135 13 27MB
German Pages [452] Year 1993
V&R
MATTHIAS ZEINDLER
Gott und das Schöne Studien zur Theologie der Schönheit
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ö k u m e n i s c h e n T h e o l o g i e Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 68
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Zeindler, Matthias: Gott und das Schöne: Studien zur Theologie der Schönheit / Matthias Zeindler. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1993 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 68) Zugl.: Bern, Univ., Diss., 1991/92 ISBN 3-525-56275-6 NE: GT
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung © 1993 Vandenhoeck & Ruprecht, 37070 Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen.
VORWORT
Theologie der Schönheit? Während der Arbeit am vorliegenden Buch ist mir in Gesprächen neben viel Interesse nicht selten auch ein gewisses Befremden angesichts einer solchen Thematik begegnet. Gehört denn das Schöne zu den legitimen Gegenständen theologischen Nachdenkens? Hat die Beschäftigung mit ihm nicht etwas Verspieltes, Unernsthaftes, wenn nicht sogar Verantwortungsloses an sich? Vor allem: Gibt es angesichts der dringlichen Probleme, die uns heute bedrängen, nicht wichtigere Themen? Und weiter: Geben die biblischen Zeugnisse nicht sehr wenig Anlass, theologisch nach dem Schönen zu fragen? Und gibt es in der Theologiegeschichte nicht genügend Beispiele dafür, dass dort, wo das Schöne theologische Dignität erhielt, man sich schnell auf gefährlichen Abwegen - neuplatonischen und/oder idealistischen - befand? All diese Fragen Hessen sich auch an manch anderen Gegenstand theologischer Arbeit richten. Dass sie gerade im Zusammenhang mit der Schönheit erhoben werden, darf man als ersten Hinweis auf deren spezifische Problematik nehmen. Skepsis und Ablehnung bildeten seit jeher die Kehrseite zur grossen Faszination des Schönen. Es soll in diesem Buch keine ästhetische Theologie vorgelegt, nicht die Schönheit zum theologischen Zentralbegriff erhoben werden. Es wird lediglich zu zeigen versucht, dass die Schönheit nicht nur ein legitimer, sondern auch ein wichtiger Gegenstand theologischer Reflexion ist. Es werden Argumente dafür vorgetragen, dass das Schöne in Schöpfung und Kultur ein Aspekt des göttlichen Gnadenhandelns ist, ja, dass Gott selbst schön genannt zu werden verdient. Damit sollte deutlich werden, dass Wahrnehmung und Gestaltung von Schönheit einen integrierender Bestandteil des Glaubens ausmachen, geht es im Glauben doch darum, Gottes Wohltaten immer besser und tiefer zu entdecken. Ein nicht unwesentliches Ergebnis der Untersuchungen ist dabei unter anderem, dass die evangelische Theologie in ihrer Geschichte überraschend viele gewichtige Ansätze für eine Theologie der Schönheit bereithält. Das Buch ist die leicht überarbeitete Fassung einer Arbeit, die im Wintersemester 1991/92 von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern als Dissertation angenommen worden ist. Eine
5
solche Arbeit entsteht aus dem stetigen Gespräch. Vorab meinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Wegenast, Bern, aber auch dem Korreferenten Prof. Dr. Henning Schröer, Bonn, danke ich für ihre engagierte Begleitung. Entscheidendes verdanke ich im weiteren dem Austausch mit Prof. Dr. Douglas Ottati, Richmond/Virginia, und Prof. Dr. Reinhard Hütter, Chicago. Die Arbeit wurde ermöglicht durch Stipendien des Schweizerischen Nationalfonds' zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Bern. Beiden Institutionen sowie der Lang-Stiftung in Zürich schulde ich ausserdem Dank für grosszügige Druckkostenzuschüsse. Schönbühl/Kt. Bern, im Mai 1993
6
Matthias Zeindler
INHALT
EINLEITUNG 1. 2. 3. 4.
13
Erste Eindrücke Zur Geschichte des Problems Das Anliegen der Arbeit Begriffserklärungen
13 14 23 28
TEIL I : BEITRÄGE ZUR THEOLOGIE DER SCHÖNHEIT
31
A. Umfassende Entwürfe
32
1.
Gerhard Nebel : Schönheit als Ereignis
33
1.1. »Das Ereignis des Schönen« 1.2. Beurteilung
33 43
2.
50
Heinrich Vogel: Schönheit als Rühmung
2.1. »Der Christ und das Schöne« 2.2. Beurteilung
3.
Friedrich Karl Schumann: Schönheit als Abglanz von Gottes Herrlichkeit
3.1. »Das Schöne als Frage des christlichen Glaubens« 3.2 Beurteilung
4.
50 56
. . . .
61 64
Eduard Buess : Verborgene und verheissene Schönheit
66
4.1. »Zu einem theologischen Begriff des Schönen« 4.2. Beurteilung
5.
F. Duane Lindsey: Schönheit Gottes - Hässlichkeit der Sünde
5.1. »Essays Toward a Theology of Beauty« 5.2. Beurteilung
6.
61
Eberhard Jüngel : Schönheit versus Wahrheit des Evangeliums
6.1. »Schönheit im Lichte der Wahrheit« 6.2. Beurteilung
66 69
71 71 74
76 76 80
7
7.
Robert W. Jenson: Schönheit als Kommunikation trinitarischer Harmonie 7.1. »Beauty« 7.2. Beurteilung
84 84 86
8. 8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5. 8.6.
Rudolf Bohren: Das Schön-Werden Gottes Schönheit Gottes Schönheit Gottes und Schöpfung Schönheit Gottes und Geschichte Schönheit Gottes und Kunst Schönheit Gottes und Gemeinde Beurteilung
89 90 96 98 99 101 106
9.
Fazit
112
B. Schönheit Gottes
115
1. 2. 3. 4. 5.
Karl Barth: Die erfreuliche Form des Dreieinigen . . Paul Althaus: Gottes gewinnende Sinnenhaftigkeit . . Eduard Buess: Gottes verborgene und verheissene Schönheit Jürgen Moltmann, Karl-Adolf Bauer: Gottes schöne Liebenswürdigkeit Fazit
C. Schönheit der Schöpfung 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Wilhelm Lütgert, Paul Althaus: Schönheit der Natur als allgemeine Offenbarung Adolf Köberle, Werner Eiert: Glaube als Erschliessung der schönen Schöpfung Werner Brändle: Die Anschaulichkeit der Liebe Gottes Gerhard Ebeling: Schönheit der Schöpfung und Lob Christian Link: Schönheit als Hinweis auf die Geschöpflichkeit der Natur Fazit
D. Schönheit der Kultur 1. Schönheit in der Kunst 1.1. Kunst und Schönheit 1.2. Kunst und Hässlichkeit 8
116 127 129 131 134 137 139 142 145 148 149 153 156 158 159 165
1.3. Theologische Deutungen der Schönheit in der Kunst 1.4. Exegetisches zur Schönheit in der Kunst
2. 3.
. . .
Schönheit im Gottesdienst Fazit
167 168
169 173
TEIL II: GRUNDLINIEN EINER THEOLOGIE DER SCHÖNHEIT
178
A. Der Begriff des Schönen
179
1.
Die Problematik des Schönheitsbegriffs in der Gegenwart
1.1. Das Auseinandertreten von Schönheit und Wahrheit 1.2. Die Abwertung des Schönheitsbegriffs 1.3. Die Unschärfe des Schönheitsbegriffs
2.
Der Begriff des Schönen
2.1. Zur Aktualität des Schönheitsbegriffs 2.2. Die ästhetische Korrespondenz 2.3. Weitere Momente der ästhetischen Korrespondenz
3.
Fazit
B. Die Schönheit Gottes 1. 2.
. . .
Zum Problem Biblischer Befund
179 181 191 194
196
. . . .
196 199 206
220 223 223 225
2.1. Altes Testament: kabod Jahwe 2.2. Neues Testament: doxa theou 2.3. Zusammenfassung
225 229 232
3.
233
Wichtige systematisch-theologische Beiträge
3.1. Jonathan Edwards 3.2. Karl Barth 3.3. Zusammenfassung
234 251 253
4.
Schönheit Gottes als Form seiner Liebe
255
4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.
Prädikate Gottes Die Form Gottes Die Schönheit der Form Gottes Schönheit und Freude Gottes Die Schönheit Jesu Christi
255 256 261 263 265
9
5. Aspekte der Schönheit Gottes und ihrer Erfahrung . . 5.1. Attraktivität und Erfüllung 5.2. Der spezifische Scheincharakter der Schönheit Gottes . . .
267 267 271
6. Erfahrung der Schönheit Gottes als fruitio Dei . . . . 6.1 Zur Begriffsgeschichte 6.2. Systematische Bedeutung des Begriffs
274 275 279
7. 8. 9.
282 285 289
Ort und Form der Rede von der Schönheit Gottes Schönheit Gottes und Schönheit der Kreatur Fazit
. .
C. Die Schönheit der Schöpfung 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3.
Zum Problem Biblischer Befund Ästhetische Schöpfungswahrnehmung im Alten Testament . Die Billigungsformel Gen 1,31 Die Schönheit des Menschen Exkurs: Zu von Rads und Westermanns Verständnis der Schönheit im Alten Testament 2.4. Neues Testament: Die Lilien auf dem Felde 2.5. Fazit
291 296 296 299 301
3. Ein wichtiger systematisch-theologischer Beitrag: Calvin 3.1. Der Ort d e r ' L e h r e ' v o n der Schönheit der Schöpfung . . . 3.2. Wichtige Gesichtspunkte in Calvins 'Lehre' von der Schönheit der Schöpfung Exkurs: Eine Ästhetik Calvins? 4. Schönheit als Aspekt der guten Schöpfung 4.1. Schönheit als integrierendes Element der guten Schöpfung . 4.2. Ästhetische und ausserästhetische Güte der Schöpfung . . 4.3. Schönheit der Schöpfung - Schöpfung als Gabe 4.4. Schönheit der Schöpfung und Sabbat
309 311 321 325 327 327 331 333 335
5. 5.1. 5.2. 5.3.
337 337 340 342
Schönheit der Schöpfung und Sünde Sünde des Menschen und Korruption der Schöpfung . . . Die ästhetische Dimension der Sünde: Hässlichkeit . . . . Sünde und ästhetische Wahrnehmung der Schöpfung . . .
6. Glaube und Schönheit der Schöpfung 6.1. Versöhnung und ästhetisches Schöpfungsverhältnis . . . . 6.2. Ästhetisches Schöpfungsverhältnis als integrierendes Element des Glaubens 6.3. Nichtmanipulatives Verhältnis zur Schöpfung 6.4. Schönheit der Schöpfung und Lob 10
291
303 307 307
347 348 350 356 359
7.
Schönheit der Schöpfung als Gleichnis
360
8.
Fazit
363
D. Die Schönheit der Kultur 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Zum Problem Die Schönheit der Kultur Mensch und Kultur Das Ästhetische als Dimension der Kultur Ästhetische und ausserästhetische Güte der Kultur Schönheit der Kultur - Kultur als Gabe
367
. . . .
367 372 372 376 379 382
3. Schönheit der Kultur und Sünde 3.1. Kultur und Sünde 3.2. Die ästhetische Dimension der Sünde in der Kultur . . . .
386 386 387
4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.
392 392 393 397 400
Versöhnung und Schönheit der Kultur: die Kirche . . Versöhnung - Kultur - Kirche Die Form der Kirche Die Ästhetik der Kirche und das Kreuz Schönheit im Rahmen des kirchlichen Handelns Das Schöne in der kirchlichen Praxis - Beispiel 1 : Kirchenbau 4.6. Das Schöne in der kirchlichen Praxis - Beispiel 2: Moderne Kunst in der Kirche
5.
Fazit
404 412 418
Literatur
421
Namenregister
446
11
EINLEITUNG
1. Erste Eindrücke Wer sich als evangelischer Theologe oder als evangelische Theologin mit dem Problem des Schönen zu befassen gedenkt, findet sich zuerst einmal in einer gewissen Verlegenheit. Dies ist umso mehr der Fall, wenn man, wie der Autor, in einer reformierten Tradition steht. Ein Problem des Schönen scheint es in den evangelischen Kirchen und in deren Theologie nämlich gar nicht zu geben. Dieser Eindruck stellt sich vorerst deshalb ein, weil das Schöne im Leben der evangelischen Kirchen offensichtlich nur einen untergeordneten Platz einnimmt. Man denke an den Gottesdienst: Zwar bestehen zwischen den gottesdienstlichen Feiern der einzelnen reformatorischen Kirchen beträchtliche Unterschiede. Trotzdem kann man generell sagen, dass sie im Gegensatz zu den Gottesdiensten der orthodoxen, aber auch der römisch-katholischen Kirchen keine ästhetischen Ereignisse sind. Sie ermangeln zumeist nicht der Feierlichkeit, wohl aber des zweiten wesentlichen Elements einer Feier: der Festlichkeit. Die Atmosphäre des evangelischen Gottesdienstes ist in aller Regel nüchtern. Dem mag man entgegenhalten, dass aus der evangelischen, zumal der lutherischen Kirche eine grossartige musikalische Tradition hervorgegangen ist; Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach werden bei dieser Gelegenheit gerne als Beispiele ins Feld geführt. So richtig dieser Einwand ist, so sehr muss man sich doch eingestehen, dass die Kirchenmusik bei all ihrer Grossartigkeit im kirchlichen Leben nur eine marginale Rolle spielt. Der durchschnittliche evangelische Gottesdienst ist trotz Schütz und Bach (aber auch trotz Distler, Burkhard und Pepping) ein ästhetisch armer Gottesdienst. Eine andere Erfahrung: Wo die architektonische Gestaltung kirchlicher Gebäude und die darin zu piazierende Kunst von Gemeinden mitbestimmt wird, herrschen häufig Konventionalität und Kitsch vor. Lösungen, die gegenüber zeitgenössischen künstlerischen Entwicklungen aufgeschlossen sind, stossen dagegen oft auf Ablehnung. Dass ästhetische Fragen eine Herausforderung bedeuten und dass 13
die Auseinandersetzung mit ihnen der Sorgfalt und auch der Mühe bedarf, dieses Bewusstsein fehlt - von Ausnahmen abgesehen - in den evangelischen Kirchen. Dass die Gemeinde im Zusammenhang mit Problemen des Guten und des Wahren von ihrer Sache her zur verantwortlichen Stellungnahme aufgerufen ist, ist allgemein plausibel. In bezug auf Fragen des Schönen fehlt diese Plausibilität. Dies wird bestätigt durch die Beobachtung, dass die Kirche gegenüber ästhetischen Problemen in der Gesellschaft sprachlos ist. Entwicklungen wie die Ästhetisierungstendenzen in der postindustriellen Gesellschaft werden schlicht nicht wahrgenommen. Auch gegenüber den ästhetischen Auswirkungen des modernen Städtebaus oder der Umweltzerstörung ist man blind. Dass dies einen erheblichen Realitätsverlust der evangelischen Ethik bedeutet, braucht kaum eigens festgestellt zu werden. Die Situation in der Kirche spiegelt sich in der akademischen Theologie. Als Absolvent oder Absolventin eines evangelischen Theologiestudiums stellt man fest, dass man während der Studienzeit einem theologischen Problem der Schönheit nicht begegnet ist. Im besten Falle hat man sich einmal mit Hymnologie und Liturgik befasst, Teildisziplinen, in denen an den Rändern der theologischen Wissenschaft auch ästhetische Fragen und dabei gelegentlich Probleme der Schönheit behandelt werden. Ansonsten gibt es kaum Hinweise, dass das Schöne ein Phänomen ist, das zu reflektieren die evangelische Theologie als notwendig erachtet. In einer der spärlichen Publikationen zum Thema steht gar der Satz zu lesen: »Wo rechtschaffen Theologie getrieben wurde, da blieb der Begriff des Schönen zumeist schlicht draussen«1. Der Satz erweckt den Eindruck, als sei die Zurückhaltung der evangelischen Theologie und Kirche im Zusammenhang mit Fragen des Schönen gerade ein Ausweis ihrer Sachlichkeit. Auf diesem Hintergrund erscheint das Vorhaben, dieser Problematik eine längere wissenschaftliche Arbeit zu widmen, nicht mehr allein als etwas Luxuriöses, sondern es gerät bereits in den Bereich des Illegitimen und des Gefährlichen.
2. Zur Geschichte des Problems Der zuletzt geschilderte Eindruck erfahrt durch einen Blick in die Geschichte der Theologie eine gewisse Korrektur. Es zeigt sich nämlich, dass die Schönheit durchaus ihren Platz im theologischen Denken gehabt hat. 1
14
E.Buess, Zu einem theologischen Begriff des Schönen, 366.
Die Kirche setzte sich schon früh mit der Frage des Schönen auseinander. Der Anlass dazu liegt auf der Hand. Mit Phänomenen des Schönen sah sie sich allenthalben konfrontiert: Schönheit begegnete ihr in der sie umgebenden Kultur, in der Musik, der Literatur, den bildenden Künsten und der Redekunst, aber auch in vielerlei anderen Hervorbringungen mit ästhetischer Abzweckung. Schön ist weiter der menschliche Leib, und schön ist vor allem die Natur. Wie war all das zu beurteilen, welches war der rechte Umgang des Christen mit dem Schönen in dessen vielfältigen Ausprägungen? In den Antworten, die zwischen dem 2. und dem 5. Jahrhundert auf solche Fragen gefunden wurden, ist bereits das Grundmuster dessen gegeben, was die Theologie fortan in dieser Sache äussern sollte. Einig ist man sich von Anfang an in der hohen Wertschätzung der Schönheit der Natur. Die Natur ist ein wunderbar geordnetes Ganzes, in dem jede Kreatur ihren sinnvollen Platz hat2. Aber auch das einzelne Geschaffene, von der Pflanze3 und dem blühenden Feld4 über das Meer5 und seine Bewohner6 bis hin zur Sonne7, ist von einer staunenswerten Schönheit. Die Schönheiten der Natur, auch darin ist man sich einig, verweisen den Menschen an den Schöpfer. Gott hat die Erde schön gemacht, um »seine Weisheit und die Überfülle seiner Macht zu zeigen und damit wir auf jede Weise lernen, ihm die Ehre zu geben«8. Damit ist freilich auch die Möglichkeit eines missbräuchlichen Umgangs mit der schönen Natur vorhanden. Das Schöne kann den Betrachter vollständig für sich einnehmen und ihn so von Gott ablenken. Statt zur Hingabe an den Schöpfer führt Schönheit dann zur Hingabe an das Geschaffene. Augustin schreibt deshalb: »Gott verwehrt es dir nicht, das Geschaffene zu lieben, aber du darfst es nicht so lieben, dass du deine Seligkeit darin findest, sondern sollst es anerkennen und preisen, um seinen Schöpfer zu lieben«9. Nur so gelangen wir zur höchsten Schönheit, denn: »Schön ist die Schöpfung, aber um wieviel schöner ist der, der alles geschaffen hat«10. Ein nicht unwichtiges Thema ist für die Väter Schmuck und Kosmetik, insbesondere Schmuck und Kosmetik der Frau. Tertullian 1
Ambrosius, Hexaemeron, 2,1; Augustin, Enchiridion ad Laurentium IX-XI; Ennarationes in Psalmos, zu Ps 118,129. 3 Ambrosius, a.a.O., 3,34f. 4 A.a.O., 3,36. 5 A.a.O., 3,21-23; 5,34; Basilius, Hexaemeron, IV,7. 6 Cyrill von Jerusalem, Catechesis IX, 11. 7 Ambrosius, a.a.O., 4,1-4. 8 Johannes Chrysostomus, Homiliae in Matthaeum, 301. ' Augustin, In Epistolam Joannis, 11,11. 10 Ebd.
15
widmet der Frage eine ganze Abhandlung 11 . Gegen Schönheitsmittel wendet er unter anderem ein, dass sie zur Sinneslust verführen 12 und dass sie verweichlichen und damit unfähig machen, Verfolgungen zu ertragen 13 . Ein zentrales Argument, das auch von anderen Autoren vorgebracht wird, ist, dass man durch die künstliche Verschönerung des Leibes den Schöpfer missachtet14. Im übrigen wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die wahre Schönheit der Frau die innere, die Schönheit der Seele sei: Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit, Enthaltsamkeit, Liebe zum Guten und sittliche Reinheit15. In anderen Bereichen fällt die Bewertung nicht derart eindeutig negativ aus. Tertullian tut zwar Kunst und profane Bildung als überflüssigen Luxus ab16 und formuliert damit eine Meinung, die auch von anderen - bis hin zu Boethius17 - geteilt wird. Dieser Standpunkt setzt sich aber nicht durch. Augustin hat ebenfalls deutliche Vorbehalte gegen die Künste, da sie von Gott ablenken können 18 , grundsätzlich bejaht er sie aber, da ihre Schönheit die göttliche Schönheit zum Ausdruck bringt. Zu Kleidern, Schuhen, Gefässen, aber auch zu Bildern, in denen sich Menschen eine Augenweide schaffen, schreibt er: »Ich aber, du mein Gott und meine Zier, sage auch um dieser Dinge willen dir meinen Lobgesang und bringe ein heilig Dankopfer dem, der mich heilig macht. Denn all das Schöne, das aus des Künstlers Seele in das Werk kunstreicher Hände fliesst, stammt von jener Schönheit, die über allen Seelen ist, nach der meine Seele verlangend seufzt bei Tag und Nacht« 19 . Die Schönheit der sichtbaren Dinge kann denn auch den Wahrnehmenden zur Schönheit des unsichtbaren Gottes hinaufführen. Die Antwort der Alten Kirche auf die Frage des Schönen hat demnach zwei Seiten. Zum einen wird die Schönheit als von Gott geschaffen und als Manifestation seiner Güte, Weisheit und Schönheit bejaht. Es ist richtig, dass der Mensch sich am Schönen freut und seinem Schöpfer dafür dankt. Zum andern wissen die Väter auch um die Macht des Schönen, in seinen Bann zu ziehen. Die 11
Tertullian, De cultu feminarum. Tertullian, a.a.O., 2.Buch, cap. III. 13 A.a.O., 2.Buch, cap. XIII. 14 A.a.O., 2.Buch, cap. V. Vgl. auch Johannes Chrysostomus, Homiliae in Epistolam primam ad Timotheum, IV,3; Ambrosius, a.a.O., 6,47. 15 Clemens von Alexandrien, Paedagogus, 3.Buch cap. I-II; Johannes Chrysostomus, Ad Theodorum 13 und 14. 16 Tertullian, De spectaculis. " Boethius, De consolatione philosophiae, 1/1 18 So bringt etwa die Literatur den Menschen dazu, dass er Tränen vergiesst über Dido, die aus Leid über den Tod des Äneas stirbt, während er über seinen eigenen Tod nicht weint, den er sterben muss, weil er Gott nicht liebt (Confessiones, 1,13). 19 A.a.O., X,34. 12
16
gleiche Faszinationskraft, die zum Lob Gottes anzuleiten vermag, kann den Menschen auf die Schönheit selbst fixieren und damit von Gott wegführen. Diese Zweideutigkeit eignet zwar nicht nur dem Schönen, sondern grundsätzlich allem Irdischen, am Schönen ist sie aber in gesteigerter Weise greifbar. Die Ambivalenz der Schönheit bestimmt auch weiterhin die christlichen Stellungnahmen zum Problem des Schönen, wobei es immer wieder geschieht, dass sie nach der einen oder der andern Seite hin stärker ausschlagen. Die Ästhetik Augustine wird für das ästhetische Denken des Mittelalters bestimmend. Zusammen mit dem neuplatonischen System des Dionysius Areopagita - in welchem das Schöne als causa efficiens und causaßnalis des Kosmos einen zentralen Platz einnimmt 20 - bildet sie die Grundlage für die mittelalterliche Metaphysik des Schönen 21 . Diese stellt eine imponierende Gesamtschau dar 22 : Gott ist die höchste Schönheit. Als artifex hat er die Welt erschaffen, und durch ihre Schönheit leuchtet seine Schönheit hindurch. Dem Künstler kommt die Aufgabe zu, in seinen Werken die Schönheit des Geschaffenen aufzudecken. Alles irdische Schöne hat als Abbild der göttlichen Schönheit einen anagogischen Sinn, es soll den Betrachter über sich hinaus zur Betrachtung Gottes leiten. Schönheit versteht man dabei einerseits von Augustin her als Mass, Zahl und Ordnung, andrerseits von Dionysius her als Leuchten; Thomas von Aquin liefert eine Synthese der beiden Traditionen, wenn er das Schöne durch perfectio, debita proportio und claritas konstituiert sieht23. Die positive Würdigung der Schönheit im Mittelalter wird auf eindrucksvolle Weise in der romanischen und gothischen Kathedrale anschaulich 24 . Die Hochschätzung der Schönheit in Natur und Kunst findet sich auch bei den Reformatoren. Sie wird hier allerdings nicht mehr von einer umfassenden Metaphysik des Schönen getragen: Aussagen über die Schönheit Gottes, die sich in der Schönheit der Kreatur 20
Vgl. bes. Dionysius Areopagita, De divinis nominibus; De coelesti hierarchia. Dazu W.Perpeet, Ästhetik im Mittelalter, 26-109. 22 Vgl. R.Assunto, Die Theorie des Schönen im Mittelalter, 20-72. 23 Thomas von Aquin, Summa theologica 1,39,8. Zur Ästhetik des Thomas vgl. W.Czapiewski, Das Schöne bei Thomas von Aquin; E.Blessing, Das Wesen des Schönen nach Thomas von Aquin. G.Pöltner, Schönheit. Eine Untersuchung zum Ursprung des Denkens bei Thomas von Aquin, verfolgt mit seiner Darstellung von Thomas' Lehre vom Schönen ein primär systematisches Interesse in Richtung der Begründung einer philosophischen Theologie. 24 Die mittelalterliche Sakralarchitektur gründete »auf dem entschiedenen Willen [...], die platonisch-augustinische Idee der Schönheit als Zahlenverhältnis im anschaubaren Raum wahrnehmbar zu machen« (Assunto, a.a.O., 61). Zur Geschichte und Symbolik des mittelalterlichen Sakralbaus K.Goldammer, Kirchliche Kunst im Mittelalter, 185-203, 217-219. 21
17
abschattet, sucht man vergebens. Umso mehr ist von der Schönheit als einer guten göttlichen Gabe die Rede. Dies gilt einmal von der Natur, die man als überreichen Ausdruck der Güte des Schöpfers wahrnimmt25. Aber auch die Künste sind ein Geschenk Gottes. Besonders deutlich wird diese Auffassung an Luthers Verständnis der Musik26. Die Musik ist, so schreibt Luther in der Vorrede zu den Symphoniae iucundae, eine salutaris et laeta creatura21, ein donum divinum et excellentissimum28. Laut der Skizze Peri tes musiken ist die Musik liebenswert, »weil sie 1. eine göttliche, nicht eine menschliche Gabe ist, 2. weil sie die Seelen erfreut, 3. weil sie den Teufel in die Flucht schlägt, 4. weil sie unschuldige Freude bereitet. In der Zwischenzeit vergehen Zorn, Gelüste und Hochmut«29. Da zum Wesen des Glaubens die Freude gehört, hat dieser eine natürliche Neigung zur Musik hin; Luther kann diese Aussage sogar umkehren und das Fehlen von Musik als Zeichen für das Fehlen des Glaubens nehmen. »Denn Gott hat unser hertz und mut frölich gemacht, durch seinen lieben Son, welchen er für uns gegeben hat zur erlösung von sunden, tod und Teuffei. Wer solchs mit ernst gleubet, der kans nicht lassen, er mus frölich und mit lust dauon singen und sagen, das es andere auch hören und herzu komen. Wer aber nicht dauon singen und sagen wil, das ist ein zeichen, das ers nicht gleubet und nicht ins new fröliche Testament, Sondern unter das alte, faule, unlustige Testament gehöret«30. Vor allem in der Genfer Reformation herrschen neben der generellen Zustimmung zum Schönen auch deutliche Vorbehalte. Calvin würdigt zwar die Kunst - wie die Wissenschaft - ebenfalls als Gabe Gottes31, daneben weist er aber mit Nachdruck immer wieder auf die Möglichkeiten des Missbrauchs hin. Die Kirchengebäude sollen nach seinem Dafürhalten schlicht und massvoll ausgeschmückt sein, anders als bei der römischen Kirche, wo allgemein nur das Billigung findet, »was nach Üppigkeit und nach der Verderbnis der Zeit schmeckt«32. Auch der Gottesdienst hat sich nicht durch äusserliche " Vgl. in dieser Arbeit Teil II C 3. 16 Vgl. O.Söhngen, Theologie der Musik 80-112; Chr.Mahrenholtz, Lutherund die Kirchenmusik; W.Blankenburg, Lutherund die Musik; H.Huchzermeyer, Lutherund die Musik. 27 Vgl. M.Luther, WA 50, 373, 8 f. » WA 50, 368, 4 f. " WA 30 II, 696, 4-11. 30 Vorrede zum Babstschen Gesangbuch 1545, WA 35, 477, 6-12. 31 J.Calvin, Inst. II 2,14-16. 32 Inst. IV 5,18. Vgl. dazu auch H.Bullingers Zweites Helvetisches Bekenntnis: »Der wahre Schmuck der Kirchen besteht auch nicht in Elfenbein, Gold und Edelsteinen, sondern in der Einfachheit, Frömmigkeit und den Tugenden derer, die im Gotteshaus weilen« (120).
18
Pracht auszuzeichnen und damit die Sinne zu verführen, seine Schönheit soll vielmehr eine geistige sein33. Anders als Luther lehnt Calvin einen Gebrauch der Musik ausschliesslich zum Zweck der Freude ab34. Der Mensch soll die Musik allein zum Lob Gottes verwenden35, und beim Lobgesang darf seine Aufmerksamkeit ausserdem nicht zu sehr durch die Melodie vom Wort abgelenkt werden36. Genf kannte aus diesem Grunde im Gottesdienst nur den einstimmigen Gesang37. Ganz und gar verwerflich ist der Tanz, der die sinnlichen Gelüste anregt38, weswegen das Tanzen in der Rhonestadt mit Gefängnis bestraft wurde39. Schöne Kleidung und Schmuck wird als eitle Äusserlichkeit abgelehnt40; stattdessen sollen die Christen sich mit einem gottgefälligen Lebenswandel schmücken41. An dieser Stelle nimmt Calvin ein Argument der Kirchenväter auf. Die ästhetische Nüchternheit der Genfer Reformation findet ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung im Puritanismus. Hier wird alles radikal zurückgebunden, was nicht als lebenspraktisch notwendig erscheint, eine Tatsache, die Heinrich Boehmer zu folgendem Urteil bewogen hat: »Wo der Puritanismus zur Herrschaft kommt, tritt [...] notwendig eine gewisse Verkümmerung des geistigen Lebens und eine Einengung der geistigen Interessen auf das unmittelbar Nützliche ein«42. Ein kritisches Verhältnis zur Kunst pflegt auch der Pietismus, wobei gerade in dieser Bewegung andrerseits unübersehbare künstlerische Leistungen vorliegen; zu denken ist an die Gebiete der Architektur, der Gartengestaltung, der Musik und der Dichtung43. » CR XL, 650; vgl. CR LI, 134. » CR XXXVII, 68 35 A.a.O., 67f. Zu Calvins Musikanschauung vgl. Söhngen, a.a.O., 60-79; A.Geering, Calvin und die Musik. " Inst. III 20,32. 37 Aus ähnlichen Gründen - Musik lenkt von der Andacht ab - schloss Zwingli den Gesang ganz aus dem Gottesdienst aus. Vgl. dazu die Artikel 44-46 der Schlussreden zur ersten Zürcher Disputation sowie die Begründung dieser Artikel in Uszlegen und gründ der schlussreden (ZW Bd. 1, 372-375). Zu Zwingiis Musikauffassung vgl. Söhngen, a. a. O., 32-59. 38 CR XXVI, 341; CR XXXVI, 226; CR LI, 671. 39 Vgl. H.P.Clive, The Calvinists and the Question of Dancing in the 16th Century, bes. 300 f. 40 CR XXVI, 441 ; CR XXXVII, 603; CR LV, 424. " CR XXX, 445. 42 H.Boehmer, Die Bedeutung des Luthertums für die europäische Kultur, 130. 43 Vgl. E.Beyreuther, Geschichte des Pietismus, 403 f. Besonders in der Herrnhuter Brüdergemeine herrschte eine eigentliche ästhetische Kultur. In den Orts-Gemeinen in Europa und Amerika »umgibt den Besucher eine stille Schönheit, eine unaufdringliche Heiterkeit. Die barocke Gestaltung ihrer Gemeinehäuser, ihrer Gärten, ihrer schönen Alleen, die sie durchziehen, die ganze architektonische Gestaltung der Gemeineorte bis hin zu den einmaligen Gottesäckern spricht eine durch ihren Glauben ermöglichte Freude an der Welt aus, in der sie wirken dürfen. Vor allem entfaltete
19
Während es in den evangelischen Kirchen demnach gewichtige Stimmen gibt, die dem kulturellen Schönen distanziert oder gar ablehnend gegenüberstehen, fällt die Bewertung der Schönheit der Natur stets vorbehaltlos positiv aus. Wie bei den Kirchenvätern sieht man hier die schöne Ordnung des Geschaffenen als bewundernswerten Ausdruck der göttlichen Weisheit und Güte. Dies gilt sowohl für die Orthodoxie als auch für Pietismus und die frühaufklärerische Physikotheologie. Aber auch in der Frömmigkeit spielt die ästhetische Naturanschauung eine wichtige Rolle. Im 19. Jahrhundert tritt dann die Naturfrömmigkeit unter dem Druck der aufkommenden Naturwissenschaften zurück44. Das 19. Jahrhundert bringt dagegen eine neue theologische Bewertung der künstlerischen Schönheit hervor, die bis ins 20. weiterwirkt. Sie bildet sich aus im Rahmen einer ästhetischen Deutung der Religion45. Klassische Vertreter einer derartigen Deutung sind der junge Herder, Jacobi und der frühe Schleiermacher. Zwischen Kunst und Religion besteht eine innere Verwandtschaft, haben doch beide im Gefühl ihren eigentlichen Mutterboden. Laut de Wette ist die erhabene geistige Schönheit der höheren Kunst »nichts als die anschauliche Erscheinung der religiösen Ideen, ein lebendiges, gereinigtes und verklärtes Bild der Welt, in welchem das fromme Gefühl die übersinnliche Welt ahnt«46. Kunst und Religion sind Darstellung desselben in einem unterschiedlichen Modus: »Die Kunst stellt das religiöse Gefühl in den Formen der Schönheit dar, die Religion erfasst es in den Begriffen der Wahrheit«47. Von hier aus ist es nicht mehr weit zur Annahme einer regelrechten »Stufenleiter Kunst-Religion-Gott«48: »Das Geniessen des Schönen löst von der Erdenschwere, von der die Religion erlöst, und öffnet Türen zu dem verborgenen Leben, das die fruitio Dei, das >Geniessen Gottes< besitzt«49. Damit bekommt die Schönheit einen theologischen Rang, der demjenigen im Neuplatonismus vergleichbar ist. Im Unterschied zu diesem hat die Kontinuität zwischen Schönem und Religion ihre sich im Herrnhutertum eine musikalische Kultur, die nicht nur Schritt hielt mit dem, was in diesem klingenden Jahrhundert in hoher Blüte stand« (a.a.O., 342). 44 Vgl. zur Schöpfung in Theologie und Frömmigkeit Teil I C sowie Teil I I C 1 . dieser Arbeit. Eine bemerkenswerte Ausnahme zur generellen >Schöpfungsvergessenheit< der Theologie im 19. Jahrhundert stellt I.A.Dorner dar, der in seiner »Christlichen Glaubenslehre« einen physiko-theologischen Beweis für das Dasein Gottes vorführt (Bd. 1, 250-255). 45 Vgl. dazu F.A.B.Nitzsch, Lehrbuch der evangelischen Dogmatik, 94-96. 46 W.M.L. de Wette, Über die Religion, 119-126. 123. " A.a.O., 126. 48 Vgl. L.Fremgen, Kunst und Schöpfung, 152 ff. 49 Bruhn, Art. »Aesthetische, Das, und die Religion«, RGG 2 I, 122; vgl. ders., Art. »Schönheit«, RGG 2 V, 222 f.
20
Basis im vorliegenden Falle allerdings im Subjekt. Die hier skizzierte Position ist aufs Ganze gesehen eine periphere Erscheinung geblieben, eine periphere Erscheinung freilich, die auf das Verhältnis der nachfolgenden Theologen zum Ästhetischen einen massgeblichen Einfluss ausgeübt hat50. Generell wurde die Verschiedenheit von Kunst und Religion stärker hervorgehoben 51 . Überblickt man die Geschichte der evangelischen Theologie, dann stellt man fest, dass die Schönheit als Reflexionsgegenstand zwar keineswegs fehlt, dass sie aber ein Randthema geblieben ist. Das zeigt sich daran, dass sich zum Phänomen des Schönen keine eigentliche Diskurstradition ausgebildet hat. Einzelne Diskurstraditionen haben im Zusammenhang mit der Naturschönheit oder im letzten Jahrhundert in bezug auf die Frage nach Religion und Kunst existiert, das Schöne in der Gesamtheit seiner Erscheinungen ist aber nie zum Gegenstand des theologischen Gesprächs geworden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geraten sowohl die Schönheit der Natur als auch die kulturelle Schönheit fast ganz aus dem Blickfeld der Theologie, die erstere, weil der theologische locus von der Schöpfung allgemein an Bedeutung verliert, die letztere im Zuge der Reaktion auf eine romantisierende Synthese von Religion und Kunst. In den vergangenen Jahren nun hat sich die evangelische Theologie in zunehmendem Masse wieder mit Fragen der Ästhetik zu befassen begonnen. Die Diskussion spielt sich in zahlreichen und sehr verschiedenen Bereichen ab, von denen hier nur einige Beispiele genannt werden können. Die theologische Auseinandersetzung mit der Kunst fand zwar auch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts statt52, seit den 60er Jahren wird sie aber mit wachsender Intensität und immer stärker im echten Dialog mit der Kunst geführt 53 . Parallel hierzu hat sich auch das theologische Gespräch mit der Literatur 50 So dürfte E.Brunners Schleiermacher-Lektüre unter dem Eindruck der Tradition der ästhetischen Religion stehen. Auf diese Weise wird Brunners harsche Kritik an Schleiermacher verständlich, in der unter anderem zu lesen steht, bei Schleiermacher sei »künstlerische von religiöser Offenbarung nicht zu unterscheiden« (Die Mystik und das Wort, 119). 51 Vgl. Nitzsch, a.a.O., 96. 52 Die Positionen sind dargestellt bei H.-E.Bahr, Poiesis, 25-49, und R. Volp, Das Kunstwerk als Symbol, 33-77. 53 Ausser den in der vorigen Anmerkung genannten Büchern seien als Beispiele genannt: K.Marti/K.Lüthi/K.von Fischer, Moderne Literatur, Malerei und Musik; H.Schwebel, Autonome Kunst im Raum der Kirche; W.Müller, Kunst als Darstellung des Unbedingten. Vgl. für einen Überblick über die aktuelle Diskussion H. Schwer, Art. »Ästhetik. III. In praktisch-theologischer Hinsicht«, T R E l , 5 6 8 f ; A.Mertin, »Religiöse Kunst heutzutage ist nichts als Blasphemie«. Zum Verhältnis von Kunst und Theologie in der Gegenwart.
21
entwickelt54; dazu zählt der Versuch, literarische Texte für kirchliches Handeln fruchtbar zu machen55. Die Systematische Theologie entdeckte im Gegenzug zu einer Theologie, die man als einseitig an der Ethik orientiert empfand, ästhetische Phänomene wie die Kunst, das Spiel und das Fest als Formen christlicher Freiheit56. Ästhetische Überlegungen finden weiter in hermeneutische Reflexionen Eingang57. Besondere Aufmerksamkeit lässt seit geraumer Zeit die Praktische Theologie der Ästhetik angedeihen. Um nur eine begrenzte Auswahl der diesbezüglichen Bemühungen zu erwähnen: Während man anfangs versuchte, einzelne ästhetische Theorieansätze auf bestimmte kirchliche Vollzüge anzuwenden58, hat man mittlerweile damit begonnen, Praktische Theologie im Lichte der Ästhetik grundsätzlich zu bedenken59. Daraus ergibt sich unter anderem eine Kritik an der einseitigen Konzeption von Praktischer Theologie als Handlungswissenschaft und die Forderung, diese Auffassung durch das Verständnis der Praktischen Theologie als Wahrnehmungswissenschaft (d.h. als Ästhetik) zu komplementieren60. Die Auseinandersetzung mit ästhetischen Theorien regt auch neue Perspektiven für einzelne Praxisfelder an. So versucht man etwa in der Religionspädagogik, strukturelle Entsprechungen zwischen religiöser und ästhetischer Erfahrung aufzuweisen und auf dieser Basis Kunst sinnvoll in der unterrichtlichen Praxis einzusetzen. Als religionspädagogisches Bildungsziel wird dabei unter anderem die Erweiterung von Wahrnehmungkompetenz formuliert61. Diese Reflexionen sind Teil 54
D.Sölle, Realisation; IL-J.Kuschel, Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur; T.Ziolkowski, Fictional Transfigurations of Jesus; R.P.Crimmann, Literaturtheologie; U.Baltz, Theologie und Poesie; W. Jens/H.Kiing, Dichtung und Religion; Dies./K.-J. Kuschel (Hg.), Theologie und Literatur. 55 H.Schröer, Moderne deutsche Literatur in Predigt und Religionsunterricht; ders.: Dichtung - Lob und Prophetie der Sprache; ausserdem zahlreiche Aufsätze desselben Autors im »Evangelischen Erzieher«. 56 G.M.Martin, «Wir wollen hier auf Erden schon...«; J.Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung; H.Cox, Das Fest der Narren. 57 K.Berger, Hermeneutik des Neuen Testaments, 287 ff. ; ders., Hermeneutik und Ästhetik. 58 Dies geschah beispielsweise mit U.Eco s Kunsttheorie (Das offene Kunstwerk): G.M.Martin, Predigt als »offenes Kunstwerk« ; dazu kritisch H.Schröer, Umberto Eco als Predigthelfer? " R.Bohren, Dass Gott schön werde; A.Grözinger, Praktische Theologie und Ästhetik. 60 Dazu neben den genannten Arbeiten A.Grözinger, Christologie und Ästhetik. Der Autor nimmt in diesem Aufsatz die sog. Lichterlehre Karl Barths auf und gibt damit einen wichtigen Hinweis darauf, in welchem Zusammenhang die Ästhetik auch systematisch-theologisch von Belang sein könnte. 61 P.Biehl, Religionspädagogik und Ästhetik, 23-26; vgl. ders., Symbole geben zu lernen, 13-29.
22
einer mittlerweile auf breiter Basis geführten Debatte zur möglichen Rolle von Kunst in der religiösen Erziehung. Über den produktiven Umgang mit Werken der Kunst wird auch in bezug auf die Predigt nachgedacht62. Lediglich genannt seien in diesem Zusammenhang schliesslich Bild- und Symboldidaktik. Die Hinwendung zur Ästhetik in vielen Bereichen der Theologie63 ist, wie die Beispiele zeigen, eine sehr heterogene Erscheinung. Unter dem Stichwort der Ästhetik werden die verschiedensten Fragen diskutiert, wobei sich eine einheitliche und entsprechend klare Begrifflichkeit bislang nicht entwickelt hat. Mit dem Begriff der Ästhetik bezeichnet man entweder die Wissenschaft vom Schönen, von der Kunst oder von der (sinnlichen) Wahrnehmung64. Die Theorie vom Schönen spielt allerdings - das sei im Vorgriff auf die Darstellung der Literatur bereits gesagt - auch in der jüngeren theologischästhetischen Debatte kaum eine Rolle. Trotz der Konjunktur der Ästhetik in der gegenwärtigen Theologie65 stellt sich die Lage heute nicht wesentlich anders dar als zu Beginn des Jahrhunderts: Die Schönheit ist nach wie vor kein Diskussionsthema.
3. Das Anliegen der Arbeit Der Blick in die Geschichte des Problems hat gezeigt, dass die theologischen Stellungnahmen zur Schönheit zumeist zwei Seiten hatten: das Schöne wurde als gute göttliche Gabe, aber auch als Phänomen " A.Mertin, Kunstvoll predigen. Der Umgang mit Kunstwerken in homiletischer Perspektive. 63 Die kirchliche Praxis hat bis jetzt noch kaum nachgezogen. 64 Zu den drei Theoriemodellen vgl. Grözinger, Praktische Theologie und Ästhetik, 105-122. Aus Grözingers Ausführungen wird auch klar, dass die Vielfalt der Begriffe bereits aus der philosophischen Diskussion stammt. 65 Vgl. auch H.Timms Analyse der religiösen Landschaft der 80er Jahre: Das ästhetische Jahrzehnt. Eine verstärkte Hinwendung zu Ästhetik und Kunst lässt sich auch in der Philosophie der vergangenen Jahre feststellen. Vgl. dazu Kunstforum International Bd. 100 (März/April 1989) zum Thema »Kunst und Philosophie«, bes. die Beiträge: W.Welsch, Zur Aktualität ästhetischen Denkens (134-149); B.Brock, Das Veraltete der traditionellen Ästhetik - der neuen nicht? (236-241); S.Breitwieser/D.Kamper, Begreifen, ohne auf den Begriff zu bringen (302-315); S.Rogenhofer/F.Rötzer, Kunst und Philosophie: Zum Verhältnis verhinderter Weltenträumer (316-325). Es wäre zu untersuchen, ob bei den Ursachen und der Ausprägung der Hinwendung zur Ästhetik zwischen Philosophie und Theologie Parallelen bestehen. Beiderorts wird als Gewinn der Ästhetik u.a. vermerkt: Vorrang des Konkreten vor dem Abstrakten, Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der Erscheinungen, Wiederentdeckung der Sinnlichkeit sowie ein >gewaltfreies< Denken, das sich den Dingen anschmiegt, statt sie eigenen Ordnungszusammenhängen und Verwertungsinteressen zu unterwerfen. Vgl. dazu auch P.Sloterdijk, Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung.
23
mit einer eigentümlichen, für sich einnehmenden Faszination gesehen. Von beiden Seiten her erweist es sich für die Theologie als unerlässlich, die Schönheit angemessen zu reflektieren. 1. Das Schöne ist faszinierend. Es zieht uns in seinen Bann. Es ist, wie Hartmut von Hentig beobachtet, eine Macht, also etwas, worüber nicht ich entscheide, »sondern etwas, was über mich entscheidet« 66 . Die Sprache gibt den Sachverhalt sehr genau wieder, wenn sie sagt, dass ein Mensch oder ein Gegenstand »hinreissend« schön sei - Schönheit ist immer hinreissend. Wir gehen nicht zu ihr hin, sondern werden von ihr angezogen, wir beschliessen nicht, uns ihr zu nähern, sondern finden uns plötzlich von ihr ergriffen. Es ergeht uns wie Christian Morgensterns Palmström, den »oft unvermitteltnackt/ Ehrfurcht vor dem Schönen packt« 67 . In der Erfahrung des Schönen ist unsere Selbstbestimmung für Momente suspendiert. Dies ist es, was für Sören Kierkegaard diejenige Existenzform so fundamental bedenklich macht, die ganz nach dem Paradigma der Schönheitserfahrung gestaltet ist: die ästhetische Existenzform. Das Ästhetische in einem Menschen nennt Kierkegaard das, »dadurch er unmittelbar das ist was er ist«68. Wer ästhetisch lebt, der ist in einem tiefsten Sinne unfrei: »Wer aber sagt, er wolle das Leben geniessen, der setzt stets eine Bedingung, welche entweder ausserhalb des Individuums liegt oder auf eine Art im Individuum ist, dass sie nicht in dessen eigner Macht steht«69. Der Ästhetiker wird von aussen bestimmt, er ist ein Getriebener, der von einem Augenblick des Genusses zum andern gespült wird und es dabei verpasst, sich selbst zu ergreifen und so zur wirklichen menschlichen Freiheit zu finden70. Ob die Suspension des Selbstbesitzes in der Schönheitserfahrung wie bei Kierkegaard ausschliesslich negativ beurteilt werden soll, das ist eine Frage, die erst im Verlauf dieser Arbeit geklärt
66 H. von Hentig, Die Wirkungen des Schönen, in: Oers.: Ergötzen, Belehren, Befreien, 57-64. 60. 67 Chr. Morgenstern, Palmström, Jubiläumsausgabe Bd. 1, 83. 68 S.Kierkegaard, Entweder/Oder II/2, 190. " A.a.O., 191. 70 Zu Kierkegaards Kritik der ästhetischen Existenz vgl. W. Greve, Das erste Stadium der Existenz und seine Kritik, bes. 197 ff. Kierkegaard wiederholt im übrigen eine Denkfigur, die sich schon bei den Kirchenvätern und dann durch die ganze Theologiegeschichte hindurch findet, wenn er der Schönheit, die der Ästhetiker geniesst, eine höhere Schönheit entgegenstellt. Er definiert das Schöne als dasjenige, »das seine Teleologie in sich selber hat« (a.a.O., 290). Die Schönheiten, die der Ästhetiker geniesst, sind stets Einzelschönheiten, während das ethisch betrachtete Leben eine immanente Teleologie aufweist und damit als ganzes schön ist (291 ff.). Erst der Ethiker gewinnt deshalb auch die wahre Schönheit.
24
werden kann 71 . Kierkegaards Ausführungen zur ästhetischen Existenzform sind aber in jedem Fall ein nachdrücklicher Hinweis auf die tatsächliche Macht des Schönen. Lässt sich die Macht des Schönen noch genauer beschreiben? Worin besteht seine starke Wirkung auf uns? Das Gedicht »Auf eine Lampe« schliesst Eduard Mörike mit der bekannten Zeile: »Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst«72. Was selig in ihm selbst scheint, beseligt auch diejenigen, die es anschauen oder anhören. In der Schönheit finden wir eine Vollkommenheit realisiert, die unserem Dasein mangelt. Die erscheinende Vollkommenheit des Schönen vermittelt uns Wahrnehmenden für die Dauer der Wahrnehmung ebenfalls Erfüllung, eine Erfüllung, die jegliches über den Augenblick hinausgerichtete Denken und Handeln überflüssig macht und die immer wieder auch als Versprechen eines noch höheren Glücks, einer das Leben als Ganzes umfassenden Erfüllung empfunden worden ist73. Auf die beseligende Wirkung des Schönen beziehen sich letztlich auch all die Bedenken, die von je her gegen die Schönheit vorgebracht worden sind. Wer das Schöne geniesst, der plant und handelt nicht, er oder sie ergibt sich im Gegenteil einer ästhetischen Passivität. Zweckgerichtetes, an der Nützlichkeit orientiertes Denken kann deshalb in der Schönheit nur etwas Überflüssiges und Hinderliches erkennen. Wer sich den Reizen des Schönen überlässt, läuft überdies Gefahr, die ethische Indifferenz alles Schönen zu vergessen: Gutes und Böses werden geschmückt, und Böse freuen sich gleich wie Gute an der Schönheit, ohne von ihr moralisch verändert zu werden. Weiter bleibt der Betrachter bzw. die Betrachterin des Schönen an der Oberfläche der Dinge hängen, statt zum tieferliegenden Wahren vorzudringen. Schönheit ist nicht Wahrheit, sie kann sogar, wo sie Unwahrheit kaschiert, zum eigentlichen Gegensatz der Wahrheit werden. Wer vom Schönen angezogen wird, vergisst schliesslich leicht, dass die Schönheit lediglich Schein ist und dass ihrer ästhetischen Vollkommenheit keine lebenspraktische entspricht. Die Seligkeit der Schönheit, so lautet der Tenor all dieser Bedenken, ist eine falsche Seligkeit, die den Menschen daran hindert, die Wahrheit zu erkennen und das Gute zu tun. Nach dem Gesagten bedarf es kaum einer ausführlichen Begründung, warum die Theologie das Schöne in ihr Nachdenken einbeziehen muss. Die Schönheit ist eine reale Macht in der Welt, sie 71 Vgl. dazu H.Luther, Subjektwerdung zwischen Schwere und Leichtigkeit (auch) eine ästhetische Aufgabe? 71 E.Mörike, Sämtliche Werke I, 735. " Stendhal spricht vom Schönen als einer »promesse de bonheur«.
25
bestimmt unser Denken und Handeln in vielfältiger Weise und meist in höherem Masse, als wir es uns bewusst sind. Von Hentig sagt mit Recht, »dass die Welt mehr Oberfläche, Farbe, Laute, Ordnungen, Verhältnisse hat, das heisst: buchstäblich mehr Anlass für Schönheit und Hässlichkeit als für Wahrheit und Unwahrheit, für Güte und Gemeinheit« 74 . Die Faszination des Schönen ist überdies, das zeigen die Bedenken deutlich, hochgradig ambivalent. Bleibt die Schönheit aus der theologischen Reflexion ausgeblendet, dann klammert man ein bedeutendes Stück der Realität aus der Theologie aus. Die Konsequenz ist ein beträchtlicher Weltverlust in der Theologie, im Glauben und in der Kirche, aber auch die Auslieferung des Glaubens an die faktische Macht und Ambivalenz des Schönen. Die Kirche und die einzelnen Glaubenden sind in ihrem Wahrnehmen und Handeln immer wieder mit dem Schönen konfrontiert. An unzähligen Punkten werden ästhetische Entscheidungen gefällt und kommen ästhetische Präferenzen zum Zuge. Eine Kirche, die die Schönheit in ihrem Denken unberücksichtigt lässt, ist deswegen nicht weniger in ästhetische Praxis involviert. Sie nimmt diese Praxis nur nicht verantwortungsvoll genug wahr. Schon aus diesen Gründen ist der Aussage von Kurt Marti, dass niemand einer theologischen Lehre vom Schönen bedürfe 75 , zu widersprechen. 2. Noch dringlicher wird der Bedarf nach einer theologischen Lehre vom Schönen, wenn man sich das vielfältige Zeugnis aus Theologie· und Frömmigkeitsgeschichte vor Augen hält, die Schönheit sei eine Gabe Gottes. Hat man es im Schönen tatsächlich mit einer guten Gabe Gottes zu tun, dann kommt die Theologie um seine Reflexion nicht mehr herum. Glaube ist des Menschen Erkenntnis und Anerkennung von Gottes Zuwendung zu ihm. Der Theologie als dem Denken des Glaubens geht es wesentlich darum, die Wirklichkeit der göttlichen Zuwendung zur Welt methodisch zu reflektieren. Dazu gehört, den Grund dieser Liebe im Sein Gottes sowie ihren Vollzug im göttlichen Handeln zu bedenken. Es gehört aber ebenso dazu, die Zuwendung Gottes in allen ihren Gestalten denkend zu erfassen und so dem Glauben zu einer vertieften Wahrnehmung dessen zu verhelfen, was ihm von Gott geschenkt ist. Wenn die Wohltaten, die Gott dem Menschen gewährt, die Schönheit mitumfassen, dann obliegt es der Theologie, auch auf diese Gestalt der göttlichen Zuwendung aufmerksam zu machen. Unterlässt sie dies, dann läuft 74
A.a.O., 59. " «Lassen wir >die Lehre vom Schönem. Niemand bedarf ihrer« (K.Marti, Aisthesis, 10). Dieser kreuzestheologisch motivierte Satz (vgl. 9) hindert Marti allerdings nicht daran, im gleichen Beitrag sehr bedenkenswerte Gedanken zur Schönheit zu notieren (vgl. 12-15).
26
sie und mit ihr der Glaube Gefahr, einen wichtigen Aspekt des göttlichen Handelns zu übergehen. In einer theologischen Lehre vom Schönen kann es allerdings nicht allein darum gehen, zu prüfen, ob und inwiefern der Vollzug des Glaubens auch die Wahrnehmung von und Freude an Schönheit umfasse. Eine Lehre vom Schönen hat ebenso die Aufgabe, das Spezifische an der Wohltat der Schönheit herauszuarbeiten. Sie muss verdeutlichen, was genau es ist, was Gott dem Menschen im Schönen gewährt. Erwähnt wurde schon die ästhetische Freude. Man kann auf das Element des Spiels in der Schönheitserfahrung hinweisen. Weiter ist daran zu denken, dass es besonders die menschliche Sinnlichkeit ist, die mit der Schönheit angesprochen wird - ein Punkt, der in der Vergangenheit mehrheitlich Misstrauen gegenüber dem Schönen motiviert hat, der heute aber gegen eine sinnenvergessene theologische Tradition gerade positiv hervorgehoben zu werden verdient. Eine zentrale Rolle wird in dieser Arbeit die Passivität und Rezeptivität spielen, in welche sich der Mensch in der Erfahrung des Schönen versetzt sieht. Eine theologische Lehre vom Schönen kann bei alledem natürlich nicht von der Stellung abstrahieren, die die Schönheit in der philosophisch-ästhetischen Diskussion der vergangenen zweihundert Jahre zugewiesen erhalten hat. Das Schöne wurde dort gedacht als Versöhnung der Gegensätze, in denen der Mensch sich findet: Ich und Erscheinungswelt, Freiheit und Sinnlichkeit, Natur und Geist, Wirklichkeit und Idee 76 . Gegenüber einer Interpretation wie dieser, in welcher die Schönheit nicht weniger als erlösende Funktion zugesprochen erhält, wird die Theologie grösste Vorbehalte anzumelden haben. Theologisch gesehen gehören Versöhnung und Erlösung nicht zu den Wohltaten, die dem Menschen im Schönen gewährt werden. Eine theologische Lehre vom Schönen muss aber auch zwischen Schönem und Schönem unterscheiden bzw. Kriterien zu einer solchen Unterscheidung an die Hand geben. Der Blick in die Theologiegeschichte hat gezeigt, dass in der Kirche bei aller positiven Beurteilung der Schönheit immer auch klar war, dass es einen missbräuchlichen Umgang mit dem Schönen gibt - einige Stellungnahmen sind ganz von diesem her bestimmt. Das bedeutet für eine Theologie der Schönheit: Gelangt man zur Einsicht, dass der Mensch es beim Schönen mit einer göttlichen Wohltat zu tun hat, dann ist damit noch nicht jegliches Schöne als solche Wohltat qualifiziert. Da der Mensch stets auch Sünder ist, wird er selbst das Schöne für seine Selbstbehauptung gegen Gott zu instrumentalisieren versuchen. Schönheit kann deshalb immer auch in einer Weise gestaltet und 76
Zum Schönen als Versöhnung vgl. Teil II A 1.1.4., 2.2.3.
27
wahrgenommen werden, in der sie von Gott wegführt, anstatt auf seine Güte hinzuweisen. Dieser Sachverhalt macht eine Reflexion der vielfältigen Korruptionsmöglichkeiten des Schönen unumgänglich. Nach dem Gesagten lässt sich das Anliegen dieser Arbeit zusammenfassend formulieren. Die hier vorgelegten Studien setzen sich mit der Frage auseinander, ob und inwiefern man annehmen muss, dass zum Handeln Gottes auch gehört, dass er dem Menschen Schönheit gewährt. Sie versuchen, in den verschiedenen Erscheinungsformen des Schönen die Charakteristika dieser göttlichen Wohltat näher zu bestimmen, aber auch die Möglichkeiten ihrer Korruption durch den Menschen aufzuzeigen. Die Arbeit versucht auf diese Weise, zu einem verantwortungsvollen Umgang des Glaubens mit einem wichtigen und mächtigen Phänomen anzuregen. Vor allem aber geht es ihr darum, auf eine Gestalt des guten Handelns Gottes am Menschen hinzuweisen und damit einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche den Reichtum der göttlichen Zuwendung zur Welt umfassender wahrnehmen lernt. Das skizzierte systematische Anliegen wird im zweiten Teil verfolgt. In einem ersten Teil wird zuvor die Literatur, die sich in diesem Jahrhundert mit der hier verhandelten Problematik befasst, referiert und analysiert. Die aus der Literatur erhobenen Probleme geben eine Diskussionsgrundlage für den systematischen Teil ab. Der Literaturbericht beschränkt sich dabei auf den Bereich der evangelischen Theologie. Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, wollte man auch auf die orthodoxe und die römisch-katholische Tradition eingehen 77 . Nur vermutungsweise sei hier angemerkt, dass eine erneute Besinnung auf das Problem der Schönheit der evangelischen Theologie auch neue ökumenische Dimensionen eröffnen könnte.
4. Begriffserklärungen In der ästhetischen Diskussion gibt es eine Reihe von Begriffen, die mit sehr unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden. Es empfiehlt sich in einer Arbeit in diesem Themenbereich deshalb, bei 77
Das bedeutet, dass auf die umfangreiche theologische Ästhetik H.U. von Balthasars, die in sechs Bänden unter dem Titel »Herrlichkeit« erschienen ist, nicht eingegangen werden kann. Das Werk von Balthasars gibt allein genug Stoff für Monographien: Vgl. J.A.Kay, Theological Aesthetics; J. Schmid, Im Ausstrahl der »Schönheit Gottes«; L.Roberts, The Theological Aesthetics of Hans Urs von Balthasar.
28
einigen zentralen Begriffen zu erklären, in welchem Sinne sie im folgenden angewendet werden sollen. 1. Die Begriffe des Schönen und der Kunst werden unterschieden. Ausdrücke wie »schöne Kunst« oder »schöne Literatur« (bzw. »Belletristik«) zeigen, dass der Begriff des Schönen nach wie vor häufig zur Kennzeichnung der Kunst herangezogen wird. Kunst und Schönes sind aber nicht identisch. Zum einen ist der Bereich des Schönen umfassender als derjenige der Kunst: Schönheit begegnet auch in der Natur oder an Gegenständen, die nicht als Kunst gewertet werden. Zum andern - darauf wird im zweiten Teil noch ausführlich einzugehen sein - kann man seit dem 19. Jahrhundert die Kunst mit dem Schönheitsbegriff nicht mehr adäquat erfassen. 2. Weiter werden die Begriffe des Schönen und des Ästhetischen unterschieden. Was genauer unter Schönheit zu verstehen sei, ist Gegenstand einer eingehenden Erörterung, die ebenfalls zu Anfang des zweiten Teils stattfinden soll. Das Ästhetische bezeichnet hier einen Bereich, der seinerseits umfassender ist als derjenige des Schönen. Unter dem Ästhetischen wird der Formalaspekt eines Gegenstands verstanden: die Form, die Gestalt eines Wahrnehmungsobjekts. Das Ästhetische ist deshalb nicht eine eingegrenzte Sphäre in der Welt, sondern die Welt unter einem bestimmten Gesichtspunkt, eben demjenigen der Form. In den Bereich des Ästhetischen gehören sowohl das Schöne als auch das Hässliche und das ästhetisch Banale. 3. Schliesslich gilt es die Begriffe der Ästhetik und der Kunsttheorie zu unterscheiden. Der Begründer der philosophischen Ästhetik, Alexander Gottlieb Baumgarten, definiert die Ästhetik in seiner »Aesthetica« als »Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis« (scientia cognitionis sensitivae)n. Diese Definition schliesst zwar, wie Baumgartens weitere Ausführungen zeigen, auch eine Poetik ein, sie umgreift aber mehr als eine eigentliche Theorie der Kunst79. Die Ästhetik ist Wahrnehmungslehre. Ganz anders präsentiert sich die Sachlage bei Hegel. Hegel bestimmt Ästhetik als »Philosophie der Kunst«, genauer als »Philosophie der schönen Kunst« 80 , und vollzieht damit die Identifikation der beiden Wissenschaften. Zwischen diesen beiden Positionen bewegen sich in der Folgezeit die Verhältnisbestimmungen von Ästhetik und Kunsttheorie. Ein Konsens ist bis heute nicht festzustellen81. In dieser Arbeit bezeichnen die beiden 78
A.G.Baumgarten, Theoretische Ästhetik, § 1, 2 f. " Vgl. a.a.O., §5, 2ff. 80 G. W.F.Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, 19. 81 Für differierende Verhältnisbestimmungen vgl. G. Wolandt, Elemente der Ästhe-
29
Begriffe wie gesagt zwei Wissenschaften mit nicht deckungsgleichen Gegenstandsgebieten. Die Ästhetik befasst sich mit dem Ästhetischen, also mit dem Wesen und den Wirkungen der Form eines Objekts sowie mit den Prinzipien der Wahrnehmung und Beurteilung von Form. In der Theorie der Kunst geht es dagegen um die Bestimmung und um das Verstehen des Phänomens Kunst sowie um die Erfassung der entsprechenden Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse. Da Kunstrezeption in hohem Masse Formwahrnehmung ist, ist Kunsttheorie allerdings immer auch Ästhetik. Die Begriffe werden im folgenden in der hier erläuterten Weise gebraucht. Ausnahmen von dieser Regel können sich dort ergeben, wo in einem Referat die abweichende Terminologie eines Autors übernommen wird. Wo dies der Fall ist, wird es aus dem Zusammenhang ersichtlich sein.
tik, 196-207; W.Iser, Interpretationsperspektiven moderner Kunsttheorie, 33 f; G.Pochat, Geschichte der Ästhetik und Kunsttheorie, 13-16. Die Verhältnisbestimmungen werden weiter kompliziert, wo Kunstwissenschaft, Kunsttheorie und Kunstphilosophie unterschieden werden (so Wolandt und Pochat).
30
TEIL I: BEITRÄGE ZUR THEOLOGIE DER SCHÖNHEIT
Im ersten Teil dieser Arbeit sollen Beiträge zur Theologie der Schönheit referiert und kritisch gewürdigt werden. Es geht dabei nicht um eine umfassende historische Aufarbeitung der theologischen Auseinandersetzung mit der Frage des Schönen, sondern darum, die aktuelle Problemlage zu vergegenwärtigen. Die Darstellung beschränkt sich deshalb auf die evangelische Theologie und darin auf das 20. Jahrhundert. Obwohl, wie sich zeigen wird, die Schönheit stets nur am Rande zum Gegenstand theologischer Reflexion gemacht und in dem meisten Fällen ganz übergangen worden ist, ergibt sich doch eine beträchtliche Fülle von Material zur hier interessierenden Thematik. Der Komplexität des Problems des Schönen entsprechend ist das Material dazu sehr vielfaltig. Fragen des Schönen werden in verschiedensten Diskussionszusammenhängen verhandelt: in den Prolegomena zur Dogmatik, der Gotteslehre, der Schöpfungslehre, der Ethik, der Liturgik usw. Daneben fehlen auch nicht Versuche, das Phänomen des Schönen mit all seinen Aspekten in einem umfassenden Entwurf zu bedenken. Ein erstes Ziel dieses Teils der Arbeit ist es, das vielfältige Material ein Stück weit zu ordnen. Unter den referierenden Beiträgen lassen sich also solche, die das Thema umfassend angehen, und solche, die sich mit einem Teilaspekt befassen, unterscheiden. Die Ausführungen zu Teilaspekten können noch einmal thematisch unterteilt werden. Von da her legt sich eine Darstellung des Materials in vier Kapiteln nahe. In einem ersten sollen umfassende Entwürfe einer Theologie der Schönheit vorgestellt werden, in den drei weiteren Beiträge zur Schönheit Gottes, zur Schönheit der Schöpfung und zur Schönheit der Kultur. Die Beiträge werden nach ästhetischen und theologischen Gesichtspunkten beurteilt, wobei im Zusammenhang mit der theologischen Beurteilung auch immer nach der exegetischen Fundierung des Gesagten gefragt wird. Das ästhetische Kriterium ist deshalb unumgänglich, weil in jeder theologischen Interpretation der Schönheit ein ästhetisches Vorverständnis des Schönen vorausgesetzt ist, das sich entscheidend auf die theologische Interpretation auswirkt. 31
Es wird wichtig sein, gerade in Beiträgen, wo dieses Vorverständnis nicht explizit offengelegt ist, danach zu fragen. Neben der strukturierten Präsentation und der Beurteilung des Materials ist ein weiteres Ziel dieses ersten Teils, Fragestellungen im Zusammenhang mit einer Theologie der Schönheit zu erheben. Insbesondere im »Fazit« am Ende jedes Kapitels soll nicht nur das vorher Dargestellte zusammengefasst werden, sondern es sollen auch die Probleme, die sich daraus für eine theologische Erfassung des Phänomens des Schönen ergeben, formuliert werden. Damit wird ein möglichst differenziertes Profil der theologischen Schönheitsproblematik angestrebt, ein Profil, das dann auch für den systematischen Versuch in Teil II leitend sein soll.
A. Umfassende Entwürfe In einem ersten Kapitel werden Entwürfe dargestellt und beurteilt, die die Schönheitsproblematik umfassend behandeln. Damit sind Arbeiten gemeint, die das Phänomen des Schönen sowohl in der Natur (als sogenannt »Naturschönes«) als auch im Bereich menschlicher Produktion (als »Kunstschönes«) in den Blick nehmen und in seiner Beziehung auf Gott reflektieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob das in Anschlag gebrachte Verständnis der Schönheit explizit auf die verschiedenen Erscheinungsweisen des Schönen hin entfaltet oder ob lediglich auf seine umfassende Gültigkeit hingewiesen wird. In den vorgestellten Arbeiten findet sich beides. Entscheidender Gesichtspunkt bei der Auswahl war, ob die betreffenden Autoren selbst ihren Entwurf als Versuch verstehen, das theologische Problem des Schönen umfassend anzugehen. Eine Ausnahme bildet das hier ebenfalls behandelte Werk von Rudolf Bohren, das zwar nicht als Theologie des Schönen angelegt ist, trotzdem aber eine solche enthält. Nicht aufgenommen sind Beiträge aus der auf der Philosophie Alfred N. Whiteheads und Charles Hartshornes basierenden Prozesstheologie1. Der Begriff der Schönheit spielt in der Prozesstheologie - wie auch bei Whitehead 2 - eine wichtige Rolle. Darauf einzugehen würde aber die Auseinandersetzung mit dem prozesstheologischen Ansatz im ganzen bedingen, was im Rahmen dieser Arbeit zu weit gehen würde. 1
W.Dean, Coming To: A Theology of Beauty, Philadelphia 1972; N.Pittenger, Beauty in a World of Process; ders., The Priority of the Aesthetic; vgl. J.B.Cobb/D.R.Griffin, Prozesstheologie, 63 f. 1 A.N. Whitehead, Abenteuer der Ideen, 441 ff.; ders., Wie entsteht Religion?, 79f.
32
1. Gerhard Nebel: Schönheit als Ereignis 1.1. »Das Ereignis des Schönen« 1.1.1. Das Schöne Mit dem Schriftsteller Gerhard Nebel unternimmt es ein theologischer >LaieSubstanz< in der thomistischaristotelischen Metaphysik«6. Mit dieser Bemerkung deutet Nebel bereits an, dass sein Schönheitsverständnis in ein Weltverständnis eingelassen ist, das man als eine aktualistische Ontologie bezeichnen kann und das vor allem an der Existenzphilosophie Jaspers und Heideggers und an Hans Blüher, dem Philosophen des »Wandervogels«, orientiert ist. 3
A.a.O., 268. R.Bohren bedient sich in polemischer Weise der Kategorien des Autors, wenn er in einer Rezension von Nebels Buch bemerkt, es gebe in ihm Sätze, »in denen sich statt des Schönen der Kitsch ereignet« (316). 5 Eine Ausnahme stellt H.U.von Balthasar dar, der dem Buch in seiner theologischen Ästhetik eine ausführliche Würdigung zukommen lässt (Herrlichkeit Bd. 1 , 5 3 66). 6 Das Ereignis des Schönen, 7. 4
33
Der Ereignisbegriff hängt in Nebels Ansatz eng mit dem Begriffspaar »Innen/Aussen« zusammen. Das Innen bezeichnet den Bereich menschlichen Denkens, Planens und Handelns, die vom Menschen gestaltete, eingerichtete und beherrschte Welt, diejenige Sphäre also, die man als Kultur umschreiben kann. Dagegen ist das Aussen der Bereich, der dem Zugriff des Menschen entzogen ist, der aber umgekehrt immer wieder in sein Leben hineinwirkt; »[z]um Aussen gehört, dass der Mensch darüber nicht verfügen kann, während es über ihn verfügt« 7 . Dass er mit dem Aussen mehr meint als ein transzendentalphilosophisch zu postulierendes Substrat einer möglichen Erfahrung, macht Nebel damit klar, dass er es ausdrücklich als »Zwischenreich« zwischen Gott und Mensch 8 , aber wechselweise auch als »Macht«, »Mythos« oder als »mythischen Gott« benennt. Das Aussen unterbricht immer wieder die Kontinuität des Innen und widerfährt dem Menschen als Ausserordentliches und Verunsicherndes, aber auch als Gestaltendes und Formendes. Erst als Wesen an der Grenze ist der Mensch angemessen begriffen - man kann den Menschen geradezu als »Wesen des Aussen« verstehen, das sich im Gegensatz zum instinktgeleiteten Tier stets als Ausgesetzter erfährt 9 . Während er sich im Alltag in einem »ungehärteten, existenzlosen Zustand« befindet, ereignet sich im Einbruch des Aussen »Verwirklichung, Härtung, Tatwerdung des Menschen« 10 , mithin der eigentliche Existenzgewinn. Man kann, Nebel paraphrasierend, sagen, dass der Mensch erst im ekstatischen Ausser-sich-Sein, in der Nichtidentität, seine Identität gewinnt. Mächte, die dem Menschen irritierend und formend widerfahren, sind etwa der wollüstige Rausch der Liebe oder des Krieges, die im Dialog sich ereignende Wahrheit und in besonderer Weise das Schöne11. Der Einbruch des Aussen ins Innen ist nun genau das, was Nebel mit dem Ereignis meint. Für Nebel ist das Schöne nur angemessen erfassbar, wenn man seinen Ursprung dem Aussen zurechnet und es als Ereignis versteht. Um dem Phänomen des Schönen als einem Ereignis gerecht zu werden, muss er es aber dialektisch beschreiben: »Das Schöne hat zwei Aspekte, den ereignishaften, dämonischen und den dinglichen, humanistischen« ; diese beiden Aspekte gilt es stets zu unterscheiden und gleichzeitig aufeinander zu beziehen 12 . Nebel bietet immer wieder seine ganze polemische Kraft auf gegen eine Ästhetik, die diese Dialektik übergeht: »Der vielbeschwätzte thomistische Satz: >Das 7
A.a.O., 229. » A.a.O., 150. ' A.a.O., 227. 10 A.a.O., 220. 11 Vgl. a.a.O., 24f. 12 A.a.O., 149. 34
Schöne ist der Glanz des Seins< entmachtet es zum Ästhetischen, verkennt das Ereignis, sieht nur wartende, tote Eigenschaften«13. Wo man den Ereignischarakter des Schönen nicht mehr sieht, degeneriert dieses mit Notwendigkeit zum Nützlichen und Angenehmen, zum prodesse und delectare des Horazu. In exemplarischer Weise findet der Autor das Wissen um das Schöne als Ereignis im klassischen Griechenland vor. Dass er seine Thesen zumeist an Vorgängen aus der griechischen Welt exemplifiziert, hat deshalb sachliche Gründe - wenn man je um »den Ernst und die Wahrheit des Schönen«15 gewusst hat, dann in Griechenland. Dort lässt sich darum lernen, was es um das Schöne ist; in der modernen Kunst meint Nebel dagegen nichts anderes als Orientierungslosigkeit und Leere wahrzunehmen16. Für den Griechen ist das Schöne nicht Dingliches mit bestimmten, der Beschreibung zugänglichen Eigenschaften17, sondern augenblickhaftes Aufleuchten einer mythischen, ihn ergreifenden Macht. So sehr das Schöne für seine Erscheinung des Endlich-Sinnlichen bedarf, so sehr transzendiert es dieses auch immer, so dass es weder auf Endlichkeit noch auf Unendlichkeit fixierbar ist; es ist »nur im stets erneuerten Umschlag schön«18. Es ist darum sachgemässer, das Kunstwerk statt als Schönes lediglich als potentiell Schönes, als Gelegenheit für das Schöne oder als Schönes in Erwartung des Ereignisses zu beschreiben19. »Das Ästhetische wird zum Schönen, sobald das Ding in der Flamme des Ereignisses verglüht«20. Das impliziert auch, dass das Schöne uns nicht als eine zeitliche Erstreckung begegnet, sondern als punktuelle Gegenwart, und zwar als »pralle Gegenwart«, als festlich-erfüllter Augenblick21. Das Schöne negiert als Ereignis ausserdem jegliche »abstandnehmende Betrachtung«22; in ihm ist die Trennung von Subjekt und Objekt aufgehoben, und beide Seiten werden in einem einzigen Geschehen zusammengeschlossen. 15
A.a.O., 102. A.a.O., 116. Gemeint ist Vers 333 aus »De arte poetica«: »aut prodesse volunt aut delectare poetae« (Opera, 306). 15 A.a.O., 147. " Vgl. a.a.O., 14, 107, 152, 199f, 209f u.ö. 17 «Das Schöne ist kein dauerhaftes Ding, dessen Eigenschaften sich beschreiben Hessen, so dass man nach hinreichend vielen Deskriptionen einen für alles Schöne identischen Bestand an Merkmalen als Wesen der Schönheit behaupten könnte« (a.a.O., 13). " A.a.O., 38, vgl. 50f. " Vgl. a.a.O., 13 u.ö. Hässlich ist dagegen dasjenige Ding, das nicht zum Ort des Ereignisses des Schönen werden kann (vgl. a.a.O., 152). 20 A.a.O., 19. " A.a.O., 35. " A.a.O., 19. 14
35
Das Schöne ist, näher bestimmt, Ereignis des Friedens. Nebel beschreibt die Ereignisstruktur der menschlichen Existenz mythologisch als Verwicklung des Menschen in den Streit der Götter, oder, die vielfältigen Vorgänge des Götterstreits zusammenfassend, als Hineingenommenwerden in den Streit zwischen Himmel und Erde - wobei er betont, dass das, was er an dieser Stelle als Himmel bezeichnet, »nicht der Himmel Jahwes [...], sondern ein Stück sündiger und erlösungsbedürftiger Schöpfung wie die Erde« ist23. »Erde« bezeichnet das Prinzip des Chaotischen, Dunklen, Statisch-Bodennahen, Weiblichen, »Himmel« dagegen dasjenige der Ordnung, der Helle, des Dynamischen, Männlichen, das eigentliche principium individuationis also. Im Schönen nun begegnen diese Mächte dem Menschen in einer bestimmten Konstellation, nämlich so, dass ihr Streit für einen Moment geschlichtet und aufgehoben ist: »Das Schöne, jedes Schöne bebt in der Spannung des in ihm erscheinenden Götterstreites«, trotzdem aber ist es,«unbeschadet seines Streitseins, Friede«24. Wie in die ständige Auseinandersetzung, so wird der Mensch auch in diesen sich augenblickshaft ereignenden Frieden hineingenommen und damit »aus dem Alltag ins Fest, aus der Sorge in die freie Unendlichkeit, aus zitternder Schwäche in unbekümmerte Kraft hinübergerissen«25. So fungiert das Schöne als Widerspruch zu einer im Streit befindlichen Welt. Es erinnert - wieder mythologisch gesprochen - an die heile Vorzeit des Kronos, an das Paradies. Gleichzeitig bringt es »den Friedens-Hintergrund des Kosmos nach vorn«, d. h. es macht »auffällig und bunt« sichtbar, dass die Welt in allem Streit durch die Geduld Gottes erhalten bleibt26. Auch das antike Schöne lässt so einen Gott ahnen, der höher ist als die mythischen Mächte. Den Frieden, den es sichtbar macht, vermag das Schöne allerdings nie zu realisieren; es ist lediglich »Enthüllung«27, Epiphanie eines Friedenszustandes, dessen Verwirklichung es einem anderen überlassen muss. Das Schöne versetzt den Menschen aber nicht allein aus dem Alltag heraus in das Fest, es führt ihn auch über das Fest hinaus zur Tat. Im Ereignis des Schönen verwirklicht sich die eigentliche Existenz des Menschen, in welcher er Entscheidungslosigkeit und Furcht hinter sich lässt und damit erst wirklich Tätiger wird. Das Schöne wirkt eine Verwandlung in wesentliches Menschsein und weist so über sich hinaus - »die Gestaltwerdung wäre sinnlos, 23
A.a.O., 72. » A.a.O., 75. » A.a.O., 73. 26 A.a.O., 79. 27 A.a.O., 169f.
36
Flucht, Mimos-Zerstreuung, Kino-Berückung, wenn sie nichts wäre als sie selbst, wenn sie mich nicht Ereignissen aussetzte, etwa dem Tod oder der Liebe, wenn sie mich also nicht zu einem Sterbenden oder Liebenden machte«28. Die Verwandlung kann sich in unterschiedlicher Weise vollziehen: indem ich im Drama in einen bestimmten - heroischen - Charakter eintrete, indem mir in natürlicher oder gemalter Landschaft, im geordneten Raum der Architektur oder der gefüllten Zeit der Musik das Paradies vergegenwärtigt wird, oder indem ich durch die ursprünglichste aller Künste, die Lyrik, vollkommen fürs Aussen geöffnet werde. »Es gehört [...] zur Fülle des Schönen, dass es mehr ist als schön«29 - diese von Nebel häufig wiederholte These bewahrheitet sich für ihn schliesslich insbesondere in der dritten Wirkung, die das Schöne auf den von ihm betroffenen Menschen haben kann. Das Schöne weist über sich hinaus, indem es dem Menschen seine Begrenztheit und seine Schuld vor Augen stellt. In Griechenland vollzieht sich dies vor allem in der Tragödie. Hier führt das Schöne den Menschen an seine endgültigen Grenzen von Verletzlichkeit und Scheitern, Todesverfallenheit und Vergebungsbedürftigkeit, vor die Realität des göttlichen Zorns30. Indem es dies tut, legt es aber auch seine eigene Begrenztheit offen, ist es doch nicht imstande, den »Riss«31, den es offenlegt, auch zu heilen: Weder vermag es den Tod zu überwinden noch zu trösten oder Schuld zu vergeben. »Das Schöne versagt vor den Fakten der Sterblichkeit«32. Mehr als die Erfahrung der Gebrochenheit der menschlichen Existenz vermag es nicht zu vermitteln, und auch das »nur selten, nur wo es sich an seiner Grenze selbst verzehrt, wo es den Riss umblüht«33. Da aber der Mensch auf Rettung ausgerichtet bleibt, »kann das Schöne nicht autark sein und ihm eine geschlossene Welt bieten, in der seine Unruhe zum Frieden kommmt«34. In diesem Versagen ist es begründet, dass unter der Oberfläche des Schönen der Schrecken lauert.
28
A.a.O., 245. A.a.O., 83. 30 Nebel ist der Meinung, dass in dieser Sicht des Menschen eine enge Parallele zur christlichen vorliegt. Er unterstreicht dies bereits in seiner Deutung der griechischen Tragödie > Weltangst und Götterzorn«. In dieser Untersuchung stösst Nebel »auf die Erkenntnis, dass die tragische Lehre vom Menschen mit der paulinisch-reformatorischen übereinstimmt - insofern nämlich, als in beiden Räumen der Mensch stets >unrechl< hat. [...] Christlicher Glaube und hellenische Tragik sind identisch, sofern in ihnen der Mensch als Knecht des Seins erscheint« (6). 31 Das Ereignis des Schönen, 30. 32 A.a.O., 165. 33 A.a.O., 120. » A.a.O., 33. M
37
Im äussersten führt das Schöne also über sich hinaus und »ist nur schön als Wegbereiter eines mehr als Schönen« 35 . Diese Tatsache ändert allerdings nichts an der Grundtendenz des Schönen, sich selbst absolut zu setzen. Als Ereigniswerdung der Mächte will es den Menschen an sich binden und »beansprucht, Gott zu sein« 36 . Nebel kann darum sagen, dass »im Umgang mit dem Schönen unser Heil [...] auf dem Spiel steht« 37 . In seinem Buch geht es ihm denn auch darum, »die metaphysischen und theologischen Rechtstitel des Schönen an der Wahrheit Christi« zu messen38. 1.1.2. Gott und das Schöne Die biblisch-theologische Interpretation erschliesst Nebel nicht allein ein vertieftes Verständnis für das Phänomen des Schönen, sondern vorab eine zusätzliche Fundierung, aber auch Modifikation seiner Ontologie. Wie das Schöne, so ist auch der Glaube Ereignis und deshalb auf ein Draussen bezogen. Zwischen den Aussenbereichen des Schönen und des Glaubens besteht aber ein qualitativer Unterschied : Das Draussen des Schönen ist »ein anderes als das Draussen des Glaubens - es ist, verglichen mit diesem Draussen, wieder ein Drinnen« 39 . Das Schöne hat so - entgegen seinem Anspruch - keine göttliche Qualität, sondern ist kreatürlich; Aussen im eigentlichen Sinne ist allein Gott, der Schöpfer. Er war bis vor den Sündenfall das ausschliessliche Aussen des Menschen, und erst die Trennung des Menschen von Gott, die Sünde, hat die Usurpation des Aussen durch die Mächte ermöglicht. Gott ist denn auch das »Ur-Ereignis« des Menschen, und dem Menschen widerfahren nur deshalb Ereignisse, weil er »auf Gott angelegt worden ist« 40 . In den theologischen Deutungen nimmt Nebel seine Beobachtung auf, dass das Schöne in mehr als einer Hinsicht über sich hinausweist. Dabei bestimmt er Christus als denjenigen, auf den diese Offenheit des Schönen anonym immer hinzielt. Dies gilt einmal für den tatwirkenden Aspekt, in welchem der Mensch »wirklich« gemacht wird. Hier vermutet Nebel, »dass das Schöne auf den einzigen Verwirklicher, auf Christus, angelegt« sei41. Anders formuliert: »Auf seltsame, unbegreifliche, aber nicht dunkle Weise ist in der » A.a.O., 102. J» A.a.O., 11. 37 Ebd. 58 A.a.O., 12. » A.a.O., 17. 10 A.a.O., 226. « A.a.O., 246. 38
Arete der Heiden Christus geahnt«42. Noch deutlicher ist der Bezug auf den biblischen Gott im Aufweis der Verlorenheit des Menschen, den das Schöne leistet. Christus macht sich hier »als Reisser des Risses fühlbar«, auch da, »wo die Kunst nicht daran denkt, ihn zu verkündigen« - und der Autor scheut es in diesem Zusammenhang nicht, von »natürlicher Theologie< zu sprechen43. Christus ist allerdings in der gefallenen Welt und damit auch im Schönen nicht positiv gegenwärtig, sondern lediglich als »Unruhe«, nicht als »Schenker des Lebens«, sondern als »Erinnerung an den Tod, Zeiger, aber nicht Vergeber der Sünde«44. Das Schöne ist Erscheinung des göttlichen Zorns - die Tatsache aber, dass Gott dem Menschen hier seinen Zorn sichtbar macht und ihn sich selbst als Vergebungsbedürftigen durchsichtig werden lässt, verdeutlicht gleichzeitig, »dass Gottes Tun sich nicht im Zorn erschöpft«45. Wenn das Schöne die von ihm Betroffenen auch auf einen Höheren verweist, so zielt doch sein Hinweis letztlich immer nur auf eine Leerstelle. Den Zugang zum göttlichen Du vermag es nicht zu vermitteln: »[D]ie Begegnung mit ihm ist enttäuschter Liebesbezug, das Ereignis eine nicht erwiesene Treue«46. Das Schöne ist für Nebel von da her theologisch als ein defizienter Ersatz für die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott zu qualifizieren. Das bedeutet aber, dass es dort, wo diese Gemeinschaft in Kraft ist, nicht mehr nötig ist. Dies ist in Israel der Fall. Das auserwählte Volk Gottes braucht, »da ihm das Eigentliche und Echte, der Bund, immer wieder vernehmlich angeboten wird, nach dem Surrogat, dem Schönen [...], nicht zu greifen. [...] In Israel ist das Schöne überflüssig«47. Wo das Gottesvolk trotzdem Kunst realisiert - sei es im Goldenen Kalb oder im salomonischen Tempel -, manifestiert sich darin in der Regel Abfall von Gott. Das Bilderverbot unterstreicht diesen Zusammenhang eindrücklich. Es ist deshalb auch verfehlt, die Bibel als Schönes, als Poesie lesen zu wollen. Wo die Bibel sich als Wort Gottes zur Geltung bringt, lässt sie die Poesie grundsätzlich hinter sich. »Gegenüber der Wucht, mit der der Heilige Geist beim gequälten und zu tröstenden Menschen ankommt, wird alles Widerfahrnis des Schö42
A.a.O., 239. A.a.O., 202, vgl. 111. Eine ähnliche Funktion erkennt Nebel in seinem Bericht von einer Afrikareise der öden Wüstenlandschaft der Sahara zu. Ihre Armut legt die Erlösungsbedürftigkeit alles Geschaffenen offen. »Die Sahara ist der Advent unter den Landschaften und ihre Stimme ist die Ankündigung dessen, der da kommen wird« (Die Reise nach Tuggurt, 151). 44 Das Ereignis des Schönen, 202 f. 45 A.a.O., 203. 44 A.a.O., 126. 47 A.a.O., 127. 43
39
nen unbedeutend« 48 . Auf dieser Linie liegt auch der Grund dafür, dass in der Welt des Neuen Testaments das Schöne vollständig fehlt. »Das Gottesreich als nahes, als hereingebrochenes, die Entscheidung als schon vollzogene - das ist der Boden nicht, auf dem Schönes gedeihen könnte« 49 . Entsprechend wird Glaube nicht durch Kunst, sondern allein durch Verkündigung vermittelt. Die Kunst ist grundsätzlich für den Glauben entbehrlich, »[d]em Glauben ist die Hülle der Dichtung gleichgültig«50. Das Schöne bleibt allerdings in Nebels Interpretation nicht ausschliesslich negativ als das Gott Fremde und Widersprechende bestimmt. Dies gilt einmal für die Schönheit der Natur. Durch das sechsmalige »Und er sah, dass es gut war« des ersten Schöpfungsberichts der Bibel sieht sich der Autor dazu veranlasst, die Schönheit des Geschaffenen als dasjenige an der Kreatur zu verstehen, »um dessentwillen Gott sich selbst akklamiert« 51 : als das die Zweckmässigkeit des Geschaffenen Übersteigende und Gottes Freude Erregende, als etwas, was von der göttlichen Herrlichkeit ins Geschöpf eingeht. Dieses göttliche Ja zur Schöpfung wiederholt sich - wenn auch in unendlichem Abstand - nun in jedem dem Menschen widerfahrenden Ereignis des Schönen. Wo er in die Begeisterung vor der Schönheit des Geschaffenen versetzt wird, wiederholt der Mensch »den die Schöpfungsgeschichte abschliessenden Beifall«52. Das ist auch vor der Kunst der Fall: »Der Mensch bezeugt im Kunstwerk die ihm widerfahrende Wohlgeratenheit der Schöpfung« 53 - auch da, wo dies nicht bewusst geschieht. Nebel prägt für diesen menschlichen Nachvollzug des göttlichen Applauses den Begriff der «analogia pulchri«54. Der in die Analogie des Schönen versetzte Mensch erfährt das Geschaffene für einen Moment in heilem, vom Fall nicht betroffenen, mithin im paradiesischen Zustand, so wie es ursprünglich war und wie es als eschatologische Schöpfung wieder sein wird; Schönheit ist damit »Erinnerung an den Garten Eden und Hoffnung auf die Neue Schöpfung« 55 . Unter den Bedingungen des Sündenfalls kann sich solches nur noch im punktuellen Durchbrechen des unschönen menschlichen Unheilszusammenhangs vollziehen, während das Schöne als Zustand nicht mehr möglich ist. Hier liegt für Nebel 48
A.a.O., " A.a.O., 50 A.a.O., 51 A.a.O., 52 Ebd. " Ebd. 54 A.a.O., 55 A.a.O.,
40
139. 141. 137. 154.
161. 158.
die spezifisch theologische Begründung für sein aktualistisches Schönheitsverständnis vor. Er umreisst von da aus das Wesen des Schönen folgendermassen: »Das Schöne ist der Augenblick des Paradieses - nicht das Heil, aber das Heile, nicht die Rettung, aber einmal die flüchtige Fülle des Lebens, das Dichte, Leuchtende, Friedevolle, Echte, der reine und angstlose Mozartklang«56. Allem Schönen eignet nun deshalb eine theologische Zweideutigkeit, weil es die penetrante Tendenz hat, die in dieser Definition offengehaltene Angewiesenheit des Menschen auf Gott vergessen zu machen. Das geschieht einmal darin, dass das Schöne - sofern es Gegenstand ist - zur Dauer drängt und damit das Paradies festzuhalten versucht57. Als paradiesischer Augenblick verstellt es sodann den Blick auf die Sünde und damit auf die göttliche Liebe und Vergebung, und als erfüllte Gegenwart erklärt es die Hoffnung für unwichtig. So verrät der Mensch vor dem Schönen Gott, »weil er über dem ungeschändeten, strahlenden Geschöpf den Schöpfer vergisst, und zugleich preist er Gott im Geschöpf«58. Dieser Zweideutigkeit, die noch kompliziert wird durch die Tatsache, dass die Schönheit auch zum eschatologischen Heilsgut gehört, ist begrifflich nicht beizukommen. »Wie immer man sich stellt, man wird das Schöne theologisch nicht fixieren können«59. Es wird mit diesen Bemerkungen bereits deutlich, dass und warum auch das Kunstschöne bei Nebel nicht unter einem ausschliesslich negativen Vorzeichen steht. Prinzipiell hält er daran fest, dass das Schöne, sofern es auf sich selbst verweist, für den Glauben nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich ist. Die Kunst hat aber darum die Möglichkeit, zum Glauben in ein positives Verhältnis zu kommen, weil sie nicht rein selbstreferentiell ist. Auch im blossen Selbstverweis lobt das Kunstwerk noch ungewollt den Schöpfer, und indem es den Menschen an die Grenzen von Schuld und Tod führt, weist es ihn über sich hinaus an den Herrn über Leben und Tod. Damit deuten sich Möglichkeiten an, in denen das Schöne nicht notwendig die Sicht auf den Schöpfer verstellt, auch wenn dies faktisch meistens geschieht. »Das Schöne verneint die Offenbarung nur, wenn es sich, was es nur selten vermeiden kann, an ihre Stelle setzt«60. Das positive Verhältnis zum Glauben, das der Kunst möglich ist, besteht im Dienst an der Verkündigung - hier hat sie mit ihrem 56
A.a.O., 160. «Jedes Kunstwerk hofft, das Schöne an sich zu fesseln - das ist sein Heroismus, aber auch seine Hybris« (a.a.O., 161). 58 A.a.O., 157. " Ebd. 60 A.a.O., 89f. 57
41
»Pfunde zu wuchern«61. Und hier erweist sich die Strukturanalogie zwischen Schönem und Glauben - die Ereignishaftigkeit - als fruchtbar und lässt es verständlich werden, warum es den Glauben immer wieder dazu gedrängt hat, sein Geglaubtes künstlerisch zum Ausdruck zu bringen. »Die Wucht der Verkündigung kann durch die Kunst erheblich gesteigert werden, das Heil mehr einleuchten«62. Der vom Dreieinigen solcherart in Dienst genommenen Kunst widerfahrt allerdings eine bedeutsame Veränderung. Indem ihre Selbstreferentialität überwunden wird, gerät das innere Gleichgewicht des Kunstwerks aus der Balance; »[i]n der Kunst der christlichen Jahrhunderte decken sich Was und Wie, Gehalt und Form nicht«63. Das In-sich-Ruhen und -Kreisen des Kunstwerks ist aufgesprengt, die Intention des Betrachters erfüllt sich nicht mehr im Werk selbst, sondern wird von diesem auf ein jenseits seiner Liegendes weitergeleitet. Auf diese Weise erhält solche Kunst eine Gespanntheit und »Abgründigkeit«64, »tiefe Furchungen« und »heftige Pressungen65«, wie sie ansonsten der Kunst fremd sind. Sie kann nie mehr sein als »Signal, Aufforderung, Gedächtnis« und ist damit gegenüber aller anderen Kunst zugleich stärker und schwächer: sie »zeigt mehr, ist aber weniger«66. In der Verkündigungskunst bezeugt das Schöne wieder, dass es Kreatur und damit zum Dienst und nicht zur Autarkie bestimmt ist. Geschichtlich gesehen war in Nebels Sicht die Kunst lediglich im Mittelalter im wesentlichen Verkündigungskunst, und auch dort vor allem aufgrund theologischer Kompromittierung der Kirche67; Glaube und Schönes bleiben sich letztlich fremd und finden allein aufgrund der »Geduld Gottes«68 zeitweilig zusammen. Konsequenterweise bricht in der Reformation die Gemeinschaft von Kirche und Kunst auseinander, und während die reformatorischen Kirchen - mit Ausnahme der Musik - kunstlos werden, lebt die mythische Wahrheit der Kunst in der Renaissance
" A.a.O., 177. 62 A.a.O., 184. Nebel widerspricht sich selbst, wenn er auf der einen Seite meint, dass der Glaube »leichten Herzens« auf Matthäus-Passion, Haydn-Messe, Dürers Apostel, die Göttliche Komödie und andere Meisterwerke verzichten könne (a. a. O., 180), auf der andern Seite aber daraufhinweist, dass an der »Erneuerung des Protestantismus« zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht nur der wiederentdeckte Luther sowie Kierkegaard beteiligt gewesen wären, sondern auch »der Christus Grünewalds und die Romanfiguren Dostojewskis« (184). " A.a.O., 80. " A.a.O., 81. " A.a.O., 179. 64 A.a.O., 186. 67 «Die mittelalterliche Gleichzeitigkeit von schlechter Gnadenlehre, höchster Kunst und Theokratie, also WeltfÖrmigkeit der Kirche, ist nicht zufällig« (a.a.O., 186). 68 A.a.O., 196.
42
selbständig wieder auf, wird aber durch den Vormarsch der neuzeitlichen Subjektbezogenheit bald geschwächt und verschwindet schliesslich. Die Schwäche der modernen Kunst wurzelt für Nebel darin, dass in ihr der Mensch jeglichen Bezug auf ein biblisches oder mythisches Aussen verloren hat.
1.2. Beurteilung Nebels Buch - das zeigt das Referat - stellt einen umfassenden Entwurf einer theologischen Reflexion des Schönen dar. Sowohl das Schöne der Natur wie das der Kunst werden bedacht, und das Phänomen Schönheit wird unter den Bedingungen des Sündenfalls wie auch im Horizont der protologischen und eschatologischen Vollendung gedeutet. Nebel geht dabei so vor, dass er in einem ersten Schritt das Schöne in seiner Phänomenalität und seinem (mythischen) Wesen begrifflich zu erfassen versucht und, in einem zweiten Schritt, dieses Schöne mit dem biblischen Zeugnis bzw. der reformatorischen Theologie in Beziehung setzt. Man kann man dieses Verfahren als Sequenz von ästhetischer Gegenstandsbestimmung und theologischer Interpretation beschreiben, wenn auch mit gewissen Vorbehalten69. Die Beurteilung erfolgt ebenfalls in dieser Sequenz.
1.2.1. Ästhetische Fassung des Schönheitsbegriffs a. Der Schönheitsbegriff. Obwohl für Nebel die Schönheit sich dem Begriff sperrt und im Grunde nur im Widerspruch zu ihrem Wesen Gegenstand des Denkens werden kann70, behandelt er in seinem Buch eine grosse Anzahl von Aspekten des Schönen, die zusammengenommen eine sehr weit gehende ästhetische Bestimmung ergeben. Die beherrschende ästhetische Kategorie ist die des Ereignisses, wobei das Ereignis des Schönen inhaltlich noch näher umschrieben wird als Ereignis des Friedens. " Die Vorbehalte beziehen sich auf die Tatsache, dass Nebel in seinem ersten Schritt nicht eine formalästhetische Beschreibung des Schönen, sondern eine Charakterisierung der in ihm sich manifestierenden Mächte geben will. Gemäss seinem Verständnis geht es in der theologischen Deutung darum auch nicht lediglich um die Interpretation eines »Gegenstandes«, sondern um die Bestreitung eines konkurrierenden Anspruchs. Formal betrachtet ist die genannte Sequenz trotzdem richtig: ein nicht theologisch bestimmter Schönheitsbegriff wird anschliessend theologisch interpretiert. 70 »Das Schöne auslegen heisst: ihm Unrecht tun. Es will begegnen, meinetwegen auch genossen, aber nicht gedacht werden« (a.a.O., 11).
43
1. EREIGNIS: Ereignishaftigkeit der Schönheit bedeutet, dass diese weder als eine Eigenschaft dem Objekt noch als durch einen Sehakt konstituiert dem Subjekt zuzuordnen ist. Nebel versteht das Schöne vielmehr als einen Akt, in welchem ein hinter dem ästhetischen Objekt Liegendes dieses zum Schönen macht und damit das wahrnehmende Subjekt in die Erfahrung des Schönen hineinreisst, so dass im Ereignis des Schönen Subjekt und Objekt zu einer aktualen Einheit zusammengeschlossen werden. Bei Nebel sind solche Aussagen über die Schönheit in eine stark mythologische Weltsicht eingebunden. Sie können aber auch unter Absehung von diesem auf einer phänomenologischen Ebene beurteilt werden. Der Ereignisbegriff, wie ihn Nebel im Zusammenhang mit dem Schönen in Anschlag bringt, ist in verschiedener Hinsicht ästhetisch fruchtbar. Der Begriff hält einmal fest, dass Schönheit nur als Beziehungsgeschehen zwischen einem Subjekt und einem Objekt oder, wie Nebel unterstreichen würde, zwischen Objekt und Subjekt - angemessen verstanden ist. Mit seiner Dialektik von gegenständlichem und sich ereignendem Schönem hält Nebel zwar am Substrat der Schönheit im Objekt fest, daneben macht er aber klar, dass von Schönem nur im Zusammenhang mit Wahrnehmung des und Betroffenheit vom Schönen gesprochen werden kann. In diesem Kontext ist auch seine Rede von der Distanzlosigkeit im Ereignis des Schönen sinnvoll. Nebel hebt mit dem Ereignisbegriff im weiteren den Machtcharakter des Schönen hervor. Er verwahrt sich wiederholt gegen eine Verharmlosung der Schönheit, die diese zur angenehmen Verzierung absinken lässt. Schönes trifft mich in seinem Sich-Ereignen mit einer Gewalt, durch die meine selbstbestimmte Subjektivität unterbrochen wird - ich erfahre mich ihm gegenüber als passiv. Ereignishaftigkeit des Schönen bedeutet ausserdem bei Nebel in mehrfachem Sinne Daseinssteigerung. Das Schöne steigert einmal den in prosaischer Zerstreuung gelebten Alltag zur Festlichkeit, und es verdichtet zum anderen die chronologische Zeit zum Augenblick. Durch beides gewinnt die Schönheit eine Intensität, die demjenigen, der sie erfährt, nicht bloss Genuss vermittelt, sondern ihn auch an die Grenze des Schmerzes führt. Diese Elemente von Nebels Begriff des Schönen als eines Ereignisses - Beziehungsgeschehen zwischen Subjekt und Objekt, Passivität des Wahrnehmenden, Festlichkeit und Augenblick - sollen positiv festgehalten werden. Nebels Ereignisbegriff hat daneben auch seine Problematik. Problematisch ist, dass Nebel den Aktualismus und den Machtcharakter des Schönen derart zuspitzt, dass Schönheit als Mitwahrgenommenes an den Dingen, als Komponente einer integralen Gegenstandswahrnehmung, mit seinem Begriff nicht mehr erfasst werden kann. Dies geschieht durchaus absichtlich: Das
44
»Schöne als Umwelt« behandelt der Autor verächtlich als ereignislose Langeweile 71 . Damit fallt aber der Grossteil unserer ästhetischen Erfahrung aus der ästhetischen Reflexion heraus. Gegenüber Nebel müsste man an dieser Stelle festhalten, dass Schönes sich auch in einer Art und Weise ereignen kann, in der es nicht zu existentieller Erschütterung führt. Übersteigerter Aktualismus und Machtcharakter führt bei Nebel im weiteren zu einer vollständigen Ausschaltung des Subjekts aus der Konstitution der Schönheit. Beteiligt ist das Subjekt am Durchbruch des Schönen nur noch als Ort von dessen Auftreffen, und seine Passivität ist dabei - schroff gesagt - diejenige des Vergewaltigten, des Opfers. Eine Passivität, in welcher der oder die Wahrnehmende sich dem Schönen gegenüber empfangend verhält und damit als Subjekt bestehen bleibt, kommt bei Nebel nicht in den Blick. Schönes als menschliche Gestaltung diskutiert der Autor deshalb - von seinem Ansatz her wiederum konsequent - nur am Rande und lediglich am Beispiel des inspirierten Künstlers. Daneben muss Schönheit als Aufgabe verantwortungsvoller Kulturgestaltung undiskutiert bleiben. Obwohl er gerade das Gegenteil bezweckt, macht Nebel mit seinem Schönheitsbegriff das Schöne wiederum zu einem Sonderbezirk, der bezugslos neben der übrigen menschlichen Weltwahrnehmung und -gestaltung steht. 2 . F R I E D E N : E S würde Nebels Ansatz widersprechen, würde er das Schöne durch Beschreibung formaler Elemente zu erfassen versuchen. Wenn er aber Schönheit als ereignishafte Befriedung der divergierenden Lebensprinzipien Himmel und Erde bestimmt, dann entspricht dies jenseits der mythologischen Redeweise durchaus auch einer formalen Präzisierung des Schönen 72 . So versteht Nebel die Säule des griechischen Tempels als Ausgleich des Drängens nach oben und des Drucks nach unten, Musik als spannungsvolle Einheit von erdgebundenem Rhythmus und »olympischer« Melodie, und im Vers ordnet er die Hebung dem Himmel, die Senkung der Erde zu. Wie angemessen solche, nicht selten künstlich wirkende Deutungen sind, braucht hier nicht erörtert zu werden. Wichtig und m. E. richtig ist Nebels These, dass im Schönen eine Balance von sich Widersprechendem, eine Harmonie, eben »Friede« erfahren wird. Nebel stellt
71
A.a.O., 78. Da zur Dialektik des Schönen neben dem »ankommenden« auch das »angekommene« Schöne gehört, kommt Nebel im übrigen um eine solche Präzisierung nicht herum. Daran ändert nichts, dass nach seiner Meinung auch am vordergründig Hässlichen sich das Schöne ereignen kann (vgl. a.a.O., 152f.) - hier hat man es mit einem Grenzfall zu tun, der die ästhetische Phänomenalität nicht gleichgültig werden lässt. 72
45
sich mit einem solchen Ansatz in eine lange, die abendländische Theorie des Schönen seit der Antike durchziehende Tradition, in welcher Schönheit durch Harmonie, Ordnung und Proportion charakterisiert ist73. Es versteht sich, dass bei ihm damit kein Ansatz zu einer Regelästhetik gegeben ist; welche formale Gestaltung im einzelnen die Erfahrung von Frieden vermitteln kann, bleibt letztlich offen. Ebenso wichtig wie die Tatsache, dass im Ereignis des Schönen Friede vergegenwärtigt wird, ist bei Nebel, dass dieser Friede dasjenige ist, was die ästhetische Tradition als Schein bezeichnet hat. Er verwahrt sich zwar in bezug auf das wahre Schöne gegen den Scheinbegriff 4 , meint aber sachlich dasselbe, wenn er Schönheit bloss als »Symbol« und nicht als »Faktum« gelten lässt75. Der Scheincharakter des Schönen erweist sich insbesondere daran, dass es gegen die realen Schattenseiten des Lebens, die Schuld, den Schmerz und den Tod, nichts vermag. Der ontologische Status des Scheins ist für Nebel die Voraussetzung für die Ambivalenz des Schönen: Schönheit hat die Tendenz, ihren Scheincharakter vergessen zu machen, sich für realen Frieden auszugeben und damit den Menschen über die wahre Verfassung seines Seins hinwegzutäuschen. Während er hier Wichtiges festhält, macht Nebel nicht explizit deutlich, dass der Modus des Scheins auch die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, dass das Schöne an vergangenen Frieden zu erinnern und noch ausstehenden zu antizipieren vermag. b. Die Unklarheit des Schönheitsbegriffs. Der Begriff des Schönen hat bei Nebel in der Deutung als Versöhnung von Lebensprinzipien eine recht klar umrissene Bedeutung, zumal wenn man die erwähnten Beispiele mit in Betracht zieht. Neben dieser führt Nebel aber, wie im Referat gezeigt, noch andere Interpretationen an: Schönes als ethisch-formend und als Aufweis der Grenzen menschlicher Existenz. Er subsumiert in diesem Zusammenhang auch die griechische Tragödie, den Isenheimer Altar und die Malerei El Grecos unter den Schönheitsbegriff. Dabei bringt er die These in Anschlag, dass das Schöne, um schön zu sein, mehr als schön sein müsse; es bleibt allerdings ungeklärt, ob und wie diese zusätzlichen Deutungen mit der ersten zusammenhängen. Dazu kommt, dass Nebel auch die 73 Für einen Überblick über die Tradition dieses Schönheitsbegriffs vgl. W. Tatarkiewicz, The Great Theory of Beauty and Its Decline, v. a. 167-169. " Das Schöne »ist Auswanderung, aber nicht in den Schein, sondern in die Ereignis-Offenheit, ins Solide, Massive des Seins« (a. a. O., 288). " A.a.O., 167, 169. In die gleiche Richtung deutet die Unterscheidung der göttlichen Offenbarung vom Schönen, das im Gegensatz zu jener bloss »Enthüllung« ist (vgl. a.a.O., 169f.).
46
Bedeutung des Schönen als Frieden - im Bemühen, es nicht zu einem blossen Partikularbereich der Welt zu machen - in einer Weise ausdehnt, die dem Begriff jegliche Kontur zu nehmen droht76. Das hat die Konsequenz, dass bei ihm der Schönheitsbegriff ästhetische Wirkungen wie Freude und Schrecken, Erhabenes und Komisches mitumfasst77. An Nebels These ist richtig, dass der Friede des Schönen, soll er nicht trivial sein, auch Spannung und schmerzhafte Intensität enthält. Es ist aber offensichtlich, dass vieles, was Nebel unter der Bezeichnung des Schönen führt, sich der Deutung des Schönen als Versöhnung und Frieden nicht fügt. Dadurch, dass der Autor den Schönheitsbegriff einerseits weit ausdehnt und ihn andrerseits mit verschiedenen, nicht von vornherein kompatiblen Deutungen versieht, wird dieser in hohem Masse unklar und - trotz wertvoller Elemente - für die ästhetische Diskussion unbrauchbar.
1.2.2. Theologische Interpretation des Schönen Da es in dieser Untersuchung um die Schönheit in einer präzisen ästhetischen Bedeutung geht, soll bei der folgenden Beurteilung nurmehr derjenige Begriff des Schönen berücksichtigt werden, der ästhetisch angemessen umgrenzt ist, also das Schöne als augenblickhafte Epiphanie von Frieden. Wo Nebel in seinem Begriffsgebrauch diese Bedeutung sprengt, kann man im Sinne dieser Arbeit nur noch in einer uneigentlichen Weise von Schönheit sprechen; Schönes als Ursache der sittlichen Tat und als Sündenaufweis wird darum nicht mehr besprochen. a. Theologische Ambivalenz des Schönen. Die positive theologische Bedeutung des Schönen besteht bei Nebel darin, dass in ihm der paradiesische bzw. der eschatologische Frieden aufleuchten kann. Nebel betont aber, dass von ebendieser Möglichkeit auch das Verführungspotential des Schönen herstammt. Statt auf die Vollendung 76 «Wir können nicht auf die [...] Widerwärtigkeit der nächtlichen Schwestern, nicht auf den Menschenjammer des Gekreuzigten, nicht auf des Thersites Buckel, auf das stinkende Aas Baudelaires, den Schlachtochsen Rembrandts und die Fratzen Goyas verzichten« (a.a.O., 152). Gleichzeitig komisch und geschmacklos wirkt es allerdings, wenn Nebel auch ein Aas für einen Ort hält, an dem sich das Schöne ereignen kann, so dass der Kadaver, anstatt bloss Gestank zu verbreiten, »paradiesisch schimmert« und »den Frieden der zur Einheit gekommenen Kreatur [...] ausatmet« (153). 77 Zu erwähnen sind auch Stellen, an denen sich der Begriff des Ereignisses bzw. des Widerfahrnisses und derjenige des Schönen bis zur UnUnterscheidbarkeit annähern. Vgl. die Ausführungen über Historie und die Begegnung mit Historischem, a.a.O., 160 f.
47
bzw. den Vollender des Friedens zu verweisen, kann die Schönheit auch sich selbst als Vollendung ausgeben, freilich nur unter Negation ihres ontologischen Status', d.h. als Täuschung. In diesem Falle usurpiert das Schöne den Wirkungsbereich Gottes und wird damit theologisch gesprochen zum Götzen. Auch wo dies geschieht und damit durch das schöne Geschöpf der gute Schöpfer aus dem Blick gedrängt wird, bringt allerdings der Mensch im Applaus für die Kreatur ohne sein Wissen weiterhin Gott sein Lob dar - auch nach dieser Seite hin ist das Schöne zweideutig. Die von Nebel für das Schöne aufgezeigte Ambivalenz ist im wesentlichen eine Spezifizierung des allgemeinen Sachverhalts, dass alles Geschaffene Gott entsprechen oder widersprechen kann, dass sein Widerspruch aber auch nie absolut zu werden vermag. Nebel weist in diesem Zusammenhang aber zurecht darauf hin, dass aufgrund der Erlösungssehnsucht des Menschen die Täuschungsmacht der Schönheit besonders stark ist. b. Das Schöne als Konkurrenz Gottes. Nebel spricht verschiedentlich von theologischer Zweideutigkeit des Schönen und gibt damit der Schönheit auch eine positive Deutung: Vergegenwärtigung des Friedens, der vergangenen und zukünftigen »Wohlgeratenheit« des Geschaffenen, die den Beifall des Schöpfers hervorgerufen hat. Solche Würdigungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Schöne in Nebels Urteil nach dem Sündenfall nicht nur ambivalent, sondern geradezu widergöttlich ist. Es beansprucht, »Gott zu offenbaren« 78 , ja, »Gott zu sein«, und ist deshalb grundgefährlich. Für den Christen stellt es vor allem deshalb eine besondere Gefahr dar, weil es im Gegensatz zu anderen Störungen des Gottesverhältnisses - Vernunft, Technik, Massenzivilisation - »edel ist und weil es sich an unser bestes Teil wendet« 79 . Das Schöne ist als »Goldglanz« der Welt80 gleichsam Weltlichkeit in höchster Potenz und darum in hohem Masse dafür geeignet, den Menschen von Gott zu entfremden und an die Welt zu binden. Als festliche Gegenwart widerspricht es der transzendenten und eschatologischen Ausrichtung des Glaubens. Entsprechend haben gemäss Nebels Verständnis Evangelium, Glaube und Kirche keinen wesensmässigen Bezug zum Schönen, und wo sie ein Verhältnis eingehen, bleibt dieses fakultativ und letztlich überflüssig. Die christliche Kunst des Mittelalters ist lediglich eine Zulassung der »Geduld Gottes«, die Reformation dagegen, da sie die biblische Wahrheit wieder zur Geltung bringt, radikal antiästhetisch. 78
A.a.O., 12. "80 Ebd. A.a.O., 34. 48
Wenn Nebel Gott und das Schöne in erster Linie als konkurrierend denkt, heisst das, dass er die Spezifika des Schönen theologisch ausschliesslich negativ beurteilt. Dies wird bestätigt durch die Tatsache, dass er die Schönheit nur dann positiv wertet, wenn sie aufhört, Selbstpräsentation zu sein, und von sich weg auf Gott weist. Dass das Schöne als erfüllter Augenblick auch eine gute Gabe Gottes sein könnte, bleibt unter diesen Umständen undenkbar. In Nebels Deutung manifestiert sich eine Vorstellung von der gefallenen Schöpfung, die eine sich gegen die Sünde durchhaltende Güte des Geschaffenen - mit einer ihm verbleibenden Schönheit - nicht zulässt81. Der Mensch steht deshalb vor der Entscheidung, entweder für Gott oder für das Schöne. c. Fehlen von Christologie und Pneumatologie. Eine christologische Reflexion des Schönen fehlt in Nebels Buch, ausser man wolle die wiederholte Feststellung, dass Christus und Schönes sich widersprechen, für eine solche nehmen. Noch offensichtlicher ist die Absenz der Pneumatologie. Das Fehlen einer theologischen Deutung der Schönheit vom zweiten bzw. vom dritten Artikel her ist ein weiterer Grund für Nebels schroffe Entgegensetzung von Gott und Schönem. Zwar deutet der Autor an einer Stelle eine kreuzestheologische Interpretation der Konkurrenz von Christus und dem Schönen an82; er gelangt aber von hier aus nicht zu der Einsicht, dass durch Kreuz und Auferstehung zwar der Anspruch der Schönheit auf Göttlichkeit widerlegt ist, dass damit aber gleichzeitig ihre Weltlichkeit neu ins Recht gesetzt und so dem Glaubenden ein erneuertes Verhältnis zum Schönen ermöglicht worden ist. Nebel denkt aber auch nicht daran, Schönheit als Antizipation des eschatologischen Friedens in die Perspektive der Pneumatologie einzurücken. So ist es verständlich, dass der Verheissungsaspekt des Schönen bei Nebel sehr wenig Gewicht erhält, beurteilt er doch Hoffnung und Schönheit als grundsätzliche Gegensätze. Eine Dialektik von gegenwärtiger Erfüllung und eschatologischer Gespanntheit kommt bei ihm nicht in den Blick. Das Ausfallen jeglicher pneumatologischer Reflexion wird ein Stück weit erklärlich von Nebels Schönheitsbegriff her. Subjekt des Ereignisses des Schönen ist darin stets das Schöne selbst, während der Mensch in diesem Geschehen als rein passiv gedacht wird. In einer derartigen Vorstellung kann der Geist als der im Menschen handelnde Gott - etwa als derjenige, der den Menschen aus einem korrumpierten Verhältnis zum Schö81
Die Interpretation des Schönen als Hinweis auf die Erhaltung wird einmal erwähnt (a. a. O., 79), sie hat aber im weiteren kein Gewicht. " Vgl. a.a.O., 17f.
49
nen heraus und in ein neues Verhältnis führt - nicht oder nur am Rand vorkommen. Besonders die letzten Bemerkungen lassen deutlich werden, dass in Nebels theologischer Interpretation des Schönen wichtige Aspekte des biblischen Zeugnisses vernachlässigt worden sind. Dies verwundert allerdings nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass Nebel in seinem Buch im Zusammenhang mit der Schönheit nur gerade an einer Stelle auf einen Text der Bibel rekurriert und dass er nirgends eigentliche exegetische Ausführungen bringt. Eine »urprotestantische Ästhetik«, als die das »Ereignis des Schönen« bezeichnet worden ist83, hätte gerade in dieser Hinsicht mehr leisten müssen.
2. Heinrich Vogel: Schönheit als Rühmung 2.1. »Der Christ und das Schöne« In seiner unter dem Titel »Der Christ und das Schöne« erschienenen Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen umkreist der systematische Theologe Heinrich Vogel die theologischen Probleme von Schönheit und Kunst in drei grundsätzlichen Abhandlungen sowie einer Reihe von Beiträgen zu ästhetischen Einzelfragen84, in denen er freilich immer wieder die Grundproblematik berührt85. Er richtet dabei sein Augenmerk nicht allein auf Werke der Kunst, sondern ebenso auf das Schöne in der Natur und am Menschen, aber auch auf die Herrlichkeit Gottes; es geht ihm in seinem Buch um »das Geheimnis des Schönen in seinem ganzen, Himmel und Erde, Mensch und Tier, Gestein und Stern umfassenden Bereich«86. Vogel betrachtet die Problematik des Schönen nicht als eine Spezialfrage für Spezialisten der Ästhetik, sondern als »eine Grundfrage der menschlichen Existenz«87. Es ist »dem Menschen als Menschen 83 Von Balthasar, a.a.O., 54. Mag dies zutreffen, da Nebel in der Tat vor allem von lutherischen Positionen ausgeht, ist von Balthasars Aussage zu bestreiten, diese Ästhetik sei »mit Abstand das Beste, was die Luthertradition, ohne sich zu verleugnen, hervortreiben konnte« (a. a. O., 62). Ausschlaggebend für diese Beurteilung ist von Balthasars stark aktualistische Interpration des Luthertums. "4 Behandelt werden Fragen zum Psalter, um das Kirchenlied, das Wesen der Ballade sowie zum Werk zweier christlicher Künstler (Wilhelm Gross und Willy Fries). 85 Zu theologischen Problemen der Ästhetik vgl. ausserdem ders., Vom dankbaren Leben, 121-126. 86 Der Christ und das Schöne, 14. 87 A.a.O., 5.
50
wesentlich [...], am Schönen sich freuen, nach Schönheit verlangen, Schönheit rühmen zu müssen und zu dürfen«88. Das Problem der Schönheit aber ist gegeben mit demjenigen der Gestalt. Die Gestalt ist die Weise, in welcher dem Menschen die Welt begegnet; »[d]ie gesamte Wirklichkeit ausser uns und - tiefer gesehen - sogar in uns bietet sich uns als Gestalt dar«89. Vogel geht es mit dem Gestaltbegriff nicht um die erkenntnistheoretische Unterscheidung von Phainomena und Noumena, sondern um die Sinnenhaftigkeit und Leiblichkeit der dem Menschen gegebenen Welt. Schönheit versteht Vogel als »Gestalt, die dem Gesetz einer Vollkommenheit gehorcht und diese Vollkommenheit leibhaft vor unser Auge und Ohr stellt«90. Die Frage, ob es eine derartige Gestalt überhaupt gebe und geben könne, ist für ihn dabei zweitrangig, wichtig ist, dass der Mensch, indem er Schönheit sucht, auf Vollkommenheit aus ist. Die gesuchte ästhetische Vollkommenheit zeichnet sich durch ein Dreifaches aus: Erstens durch Ganzheit, d.h. dadurch, dass die Gestalt ganz das ist, »was sie ihrem Wesenskeim nach werden sollte«91. Der Mensch hat das Bedürfnis danach, das Wesen eines Gegenstands der Wahrnehmung ganz in dessen Gestalt ausgeprägt, die Gestalt vollständig vom Wesen des Gegenstands durchdrungen zu sehen; er hungert und dürstet danach, »im Anblick der Rose zu sprechen: das ist eine Rose, und das ist der Stein«92. In der Wahrnehmung des Schönen erfolgt mithin Wesensschau, weswegen Vogel der Schönheit und insbesondere der Kunst den Anspruch auf Offenbarungsqualität zuschreibt93. Die ästhetische Vollkommenheit ist zweitens charakterisiert durch ihre Einheit. Von dem, was wir als schön bewerten wollen, fordern wir, dass es »in allen seinen Teilen als unter einem Gesetz organisch harmoniere«94. Damit wird nicht ein Schönheitskriterium im Sinne der Proportionalitätsregel aufgestellt oder gar einer leicht eingängigen Harmonie das Wort geredet. Es geht im Postulat der Einheit einzig darum, »dass alle Glieder des Satzes in der wechselseitigen Bezogenheit ihre Ordnung und ihren Sinn erfüllen, dass das von uns als schön empfundene Gebilde sich
" A.a.O., 15. »' A.a.O., 5; vgl. 54f, 92 f. *= A.a.O., 17. » A.a.O., 17f; vgl. 55ff., 93f. " A.a.O., 93f. " Kunst ist deshalb wesenhaft religiös: »Wofern die Kunst das Vollkommene in der Verwandlung des Wirklichen zu verleiblichen trachtet, wähnt sie sich selbst als die Offenbarungsmittlerin zwischen Gott und Mensch, und ist somit religiös« (a. a. O., 58). " A.a.O., 20; vgl. 93.
51
als ein Kosmos unseren Sinnen darstelle«95. Als drittes Element der Schönheit nennt Vogel ein Unsichtbares, das in und hinter dem Sicht- und Hörbaren zur Stelle ist. Er verwahrt sich dagegen, das, was er als Unsichtbares umschreibt, etwa als Göttliches zu verstehen. Der tastende Begriff soll lediglich auf die »wunderbare Hintergründigkeit«96, auf das Geheimnis des Schönen hinweisen. Die als vollkommene Gestalt bestimmte Schönheit versteht Vogel als Evokation von Rühmung. »Wenn denn in der Gestalt und ihrer Vollkommenheit das Geheimnis des Schönen liegt, so werden wir als Menschen, die das Schöne empfangen oder gestalten, zur Rühmung gerufen sein«97. Evoziert die Wahrnehmung und Gestaltung von Schönheit Rühmung, dann stellt sich die Frage, wer im ästhetischen Akt gerühmt werde: Gott oder ein anderer, sei dies der Mensch selbst, Satan oder ein Götze. Der zum Eigenruhm tendierende Mensch vermag diese Frage nicht von sich aus angemessen zu stellen oder gar zu beantworten, ohne sich selbst zu täuschen. Frage und Antwort erschliessen sich allein in Christus: »In ihm, in Jesus Christus, wird uns die Frage: o Mensch, wen rühmst du? so gestellt, dass sie in ihm bereits beantwortet ist. Er ist der eine, der Gott rühmt! Er ist der eine, der nicht sich selbst rühmt«98. Der Sohn Gottes begegnet uns nun allerdings in einer Gestalt, die sein Wesen gerade nicht abbildet und die seiner Herrlichkeit widerspricht - er hat »keine Gestalt noch Schöne. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte« (Jes 53,2). Der Mensch, der den Gekreuzigten nicht nur als religiöses Ärgernis und philosophische Torheit, sondern auch als ästhetische Perversion ablehnt, wird hier offenbar als derjenige, der im Schönen eine falsche Vollkommenheit sucht und verehrt. »Der seinen Bildern rühmend und hingegeben zugewandte Mensch wird offenbar als der von Gott abgewandte Mensch - der zum Gehorsam und zur Rühmung Gottes geschaffene und gerufene Mensch als der Mensch, der Gott die Ehre raubt, indem er die tausend und aber tausend Gestalten rühmt, die ihm das Pantheon seiner Sehnsucht füllen«99. Gerät die Schönheit vor dem Kreuz in die Krisis, so ist dies erst recht bei der Auferstehung der Fall; vor der Herrlichkeit des Auferstandenen erweist sich endgültig das Scheitern der menschlichen Versuche, in der Gestalt Vollkommenheit zu gewinnen.
95
" » '· "
52
A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O.,
21. 24. 24; vgl. 13, 65. 30. 33f.
Jesus Christus legt die Wahrheit über den Menschen und sein Verhältnis zum Schönen offen. Vor ihm wird deutlich, dass der Mensch nicht Gott rühmt, sondern sich selbst. Indem der Mensch die von ihm geschaute und geschaffene Schönheit vergöttlicht, indem er sich der Vollkommenheit der Gestalt hingibt, versucht er sich über die sündige Gespaltenheit seiner Existenz hinwegzutäuschen und ein anderer zu werden. Durch seine ästhetische Wahrnehmung und Gestaltung unterwirft er die Welt einer »Verwandlung«, einer »ästhetischen Metamorphose«100, kraft derer er die existentiellen Widersprüche in der Harmonie der Gestalt auflöst. In Kreuz und Auferstehung Christi wird nun dieser »Wahn, in der Teilhabe am Schönen der andere, neue Mensch werden zu können, als der Wahn der Selbsterlösung und Selbstvergötterung offenbar«101. Dem Gericht über das Schöne kann sich der Mensch nicht entziehen, auch nicht durch die Flucht in Bildersturm oder Abstinenz von aller Schönheit. Selbst im bilderfreien Raum, in dem allein die Predigt laut werden soll, ist man mit der Problematik konfrontiert, dass auch das gepredigte Wort noch seine Gestalt hat. Die Krisis des Schönen kann darum nur anerkannt werden. Wo man sich dem Gericht Gottes stellt, kann dieses aber auch »das Geheimnis seiner überschwenglichen Gnade offenbaren«102. In Kreuz und Auferstehung erweist Gott seine Barmherzigkeit, indem er in Christus an unserer Stelle den Fluch unserer Selbstvergötterung trägt und uns so von unserer Sünde freispricht. Wo aber das Gericht derart in die Gnade verschlungen ist, muss sich der Schrecken der Schuld in die Freude der Rühmung Gottes wandeln, eine Rühmung, zu der wir aufgerufen sind »trotz und mit der Nichtigkeit, Fragwürdigkeit und Un Würdigkeit aller Gebilde unseres Geistes und unserer Hände«103. Auch in dieser Situation hat allerdings der Mensch das Gericht nicht in der Weise hinter sich, dass die Mittel seines Rühmens nun »in sich selbst heilig und Gottes würdig wären«104; er bleibt auf die göttliche Rechtfertigung angewiesen. »Es ist dafür gesorgt, dass wir 100
A.a.O., 25f, 59f, 96f. A.a.O., 37. Kunst ist auch deshalb grundsätzlich als religiös qualifiziert: »Wofern nämlich die Kunst das Wirkliche verwandelt in die Gestalt dessen, das wir nicht sind, wähnt sie, eine Priesterin der sich selbst erlösenden menschlichen Sehnsucht zu sein und ist religiös« (a.a.O., 61). Das dritte Moment ihrer religiösen Qualität (vgl. Anm.93) ergibt sich aus der schöpferischen Potenz, wie sie für die ästhetische Verwandlung beansprucht wird: »Wofern die Kunst das Wirkliche in die wiedergeborene Gestalt einer neuen Seinsweise verwandelt, wähnt sie sich selbst schöpferisch und ist religiös« (a. a. O., 63). Es braucht kaum erwähnt zu werden, das Vogels Religionsbegriff hier der kritische der Dialektischen Theologie ist. 102 A.a.O., 39. 105 A.a.O., 41. 104 Ebd. 101
53
je von neuem nur im Gericht die Gnade rühmen können, auf dass die Gnade Gnade und Gott Gott bleibe, auf dass wir nicht zuletzt eben doch dem Selbstruhm verfallen, wo wir zur Rühmung Gottes erlöst sind!«105 Vogel leitet aus der Rechtfertigung des Sünders drei Konsequenzen für die Frage nach dem Schönen ab. Zum ersten kommt durch die Auferstehung Christi Gottes eigene Schönheit, »der Ursprung des Schönen« und »Urquell aller Schönheit«106, in den Blick. Der Sohn Gottes zerbricht zwar in seiner hässlichen Niedrigkeit die vom Menschen ersehnten und behaupteten Synthesen des Guten, Wahren und Schönen, er offenbart aber gleichzeitig »die Wahrheit in ihrer Schönheit«107. Die Wahrheit, die der Mensch rühmen soll und darf, ist Gottes Herrlichkeit108, also der Reichtum seiner Wesensvollkommenheiten, »die Gestalt des göttlichen Wesens, der Lichtglanz des Lichtes, die >Leiblichkeit< Gottes«109 - eine unanschauliche, überschwengliche Pracht, die den von der menschlichen Erfahrung her bestimmten Begriff des Schönen beinahe sprengt. Der Mensch vermag diese göttliche Herrlichkeit nicht sinnlich wahrzunehmen, sie macht sich ihm aber durch das Wort zugänglich, so dass er sie als Hörender »erkennen, anbeten, rühmen« kann110. In diesem Zusammenhang spricht Vogel auch von der Herrlichkeit der Heiligen Schrift111. Sie manifestiert sich in der Einheit und Ganzheit der Schrift sowie in der Vollkommenheit ihrer Wahrheit, die sich immer wieder gegen Widersprüche durchsetzt, und darf als Hinweis auf die göttliche Herrlichkeit selbst gesehen werden. Ist die Herrlichkeit Gottes Ursprung des Schönen, dann kann das Böse »keine ursprüngliche, keine wesenseigene Schönheit« haben112. Seine Schönheit ist »satanischer Bluff«, die nur den Gott ungehorsamen Menschen zu faszinieren vermag, der »selbst sich der Finsternis überantwortet hat«113. Eine zweite Folge der Rechtfertigung des Sünders für das Schöne ist die, dass dieses Schöne nun trotz all seiner Fragwürdigkeit von Gott in den Dienst genommen wird, dass wir ihn »rühmen dürfen mit den Gebilden unseres Geistes und unserer Hände«114. Damit ist 105
Ebd. A.a.O., 44. A.a.O., 42f. 108 Zum Begriff der Herrlichkeit Gottes vgl. ders., Gott in Christo, 403-408. 10 ' Der Christ und das Schöne, 104. 110 A.a.O., 44. 111 Vgl. Gott in Christo, 131-133. 112 Der Christ und das Schöne, 44. 113 Ebd. 114 A.a.O., 45. 106 107
54
für Vogel der Auftrag und die Verheissung der christlichen Kunst angesprochen. Christliche Kunst ist wesenhaft Rühmung Gottes115. Sie hat nicht das Göttliche oder eine Einheit von Göttlichem und Menschlichem116 darzustellen, sondern kann lediglich auf Gott hinweisen; Vogel vergleicht ihre Rolle darum wiederholt mit dem ausgestreckten Zeigefinger des Täufers auf dem Isenheimer Altar. Wie alle Kunst entgeht auch die christliche der Gefahr des Eigenruhms und damit der Realität des Gerichts nie, und sie bleibt auf das Wunder der göttlichen Gnade angewiesen: Sie ist »als religiöse Kunst gerichtet und tröstet sich der Rechtfertigung des Gottlosen in der Auferstehung des Gekreuzigten«117. Die Indienstnahme des Schönen durch Gott geht aber weit hinaus über eine christliche Kunst, die sich bewusst und explizit auf den Gott der Bibel bezieht. Gott nimmt - dies die dritte Konsequenz, die sich für Vogel aus der Rechtfertigung ergibt - alles Schöne für sich in Anspruch: »Das Wort nämlich, das die Auferstehung des Gekreuzigten verkündigt, beschlagnahmt die Schönheit der ganzen Schöpfung, Himmels und der Erde, zur Rühmung dessen, vor dessen Angesicht sie doch in ihrer Selbstherrlichkeit gerichtet ist und vergeht«118. Jegliches Schöne bekommt dabei von Gott eine Möglichkeit zugesprochen, die ihm von sich aus nicht eignet: Gleichnis der eschatologischen Herrlichkeit zu sein. Die Gleichnishaftigkeit der kreatürlichen Schönheit erschliesst sich dem Menschen nicht aus der Schöpfung selbst, sondern allein im Hören des Worts; »[d]as Geheimnis [...] des für den Ursprung und die Bestimmung des Schönen geöffneten Auges ist das geöffnete Ohr, geöffnet durch den Heiligen Geist für das Wort«119. Indem er es in dieser Weise wieder zum Lob werden lässt, bringt Gott das Schöne an denjenigen Ort zurück, der ihm ursprünglich zugedacht war. Denn »[d]ie Rühmung des Wortes Gottes ist der uranfängliche und ewige Sinn alles Schönen«120.
115
Vgl. a.a.O., 65ff., 227, 238. Die Ablehnung der Synthese von Göttlichem und Menschlichem (a.a.O., lOOf, 250) ist eine Polemik gegen H.Sedlmayrs These, die Kunst der Moderne habe aufgehört, »Vermittlung zwischen Gott und den Menschen« zu sein, und sei deshalb ihrer »Mitte« verlustig gegangen (Verlust der Mitte, 169 f.). A.a.O., 72. Angesichts dieser Gnade hält es Vogel auch für fragwürdig, vom Bilderverbot ein Verbot jeglicher bildlicher Darstellung Christi abzuleiten (a. a. O., 115 f.). Wo sie sich ihrer Grenze bewusst ist, hat auch die Christusdarstellung ihre theologische Legitimität. Die Grenze besteht im wesentlichen darin, dass der Künstler das Geheimnis Christi nicht abbilden, sondern lediglich auf es hinweisen kann. Eine solche Kunst sieht Vogel beispielhaft bei Wilhelm Gross verwirklicht (236 f.). "» A.a.O., 47; vgl. 85, 117f. 119 A.a.O., 49. 120 A.a.O., 148. 116
55
2.2. Beurteilung Wie Gerhard Nebel geht auch Vogel in seinen theologisch-ästhetischen Reflexionen im Zweischritt von ästhetischer Gegenstandsbestimmung und theologischer Interpretation vor. Diese Sequenz lässt sich bei ihm zwar nicht wie bei Nebel bereits am Aufbau der Argumentation ablesen, aus seinen Ausführungen geht aber deutlich hervor, dass er einen bestimmten Schönheitsbegriff voraussetzt, den er in einem sachlogisch zweiten Schritt mit einer theologischen Deutung versieht. 2.2.1. Ästhetische Fassung des Schönheitsbegrififs a. Schönheit als vollkommene Gestalt. Der Schlüsselbegriff zur ästhetischen Bestimmung des Schönen ist bei Vogel der Begriff der Gestalt. Mit »Gestalt« wird die Welt in ihrer sinnlich wahrnehmbaren Phänomenalität bezeichnet. Insofern als die Welt ihm grundsätzlich als sinnlich wahrnehmbare entgegentritt, ist der Mensch unausweichlich mit der Gestaltfrage konfrontiert - weswegen die Problematik des Schönen für Vogel auch theologisch kein Adiaphoron sein kann. Was Vogel in seinen Aufsätzen als Gestalt bezeichnet, entspricht sachlich einem Begriff der Form, wie er sich in der ästhetischen Diskussion des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat: Form als Erscheinung eines Gegenstands für die Sinne; die Gegenbegriffe sind Inhalt, Bedeutung oder Sinn121. Vogels Gegenbegriff ist derjenige des Wesens. Wie in jenem Verständnis von Form ist auch bei ihm eine Grundfrage im Zusammenhang mit der Gestalt das Verhältnis der beiden Seiten der Dualität, von Wesen und Gestalt. Vogel versteht Schönheit als Gestalt in ihrer Vollkommenheit. Die Gestalt eines Wahrnehmungsgegenstands ist dann vollkommen, wenn das Wesen des Gegenstands in ihr ganz zur Ausprägung kommt, d. h. wenn Gestalt und Wesen zu einer vollständigen Einheit gelangen. Mit der Einheit von Wesen und Gestalt ergibt sich auch eine harmonische Einheit und Geschlossenheit der Gestalt selbst. Im Schönen, wie es Vogel versteht, vereinigt sich demnach Gegensätzliches zu einer Vollkommenheit, die sich in der realen Welt nicht findet - und es ist deshalb konsequent, wenn der Autor es offenlässt, ob dem vom Menschen wahrgenommenen Schönen in der Realität ein perfektes Objekt korreliert. Schönheit vermittelt Wesensschau 121 Vgl. W.Tatarkiewicz, Form in the History of Aesthetics, 219 f; R.Schwinger, Art. »Form und Inhalt«, HWP 2, 975-977.
56
und Versöhnung und konstituiert damit eine eigentliche Gegenrealität. Sie tut dies aber lediglich im Modus des Scheins und hat darum für Vogel Surrogatcharakter. So richtig es ist, wenn Vogel das Schöne wesentlich als Form begreift und es damit einer eigenständigen Wahrnehmungsperspektive zuordnet, und so wichtig sein Verständnis von Schönheit als harmonisch vollendeter Form ist, so entschieden muss man seine Deutung des Schönen als Einheit von Gestalt und Wesen als problematisch bezeichnen. Vogel arbeitet mit einem Schönheitsbegriff, der unübersehbar vom deutschen Idealismus geprägt ist, freilich ohne dass er sich sowie seinen Lesern und Leserinnen darüber Rechenschaft ablegt. Als Einheit von Gestalt und Wesen ist die Schönheit bei ihm nicht mehr nur Form, sondern Sichtbarwerden und Evidenz der Wahrheit122. Auf die Folgen eines derartigen Verständnisses in der theologischen Interpretation wird noch einzugehen sein. Hier ist festzuhalten, dass Vogel einen theoretisch stark >aufgeladenen< Begriff des Schönen bzw. der Kunst, der sich im idealistischen System und von da aus im Verlauf des 19. Jahrhunderts ausgebildet hat, unhistorisch zu einem allgemeinen Schönheitsbegriff ausweitet. Man kommt nicht darum herum, bei ihm an dieser Stelle einen empfindlichen Mangel an philosophiegeschichtlicher und ästhetischer Reflexion zu konstatieren. Vogels Schönheitsbegriff wird aber auch der Vielfalt ästhetischer Phänomene nur sehr ungenügend gerecht. Er exemplifiziert sein Verständnis nur selten an konkreten ästhetischen Gegenständen, und es wird deshalb nicht deutlich, in welcher Weise die Schönheit eines Sonnenuntergangs, eines Grashalms, eines Menschen, eines Gebäudes, eines Schauspiels oder eines Gedichtes jeweils als Einheit von Gestalt und Wesen zu verstehen sein sollten. Der mangelhaften ästhetischen Reflexion des Schönheitsbegriffs korrespondiert hier eine lückenhafte Überprüfung des Begriffs an den Phänomenen. b. Schönheit und Kunst. Ähnlich wie Nebel grenzt auch Vogel Schönes und Kunst kaum gegeneinander ab. Schönes und Kunst sind für ihn zwar nicht deckungsgleich - er reflektiert auch Schönheit, die nicht vom Menschen produziert ist -, er behandelt Kunst aber ausnahmslos unter dem Stichwort des Schönen. Kunst ist wie 122 Schelling fordert von der Kunst die »Darstellung mit völliger Indifferenz, so nämlich, dass das Allgemeine ganz das Besondere, das Besondere zugleich das ganze Allgemeine ist, es nicht bedeutet. [...] [W]ir wollen, was Gegenstand der absoluten Kunstdarstellung sein soll, so konkret, nur sich selbst gleich wie das Bild, und doch so allgemein und sinnvoll wie der Begriff« (Texte zur Philosophie der Kunst, 197, vgl. 164). Vgl. auch Hegel, der das Schöne als »das sinnliche Scheinen der Idee« definiert (Vorlesungen über die Ästhetik I, 160).
57
das Schöne vollkommene Gestalt bzw. die Suche danach123. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass mit einem solchen Verständnis die Kunst nur sehr unzureichend erfasst wird, und zwar sowohl in ihrem Selbstverständnis wie in ihren konkreten Äusserungen. Auch hier tritt ein verhängnisvolles Defizit von ästhetischer, aber auch kunstgeschichtlicher Reflexion zutage. Die Relativierung des Primats der Schönheit in der Kunst reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück, und von Anfang des 19. Jahrhunderts an beginnt sich die Kunst immer deutlicher von der Bindung ans Schöne zu lösen. Zwar ist die Ästhetik dieser Entwicklung immer erst mit einer gewissen Phasenverschiebung gefolgt, bis zur Mitte unseres Jahrhunderts - in der Vogel sein Buch verfasst - hat sie aber die Schönheit als Leitbegriff fast einstimmig aufgegeben. c. Objektivität oder Subjektivität des Schönen? Es wird bei Vogel nicht vollständig klar, ob er das Schöne als Objektseigenschaft oder als Strukturierungsakt des wahrnehmenden Subjekts versteht. Während man aus seinen Ausführungen zur Kunst schliessen könnte, dass er Schönheit als Eigenschaft des ästhetischen Gegenstands betrachtet, gibt sein Begriff der »ästhetischen Metamorphose« eher Grund zur Annahme eines subjektiven Schönheitsverständnisses. Dasselbe gilt von den wiederholten Bemerkungen, mit denen er es offenlässt, ob die vollkommene Gestalt ausserhalb der menschlichen Wahrnehmung überhaupt vorkommt. Wichtig, aber gleichzeitig Ursache für die erwähnte Unklarheit ist die Tatsache, dass die ästhetische Metamorphose für Vogel ein Produkt der menschlichen Sünde ist: eine Verzerrung der Realität und ein Versuch, sich über reale Widersprüche hinwegzutäuschen. Schönheit ist demnach nicht allein nur im Auge des Betrachters, sie ist sogar ausschliesslich im Auge des sündigen Betrachters. Die theologische Folgerung aus einer solchen Sicht müsste, so macht es den Eindruck, die grundsätzliche Ablehnung des Schönen sein. Vogel tut dies aber bei all seiner kritischen Einschätzung nicht. 123 An gewissen Stellen wird deutlich, dass Vogels Verständnis der Kunst als Gestalt nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ gemeint ist: Kunst soll sich bei ihrer Darstellung von Mensch und Welt an die »Leiblichkeit« halten, eine Forderung, die direkt inkarnationstheologisch begründet wird (a. a. O., 251). Bemerkungen dieser Art sind von Vogel stets gegen die abstrakte Kunst gerichtet, der er »ästhetischen Spiritualismus und Doketismus« vorwirft (ebd.). Er distanziert sich zwar von einem photographischen Realismus, daneben ist aber offensichtlich, dass für ihn Kunst nur als gegenständliche legitim ist. Wenn Vogel abstrakter Kunst unterstellt, sie meine den Menschen »auf Formeln und Chiffren zurückführen zu können« (250), dann demonstriert er damit, dass er auch diese Kunst nur von der Gegenständlichkeit her zu begreifen imstande ist.
58
In der Rechtfertigung des Sünders sieht er vielmehr die Möglichkeit eines erneuerten, nicht von Selbsttäuschung und Selbstbehauptung beherrschten Verhältnisses zum Schönen begründet. Die ästhetischen Folgen dieses Gedankens bleiben bei ihm allerdings unreflektiert. Gibt es auch eine Wahrnehmung von Schönem, die dem Willen Gottes entspricht, dann kann Schönheit nicht mehr ausschliesslich als Ergebnis eines sündigen Sehaktes verstanden werden. Als was aber sonst? Gibt es auch eine strukturierende Wahrnehmung, die nicht Metamorphose und damit Täuschung ist? Die Lösung der Frage müsste zweifellos in diese Richtung gehen. Dass Vogel hier nicht mehr Aufschluss geben kann, liegt unter anderem daran, dass er das Sehen des Schönen, die Strukturierung eines Gegenstandes zu einem harmonischen Ganzen, von vornherein mit sündiger Verschleierung von Widersprüchen gleichsetzt. Die Nichtunterscheidung von ästhetischen und theologischen Problemen verhindert hier notwendige Klärungen.
2.2.2. Theologische Interpretation des Schönen a. Rühmung. Vogels theologischer Zentralbegriff im Zusammenhang mit dem Schönen ist die Rühmung. Schönheit evoziert durch ihre Vollkommenheit Lob, entweder für die Kreatur - vorab den Menschen - oder aber für den Schöpfer selbst. An der Ausrichtung der Rühmung entscheidet sich Wahrheit bzw. Unwahrheit einer Gestaltung oder Wahrnehmung von Schönem. Es gehört zu den Stärken von Vogels Entwurf, dass er den Zusammenhang von Schönheit und Lob aufzeigt, einen Zusammenhang, der etwa aus den Schöpfungspsalmen 65 und 104 sehr deutlich hervorgeht. Eine Unklarheit bleibt allerdings auch hier: Rühmung kann bei Vogel einmal das vom Schönen hervorgerufene Lob, zum andern aber auch das vom schönen Gegenstand selbst ausgehende Lob bedeuten124. Ebenfalls fruchtbar ist der bereits erwähnte, mit der Rühmung eng zusammenhängende Begriff der ästhetischen Metamorphose. Vogel umschreibt mit ihm die Funktionsweise der Sünde im Bereich des Ästhetischen. Er weist darauf hin, dass der Mensch auch in seiner
124 Der Vorwurf von H.-E. Bahr, bei Vogel bekomme die Rühmung unvermittelt ontologischen Charakter und seine Argumentation sei deshalb an diesem Punkt »identisch mit dem römisch-katholischen Denkprinzip« (Poiesis, 44), ist allerdings verfehlt. Die vom Schönen ausgehende Rühmung basiert nicht auf einer analogia entis, sondern wird dem betreffenden Gegenstand durch das Wort Gottes zugesprochen (vgl. Der Christ und das Schöne, 48). Dass Schönheit trotz ihrer Selbstherrlichkeit den Schöpfer verherrlichen darf, ist reine Gnade.
59
Weltwahrnehmung korrumpiert ist und dass er schon durch seine Wahrnehmung die Welt entsprechend seiner Tendenz zur Selbstbehauptung formt. b. Das Schöne vor Kreuz und Auferstehung. Vogel denkt konsequent christologisch, was für den Bereich des Ästhetischen bedeutet, dass er auch diesen von Kreuz und Auferstehung her zu durchdenken versucht. Vor dem Kreuz wird die menschliche Instrumentalisierung des Schönen zum Zwecke der Selbstbehauptung aufgedeckt und verurteilt, gleichzeitig nimmt aber Christus die Schuld dieser Selbstabgrenzung auf sich und macht damit die Barmherzigkeit Gottes offenbar. In der Auferstehung erweist sich Gottes Herrlichkeit, zu deren Rühmung der gerechtfertigte Sünder - mit seiner Wahrnehmung und Gestaltung von Schönem - in Dienst genommen wird. Deutlicher als im Zusammenhang mit dem Begriff der Rühmung zeigt hier Vogel, dass die Problematik der Schönheit eine Problematik des wahrnehmenden Subjekts ist. Rechtfertigung und Heiligung bedeuten deshalb im ästhetischen Bereich Krisis und Neukonstitution des menschlichen Verhältnisses zum Schönen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Vogel in seinem Buch unkritisch von einem idealistisch geprägten Schönheitsbegriff ausgeht. Das hat auch für die theologische Interpretation des Phänomens Folgen. Der das Schöne wahrnehmende Mensch verspricht sich gemäss Vogels Deutung vom ästhetischen Verhältnis nicht weniger als Offenbarung und Selbsterlösung. Damit wird aber Wahrnehmung und Gestaltung des Schönen zum schlechthin Widergöttlichen, gleichsam zur Sünde kat' exochen, erklärt und so zu einem Bereich gemacht, dem gegenüber theologisch besondere Reservationen angebracht sind. Die auf diese Weise aufgerissene Kluft zwischen Gott und dem Schönen vermag Vogel auch mit Hilfe der Rechtfertigungslehre nicht mehr zu überbrücken; das Schöne bleibt eine besondere Gefährdung. Weil er in der Hingabe an die Schönheit eine derart ernsthafte Gefahr sieht, fehlt Vogel ausserdem der Blick für weitere Auswirkungen der Sünde im ästhetischen Bereich. Während die Ästhetisierung des Bösen noch am Rande vorkommt, fehlt etwa die Perspektive, dass es auch ein sündiges Ignorieren der Schönheit gibt, bei ihm vollständig - und entsprechend die Einsicht, dass das Wort Gottes auch Augen öffnet für unentdeckte Schönheit. An dieser Stelle wird ein exegetisches Defizit wirksam. Vogel reflektiert zwar eine Reihe von ästhetisch relevanten biblischen Texten darunter v.a. Jes 53,2 f -, daneben vernachlässigt er aber sämtliche Schöpfungstexte des Alten Testaments, in denen die Schönheit als gute Gabe Gottes zur Geltung gebracht wird. Es verwundert darum nicht, dass für ihn im erneuerten ästhetischen Verhältnis der Blick 60
für die Gleichnishaftigkeit des Schönen gegenüber der Freude angesichts gegenwärtiger Erfüllung stark im Vordergrund steht. c. Herrlichkeit Gottes und Schönheit der Kreatur. In der biblischen Rede von der göttlichen Herrlichkeit sieht Vogel den Anlass dazu, auch von einer Schönheit Gottes zu sprechen. Zwar sprengt die Herrlichkeit alle menschlichen Vorstellungen von Schönheit, Vogel sieht aber richtig, dass für sie - den Lichtglanz, die Leiblichkeit und Pracht Gottes - der Begriff des Schönen durchaus angemessen ist. Die göttliche Schönheit wird dem Menschen nicht sinnlich, sondern allein durch das Wort zugänglich. Sie ist »Ursprung« und »Urquell« alles Schönen. Begriffe wie diese könnten nun einen Seinszusammenhang zwischen göttlicher und kreatürlicher Schönheit implizieren. Wo Vogel über einen solchen Zusammenhang spricht, vermeidet er es aber konsequent, ihn in ontologischen Kategorien zu formulieren. Herrlichkeit und Schönheit des Geschaffenen sind qualitativ verschieden von der Herrlichkeit und Schönheit Gottes. Sie verhalten sich zur göttlichen Herrlichkeit wie der Hinweis oder das Gleichnis zur gemeinten Sache. Auch die Gleichnisfähigkeit eignet der Kreatur im übrigen nicht selber, sondern wird ihr durch das Wort Gottes erst zugesprochen. Mit dem Begriff des Gleichnisses erfasst Vogel Differenz und Zusammenhang zwischen der Schönheit der Schöpfung und der Schönheit Gottes sehr präzise. Im neutestamentlichen Gleichnis wird ein Stück Welt von Gott dafür beansprucht, seine Herrschaft unter den Bedingungen der Welt zur Sprache zu bringen. Die Welt ist nicht Gott oder das Gottesreich, Gott würdigt sie aber, ihn bzw. sein Reich als ihre Verheissung sichtbar zu machen. So bleibt die Schönheit der Kreatur zwar grundsätzlich von der Herrlichkeit Gottes unterschieden; indem sie als Gleichnis in Anspruch genommen wird, kommt sie aber gleichzeitig in die grösstmögliche Nähe zu ihr zu stehen.
3. Friedrich Karl Schumann: Schönheit als Abglanz von Gottes Herrlichkeit 3.1. »Das Schöne als Frage des christlichen Glaubens« Friedrich Karl Schumanns Beitrag »Das Schöne als Frage des christlichen Glaubens« ist ein Aufsatz nach einer Vorlesung in der Lutherakademie Sonderhausen. Dieser Umstand erklärt die Skizzenhaftigkeit des Entwurfs wie auch die Tatsache, dass darin nur an61
deutungsweise auf andere Positionen zum Thema oder auf sonstige Literatur eingegangen wird. Schumann beginnt seine Ausführungen mit einer »kurze[n] geschichtlichein] Erinnerung«, in welcher er sich die kulturelle Bedeutung des Schönen in der Neuzeit vergegenwärtigt. Während in der ästhetischen Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts die Schönheit als »die eigentliche Sinnerfüllung des Daseins« gilt, sinkt sie im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur blossen »Schmückung des Daseins« ab125. Beide Auffassungen - Schönes als Lebenssinn und als Sonderbereich - muss der christliche Glaube ablehnen. Schumann weist darauf hin, dass zwar das Verhältnis von Glaube und Kunst in der Theologie häufig erörtert worden ist, dass man daneben aber das Problem des Schönen - das mit jenem nicht identisch ist - weithin übersehen oder übersprungen hat. Den Grund dafür sieht er in einer vom Neuplatonismus geprägten Tradition, in der die Frage nach Sein und Sinn des Schönen immer schon durch eine bestimmte Deutung verdrängt worden ist126. Die fehlende theologische Reflexion ändert allerdings nichts daran, dass »die Frage nach dem Schönen als Problem des Glaubens die Kirche auf ihrem ganzen Weg mindestens heimlich immer begleitet [hat], auch da, wo sie als thematische nicht gestellt wurde«127. Dies war in Praktischem wie der Frage nach dem Gottesdienstraum der Fall, aber auch angesichts der offensichtlichen Tatsache, dass sowohl die Verkündigung wie das Schriftwort ihre spezifische Schönheit haben können. Am letzteren erweist sich auch, dass das Schöne nicht einen ästhetischen Sonderbereich darstellt, »sondern unablösbar mit der Frage des Daseins als solcher verknüpft erscheint«128. In einem Abschnitt, in welchem er nach den »Seinsbezügen des Schönen« fragt129, versucht der Autor nun eine kurze Phänomenologie der Schönheit zu geben. Zum Schönen gehören zunächst die Momente der Form sowie des sinnlichen Eindrucks von Licht, Farbe, Ton und Klang. Es eignet ihm weiter ein Bezug auf das Leben, der sich etwa in graziösen Bewegungen äussert, und eine Beziehung zum Guten und zur Wahrheit oder Wahrhaftigkeit. Das Verhältnis zur Schönheit hat ausserdem einen engen Zusammenhang mit der Liebe. Wichtig ist Schumann schliesslich »der Seinsbezug des Schö-
125
A.a.O., 260. «Eine bald mehr positiv mystische, bald mehr negativ-asketische Einschätzung des Schönen lässt die Frage, was es in sich selbst sei und wie der Glaube es zu verstehen habe, verschwinden« (a.a.O., 261). 127 A.a.O., 262. 128 Ebd. 12 ' A.a.O., 263. 126
62
nen auf Zeit und Zeitlichkeit«13°. Dieser Bezug ist ein doppelter. Das Schöne hebt einerseits aus der Vergänglichkeit heraus und vermittelt damit etwas wie >Erlösungästhetisch< zu entziehen, deshalb ist auch das Schöne in das Gericht hineingefordert, das am Kreuz über alles menschliche Sein vollzogen wird«132. Das Evangelium enthüllt die Verführungsgewalt der Schönheit, es deckt auf, »dass der Mensch alles ins sichtbar Schöne hineinziehen und im Schönen sich selbst bergen möchte [...] vor dem ihn heimsuchenden Wort Gottes«133. Kreuz und Auferstehung bedeuten deshalb zunächst das Ende des Schönen und all seiner »illusionären Erlösungsansprüche«134. Darin sieht Schumann auch den Grund für den durchgehenden (direkten und indirekten) Protest der Bibel gegen die Schönheit, den Bildersturm der Reformationszeit und den ästhetischen Purismus der reformierten Kirche. Aus dem Gericht folgt nun aber nicht »Verbannung und Ächtung des Schönen«, im Gegenteil: »Nachdem das Gericht ergangen - und anerkannt - ist über das Schöne in seiner Selbstgenügsamkeit und abgöttischen Verführungsgewalt, ist es grundsätzlich für den christlichen Glauben zurückgebracht zu seinem ursprünglichen Sinn und Sein, Widerschein und Abglanz der Herrlichkeit Gottes im Endlichen seiner Schöpfung zu sein«135. Die Schönheit wird geheiligt zum Dienst, im Vergänglichen »auf die Unvergänglichkeit des Ewig-Lebendigen« hinzuweisen136. Auch das geheiligte Schöne hat allerdings teil am Charakter der christlichen Existenz, in der Hoffnung auf künftige Vollendung zu stehen. Da die Heiligung des Schönen noch nicht vollendet ist, hat dieses seine Verführungskraft nie hinter sich, und es ist in seinem Dienst »immer auch wider diesen Dienst«137. Dagegen hilft weder 130 131 132 133 134 ,3S 136 137
A.a.O., 265. A.a.O., 266. A.a.O., 268. A.a.O., 267. A.a.O., 268. A.a.O., 269. Ebd. Ebd. 63
das Vermeiden noch das »ängstliche Rationieren und Temperieren der Schönheit des Schönen« 138 . Gegen die Dämonie des Schönen bedarf der Christ vielmehr immer wieder des Gebets, nicht in Versuchung geführt zu werden, eines Gebets, »ohne das es kein glaubendes Sehen und Erkennen des Schönen in seinem ursprünglichen Sein gibt«139.
3.2. Beurteilung 1. Trotz der Kürze seines Beitrags verzichtet Schumann nicht darauf, sich in zwei geschichtlichen Abschnitten zur kulturellen und zur kirchlich-theologischen Bedeutung des Schönen Rechenschaft über die Bedingungen abzulegen, unter denen theologisches Nachdenken über die Schönheit faktisch stattfinden. Von den beiden aus der neuzeitlichen Geschichte erhobenen Positionen - Schönheit als oberster Wert und Schönheit als marginaler Sonderbereich - grenzt er sich ab, wobei er die Begründung erst mit den anschliessenden Ausführungen und implizit liefert. An der Theologie stellt er richtig fest, dass sie die Thematik des Schönen vernachlässigt hat, obwohl das Schöne in der kirchlichen Praxis stets präsent gewesen ist. 2. Wenn Schumann schreibt, dass es ihm um das Erkennen von Sein und Sinn der Schönheit geht, gibt er damit einen Hinweis auf sein Vorgehen, das auch bei ihm wieder in einem Zweischritt von ästhetischer Gegenstandsbestimmung und theologischer Interpretation besteht. Den ästhetischen Gegenstand, das Schöne, bestimmt er mittels einer kleinen Phänomenologie, in welcher er auf Erfahrung und nur selten auch auf philosophische Ansätze rekurriert. Sein Schönheitsverständnis erhält durch den phänomenologischen Zugang eine Vielfalt von Aspekten, wie sie etwa der stärker philosophisch konzipierte Schönheitsbegriff von Vogel nicht aufweist. Die Aspekte können hier nicht im einzelnen diskutiert werden - die Kürze von Schumanns Hinweisen würde dies in den meisten Fällen auch nicht zulassen -, an Wichtigem seien lediglich die existentielle Bedeutung des Schönen und sein Zusammenhang mit dem Leben, dem Guten und dem Wahren sowie der doppelte Charakter des Zeitbezugs genannt. 3. Die theologische Interpretation geht im wesentlichen von der »Verführungsgewalt« des Schönen aus, die in der Fähigkeit des Schönen begründet ist, den Menschen über die Verfallszeit hinauszuheben und ihm >Erlösung< zu vermitteln. Sofern es einen Erlö138 139
64
A.a.O., 270. A.a.O., 271.
sungsanspruch hat, ist die Schönheit durch das Kreuz gerichtet, gleichzeitig wird sie aber geheiligt und in ihre ursprüngliche Bestimmung, Hinweis auf die Herrlichkeit Gottes zu sein, wiedereingesetzt. Schumann folgt hier einem Deutungsansatz, der auch bei Vogel vorliegt, mit einem Unterschied, auf den gleich noch einzugehen sein wird. Angesichts von Schumanns Interpretation kann man allerdings fragen, ob er mit ihr der phänomenologischen Vielfalt seines eigenen Schönheitsverständnisses gerecht wird. Seine Deutung bezieht sich explizit allein auf einen Punkt seiner Phänomenologie, und während man einige andere als wenigstens implizit interpretiert betrachten kann, bleiben andere offensichtlich unberücksichtigt. Zu erwähnen ist hier der Bezug des Schönen auf die Liebe. Diese ästhetische Beobachtung hätte theologisch dahingehend verstanden werden können, dass der Mensch in der Wahrnehmung des Schönen in ein enges Verhältnis zum Geschaffenen zu stehen kommt und dass sich damit in der Anschauung des Schönen in besonderer Weise Schöpfungsgemeinschaft realisiert. Auch an anderen Stellen - etwa beim Aspekt der Sinnlichkeit der Schönheitswahrnehmung - lässt Schumann mit seiner Deutung Potential ungenutzt, das mit seinen phänomenologischen Überlegungen bereitgestanden hätte. Die verengte Interpretation hängt unter anderem mit der Tatsache zusammen, dass Schumann sich nur spärlich auf biblische Texte zum Schönen bezieht; die vielfältigen theologischen Perspektiven, die sich aus ihnen ergeben, kommen deshalb nicht in seinen Blick. 4. Stimmen Schumann und Vogel in ihrer Interpretation des Schönen von Rechtfertigung und Heiligung her überein, so bestimmen sie den Zusammenhang von göttlicher Herrlichkeit und kreatürlicher Schönheit unterschiedlich. Während Vogel dies in der Kategorie des Gleichnisses tut, spricht Schumann von »Widerschein« oder »Abglanz« der doxa. Vogel versucht mit dem Gleichnisbegriff die Differenz zwischen der Herrlichkeit Gottes und der geschöpflichen Schönheit einzuschärfen, aber gleichzeitig daran festzuhalten, dass das Schöne an der Schöpfung von Gott beansprucht wird. Bei Schumann liegt der Akzent anders, versteht er doch die Schönheit des Geschaffenen gerade als Zeichen »der heimlichen Gegenwart des lebendigen Gottes in seiner Schöpfung«, als »heimliches Innesein der verborgenen Schöpfergegenwart« 140 . Mit der Wahl seiner Lichtmetaphern geht es ihm dann nicht darum, die Differenz von göttlicher doxa und kreatürlicher Schönheit - im Sinne der Differenz von Lichtquelle und Reflex - hervorzuheben, sondern darum, einen Zu-
110 A.a.O., 267f. Für eine pneumatologische Begründung dieses Sachverhalts vgl. ders., Vom Geheimnis der Schöpfung.
65
sammenhang der beiden angemessen widerzugeben. Zwar bleiben bei Schumann Gott und Schöpfung klar unterschieden, und die Schönheit des Geschaffenen wird auch nicht als Ort einer >natürlichen< Offenbarung ausgelegt. Dem Glauben erschliesst sich aber das Schöne an der Kreatur als Manifestation der Herrlichkeit des in ihr präsenten Schöpfers. Der Glanz des Schönen hat zwar in sich nicht göttliche Qualität, trotzdem leuchtet aber in ihm etwas von der göttlichen doxa selbst auf - beide Sachverhalte sind in den Metaphern des Widerscheins bzw. des Abglanzes aufbewahrt. Warum gerade der Aspekt der Schönheit die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung widerspiegelt, erörtert Schumann allerdings nicht.
4. Eduard Buess: Verborgene und verheissene Schönheit 4.1. »Zu einem theologischen Begriff des Schönen« Eduard Buess hat seine Basler Probevorlesung der theologischen Problematik der Schönheit gewidmet. Das unter dem Titel »Zu einem theologischen Begriff des Schönen« Vorgetragene ist nicht nur von einer durch den Zeitrahmen bedingten Kürze, als Probevorlesung hat es auch eine Reihe weiterer Charakteristika: Der Akzent liegt auf der Exposition und der Entwicklung eines eigenen Denkansatzes, so dass für die Auseinandersetzung mit anderen Positionen und für theologiegeschichtliche Ausführungen relativ wenig Raum bleibt; Buess' Programm für die Vorlesung ist sehr umfassend, entsprechend muss er in den Details summarisch bleiben. Buess setzt ein mit der Bemerkung, dass es sich bei der Frage nach dem Schönen zunächst um ein philosophisches Problem handle. Als »das Kosmische, Profane schlechthin«141 scheint die Schönheit kein legitimer Gegenstand theologischen Nachdenkens zu sein. Diesen Schluss legt insbesondere das Zeugnis der Theologiegeschichte nahe : »Wo rechtschaffen Theologie getrieben wurde, da blieb der Begriff des Schönen zumeist schlicht draussen. Wo er in den Umkreis theologischer Begriffe aufgenommen wurde, da hörte die Theologie zumeist auf, rechtschaffene Theologie zu sein«142. Welche Theologien der Autor bei dieser Feststellung im Auge hat, weist er nicht aus. 141 142
66
A.a.O., 365. A.a.O., 366.
Versuchen wir das Schöne zu denken, dann bewegen wir uns dabei nach Buess' Dafürhalten unweigerlich in den vom deutschen Idealismus vorgezeichneten Bahnen. Schönheit ist dort gedacht als Versöhnung des Dualismus von Freiheit und Sinnlichkeit (Kant), Natur und Geist (Schiller), Wirklichkeit und Idee (Schelling, Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer) in der reinen Form der Wirklichkeit. Der objektiven Versöhnung des Schönen korrespondiert auf Seiten des Subjekts eine »höhere Heiterkeit«, »jenes verweilende Betrachten und Empfangen, das satt und reich wird in seinem Gegenstand«143. Es ist fìir Buess klar, dass ein solcher Schönheitsbegriff für die Theologie gänzlich ungeeignet ist. Der idealistische Gegensatz ist wie seine Aufhebung »sinnlos und lästerlich« angesichts des Gegensatzes zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen sowie dessen Überwindung in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi144. »Gottes Offenbarung und Gabe ist nicht schön in dem Sinn, in dem jene Ästhetik von Schönheit spricht, und so ist, was diese Ästhetik schön nennt, nicht göttlich in dem Sinn, in dem Gottes Offenbarung und Gabe göttlich ist«145. Die Schönheit hat für den Christen darum ihre bannende Kraft verloren, und zwar so gründlich, »dass er sich, statt mit Petrarca ins Brevier zu flüchten, in aller Einfalt und Aufgeschlossenheit ihrer freuen kann«146. Trotz dieser Vorbehalte wird nun die Theologie durch die Bibel zur Frage nach dem Schönen genötigt. Buess fasst die Antwort in zwei »frontal, gleichsam dialogisch sich gegenüberstehenden Sätzen« zusammen147. Der erste lautet: »Der Begriff des Schönen ist von der Theologie gefordert; aber er ist der Begriff einer Wahrheit und Wirklichkeit, die uns verschlossen ist«148. Es ist vor allem der biblische Begriff der Herrlichkeit Gottes (kabod, doxa), der es nahelegt, von einer göttlichen Schönheit zu sprechen. Die Herrlichkeit geht als »die Hoheit und Majestät, in der Gott in seiner Offenbarung Gott ist«149, zwar nicht im Begriff des Schönen auf, die Schönheit Gottes hat man aufgrund des biblischen Zeugnisses aber zu verstehen als »Gottes Doxa, sofern sie mitten in einer ihr fremden Welt die ihrem Geheimnis entsprechende anschauliche Gestalt gewinnt«150. Schön ist die Herrlichkeit Gottes gemäss der Heiligen Schrift einerseits für die sinnliche Anschauung, nämlich als 143
A.a.O., A.a.O., 145 Ebd. 146 Ebd. 147 A.a.O., » · Ebd. Ebd. 150 A.a.O., 144
368. 370.
371.
372.
67
»menschliche Augen erfüllende, beseligende Lichterscheinung«151, andrerseits für die innere, >intellektuelle< Anschauung als Einheit, Geschlossenheit und Kontinuität des göttlichen Handelns. In beiden dieser Erscheinungsweisen ist die Schönheit Gottes dem Menschen unzugänglich. Der Lichtglanz Gottes bewirkt, wo immer er in den menschlichen Bereich einbricht, Schrecken und Blindheit; das göttliche Licht ist zu hell, reich und rein, als dass der Mensch ihm standzuhalten vermöchte. Ebensowenig kann der Mensch die Wege Gottes - Gericht und Gnade, Gesetz und Evangelium, Hoheit und Niedrigkeit Christi - in ihrer Einheit zusammendenken oder -schauen. Der Unanschaulichkeit der Schönheit Gottes entspricht, dass die Menschen der Bibel keine sind, für die das Ruhen in einer fruitio oder contemplatio Dei kennzeichnend wäre, und dass von den biblischen Schriften keine ein abgerundetes Ganzes darstellt. Der Begriff der göttlichen Schönheit ist streng eschatologisch. An dieser Stelle setzt der zweite von Buess' thetischen Sätzen ein: »Der Begriff des Schönen ist als streng eschatologischer, als Grenzbegriff gefordert; als solcher aber ist er der Begriff einer Wahrheit und Wirklichkeit, die sich uns verheissungsweise erschliesst«152. Da das Eschaton als Zukünftiges immer auch schon Gegenwärtiges ist, kann sich bei aller Begrenzheit der menschlichen Anschauung und aller Gebrochenheit und Offenheit unseres Denkens »verheissungsweise Gewährung göttlicher Ganzheit und Schönheit« ereignen153: Schau des Auferstandenen, wie sie den Jüngern gewährt wird, Kontemplation der Einheit von Kreuz und Auferstehung, wie es etwa im Johannes-Evangelium der Fall ist, bei Paulus eine gewisse Einheit trotz alles Fragmentarischen. Es bedarf freilich der besonderen Gabe und Erleuchtung von Gott, »um das Ganze nichterkennend zu erkennen, erblindend anzuschauen«154. Von diesem Doppelaspekt der göttlichen Schönheit her ist nun auch die Kunst, insbesondere die christliche Kunst zu bedenken. Die christliche Kunst sieht Buess »der Frage unterworfen, inwiefern sie angesichts der Verschlossenheit göttlicher Schönheit in einem substantiellen Sinn des Wortes christlich zu heissen verdiene«155. Er fragt aber auch, ob bei ihr nicht damit zu rechnen sei, »dass, verborgen-offenbar in kosmischer Schönheit und Hässlichkeit, göttliche Schönheit offenbar wird«156. Die Möglichkeit, dass sie »vom Abglanz einer Schönheit gestreift« wird, »die menschlichem Denken 151
Ebd.
»" A.a.O., 371. 155 A.a.O., 379. 154
155 156
68
Ebd.
A.a.O., 377. A.a.O., 380.
und Schauen fremd ist«157, besteht allerdings nicht nur für die christliche Kunst, sondern auch für die Theologie, die Predigt, in besonderem Masse für die Liturgie158 und darüberhinaus für all unser Dichten und Musizieren. Wie alles menschliche Tun steht auch das ästhetische Gestalten und Wahrnehmen unter dem Gericht Christi über Selbstrechtfertigung und Kreaturvergötterung. Gleichzeitig steht es aber unter der Verheissung und Berufung, die alles Irdische auf das Reich Gottes bezieht und die dafür sorgt, dass der Mensch »auch mit der Freiheit zum Spiel, zum reinen Einklang mit dem Kosmos die >herrliche Freiheit der Kinder Gottes< bezeugen und abbilden darf« 159 . Ähnlich gilt für den gesamten menschlichen und aussermenschlichen Kosmos, »dass seine vergängliche Schönheit, ihrer immanenten Verkehrung ungeachtet, im Gericht über diese ihre Verkehrung die Bestimmung hat und neu empfängt, Hinweis auf die sich offenbarende Herrlichkeit Gottes zu sein«160. So lässt sich zusammengefasst von der Schönheit theologisch sagen: »Göttliche Schönheit ist eine Wahrheit und Wirklichkeit, deren Erschliessung uns verheissen ist. In ihrer Bestätigung als reiner Verheissung, so und nicht anders kommt es da und dort zu Zeichen ihrer nahen Erfüllung. So aber darf es allerdings dazu kommen« 161 .
4.2. Beurteilung 1. Buess setzt bei seinem Argumentationsgang mit einer philosophiegeschichtlichen Verortung des gegenwärtig herrschenden Schönheitsbegriffs ein. Seine Analyse kann man zwar bestreiten - weder in der Kunst noch in der philosophischen Ästhetik der Jahrhundertmitte hat der idealistische Begriff des Schönen die beherrschende Stellung, die Buess ihm zuschreibt -, dass er einen solchen Reflexionsschritt vorschaltet, muss aber angesichts der philosophisch-ästhetischen Unterlassungen in theologischen Äusserungen zum Thema unbedingt gewürdigt werden. 2. Buess erhebt den idealistischen Schönheitsbegriff vor allem, um sich gegen ihn und damit implizit gegen jeden philosophischen 157
A.a.O., 382. A.a.O., 383f, Anm.4. Ebd., Anm.3. 160 A. a. O. 383, Anm.3. Hier bezieht sich Buess zustimmend auf H. Vogels Gedanken der Gleichnishaftigkeit des irdischen Schönen. Vogels Entwurf liegt ihm erst in der Gestalt von dessen theologisch-ästhetischer Erstlingsschrift (Die Krisis des Schönen, Berlin 1931) vor. A.a.O., 383. 158
69
Schönheitsbegriff abzugrenzen. Er setzt - im Gegensatz zu Nebel und Vogel - nicht bei einem philosophischen Verständnis des Schönen oder einer phänomenologischen Untersuchung der Schönheitserfahrung an, sondern beim biblischen Zeugnis, ein Verfahren, zu dem er sich aufgrund der theologischen Erkenntnisordnung genötigt sieht162. Die Schriften der Bibel legen es nahe, im Zusammenhang mit der göttlichen Herrlichkeit von Schönheit zu sprechen. Hier zeigt sich allerdings, dass auch Buess nicht ohne ein Vorverständnis des Schönen auskommt. Zwar betont er, dass der Begriff der göttlichen Schönheit von der gemeinten Sache her seine spezifische Bedeutung erhalte163, er trägt dabei aber der Tatsache nicht genügend Rechnung, dass auch in theologicis ein Begriff nur dann auf eine Sache angewendet werden kann, wenn er vorgängig eine bestimmte, der Sache korrespondierende Bedeutung hat. Das bedeutet, dass auch Buess für die theologische Reflexion einen Begriff des Schönen voraussetzen muss. Wenn er den Lichtglanz Gottes sowie die Einheit und Geschlossenheit des göttlichen Handelns als schön bezeichnet, dann zeigt das, dass für ihn - im Einklang mit klassischen Schönheitstheorien - das Schöne konstituiert ist durch die Elemente der claritas (Klarheit, Glanz) und der proportio (Ordnung, Proportion)164. 3. Der theologische Begriff des Schönen ist bei Buess gleichbedeutend mit dem Begriff der Schönheit Gottes. Die Schönheit der Kreatur - die der Autor bezeichnenderweise vor allem in Anmerkungen behandelt - wird daneben nur insofern Gegenstand theologischer Reflexion, als an ihr etwas vom göttlich Schönen sichtbar wird. Die Beurteilung der kreatürlichen Schönheit verläuft dabei in der Denkfigur von Gericht und Rechtfertigung: Das Schöne wird als Selbstrechtfertigung verurteilt, durch Gnade aber von Gott dazu beansprucht, Hinweis auf seine Herrlichkeit zu sein. Hier wird man fragen müssen, ob Buess den biblischen Zeugnissen zur Schönheit der Schöpfung gerecht wird. Zwar trifft es zu, dass in der Bibel die Schöpfung mit ihrer Güte und damit auch mit ihrer Schönheit letztlich immer auf die Güte des Schöpfers verweist. Es ist aber offensichtlich, dass die Freude an der Schönheit des Geschaffenen nicht auf die Freude an der daran aufscheinenden göttlichen Herrlichkeit reduzierbar ist, sondern dass es gerade im Alten Testament auch eine legitime Freude an den Gütern der Schöpfung selbst, d.h. an den Wohltaten des Schöpfers, gibt. An dieser Stelle erweist sich 162
Vgl. a.a.O., 365. «[D]ie Doxa Gottes hat in der Heiligen Schrift eine Gestalt, in der sie durch den ihr dargegebenen, von ihr her gefüllten und bestimmten Begriff der Schönheit bezeugt sein will« (a. a. O., 372). 164 Vgl. Tatarkiewicz, Form in the History of Aesthetics, 218. 165
70
Buess' eschatologische und christologische Konzentration als Mangel, der der Korrektur durch eine stärkere Berücksichtigung schöpfungstheologischer Texte bedürfte. Dass der Autor derart stark den Verweischarakter des kreatürlichen Schönen hervorhebt, dürfte aber auch bei ihm - wie bei Vogel - am idealistischen Schönheitsbegriff liegen. Der Versöhnungsanspruch dieses Schönheitsverständnisses soll mit aller Deutlichkeit bestritten werden. Neben der Abgrenzung unterlässt es Buess aber, dem idealistischen Begriff des Schönen ein theologisches Verständnis des ästhetischen Verhältnisses zum Geschaffenen entgegenzusetzen. Man findet bei ihm in dieser Richtung lediglich einen Hinweis, den er nicht ausarbeitet: Dass der Christ sich von der Schönheit nicht mehr brauche bannen zu lassen, sie aber auch nicht fliehen müsse, sondern dass er sich an ihr schlicht freuen könne. Buess deutet hier eine Gestalt christlicher Freiheit an, mit deren weiterer Explikation er die Defizite seines Entwurfs entscheidend hätte ausgleichen können.
5. F. Duane Lindsey: Schönheit Gottes - Hässlichkeit der Sünde
5.1. »Essays Toward a Theology of Beauty« In einer Serie von Aufsätzen umkreist der Amerikaner F. Duane Lindsey das theologische Problem der Schönheit. In den drei Teilen seiner »Essays Toward a Theology of Beauty« befasst er sich mit der Schönheit Gottes165, der Hässlichkeit Satans166 und der Schönheit des christlichen Lebens167.
5.1.1. Schönheit Gottes Schönheit versteht Lindsey ästhetisch als Einheit ohne Monotonie und Vielfalt ohne Chaos. Der dreieinige Gott ist die höchste Erscheinung solcher Schönheit. Die Rede von einer Schönheit Gottes wird exegetisch mit einer Reihe von alttestamentlichen Texten begründet, 165 166 167
Part I: God Is Beautiful. Part II: Satan Is Ugly. Part III: The Beautiful Christian Life.
71
in denen Begriffe wie »beauty of holiness«, »beauty of the Lord«, »excellency«, »glory« oder »majesty« vorkommen168. Nach einem kurzen Überblick über bisherige Versuche, die Schönheit Gottes zu erfassen, expliziert Lindsey die göttliche Schönheit an der Person sowie an den Eigenschaften (perfections), dem Ziel (»purpose«) und dem Handeln (»performances«) Gottes. Gott ist in seiner Person einmal darin schön, dass seine Eigenschaften ein vollkommener Ausdruck seines Wesens sind, zum anderen in der harmonischen Vielfalt seiner Trinität, und schliesslich in der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in Christus. Unter den göttlichen Eigenschaften besteht gleichzeitig grösste Verschiedenheit und tiefste Einheit. Jede Eigenschaft gehört ausserdem zu jeder der göttlichen Personen, wodurch sowohl die Vielfalt erhöht wie auch die Einheit vertieft werden. Alle Eigenschaften vereinen sich schliesslich in der Inkarnation harmonisch mit der wahren menschlichen Natur. Gottes Ziel mit seiner Schöpfung ist erstens schön, da es die vollkommene Manifestation seiner Person und all seiner Eigenschaften ist, zweitens, weil sich im Vollzug des göttlichen Plans die Harmonie der Dreieinigkeit bestätigt, und drittens, weil ewiges Ziel und zeitliche Entfaltung des Ziels vollkommen korrespondieren. Zum Handeln Gottes gibt Lindsey lediglich zwei Beispiele, nämlich einerseits die Schöpfung, die als Aktivität des dreieinigen Gottes und in ihrem Ergebnis - einer Ordnung, die die Herrlichkeit Gottes spiegelt - schön ist, andrerseits die Erlösung, deren Schönheit ebenfalls in ihrem Charakter als harmonischem Handeln der drei göttlichen Personen besteht, dann aber auch darin, dass durch sie die Hässlichkeit der Sünde ausgelöscht und der Mensch zu Wiedergeburt und Verherrlichung geführt wird. Gottes Schönheit hat für den Menschen die Konsequenz, dass seine Antwort auf Gott auch einen ästhetischen Aspekt enthalten soll. »This aesthetic response would include, at least, amazement, adoration, and joyful praise«169.
5.1.2. Die Hässlichkeit Satans Der Hässlichkeit eignet statt Einheit eine Pseudo-Einheit, die als Täuschung zu qualifizieren ist; anstelle von Harmonie ist sie durch Disharmonie oder Verzerrung gekennzeichnet; und in ihrer vollsten Ma»" 2 Chron 20,21; Hi 40,9f; Ps 8,1.9; 27,4; 29, l f ; 36,7; 45,2-4; 145,5.10-12; Jes 24,14; 26,10; 35,2; Sach 9,16f. A.a.O., 136.
72
nifestation ist sie schlicht widerlich. Auf die Sünde und damit auf ihren Erzvertreter Satan treffen alle Charakteristika des Hässlichen zu. Analog zur Schönheit Gottes entfaltet der Autor die Hässlichkeit Satans in bezug auf dessen Person, Eigenschaften, Ziel und Handeln; das Argument soll hier nicht im einzelnen vorgeführt werden. Satan ist hässlich, weil sein Wesen und Werk nur als Täuschung, Verzerrung und Widerlichkeit zu qualifizieren sind. Er täuscht und betrügt sowohl sich selbst als auch die Menschen über seine wahren Absichten und Möglichkeiten; sein Wollen und Tun ist insofern in höchstem Masse verzerrt, als es statt der Ehre Gottes die eigene Ehre sucht und darauf aus ist, den Menschen ebenfalls von der Verehrung Gottes abzubringen; er ist widerlich, weil sein Widerspruch zu Gott nur Zweifel, Unmoral und Leid hervorbringt.
5.1.3. Die Schönheit des christlichen Lebens Das christliche Leben ist ein schönes Leben. »Positive response to God's beautiful person, purpose, and performances - a response involving negative reaction to Satan's person, purpose, and performances - leads to the reproduction of the beauty of God in the life of the Christian« 170 . Dieses schöne Leben in vollkommener Entsprechung zu seinem Willen hatte Gott für den nach seinem Bilde erschaffenen Menschen intendiert, der Mensch hat es aber nie realisiert. Einzig Christus hat der göttlichen Bestimmung entsprochen; sein Leben ist denn auch das schönste, das je gelebt wurde. »It was a life in which each thought, each word, and each action contributed its genuine significance to the only totally integrated and fully completed life ever lived. His was truly the beautiful life«171. Das schöne christliche Leben besteht darin, dass der Glaubende in einem dynamischen Prozess durch den Heiligen Geist auf vollständige Konformität mit Christus (»ultimate conformation to Christ«) hin verändert wird. Dieser Prozess vollendet sich erst in der Wiederkunft Christi. In der Vollendung des christlichen Lebens manifestiert sich das Wirken des göttlichen Künstlers (»divine Artisan«) in höchster Vollkommenheit. »That God can transform sinful, depraved, reprobate, human beings into the image of His glorified Son is the supreme exemplification of the beauty which comes from the hand of the Creator-Redeemer. This ist the ultimate destination of the beautiful Christian life«172. 170 171 172
A.a.O., 311. A.a.O., 314f. A.a.O., 319.
73
5.2. Beurteilung 1. Lindsey skizziert mit seiner Aufsatzfolge eine umfassende Theologie der Schönheit. Zwar setzt er bei seinen Ausführungen deutliche Schwerpunkte, im Ansatz zielt er aber auf einen Entwurf, in dem das Phänomen des Schönen in all seinen Erscheinungsweisen reflektiert ist. Dabei handelt es sich um einen Entwurf, in welchem von der Schönheit Gottes her die Gesamtheit der kreatürlichen Schönheit - und der kreatürlichen Hässlichkeit - erschlossen wird: Gott ist schön sowohl in seinem Sein wie in seinem Handeln, und im Geschaffenen, an dem er handelt, spiegelt sich seine Schönheit. Es versteht sich von da her, dass das Werk der Sünde (des Satans) ästhetisch als hässlich zu qualifizieren ist. So umfassend Lindseys Ausführungen im Ansatz sind, so lückenhaft ist an manchen Stellen die Explikation. Während die Schönheit Gottes und die Hässlichkeit des Satans ausführlich zur Sprache kommen, geht der Autor bei der kreatürlichen Schönheit lediglich auf die Schönheit des christlichen Lebens ein. Die Schönheit der Schöpfung wird nur an einer Stelle andeutungsweise erwähnt, während die Schönheit der Kultur vollständig ausfällt. Damit bleibt aber der grösste Teil der menschlichen Erfahrung des Schönen theologisch unreflektiert. 2. Gott ist bei Lindsey schön, da sich sowohl in seiner Person wie in seinen Eigenschaften, seinen Zielen und seinem Handeln eine wohlgefällige Einheit in der Vielfalt findet. Es ist die Stärke von Lindseys Essay zur göttlichen Schönheit, dass er die Formalaspekte von Gottes Wesen und Werk konsequent und detailliert herausarbeitet. Ein erhebliches Defizit besteht dagegen in der systematischen Durchdringung des dabei zutage Geförderten. Der Autor verharrt ganz in der Aufzählung von Sachverhalten, ohne diese je auf ihren Zusammenhang mit der Substanz des göttlichen Seins und Handelns hin zu befragen. Es bleibt unklar, wie die Schönheit Gottes in ihrem Bezug auf die Liebe Gottes zu begreifen ist. Lindsey stellt damit die göttliche Schönheit in seinem Aufsatz zwar fest, er verhilft aber nicht dazu, diese Schönheit auch theologisch zu verstehen. 3. Im Vergleich mit den bisher vorgestellten Entwürfen einmalig ist Lindseys ausführliche Behandlung der Hässlichkeit der Sünde, oder, wie sich die Problematik für ihn darstellt, der Hässlichkeit Satans. Es gehört zu den Verdiensten des Autors, in seinem Beitrag der ästhetischen Seite der Sünde die ihr gebührende Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Die Hässlichkeit ist unter anderem dadurch charakterisiert, dass sie als täuschende, Böses kaschierende Schönheit erscheinen kann. Auf die damit implizierte Aufgabe ästhetischer 74
Unterscheidung für den Glauben geht Lindsey allerdings nicht ein. Dies hängt damit zusammen, dass er sich in seinen Ausführungen fast ausschliesslich auf Wesen und Werk Satans konzentriert und daneben die kreatürlich-sündige Weltwirklichkeit kaum in den Blick nimmt. 4. Ebenfalls ein Novum gegenüber anderen Beiträgen ist Lindseys Essay zur Schönheit des christlichen Lebens. Mit der Schönheit des christlichen Lebens meint der Autor freilich nicht eine nach allen Seiten harmonisch ausgebildete Humanität im Sinne der antiken Kalokagathia oder eines Goethe'schen Menschlichkeitsideals, sondern die Einheit und Geschlossenheit des Lebenszusammenhangs, wie er sich aus dem vollkommenen Gehorsam gegenüber Gott ergibt. Lindsey räumt ein, dass eine derartige Schönheit sich im Leben der Christen stets nur anfanghaft und in der Hoffnung auf eschatologische Vollendung realisiert. Wenn man diesen Vorbehalt im Auge behält, kann man dem Autor darin recht geben, dass der christlichen Existenz trotz der Gebrochenheit ihrer >Kreuzesförmigkeit< eine gewisse Einheit und Konsequenz, eine innere Stimmigkeit eignen kann, die durchaus die Bezeichnung »schön« verdient. Nicht die Feststellung einer Schönheit des christlichen Lebens ist bei Lindsey zu kritisieren, sondern einmal mehr das Fehlen einer systematisch-theologischen Reflexion auf diesen Sachverhalt. Er konstatiert die Schönheit des christlichen Lebens gleichsam >positivistischstetigen< und >fruchtbaren< Verhältnis werden« (»Schau an der schönen Gärten Zier«, 274), dann trägt er dabei der Tatsache nicht genügend Rechnung, dass sich die Erfahrung der Schönheit - auch an der Natur - durch die ästhetische Freiheit und die ästhetische Konzentration grundsätzlich von der >stetigen< Alltagserfahrung unterscheidet. 210 Diesen letzten Punkt beachtet Schwebel in seiner Kritik an Jüngels Scheinbegriff (vgl. a.a.O., 136ff.) m.E. zuwenig. 211 Platon, Kant, Schiller, Schelling, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger, Bloch, Adorno, Jauss.
81
ren212. Diese Verhältnisbestimmung von Schönem und Wahrem problematisiert Jüngel nicht prinzipiell. Damit, dass er das Schöne primär von der Wahrheit her und als eine Weise des Anwesens von Wahrheit begreift, wird aber eine Konkurrenz zwischen Schönheit und der Wahrheit des Evangeliums unvermeidlich.
6.2.2. Theologische Interpretation Jüngels theologische Bemerkungen zum ästhetischen Verhältnis bzw. zum Schönen lauten zusammengefasst, dass sich im Schönen zwar Wahrheit zeigt, dass dies aber nur in einer vermittelten Weise geschieht und deshalb die Schönheit im Eschaton durch das endgültige und unmittelbare Erscheinen der Wahrheit überholt sein wird. An dieser Argumentation, so stringent sie scheinen mag, erstaunt einiges. Dies gilt vor allem und zuerst für Jüngels Identifikation der im Schönen (zwar mittelbar) erscheinenden Wahrheit mit der Wahrheit Gottes, wie sie in Jesus Christus offenbart worden ist. Man vermisst bei ihm einen Argumentationsschritt, in welchem der Zusammenhang zwischen der formal als Ganzheit gefassten Wahrheit des Schönen und der Wahrheit im biblischen Sinne, der göttlichen Herrlichkeit, geklärt wird213. Der Autor stellt auch die theologisch entscheidende Frage nicht, ob im Schönen erscheinende Wahrheit in einer sündigen Welt nicht notwendig die Tendenz haben werde, die Wahrheit Gottes zu bestreiten, und ebensowenig taucht bei ihm das Problem auf, dass theologisch gesehen die am Schönen erfahrene Ganzheit auch als menschliche Selbsttäuschung, als Leugnung der Zerrissenheit der gefallenen Existenz interpretiert werden kann214. Der Mangel an theologischer Begründung wird schlagend deutlich an der Stelle, wo Jüngel die genannte Identifikation explizit vollzieht215: Er argumentiert dort nicht theologisch, sondern - zitiert unkommentiert Schiller und Bloch. 212 Wenn dem so ist, dann hat das Schöne allerdings auch eine Nähe zum Guten, eine Nähe, die Jüngel vehement bestreitet. Ist das Schöne nicht nur Scheinen der Wahrheit, sondern auch »Erscheinungsweise des Guten [...] ohne das Pathos der Notwendigkeit« (C.FI von Weizsäcker, Das Schöne, 104f.), dann bedarf Jüngels kategorische Aussage, dass die Wahrnehmung von Schönheit keine moralisch besseren Menschen mache, der Relativierung. 213 Auf der ästhetischen Seite korrespondiert dem eine mangelnde Unterscheidung zwischen divergenten inhaltlichen Bedeutungen, die das »Ganze« in verschiedenen philosophisch-ästhetischen Entwürfen (Schiller, Hegel, Bloch, Marcuse, Adorno usw.) hat. 214 So H.Vogel. 215 A.a.O., 391 f.
82
Der mangelnden Unterscheidung von philosophischem und theologischem Wahrheitsbegriff entspricht das Fehlen einer Reflexion auf die Möglichkeit einer mittelbaren Erscheinung von Gottes Wahrheit in der Welt. Unter den Bedingungen des Sündenfalls wird man es als grundsätzlich ausgeschlossen annehmen müssen, dass ein Seiendes sich in seiner Wahrheit evident macht - eine Ausnahme bildet hier nicht einmal, wie es Jüngel annimmt, das Schöne. Im Lichte seiner Wahrheit erscheint Seiendes in der gefallenen Welt ausschliesslich da, wo ihm durch das Wort Gottes diese Wahrheit zugesprochen wird. Nach dem Gesagten muss man auch Jüngels Kategorie des Vorscheins als Verhältnisbestimmung von Wahrheit des Schönen und Wahrheit Gottes befragen. Auch diese Kategorie lebt von der fehlenden prinzipiellen Unterscheidung der beiden Wahrheiten. Ihr genaues Verhältnis bleibt unter der nur scheinbaren Klarheit von Jüngels durchgängiger Lichtmetaphorik undeutlich. Zusammengefasst besteht das Grundproblem in Jüngels Aufsatz darin, dass der Autor nicht wirklich zu einem theologischen Verständnis der Schönheit vordringt, sondern lediglich einen bestimmten philosophischen Schönheitsbegriff übernimmt und diesen theologisch kommentiert. Bei Jüngel verschärft sich das Problem deshalb noch, weil er in seinem Schönheitsbegriff nicht nur ein bereits strukturell >religiöses< Verständnis des Schönen in Anspruch nimmt, sondern weil er auch noch die darin veranschlagten >religiösen< Wirkungen des Schönen (Versöhnung, Freiheit, Ganzheit) unkritisch mit den Verheissungen des Evangeliums auf eine Linie stellt. Schönheit ist zwar nur in einem mittelbaren Sinne Wahrheit, sie ist aber nichtsdestoweniger Anwesen von Wahrheit. Das solcherart verstandene Schöne gerät nun - wie schon angedeutet - notwendig in eine Konkurrenz zum christlichen Kerygma, da es sich an dessen Stelle zu setzen droht. Damit wiederholt sich bei Jüngel, was bereits bei Nebel und Vogel zu beobachten war: Der Theologe bedient sich für seine Reflexionen eines philosophisch stark >aufgeladenen< Schönheitsbegriffs und gelangt aus diesem Grund zu einer sehr kritischen Einschätzung des Schönen. Man muss auch an Jüngel die Frage stellen, ob seine »theologischen Bemerkungen« den biblischen, insbesondere den alttestamentlichen Texten zum Schönen gerecht werden.
83
7. Robert W. Jenson : Schönheit als Kommunikation trinitarischer Harmonie
7.1. »Beauty« Robert W. Jensons Beitrag »Beauty« ist vom Umfang her zwar nicht mehr als eine theologische Skizze, die darin geäusserten Thesen zu einer Theologie der Schönheit sind aber derart erhellend, dass sie hier nicht übergangen werden sollen. Jenson beginnt mit der Bemerkung, dass er sich in seinem Aufsatz nicht mit dem phänomenologischen Problem des Schönen auseinandersetzen will. Was diese Fragestellung betrifft, schliesst er sich der Lösung an, die von einem Hauptstrom (»mainline«) des westlichen philosophischen Denkens gegeben worden ist und die Thomas von Aquin bündig formuliert hat: Schönheit besteht in integritas, proportio und claritas. »That is beautiful which is a harmonious whole and is lucid in its harmony« 216 . Der Autor geht die theologische Problematik der Schönheit von der klassischen ästhetischen Frage nach dem subjektiven oder objektiven Charakter des Schönen her an: »What realities are beautiful? Where is beauty found?« 217 Und seine Antwort, die er gleich zu Anfang exponiert und im folgenden zu entfalten und zu begründen versucht, lautet: »The specifically triune God is beautiful, and whatever he perceives on the pattern of his own self«218. Versteht man das Schöne mit Kant als das wahrnehmbare Gute (»perceptible good«), dann stellt sich sofort die Frage nach dem diese Wahrnehmung konstituierenden Subjekt. Jenson sieht als Möglichkeiten den Menschen und Gott. Schönheit hat ihren Ursprung entweder im Auge des menschlichen Betrachters oder aber im Auge Gottes, der den Menschen in einem Mitteilungsakt an dieser Wahrnehmung teilnehmen lässt. Verortet man die Schönheit im menschlichen Subjekt, dann wird sie notwendigerweise willkürlich und das Wort »Schönheit« im Grunde sinnlos. Der Mensch kann die Willkür seines Schönheitsurteils nicht überwinden; auch wo in einer Gesellschaft eine gewisse Einheit des Urteils herrscht, bleibt sie bestehen. Den Grund dafür sieht Jenson in der Veränderlichkeit des menschlichen Subjekts. Die Begründung dafür lautet folgendermassen: Wahrnehmung von Schönheit »is per216 217 218
84
A.a.O., 250. Ebd. Ebd.
ception of the sort of harmony otherwise created by moral effort, given without such effort« 219 . Ein endliches Selbstbewusstsein kann nun aber nicht anders, als zuerst sich selbst zu schätzen; anderes schätzt es prinzipiell auf dieser Grundlage. Wenn ich darum in einem Objekt Gutes wahrnehme, so geschieht dies deshalb, weil ich in ihm ein Bild meiner selbst wahrnehme - oder, wie Jenson pointiert formuliert: »I find myself beautiful, and what is like me«220. Weil das menschliche Subjekt in sich komplex ist und sich zu sich selber verhalten kann, gibt es in ihm die Möglichkeit der Harmonie wie auch der Wahrnehmung dieser Harmonie. »Were it otherwise, the perception of beauty could not at all occur to me«221. Selbstwahrnehmung und Selbstverhältnis bleiben allerdings instabil und für Täuschung anfällig, weswegen auch das menschliche Schönheitsurteil wechselhaft und damit willkürlich ist. Anders verhält es sich mit der inneren Harmonie des dreieinigen Gottes. In der liebenden Gemeinschaft zweier Personen (Vater und Sohn) begründet, unterliegt sie weder der Täuschung noch der Trübung, sondern ist eine wahre und ewige Harmonie. Gott nimmt darum in sich selbst objektive Schönheit wahr: »As the triune God values himself, he is drawn to a harmony not produced by moral action and in no way evanescent, a truly given and objective beauty« 222 . Die Schönheit, die er in Entsprechung zu seiner eigenen in anderen Objekten wahrnimmt, kommt so auch nicht mehr einem willkürlichen Massstab gemäss zustande (»follows a more-than-arbitrary standard« 223 ). Jenson geht in der Reflexion der Schönheit Gottes noch einen Schritt weiter. Sind Vater und Sohn die harmonische Vielfalt in Gott, so ist der heilige Geist ihre Harmonie und damit die göttliche Schönheit in Person: »[T]he Spirit is God as Beauty«224. Die harmonische Vielfalt Gottes, so präzisiert Jenson die göttliche Schönheit schliesslich, ist in der Bibel »an historical plurality and harmony« 225 , die Schönheit der Geschichte zwischen Vater und Sohn. Die Schönheit Gottes entfaltet sich primär in der Zeit und ist daher am ehesten vergleichbar mit derjenigen des Dramas, der Rhetorik, der Musik und des Tanzes. »God is a fugued song«226. Soll der Mensch Schönheit anders denn willkürlich wahrnehmen, dann muss er an Gottes Wahrnehmung der Dinge teilbekommen. 2
" A.a.O., 251. Ebd. 221 Ebd. 222 A.a.O., 252. 223 Ebd. 224 Ebd. 225 Ebd. 226 Ebd. 220
85
Dies geschieht durch den heiligen Geist, in welchem Gott die Schöpfung in seine eigene Harmonie hineinnimmt. Der Geist wirkt dabei sowohl im wahrnehmenden Subjekt wie im ästhetischen Objekt. »It is by the Spirit that we hear and see things in their beauty, and by the Spirit that things are beautiful for our ears and eyes«227. Bei seinen Erläuterungen zum Wirken des Geistes im wahrnehmenden Subjekt weist Jenson auf die Funktion der Gemeinde für das ästhetische Urteilen hin. Der Geist überwindet die Willkür des menschlichen Schönheitsurteil, indem er den Einzelnen in eine Gemeinschaft der universalen Liebe führt. Im Kontext dieser Gemeinschaft gewinnt das Subjekt ein Selbstverhältnis, aufgrund dessen es zu einer Wahrnehmung des Schönen gelangt, die derjenigen Gottes korrespondiert. Neben dem Wirken des Geistes im (wahrnehmenden) Subjekt erwähnt die Bibel auch, dass der Geist Gottes die Schönheit der Kreatur schafft. Jenson übersieht bei dieser Bemerkung die Differenziertheit des göttlichen Schöpfungshandelns nicht. Vom Vater geht der schöpferische Befehl aus, der Sohn ist der Sinn (»meaning«) der Schöpfung, ihre Bestimmtheit für Gott, während der Geist bewirkt, dass das Geschaffene für Gott lebt. Genau damit wirkt der Geist die Schönheit der Kreatur; »the creature, merely in that it exists in time, is opened in the Spirit to be construed in the pattern of God's self, to be beautiful for God and for whatever other subjects God may admit to his Conversation«228. Aus diesen Ausführungen zieht Jenson einen Schluss für die kirchliche Praxis. Ist der im Lob der Kirche wirksame Geist derselbe, der die kreatürliche Schönheit schafft, dann besteht zwischen Gottesdienst und Schönheit eine wesenhafte Einheit. »Labor on the liturgy's beauty is not accidental to labor on its authenticity, and what may be called liturgical aesthetics is a vital part of the doctrine of the Spirit«229.
7.2. Beurteilung 1. Jensons Skizze bietet bei all ihrer Kürze die Grundlinien einer umfassenden Theologie der Schönheit. Er bringt die Schönheit Gottes, die Schönheit der Schöpfung sowie deren Verhältnis zur Sprache, reflektiert die Wahrnehmung von Schönheit sowohl philosphisch als auch theologisch und zeigt schliesslich Konsequenzen für die kirchliche Praxis auf. Schon das vorstehende Referat macht 227
A.a.O., 253. Ebd. 2 " A.a.O., 254. 228
86
deutlich, dass sich seine Thesen in vielem von den bisher behandelten Entwürfen unterscheiden. Die Unterschiede sind zu einem Teil im andern Gesprächszusammenhang begründet, aus dem heraus Jenson argumentiert230. 2. Bedeutend ist, dass Jenson die Objektivitäts-/Subjektivitätsproblematik aufnimmt und damit auf eine im Zusammenhang mit dem Schönen unumgängliche Frage eingeht. Erst recht bedeutend ist aber, dass er für das Problem eine genuin theologische Lösung vorschlägt. Die Objektivität des Schönen wird nicht in den Dingen, sondern in der Wahrnehmung Gottes verankert - bei Gott fallen also Subjektivität und Objektivität des Schönen zusammen. Objektive Schönheit kommt demjenigen zu, was Gott als schön betrachtet. Dabei ist es durchaus sachgemäss, wenn Jenson zwischen Gottes Erschaffen und Wahrnehmen von Schönem nicht scharf unterscheidet. Die göttliche Wahrnehmung ist schöpferische Wahrnehmung. Mit seiner Feststellung der Güte (bzw. Schönheit) des Geschaffenen in Gen 1 spricht Gott der Kreatur gleichzeitig Güte zu; sein Sehen und Feststellen hat hier performativen Charakter231. 3. Begründet ist Gottes Schönheitswahrnehmung in der Wahrnehmung seiner eigenen Schönheit. Jenson versteht die Schönheit Gottes trinitarisch als schöne Harmonie von Vater und Sohn im heiligen Geist, eine Harmonie, die in der Geschichte von Jesus Christus anschaubar wird. Mit dieser Verknüpfung von immanenter und ökonomischer Trinität steht Jensons Verständnis der göttlichen Schönheit auf der Höhe theologischer Reflexion zur Gotteslehre. Im Unterschied zu Lindsey begreift Jenson Gottes Schönheit aus der seiner inneren Gemeinschaft und damit aus seinem Wesen heraus. Auch die geschöpfliche Schönheit wird von der trinitarischen Gemeinschaft her gedacht: Schöpfung als Kommunikation der göttlichen Harmonie ad extra ist wesenhaft auch schön. Jenson denkt die Schönheit der Schöpfung ebenfalls primär als Beziehungsgeschehen; dabei geht er auf die Unterschiede zwischen einer Gemeinschaft von Subjekten und der Harmonie der Einzelteile in einem Objekt - beides Spielarten kreatürlicher Schönheit - nicht ein. Diese Unklarheit wird aber bei weitem aufgewogen durch das Verdienst seines Versuchs, die Schönheit der Kreatur aus der Mitte des gött230 Ein wichtiger Bezugspunkt ist für den Autor der calvinistisch-orthodoxe Theologe aus dem Neuengland des 18. Jahrhunderts, Jonathan Edwards, über den er auch ein Buch verfasst hat: America's Theologian. Zu Edwards vgl. Teil II Β 3.1. 231 Hier ist auch an das zu denken, was Luther in der 28.These der Heidelberger Disputation liber den Zusammenhang von göttlicher Liebe und geliebtem Objekt sagt: »Ideo enim peccatores sunt pulchrì, quia diliguntur, non ideo diligunlur, quia sunt pulchri« (WA 1, 365, 11 f.). Jenson ist Lutheraner.
87
lichen Wesens - der Liebe - heraus zu verstehen. Eine solche Sicht impliziert, dass die Wahrnehmung von göttlicher und kreatürlicher Schönheit integrierender Bestandteil des Gottesverhältnisses ist. 4. Für den Menschen ergibt sich aus der Objektivität der Schönheit in ihrem theologischen Sinne die Aufgabe, Gottes Schönheitswahrnehmung nachzuvollziehen. Wahrnehmung von objektiver Schönheit setzt bei Jenson Umkehr voraus; er verknüpft sie damit implizit mit Rechtfertigung und Heiligung. Dem entspricht, dass er die Gemeinde als den Ort einfuhrt, an welchem eine Gott entsprechende Schönheitswahrnehmung entstehen kann. Die Gemeinde hat nicht nur wie viele Gemeinschaften eine gemeinsame Sicht des Schönen, in ihr wirkt auch der Geist Gottes, der die Menschen in die göttliche Schönheitswahrnehmung hineinholt. In Analogie zu Gott besteht so auch beim Menschen ein enger Zusammenhang von Liebe und Wahrnehmung des Schönen. 5. Schliesslich gilt es auch auf Jensons philosophische Grundlegung der Schönheitswahrnehmung zu achten. Von der Einsicht ausgehend, dass Bewusstsein immer Selbstbewusstsein voraussetzt, stellt er die These auf, dass die Schönheitswahrnehmung eines (harmonischen) Selbstverhältnisses des Subjekts als der Bedingung ihrer Möglichkeit bedarf. Zum Verständnis dieses Satzes wird man sich an Kants Begriff des Geschmacksurteils erinnern müssen : Dem Geschmacksurteil liegt das harmonische Zusammenspiel von Einbildungskraft und Verstand zugrunde 232 . Kehrt man diesen Gedanken um, dann ergibt sich die Einsicht, dass das Geschmacksurteil nur möglich ist, weil der Mensch jene Vernunftvermögen - mitsamt der Möglichkeit ihres Zusammenspiels - besitzt. Hier zeigt sich die Nähe Jensons zu Kant; auch bei ihm ist eine bestimmte Beschaffenheit des Subjekts Voraussetzung für das Zustandekommen der Schönheitswahrnehmung. Das Subjekt wird, ja, kann Harmonie am Objekt nur schätzen, weil es vorher seine eigene Harmonie schätzt. Im Unterschied zu Kant denkt Jenson das Subjekt nicht transzendental, sondern psychologisch und geschichtlich. Seine Bemerkungen bleiben allerdings an dieser Stelle zu knapp, als dass man genauer eruieren könnte, wie er den Zusammenhang von Selbstverhältnis und der Wahrnehmung von Schönheit denkt. Seine Einsicht, dass das Subjekt in seiner konkreten geschichtlich-biographischen Gestalt die Basis des Schönheitsurteils darstellt, bleibt aber wichtig.
232
88
Kritik der Urteilskraft, § 9 , 28 f.
8. Rudolf Bohren: Das Schön-Werden Gottes Seit Anfang der 70er Jahre artikuliert Rudolf Bohren sein theologisches Denken mit zunehmender Deutlichkeit als Ästhetik. Schon frühere Publikationen zeigen ihn zwar im aufmerksamen Gespräch mit Kunst und Literatur, und mit einiger Regelmässigkeit hat er auch Lyrik veröffentlicht233. Erst in der 1971 erstmals erschienenen »Predigtlehre« ist der Bezug zur Ästhetik aber methodisch reflektiert. Dieses Buch hat aus zwei Gründen einen ästhetischen Grundzug: Zum einen ist es in stetiger Auseinandersetzung mit der modernen Literatur (und in Zusammenarbeit mit einem Schriftsteller) entstanden, zum andern will es über weite Strecken Anleitung dazu sein, die Nähe Gottes »in der Gegenwart zu entdecken«234 - bei Bohren (wie zu zeigen sein wird) eine eminent ästhetische Angelegenheit235. Einige Jahre später gibt er seine Vorlesung zur Einführung in die Praktische Theologie unter dem programmatischen Titel »Dass Gott schön werde. Praktische Theologie als theologische Ästhetik« heraus236. Der Titel weist bereits darauf hin, dass nun der ästhetische Gesichtspunkt leitend geworden ist. Neu ist gegenüber der Predigtlehre vor allem der Einsatz in der Gotteslehre237: Theologie - und insbesondere Praktische Theologie - ist als Ästhetik zu entfalten, weil Gott selbst schön ist. Die auf dieses Buch folgenden Publikationen ziehen einige der darin angedeuteten Linien weiter aus. Der Gegenstand von Bohrens Entwurf ist zwar primär nicht die Schönheit, sondern die Kirche und deren Praxis. Da Bohren allerdings die Theorie kirchlichen Handelns als theologische Ästhetik versteht, Ästhetik aber als »Wahrnehmung und Gestaltung des Schönen«238, leistet sein Werk auch einen entscheidenden Beitrag zu einem theologischen Verständnis der Schönheit. Im folgenden Durchgang durch Bohrens Themen soll versucht werden, diesen Beitrag aufzuzeigen. Es werden vor allem Veröffentlichungen aus den 70er und 80er Jahren zugrunde gelegt, wobei sich ein Schwerpunkt auf der umfassendsten Darstellung, der praktisch-theologischen Einführungsvorlesung »Dass Gott schön werde«, nahelegt. 253
bohrungen; texte zum weiterbeten; heimatkunst. Predigtlehre, 73. 235 Bohren bestätigt den ästhetischen Grundzug der Predigtlehre später ausdrücklich, wenn er von ihr schreibt, dass sie »schon ein Stück irregulärer Ästhetik darstellt« (Dass Gott schön werde, 6). 236 München 1975. 237 Andeutungsweise bereits in »Fasten und Feiern« (1973). 238 Geist und Gericht, 15. 254
89
8.1. Schönheit
Gottes
8.1.1. Die Schönheit von Gottes Wesen und Werk »Die Ästhetik findet in der Gotteslehre ihre Begründung«239, denn es gilt: »Gott ist schön«240. Mit dem letzteren hat man den Fundamentalsatz von Bohrens theologischer Ästhetik vor sich. Umso mehr erstaunt es, dass er die Schönheit Gottes - sieht man von einem Hinweis auf den Zusammenhang von Schönheit Gottes und Trinität ab241 - nirgends weiter entfaltet242. In seinem gesamten Werk zeigt er kein selbständiges Interesse an der Schönheit des göttlichen Wesens, sondern denkt diese stets in ihrer Wirkung ad extra: »Gott ist schön, indem er dem Glaubenden schön wird«243. Zur Schönheit Gottes gehört - soviel lässt sich von Bohrens Auffassung sagen - wesentlich deren Kommunikation244. Ebenfalls eine zentrale Rolle spielt im Denken des Autors die eschatologische Schönheit, von der er häufig auch - im Anklang an einen Satz von Dostojewski - als der »Schönheit, die die Welt erlösen wird«, spricht245. Auch hier vermisst man näheren ästhetischen und theologischen Aufschluss. Das Verhältnis von göttlicher und eschatologischer Schönheit wird zwar nirgends explizit erläutert, es lässt sich aber erschliessen, dass Bohren die eschatologische Schönheit als die vollkommene Kommunikation von Gottes eigener Schönheit an sein Geschöpf versteht. Das Handeln Gottes denkt Bohren als Entsprechung zu dessen Wesen: »Das Praktisch-Werden Gottes ist ein Schön-Werden, weil Gott selbst schön ist«246. Das göttliche Schön-Werden ist genauer als Anbrechen der eschatologischen Schönheit in der Gegenwart zu verstehen. »Am Ende wird alles Poesie«247 - auf diese endzeitliche Lebensstil, 127. A.a.O., 124. 241 «Gott ist schön, indem er dreieinig ist« (Dass Gott schön werde, 91). Schönheit versteht Bohren an dieser Stelle im klassischen Sinne als Einheit in der Vielfalt. 242 Es trägt auch nichts zur Präzisierung des Begriffs ab, wenn Bohren an einer Stelle statt von Schönheit von der Herrlichkeit Gottes spricht; vgl. Bemerkungen zu neuen Liedern, 144-146. 243 Lebensstil, 125. Dem korrespondiert Bohrens Exegese von Barths Lehre von der Schönheit Gottes: »Karl Barth definiert die Schönheit Gottes als das Für-uns-Schönwerden« (ebd.) - eine durchaus einseitige Auslegung der Barth'schen Position! Zu Barth vgl. Teil I Β 1.; Teil II Β 3.2. 244 Vgl. Bemerkungen zu neuen Liedern, 144. 245 Predigtlehre, 332; Prophetie und Seelsorge, 20, 193; Geist und Gericht, 15; Vom Heiligen Geist, 44. 246 Dass Gott schön werde, 14. 247 Lebensstil, 125. 240
90
Schönheit hin interpretiert Bohren alles kreatürliche Schöne als deren Vorschein: in der Schönheit der Natur »kommt Zukunft zum Vorschein«248, die Kirche ist schön als »Vorschein endzeitlicher Urbanität«249, etc. In einer solchen Perspektive lässt sich gegenwärtige Schönheit als Verheissung denken, und Hässliches rückt ins Licht noch ausstehender Schönheit: »Das Schöne ist die Zukunft des Hässlichen«250. 8.1.2. Christologische Begründung Bohren bringt nirgends eine ausgeführte christologische Reflexion des Schönen. Christologische Überlegungen finden sich bei ihm fast nur in der Gestalt von eingesprengten Bemerkungen. Man darf sich aber von diesem formalen Sachverhalt nicht täuschen lassen: Die verstreuten Aussagen weisen nicht nur ein erhebliches Mass an Konsistenz auf, es ist auch offensichtlich, dass sie in Bohrens Entwurf ein bedeutendes Gewicht haben. »Gott ist schön, [...] indem er Wohlgefallen hat an dem einen, der für alle ist. Dieser eine hat zwar weder Gestalt noch Schönheit< (Jes 53,2), für Gott aber ist er - wie für die Seinen - >der Schönste unter den Menschenkindern (Ps 45,3)«251. Bohren begründet hier die Schönheit in der Rechtfertigungslehre. Die Hässlichkeit des gekreuzigten Gottessohnes deckt der Welt die Hässlichkeit ihrer Sünde auf. Christus bleibt aber nicht am Kreuz, sondern wird auferweckt »als >schönster Herr JesusIch glaube an den Heiligen GeistGott ist schön