins« begründet werden kann. 73 Nach Frank unterläuft der philosophischen Intention der Frage allerdings schon bei der Formulierung ein grundsätzlicher Fehler, wenn gefragt wird, ob ein »ande-
Ebd. Vgl. Abschnitt III, 1. 70 Vgl. GGdG, 138 f., und DU, 233–236. Zum Einbezug auch »entwicklungspsychologischer Arbeiten« in die philosophische Gedankenentwicklung Franks vgl. den Hinweis von Ehlen 1998, 24, auf Scheler, Buber und Ebner (vgl. dazu auch Ehlen 1999, 236 f.; Ehlen hebt neben der Ähnlichkeit der personalistischen Intentionen den Unterschied zwischen der »suggestive[n] Kraft der Sprache« bei Buber und der »klare[n] Argumentation« bei Frank hervor, mit welcher Letzterer die »erkenntnistheoretischen und ontologischen Implikationen transparent macht«, die der Phänomenologie der Person zugrunde liegen). 71 DU, 221. 72 Vgl. etwa Nagel 1992, 37–41. 73 DU, 222. 68 69
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res«, ein »zweites Ich« existiere. 74 Nicht nur grammatikalisch sei die Formulierung, ob »ein zweites Ich ist«, gegenüber der korrekten Form »Ich bin« falsch. 75 Vielmehr wird hier bereits die Annahme vorausgesetzt, dass ›Ich‹ ein Allgemeinbegriff ist. Dies ist aber erst zu begründen. Denn der unmittelbaren Erfahrung nach ist »›Ich‹ […] für mich seinem Wesen nach ein einziges – nämlich mein Ich« und als solches »nur im konkreten ›Ich bin‹ gegeben«. 76 Damit ist es in radikaler Weise durch Unwiederholbarkeit und Einzigkeit gekennzeichnet.Nach Frank ist dasjenige, was mit dem »zweiten Ich« als »fremdes Bewußtsein« bezeichnet wird, bei genauerem Hinsehen lediglich ein über die Selbstvergegenständlichung der »reflexiven Einstellung« abgeleitetes »Er ist« bzw. »Sie«. 77 Dabei handelt es sich um ein mittels Begrifflicher Erkenntnis als Gegenstand der Objektiven Wirklichkeit erfahrenes »mögliches Du«. 78 Letzterem kann Ich allerdings nur begegnen. 79 Dagegen ist jedes direkte Erkennen der »Fremden Seele« über eine Begriffliche Erkenntnis zum Scheitern verurteilt, weil auf diesem Wege von vornherein eine ungemäße Objektivierung stattfindet, die das personale Gegenüber unter objektive Kategorien zwingt. Laut Frank wird in diesem Zuge das »Du« gewissermaßen in die »Es-Sphäre« getaucht. 80 Denn als verallgemeinerbarer (Komplex von) Erkenntnisinhalt(en) aufgefasst, wäre das erkannte Gegenüber kein ›Du‹ mehr, sondern im besten Fall ›Er‹ oder ›Sie‹. Als solches steht es zudem nur in einer einseitigen Erkenntnisrelation. Auch durch Umwege ist dieses Problem in der Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis nicht zu lösen. Nach Frank wird zwar oft die Möglichkeit eines »Analogieschlusses« behauptet, welche jedoch genau wie die Theorie der »Einfühlung« von Theodor Lipps in einen vitiösen Begründungszirkel gerät: 81 Beide Theorien meinen, die Existenz fremden Seelenlebens begründen zu können. Die erste Herangehensweise versucht, das Erlebnis des eigenen Ich auf andere mutEbd. Vgl. auch DU, 230 f. DU, 222. 76 Ebd. Vgl. auch RM, 198. 77 DU, 222. 78 DU, 223. 79 Siehe dazu die sogleich nachfolgenden auf DU, 228 f., bezogenen Ausführungen. Vgl. auch RM, 199 f. 80 Vgl. DU, 223. 81 Vgl. DU, 223 f., sowie RM, 198. 74 75
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maßlich bewusste Personen analog zu übertragen. Ähnlich versucht der zweite Ansatz durch »Einfühlung« in das mir ähnliche, fremde Bewusstsein, welches mir als »äußerliche Realität«, »als […] fremdartiger Zustand meines eigenen Ich« im »Gefühl« widerfährt, dieses als solches zu verifizieren. 82 Jedoch setzen beide Varianten bereits voraus, was sie erst beweisen wollen: dass das nur in unwiederholbarer Einzigkeit direkt zugängliche Ich-Bewusstsein eine allgemeine Eigenschaft ist. Denn nur wenn man bereits weiß, dass etwas ein allgemeines Prädikat ist, kann es bei ähnlichen Umständen analog übertragen werden. Ebenso kann es im subjektiven Gefühl nur dann als echte dem fühlenden Subjekt äußere Realität angenommen werden, wenn die Existenz eines von mir unabhängigen Seelenlebens schon irgendwie verbürgt ist. 83 Geht man vom unmittelbar erlebten Ich-Bewusstsein aus, ist über die beiden Wege also nicht logisch ausschließbar, dass es sich bei dem Gegenüber vielleicht doch nur um einen äußerlich zwar in Erscheinung und Verhalten exakt ähnlichen, aber innerlich gleichwohl bewusstseinsleeren »Zombie« handelt, wie dieser Sachverhalt in gegenwärtigen Diskussionen häufig bezeichnet wird. 84 Schon bezüglich der Frage nach fremdem Bewusstsein scheiternd wird dadurch erst recht keine vollwertige andere Person im frankschen Sinne begründet. Mit einem zweiten Argument gegen die Möglichkeit einer begrifflichen Lösung des Problems macht Frank weiterhin deutlich, dass die mir gegenüber andere Person nicht auf ein »fremdes Bewußtsein« reduziert werden kann, sofern darunter verstanden wird, dass hier eine Entität der Objektiven Wirklichkeit nur einen speziellen weiteren Inhalt – beispielsweise phänomenales Erleben – hat. 85 Denn die wesentliche Intentionalität der anderen Person verwehrt grundsätzlich, sie verallgemeinernd als »Erkenntnisobjekt« mit einer gewissen Menge von Erkenntnisinhalten, d. h. als »nur passive[n] Gegenstand meines Erkenntnisblickes« zu begreifen. 86 Der Grund ist, dass die andere Person in nicht abschließend begreifbarer Wechselseitigkeit auf mich ausgerichtet bezogen ist. Dabei weiß sie um meine DU, 223 f. Vgl. DU, 223 f. 84 Vgl. zu dem sich gegenwärtig in der Diskussion haltenden »Zombie«-Argument Chalmers 1996, 94–99. Vgl. in Bezug auf Franks Argumentation zum Fremdpsychischen als »Zombie«-Problem Ehlen 1999, 238. 85 DU, 224. 86 Ebd. 82 83
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gleichzeitige Ausrichtung auf sie et vice versa ad infinitum. 87 In der Begrifflichen Erkenntnis entspricht dies »eine[r] unendliche[n] Anzahl sich brechender, sich widerspiegelnder, hin- und zurücklaufender Erkenntnisse«, die jedoch in der konkreten personalen Erfahrung ein »unmittelbar-einfache[s] Du-Erfassen« darstellen. 88 Was aber ist dieses ›Du-Erfassen‹ ? Spricht sich Frank damit nicht für eine »übersinnliche Intuition« aus, die, wie er selber kritisiert, doch im Grunde das Problem des Fremdpsychischen lediglich postulatorisch »ohne Erklärung« umgeht? 89 Wer die Gültigkeit philosophischer Einsichten einzig an Begrifflicher Erkenntnis (insbesondere im Sinne direkter empirischer Erkenntnis und formaler Logik) festmacht, könnte sich zu dieser Ansicht verleiten lassen. Im Gegensatz dazu führt Frank jedoch phänomenologische Argumente an, die helfen, den besonderen Status des Du gegenüber Erkenntnisobjekten zu verstehen. Indem er diesen Unterschied aufweist, bewahrt er seinen Lösungsansatz davor, als lediglich behauptete übersinnliche Intuition nach dem Muster der Gegenstandserkenntnis gedeutet zu werden. 90 Statt auf ein esoterisches, direktes Wissen eines übersinnlichen Erkenntnisinhalts zu rekurrieren, kann Frank außerdem an seine transzendentale Argumentation anknüpfen, die das Lebendige Wissen als Selbstoffenbarung einer prinzipiell transrationalen Realität indirekt aufwies. Was in der »lebendige[n] ›Begegnung‹« 91 mit einer anderen Person erfahren wird, ist nach Frank dementsprechend kein Erkenntnisinhalt, der mittelbar auf Bewusstsein schließen lässt. Vielmer liegt jeder Erkenntnis irgendwelcher Inhalte oder Eigenschaften der anderen Person immer das grundlegende Erleben des Anderen als einer Realität voraus, die »wesensmäßig und in [ihrer] konkreten Fülle für
Vgl. RM, 199 f. DU, 224. 89 DU, 223. 90 Obwohl sie in »Franks Personalismus die stärkste Seite seiner Philosophie« (Rörig 2010, 189) sieht und die Problematik der Nicht-Objektivierbarkeit angemessen in Zitaten wiedergibt, bezeichnet Rörig das ›Du‹ bei Frank dennoch als »besonderen Gegenstand der Erkenntnis« (ebd., 188) und den Begriff der »Begegnung« als »erkenntnistheoretische« und »anthropologische Metapher« (ebd., 189). Letztere bringe die »vorgegebene Intuition der All-Einheit«, die sonst »mal stärker logisch, mal eher bildlich assoziativ« »eher verschleiernd und stellenweise ungenau« bleibe, in der personalen Darstellung doch »klar und lebendig« zum Ausdruck (ebd., 190). 91 DU, 228 [Hervorhebung entfernt, D. St.]. 87 88
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uns doch unerreichbar und unergründlich« 92 bleibt. Das Begegnungsgeschehen trägt dabei nach Frank den Charakter einer »Offenbarung« – verstanden nicht als irgendwie geartete übersinnliche Mitteilung eines Erkenntnisinhalts, sondern als »reale Anwesenheit der sich offenbarenden Realität selber«. 93 Es zeigt sich somit gerade der spezifische Charakter der Realität bzw. des Seins als solchen. Was in der Begegnung mit einer anderen Person erlebt wird, ist nach Frank in erster Linie die »Evidenz« des Seins oder der »Existenz« dieser anderen Person, die als das, was sie ihrem Inhalt nach ist, wesentlich »verborgen bleibt«. 94 Nur auf die Weise der sich zum Ausdruck bringenden Selbstkundgabe, des »aktive[n] Sich-Eröffnen[s]« 95 mir gegenüber – und nicht als ein von außen herangetragenes, sich bemächtigendes Begreifen – erschließt sich die Realität der anderen Person schließlich selbst. Wie das Unmittelbare Selbstsein meiner eigenen Realität in einer rational unableitbaren »Selbstoffenbarung« gewiss wird, so ist es nach Frank auch hier gerade eine »Offenbarung« im eigentlichen Sinne als »Offenbarung für einen Anderen«. 96 Der Terminus ›Offenbarung‹ ist hier nicht mit dem speziell theologischen Gebrauch des Wortes ohne Weiteres gleichzusetzen. Frank verwendet ihn, wie er selbst sagt, in einem »viel weiteren und allgemeineren Sinne«. 97 Dergestalt bedeutet er speziell ein »aktives Sich-Eröffnen« »einer Realität als solcher […] [d. h.] als das Unbekannte und das Unergründliche«. 98 Davon ausgehend beschreibt Frank das Sein der anderen Person folgendermaßen: »›Du‹ ist eben nichts anderes als jenes unbekannte ›Wesen‹, das sich uns auf diese Weise offenbart. Im Du haben wir die konkrete Manifestation des Unergründlichen, das nicht einfach ›vor uns steht‹, oder uns ›umgibt‹ oder uns sogar wie ein kompaktes Element umfaßt und durchdringt, sondern von außen in uns eindringt. Das, was wir Du nennen, oder was zu uns in einer Du-Beziehung steht, ist seinem Wesen nach das unergründliche Geheimnis der lebendigen Realität,
92 93 94 95 96 97 98
DU, 225. DU, 349; vgl. auch Ehlen 2009, 111, und Ehlen 1999, 239 f. DU, 225. DU, 227. DU, 226. DU, 227. DU, 227 f.
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die sich uns in der Weise offenbart, daß sie uns berührt, in uns eindringt, von uns aufgrund ihrer aktiven Einwirkung erlebt wird.« 99
Es wäre jedoch verfehlt, das personale Erlebnis als eine bloße Fremdaktivität zu deuten. Zwar betont Frank das Moment besonders, um es gegenüber der objektivierend selbstmächtigen Eigenaktivität der Begrifflichen Erkenntnis hervorzuheben. Dennoch fügt er sofort hinzu, dass mit der Selbstkundgabe der anderen Person »zugleich ganz unmittelbar und untrennbar die entgegengesetzte, von uns selber ausgehende Aktivität verbunden« ist. 100 Nur in der wechselseitigen Offenbarung füreinander geschieht die »Wahrnehmung« der anderen Person als »Kommunikation« in einer »lebendige[n] ›Begegnung‹«. 101 Folglich ist die Erkenntnisweise von Personalität nicht vom ontologischen Selbstvollzug trennbar. Es handelt sich also nicht, um einen rein epistemologischen Vorgang im Sinne einer ›Erkenntnis von etwas‹, d. h. nicht um einen bestimmten Erkenntnisinhalt oder eine irgendwie definierbare Menge von Inhalten. ›Begegnung‹ bedeutet im Gegensatz dazu ein ›reales In-Beziehung-zueinander-Stehen‹ der Inhalts-»Träger«. 102 Falsch wäre diesbezüglich allerdings ebenso die Vorstellung einer äußerlichen Beziehung zweier für sich seiender, bereits fertiger Substanzen mit ihren Eigenschaften. Die Beziehung der Begegnung ist nichts rein Äußerliches, sondern verändert nach Frank die Glieder der Beziehung innerlich. Als interne Relation (gegenüber bloß äußerlichen Beziehungen bzw. externen Relationen) ist sie vielmehr konstitutiv für beide, womit sich die ontologischen Überlegungen zum Holismus der Seienden (Abschnitt III, 3b) bestätigen und vertiefen lassen. Das Sein als Vollzugsweise des Transzendierens, wie es bereits dargestellt wurde, wird von Frank an dieser Stelle als dasjenige »Wunder« gekennzeichnet, das »das eigentliche Wesen des
DU, 228 [Übersetzung korrigiert, D. St.]. DU, 228. 101 Ebd. Den Begriff der »Kommunikation« für die wechselseitige Selbstoffenbarung verwendet Frank ebd., 226 und 229 sowie 247. 102 Vgl. DU, 224 f. Vgl. auch MuiG, 74: »Die Erfahrung besteht hier in einer ›Begegnung‹ […]. Das bedeutet: Einer Gemeinschaft geht kein ›Konstatieren‹, keine objektive Wahrnehmung voraus, im Gegenteil, die Gemeinschaft selbst – und nur sie allein – ist Erfahrungserkenntnis. […] Sie vollzieht sich sofort, ganz unmittelbar in Form unseres gegenseitigen Kontakts, der beiderseitigen Begegnung mit der Realität, die die Sprache mit dem Personalpronomen der zweiten Person bezeichnet: ›Du‹. Erst später und abgeleitet verwandelt sich dieses ›Du‹ in ein ›Er‹.« 99
100
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menschlichen Lebens ausmacht«. 103 Es stellt sich in der personalen Begegnung als »korrelative Selbsteröffnung« dar, in der das Unmittelbare Selbstsein gleichsam auf »sich selbst – jenseits seiner eigenen Grenzen, eben im ›Anderen‹ –« stößt. 104 Warum ist das nun aber nicht doch nur eine intuitive Einsicht nach dem Muster einer direkten Übertragung des eigenen Wesens? Die Antwort zeigt erneut die fruchtbare Verbindung von Phänomenologie und Transzendentalphilosophie. Die phänomenologisch beschriebene korrelative Beziehung wird von Frank als notwendiges a priori für die Konstitution der (eigenen und anderen) Personalität aufgewiesen. 105 Was in der Begegnung als wechselseitiges Transzendieren bzw. als interne Relationalität geschieht, ist wie gesagt nicht eine Begegnung zweier bereits für sich bestehender Personen. Die Frage, wie von einer Person her fremde Personalität erkannt werden kann, ist deshalb falsch gestellt. In der Frage nach der Bedingung der Möglichkeit eigener Personalität wird hingegen deutlich, dass die lebendige, reale Beziehung zur anderen Person vorausgesetzt werden muss. Denn es gibt laut Frank per se gar »kein fertiges Ich vor der Begegnung mit dem Du, vor der Beziehung zum Du«. 106 Darüber hinaus kann eine Person auch niemals das Beziehungsverhältnis zu anderen Personen gänzlich verlassen. Ganz gleich wie sich auf der empirischen Ebene die Verhältnisse gestalten, bleibt die Beziehungshaftigkeit doch immer derart grundlegend, dass »das Ich« schlechthin als solches »nicht möglich« ist »außerhalb« einer wie auch immer gearteten »Beziehung zum Du«. 107 Dies erklärt sich paradigmatisch im Blick auf familiäre Beziehungsformen: Das Beziehungsverhältnis der Familienmitglieder zueinander (Elternschaft, Geschwisterschaft usw.) überdauert nicht nur die empirische Auflösung der Familienbande (mein Vater bleibt mein Vater auch nach Scheidung und Gründung einer anderen, neuen Familie); es überdauert sogar Schicksalsschläge, die mit dem Tod eines Familienmitgliedes enden. Frank geht noch weiter und greift die negativen Beziehungsformen (bewusste Abgrenzung im Eremitentum, DU, 229. Ebd. 105 Vgl. dazu jene von Ehlen 2009, 107, wiedergegebene Stelle aus Scheler 1960, 57: »Das Wissen jedes Menschen, er sei ›Glied‹ einer Gesellschaft überhaupt, ist kein empirisches Wissen, sondern ›a priori‹«. 106 DU, 221; vgl. auch RM, 203. 107 RM, 203. 103 104
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Der Mensch als Person
aber auch »Auflehnung«, »Entfremdung«, »Haß« und »Verachtung«) auf. 108 Auch in der stärksten Abgrenzung von anderen Personen, bleibe eben diese Abgrenzung ein aktives personales Verhältnis zu den jeweiligen Personen, eine Beziehungsform – wenn auch möglicherweise eine defizitäre, oder wie in der Feindschaft sogar eine auf Zerstörung der Beziehung angelegte. 109 Es gibt also schlechthin keine Ausflüchte, sodass die Beziehung zu anderen Personen für eine Person letztlich unausweichlich ist (außer freilich um den Preis der Selbstzerstörung). Die hier gefundene Beziehungseinheit der Begegnung als wechselseitig konstitutive Beziehung der aufeinander Bezogenen ist mit anderen Worten nicht etwas erst nachträglich Abzuleitendes, von anderem her zu Beweisendes. Sie ist etwas für Personen schlechthin Unhintergehbares. Sie ist im wahrsten Sinne ontologisch grundlegend für personal Seiendes. Obwohl, wie Frank ausführt, »jedes Ich seine eigene, nur ihm allein zugehörige Wurzel« im Sein hat, muss ihm zufolge von der »metaphysischen Struktur des personalen Seins« gesagt werden, »daß die Person, das Ich, wesentlich nichts anderes ist als das Glied einer gemeinschaftlichen Vieleinheit, ein Teilhaber am Wir.« 110
b)
Die Wir-Einheit des Seins
Sehen wir uns die Personalität konstituierende reale Wechselbeziehung etwas genauer an. Es könnte scheinen, als wolle Frank – insbesondere als mit dem Marxismus in Berührung gekommener russischer Denker – das erkenntnistheoretische Primat des Subjekts, zugunsten eines Kollektivismus aufgeben. 111 Diese (bisweilen auch Vgl. RM, 203. Vgl. GGdG, 137. 110 RM, 204. Zur Bedeutung der individuellen metaphysischen Verwurzelung der Person siehe Abschnitt IV, 4b. 111 Vgl. Gläser 1975, 163. Gegen seine zwar im Vergleich zu Berdjaew abgemilderte Interpretation, dass es für Frank »schwierig« sei, »das Phänomen Freiheit in sein philosophisches System einzuarbeiten«, spricht schon GGdG, 228–233, insb. 230: »[D]as Wesen des Menschen [liegt] in seiner Freiheit, […] eine menschliche Gesellschaft ohne Freiheit [ist] überhaupt undenkbar.« Freiheit ist nach Frank allerdings nicht unabhängig oder gar gegen die Realität (Gottes), sondern nur in, mit und durch sie begründbar (vgl. DU, 108–110, 207–210 und besonders 395; vgl. entsprechend RM, 224 sowie 328–339). Insofern ist sie auch nie radikal losgelöste, d. h. absolut isolierte 108 109
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von Vorurteilen getriebene) Vermutung läuft allerdings gänzlich der Intention Franks zuwider. In der Tat, wenn das individuelle Subjekt als für sich von anderem isoliert Seiendes gedacht und in eine ihm selbst äußerliche Beziehungseinheit hineingezwungen würde, hätte das auf sozialer Ebene einen Kollektivismus zur Folge. 112 Ontologisch wäre das ein monistischer Primat der Einheit gegenüber der Vielheit. Frank sieht das sehr genau und schreibt entsprechend: »Eine solche Behauptung wäre falscher abstrakter Kollektivismus, das Gegenstück zum abstrakten Individualismus.« 113 Die personale Beziehungseinheit des »Wir« wird von Frank explizit nicht als »eine absolut ursprüngliche Kategorie« gedacht. 114 D. h. zum einen, dass die Beziehungsglieder nicht in der Beziehungseinheit aufgelöst, sondern gerade intern relational konstituiert werden. Zum anderen ist die Beziehungseinheit des ›Wir‹ von den einzelnen in Beziehung zueinander stehenden Seienden nicht derart losgelöst, dass die Einheit ihnen vorgegeben wäre und erst nachfolgend die jeweiligen Personen von ihr abgeleitet entstehen. Ohne die Beziehungsglieder, die in aktiver wechselseitiger Bezogenheit aufeinander befindlich sind, wäre die Beziehungseinheit schlechthin nicht existent und umgekehrt. Weil es sich hier um eine »Einheit kategorial verschiedenen persönlichen Seins« 115 handelt, bei der die Verschiedenheit sowohl in der Einheit erhalten bleibt als auch für die Einheit selbst konstitutiv ist, kann die Frage nach der Viel-Einheit des Wir folglich nur im Sinne des Antinomischen Monodualismus gelöst werden. Denn die Einheit des »Wir« ist gerade »die Einheit des Ich und des Du«. 116 Entsprechend wird sie von Frank als eine Einheit von Einheit und Vielheit gedacht, wie dies bereits ontologisch Darstellung gefunden hat (AbFreiheit (das ist hingegen die eigentlich dem ›Bösen‹ zugrundeliegende Intention bzw. die »Ursünde«; vgl. RM, 336 f.), sondern auf die Verbindung mit anderem in »Solidarität« bezogen (vgl. GGdG, 228), nicht jedoch ihr kollektivistisch untergeordnet, sondern gerade als Freiheit die »allgemeine und höchste Bedingung«, ja »Pflicht« (ebd. 229), jedes solidarischen Gemeinschaftsanspruches. 112 Vgl. GGdG, 136 f. 113 GGdG, 137. Vgl. auch RM, 206 Fn. 13. Einen Sozialismus, für den »die Existenz der individuellen Persönlichkeit« für »die Existenz des ›Kollektives‹, des ›gesellschaftlichen Ganzen‹« gänzlich zu opfern ist, bezeichnet Frank als »eine unsinnige Idee, die das unausweichliche Grundprinzip der Gesellschaftlichkeit ignoriert und nur zur Lähmung und Zersetzung der Gesellschaft führen kann.« (GGdG, 231). 114 GGdG, 137 [Hervorhebung D. St.]. 115 GGdG, 136. 116 Ebd.
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Der Mensch als Person
schnitt III, 3c). Gegenüber der zuvor ausgeführten, doch immer der Gefahr einer dinghaften Abstraktion ausgesetzt bleibenden ontologischen Erklärung des Verhältnisses der Seienden zueinander und zum Sein, 117 lässt sich selbige Struktur, in welcher die Beziehungsglieder als solche im gegenseitigen, konstitutiven Bestimmungsverhältnis begründet und bewahrt sind, mithilfe der frankschen Darstellung der personalen Beziehung durchaus lebensnäher nachvollziehen. Denn die »Wir«-Einheit ist nach Frank nicht nur grammatikalisch keine »›Mehrzahl‹ von Ich«, d. h. sie ist keine äußerliche »Summe« vieler ›Iche‹. 118 Als korrelatives Wechselverhältnis, in dem die Momente nie unabhängig voneinander stehen, ist von ihr zu sagen: ›Wir‹ sind ›Ich und Du/Ihr‹. Zentral ist folglich die Gleichursprünglichkeit der innerlichen Beziehungseinheit mit ihren sich unterscheidenden Beziehungsgliedern. Außerhalb der aktiven Bezogenheit von ›Ich‹ und ›Du‹/›Ihr‹ gibt es kein ›Wir‹. Und andersherum gibt es ohne die gemeinsame Beziehungseinheit des ›Wir‹ kein ›Ich‹ und ›Du‹. Wo ›Ich und Du‹ ›uns‹ (bzw. Personen sich) begegnen, sind wir ›Wir‹, d. h. in einer aktiven, wechselseitig-konstitutiven Beziehungseinheit befindlich. Nur so verstanden wird die Beziehungseinheit personaler Begegnung von Frank zum basalen, d. h. nicht weiter analysierbaren, ontologischen Fundament erklärt. Als solches kann sie nicht begrifflich bewiesen, sondern muss in der Begegnung unmittelbar erlebt werden. Hernach erst kann man sie reflexiv-explikativ phänomenologisch beschreiben und transzendental bedenken. Fragt man sich hingegen, ob auf diese Weise der Ontologie nicht eine zusätzliche, ihr äußerliche oder gar verzichtbare Komponente hinzugefügt wird (vielleicht nur im Sinne einer ad hoc Erweiterung, um ein spezielles virulentes Problem – das des Fremdpsychischen – leichthin loszuwerden), hat man die tiefe Bedeutung des Personenbegriffes noch nicht eingesehen. Versteht man mit Frank Personalität als wesentlich dynamisches, wechselseitig-konstitutives Transzendieren und nicht bloß als für sich isolierte Individualität gegenüber Anderem, 119 so er117 Insbesondere liegt die Schwierigkeit in einer mangelhaften Auffassung des unter Abschnitt III, 3d dargestellten analogen Verständnisses des Seinsbegriffs; wie Weissmahr 1991, 72 f., treffend bemerkt, wird er dadurch allzu leicht univok aufgefasst und in diesem Zuge der Abstraktion geopfert. 118 GGdG, 135; RM, 200. 119 Es wird noch darauf zurückzukommen sein (siehe Abschnitt IV, 4b sowie V, 2c), inwieweit die Individualität ebenfalls – und besonders in der religiösen Erfahrung –
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scheint sie weder als Ergänzung noch als eine nur beliebig andere Beschreibung der ontologischen Struktur des Seins. Vielmehr wird – in derselben Weise wie im Lebendigen Wissen das eigene Unmittelbare Selbstsein als Transzendieren – das Sein in seiner intern-relationalen Struktur nicht nur begrifflich vorgestellt, sondern dem einsehenden Erleben zugänglich. Die Erfahrung der Wir-Gemeinschaft, welche in interpersonaler Begegnung, d. i. Transzendieren, besteht, ist demzufolge wie das Lebendige Wissen ein Seins-Erleben in der vollzogenen Teilhabe. Wichtig ist: Frank nutzt den Begriff der Erfahrung an dieser Stelle nicht als partielle Inhaltserfahrung, ›über‹ oder ›durch‹ welche die Realität mittelbar als ein ›Etwas‹ erfahren würde. Stattdessen bindet er ihn explizit an die tiefere Bedeutung des Realitäts-Erlebens nach dem Muster des Lebendigen Wissens zurück. 120 So ist die Seins-Erfahrung ebenfalls keine Inhaltsbemächtigung, sondern ein Erleben der Selbstenthüllung der Realität »in ihrem konkret-überlogischen Wesen«. 121 Sie ist nicht nur im eigenen Unmittelbaren Selbstsein, sondern auch im Umgang mit der über dieses hinausreichenden Realität (in den Aspekten der personalen Gemeinschaft, aber auch der Sittlichkeit, Kreativität und Schönheit) möglich. Wie bereits angedeutet ist Personalität für Frank nicht nur ein Aspekt der Realität, den man auch neben anderen an ihr entdecken kann. Gerade in der Wir-Begegnung als wechselseitigem Transzendenzverhältnis kommt seines Erachtens »die wahre konkrete All-Einvon essentieller Bedeutung ist. An dieser Stelle genügt einstweilen der ergänzende Hinweis, dass mit der Gleichursprünglichkeit der personalen Momente Ich-Du-Wir eben auch die individuelle Person als Teil oder Glied der Wir-Beziehung notwendig ist (vgl. GGdG, 228–232). Eine sich von allem anderen isolierende Individualität verliert nicht nur ihren Wert für das Ganze und wird böse, sondern entzieht sich selbst auch die Existenzgrundlage (vgl. DU, 446, und RM, 186 sowie 338). 120 Vgl. LW, 219: »Das wissende Erlebnis ist […] Erfahrung im tiefsten Sinne des Wortes, nicht als sinnlich-äußere Berührung des Seins, sondern als ein In-sich-haben und In-sich-erfassen seiner.« Vgl. auch MuiG, 33, Frank nennt dort »Erfahrung« im tiefsten Sinne ein »unmittelbar-evidente[s] Wisse[n], in dem die Realität selbst vorhanden ist und sich uns gleichsam selbst darbietet«, sodass »reale Anwesenheit« das Hauptcharakteristikum einer evidenten Erfahrung ausmacht. 121 RM, 191; vgl. MuiG, 33. Genau diesen Aspekt übersieht Rörig 2010, 147 f., wenn sie behauptet, dass die Verwendung des Erfahrungsbegriffes im Spätwerk Franks ihn »endgültig wegführt von einem lebendigen Wissen als philosophischem Erkenntnisansatz« (ebd., 148). Ohnehin wird man Fragen müssen, ob sie die Bedeutung des Lebendigen Wissens bei Frank nicht grob unzureichend erfasst hat, wenn sie diesen ›Ansatz‹ der Erfahrung gegenüberstellt (siehe dazu V, 2b).
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Der Mensch als Person
heit in ihrem transrationalen, unergründlichen Wesen – nämlich als lebendiges Sein – deutlich zum Vorschein«. 122 Sie erscheint dort im Sinne des Antinomischen Monodualismus »mit besonderer Evidenz als Einheit von Sonderung und gegenseitiger Durchdringung.« 123 Denn wie in der personalen Beziehung, die sich »im Phänomen der Liebe« vollendet, 124 ist das Sein als Transzendieren eben dergestalt zu sehen, »daß das Eine immer für das Andere, im Anderen – über sich selbst hinaustretend – existiert, sich nur behauptet, indem es sich selbst um eines anderen willen verläßt.« 125 Genau darin offenbart sich denn auch die »Urweise des Seins«: 126 Das Sein ist per se nicht statisch, sondern dynamisch. Es besitzt keine für sich in Vereinzelung bestehenden, voneinander isolierten Teile, sondern vereint vielmehr alles zutiefst intern relational. Das Sein ist derart die Einheit des vielfältigen in Beziehung zueinander stehenden Einzelnen, dass die »Einheit« »in all ihrer Ganzheit auch in jedem ihrer Teile zugegen ist und ihn durchdringt«. 127 Was im eigenen personalen Sein als ›mein geistiges Leben‹ erfahren wird, kann Frank jetzt transzendental-phänomenologisch begründet auf das Sein als solches und im Ganzen übertragen. In diesem Zusammenhang greift Frank einen Terminus Fichtes auf und bezeichnet das Sein als »Geisterreich«. 128 Denn, wenn mein eigenes Sein personal ist und diese seine Personalität in ihrer Grundkonstitution die Begegnung mit anderen Personen notwendig voraussetzt, und wenn sich zudem diese Begegnung gerade als jene Weise des Realitätserlebens vollzieht, in der es sich nicht bloß um eine theoretische Vorstellung, sondern um eine aktive seinshafte Teilhabebeziehung handelt, dann kann Personalität nicht nur ein singuläres Phänomen sein. Sie kann nicht nur auf das ›Ich bin‹ in seiner Einzigkeit beschränkt gedacht werden. Dass Personalität existiert, zeigt somit, dass sie dem Sein selbst als solchem nicht fremd sein kann. Im Gegenteil, dass das Sein offensichtlich in der Lage ist, Personalität hervorzubringen, beDU, 250. DU, 249. 124 DU, 255: »Erst im Phänomen der Liebe offenbart sich somit konkret und lebendig das Zusammenfallen der Gegensätze, die coincidentia oppositorum, in ihrem tiefsten Wesen – das Grundprinzip der Realität als ihr antinomi[s]cher Monodualismus.« 125 DU, 250. 126 DU, 249. 127 DU, 250. 128 DU, 250 [Übersetzung korrigiert, D. St.]; vgl. Ehlen 2004, 81 f. 122 123
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
deutet, dass es selber personal strukturiert sein muss, da Personalität sich nur in der wechselseitigen Begegnung konstituiert. So kann Frank folgern: »Das Ich als Subjekt, d. h. als Träger der sich selbst offenbaren Realität, wird als eine partikulare Äußerung des allgemeinen Wesens der Realität erkannt, als eine ihrer Äußerungen.« 129 Als »persönliches Zentrum« bin ich dementsprechend ein »Glied eines polyzentrischen Systems der Realität, als Teilnehmer an einem ›Geisterreich‹«. 130 Aber auch diese Formulierungen könnten die Bedeutung der Dimension der Personalität noch unterrepräsentieren. Für Frank ist ein adäquates Seinsverständnis der Philosophie überhaupt nur dann sinnvoll möglich, wenn sie sich von der dinglichen Vorstellung für sich seiender Entitäten im Sinne einer Objektiven Wirklichkeit löst (siehe Abschnitt II, 3). Das skizzierte holistische Verhältnis der Entitäten zueinander wie auch zu ihrem einheitlichen Grund des Seins (siehe Abschnitte III, 3b und c) gipfelt nach Frank erst dann in »eine wahre Ontologie«, wenn die »intellektuelle Besinnung auf die Offenbarung der Realität im Sein des Wir« mit eingeschlossen wird. 131 Personalität ist also nicht nur ontologisch denkmöglich, sondern Franks Ansicht nach denknotwendig! Dieser Gedanke erscheint weniger befremdlich, wenn man die Phänomenologie der Wir-Einheit noch einmal genau betrachtet. Personal Seiende stehen in einem unauflöslichen wechselseitigen Verhältnis zueinander, das für sie konstitutiv ist. Sie partizipieren in dieser Weise an einer Gemeinschaftsbeziehung. Die Einheit der Gemeinschaftsbeziehung ist dabei keine Summe oder Klammer, die ihre Glieder nur äußerlich vereinigen würde. Im Gegenteil besteht sie aus der aktiv vollzogenen Teilhabebeziehung ihrer Glieder im wechselseitigen Transzendieren. Sie ist wechselseitiges Transzendieren. Diesbezüglich fügt Frank noch einen weiteren interessanten Aspekt hinzu: Die Einheit der Gemeinschaftsbeziehung des »Wir« ist als »Einheit kategorial verschiedenen persönlichen Seins« »auf höherer Stufe« »prinzipiell grenzenlos«. 132 Damit ist gemeint, dass sie nicht nur eine beschränkte Anzahl von bestimmt vielen Teilhabenden umfasst, son-
129 130 131 132
RM, 205. Ebd. DU, 258. GGdG, 136.
166 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Der Mensch als Person
dern »prinzipiell alles Seiende […] umfassen« kann. 133 Nicht nur ›Ich und Du‹ sind ›Wir‹. ›Wir‹ ist unbestimmt offen für die Begegnung mit mehreren Personen, die als ›Ihr‹ gegenüberstehen und in das ›Wir‹ inkludiert werden können. In dieser Offenheit kann von ›wir Familienmitglieder‹ die Rede sein genauso wie von ›wir Landsleute‹. Sie kann sich aber auch erweitern auf ›wir Menschen‹, ›wir Lebewesen‹ bis hin zu ›wir Seiende‹. In gewissem Sinne (und freilich in unterschiedlichem Maße) ist somit jede Entität Glied einer letztlich allumfassenden Beziehungseinheit, die in wechselseitig konstitutivem Verhältnis zu allem anderen steht. Noch einmal pointierter bedeutet das: Jede Entität ist in dem Maße in dem sie ›ist‹ – d. h. in dem Maße, in dem sie am Sein partizipiert bzw. transzendierend sich vollzieht –, personal. Oder umgekehrt: Sofern etwas existiert, ist es mindestens in einem noch unentwickelten Sinne proto-personal, aber niemals gänzlich a-personal. (Nur auf diese Weise lässt sich schließlich die genetische Frage nach der evolutiven Entwicklungsmöglichkeit geistig-personaler Hochformen aus physischen Grundbestandteilen erklären, ohne willkürliche Emergenzen oder übernatürliche Interventionen annehmen zu müssen.)
c)
Personalität als Transzendentalie
Der Personenbegriff hat damit einen besonderen ontologischen Status inne. Im frankschen Werk Personalität und Ontologie auseinanderdividieren zu wollen, wäre gänzlich verfehlt. 134 Die ontologische Grundfrage Franks findet vielmehr gerade in der Personalität ihren Gipfelpunkt. Was es heißt, ›zu sein‹, lässt sich im frankschen Sinne derart beantworten, dass Sein einen Vollzug personaler Art bedeutet: wechselseitig konstitutive, intern relationale, aktive Bezogenheit der Seienden zueinander in transzendierender Partizipation am einen, gemeinsamen, geistig-personalen Sein. Die Seinseinheit der Seienden, welche im transzendentalen Denken als über dem Gegensatz Ebd. Das derart von Rörig 2010 explizit verfolgte Projekt erkennt den Personalismus Franks nur in »ontologischen und erkenntnistheoretischen Zwischenräumen« als »Seitenwege« »seiner All-Einheitslehre« (ebd., 202) an; letztlich beruht das Problem schon darauf, dass sie Einheit und Differenz im System Franks gegeneinander auszuspielen versucht (vgl. ebd., 198 f.), womit sie scheitern muss. Sie deutet dieses Scheitern allerdings als Inkonsistenz frankscher Philosophie. 133 134
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
von Identität und Differenz »schwebende« »Einheit von Sonderung und gegenseitiger Durchdringung« ausgewiesen und mit dem »Standpunkt des antinomischen Monodualismus« gekennzeichnet wurde, 135 entspricht schließlich der überrationalen personalen Beziehungseinheit auf höchster Stufe. Aber was bedeutet das für den Begriff der Personalität? Handelt es sich bei diesem »Soziomorphismus«, wie Frank selber es nennt, 136 nicht doch um den Versuch der Übertragung eines an sich »anthropologischen Begriffs« in die Ontologie, um ihn dort als »neue Kategorie« im Sinne einer »neuen Relationsform« gewissermaßen ›zwischen‹ den Gegensatz von »Identität und Differenz« oder »Monismus und Dualismus« einzufügen? 137 Eine solche Deutung erliegt dem gleichen Missverständnis, dem auch der Seinsbegriff als analogia entis (siehe Abschnitt III, 3d) fortwährend ausgesetzt bleibt: Es geht nicht um einen univoken, d. h. rational eindeutigen Begriff, der seine (stets abstrakte) Bedeutung aus der mittels Unterscheidung konstituierten Referenz auf eine gegenständliche Entität der Objektiven Wirklichkeit erhält. Obzwar Personalität – wie auch Sein – dem verstehenden Erleben (im Lebendigen Wissen, bzw. in personaler Begegnung) unmittelbar zugänglich ist, so doch ihrem Erkenntnisgehalt nach, wie ausführlich dargestellt, nicht als rationale Bestimmung, sondern auf die Weise einer transzendentalen Besinnung. Das Ergebnis einer solchen Besinnung ist kein ›transzendenter Inhalt‹ im Sinne eines übersinnlichen Objektes, das gleichsam an einem geheimen Ort nur mittels einer okkulten Erkenntnisweise zugänglich wäre, sondern es ist »das Transzendentale« als ein »Grenzbereich«. 138 Diesen Grenzbereich als eine Menge von kategorialen Bestimmungen zu deuten, würde den angestrebten Überstieg über das rationale Denken nicht erreichen. Kategorien – zumal »Relationskategorien« 139 – sind als Prinzipien der Begrifflichen Erkenntnis zwar allgemeinste Bestimmungen. Als solche sind sie aber wesentlich abstrakt – und deswegen nach Frank als ontologische Grundbegriffe
135 DU, 180–183 [Übersetzung korrigiert und Hervorhebungen entfernt, D. St.]; siehe Abschnitt III, 3c und d. 136 DU, 258. 137 Gläser 1975, 161 f. 138 DU, 172. Vgl. Abschnitt III, 3a. 139 Gläser 1975, 161.
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Der Mensch als Person
ungeeignet, »die konkrete Fülle und Struktur der Realität auszudrücken«. 140 Wie der Seinsbegriff ist der Personenbegriff bei Frank als eine Transzendentalie so zu verstehen, dass er die Kategorien übersteigt, ohne ihnen entgegengesetzt zu sein. Transzendentalien durchziehen und begründen die kategorialen Bestimmungen der Begrifflichen Erkenntnis vielmehr, insofern sie als »überkategoriale ontologische Begriffe« im Maße der jeweiligen Partizipation »jedem Seienden als solchem zukommen«. 141 An dieser Stelle ist der Rückbezug auf Kants Deutung der Transzendentalien zumindest anzusprechen, um Missverständnisse zu vermeiden. Kant versteht die Transzendentalien als bloß »logische Erfordernisse und Kriterien aller Erkenntnis der Dinge«. 142 Als »Begriffe a priori von Gegenständen« 143 können die Transzendentalien seines Erachtens nicht gelten, weil sie derart zu den Kategorien gezählt werden müssten. Er fügt erklärend hinzu, dass durch die Transzendentalien »die transzendentale Tafel der Kategorien gar nicht, als wäre sie etwa mangelhaft, ergänzt« wird. 144 Vielmehr sei »das Verhältnis der Begriffe auf Objekte gänzlich beiseite« zu lassen, weil mit den Transzendentalien lediglich »das Verfahren mit ihnen [den Kategorien] unter allgemeine logische Regeln der Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst gebracht« werde. 145 Kant beschränkt also den Geltungsbereich der transzendentalen Analyse auf das subjektive Erkenntnisvermögen. Aus frankscher Perspektive wird man Kant insofern rechtgeben müssen, als die Transzendentalien sich wirklich nicht dergestalt auf Gegenstände beziehen, wie sich die Begriffliche Erkenntnis auf Entitäten der Objektiven Wirklichkeit bezieht. Sie werden gerade nicht wie univoke Begriffe durch eine Unterscheidung eines ›Diesen‹ von ›Anderem‹ gebildet. 146 Im Gegensatz zu Kant zieht Frank daraus aber die Konsequenz, dass die Tranzendentalien deswegen auch nicht DU, 183; vgl. RM, 187, sowie LW, 198. Herzgsell 2010, 512 f. Das zitierte von Aristoteles’ Kategorienlehre ausgehende Transzendentalienverständnis lässt sich übertragen, auch wenn Personalität als Transzendentalie dort nicht explizit vorkommt. Vgl. LW, 198–200. 142 KrV, B 114. 143 KrV, B 131. 144 KrV, B 115. 145 KrV, B 115 f. 146 Vgl. DU, Kapitel 4. Siehe dazu ausführlich Abschnitt III, 3a. 140 141
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
durch eine Unterscheidung vom Sein – als nur unserer Erkenntnisform zugehörig – gedeutet werden können. Da Erkennen vom Sein nicht getrennt, sondern selber ein Seinsvollzug ist – ein aktiver Bestimmungsprozess, der sich freilich dann dem Prinzip der Bestimmtheit folgend kategorial vollzieht –, geht die transzendentale Besinnung Franks, wie im ontologischen Argument dargestellt (Abschnitt III, 2b), über Kant hinaus. Transzendentalien sind somit nicht nur Verfahrensprinzipien der Ratio, sondern Vernunftprinzipien des am Sein partizipierenden Geistes, die stets analoge Bedeutung haben. 147 Es ist nun keineswegs selbstverständlich, den Begriff der Personalität unter die Transzendentalien zu zählen. Klassischerweise gehören zu den Transzendentalien vor allem Sein, Wahrheit (Intelligibilität), Gutheit und Einheit. Vielheit bzw. Differenz dagegen wird spätestens seit Plotin zumeist als Mangel gesehen und ausschließlich mit der Struktur der Endlichkeit verbunden. 148 Nimmt man hinzu, dass die Relation in der Hochscholastik als schwächstes Akzidenz galt, 149 wird verständlich warum Personalität, begriffen als in Relation zueinander stehendes Vieles, nicht unmittelbar auf den Grund des Seins als solchen und im Ganzen bezogen wurde. Dieser sollte doch gerade in seiner Grundgestalt das viele Endliche in seiner Relativität dadurch übertreffen, dass er absolut Eines und unveränderlich sei. Wenn sich aber tatsächlich ›Personalität‹, wie es Fichte ausdrückte, »ohne Beschränkung und Endlichkeit schlechterdings nicht […] denken« lässt, gerade weil man, was ›Person‹ bedeutet, immer nur an sich selbst als endlicher Person erfährt, so scheint, wie Pannenberg aus diesem Zitat resümiert, folgender Schluss unvermeidlich zu sein: »Jeder auf diese [am Menschen gewonnene] Weise konzipierte Begriff von Person schließt die Endlichkeit des Menschen als konstitutives Element mit ein und bleibt daher untauglich zur Bezeichnung der alle Wirklichkeit bestimmenden, nichtendlichen Macht.« 150
147 Siehe Abschnitt III, 3d. Dies entspricht auch der Forderung Vittorio Hösles nach einer Ausweitung des Vernunftbegriffes auf Prinzipienfähigkeit (siehe Abschnitt II, 5c). 148 Vgl. Plotin Enn. VI 9, 6. Vgl. auch Schmidt 2003, 216: »Denn Zweiheit ist nach Plotin prinzipiell ein Mangel, und ein Mangelhaftes kann nicht das Höchste und der allgemeine Ursprung sein. Damit ist ein Streit vorgezeichnet, der bis heute anhält.« 149 Siehe Abschnitt III, 3b, insb. Anm. 151. 150 Pannenberg 1971, 139; das Fichte-Zitat aus »Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« (1798) findet sich ebd. Fn. 39.
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Der Mensch als Person
Lassen wir die Frage nach der Personalität Gottes einstweilen außen vor und sprechen lediglich von den transzendentalen Grundbestimmungen des Seins als solchen und im Ganzen, so meint das transzendentale Argument Franks wie dargestellt, dass die an einem selbst erfahrene Personalität nicht ohne ontologischen Grund sein kann. Dem Grund selbst kann Personalität somit durchaus nicht fremd sein, sonst gäbe es keine Personalität; mehr noch: er muss vielmehr selbst (in gewissem Sinne) personal sein, um Personalität hervorbringen zu können. Ist das aber nicht eine willkürliche Begriffskonzeption, die unberechtigterweise etwas Endliches verabsolutiert? Offensichtlich handelt es sich jedoch nicht einfach um eine Projektion, sondern um den Hinweis darauf, dass es schlechthin nichts ohne ermöglichenden Grund gibt – gemäß dem metaphysischen Prinzip ex nihilo nihil fit. 151 Einwenden ließe sich allerdings, dass Personalität vielleicht überhaupt kein positives Sein, sondern nur Mangel sei. Eine Konzeption, für welche Einheit das ontologisch Höchste und Differenz nur Mangel bedeutet, kann sich dazu verleitet sehen. Damit wäre der Einheit aber die Differenz rational entgegengesetzt. Wäre dies jedoch noch eine höchste Einheit, wenn sie etwas außer sich hätte? Und was wäre die Konsequenz auf ontischer Ebene? Wäre dann ›Nicht-Personales‹ in höherem Maße seiend als ›Personales‹ ? Wäre eine undifferenzierte, tote Einheit dann realer, intelligibler und höherwertiger? Das Problem liegt allerdings nicht nur darin, dass, einem ontologischen Missverständnis der letzten Einheit verfallend, diese so verstanden wird, als müsse sie Differenz ausschließen. 152 Problematisch ist vor allem das Verständnis der Personalität, sofern es nur atomistisch nach dem Muster einer isolierten Individualität, also ohne Einbezug der internen Relationalität, gedacht wird. 153 Derart könnte es im Sinne einer sich bis in die Isolation verweigernden SelbstausgrenSiehe Anm. 57. Dagegen betont Weissmahr 1991, 134 f., zu Recht, dass die höchste Einheit eben Einheit von Einheit und Verschiedenheit sein muss und deswegen auch ihre relative Bezogenheit in der höchsten Einheit als »transzendentale Vollkommenheit« gelten muss. So versteht auch Frank den Gedanken eines »unpersönlichen Seins« hinsichtlich der letzten Wirklichkeit als eigentliche Zuschreibung von »Armut und Mangel an etwas« (DU, 386). 153 Die begriffsgeschichtlich bedeutungsvolle Formulierung des Personenbegriffs durch Boethius »persona est naturae rationalis individua substantia« (PL 64, 1343) scheint ein solches Verständnis nahezulegen. Es kann aber auch hier angefragt werden, ob die ›vernünftige Natur‹ nicht von sich her das Transzendieren als bestimmen151 152
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
zung tatsächlich als privatio verstanden werden. 154 Anerkennt man aber, wie Frank es transzendentalphänomenologisch begründend ausführt, dass Personalität sich wesentlich durch das aktive Beziehungsverhältnis zum Anderen konstituiert, so wird die Begriffsdeutung im Sinne einer Transzendentalie möglich und angezeigt. In Bezug auf Hegels Religionsphilosophie führt dies J. Schmidt in einer Weise aus, die Franks Intention hervorragend trifft. Er schreibt, dass »›Person‹ nicht einfach ein Begriff der Endlichkeit« sei, weil »die Begrenztheit der Person […] durch sie selbst überschritten [wird], wobei sich erst in diesem Überschritt das Personsein erfüllt.« 155 Wird Personalität aber auf diese Weise gedacht, so dass die »Transzendierung der Grenze für den Personenbegriff essentiell ist«, dann kann man Personalität im scholastischen Sinne als »perfectio pura« begreifen, d. h. als »eine Bestimmung, die widerspruchsfrei zu verabsolutieren ist (wie Sein, Gutheit, Wahrheit)«. 156 Was das Verständnis des Personenbergriffs bei Frank als Transzendentalie auszeichnet, ist also kurz zusammengefasst in erster Linie die wesentlich interne Relationalität – als aktiv-dynamisches, wechselseitig konstitutives Transzendieren. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, die personale Einheit (das ›Wir‹) prinzipiell unbegrenzt zu erweitern, so dass sie letztlich alles auf einer höheren Ebene in eine absolut allumfassende Einheit einschließen und das einzelne Seiende zugleich dadurch als jeweils einzigartige Partizipialform begründen kann. Gemäß dem Verständnis der anderen Transzendentalien, welche »allgemeinste, irreduzible, konvertible (extensional äquivalente), aber dem Bedeutungsgehalt nach (intensional) verschiedene, überkategoriale Begriffe« 157 darstellen, erklärt sich folglich die Möglichdes Wesensmerkmal inkludiert und es sich folglich generell nicht nur um eine isolierte Substanz handeln kann. 154 Darin liegt für Frank der wesentliche Zug des Bösen (siehe Abschnitt V, 4c). Vgl. Ehlen 2004, 99, in Bezug auf RM, 446: »Ist die Negation für das bestimmte Selbstsein konstitutiv, so wird sie im Bösen zum ›absoluten Mangel‹, zu einem absolut isolierenden Nein. Hier hat die Negation aufgehört zu verbinden und grenzt nur noch ab. Das Einzelne hat sich damit aus dem ›allgemeinen Seinszusammenhang‹ herausgelöst und in sich verschlossen. Es hält seinen Mittelpunkt, der ein solcher nur durch den Zusammenhang mit allem anderen ist, für den absoluten und einzigen Grund der Realität. Indem es das Andere als unwesentlich zurückweist, erhebt es sich selbst ›zu einem Schein-Absoluten, zu einer Pseudo-Gottheit‹.« 155 Schmidt 2003, 230. 156 Ebd. 157 Herzgsell 2010, 513.
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Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott
keit der Konvertierbarkeit von ›Sein‹ und ›Personalität‹ im Denken Franks. 158
4.
Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott
Es könnte nun scheinen, dass mit dem bisherigen Ergebnis der ontologischen und anthropologischen Betrachtung das Ende der transzendentalen Überlegungen erreicht wäre. Schließlich wurde als Bedingung der Möglichkeit für das im Unmittelbaren Selbstsein verstehend erlebte Sein eine prima facie letzte ontologische Begründung in der absolut allumfassenden und alles durchdringenden Realität gefunden. Als allgemeiner Grund des auf tieferer, geistiger Ebene im Selbstvollzug erlebten personalen Seins, das sich auch phänomenologisch in seiner holistischen Eigenart erweist (im Sinne einer lebendig geistigen, im Transzendieren konstitutiven und somit intern relationalen Wechselbeziehung, die das individuelle Sein durch seine Teilhaberelation am all-einen personalen Sein begründet), scheint die absolute Realität genau jene Einheit von Einheit und Vielheit auszumachen, die das philosophische Suchen intendierte. Währenddessen zeigte sich das »zweieine Wesen des Menschen« zuerst darin, dass der Mensch einerseits als belebter Körper ein »Naturwesen« ist, in dem sich andererseits ein prinzipiell über die Objektive Wirklichkeit hinausgehendes, geistiges Sein offenbart. 159 Obwohl er durch das geistige Sein der Unbedingtheit und Absolutheit in der Realität seines Selbstvollzuges teilhaftig ist, eignet dem Menschen an dieser Stelle jedoch eine weitere antinomische Spannung: Er erfährt seine Unbedingtheit und Absolutheit als eine Begrenzte und von anderem her Bedingte. Nur im Akt der Selbsttranszendenz, in 158 Interessant ist diesbezüglich auch die Parallele zu Schmidts Herleitung des Personenbegriffs unter Bezug auf Richard von St. Viktor. Letzterer kritisiert ähnlich wie Frank einen statisch verstandenen Substanzbegriff. Stattdessen versteht Richard wie Frank das ›Sein‹ wesentlich »relational« als »existentia«, indem er es wie folgt bestimmt: »quid est enim existere, nisi ex aliquo sistere, hoc est substantialiter ex aliquo esse (was ist Existieren anderes als von einem (anderen) her Standfinden, dies ist: substantiell von einem (anderen) her sein)« (zitiert nach Schmidt 2003, 227). Für Spaemann 2006 ist »Personalität« ebenfalls ausdrücklich »wie ›Sein‹ ein analoger Begriff« (ebd., 77). Er führt weiter aus: »Bewußt erlebtes personales Leben ist für uns das Paradigma von Leben überhaupt. Wir können, was nicht personales Leben ist, nur nach Analogie personalen Lebens, also durch Subtraktion verstehen.« (Ebd., 78) 159 Vgl. RM, 257 f.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
dem er sich über seine individuellen Grenzen hinaus auf ein ihm gegenüber anderes geistiges Sein bezieht und an diesem teilhat, konstituiert sich sein genuin personales Wesen. Das für seine individuelle Personalität konstitutive Transzendieren hat dabei eine intern-relationale Funktion. Es zielt zudem gleichsam in zwei Richtungen: Einerseits besteht Personalität in der Empirischen Wirklichkeit im Transzendieren der eigenen Grenzen hin zu anderen Personen – ganz konkret als eine aktive gemeinschaftliche Beziehungseinheit der Begegnung. Andererseits ist diese empirische Beziehungseinheit Ausdruck der personalen Seinsstruktur selbst, die in je unterschiedlichem Maße alles Sein durchwaltet. Nur weil das Sein selbst eine personale All-Einheit ist, in der alles zueinander in aktiver Teilhabebeziehung steht, können die einzelnen Teile sich in ihr, durch sie und aus ihr heraus entwickeln. Bei aller Hervorhebung der (letzten und grundlegenden) Einheitlichkeit des Seins, ist jedoch nachdrücklich das Moment der Dualität und Spannung festzuhalten. Die Auflösung der Spannung zugunsten einer logischen Einheit wäre dem Standpunkt des frankschen Antinomischen Monodualismus genauso unangemessen wie der Verzicht zugunsten einer radikalen Dualität. Vielmehr ist gerade in dieser überrationalen Spannungseinheit auch das empirisch erlebbare Wesen der konkreten Realität des individuellen Menschen zu sehen, das Frank so beschreibt: »Das Menschenleben besteht im Kampf und Zusammenwirken, im ständig gestörten und wiederhergestellten Gleichgewicht zwischen diesen beiden Sphären des Seins, der faktischen und der ideal-übergeordneten, in ihrer ungetrennten und unvermischten Zweieinheit.« 160
Weil das Wesen des Menschen nicht unabhängig von seinem Lebensvollzug adäquat begriffen werden kann – dann wäre es nur eine abstrakte Idee eines vermeintlichen ›Menschen an sich‹, die gerade auf Kosten seiner wahrhaft konkreten Wesenseigenart als lebendig-dynamisches Sein ginge –, kommt der spannungsvollen Zweieinheit seines Seinsvollzuges entscheidende Bedeutung zu. Es ist gleichsam ein unstetes Leben auf der Grenze zwischen Materie und Geist, Bedingtem und Unbedingtem etc. Zudem gliche es einer Absage an die intellektuelle Redlichkeit, im Blick auf die transzendental erschlosse160
RM, 259.
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Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott
ne all-eine Realität in ihrer personalen Seinsstruktur zu meinen, damit wäre nun anthropologisch wie ontologisch alles gesagt. Denn ist das die antinomische Spannung des menschlichen Lebens wahrnehmende, existenzielle Fragen nach dem ontologischen Grund wirklich an ein befriedigendes Ende gelangt? Es bleibt doch – vor allem in Anbetracht der vielfach leidvollen, konkreten menschlichen Lebensgeschichten – die Frage nach dem Grund dieser Dualität in mehrfacher Hinsicht offen – insbesondere, wenn sie als Frage im Sinne der ›ontologischen Rückbindung an den geistigen Grund‹ (Abschnitt III, 4) gestellt wird: Was bedingt diese duale Struktur und das Leben ›in‹ oder ›zwischen‹ ihr? Damit ist nicht nur eine Frage nach der Struktur als solcher und ihren kausalen Verhältnissen gestellt, sondern vor allem nach ihrem Sinngrund. Was ist dieser letzte Grund, der jener Struktur Sinn verleiht? Wieso gibt es eine solch spannungsgeladene Realität überhaupt? Auf diese Weise ist es die Frage nach dem Sinn des Lebens, aus der sich die Fragen nach Gott und dem Sinn der Schöpfung (insbesondere im Angesicht des Leidens auch als Theodizeefrage nach dem Grund des Übels) ergeben. Bevor sie (dem Rahmen geschuldet auch nur in akzentuierender Einschränkung) im nächsten Teil – der philosophischen Theologie im engeren Sinne – angegangen werden können, soll im Folgenden vorab eingehender gezeigt sein, weshalb sich diese Fragen nicht einfach beliebig zusätzlich anschließen, sondern konsequent aus den bisherigen Überlegungen folgen. Es soll also gezeigt werden, dass insbesondere die erarbeitete personale Ontologie notwendig in die philosophische Theologie überleitet.
a)
Die personale Variante des ontologischen Arguments
Aus den dargestellten Überlegungen zum Personenbegriff lässt sich in Analogie zum ontologischen Argument eine personale Variante konzipieren. Es sei nur kurz in Erinnerung gerufen, dass der Kern des ontologischen Arguments nach Frank darin besteht, zu zeigen, dass das absolute Sein selbstevident ist. 161 Die argumentative Rekonstruktion bediente sich einer transzendental-phänomenologischen Methode, welche die Bedingung der Möglichkeit des unhintergehbaren individuellen Seinserlebens im absoluten Sein aufwies. Wurde 161
Vgl. LW, 289 und 303. Siehe Abschnitt III, 2a.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
am Ende des ontologischen Arguments angemerkt, dass Frank jenes im transzendental-phänomenologischen Aufweis erreichte absolute Sein noch nicht mit Gott identifiziert wissen will, 162 so steht es in Bezug auf die personale Variante anders. Diesbezüglich schreibt Frank explizit: »Der einzige, aber völlig adäquate ›Gottesbeweis‹ ist das Sein der menschlichen Person selbst«. 163 Das stellt uns vor ein nicht unerhebliches Problem. Wurde nicht soeben erst die Konvertierbarkeit von ›Sein‹ und ›Personalität‹ behauptet, insofern beide Begriffe Transzendentalien darstellen sollen? Weswegen grenzt Frank das ontologische Argument des absoluten Seins dann von einem Gottesbeweis ab, während er es in Bezug auf die Personalität gestattet? Gibt es gegenüber dem absoluten Sein etwa einen begründeten Vorzug der Personalität? Bevor darauf näher eingegangen werden kann, sei zunächst das personale Argument ausgeführt. Im Verlauf dessen wird sich die Antwort von selbst ergeben. Das Argument hat seinen Ausgangspunkt im Erleben der Personalität. Versteht man den Begriff der Person der »ganzen Tiefe und Bedeutung« nach »als Wesen, das sich selbst transzendiert«, so ist laut Frank »das Bewußtsein der Tragik des Menschenlebens […], wenn es vertieft wird, Grund zur philosophischen Bestätigung der Realität Gottes.« 164 Um dies zu erklären, bringt Frank im Anschluss an Sokrates zunächst ein genetisches Argument vor, wie es bereits im Übergang zur Beschreibung des Personenbegriffs als Transzendentalie genutzt wurde: Wenn mein eigenes Sein unmittelbar personal erlebt wird, dann bedarf es eines zureichenden Grundes im Sein selbst, damit es sich aus dem Sein heraus entwickeln kann. Denn so, wie das Lebendige Wissen des Unmittelbaren Selbstseins auf die Verwurzelung in der diesem zugrundeliegenden absoluten Realität verweist, so verweist entsprechend die Wahrnehmung der Realität der menschlichen Person ebenfalls auf »einen ihr gleichartigen ontologischen Grund«. 165 Frank fragt zu Recht mit aller Schärfe, »wie […] unser Geist, unser Wesen als Person im Sein angetroffen werden [könnte], wenn er nicht aus einer allgemeinen, ursprünglichen Seinssphäre hervor-
162 Vgl. LW, 304. Genauer wird dies im Abschnitt V, 1 und 2 in der Auseinandersetzung mit dem Ontotheologie-Vorwurf des ›Gottes der Philosophen‹ bearbeitet. 163 RM, 250 f. 164 RM, 251. 165 Ebd.
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Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott
gegangen und entnommen wäre, die über seine Eigenschaften verfügt?« 166 Denn die Annahme von Emergenzsprüngen wäre auf welche Weise auch immer unintelligibel. Man müsste beispielsweise annehmen, in der Entwicklung zur menschlichen Personalität verliefe die Evolution rein apersonal, bis an einem bestimmten Punkt schließlich Personalität anzutreffen wäre. Als Grund müsste dann entweder ein spontanes, völlig zufälliges und von nichts verursachtes Entstehen der Personalität ohne jedwede materiell anschlussfähige Grundlage – gleichsam aus dem physikalischen Nichts heraus (mit einem willkürlichen Quantensprung etwa) – dienen, oder aber man müsste alternativ einen willkürlichen, übernatürlichen Schöpfungsakt einer außerweltlich göttlichen Instanz annehmen, welche in die Weltordnung eingriffe und sie punktuell verändern würde. Das erste wäre eine naturalistische und das zweite eine kreationistische Erklärungsweise, die beide offensichtlich mehr ontologische Fragen aufwerfen, als sie ausräumen. Dass man für das Dasein der Personalität einen zureichenden Grund des Seins einfordert, ist also keine Bekundung eines »Anthropomorphismus«, welcher darin bestünde, Entitäten der Objektiven Wirklichkeit in ihren natürlichen Kausalbeziehungen auf vermenschlichende Weise zu mythologisieren. 167 Im Gegenteil handelt es sich um die philosophische Forderung nach ontologischer Erklärung der irrreduziblen Erfahrung, »daß ich als lebendiges Subjekt, das als solches der gesamten objektiven Wirklichkeit gegenübersteht, keine sich selbst genügende Instanz bin, die – unbekannt, ob sie irgendwoher oder aus dem Nichts kommt – gleichsam über dem ganzen Sein schwebt; daß ich vielmehr Realität selbst bin, d. h. in der Realität selbst meine Wurzeln habe.« 168
Nach Frank erfährt der Mensch in seinem »immanent gegebenen Wesen«, d. h. im verstehenden Erleben des Unmittelbaren Selbstseins, sowohl in der Tiefe seines geistigen Lebens als auch in der personalen Begegnung die »Überweltlichkeit seines Wesens als Person«, welches gleichwohl »als nur abgeleitete und dazu unvollkommene Erscheinungsweise dieses überweltlichen Prinzips« wahrgenommen
166 167 168
Ebd. Vgl. RM, 251. Ebd.
177 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Anthropologie: Das Sein des Menschen
wird. 169 Dies ist in Kürze die doppelte Zweieinheit seines Wesens: einerseits als selbstoffenbare Realität gegenüber der Objektiven Wirklichkeit, andererseits als doch nur bedingte Unbedingtheit. Der für das Argument entscheidende Punkt ist die Kontingenzerfahrung des Menschen gerade in seiner ihm unhintergehbar eigenen Unbedingtheit. Frank plädiert dafür, dass das »Bewußtsein des Ungenügens und der Beschränktheit« schon Kennzeichen der implizit vollzogenen Selbsttranszendenz ist. 170 Denn es handelt sich in diesem Bewusstsein bereits um »ein evidentes Wissen« dessen, was als fehlend erlebt wird. 171 Zur Begründung verweist Frank wiederum im Anschluss an Descartes darauf, dass »der Begriff des Unendlichen« dem »Begriff des Endlichen« notwendig vorausgeht. 172 Ersterer ist »die ursprüngliche positive Idee der ›Fülle von allem‹«, Letzterer dagegen »nur der abgeleitete negative Begriff […], der durch das Merkmal der Nicht-Fülle, des Mangels, der Minderung konstituiert wird.« 173 Konkret argumentiert Frank wie folgt von der Bedürfniserfahrung des menschlichen Lebens aus. Als Personen sind wir zum einen den von der Objektiven Wirklichkeit bedingten äußeren »Nöten« ausgesetzt. Diese sind vor allem »in der uns gegenüberstehenden außermenschlichen Natur« gegeben, aber auch im »Bereich des kollektiven menschlichen Lebens«, 174 welcher als institutionalisierte gesellschaftliche Form der Gemeinschaft in ähnlicher, bisweilen sogar noch grausamerer Art begegnen kann – wie Frank wohl hinsichtlich der eigenen Erfahrungen mit dem Bolschewismus und Nationalsozialismus hervorhebt. 175 Darüber hinaus treten neben dem »blinden Gang der Dinge der objektiven Wirklichkeit (der kosmischen und objektiv menschlichen Natur)« 176 die uns bedrängenden Nöte zudem im eigenen Inneren zutage. Im eigenen seelischen Leben als für sich grundRM, 252. Ebd. 171 Ebd. 172 Ebd. 173 Ebd. Frank sieht darin den eigentlichen ontologischen Beweis bei Descartes (vgl. LW, 300 f.), wenn dieser in Med. III, 24 schreibt: »plus realitatis esse in substantia infinita quam in finita.« 174 RM, 243. 175 Vgl. neben DU, 114, 261–264, und RM, 243, insbesondere RM, 348. Zum Verhältnis von »Gemeinschaftlichkeit und Gesellschaftlichkeit« siehe ausführlich GGdG, 140–154. 176 RM, 244. 169 170
178 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott
lose »Subjektivität« herrscht eine emotionale »Anarchie, die uns zur Unterordnung unter verantwortungslose blinde Kräfte führt.« 177 Das Bedürfnis des Menschen als Person besteht demzufolge in der Sehnsucht nach einer erlösenden Macht, die ihn sowohl vor den äußeren wie auch vor den inneren Nöten zu retten in der Lage ist. Sie kann deswegen kein impersonaler Teil – weder der äußeren noch der inneren – Objektiven Wirklichkeit sein. Sie muss vielmehr »dem Wesen unserer Person selbst verwandt sein« und »alles in sich« haben, »was das Wesen selbst unseres Ich als Person ausmacht.« 178 Zugleich muss sie dieses aber noch übertreffen. Im Gegensatz zu der unsere subjektive Personalität kennzeichnenden Bedingtheit muss diese ersehnte Macht »innerlich unbedingt sinnvoll« sein und eine »evidente Begründung in sich selbst« haben, sodass sie »das Merkmal der Person mit dem Merkmal absoluter Selbstbegründung und Objektivität im Sinne unbedingten oder absoluten Selbstwertes in sich überlogisch vereinigt«. 179 Das Bedürfnis geht also auf einen Grund der eigenen Personalität, der selber weder ›a-personal‹ noch ›personal‹ im bedingt endlichen Sinne ist. Weder ein impersonales kosmisches Ganzes noch eine oder mehrere andere Person/en in der Welt erfüllen dieses Bedürfnis endgültig und damit begründend. Es bedarf vielmehr »gewissermaßen« einer »Überperson«. 180 Setzt sich Franks Argument auf diese Weise aber nicht dem klassischen Einwand der modernen Religionskritik aus, dass zur Rechtfertigung religiöser Annahmen das Bedürfnis des Menschen nicht tauge, da es sich um nichts weiter als Projektionen handele? 181 In dieser Linie interpretierte L. Feuerbach den Glauben an Gott als Hervorbringung des Menschen, insofern dieser sein menschliches Wesen in die Vollkommenheit übersteigert hypostasiere und aus sich heraus projiziere. 182 Insbesondere die daran angeschlossene Kritik S. Freuds Ebd. RM, 245. 179 Ebd. 180 Ebd.; vgl. auch LW, 305. 181 Vgl. Hoff 2010, 19 f. 182 Vgl. Feuerbach 1956, 53. Nach Klages 2005, 100–102, sieht Feuerbach deshalb ausdrücklich den Glauben an Gott als Produkt menschlicher Wünsche; dabei wird oft unterschlagen, dass Feuerbach in erster Linie nicht die Negation des Gottesbegriffes, sondern seine Verbundenheit mit dem menschlichen Wesen intendierte, um dieses in seiner wahren Größe zu entdecken (vgl. Klages 2005, 109, und ausführlich Weinrich 2011, 114–220); Grandt 2006, 40, führt in diesem Sinne an, dass man Feuerbach auch so lesen könne, dass es Gott lediglich nicht unabhängig vom menschlichen Wesen 177 178
179 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
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zur »psychischen Genese der religiösen Vorstellung« kann der frankschen Argumentationsfigur direkt entgegengestellt werden: »Diese, die sich als Lehrsätze ausgeben, sind nicht Niederschläge der Erfahrung oder Endresultate des Denkens, es sind Illusionen, Erfüllungen der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit; das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke dieser Wünsche.« 183
Nach Freud handelt es sich vielmehr um den Ausdruck eines »kindlichen Schutzbedürfnisses«, das regressiv festgehalten und in seinem Objekt auf einen »allmächtigen Vater« überhöht wird. Interpretierte er diesen Umstand anfangs ganz direkt als Form einer »Neurose«, so blieb es ihm auch in seinem späteren Schaffen einer »Wahnidee« nahe, welche »das Bild der realen Welt wahnhaft zu entstellen« sucht und eigentlich im kollektiv-religiösen Rahmen eine »gewaltsame Fixierung eines psychischen Infantilismus und Einbeziehung in einen Massenwahn« bedeutet. 184 Wenn auch Unwissenheit ihm gerade nicht als berechtigte Ausrede gilt, sich der notwendigen »Erziehung zur Realität« zu verweigern und sich dieser Illusion einfach gedankenlos hinzugeben, so sei doch vor allem der Versuch der Philosophen beklagenswert, welche nun entgegen der üblichen »Einschüchterung der Intelligenz« 185 auch noch versuchten, den Gottesbegriff in »reinerer Form« zu erfassen und doch nichts weiter erhielten als »irgendeine verschwommene Abstraktion«. 186 Dem modernen Bewusstsein gehen diese Einwände freilich unter die Haut. Wie viele unerfüllte Bedürfnisse gibt es auf der Welt? Wie viele Menschen hungern und dürsten bzw. erleiden schrecklichste Qualen bis in den Tod, obwohl ihre Bedürfnisse sicher in eine andere Richtung weisen? In seiner bewegten und von Entbehrungen gebe. Das kommt der Intention Franks nahe, der betont, dass man bei Feuerbachs »Der Mensch schafft Gott nach seinem Bild und Gleichnis« lediglich »das Wort ›schaffen‹ durch das Wort ›wahrnehmen‹ zu ersetzen [braucht], um dieses Urteil zu einer genauen Formel für das Wesen des Glaubens zu machen.« (MuiG, 78) Siehe dazu auch die Abschnitte V, 2 und 3. 183 Freud 1968, 352. Vgl. dazu auch Scharfenberg 1971, 176–180. 184 Freud 1968, 353 und 443 f. Vgl. auch Grom 2007, 38–48, sowie Weinrich 2011, 154–160. 185 Freud 1968, 443. 186 Freud 1968, 355. Dass es sich bei Freuds Religionskritik um durchaus problematische religionsphilosophische Thesen (und nicht um psychologische Diagnosen) handelt, gegen die starke Argumente vorgebracht werden können, stellt Brüntrup 2014 heraus.
180 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
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gekennzeichneten Lebensgeschichte 187 sind Frank diese Zweifel alles andere als fremd. So sagt er selber, dass es der »gesunde Menschenverstand« ist, der zweifelt, ob es sich bei dem Argument aus dem Bedürfnis heraus nicht doch nur um »ein von uns zu unserem Trost erfundenes schönes Zaubermärchen, ein Produkt dessen, was die Engländer wishful thinking nennen«, handelt. 188 Freilich ist Freud zuzustimmen, dass jenes Argument keinen Beweis darstellt, der eine aus dem Denken konstruierte Hypothese mit einer speziellen Tatsachenerfahrung bestätigt oder falsifiziert, wie es in den Naturwissenschaften praktiziert wird. Dennoch ist dem entgegenzuhalten, dass es doch gerade keine Verweigerung gegenüber der Realitätserfahrung bedeutet, sondern im Gegenteil das aufrichtige Wahrnehmen des menschlichen Seins, in dem zumindest festzustellen ist: »Dieses Bedürfnis selbst ist keine subjektive ›Erfindung‹, sondern eine evidente und unaufhebbare Tatsache unseres inneren Seins, d. h. unserer Realität.« 189 Wir bedürfen sicher vielerlei, was auch die Kritiker nicht bestreiten würden. Aber wieso sollte damit das Ziel des Bedürfnisses verbürgt sein? Das ist der springende Punkt: Was rechtfertigt die Annahme, dass das Wissen um dasjenige, was fehlt, dessen Sein erweist? Die Kritiker setzen voraus, dass die geschichtliche Erfahrung eher dafür spreche, »dass die menschliche Bedürfnisstruktur und seine [sic!] Erfüllung eher unwahrscheinlich zueinander finden.« 190 Gekoppelt mit der »Annahme, dass sich Wirklichkeit auf die empirisch erfahrbare Realität beschränken lasse«, 191 sieht es für das Argument düster aus. Im besten Fall propagiert man einen Lückenbüßergott, der für das menschliche Wohlergehen in der Welt funktionalisiert wird. Doch wird das franksche Argument von diesem Einwand getroffen? Zugrunde liegt die ontologische Unterscheidung zwischen Realität und Objektiver Wirklichkeit. Auch Frank gesteht zu, dass jedes Bedürfnis, das auf ein Objekt in der Welt zielt, durchaus unerfüllt bleiben kann. Anders sei dies allerdings in Bezug auf die Realität:
187 188 189 190 191
Vgl. Boobbyer 1995, bes. 180–187. RM, 247. Vgl. auch LW, 312 f. RM, 248. Hoff 2010, 21. Ebd.
181 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
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»Wenn im Verhältnis meines inneren Seins zur objektiven Wirklichkeit meine Not und Unzulänglichkeit das Eine ist, und ihre Befriedigung, die Erlangung dessen, was mir fehlt, etwas ganz Anderes (daraus, daß ich ›hundert Taler‹ brauche, folgt durchaus nicht, daß ich sie habe oder auch nur irgendwann haben werde), so ist im Verhältnis zur Realität, wo erkennen und haben dasselbe ist, die Idee der Unzulänglichkeit, die das voraussetzt, was mir selbst fehlt, ein immanenter Beweis dessen, daß ich eben das habe, was mir selbst fehlt.« 192
Wie ist das zu verstehen, dass »Erkennen« und »Haben« im Bereich der Realität »dasselbe« sind und ich angeblich dasjenige »habe«, was mir »fehlt«? Zuerst können zum Begriff der Realität die Ausführungen zum Lebendigen Wissen bzw. Unmittelbaren Selbstsein in Erinnerung gerufen werden: Mein eigenes Sein wird im Seinsvollzug verstehend erlebt, d. h. es wird nicht als ein von mir selbst Unterschiedenes, möglicherweise auch Nicht-Existierendes ›erkannt‹. Hingegen erweist sich das eigene Sein im transzendental auf sich selbst gerichteten Erkenntnisvollzug als unmittelbar evident, weil es im Seinsvollzug unhintergehbar da ist. Ich ›habe‹ es somit nicht als Gegenstand, sondern ›im Erkennen‹ – auf die Weise des Seins. 193 Im Bereich der Objektiven Wirklichkeit ist das anders. Wenn ich Durst habe, also etwas zu trinken benötige, verbürgt mir dieser Umstand freilich nicht, dass ich das nötige Wasser in meiner unmittelbaren Umgebung auch finde. Unter widrigen Umständen kann ich sogar verdursten. Wenngleich nicht übersehen werden sollte, das auch hier das Faktum des Bedürfnisses (mit dem sich einstellenden und möglicherweise bis zum Tod reichenden körperlichen Mangel) auf einen Normzustand hinweist – nämlich auf einen ausgeglichenen Wasserhaushalt und damit implizit darauf, dass es etwas gibt, das den Durst löschen kann. Ich weiß also als Dürstender vielleicht nicht genau, wo und wann (und ob überhaupt in der mir verbleibenden Lebenszeit) ich meinen Durst werde stillen können. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass es möglich sein sollte, und mehr noch: dass es etwas gibt, dass diesem Bedürfnis korreliert, und wie dieses etwas geartet ist (als trinkbare Flüssigkeit). Ist das Ziel des Bedürfnisses eine konkrete Entität der Objektiven Wirklichkeit, so ist sie als Begrenzte notwendig nur an bestimm192 193
RM, 253. Siehe Abschnitt III, 2a.
182 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
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ten raumzeitlichen Punkten anwesend, während sie an anderen abwesend ist. Aus diesem Grund kann sich Entbehrung einstellen und Bedürfniserfüllung auch verwehrt bleiben. Wenn das Ziel des Bedürfnisses aber eine per se allgegenwärtige Realität ist, die als Bedingung der Möglichkeit dafür, dass das Bedürfnis selbst aktuell präsent sein kann, vorausgesetzt werden muss, ist die Präsenz des Bedürfnisses ein unwiderlegbarer Grund der Existenzannahme ihrer Bedingung. 194 Nun stellt sich natürlich unmittelbar die Frage, wie etwas, das allgegenwärtig sein soll, überhaupt in einem Bedürfnis erlebt werden kann? Wenn es allgegenwärtig ist, so heißt das doch, dass ich es ›habe‹. Wieso also bedarf ich seiner weiterhin? Wird ein Bedürfnis nicht ausschließlich über den Mangel als solches erfahrbar? Beide Seiten sind durchaus zutreffend: (1) Das Allgegenwärtige ist etwas, das ich bereits ›habe‹ ; (2) ein Bedürfnis wird nur aus dem Mangel heraus wahrgenommen. Im Bereich der Objektiven Wirklichkeit würde es entsprechend zu einem Widerspruch führen, wenn man behauptete, das aktuelle Bedürfnis nach Wasser zu haben, obwohl das Wasser bereits überall gegenwärtig ist. 195 Bzgl. der Realität erklärt sich hingegen der Bedürfnischarakter trotz der Allgegenwärtigkeit dadurch, dass die Realität zwar als Absolute überall anwesend ist und ich deshalb ihrer bereits teilhaftig bin, allerdings nur in dem Maße, in dem ich an ihr teilhabe. Weil ich endlicher Teilhaber an der absoluten Realität bin, ist sie niemals in ihrer ganzen Fülle in meiner Realität präsent. Obgleich das nicht be194 Gegen die Behauptung etwa, dass »der Zusammenhang des geistigen Lebens mit dem Suchen nach dem Absoluten […] als solcher noch kein Zeugnis von der Realität des letzteren ab[gibt], das hier nur als etwas Gesuchtes, d. h. als Ziel und als transzendenter Anziehungspunkt hervortritt« (Zenkowskij 1930, 35 f.), kann mit Frank also die Frage gerichtet werden, wie etwas ein »Gesuchtes«, ein »Ziel« oder »Anziehungspunkt« sein kann, ohne dass wir doch zugleich um sein Dasein – nicht als Objektive Wirklichkeit, sondern als Realität – wissen. Es handelt sich im Kern um das ›ontologische Argument‹ (vgl. Ehlen 2006, 297 f. und 300). 195 Dass der Organismus nicht nur durch das biologisch bedingte Verlassen des ausgeglichenen Normzustandes wieder erneut bedürftig werden kann, sondern dass im Phänomen der Sucht beispielsweise ein Bedürfnis trotz vermehrter Zuführung des Bedürfnisobjektes aufrecht erhalten bleiben kann, ist eher ein zusätzlicher Beleg für das dem geistigen Wesen des Menschen immanente Transzendieren alles Begrenzten. Denn das Bedürfnis nach dem Absoluten führt, wenn es fehlgedeutet wird und man durch eine ständig erhöhte Menge von Endlichem versucht zu kompensieren, in eine Iteration ad infinitum, die hegelsch als »schlechte Unendlichkeit« zu bezeichnen wäre, insofern sie ihr eigentliches Ziel in einem endlosen Streben nie erreichen würde (vgl. RM, 222 f.).
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deutet, dass ich nur einen ›Ausschnitt von ihr‹ statt die ›Realität selbst‹ habe (bzw. bin), so bleibt es dennoch ›Teilhabe‹ in dem Sinne, dass das Absolute als solches nur in der Weise des Begrenzten anwesend ist – als potentielles Absolutes. Daraus begründet sich schließlich das Transzendieren wie gezeigt als Streben zum Sein, als aktives Über-die-Grenzen-Hinausgehen, als Geist. 196 Das hier ausgeführte Argument geht also von einem Bedürfnis aus, das die ontologische Abhängigkeit von dem unseren geistigen Seinsvollzug bleibend konstituierenden Grund darstellt. Sofern ich das eigene Transzendieren in seiner personalen Tiefe als Abhängigkeit von einem über mich selbst hinausgehenden, letztlich unbedingten Grund erlebe, ist das nichts anderes als »die immanente Entdeckung eines Prinzips, das allgemeiner und ursprünglicher ist als wir es selber sind, und in diesem Sinne eines uns transzendenten Prinzips.« 197 Transzendent ist es allerdings dann nicht deshalb, weil es von uns abgegrenzt äußerlich gegenübersteht, eine von uns getrennte Jenseitigkeit darstellt, sondern nur insofern es in uns mehr ist, als wir sind. Mit anderen Worten handelt es sich um die Immanenz des Transzendenten, die in unserem teilhabenden Transzendieren als strebendes Bedürfnis erlebt wird. 198 Dieses Erlebnis wird von Frank als »metaphysische Gotteserfahrung« bezeichnet, 199 welche sich an dieser Stelle mit dem personal vertieften Lebendigen Wissen deckt. Er resümiert sie folgendermaßen: »Die metaphysische Gotteserfahrung ist letztlich nichts anderes als die Wahrnehmung des absoluten Tiefengrundes des menschlichen Geistes selbst – eines Grundes, der kraft seiner Absolutheit dem empirischen Wesen des Menschen transzendent ist.« 200
Im Grunde ist die Argumentationsstruktur jener des (kosmologisch erweiterten) ontologischen Arguments analog: Im Ausgang vom unmittelbaren Erleben meiner selbst – vom Unmittelbaren Selbstsein – findet sich in meinem Erkenntnisvollzug ein unhintergehbares Sein. Dieses zeigt sich bei näherem Hinsehen jedoch als nur bedingt Unbedingtes. Es ist selbst unbedingt nur als Teilhaber an einem es bedin-
196 197 198 199 200
Siehe Abschnitt III, 1. RM, 251. Im Abschnitt V, 2 wird darauf ausführlich einzugehen sein. RM, 252. Ebd.
184 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
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genden Absoluten, von dem allein her es sein kann. Im ontologischen Argument wurde dieses absolute Sein als Realität aufgewiesen. Der einzige Unterschied liegt in der personalen Vertiefung. Das eigene Sein wird entfaltet in seiner Doppelstruktur als Transzendieren. Es wird einerseits in seinem eigenen geistigen Leben als Person entdeckt, sofern es im wesentlich transzendierenden Bezugsverhältnis zum Unbedingten steht. Andererseits findet es sich konkret dadurch als Person konstituiert vor, dass es im wechselseitig transzendierenden Bezugsverhältnis zu anderen personal Seienden steht. Zusammen sind sie Teilhaber an der einen gemeinsamen absoluten Realität. Die absolute Realität ist als immanent-transzendenter Grund des Transzendierens die Bedingung der Möglichkeit für die endliche personale Teilhabe. Dadurch scheint jedoch das Ergebnis des ontologischen Argumentes in keiner Weise überboten. Vielmehr scheint sich jene transzendentale Konvertierbarkeit zwischen ›Sein‹ und ›Personalität‹ nur zu bestätigen. Immerhin entspricht die absolute Realität jenen zwei Hauptcharakteristika unseres personalen Bedürfnisses: »Die Realität ist einerseits irgendwie unserem Innenleben verwandt, gehört zur selben Gattung des Seins, so daß wir sie auf die Weise haben, daß wir ihr selbst angehören. Andererseits erfüllt sie unsere Subjektivität, die Grundlosigkeit unseres eigenen Seins, mit ihrer unbedingten Selbstbegründung, ihrer inneren Überzeugungskraft, ihrem absoluten Wert.« 201
Würden wir es bei diesem Ergebnis belassen, wäre nach Franks Ansicht jedoch (neben dem Problem der Realität des Bösen) »der tiefe, prinzipielle Unterschied zwischen unserem eigenen Sein als Person und dem gesamten übrigen Sein« 202 nicht zur Kenntnis genommen, und dieser Weg führt – wie später noch zu sehen sein wird – in einen »Pantheismus«. 203
201 202 203
RM, 249. RM, 249. Vgl. RM, 249. Siehe Abschnitt V, 4.
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b)
Ist der Grund individueller Personalität ›mehr‹ als absolute Realität?
Gibt es also doch ein ›Mehr‹ gegenüber der absoluten Realität, auf welches Frank an dieser Stelle seiner Argumentation hinaus möchte? Wäre das nicht ein begrifflicher Widerspruch, insofern es zum ›Absoluten‹ kein ›Mehr‹ geben kann? Die Frage ist im Hinblick auf die ontologische Differenz zwischen Objektiver Wirklichkeit und Realität von vornherein ungünstig gestellt. Wenn damit gemeint wäre, der Realität etwas äußerlich hinzuzufügen, wäre ›Realität‹ wiederum fälschlicherweise nach dem Bild der Objektiven Wirklichkeit wie ein begrenzter Raum vorgestellt. Damit wäre sie aber nicht die absolute Realität. Franks Hinweis auf den »prinzipiellen Unterschied zwischen unserem Sein als Person und dem gesamten übrigen Sein« 204 führt das personale Argument hingegen in eine andere Richtung. Um dies zu verstehen, muss das personale Wesen des Menschen noch einmal von seiner anderen Seite her betrachtet werden. Ist bislang das Transzendieren als zentrales Merkmal der Person vor allem in Hinsicht auf die interne Relationalität hervorgehoben worden, so ist nun der Punkt erreicht, an dem es der Zuwendung zum Aspekt der Individualität bedarf. Allerdings ist die Umkehr der Aufmerksamkeit von der Verbundenheit mit anderen Personen hin zur Individualität nur scheinbar eine Entfernung vom bisher Dargelegten. Es ist sogar nur scheinbar überhaupt ein neuer Gedanke, denn der Begriff der Personalität wurde in den Ausführungen (siehe Abschnitt IV, 2b) über den Weg der individuellen Vertiefung in das Unmittelbare Selbstsein zum geistigen Leben gewonnen. Zwei Richtungen – Frank spricht von »zwei Dimensionen« –, machen vielmehr von vornherein das Transzendieren des Unmittelbaren Selbstseins aus: (1) Transzendieren »nach außen«, d. h. hin zu anderen Personen; (2) Transzendieren »nach innen«, d. h. hin zur »Realität des Geistes«. 205 Beide sind in der transzendentalen Frage nach dem ontologischen Grund der Personalität zusammenzuführen. 206 Der personalen RM, 249. DU, 218 f. [Hervorhebungen entfernt, D. St.]. Dieselbe Doppelstruktur des Transzendierens wurde bereits unter Abschnitt III, 1 sowie III, 3b herausgestellt. 206 Wie sich gleich herausstellen wird, bis hin auf einen Grund, in dem die Unterscheidungsbegriffe »außerhalb« und »innerhalb« nicht mehr anwendbar sind (vgl. RM, 262). 204 205
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Variante des ontologischen Beweises folgend kann für sich allein in keiner der beiden Richtungen ein fester ontologischer Grund der Personalität gefunden werden: (1) Im Transzendieren nach außen hin auf andere Personen, die mir in der Welt begegnen, bleibt unser tiefstes Bedürfnis unerfüllt. Frank beschreibt das eindrücklich: »Keine bloß subjektive Kraft, kein Freund und Förderer, der uns in seiner Subjektivität gliche, könnte uns retten, denn er würde selbst an Beschränktheit und Subjektivität leiden; und wir müßten uns vor ihm hüten«. 207
(2) Im Transzendieren nach innen hin zu unserem eigenen Unmittelbaren Selbstsein erkennen wir wiederum unsere nur bedingte Unbedingtheit. Einerseits erscheint die Bedingtheit direkt in der »›Subjektivität‹ unseres Seelenlebens in seiner Grundlosigkeit«. 208 Andererseits bleibt auch die Entdeckung der tieferen Verbundenheit des geistigen Lebens doch ebenfalls ein nur »schwankender Grund«, 209 da die menschliche Person nie reiner Geist, sondern als leib-geistiges Wesen stets eine »ungetrennt-unvermischte Zweieinheit« 210 des seelischen und geistigen Lebens darstellt. Die absolute Realität – soweit sie als geistig-personaler Grund von beidem erschlossen ist – überwindet nach Frank diese Problematik bislang ebenfalls nur prima facie. Denn in der Weise, »wie sie unmittelbar phänomenologisch« als »allgemeiner Grund« (wie wir nun sagen können: als Transzendentalie) wahrgenommen wird, ist sie doch eher »eine Art geistiger ›Atmosphäre‹, die sich quasi kontinuierlich über das ganze Sein ergießt« und bleibt damit gewissermaßen selber »unpersönlich«. 211 Nachdem das personale Wesen als Transzendieren in seinen zwei Richtungen (nach innen zum geistigen Grund und nach außen zu anderen Personen) aufgezeigt ist, kann nun in der abermaligem Hinwendung zur individuellen »Verwurzelung im allgemeinen Element der Realität« 212 noch der entscheidende Schritt weiter gegangen werden. Für Frank stellt die jeweils vollkommen individuelle Teilhabe an
207 208 209 210 211 212
RM, 245. RM, 244. RM, 245. RM, 259. RM, 250 [Hervorhebung D. St.]. RM, 204.
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der absoluten Realität gerade die unergründliche Tiefe der eigenen Realität als Person dar: »Insofern das geistige Sein die Person konstituiert, gehört zu seinem Wesen Individualität. Denn Person ist immer Individualität – dies äußert sich in ihrer absoluten Einzigartigkeit, Unersetzbarkeit und Unwiederholbarkeit.« 213
Keine »reale Gemeinschaft mit dem Du, sogar in ihren intimsten Formen,« ist in der Lage sie restlos »auszuschöpfen«. 214 Dergestalt wird nach Frank mit der »metaphysischen Einsamkeit« der Person »etwas Allerwesentlichstes« von ihr wahrgenommen. 215 Gemeint ist damit nichts anderes als die Realität selbst und als solche in ihrer trans(de)finiten Fülle, welche in der Partizipation der Einzelseienden den »konkreten Gehalt« ihrer jeweiligen »Realität« jeweils »als etwas unwiederholbar und unersetzlich einziges« ausmacht. 216 Gleichwohl bedeutet die Individualität der Person als Transzendieren nicht »innere Abgeschlossenheit, Abgesondertheit und absolute Subjektivität«: Nach Frank »ist der Mensch eine Person und Individualität« »gerade in dem Maße, als er etwas für Andere ›bedeutet‹, ihnen etwas zu geben vermag«. 217 Diesbezüglich bestätigt sich erneut der Hinweis auf den analogen Seinsbegriff (Abschnitt III, 3d): Weil es gegenüber der absoluten Realität schlechthin absolut nichts gibt und sie deshalb radikal einzig ist, ist alles, was an ihr teilhat, im Maße seiner Teilhabe an diesem Sein ebenfalls einzigartig. Keine Person (weiter aber im Maße seiner Teilhabe kein Seiendes überhaupt) ist folglich nach Frank, nur »ein ›besonderer Fall‹, ein ›Exemplar‹ des sie umfassenden Allgemeinen«; dennoch steht jedes Einzelne durch seine Teilhabe »in mannigfachen Beziehungen der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit« zu anderen. 218 So gibt es weder etwas vollkommen Gleiches noch etwas vollkommen (getrennt) Verschiedenes in der Realität. Was alle Seienden voneinander unterscheidet, indem es ihre unvergleichbare Individualität konstituiert, und was alle Seienden miteinander verbindet, insofern
213 214 215 216 217 218
DU, 297. RM, 204. Ebd. DU, 89 [Hervorhebung entfernt, D. St.]. DU, 298. DU, 88 f.
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jedes individuell Seiende eben Partizipialform des einen Seins ist, ist ihre Seinsteilhabe. 219 Die interne Relationalität der Seienden hat entsprechend ihren Grund in der jeweiligen Einzigartigkeit der seinshaften Beziehung. Individualität und Relationalität werden auf diese Weise im Begriff der absoluten Personalität transzendental vereint. D. h. die höchste Einheit des Seins ist radikale Einzigkeit – aber kein isoliert Transzendentes! Sie ist gerade deswegen völlig einzig, weil sie die radikalste Form der Relationalität darstellt, dergestalt dass sie »ihr Wesen in der Gesamtheit ihrer Beziehungen zu allem anderen hat, weshalb dieses Andere irgendwie auch zu ihr gehört.« 220 Das ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, weil daraus hervorgeht, dass der ontologische Grund der Person in keiner bloß allgemeinen Relation gefunden werden kann. Jede Person für sich stellt eine letztlich unbegreifbar einzigartige Realität dar, weil ihr Wesen als Transzendieren nach innen wie nach außen sich auf jeweils vollkommen individuelle Art und Weise vollzieht. Gerade darin besteht das allen Gemeinsame: Sie sind Teilhabende an dieser einen absoluten Realität. Aber auch diese Teilhabe kann nicht als univoke Gleichheit gedacht werden. Sonst wäre sie bloß eine Eigenschaft (eine allen gemeinsame Teilhaberelation), die jedem in selber Weise zukäme. Stattdessen können laut Frank in der konkreten Realität Individualität und Allgemeinheit nicht voneinander getrennt, aber auch nicht miteinander vermischt werden: »Die wahrhaft konkrete Allgemeinheit fällt mit der wahrhaften Konkretheit des Individuellen zusammen, die wirklich universale Wahrheit fällt mit dem Leben zusammen.« 221 Das Begründungsverhältnis der jeweiligen Person hat – zugleich mit seinem allgemeinen Aspekt – also auch einen radikal einzigartigen. Genau darauf weist Frank hin, wenn er das Bedürfnis der Person nach einem wahrhaft letzten und bergenden Grund nicht befriedigt sieht in der absoluten Realität, verstanden nur »als allumfassende und alldurchdringende Elementarkraft, die im ganzen Sein ausgegossen ist, als immanente[r] Grund alles Seienden.« 222 Die Frage ist näm-
Vgl. Weissmahr 1991, 93 f. RM, 255. Dass diese Formulierung das Gottesbild in den Pan-en-theismus führt, werden wir noch genauer sehen (Abschnitt V, 4). 221 DU, 298. 222 RM, 249. 219 220
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lich, ob es berechtigt ist, in der je individuellen Seinsverwurzelung eine solche Beziehung zu einem personalen Seinsgrund zu sehen, welche auch die »metaphysische Einsamkeit« der Person sinnerfüllend begründen kann. Damit dies möglich ist, darf die Beziehung selbst aber nicht weniger als personalen Charakter haben. Wäre sie nur eine allen gemeinsame, ihnen auf gleiche Weise zukommende Begründung, dann wäre sie eine äußerliche Relation. Sie käme dem Einzelnen als solchen – und im Weiteren auch seinem Grund – hinzu, ohne es selbst als Individuum zu betreffen. 223 Sie entspräche dergestalt aber weder dem personalen Bedürfnis des Menschen noch dem Begriff der absoluten Realität, gegenüber der es kein ›Außerhalb‹ geben kann. Die Begründungsrelation zum personal Seienden kann deshalb kein bloß allgemeiner Zusatz sein, sondern muss zur absoluten Realität selbst gehören. Sie muss eine echte personale Beziehung darstellen, die als solche sowohl der endlichen als auch der absoluten Realität wesentlich ist. Denn um einer personalen Beziehung wirklich adäquat zu sein, darf sie keinen der individuellen Person gegenüber gewissermaßen neutralen allgemeinen Charakter haben. Nach Frank ist es vielmehr nötig, »daß das Moment des personalen Seins, mit allem, was es voraussetzt, gerade der letzten Tiefe der Realität selbst als solcher zukommt«; d. h. sie muss als Grund der Personalität im »Mittelpunkt« der Realität selbst »als ihr Zentrum und absoluter Erstursprung« irgendwie eine der Begegnung fähige ›Person‹ sein. 224 Nur von einer solchen aus kann eine Beziehung als »lebendige Begegnung« die Person als Individuum in ihrer Tiefe personal begründen. 225 Dabei ist laut Frank aber zu beachten, dass die Begegnung mit diesem Grund eine gänzlich spezifische »Ich-Du-Beziehung« dar223 Die allgemeine Begründungsrelation eines univoken Seinsbegriffs wäre quasi ein lediglich digitales ›An‹ oder ›Aus‹ der jeweils zuvor schon fertigen Person. Wenn man meint, nichts betreffe die Person mehr, als dass sie ›da‹ oder ›nicht da‹ sein kann, so kann im Grunde die kantische Kritik am ontologischen Beweis dagegen gewandt werden: Fügt ein solches univokes Sein der Person irgendetwas hinzu? Wäre ihr unverwirklichtes ›Sein der Möglichkeit nach‹ (und als solches müsste es ja im univoken Verständnis vorher dem ontologischen Grund quasi vorgegeben sein) nicht extensional völlig gleichumfänglich zum verwirklichten? Dem entgegen steht die Argumentation für die wesentlich interne Relationalität des Transzendierens als Teilhabe (siehe Abschnitt III, 3b) und damit verbunden des analogen Seinsbegriffes. 224 RM, 249 f. 225 RM, 199–201, in Verbindung mit RM, 239. Siehe Abschnitt IV, 3a vor allem in Bezug auf DU, 228 f.
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stellt. Obwohl er mir durchaus als mir gegenüber »andere Person« begegne, sei doch bei aller »Ähnlichkeit mit jedem anderen Du – mit dem Du im üblichen Sinn« die Begegnung des letzten personalen Grundes »mit einem beträchtlichen Unterschied [verbunden].« 226 Was ist das für ein Unterschied? Ein wichtiger Aspekt gegenüber der metaphysischen Erfahrung verstanden als allgemeine Begründung durch die absolute Realität ist die jeweils vollkommen einzigartige personale Beziehung. Sie gestaltet sich niemals in gleicher Weise, weil sie ontologisch in der radikalen Einzigartigkeit der individuellen Seinsteilhabe besteht. Auf ontisch konkreter Ebene handelt es sich um die Geschichtlichkeit der menschlichen Person. Wer ich jetzt und hier bin, in der vollen Unvertretbarkeit meines einzigartigen Standpunktes in der Welt – in der Geschichte – im Sein –, gehört zu dieser Personalität letztbegründenden Beziehung dazu. Sie ist insofern vergleichbar mit den vollkommen individuell-konkreten personalen Begegnungen mit anderen Personen in der Welt. Dieser Vergleich ist aber radikal gebrochen. Denn das ›Du‹ der Begegnung mit dem absoluten Tiefengrund der Realität ist kein Endliches. Dieses Begegnende ist weder durch Äußerlichkeit und Zufälligkeit noch durch irgendeine Bedingtheit der Objektiven Wirklichkeit belastet. Im Gegensatz zu innerweltlichen Begegnungen menschlicher Personen findet diese Begegnung nach Frank außerdem in den »inneren Tiefen meines Ich – in jener letzten, wesentlich einsamen Schicht meines Ich, in der ich für niemanden sichtbar und zugänglich bin außer für mich selbst« statt. 227 Das bedeutet allerdings, dass diese ›Beziehung‹, ohne die geringste positive Qualität einer personalen Beziehung zu verlieren – ganz im Gegenteil –, doch zugleich keine Begegnung mit einer von mir abgrenzbar ›anderen Person‹ darstellt. 228 Stattdessen begegne ich »im Inneren, in der letzten Tiefe meines einsamen Ich« einem solchen »Du, das sozusagen
RM, 261. Ebd. 228 Darauf bezieht sich das »persönliche Bekenntnis« Franks: »Wenn unter Glauben eine gewisse positive sachliche, objektive Behauptung, gleichsam die nüchterne, kalte Feststellung des trockenen Faktums zu verstehen ist, daß sich irgendwo ›im Himmel‹ ein Wesen ›befindet‹ oder ›aufhält‹, das bestimmte Wesenszüge einer einzelnen, konkreten Person trägt, daß Gott auf die gleiche Art und Weise ›existiert‹ wie mein Bekannter in einer weit von mir entfernten Stadt, dann muß ich mich zu den Ungläubigen zählen.« (MuiG, 67) 226 227
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
der tiefste Grund meines eigenen Ich ist.« 229 Es steht somit, um bewusst den cusanischen Terminus des »non aliud« zu nutzen, mir gegenüber in der höchsten Beziehung der Nichtandersheit. Es ist das Nichtandere meiner selbst, weshalb ich ›nichts anderes als ich selbst‹ sein kann. 230 Oder wie Frank es ausdrückt: Diese Begegnung mit dem personalen Grund der absoluten Realität ist eine »Entdeckung meiner ursprünglichen unzertrennlichen Verbundenheit mit ihm.« 231 Wiederum spricht Frank in analoger Rede zur Konkreten Beschreibung eines jede rationale Entgegensetzung Transzendierenden: Es geht ihm um die für Personalität primäre Begegnung mit ›einer anderen Person‹, die doch gerade ›keine andere Person‹ ist. Wie lässt sich diese antinomische Aussage verstehen? Was hier die ›Andersheit‹ oder ›Transzendenz‹ mir gegenüber ausmacht, wird von Frank in demjenigen gesehen, was »im Unterschied zur grundlosen Subjektivität meines Ich« steht: 232 »seine ursprüngliche Selbstbegründung, seine Eigenart als das Gute selbst, als höchster Wert, als sinngebender Grund des Seins, kurz, seine Eigenart als absolute, durch und durch transparente geistige Objektivität«. 233 Aber dieser Unterschied ist Frank zufolge kein meinem eigenen Wesen als individueller Person entgegengesetztes Anderes, »weil es der letzten Tiefe meines Ich als Person entspricht und ihr antwortet.« 234 In diesem absoluten Grund erkenne ich vielmehr die Immanenz des Prinzips meiner eigenen Personalität als mich (und alles) transzendierenden Grund. Er ist gerade deshalb in der Lage, in mir selbst mein innerstes Wesen sinnhaft zu begründen, weil er seine alles transzendierende Unbedingtheit in mich einbringt – nicht als etwas mir Fremdes, sondern als Grund meiner eigenen Person, zu dem ich in der intimsten – je einzigartigen – personalen Beziehung stehe. In seiner Unbedingtheit ist dieser letzte Grund mir nicht ›gegeben‹ – weder als etwas von mir Getrenntes, rein Transzendentes, noch als etwas mit mir einfachhin Identisches, rein Immanentes. Er RM, 261 f. Siehe auch MuiG, 76 f. Vgl. Non aliud, cap. 8, n.27: »[…] ideo Dei sive ipsius ›non aliud‹ quidditas ab aliqua quidditate non est alia, sed in omni alia quidditate ipsum ›non aliud‹ est ipsa non alia.« 231 RM, 261. Vgl. auch MuiG, 77: »In der Einheit mit ihm besteht mein Leben; er ist das Wesen, das in mir lebt und durch das ich lebe.« 232 RM, 262. 233 Ebd. 234 Ebd. 229 230
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Die Verwiesenheit des Menschen auf Gott
ist somit nichts, das ich haben kann, indem ich mich darauf richte. Aber er ist auch nichts, das ich restlos sein kann, so als ob ich mich im unmittelbar vollzogenen Erleben einfachhin mit dieser Unbedingtheit identifizieren könnte. Dennoch bin ich als Person in beiden Hinsichten auf den unbedingten Grund eigentümlich bezogen. Damit ich sein und haben kann, muss ich dasjenige voraussetzen, das ich weder bin noch habe. Stärker noch: Ich als Person (und in abgestufter Weise alles Seiende) verdanke mich letztlich vollständig dem im allertiefsten Sinne internen Bezug auf das Unbedingte als solches. Nur von ihm her gewinnt das individuelle Sein seine relative Eigenständigkeit. Gerade dadurch, dass der unbedingte Grund als das Unverfügbare in alles Einzelne, es als solches ›sein lassend‹, eingeht und es dabei zugleich überragt, besteht die unbedingte Begründung durch den an sich unergründlichen Grund. Darin zeigt sich die zutiefst unbedingte ontologische Bezogenheit in einer besonderen Weise, die mit dem Terminus »Verwiesenheit« gekennzeichnet werden kann. 235 Wir (ferner alles) sind notwendig auf etwas angewiesen, das sich nicht in allgemeiner Art und Weise aus einem bestimmenden Relationsgefüge erschließen lässt, weil die konkrete Individualität jede Allgemeinheit übersteigt, außer die konkrete Allgemeinheit des Lebens selbst. Diese erweist sich als solche allerdings nur auf individuelle Art und Weise in einer personalen Begegnung – als je konkrete Selbstmitteilung (oder »Offenbarung«) der je eigenen Realität. 236 Demgemäß ist der personale Grund der Realität folglich kein einfaches ›Mehr‹ ›gegenüber‹ der Realität. Er kann hingegen eher als der Grund des ›Mehr der Realität selbst‹ gesehen werden, weil er in seiner radikalen Einzigartigkeit, Unbedingtheit und trans(de)finiten Absolutheit den jedem Einzelnen immanenten Grund des Transzendierens ausmacht. Aber wäre so beschrieben der Begriff der absoluten Realität in seiner Allgemeinheit überwunden? Die Immanenz des Transzendenten ist wesentlich personale Beziehung, d. h. Begegnung, und zeigt derart transzendental an, von woher sich erst der letzte Grund der Realität als solcher entdecken kann. Auf dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen ist somit zwar ein metaphysischer Gottesbegriff entwickelt worden, den Frank jedoch begründeterweise nicht mit ›Gott‹ einfachhin gleichsetzt. Mit diesem Ergebnis ist vielmehr 235 236
Vgl. den Begriff der »transzendentalen Verwiesenheit« bei Rahner 1976, 61–64. Vgl. DU, 226–229.
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Anthropologie: Das Sein des Menschen
der Weg zu einer philosophischen Theologie erst eröffnet. In ihr kommt die personale Ontologie nur an ihren letzten Grund, wenn die konkrete Person mit einbezogen wird. Dass dies für die personale Ontologie notwendig ist, ergibt sich konsequent aus ihrer transzendentalen Frage. Die Ontologie ist demzufolge nicht identisch, steht aber im »innerlichsten Zusammenhang mit der Gotteslehre«, weil »das Gottesproblem […] nur das vollentfaltete Seinsproblem, und dieses nichts anderes als das unentfaltete Gottesproblem« 237 darstellt.
237
Lotz 1976, 276.
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V.
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Der fundamentalontologisch entwickelte Seinsbegriff der absoluten Realität wurde im letzten Abschnitt durch den Begriff der Personalität vertieft. Es zeigte sich die transzendentale Konvertierbarkeit von ›Sein‹ bzw. ›Realität‹ mit ›Personalität‹ im Absoluten, sofern ›Personalität‹ als jedem Seienden (je im unterschiedlichen Maße seiner Teilhabe zukommende) wesentliche Selbsttranszendenz verstanden wird. Durch die personale Vertiefung des Seinsbegriffes spitzte sich die transzendentalontologische Frage schließlich in radikaler Weise zu. Die das Unmittelbare Selbstsein als Person letztlich begründende Teilhabebeziehung konnte über eine bloß allgemeine Seinsbegründung nicht abschließend erklärt werden. Es zeigte sich vielmehr eine eigentümliche Verwiesenheit auf den (über)personalen Grund der absoluten Realität in der individuell-konkreten Beziehung der Person zu ihm. Zu klären, was dies bedeutet und inwiefern sich daraus ein sowohl metaphysisch als auch religiös adäquater Gottesbegriff entwickeln lässt, ist die Aufgabe der philosophischen Theologie. In frankscher Gestalt setzt sie keinen dogmatischen Gottesbegriff eines wie auch immer konfessionell verfassten Glaubens voraus, aus welchem die Ontologie einfachhin deduziert werden könnte. Im Gegenteil nimmt Franks philosophische Theologie ihren Ausgangspunkt von jenem aus der Ontologie des maximal vertieften Lebendigen Wissens der Person gewonnenen metaphysischen Gottesbegriff: 1 »In diesem Sinne ist Gott Überperson, absoluter Träger dessen, was in dem personalen Seinsprinzip positiv ist, und zugleich allem fremd, was die ›Subjektivität‹ der Person als ein irgendwie mangelhaftes Sein ausmacht. Gott ist die – in der Schöpfung unvorstellbare – Ein-
Vgl. RM, 250: »[D]ie metaphysische Erfahrung – die Erfahrung, die sich auf die maximale Vertiefung unserer inneren Erfahrung, unseres Selbstbewußtseins stützt«. Vgl. auch Ehlen 2009, 342: »In ihrem Kern ist Franks Philosophie eine philosophische Gotteslehre, deren methodische Besonderheit im konsequenten Ausgang vom personalen Selbstsein besteht.«
1
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
heit von Person und absoluter Objektivität: das Gute selbst, die Wahrheit selbst in personaler Gestalt.« 2
Mit ihrem ausdrücklich absolut letzten Bezugspunkt erfährt die philosophische Theologie im Allgemeinen diverse (bisweilen vehemente) Kritik. Einerseits weisen Theologen sie in ihre Grenzen, weil solcherlei Philosophie vermeintlich beanspruche, die Theologie als eigenständige Disziplin ablösen zu wollen. In diesem Zuge werden der nicht nur zeitliche, sondern auch sachlogische Vorrang des religiösen Bewusstseins vor der philosophischen Reflexion, wie auch die unverzichtbare Eigenständigkeit der Offenbarungstheologie betont. 3 Diesem Vorwurf ist ausführlicher in der Reflexion auf den Begriff der religiösen Erfahrung (siehe Abschnitt V, 2) sowie schlussendlich in der Frage nach der Bedeutung der frankschen philosophischen Theologie (siehe Abschnitt V, 5) zu begegnen. An dieser Stelle ist lediglich vorwegzunehmen, dass die philosophische Theologie – zumal von der Fundamentalontologie im frankschen Stile ausgehend – durchaus in die philosophische Tradition zurückgebunden ist. Mit der Wissenschaft von der letzten Wirklichkeit, dem absoluten Sein, ist die Frage nach dem grundlegenden Prinzip der Seienden gestellt. Nach Frank kann sie dergestalt unmittelbar an »die alte, einfache und gute Bezeichnung des Aristoteles« als »erste Philosophie« anknüpfen. 4 Bei Aristoteles ist die »erste Philosophie« als vernunftgemäße Rede vom letzten Prinzip explizit »Theologie«. 5 Die so verstandene ›philosophische Theologie‹ wird demgemäß nicht auf eine ihr fremde Thematik übergriffig. Sie zielt im Gegenteil auf einen genuin philosophischen »Kernbereich« – »das Ganze in seiner tiefsten Begründung und seinen letzten Ursprüngen«. 6 Dass die Frageintention durchaus als eine ›religiöse‹ bezeichnet werden kann, ohne dogmatische Vorannahmen treffen zu müssen, wurde bereits ausgeführt (Abschnitt III, 4). Gleichwohl stehen jenem mit dem Streben nach ›der letzten Wahrheit‹ implizierten Anspruch auch im eigenen Lager der PhiloRM, 262. Vgl. dazu, allerdings die notwendige gegenseitige Bezogenheit von Philosophie und Theologie herausstellend, Pannenberg 1996, 359–367. 4 DU, 171; vgl. auch GdW, 84. 5 Met. VI, 1026a. Seinen Ursprung hat der Theologie-Begriff bei Platon (Polit., 379a). Vgl. dazu Jaeger 1953, 9–13, und Schmidt 2003, 17. 6 Schmidt 2003, 17. Vgl. auch die umfassende »Ortsbestimmung« der Philosophischen Theologie in Wucherer-Huldenfeld 2011, insb. zur »Herkunftsgeschichte« ausführlich ebd., 41–280. 2 3
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Zur philosophischen Frage nach Gott
sophie verschiedene Kontrahenten entgegen. Wie bereits angesprochen (Abschnitt III, 5a) werden beispielsweise »fundamentalistische Erkenntnisideale« 7 gewähnt und jede Möglichkeit einer Letztbegründung für die Philosophie verworfen. Die ›erste Philosophie‹ wird dann als Relikt vergangener Zeiten betrachtet, während ›religiöse Philosophie‹ per se suspekt erscheint und schnell zu einem ›hölzernen Eisen‹ erklärt wird. Definiert man etwa Glauben als bloßen »Entschluß zur Übernahme des zu Glaubenden«, das traditionell-autoritär vorgegeben und dessen »Gewißheit« »von oben her geschenkt ist«, und nennt dagegen Philosophie eine »keine Gewißheit« kennende »radikale Fraglichkeit« ohne Vorgaben, so stehen sich »Philosophieren und Glauben« auf das Äußerste entgegen. 8 Eine vermeintlich scharfe Trennung zwischen Religion und Philosophie in dieser Art findet besonderen Ausdruck in der berühmten Unterscheidung aus Pascals Memorial: »›Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs‹, nicht der Philosophen und Gelehrten«. 9 Entsprechend ist zu fragen: Wenn man – wie bereits geschehen – ›Religiosität‹ als fragende Ausrichtung auf die letzten geistigen Urgründe des eigenen Seins versteht, erreicht man damit dasselbe wie der Glaube? Verbleibt man nicht doch als Philosoph im Raum des Denkens bei einem der Vernunft zugänglichen abstrakt Allgemeinen, das mit dem Gott des lebendigen religiösen Glaubens nichts zu tun hat?
1.
Zur philosophischen Frage nach Gott
Die bezüglich des Anliegens der philosophischen Theologie vorgebrachte Kritik besteht zuerst in der berechtigten Anfrage, ob es dem Philosophen denn überhaupt möglich ist, ›Gott zu erkennen‹. Leistet man der geschlossenen Frageform Folge und antwortet mit ›Ja‹ oder ›Nein‹, ergeben beide Antwortmöglichkeiten derart viele Interpretationsmöglichkeiten, dass keine unmittelbare Klarheit entstehen kann, sondern lediglich forcierte Unklarheiten. Denn was heißt es, ›Gott zu erkennen‹ ? Ist damit gemeint, dass man eine individuelle Entität der Wirklichkeit vermeintlich als ›göttlich‹, als seinen eigenen
7 8 9
Kutschera 1993, 131 ff. Weischedel 1983, 57–59. Pensèes, 248.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
favorisierten ›Gott‹ im Unterschied zu allen anderen identifiziert? Heißt es, einen offenbarungstheologischen Gehalt empirisch zu verifizieren? Oder bedeutet es, dass man mit einer bestimmten Methode einen Begriffsinhalt konstruieren kann, welcher letztlich ›Gott‹ genannt wird – während doch weiter unklar bleibt, ob es sich um ein reines Phantasieprodukt handelt? Andererseits kann auf die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Fassungsvermögens hingewiesen werden, dem gegenüber eine hypothetische Unendlichkeit (schon des natürlichen Universums) prinzipiell unbegreifbar ist. Manch anderer verneint dies vielleicht, weil seines Erachtens ein grundsätzlicher Unterschied zwischen ›zwingend beweisender Erkenntnis‹ und einer dem Gottesbegriff allein entsprechenden ›gnadenhaft geschenkten Erleuchtung‹ oder dergleichen besteht. Zumindest ist sofort einsehbar, dass ohne die Rückfrage, was mit ›Erkennen‹ und ›Gott‹ eigentlich gemeint sein soll, die Frage nach der Möglichkeit der Gotteserkenntnis gar nicht erst sinnvoll gestellt werden kann. Um die Frage ins rechte Licht zu rücken, bedarf es also einer vorausgehenden Bestimmung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit mitsamt ihres Gegenstandsbereiches. Diese wurde erkenntnismetaphysisch von Frank geleistet (siehe Abschnitt III, insbesondere 3a). Begriffliche Erkenntnis als durch Unterscheidung vollzogene Bestimmung hat demgemäß immer nur begrenzte Inhalte bzw. Objekte zu ihrem Gegenstand. Ein per se unbegrenztes, gar absolutes Wesen kann auf diese Weise prinzipiell nicht erkannt werden. Zentral für Frank ist dagegen die Vollzugseinsicht des Lebendigen Wissens, welche einen nur durch das eigene Unmittelbare Selbstsein vermittelten Zugang zum Sein als solchen und im Ganzen bietet. In transzendentaler Abhebung von der Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis (als deren Bedingung der Möglichkeit) zeigt Frank, dass es dabei weder um eine willkürliche Begriffskonstruktion noch um eine rein passive Rezeption bestimmter Inhalte geht. Im Weiteren werden weder zuvor gefasste Hypothesen überprüft noch eine dem Erkennenden gegenüber bloß äußerliche Welt passiv (und interpretierungsbedürftig) rezipiert. Erst das unmittelbare Erleben der eigenen Seinsteilhabe – als transzendierendes Leben – vermag es, die Gottesfrage in adäquater Weise zu stellen und als ›Immanenz des Transzendenten‹ zu bedenken (siehe Abschnitt V, 2).
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Zur philosophischen Frage nach Gott
a)
Zur Frage nach Gottes ›Existenz‹
Auf dem Hintergrund des erkenntnismetaphysisch bzw. fundamentalontologisch gewonnenen analogen Seinsbegriffs ist die der Gotteserkenntnisfrage meist unmittelbar vorausgehende Frage, ob so etwas wie ›Gott‹ überhaupt ›existiere‹, ebenfalls allererst sinnvoll zu verstehen. Denn es ist ein grundsätzlicher Unterschied, ob man nach der raumzeitlichen Gegebenheit einer Entität an einem bestimmten Punkt fragt oder ob man nach dem letzten Grund des Seins fragt, der sich nur transzendental erschließt. Mit Frank gesprochen ist hervorzuheben, dass Gott »nicht in die ›objektive Wirklichkeit‹ eingeschlossen werden kann«, sondern eher »dem Bereich der ›Realität‹ angehört, in all dem, was sie prinzipiell, d. h. kategorial von der ›objektiven Wirklichkeit‹ unterscheidet«. 10 Das Bewusstsein dieser ontologischen Differenz (siehe Abschnitt III, 3) zwischen Sein und Seiendem erlaubt es Frank, die Intention des Theisten mit derjenigen des Atheisten zusammenzubringen, indem auf die Frage ›Existiert Gott?‹ von beiden mit ›Nein‹ geantwortet werden kann. Allerdings nicht – wie der Atheist laut Frank meint – deshalb, weil »Gott« nur »ein Phantasieprodukt« wie »ein Fabeltier« wäre, sondern weil »Existenz« im Sinne von »Zugehörigkeit zur objektiven Wirklichkeit« »nicht auf Gott anwendbar ist, weil es dem kategorialen Charakter seiner Realität widerspricht.« 11 Die Grundthese des Atheismus wird von Frank also in einen weiteren Kontext gestellt. Behauptet der Atheist, »daß wir in der unmittelbaren Erfahrung der objektiven Wirklichkeit keinem solchen Objekt wie Gott begegnen, und daß […] [es] keine ausreichende Veranlassung zu einer indirekten Behauptung der Existenz Gottes durch Vernunftschluß gibt, d. h. daß die Existenz Gottes eine objektiv ungerechtfertigte Hypothese ist«, 12 so trifft dies durchaus zu, weil Gott prinzipiell kein Objekt der Begrifflichen Erkenntnis ist. Aber wie Frank gezeigt hat, erschöpft sich das Sein nicht in der Objektiven Wirklichkeit. Ihr bedingend voraus liegt die absolute Realität als jene »Seinssphäre, die RM, 237. RM, 238. Vgl. auch DU, 347 f. 12 RM, 238. Vgl. auch MuiG, 29 f. Frank verwehrt sich dort gegen einen Glaubensbegriff als »Urteil über einen transzendenten Gegenstand« und das damit verbundene »sacrificium intellectus« ganz im Sinne atheistischer Intentionen; er setzt dem jedoch einen Begriff des Glaubens als »selbstevidentes« »Erfahrungswissen« entgegen (ebd., 49). Siehe dazu Abschnitt V, 2a. 10 11
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
uns selbst zugleich transzendent und immanent ist.« 13 Insbesondere die personale Vertiefung des Seins- bzw. Realitätsbegriffes im Rahmen der anthropologischen Überlegungen Franks machte deutlich, dass die Frage der Existenz Gottes nur in Bezug auf die Realität ihren eigentlichen Sinn erhält. Die so verstandene Frage nach dem »Sein Gottes« sucht nicht wiederum einen ›Teil der Realität‹, der irgendwie ›in ihr‹ vorkäme, sondern zielt auf Gottes Realität, sofern diese mit unserer eigenen menschlichen Personalität in engster Verbindung steht. 14 Von daher begründet sich bei Frank im Blick auf den gewonnenen metaphysischen Gottesbegriff die Einsicht: »Gott kann und muß man allein über die lebendige Begegnung mit der Realität suchen.« 15 Wichtig an dieser Einsicht ist, dass die absolute Realität zwar durchaus von Frank als »selbst etwas Göttliches« 16 gesehen und weiterhin ihr letzter »Urgrund« – der metaphysische Gottesbegriff – als »Gottheit« bezeichnet wird. Aber Frank fügt sofort hinzu, dass für die Verwendung des Namens ›Gott‹ »in seiner vollen und strengen Bedeutung« doch »schon eine ganz bestimmte Erscheinungs- oder Offenbarungsweise« nötig ist. 17 Am Endpunkt des Abschnitts IV, 4 deutete sich diese gerade in der individuell-konkreten persönlichen Beziehung, d. h. als Begegnung, an. Im nächsten Abschnitt (V, 2) wird dieser Punkt ausführlich weiter zu entfalten sein. Das Entscheidende an dieser Stelle ist lediglich, dass Frank »das Göttliche« (= die absolute Realität) sowie »die Gottheit« (= der metaphysische Gottesbegriff) nicht ohne Weiteres mit »Gott« gleichsetzt. 18 Ersteres wird in ZusamRM, 250. Vgl. RM, 249 f., und MuiG, 68. 15 RM, 239. 16 RM, 249; vgl. auch DU, 362–365. 17 DU, 343. 18 Vgl. beispielhaft RM, 226: »Eine einfache Vermengung oder Identifizierung der Realität mit dem, was mit dem Wort ›Gott‹ gemeint ist, wäre ein offensichtlicher Mangel an intellektueller Gewissenhaftigkeit.« Dies ist etwa gegenüber Ch. Hartshorne hervorzuheben, der im Blick auf Zenkovskys Darstellung der russischen Philosophiegeschichte (einschließlich Frank) urteilt: »The historian, and nearly all his subjects, tend uniformly to assume that ›The Absolute‹ (or ›The Unconditioned‹) are terms interchangeable with ›God‹. In a few cases qualification is suggested, e. g., by Lossky, but it is not made really effective. The possibility that this identification is idolatrous, a philosophical version of the failure to see the vast difference between the supreme or eminent Thou and a mere It, seems to occur to no one (except Berdyaev and Shestov).« (Hartshorne 1954, 65) 13 14
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Zur philosophischen Frage nach Gott
menhang mit der Frage des Verhältnisses zwischen Gott und Sein bzw. der Realität als Schöpfung von Bedeutung sein (siehe Abschnitt V, 4). Letzteres hat seine Bedeutung besonders in Bezug auf jene von einer prinzipiellen Ablehnung jedweder philosophischen Erkenntnisfähigkeit Gottes ausgehende Kritik, welche häufig im religiös-theologischen Lager anzutreffen ist. Derart wird behauptet, dass es sich bei dem Ergebnis der philosophischen Theologie lediglich um den »Gott der Philosophen« handele. Geradezu ein Paradebeispiel dieser Kritik gegen Simon Frank gibt Rupert Gläser, das deshalb ausführlich darzulegen ist: »Frank hat mit dem ›Göttlichen‹ den Gipfel seines langen metaphysischen Anstieges erreicht. Durch genaue philosophische Analysen gelangte er aus der Erkenntnistheorie über die Ontologie zur letzten Stufe des Göttlichen. Sein hier entwickeltes System offenbart alle Elemente einer philosophischen Theologie. Die Anordnung der Elemente ist jedoch nicht gewöhnlich: Frank baut die einzelnen Bausteine der philosophischen Theologie nicht parallel nebeneinander, sondern systematisch hintereinander. Das, was anscheinend säkulare philosophische Spekulation ist, entpuppt sich später als philosophische Theologie: die Offenbarung des Seins offenbart sich später als Epiphanie des Göttlichen, die antinomische Sagbarkeit des Seins wird zur theologia negativa, der Seinsbeweis wird zum Gottesbeweis. Frank kann sich diese Hintereinanderschaltung der Elemente erlauben allein auf Grund seiner All-Einheitstheorie, denn in ihr zeigt er den einheitlichen Charakter des gesamten Seinsgebäudes, angefangen von der ›Wirklichkeit‹ bis hin zum Göttlichen, das gerade wegen seiner Epekeina-Struktur (Quelle allen Seins) in einer unteilbaren Einheit mit dem Sein verbunden ist, das Sein schafft und gibt. Gerade die Theorie der All-Einheit muß daher als das tragende Kernstück der Philosophie Franks angesehen werden. Sie allein ist es, die die Metamorphose einer Ontologie in eine Onto-Theologie erst möglich macht. Dieser Onto-Theologie kann man nun alle traditionellen Vorwürfe machen; das Problem der Antinomik, der theologia negativa, die Frage ›Gott der Philosophen oder der lebendige Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs‹, das Problem des Pantheismus.« 19
Dazu ist vorab anzumerken: Weshalb eine »philosophische [!] Theologie« per se grundsätzlich der »philosophischen Spekulation« entgegengesetzt sein sollte, bleibt auf merkwürdige Weise fraglich. Der 19
Gläser 1975, 83 f.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Begriffszusatz »säkulare« scheint für das Vorurteil zu sprechen, dass entweder ›bloße Philosophie‹ notwendig und ausschließlich ein reduktionistisches oder formalistisches Interesse habe oder dass alles, was ›Theologie‹ im Namen trage, notwendig der Vernunft entgegengesetzt ›Sakrales‹ bedeuten müsse. Davon abgesehen stellt Gläser die systematische Entwicklung der Erkenntnismetaphysik als Grundlage der philosophischen Theologie Franks treffend heraus. Der Übergang von der Fundamentalontologie in die philosophische Theologie wirkt auf Gläser jedoch allem Anschein nach zu abrupt und gewissermaßen Gott in die ontologische »All-Einheitstheorie« absorbierend. Zu zeigen, dass dies bei Frank gerade nicht der Fall ist, stellt eines der Grundanliegen dieser Arbeit dar. Der Vorwurf der »Onto-Theologie« ist deshalb exakt zu analysieren und gegebenenfalls zu widerlegen.
b)
›Onto-Theologie‹
Was genau ist unter ›Onto-Theologie‹ zu verstehen? Wie im Folgenden gezeigt werden soll, finden sich die Ursprünge dieses Terminus und seiner Verwendungsweise in der Philosophiegeschichte insbesondere an zwei prominenten Stellen: (1) bei Immanuel Kant und (2) bei Martin Heidegger. Ausgehend vom heideggerschen Verständnis im engeren Sinne kann man zudem eine weitere, allgemeinere Variante (3) unterscheiden. Die drei Verständnisweisen werden als Anfragen an die franksche Konzeption kurz dargestellt und anschließend kommentiert. (1) Immanuel Kant bezeichnet im Zusammenhang seiner »Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft« in der »Kritik der reinen Vernunft« eine »transzendentale Theologie« als »Ontotheologie«, wenn sie »glaubt durch bloße Begriffe, ohne Beihilfe der mindesten Erfahrung, sein [des Urwesens] Dasein zu erkennen«. 20 Eine solche »transzendentale Theologie« hat für Kant den Charakter einer »theologia rationalis«, d. h. sie »denkt sich […] ihren Gegenstand […] bloß durch reine Vernunft, vermittelst lauter transzendentaler Begriffe, (ens originarium, realissimum, ens entium)«. 21 Dies entspricht dem kantischen Verständnis des ontologischen Beweises, welcher seines Erachtens doch stets daran scheitert, dass 20 21
KrV, B 660. KrV, B 659 [Hervorhebungen entfernt, D. St.].
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Zur philosophischen Frage nach Gott
»ganz und gar a priori […] einem von uns selbst ausgedachten Begriffe seine objektive Realität zu versichern« unmöglich sei. 22 Völlig erfahrungsunabhängig bleibe der Gottesbegriff lediglich ein reines Verstandeskonstrukt, welches über den ontologischen Status eines Fabelwesens nicht hinauskomme. 23 (2) Martin Heidegger entwickelt seinen Onto-Theologie-Begriff in kritischer Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Metaphysik (insbesondere Thomas von Aquins 24). Ihm zufolge besteht »der Gegenstand der Ersten Philosophie (Metaphysik)« in der Frage nach dem letzten Grund des Seienden – allerdings dergestalt, dass sie »ein bestimmtes, obzwar übersinnliches Seiendes« intendiert, das im Weiteren doch nur »ein Gebiet des Seienden unter anderen« darstellt. 25 Der metaphysische Gottesbegriff werde indessen vergegenständlichend – wenngleich als »höheres Seiendes«, so doch in derselben KrV, B 667. Es ist freilich anzumerken, dass Kant dem transzendentalen Gottesbegriff nicht nur einerseits einen »wichtige[n] negativen Gebrauc[h]« zuspricht, sofern er »eine beständige Zensur unserer Vernunft [ist], wenn sie bloß mit reinen Ideen zu tun hat, die eben darum kein anderes, als transzendentales Richtmaß zulassen« (KrV, B 668), sondern dass die »vorher nur problematische transzendentale Theologie« andererseits mit ihrem rein begrifflich »fehlerfreie[n] Ideal« in Verbindung mit einer moraltheologischen Ergänzung »ihre Unentbehrlichkeit [beweist]« (KrV, B 669). Schneider 2011 versucht darüber hinaus darzutun, dass Kant sogar lediglich »die rationalistischen Gottesbeweise« der »theologia naturalis« als »univoke inhaltliche Bestimmung des absolutnotwendigen Wesens« (ebd., 219) ablehnt und mit den »transzendentalen Ideen« ein ontologisches Wissen um das Sein Gottes impliziert. Auch Wucherer-Huldenfeld 1997, 22, stellt heraus, dass die Spitze der kantischen Kritik gegen die rationalistische Theologie gewendet ist: »Das Seiende der ›Onto-theologie‹ Kants ›ist‹ nicht mehr das, was anwesend ist (id quod est), sondern das im Begriff widerspruchsfrei gedachte Mögliche (possibile) der rationalistischen Metaphysik (Leibniz, Wolff, Baumgarten u. a.).« 24 Puntel 2012, 73 f., sieht einen »schwerwiegenden Fehler« darin, dass Heidegger lediglich »einige Passagen aus der äußerst kurzen Einleitung (Prooemium) in den Thomasischen Kommentar zur Aristotelischen Metaphysik kommentiert und interpretiert« und auf dieser Grundlage meint, »das ganze Denken des Thomas« kritisieren zu können. Auch Wucherer-Huldenfeld 1997, 232 f., beklagt die inadäquate »Thomasauslegung Heideggers« und sieht sich zu einem »zurückhaltenderen Urteil« veranlasst, so dass er anfragt: »Vielleicht ist ontotheologisches Denken nur für den Rationalismus, das vorstellend-berechnende Denken in der Meta-physik charakteristisch?« Er resümiert sogar weitergehend: »Jedenfalls wäre die glatte Subsumierung eines Denkens, wie z. B. das eines Thomas von Aquin, als (im Prinzip oder auch nur im herrschenden Trend) durch Seinsvergessenheit bestimmte ontotheologische Metaphysik eine Fehldeutung.« (Ebd., 233) 25 GA 29/30, 66. 22 23
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Art und Weise – wie alle anderen Seienden begriffen. 26 Die gesamte herkömmliche Metaphysik leidet nach Heidegger deswegen an »Seinsvergessenheit«, weil sie die »ontologische Differenz« zwischen Sein und Seiendem missachtet. 27 Auch wenn »das Sein des Seienden als der gründende Grund vorausgedacht« werde, 28 bleibe das Sein in diesem Zuge doch ein durch kausale Denkbestimmungen (»begründen«) konstruierter Begründungsgedanke. Die zwei »Logien« – diejenige vom Sein (Ontologie) und diejenige von Gott (Theologie) – seien derart von vornherein als metaphysische Rechtfertigungsversuche eines ganzheitlichen Begründungszusammenhanges vereinigt zur »Onto-Theo-Logik«. 29 Indem die so verstandene »Onto-Theologie« das »Sein« als »Causa sui« schließlich zum »Grund des Seienden« erkläre, werde die ontologische Differenz fälschlicherweise »zu einer Distinktion, zu einem Gemächte unseres Verstandes herabgesetzt.« 30 D. h. sie wird als ›ontologische‹ Heidegger zufolge doch wieder verfehlt, weil in der Begründungsbestimmung das Sein als ein relationales Glied der Verursachung in Gegenübersetzung zum Seienden gedacht wird. 31 Der Onto-Theologie-Vorwurf bedeutet also nach Heidegger, dass in »seinsvergessener« Missachtung der ontologischen Differenz der letzte Grund inadäquat vergegenständlichend als »höchstes Seiendes« begriffen wird. 32 (3) Zudem kann neben dem so dargestellten heideggerschen Onto-Theologie-Vorwurf im engeren Sinne eine weitere Variante des Verständnisses von ›Onto-Theologie‹ daraus abgeleitet werden. Vgl. GA 29/30, 63. Vgl. Gethmann-Siefert 1974,74–76, insb. Fn. 7. Nach Wucherer-Huldenfeld 1997, 228, »übertrifft« Heideggers Kritik insofern »alle atheistische Metapyhsik- und Religionskritik, als auch noch dieser Kritik seinsvergessene Seinsverlassenheit angelastet wird«, allerdings nur, um Gott als »ganz Anderen« wiederzugewinnen (ebd., 229). 28 GA 11, 66. 29 Vgl. GA 11, 66. 30 GA 11, 69. 31 Vgl. Wucherer-Huldenfeld 1997, 224 f.: »Wird das Sein, welches das Seiende gründet, als das Seiendste (das höchste Seiende) ausgelegt, dann begründet es ontisch, in der Weise eines Seienden, durch Verursachung«. 32 Heidegger begreift explizit »Metaphysik« als das »Sein als λόγος«; sie sei dergestalt »Logik, die das Sein des Seienden denkt, demgemäß die vom Differenten der Differenz her bestimmte Logik: Onto-Theo-Logik.« Als solche denke sie jedoch »das Seiende aus dem Hinblick auf das Differente der Differenz […], ohne auf die Differenz als Differenz zu achten.« »Das Differente« wird nach Heideggers Ansicht von der Metaphysik mit dem »Sein des Seienden im Allgemeinen« gleichgesetzt und schließlich dieses mit dem »Sein des Seienden im Höchsten« (GA 11, 76). 26 27
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Zur philosophischen Frage nach Gott
Diese beansprucht, über den kritischen Vorwurf der »Seinsvergessenheit« hinauszugehen. 33 Der Hauptgedanke besteht darin, dass unabhängig davon, ob die ontologische Differenz gewahrt bleibt und der letzte Grund nicht wie ein ›Seiendes‹ begriffen wird, der ontotheologische Kardinalfehler eigentlich an einer anderen – grundsätzlicheren – Stelle liegt. Bereits in dem Gedanken, das »›Sein selbst‹ für realidentisch mit Gott zu erklären« 34, werden nach Richard Schaeffler die »Philosophische Theologie und Ontologie […] zur Onto-Theologie [verschmolzen]«. 35 Besonders in transzendentalphilosophisch differenzierter Gestalt entwickele die so entstandene Onto-Theologie einen Gottesbegriff, dem »Seinsvergessenheit« im obigen Sinne zwar nicht mehr vorgeworfen werden könne. Allerdings gehe von ihm nun die Gefahr aus, den »lebendigen Gott, der Anbetung und Gehorsam fordernd begegnet, an den der Fromme sich in Not und Gefahr bittend wendet, der ihm seine Sünde vergibt und von dem er Vergebung erhofft,« durch »ein Reflexionsprodukt oder eine Idee, die sich an beliebigen innerweltlichen Gegenständen spiegelt«, 36 zu ersetzen. Indem der »Gott der Religionen«, der ein »›wirklicher‹, von aller menschlichen Tätigkeit unabhängiger Gott« sei, mit einem transzendentalen »Gottesbegriff« gefasst wird, versuche man gewissermaßen, die »Religiöse Rede« »in Philosophie aufzuheben«. 37 Ganz in diesem Sinne kann dann doch wieder auf Heidegger rekurriert werden, nach welchem der »her-vor-bringende Grund« als »Ursache« zwar durchaus der richtige metaphysische Gottesbegriff sei, sodass die »Causa sui« doch »de[n] sachgerechte[n] Name[n] für den Gott in der Philosophie« darstelle. Dennoch ist dieser »Gott der Philosophie« ihm zufolge vom »göttlichen Gott« weit entfernt, da vor Ersterem »der Mensch weder aus Scheu ins Knie fallen, noch […] vor diesem Gott musizieren und tanzen [kann].« 38 Onto-Theologie in diesem weiteren Sinne bezeichnet also jede Form von philosophischer Theologie, die den absoluten Seinsbegriff (bzw. das Sein des Absoluten) der Ontologie einfachhin mit dem Gott der Religion für realidentisch erklärt.
Gutschmidt 2011, 2 f., sieht etwa die genuine Intention des späten Heidegger gegenüber dem einfachen Vorwurf der »Seinsvergessenheit« in dieser Variante. 34 Schaeffler 2002, 60. 35 Schaeffler 2002, 59. 36 Schaeffler 2002, 221. 37 Schaeffler 2002, 218 f. 38 GA 11, 77. 33
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Der damit verbundene Vorwurf betrifft nicht wie bei (2) primär die metaphysische, sondern vorrangig die religiöse Adäquatheit.
c)
Weshalb Franks philosophische Theologie keine Onto-Theologie ist
Die in der ersten Verständnisweise von ›Onto-Theologie‹ implizierte Kritik kann in Bezug auf Franks Fundamentalontologie schnell entkräftet werden. Die Ausführungen Franks zum Ontologischen Argument (Abschnitt III, 2) machten deutlich, dass es ihm nicht um eine ›reine Begriffskonstruktion‹ abstrahiert von jeglicher Erfahrung geht. Zentral ist für ihn das absolute Sein als solches und im Ganzen, wie es sich im Lebendigen Wissen als grundlegend transrationale Einheit von Verstehen und Erleben, d. h. von Denken und Sein, evident selbstoffenbart. Die ontologische Grundeinsicht, welche das Argument reflexiv-explikativ entfaltet, ist, dass ›Sein‹ absolut selbstevident ›ist‹. 39 Der Grund unseres ›Wissens‹ diesbezüglich ist gegenüber jedem Produkt der Begrifflichen Erkenntnis die unhintergehbare, verstehend erlebte Seinsteilhabe. Im Gegensatz zu Verständnis (1) verbleibt die transzendentale Reflexion Franks also schon hinsichtlich der Ontologie nicht in den bloß subjektiven Bedingungen eines abstrakten Denkvermögens gefangen, sondern transzendiert dessen Grenzen in der Reflexion des eigenen Vollzugscharakters auf den ontologischen Grund des Denkvollzuges hin. Franks transzendentales Argument ist, dass ohne die reale Teilhabe am Sein des letzten Grundes weder Denken noch Erfahrung in ihrer subjektiven Bedingtheit möglich wären. Das Lebendige Wissen bedeutet demnach weder ›reines Verstandeskonstrukt‹ noch ›Unabhängigkeit von jeglicher Erfahrung‹, aber zugleich auch kein nur passives Entgegennehmen vorgefertigter Erkenntnisinhalte im Stile eines naiven Realismus. 40 Stattdessen ist im Lebendigen Wissen die aktive Teilhabe am Sein als solchen, das in der Immanenz seiner absoluten Fülle die eigenen Grenzen übersteigt und so das Transzendieren begründet, unmittelVgl. LW, 289, 303, und GdW, 226 f. Siehe ferner Abschnitt III, 2a. Seinsstrukturen als Erkenntnisinhalte und deren Beziehungen sind nach Frank nie »gratis« zu haben, sondern stets auf begriffliche Erkenntnisarbeit angewiesen (vgl. dazu LW, 202–207). Das Lebendige Wissen ersetzt den begrifflichen Erkenntnisprozess also nicht, sondern begründet transzendental die Begriffliche Erkenntnis (siehe Abschnitt III, 3a).
39 40
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Zur philosophischen Frage nach Gott
bar gegenwärtig. Dergestalt jedem Prozess der unterscheidenden Inhaltsbestimmung zugrundeliegend kann ›Sein‹ auf keine bestimmte Menge von Erkenntnisinhalten reduziert werden, weshalb der Begriff des Seins stets analog bleibt. Ein bloß rationaler (i. S. v. univoker) Begriff des Absoluten ist ausgeschlossen und damit auch jener abstrakte Gottesbegriff der theologia rationalis, welchen Kant beklagt. 41 Ein (religiös wie metaphysisch) adäquater Gottesbegriff schlechthin unabhängig von jeglicher Erfahrung ist für Frank eine Sache der Unmöglichkeit, 42 wie im nächsten Abschnitt (V, 2) noch eingehender zu sehen ist. Auch der Vorwurf des Verständnisses (2), die ontologische Differenz zu missachten, trifft Frank nicht. Dabei ist zwischen zwei Ansatzweisen zu unterscheiden. Zum einen ist Frank wie dargestellt (Abschnitt III, 3) die ontologische Differenz zwischen Sein und Seiendem bzw. zwischen Realität und Objektiver Wirklichkeit nicht nur geläufig: ihr Aufweis macht den zentralen Bestandteil seiner transzendental-phänomenologischen Methode aus. Gegenüber der Einstellung der Begrifflichen Erkenntnis wird das Lebendige Wissen als nicht objektivierbares Sein im Vollzug, als Transzendieren, aufgezeigt. Seine Philosophie ist stetes Ringen damit, das Sein in keiner Weise inadäquat zu vergegenständlichen und gerade die Versuchungen und Gefahren in den diversen philosophisch-metaphysischen Anfragen offenzulegen – darin besteht »der Standpunkt des antinomischen Monodualismus«. 43 Es wäre dementsprechend ein grobes Missverständnis der frankschen Philosophie und widerspräche ihren grundlegendsten Ausführungen, den über das personal vertiefte Erleben der Realität gewonnenen metaphysischen Gottesbegriff im Sinne eines »höchsten Seienden« interpretieren zu wollen, welches Freilich sind Missverständnisse oder Fehlinterpretationen auch bei stringentester Argumentationsführung nie gänzlich auszuschließen, zumal wenn es um die Einheit der Gegensätze über dem rein begrifflichen Fassungsvermögen geht, wie sie in einer Konkreten Beschreibung zur Darstellung gebracht wird. Wie unter Abschnitt III, 3c ausgeführt, bleibt es stets eine Aufgabe, die coincidentia oppositorum des Seinsbegriffes gegen die rationalistischen Verständnisweisen zu erringen und zu halten (vgl. DU, 180, in Bezug auf Cusanus’ De ber., cap. 22, n. 32 [Stellenangabe korrigiert, D. St.]). Dass hierbei der menschlichen Freiheit eine besondere Rolle zukommt, sowohl für die metaphysische als auch für die religiöse Gotteserfahrung, wird noch eigens zu erörtern sein (siehe Abschnitt V, 2 wie auch Abschnitt V, 4c). 42 Vgl. DU, 174 f., in Verbindung mit DU, 363, und RM, 246. 43 DU, 183 [Hervorhebung entfernt und Übersetzung korrigiert, D. St.]. Siehe Abschnitt III, 3c und d. 41
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
gleichsam an der Spitze einer hierarchisch strukturierten Pyramide der Seienden stünde oder als deren »Fundament« gedacht würde. 44 Zum anderen erscheint aber die Frage berechtigt, ob Frank nicht dennoch – gegen seine eigene Intention – diesem Vorwurf erliegt. Ist nicht die immer wieder gestellte Frage Franks nach dem ersten bzw. letzten ontologischen Grund, dem geistigen Urgrund des Seins usw. genau jener Kritik Heideggers preisgegeben, dass die kausale Denkbestimmung des Begründens eine begriffliche Relation erzeugt? Wird der Grund dem Begründeten nicht doch schlussendlich – wenn auch unbeabsichtigt, durch das Reden über die ontologische Differenz verdeckt und in besonders komplizierter Art dialektisch artikuliert – wie ein Seiendes vorausgestellt? Zur Beantwortung kann die bereits (Abschnitt III, 4) unternommene Charakterisierung der fundamentalontologischen Frage nach dem letzten Grund aufgenommen und präzisiert werden. Die metaphysische Warum-Frage wurde dort in ihrer unbedingten Radikalität dargestellt. Sie zielt nach Frank nicht nur auf eine Ursache, aus der sich mit ›empirisch faktischer‹ oder ›logischer Notwendigkeit‹ eine Folgebeziehung erklären lässt, sondern auf das »sinngebende Erstbegründende«. 45 Damit es als solches gelten kann, muss es alle Dimensionen des Wirklichen transzendental zu begründen in der Lage sein. Es kann deshalb nur in einer radikalen Unbedingtheit sein Wesen haben, die alle der folgende Momente in sich vereint: Um Grund und Maßstab der Erkenntnis sein zu können, bedarf es einer solchen Begründung, die jeder unterscheidenden Bestimmung vorausgeht und deshalb selbst nie restlos erfassbar ist. Und doch muss sie zugleich als absolute Wahrheit vollkommen evident im Erkennen anwesend sein. Dabei muss ihr intrinsische Geltung zukommen, die über jedes nur hypothetische (auf Bedingungszusammenhängen basierende) Maß hinausgeht. Diese Geltung darf nicht nur in der theoretischen Dimension verbleiben, sondern muss einen Anspruch darstellen, der auch in der praktischen Dimension jeden (im weltlichen Kontext stets unter spezifischen Hinsichten stehenden) Wert wahr-
RM, 237, ist explizit gegen eine solche Vorstellung gewandt; auch das supranaturalistische Verständnis, welches Gott als ein Seiendes ›über‹ der Welt vorstellt, kritisiert Frank im selben Sinne als verfehlte »dogmatische Metaphysik«, die versucht, alles, wenn auch in einem »himmlischen« oder »überhimmlischen« Bereich, so doch restlos in der Objektiven Wirklichkeit zu verorten (RM, 134 f.). 45 Vgl. DU, 334, sowie RM, 215 f. Vgl. auch MuiG, 40 und 44 f. 44
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haft begründen kann und so zugleich das herausfordernde Maß der Ethik abgibt. Nur auf diese Weise kann das Prinzip ferner unseren Willen als schöpferische Selbsttranszendenz bzw. selbstbestimmende Schaffenskraft begründen. Allerdings setzt dies weiterhin voraus, dass der Grund in einer per se unerschöpflichen, allem Begründeten immanenten und doch sie verbindend transzendierenden Einheit von Vollendung und Werden, von Aktualität und Potentialität besteht. 46 Von daher prägt Frank Begriffe wie »Urleben« oder »lebendige Urquelle des Lebens« und betont die tief »innerlich[e] Verwandtschaft« mit dem geistigen Wesen des Selbstseins als Person. 47 Ist das nun nicht doch ein Wunschbild eines quasi ›perfekten Seienden‹ ? Für Frank ist klar, dass kein bedingtes Seiendes als solches (ganz gleich wie komplex oder quantitativ übersteigert gedacht) dies je zu erfüllen imstande ist. Um wirklich »Erstes und Letztes, als causa sui« sein zu können, muss der gesuchte Grund »jegliche Realität« – die Objektive Wirklichkeit und das Unmittelbare Selbstsein – als solche hervorbringen können, und zwar so, dass er aus sich heraus in vollkommen fragloser Weise, »de[n] letzte[n] Grund, warum und weswegen etwas überhaupt ist, und deshalb auch dafür, daß es überhaupt ist«, ausmacht – als zugleich »Urgrund« und »Ureinheit von allem«. 48 Dies ist aber nur möglich, wenn er die Struktur der Bedingtheit – und sogar auch jenes metalogische Verhältnis der ontologischen Differenz selber (worauf Heidegger mit seinem Begriff des »entbergenden Austrags« hinaus möchte 49) – einerseits hervorzubringen in der Lage ist, aber andererseits durch diese begründende Hervorbringung ihr selbst nicht als Glied einer Begründungsrelation unterworfen wird. Sonst bedeutete das nichts anderes, als dass man den Grund doch aus einer logischen Abhängigkeit vom Begründeten – und somit als Bedingtes – denken würde. Stattdessen muss der Grund des Bedingten so verstanden werden, dass er nicht auf derselben ontologischen Ebene des Bedingten und nicht in der Art und Weise des Bedingten begründet. Vielmehr muss er als echter ›Urgrund‹ auch jedes bedingten Begründungsverhältnisses im Bedingten auf bleibend unbedingte Weise anwesend sein können, indem er das Bedingte als solches zugleich radikalursprünglich transzendiert. 46 47 48 49
Vgl. RM, 217–225. DU, 335. DU, 336. Vgl. GA 11, 71; vgl. dazu auch kritisch Puntel 2012, 129 f.
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Frank sieht genau diese Auffassung bei Platon realisiert. Der »Urgrund« ist auch nach Frank in der Weise der platonischen Idee des Guten so zu verstehen, dass er »mehr als Sein« (ἀγαϑὸν ἐπέκεινα τῆς οὐσίας) ist, als »die Urrealität, der gegenüber alles Sein schon etwas Abgeleitetes, zu Begründendes und z[u] Verwirklichendes ist.« 50 Ein mögliches Missverständnis in Bezug auf die neuplatonische ἐπέκεινα-Struktur muss hier explizit angesprochen werden: Es soll kein oberstes Seiendes gleichsam in eine neue Metaebene geschoben und dadurch dem begrifflichen Zugriff willkürlich entrückt werden. Dergestalt bliebe es dem anderen Seienden gegenübergestellt und so doch wieder nur ein ›Seiendes‹. Heideggers Kritik würde ins Schwarze treffen. Für das richtige Verständnis sind hingegen jene Überlegungen zur coincidentia oppositorum, wie Frank sie von Nikolaus von Kues übernimmt (vgl. Abschnitt III, 3), essenziell: Schon der Seinsbegriff als Einheit von Einheit und Vielfalt vereint die Gegensätze begründend in sich. Das ›Sein‹ kann ihnen nicht unterworfen werden, weil es den gegensätzlichen Bestimmungen, sie ermöglichend, immer transkategorial vorausgeht. Deshalb ist das Nichtwiderspruchsprinzip als Prinzip der Bestimmtheit – bei aller Geltung im Sein als dessen Strukturprinzip – auf das Sein als solches schlechterdings nicht anwendbar. 51 Die Unanwendbarkeit aufgrund der unbedingten Vorgängigkeit gilt nach Frank »im Urgrund […] noch viel tiefer, es [das Zusammenfallen der Gegensätze] besitzt sozusagen einen ›wurzelhafteren‹ und absoluten Charakter.« 52 Jede mögliche Seinsweise – sowohl die gegenständliche der Objektiven Wirklichkeit als auch die der Realität, welche das metalogische Verhältnis zueinander (die ontologische Differenz) einschließt 53 – kulminiert an diesem DU, 336 f. [Schreibfehler korrigiert, D. St.], in Bezug auf Platons Polit., 509b. Siehe Abschnitt III, 3a; vgl. insbesondere LW, 207: »[D]ie Denkgesetze [dürfen] nur als Seinsgesetze, als Strukturprinzipien des Seins selber gedeutet werden. Wenn sie dem Sein selber dennoch inadäquat bleiben, so kann es nur so verstanden werden, daß sie eben das Sein in seiner Ganzheit und wahren Fülle nie erfassen, sondern gleichsam an seiner Oberfläche haftenbleiben.« 52 DU, 341. 53 Vgl. Abschnitt III. 3c in Bezug auf RM 184: »Wenn man versuchen wollte – sofern das überhaupt möglich ist –, dieses überlogische Verhältnis auf seine einfachste, abstrakt-symbolische Formel zu bringen, müßte man, wenn man die Realität mit A und alles übrige, d. h. alle partikularen Inhalte, mit B bezeichnet, sagen: A = A + B, so paradox dies aus der Sicht der gewöhnlichen, logisch-mathematischen Form unseres Denkens erscheinen mag.« Man könnte also gegen Heideggers Vorwurf monieren, 50 51
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letzten Punkt in den absolut letzten Ursprung der Einheit der Gegensätze. Als solcher ist er in seiner wesentlichen Transrationalität zugleich völlig unbegreifbar und doch vollkommen evident, weil sich in ihm jede Fraglichkeit in ihrer eigenen Bedingungsmöglichkeit aufhebt. »Der Urgrund ist damit wesensmäßig etwas schlechthin Paradoxes, Unglaubliches, rational Unfaßbares – nämlich Antinomi[s]ches. In dieser Beziehung ist der Urgrund das wesensmäßig Unergründliche und dabei in höchstem Grade Unergründliche. In dieser Einheit von unüberwindbarer Verborgenheit und innerlich-wesensmäßiger, und zwar tiefster Transrationalität ist der Urgrund, das schlechthin Unergründliche oder das Unergründliche in seiner höchsten denkbaren Potenz – gleichsam der tiefste Punkt, in dem alles Unergründliche in seiner Unergründlichkeit konvergiert und aus welchem es hervorgeht – und mehr noch – das Prinzip selber, welches das Wesen der Unergründlichkeit als einer solchen ausmacht. Der Urgrund ist das tiefste uranfängliche Urgeheimnis der Realität als solcher – ein Geheimnis, das sich aber in seiner ganzen Unerreichbarkeit, Unbegreiflichkeit und Unauflösbarkeit dem Geist, der sich seiner eigenen Tiefen bewußt wird, in voller Evidenz offenbart. Genauer gesagt, offenbart er sich ihm als die Evidenz selber, als die absolute Wahrheit selber.« 54
Frank geht damit über eine von heideggerianischer Seite beklagte »ontotheologische Idee des Höchstdenkbaren« 55 prinzipiell hinaus, weil dieser »Urgrund« eben per se in seiner schlechthinnigen Undenkbarkeit zugleich als das vollkommen Evidente erscheint. Frank bringt es unter Berufung auf Goethe auf den Ausdruck »Offenbares Geheimnis«. 56 In diesem Sinne ist kein rationales Bedingungsverhältnis durch kausale Bestimmung ›Grund – Begründetes‹ erzeugt. Es ist auch kein ›höchster Gedanke‹ konzipiert, sondern vielmehr auf etwas hingewiesen, das in unserem Denken unser Denken doch prinzipiell transzendiert (und gerade dadurch begründet). 57 Die radikale Unbedass, wenn der Seinsbegriff richtig gefasst ist, er auch die ontologische Differenz auf die rechte Art und Weise einschließt et vice versa. Der kritische Gedanke Heideggers eignet sich jedoch hervorragend, das ontologische Denken in die letzte Tiefe zu führen, ohne dass es erneut in eine abstrakte Unterscheidung verfällt, indem es den letzten ›Urgrund‹ dem ›Sein‹ gegenüberstellt. 54 DU, 342. 55 Wucherer-Huldenfeld 2011, 365. 56 RM, 171; vgl. DU, 82. Vgl. dazu auch Ehlen 2009, 101 f. 57 Vgl. LW, 298: »Das für uns unergründliche Wesen Gottes ist für uns kein äußerer
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dingtheit dieses Urgrundes – seine »Grundlosigkeit« – besteht also gerade in der »Unergründlichkeit«. 58 Weil dieses Ergebnis häufig in eine latent antirationale oder mystische Richtung gedeutet wird, sei noch kurz für ein besseres Verständnis eine Anmerkung gemacht, die sich an die vorherigen Ausführungen (Abschnitt III, 5c) anschließt. Es ist auf den Unterschied zwischen dem »Naturwissenschaftlichen Kausalgesetz« und dem »Metaphysischen Kausalitätsprinzip« 59 hinzuweisen: Sind ›Ursache‹ und ›Wirkung‹ bzw. ›Grund‹ und ›Folge‹ wie im Fall der naturwissenschaftlichen Kausalität notwendig begrifflich streng voneinander zu unterscheiden und miteinander durch eine zu bestimmende Gesetzmäßigkeit oder Regel verbunden, handelt es sich um einen bedingten Begründungszusammenhang zwischen Seienden. Die beiden Vorwürfe der Onto-Theologie im engeren Sinne sind dann angebracht, wenn dieses Kausalverständnis auf die Frage nach dem letzten Grund übertragen wird. Der Gottesbegriff drohte sonst zu einer ersten Verursachung in der Welt zu werden, die stets den Charakter eines ›Lückenbüßers‹ trägt (und die im Falle, dass eine naturwissenschaftlichen Erklärung gefunden wird, zu ersetzen ist). Zugleich würde das Gottesverständnis in eine deistische Richtung kippen, nach welcher sich der Schöpfungsakt auf einen ersten Anstoß zur zeitlichen Entwicklung reduziert, was eventuell später eine die Naturordnung durchbrechende Spezialintervention nötig machen würde (sofern sich dieser Gott überhaupt noch für die weltliche Entwicklung interessiert). 60 Das ›Metaphysische Kausalitätsprinzip‹ besteht dementgegen in der transzendentalen Frage nach einem letzten Grund, der auch das ›Naturwissenschaftliche Kausalgesetz‹ – also die Annahme von innerweltlichen Kausalrelationen – fortwährend sinnvoll zu begründen in der Lage ist. Als ontologische Begründungfrage zielt es gerade nicht
Gegenstand, auf den unser Erkenntnisblick gerichtet wäre (unter dieser Bedingung wäre die Unergründlichkeit einfach gleichbedeutend mit Unkenntnis, d. h. der Abwesenheit Gottes für uns). Er ist vielmehr der ins uns und für uns sich selbstenthüllende Ur-Grund, die absolute ontologische (Kant würde sagen ›transzendentale‹) Selbstgewißheit als die Möglichkeitsbedingung jeglicher Wahrheit und sogar jegliches Zweifels und jeglicher Negation.« 58 Wucherer-Huldenfeld 2011, 373, sieht darin, dies herauszustellen, die Grundintention der Philosophischen Theologie und verweist ausdrücklich auf Frank (wenn auch unter fragwürdiger Stellenangabe). 59 Vgl. dazu Schmidt 2003, 75 f., und Weissmahr 1994, 89–92. 60 Vgl. dazu Weissmahr 1994, 114 und 142–144. Siehe Abschnitt V, 4.
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auf eine Bedingungsrelation zwischen Seienden, mittels derer deduktive Ableitungen oder Prognosen künftiger Ereignisse möglich werden. Es fragt vielmehr nach dem unbedingten Grund des Daseins in seiner Unbedingtheit. Allein von diesem her lassen sich die immer mit den Transzendentalien (Einheit, Wahrheit, Gutheit, Sein, usw.) verbundenen metaphysischen Fragen angehen (etwa nach dem Wesen der Freiheit, dem Sinn des Lebens, dem Grund schöpferischer Kreativität von Neuem, ethisch richtigem Verhalten oder sozialen Grundnormen u. v. m.). Es geht also um die Frage nach einem ersten Prinzip, das grundsätzlich nicht von etwas anderem her begründet werden kann (sonst wäre es nicht mehr ›Prinzip‹). Deswegen ist es auf die transzendentale Frageweise in ihrer zirkulären (aber nicht vitiösen) Struktur angewiesen. 61 Entsprechend ist die Frage nach dem letzten Grund nicht so zu verstehen, als zielte sie auf eine als notwendig zu beweisende ›erste Voraussetzung‹. Als solche bliebe diese doch eine (ihrer Form nach stets hypothetische) ›Setzung‹, die sich bzgl. ihrer Notwendigkeit immer durch Beweise zu rechtfertigen hätte. Sie wäre also wiederum an eine bedingte Struktur geknüpft. Stattdessen geht es um das schlechthin ›Voraussetzungslose‹, das an sich jeder äußerlichen Bedingung entbehrt und deswegen im reflexiven Aufweis als letztlich unhintergehbar Fragloses erscheint – ohne jedoch dadurch jemals eindeutig oder abschließend begriffen werden zu können. 62 Allein wir in unserem stets unter Bedingungen stehenden Seinsvollzug können nicht anders, als es implizit – in seiner Voraussetzungslosigkeit – stets vorauszusetzen. D. h. nur aus der Perspektive der Endlichkeit oder Bedingtheit nimmt es als deren letzter Grund die Gestalt einer ultimativen Bedingung an, welche genau besehen, aber in einer
Vgl. Schmidt 2003, 126. Vgl. auch Hösle 1997, 164 und 167 f. Vgl. LW, 294. Frank sieht dort den eigentlichen ontologischen Beweis bei Anselm im »Proslogion, cap. 3–4« darin, dass er »kein Syllogismus [ist], in dem aus dem ›hypothetisch‹ angenommenen Begriff Gottes logisch Gottes reale Existenz abgeleitet wird«, sondern dass schon in Bezug auf das Absolute ›Entstehen‹ sowie ›Nichtexistieren‹ »undenkbar« sind, sodass der »Begriff des Absoluten« ferner »selbstevident davon überzeugt, daß mit Bezug auf ihn jede Leugnung oder jeder Zweifel einfach sinnlos ist«. Lediglich die Frage, ob »das Absolute mit dem Gottesbegriff, der den Gegenstand der religiösen Erfahrung bildet, zusammenfällt« (ebd., 292) bleibt offen. Dafür ist seines Erachtens keine rationale Beweisführung hinreichend, sondern eine »erfahrene Begegnung« (RM, 254) notwendig, wie später (Abschnitt V, 2) ausgeführt wird.
61 62
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– bzw. der – radikal jedes Bedingungsverhältnis übersteigenden Beziehung besteht. 63 Diesbezüglich zeigt sich die Fruchtbarkeit des frankschen Ansatzes, Personalität als Transzendentalie in die Ontologie aufzunehmen. In der für Personalität konstitutiven personalen Begegnung bietet sich ein transzendental-phänomenologisch bedenkbarer Ausgangspunkt. Er zeigt zum einen die vollkommene Berechtigung der vom weiten Onto-Theologie-Verständnis (3) implizierten Kritik, insofern eine bloß ›allgemeine Begründung‹ nicht hinreicht. Zum anderen Vgl. LW, 302, wo das cartesische »cogito« »nur in psychologischer Hinsicht als der erste Schritt« bezeichnet wird, wie auch RM, 255: »[I]n der ontologischen Ordnung ist Gott für mich gewisser als ich selbst, denn er ist die Bedingung dessen, was ich als das wahre Wesen meines ›Ich‹ erkenne. Nur in der Erkenntnisordnung bin ich selbst für mich der Ausgangspunkt der Erkenntnis der Realität Gottes.« Der an sich voraussetzungslose »Urgrund« steht dem Verständnis des »Innengrundes« von Klaus Müller nahe, insofern er in seiner Unverfügbarkeit niemals ein äußerliches Gegenüber des Selbstbewusstseins ist, sondern »einzig im Ereignis von dessen eigenem Auftreten« (Müller 2002, 56) erfahren werden kann; er ist dergestalt allerdings gerade nicht »eine« gegen Verifikation oder Falsifikation immune »Hypothese«, wie Lerch es bewertet (Lerch 2009, 111 f.), sieht dieser ferner doch ganz richtig die Nähe zum »ontologischen Argument« (vgl. ebd., 116) und die wesentliche Verbindung zu einer »existenzphilosophisch grundiert[en]« Metaphysik (ebd., 118). Allerdings ist auf die gegenüber Frank abweichende – und defizitäre – Bedeutung des Personenbegriffes als »Ich-Objekt« bei Müller hinzuweisen (vgl. Lerch 2009, 105 f. Siehe auch Anm. 73), die zur missverständlichen Bezeichnung des »Ich-« oder »Weise-losen Grundes« führt, sodass tatsächlich die transzendentale Begründungsfrage personaler Freiheit in Schwierigkeiten gerät (vgl. Lerch 2009, 170). Dass ›Personalität‹ nach Frank als intern relationales, wesentlich transzendierendes Sein ein »Bei-sich-sein als Beimanderen-Sein« bzw. ein »relationales Beisichsein« darstellt, das als Begriff nicht »statt aufzuklären, in rhetorischer Verschleierung«(Müller 1994, 120) gefangen bleibt, ist gegen Müller herauszustellen. Die Inklusion der personalistischen Überlegungen Franks ließe jedenfalls jene Frage Lerchs, »[w]ie jene dem Subjekt […] zugeschriebene Perspektive der Unbedingtheit ohne Ursprünglichkeit der Differenz zum All-Einen gedacht werden [kann]« (Lerch 2009, 177), im Sinne von Müller und Henrich so beantworten, dass die je individuelle personale Unbedingtheit ihre letzte Bedingung im Urgrund der all-einen Realität findet, der Personalität im je einzigartigen Anspruch als Teilhabe an seiner Realität hervorbringt, welche jedem Gegensatz von Einheit und Differenz in radikaler überpersonal transrationaler Einzigkeit vorausgeht. Sowohl Monismus als auch Dualismus sind auf diese Weise allerdings aufgehoben in eine letzte ›monodualistische‹ Perspektive der docta ignorantia, welche letztlich im Pan-en-theismus ihren Ausdruck findet (siehe Abschnitt V, 4b). Es ist dadurch von vornherein die Intention zu bestreiten, Gott solle transzendentalphilosophisch in ein »ontologisches Modell« eingeordnet werden (vgl. Lerch 2009, 197 Fn. 943). Ob dies dann für Müller nicht auch »unterbestimmt« bleibt, ist anzufragen und zu problematisieren. 63
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wird aber gleichzeitig eine Möglichkeit ausgewiesen, mit dieser Problematik sowohl metaphysisch als auch religiös adäquat umzugehen, ohne der philosophischen Frage einen fideistisch-dogmatischen Riegel vorzuschieben. Ausdrücklich im Sinne dieser Kritik bedenkt Frank das Verhältnis des metaphysischen Gottesbegriffes zum Gott des religiösen Glaubens, indem er die mit dem Personenbegriff verbundene radikale Begründungsbeziehung im Zusammenhang mit ihrer allgemein-ontologischen Begründung als individuell-konkrete Begegnung denkt. 64 In diesem Sinne ergänzt auch Gläser sein zuvor ausführlich wiedergegebenes Onto-Theologie-Urteil über Frank durch den unmittelbaren Nachsatz: »Frank weiß um diese Nachteile [einer Onto-Theologie]; er versucht sie aber nicht zu vermeiden, denn er entwickelt einen weiteren theologischen Ansatz, der nicht mehr eine -logie des Göttlichen ist, sondern eine -logie des persönlichen Gottes. Und gerade die Darstellung dieses weiteren Ansatzes öffnet uns den Zugang zu seinen späten religiösen Werken, die bisher nicht in das System seiner Metaphysik paßten.« 65
Ganz richtig sieht Gläser, dass der Onto-Theologie-Vorwurf Frank vor allem aufgrund seiner ausführlichen Reflexion zum Verhältnis zwischen ›metaphysischer‹ und ›religiöser Erfahrung‹ nicht trifft, wie sogleich zu sehen ist. Es ist dabei die Frage festzuhalten, ob das heideggerianische »-logie«-Verständnis dem Sinn des Begriffes der religiösen Erfahrung bei Frank gerecht werden kann. Insbesondere, weil Gläser einen »weiteren theologischen Ansatz« von Franks »System der Metaphysik« absetzt, liegt die Vermutung nahe, dass nach Gläsers Erachten zwei voneinander per se als getrennt verstandene Bereiche zusammen gebracht werden sollen. Gläser sieht dementsprechend die theologische Intention Franks trotz der »Kombination von Ontologie und Personalismus« als nicht gelungen an, weil Franks All-Einheits-Denken den Personalismus ersticke. 66 Es ist schon auf Vgl. MuiG, 78 f. Siehe auch Abschnitt IV, 4b und V, 2c. Gläser 1975, 84. 66 Vgl. Gläser 1975, 162: »[…] dann handelt es sich bei Franks Philosophie um eine noch nicht ausgereifte Kombination von Ontologie und Personalismus. Das Sein wäre von antinomischen Gegensätzen beherrscht, die ihrerseits in einem dialogalen Bezugsverhältnis stünden wie Ich und Du.« Ebd., 163: »[…] doch die Tendenz liegt nahe, daß das Einzelne dem Gesamten unterliegt, daß der Personalismus der All-Einheitsphilosophie weichen muß.« Ebd., 166: »Franks Monismus ist also nichts anderes als das Sein im perfektischen Aspekt. In der Tat offenbart Franks Sein nicht das lebendige 64 65
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
dem bisherigen Überlegungsstand kritisch rückzufragen, ob seiner Einschätzung nicht ein mangelhafter Nachvollzug der Bedeutung des ontologischen Personenbegriffs sowie ein Missverständnis der zentralen Intention des Antinomischen Monodualismus zugrunde liegen. 67
2.
Religiöse Erfahrung
Die ontologische Grundfrage nach der ›wahren Wirklichkeit‹ – danach, was es heißt ›zu sein‹ bzw. was ›Sein‹ als solches und im Ganzen ›ist‹ – führte Frank zum transrationalen Seinsbegriff der unergründlichen Realität. Diese wird im Lebendigen Wissen der Person unmittelbar verstehend erlebt. Die »maximale Vertiefung« dieses Erlebens verweist nach Frank auf das »Zentrum« und den »absolute[n] Erstursprung« der Realität, insofern »das Moment des personalen Seins, mit allem, was es voraussetzt, gerade der letzten Tiefe der Realität selbst als solcher zukommt«. 68 Erst über die personale Dimension der Ontologie wandelt sich also die Frage nach dem letzen Urgrund des Seins in die eigentliche Gottesfrage der philosophischen Theologie. Aus dem auf diesem Wege gewonnenen metaphysischen Gottesbegriff kann aber weder das Sein der Welt abgeleitet werden noch erschöpft er den Gehalt des religiösen Gottesbegriffes. Die kritisch hervorgehobene Unterscheidung zwischen dem ›Gott des lebendigen Glaubens‹ und dem ›Gott der Philosophen‹ erkennt Frank ausdrücklich als berechtigt an – allerdings lediglich als Unterscheidung, nicht jedoch wenn damit eine völlige Trennung zwischen philosophischer und religiöser Theologie angestrebt wäre: »Jede Überzeugung von ihrer unbedingten Trennung führt nur zu Obskurantismus – sowohl in der Philosophie als auch in der Religion.« 69 Dennoch ist das Verhältnis nicht ohne Weiteres klar. Die verblieBild eines Chaos, auch wenn er dem Sein Leben, Freiheit, Potentialität und Werden zuschreibt. Franks Sein offenbart abgeklärte Stille. Es ist eingetaucht in das ›Licht ohne Abend‹, um mit Bulgakov zu sprechen, es kennt weder Kampf noch Drang noch Chaos.« 67 Vgl. dagegen Abschnitt III, 3d (insb. in Bezug auf DU, 166 f.) sowie Abschnitt IV, 3c zum Verhältnis von Personalität und Ontologie. 68 RM, 250. 69 RM, 233. Vgl. LW, 304. Vgl. auch MuiG, 78 f. Siehe dazu weiterführend Abschnitt V, 2c.
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Religiöse Erfahrung
bene onto-theologische Kritik (3) fordert zur Reflexion auf, was der sogenannte ›Gott der Philosophen‹ eigentlich zu leisten vermag. Es ist zu fragen, in welchem Verhältnis der metaphysische Gottesbegriff zum Gott des religiösen Glaubens steht. Welche Bedeutung hat ihm gegenüber noch der konkrete Glaubensakt? Ist der metaphysische Gottesbegriff als Ergebnis der Philosophie nicht doch lediglich ein Produkt des (wenn auch transzendentalen) Denkens, das dem Glauben wesentlich gegenübergestellt bleibt? Wie stehen Glaube und Vernunft überhaupt zueinander? Wären die Bereiche von Vernunft und Glauben völlig voneinander verschieden, so wäre nach Frank auch die religiöse Theologie als »vernunftgemäße Darstellung der Glaubensinhalte« schlechthin unmöglich. 70 Soll ein Unterschied zwischen Glaube und Vernunft als solcher erkannt werden können, muss es immerhin möglich (wenn nicht gar der Redlichkeit von beiden Bereichen geschuldet) sein, den spezifischen Bereich religiöser Erfahrung in seiner Unterschiedenheit philosophisch zu bedenken. Vernünftig argumentierend kann dann auch deutlich gemacht werden, wie weit die philosophische Erkenntnisfähigkeit reicht und warum und in welcher Weise sie gegebenenfalls beschränkt ist. Es ist also gegen jeden Fideismus gewandt ein Grund anzugeben, der vernünftig einsichtig sein muss. Wird es möglich, ein begründetes Wissen um die eigene Begrenztheit zu erreichen, so kann anschließend, der docta ignorantia gemäß, eine Konkrete Beschreibung des religiösen Erfahrungsbereiches in seinem Unterschied zur philosophisch-metaphysischen Erfahrung unternommen werden.
a)
Glaube und Vernunft
Eingangs ist zu bestimmen, was Frank unter ›Glauben‹ versteht. Zu leicht könnten unbedachte Vorurteile sonst den Gang der Überlegungen versperren. In seinem von Ehlen als »theologisch-spirituell[e] Schrift« 71 charakterisierten Werk »Mit uns ist Gott« differenziert RM, 229. Dass im Weiteren »das Bewußtsein dieser unbedingten Verschiedenartigkeit zwischen Glauben und Vernunft« nicht vernünftig zum Ausdruck gebracht werden könnte ohne eine beide doch irgendwie verbindende »Einheit«, woraus sich somit ein retorsives Argument gegen die Trennung ergibt, sieht Frank deutlich (ebd., vgl. auch Ehlen 2009, 184 f.). 71 Ehlen 2009, 210. 70
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Frank den Glaubensbegriff eingehend. Er unterscheidet in einem ersten Schritt »Glaube als Vertrauen« und »Glaube als Gewißheit« 72, wobei »Glaube als Vertrauen« noch einmal in zwei Verständnisweisen unterteilt werden kann. Es ergeben sich dann drei Glaubensbegriffe, die alle in spezifischem Verhältnis zur Vernunft stehen. Nur einer erweist sich laut Frank jedoch als dem religiösen Phänomen adäquat. (G1): Frank geht als erstes auf ein Verständnis von ›Glauben‹ ein, das als ›unbegründete Meinung‹ bestimmt werden kann. Es bezeichnet »einen spezifischen geistigen Zustand, in dem wir bereit sind, etwas anzuerkennen, für gewiß zu halten und als Wahrheit zu behaupten, was an sich nicht offensichtlich ist, nicht mit Gewißheit bestätigt werden kann, wofür es keine überzeugenden Begründungen gibt und was deshalb bezweifelt, ja negiert werden kann. Glaube in diesem Sinne ist die Überzeugung von etwas, für das uns keine Begründung gegeben werden kann, dessen Wahrheit nicht evident ist.« 73
Das Wesen des Glaubensaktes besteht diesem Verständnis entsprechend »in jener Willensanspannung, derer es bedarf, um fest zu bleiben und auf der Anerkennung dessen zu beharren, was an sich, für die Vernunfterkenntnis, zweifelhaft bleibt.« 74 Dies ist nach Frank »die althergebrachte, herrschende Auffassung« der »weitaus meisten Menschen«. 75 Sie stellt seines Erachtens den mehrheitlich überwiegenden Glaubensbegriff dar. Obwohl auch in ihm ein Körnchen Wahrheit enthalten sei (siehe Verständnis (G3)), handelt es sich Frank zufolge doch für sich betrachtet um einen äußerst defizienten Glaubensbegriff, der entweder in grober Leichtsinnigkeit besteht oder dazu zwingt, wider besseren Wissens »das Bewußtsein zu vergewaltigen«. 76 Gegenüber einer kritischen Vernunft erscheint dieses Glaubensverständnis als Aufforderung zur »starrsinnigen Verteidigung ungeprüfter Überzeugungen« bzw. als »Neigung oder Bereitschaft, das Ungewisse als Wahrheit anzuerkennen«, worin Frank »weder
72 73 74 75 76
MuiG, Teil 1, 1. MuiG, 13. Ebd. Ebd. MuiG, 14.
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Religiöse Erfahrung
eine Notwendigkeit noch ein Verdienst« sieht. Es sei vielmehr ein »blinder, durch nichts gewährleisteter Glaube.« 77 Ein solches Verständnis ist jeder Vernunfterkenntnis radikal entgegengesetzt. Frank weist darauf hin, dass auch der Versuch einer Rückbindung an ungewisse Momente des alltäglichen Lebens, in denen wir auf einen solchen Glauben angewiesen sind, verfehlt ist. 78 Das Leben besteht zwar durchaus überwiegend in Momenten, bei denen wir nicht mit logischer Sicherheit davon ausgehen können, dass uns ein bestimmtes Vorhaben gelingt, dass ein prognostizierter Sachverhalt wirklich eintritt oder unsere gewohnten Lebensumstände auch nur stabil bleiben. Aber den Glaubensbegriff deshalb auf derartige »Überzeugungen, deren Wahrheit nicht mit unwiderleglicher Sicherheit bewiesen werden kann«, festzulegen, ist nach Frank dennoch nicht mehr als eine »Begriffsverwechselung«. 79 Denn man gibt sich im praktischen Leben mit dieserart von Glauben ja gerade nicht zufrieden, sondern strebt grundsätzlich vernünftigerweise danach, ihn zu minimieren. Genauer besteht dieser Glaube in nichts anderem als »Vermutungen«. 80 Bei ihnen trachten wir nicht nur danach, sie womöglich durch begründete Erklärungen zu ersetzen. Bereits im Vollzug des Mutmaßens selber sind wir vielmehr beständig dabei, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung vorzunehmen. Auf diesem Hintergrund wird immer eine »Wahl zwischen dem mehr oder weniger Wahrscheinlichen« getroffen, welche »natürlich – und die Wahrscheinlichkeitstheorie gibt dafür eine streng rationale Begründung – das erstere vor[zieht].« 81 Im Gegensatz zu einem exakten mathematischen Wissen, handelt es sich folglich zwar um ein bloß »hypothetische[s] Wissen«. 82 Dennoch wird unter (freilich irrtumsanfälligen) Verstandesschlüssen gerade jene Alternative gewählt, welche »dem Wissen am nächsten kommt«. 83 Verglichen mit einem solchen »experimentellen Wissen«, das als »Hypothesen« formuliert in der Lebenspraxis Bestätigung und Widerlegung finden kann, ist der Gegenstand des religiösen Glaubens im Sinne dieser Deutung »nicht das Wahrscheinlichere, sondern eher 77 78 79 80 81 82 83
Ebd. Vgl. MuiG, 14 f. MuiG, 15. Ebd. Ebd. MuiG, 16. Ebd.
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das weniger Wahrscheinliche.« 84 Mehr noch entzieht sich der religiöse Glauben dem »Wahrscheinlichkeitskalkül« prinzipiell, weil seine »Annahmen« durch sinnliche Erfahrungen schlechthin »unüberprüfbar« sind. 85 Gegenüber dem Versuch einer pragmatischen Rechtfertigung dieses Glaubensbegriffes bleibt somit lediglich der Ausweg, ihn als verifikations- und falsifikationsimmune, irrationale Überzeugung zu verstehen. Zu Glauben hieße demgemäß nichts anderes, als in einem »sacrificium intellectus« »auf das Denken Verzicht [zu leisten]«. 86 (G2): Davon ausgehend ergibt sich ein weiteres Glaubensverständnis, das als ›Autoritätshörigkeit‹ bestimmt werden kann. Ihm zufolge wird ›Glaube‹ verstanden »als Ausdruck und Ergebnis eines Aktes des Gehorsams, des ergebenen Vertrauens in eine Autorität«. 87 Er dient Repräsentanten von Verständnis (G1) als Rechtfertigungsmöglichkeit, um gegenüber Verstandeskritik »einen blinden, nicht nachdenkenden, nicht prüfenden Glauben« zu fordern. Dabei wird in Analogie zur Eltern-Kind-Beziehung einer »Instanz« religiöse »Autorität« zugesprochen. Gegenüber allen anderen Menschen wird sie als »weiser« angesehen, weshalb ihre »Behauptungen […] als unfehlbare Wahrheiten akzeptiert werden sollen«. Nach Franks Einschätzung wird gemeinhin »Glaube […], der auf der Anerkennung einer ›Offenbarung‹ beruht« in diesem Sinne verstanden. 88 Mit dieser Auffassung wird ›Glaube‹ Frank zufolge zwar durchaus treffend psychologisch erklärt. Dafür sprechen seines Erachtens »[d]ie historische Vergangenheit aller Religionen und die faktische psychologische Natur des Glaubens bei den meisten Gläubigen in der Gegenwart«. 89 Dennoch führt eine Reduktion auf die rein »psychologische Erklärung« in einen »circulus vitiosus«. 90 Die Frage ist nämlich, was die Autorität als solche legitimierend begründet. Sie kann nicht durch bloßen Verweis auf eine ›höhere Autorität‹ gerechtfertigt werden, weil sich stets erneut, ad infinitum regredierend, die Frage der Legitimation wiederum dieser Autorität ergibt. Der Ver-
84 85 86 87 88 89 90
Ebd. MuiG, 17. MuiG, 30. MuiG, 17. Ebd. Ebd. MuiG, 18.
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such eines abschließenden Verweises auf »die einzig wirkliche, ursprüngliche ›Autorität‹ Gott selbst« 91 ist dabei nicht weniger misslich. Es drängt sich in diesem Fall ein Gottesbild auf, nach welchem ›Gott‹ als »unanfechtbar[e] Machtinstanz« durch seine »Allmacht« zur Unterordnung »aus Furcht« auffordert. 92 Ein solches Gottesbild, in dem Gott wie »ein erbarmungsloser Tyrann des Universums« gedacht wird, ist nach Frank genauso »blasphemisch« wie »nicht überzeugend«. 93 Seine Argumentation gegen diese Vorstellung betrifft zuerst die Definition des Autoritätsbegriffs. Dieser bestimmt Frank zufolge »eine Instanz […], der wir vertrauen oder uns unterordnen, weil wir in ihr einen Wegweiser oder Repräsentanten für das sehen, was wahr, wertvoll und heilig ist.« 94 Zum einen führt dann aber die Verschiebung der Begründungsfrage von der einen Autorität auf eine weitere Autorität in die Regressproblematik. Zum anderen entsteht mit der Behauptung einer durch bloße Gewalt zwingenden Letztinstanz die Schwierigkeit, dass dieserart weder freie Unterordnung möglich noch Wahrheit, Wert und Heiligkeit von irgendeiner Bedeutung wären. Schlichtweg ein faktisches Recht des Stärkeren wäre postuliert. Darüber hinaus argumentiert Frank, dass eine Glaubensbegründung allein auf dem Wege autoritären Gehorsams generell unmöglich ist, weil ein irgendwie geartetes »Wissen« um die letzte Autorität – auch wenn sie eine gewaltsam zwingende wäre – als deren »unmittelbare Wahrnehmung« dennoch vorangehend nötig bleibt. 95 Denn wenn ich nicht wahrnehme, dass es einen Weiseren oder Stärkeren gibt, kann ich ihn auch nicht als Autorität anerkennen. Versucht er sich durch Gewalt als Autorität zu erweisen, geht der Autoritätsanerkennung wiederum die Erfahrung voraus, dass es dort jemanden gibt, der mir gegenüber überlegen ist und seine Anerkennung als Autorität gewaltsam einfordert. Damit ist aber die Erfahrung, und mit ihr das Wissen um das Erfahrungsobjekt, der Autoritätshörigkeit bedingend vorgelagert. Schließlich führt Verständnis (G2) somit wieder auf die Problematik um Verständnis (G1) zurück: Wenn ich eine Autorität nicht letztlich unbegründeterweise für anerkennenswert halten
91 92 93 94 95
MuiG, 19. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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soll, benötige ich eine über jede hypothetische Form der Meinung prinzipiell hinausgehende Wahrnehmung ihrer Legitimität. Zusammen bilden die beiden Glaubensauffassungen (G1) und (G2) jenen »Glauben als Vertrauen«, den Frank bei aller vorgebrachten Kritik doch nicht restlos für falsch erklären will. Nur in der bloßen Reduktion auf die Momente der ›unbegründeten Meinung‹ und der ›Autoritätshörigkeit‹ gerät das Verständnis in eine unheilvolle Schieflage. Unter Hinzuziehung eines dritten Aspektes kann allerdings auch das wahre Moment dieses Glaubensverständnisses geborgen werden. (G3): Die Kritik der vorangegangenen Verständnisweisen zeigt für Frank die dritte und seines Erachtens grundlegende Auffassung von ›Glauben‹ auf. Sie kann ihm zufolge nur in einer letzten »Gewißheit« liegen: »Der Glaube ist seiner ursprünglichen Grundlage und seinem Wesen nach nicht blindes Vertrauen, sondern unmittelbare Gewißheit, die direkte und unmittelbare Wahrnehmung der Wahrheit des Glaubens.« 96 Nur durch eine unmittelbare Wahrnehmung des Geltung in sich tragenden absoluten Grundes, der »aus sich selbst gewiß ist«, kann schließlich ein »Fundament« für einen »Glauben als Vertrauen« geschaffen werden. 97 Nur eine letzte Wahrheit, die in ihrer »Selbstkundgabe« »durch nichts anderes als durch sich selbst bestätigt wird« und so »für uns eine innere, frei anerkannte Überzeugungskraft und Bedeutung besitzt«, 98 ist in der Lage, die Freiheit unbedingt zu binden. Nur als unmittelbar »lebendige, direkte, wenngleich diffuse Wahrnehmung der Realität Gottes« 99 kann »Glaubenswissen« (im Sinne eines durchaus in unterschiedlichem Maße ausgeprägten Vermögens) ferner sowohl für die Anerkennung von »heiligen Autoritäten« als auch für die Orientierung unter unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen das notwendige »Kriterium« bereitstellen. 100 Die wirklich unbedingte »Gewißheit« des Glaubens darf nach Frank allerdings nicht als »Evidenz« »im strengen buchstäblichen
MuiG, 20. Ebd. 98 MuiG, 20 f. 99 MuiG, 21, vgl. auch MuiG, 25: »Glaubensgewißheit, d. h. […] freie und unmittelbare Schau der göttlichen Wahrheit oder […] Bewußtsein, daß die menschliche Seele der Realität Gottes begegnet«. 100 Vgl. MuiG, 21–25. 96 97
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Sinne des Wortes« fehlinterpretiert werden. 101 Als »zwingend[e] Überzeugungskraft einer sinnlichen Evidenz oder der Evidenz mathematischer Wahrheiten« wäre sie doch wieder nur »ein hartes Faktum, das uns gleichsam gewaltsam aufgezwungen würde« 102 und so keinen Raum für freie und intrinsisch überzeugende Anerkennung ließe. Anerkennung setzt vielmehr einen »Akt der Freiheit« voraus, der Zwang ausschließt. 103 Andererseits ist es gerade die Unbedingtheit der Anerkennungsforderung, welche letztlich »das Wesen unseres Geistes« ausmacht, 104 insofern dieser nur in Bezug auf die letzte ›Un-bedingtheit‹ seine konstituierende ›Bedingung‹ finden kann, welche ihn nicht restlos determiniert, sondern im herausfordernden unbedingten Anspruch zur autonomen Selbstüberbietung befähigt. 105 Dieserart bedeutet der Glaubensakt folglich nicht, »etwas ›anzunehmen‹, ›anzuerkennen‹, was an sich ungewiß und nicht überzeugend ist«, sondern im Gegenteil gerade den »Wille[n] zum Aufmerken, […] zu sehen, zu bemerken, wahrzunehmen, was an sich – wenn es einmal wahrgenommen ist – eine gewisse Wahrheit ist.« 106 ›Glaube‹ ist dementsprechend nach Frank – in Bezug auf das bereits (unter Abschnitt III, 4) angeklungene Verständnis von ›religiöser Philosophie‹ durchaus passend – »der Wille, die Seele der Wahrheit zu öffnen«. 107 Dass dieser Glaubensakt einer gewissen Anstrengung bedarf, zeigt eben jene bereits (in Abschnitt III, 2a) angesprochene Neigung, sei es aus Gewohnheit, Trägheit oder Angst, den Blick des Geistes auf das Bedingte, abstrakt Begreifbare, objektiv Gegebene einzuschränken. Obwohl die Konzentration auf die Objektive Wirklichkeit eine »biologische Bedingung unseres Lebens« ist, führt sie leider psychologisch allzu leicht zum Ausblenden oder gar zum »Vergessen« der unbedingten Realität. 108 Gerade weil sich die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit mit faktischer Evidenz aufdrängt, das Unbedingte jedoch seine Geltung nicht zwanghaft aufnötigt, sondern als »unsichtbare
101 102 103 104 105 106 107 108
MuiG, 55. MuiG, 65. MuiG, 64. Ebd. Vgl. dazu auch Schmidt 2003, 162–167. MuiG, 63. Ebd. Vgl. MuiG, 59.
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Realität […] sich nur den Tiefen des Geistes öffnet«, 109 scheint es als »etwas Transzendentes« doch »ein Element einer ›Vermutung‹« im Sinne von (G1) zu besitzen. 110 Das Körnchen Wahrheit dieser Ansicht liegt nach Frank nun nicht darin, dass »ein nebelhaftes, formloses Bewußtsein von einem mystischen ›Etwas‹ vermittelt« werden soll. 111 Es liegt vielmehr in der Unbedingtheit dieser »Gewißheit«. Um echte Gewissheit erreichen zu können, muss eine Weise strenger Immanenz angenommen werden. Das bedeutet nach Frank, »daß der Gegenstand des Wissens oder Denkens in unserem Bewußtsein real anwesend ist […], was – im Gegensatz zu einem gedanklichen Urteil über eine transzendente Realität – Erfahrung genannt wird.« 112 Auf den Erfahrungsbegriff wird in den nächsten Abschnitten intensiver eingegangen. Schon an dieser Stelle erweist er sich aber als tauglich, um den gegenläufigen Aspekt hervorzuheben. Denn diese Immanenz ist kein Konstrukt des Denkens, nicht etwas, das von mir hervorgebracht wäre oder sich nur in meinem subjektiven Rahmen abspielte. So stünde ihre Gewissheit unter Bedingungen. Dagegen ist die reale Präsenz des Unbedingten als solchen wegen der Absolutheit seines (mich zugleich begründenden wie auch transzendierenden) Seins als begrifflicher Inhalt unfassbar und unerzwingbar. Im Gegensatz zur immer nur begrenzten Immanenz eines bestimmten Inhalts, welcher durch seinen Bezug auf Transzendentes definiert wird, 113 liegt jenes wahre Moment des Transzendenzcharakters des Glaubens in der zwar allgegenwärtigen, aber doch alles über-steigenden Realität des Absoluten. Die absolute Transzendenz besteht darin, dass die Realität des Absoluten nie als bestimmter Erkenntnisinhalt restlos immanent werden kann. Aber nichtsdestotrotz ist sie deswegen zugleich absolut immanent, d. h. unbedingt gewiss, weil sie nicht durch einen abgrenzenden Bezug auf ein transzendentes Gegenüber definiert wird, sondern gerade in ihrer Transzendenz als unergründliches Geheimnis allgegenwärtig offenbar ist. 114 Darin ist sie im Gegensatz zu jedem möglichen Einzelinhalt der Erkenntnis
109 110 111 112 113 114
MuiG, 61. MuiG, 54. Ebd. Siehe dazu auch Abschnitt III, 5c. MuiG, 33. Vgl. GdW, 119. Siehe Abschnitt III, 3a. Vgl. MuiG, 58 f.
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»absolut klar« und keineswegs »trübe«. 115 Wer jedoch allein bestimmte Erkenntnisinhalte anzunehmen gewillt ist, welche in Form logisch zwingender Beweisführung präsentiert werden, kann nur mehr die Transzendenz als Mangel sehen, da sich für ihn Unbedingtheit als solche schlechthin nicht denken lässt. 116 So gibt es ohne die freie Willensanstrengung, das Unbedingte als solches wahr-nehmen zu wollen, es als solches anzuerkennen, auch keinen Glauben. Im Gegensatz zu jedem rigoros vertretenen Dogmatismus betont Frank, dass damit keine solche »Evidenz« beansprucht werden kann, die eine Verneinung »überhaupt unmöglich oder sinnlos« macht. Die Willensanstrengung ist als aktive Bindung an das Unbedingte der stets notwendige und immer gefährdete Freiheitsakt des Glaubens, der des Entgegenkommens der »Gnade« bedarf. 117 Im Glauben als »religiöser Erfahrung« ergibt sich somit »eine eigentümliche, offensichtliche Verbindung von intimer Nähe mit Ferne – philosophisch ausgedrückt von äußerster Immanenz […] mit Transzendenz«. 118 Das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz charakterisiert nicht zuletzt das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen Glaube und Vernunft in seinem Kern. Gemeinhin setzt die Annahme der Unvereinbarkeit zwischen den Bereichen des Glaubens und der Vernunft auf ein epistemologisches Vorurteil auf. Angelehnt an die kantische Unterscheidung zwischen apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis kann es eine mögliche Explikation finden (das Vorurteil 115 »Als ›trübe‹ bezeichnen wir einen einzelnen Inhalt […], in dem wir die Konturen, die seine innere Vielfalt und seinen Gegensatz zu dem ›Anderen‹ bestimmen, was ihn umgibt, nicht vollständig erkennen. Kurz, die Trübheit ist die Unbestimmtheit dessen, was bestimmt werden muß und zum Teil schon bestimmt ist. Deshalb sind die Einzelinhalte, die wir im Bereich dieser allgemeinen unbestimmten Grundlage denken und aus ihrer Unbestimmtheit herauszuholen versuchen, natürlich mehr oder weniger ›trübe‹ für uns. Aber für die unbestimmte Grundlage, das Faktum des Seins selbst, ist der Begriff der ›Trübheit‹ ohne Sinn. Das Sein als solches ist vielmehr gerade als ›Sein allgemein‹ bei entsprechender Aufmerksamkeit absolut klar« (GdW, 198). 116 Vgl. dazu EinlW, 92–97, insb. Fichtes Hinweis, dass sich Einsicht nicht »mechanisch« erzwingen lässt, sondern einer »Erhebung durch Freiheit« bedarf (ebd., 93): Diejenigen welche sich nur auf zwingende Beweise verlegen, »setzen das Verhältnis der Kausalität überall voraus, weil sie in der Tat kein höheres kennen; und darauf gründet sich denn auch diese ihre Forderung, man solle, ohne daß sie dazu vorbereitet sind, und ohne daß sie selbst von ihrer Seite das Geringste dabei zu tun haben, diese Überzeugung ihrer Seele einpfropfen.« (Ebd., 96) 117 MuiG, 62 f. 118 MuiG, 57.
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besteht allerdings schon mindestens seit Descartes, wie mit der pascalschen Unterscheidung sogleich anzuschließen sein wird): Soll ein Gegenstand der Erkenntnis als uns gegenüber jenseitiger Inhalt bestimmt werden, so scheinen Erfahrung und Denken die entsprechenden Zugangswege zu sein. Erfahrung wird aposteriorisch als (meist passiv – durch »Affektion« – vorgestelltes) Eingehen eines transzendenten Inhalts in die Erkenntnissphäre des Subjekts aufgefasst. Denken ist dann die spontane Konstruktionsleistung des Verstandes, die diesen Inhalt schließlich auf den Begriff bringt. Das eigentliche Material der Erkenntnis verbürgt die Erfahrung, während der Bereich des Denkens apriorisch lediglich als formaler angesehen wird. Soll das Denken nicht ›leer‹ bleiben, ist es auf Erfahrung angewiesen. Von sich aus kann der Verstand nur auf dem Hintergrund bereits erworbenen Erfahrungswissens begriffliche Hypothesen erstellen, welche sich an neuen Erfahrungsdaten zu bewähren haben. Apriorische Erkenntnis ist so schließlich rein formaler Natur – wenn sie nicht gänzlich tautologisch bleibt. Den Bereich des Subjekts überschreitet die Erkenntnis erst und nur durch die Erfahrung auf das Transzendente hin. 119 Wird zudem der Erfahrungsbegriff auf sinnliche Erfahrung eingeschränkt, ist selbstverständlich jeglicher Zugang zu einer übersinnlichen Realität verbaut. Wird nun ›Glaube‹ als ›Bezugsverhältnis auf eine transzendente, übersinnliche Realität‹ bestimmt, ist der unüberbrückbare Gegensatz zum ›Denken‹ unausweichlich. Auf diesem erkenntnistheoretischen Hintergrund zieht Frank zur Darstellung der entsprechenden »Heterogenität des reinen Denkens und des religiösen Lebens« die Formulierungen aus Blaise Pascals »Pensées« heran und zitiert sie ausführlich. 120 Frank sieht, dass die extreme Gegenüberstellung von ›Glaube‹ und ›Denken‹ als »völlig verschiedenartige Ordnungen« bei Pascal von einer »Analogie« zum »cartesianischen Dualismus zwischen ›Körper‹ und ›Geist‹« ausgeht (wobei Letzterer bereits kritisierbar sei). 121 Vor allem moniert Frank, dass völlige Verschiedenheit zwischen zwei Bereichen als solche grundsätzlich überhaupt nicht begreifbar ist – auch in Bezug auf den behaupteten Gegensatz zwischen Glaube und Vernunft. Schließlich 119 Zur frankschen Kritik dieser erkenntnistheoretischen Auffassung siehe Abschnitt III, 3a. 120 RM, 227 f. 121 RM, 228.
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setzt diese Behauptung das »Bewußtsein […] unbedingter Verschiedenheit« voraus. 122 Wenn aber »der menschliche Geist überhaupt in der Lage ist, diesen Abgrund« der vermeintlich völlig voneinander verschiedenen Bereiche »mit einem einzigen rationalen oder geistigen Blick zu umfassen, d. h. beide Bereiche in der Einheit seines Bewußtseins zu vereinen«, dann zeugt dies doch davon, »daß er nicht unüberwindlich sein kann«, sondern irgendeine Art der »Verbindung« möglich sein muss. 123 Frank schaut noch genauer hin und sucht den Wahrheitsanteil auch der pascalschen Gedanken. Er findet ihn in einer »abgemilderte[n] Form« 124 seiner Äußerungen: Stellt man den »Bereich des Glaubens« einer »reinen Vernunft« gegenüber, so kann durchaus von Heterogenität die Rede sein. 125 In einem ähnlichen Zusammenhang seiner eigenen religionsontologischen Überlegungen formuliert Frank mit Bezug auf Plotin den Glauben als den die Vernunft übersteigenden »Sprung« des »Herzens« folgendermaßen: »Aber das ›Herz‹ ist nicht, wie man gemeinlich denkt, eine der ›Vernunft‹ entgegengesetzte besondere Instanz. [Es] ist gerade das Herzstück des ganzheitlichen, allumfassenden inneren Seins, von de[m] auch die ›Vernunft‹ ein Strahl sein kann. Nur der abgelösten ›reinen‹ Vernunft, die sich vom Herzstück losgerissen hat, steht das ›Herz‹ als All-Einheit gegenüber. Der ›reinen‹, d. h. unnatürlicherweise in ihr selber verschlossenen Vernunft bleibt die Realität der Gottheit unzugänglich.« 126
Dementsprechend fragt Frank auch in Bezug auf Pascal an, was denn unter »Vernunft« bzw. »Geist« (esprit) im Gegensatz zum »Herz« (cœur) verstanden sein soll. Bei Pascal sei dies nicht eindeutig, da er an jener Stelle nur den unbestimmten Begriff »esprit« verwende. Man kann Frank zufolge allerdings »unschwer annehmen«, dass Pascal den an anderer Stelle definierten »esprit géométrique« meint. 127 Dieser bezeichnet »die Fähigkeit zu rein intellektueller Anschauung, d. h. der Anschauung rein idealer Formen und Zusammenhänge des
RM, 229. Ebd. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 DU, 354 [korrigiert, D. St.]. 127 Vgl. ausführlich De l’Esprit géométrique et de l’Art de persuader (dt. in: Persuad., 51–103). 122 123
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Seins.« 128 Es handelt sich also um einen Begriff des Denkens als rein formales Verstandesvermögen. Diesem ist für sich allein genommen jener Bereich des »ordre de charité«, auf den der Glauben in einer »Erfahrung des Herzens« bezogen ist, durchaus »unzugänglich«. 129 Insofern stimmt jenes Zitat von Pascal: »Le cœur a ses raisons, que la raison ne comprend pas«. 130 Aber Pascal kennt, wie Frank bemerkt, noch einen weiteren Geistbegriff, der sich nicht auf das Verstandesvermögen beschränkt. Pascal nennt ihn »esprit de finesse«. Frank versteht darunter eine »Fähigkeit«, »sich mittels Erfahrung in jenem schwierigen Bestand des Seins zu orientieren, der nicht unmittelbar aus seiner Struktur hervorgeht.« 131 Weiter ist es ihm zufolge eine »Seite der Vernunft, kraft welcher sie Geschmeidigkeit, Formbarkeit, ›Feinheit‹ besitzt, d. h. die Fähigkeit, die Begriffe dem logisch undurchsichtigen, komplizierten, nur durch Erfahrung feststellbaren Seinsgehalt anzupassen.« 132 Frank erkennt darin die Intention seines Lebendigen Wissens wieder. Er sieht die cartesische »Einseitigkeit des rationalistischen Ideals der Philosophie« von Pascal dadurch überwunden, dass der »esprit de finesse« »im Unterschied zum leidenschaftslosen gegenständlichen Wissen« auch »die Erfahrung, in der sich uns die Realität von innen her durch unsere Zugehörigkeit zu ihr offenbart«, umfasst. 133 RM, 229 RM, 231. 130 RM, 228, bezogen auf Pensèes, 141, Fragment 277: »Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt«. 131 RM, 330. 132 Ebd. Er bezieht sich wohl vor allem auf Pensèes, 19–21, Fragment 1. 133 RM, 230. Beachtlich ist der Hinweis Pascals, dass »im Gebiete des Feinsinns« es nicht möglich ist, »wie in der Geometrie schrittweise abzuleiten«, sondern man mit dem »Gefühl« (sentiment) »sofort mit einem Blick das Ganze übersehen« muss (Pensèes, 20 f., Fragment 1). Man wird sich fragen müssen, ob damit nur eine »anschauende Intuition« gemeint ist, welche hinter dem Lebendigen Wissen Franks zurücksteht (LW, 210 f.; GdW, 455 f.). Eine direkte Bestimmung des »Gefühls« oder »Feinsinns« im Sinne des Lebendigen Wissens ist nicht explizit zu finden (eher in Richtung des ›Willens‹ ; vgl. dazu auch Pensèes, 23, Fragment 4: »Der Feinsinn hat Anteil an der Entscheidung«). Lediglich mit dem Hinweis auf die Begrenztheit des Verstandesdenkens wird eine transzendentale Interpretation möglich, die auch die Fragmente 270, 272 und 273 (Pensèes, 140) stützen. Pascal sucht allerdings in der Tat sichtlich nach einer Art ›vernünftigem Gefühl‹ im Sinne des frankschen Lebendigen Wissens, wenn er das »Gefühl« von der »Phantasie« abgrenzt (Pensèes, 140, Fragmente 274 f.). Jedoch scheint Pascal das Lebendige Wissen direkt auf den »Glauben« 128 129
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Religiöse Erfahrung
Der entscheidende Punkt ist also, dass es beim ›Glauben‹ nach Pascal und Frank von vornherein nicht um die Erkenntnis eines bestimmten begrifflichen Inhalts geht. Jeder begriffliche Inhalt ist durch eine Unterscheidung von Anderem konstituiert, sodass man mit Augustinus intervenieren müsste: »Si enim comprehendis, non est Deus!« 134 Auch ein der ›irdischen‹ Erkenntnis irgendwie verschlossener, ›transzendenter Erkenntnisinhalt‹, den man Verständnis (G1) entsprechend unbegründeterweise, bzw. Verständnis (G2) folgend aus Autoritätshörigkeit annimmt, bleibt ein begrenzter Inhalt. Ein solcher Transzendenzcharakter wäre bloße irrationale Esoterik. Gehen wir dementgegen bzgl. der Realität Gottes von den Überlegungen Franks zum Sein als solchen und im Ganzen in seinem wesentlich transrationalen Charakter aus, ergibt sich eine andere Möglichkeit den Transzendenzcharakter zu deuten: Sie besteht darin, dass wir im Glauben »etwas mit Gewißheit wahrnehmen oder haben, was zugleich inhaltlich vor uns verborgen bleibt«, weil es einerseits »in der Erfahrung zuverlässig anwesend, vorhanden ist«, aber sich dabei »gerade als etwas Verborgenes […] offenbart.« 135 Die Gegenwart des Glaubensgegenstandes im Glaubensakt ist also keineswegs durch einen begrifflichen Akt vermittelt, sondern stellt eine reale Präsenz dar. Aber es ist die immanente Präsenz des wesentlich Transzendenten. Nur deswegen, weil uns das Transzendente selbst als solches vollkommen immanent ist, kann nach Frank überhaupt von ihm gewusst werden. Wäre es bloß transzendent, so wäre es in seiner reinen Entzogenheit ein ›Ding an sich‹, von dem wir nicht nur nichts Inhaltliches wissen könnten, sondern von dessen Dasein wir ebenfalls nichts wüssten. 136
hin zu überspringen, der für ihn das »Gefühl des Herzens« ausmacht, welches »erste Prinzipien« wahrnimmt, die sich mit der »Vernunft« nicht »beweisen« lassen (Pensèes, 141–143, Fragment 282). 134 Augustinus, Sermo CXVII, cap. 3, 5 (PL 38, 663). 135 MuiG, 55. 136 Vgl. MuiG, 56. Das Problem der Erkenntnis als Begriff des Transzendenten leitet die ganzen Überlegungen von GdW; die parallele Stelle zum Begriff des Transzendenten als solchen lautet dort aus rein erkenntnistheoretischer Perspektive: »Woher stammt der Gedanke an etwas Unbekanntes, wenn alles gegeben ist und es außer dem im Bewußtsein Gegebenen überhaupt nichts gibt? Es genügt, diese Frage zu stellen, um einzusehen, daß sie unlösbar ist – und daher auch falsch. Konstatiert man einfach, was sich jeden Augenblick in einem beliebigen Bewußtsein findet, führt uns das zu dem […] Schluß […]: Das »Unbekannte«, das »Jenseitige« ist uns gerade
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Somit führt Frank im Blick auf den vermeintlichen Gegensatz von ›Glauben‹ und ›Vernunft‹ ›Immanenz‹ und ›Transzendenz‹ zueinander. Der Konvergenzpunkt ist das Sein: »Bei aller Heterogenität der Sphären oder Inhalte der Erfahrung haben sie alle eine Seite, auf der sie in der einen, allumfassenden Realitätserfahrung zusammenfließen«. 137 Gerade darin, dass die reale Präsenz des Transzendenten mit unserer eigenen Realität zutiefst verschmolzen ist, besteht ihre strikte Immanenz. Als unumstößliche Gewissheit ist sie eine »lebendige Anwesenheit« 138 – aber eben die Anwesenheit des Transzendenten. ›Glaube‹ ist so »die immanente Erfahrung einer transzendenten Realität«, worin nach Frank der grundlegende »Wesenszug der religiösen Erfahrung« besteht. 139 Damit ist auch ein gemeinsamer Boden von Glauben und Vernunft gefunden, der ihre Trennung ausschließt: die Erfahrung als Realitätserleben.
b)
Der Begriff der Erfahrung resp. des Erlebens
Die Auseinandersetzung des letzten Abschnitts zeigte, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, sowohl ›Glauben‹ als auch ›Vernunft‹ aufzufassen. Insbesondere der Vernunftbegriff konnte mit der frankschen Interpretation der pascalschen Unterscheidung zwischen (1) ›esprit géométrique‹ und (2) ›esprit de finesse‹ in zwei Aspekten erkannt werden: (V1) als rein diskursives Verstandesdenken einer Begrifflichen Erkenntnis und (V2) als verstehendes Erleben oder Lebendiges Wissen. Dass ›die Vernunft‹ (als beide umfassender Sammelbegriff) einem Glaubensverständnis als »religiöser Erfahrung« nicht getrennt entgegenstehen muss, zeigte sich schließlich darin, dass sowohl Denken als auch Glaube das unmittelbare Realitätserleben gemeinsam haben. Bevor wir uns aber dem Begriff der religiösen Erfahrung zuwenden können, ist vorab auf den Erfahrungsbegriff in seiner Verwendung bei Frank einzugehen.
in seiner Unbekanntheit und Nichtgegebenheit ebenso evident und ursprünglich gegeben wie die unmittelbaren Erfahrungsinhalte.« (GdW, 181 f.; siehe auch LW, 168 f.) 137 RM, 232. 138 MuiG, 58. 139 Ebd.
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Religiöse Erfahrung
α)
Zur Begriffsentwicklung bei Frank
Wie der Begriff der Vernunft kann auch der Erfahrungsbegriff unterschiedlich aufgefasst werden – und wird es im Rahmen der frankschen Erörterungen. Im Folgenden soll dafür argumentiert werden, dass die unterschiedlichen Verwendungsweisen einen methodischpropädeutischen Sinn haben, der, trotz späterer Veränderungen, einem bruchlosen Entwicklungsgang folgt. Insbesondere soll dadurch gezeigt werden, dass der Erfahrungsbegriff bei Frank nicht im Gegensatz zum Lebendigen Wissen steht, sondern in diesem seine tiefste und eigentliche Bedeutung erhält. Damit wird explizit der Auffassung von A. Rörig widersprochen, welche behauptet, die stärkere Verwendung des Erfahrungsbegriffes in Franks »Spätwerk […] repräsentiert durch Die Realität und der Mensch« führe »Frank endgültig [weg] von einem lebendigen Wissen als philosophischem Erkenntnisansatz.« 140 Man wird ihr zwar zustimmen müssen, dass der Erfahrungsbegriff in Franks späten Arbeiten eine prominente Stelle einnimmt. Rein die Quantität der Verwendungen betreffend überragt er die Stellung in Franks früheren Schriften. Allerdings bezieht sich Frank schon dort häufiger auf zwei (!) Verständnisweisen von ›Erfahrung‹. Anfangs – insbesondere in Der Gegenstand des Wissens – dient ihm ein enger Erfahrungsbegriff (E1) in erster Linie zur erkenntnistheoretischen Erarbeitung des Lebendigen Wissens. 141 Er bezeichnet »Erfahrung« (E1) als ein vermeintlich unmittelbares Immanentwerden von Erkenntnisinhalten, wodurch Letztere als »unmittelbar Gegebenes« verstanden werden. 142 Frank zeigte in seinem Gang der Überlegungen allerdings schon zuvor, dass ein solches Erfahrungsverständnis unzulänglich ist, weil jede Inhaltserkenntnis notwendig eines urteilenden Bezugs auf nichtgegebenes Transzendentes bedarf. 143 Eine rein »unmittelbare Erfahrung« des nur hier und jetzt »unmittelbar Gegebenen« gelangt ihm zufolge weder zu Einzelinhalten noch zu einem bloßen »immanenten Material des Wissens« – Rörig 2010, 147 f. Vgl. GdW, 177–183. 142 GdW, 177. 143 GdW, 119: »[J]edes Wissen, sofern es einen bestimmten Inhalt hat – und nur insofern ist es überhaupt Wissen – [ist] unvermeidlich auf Transzendentes gerichtet […] und [hat] mit einem unmittelbar nichtgegebenen x zu tun«. Siehe dazu Abschnitt III, 3a. 140 141
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
denn auch als solches »setzt es ebenfalls ein gewisses Hinausgehen über die Grenzen des Gegebenen voraus.« 144 Lediglich ein abstrakter Grenzbegriff eines reinen »Material[s], das mit keinem Wort auszudrückende Erfahrbare oder Erlebbare als solches«, wäre im strengen Sinne »immanent«. 145 Mit dieser Analyse wendet sich Frank gezielt gegen den Empirismus. Diese Auseinandersetzung nimmt er an späterer Stelle der Überlegungen wieder auf. 146 Dort geht es nicht mehr um den Aufweis, dass rein immanente Erkenntnisinhalte unabhängig von Transzendentem unmöglich sind. Frank will in der Gegenüberstellung von Empirismus und Rationalismus (er nennt Letzteren allerdings »ontologischen Idealismus« 147) darstellen, dass es sich bei beiden um einseitige Extreme handelt, welche ihren Wahrheitsgehalt gerade in der Korrektur des jeweils anderen besitzen. Demgemäß ist der Empirismus auf das konkrete Sein als »zeitliches Faktum« bezogen. 148 Dieses macht Frank zufolge das »assertorische Moment im Wissen im Unterschied zum apodiktischen Charakter des allgemeinen, das heißt des zeitlosen Wissensinhalts« des Rationalismus aus. 149 Im Streit darum, was das ›wahre Sein‹ ist, spielen Empirismus und Rationalismus schließlich Konkretes und Abstraktes, Sein und Denken gegeneinander aus. Dabei versteht der Empirismus unter ›Sein‹ den Gegenstand unmittelbarer Erfahrung im Sinne von (E1). 150 Frank gebraucht an dieser Stelle zwar nicht mehr den Erfahrungsbegriff, sondern einen explizit »propädeutische[n] Begriff vom Erlebnis«, als »rein immanente[s] Haben der ›Gegenwart‹«. 151 Von seiner Bedeutung her entspricht dieser Elebnisbegriff allerdings dem Erfahrungsbegriff (E1). Nach Frank münden durch die trennende Gegenüberstellung von Erfahrung resp. Erlebnis und Denken sowohl Empirismus als GdW, 118. Ebd. Vgl. auch LW, 175 f.: »Streng immanent, wirklich unmittelbar gegeben […] kann nur die Augenblicksgegenwart sein. […] Es ist weder eine Idee noch ein Ich mehr, das wirklich immanent ist, sondern ein undefinierbares ›Etwas‹.« 146 Vgl. GdW, 407–416. 147 Siehe dazu LW, 215, und LW, 216 Fn. 11. 148 GdW, 410. 149 Ebd. 150 Vgl. die Überlegungen aus RM, wie sie in den Abschnitten II, 1 und 2 dargestellt sind. 151 GdW, 412. Später erklärt Frank ergänzend, dass er mit diesem Erlebnisbegriff nur die »zeitlose (erlebnistranszendente) Natur des Wissens verdeutlichen« wollte (GdW, 456). 144 145
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auch Rationalismus in die jeweils einander entgegengesetzten »abstrakte[n] Konstruktionen«, 152 welche nur zu einem verkürzten Seinsbegriff führen können. Das wahre »absolute Sein« erreichen ihm zufolge »weder reines Erleben [im Sinne von (E1)] noch reines Denken [im Sinne von (V1)], sondern die Einheit beider«. 153 Frank führt sie schließlich zueinander in »der Einheit von Denken und Erleben, dem denkenden Erleben.« 154 Erst auf diesem Hintergrund kann Frank nun den Charakter des ›Erlebens‹ anders – nämlich in seiner eigentlichen Bezogenheit auf das Denken – genauer bestimmen: »Nicht das Versunkensein in den Augenblick ist das konstitutive Merkmal des Erlebens, das es vom Wissen unterscheidet, sondern allein die Potentialität seiner Überzeitlichkeit einerseits und seine Konkretheit andererseits. Deshalb ist in jedem Erleben schon die Teilhabe an der Ewigkeit, ihre potentielle Präsenz enthalten.« 155
Das Erleben ist also nicht von seinen transzendenten Inhalten getrennt, auch wenn die Denkoperation für die Erschließung notwendig bleibt. Vielmehr ist Letztere überhaupt nur möglich, weil das Erleben bereits die Teilhabe am Sein des Bestimmbaren ist. 156 Was als ›Erleben‹ und ›Denken‹ in einer abstrakten Betrachtung auseinandergeht, hat seine ermöglichende Bedingung letztlich in einer beide zugleich begründenden Teilhabe am Sein als solchen, welche von Frank »als Erleben des Seins selbst oder Einheit von Erleben und Wissen«, als »lebendiges Wissen« bezeichnet wird. 157 Der Erlebnis-Begriff wird in diesem Zusammenhang dann auch wieder ohne Umschweife auf den Erfahrungsbegriff zurückbezogen, sodass sie lediglich kontextbezogen unterschieden werden können. 158 In den seinem Werk »Der Gegenstand des Wissens« zeitlich nachfolgenden Aufsätzen »Erkenntnis und Sein« ist diesbezüglich eine interessante Stelle zu finden, welche es berechtigt erscheinen lässt, analog GdW, 415. Ebd. 154 GdW, 447. 155 GdW, 457. 156 Vgl. ebd. 157 GdW, 458. 158 Ebd.: »Das wahrhaft Seiende als Einheit des Idealen und Realen kann nur in einer solchen lebendigen Erfahrung, und nicht in einer objektivierenden Anschauung, adäquat begriffen werden. Eben deshalb kann alles Individuelle allein im Erleben erkannt, aber nicht in Begriffen erfaßt werden.« [Hervorhebung D. St.]. 152 153
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
zum Vernunftverständnis (V2) auch einen Erlebnis- resp. Erfahrungsbegriff (E2) an das Lebendige Wissen rückzubinden: »Das wissende Erlebnis ist […] Erfahrung im tiefsten Sinne des Wortes, nicht als sinnlich-äußere Berührung des Seins, sondern als ein In-sich-haben und In-sich-erfassen seiner.« 159 In diesem Sinne spricht Frank schließlich in seinem späten Werk »Mit uns ist Gott« von »Erfahrung« als einer »Gewißheit«, in welcher »die Realität selbst vorhanden ist und sich uns gleichsam selbst darbietet«, sodass »reale Anwesenheit« das Hauptcharakteristikum einer evidenten Erfahrung ausmacht. 160 Es handelt sich demgemäß mitnichten um einen bruchhaften Neuansatz seiner Gedankenführung, sondern um eine kontextgebundene Weiterentwicklung, welche ihre Grundlage bereits von Anfang an in sich trägt. β)
Zur systematischen Bedeutung
Über die Entwicklungsgeschichte des Begriffs der Erfahrung bei Frank hinaus lässt sich aus dieser Darstellung auch ein systematischer Wert gewinnen. Aus der Gegenüberstellung der abstrakten Begriffe von ›Erfahrung‹ (E1) und ›Denken‹ (V1) entwickelt Frank die notwendige gegenseitige Bezogenheit, welche ihren transzendentalen Grund sowohl über ›Erleben‹ resp. ›Erfahrung‹ (E2) als auch über ›Vernunft‹ (V2) im Lebendigen Wissen findet. Beide Komponenten zeigen sich auch im Glaubensbegriff, wenn hier ›religiöse Erfahrung‹ als ›unbedingte Gewissheit‹ entdeckt wird. Es ergibt sich die Frage, inwiefern ›Erleben‹ resp. ›Erfahrung‹ und ›Denken‹ im jeweils zweiten Sinne mit der religiösen Erfahrung unbedingter Gewissheit zusammenhängen. Pointiert, und gerade für die heutige religionsphilosophische Debatte interessant, kann gefragt werden: Gibt es eine (religiöse) Erfahrung des letzten Unbedingten – Gottes –, dergestalt dass sie analog zur Intention des Empirismus von jedermann verbindlich wahrgenommen und begriffen werden kann? 161 LW, 219. Vgl. auch zur Austauschbarkeit von Erleben und Erfahrung neben beiläufigen Erwähnungen wie DU, 115 und 140, vor allem in DU, 197: »Sofern es Erfahrung, Erleben, Selbstoffenbarung des Seins als des Unergründlichen ist, ist es ein Nichtwissen, das aus sich selbst, aus seinem eigenen Element, aus der Tiefe des Unergründlichen, mit dem es zusammenfällt, sein Wissen seinsmäßig schöpft.« 160 MuiG, 33. 161 Schärtl 2007 erörtert etwa den »epistemischen Beitrag religiöser Erfahrung« (ebd., 110) für den Theismus. Seines Erachtens kann eine »philosophisch-begrifflich« ver159
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Religiöse Erfahrung
Einen Ansatz dazu entdeckt Frank bei William James in dessen »radikale[m] Empirismus«. 162 Dieser fasse den Erfahrungsbegriff so, dass »überhaupt alles, was uns in irgendeiner Form ›gegeben‹ ist, sich uns ›eröffnet‹ oder ›vorliegt‹« einbezogen werde, wodurch der Begriff eine »unbestimmte Weite« erhalte. 163 Diese könne zwar als »inhaltslos und ganz unbestimmt« kritisiert werden, bilde aber doch gerade ein »Korrektiv der Enge und Inadäquatheit genauerer Formulierungen«. 164 Man kann sich nun fragen, ob Frank derart für eine grundsätzliche Vagheit des Erfahrungsbegriffes plädiert. Er erklärt jedoch sofort, dass der Begriffsweite des jamesschen Erfahrungsbegriffes ihre korrigierende Funktion vor allem gegenüber dem »gewöhnlichen Empirismus« zukommt. Dieser behaupte, dass der »Inhalt des Wissens (und des Bewußtseins) auf eine bestimmte endliche Gesamtheit fahrende Theologie lediglich auf »apriorische[m] Weg« die »›epistemische‹ Relevanz« eines Gottesbegriffes erweisen (ebd., 109). Demgegenüber bleibe allerdings die »epistemische Pflicht« (ebd.) fragwürdig, weshalb man über die Möglichkeit der »rein begriffliche[n] Zugänglichkeit« hinaus tatsächlich an den jeweiligen Gottesbegriff »glauben soll« (ebd.). Er überprüft intensiv, inwiefern »die Instanz religiöser Erfahrung« »ein allgemein anerkennbares« und »neutrales Forum« bieten kann (ebd., 110). Sein Ergebnis ist nach differenzierter Erörterung der Begriffe religiöser Erfahrung insb. bei W. James, W. P. Alston, K. Rahner, L. Wittgenstein u. a. m. negativ. Im Blick auf J. Hick sieht er die »Begründungsleistung« religiöser Erfahrung erst dort ausgewiesen, »wo eine religiöse Erfahrung ihren Gegenstand objektiv spezifiziert und in diesem Sinne als Gotteswahrnehmung« begreift (ebd., 135 f.). Dementgegen fragt er einen vermittelnden »synthetischen Entwurf« an, der etwa die unterschiedlichen Konzeptionen direkter Gotteswahrnehmung bei Alston und transzendentaler Erfahrung bei Rahner in einem »alternativen Denkansatz« zusammenbringt, welchen er bei Nikolaus von Kues in der »Gottesschau« sieht (ebd., 136 f.). Schärtl erkennt diese grundgelegt auf einer »möglicherweise weltbildübergreifenden Erfahrung« des je eigenen Seins als »lebensspendende Anteilgabe durch die Liebe Gottes«, welche allerdings erst sekundär über die »weltbildrelativen bzw. weltbildsensitiven Erfahrungen« begrifflich zum Ausdruck kommt (ebd., 140 f.). Die Konsequenz ist, dass ein Begriff der religiösen Erfahrung – nach dem Subjekt-Objekt-Schema der Erkenntnis gedacht – »allein« nicht ausreicht, weswegen Cusanus einen weiteren Rekurs auf den »Gottesbegriff« anmahne (ebd., 142). Mit der Hinführung zum cusanischen Ansatz bietet sich eine Möglichkeit, auch den frankschen Ansatz in die Diskussion einzubringen, worauf im Rahmen dieser Arbeit nur hingewiesen werden kann. Die im Folgenden dargestellte Verknüpfung zwischen dem »möglicherweise weltbildübergreifenden« Seinserleben und der religiösen Erfahrung i. e. S. als Gottesbegegnung ist dafür der entscheidende Punkt. Siehe auch Abschnitt V, 5 für ähnliche Anknüpfungspunkte bei P. Schmidt-Leukel. 162 DU, 51. 163 Ebd. 164 Ebd.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
sinnlich-anschaulicher Daten zurückzuführen« sei. 165 Nach Frank ist das Hauptproblem dieses Verständnisses von Empirismus nicht nur seine »sensualistische« Einschränkung des Erfahrungsbegriffes auf sinnlich wahrnehmbare, d. h. materielle Objekte (siehe dazu Abschnitt II, 1), sondern die Beschränkung auf Objektive Wirklichkeit: »Die Vorstellung, daß alles uns unmittelbar Zugängliche und Offenbare restlos auf eine endliche und übersehbare Gesamtheit von ›Gegebenem‹, d. h. klar Vorliegendem rückführbar ist.« 166 Wird ›Erfahrung‹ so ausschließlich auf ›klare und deutliche‹ (univoke) Inhalte bezogen, die als solche bereits fertig vorliegen und gleichsam nur in das »Gefäß« des Bewußtseins eingesammelt werden müssen, wäre die ganze konstruktive Dynamik des Erkenntnisprozesses ignoriert. 167 Wird schließlich jede Existenz von irgendetwas, das nicht ein solcher ›klarer und deutlicher Inhalt‹ ist, ausgeschlossen, ist man dem Empirismus erlegen (bzw. dem Rationalismus, wenn der Sensualismus als falsch erkannt und die Realität abstrakter Inhalte behauptet wird). Das aktiv erkennende, prinzipiell nicht begrifflich fassbare Moment des Seinsvollzuges (vgl. Abschnitt II, 3) gerät damit komplett aus dem Blick. Gegenüber diesem beschränkten Seinsverständnis ist James’ Forderung eines radikal weiteren Erfahrungsbegriffes ein »Korrektiv«. Er fordert schließlich dazu auf, auch vermeintlich subjektive Momente, d. h. Phänomene der inneren, seelischen Erfahrung, als nichtsdestoweniger ›real‹ anzuerkennen (siehe Abschnitte II, 3 und IV, 2a). Darin und in der Einführung des Begriffs der ›religiösen Erfahrung‹ besteht nach Frank sein unbestreitbares Verdienst. Dennoch habe James mit der an sich »glänzende[n] Idee der ›Methode des radikalen Empirismus‹« »die entscheidende Bedeutung des von ihm geprägten Begriffs nicht erfaß[t]«. 168 Zwar überwindet er den empiristischen Sensualismus, bleibt aber dennoch auf Phänomene fixiert, die Glauben verifizieren sollen. Für Franks Dafürhalten verliert sich James somit schlussendlich »im Spiritismus und in der ›Parapsychologie‹«. 169 DU, 51 f. DU, 52. 167 Vgl. GdW, 171: »Das Bewußtsein ist kein Gefäß, das undurchdringliche Wände hat, und die ›Jenseitigkeit des Gegenstandes‹ bedeutet nicht, daß der Gegenstand jenseits dieser Wände liegt. Sie bedeutet nämlich nur, daß die Bestimmtheit des Gegenstandes nicht unmittelbar gegeben ist.« 168 MuiG, 34. 169 Ebd. 165 166
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Religiöse Erfahrung
Zur eigenständigen Neufassung des Begriffs der religiösen Erfahrung geht Frank explizit nicht derart auf eine »übersinnliche Erfahrung« ein, dass damit irgendwelche dem qualitativen Erleben der Sinne gegenüber entzogenen, jenseitigen Phänomene gemeint wären. 170 (Auch den möglichen Bezug auf die Realität abstrakter Entitäten und damit auf sein bereits dargestelltes neuplatonisches Verständnis deutet er nur an. 171) Stattdessen verweist Frank ohne Umwege auf jene »Lebensbereiche, in denen wir, wenn wir genügend aufmerken, in der Erfahrung gleichsam direkt auf die Realität selbst in ihrem konkret-überlogischen Wesen stoßen.« 172 Er macht sich dabei die phänomenologische Methode Husserls in eigenständiger Weise zunutze. Ohne diesen Bezug explizit weiter auszuführen weist er neben James’ Erfahrungsbegriff nur auf die »Phänomenologie« als besonders »fruchtbare[n]« Ansatz hin. 173 Jene angesprochenen »Lebensbereiche« sind die Dimensionen der Erfahrung der Schönheit, des sittlichen Wertes, der Gemeinschaft und der Kreativität. 174 Allerdings ist das Moment des »konkret-überlogischen Wesens« noch einmal nachdrücklich zu unterstreichen. Das Schöne oder das Gute usw. können Frank gemäß genauso wenig als ein bestimmtes Objekt der Erfahrung (im Sinne von (E1)) erfahren werden, wie sie zugleich niemals unabhängig – gleichsam losgelöst – von der Objektiven Wirklichkeit erfahren werden können. Vielmehr ist nach Frank beispielsweise »[d]as Schöne« gerade »dasjenige in der objektiven Wirklichkeit, was uns die – durch sinnliche Erfahrung vermittelte – unmittelbare Wahrnehmung der Realität gibt.« 175 Es ist so gerade jenes Moment, in dem die Realität als solche in der Objektiven Wirklichkeit »durch sie durchscheint und spürbar wird.« 176 Dergestalt kann die Erfahrung der uns attrahierenden Schönheit eines Objekts der Wirklichkeit eine eigentümliche Beziehung stiften. Dieses Objekt Ebd. Vgl. MuiG, 43. Siehe Abschnitt II, 2. 172 RM, 191. 173 DU, 51. Vgl. dazu auch Ehlen 2009, 132 f. 174 Vgl. ausführlich zur Schönheit: DU, 311–323; RM, 191–197; MuiG, 34–37; zum sittlichen Wert: GGdG, 171–178; LW, 315–33; DU, 274–284; RM, 209–217; MuiG, 35–37 und 248–259; LiF, 187–208; und zur Kreativität: DU, 101–110; RM, 217–225 und 306–316; zur Gemeinschaft: GGdG, 131–154; DU, 220–265; RM,197–209; siehe auch Abschnitt IV, 3. Zur Einheit dieser unterschiedlichen Aspekte in der letzten Realität als ontologischem Grund siehe Abschnitt III, 4. 175 RM, 193. 176 Ebd. 170 171
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ist dann nicht mehr nur ein mir entfremdetes, gegenübergestelltes Objekt. Wenn es mich in seiner Schönheit anspricht, erscheint in ihm vielmehr derselbe Wesensgrund der Realität, der auch mir selbst zu eigen ist: »Das Äußere hört auf, Teil der kalten, gleichgültigen objektiven Welt zu sein, und wir fühlen seine Verwandtschaft mit unserem inneren Wesen.« 177 Zugleich bleibt jedoch der »wesentlich [e] Unterschied gewahrt«, dass es sich bei aller uns ansprechenden »Seelenähnlichkeit« nicht um eine volle Gleichartigkeit zu unserer Realität (oder gar der absoluten Realität als solcher) handelt. 178 Vielmehr bleibt das Objekt trotz seiner ansprechenden Schönheit eben ein solches – ein Objekt: »Die ästhetische Realität hat kein persönliches Zentrum des Selbstbewußtseins und keine persönliche Aktivität des Ausdrucks; sie drückt sich nicht selbst vorsätzlich aus, sie wird nur unwillkürlich ausgedrückt; kurz, sie ist etwas anderes als die ›Seele‹ oder das ›innere Leben‹.« 179
Dies gilt auch in Bezug etwa auf schöne Menschen. Sie haben selbstverständlich als Personen eine Seele und ein inneres Leben – jedoch müssen diese sich nicht notwendig mit ihrer körperlichen Erscheinung decken. Vielmehr sei es durchaus möglich, dass die objektive, körperliche Gestalt zwar ästhetisch ansprechend sei, die menschliche Person zugleich aber innerlich nur über eine »ziemlich schlecht[e] oder unbedeutend[e] Seele« verfüge. 180 Nichtsdestotrotz bleibt die Erfahrung der Schönheit für Frank damit »eine [der] unbestreitbar offensichtlichsten Äußerungen« der absoluten All-Einheit des Seins, weil sie in dem unbedingten Anspruch zugleich als umfassender Grund sowohl unserer individuellseelischen, übergegenständlichen Realität als auch der Objektiven Wirklichkeit offenbar wird. 181 Während die Realität in der Schönheit uns durch die Objektive Wirklichkeit gleichsam von außen unbedingt ansprechend erscheint, kann die Realität weiterhin in der sittlichen Erfahrung quasi von der anderen Seite her, »durch unser Innenleben«, wahrgenommen wer-
177 178 179 180 181
RM, 195. Ebd. RM, 196. RM, 195. RM, 197.
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den, »wie sie in unserer eigenen geistigen Tiefe hervortritt.« 182 Als unbedingter Anspruch des »Gesollten« 183 erscheint sie Frank zufolge weder als ein »fremder Wille« noch als mein »eigener Wille«. 184 Sie trägt hingegen die Unbedingtheit ihres Anspruchs gerade darin, beidem vorauszugehen. Das »Gesollte« erscheint demgemäß als »Ausdruck des Willens der Realität selber als solcher, der geistigen Sphäre, die uns in der inneren Erfahrung gegeben ist und uns selbst übersteigt«. 185 In expliziter Gegenüberstellung zu allem faktisch »Wirklichen« (und somit auch zu allem der bloßen Erfahrung im Sinne von (E1) Zugänglichen) gebietet hier die Realität selbst in all ihrer auch unseren Geist in seiner endlichen Teilhabe transzendierenden Ursprünglichkeit. 186 Die intrinsische Notwendigkeit ihrer Forderung erscheint wie bereits mehrfach angesprochen nicht als eine faktisch zwingende, sondern gerade als »innere Evidenz und Notwendigkeit«, als Einheit von »Wahrheit und Rechtmäßigkeit«, die jeder weiteren Begründung entbehrt und dennoch die eigene Freiheit nicht übergeht, gerade weil diese Realität als »Urgrund« und »höchste Realität« mit dem »unbedingten Wert« zusammenfällt. 187 Insofern es also hier die Möglichkeit der Erfahrung des Unbedingten im Sinne einer verstehend erlebenden Realitätserfahrung (E2) gibt, 188 stellt sich unmittelbar die Frage, in welchem Verhältnis diese zur spezifisch ›religiösen‹ Erfahrung steht. Soll etwa behauptet werden, dass mit jeder ästhetischen, ethischen, schöpferischen und personalen Erfahrung zugleich immer eine religiöse Erfahrung ver-
RM, 209. RM, 211. 184 RM, 213. 185 Ebd.; in diesem Sinne versteht Frank den sittlichen Anspruch als »›subjektlosen‹ Willen«, insofern es nicht der Anspruch eines bestimmten Subjektes neben anderen ist. 186 Vgl. RM, 214. 187 Vgl. RM, 214 f., sowie DU, 333 f. Siehe dazu vor allem Abschnitte III, 4, IV, 4b, V, 1c und V, 2a. 188 Neben den Aspekten der Schönheit und des Werthaften ist weiterhin auf die Erfahrung der die Faktizität überbietenden schöpferischen Tätigkeit, der Kreativität, hinzuweisen. Um den Gang der Überlegungen nicht zu erschweren, muss dafür einstweilen der Verweis auf die entsprechenden Abschnitte in RM, 217–225 und 306–316, sowie auf Abschnitt III, 1 und Abschnitt V, 4 genügen. Die Realitätserfahrung der Gemeinschaft als wechselseitige Selbsttranszendenz einer personalen Beziehungseinheit mit der Liebe als Gipfel (vgl. DU, 250–256, sowie bereits Abschnitt IV, 3b) wird im folgenden Unterabschnitt V, 2c den Zentralaspekt darstellen. 182 183
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bunden ist bzw. dass diese gar eigentlich selbst schon religiöse Erfahrungen seien? Insbesondere in der Erfahrung »sittlicher Schönheit« 189 scheint Frank eine solche Interpretation nahezulegen. Während in Bezug auf die Objektive Wirklichkeit die Erfahrungen des Schönen und Guten auseinanderfallen können und als »ästhetische« und »ethische Erfahrung« voneinander unterschieden werden, gibt es nach Frank doch »eine tiefe Analogie« zwischen beiden. 190 Denn ein sittlicher Akt wird zwar nicht wie ein schönes Objekt mit den Sinnen wahrgenommen, sondern »unmittelbar mit unserer Seele«. 191 Jedoch trägt diese Erfahrung als Wahrnehmung der »sittliche[n] Schönheit des Geistes« 192 gleichwohl ebenfalls den Charakter einer »Begegnung mit der Realität«. 193 Sie spricht uns als äußeres Geschehen derart unbedingt im Innersten unseres »subjektiven Seins« – »in unserem Herzen« – an, dass sie nicht auf den Bereich rein bedingter Subjektivität beschränkt bleiben kann. 194 Sie erscheint vielmehr als »eine Kraft höherer Ordnung«. 195 So kündet sie in »lebendiger Anwesenheit« in der radikalen Immanenz »in der intimen Tiefe unseres Herzens« von »einem anderen Seinsgebiet als jenem, dem die gesamte gewöhnliche alltägliche Welt angehört.« 196 Für Frank wird daran deutlich, dass dem unbedingten Anspruch der ästhetischen und ethischen Erfahrung bereits ein gewisser »Keim, eine noch unklare Antizipation der religiösen Erfahrung« 197 innewohnt. Dennoch erschöpfen beide für sich betrachtet seines Erachtens die Bedeutung religiöser Erfahrung noch nicht. 198 Sie bilden vielmehr »Elemente« und »Bestandteile« von religiöser Erfahrung. 199 Man könne sich nämlich am Guten und Schönen auch in ihrer rein qualitativen Erfahrung erfreuen, ohne sie als religiöse Erfahrung erleben und deuten zu müssen. Reduziert auf wohlgefällig verzückende Emotionen bei der Betrachtung eines schönen Bildes oder bei der Wahr189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199
MuiG, 35. Ebd. MuiG, 36. MuiG, 35. MuiG, 36. Ebd. in Verbindung mit MuiG, 58. MuiG, 58. Ebd. Vgl. auch Ehlen 2009, 210. MuiG, 37. Vgl. MuiG, 38. MuiG, 36.
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Religiöse Erfahrung
nehmung altruistische Heldentaten entbehren sie des wichtigsten Aspektes: Es ist nach Frank nicht so sehr die »Übersinnlichkeit« der Erfahrung als vielmehr der »Transzendenzcharakter«, welcher sie ausmacht. 200 Erst wenn der unbedingte Anspruch in einer solchen Weise im tiefsten Inneren des eigenen Seins erlebt wird, dass er als »lebendige, intime Berührung« radikalster »Immanenz« wahrgenommen wird, die zugleich die Anwesenheit des alles übersteigenden »Transzendenten« ausmacht, ist der »Wesenzug der religiösen Erfahrung« eigentlich getroffen: »die immanente Erfahrung einer transzendenten Realität«. 201 Damit erreichen wir von einer anderen Seite wieder das Ergebnis des Abschnittes V, 2a. Der Zusammenhang von ›Erfahrung‹ und ›Erleben‹ mit dem ›Glauben‹ kann nun aber deutlicher benannt werden. Der Erfahrungsbegriff eignet sich insofern für die Darstellung der Wahrnehmung des Glaubens, als er im Sinne einer Ausrichtung auf Transzendentes verstanden wird. Dabei läuft dieses Verständnis jedoch Gefahr dem einseitigen Extrem (E1) zu verfallen und im Transzendenten ein vom Subjekt getrenntes Objekt zu verstehen. Dadurch gäbe es Anlass zu einer missverständlichen Auffassung des Glaubens (im Sinne von (G1)). Durch den Begriff des Erlebens kann diese Tendenz aufgefangen und korrigiert werden, indem die Immanenz als reale Präsenz des Bezugspunktes der Erfahrung betont wird. Andererseits birgt eine Überbetonung des Erlebnisbegriffes das Problem des gegenläufigen Extrems: Die Immanenz des Glaubensgegenstandes könnte in Erlebnisqualitäten aufgelöst werden. Ein solcher Begriff des ›Erlebens‹ entspräche dem einer ›übersinnlichen, inneren Erfahrung‹ und wäre ebenfalls im Sinne von (E1) lediglich auf per se bedingte Objektive Wirklichkeit (seelische Phänomene, die in meinem Erleben als Emotionen oder Stimmungen präsent sind) ausgerichtet. Werden die beiden Begriffe hingegen im Sinne von (E2) aufgefasst, so lassen sich Immanenz im ›Erleben‹ und Transzendenz der ›Erfahrung‹ in geeigneter Weise zusammenführen: Obwohl das absolut Transzendente den Bereich der Erfahrung im Sinne von (E1) prin200 Vgl. MuiG, 60 f. Ehlen 2009, 46 f. schildert diesbezüglich passend Franks Deutung des in einem Aufsatz dargestellten Selbstgefühls der überzeugten Materialistin Natalja Sergejewna Klimowa vor ihrer Hinrichtung als »religiöses Bewußtsein« und »pantheistische Liebe«, bei welcher »Gott, ohne ihn beim Namen zu nennen« erfahren werde. 201 MuiG, 59. Siehe Abschnitt V, 2a.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
zipiell übersteigt – bzw. gerade deswegen, denn es kann nie als ein begrenztes Objekt neben anderen begriffen werden –, wird es doch ganz unmittelbar wahrgenommen. Mehr noch besitzt diese unmittelbare Wahrnehmung sogar untrügliche Gewissheit, weil das Transzendente als solches in unserem eigenen Seinsvollzug real gegenwärtig ist. Das heißt jedoch nicht, dass es dort ein bestimmter Inhalt oder Teil wäre. So verstanden blieben wir im Verständnis von (E1). Der Begriff des Erlebens im Sinne von (E2) legt uns nach Frank vielmehr das Verständnis einer Immanenz des Transzendenten als »lebendige Anwesenheit« nahe. 202 Als solche trägt sie »den Charakter eines Zusammenfließens und wechselseitigen Durchdringens«, ja eines »gemeinsame[n] Lebens« mit demjenigen, was uns als absolut Unbedingtes radikal Transzendent ist. 203 ›Erfahrung des Transzendenten‹ und ›Erleben der Immanenz‹ werden folglich bei Frank in der Bedeutung (E2) eins. In diesem Sinne nennt er »religiöse Erfahrung« schließlich »lebendige Erfahrung – eine Erfahrung, die im inneren Erleben der Realität gewonnen wird«. 204 Gerade der Aspekt der Immanenz, des Erlebens der eigenen Realität, drückt nach Frank jenes Moment der Gewissheit aus, welches er mit dem Glaubensverständnis (G3) formuliert. Absolut immanent ist uns aber nur jene Realität, die wir im Lebendigen Wissen als Transzendieren unseres Unmittelbaren Selbstsein, d. h. in der Teilhabe an der absoluten Realität erleben. Nach Frank ist nun aber gerade die »reale Anwesenheit des Gegenstands selbst […] das, was – im Gegensatz zu einem gedanklichen Urteil über eine transzendente Realität – Erfahrung genannt wird.« 205 Im Gegensatz zu jedem »Gedanke[n] oder Urteil«, besteht der Vorzug der Erfahrung darin, dass sie nicht erst verifiziert werden muss, denn sie »bestätigt sich selbst; für sie genügt es, einfach zu sein, um wahr zu sein.« 206 So nennt Frank das »wissende Erleben« bzw. Lebendige Wissen »Erfahrung im tiefsten Sinne des Wortes«, weil es »nicht […] sinnlich-äußere Berührung des Seins, sondern […] ein In-sich-haben und In-sich-erfassen seiner« ist. 207
202 203 204 205 206 207
MuiG, 58. MuiG, 46. MuiG, 88. MuiG, 33. Ebd. LW, 219.
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Religiöse Erfahrung
Was in der ›lebendigen Erfahrung‹ immanent erlebt wird, ist – wie nicht genug betont werden kann – kein bestimmter Inhalt, sondern die Selbsttranszendenz des eigenen Lebensvollzuges in seiner Teilhabe. Als solche trägt die religiöse Erfahrung primär den Charakter der »Erfahrung einer Gemeinschaft«. 208 Was Frank darunter versteht, wurde in der Darstellung zur Erkenntnisweise von Personen (Abschnitt IV, 3a) bereits beschrieben: Sie ist nicht Erkenntnis bestimmter Erkenntnisobjekte, sondern »Offenbarung«, d. h. eine »[r]eale Anwesenheit der sich offenbarenden Realität selber«. 209 Da sie weder rein passiv erfasst noch aktiv begriffen werden kann, sich zugleich aber auch nicht rein faktisch wie ein Gegenstand aufnötigt, sondern ihre »Wahrnehmung« nur in der wechselseitigen (Selbst-) Offenbarung füreinander als »Kommunikation« geschehen kann, stellt sie nach Frank eine »lebendige ›Begegnung‹« dar. 210 Immanenz und Transzendenz der im Erleben begegnenden Realität der anderen Person können nicht logisch auseinanderdividiert werden, ohne in eine Objektivierung zu geraten, die das wechselseitig selbsttranszendierende Verhältnis abstrakt verkürzte. Stattdessen stehen sie Frank gemäß in jenem dargestellten antinomischen Verhältnis »gegenseitiger Durchdringung trotz Sonderung«, 211 das ihren übergegenständlich unbedingten, d. h. personalen, Realitätscharakter ausmacht. Analog zur Erfahrung menschlicher Personen kann Frank dieses Verständnis auf die religiöse Erfahrung als Erleben Gottes in der Begegnung übertragen: »Einer Gemeinschaft geht kein ›Konstatieren‹, keine objektive Wahrnehmung, voraus, im Gegenteil, die Gemeinschaft selbst – und nur sie allein ist Erfahrungserkenntnis. Mit anderen Worten: Der Gemeinschaft geht nicht das Urteil oder der Gedanke voraus: ›Er (der andere Mensch) existiert.‹ Sie vollzieht sich sofort, ganz unmittelbar in Form unseres gegenseitigen Kontakts, der beiderseitigen Begegnung mit der Realität […]. […] Die religiöse Erfahrung als Erkenntnis des personalen Gottes ist eine solche lebendige Begegnung mit Gott, eine unmittelbare Gemeinschaft mit ihm.« 212
208 209 210 211 212
MuiG, 88. DU, 349. DU, 228. DU, 247. MuiG, 74.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
c)
Metaphysische und religiöse Erfahrung
Damit sind wir zur Kernthese dieser Arbeit gelangt. Auf dem Hintergrund des systematischen Entwicklungsganges kann sie wie folgt kurz zusammengefasst werden: Die philosophische Theologie Franks hat ihren wesentlichen Gehalt im Begriff der religiösen Erfahrung als ›Begegnung mit Gott‹. Diese Begegnung stellt für Frank eine »Selbstoffenbarung« Gottes dar, 213 welche sich nicht äußerlich vollzieht. Es handelt sich nicht um eine gegenständliche Erfahrung von etwas uns in der Welt gegenübergestellt Anderem. Stattdessen ist diese Selbstoffenbarung eine »Erscheinung« Gottes »in unserer Seele«, 214 d. h. in der Realität unseres Unmittelbaren Selbstseins – im Erleben (E2). Eine solche ›Theophanie‹ bedeutet kein begriffliches Wissen von Gott, sondern »lebendige Begegnung«. 215 Mit der Gewissheit einer »Erfahrung im tiefsten Sinne« 216 ist sie eine »Gemeinschaft mit Gott«. 217 Die religiöse Erfahrung ist so eine Begegnung mit Gott im Erleben. Nun wurde der Begriff der religiösen Erfahrung über den Begriff des Glaubens bislang in erster Linie auf die ›lebendige Erfahrung‹ bzw. das ›Erleben der Realität‹ aufgesetzt. 218 Letzteres bedeutet nichts anderes als das Lebendige Wissen. Die unterschiedlichen Erfahrungsweisen der Realität in ihrem Unbedingtheitscharakter wurden mit der ästhetischen und sittlichen Erfahrung – vor allem aber in der Erfahrung des sittlich Schönen vertieft. Über die Erfahrung der Realität der Gemeinschaft wurde dem personalen Transzendenzaspekt letztlich Rechnung getragen. Gleichwohl ist der Überstieg zum Gottesbegriff dabei rein implizit und schnell erfolgt. Es stellt sich die Frage, wieso und inwieweit die Erfahrung des sich im Erleben der eigenen Realität – im Lebendigen Wissen – äußernden unbedingten Anspruchs, der als solcher das Unmittelbare Selbstsein übersteigt, eine echte Gotteserfahrung darstellt? Eingedenk der Ontotheologie-Kritik ist nun der Punkt erreicht, auf die religiöse Erfahrung als Gotteserfahrung im engeren Sinne einzugehen und die Beziehung zum Lebendigen Wissen zu klären. 213 214 215 216 217 218
MuiG, 75. Ebd. MuiG, 74. LW, 219. MuiG, 74. Vgl. den Bezug im vorhergehenden Unterabschnitt β auf MuiG, 88.
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Religiöse Erfahrung
Dass das Lebendige Wissen als letzter Kulminationspunkt von vernünftigem Denken (V2) und lebendiger Erfahrung (E2) dem religiösen Glauben in seinem vertieften Verständnis (G3) nicht getrennt gegenübersteht, sollte in den vorangegangenen Ausführungen hinreichend klargeworden sein. Dennoch sind Lebendiges Wissen und religiöse Erfahrung nach Frank nicht einfach gleichsetzbar. Darin liegt seines Erachtens die Wahrheit der Intention Pascals. Die religiöse Erfahrung weist als »Erfahrung des Herzens« tatsächlich einen bedeutsamen Unterschied zum Lebendigen Wissen auf, der Ersterer einen ausgezeichneten Aspekt des Überweltlichen verleiht. Religiöse Erfahrung besitzt Frank zufolge »ein Element des ›Wunderbaren‹«, welches das »konkrete religiöse Leben« als solches ausmacht und das schlechthin nicht philosophisch begriffen werden kann, sondern »nur auf der emotional irrationalen Ebene zu fassen ist«. 219 Trotz dieser Absetzung lässt sich jenes »Element« jedoch allgemein beschreiben: »Es besteht im Charakter des religiösen Lebens als Summe der ganz persönlichen Erlebnisse des Gläubigen, der gleichsam lyrischen oder dramatischen Prozesse und Vorgänge in der Beziehung der menschlichen Seele zu Gott. Sofern die religiöse Erfahrung aus gleichsam zufälligen persönlichen ›Begegnungen‹ mit Gott als einzigartigem und absolut einzigem Wesen besteht […], aus veränderlichen Beziehungen zu ihm und dem mit ihnen verbundenen Wechsel des emotionalen Erlebens – dann bleibt diese Erfahrung der rationalen Verallgemeinerung unzugänglich und hat keinen Platz in einem allgemeinen, d. h. philosophischen Welt- und Lebensbild.« 220
Damit wird dem individuellen Erleben in seiner Kontingenz für die religiöse Erfahrung eine immense Bedeutung zugesprochen. Wie gelangt Frank dazu? Der unübergehbare Stellenwert der Individualität wurde bereits im Kontext der transzendentalen Überlegungen zum Personenbegriff herausgestellt. 221 Auf diese Überlegungen kann jetzt abermals zurückgegriffen werden. Insbesondere ist auf die Einsicht zu rekurrieren, dass die jeweils radikal einzigartige Seinsteilhabe unter der transzendentalen Perspektive für die Begründung von Personalität nur in einer personalen Beziehung zum letzten Seinsgrund bestehen kann. Dabei ist abermals zu unterstreichen, dass das Moment der Ge219 220 221
RM, 231. Ebd. Siehe insb. Abschnitt IV, 4b.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
schichtlichkeit der menschlichen Person von der Personalität letztbegründenden Beziehung nicht ausgenommen werden kann: Wer ich jetzt und hier in meiner vollen Unvertretbarkeit bin und wie ich mich dabei erlebe, geht in niemals restlos verallgemeinerbarer Weise in die Beziehung zum Urgrund meiner Seinsteilhabe ein. Schon die Realität in ihrem allgemeinen Charakter entdeckt sich nur im jeweils individuell vollzogenen Lebendigen Wissen (als Transzendieren nach innen). Genauso ist die Erfahrung der Realität einer anderen Person nur im aktiven In-Beziehung-zu-ihr-Stehen (als Transzendieren nach außen) möglich. Demgemäß ist die Frage nach dem letzten Grund dieser Realität ebenfalls nicht unabhängig vom eigenen Selbstvollzug zu erörtern. 222 Dieser wurde als wesentlich personaler Selbstvollzug in seiner ganzen Verwiesenheit auf das Unbedingte als solches herausgearbeitet. Von daher kann ihm eine durch äußerliche Bedingungen charakterisierte Begründungsrelation, welche durch abstrakte Begriffe gefasst werden könnte, grundsätzlich nicht entsprechen. Aber auch die analoge Rede bzw. Konkrete Beschreibung gelangt hier nach Frank an eine »folgenschwere Grenze jeder ›Philosophie der Religion‹«, weil mit dem spezifisch individuellen Seinserleben der Begegnung mit dem letzten Tiefengrund der Person »tatsächlich eine autarke Sphäre des Lebens, die ihre erfahrungsmäßige immanente Glaubwürdigkeit in sich selbst hat«, erreicht wird. 223 Was die Begegnung des letzten Seinsgrundes hier und jetzt im je geschichtlich spezifischen Lebensvollzug bedeutet, »bedarf keiner Erklärung und läßt keine zu«. 224 Frank vergleicht es vor allem mit der Erfahrung tiefer Verliebtheit, 225 welche ihm zufolge analog zur Bestimmung des »Wesen[s]« religiöser Erfahrung »als Erfahrung der Gemeinschaft«, d. h. der »innere[n], persönliche[n] Gemeinschaft mit Gott« 226 genutzt werden kann. 227 222 Ein quasi ›neutrales‹ Seinserleben schließt Frank ohnehin aus: »Realität ist immer konkrete Fülle, d. h. sie ›beinhaltet‹ etwas, ist ›gehaltvoll‹« (DU, 374), sodass jede Realitäts-Offenbarung, insbesondere jede personale Begegnung, eigentlich immer eine »positiv-konkrete Offenbarung« darstellt. 223 RM, 232. Vgl. auch DU, 387: »Sobald ich die Gottheit als Person sehe und mit ihr in eine persönliche Beziehung trete, erfasse ich ihr Wesen – obschon ich damit nicht unmittelbar in ihre Unergründlichkeit eindringe – doch tiefer als in Situationen, in denen mich ihr unverständliches Wirken in einem blinden Es erschüttert«. 224 RM, 232. 225 Vgl. RM, 232, sowie LW, 281. 226 MuiG, 73. 227 Vgl. MuiG, 163–165, DU, 254–256, sowie insb. DU, 368: »Jede wahre, inniglich-
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Religiöse Erfahrung
Eine echte Gotteserfahrung wird nach Frank erst dort als solche möglich, wo im »konkreten«, d. h. raumzeitlich unvertretbar einzigartigen, »Erleben« der eigenen personalen Realität, der letzte Urgrund der Realität in der unvergleichlichen Beziehung zum individuellen Ich begegnet und selbst losgelöst von dieser ›Beziehung zu mir‹ undenkbar ist. 228 »In dieser existenziellen Hinwendung zum Urgrund und zur Urquelle – die sich aus der Tiefe selber meiner Subjektivität, meines grund- und haltlosen Seins vollzieht und streng genommen von Anfang an in gewissem Sinne in ihr selbst potentiell vorhanden ist, d. h. zugleich mit meinem Sein gegeben ist – entsteht erst der heilige Name ›Gott‹. Dieses erhabene Namenlose und Allesgenannte, welches wir bedingt als das ›Heilige‹ oder die ›Gottheit‹ bezeichneten, wird hier Gott – mein Gott. Gott ist die Gottheit, wie sie sich mir offenbart und von mir ganz konkret erfahren wird, in Verbindung und untrennbarer Einheit mit mir.« 229
Die Gotteserfahrung des »konkreten Erlebens« steht freilich dem Lebendigen Wissen nicht gegenüber. Sie vollzieht sich vielmehr nur durch das Lebendige Wissen als verstehendes Erleben des eigenen Seins hindurch. Als das »Element jener allgemeinen inneren Erfahrung« gehört das Lebendige Wissen für Frank zur »religiösen Erfahrung« dazu. 230 Damit ist jedoch keinesfalls gemeint, dass die Gotteserfahrung im qualitativen Erleben einer bloß subjektiven Stimmung oder dergleichen zu verorten wäre (dies wäre wiederum das Missverständnis des Erlebnisbegriffes (E1)). Hingegen bildet das Lebendige Wissen gerade jenes verallgemeinerbare Moment der religiösen Erfahrung, das Frank »metaphysische Erfahrung« 231 nennt: »Während Gott in der religiösen Erfahrung als einzigartiges konkretes Wesen, zu dem wir in einem persönlichen, subjektiven Verhältnis freie Liebesbeziehung, jedes wahre Empfinden des eigenen inneren Beheimatetseins oder heimatlichen Bodens im Wir ist an sich schon religiös, ist Offenbarung der Gottheit. […] Jede menschliche Kommunikation, jedes innere Zusammenleben ist letzten Endes nur eine Manifestation – und zwar eine stets begrenzte, unvollständige und nicht adäquate, mit einer gewissen Reservation belastete Manifestation – der ursprünglichen Kommunikation, eines primären und unergründlichen Miteinanderseins meiner mit Gott.« 228 Vgl. DU, 364. 229 DU, 364. 230 RM, 232. 231 Ebd.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
stehen, erkannt wird, wird er zugleich als ewiges, allumfassendes und allgegenwärtiges Wesen erkannt, als absoluter Grund allen Seins. In dieser letztgenannten Eigenschaft steht er offensichtlich in unzertrennlicher Verbindung zu allem Seienden.« 232
Mit anderen Worten sind religiöse Erfahrung und metaphysische Erfahrung derart miteinander verbunden, dass in der Erfahrung Gottes neben dem wesentlich individuell-persönlichen, d. h. kontingent einzigartigen Aspekt, gleichzeitig eine verallgemeinerbare Dimension enthalten ist. Mein Gott begegnet mir nicht nur als mein subjektiver Letztgrund, sondern auch als der mich absolut transzendierende Erstgrund allen Seins. Denn trotz aller nötigen Verwandtschaft zu meinem personalen Wesen, wäre er kein wirklicher Letztgrund, den ich ›Gott‹ nennen könnte, wenn er nur auf die Subjektivität (im bedingten Sinne) beschränkt wäre. Er kann meine Personalität, wie bereits (Abschnitt IV, 4a) dargelegt, nur dadurch letztbegründen, dass er als »Überperson« »das Merkmal der Person mit dem Merkmal absoluter Selbstbegründung und Objektivität im Sinne unbedingten oder absoluten Selbstwertes in sich überlogisch vereinigt«. 233 Von dieser metaphysischen Seite her, kann ich die Gotteserfahrung philosophisch versprachlichen, sodass sie mit anderen Erfahrungen vergleichbar wird. Die metaphysische Seite der religiösen Erfahrung ermöglicht es, einen philosophischen Gottesbegriff zu bilden, der allerdings im Sinne der Ontotheologie-Kritik (3) notwendig defizient bleibt. Die Defizienz besteht darin, dass die ganz persönliche Bedeutung der Gotteserfahrung als jene »einmalige individuelle Geschichte der Seele mit Gott« 234 in ihrer Unvergleichbarkeit weggelassen werden muss. Nur unter Auslassung dieses Moments wird die religiöse Erfahrung »der rationalen Verallgemeinerung zugänglich«, worin schließlich »ihre ›metaphysische‹ Komponente« besteht. 235 Ebd. RM, 245. Vgl. auch DU, 383 f., sowie RM, 262. Im selben Sinne auch MuiG, 77: »Diese absolut einzigartige Beziehung, in der Gott, der außerhalb von uns ist, zugleich in uns ist, und in der er für uns eine andere Person ist, der wir begegnen, die für uns ›Du‹ ist, ist zugleich Grund und Wurzel des Seins und Wesens meines ›Ich‹ ; diese Beziehung ist der Kern meines Seins und Wesens – und sie macht auch das Wesen des Glaubens als religiöser Erfahrung aus. Da meine religiöse Erfahrung die Erfahrung einer personalen Gemeinschaft ist, ist Gott für mich notwendig eine Person oder etwas einer Person Ähnliches […]. […] als Person ist er zugleich ein allumfassendes, alles durchdringendes, lebensspendendes überpersönliches Prinzip.« 234 Ehlen 2009, 185, in Bezug auf RM, 232 f. [Stellenangabe korrigiert, D. St.]. 235 Ehlen 2009, 185. 232 233
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Religiöse Erfahrung
D. h. aber andererseits, dass die metaphysische Erfahrung und ihr metaphysischer Gottesbegriff nicht etwas komplett anderes gegenüber der religiösen Erfahrung darstellen. Vielmehr wird ein und dieselbe Erfahrung von zwei Seiten betrachtet. Wie Frank schreibt, »besteht ein wesentlicher Unterschied im Grade der Konkretheit, aber keine Gegensätzlichkeit, die auf Unvereinbarkeit ihrer Merkmale beruhte.« 236 Die genuine und einzig vollkommen adäquate Erfahrung in Bezug auf den Gottesbegriff bleibt zwar die individuelle Begegnung, in der allein Gott seinen Namen erhält und als solcher für mich in der »konkrete[n] Fülle der ungeteilten und unverschmolzenen Zwei-Einheit ›Gott-und-ich‹« 237 da ist, indem diese Begegnung als reales Ereignis geschieht. Demgegenüber ist die metaphysische Darstellung dieser Erfahrung immer etwas Nachträgliches. 238 Mit der ontologischen Dimension des konkreten Ereignisses thematisiert Letztere aber etwas überzeitlich-allgemein Gültiges, ohne das die Begegnung im Konkreten nicht möglich gewesen wäre. Darüber hinaus bietet sie dergestalt in ihrer Allgemeinheit das Fundament einer vernünftigen Mitteilung der konkreten Erfahrung. Ohne den allgemein ontologischen Aspekt hätte die religiöse Erfahrung schlicht keine Relevanz, die über ein subjektives Phänomen hinausginge – und selbst als solches wäre sie niemandem verständlich artikulierbar, wenn die Erfahrung nicht doch an irgendeinem Punkt das gemeinsame Sein beträfe. Freilich muss, was für die eine Person eine tiefe religiöse Erfahrung ist, im konkreten Erleben einer anderen Person nicht zwangsläufig auf dieselbe Weise erfahren werden. Was für den einen schon eine Gotteserfahrung darstellt, weil es in seinem individuell-konkreten Erleben einer personalen Begegnung des letzten Seinsgrundes entspricht, ist für jemand anderen in seinem Erleben vielleicht nur eine Seinsoffenbarung oder Werterfahrung. Wo das individuelle Erleben nicht bis zu einer personalen Gottesbegegnung in ihrem Vollsinne vordringt, sondern im Lebendigen Wissen der absoluten Realität (oder in der Erfahrung von Schönheit, Sittlichkeit usw.) verweilt, 236 LW, 304. Vgl. auch RM, 232: »Die religiöse Erfahrung hat eine Seite, in der sie mit der metaphysischen Erfahrung zusammenfällt.« 237 DU, 364. Siehe zur »ungeteilten und unverschmolzenen Zwei-Einheit ›Gott-undich‹« ausführlich den nächsten Abschnitt V, 3. 238 In Bezug auf den »ontologischen Beweis« sagt Frank entsprechend: »Er ist nichts anderes als die rationale Erklärung der spezifischen Gewißheit der religiösen Erfahrung« (LW, 314).
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
ist jedoch nicht etwas völlig anderes erreicht. So bietet etwa nach Frank die »allumfassend[e] Realitätserfahrung« gleichsam einen allgemeinen Boden, auf dem man nur »tiefer voranschreiten« muss, »um die Möglichkeit zu erhalten, die Gottesidee philosophisch zu durchdenken«. 239 In diesem Durchdenken muss man sich allerdings der »unvermeidlichen Beschränkung« bewusst sein, dass »die Heiligen und Mystiker [in der Gotteserkenntnis] […] immer weiser sein [werden] als der tiefsinnigste Philosoph, weil nur sie allein in der Lage sind, ihren Gegenstand in all seiner konkreten Fülle zu erfassen – nicht nur seine allgemeine Natur, sondern auch das individuell-persönliche Element in ihm, das dem philosophischen Denken nicht zugänglich ist.« 240
Dies gilt als Mahnung für jeden Theologen, gleich ob er religiös oder philosophisch von Gott zu sprechen beabsichtigt. Er »muß sich«, wie Ehlen die Worte Franks interpretiert, stets »bewußt sein, daß die eigentliche Quelle, aus der er schöpft, das verstehende Erleben des Herzens ist, soll seine wissenschaftliche Dogmatik nicht zur toten Konstruktion erstarren.« 241 Eingedenk dieser Beschränkung – ganz im Sinne der docta ignorantia, die um die Beschränktheit jedes abstrakten Begriffes in transzendental begründeter Weise weiß und dadurch erst dem philosophischen Verstehen des Seins die nötige Weite des unbedingten Horizonts eröffnet – ist eine philosophische Theologie nach Frank unbeschadet möglich. Mehr noch moniert er nachdrücklich, dass eine »unbedingt[e] Trennung« von Philosophie und Religion beide lediglich in den »Obskurantismus« führt. 242 Das lässt sich folgendermaßen verstehen: Ohne ihren konkreten Letztbezug, der das ganz individuell persönliche Leben des Philosophen nicht nur einschließt, sondern zu seiner unverzichtbaren methodischen Basis hat, entbehrt die Philosophie des einzigen Zugangs zum absoluten Sein – und damit auch der Einheit von Sein und Wissen, d. h. der Wahrheit. 243 Andererseits verliert eine Religiosität unter prinzipiellem Verzicht auf die Philosophie nicht nur ihre spezifisch wissenschaftlich reflektierte Gestalt der Theologie, sondern vielmehr jede über subjektive Stimmungsäußerungen hinausgehen239 240 241 242 243
RM, 232. RM, 233. Ehlen 2009, 185 f. RM, 233. Vgl. Abschnitte III, 5b und c.
250 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Religiöse Erfahrung
de Grundlage vernünftiger Artikulation, einschließlich jedweder gemeinschaftlichen Verständigung. Dadurch würden beispielsweise kirchliche Gemeinschaft, Glaubenstradition und Mission unmöglich. 244 Ein schlechterdings verallgemeinernder Ansatz philosophischer Theologie bliebe nach Frank jedoch gleichfalls unfruchtbar, wenn er versuchte, die unüberschaubare Vielfalt religiöser Erfahrungen in abstrahierender Manier auf einen kleinsten »gemeinsamen Nenner« zu reduzieren. 245 »Bestenfalls« sei auf diese Weise »ein unbestimmter Gegenstand der ›Verehrung‹« als Gottesbegriff zu erlangen, den man mit Rudolf Otto als »das ›Numinose‹« bezeichnen könne. 246 Frank bewertet einen solchen Begriff in seiner »Unbestimmtheit« allerdings als »philosophisch völlig unergiebig.« 247 Gleichermaßen gebietet es nach Frank »die unvoreingenommene Freiheit des Denkens«, der sich ein Philosoph verpflichtet fühlen muss, keinesfalls »die unmittelbare konkrete religiöse Erfahrung durch eine ungeprüft akzeptierte, dogmatische Lehre von Gott zu ersetzen«. 248 Das bedeutet, dass einem Religionsphilosophen nichts anderes übrig bleibt, »als von seiner persönlichen, unmittelbaren religiösen Erfahrung auszugehen.« 249 Die damit verbundene berechtigte Sorge, dass »die subjektiv-individuelle Eigenart dieser Erfahrung zum Wahrheitskriterium« gemacht werden könnte, 250 darf nicht entmutigen. Stattdessen plädiert Frank an dieser Stelle für ein induktives Moment: Der Religionsphilosoph muss »bei den Meistern auf diesem Gebiet, den Heiligen und Mystikern, in die Schule geh[en]«, d. h. auf 244 Ähnlich gegenwärtig etwa Höhn 2007, 196 f., wenn er dem anselmianischen »fides quaerens intellectum« folgend betont, dass Vernünftigkeit ein dem Glauben eigenes Anliegen ausmacht. Dies zeigt sich seines Erachtens schon darin, dass dem jüdischchristlichen Hauptgebot gemäß Mk 12,30 und Dtn 6,5 eben auch die Forderung entspricht, dass »im Denken und mit dem Denken […] Gott die Ehre gegeben werden [soll].« (Ebd., 197) Gegenüber religiöser Isolation kann er mit harschen Worten nur warnen: »Wer den Schwierigkeiten vernunftgemäßer Rede von Gott ausweicht, ist entweder naiv oder arrogant. An beidem kann der Glaube nur Schaden nehmen – an einer frommen Einfältigkeit, die Denkfaulheit mit Gottesfurcht verwechselt, und an einer überheblichen Selbstzufriedenheit, die Gedankenlosigkeit mit Glaubensgewissheit verwechselt.« (Ebd., 202) 245 RM, 234. 246 Ebd. 247 Ebd. 248 Ebd. 249 RM, 235. 250 Ebd.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
dem Wege des Vergleichs der eigenen religiösen Erfahrung mit den Erfahrungen der religiösen Tradition »ein gewisses religiöses Gespür oder einen religiösen Geschmack entwickeln.« 251 Dies schütze zwar niemals vollkommen vor der stets und in jedem empirischen Wissensbereich gegebenen »Gefahr der Einseitigkeit und Beschränktheit unserer Erfahrung«; solange man sich aber »keine erschöpfende Vollständigkeit anmaßt«, hindert es »weder ein ehrliches Streben nach objektiver Wahrheit, noch die Möglichkeit einer wirklichen Annäherung an sie.« 252 Es ist allerdings anzumerken, dass das induktiv-approximative Moment lediglich die nachträgliche Explikation der religiösen Erfahrung in metaphysisch-theologischen Begriffen bzw. das »Denken über Gott« betrifft, 253 nicht jedoch den Gewissheitscharakter der individuellen religiösen Erfahrung selber. Diese sei wie das Lebendige Wissen »sowohl frei als auch irrtumslos«. 254 Denn wie das Lebendige Wissen seine unmittelbare Gewissheit im Vollzugsmoment des eigenen Seinserlebens hat, ist die religiöse Erfahrung als lebendige Begegnung ebenfalls ein aktives In-Beziehung-Stehen. Ein Irrtum (über das aktuelle Bestehen der Erfahrung, nicht aber über die begriffliche Interpretation) schließt sich somit performativ selbst aus, weil das Faktum des eigenen Seins bzw. In-Beziehung-Stehens unhintergehbar ist. Während dabei die Unbedingtheit des Unmittelbaren Selbstseins in seiner Kontingenz jedoch als bedingte Unbedingtheit erfahren wird, stellt die lebendige Beziehung der religiösen Erfahrung gerade dazu eine Vertiefung dar. Die Abhängigkeit des eigenen Transzendierens wird in dessen Verwiesenheit auf den personalen Urgrund erlebt. Sie offenbart sich in der individuell-konkreten, lebendigen Wechselbeziehung der religiösen Erfahrung schließlich als aktiv gemeinschaftliche Teilhabe am Personalität erst konstituierenden (überpersonalen) Seinsgrund. Von erkenntnistheoretischer Seite zeigt sich so eine Ähnlichkeit, die sich auch weitergehend bestätigt: Die im Lebendigen Wissen erlebte Realität geht jedem Erkenntnisprozess als dessen Vollzugsgrundlage voraus, sodass sie gegenüber jeder möglichen Bestimmung doch stets das wesentlich transdefinit Unergründliche bleibt. Nur im 251 252 253 254
Ebd. Ebd. Ehlen 2009, 194. Ebd.
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Religiöse Erfahrung
transzendentalen Denken und durch analoge Redeweise bzw. Konkrete Beschreibung kann sie eingedenk der bleibenden Ungemäßheit (docta ignorantia) zur Sprache gebracht werden. Wie bereits das performative Moment der Gewissheit in der lebendigen Beziehung der religiösen Erfahrung eine radikale Intensivierung erfährt, geht Frank auch betreffend der Bestimmbarkeit weiter. In Bezug auf Gott ist auch eine Konkrete Beschreibung nicht möglich, weil er sich nur in der individuell-konkreten Gegenwärtigkeit der Beziehungseinheit als ›Gott‹ entdeckt. Jede Allgemeinbestimmung – auch die Analogie – redet über ihn in der dritten Person. Auch wenn die Ungemäßheit jedes vergegenständlichenden Abstraktionsbegriffes bewußt ist, kann doch in jeder Beschreibung in der dritten Person nur der allgemeine, d. h. metaphysische Charakter des Gottesbegriffes dargestellt werden. So bleibt er die ›Gottheit‹, aber nicht jener mir von jeher zugewandte, im einzigartigen und lebendigen Verhältnis zu mir stehende Urgrund, der den Namen ›Gott‹ im wechselseitgen Anspruchs-Verhältnis erhält. Für Frank läuft die Dritte-Person-Perspektive mit der Begrifflichen Erkenntnis nicht nur Gefahr, in der Kategorie der Objekte zu verharren und dadurch im Abstraktionsprozess die Entitäten ihrer transzendierenden Eigenheit, d. h. Lebendigkeit (als intern relational in je unterschiedlichem Maße aktiv-dynamisch Seiende), zu berauben. Mit der Verkürzung auf extern relationale Objekte wird auch jedes aktiv personale Verhältnis veräußerlicht – und dadurch die personale Beziehungsganzheit mithin in ihrer Unbedingtheit aufgelöst. 255 Die Dritte-Person-Perspektive ist für Frank deshalb in Bezug auf Personen eine Kategorie des Abwesenden. Da das sächliche Reden ›über‹ eine Person in ihrer Anwesenheit ihren personalen Anspruch missachtet, und sie so auf einen Gegenstand reduziert, kann man ›über‹ eine Person nur in ihrer Abwesenheit reden. 256 In Bezug auf Gott komme dies aber einem »Zeugnis des Unglaubens« gleich, da es die »Realität Gottes in seiner Allgegenwart« leugnet. 257 Dies betrifft mitsamt der Realität schon seine ›Gottheit‹ – mehr noch aber sein (über-)personales Wesen als »Gott-mit-mir«, das nicht außerhalb dieser Beziehung, und somit niemals im Modus der Abwesen255 Es wäre dann gleichsam nur ein Nebeneinander von Elementen, denen eine Relation beigefügt würde, welche wiederum als Element neben den Elementen betrachtet werden müsste ad infinitum, wodurch die ontologisch genuine Ganzheit der Beziehung zerstört wäre (vgl. GdW, 281 f.). 256 Vgl. DU, 365, und MuiG, 75. 257 MuiG, 75; vgl. DU, 365.
253 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
heit, zu finden ist. 258 So kann Frank für die Artikulation der spezifisch religiösen Erfahrung nur resümieren: »Die einzig wahre religiöse Sprache ist die Sprache des Gebets, das sich an Gott selbst wendet.« 259 Nach Frank verbietet dieser Umstand nicht die »nachträglich[e] […] Reflexion« einer »philosophische[n] Betrachtung«, »bei welcher der Gebrauch der dritten Personalform unvermeidlich ist.« 260 Es geht nicht um grammatikalischen Rigorismus. Aber, um den theologischen »Sinn der Aussage« nicht zu gefährden, muss bei der reflexivexplikativen Darstellung die unablässige Beziehung zu Gott »in unserer Seele als Grundlage all unseres Nachdenkens über ihn lebendig bleiben.« 261 Sie ist deswegen eingehender zu betrachten.
3.
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
Das dargestellte Verständnis der religiösen Erfahrung als immanentes Erleben der Begegnung mit Gott wurde über die Analyse der Glaubens-, Vernunft-, und Erfahrungsbegriffe vor einem wichtigen Missverständnis bewahrt: Gott ist keine transzendente Entität im abstrakten Sinne – d. h., er ist weder Objekt des Denkens (V1) noch Gegenstand der Erfahrung (E1), weiter aber auch nicht ein hypothetischer Glaubensinhalt (G1). Demgegenüber wurden alle drei Begriffe auf ihre übergegenständliche Bedeutung hin vertieft. Weil Gott die absolut jede Begrenzung prinzipiell übersteigende Wirklichkeit ist, kann der Unterschied zwischen ›Immanenz‹ und ›Transzendenz‹ nicht auf ihn – im Sinne einer begrifflichen Bestimmung von etwas gegenüber etwas anderem – angewendet werden. Denn als letzter Grund von allem, was ist und sein kann, steht ihm schlechthin nichts gegenüber (und eine Substantivierung dieses ›nichts‹ verbietet sich in Bezug auf die absolute Realität wie wir in Abschnitt III, 2b gesehen haben, weil ›Nichts‹ schlechthin unmöglich ›ist‹). Die Redeweise von ›Immanenz‹ und ›Transzendenz‹ erhält in Bezug auf Gott deshalb einen anderen – analogen – Sinn: 262 Obwohl er als absoluter Grund allen Seins jedem Seienden zutiefst immanent ist, bleibt er doch in Vgl. DU, 364, MuiG, 76, und LW, 281. MuiG, 76. 260 DU, 365. 261 DU, 366. 262 In diesem Sinne »widerspricht die Transzendenz Gottes nicht seiner Immanenz« (MuiG, 58). 258 259
254 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
seiner alles Endliche übersteigenden Absolutheit allem gegenüber transzendent. Dies darf nun nicht im Sinne eines ›Klammer-Verhältnisses‹ verstanden werden, nach welchem Gott die Seienden quantitativ ›umfasst‹. Er ›enthält‹ sie nicht lediglich als bestimmte, nebeneinanderliegende, einzelne Elemente in sich, als ob er nur teilweise mit bestimmten Aspekten seiner Göttlichkeit in ihnen unterschiedlich gegenwärtig wäre. Hingegen sind dem Kerngedanken der cusanischen Koinzidenzlehre entsprechend (vgl. Abschnitt III, 3d) ›Immanenz‹ und ›Transzendenz‹ in Bezug auf den letzten Grund nicht auseinanderdividierbar. Als erkenntnistheoretisch letzter Punkt vor jeder begrifflichen Unterscheidung ist Gott in seiner letzten Radikalität (im Sinne von Wurzelhaftigkeit) dem Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs vorgeordnet. Diese Einsicht kann nur antinomisch ausgedrückt werden: Als absolut transzendente Realität ist Gott zugleich absolut immanent gegenwärtig. Ontologisch gewendet bedeutet das, er verleiht den einzelnen Seienden seine eigene jede Begrenzung überschreitende Realität gerade dadurch, dass er in ihnen als unverfügbarer Grund des Transzendierens gegenwärtig ist. So lässt er das Seiende als »das Grenzenlose in der konkreten Form des Begrenzten« 263 sein. In der Teilhabe am ganzen Wesen des Absoluten – als das Transdefinite bzw. Unergründliche – ist das endlich Seiende dergestalt nicht nur ein Stück von ihm. Die absolute Realität ist wie gezeigt prinzipiell grenzenlose, personale Beziehungseinheit. In der Teilhabe an dieser Realität ist das Unmittelbare Selbstsein des Endlichen also selbst diese Realität – allerdings auf die Weise des Begrenzten, weshalb es das absolute »Sein« in seiner Endlichkeit nur als Transzendieren »in Form des Strebens zum Sein« 264 vollzieht. Schließlich zeigt sich ausgehend vom Lebendigen Wissen der Person die religiöse Erfahrung als individuell-konkretes Beziehungsgeschehen des unbedingten Seinsgrundes zur je einzelnen Person: ›Gott‹ im vollen Sinne steht von jeher in einer – genauer der engsten, nämlich der alles positiv Konkrete umfassenden – Begründungsbeziehung zur individuellen Person. Dadurch wird ersichtlich, dass die epistemologische Seite der religiösen Erfahrung nicht von der ontologischen getrennt werden kann. Der Sinn der religiösen Erfahrung
263 264
DU, 204. DU, 213.
255 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
ist kein äußerliches Erkenntnisverhältnis, sondern ein internes – das tiefste – Seinsverhältnis. 265 Nur im Erleben des unbedingten Urgrundes zeigt sich unmittelbar, was das je individuell-konkrete menschliche Sein in seiner positiven Fülle als Person begründet. Nachträglich auf dieser Grundlage – in reflexiv-explikativer Weise – lässt sich zur metaphysischen Darstellung dafür transzendental (die Ausführungen von Abschnitt IV aufgreifend) das Folgende rekapitulieren: Das Unmittelbare Selbstsein als bedingt unbedingte Seinsweise des Transzendierens in seiner Doppelstruktur – nach innen zum geistigen Tiefengrund der eigenen Personalität und nach außen in die personale Gemeinschaftsbeziehung des prinzipiell grenzenlosen Wir – kann nur in etwas gründen, das nicht weniger ist als es selbst. Der Urgrund muss als »transzendentale Möglichkeitsbedingung der Seinsform des Du selber« folglich eine Art »Ur-Du« darstellen, worunter Frank, »das ursprünglich originäre Vorbild oder die ›Idee‹ (im platonischen Sinne) jedes einzelnen Du – ein Vorbild, ohne das kein konkretes Du möglich wäre«, versteht. 266 Das heißt aber, dass der Urgrund selber keinesfalls dinghaft, bloß durch eine externe Relation verbunden, dem Begründeten gegenüberstehen kann. Hingegen muss er nach frankscher Denkart als Urgrund des Transzendierens mit dem Begründeten intern verbunden sein. So lässt sich die Begründungsbeziehung nicht vom Urgrund trennen. Hingegen kann angemessener gesagt werden, dass der Urgrund in Hinsicht auf das Begründete die aktive Begründungsbeziehung ist. Sein Zusammenhang mit dem Begründeten besteht für Letzteres in der unveräußerlichen und fortwährenden Seinsbegründung, ohne die es gar nicht sein könnte. Dennoch ist die Begründungsbeziehung radikal asymmetrisch, weil das Begründete sich dem Urgrund seinsmäßig vollständig verdankt. Der ontotheologische Straßengraben eines univoken Kausalverständnisses ist unbedingt zu vermeiden. Die Begründungsbeziehung zum metaphysischen Urgrund lässt hingegen nur einen analogen Rückschluss im Sinne des metaphysischen Kausalitätsprinzips zu (siehe Abschnitt V, 1c). Obwohl es deswegen nicht gestattet ist, Gott in rationaler Weise als ›Grund‹ einer logischen ›Grund-Folge‹-Beziehung zu bestimmen, wäre es gleichermaßen inadäquat seine transrationale ἐπέκεινα265 266
Vgl. RM, 296. DU, 367.
256 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
Struktur als (rationalen) Gegensatz zum Kausalverständnis aufzufassen. Die Intention ist vielmehr die Vertiefung dieses Verständnisses hin auf eine jegliche Endlichkeit grundlegend übersteigende Unbedingtheit. Dies wäre mit einer bloßen Enthobenheit gegenüber dem Bedingten verfehlt. Nach Frank ist es deshalb nicht allein der Beschränktheit menschlichen Erkenntnisvermögens geschuldet, dass »[d]ie Erkenntnis eines isolierten, in sich selbst seienden Wesens Gottes« 267 unmöglich ist. Vielmehr widerspreche es prinzipiell »seiner Überrationalität, d. h. der wahren Fülle seines Wesens«, 268 wenn man versuchen wollte, Gott schlechthin unabhängig von seiner Schöpfung zu denken. Er wäre dann beschränkt, weil etwas anderem (der Schöpfung) gegenübergestellt gedacht. Will man andererseits nicht in einen Seinsmonismus verfallen (dazu mehr unter Abschnitt V, 4) ist gleichermaßen die Reduktion auf die Schöpfung (oder der Schöpfung auf Gott) zu vermeiden. Frank erinnert eindringlich daran, dass bei aller grundhaften Immanenz Gott doch gerade als jenes »Prinzip, das dem Menschen fehlt, d. h. das ihm transzendent ist«, erfahren wird und dass »[o]hne dieses Bewußtsein der Transzendenz […] die Idee Gottes selbst undenkbar« ist. 269 Nach Frank darf nie vergessen werden, dass eine »abstrakte Unterscheidung« zwischen Immanenz und Transzendenz dem »wahrhaften, überrationalen Wesen [Gottes] unangemessen« ist. 270 Er formuliert deshalb in antinomischer Sagweise, dass Gott einerseits »grundsätzlich verschieden von allem anderen ist« und andererseits als dessen schöpferischer Grund doch »zugleich« sein »Wesen in der Gesamtheit [seiner] Beziehungen zu allem anderen hat, weshalb dieses Andere irgendwie auch zu ih[m] gehört.« 271 Gott kann als »Quelle und Zentrum der Realität« der geschaffenen Realität nicht einfach gegenübergestellt werden, sondern muss als allgegenwärtiger Grund gedacht werden, der auch die Realität jedes Einzelwesens »durchdringt«. 272 Wir sahen schon im transzendentalphänomenologischen Aufweis Franks, dass, soweit etwas an der Realität teilhat, in ihm auch 267 268 269 270 271 272
RM, 255. Ebd. RM, 260. Ebd. RM, 255. RM, 260.
257 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
das ursprüngliche Prinzip der Realität immanent gegenwärtig ist. Diese Einsicht kann in Bezug auf Gott vertiefend weitergeführt werden. Konkret ist die Begründungsbeziehung für jeden Einzelnen nur im je eigenen Sein erlebbar – aber dabei unverbrüchlich immanent als je mein individueller Seinsgrund. In der religiösen Erfahrung ist dann die »Begegnung« mit Gott für Frank »die Entdeckung meiner ursprünglichen unzertrennlichen Verbundenheit mit ihm.« 273 Weil bezüglich Gott aber in Hinsicht auf die Transrationalität der Realität gilt, dass er »immer auch ›das andere und mehr als er selbst‹« 274 ist, schließt die immanente Verbindung die Transzendenz nicht aus. Für das Verständnis ist unbedingt der personale Charakter der Ontologie Franks zu bedenken. Bei ihm ist ›Sein‹ bzw. ›Realität‹ nicht statisch zu verstehen, sondern bedeutet wesentlich ›Transzendieren‹. Sieht man weiter, dass dieses nicht einen ungerichteten Fortschritt oder eine lineare Prozesshaftigkeit meint, sondern ›Transzendieren‹ eigentlich erst in der ›Bezogenheit auf Anderes‹, ja auf einen ebenfalls auf mich hin transzendierenden ›Anderen‹, vollends zu sich selbst gelangt – als Personalität konstituierende interpersonale Begegnung –, dann wird verständlich, wieso die ›immanente Verbindung‹ die ›Transzendenz‹ nicht ausschließt, sondern sogar voraussetzt: Die interne Relation der Seienden zueinander stellt für Frank ein aktives Vollzugsgeschehen des Transzendierens dar, das wesentlich (je nach Teilhabe in unterschiedlichem Maße) ein irreduzibles personales Begegnungsgeschehen ist. Man kann es an dieser Stelle nicht ausdrücklich genug festhalten: ›Sein‹ ist ein immanentes Begegnungsgeschehen. D. h. interpersonale Bezogenheit macht für Frank die »Urweise des Seins« aus, in welcher die »innere[e] Struktur der Realität als solcher« gerade als »Einheit von Sonderung und gegenseitiger Durchdringung« erscheint. 275 ›Zu sein‹ heißt in diesem Sinne, »daß das Eine immer für das Andere, im Anderen – über sich selbst hinaustretend – existiert, sich nur behauptet, indem es sich selbst um eines anderen Willen verläßt.« 276 Den höchsten Gipfel des Transzendierens sieht Frank demgemäß »im Phänomen der Liebe offenbart«. 277 Es bedeute weder Besitz noch
273 274 275 276 277
RM, 261. RM, 260. DU, 249. DU, 250. DU, 255.
258 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
restloses Aufgehen im Anderen, sondern die tief innerliche Verbundenheit mit dem Anderen als Anderem. Das interpersonale Beziehungsverhältnis der Liebe (das freilich empirisch stets in unterschiedlichem Grade verwirklicht wird) lässt sich schlechterdings nicht restlos begrifflich als logisches Verhältnis »zwischen dem ›einen‹ und dem ›anderen‹« auflösen, sondern bringt nach Frank »konkret und lebendig das Zusammenfallen der Gegensätze, die coincidentia oppositorum, in ihrem tiefsten Wesen – das Grundprinzip der Realität als ihr antinomi[s]cher Monodualismus« 278 zum Ausdruck. In an Hegel erinnernder Terminologie schreibt Frank, es sei das »Für-denAnderen und Im-Anderen-sein dessen, was wesensmäßig ein Anund-für-sich-sein ist.« 279 Demgemäß sind schließlich weder die Immanenz noch die Transzendenz Gottes als (räumlich und/oder zeitlich) punktuelle An-/Abwesenheit misszuverstehen. Das eigene personale Sein ist vielmehr jederzeit auf die fortwährende Begründung durch den Urgrund angewiesen. Es besteht nur auf Grund der Teilhabe an dem fundamentalen Beziehungsgeschehen Gottes zu mir, aus dem heraus ich mich überhaupt erst als Person in der Doppelstruktur des Transzendierens empfangen und entwickeln kann. 280 Nur weil Gott in mir, in der letzten Tiefe des eigenen Seins, der ganz Andere ist, d. h., nur weil seine absolute Transzendenz mir radikal immanent ist – und zwar als absolut höchste Form interner Relationalität –, wird mein eigenes Selbstsein konstituiert, indem es »Mit-Gott-Sein« bzw. »Für-Gott-Sein« ist. 281 Auf diese Weise wird die »metaphysische Einzigkeit meines Seins« 282 von Frank zugleich in Gott ›aufgehoben‹ (im hegelschen Sinne). D. h. dass sie als bedingte, aber nichtsdestoweniger echte ›Einzigkeit‹ doch nur von Gott her und in tiefster Relation zu ihm ›sein‹ (i. S. v. sich vollziehen) kann. Sie »ist« nach Frank demgemäß »nichts anderes als meine unzerbrüchlich feste ›Zweisamkeit‹« mit Gott, die als solche aber nie äußerlich zu verstehen ist, sondern nur als intimste aktive »Zwei-Einheit«. 283 Folglich ist trotz des asymmetrischen (nicht in rational-begriff278 279 280 281 282 283
Ebd. Ebd. Vgl. DU, 368 f. DU, 369. DU, 370. Ebd.
259 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
licher Weise fehlzudeutenden) Begründungsverhältnisses eine ganz primäre Verbundenheit zwischen Gott und Mensch festzuhalten. Weder eine abstrakte Einheit (im Sinne eines kompletten Ineinanderaufgehens) noch eine abstrakte Zweiheit (im Sinne einer trennenden Gegenüberstellung) können ihr entsprechen. Ehlen erklärt es im Blick auf ihr »transzendentales Verhältnis« so, dass »die Immanenz Gottes im Menschen es nicht erlaubt, Gott und Mensch als Realitäten zu denken, deren Verschiedenheit logisch ihrer wechselseitigen Beziehung vorgeordnet wäre.« 284 Für ihn erweisen sich ›Gott‹ und ›Mensch‹ bei Frank deshalb als »ineinander verschränkte Begriffe«. 285 In Bezug auf den Begriff des Menschen mache dies Frank anhand von »geschichtlich wirksam gewordenen Tendenzen« deutlich, die nicht als exakte »Auffassung historischer Personen« eingestuft werden sollen, sondern lediglich einer typologisierenden Explanation dienen. 286 Einerseits wird etwa die »Transzendenz« Gottes als »unbedingte Verschiedenheit und Trennung« 287 vom Menschen überbetont, sodass sich ein Begriff des Menschen im Sinne einer »völligen Nichtigkeit […] vor dem Angesicht Gottes« ergibt. 288 Frank nennt diese Tendenz »Augustinismus« und unterscheidet sie vom »Pelagianismus«, welcher nach Frank geschichtlich die »erst[e] Äußerung des späteren Moments der Selbstbehauptung des Menschen als einer selbständigen positiven Seinsinstanz« bedeutet. 289 Der »Pelagianismus« münde letztlich in einen »areligiösen Humanismus«, welchen Frank als gegenläufiges Extrem zum »Augustinismus« darstellt. Während der Mensch im »Augustinismus« gegenüber der Absolutheit Gottes jeglichen positiven Eigenstand verliert, wird im »areligiösen und antireligiösen Humanismus« als »Reaktion gegen die […] Einseitigkeit« des »Augustinismus« nicht Gott, sondern der Mensch verabsolutiert. 290 Beide Extreme verfehlen Frank zufolge jedoch das eigentlich menschliche Wesen in katastrophaler Weise. Völlig bar jeder »positi[v] wirksamen und schöpferischen Realität« ist der Mensch aus der augustinistischen Tendenz heraus auf einen bloßen »Sklave[n] der 284 285 286 287 288 289 290
Ehlen 2009, 242. Ebd. Ebd. RM, 266 Fn. 2. RM, 268. RM, 269. RM, 275.
260 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
Natur« reduziert, der zu keiner »sittlichen und geistigen Aktivität« mehr fähig doch eher »etwas Vermeintlichem, Illusorischem« gleicht, wodurch sich gleichsam die »Negation des eigentlich menschlichen Prinzips im Menschen« ergibt. 291 Was hindert dann noch, den Menschen als bloß fehlerhafte Marionette des göttlichen Wirkens zu verstehen? Die Tierwelt erschiene so gegenüber dem Menschen gar als gelungenere Schöpfung, da sie von einem sündigen Willen frei ist. 292 Auf diese Weise tendiert die Ansicht des »Augustinismus« zu einer »Minderung und beinahe völlige[n] Vernichtung des Seins des Menschen«. 293 Es nimmt nicht wunder, dass gegen eine solche Auffassung des Gott-Mensch-Verhältnisses rebelliert und ein positives Menschenbild gesucht wurde. Wenngleich das Problem der Überbetonung der Absolutheit Gottes in der Gegenüberstellung zum Menschen durchaus erkannt wurde, ist die daraus gezogene Konsequenz des »aregliösen Humanismus« nach Frank jedoch ebenso verfehlt. In abstrakter Negation werde einfachhin die Realität eines den Menschen überragenden Absoluten rundheraus abgelehnt. So stellt der »areligiöse Humanismus« die dem »Augustinismus« konträr entgegensetzte Position dar, welche zur »Minderung und Vernichtung der ontologischen Bedeutung des Seins Gottes« 294 führt. Die Idee eines Absoluten wird zur bloßen Einbildung des Menschen erklärt. Berauscht von der Hochschätzung menschlicher Vernunftfähigkeit glaubt man stattdessen an einen unablässigen Fortschritt durch Aufklärung. Befreit vom negativen Menschenbild der augustinistischen Tendenz (gleichgesetzt mit einer Befreiung vom Gottesglauben) soll das an sich gute Wesen des Menschen von selbst zutage treten. Mit dieser Absage an alle über sein menschliches Wesen hinausgehenden Prinzipien wird jedoch das Ethische laut Frank nicht schlechthin geleugnet. Hingegen wähnt der »areligiöse Humanismus« gleichsam eine natürliche Sittlichkeit als logische Folge. Er meint, das Gute in der menschlichen Natur selbst finden zu können. »Während er die Moral verwirft, sanktioniert, heiligt und vergöttlicht er zugleich irgendein natürliches Element des menschlichen Seins. Er ist kein reiner, zynischer Unglaube, sondern, im Gegenteil, 291 292 293 294
RM, 287. Vgl. RM, 332. RM, 289. Ebd.
261 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
ein leidenschaftlicher und inspirierter Glaube: Ein unwillkürlicher Beweis dessen, daß das religiöse Moment – das Motiv der Verehrung eines absoluten Wertes – eine unveräußerliche Eigenschaft der Menschennatur als solcher ist.« 295
An Nietzsche anknüpfend beschreibt Frank es so, dass der höchste Ausdruck des positiven menschlichen Wesens gegenüber dem vom Gottesglauben geknechteten Zustand »eines nichtswürdige[n] und verächtliche[n] Wesens« unter Verzicht auf außermenschliche Wertmaßstäbe nur im »Übermenschen« gesucht werden kann. 296 Weil aber im Menschen als bloßem Naturwesen kein wirklich unbedingter »Maßstab« zu finden ist, »bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Übermenschen einfach als ein Wesen von einer höheren biologischen Rasse anzunehmen.« 297 Der so gewonnene »Maßstab« des Menschen trägt seine »Kennzeichen« schließlich bloß im rein Natürlichen, d. i. »ein größtmöglicher Glaube an sich selbst, Macht, Eigenwilligkeit, Kühnheit, Herrschsucht.« 298 Nach Frank bedeutet das nichts anderes als eine verhängnisvolle »Selbstvergottung des Menschen«. 299 Wohin dies führt, könne man von der Französischen Revolution über den Marxismus bis hin zum Nationalsozialismus an der Geschichte ablesen. In diesem Zuge ist laut Frank nicht allein die »ungebändigte tierische Natur« des Menschen deutlich geworden, auf welche der »Augustinismus« den Menschen reduziert; mehr noch offenbaren sich die im Menschen »verborgenen dämonischen Kräfte des Sadismus und der Verleugnung der elementarsten Prinzipien der Sittlichkeit«. 300 Anstatt mit der restlosen Loslösung von Gott den Menschen aus der Nichtigkeit zu seinem positiven Wesen zu erheben, führt eine solche »Vergottung« des Menschen schließlich nicht zu einem »vergöttlichten, erhellten, höheren Wesen, sondern zum Bestialismus.« 301 D. h. anstatt sich vom sündigen Tier zum erhabenen Menschen zu erheben, wird der Mensch zum grausamen Untier. Für Frank erweist sich an diesen geschichtlichen Tendenzen beispielhaft, dass weder ein dualistisches Verhältnis zwischen Mensch und Gott (»Augustinismus«) noch ein eliminatives (»areligiöser Hu295 296 297 298 299 300 301
RM, 278. RM, 281. Ebd. RM, 281 f. RM, 288. RM, 277. RM, 282.
262 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
manismus«) das Wesen des Menschen erfassen können. Hingegen bedarf es einer »harmonisch ausgewogene[n] Verbindung der Momente von Transzendenz und Immanenz im Verhältnis zwischen Gott und Mensch«, 302 wie er sie im »christlichen Humanismus« bei Nikolaus von Kues findet. 303 Bei diesem seien beide Begriffe nicht auf Kosten des jeweils anderen einander einfach entgegengestellt worden, sondern Cusanus habe das antinomische Verhältnis über die Lehre von der coincidentia oppositorum deutlich als eine »ungeteilte aber auch nicht vermischte Zweieinheit von Schöpfer und Schöpfung« 304 erkannt. Auf diese Weise gelangt er laut Frank zu »einer positiven religiösen Bewertung des Menschen als Abbild und Kind Gottes, als Teilhaber und Träger eines göttlichen Prinzips in der geschöpflichen Welt«, d. h. zur »christlichen Idee der Gottmenschlichkeit«, 305 welche auch für Frank leitend ist. Frank begründet den »antinomische[n] Charakter« des GottMensch-Verhältnisses noch einmal im Rückblick, indem er aufzeigt, dass man eine »Verbindung« von zweien nur dann »widerspruchsfrei denken« könne, »wenn ihre konstitutiven Elemente Begriffe von zwei voneinander unabhängigen, eigenständigen Realitäten wären, d. h. Begriffe, in deren Bestimmung ihr Verhältnis zueinander nicht einginge.« 306 Dies sei beispielsweise bei der chemischen Analyse von Wasser als ›H2O‹ der Fall, nicht aber bei den Begriffen ›Gott‹ und ›Mensch‹. Frank schreibt:
RM, 268. RM, 274. 304 RM, 275. 305 RM, 274. Frank stellt den Begriff der »Gottmenschlichkeit« durchaus in Bezug zur Person Jesu Christi und betont, dass es sich bei diesem um »eine wunderbare, einzigartige, faktisch unwiederholbare Person« (RM, 290) handelt wie auch dass ein »unermeßliche[r] Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Durchschnittsmenschen und der Person des ›Gottmenschen‹ Jesus Christus« (RM, 291) zugestanden werden muss. Dies sei jedoch kein Hindernis, »eine allgemeine ›Gottmenschlichkeit‹ des menschlichen Wesens als solchen, nämlich die potentielle Anwesenheit eines göttlichen Prinzips« (ebd.) anzunehmen. Im Gegenteil könne auf diese Weise für die Inkarnation Christi im Menschen Jesus von Nazareth eine »allgemeine metaphysische Perspektive« aufgezeigt werden, durch welche die »göttliche Inkarnation – ohne aufzuhören, ein Wunder zu sein – ihren willkürlichen Charakter verliert und mit dem allgemeinen Verständnis des Lebens und Wesens des Menschen übereinstimmt.« (Ebd.) Für den Begriff selbst bezieht sich Frank an dieser Stelle auch auf Wladimir Solowjow. Vgl. zum Begriff und den Quellen Franks auch Ehlen 2009, 244–246. 306 RM, 283. 302 303
263 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
»Bereits im Begriff des Menschen als solchen – des Menschen als eines Wesens, das sich von Gott unterscheidet – ist sein Verhältnis zu Gott als konstituierendes Prinzip enthalten. Und andererseits ist die Idee Gottes selbst unzertrennlich mit der Idee des Menschen, mit der Erfahrungswahrnehmung der menschlichen Person verbunden.« 307
Dass man die Begriffe gemeinhin nebeneinander stelle und als zwei getrennte und für sich bestehende Entitäten auffasse, liegt nach Frank an einer Verwechslung der »ontologischen Ebenen«: (1) das »sekundär[e] und abgeleitet[e] Verhältnis, das schon die fertigen Begriffe Gott und Mensch voraussetzt« und (2) das »primär[e], transzendental[e] Verhältnis, das diese Begriffe selbst konstituiert.« 308 Obgleich die transzendentalen Überlegungen erst nach und nach zum letzten Urgrund des menschlichen Seins führten und diesen erst am Schluss in der konkret-individuellen Begegnung der religiösen Erfahrung auf den Begriff Gottes brachten, darf also der methodische Gang nicht darüber hinwegtäuschen, dass »die Zweieinheit der Gottmenschlichkeit logisch früher als die Begriffe Gott und Mensch« 309 ist. In bloßer Unabhängigkeit voneinander – was Frank zufolge sowohl in Bezug auf Gott als auch in Bezug auf den Menschen in »nicht realisierbare Abstraktionen« 310 gipfelt – wäre der Mensch entweder ein Nichts oder Untier. Hingegen vertritt Frank die Ansicht, dass sich ›Gott‹ und ›Mensch‹ als Begriffe »gegenseitig bestimmen« 311: Nur dadurch, dass Gott »als transzendent[e] Instanz das immanente Wesen des Menschen ausmacht«, 312 d. h. durch die dem Menschen immanente Beziehung zu Gott, ist das wahrhaft menschliche Wesen als solches konstituiert. Die wahre »Menschlichkeit« ist dementsprechend »nicht das rein Menschliche, sondern eben sein gottmenschliches Wesen«: 313 »Wie der Mensch überhaupt nur Mensch, menschliche Person mit der ganzen ihr eignenden Freiheit und Eigenständigkeit ist, sofern er mehr und anderes ist als nur Mensch, als ein begrenztes, in sich verschlossenes Naturphänomen, so ist er letzten Endes ›Mensch‹ nur, 307 308 309 310 311 312 313
Ebd. Ebd. Ebd. RM, 289. Ebd. Ebd. DU, 412.
264 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
sofern sich in ihm Gottmenschlichkeit und Gottmenschentum realisiert, d. h. sofern er in Gott ist und Gott in sich hat.« 314
Andererseits kann auch die Idee Gottes als (über-)personaler Urgrund sittlicher, ästhetischer, alethologischer und teleologischer Unbedingtheit nicht als solche in der Welt erscheinen, wenn nicht durch jenen über jede Objektive Wirklichkeit hinausreichenden Ausdruck, den sie im »zweieinen Wesen des Menschen« (anknüpfend an die Beschreibung des Seins des Menschen aus Abschnitt IV) erhält. Dieser Ausdruck ist Frank zufolge zwar keine exakte Kopie des Urgrundes, aber auch nicht vollkommen vom ihm verschieden. Der Mensch steht zu Gott zugleich in einer »doppelte[n] Beziehung« 315 von Immanenz und Transzendenz, die sein eigenständiges personales Wesen kennzeichnet. Erst in Hinblick auf diese »zwei Ebenen« 316 der Beziehung werden sowohl das personale Wesen des Menschen als auch Gott deutlich: Einerseits ist der Mensch nach Frank vollständig abhängig von Gott, weil dieser »in der letzten Tiefe […] die einzige positive schöpferische Kraft ist«. 317 Dadurch verliert der Mensch jedoch seinen Eigenstand nicht (wie im »Augustinismus« angenommen), sondern gewinnt allererst die »positive Realität des schöpferischen menschlichen Willens« (welche der »Pelagianismus« behauptet), weil er durch die Schöpfung an Gottes eigenem unbedingten Sein teilhat und so »Träger der von Gott ausgehenden schöpferischen Realität« ist. 318 In der nicht kausal determinierenden, sondern zur Unbedingtheit freisetzenden Beziehung wird das personale Wesen des Menschen auf diese Weise in seiner Verwiesenheit allererst konstituiert, d. h. zur Freiheit befähigt. Zugleich wird Gott als nicht determinierender, sondern seine Unbedingtheit mitteilender Urgrund erkennbar. Er steht dem Menschen nicht bloß als kausaler Schöpfungsgrund gegenüber, sondern wohnt dem menschlichen Wesen bis in seinen letzten Grund der je eigenen, ganz intimen Personalität inne – und das nicht als Fremdkörper, Eindringling oder bedrohende Macht, sondern in tiefster Wesens-Verwandtschaft, welche die Unbedingtheit des Menschen als bedingte Unbedingtheit begründet. 314 315 316 317 318
DU, 413. RM, 293. RM, 299. Ebd. Ebd.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Die unaufhebbare Eigenständigkeit des Menschen als Person rechtfertigt somit nicht, dass der Mensch eine Gott gegenüberstehende und von ihm unabhängig begreifbare ›Substanz‹ ist, sondern sie zeigt im Gegenteil, dass das menschliche »Sein« seine ›Substanzialität‹ dadurch besitzt, dass es »in abgeleiteter Weise die primäre Ursprünglichkeit Gottes spiegelt und ausdrückt.« 319 Sein unbedingtes Prinzip hat der Mensch in dem personalen Kern, der durch die Beziehung zu Gott begründet ist, in sich. Es ist nach Frank als »ungeschaffenes« Moment in der »Tiefenschicht des menschlichen Geistes« 320 zu finden, ohne dass dies die ansonsten geschaffene Natur des Menschen in seiner »eigentümliche[n] Grundlosigkeit« und »Abhängigkeit« auflöste. 321 »Was das Wesen meiner Person gerade als Person ausmacht, das, was ich als Ich im Unterschied zu meinen unwillkürlichen, grundlos in mir entstehenden und verlaufenden Seelenzuständen erkenne, empfinde ich unmittelbar als etwas Ungeschaffenes, nicht als etwas von Gott ›Gemachtes‹, sondern als etwas aus ihm Fließendes und in ihm Verwurzeltes. Natürlich ist mir mein Sein irgendwie ›geschenkt‹ ; es ist nicht eine primäre, absolut-ursprüngliche Realität. Es ist eben meine Verbindung mit Gott, und seine Begründung ist Gott.« 322
In dem Doppelaspekt der Geschöpflichkeit und Ungeschaffenheit sieht Frank das gottmenschliche Wesen des Menschen derart, dass der Mensch ontologisch eine »Zwischenposition zwischen ›Geschöpf‹ und Gott« einnimmt: Der Mensch ist weder »mit Gott identisch« noch ein »Teil von Gott«. 323 Gott schafft vielmehr mit dem Menschen ein »kreatürliches Wesen«, 324 das sich weder restlos selbst überlassen noch schlechthin von Gottes Willen abhängig ist. Hingegen ist Gott als »schöpferisches Prinzip« 325 im Menschen derart gegenwärtig, dass 319 RM, 305. Vgl. auch RM, 303: »Wenn der Mensch offenkundig etwas anderes ist als Gott, dann ist […] die Andersheit selbst hier eine ganz andere als die übliche Kategorie der logischen Differenz. Man könnte, Hegels Terminus gebrauchend, den menschlichen Geist als das Anderssein Gottes bezeichnen. Gottes eigenes Wesen äußert sich in der Gestalt des menschlichen Geistes in einer gänzlich anderen ontologischen Form, sozusagen auf einer anderen, abgeleiteten Ebene des Seins.« 320 RM, 302. 321 RM, 300 f. 322 RM, 301. 323 RM, 302. 324 RM, 304. 325 RM, 310.
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Gottmenschentum – Der Mensch als Ebenbild Gottes
der Mensch ein »übernatürliches Wesen« 326 besitzt, in welchem seine Abstammung vom Schöpfer bezeugt ist. Er ist so nicht nur »Kreatur«, sondern »Gotteskind«. 327 Einerseits in der Abhängigkeit vom göttlichen Ursprung verbleibend, ist der Mensch andererseits doch gerade dadurch eine »selbständig[e] Person«, die als »abgeleitet-ursprüngliche[s] wirkende[s] Zentrum« einen »verantwortlich-autonomen Repräsentanten Gottes in der Welt« darstellt. 328 Frank entwickelt mit der Idee der Gottmenschlichkeit auf diese Weise einen Begriff der »Gotteskindschaft«, der sich an den cusanischen Gedanken der »filiatio dei« 329 anschließt. Frank bringt ihn auch im Bild des »Gesandten« Gottes zum Ausdruck, welches ebenfalls auf Cusanus verweist. 330 Bei Cusanus findet Frank an diesen Stellen das »personalistische Element«, 331 welches er mit seiner Ontologie des wechselseitig selbsttranszendierenden Seins auf eigenständige Weise systematisch begründet und entfaltet. Mit dem personalen Moment des Menschen entdeckt Frank transzendentalphänomenologisch jenes »Moment der Auto-nomie, der Selbstbestimmung«, welches »sich gleichzeitig als Träger der Kreativität [erweist].« 332 Denn sich als konkrete Person selbst zu verwirklichen, bedeutet nichts anderes, als sich selbst als unwiederholbar einzigartige, unvertretbare Instanz des Seins zu bestimmen, die von einer einzigartigen ›ontisch-ontologischen‹ Position aus in Beziehung zu allem anderen steht. Auf diese Weise kommt die bedingte Unbedingtheit zu einem je völlig einmaligen Ausdruck. Der Mensch ist insofern nach Frank immer »schon ein Schöpfer«, weil er, durch seine einzigartige konkrete Lebensweise im Verhältnis zu allem anderen stehend, nicht in einem Zusammenhang der Bedingungen (als reines Moment einer Kausalkette) restlos aufgeht, sondern durch das in der Personalität gegebene Moment der Unbedingtheit in diesem Zusammenhang RM, 304. Ebd. Vgl. auch DU, 411. 328 RM, 305 f. 329 Cusanus versteht unter Gotteskindschaft in erster Linie die wesensmäßige Bezogenheit des Menschen auf Gott, die sich im Streben danach äußerst, ihm ähnlich zu werden, welches freilich seinen transzendentalen Grund in in der potentiellen Göttlichkeit des Menschen hat (vgl. Ehlen 2009, 311 f.). Cusanus verwendet dafür den griechischen Terminus »theosis« (De fil., cap. 1. n. 52), auf welchen auch Frank zurückgreift, um den Begriff des »Gottmenschentums« zu erklären (vgl. DU, 410 f.). 330 RM, 305; vgl. De pace, n. 33. 331 Vgl. Ehlen 2009, 312. 332 RM, 312. 326 327
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
»etwas Neues, bisher nie Dagewesenes« hervorbringen kann (sei es in konkreter Arbeit, Erkenntnistätigkeit, Kindererziehung usf.). 333 Die von Frank dargestellte »abgeleitete Ursprünglichkeit« 334 des Menschen wird bei Cusanus auch als »Deus datus« (geschenkter Gott) bezeichnet. 335 Cusanus zufolge ist der Mensch tatsächlich Gott, allerdings nicht auf absolute, sondern »auf menschliche Weise«. 336 Der Punkt, an welchem Cusanus die Göttlichkeit des Menschen verortet, ist derselbe, auf welchen auch Frank rekurriert. Nach Cusanus liegt er in der potentiellen Unbeschränktheit des menschlichen Vermögens. Obgleich nur Gott »das Können Selbst« ist, 337 verstanden als »seiende Möglichkeit alles dessen, was sein kann«, 338 hat der Mensch durch seine Teilhabe in bedingter Unbedingtheit doch die schöpferische Fähigkeit alles zu werden – freilich »auf menschliche Weise« als »Mikrokosmos«. 339 Für Frank kommt im schöpferischen Vermögen die wechselseitig verschränkte Bestimmung des Wesens des Menschen und Gottes ebenfalls auf den Höhepunkt: »Der Mensch als solcher ist Schöpfer«, 340 weil er Teilhaber am schöpferischen Wesen Gottes ist. In dieser »Eigenschaft«, so Frank, »erkennt sich der Mensch am meisten als ›Bild und Gleichnis Gottes‹.« 341 Dadurch wird auch der Schöpfer selbst in seinem Verhältnis zur Schöpfung deutlich. Er steht seinem Werk nicht unbeteiligt gegenüber, erschafft sich nicht einfach nur ein passives Anderes, auf das er nach abgeschlossener Herstellung von außen blickt, sondern »verleiht seiner Schöpfung die Mitwirkung an seinem eigenen Schöpfertum.« 342 RM, 313. RM, 312. 335 Dato patr., cap. 2, n. 97. 336 De coniec., II, cap. 14, n. 143: »Homo enim deus est, sed non absolute, quoniam homo; humanus est igitur deus.« 337 Apic. theor., n. 15. 338 Vgl. Ven. sap., cap. 13, n. 34: »Solus deus est possest, quia est actu quod esse potest.« 339 De coniec., II, cap. 14, n. 143: »Est igitur homo microcosmos aut humanus quidem mundus. Regio igitur ipsa humanitatis deum atque universum mundum humanali sua potentia ambit. Potest igitur homo esse humanus deus atque, ut deus, humaniter potest esse humanus angelus, humana bestia, humanus leo aut ursus aut aliud quodcumque. Intra enim humanitatis potentiam omnia suo exsistunt modo.« Vgl. auch Ehlen 2009, 312 f. 340 RM, 313. 341 RM, 311. 342 Ebd. 333 334
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Gottes Sein als Schöpfung
Frank bezieht es auf die gesamte Natur. Es gibt in ihr eine »kosmische Kreativität«, die sie zur »Evolution« als Hervorbringung von Neuem befähigt. 343 Doch mangelt ihr in der kosmischen Dimension der personale Aspekt. Dieser kommt erst im »menschlichen Schöpfertum« zu einem Ausdruck, welcher per se »individuell« und dessen »aktiver Träger der personale seiner selbst bewußte Geist ist.« 344 Ihm dienen die anderen Kreaturen nicht einfach zum Mittel für den eigenen Zweck, sondern der Mensch ist in der Lage die Selbstzwecklichkeit im Anderen wahrzunehmen und sich zu ihm unbedingt zu verhalten. Der Unterschied zwischen natürlicher und menschlicher Kreativität kann allerdings kein absoluter sein, da sonst für die natürliche Entwicklung des Menschen übernatürliche Emergenzsprünge in Kauf genommen werden müssten, sodass ein »graduelles« Verständnis nahe liegt. 345 Es drängt sich nun mit aller Schärfe die Frage auf, ob dadurch nicht nur Gott und Mensch, sondern auch Schöpfer und Schöpfung von Frank in einem viel zu engen Verhältnis gesehen werden. Inwieweit und auf welche Weise schafft es Frank, dass ›Gott‹ und ›Schöpfung‹ nicht einfach zusammenfallen? D. h. was verhindert, dass das ganze philosophisch theologische System letztendlich in einen Pantheismus kollabiert?
4.
Gottes Sein als Schöpfung
Simon L. Frank legt ein transzendental-ontologisches System vor, welches auf beeindruckende Weise versucht, alle Aspekte der erfahrbaren Wirklichkeit (empirischer, denkerischer und religiöser Natur) in Hinblick auf eine alles umfassende und durchdringende Einheit zu begründen. Vor allem der philosophisch-theologische Gipfelpunkt dieses Denkens im Begriff der Gottmenschlichkeit ragt hervor. Frank Ebd. Ebd. 345 Vgl. RM, 311 f. Unter der Prämisse, dass Personalität als Transzendentalie in allem, was ist, in unterschiedlichem Maße vorhanden ist und sich äußert (siehe Abschnitt IV, 3c), betrifft die unterschiedliche Vorhandenheit nicht nur die geistige Fähigkeit des Menschen, sondern der »Welt überhaupt«, sodass in gewissem Sinne auch auf der niedersten natürlichen Ebene zumindest eine reale Anlage auf die Verwirklichung hin vorhanden sein muss. Zur genetischen Argumentation gegen Emergenzsprünge in Bezug auf den Personenbegriff siehe Abschnitt IV, 4a in Bezug auf RM, 250–252. 343 344
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
stellt sein Denken damit bewusst 346 in ein philosophisches wie auch religiöses Spannungsfeld. Er versucht mit der eigenständigen Weiterentwicklung des cusanischen Koinzidenz-Denkens, Erkenntnistheorie und Ontologie über die Einheit der begrifflichen Gegensätze zum Überstieg abstrakter metaphysischer Kategorien zu führen. 347 Schließlich führt dieser Weg ihn in der philosophischen Theologie bis zur Idee der »ungetrennt-unvermischten« Einheit Gottes mit dem Menschen. 348 Auf diese Weise bringt Frank in der chalcedonischen Formulierung der Zwei-Naturen-Lehre Christi das Ergebnis seiner »Metaphysik des menschlichen Seins oder philosophischen Anthropologie« mit der »Idee der ›Gottmenschlichkeit‹« zum Ausdruck, in welcher er »den eigentlichen Sinn des christlichen Glaubens« sieht. 349 Demgegenüber monieren Anfragen und Kritiken aus philosophischen wie auch religiösen Richtungen genau diese vereinheitlichende Linie des frankschen Denkens.
a)
Monismus- bzw. Pantheismus-Vorwürfe gegen Frank
Schon früh schlug Frank insbesondere bzgl. seines All-Einheits-Denkens Kritik entgegen. So rezensierte etwa N. A. Berdjaew Franks erkenntnismetaphysische Grundlegung 1916 mit dem Urteil, dass bei Frank »die Einheit die Vielheit, die Gottheit den Menschen [›frißt‹]« und dass bei ihm »[d]as individuelle Sein« grundsätzlich »der AllEinheit, dem ›Einheitlich-Allgemeinen‹, der ›Gattungsphilosophie‹ zum Opfer [fällt].« 350 Berdjaew zufolge kommt Franks Philosophie deshalb einem »pantheistischen Monismus« gleich. 351 Ausgehend von Berdjaews Einschätzung und der ebenfalls die Nähe von Welt und All-Einheit bei Frank verurteilenden Kritik N. O. Losskis 352 etablierte sich in der Folgezeit sowohl bei philosophischen als auch reliVgl. bes. RM, 126 sowie DU, 24. Vgl. GdW, 83 f., und DU, 180. 348 Vgl. RM, 290. 349 RM, 125. 350 Motrošilova 2000, 522, zitiert N. A. Berdjaew, Zwei Weltanschauungstypen. Zu ›Gegenstand des Wissens‹ von S. L. Frank (Dva tipa mirosozercanija [po povodu knigi S. L. Franka ›Predmet znanija‹]). 351 Rörig 2010, 21, zitiert N. A. Berdjaew, Zwei Weltanschauungstypen. Zu ›Gegenstand des Wissens‹ von S. L. Frank (Dva tipa mirosozercanija [po povodu knigi S. L. Franka ›Predmet znanija‹]); vgl. auch Ehlen 2004, 118 f. 352 Vgl. Motrošilova 2000, 522, sowie Ehlen 2009, 325 f. 346 347
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giösen Rezipienten eine verbreitete Lesart der frankschen Werke, welche beständig einen mehr oder minder expliziten Monismus- bzw. Pantheismus-Vorwurf mit sich führt. 353 Einige dieser Opponenten sollen im Folgenden zu Wort kommen, bevor die Vorwürfe im Lichte des frankschen Denkens überprüft werden. Etwa V. V. Zenkovsky, in dessen russischer Philosophiegeschichte Frank zwar »ohne Zögern als herausragendster russischer Philosoph überhaupt« 354 gewürdigt wird, schließt dennoch mit dem Urteil über Frank, dass es sich bei seinem All-Einheitssystem um einen »fehlerhaften und übereilten Monismus« handele, »auch wenn dieser unter dem Terminus ›Monodualismus‹ versteckt« sei. 355 In Zenkovskys Gefolge wähnt auch R. Gläser den »Schatten des Pantheismus« 356 über Franks Philosophie. Er schränkt zwar ein, dass bei Frank durchaus kein »grober Pantheismus« anzutreffen sei, der »das ganze Sein undifferenziert nivelliert, der jedes Ding mit Gott identifiziert«. 357 Aber seines Erachtens ist »das Prinzip der Einheit gegenüber dem Prinzip der Vielheit« bei Frank allemal »kopflastig«, sodass auch Franks »Monodualismus […] letztlich wieder ein Monismus« sei. 358 Dies ist nach Gläsers Einschätzung unausweichlich, »denn eine antinomische Verbindung, die Einheit von Einheit und Vielheit, überdeckt die Vielheit.« 359 Allerdings zieht Gläser, einer richtigen Ahnung folgend, abermals sein Urteil zurück und erwägt die Ontologie Franks im Lichte von dessen Personalismus. Eine Aufhebung starrer ontologischer Kategorien von Einheit und Vielheit zugunsten einer »Einheit 353 Vgl. Slesinski 1996, 201, welcher insbesondere Losski, Berdjaew und Zenkovsky als russische philosophische Kritiker hervorhebt. 354 Zenkovsky 1953, 853: »In strength of philosophic vision Frank may be called without hesitation the most outstanding among Russian philosophers generally – not merely among those who share his ideas.« 355 Zenkovsky 1953, 872: »›Total unity‹ may impress one with its harmonious construction and internal coherence, but a false and hasty monism, even if it is veiled beneath the term ›monodualism‹, does not accord with the mystery of being.« Ehlen 2009, 324, bemerkt, dass Zenkovskys Urteil doch in einem »merkwürdige[n] Licht« erscheine, wenn er zum einen Franks Bedeutung superlativ hervorhebt, andererseits zu dessen Metaphysik aber resümiert, dass sie »keinerlei überzeugende Kraft hat, außer der Tendenz zum Monismus.« 356 Gläser 1975, 159, zitiert Zenkovsky. 357 Ebd. In uneingeschränktem Sinne missversteht nach Ehlen 2004, 119, allerdings der frühe S. Bulgakow Franks Erkenntnistheorie als »All-Einheitslehre im Sinne des Parmenides, in der es weder echte Individualität noch wahre Freiheit geben könne.« 358 Gläser 1975, 160. 359 Ebd.
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von Sonderung und Durchdringung« erscheint Gläser jedoch als vermeintlich ungerechtfertigte Übertragung aus dem Bereich der Anthropologie und damit prinzipiell unzulässig. 360 So ist sein abschließendes Urteil, dass »Franks Monismus […] ein statisches, gesichtsloses, kosmisch-ewiges Sein« darstelle. 361 In differenzierter Weise bewertet F. C. Copleston das franksche Werk. Ihm zufolge wird bei Frank »offensichtlich Gott nicht mit der ›Welt der Fakten‹, der empirischen Welt, identifiziert«, da ein so verstandener »Pantheismus« doch vielmehr einfach die »Welt« zur letzten Wirklichkeit erklärt und dann lediglich »Gott« nennt, was »gleichbedeutend mit Atheismus« sei. 362 Copleston sieht bei Frank hingegen eine Identifikation Gottes nicht mit der Welt, sondern mit der »›metalogischen Einheit‹, die alle Realität in sich enthält«. Aber Copleston fragt sich, ob das nicht dennoch einen Seinsmonismus darstellt, der letztlich in den Pantheismus mündet, weil »es so aussieht, als gäbe es nur eine Realität, nämlich Gott«. 363 Er hält sich mit einem direkten Urteil gegenüber Franks Philosophie durchaus zurück. Copleston erwägt im Weiteren, ob nicht insbesondere christliche Theologen in Franks philosophischer Theologie den »Gott der Philosophen« erblicken müssen, welcher dem »Gott der Religion« gegenübergestellt bleibt. 364 Dass auch an diesem Punkt Franks Denken nicht voreilig abqualifiziert werden kann, sieht Copleston deutlich. Er betont stattdessen, dass bei Frank »das Absolute überpersonal« ist und insbesondere »in seiner Beziehung zum Menschen ein liebendes ›Du‹«. 365 Auch für einen religiösen Offenbarungs- und InkarnationsGläser 1975, 161 f. Siehe dazu explizit Abschnitt III, 3c. Gläser 1975, 166. 362 Copleston 1986, 359 f.: »He obviously does not identify God with what he calls ›the world of fact‹, the empirical world. […] if pantheism is understood as the doctrine that ›God‹ is a label for the empirical world, pantheism is equivalent to atheism.« 363 Copleston 1986, 360: »But if Frank conceives God as a ›metalogical unity‹ which comprises all reality within itself, how, it may well be asked, can he avoid pantheism […]? For it seems that there is only one reality, namely God.« 364 Copleston 1986, 361: »A good many Christian theologians would doubtless react to Frank’s ideas by starting to talk about the God of the philosophers and the God of religion.« 365 Copleston 1986, 361: »[…] though God as the Absolute is suprapersonal, in his relationship to the human being he is a loving ›Thou‹.« Dementgegen urteilt Hallensleben 2007, 568: »Der Verdacht des Seinsmonismus ist entgegen der Absichtserklärung Franks doch nicht ganz auszuräumen, insofern selbst der ›Gott-mit-uns‹ bei Frank namenlos bleibt und sich letztlich in das Paradox eines anonymen Du entzieht.« 360 361
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Gottes Sein als Schöpfung
begriff sieht er bei Frank den nötigen Raum, allerdings unter dem Vorbehalt, dass es seines Erachtens »schwierig ist, diese Ideen mit dem Begriff der All-Einheit zu harmonisieren« und dass man durchaus vertreten könne, dass Frank den »Gott der Bibel« lediglich »um den Preis der Inkonsistenz mit seiner Metaphysik« bewahren könne. 366 G. Florovsky, orthodoxer Theologe und Einleitungsautor der englischsprachigen Ausgabe von »Die Realität und der Mensch«, kritisiert neben Franks All-Einheitsphilosophie vor allem den platonischen Zug der frankschen Gotteslehre. Florovsky problematisiert bereits die Idee einer »christlichen Philosophie« überhaupt und steht insbesondere dem Anliegen Franks, eine »letzte Konvergenz von Glaube und Metaphysik« darzustellen, skeptisch gegenüber. 367 Seines Erachtens ist es von vorn herein klar, dass ein »Christlicher Platonismus« als eine »ungerechtfertigte Vermischung« gelten muss. 368 Ihm zufolge scheitert Franks Unternehmen an diesem Punkt, weil Franks philosophische Theologie wegen des Platonismus nicht mehr der christlichen Zentralintention entspreche. 369 Frank gehe darüber hinaus mit dem Neuen Testament »hochgradig selektiv« um 370 und unterschlage etwa in seiner Lesart die Botschaft von Kreuz und Auferstehung. 371 Hinsichtlich des Gott-Welt-Verhältnisses hat Frank nach Florovsky niemals eine letzte Klarheit erreicht. 372 Frank ordne beide vielmehr in eine »höhere Einheit« ein, worin der Hauptfehler
366 Copleston 1986, 362: »It may be difficult to harmonize these ideas with the concept of total-unity […]. […] It is nonetheless arguable that he could retain the ›God of the Bible‹ only at the cost of inconsistency with his metaphysics.« 367 Florovsky 1966, ix: »Is ›Christian Philosophy‹ possible at all, or is it also an illegitimate and contradictory task or project? Was Frank’s religious philosophy a ›Christian philosophy‹, that is, a distinctively ›Christian‹ philosophy? The question is pertinent and legitimate, since Frank himself emphatically insisted on the ultimate convergence of faith and metaphysics.« 368 Florovsky 1966, ix: »›Christian Platonism‹ should be regarded as an illegitimate blend«. 369 Florovsky 1966, x: »Was he not rather inclined to adjust the Christian message to the ›exigencies‹ of the old Platonic philosophia perennis?« Vgl. auch Ehlen 2004, 118. 370 Florovsky 1966, xi: »His reading of the New Testament was highly selective.« Vgl. auch Ehlen 2004, 118. 371 Florovsky 1966, xii: »Indeed, the Cross, strangely enough did not belong to the Gospel, as Frank read it.« Vgl. auch Ehlen 2004, 118. 372 Florovsky 1966, xiii: »In fact, Frank was never clear on the ultimate ›relation‹ between God and the Cosmos.«
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seiner All-Einheitslehre bestehe, wie Florovsky im Anschluss an N. O. Losski konstatiert. 373 Dieser Interpretationstendenz folgt laut Ehlen gegenwärtig auch P. P. Gajdenko. 374 Sie kritisiert in erster Linie Franks Antinomischen Monodualismus. Durch die Überwindung der Begrifflichen Erkenntnis – insbesondere des Nichtwiderspruchs- und Identitätsgesetzes als Prinzip der Bestimmtheit – führe Franks All-Einheits-Denken ihr zufolge in eine Ontologie, die jeder aristotelischen Substanzlehre notwendig entgegenstehe. Sie beanstandet den Holismus Franks, da dieser eine Konturlosigkeit des Seins ergebe, »einen unendlichen Strom von Verbindungen und Beziehungen, wo es nichts Selbstidentisches gibt, wo jedes als das andere des anderen erscheint«. 375 Besonders aber die undifferenzierte Nähe des menschlichen Geistes zur »AllEinheit des Seins« sieht sie kritisch, weil hier »keinerlei Schranke« mehr bestehe. 376 Darüber hinaus missachte Franks Darstellung des Verhältnisses zwischen Gott und Schöpfung laut Gajdenko die Transzendenz Gottes. Frank reduziere das Verhältnis somit auf ein rein immanentes Verhältnis. Ehlen schließt daraus, dass für sie Franks All-Einheitslehre wohl »letztendlich als ein naturalistischer Monismus« erscheinen müsse. 377 Dennoch ist Frank nach Gajdenko »bemüht«, »einen gewissen Unterschied (Dualismus) von Gott und Welt zu bewahren«, während er gleichzeitig »auf ihrer uranfänglichen Ungeteiltheit beharrt«. 378 Es gebe so zwar keine einfache Vermischung oder Auflösung der Vielheit in der Einheit, dennoch sei es nach Gajdenko bei Frank »unmöglich, Gott von der Welt zu lösen und 373 Florovsky 1966, xiii: »Their [God and Cosmos] ›duality‹ is actually in a higher Unity or even Oneness. […].« Sich N. Losski anschließend schreibt er weiter: »[…] that God stands, as it were, ›outside‹ the Cosmos and should not be included in the ›all-embracing Unity‹.« Vgl. auch Ehlen 2004, 118 Fn. 238, sowie Ehlen 2009, 325 f. 374 Gajdenkos Werk ist nach wie vor nur auf Russisch erhältlich, weshalb ich mich im Folgenden auf Ehlen 2009, 328–330, in Bezug auf Gajdenko 2001 stütze. 375 Ehlen 2009, 329, übersetzt Gajdenko 2001, 270. 376 Ehlen 2009, 329, übersetzt Gajdenko 2001, 260. Szombath 2004, 182, stellt demgegenüber klar, dass es sich dabei keinesfalls um »einen flachen (und eigentlich auch sinnlosen) ›Pantheismus‹, die Gleichsetzung Gottes mit der menschlichen Personalität« handelt, sondern »darum, daß ›der Mensch ein im übermenschlichen Boden verwurzeltes Wesen ist‹, daß die ›Einheit‹ mit Gott eine Einheit der Sonderung und der gegenseitigen Durchdringung ist.« 377 Ehlen 2009, 329 f., in Bezug auf Gajdenko 2001, 271 f. 378 Ehlen 2009, 330, übersetzt Gajdenko 2001, 285.
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seine wirkliche Transzendenz anzuerkennen«. 379 Daraus zieht sie die Konsequenz: »Nur eine dünne Grenzlinie scheidet Franks Panentheismus vom Pantheismus.« 380 Aus der (skizzenhaft zugespitzten) Darstellung dieser Urteile über Franks philosophisch theologisches Denken wird deutlich, dass es sich trotz der gemeinsamen, gegen die monistische Tendenz gerichteten, Linie um inhaltlich wie auch qualitativ unterschiedliche Kritiken handelt. Von ›einem Pantheismus-Vorwurf‹ gegen Frank kann eigentlich keine Rede sein. Vielmehr sind insbesondere hinsichtlich der Ausführungen Gläsers, Coplestons und Gajdenkos zwei Pantheismus-Begriffe zu unterschieden, die jeweils noch einmal differenziert zu betrachten sind: Eine erste Variante stellt der von Gläser als »grob« bezeichnete Pantheismus (PTh1) dar. Er bedeutet eine unmittelbare Gleichsetzung der ›Welt‹ mit ›Gott‹. Auch diese kann noch einmal in zwei Richtungen unterteilt werden. So stellt Copleston eine atheistische Verständnisweise heraus, welche die weltliche Wirklichkeit zur letzten Wirklichkeit erklärt und das Dasein einer darüber hinausreichenden Begründungsinstanz negiert. In Bezug auf Frank hieße dies, die Objektive Wirklichkeit als einziges und letztes wahres Sein zu behaupten. Letztlich würde das in einen Endlichkeitsmonismus münden, der lediglich durch das holistische Moment der gegenseitigen Relationalität eine Welt-Ganzheit darstellt (sonst müsste diese Sichtweise gleichsam in einen Pluralismus zerfallen). Demgegenüber beschreibt Gläser einen Unendlichkeitsmonismus, der die endliche Wirklichkeit der Welt undifferenziert in eine letzte absolute Einheit auflöst. Demnach gäbe es nur die eine absolute Wirklichkeit Gottes, während die individuelle Vielheit der Welt bloßen Schein darstellen würde. Dies entspräche einem parmenideischen Seinsmonismus, welchen wohl die meisten Kritiker prima facie hinter der All-Einheitsthese befürchten und durch welchen der Vorwurf des ›groben Pantheismus‹ (PTh1) aus theistischer Perspektive charakterisiert ist. 381 In Bezug auf Frank würde es bedeuten, die Realität der Objektiven Wirklichkeit gänzlich zu leugnen, sie schlechterdings in die absolute Realität des Seins aufEbd. Ebd. 381 Vgl. etwa Weissmahr 1994, 115: »Der Pantheismus ist gleichsam die religiöse Ausprägung des Monismus. Der materialistische Monismus hält sich mit Recht für einen Atheismus; der Pantheismus sieht dagegen in allem, was ist, Gott selbst oder zumindest die Erscheinung des Göttlichen.« 379 380
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zulösen. 382 Dass dies nicht der Fall ist, unterstreicht ausdrücklich auch Gajdenko, wenngleich sie lediglich von einem ›Bemühen‹ spricht. Franks Intention hinter dem Antinomischen Monodualismus ist schließlich eine ›Aufhebung‹ der endlichen Wirklichkeit in dem Sinne, dass sie als solche im Absoluten ›bewahrt‹ bleibt. 383 Die zweite Variante des Pantheismusbegriffes (PTh2) setzt erst an diesem Punkt ein. Entweder bezweifeln die Kritiker wie Zenkovsky und Gläser, dass es überhaupt rational gerechtfertigt sein kann, über die Kategorien von Monismus und Dualismus bzw. Einheit und Vielheit hinauszugehen. Sie sehen folglich im Antinomischen Monodualismus eine irrationale Chimäre, welche letztlich nichts anderes als ein versteckter Monismus sei. Die Gefahren von (PTh1) antizipierend wolle Frank sich ihres Erachtens nur nicht den Konsequenzen stellen. Oder sie bezweifeln wie Copleston und Florovsky die religiöse Adäquatheit des so gewonnenen metaphysischen Gottesbegriffs. Während die erste Richtung nicht bereit ist, das rationale Denken transzendental zu übersteigen und eine letzte Einheit von Einheit und Vielheit überhaupt anzunehmen, entspricht die zweite Richtung der Ontotheologie-Kritik (3). Sie beklagt, hier werde lediglich der ›Gott der Philosophen‹ erreicht, nicht aber der ›religiöse Gott‹. Erstere Richtung hat historische Vorläufer in der Auseinandersetzung zwischen Nikolaus von Kues und Johannes Wenck von Herrenberg, worauf Ehlen in Bezug auf Gajdenkos Kritik hinweist. 384 Für das Verständnis der Intentionen der Koinzidenzlehre des Cusaners wie auch des frankschen Antinomischen Monodualismus ist die Einsicht in die abstrakte Bedingtheit der rationalen Kategorien – ins382 Bzgl. Gott und Schöpfung bringt Frank die rationale Unmöglichkeit eines pantheistischen Monismus phänomenologisch wie folgt zum Ausdruck: »Entweder bin ich selber in all meiner Grund- und Haltlosigkeit, in all meinem Schwanken Gott – eine unsinnige und ungeheuerliche Behauptung, die dennoch des öfteren im menschlichen Bewußtsein auftauchen konnte und die nicht nur dem eigentlichen, fundamentalen Sinn jeder religiösen Erfahrung widerspricht (denn dabei verlöre die Idee Gottes jeden Sinn), sondern auch dem gesunden ontologischen Selbstbewußtsein des Menschen. Oder aber ich bin überhaupt nicht, und es gibt nichts außer Gott. Auch dieser Gedanke wirkt unnatürlich und irgendwie erzwungen, ist aber doch in gewisser Hinsicht der Wahrheit näher. […] Doch auch dies widerspricht dem offensichtlichen Gehalt der religiösen Erfahrung: Zugleich mit mir geht auch Gott verloren – eben als ›Gott-mit-mir‹. Es bleibt bestenfalls die alles verschlingende und deshalb nichts eigentlich bestimmende, nichts begründende ›Gottheit‹.« (DU, 390) 383 Siehe dazu Abschnitt III, 3c. 384 Ehlen 2009, 330 f.
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Gottes Sein als Schöpfung
besondere der Einheit – zentral. In der vorliegenden Arbeit ist dies ausführlich dargestellt worden (Abschnitt III, 3). Ohne die Argumentation im Einzelnen abermals wiederholen zu müssen, ist pointiert anzufragen, ob die Anwendung abstrakter Kategorien auf die letzte Wirklichkeit nicht grundsätzlich als verfehlt eingesehen werden muss. Genauso wie eine letzte, völlig undifferenzierte Einheit der Erfahrungswirklichkeit unmittelbar widerspricht, weil etwa die Raumzeitlichkeit zum bloßen Schein erklärt doch ein Gegenüber zur wahren Wirklichkeit – und somit eine Dualität – ausmacht, ist andererseits eine schlechthin einheitslose Vielheit bzw. reine Pluralität oder Dualität undenkbar, da ›Vielheit‹ als Menge von Einzelnem schon ein Einheitsbegriff ist. Darüber hinaus wäre eine einheitslose Vielheit letztlich auch philosophisch völlig unergiebig für die metaphysische Interpretation der wahren Wirklichkeit. Schon der einheitliche Bezugspunkt des gemeinsamen Seins in der ontologischen Grundfrage gibt ein gewisses monistisches Verständnis vor, das allerdings nicht die Vielheit schlechthin ausschließen kann, ohne selbst als Einheit inkonsistent zu werden. 385 Ist durch die »rationale Überwindung der Beschränktheit des rationalen Denkens« 386 transzendentalphilosophisch jener »nicht in der üblichen logischen Form bestimmbare Begriff« der absoluten Einheit der »Realität« gewonnen, ergibt sich allerdings auch nach Frank die berechtigte Anfrage, ob dies »[e]ine einfache Vermengung oder Identifizierung der Realität mit dem, was mit dem Wort ›Gott‹ gemeint ist,« bedeuten soll. 387 Nur darin besteht seines Erachtens die Gefahr des Pantheismus, d. h. im Sinne von (PTh2) gemäß der zweiten Richtung: »Der grundlegende Irrtum des Pantheismus liegt gerade in der Identifizierung der Realität mit Gott. Die gängige Meinung, der Pantheismus setze Gott mit der ›Welt‹ gleich, d. h. nach unserer Terminologie mit der ›objektiven Wirklichkeit‹, ist falsch: Einen solchen Pantheismus gab es nie (höchstens kann man eine Andeutung davon in seinem ersten, naiv-unbeholfenen Entwurf bei Xenophanes fin385 Vgl. Weissmahr 1994, 115: »Hat man aber einmal eingesehen, daß die Wirklichkeit nicht in voneinander nur verschiedene Bereiche auseinanderfallen kann, so ist es unbestreitbar, daß jedes umfassende, auf die Interpretation der Wirklichkeit grundsätzlich nicht verzichtende philosophische System nur monistisch sein kann, in dem Sinn, daß es letztendlich alles auf die einzige absolute Wirklichkeit zurückführt.« 386 RM, 179; vgl. DU, 163: »die Überwindung der Abstraktheit des Begriffs«. 387 RM, 226.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
den). Sowohl die Stoiker und noch mehr Spinoza unterscheiden deutlich die metaphysische Tiefe oder den Urgrund des universellen Seins – etwas Ähnliches wie das, was wir als Realität bezeichnen – von seiner empirisch gegebenen ›objektiven Wirklichkeit‹ und identifizieren nur erstere mit Gott.« 388
Gegen die Ontotheologie-Kritik (3) ist bereits ausgeführt worden (Abschnitte V, 1c und 2), dass Frank die (absolute) ›Realität‹ nicht einfachhin mit ›Gott‹ identifiziert, sondern dass er die individuell-geschichtliche, personale Begegnung mit dem letzten (über)personalen Tiefengrund in der religiösen Erfahrung dem metaphysischen Gottesbegriff vorordnet. Wenn diesbezüglich Gajdenko von einer »Vertiefung des Pantheismus« spricht, 389 und darin »[n]ur eine dünne Grenzlinie« erblickt, welche »Franks Panentheismus vom Pantheismus [scheidet]«, 390 ist dem einerseits zuzustimmen. Andererseits ist rückzufragen, was sie mit der einschränkenden Beifügung des »nur« intendiert. Ist nicht davon auszugehen, dass wenn diese Grenze – gleich wie »dünn« auch immer – anerkannt wird, von einem Pantheismus nicht mehr die Rede sein kann? 391 Allerdings ist nicht deutlich, was Gajdenko unter ›Panentheismus‹ als Gegenbegriff zum ›Pantheismus‹ versteht. Sofern sie darunter doch eine restlose Auflösung der Transzendenz Gottes in der »uranfänglichen Ungeteiltheit« der All-Einheit (»das seinem Geiste nach pantheistische Zusammenfließen des transzendenten Gottes und der geschaffenen Welt zu einer grenzenlosen All-Einheit«) bzw. eine »Einebnung« des »Unterschiedes zwischen Schöpfer und Schöpfung« versteht, 392 tendiert ihre Unterscheidung zwischen ›Pantheismus‹ und ›Panentheismus‹ eher zur Unterscheidung zwischen (PTh1) und (PTh2). Allemal zeigt sich die Dringlichkeit der Frage, was der Begriff des Panentheismus bedeuten soll und inwiefern er auf Franks philosophisch theologisches System angewandt werden kann.
RM, 227 Fn. 1. Gajdenko 2001, 273, übersetzt von Ehlen 2009, 330. 390 Gajdenko 2001, 285, übersetzt von Ehlen 2009, 330. 391 So bemerkt Ehlen 2009, 338: »Die Scheidelinie zum Irrtum ist hier in der Tat ›dünn‹, wie P. Gajdenko festgestellt hat. Doch kommt es nicht darauf an, wie dick oder dünn sie ist, sondern darauf, daß sie vorhanden ist.« 392 Ehlen 2009, 330 f., sich beziehend auf Gajdenko 2001, 296 f. 388 389
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b)
›Pan-en-theismus‹
Zunächst ist anzumerken, dass der Begriff des Panentheismus nicht lediglich als fremdinterpretatorische Kategorie durch Kommentatoren von außen an das franksche Werk herangetragen wird. 393 Vielmehr findet er bei Frank mehrfach als Selbstbezeichnung Verwendung. Entsprechend ist vorrangig das franksche Verständnis des Panentheismus von etwaigen anderen Verständnismöglichkeiten systematisch abzugrenzen. Ein Vergleich seines Panentheismus mit den möglichen anderen Verständnisweisen im Einzelnen erweist sich insbesondere deswegen in diesem Rahmen nicht als angezeigt, weil gegenwärtig derart vielfältige philosophisch-theologische Strömungen, aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus, von dem Begriff als Selbstbezeichnung Gebrauch machen, sodass mithin die mögliche Bedeutungsvielfalt nahezu ins Unüberschaubare wächst. 394 Mit der sys393 Dass dies auch der Fall ist, zeigt nicht nur Gajdenkos dargestellte Bewertung; Kline 1996, 222, schätzt ausgehend vom Vergleich mit Hegel Franks System ebenfalls als Panentheismus ein: »Hegels theological position is not a pantheism, but a panentheism; that is, his claim is not that the world taken as a whole is identical with God’s being, but rather that the world constitutes a part or aspect, but not the whole, of that being. It seems to me that Frank’s own theological position, while certainly remote from pantheism, is quite close to panentheism.« Man wird sich fragen müssen, ob Klines Verständnis von ›Panentheismus‹ mittels der Teil-Ganzes-Relation nicht zuviel Gewicht auf die mereologische Komponente legt und ob dadurch die begriffslogische Intention sowohl Hegels als auch Franks überhaupt erfasst wird. 394 Brierley 2004 bietet eine kurze Übersicht gegenwärtiger Autoren und Intentionen zum Panentheismus. Er konstatiert selber: »Today a whole host of theologians identify themselves as panentheists […].« (Brierley 2004, 3) Er beschreibt die Vielfalt und Aktualität in Bezug auf den Begriff sogar mit dem Titel »Naming a Quiet Revolution: The Panentheistic Turn in Modern Theology«, den Begriff des »Panentheistic Turn« von Ph. Clayton aufgreifend. Neben theologischen Motivationen i. e. S. schildert er für das Anliegen der Revision des Gott-Weltverhältnisses naturwissenschaftliche, feministische, homosexuelle, ökologische und ökonomische Interessen (vgl. Brierley 2004, 3 f.). Trotz dieser Vielfalt gibt Brierley eine bündige Darstellung der zentralen Ansatzpunkte und Probleme des panentheistischen Denkschemas. Für die inhaltliche Auseinandersetzung ist vor allem auf Clayton/Peacocke 2004 zu verweisen, welche neben Brierleys Darstellung mit der Auswahl der Autoren das Spektrum gegenwärtiger Positionen aufzeigen. Culp 2013 stellt den Panentheismus-Begriff aus gegenwärtiger (insb. angelsächsischer) Lesart dar. Treffend formuliert er sowohl die Schwierigkeiten als auch die Aktualität: »Panentheism faces challenges both from those who find that any lessening of the emphasis upon divine transcendence to be inadequate and from those who find some form of pantheism more adequate than any distinction between God and the world. Finally, the variety of the versions of panentheism have led to an active internal discussion among the various versions.« (Culp 2013, 4.) Auf
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tematischen Klärung des spezifisch frankschen Begriffsverständnisses kann diesbezüglich aber ein erkenntnismetaphysisch fundiertes Kriterium als mögliche Orientierungshilfe angeboten werden. Der Stellenwert des Panentheismusbegriffes bei Frank ist nicht zu unterschätzen. Er greift, wie gleich zu sehen ist, an mehreren Stellen auf den Begriff zurück, um das Gott-Welt-Verhältnis zu charakterisieren. Vor allem hinsichtlich des Gottmenschentums sieht er im Panentheismus jedoch nicht bloß eine metaphysische Kategorie, sondern zugleich den philosophischen Zielpunkt des transzendentalen Selbstüberstieges wie auch den religiös-theologischen Ausdruck des christlichen Glaubenskernes – und somit den Gipfelpunkt seines gesamten philosophischen Systems: »Sofern man den unsagbaren Sinn des religiösen Glaubens überhaupt in abstrakten philosophischen Begriffen ausdrücken kann, ist einzuräumen, daß das Wesen des christlichen Glaubens – oder, was dasselbe ist –, das wahre, adäquate Wesen des religiösen Glaubens nicht ein abstrakter Theismus, sondern ein konkreter Panentheismus ist.« 395 »Das Christentum als Theismus ist zugleich ein Panentheismus; als Verehrung Gottes ist es gleichzeitig die Religion des Gottmenschen und des Gottmenschentums.« 396
Zu diesem Ergebnis gelangt Frank auf dem Hintergrund seiner Erkenntnismetaphysik, indem er die Unmöglichkeit aufzeigt, in Bezug auf Gott ›Transzendenz‹ und ›Immanenz‹ als abstrakt einander ausschließende Kategorien zu verwenden (siehe Abschnitt V, 3). Im Anschluss an die Koinzidenzlehre des Cusaners schreibt Frank schon eine äußerst interessante Version ist mit dem Process Panentheism von Case-Winters 2007 hinzuweisen. Sie entwickelt nicht nur begriffsgeschichtlich von Cusanus bis Whitehead sehr sorgsam die Problematik, sondern schildert ähnlich wie Frank (aus evangelischer Perspektive) den panentheistischen Kerngehalt in der chalcedonischen Formel ausgedrückt: »The goal of all creation is its relation in union with God – theosis. […] Thus when the symbol of Chalcedon expresses who the Christ is understood to be – ›truly God, truly human united in one and the same concrete being‹ – it at the same time expresses that union with God for which all things are intended.« (Case-Winters 2007, 133) Ein sakramental- und inkarnationstheologisches Verständnis kann ihres Erachtens helfen das Gott-Welt-Verhältnis zu verstehen, indem Gottes Gegenwart in der Schöpfung als »Realpräsenz« dargestellt wird: »God is present ›in, with, and under all-that-is‹« (Case-Winters 2007, 131). 395 MuiG, 72. 396 MuiG, 165.
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hinsichtlich des Begriffs des Absoluten, dass nur unter Anerkennung des »[Z]ugleich« von »höchster Transzendenz« – »als das schlechthin Abgeschiedene […], das ›ganz Andere‹« – und »tiefster Immanenz« – »als das Allgegenwärtige, allem Gemeinsame, in allem Vorhandene« – das Verhältnis als eine »Einheit von Sonderung und Durchdringung« gewonnen werden kann. 397 Ein rational eindeutiges Ergebnis verfehlt hingegen mit der Überbetonung der Transzendenz auf Kosten der Immanenz, oder umgekehrt, die »Einheit der Gegensätze«. 398 Man würde so lediglich zu einem »abstrakte[n] Theismus« (wenn man Gott rein transzendent denkt) oder zu einem »abstrakte[n] Pantheismus« (wenn man Gott rein immanent denkt) gelangen. 399 An dieser Stelle schließt Frank jedoch nicht mit dem Panentheismus – gleichsam als aurea mediocritas zwischen den Extremen. Stattdessen betont er die Unangebrachtheit jeder »Theorie«, jedes »Ismus«. 400 Dieser Sachverhalt ist bemerkenswert. In ähnlicher Weise schreibt Frank später an anderer Stelle, »daß alle Versuche einer exakten qualitativen Bestimmung des Absoluten oder der Realität, alle abstrakten ›-ismen‹ in der Philosophie: ›Materialismus‹, ›Spiritualismus‹, ›Voluntarismus‹ usw., ihr Ziel nur (vermeintlich) erreichen können vermittels einer unbewußten unberechtigten Erweiterung der entsprechenden Begriffe (›Materie‹, ›Geist‹, ›Wille‹ usw.) über die Grenzen ihrer üblichen Bedeutung hinaus, kraft derer diese gerade etwas Bestimmtes bezeichnen, – das aber heißt, etwas Partikulares, das durch seinen Unterschied zu allem anderen konstituiert wird.« 401
Frank wendet sich also explizit gegen die Anwendung von extensionalen Begriffen auf das Absolute, weil Letzteres prinzipiell über jede mögliche extensionale Bestimmung hinausgeht bzw. ihr vorausliegt. Verwendete man dennoch einen Begriff, der zur Bezeichnung von etwas extensional bestimmbar Einzelnem genutzt wird, droht »eine irrige, simplifizierende und verfälschende Abstraktion«, wie Frank sie bereits bzgl. der metaphysischen Kategorien des »Monismus« und »Dualismus« beanstandet hat. 402 Nun kann man freilich zurück-
397 398 399 400 401 402
LW, 279 f. LW, 280. Ebd. Ebd. RM, 184 Fn. 7. DU, 183. Siehe dazu Abschnitt III, 3c.
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fragen, inwiefern ein Panentheismus dieser Kritik entgehen kann? Diese Frage ist mehr als berechtigt, trifft sie doch den Kerngedanken. Der Begriff des Panentheismus ist und bleibt genauso missverständlich wie der Begriff des Antinomischen Monodualismus. Versteht man unter Letzterem eine abschließende Bestimmung, welche den Bedeutungsgehalt extensional beschreibend klar zum Ausdruck bringen soll, hat man die Intention des Begriffs verfehlt. Er begreift hingegen nach frankschem Verständnis kein irgendwie definierbares ›Mittleres‹ zwischen den Extremen und stellt auch keine abgrenzbare ›Zwitter-Position‹ zu ihnen dar. Wie ausführlich dargestellt wurde, dient er vielmehr als begriffslogisches Ziel einer transzendentalen Gedankenbewegung, welche mit der docta ignorantia nicht zu einem bloßen Nichtwissen, sondern zu einer Einsicht in das transrationale Sein führt. 403 Unabhängig von dieser Gedankenbewegung – dem erkenntnistheoretischen Mitvollzug, der zur Einsicht in das Wesen des Begriffs als solchen führt – bleibt der Antinomische Monodualismus als Begriff genauso abstrakt und unbrauchbar wie die Begriffe Monismus und Dualismus, welche er korrigieren soll. Eher erscheint er sogar bisweilen wie ein irrationaler Totschläger gegenüber berechtigten rational-philosophischen Anfragen. Dass mit ihm eine konkrete ontologische Position ›jenseits‹ aller abstrakt einseitigen Extreme gemeint ist, bedarf einer sorgsamen transzendentalen Vermittlung, die sich keiner rationalen Anfrage verschließen darf. Gleichwohl muss andererseits für die Problematik abstrakter Begriffsbildung – insbesondere rein formal-logischer oder extensionaler Begriffe – sensibilisiert werden können. Sperrt sich der Anfragende für solch (transzendental-)epistemologische Reflexionen generell, ist nicht nur der Weg zum Verständnis des Antinomischen Monodualismus, sondern auch zum Panentheismus von vornherein verschlossen. Dass beide Fälle bei Frank tatsächlich analog betrachtet werden können, bedarf der Erklärung. Der Begriff des Antinomischen Monodualismus kennzeichnet bei Frank, wie wir gesehen haben, den transzendentalen Zielpunkt der ontologischen Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit des Seins bzw. zwischen Sein und Seiendem. Demgegenüber findet der Panentheismusbegriff Anwendung in Bezug auf die Frage nach dem Gott-Welt-Verhältnis der philosophi403 Hier ist alles das von Bedeutung, was bereits zum Verständnis des Antinomischen Monodualismus und der analogen Redeweise ausgeführt wurde (siehe Abschnitt III, 3d).
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Gottes Sein als Schöpfung
schen Theologie. Dass Seinsbegriff und Gottesbegriff nicht schlechthin gleichgesetzt werden können, wurde mit der Ontotheologie-Kritik (3) problematisiert. Diese Kritik zeigte sich ebenfalls im Pantheismus-Vorwurf (PTh2). Die Analogie zwischen ›Sein‹ und ›Gott‹ kann an dieser Stelle dennoch begründet werden. Die Frage nach dem Gott-Welt-Verhältnis bezieht sich wie gezeigt nicht auf ›Gott‹ und ›Welt‹ im Sinne zweier Entitäten in einer sie umgreifenden Einheit. So wäre mit ›Welt‹ die Objektive Wirklichkeit gemeint und mit ›Gott‹ eine vermeintliche Instanz, die im selben Sinne als objektive Entität der Welt transzendent gegenübersteht oder mit ihr gleichgesetzt wird. Dies war das Pantheismus-Verständnis (PTh1). 404 Die Frage bezieht sich eigentlich auf das Verhältnis zwischen ›Schöpfer‹ und ›Schöpfung‹, d. h. zwischen dem letzten Urgrund der Realität, der uns in der religiösen Erfahrung als ›Gott‹ erscheint, und der »lebendigen Realität«, zu welcher die ›Welt‹ im engeren Sinne gehört bzw. deren »kristallisierter, oberflächlicher und in fertiger Faktizität erstarrter Teil« sie ist. 405 Weitergehend sieht man sogar, dass es die ›Welt‹ im Sinne der Objektiven Wirklichkeit niemals vollkommen unabhängig von der Realität geben kann – dass es das Seiende nie ohne, sondern immer nur in mit und durch das Sein – gibt. So wird ein weiterer Weltbegriff nötig. 406 ›Die Welt‹ ist bei genauerem Hinsehen eigentlich gar nie nur Objektive Wirklichkeit. Sie erscheint uns vielmehr bloß als solche, insofern sie sich unserer Begrifflichen Erkenntnis darbietet. Im engeren Sinne bestimmt Frank von der Erfahrung ausgehend »die uns allen gemeinsame Welt« als »empirische Wirklichkeit«. 407 Unter Rücksicht auf die abstrakten Bedingungen der Erfahrung schließt sie dann als Objektive Wirklichkeit jede Form von Erkenntnisgegeben-
Vgl. RM, 236. RM, 190. 406 Vgl. DU, 416 f. Siehe vor allem RM, 371: »Hieraus folgt, daß der Unterschied zwischen Realität und objektiver Wirklichkeit – den wir zu Beginn unserer Überlegungen zwecks Klärung des Begriffs der ›Realität‹ betonen mußten – kein Unterschied zweier separater und ganz verschiedenartiger Sphären ist. Die Realität geht zwar […] weit über die Grenzen der objektiven Wirklichkeit hinaus, hat Tiefenschichten, die jenseits der letzteren liegen, und ist in diesem Sinne ›überweltlich‹. Aber sie durchdringt auch die objektive Wirklichkeit, bildet ihre Grundlage, gleichsam ihr substanzielles Wesen.« 407 RM, 129. 404 405
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
heit ein. 408 ›Objekt‹ ist sie selbst aber immer nur für einen aktiv bestimmenden Erkenntnisvollzug. Dennoch löst sich die Welt bei Frank nicht subjektiv-idealistisch in ein bloßes Erkenntnisprodukt auf. Sie hat tatsächlich eine objektiv-strukturelle Seite, in der wir sie erkenntnismäßig wahrnehmen und als uns gegenüberstehende Welt begreifen können. 409 Wie der Mensch selbst (was nicht verwundert, da er ein Teil dieser Welt ist, der sich aus ihr evolutiv herausgebildet hat) ist sie ferner nicht nur reine Faktizität. Die Einschränkung auf eine rein objektivierende Betrachtungsweise beispielsweise »in der theoretischen, ›wissenschaftlichen‹ Reflexion über sie« geht »mit dem rationalisierten Bild der ›Wirklichkeit‹ oder des ›gegenständlichen Seins‹« vielmehr ihres »lebendigen, konkret transrationalen Wesen[s]« verlustig. 410 D. h. die Welt ist nicht nur ›objektiv‹, was soviel bedeutet wie ›für uns gegeben‹, sondern sie ist ›reale Welt‹. Sie ist wie wir ein Teil der Realität, mit eigener innerer »Bedeutsamkeit«. 411 Sie ist darüber hinaus nicht nur (aber auch) »faktische Realität […], die sich mir gewaltsam und zwanghaft aufdrängt«, 412 sondern sie verfügt in ihrer ihr zutiefst immanenten Verbindung mit der absoluten Realität über ein eigenes transzendierendes, geistiges, ja, wie auf dem Hintergrund der Ausführung zur ›Personalität als Transzendentalie‹ deutlich wurde, 413 sogar personales Potential. Mit anderen Worten hat auch die Welt teil an der Realität, genauer gesagt besteht sie wie alles Seiende in ihrer Teilhabe an der Realität. So ist die Welt selbst eine lebendige Realität als bedingt kreative Wirklichkeit. 414 Wird die Frage nach dem Verhältnis von Gott und Welt in irgendeiner Weise lediglich auf die Objektive Wirklichkeit bezogen, gerät die ganze Fragestellung in eine abstrakte Schieflage. Nicht nur der Gottesbegriff, sondern auch der Weltbegriff würden so zu statischen Entitäten verkürzt, welche entweder in einer äußerlichen oder aber in gar keiner Relation (durch Identifikation oder Elimination) stehen. Auch ein pan-en-theistischer Erklärungsversuch würde derVgl. RM, 134 f. Siehe Abschnitt III, 3a und b. 410 DU, 419. 411 Ebd. 412 DU, 418. 413 Siehe Abschnitt IV, 3c. 414 Frank lässt sich davon ausgehend auch zu der folgenden naturphilosophischen These hinreißen: »Der Aufbau der Natur erweist sich daher dem Aufbau des geistigen Seins als völlig analog.« (RM, 372) 408 409
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Gottes Sein als Schöpfung
gestalt sofort in den Pantheismus (PTh1) abdriften. Stattdessen sind beide – und ferner alle ontologischen – Begriffe bei Frank vom Seinsbegriff der »Realität« her gedacht, der »jenes nicht weiter analysierbare ursprüngliche kategoriale Merkmal, kraft dessen irgend etwas überhaupt ist«, 415 darstellt. Dadurch, dass alles, was ist, eben ›ist‹, gibt es in der Realität eine grundlegende Gemeinsamkeit zwischen jeder möglichen bestimmten Realität (d. i. ein beliebiges Seiendes) und dem letzten Ursprung der Realität als solcher. So ist es nach Frank in erster Linie der »Diskursivität unseres Denkens« geschuldet, dass »wir überhaupt zwischen dem Thema ›Gott‹ (als solcher) und dem Thema ›Gottes Verhältnis zu allem anderen‹ unterscheiden.« 416 Fragt man nach der Beziehung von Gott als Schöpfer zu seiner Schöpfung und versteht unter Letzterer den weiteren Begriff der ›realen Welt‹ als lebendiger Realität, die auch das Moment der Objektivität und Faktizität an sich hat, muss nunmehr gesehen werden, dass »[i]n der überrationalen Realität selbst […] das eine vom anderen unabtrennbar« ist, 417 weil schon die Realität jeder Unterscheidung bedingend voraus liegt. Das bedeutet jedoch genauso wenig eine abstrakte Identifikation wie eine Trennung von Schöpfer und Schöpfung. Die Frage nach Gott als schöpferischem Ursprung des Seins stellt ihn vielmehr in eine wesentliche (wenn auch asymmetrische) Begründungsbeziehung zu diesem Sein (und dadurch zu allem Seienden), die nicht weggedacht werden kann, ohne dass sich das Sein als Schöpfung auflösen würde, wodurch auch der Schöpfer als solcher nicht mehr begreifbar wäre. 418 Somit lässt sich das Beziehungsverhältnis zwischen Gott und Schöpfung nur ausgehend vom rechten Seinsbegriff adäquat erörtern. In Bezug auf Franks Werk impliziert dies die Einsicht des Antinomischen Monodualismus. Der analoge Bezug zwischen dem Antinomischen Monodualismus und dem Panentheismus ist also durch das wesentlich trans(de)finite Verhältnis zwischen dem schöpferischen Urgrund und der seinshaften Schöpfung begründet. Mit anderen Worten versucht die Denkfigur des Panentheismus das analoge
RM, 370. RM, 256. 417 Ebd. 418 Siehe dazu insbesondere die Abschnitte IV, 4 und V, 3. Inwiefern ›Schöpfer zu sein‹ Gott notwendig zukommt und inwiefern das eine bestimmte Schöpfung voraussetzt, ist sogleich zu erörtern. 415 416
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Verhältnis zwischen Gott und dem Sein als Schöpfung zu bedenken – und keinesfalls eine abstrakte Relation zwischen zwei isolierten Instanzen zu definieren. Wiederum ist es Nikolaus von Kues, auf welchen Frank für das Verständnis rekurriert. Bei Cusanus ist die Anwesenheit des schöpferischen Prinzips in der Schöpfung laut Frank genau in einer solchen »ungeteilte[n] aber auch nicht vermischte[n] Zweieinheit von Schöpfer und Schöpfung« gedacht, welche Frank einen »antinomische[n] Panentheismus« nennt. 419 Schon in seiner Religionsontologie schrieb Frank in diesem Sinne, »daß wir das wahre Wesen Gottes erst dann erfassen, wenn wir den Schöpfer in seiner Einheit mit der Schöpfung erfaßt haben, in einer Einheit, die deren Differenz und Gegensätzlichkeit nicht beseitigt«. 420 In einem späteren Werk greift er diese Formulierung wieder bezüglich des Verhältnisses der Immanenz und Transzendenz Gottes in seiner Schöpfung auf. Abermals beschreibt er dort das ihm zufolge »wahre Wesen« des Christentums als »Panentheismus«, wobei er seine »These« »in einer kühnen, treffenden und präzisen Formulierung« von Nikolaus von Kues ausgedrückt sieht: »Die Einheit des Schöpfers [ist] im Schöpfer [und in der] Schöpfung.« 421 Es kann nicht genug betont werden, dass ein solcher Panentheismus keine rational eindeutige Antwort auf die Frage nach dem GottWelt-Verhältnis darstellt, insbesondere keine »endgültige, sich der Realität voll bemächtigende und ihr angemessene Synthese«. 422 So verstanden wäre sie genau jener kritisierte »Ismus«. Vielmehr ist die Grundintention wie bei dem Antinomischen Monodualismus die Überwindung der abstrakten Begriffe. Über die Problematisierung der abstrakten Kategorien von ›Immanenz‹ und ›Transzendenz‹, und mittels Aufweis der daraus resultierenden Begriffsverkürzungen sowohl ›Gottes‹ als auch der ›Welt‹, wird mit dem Pan-en-theismus auf jene transrationale »Schwebe« zwischen und über den abstrakten Extremen aufmerksam gemacht, welcher nur in der transrationalen Einheit der Gegensätze »höchste Evidenz« zukommt. 423 Damit auch dies nicht als bloße Zurückweisung der Frage oder als Absage an die Rationalität gefasst wird, sondern der positive Sinn des Begriffes deut-
419 420 421 422 423
RM, 275. DU, 414. LiF, 247 [Übersetzung des Cusanus-Zitats geändert, D. St.]. DU, 180. Ebd.
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Gottes Sein als Schöpfung
lich werden kann, gibt Frank eine Konkrete Beschreibung des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Schöpfung, die alle Aspekte seiner Ontologie voraussetzt. Insbesondere ist es für das Verständnis notwendig, die Schöpfung nicht als »irgendein leblos-passives Verweilen oder ein träges Substrat des Seins« 424 aufzufassen. Vielmehr ist die ›Substanzialität‹ als ›Realität des Transzendierens‹ zu begreifen. 425 Das ›Sein‹ selber ist in diesem Sinne nichts anderes als »das aktive, dynamische Prinzip des Lebens« 426 oder wie Frank es (in einer an A. N. Whitehead erinnernden Formulierung) beschreibt: »Die Realität schafft nicht nur das andere ihrer selbst; ihre primäre Kreativität besteht darin, daß sie sich selber schafft, nichts anderes ist, als Kreativität.« 427 Man fragt sich sogleich, wozu bei einer sich-selber-schaffenden Realität überhaupt noch ein weiterer Grund nötig sein soll? Allerdings kann an Franks transzendentale Vertiefung in das Unmittelbare Selbstsein der Person erinnert werden, bei der die selbstschöpferische Spontaneität der Realität doch von einer gewissen Grundlosigkeit gekennzeichnet war, welche sie als bloß ›bedingte Unbedingtheit‹ offenbarte. 428 Was in der transzendentalen Selbstvertiefung als Bedingung der Möglichkeit des eigenen Seins erschien, wird nun metaphysisch in Bezug auf das Sein als solches und im Ganzen erklärt. Gewissermaßen aus der anderen Richtung her beschreibt Frank die bedingte Unbedingtheit als Schöpfung derart, dass Gott die »Realität« als »abgeleitete[s] göttliche[s] Substrat des Seins« 429 aus sich heraus schafft: »Der erste Akt der Schöpfung – natürlich nicht in chronologischer, sondern in ontologischer Folge – besteht offenbar darin, daß Gott die Realität aus sich heraus setzt, indem er gleichsam das ursprüngliche kategoriale Moment des ›Ist‹ seines eigenen Wesens nach außen ausstrahlt – mit anderen Worten, daß er durch einen Akt der Selbstauf-
RM, 374. Siehe Abschnitt III, 1. 426 RM, 374. 427 RM, 221. Die Nähe zur Prozessphilosophie Whiteheads zeigt sich neben der folgenden Formulierung, »die Erschaffung der Welt, von seiten der Schöpfung d. h. in der Zeit, [hat] den Charakter eines fortdauernden Prozesses, der sich in der Zeit entfaltet. Das Sein der Welt selbst ist nichts anderes als ihre fortdauernde Erschaffung« (RM, 382), auch in einer direkten anerkennenden Bezugnahme des whiteheadschen Werkes (RM, 380 Fn. 23). 428 Siehe Abschnitte IV, 2b und IV, 4. 429 RM, 374. 424 425
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
teilung eine sich äußere Sphäre setzt, indem er ihr in abgeleiteter Weise seine eigene Ursprünglichkeit verleiht.« 430
Gottes Schöpfung kann in diesem Sinne als ein ›Sein lassen‹ im doppelten Sinne verstanden werden: Gott gibt die Schöpfung sich fortwährend zur Selbstentwicklung frei. Zur Interpretation weist Frank auf die theologische Lehre von der »creatio ex nihilo« hin. Diese sei nicht nur im »religiösen Sinn«, sondern »auch vom Standpunkt des freien metaphysischen Denkens« her »als unbedingt richtig« anzuerkennen. 431 Allerdings dürfe sie nicht rein »buchstäblich« aufgefasst werden, da Gott sonst zu einer Art »Zauberkünstler« werde. 432 Frank hält dagegen am metaphysischen Prinzip des Grundes (ex nihilo nihil fit) fest. Er betont insbesondere die Unsinnigkeit, eine Erschaffung des ganzen Seins aus dem metaphysischen Nichts zu denken, weil die Zeit zum Sein gehört und somit ein ›Vorher‹ des Seins als Ganzen undenkbar ist, wie auch jedes »Hervorgehen« sich nur aus etwas vollziehen kann, das schon ist. 433 Andererseits habe die »creatio ex nihilo« ihren wahren Kern nicht nur in der »Geschaffenheit« und »Kreatürlichkeit« der Schöpfung, 434 d. h. in der metaphysischen Abhängigkeit des Seins von einem ihm radikal transzendenten Urgrund. Die Formulierung drücke mit dem »ex nihilo« weiterhin aus, dass die Schöpfung »nicht aus irgendeinem präexistenten Rohmaterial oder Substrat des weltlichen Seins« erschaffen wurde. 435 Frank beruft sich dabei auf Thomas von Aquin und liest mit diesem die »creatio ex nihilo« als Schöpfung »nicht aus irgend etwas«. 436 Dadurch wird ein dualistisches Schöpfungsverständnis nach gnostisch-demiurgenhafter Vorstellung ausgeschlossen, in welcher der Schöpfer einer ihm vorgegebenen Materie gegenübersteht. Das dualistische Verständnis zurückzuweisen, ist nach Frank »als Negation völlig richtig«, bedarf aber darüber hinaus der »Aufdeckung des entgegengesetzten, positiven ontologischen Verhältnis-
Ebd. RM, 377. 432 RM, 378. 433 Vgl. RM, 378. Vgl. auch DU, 425. 434 RM, 377. 435 RM, 378. 436 Ebd. Im selben Sinne versteht auch Schmidt 2003, 143, »Das Schöpfungs-Nichts« als Präzisierung von 2 Makk 7, 28: »nicht aus Seiendem«. 430 431
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Gottes Sein als Schöpfung
ses«. 437 Weil die Schöpfung des Seins jedoch ein völlig »einzigartige[s]« Ereignis darstellt, das empirisch schlechthin »mit nichts vergleichbar« ist, 438 entzieht sich der genaue Sinn prinzipiell einem exakten Begriff. Dennoch ist der Begriff der Schöpfung nicht völlig leer. Der Sinn des »Erschaffens« erschließt sich uns in abgeleiteter Weise doch aus dem Erfahrungsbereich der Welt, da man ihn »in Analogie zu dem uns durch Erfahrung zugänglichen menschlichen Schöpfertum« fassen kann. 439 Nach Frank ist das Erschaffen insbesondere in der »Kunst […] immer Ausdruck«, worunter er im doppelten Sinne der buchstäblichen Bedeutung »sowohl die ›Prägung‹ als auch den Prozeß des ›Ausprägens‹ von irgendetwas in etwas anderem« versteht. 440 Darüber hinaus ist es aber auch übertragen zu verstehen als »Verkörperung«: »In ihr wird etwas Geistiges in einen Körper gekleidet, dringt gleichsam ins Materielle ein und erscheint in ihm als seine ›Form‹.« 441 Derart ist es eine Weise des individuellen Selbstausdruckes. Das »Sich selbst« 442 dieses Ausdruckes verweist dabei nicht lediglich auf eine seelische Gefühlswelt, sondern auf die Tiefe des Unmittelbaren Selbstseins als kreative Realität. Durch sie kann der Künstler genuin Neues, Einzigartiges hervorbringen, weil er selbst an der schöpferischen Realität als solcher teilhat, d. h. weil sein eigenes Sein selbst in abgeleitetem Sinne »seiende Potentialität« ist. 443 So wird nicht nur die absolute Realität einfach wiederholend kopiert, sondern der schöpferische Selbstausdruck ist – vor allem als Ausdruck der
RM, 378. RM, 378 f. 439 RM, 380 f. Frank bezieht sich damit auf den vorausgehenden Abschnitt »6. Die schöpferische Natur des Menschen«, RM, 306–316. Die Analogie zwischen menschlichem und göttlichem Schöpfertum über den Begriff der Kunst findet sich ebenso bei Cusanus, De mente, cap. 2, n. 61: »Omnis ergo ars finita ab arte infinita. Sicque necesse erit infinitam artem omnium artium exemplar esse, principium, medium, finem, metrum, mensuram, veritatem, praecisionem et perfectionem.« 440 RM, 307. Vgl. auch DU, 433. 441 RM, 308. Der Form-Begriff wird von Frank im Bereich der Ästhetik wie folgt erklärt: »Die Form ist ein Umriß, eine Verbindung von Elementen, die in einem begrenzten Umfang der Realität einen – aus einer unendlichen Vielzahl möglicher anderer – angemessenen, eigentümlichen Ausdruck vollendeter Unendlichkeit, aktualisierter, allumfassender und daher sich selbst genügender Fülle verleiht.« (RM, 194) 442 RM, 308. 443 RM, 308 f. 437 438
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
menschlichen Person – »der individuell-menschliche Ausdruck des in ihm wirkenden übermenschlichen Geistes.« 444 Bei aller vorauszusetzenden Ähnlichkeit zeigt sich jedoch die größere Unähnlichkeit dieses analogen Vergleichs zwischen menschlichem und göttlichem Schöpfertum sogleich in der Zeitlichkeit jeder endlichen Schöpfungsvorstellung. Soll es um die Schöpfung des Seins als Ganzen gehen, wird in ihr die Zeit mitgeschaffen. Nimmt man das ernst, so muss nach Frank »die Erschaffung der Welt […] als irgendwie auf die gesamte Zeit des Seins der Welt ausgedehnt« und »nicht als ein augenblicklicher Akt gedacht werden«. 445 Frank lenkt das Verständnis des Verhältnisses auf diese Weise in eine Richtung, die mit der Lehre der creatio continua gefasst werden kann. Er versucht den Gedanken philosophisch zu präzisieren, indem er zwei Seiten der Betrachtung unterscheidet: Die Schöpfung ist »von seiten Gottes« aus gesehen »ein überzeitliches Verhältnis«, welches sich »von seiten der Schöpfung« jedoch als »Zeitprozeß selbst« darstellt. 446 »Wenn man sich die Zeit symbolisch als eine horizontale Linie vorstellt, dann liegt die Erschaffung der Welt nicht in dieser Dimension, sondern gleichsam senkrecht dazu, geht in vertikaler Richtung von oben nach unten, d. h. ist überzeitlich. Aber diese vertikale Dimension berührt die horizontale Zeitlinie in jedem ihrer Punkte, auf ihrer gesamten Erstreckung. Daher hat die Erschaffung der Welt, von seiten der Schöpfung, d. h. in der Zeit, den Charakter eines fortdauernden Prozesses, der sich in der Zeit entfaltet. Das Sein der Welt selbst ist nichts anderes als ihre fortdauernde Erschaffung«. 447
Die »Zeitlichkeit« des Seins wird auf diese Weise nach Frank zu einem »immanente[n] Ausdruck« des »schöpferischen Impetus« des Urhebers. 448 Dieser stellt das weltliche Sein nicht lediglich in einen vollendet-abgeschlossenen – und so von ihm restlos abhängigen – Zustand, sondern übergibt ihm das Moment schöpferischer Dynamik zur Selbstgestaltung: »Gottes Schöpfertum trägt den Charakter einer Erschaffung von Schöpfern«. 449 Es ist die fortwährende Hingabe seines eigenen schöpferischen Wesens zur Selbstentfaltung, die weder
444 445 446 447 448 449
RM, 309. RM, 381. RM, 381 f. RM, 382. Ebd. Ebd.
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Gottes Sein als Schöpfung
mit dem Schöpfer identisch noch von ihm getrennt betrachtet werden kann. ›Schöpfung‹ ist derart vielmehr das Verhältnis »ungetrenntunvermischte[r] Zweieinheit von Schöpfer und Schöpfung«, so »daß das Wesen des absoluten Erstursprungs des Seins sich uns nur erschließt, wenn wir ihn nicht nur als transzendenten Erstursprung, sondern auch als immanenten Grund der Schöpfung auffassen.« 450 Die transrationale Schwebe des Antinomischen Monodualismus wird somit auch zum Ergebnis des Panentheismus. Ein mereologisches Verständnis, das insbesondere das ›en‹ des Panentheismus durch ein extensives Verhältnis zu erklären sucht (beispielsweise: Gott beinhaltet die Welt wie ein umfassender Kreis), ist abzuweisen, weil es die Denkform der Begrifflichen Erkenntnis annimmt und damit in Bezug auf die Erklärung des Gott-Welt-Verhältnisses einen Kategorienfehler begeht. »Die Kategorien ›außerhalb‹ und ›innerhalb‹ (nicht nur im anschaulich-räumlichen, sondern auch im allgemein-logischen Sinn), die alle partikulären Denkinhalte und alle Beziehungen zwischen uns konstituieren, sind ihrem Wesen nach auf Gott nicht anwendbar. Gott ist kein partikulärer Inhalt – er ist alles umfassende und alles durchdringende Einheit. Die kategorialen Momente ›außerhalb‹ und ›innerhalb‹ bestimmen ihn nicht, sondern sind durch ihn bestimmt. Daher gibt es außerhalb Gottes, absolut genommen, überhaupt nichts. Denn jedes außerhalb (wie auch jedes innerhalb) wird durch Gott selbst gesetzt, ist selbst ein Moment seiner alles bestimmenden unendlichen Fülle.« 451
Als letzter Grund jeder möglichen Bestimmtheit und jedes möglichen Seienden ist wiederum an das cusanische Non aliud zu denken, wenn Frank erklärt: »Jedes ›Andere als Gott‹ ist ›ein Anderes in Gott selbst‹, ist Gottes Anderes, ist das Moment der ›Andersheit‹, das aus der Selbsterschließung Gottes hervorgeht.« 452 Mit cusanischen Worten: Obwohl es als ›Anderes‹ bestimmt wirklich ein Anderes im Verhältnis zu Gott ist, ist es doch genau deswegen zugleich in dieser Bestimmtheit ›Nichtsanderes als das Andere‹ bzw. die ›Nichtandersheit‹ Gottes auf die Weise des Andersseins. Die Schöpfung ist so das Sein Gottes – sein eigenes schöpferisches Sein –, das er als das Andere
450 451 452
RM, 383. Ebd. Ebd. Vgl. DU, 428.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
seiner selbst sich entgegensetzt. Die Schöpfung ist dergestalt, wie Frank unter Bezug auf Cusanus formuliert: »explicatio Dei«. 453 Auf diese Weise begreift Frank das Sein der Schöpfung als »Material« Gottes, 454 das jedoch kein passiver Stoff ist, sondern lebendige Realität als Gottes schöpferische Selbsthingabe. Anknüpfend an die Schilderungen zum Grund der Personalität in der Verwiesenheit des Menschen auf Gott (Abschnitt IV, 4b) beschreibt Frank die Materialität der Realität in zwei Aspekten: Sie ist wesentlich »Potentialität, schlechthin elementare Dynamik«, welche unabhängig von Gott als ihrem Grund »formlose Dynamik und Formbarkeit« wäre, wohingegen sie »in ihrer ursprünglichen Verbindung mit Gott […] gerade kraft dieser Verbindung gleichfalls Einheit von Aktualität und Potentialität« als reale Fülle des seienden Könnens ist. 455 Man denkt sofort an die Begriffe der ›materia prima‹ und des ›actus purus‹ aus der scholastischen Tradition, welche Frank aber nicht gebraucht. Aus Franks Perspektive sind das lediglich zwei abstrakte Extreme, wohingegen die Realität niemals so »Material ist«, dass sie »bloße Passivität, Unbestimmtheit, Fügsamkeit für jede Einwirkung« darstellt, sondern im Gegenteil von jeher eine »lebendige ungeformte Dynamik«. 456 Der Schöpfungsakt als creatio continua ex nihilo wird schlussendlich zu einer »Formung«, welche einerseits als »Gliederung und Koordinierung dieses Materials« die »Einführung der Aktualität und Vollkommenheit Gottes« bedeutet. 457 Ob der Eigenaktivität der geschaffenen schöpferischen Realität lässt sie sich andererseits analog zum »künstlerischen Schaffen« des Menschen verstehen, sodass es einen gewissen »Widerstand des dabei zu formenden Materials« gibt, der die Schöpfung zu einem »schwierigen Proze[ß]« mit Höhen und Tiefen werden lässt, welcher »Überwindungen von Schwierigkeiten« nötig macht und schließlich »des dramatischen Wechsels von Gelin-
DU, 433. RM, 384. 455 Ebd. 456 RM, 385. Interessant ist diesbezüglich die Interpretation der scholastischen Tradition durch Rahner 1996, 400: »Gott […] als der oberste Terminus jenes analogen Seinsbegriffs […], […] schwankt und flimmert zwischen einem Maximum an Aktualität und einem Maximum an Potentialität, zwischen dem actus purus und der materia prima.« 457 RM, 384. 453 454
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Gottes Sein als Schöpfung
gen und Mißlingen und der unvermeidlichen relativen Unvollkommenheit seines Resultats« nicht frei bleibt. 458 Das Ziel dieses Schöpfungsprozesses ist für Frank »Selbstoffenbarung, Selbstverkörperung des Schöpfers«, 459 welche jedoch das Eigensein des Geschaffenen nicht übergeht, 460 sondern begründend voraussetzt. So hat Gottes Schaffen laut Frank zugleich eine »epische« wie auch eine »lyrische« Dimension. 461 Einerseits entwickelt sich die Schöpfung erst mit der zeitlichen Welt in endlicher Bedingtheit, sich vorbereitend auf Vollendung; andererseits findet sie im Menschen bereits »eine gewisse partielle, potenzielle ›Gottesinkarnation‹ […], in der Gott sein eigenes Wesen als Geist, Person und Heiliger ausdrücken will.« 462 Die zeitliche Seite der »›Erschaffung‹ der Welt« und die Seite »der ›Erlösung‹ oder ›Vergöttlichung‹ der Welt« werden dabei von Frank als zwei Seiten einer Medaille gesehen. 463 Das Endziel der Schöpfung als »innerer schöpferischer Prozeß der Vergeistigung« ist die Einheit mit Gott als dessen Sein im »Reich Gottes«. 464 Während der Prozess von der Seite der Schöpfung aus ihr ständiges Unterwegssein bedeutet, kann das »Endziel« dieses Prozesses »in metaphysischer Hinsicht als überzeitlich seiend«, d. h. bereits als vollendet, angenommen werden, da der Prozess ansonsten der Bedingung der Möglichkeit seines schöpferischen Werdens entbehrte. Darin liegt für Frank zugleich die christliche Hoffnung begründet wie auch die Gefahr eines idealisierenden Verständnisses, das im Kern den Pantheismusvorwurf (PTh2) wiedergibt: 465 »Der Philosophie ist eine Tendenz zum Optimismus immanent, der die Realität des Bösen verneint, was unter metaphysischen Gesichtspunkten mit einer Tendenz zum Pantheismus gleichbedeutend ist, zu einer vorbehaltlosen Anerkennung der Göttlichkeit des Seins.« 466 Ebd. RM, 388. 460 Frank lässt in der Ablehnung der »grenzenlosen Allmacht Gottes« nach Vorstellung eines tyrannischen Despoten (RM, 380) eine gewisse Sympathie für A. N. Whitehead erkennen, welcher die Einwirkung Gottes auf die Schöpfung eher teleologisch »durch ›Ermahnung‹, ›Überredung‹ (persuasion), ›Appell‹« (ebd. Fn. 23) begreift. 461 Vgl. RM, 387. 462 RM, 386. 463 RM, 388. 464 RM, 389. 465 Insbesondere nach Gläser 1975, 166. 466 DU, 442. 458 459
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Auch wenn auf die Theodizee-Problematik im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich eingegangen werden kann, 467 ist zumindest unter der ontologischen Fragestellung nach dem Gott-Welt-Verhältnis die angesprochene Problematik für den Begriff des Panentheismus zu skizzieren und auf die Antwort Franks hinzuweisen.
c)
Zur Theodizee-Problematik im Panentheismus Franks
Folgt man dem frankschen Schöpfungsverständnis als Pan-en-theismus bis zur »ungetrennt-unvermischten Zweieinheit von Schöpfer und Schöpfung« 468 und begreift dies analog zur künstlerischen Hervorbringung des Menschen, stellt sich die schwierige Frage nach dem Ursprung des Bösen. Das menschliche Schöpfertum besteht nach Frank in der endlichen Teilhabe am absoluten göttlichen Schöpfertum, und Letzteres ist als absolute Fülle des ›seienden Könnens‹ zugleich das vollkommene Schöpfertum bzw. das bestmögliche Schaffen. 469 Ist die Schöpfung aber das Werk dieses bestmöglichen Schaffens, drängt sich doch die Frage auf, woher das Böse in ihr kommt? Man könnte freilich um der Makellosigkeit des ontologischen Denkens willen einfach die Realität des Bösen in der Welt leugnen. Doch nichts läge Frank ferner. 470 Seine Lebensgeschichte zwischen den Jahren 1877 und 1950 ist von der russischen Revolution und zwei Weltkriegen – Emigration, Verfolgung, materielle Not und Krankheit einschließend – leidgeprüft wie kaum eine andere. 471 Auf dem Hintergrund seiner eigenen Lebenserfahrung hat sich Frank auch deshalb in seinen verschiedenen Schriften explizit mit der »Macht des Bösen« 467 Ausführlich zum Begriff des Bösen bei Frank siehe Ehlen 2004, 97–108, sowie Ehlen 2009, 277–288. Zudem bietet Schmidt 2003, 259–276, einen geschichtlichen Überblick wie auch eine systematische Rekonstruktion des Theodizee-Problems im Allgemeinen. 468 RM, 383. 469 Vgl. dazu bei Cusanus: Dato patr., cap. 2, n. 97. 470 Vgl. DU, 421 f. 471 Ehlen 2009, 20: »Der Erste Weltkrieg, die Revolutionen 1917, die durch den folgenden Bürgerkrieg noch verschärfte Hungersnot, die Vertreibung mit der Familie aus der Heimat und die für einen jüdischen Emigranten äußerst schwierige Existenzsicherung in Deutschland, schließlich die Flucht vor den Nationalsozialisten nach Frankreich und die Lebensgefahr während der deutschen Besatzung, die bedrückende Not im London der Nachkriegszeit – das waren keine günstigen Voraussetzungen für ein philosophisches Forschungsprogramm.«
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Gottes Sein als Schöpfung
auseinandergesetzt 472 und die Frage nach dem »Sinn des Leids« immer wieder aufgegriffen. 473 Die Ausblendung des Bösen zugunsten einer restlos vernünftigen Erklärung des Seins identifiziert dagegen seines Erachtens die weltliche Wirklichkeit mit der göttlichen – wenn auch nicht im Sinne einer einfachen Gleichsetzung von ›Gott‹ mit der ›Welt‹ im Sinne von (PTh1), so doch im Sinne von (PTh2): Die Realität als Einheit von Einheit und Vielheit würde so an ihren Ursprung in Gott auf eine Weise rückgebunden, dass sie von ihm schlechthin nicht unterschieden werden könnte. 474 Stattdessen zeigt aber die Tatsache, dass »die Realität […] auch die Quelle dessen ist, was wir im Menschenleben als Böses und Sünde wahrnehmen«, laut Frank, dass »sie auf keinen Fall einfach mit Gott gleichgesetzt werden« kann. 475 Aber wie ist das vereinbar mit einem Gottesbild, das durch höchste Güte, selbstmitteilende Liebe und vollkommenste schöpferische Fähigkeit ausgezeichnet ist? Folgt man den Epikur von Laktanz zugeschriebenen Anfragen, 476 welche eine zugespitzte Formulierung des Theodizeeproblems darstellen, so hat man die Wahl dazwischen, ob Gott eine Realität ohne das Böse entweder nicht schaffen wollte oder nicht konnte oder gar beides nicht. Aber wäre das noch Gott? Wenn wir demgegenüber an vollkommener Schöpferkraft und Güte Gottes festhalten, woher kommt dann das Böse? 477 Auch Frank schließt sich der Formulierung des Laktanz (ohne Namensnennung) zur Darstellung des Theodizee-Problems an: »›Gibt es das Böse in der Welt und ist es mit Gottes Allgüte und Allmacht nicht zu vereinbaren, so heißt dies, daß es keinen Gott gibt‹ – dies ist die leichte Schlußfolgerung, wie sie jedem zur ›Argumentation‹ fähigen Jugendlichen zugänglich ist.« 478
Vgl. Ehlen 2009, 277. Vgl. Ehlen 2009, 289. 474 Frank wirft dies Hegel und Spinoza vor (vgl. DU, 442, sowie RM, 226 f.). 475 RM, 226 f. 476 Nach Glei 1988, 58, übernimmt Laktanz die Zuschreibung in Bezug auf Epikur aus Ciceros »De natura deorum«. 477 Vgl. Lactantius, Liber de ira Dei, cap. 13 (PL 7, 121A): »Deus, inquit, aut vult tollere mala et non potest; aut potest et non vult; aut neque vult, neque potest; aut et vult et potest. Si vult et non potest, imbecillis est; quod in Deum non cadit. Si potest et non vult, invidus; quod aeque alienum a Deo. Si neque vult, neque potest, et invidus et imbecillis est; ideoque neque Deus. Si vult et potest, quod solum Deo convenit, unde ergo sunt mala?« 478 DU, 437 f. 472 473
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Ausgehend von einer augustinischen Perspektive stellt Frank aber zunächst einmal klar, dass ›das Böse‹ nicht ein ›seiender Teil‹ der Realität ist. Stattdessen kann es seines Erachtens nur als »Seins-Mangel« begriffen werden. 479 Die Realität als Gottes Schöpfung wird auf diese Weise als das positive Sein gesehen, zu dem das Böse eine Minderung, eine »privatio boni« darstellt. Die »philosophische Seinsdeutung« Franks hält folglich daran fest, dass das Sein als Schöpfung Gottes unbedingt gut ist, dass es mit dem Guten transzendental gleichzusetzen ist, »ens et bonum convertuntur«. 480 D. h. die Realität soll sein. Hingegen ist das Böse dasjenige, »was nicht sein soll«. 481 Es gehört deshalb im strengen Sinne nicht zum Sein der Realität dazu. Da es außerhalb der Realität aber schlechthin nichts gibt, darf das Böse dennoch nicht irgendwie als eine Art Anti-Realität gegenüber der Realität vorgestellt werden. Gleichzeitig ist es aber doch auch nicht schlechthin Nichts, sondern wie Frank feststellt, »eine empirische Realität, die in der Empirie eine gewaltige Kraft entwickelt und sogar über das Gute als wahrhaft Seiendes zu triumphieren scheint.« 482 Frank bezeichnet es deswegen als ein »seiende[s] Nichts«, das, wie er mit einer phänomenologischen Beschreibung zu verdeutlichen sucht, als »Abfall vom Sein, im Herausfallen aus dem Sein besteht«, und so, obwohl es eigentlich keine echte Realität ist, doch »trotzdem de facto in der Welt [existiert].« 483 Die ganze Schwierigkeit des Verständnisses des Bösen ist dadurch aber bis zum Äußersten gebracht. Ist das absolute Sein der selbstoffenbaren Realität als transzendentale Einheit von Wahrheit und Gutheit bei Frank der letzte Grund und das letzte Ziel jeder philosophisch-ontologischen Frage, so ist das Böse gewissermaßen per se das genaue Gegenteil. Es ist »eine schlechthin grundlose Realität, der es insofern auch an wahrem, seinsmäßig verwurzeltem Sein mangelt«. 484 Das heißt aber weiterhin, dass die nach einem Grund für das
479 DU, 437. Vgl. Ehlen 2004, 99 f., und Ehlen 2009, 278 f., unter Bezug auf Augustinus. Ehlen weist mit DU, 443 f., darauf hin, dass Frank allerdings als seine Gewährsmänner nicht Augustinus, sondern Makarios den Großen und Thomas von Aquin nennt. 480 Ehlen 2004, 97. 481 DU, 440. 482 DU, 441. 483 Ebd., sowie RM, 333. 484 DU, 441.
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Gottes Sein als Schöpfung
Böse suchende Frage grundsätzlich unbeantwortbar sein muss. 485 Versuchte man nämlich, einen Grund anzugeben, es zu »erklären«, so bedeute das nichts anderes, als dem Bösen einen Grund im Sein zuzuerkennen – es als das eigentlich »Illegitime« doch zu »rechtfertigen«, was gerade »dem eigensten Wesen des Bösen [widerspricht]«. 486 Man versuchte damit, wie Frank zuspitzt, dem, »was wesensmäßig Sinnlosigkeit ist«, einen »Sinn« zu verleihen. 487 Mit einem Grund im Sein versehen wäre es aber nicht mehr das NichtGesollte, sondern hätte aus einer bestimmten Perspektive Anteil an Wahrheit, Sinn und Gutheit. 488 Demgegenüber bleibt das Böse jedoch nach Frank immer das vollkommen Unverständliche, ein »mysterium iniquitatis«, 489 das nur um den Preis des Selbstwiderspruches in antinomischer Form zum Ausdruck gebracht werden kann: Obwohl es eigentlich nicht ist, ist es doch nicht schlechthin Nichts. Es kann kein ursächlicher Grund für das Böse angegeben werden, und doch ist seine Grundlosigkeit keine unbedingte, in sich selbst stehende Selbstbegründung – ganz im Gegenteil. Das Böse ist keine dem Guten gleichberechtigt entgegengestellte Realität nach gnostischer Vorstellungsart, 490 sondern kann in seiner pervertierten Weise nur ›sein‹, insofern es ›Raub am Sein‹ ist – wie etwa die Krankheit nur als Schädigung eines vorgegebenen Körpers oder das Loch nur als Fehlstelle einer materiellen Sache gedacht werden kann. Frank gibt jedoch damit nicht auf. Gemäß dem Prinzip der docta ignorantia ist die Einsicht in die Unbegreifbarkeit schließlich kein reines Unwissen. Der Grund der Unbegreifbarkeit des Bösen konnte mithin phänomenologisch aufgezeigt werden. Weiterhin betont Frank, dass es doch in einem gewissen Sinne ›ist‹ (wie etwa auch Löcher ›sind‹), soweit es sich eben am Sein vergreift. Wenn ihm auch kein ontologischer Grund als Kausalursache zuweisbar ist, so kann damit doch eine gewisse ›Verortung‹ vorgenommen werden. Die 485 Und es gleicht einer Anmaßung, wenn man »in der Stellung des unlösbaren Theodizeeproblems das Urteil über die ganze Welt – selbst über Gott – zu sprechen und die Position eines Richters über das Sein einzunehmen« gedenkt (DU, 459). 486 DU, 440. 487 Ebd. 488 In einer solchen sich ins Makabere versteigenden Rechtfertigung des Bösen münden etwa die stoischen Erklärungsweisen für das Böse, an welche sich auch Leibniz anschließt. Schmidt 2003, 264, bezeichnet sie deshalb als eine »Art von ›argumenta ad hominem‹«, welche die »Theodizee in Mißkredit« bringen. 489 Ehlen 2004, 97; Ehlen 2009, 277. 490 Vgl. DU, 456, und sich darauf beziehend Ehlen 2004, 99.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Frage wandelt sich von derjenigen nach einem Kausalgrund somit transzendental. Frank fragt, wo der Ursprung des Bösen als seine Bedingung der Möglichkeit anzusiedeln ist. Hinsichtlich des Panentheismus-Verständnisses ist diese Überlegung von entscheidender Bedeutung. Frank verortet den Ursprung des Bösen im ausdrücklichen Widerspruch zu den Spekulationen Böhmes und Schellings nicht im Wesen Gottes. Obwohl ›Pan-en-theismus‹ wörtlich besagt, dass ›Alles in Gott‹ ist, gehört das Böse also nicht zu diesem ›Alles‹ dazu. Es besteht vielmehr als »Prinzip der reinen Grundlosigkeit« nach Frank gerade in der eigentümlichen »Loslösung von Gott«. 491 Mithin ist es andererseits zwar kein seiender Teil der Realität, aber doch irgendwie ›in‹ ihr vorhanden, »als geistige Qualität«, 492 die nicht unabhängig vom realen Seinsvollzug sein kann. Sofern die Realität aber als Schöpfung Gottes aus ihm hervorgeht, Gottes Sein als das Andere seiner selbst ist, bleibt schwerlich zu verstehen, wie das Böse hier Raum greifen kann. Und doch markiert Frank gerade diesen Bereich: »Der Ort der grundlosen Urzeugung des Bösen ist jener Ort in der Realität, wo sie aus Gott geboren und in Gott seiend aufhört, Gott zu sein. Das Böse entsteht aus dem unsagbaren Abgrund, der gewissermaßen genau auf der Schwelle zwischen Gott und ›Nicht-Gott‹ liegt.« 493
Die Vermutung aber, dass »Frank nun eigentlich endgültig zwei Realitätsbegriffe ansetzen und […] so auf einen Seinsdualismus zusteuern« müsste, 494 erweist sich im Rückblick auf die Beschreibung der Realität vom Unmittelbaren Selbstsein her und im Zusammenhang des Verständnisses ihrer schöpferischen Dynamik als unangebracht. Es sind vielmehr zwei Seiten der einen Realität, wie sie sich im geistigen Wesen des Menschen als »Anderssein Gottes« entdeckt. 495 Das Böse als Privation ist niemals gegenständlich erkennbar, genauso wenig wie sein Ursprung. Es geht »über die Grenzen der objektiven Wirklichkeit« hinaus. 496 Der angezeigte ›Ort‹ liegt als geistige Reali-
491 492 493 494 495 496
RM, 333, dort insb. Fn. 15; vgl. DU, 442 und 457. Ehlen 2004, 97. DU, 458. Rörig 2010, 187. RM, 303. RM, 321.
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Gottes Sein als Schöpfung
tät vielmehr »in mir«. 497 Er »gehört offenbar zum inneren Selbstsein des Menschen«, d. h. »zur Sphäre der Realität«, auch wenn er gleichzeitig »nicht in ihr festgemacht werden« kann. 498 Der Ursprung besteht nach Frank in der »Entartung der autonomen Person im Menschen, die durch ihre Verbindung mit seinem gottverwandten und mit Gott verschmolzenen Wesen konstituiert ist, zu einem grundlosen, vermeintlich seienden, eigenmächtigen Ich.« 499 Die grundlose Irrationalität ist aber nur in der als »Sünde« »erlebte[n] Schuld« überhaupt erkenntlich, d. h. in dem Erleben der eigenen »Verantwortlichkeit« für das Böse. 500 Von diesem Bewusstsein her wird eine Beschreibung möglich, welche auf die zwei Seiten der Realität eingehen kann. Rein für sich betrachtet – und in dieser abstrakten Einseitigkeit an dieser Stelle nur propädeutisch angenommen – wäre die Realität »losgelöst« von ihrem »Erstursprung« in Gott eine »bloße formlose dynamische Potentialität«. 501 Derart würde sich die ›bedingte Unbedingtheit‹ in »eine finstere, zerstörerische, dämonische Elementarkraft« 502 verwandeln, wollte man sie allein für sich behaupten. Dies zeigte sich in den Überlegungen zum Gottmenschentum in Bezug auf den »areligiösen Humanismus« deutlich (siehe Abschnitt V, 3): Die grundlose Spontaneität wird in ihrer potentiellen Unendlichkeit verabsolutiert zum »Chaos«, zu einer blinden und verzehrenden Form von »Freiheit«, die nur auf Kosten von anderem besteht. 503 Ihr eigentliches und positives, wahrhaft schöpferisches und freies Wesen hat die Realität hingegen nur in der Verbindung mit ihrem Erstursprung als »Einheit und Koinzidenz von Aktualität und Potentialität, von Vollendung und schöpferischer Dynamik.« 504 DU, 458. RM, 321. 499 RM, 336. 500 DU, 458. Vgl. dazu Ehlen 2009, 287 f. 501 RM, 333. 502 Ebd. 503 Vgl. RM, 333 f. Frank nennt sie eigentlich eine »Pseudo-Freiheit«, weil sie als »Träger von Nichtsein« bereits »zum Gefangenen, der von mir erzeugten dunklen Macht des Nichtseins« geworden ist (DU, 458 f.). 504 RM, 329. Der franksche Freiheitsbegriff kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eigens erörtert werden. Auf ihn ist nur hinsichtlich des Panentheismusbegriffes einzugehen. Er würde eine umfassendere Erörterung verdienen, um ihn vor abstrakten Verständnisweisen (Determinismus, Libertarismus, Kompatibilismus) zu bewahren. Insbesondere ist aber auf den von Frank betonten Unterschied zwischen »Wahlfrei497 498
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Damit ist freilich keine hinreichende Erklärung gegeben, warum und wie sich die Realität in der menschlichen Person aus der Verbindung mit ihrem Erstursprung in Gott löst. Es verdeutlicht aber die Bedeutung des richtigen Verständnisses der ›Andersheit‹ im Blick auf die autonome Selbständigkeit der Realität. In Bezug auf den Panentheismus-Begriff hängt daran die Frage nach der Eigenständigkeit des ›Alles‹ in Gott. Frank greift dafür auf seine Überlegungen zur Rolle der Negation zurück, welche »als Realitätsmoment in jedem Seienden das tiefste Wesen dessen, was wir ›Freiheit‹ nennen«, ausmacht. 505 Er bringt die Funktion der Negation abermals pointiert in diesem Zusammenhang zum Ausdruck. Der Sinn der Negation besteht ihm zufolge darin, »ein gleichzeitig individualisierendes und verbindendes Prinzip« zu sein. 506 Als das eines von anderem unterscheidende Prinzip konstituiert die Negation jedes endliche Seiende, indem es dieses in ein internes Bezugsverhältnis zu allem anderen setzt. 507 So gesehen ist jedes Seiende nach Frank »ein seiendes ›Nicht‹«, 508 das in Andersheit besteht. Es ist dies jedoch im positiven Sinne, weil es durch die Negation nicht isoliert wird, sondern in einer aktiven Verbindung zu allem anderen besteht, d. h. gerade in dieser Verbindung als transzendierende Realität seine eigene Substanzialität gewinnt. Gegenüber einem solchen »positiven, transzendierenden ›Nicht‹« ist das ›seiende Nichts‹ des Bösen eine Form der Selbstverabsolutierung der Negation, welche es »in ein verschließendes, absolut isolierendes ›Nicht‹« verwandelt. 509 Die Abgrenzung des einen vom anderen wird somit undurchlässig. Sie wird zu einer Versteifung heit« und »Willensfreiheit« hinzuweisen (Vgl. RM, 321–324). Für Frank ist die Wahlfreiheit eine Sekundärform der Willensfreiheit: »Eine präzise, gleichsam ruhige Auswahl zwischen zwei dem menschlichen Bewußtsein fertig gegenüberstehenden Möglichkeiten findet ausschließlich bei der von intellektuellen Überlegungen gesteuerten Wahl zwischen verschiedenen Mitteln statt.« (RM, 322) Demgegenüber ist die grundlegende Freiheit für Frank »Selbstverwirklichung« oder hegelsch »Bei-Sich-Sein« als »innere Notwendigkeit als Bestimmtsein durch sich selbst« (RM, 333). Absolut vollkommene Freiheit kommt somit nur Gott zu, dem sie »als ewige Selbstverwirklichung und Selbsterschaffung, als absolute schöpferische Dynamik, in der die Kategorien des vollendeten Seins und des schöpferischen Lebens zusammenfallen«, eignet (RM, 329). 505 DU, 445. Siehe auch Abschnitte III, 3a und b. 506 DU, 444. 507 Vgl. Abschnitte III, 3a und b. 508 DU, 445. 509 Ebd.
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Gottes Sein als Schöpfung
auf sich selbst, die nichts anderes außer sich gelten lassen will. Obwohl mit dieser vollkommenen Abschottung gegenüber allem anderen gerade eine absolute »Selbstbehauptung« intendiert ist, hat das verabsolutierte Nicht doch nur das Gegenteil zum Ergebnis: Im Wunsch danach selbst alle Realität zu sein, wird das Wesen der Realität als wechselseitige Selbsttranszendenz unterlaufen. Statt die eigene Substanzialität durch den internen Bezug zu anderen zu erhalten, stellt es sich gegen die Anderen. Es wird allerdings auf diese Weise nur »zu einem scheinbaren Absoluten, zu einer Pseudo-Gottheit«, die »in Wirklichkeit, seinsmäßig doch nicht alles [ist], sondern [des unendlich Vielen, alles Übrigen, bedarf]«. 510 In dieser isolierenden Gegenübergestelltheit »kann sich sein vorgebliches Alles-Sein nur in Form eines unendlichen, unermüdlichen Strebens verwirklichen, sich alles anzueignen, alles zu verschlingen.« 511 Die Konsequenz ist nach Frank, dass die Realität, »wie sie empirisch erscheint, […] eine geborstene Einheit« ist, dass sie gleichsam »Risse«, »Abgründe des Nichtseins – Abgründe des Bösen« aufweist. 512 Die Verabsolutierung der Negation zur Isolation führt mit anderen Worten in einen komplexen Verstrickungszusammenhang des Bösen, der die ganze Realität des geschöpflichen Seins zeichnet. »Da jede Isolierung wesensmäßig eine gegenseitige ist – indem ich mich nämlich von [den] Anderen isoliere, habe ich ja damit auch sie als Wesen vor mir, die von mir isoliert sind, – ist diese metaphysische Verfassung der Welt ein unendlicher Kampf aller gegen alle, es ist eine Welt, in der Raub und Mord herrschen. […] Da jedes besondere und einzelne Wesen seinsmäßig mit den anderen verbunden ist und sie braucht, in ihnen eine Stütze seines Seins hat, ist dieser Kampf eine unendliche Selbstvernichtung, Selbstzerfleischung und Selbstmord. Darin besteht eben die Höllenqual des irdischen [S]eins.« 513
Für Frank ergibt sich auf diesem Wege auch die Möglichkeit, den Verstrickungszusammenhang als »Sündenfall« zu deuten, 514 dessen Auswirkung »von universaler Bedeutung« ist. 515 Dieser Gedanke kann im Rahmen der Fragestellung jedoch nicht ausführlich erörtert werden.
510 511 512 513 514 515
DU, 446 [Übersetzung geändert, D. St.]. Ebd. DU, 442. DU, 446. DU, 452 f. Ehlen 2009, 286.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
Der Fokus ist stattdessen auf den Zusammenhang mit dem Panentheismus zu legen. Dort, wo sich die Schöpfung in ihrer Selbstentwicklung am meisten zur Autonomie entwickelt, wird sie bei Frank Gott am ähnlichsten. Sie wird Gott in der Gottmenschlichkeit des Menschen ›Bild und Gleichnis‹. Zugleich erhält die Schöpfung allerdings dadurch die irrationale Möglichkeit, sich von dem sie hervorbringenden und erhaltenden Grund zu lösen. Der Grund dafür liegt für Frank nicht in der Endlichkeit der Schöpfung. Ehlen weist darauf hin, dass es gerade das Anliegen der frankschen Philosophie ist, zu zeigen, dass das Endliche »in sich das Unendliche enthalten« kann. 516 Vielmehr besteht die Bedingung der Möglichkeit des Bösen in der Gottmenschlichkeit selbst, 517 insofern der Mensch von Gott als bedingte Unbedingtheit derart autonom ›sein gelassen‹ wird, dass es ihm möglich ist, sich sogar gegen seinen eigenen Seinsgrund zu wenden. Ein Pantheismus (auch im Sinne von (PTh2) ist auf diese Weise grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings bedarf es der Vorsicht, wenn man die Möglichkeit zum Bösen als Erweis der Autonomie des Menschen gegenüber seinem Ursprung deuten wollte. Es ist sicher richtig, dass die Gottmenschlichkeit als höchste Form der Selbstmitteilung Gottes bis ins Unbedingte selbst reicht und ihren Ausdruck in der bedingten Unbedingtheit des Menschen dadurch erhält, dass dieser die Möglichkeit hat, jede Bedingung zu transzendieren. Dies schließt sogar die Bedingung seiner eigenen Unbedingtheit ein. Das Böse ist auf diese Weise aber gerade ein pervertierter Ausdruck der Unbedingtheit des Menschen, weil sich in ihm die Teilhabe an der Unbedingtheit Gottes auflöst. Frank beschreibt es eindrücklich mit dem Symbol der »Nabelschnur«, welche als »Verbindung des Menschen mit Gott« im Bösen geschwächt wird, sodass sich das dem Menschen eigene Sein als Fülle mindert und zu einer für die »formlosen, chaotischen, dämonischen Kräft[e]« der »abgesonderten Potentialität« offenen »Leere« verkommt. 518 Das ›Nein zum Sein‹ des Bösen kann somit aber als negatives Beispiel dienen. Es kann abermals unterstreichen, dass die Autonomie und Substanzialität der Schöpfung nicht in einer abstrakten Form gedacht werden darf. Die Schöpfung besteht nicht schlechthin 516 517 518
Ehlen 2009, 287. Vgl. Ebd. RM, 338.
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Gottes Sein als Schöpfung
gegenüber ihrem schöpferischen Ursprung. Sie ist mit ihm auch nicht vollkommen identifizierbar. Zudem ist sie auch nicht ein ›in‹ ihm vorhanden isolierter Teil. Die Schöpfung erhält ihre eigene autonome Gestalt vielmehr nur in ihrem Zusammenhang mit Gott als Schöpfer. Dadurch drängt er sich ihr nicht auf, sondern gibt sich vielmehr (vor allem im christlichen Verständnis, welches Frank teilt) bis zur Anteilnahme am Leid der Schöpfung hin. 519 In dieser bis ins Letzte gehenden schöpferischen Liebe Gottes eröffnet sich für Frank auch die Gewissheit des letzten metaphysischen Sieges über das Böse. 520 So ist das ›In-Gott-Sein‹ des frankschen Panentheismus weder ein einfaches ›Gott-Sein‹ noch ein ›Entgegen-Gott-Sein‹, sondern bis in die letzte metaphysische Tiefe ein ›Mit-Gott-Sein‹. Dies gilt für die ganze Schöpfung im jeweiligen Maße ihrer Teilhabe – am meisten jedoch für den Menschen als Person, der im »Gott-mit-mir«, d. h. in der personalen Begegnung mit seinem ontologischen Urgrund, den je individuellen Selbstausdruck des gottmenschlichen Seins darstellt. In ihm kommt die wesentliche Zweieinheit von Gott und Mensch, wie von Schöpfer und Schöpfung im höchsten Sinne als wechselseitig selbsttranszendente Beziehungseinheit – der Liebe – zur Darstellung. »Die Begründung und Bereicherung, die ich von diesem mich erfüllenden Du erhalte, erfahre ich als unendlich groß. Ich erfahre es als etwas, das mich erst erschafft, mir das Leben schenkt und mich zum Leben erweckt. Ja, es zeigt sich mir dieses Du nicht als ein gewisses, in sich verschlossenes Sein, welches sozusagen zufällig, ›unter anderem‹, mich bereichert oder genauer gesagt, erzeugt bzw. erschafft. Sein Wesen ist vielmehr selbst ein schöpferisches Fließen über den Rand hinaus, ein ›Sich-Schenken‹. Dieses Du ist kein ›Gegenstand‹, kein verschlossen oder egozentrisch in sich selbst verharrendes Wesen. Es ist auch kein Wesen, welches sich sozusagen nur zufällig in der Du-Form des Seins mir zugewendet hat. Es ist selbst, seinem eigensten Wesen nach, ein Strom, der sich auf mich ergießt, mich damit erzeugt oder zum Leben ruft. Es ist nicht nur der ›Geliebte‹ und auch nicht nur der ›Liebende‹ – es ist die Liebe, die schöpferische Liebe selber. ›Gott ist Liebe‹.« 521
519 520 521
Vgl. dazu Ehlen 2009, 294–300. Vgl. DU, 439 i. V. m. 464–466, sowie RM, 390 f., und MuiG, 51 f. DU, 399; in der von Frank dort angeschlossenen Fn. 135 beruft er sich auf 1 Joh. 4,8.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
5.
Zur Bedeutung der philosophischen Theologie Franks
Zur allgemeinen Rezeption des frankschen Denkens gibt Ehlen eine Übersicht, in der er auch auf vielfältige Probleme und Missverständnisse eingeht. 522 Die Darstellung kann hier nicht im Einzelnen referiert werden. Vielmehr sollen im Anschluss an sie einige darüber hinausreichende Hinweise gegeben werden, welche die Bedeutung insbesondere der philosophischen Theologie Franks akzentuieren. In ihrem Mittelpunkt steht, wie dargestellt wurde, der Begriff des Gottmenschentums. Frank entwickelt ihn ausgehend von erkenntnismetaphysischen Überlegungen, d. h. philosophisch, in einem fundamentalontologischen Rahmen. Den letzten Punkt der transzendentalontologischen Überlegungen bringt Frank im Antinomischen Monodualismus als Einheit von Einheit und Vielfalt mit dem transrationalen Sein der Realität zum Ausdruck. Diese Realität ›haben‹ wir niemals im Erkenntnisbegriff als solche – dort ist sie nur in abgeleiteter Weise, immer nur approximativ, als Objektive Wirklichkeit gegeben. Ihr wahres Wesen, als Vollzug des Transzendierens, kann nach Frank nur in der Vollzugsgewissheit des unmittelbaren Seinserlebens – im Lebendigen Wissen – transzendental eingesehen werden. Die Frage nach dem Sein ist deswegen nie unabhängig vom seienden Subjekt, von dem die Frage stellenden Menschen zu klären. Vielmehr zeigt sich der einzig adäquate Zugang zur philosophischen Erörterung der Seinsfrage in der transzendental-phänomenologischen Vertiefung in das eigene Unmittelbare Selbstsein. Dort offenbart sich die Realität als geistiger Tiefengrund des Menschen, der ihn Person sein lässt: Eine wesentlich sich selbst transzendierende bedingte Unbedingtheit, die sich intern-relational aus dem wechselseitigen Bezug mit Anderen konstituiert. Insbesondere die interpersonale Erfahrung als nicht-objektivierbare, lebendige geistige Wechselbeziehung des Transzendierens, die in ihrem Beziehungsvollzug eine prinzipiell unbegrenzte Offenheit für weitere Teilhaber bekundet, bietet Frank die Möglichkeit, das Sein bis in die letzte Tiefe personal zu deuten. Das transrationale Sein des Antinomischen Monodualismus offenbart sich dergestalt als personale Beziehungseinheit. ›Personalität‹ wird auf diese Weise – anstatt eine numerische Begrenzung, isolierte Gegenüberstellung oder charakterliche Eigenschaftsbeschreibung darzustellen – als Transzendentalie fassbar, weil ihre eigentliche Bedeu522
Siehe Ehlen 2009, 321–344.
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Zur Bedeutung der philosophischen Theologie Franks
tung gerade in der Grenzüberschreitung, im Transzendieren, verdeutlicht werden kann. Je nachdem in welchem Maße etwas ›ist‹, im Sinne des Sich-Vollziehens, ist es eine transzendierende Realität. Die Höchstform, eine transzendierende Realität zu sein, ist nach Frank die Person. Der letzte Grund der absoluten Wir-Einheit des Seins kann ihm zufolge deshalb aber nicht als eine bloß allgemein wirkende Begründung gedacht werden. Vielmehr beschreibt Frank die notwendige Bedingung der Möglichkeit der allgemein personalen Realität in der je individuellen Begründung des je einzeln Seienden. Mit anderen Worten setzt die Realität personaler Beziehungsglieder voraus, dass der letzte Grund von Beziehungshaftigkeit überhaupt ebenfalls in einer personalen Begründungsbeziehung zu jedem Einzelnen steht. Das heißt, er kann selbst nicht weniger als personal sein. Der transzendentalphilosophische Gottesbegriff führt auf diese Weise von sich her konsequent über die metaphysische Erfahrung des Lebendigen Wissens hin zur religiösen Erfahrung als lebendiger Begegnung. Franks philosophische Theologie erschöpft sich somit nicht in einer wie auch immer gearteten Ontotheologie. Ihr letztes Ergebnis ist nicht der sogenannte ›Gott der Philosophen‹. Dieser stellt zudem bei Frank keinen reinen Gegensatz zum ›Gott des religiösen Glaubens‹ dar. Vielmehr zeigt sich, dass beide Gottesbegriffe zwei Seiten – die verallgemeinerbar metaphysische und die individuell religiöse – ein und desselben bedeuten und keinesfalls vollkommen voneinander getrennt werden können. Es ergibt sich zwar ein unbestreitbarer Primat der religiösen Erfahrung, insofern die persönliche Begegnung mit Gott in der ungetrennt-unvermischten Einheit des ›Gott-mitmir‹ – des Gottmenschentums – jeder reflexiv-explikativen Verallgemeinerung notwendig vorausgeht. Deshalb ist die individuell-konkrete Geschichtlichkeit für den Begriff der religiösen Erfahrung wie auch für einen religiös adäquaten Gottesbegriff unverzichtbar. 523 An523 Dies moniert etwa Schaeffler 2002, 241 und 298–304. Dementsprechend ist auf die Bedeutung der »ganz persönlichen Erlebnisse des Gläubigen, der gleichsam lyrischen oder dramatischen Prozesse und Vorgänge in der Beziehung der menschlichen Seele zu Gott« (RM, 231), für Franks Begriff der religiösen Erfahrung hinzuweisen, ferner darauf, dass »auch ›Kirche‹ für Frank nicht ohne sinnliche und geschichtliche Wirklichkeit sein [kann]« (Ehlen 2009, 276), selbst wenn er nicht explizit auf die »Apostolizität« (Ehlen 2009, 274, Fn. 6) reflektiert. Damit liegt es der frankschen Transzendentalphilosophie fern, Gott zu einem bloßen »Reflexionsprodukt« zu machen; hingegen wird vielmehr jene Nähe zwischen »transzendentale[r] Erfahrung« und »religiöser Erfahrung«, welche auch Schaeffler durchaus sieht (Schaeffler 2002, 223 f.), ausdrücklich von Frank begründet.
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Philosophische Theologie: Was/wer ist ›Gott‹?
dererseits steht dies der metaphysischen Erfahrung aber nicht widersprechend entgegen, sondern findet in der transzendental reflektierten Vertiefung in das eigene Selbstsein, bis hin zur Personalität des Absoluten, ein hermeneutisch wirksames Explikat. Es bietet sowohl dem nach Rechtfertigung des religiösen Glaubens Gefragten ein vernünftiges Medium der Artikualtion 524 als auch dem religiösen Sucher eine konfessionell neutrale und den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht widersprechende (sondern voraus- und zugrundeliegende) Orientierungsmöglichkeit. Der aufgezeigte weite Religionsbegriff der ›Rückbindung an den ontologischen Grund‹ 525 und der franksche Begriff des Glaubens als »Wille, die Seele der Wahrheit zu öffnen« 526 können zudem eine vermittelnde Basis für den interreligiösen Dialog abgeben. Franks Begriff der religiösen Erfahrung als individuell-konkretes Erlebnisgeschehen der Begegnung mit dem letzten Grund – als Immanenz des Transzendenten – erweist sich dabei als besonders ertragreich, 527 weil er zugleich die nötige Offenheit gegenüber den individuellen Erfahrungen gebietet und die notwendige Beschränktheit jeder begrifflich explizierten Theologie herausstellt, ohne dadurch einem grundsätzlichen Relativismus das Wort zu reden. Frank nimmt seinem Antinomischen Monodualismus entsprechend damit eine Position über den abstrakten Extremen ein, welche ihren theologischen Ausdruck im Panentheismus findet. Ehlen zeigt anhand einer Gegenüberstellung der Begriffe religiöser Erfahrung von W. P. Alston und J. Hick die Möglichkeit auf, Franks Ansatz in korrigierender Funktion in die aktuelle Debatte einzubringen: 528 Alston begreift nach Ehlen religiöse Erfahrung als Gotteserfahrung in einer »direkte[n] und unmittelbare[n] nichtsinnliche[n] Wahrnehmung« und somit als »eine Subjekt-Objekt-Relation«, in der Gott sich als nichtsinnliches Erkenntnisobjekt dem Subjekt »präsentiert«. 529 Gott wird so zu einem Erfahrungsinhalt in gleicher Weise wie alle anderen Seienden. Hingegen behauptet Hick die wesentliche Transzendenz der »letzten Wirklichkeit« (ultimately Real) gegenüber jeder inhaltlichen Erfahrung. Dies impliziert auch 524 525 526 527 528 529
Vgl. 1 Petrus 3, 15. Siehe Abschnitt III, 4. MuiG, 63. Siehe die Abschnitte V, 2a und c. Vgl. Ehlen 2009, 217–219. Ehlen 2009, 217 f.
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Zur Bedeutung der philosophischen Theologie Franks
die religiöse Erfahrung, die wie schon bei Alston als »Subjekt-ObjektRelation« begriffen wird, nur dass das Erkenntnisobjekt nun in seinem »an sich« als grundsätzlich entzogen gilt, wodurch jede spezifische Deutung sich in kulturgeschichtliche Relativität der Erfahrungsinterpretation auflöst. 530 Während Alston den Immanenzaspekt der Erfahrung zu behaupten versucht, bemüht sich Hick um den Transzendenzaspekt. Das Problem besteht jedoch aus frankscher Perspektive im Erfahrungsbegriff selbst. Er wird bei beiden gemäß der Einstellung Begrifflicher Erkenntnis auf die Objektive Wirklichkeit beschränkt – mithin wird Gott zu einem Teil der Objektiven Wirklichkeit. Der Versuch Hicks, die letzte Wirklichkeit in ihrem Transzendenz-Aspekt zu betonen, kann sie somit doch wieder nur als ein transzendentes Objekt – ein prinzipiell unbegreifbares ›Ding an sich‹ – verstehen. Diese missliche Lage überwindet Frank, indem er auf die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung des Transzendenten als solchen reflektiert und auf diese Weise transzendental die Immanenz des Transzendenten als Grundlage jeder menschlichen Erkenntnis erweist. 531 Frank weiß dies insbesondere für den Begriff der religiösen Erfahrung fruchtbar zu machen. Er erklärt die »immanente Erfahrung einer transzendenten Realität« 532 in der religiösen Erfahrung auf dem Hintergrund seiner personalistisch vertieften Ontologie als »Erfahrung der Gemeinschaft« zur »lebendigen Begegnung«. 533 Anschließend an die Gegenüberstellung Ehlens kann der Vorzug des frankschen Denkens anhand der von Hick inspirierten Überlegungen Perry Schmidt-Leukels weiter verdeutlicht werden. Schmidt-Leukel versteht religiöse Erfahrung als »Offenbarungsempfang« 534 und unterscheidet ein »instruktionstheoretische[s] Verständnis von Offenbarung« von einem »kommunikationstheoretische[n] Verständnis«. 535 Ersteres bedeutet ihm zufolge die »göttlich[e] Mitteilung bestimmter satzhafter Wahrheiten oder Texte«, während nach Letzterem »Gott nicht mehr Sätze oder Inhalte offenbart, sondern sich selbst, sodass hierdurch dem Menschen eine Beziehung zu Gott ermöglicht wird.« 536 Vor allem aufgrund der »offenbarungskri530 531 532 533 534 535 536
Ehlen 2009, 218 f. Siehe Abschnitt III, 3a. MuiG, 58. MuiG, 74 f. Schmidt-Leukel 2005, 217. Schmidt-Leukel 2005, 212. Ebd.
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tischen Einwände der Aufklärung« 537 hat sich laut Schmidt-Leukel ein geschichtlicher Wandel des theologischen Offenbarungsverständnisses zum kommunikationstheoretischen Verständnis ergeben. Als entscheidende Punkte dieses Wandels markiert er, dass es zum einen »um die Erkenntnis dieser göttlichen Wirklichkeit selbst geht«, deshalb aber zum anderen die begrifflichen Erkenntnisinhalte sekundären Charakter annehmen, sogar »ganz auf die Seite des Menschen [rücken]« und zu einem bloßen »Ausdruck der menschlichen Reaktion auf die Offenbarung beziehungsweise göttliche Selbsterschließung« werden. 538 Zudem ist seines Erachtens festzustellen, dass die »Gewissheit von Offenbarung […] nicht gewisser […] als die Existenz Gottes« sein könne – und Letztere sei niemals »von einer solchen, allgemein zwingenden Evidenz […], dass […] kein rationaler Zweifel mehr möglich wäre.« 539 Nach Schmidt-Leukel offenbart sich »die unendlich transzendente Wirklichkeit selbst« gerade »als eine unbegreifbare und unbeschreibbare Wirklichkeit« und steht deswegen auch allen »konkreten personalen und impersonalen Vorstellungen« gleichsam indifferent gegenüber. 540 Ausnahmslos jede Offenbarung sei schließlich »vermittelt« durch einen »interpretativen Akt«, 541 weil »Offenbarung« einen »Relationsbegriff« darstelle, der als »eine bestimmte Beziehung zwischen dem Offenbarer und dem Offenbarungsempfänger« zu gelten habe. 542 So ist sein Fazit, dass auch die religiöse Erfahrung »eine begrifflich vermittelte Erfahrung« sei, »in der Endliches als Darstellung des Unendlichen erlebt wird«. 543 Dies habe ferner zur Konsequenz, »dass die Gotteserfahrung der Menschen zwangsläufig geprägt ist von den begrifflichen Interpretamenten ihrer jeweiligen Zeit und Kultur.« 544 Er sieht darin keinen »Relativismus«, sondern einen »perspektivenrelativen Realismus«, welcher sich durch den »gemeinsamen Bezugspunkt« auf die eine »gemeinsam[e] Wirklichkeit« legitimiere. 545 Aus einer religionstheologisch pluralistischen Perspektive ergibt sich ihm zufolge eine un537 538 539 540 541 542 543 544 545
Schmidt-Leukel 2005, 213. Schmidt-Leukel 2005, 214. Schmidt-Leukel 2005, 214 f. Schmidt-Leukel 2005, 216. Schmidt-Leukel 2005, 220 f. Schmidt-Leukel 2005, 217. Schmidt-Leukel 2005, 221. Schmidt-Leukel 2005, 223. Schmidt-Leukel 2005, 224 f.
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voreingenommene Ausgangsbasis des interreligiösen Dialogs nur über die Einsicht, dass »[d]ie transzendente Wirklichkeit in ihrem unendlichen An-sich-Sein begreifen und konsistent beschreiben zu wollen, […] ebenso vermessen wie verfehlt und zudem von der Aussicht auf Erfolglosigkeit gekrönt« sei. 546 Man könnte verleitet sein, eine gewisse Nähe zum frankschen Denken anzunehmen, weil Schmidt-Leukel wie Frank die letzte Wirklichkeit als wesentlich überbegriffliche Realität deutet. Auch das kommunikationstheoretische Offenbarungsverständnis entspricht dem frankschen Ansatz. 547 Sieht man genauer hin, bestehen jedoch grundsätzliche Unterschiede zwischen beiden Denkern. Wiederum stellt die Auffassung der religiösen Erfahrung den Kernpunkt der Kritik dar. Schmidt-Leukel steht letztlich in derselben Reihe mit Alston und Hick. Zwar versteht er ganz im Sinne Franks die religiöse Erfahrung von der Selbstoffenbarung Gottes her, die zudem nicht irgendwelche begrifflichen Erkenntnisinhalte von Gott, sondern dessen Sein mitteilt – und dies so, dass dadurch eine ›Beziehung‹ zwischen Mensch und Gott etabliert wird. Aber Schmidt-Leukel reflektiert nicht auf die erkenntnismetaphysische Bedeutung des Unterschiedes zwischen kommunikationstheoretischem und instruktionstheoretischem Offenbarungsverständnis. Für ihn ist es ausdrücklich ein und dieselbe Erkenntnisrelation. Der ›Offenbarende‹ ist ihm zufolge dem ›Offenbarungsempfänger‹ genauso gegenübergestellt wie das Erkenntnisobjekt dem Erkenntnissubjekt. Noch dazu bleibt der Offenbarungsempfang ein begrifflich vermittelter, dessen Gewissheit rationalen Zweifeln ausgesetzt ist. Demgegenüber kann Frank das Offenbarungsgeschehen als interpersonal-ontologisches deuten. So wird Gottes Offenbarung gerade nicht durch einen begrifflich vermittelten gegenständlichen Erkenntnisakt empfangen, sondern geschieht im Erleben der lebendigen Begegnung. Dieses Erleben bedeutet, wie ausführlich dargestellt wurde (siehe Abschnitt V, 2b), gerade keine äußerliche oder innere Subjekt-Objekt-Relation. Es handelt sich vielmehr um ein personal ver-
Schmidt-Leukel 2005, 248. Vgl. insb. MuiG, 108, wo Frank »Offenbarung« als »unmittelbare Erscheinung der göttlichen Wahrheit« bezeichnet, welche »den Charakter einer gewissen ›Begegnung‹ mit Gott« trägt; demgegenüber urteilt Frank, die instruktionstheoretische »Idee der inspiratio verbalis« sei »ein unsinniger Götzendienst«, welcher »in direktem Widerspruch zur Lehre der Schrift selbst« stehe (MuiG, 106). 546 547
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tieftes Lebendiges Wissen des unbezweifelbaren eigenen Seins im Vollzug. In meinem eigenen Sein als Person erlebe ich individuellkonkret meine Begründung durch den letzten Tiefengrund der Realität. Er offenbart sich mir in völlig einzigartiger (über-)personaler Art und Weise als mir existenziell zugewandter und von meinem Seinsvollzug prinzipiell untrennbarer Urgrund des ›Gott-mit-mir‹. Die Gewissheit der Realität Gottes mag zeitweilig aus dem Blick geraten, wie auch wir selbst unser Sein in der von Frank mehrfach so bezeichneten »hypnotischen« 548 Fixierung auf die Objektive Wirklichkeit übersehen bzw. vergessen können. Dennoch tangieren rationale Zweifel sie prinzipiell eigentlich nicht – nicht einmal das Theodizeeproblem. Wenn mir, wie Augustinus sagte, mein eigenes Sein im Zweifeln unbedingt gewiss sein muss, da ich sonst gar nicht zweifeln könnte, dann ist der Grund meines Seins als letzte Bedingung der Möglichkeit des Seins überhaupt umso gewisser – ja die Gewissheit schlechthin. Auf diesem Grund erst lässt sich schließlich der Realismus begründen, welchen Schmidt-Leukel mit dem gemeinsamen Bezugspunkt der unterschiedlichen Perspektiven im Blick hat. 549 Ist dies beachtet, kann Schmidt-Leukel auch wieder (freilich differenziert) entgegengekommen werden. Die begrifflich-metaphysische Beschreibung – und dies schließt auch die Wortwahl jeder transzendentalen Metaphysik und philosophischen Theologie ein – bleibt durch die kulturgeschichtlichen Kontingenzen bedingt. Sie ist als reflexiv-explikative Beschreibung des immer größeren Seins und dessen Grundes niemals restlos exakt und bleibt stets überholbar. Dies ist jene erkenntnistheoretische Einsicht der docta ignorantia, in Bezug auf welche Frank ausdrücklich auch sein eigenes Werk beurteilt: »Aus dem Wesen jenes ›belehrten Nichtwissens‹, aus de[m] alle meine Gedanken fließen, folgt von alleine, daß jedes philosophische System (also auch mein eigenes) als ein Versuch, das überrationale Wesen der Realität rational darzustellen, lediglich als ein ungefähres, schematisches und bestenfalls nur annähernd getreues Abbild der eigentlichen Wahrheit des Seins zu verstehen ist. Diese eigentliche
Vgl. LW, 312, MuiG, 59, und RM, 151; sinngemäß auch DU, 186 f. Darüber, inwiefern Franks absoluter Realismus dem schmidt-leukelschen »perspektivenrelativen Realismus« entsprechen könnte, ließe sich durchaus gewinnbringend diskutieren. Doch zieht Frank daraus keinesfalls die Konsequenz eines religionstheologischen Pluralismus, sondern bevorzugt eher einen Inklusivismus (vgl. MuiG, 111–114; vgl. auch Ehlen 2009, 267–273). 548 549
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Zur Bedeutung der philosophischen Theologie Franks
Wahrheit bleibt der richtungsweisende Stern. Wie das arabische Sprichwort sagt: ›Gott weiß es besser‹.« 550
Aber wenn die Begriffe in ihrer ausdrücklichen Gestalt auch relativ sein mögen, so gibt es nach Frank doch zumindest gewisse in ihnen zum Ausdruck kommende philosophische Einsichten, welche durch den transzendentalen Überstieg erreicht werden können. Diese Einsichten des Seins als solchen und im Ganzen – dass Sein notwendig und absolut ist; dass der eigene Seinsvollzug prinzipiell unbezweifelbar ist; dass wir alle immer in aktivem Bezug auf die eine gemeinsame Wirklichkeit stehen; dass mit jeder Behauptung notwendig ein Wahrheitsanspruch verbunden ist; usw. usf. – sind ein nicht relativierbarer ontologischer Ausgangspunkt für jede Metaphysik (und Wissenschaft, wie Abschnitt III, 5c gezeigt hat). Wir ›haben‹ sie niemals fix und fertig in begrifflicher Gestalt, aber dafür unmittelbar im Lebendigen Wissen unseres Seinserlebens. Sie müssen berücksichtigt werden, wenn man die Frage nach Gott und seinem Verhältnis zur Welt und zum Menschen stellt, weil andernfalls sämtliche theologischen Fragen ihres Sinnes entbehren und in die Irre führen.
550
RM, 127 [Korrektur, D. St.].
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Register
Personen Alston, William Payne 235, 306–307, 309 Anselm von Canterbury 49–50, 55, 213, 251 Aristoteles 76, 79, 142, 169, 196 Arndt, Andreas 66 Augustinus, Aurelius 17, 33, 37, 97, 130, 229, 296, 310 Berdjaew, Nikolai A. 161, 200, 270– 271 Bergson, Henri 44 Binswanger, Ludwig 39 Boethius, Anicius Manlius Severinus 171 Boobbyer, Philip 17, 39, 123, 181 Brierley, Michael W. 279 Brüntrup, Godehard 145, 180 Buber, Martin 17, 154 Bulgakow, Sergej 216, 271 Case-Winters, Anna 280 Cavell, Stanley 127 Chalmers, David 156 Cicero, Marcus Tullius 53, 295 Clayton, Philip 279 Cohn, Jonas 72 Copleston, Frederic C. 272–273, 275– 276 Coreth, Emmerich 66 Culp, John 279 Descartes, René 33, 43, 49–52, 55, 178, 226 Dilthey, Wilhelm 124
Ebner, Ferdinand 17, 154 Ehlen, Peter 14, 16, 18, 20, 33, 37, 39, 43–44, 46, 48, 54, 57–58, 79–80, 85, 87, 90, 94, 96, 119, 127, 130–131, 145–146, 152, 154, 156, 158, 160, 165, 172, 183, 195, 211, 217, 237, 240–241, 248, 250, 252, 260, 263, 267–268, 270–271, 273–274, 276, 278, 294–299, 301–307, 310 Epikur 295 Feuerbach, Ludwig 179–180 Fichte, Johann Gottlieb 17, 37, 57, 79, 123, 128, 153, 165, 170, 225 Flasch, Kurt 62 Florovsky, Georges 273–274, 276 Frege, Gottlob 94 Freud, Sigmund 179–181 Fuller, Steve 107 Gadamer, Hans-Georg 123 Gajdenko, Piama P. 274–276, 278– 279 Gassendi, Pierre 50 Gaunilo von Mar-Moutier 50 Gethmann-Siefert, Annemarie 204 Gettier, Edmund L. 58 Gläser, Rupert 80, 86, 89, 94, 161, 168, 201–202, 215, 271–272, 275– 276, 293 Glei, Reinhold F. 295 Grandt, Jens 179 Grom, Bernhard 180 Gruen, Arno 49 Gutschmidt, Rico 205
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Register Haardt, Alexander 100 Hallensleben, Barbara 272 Hansson, Sven Ove 107 Hartshorne, Charles 200 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 17, 56, 59, 66, 71–73, 79, 81–84, 123, 129, 132–134, 172, 183, 259, 266, 279, 295, 300 Heidegger, Martin 39, 42, 60, 121, 123, 202–205, 208–211, 215 Heidrich, Peter 130 Henrich, Dieter 37, 125, 214 Henrici, Peter 77 Heraklit 98 Herzgsell, Johannes 169, 172 Hick, John 235, 306–307, 309 Hoff, Gregor Maria 179, 181 Höhn, Hans-Joachim 251 Hösle, Vittorio 32, 58, 98, 110–111, 113, 117–118, 122–126, 128–129, 131, 133, 170, 213 Hume, David 87 Husserl, Edmund 17, 22, 237 Jacobi, Friedrich Heinrich 66 Jaeger, Werner 196 Jaeschke, Walter 66 James, William 22, 235–237 Jubien, Michael 27 Kant, Immanuel 17, 26, 29, 31, 50, 56, 69, 96, 101, 116–117, 120, 123, 127, 169–170, 190, 202–203, 207, 212, 225 Klages, Andrea 179 Kline, George L. 81, 83, 279 Kremer, Klaus 20 Kuhlmann, Wolfgang 30, 38, 110, 115, 117–118, 122, 125–126 Kuhn, Thomas S. 108 Kutschera, Franz von 58, 109–110, 197 Lactantius, Lucius Caecilius Firmianus 295 Leibniz, Gottfried Wilhelm 53–54, 203, 297
Lerch, Magnus 37, 125, 214 Lipps, Theodor 155 Losski, Nikolai O. 200, 270–271, 274 Lotz, Johannes B. 194 Lowe, Jonathan 31 Maréchal, Joseph 65 Marquard, Odo 110 Melissos von Elea 53 Motrošilova, Nelly 270 Müller, Klaus 37, 116, 125, 214 Nagel, Thomas 34, 154 Nietzsche, Friedrich 262 Nikolaus von Kues 17, 46, 54–55, 62, 71, 77, 79–83, 85, 104, 192, 207, 210, 235, 255, 263, 267–268, 270, 276, 280, 286, 289, 291–292, 294 Ossa, Miriam 53, 125, 127 Otto, Rudolf 251 Pannenberg, Wolfhart 88, 170, 196 Parmenides 58, 271, 275 Pascal, Blaise 15, 197, 226–230, 245 Peacocke, Arthur 279 Peirce, Charles Sanders 125 Platon 17, 21, 57, 98, 110, 127, 135, 139, 196, 210, 256 Platonismus 273 Plotin 17, 133, 170, 227 Plotnikov, Nikolaj 39 Popper, Karl 108, 134 Poser, Hans 108–112, 134 Pröpper, Thomas 37 Puntel, Lorenz Bruno 54, 203, 209 Quine, Willard van Orman 20, 29, 31 Rahner, Karl 90, 193, 235, 292 Richard von St. Viktor 173 Rohs, Peter 57 Rörig, Anne 18, 58, 80–81, 83, 157, 164, 167, 231, 270, 298 Rosenzweig, Franz 17
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Register Schaeffler, Richard 205, 305 Schaffer, Jonathan 20–21, 31 Scharfenberg, Joachim 180 Schärtl, Thomas 234–235 Scheler, Max 17, 154, 160 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 17, 123, 298 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 98–99 Schmidt, Josef 14, 53–54, 61, 83, 97, 100, 119, 121, 170, 172–173, 196, 212–213, 223, 288, 294, 297 Schmidt-Leukel, Perry 235, 307–310 Schneider, Ruben 203 Schöndorf, Harald 66, 108, 130 Slesinski, Robert 18, 89, 271 Sokrates 98 Solowjow, Wladimir 263 Spaemann, Robert 54, 173 Spinoza, Baruch de 49–50, 65, 278, 295 Stammer, Dennis 76, 93 Striet, Magnus 37 Stump, Eleonore 127 Swoboda, Philip James 80
Szombath, Attila 74, 81, 83, 90, 99, 274 Tannert, Rudolf L. W. 88–89 Taylor, Charles 127 Thomas von Aquin 87, 203, 288, 296 Trendelenburg, Friedrich Adolf 83 Volkmann-Schluck, Karl-Heinz 79 Weinrich, Michael 179–180 Weischedel, Wilhelm 91, 197 Weissmahr, Béla 20, 50, 53, 76, 83, 88, 90, 163, 171, 189, 212, 275, 277 Whitehead, Alfred North 76, 280, 287, 293 Wittgenstein, Ludwig 33, 235 Wolf, Ursula 20 Wucherer-Huldenfeld, Augustinus Karl 42, 87, 113, 121, 196, 203– 204, 211–212 Zenkovsky, Vasilij V. 121, 183, 200, 271, 276
Sachen analoge Rede 88, 96–97, 105, 128, 192, 246, 253, 282 analogia entis 87, 163, 168, 188, 190, 199, 207, 292 Analogie 87–88, 90, 170, 173, 253– 254, 256, 283, 285, 289 Analogielehre 87–90, 92 Analogieschluss 155 Antinomischer Monodualismus 62, 71, 83–85, 88, 90, 92, 94, 97, 137, 145, 150, 162, 165, 168, 174, 207, 216, 259, 271, 274, 276, 282, 285–286, 291, 304, 306 Augustinismus 260–262, 265 Bestimmtheitsprinzip 65–66, 72, 74, 170, 210, 274
coincidentia oppositorum 62, 71, 80, 82–84, 91, 165, 207, 210, 259, 263 Dialektik 81–83, 85, 132 docta ignorantia 62, 69–72, 75, 80, 83, 85, 88, 90–91, 113, 130, 214, 217, 250, 253, 282, 297, 310 Dualismus 61, 80–81, 89, 168, 214, 226, 276, 281–282 Empirismus 22–23, 31, 101, 124, 134, 232, 234–236 Epiphänomenalismus 24 Freiheit 46, 104, 144, 151, 161–162, 207, 213–214, 216, 222–223, 225, 239, 251, 264–265, 271, 299–300
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Register Fundamentalontologie 14, 39, 97–98, 105, 120–121, 130, 136, 195–196, 199, 202, 206, 208, 304 Gemeinschaft 97, 125, 130, 138, 142, 159, 161–162, 164, 166, 174, 178, 188, 237, 239, 243–244, 246, 248, 251–252, 256, 307 Gottmenschentum 16, 142, 263–267, 269–270, 280, 299, 302–305 Holismus 76–78, 159, 166, 173, 274– 275 Humanismus, areligiöser 260–261, 263, 299 Humanismus, christlicher 263 Idealismus 123, 125 Idealismus, absoluter 124 Idealismus, metaphysischer 123 Idealismus, objektiver 32, 123–124 Idealismus, ontologischer 232 Idealismus, psychologischer 124 Idealismus, subjektiver 124 Intuition 56, 82, 121–122, 157, 228 Konkrete Beschreibung 96–97, 106, 113, 120, 126–128, 137, 142, 148, 150–152, 163, 192, 207, 217, 246, 253, 287, 296 Konzeptualismus 31 Kreativität 46, 97, 102–104, 130, 164, 213, 237, 239, 267, 269, 287 Lebendiges Wissen 14–15, 18–19, 33, 37–38, 40, 42–43, 47, 53, 58, 70–71, 76, 80, 83, 89–90, 93–94, 98–99, 105, 119–120, 122, 125–126, 128, 130–131, 133, 136–137, 146, 157, 164, 168, 176, 182, 184, 195, 198, 206–207, 216, 228, 230–231, 233– 234, 242, 244–247, 249, 252, 255, 304–305, 310–311 Letztbegründung 53, 57–58, 109– 110, 112–113, 116, 118, 125, 191, 197, 246, 248
Monismus 37, 59, 61, 80, 89, 162, 168, 214–215, 257, 270–272, 274– 277, 281–282 Mystik 82–83, 92, 105, 121–122, 126, 130–132, 134, 212, 224, 250–251 Negation der Negation 73 Negation, bestimmte 73–74, 82 Negation, ontologische Bedeutung 62 Negation, potenzierte 72–73, 83 Negative Theologie 81–82, 89, 104 Neuplatonismus 15, 17, 28, 32, 210, 237 Nominalismus 31 ontologische Differenz 47, 59–60, 62, 73–74, 90, 99, 103, 105, 116, 138, 186, 199, 204–205, 207–211 Ontotheologie 42, 176, 201–206, 211–212, 214–215, 217, 244, 248, 256, 276, 278, 283, 305 Panentheismus 16, 81, 189, 214, 275, 278–282, 284–286, 291, 294, 298– 300, 302–303, 306 Panlogismus 83 Panpsychismus 144–145 Pantheismus 185, 201, 241, 269–272, 274–279, 281, 283, 285, 293, 302 Pelagianismus 260, 265 Personalismus 15, 80, 152, 157, 167, 215, 271 Phänomenalismus 26, 31 Platonismus 18, 27–28, 31, 273 Pluralismus 61, 80, 89, 275, 310 Pragmatismus 52, 112, 123 Psychologismus 123, 125 Rationalismus 31, 101, 108, 112, 134, 232–233, 236 Realismus 31, 71, 124–125, 134, 310 Realismus, absoluter 93, 124, 134, 310 Realismus, absoluter Ideal- 124 Realismus, Erkenntnis- 69 Realismus, konkreter Ideal- 134
326 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
Register Realismus, naiver 69, 124, 206 Realismus, perspektivenrelativer 308, 310 Realismus, sinnkritischer 125 Realismus, Theorien- 106 Realismus, Universalien- 31 Relativismus 93, 306, 308 Schönheit 97, 102, 130, 164, 237–240, 244, 249, 265 Semantizismus 31 Sensualismus 22–23, 236 Sittlichkeit 86–87, 97, 100, 102, 130,
164, 213, 237–240, 244, 249, 261– 262, 265 Substanz 45, 47, 51, 76, 86, 147–148, 159, 172–173, 266, 274, 283, 287, 300–302 Theodizee 53, 175, 294–295, 297, 310 Transzendentalpragmatik 38, 83, 118, 125–126 Universalien 28 Weltanschauung 111, 116, 121, 270
327 https://doi.org/10.5771/9783495817919 .
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