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German Pages 1668 [1705] Year 2018
Kübler (Hrsg.) HRI – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz
HRI Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz Eigenverwaltung und Insolvenzplan 3. Auflage
herausgegeben von Dr. Bruno M. Kübler
bearbeitet von Dr. Hubert Ampferl, Dr. Helmut Balthasar, Dr. Florian Becker, Axel W. Bierbach, Dr. Andrea Braun, Dr. Frank Burmeister, Prof. Dr. Martin Dreschers, Prof. Dr. Lucas F. Flöther, Dr. Michael C. Frege, Arndt Geiwitz, Dr. Matthias Hofmann, Dr. habil. Gerrit Hölzle, Burkhard Jung, Dr. Günter Kahlert, Dr. Steffen Koch, Dr. Stephan Kolmann, Dr. Bruno M. Kübler, Prof. Dr. Stephan Madaus, Dr. Peter C. Minuth, Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Prof. Dr. Anette U. Neußner, Prof. Dr. Matthias Nicht, Prof. Dr. Christian Pleister, Dr. Dietmar Rendels, Carsten Schmidt, Dr. Jens M. Schmidt, Dr. Karsten Schmidt-Hern, Dr. Felix Schneider, Steffen Schöne, Dr. Thilo Schultze, Detlef Specovius, Dr. Jasper Stahlschmidt, Dr. Ingo Theusinger, Prof. Dr. Christoph Thole, Dr. Sven-Holger Undritz, Dr. Nikolai Warneke, Dr. Lars Westpfahl, Karsten Zabel
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Köln
Zitierempfehlung: Verfasser, in: Kübler, HRI, § … Rz. …
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Vorwort zur 3. Auflage Die Unternehmensrestrukturierung befindet sich im Umbruch. Rückläufige Zahlen der Unternehmensinsolvenzen und eine veränderte Praxis der Mandatierung haben das Insolvenzprozedere in Deutschland umgestaltet. Zwar haben sich die Regelungen des ESUG etabliert und konnte die Rechtsprechung in einigen streitigen Bereichen Klarheit schaffen. Dennoch sind Fehlentwicklungen und Nachbesserungsbedarf festzustellen. Und seit längerer Zeit gibt es auf europäischer Ebene Bestrebungen für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren („präventiver Restrukturierungsrahmen“), das – so wird teilweise befürchtet – das nationale Restrukturierungsrecht ersetzen könnte. Optimisten prophezeien hingegen, dass durch die europarechtlichen Vorgaben das Instrumentarium, das das ESUG bietet, sinnvoll ergänzt und gleichzeitig die erforderlichen Nachjustierungen vorgenommen werden können. Die Nachfrage nach der 1. und 2. Auflage, die inzwischen erfolgte ESUG-Evaluation sowie die aktuelle Rechtsentwicklung geben Anlass, die in sechs Jahren gesammelten Erfahrungen in einer neubearbeiteten und erheblich erweiterten Auflage zu präsentieren. Die Neuauflage bringt einige Änderungen bzw. eine Erweiterung der Gliederung mit sich. Um ausführlicher auf die praktischen Probleme und Details in Eigenverwaltung und Insolvenzplan eingehen zu können, entfällt im 1. Teil unter „Allgemeines“ das bisherige Kapitel § 3 „Exkurs: Sanierung außerhalb der Insolvenz“. Dafür gibt es ein neues Kapitel § 4 „Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Verfahren“, das die neu in den Autorenkreis eingetretenen Dr. Andrea Braun und Dr. Nikolai Warneke bearbeitet haben. Der bisherige Platzhalter § 34 wird nun durch das Kapitel „Vergleichsrechnung“ ausgefüllt, das Dr. Jens Schmidt verfasst hat. Schließlich ist der bisherige § 58 „Restrukturierung von Banken“ entfallen. Stattdessen enthält § 58 als Schlusskapitel eine komprimierte Analyse des inzwischen vorliegenden Gutachtens zur ESUG-Evaluation. Sie stammt aus der Feder des neu hinzugekommenen Autors Professor Dr. Christoph Thole. Ich heiße im Namen des „HRI-Teams“ die neuen Autoren herzlich willkommen. Mein ganz besonderer Dank gilt Dr. Katherine Knauth und Iris Theves-Telyakar, die das Entstehen der 3. Auflage verlagsseitig professionell begleitet haben. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz hätte das Werk nicht zum jetzt verwirklichten Erscheinungstermin auf den Markt kommen können. Das Werk befindet sich auf dem Rechtsstand von August 2018. Verlag, Herausgeber und Autoren hoffen, dass die Leserschaft mit dem „HRI“ auch in seiner 3. Auflage einen informativen und kompetenten Ratgeber erhält. Ich ermuntere im Namen aller Autoren zum Zweck der ständigen Weiterentwicklung des Handbuchs zu konstruktiver Kritik. Köln/Dresden, im Oktober 2018
Bruno M. Kübler
V
Inhaltsübersicht Seite Vorwort zur 3. Auflage ......................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................ XI Autorenverzeichnis ....................................................................................................... XXIII Literaturverzeichnis ....................................................................................................... XXXI Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. XXXIX
Einführung §1
Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht – Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung (Kübler) ................................. 1
1. Teil Allgemeines §2
Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan (Undritz) .............. 8
§3
Sanierungsfähigkeit (Zabel) ....................................................................................... 22
§4
Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren (Warneke/Braun) ....................................................................................................... 67
§5
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren (Frege/Nicht) .................................................................................................................... 89
2. Teil Eigenverwaltung A. Eröffnungsverfahren §6
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte (Neußner) ............. 138
§7
Vorläufige Eigenverwaltung (M. Hofmann) ........................................................... 189
§8
Schutzschirmverfahren (Koch/Jung) ....................................................................... 253
§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss (Ampferl) ............................................................ 306
B. Eröffnetes Verfahren § 10 Anordnungsvoraussetzungen (Neußner) und nachträgliche Anordnung (Flöther) .................................................................................................................... 357 § 11 Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners (Bierbach) ..................................... 382 § 12 Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters (Minuth) ...................................... 424
VII
Inhaltsübersicht § 13 Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung (Specovius) ................................................................................................................ 466 § 14 Mitwirkung des Gläubigerausschusses (Ampferl) .................................................. 493 § 15 Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung (M. Hofmann) ....... 507 § 16 Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung (M. Hofmann) ................. 520 § 17 Aufhebung der Eigenverwaltung (Flöther) ............................................................. 533 § 18 Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit (Flöther) ............................ 542
C. Konzern § 19 Eigenverwaltung im nationalen Konzern (Kübler) ................................................ 561 § 20 Eigenverwaltung im internationalen Konzern (Kübler) ......................................... 588
D. Eigenverwaltung und EuInsVO § 21 Grenzüberschreitende Eigenverwaltung (Dreschers) ............................................. 604 § 22 frei
3. Teil Insolvenzplan A. Planvorbereitung und Planinitiative § 23 Planvorbereitung (Rendels) ..................................................................................... 638 § 24 Planinitiativrecht (Rendels) ..................................................................................... 664
B. Inhalt des Insolvenzplans § 25 Darstellender Teil des Insolvenzplans (Geiwitz/Schneider) ................................. 676 § 26 Gestaltender Teil des Insolvenzplans (Balthasar) .................................................. 693 § 27 Plananlagen (Zabel) .................................................................................................. 754
C. Einzelaspekte des darstellenden und gestaltenden Teils § 28 Gruppenbildung (Bierbach) ..................................................................................... 803 § 29 Fakultative Gläubigergruppen (Schöne) .................................................................. 827 § 30 Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe (Hölzle) ....................................... 834 § 31 Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap (Hölzle) .......................................................... 851 § 32 Kreditrahmen (Frege/Nicht) .................................................................................... 887 § 33 Umwandlungen im Planverfahren (Madaus) .......................................................... 898 § 34 Vergleichsrechnung (J. Schmidt) ............................................................................. 929
VIII
Inhaltsübersicht
D. Verfahrensablauf § 35 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung (C. Schmidt/Stahlschmidt) ...................................................................................... 969 § 36 Gläubigerausschuss (Ampferl) ................................................................................ 985 § 37 Ladung und Terminvorbereitung (C. Schmidt/Stahlschmidt) ............................ 1000 § 38 Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin (C. Schmidt/Stahlschmidt) ... 1007 § 39 Planänderungen (Pleister/Theusinger) .................................................................. 1015 § 40 Stimmrechte im Planverfahren (Kolmann) ........................................................... 1027 § 41 Obstruktionsverbot (F. Becker) ............................................................................ 1049 § 42 Planbestätigung (Westpfahl) ................................................................................. 1073 § 43 Minderheitenschutz, Rechtsmittel (Burmeister/Schmidt-Hern) ......................... 1095 § 44 Aufhebung des Insolvenzverfahrens (J. Schmidt) ............................................... 1147 § 45 Vollstreckungsschutz und besondere Verjährungsfrist (J. Schmidt) .................. 1165 § 46 Wirkungen des bestätigten Plans (Th. Schultze) .................................................. 1187 § 47 Planüberwachung und Planerfüllung (Mönning) ................................................. 1226 §§ 48, 49 frei
E. Konzern § 50 Insolvenzplan im nationalen Konzern (Pleister/Theusinger) .............................. 1274 § 51 Insolvenzplan im internationalen Konzern (Pleister/Theusinger) ...................... 1315
F. Formulare § 52 Musterinsolvenzplan und Planrechnungen mit Erläuterungen (Rendels/Zabel) ...................................................................................................... 1347 §§ 53, 54 frei
4. Teil Arbeitsrecht § 55 Arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen (Schöne) ............................................. 1438 § 56 frei
IX
Inhaltsübersicht
5. Teil Steuerrecht § 57 Steuerfolgen der Sanierung durch Insolvenzplan (Kahlert) ................................. 1481
6. Teil Evaluierung des ESUG § 58 Die Ergebnisse der ESUG-Evaluation und Zukunftsperspektiven der Restrukturierung in der Insolvenz (Thole) ........................................................................ 1547 Stichwortverzeichnis ......................................................................................................... 1561
X
Inhaltsverzeichnis*) Seite Vorwort zur 3. Auflage .......................................................................................................... V Inhaltsübersicht ................................................................................................................... VII Autorenverzeichnis ........................................................................................................ XXIII Literaturverzeichnis........................................................................................................ XXXI Abkürzungsverzeichnis............................................................................................... XXXIX
Einführung §1
Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht – Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung ..................................... 1
I.
Die Entwicklung eines modernen Insolvenzrechts für Unternehmen ...................... 1
II.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung ............. 3
III.
Aktuelle Entwicklungen................................................................................................ 5
IV.
Schlussfolgerungen........................................................................................................ 6
1. Teil Allgemeines §2
Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan ........................... 8
I.
Die systematische Stellung von Eigenverwaltung und Insolvenzplan in der InsO ... 8
II.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan – cui bono? ...................................................... 12
III.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan im Verbund ..................................................... 16
IV.
Problem der Fortführungsfinanzierung..................................................................... 19
§3
Sanierungsfähigkeit ................................................................................................... 22
I.
Vorbemerkungen......................................................................................................... 23
II.
Unternehmen in der Krise .......................................................................................... 24
III.
Sanierungsfähigkeit...................................................................................................... 33
IV.
Sanierungskonzept (IDW S 6).................................................................................... 39
§4
Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren..... 67
I.
Einleitung..................................................................................................................... 67
II.
Ausgangssituation ....................................................................................................... 68
III.
Absicherung des Kreditgebers .................................................................................... 70
IV.
Unechter und echter Massekredit .............................................................................. 74
___________ *)
Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden sich zu Beginn eines jeden Paragraphen.
XI
Inhaltsverzeichnis V.
Echter Massekredit ...................................................................................................... 77
VI.
Unechter Massekredit ................................................................................................. 78
VII. Zustimmungspflichten für den Abschluss eines Massekreditvertrags ..................... 85 §5
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren ... 89
I.
Einleitung ..................................................................................................................... 90
II.
Grundlagen der Unternehmenskommunikation ....................................................... 96
III.
Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren .......... 117
IV.
Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten........................................................................... 126
V.
Fazit ............................................................................................................................ 137
2. Teil Eigenverwaltung A. Eröffnungsverfahren §6
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte ............................ 138
I.
Eigenverwaltung im Eröffnungs- und im eröffneten Verfahren............................. 139
II.
Vorüberlegungen und vorbereitende Maßnahmen .................................................. 142
III.
Keine Nachteile für die Gläubiger durch die Eigenverwaltung............................... 153
IV.
Mehrwert der Eigenverwaltung................................................................................. 158
V.
Vorbesprechung mit dem Gericht ............................................................................ 161
VI.
Formelle Verfahrenseinleitung.................................................................................. 161
VII. Begründung, Anlagen und Prognosen...................................................................... 170 VIII. Entscheidung des Gerichts........................................................................................ 174 IX.
Rechtsmittel ............................................................................................................... 183
X.
Hinweispflicht des Gerichts...................................................................................... 185
XI.
Muster Insolvenzantrag mit Antrag Eigenverwaltung ............................................ 186
§7
Vorläufige Eigenverwaltung ................................................................................... 189
I.
Bedeutung des Eröffnungsverfahrens für den Verfahrensverlauf........................... 191
II.
Vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren............................................. 191
III.
Stellung von Schuldner und vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO................. 197
IV.
Betriebsfortführung bei vorläufiger Eigenverwaltung............................................. 224
V.
Weitere vorläufige Maßnahmen nach § 21 InsO ..................................................... 244
VI.
Auswirkungen der vorläufigen Eigenverwaltung auf laufende Rechtsstreite......... 248
VII. Haftung für Rechtshandlungen des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung......................................................................................................... 249
XII
Inhaltsverzeichnis §8
Schutzschirmverfahren............................................................................................ 253
I.
Einleitung................................................................................................................... 254
II.
Antrag ........................................................................................................................ 256
III.
Prüfung durch das Gericht........................................................................................ 271
IV.
Beschluss (§ 270b InsO) ........................................................................................... 273
V.
Rechtsmittel............................................................................................................... 287
VI.
Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren...................................................... 288
VII. Aufhebung der Maßnahmen durch das Gericht (§ 270b Abs. 4 InsO) ................. 298 VIII. Haftung der Organe des Schuldners ........................................................................ 301 IX.
Haftung des Schuldners ............................................................................................ 302
X.
Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens ............................................................... 303
§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss ............................................................................. 306
I.
Verortung der Gläubigermitwirkung ....................................................................... 307
II.
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ............................................... 308
III.
Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters/Insolvenzverwalters.................................................... 339
IV.
Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters – erneute Anhörung................................................... 349
V.
Allgemeine Rechte und Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses.............. 351
VI.
Recht zur Stellungnahme bei Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 3 InsO...................................................................................................... 352
VII. Besonderheiten beim Schutzschirmverfahren ......................................................... 354
B. Eröffnetes Verfahren § 10 Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung........................... 357 I.
Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung des Sachwalters......................... 357
II.
Anordnungsvoraussetzungen ................................................................................... 361
III.
Nachträgliche Anordnung ........................................................................................ 377
§ 11 Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners...................................................... 382 I.
Grundsätzliche Problemstellung und dogmatische Einordnung der Rechtsstellung des Schuldners ............................................................................................. 383
II.
Übersicht zur Aufgabenverteilung ........................................................................... 385
III.
Die Rechte und Aufgaben des Schuldners im Einzelnen ........................................ 386
IV.
Informations- und Mitwirkungspflichten................................................................ 417
V.
Konsequenzen von Verstößen und Kompetenzüberschreitungen......................... 418
VI.
Stellung der Organe des Schuldners ......................................................................... 418
VII. Der Berater des Schuldners....................................................................................... 422 XIII
Inhaltsverzeichnis § 12 Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters..................................................... 424 I.
Einführung ................................................................................................................. 425
II.
Die Aufsicht des Sachwalters als Reaktion auf die Missbrauchsanfälligkeit ......... 426
III.
Die Bestellung des Sachwalters ................................................................................. 428
IV.
Auskunfts- und Zutrittsrechte bei Aufnahme der Tätigkeit................................... 433
V.
Prüfungs- und Überwachungspflichten .................................................................. 433
VI.
Begründung von Verbindlichkeiten im Geschäftsbetrieb ....................................... 437
VII. Kassenführungsrecht des Sachwalters ...................................................................... 439 VIII. Besondere Zustimmungserfordernisse ..................................................................... 441 IX.
Schuldnerrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter ......................................... 447
X.
Redepflichten ............................................................................................................. 449
XI.
Die Geltendmachung von Gesamtschäden und der Gesellschafterhaftung ........... 451
XII. Anfechtung ................................................................................................................ 452 XIII. Das Tabellenverfahren............................................................................................... 453 XIV. Verzeichnisse, Schlussrechnung, Verteilung ........................................................... 454 XV. Planüberwachung im Insolvenzplanverfahren ......................................................... 457 XVI. Der Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts ...................................... 457 XVII. Beendigung der Sachwaltertätigkeit mit Aufhebung der Eigenverwaltung........... 459 XVIII. Besonderheiten in der Konzerninsolvenz .............................................................. 461 XIX. Praktische Zusammenarbeit ...................................................................................... 463 § 13 Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung ..... 466 I.
Einleitung ................................................................................................................... 466
II.
Zusammenspiel im Eröffnungsverfahren ................................................................. 468
III.
Zusammenspiel im eröffneten Insolvenzverfahren ................................................. 470
IV.
Konfliktpotenzial und Lösungen.............................................................................. 480
V.
Kommunikation mit dem Insolvenzgericht ............................................................. 482
VI.
Kommunikation mit der Gläubigerversammlung .................................................... 482
VII. Checklisten ................................................................................................................ 483 § 14 Mitwirkung des Gläubigerausschusses................................................................... 493 I.
Die Grundlagen des Gläubigerausschusses .............................................................. 493
II.
Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den anderen Verfahrensbeteiligten......... 498
III.
Die Anwendung des § 69 InsO bei der Eigenverwaltung ....................................... 499
IV.
Anzeigepflicht des Sachwalters gemäß § 274 InsO ................................................. 500
V.
Mitwirkungserfordernis bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung (§ 276 InsO)............................................................................................................... 501
VI.
Haftungsfragen .......................................................................................................... 504
XIV
Inhaltsverzeichnis § 15 Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung ............................ 507 I.
Funktionen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens ........................ 507
II.
Entgegennahme von Forderungsanmeldungen durch den Sachwalter................... 507
III.
Tabellenführung durch den Sachwalter.................................................................... 509
IV.
Forderungsprüfung ................................................................................................... 510
V.
Verteilung der Insolvenzmasse ................................................................................. 514
VI.
Abstimmung zwischen Sachwalter und Schuldner bei Forderungsprüfung und Verteilung ........................................................................................................... 517
VII. Besonderheiten in Verfahren mit großer Gläubigerzahl ......................................... 518 § 16 Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung ....................................... 520 I.
Rechtsstellung der Gläubigerversammlung ............................................................. 520
II.
Einberufung ............................................................................................................... 521
III.
Vorbereitung ............................................................................................................. 523
IV.
Durchführung ........................................................................................................... 525
V.
Beschlussfassung........................................................................................................ 528
§ 17 Aufhebung der Eigenverwaltung ........................................................................... 533 I.
Aufhebung der Anordnung (§ 272 InsO)................................................................ 533
II.
Aufhebung durch Beendigung des Insolvenzverfahrens......................................... 541
§ 18 Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit ........................................ 542 I.
Haftung des Schuldners ............................................................................................ 542
II.
Haftung des Sachwalters ........................................................................................... 553
III.
Liquiditätsplanung..................................................................................................... 559
IV.
Masseunzulänglichkeit .............................................................................................. 560
C. Konzern § 19 Eigenverwaltung im nationalen Konzern ............................................................. 561 I.
Allgemeines................................................................................................................ 561
II.
Voraussetzungen der Eigenverwaltung im Konzern ............................................... 563
III.
Rechtsfolgen der Anordnung der Eigenverwaltung im Konzern ........................... 568
IV.
Koordinierung der Verfahren über mehrere Konzerngesellschaften ..................... 572
V.
Haftung ...................................................................................................................... 585
§ 20 Eigenverwaltung im internationalen Konzern..................................................... 588 I.
Europäisches und internationales Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Konzerninsolvenzrechts ..................................................................................... 588
II.
Allgemeine Grundfragen der europäischen und internationalen Konzerninsolvenz .................................................................................................................... 590
III.
Eigenverwaltung im Konzern nach der EuInsVO................................................... 594 XV
Inhaltsverzeichnis
D. Eigenverwaltung und EuInsVO § 21 Grenzüberschreitende Eigenverwaltung ............................................................... 604 I.
Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im internationalen Vergleich ................. 604
II.
Die Eigenverwaltung unter dem Regime der EuInsVO .......................................... 616
III.
Ausblick: Die Eigenverwaltung im präventiven Restrukturierungsverfahren ....... 635
§ 22 frei
3. Teil Insolvenzplan A. Planvorbereitung und Planinitiative § 23 Planvorbereitung ...................................................................................................... 638 I.
Fehlschlagsfaktoren außergerichtlicher Restrukturierung...................................... 638
II.
Taktisches Herangehen an den Insolvenzplan......................................................... 648
III.
Checklisten zur Planvorbereitung ............................................................................ 656
§ 24 Planinitiativrecht...................................................................................................... 664 I.
Überblick; Verhältnis von Schuldner- und Gläubigerschutz .................................. 664
II.
Zeitpunkt der Planvorlage, Unternehmensplanung ................................................ 666
III.
Initiativrecht des Schuldners..................................................................................... 667
IV.
Initiativrecht des Insolvenzverwalters...................................................................... 672
V.
Auftrag der Gläubigerversammlung (§ 157 Satz 2 InsO) ....................................... 673
VI.
Arbeitnehmer/Betriebsrat ......................................................................................... 674
VII. Wirkungen der Planvorlage ....................................................................................... 675 VIII. Planrücknahme........................................................................................................... 675
B. Inhalt des Insolvenzplans § 25 Darstellender Teil des Insolvenzplans ................................................................... 676 I.
Aufbau des Insolvenzplans........................................................................................ 676
II.
Grundsätzliche Ziele, Art und Regelungsstruktur des Insolvenzplans .................. 678
III.
Gruppenbildung......................................................................................................... 678
IV.
Umgestaltungskonzept ............................................................................................. 680
V.
Steuerrechtliche Verhältnisse .................................................................................... 691
VI.
Geheimhaltungserfordernisse und Auswirkung auf den Insolvenzplan................. 692
§ 26 Gestaltender Teil des Insolvenzplans..................................................................... 693 I.
Überblick.................................................................................................................... 694
II.
Funktionen des Insolvenzplans ................................................................................ 695
III.
Beteiligte..................................................................................................................... 696
XVI
Inhaltsverzeichnis IV.
Gruppenbildung......................................................................................................... 704
V.
Verfügungen .............................................................................................................. 706
VI.
Gesellschafterleistungen und Leistungen Dritter.................................................... 721
VII. Gestaltung der Insolvenzquote................................................................................. 721 VIII. Bedingungen und Befristungen ................................................................................ 732 IX.
Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen..................................................... 740
X.
Exkurs: Haftung des Insolvenzverwalters bei Scheitern des Plans ........................ 753
§ 27 Plananlagen............................................................................................................... 754 I.
Vorbemerkungen....................................................................................................... 755
II.
Allgemeine Plananlagen ............................................................................................ 756
III.
Verzeichnis der Gläubiger......................................................................................... 757
IV.
Plananlagen nach §§ 153, 229 InsO ......................................................................... 766
V.
Plananlagen nach § 226 InsO.................................................................................... 791
VI.
Plananlagen nach § 230 InsO.................................................................................... 792
VII. Stellungnahmen zum Insolvenzplan (§ 232 InsO).................................................. 800
C. Einzelaspekte des darstellenden und gestaltenden Teils § 28 Gruppenbildung....................................................................................................... 803 I.
Einführung in die Grundsätze der Gruppenbildung ............................................... 804
II.
Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 InsO: Obligatorische Gruppen ..................... 810
III.
Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO: Fakultative Gruppen............................ 816
IV.
Sonderfälle der Gruppenbildung .............................................................................. 822
§ 29 Fakultative Gläubigergruppen ............................................................................... 827 I.
Arbeitnehmer............................................................................................................. 827
II.
Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) ..................................................................... 830
III.
Kleingläubiger und geringfügig Beteiligte................................................................ 831
IV.
Ein-Gläubiger-Gruppe .............................................................................................. 832
§ 30 Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe ................................................... 834 I.
Grundsätzliche Bedeutung von Absonderungsrechten im Insolvenzplanverfahren .................................................................................................................... 834
II.
Eingriffe in Absonderungsrechte und Zustimmungserfordernisse ........................ 837
III.
Rangverhältnis zwischen absonderungsberechtigten und ungesicherten Gläubigern?................................................................................................................ 844
IV.
Präklusion von für den Ausfall festgestellten Forderungen im Insolvenzplan...... 845
V.
Das Verhältnis von absonderungsberechtigten Gläubigern zu Gesellschaftern des Schuldners im Fortführungsplan........................................................................ 846
VI.
Drittsicherheiten ....................................................................................................... 850 XVII
Inhaltsverzeichnis § 31 Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap ........................................................................ 851 I.
Anteilsinhaber als Gläubigergruppe ......................................................................... 851
II.
Rechtfertigung des Eingriffs in Anteilsrechte ......................................................... 853
III.
Insolvenzspezifische Gestaltungsfreiheit: Katalog der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen.............................................................................................. 857
IV.
Sonderfall: Debt-Equity-Swap .................................................................................. 869
V.
Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse der Alt-Gesellschafter .................. 884
VI.
Formerfordernisse ..................................................................................................... 885
VII. Kollision mit schuldrechtlichen Vertragsklauseln ................................................... 886 § 32 Kreditrahmen............................................................................................................ 887 I.
Regelungsinhalt der §§ 264 ff. InsO und Bedeutung für die Unternehmenssanierung .................................................................................................................... 888
II.
Tatbestandsmerkmale für eine Privilegierung von Darlehen .................................. 892
III.
Rechtliche Grenzen für den Darlehensvorrang ....................................................... 894
IV.
Notwendige Vereinbarung mit den Darlehensgebern und Bestätigung durch den Insolvenzverwalter ................................................................................... 895
V.
Behandlung von Gesellschafterdarlehen .................................................................. 895
VI.
Umfang der Privilegierung ........................................................................................ 896
VII. Zeitpunkt der Privilegierung ..................................................................................... 896 VIII. Öffentliche Bekanntmachung ................................................................................... 897 § 33 Umwandlungen im Planverfahren......................................................................... 898 I.
Die Zulässigkeit einer Umwandlung in der Insolvenz der Gesellschaft................. 899
II.
Die mit Umwandlungsmaßnahmen erreichbaren Sanierungseffekte ..................... 903
III.
Die Nutzung der Wirkungsmacht eines Insolvenzplans für Umwandlungen ....... 906
IV.
Die einzelnen Umwandlungsarten als Plangegenstand ........................................... 913
§ 34 Vergleichsrechnung ................................................................................................. 929 I.
Einführung ................................................................................................................. 930
II.
Gesetzliche Regelungen zur Vergleichsrechnung? .................................................. 931
III.
Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung ................................................................. 932
IV.
Adressaten und Prüfung der Vergleichsrechnung ................................................... 932
V.
Formelle Anforderungen an die Vergleichsrechnung.............................................. 943
VI.
Materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung............................................ 945
VII. Vergleichsmaßstab ..................................................................................................... 950
XVIII
Inhaltsverzeichnis
D. Verfahrensablauf § 35 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung ..................................... 969 I.
Funktionelle Zuständigkeit....................................................................................... 969
II.
Vorprüfung durch das Gericht ................................................................................. 971
III.
Niederlegung des Insolvenzplans ............................................................................. 983
§ 36 Gläubigerausschuss .................................................................................................. 985 I.
Vorbemerkungen....................................................................................................... 985
II.
Beratende Mitwirkung bei der Planerstellung (§ 218 Abs. 3 InsO)....................... 986
III.
Zustimmungsrechte................................................................................................... 989
IV.
Informationsrechte.................................................................................................... 991
V.
Haftungsfragen.......................................................................................................... 999
§ 37 Ladung und Terminvorbereitung ........................................................................ 1000 I.
Beteiligungsverfahren.............................................................................................. 1000
II.
Terminvorbereitung ................................................................................................ 1001
§ 38 Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin........................................... 1007 I.
Ablauf des Termins ................................................................................................. 1007
II.
Verbindung von Terminen...................................................................................... 1008
III.
Gesonderter Abstimmungstermin.......................................................................... 1008
IV.
Verbindung mit dem Prüfungstermin .................................................................... 1009
V.
Erörterung des Insolvenzplans ............................................................................... 1010
VI.
Das Abstimmungsverfahren ................................................................................... 1011
VII. Änderung des Insolvenzplans................................................................................. 1012 VIII. Weitere Verfahrensschritte ..................................................................................... 1013 § 39 Planänderungen...................................................................................................... 1015 I.
Bedeutung ................................................................................................................ 1015
II.
Inhaltliche Reichweite der Änderungen................................................................. 1015
III.
Zeitpunkt der Änderungen ..................................................................................... 1020
IV.
Berechtigung zur Planänderung.............................................................................. 1023
V.
Mitwirkung des Gerichts; erneute Prüfung nach § 231 InsO............................... 1023
VI.
Abgrenzung zu Planänderungen nach rechtskräftiger Bestätigung ..................... 1025
VII. Abgrenzung von Planberichtigung und Planänderung ......................................... 1025 § 40 Stimmrechte im Planverfahren ............................................................................ 1027 I.
Überblick ................................................................................................................. 1027
II.
Voraussetzungen des Stimmrechts......................................................................... 1029
III.
Stimmliste (§ 239 InsO) ......................................................................................... 1044
IV.
Ablauf des Abstimmungsverfahrens ...................................................................... 1044 XIX
Inhaltsverzeichnis § 41 Obstruktionsverbot................................................................................................ 1049 I.
Zweck und Hintergrund.......................................................................................... 1049
II.
Vergleichsrechnung ................................................................................................. 1052
III.
Angemessenheit der Beteiligung............................................................................. 1060
IV.
Zustimmung der Mehrheit der Gruppen................................................................ 1068
V.
Salvatorische Klausel im Plan .................................................................................. 1069
VI.
Verfahren und Rechtsmittel.................................................................................... 1072
§ 42 Planbestätigung ...................................................................................................... 1073 I.
Funktion der Bestätigung........................................................................................ 1073
II.
Formelle Voraussetzungen für die Bestätigung ..................................................... 1074
III.
Materieller Prüfungsumfang ................................................................................... 1078
IV.
Gerichtliche Entscheidung...................................................................................... 1091
§ 43 Minderheitenschutz, Rechtsmittel ....................................................................... 1095 I.
Minderheitenschutz................................................................................................. 1096
II.
Rechtsmittel ............................................................................................................. 1120
§ 44 Aufhebung des Insolvenzverfahrens.................................................................... 1147 I.
Allgemeines .............................................................................................................. 1147
II.
Voraussetzungen der Verfahrensaufhebung (§ 258 Abs. 1 InsO)........................ 1149
III.
Verfahren zur Aufhebung ....................................................................................... 1161
IV.
Wirkungen der Aufhebung (§ 259 InsO) .............................................................. 1163
§ 45 Vollstreckungsschutz und besondere Verjährungsfrist ..................................... 1165 I.
Einführung ............................................................................................................... 1165
II.
Vollstreckungsschutz durch § 259a InsO .............................................................. 1173
III.
Besondere Verjährung (§ 259b InsO) .................................................................... 1183
§ 46 Wirkungen des bestätigten Plans.......................................................................... 1187 I.
Rechtsmittel, Rechtskraft (§ 253 InsO)................................................................. 1188
II.
Durchbrechung der Rechtskraft ............................................................................. 1190
III.
Allgemeine Wirkungen des Insolvenzplans (§ 254 InsO) .................................... 1191
IV.
Geltung für Nachzügler, Präklusionsklauseln (§ 254b InsO) .............................. 1210
V.
Drittsicherheiten (§ 254 Abs. 2 InsO) ................................................................... 1212
VI.
Endgültige Mehrbefriedigung eines Gläubigers (§ 254 Abs. 3 InsO) .................. 1214
VII. Behandlung von strittigen und Ausfallforderungen (§ 256 InsO) ....................... 1216 VIII. Wiederaufleben; Nichterfüllung des Plans (§ 255 InsO)...................................... 1218 IX.
XX
Vollstreckungswirkung (§ 257 InsO)..................................................................... 1223
Inhaltsverzeichnis § 47 Planüberwachung und Planerfüllung .................................................................. 1226 I.
Einleitung................................................................................................................. 1227
II.
Anordnung der Überwachung................................................................................ 1229
III.
Gegenstand der Überwachung ............................................................................... 1232
IV.
Überwachung durch Insolvenzverwalter ............................................................... 1241
V.
Überwachung durch den Sachwalter ...................................................................... 1251
VI.
Gläubigerausschuss.................................................................................................. 1253
VII. Aufsicht des Insolvenzgerichts............................................................................... 1255 VIII. Erweiterung der Überwachung durch Zustimmungsvorbehalte .......................... 1259 IX.
Andere Formen der Überwachung......................................................................... 1262
X.
Kreditaufnahme während der Überwachung ......................................................... 1263
XI.
Der gescheiterte Insolvenzplan .............................................................................. 1264
XII. Fazit.......................................................................................................................... 1273 §§ 48, 49 frei
E. Konzern § 50 Insolvenzplan im nationalen Konzern ................................................................ 1274 I.
Die Insolvenz im Konzern...................................................................................... 1275
II.
Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Konzernunternehmen................ 1300
III.
Sicherheiten für Gläubiger durch Konzerngesellschaften..................................... 1312
§ 51 Insolvenzplan im internationalen Konzern........................................................ 1315 I.
Einführung ............................................................................................................... 1316
II.
Zuständigkeit ........................................................................................................... 1318
III.
Haupt-, Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren .......................................... 1324
IV.
Anerkennung von Insolvenzplänen........................................................................ 1328
F. Formulare § 52 Musterinsolvenzplan und Planrechnungen mit Erläuterungen....................... 1347 §§ 53, 54 frei
4. Teil Arbeitsrecht § 55 Arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen .......................................................... 1438 I.
Sanierungsbeiträge der Arbeitnehmer – Individualrechtliche Vereinbarungen ... 1439
II.
Sanierungsbeiträge der Arbeitnehmer – Kollektivrechtliche Vereinbarungen .... 1444
XXI
Inhaltsverzeichnis III.
Umstrukturierungen/Betriebsänderungen mit Interessenausgleich und Sozialplan.................................................................................................................. 1455
IV.
Asset Deal und Betriebs(teil)übergang nach § 613a BGB..................................... 1465
V.
Kündigungen............................................................................................................ 1469
VI.
Transfergesellschaften zur Beschleunigung personalwirtschaftlicher Maßnahmen.............................................................................................................. 1476
VII. Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Planverfahren ............................................. 1477 § 56 frei
5. Teil Steuerrecht § 57 Steuerfolgen der Sanierung durch Insolvenzplan .............................................. 1481 I.
Einleitung ................................................................................................................. 1483
II.
Grundzüge der Besteuerung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren ...................... 1485
III.
Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen im Insolvenzverfahren ........................ 1503
IV.
Insolvenzrechtliche Qualifikation .......................................................................... 1535
V.
Steuerfolgen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ....................................... 1537
VI.
Steuerhaftung gemäß § 69 AO................................................................................ 1541
VII. Steuerhaftung gemäß § 73 AO................................................................................ 1546
6. Teil Evaluierung des ESUG § 58 Die Ergebnisse der ESUG-Evaluation und Zukunftsperspektiven der Restrukturierung in der Insolvenz ................................................................ 1547 I.
Grundlagen............................................................................................................... 1547
II.
Allgemeine Ergebnisse der Evaluation ................................................................... 1548
III.
Wesentliche Ergebnisse der strukturierten Befragung .......................................... 1549
IV.
Ergebnisse der rechtswissenschaftlichen Analyse.................................................. 1550
V.
Reformperspektiven ................................................................................................ 1557
Stichwortverzeichnis........................................................................................................ 1561
XXII
Autorenverzeichnis Dr. Hubert Ampferl, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Diplom-Betriebswirt (FH), ist Partner der Kanzlei Dr. Beck & Partner GbR. Als Insolvenzverwalter und als Sachwalter bei Eigenverwaltungen bzw. Schutzschirmverfahren ist er spezialisiert auf operative sowie finanzwirtschaftliche Restrukturierungen mittelständischer Unternehmen. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Fortführung insolventer Unternehmen und der Entwicklung branchenspezifischer Sanierungskonzepte – insbesondere im Projektgeschäft und im Anlagenbau. Ziel seiner Unternehmenssanierungen ist stets die Hebung von Massepotentialen für die (Sicherheiten-)Gläubiger. Im Rahmen der insolvenzrechtlichen Entscheidungsprozesse setzt er auf die Schaffung größtmöglicher Transparenz für Gläubiger und Arbeitnehmervertreter. Er ist Mitautor im Handbuch „Praxis der Insolvenz“ (hrsg. v. Beck/Depré) und im „Bankenkommentar zum Insolvenzrecht“ (hrsg. v. Cranshaw/ Paulus/Michel). Dr. Helmut Balthasar, Diplom-Kaufmann, Rechtsanwalt, ist Partner der Sozietät GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB und schwerpunktmäßig im Gesellschafts- und Restrukturierungsrecht tätig. Neben der Beratung übernimmt er auch operative Verantwortung. Er ist Mitautor im Kommentar Nerlich/Römermann, „Insolvenzordnung“. Dr. Florian Becker, Rechtsanwalt, ist Partner bei Noerr LLP in München und schwerpunktmäßig im Gesellschafts- und Insolvenzrecht tätig. Er berät seit Jahren Insolvenzverwalter und Investoren in Restrukturierungssituationen, vor allem bei Transaktionen aus der Insolvenz. Zudem verantwortet er bei Noerr den Bereich Distressed M&A. Axel W. Bierbach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der überörtlichen Insolvenzkanzlei Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen. Er wird seit 1998 an verschiedenen Gerichten, vor allem in München und Oberbayern sowie in Südthüringen als Insolvenzverwalter bestellt. In zahlreichen, auch internationalen Verfahren, mit und ohne Eigenverwaltung, konnte er Unternehmen durch Betriebsfortführungen und Insolvenzplanverfahren erfolgreich sanieren. Im VID Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. ist er seit 2015 Mitglied des Vorstands, leitet den Ausschuss „Internationales“, übernimmt die Interessenvertretung der Verbandsmitglieder in Brüssel und vertritt den VID im europäischen Dachverband nationaler Insolvenzverwaltervereinigungen, EIP. Er ist außerdem Mitglied des Gravenbrucher Kreises, Mitglied der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein und dort Beirat in der Europagruppe. Dr. Andrea Braun ist als Rechtsanwältin bei der international tätigen Sozietät Noerr LLP in Frankfurt am Main tätig. Sie ist im Insolvenzrecht spezialisiert und berät Gläubiger, Investoren und Unternehmen oder deren Organe in wirtschaftlichen Krisensituationen und Restrukturierungen. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind Überbrückungs- und Sanierungsfinanzierungen und Forderungsrestrukturierungen bei Konsortialkrediten oder Anleihen. Dr. Frank Burmeister, Rechtsanwalt und Notar, ist Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Er ist schwerpunktmäßig in den Bereichen Gesellschaftsrecht sowie M&A tätig. Er ist u. a. Mitherausgeber des „Münchener Vertragshandbuchs Gesellschaftsrecht“ und berät regelmäßig Investoren bei Käufen aus der Insolvenz und in insolvenznahen Transaktionen. Prof. Dr. Martin Dreschers, Rechtsanwalt, ist Partner der überregionalen Sozietät DENS Insolvenzverwalter und wird regelmäßig von den Insolvenzgerichten Aachen, Köln und Mönchengladbach in Verfahren aller Branchen und Größenordnungen zum SachverstänXXIII
Autorenverzeichnis digen, Treuhänder, Sachwalter und Insolvenzverwalter bestellt. Er ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und verfügt über eine mehrjährige Erfahrung im Umgang mit grenzüberschreitenden Insolvenzen. Neben einer umfassenden Vortragstätigkeit im In- und Ausland ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen zu allen Bereichen des Insolvenzrechts. Prof. Dr. Lucas F. Flöther ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Gründungspartner der Sozietät Flöther & Wissing Rechtsanwälte in Halle. Die Sozietät zählt im Bereich der Insolvenzverwaltung zu den führenden überregional tätigen Kanzleien Deutschlands und hat sich auf die Verwaltung und Sanierung großer Unternehmen spezialisiert. Prof. Dr. Flöther wird seit 1999 als Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverwalter beauftragt und betreute bislang über 1.000 Unternehmensinsolvenzen. Er ist Vorstandsmitglied im VID Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V., Vorsitzender des Ausschusses Insolvenzrecht der Bundesrechtsanwaltskammer sowie Sprecher des Gravenbrucher Kreises. Er referiert und veröffentlicht regelmäßig zum Insolvenzrecht, insbesondere im Bereich der Eigenverwaltung, des Insolvenzplans und des internationalen Insolvenzrechts. Seit 2012 ist er Honorarprofessor für Bürgerliches Recht und Insolvenzrecht an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Dr. Michael C. Frege, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter und Wirtschaftsmediator, ist Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Seinen beruflichen Schwerpunkt hat er in der Insolvenzverwaltung, insbesondere von international tätigen Konzernunternehmen und Kreditinstituten. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und Fachbücher, u. a. Frege/Riedel, „Schlussbericht und Schlussrechnung“, Frege/Keller/Riedel, „HRP Handbuch der Rechtspraxis Insolvenzrecht“, Frege, „Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung“ und Frege, „Der Sonderinsolvenzverwalter“. Arndt Geiwitz, Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, ist seit 2004 Partner bei SGP Schneider Geiwitz sowie Geschäftsführer und Gesellschafter der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft SGP Schneider Geiwitz GmbH in Neu-Ulm. Seit 2000 wird er regelmäßig an ca. 11 Gerichten zum Insolvenzverwalter bestellt. Seit 2011 ist er zudem Mitglied des Gravenbrucher Kreises. Dr. Matthias Hofmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist seit 2009 Partner der Kanzlei Pohlmann Hofmann Insolvenzverwalter Rechtsanwälte Partnerschaft, die mit Standorten in München, Augsburg und Ulm in der Unternehmensinsolvenzverwaltung und in der Begleitung von Eigenverwaltungen tätig ist. Er gehört zu den meistbestellten Insolvenzverwaltern in Bayern und wurde seit 2007 in über 700 Unternehmensinsolvenzverfahren als Gutachter, (vorl.) Insolvenzverwalter oder (vorl.) Sachwalter bestellt. Darüber hinaus ist er mit einer Veranstaltung zum Thema „Eigenverwaltung“ Lehrbeauftragter des Masterstudiengangs Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Mit dem Thema „Eigenverwaltung“ hat sich Dr. Matthias Hofmann bereits im Rahmen seiner Dissertation sowie im Rahmen mehrerer Veröffentlichungen befasst. Er ist Mitautor des InsO-Kommentars „Graf-Schlicker“ und Verfasser zahlreicher insolvenzrechtlicher Aufsätze und Urteilsanmerkungen. Zudem ist er Alleinautor des in 2016 in 2. Auflage erschienenen ZIPPraxisbuchs „Eigenverwaltung“. Dr. habil. Gerrit Hölzle, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, ist Partner der überregionalen Sozietät GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Er ist im Schwerpunkt als Insolvenzverwalter tätig; in einer Vielzahl auch großer Eigenverwaltungen hat er Organverantwortung übernommen und Unternehmenssanierungen in zum Teil auch sehr komplexen Insolvenzplanverfahren gestaltet. Er hat sich im Jahr 2011 an der Universität Bremen
XXIV
Autorenverzeichnis mit der venia legendi für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Insolvenzund Steuerrecht habilitiert und ist seither dort als Privatdozent tätig. Dr. Gerrit Hölzle ist durch eine Vielzahl von Publikationen im Insolvenzrecht sowie dem insolvenznahen Gesellschafts- und Steuerrecht ausgewiesen. Er ist Mitautor des InsO-Kommentars von Karsten Schmidt, gemeinsam mit Prof. Dr. Reinhard Bork Herausgeber des „Handbuchs Insolvenzrecht“ und Alleinautor des bereits in zweiter Auflage erschienenen „Praxisleitfaden ESUG“. Burkhard Jung, Diplom-Ingenieur, ist Partner und Geschäftsführer bei den Restrukturierungspartnern, einer bundesweit tätigen Restrukturierungs- und Sanierungsberatung. Er verfügt über langjährige, in vielen Beratungsmandaten erworbene umfassende Erfahrungen in der außergerichtlichen Sanierung und in der Sanierung in der Insolvenz (Regel-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren). Dabei übernimmt er auch häufig die operative Verantwortung in Unternehmen. Burkhard Jung ist Vorsitzender des Fachverbandes Sanierungs- und Insolvenzberatung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater BDU e. V. Dr. Günter Kahlert, Rechtsanwalt und Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Hamburg. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung und Vertretung von Unternehmen, Geschäftsführungsorganen und Insolvenzverwaltern an der Schnittstelle Insolvenzrecht/ Steuerrecht. Dr. Kahlert ist Vorsitzender des Hamburger Kreis für Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht e. V., Gastdozent an der Bundesfinanzakademie und Mitglied des Herausgeberbeirats der „ZIP“. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig zu Themen an der Schnittstelle Insolvenzrecht/Steuerrecht. Dr. Steffen Koch, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, ist Partner im Hamburger Büro und Standortleiter für die Büros in Bielefeld, Hannover und Kassel von hww wienberg wilhelm, einer bundesweit agierenden Kanzlei für Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung. Darüber hinaus hat er für hww wienberg wilhelm in den letzten Jahren ein weltweites Netzwerk von Restrukturierungsspezialisten aufgebaut, das als „hww insolvency cooperation partners“ grenzüberschreitende Fragestellungen abbildet. Er ist u. a. aktives Mitglied von ABI, IBA, INSOL International sowie deutscher Vertreter im Council von INSOL Europe. Dr. Stephan Kolmann, Rechtsanwalt, ist in der Restrukturierungsberatung sowie in der Insolvenzverwaltung von BBL Bernsau Brockdorff & Partner in München als Partner tätig. Seine Veröffentlichungen umfassen u. a. die Kapitel „Internationales Insolvenzrecht“ und „Die GmbH in der Insolvenz“ im Insolvenzrechtshandbuch (hrsg. v. Gottwald), die Kommentierung der „Gesellschafterfremdfinanzierung“, der „krisenbezogenen Geschäftsführerpflichten und -haftungsrisiken“ im Handkommentar GmbHG (hrsg. v. Saenger/Inhester) sowie das ZIP-Praxisbuch „Schutzschirmverfahren“. Er referiert regelmäßig zum Wirtschafts- und Insolvenzrecht. Dr. Bruno M. Kübler, Rechtsanwalt, Gründer und Seniorpartner der bundesweit tätigen Sozietät KÜBLER, einer der führenden deutschen Insolvenzkanzleien, hat mehr als 30 Jahre Erfahrung als Insolvenzverwalter und wurde in zahlreichen Großverfahren als Verwalter eingesetzt. Er war mehrere Jahre Präsident von INSOL Europe sowie Mitgründer und langjähriger Sprecher des Gravenbrucher Kreises. Er ist Mitherausgeber und -autor des InsOKommentars Kübler/Prütting/Bork und Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschriften „ZIP“, „EWiR“ und „ZfIR“. Prof. Dr. Stephan Madaus ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist Mitherausgeber der „NZI“ und Autor zahlreicher Veröffentlichungen mit Schwerpunkt zum Recht der Unternehmenssanierung in Deutschland und Europa. Als Mitglied des International Insolvency Institute leitet er derzeit gemeinsam mit Prof. Louise Gullifer dessen XXV
Autorenverzeichnis Academic Committee. Zuletzt verantwortete er gemeinsam mit Prof. Bob Wessels (Leiden University) das European Law Institute‘s Project on Rescue of Business in Insolvency Law und erstellte als Mitglied der Bietergemeinschaft für das BMJV den Bericht zur ESUG Evaluierung. Dr. Peter C. Minuth, Rechtsanwalt, M.A. Econ. (USA), ist seit 2003 Partner bei Rechtsanwälten Piepenburg – Gerling in Düsseldorf. Er wird regelmäßig zum Treuhänder und Insolvenzverwalter bestellt. Darüber hinaus wirkte er in zahlreichen, auch international bekannten Insolvenzverfahren mit und betreute verschiedene Mandate in der Sanierungsberatung. Dr. Peter C. Minuth referierte und veröffentlichte u. a. zum Insolvenzplanverfahren, zum ESUG und zur Eigenverwaltung. Er ist auch Autor zu Fragen des amerikanischen Insolvenzrechts. Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Rechtsanwalt, war Gründer und Seniorpartner der 1980 mit Stammsitz in Aachen errichteten Sozietät Mönning & Georg. Ab 1.7.2017 vereinigten sich Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning und Udo Feser in der überregional tätigen Sozietät Mönning Feser Partner, die sich auf die professionelle Abwicklung von Insolvenzverfahren sowie Sanierungsberatung spezialisiert hat. Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren beauftragt. Er hat bis heute etwa 2.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen, z. B. über „Betriebsfortführung in der Insolvenz“. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter war er bis zu seiner Emeritierung ordentlicher Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen. Prof. Dr. Anette U. Neußner, LL.M. oec., Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin, ist seit mehr als 15 Jahren mit komplexen insolvenzrechtlichen Rechtsfragen und Vertragsgestaltungen, insbesondere in Sanierungskonstellationen, befasst. Sie berät bei der Einleitung und in Insolvenzverfahren wie auch Investoren beim Erwerb aus der Insolvenz. Seit ESUG konzentriert sich ihre Tätigkeit auf Eigenverwaltungsverfahren und die Erstellung von Insolvenzplänen. Nach vielen Jahren in einer bundesweit tätigen, führenden deutschen Insolvenzkanzlei hat sich Frau Neußner der Kanzlei Pohlmann Hofmann mit Hauptstandort München und Niederlassungen in Augsburg und Ulm angeschlossen. Zu ihren Veröffentlichungen gehören insbesondere das Sonderrecht für Gesellschafterleistungen in der Insolvenz im Graf-Schlicker InsO-Kommentar sowie die Mitautorenschaft im „Kölner Kommentar zum Insolvenzplanverfahren“ (angekündigt für 2018). Frau Neußner referiert regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. An der Universität Erfurt hat sie eine Honorarprofessur inne. Prof. Dr. Matthias Nicht, Hochschullehrer, war er über mehrere Jahre als Rechtsanwalt bei der CMS Hasche Sigle Insolvenzberatung und –verwaltung tätig, zuletzt in der Position eines Counsel. Sein Arbeitsschwerpunkt lag in der Insolvenzverwaltung international tätiger Konzernunternehmen. Daneben war er mit der insolvenzspezifischen Beratung und Vertragsgestaltung befasst, insbesondere im Kontext von Finanzierungsverträgen. Seit 2016 ist er als Professor für Bürgerliches Recht, Vollstreckungs- und Insolvenzrecht, Registerrecht tätig. In diesem Rahmen ist er vornehmlich für die theoretische Ausbildung von Rechtspflegern für die Amtsgerichte zuständig. Er ist Autor u. a. im „Handbuch Konzerninsolvenzrecht“ (hrsg. v. Wilhelm), „Handbuch Konzerninsolvenzrecht“ (hrsg. v. Flöther), „Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts“ (hrsg. v. Theiselmann). Er kommentiert Vorschriften der InsO im „Online-Kommentar zur InsO“ des Beck-Verlages und im „Kölner Kommentar zur InsO“.
XXVI
Autorenverzeichnis Prof. Dr. Christian Pleister, Rechtsanwalt, Partner bei Noerr LLP in Berlin und Frankfurt am Main. Er leitet das Corporate Team von Noerr, zu dem auch die Beratung in Restrukturierung, Distressed M&A und Insolvenzrecht zählt. Er berät schwerpunktmäßig Gläubiger, Unternehmen, Insolvenzverwalter und Investoren im Gesellschafts- und Insolvenzrecht, insbesondere bei Restrukturierungen und Transaktionen. Prof. Dr. Christian Pleister war Sachverständiger bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags zum ESUG und ist regelmäßig Referent zum Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Dr. Dietmar Rendels, Rechtsanwalt, ist Partner der überregionalen Sozietät KÜBLER in Köln. Er ist seit über 25 Jahren schwerpunktmäßig als Berater und Prozessanwalt im Sanierungs- und Insolvenzbereich tätig. Er referiert regelmäßig zum Sanierungs- und Insolvenzrecht und veröffentlicht als Fachautor u. a. in ZIP und EWiR. Er ist Mitautor des ZIPPraxisbuches „Insolvenzplan“ (gemeinsam mit Karsten Zabel; 2. Aufl., 2015). Dr. Dietmar Rendels war im Gesetzgebungsverfahren zum ESUG Sachverständiger im Rahmen einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Carsten Schmidt, Diplom-Rechtspfleger (FH), ist seit vielen Jahren für das Justizministerium NRW im Bereich der Umsetzung von Insolvenzverfahren tätig. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe Insolvenzverfahren 4.0 und hat in der Expertengruppe zur Vernetzung der Insolvenzregister der EU-Kommission mitgewirkt. Er begleitet in NRW die verschiedenen Reformen des Insolvenzrechts und die Weiterentwicklung der Gerichtssoftware in NRW. Darüber hinaus ist er mit der Durchführung von begleitenden Seminaren für die Rechtsanwender befasst. Dr. Jens M. Schmidt, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Mediator, ist Partner der Sozietät Runkel Schneider Weber (RSW), Wuppertal. Er wird regelmäßig als Insolvenzverwalter durch die Amtsgerichte Wuppertal und Köln bestellt. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen über die Insolvenzverwaltung hinaus in der Sanierungsberatung und Vertretung von Unternehmen und Organen in der Krise und Restrukturierung. Er ist Mitherausgeber der „Festschrift für Hans Peter Runkel“ und des „Anwaltshandbuchs Insolvenzrecht“ sowie Autor verschiedener Publikationen zum Thema Insolvenzrecht. Darüber hinaus referiert er regelmäßig zu Themen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts. Dr. Karsten Schmidt-Hern ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main und Partner im Frankfurter Büro der Sozietät Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Seine Tätigkeitsschwerpunkte lagen in den Bereichen M&A und Gesellschaftsrecht. In diesem Rahmen begleitete er regelmäßig Restrukturierungen und insolvenznahe Transaktionen. Er ist Mitautor des „Beck’schen Handbuchs der AG“. Dr. Felix Schneider, M.A., ist seit 2015 bei der Kanzlei SGP Schneider Geiwitz in der Restrukturierungsberatung sowie der Wirtschaftsprüfung tätig. Im Restrukturierungsbereich befasst er sich vorrangig mit der Erstellung von Sanierungskonzepten, integrierten Unternehmensplanungen sowie mit betriebswirtschaftlicher Sanierungsberatung für Unternehmen in der Krise. Steffen Schöne, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist Partner der überregionalen Sozietät KÜBLER in Dresden. Er ist ausschließlich im Bereich der arbeitsrechtlichen Beratung und Prozessführung tätig und unterstützt bundesweit Unternehmen und Insolvenzverwalter bei notwendigen arbeitsrechtlichen Restrukturierungsprozessen. Er ist Mitautor im „Nomos Kommentar Gesamtes Arbeitsrecht“ und Verfasser zahlreicher Beiträge zum Arbeitsrecht.
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Autorenverzeichnis Dr. Thilo Schultze ist Rechtsanwalt und Partner im Stuttgarter Büro der Kanzlei Grub Brugger & Partner. Er ist u. a. Mitautor des „Bankenkommentars zum Insolvenzrecht“, Herausgeber der „Deutschen Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht“ und war viele Jahre Herausgeber des „Forderungspraktikers“. Er begleitet seit über 15 Jahren sowohl Unternehmen in der Krise und Insolvenz als auch deren Organe, Gesellschafter und Gläubiger. Damit verbunden sind regelmäßig M&A-Transaktionen und Poolführungen. Als (doppelnütziger) Treuhänder übernimmt er auch operative Verantwortung für die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen. Detlef Specovius, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Schultze & Braun in Achern und hat eine 18-jährige Erfahrung als Insolvenzverwalter und Restrukturierer. Neben der Beratung in insolvenznahen Beratungsmandaten übernimmt er auch operative Verantwortung. Er ist u. a. Mitautor des Braun, „Kommentar zur InsO“. Darüber hinaus referiert er regelmäßig zu Themen des Insolvenzrechts. Dr. Jasper Stahlschmidt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist geschäftsführender Gesellschafter der Buchalik Brömmekamp Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Düsseldorf. Er ist dort ausschließlich mit der Sanierungsberatung insbesondere der Begleitung von Unternehmen in Eigenverwaltungsverfahren befasst. In diesem Rahmen nimmt er auch Funktionen als Interimsgeschäftsführer wahr. Seit Beginn seiner Tätigkeit hat er sich auf das Insolvenzrecht spezialisiert. Er veröffentlicht zu diesem Themengebiet u. a. in der „EWiR“ und hält regelmäßig Fachvorträge und Seminare. Dr. Ingo Theusinger ist Rechtsanwalt und Partner der international tätigen Sozietät Noerr LLP in Düsseldorf. Die Schwerpunkte seiner Beratung liegen im Kapitalgesellschaftsrecht (einschließlich der Schnittstellen zum Insolvenzrecht) und im Konzernrecht sowie im Bereich Compliance. Er verfügt insbesondere über umfassende Erfahrung bei der gesellschaftsrechtlichen Aufarbeitung von Insolvenzen. Dr. Ingo Theusinger veröffentlicht regelmäßig in Fachpublikationen und hält Vorträge zum Gesellschaftsrecht. Prof. Dr. Christoph Thole ist Universitätsprofessor an der Universität zu Köln und Direktor des dortigen Instituts für Verfahrensrecht und Insolvenzrecht sowie des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum deutschen und europäischen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht sowie u. a. Mitherausgeber des „Heidelberger Kommentars zur InsO“ und des „Handbuchs Insolvenzplan“. Zuletzt war er Teil des Forscherteams bei der vom BMJV beauftragten Evaluierung des ESUG. Dr. Sven-Holger Undritz, Rechtsanwalt, ist Partner der Sozietät White & Case Insolvenz GbR in Hamburg. Seit 1998 ist er regelmäßig als Insolvenzverwalter tätig. Darüber hinaus begleitet er Unternehmenssanierungen und Restrukturierungen. Er ist Mitautor verschiedener insolvenzrechtlicher Kommentare und veröffentlicht regelmäßig, u. a. zum Unternehmenskauf in der Insolvenz, zu aktuellen Sanierungsthemen sowie dem internationalen Insolvenzrecht. Dr. Nikolai Warneke ist Rechtsanwalt und Partner der international tätigen Sozietät Noerr LLP in Frankfurt am Main. Er ist Spezialist für Finanzierungstransaktionen und berät Kreditinstitute, Kreditfonds und Darlehensnehmer bei nationalen und internationalen Finanzierungen. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Restrukturierung von Finanzierungen sowie der Beratung in Sanierungssituationen. Dr. Lars Westpfahl ist Rechtsanwalt und Partner im Hamburger Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, deren Fachgruppe Restrukturierung/Insolvenz er leitet. Er ist Mitautor des RWS-Skripts „Grenzüberschreitende Insol-
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Autorenverzeichnis venzen“ und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Restrukturierung TMA e. V. Er hat in jüngster Zeit verschiedene börsennotierte Unternehmen bei ihrer Restrukturierung, Unternehmen bzw. deren Gesellschafter oder Kreditgeber bei der finanziellen Sanierung über einen Insolvenzplan oder ein englisches Scheme of Arrangement sowie Käufer beim Erwerb von Unternehmen aus der Insolvenz bzw. den Insolvenzverwalter beraten. Karsten Zabel, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, ist geschäftsführender Gesellschafter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft RST HANSA GmbH in Essen. Vorrangig befasst er sich mit der Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten, Insolvenzplänen und integrierten Planungsrechnungen. Er verfügt über umfassende Erfahrungen in der Prüfung und Beratung von Unternehmen in der Krise und beschäftigt sich zudem regelmäßig mit handels- und steuerrechtlichen Fragen im Sanierungs- und Insolvenzbereich. Daneben unterstützt er Insolvenzverwalter bei der Fortführung und Restrukturierung von Unternehmen und referiert regelmäßig zu ausgewählten Themen des Sanierungs- und Insolvenzrechts. Er ist Mitautor des ZIP-Praxisbuches „Insolvenzplan“ (gemeinsam mit Dietmar Rendels; 2. Aufl., 2015).
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Literaturverzeichnis*) Achsnick, Die doppelnützige Treuhand in der Sanierung, 2. Aufl., 2013 Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl., 2017 Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter in der Unternehmensinsolvenz, 2002 (zit.: Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter) Andres/Leithaus, InsO, Kommentar, 3. Aufl., 2014 Arens/Düwell/Wichert, Handbuch Umstrukturierung und Arbeitsrecht, 2. Aufl., 2013 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl., 1999 Bauer, Die GmbH in der Krise, Rechts- und Haftungsfragen der Unternehmenssanierung, 5. Aufl., 2016 (zit.: Bauer, Die GmbH in der Krise) Baumbach/Hopt, HGB, Kommentar, 38. Aufl., 2018 Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 21. Aufl., 2017 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 76. Aufl., 2018 Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017 Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., 2017 Beck’scher BilanzKommentar, hrsg. v. Förschle/Grottel/Schmidt et al., 11. Aufl., 2018 Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, hrsg. v. HoffmannBecking/Gebele, 12. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches FormB BHW) Beck’sches Formularhandbuch GmbH-Recht, hrsg. v. Lorz/Pfisterer/Gerber, 2. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches Formhdb. GmbHR) Beck’scher Online-Kommentar Insolvenzrecht, hrsg. v. Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Stand: 9. Ed. 1/2018 (zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-InsO) Beck’scher Online-Kommentar ZPO, hrsg. v. Vorwerk/Wolf, Stand: 20. Ed. 3/2016 (zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-ZPO) Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl, Handbuch der übertragenden Sanierung, 2002 Bichlmeier/Wroblewski, Das Insolvenzhandbuch für die Praxis, 4. Aufl., 2015 Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, 2001 Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Loseblatt, Stand: 64. EL 2017 Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, Kommentar, 7. Aufl., 2018 Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen: Ursachen – Sanierungskonzepte – Krisenvorsorge – Steuern, 2006 (zit.: Bearbeiter, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen) Blümich, EStG/KStG/GewStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: 140. EL 1/2018 Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 2016 (zit: Bearbeiter, in: NK-GA) Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 3. Aufl., 2017 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 8. Aufl., 2017 Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, 2011 ___________ *) Themenspezifische Literatur sowie Zeit- und Festschriftenbeiträge siehe die Literaturübersichten zu Beginn der einzelnen Paragraphen.
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Literaturverzeichnis Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2014 Braun, InsO, Kommentar, 7. Aufl., 2017 Braun, Die vorinsolvenzliche Sanierung von Unternehmen, 2015 Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997 Bruhn, Kommunikationspolitik – Systematischer Einsatz der Kommunikation für Unternehmen, 8. Aufl., 2015 Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, Strategien, Konzepte und Praxiserfahrungen, 2. Aufl., 2014 Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, 2006 Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2016 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009 Bürgers/Körber, AktG, Kommentar, 4. Aufl., 2017 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl., 2014 Cadmus, Die Haftung der GmbH und ihres Geschäftsführers in der Eigenverwaltung, KTS Schriften zum Insolvenzrecht, Bd. 51, 2016 (zit.: Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung) Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 3. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar) Crone/Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, 2007 Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017 Denkhaus/Ziegenhagen, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, 3. Aufl., 2016 Diem, Akquisitionsfinanzierungen, 3. Aufl., 2013 Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg nach dem neuen Insolvenzrecht, 2002 (zit.: Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg) Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: 91. EL 12/2017 360 o eKommentar AO, Online-Datenbank, hrsg. v. Baum/Buse/Brandl/Szmczak, Stand: 5/2016 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Kommentar, 2002 Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2. Aufl., 2011 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, Kommentar, Bd. I: 3. Aufl., 2014, Bd. II: 3. Aufl., 2015 Eidenmüller, Alternative Streitbeilegung, 2011 Eidenmüller, Finanzkrise, Wirtschaftskrise und das Deutsche Insolvenzrecht, 2009 Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999 Eilers/Bühring, Sanierungssteuerrecht, 2011 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl., 2016 Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. v. Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 18. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter, in: ErfK)
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Literaturverzeichnis Sladek/Heffner/Graf Brockdorff, Insolvenzrecht 2013 – Aktuelle Schwerpunkte aus Gläubigersicht, 2013 Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, 4. Aufl., 2002 Smid, Handbuch Insolvenzrecht, 6. Aufl., 2012 (zit.: Smid, Hdb. Insolvenzrecht) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, 4. Aufl., 2015 Sölch/Ringleb, UStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: 81. EL 10/2017 Sonnleitner, Insolvenzsteuerrecht, 2017 Spindler/Stilz, AktG, Kommentar, 3. Aufl., 2015 Stangl/Winter, Formularhandbuch Recht und Steuern, 9. Aufl., 2018 Staub, Großkommentar zum HGB, Bd. 7/1, 5. Aufl., 2011 (zit.: Bearbeiter, in: Staub, Großkomm-HGB) Stein/Jonas, ZPO, Kommentar, 22. Aufl., 2013 Steinwachs/Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, 2014 Streinz, EUV/AEUV, Kommentar, 3. Aufl., 2018 Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 3. Aufl., 2016 Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, 2. Aufl., 2016 Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, ZIP-Praxisbuch, 2. Aufl., 2015 Thomas/Putzo, ZPO, Kommentar, 38. Aufl., 2017 Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Stand: 152. EL 6/2018 Uhlenbruck, InsO, Kommentar, hrsg. v. Uhlenbruck/Hirte/Vallender, 14. Aufl., 2015 Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Kommentar, Bd. 1: 2. Aufl., 2013, Bd. 2: 2. Aufl., 2014, Bd. 3: 2. Aufl., 2016 Vallender, EuInsVO, Kommentar, 2017 Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 2012 Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 2008 Widmann/Mayer, UmwG, UmwStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: 169. EL 2/2018 Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Gemeinschaftskommentar BetrVG, 11. Aufl., 2018 Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl., 2016 Willemsen/Rechel, Kommentar zum ESUG, 2012 Wimmer, Frankfurter Kommentar zur InsO, 9. Aufl., 2018 Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, 2016 Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 8. Aufl., 2018 Winkeljohann/Förschle/Deubert, Sonderbilanzen, 5. Aufl., 2016 Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004 Zöller, ZPO, Kommentar, 32. Aufl., 2018 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 5. Aufl., 2015
XXXVIII
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. abl. abw. AEAO AEntG AEUV a. F. AFG AFRG AG AGB-Bk AGG AGInsO AHB ähnl. AktG allg. AnfG Anh. AnwBl. AnwK AO AP ArbG ArbGG AuA ausf. AVE
anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend abweichend Anwendungserlass zur Abgabenordnung Arbeitnehmer-Entsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Aktiengesellschaft (auch Zeitschrift); Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen der Banken Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Ausführungsgesetze der Länder zur InsO Anwaltshandbuch ähnlich Aktiengesetz allgemein Anfechtungsgesetz Anhang Anwaltsblatt Anwaltskommentar Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeit und Arbeitsrecht ausführlich Allgemeinverbindlicherklärung
BA BaFin BAG BAGE BAKred BAnz BayObLG BB BBiG Begr. BetrAVG BetrVG BFH BFH/NV
Bundesanstalt für Arbeit; Bundesagentur für Arbeit Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Berufsbildungsgesetz Begründung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis
BFHE BFuP
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis BG BGB BGBl. BGH BGHZ BilMoG BMF BNotO BörsG BRAO BR-Drucks. BSG BSHG bspw. BStBl. BT-Drucks. BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE
Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundesministerium der Finanzen Bundesnotarordnung Börsengesetz Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
CCZ COMI COREP
Corporate Compliance Zeitschrift centre of main interests Common Solvency Ratio Reporting
DAV DB DBW d. h. diff. DiskE DJT DNotZ DÖV DRiZ DStR DStZ DZWIR DZWIR
Deutscher Anwaltverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft das heißt differenzierend Diskussionsentwurf Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (seit 1.1999) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EFZG EG EGAktG EGBGB EGInsO
Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung
XL
Abkürzungsverzeichnis EGV ErfK EStG ESUG
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen EU Europäische Union EuGVVO Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuInsVO Europäische Insolvenzverordnung (VO (EU) 2015/848) EuInsVO a. F./2000 Europäische Insolvenzverordnung (VO (EG) Nr. 1346/2000) EUV Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWIV Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung EWR Europäischer Wirtschaftsraum EzA Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht f./ff. FG FGO FinDAG FMSA FMStBG
FMStErgG FMStFG FMStG Fn. FR FSB
folgende/folgenden Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau Financial Stability Board
GBO GebrMG ggf. GenG GesO GewO GewStG GewStR GG GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GrS GrStG
Grundbuchordnung Gebrauchsmustergesetz gegebenenfalls Genossenschaftsgesetz Gesamtvollstreckungsordnung Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz GmbH-Rundschau GmbH-Steuerberater Großer Senat Grundsteuergesetz
XLI
Abkürzungsverzeichnis GRUR GVG GWR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
Hdb. HFR HGB HintO HK-InsO h. M. HRV HWK
Handbuch Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch Hinterlegungsordnung Heidelberger Kommentar zur InsO herrschende Meinung Handelsregisterverfügung Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar
IDW IFG Insg-DA
InsVV InsVZ InVo IPRax i. E. i. R. i. S. i. V. m.
Institut der Wirtschaftprüfer Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes Durchführungsanweisungen der Bundesanstalt für Arbeit zum Insolvenzgeld Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung Zeitschrift für Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung Insolvenz und Vollstreckung Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Einzelnen im Rahmen im Sinne in Verbindung mit
JBl. JMBlNW JVEG JW JZ
Justizblatt/Juristische Blätter Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
KAGG Kaug KG KGaA KO KostO KPB KraftStG KredReorgG krit. KSchG KStG KStH KTS
Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Konkursausfallgeld Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung Kostenordnung Kübler/Prütting/Bork, InsO-Kommentar Kraftfahrzeugsteuergesetz Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten kritisch Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Hinweise Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen, ab 1989: Zeitschrift für Insolvenzrecht Kreditwesengesetz
InsNetV
KWG
XLII
Abkürzungsverzeichnis LAG LAGE lit. LM LSG MaComp
MaIR MaRisk MDR MitbestG MoMiG m. w. N. n. F. NJW n. rkr. NWB NZA NZA-RR
Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte littera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, von: Lindenmaier/ Möhring Landessozialgericht Mindestanforderungen an Compliance und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen Mindestanforderungen für die Interne Revision Mindestanforderungen an das Risikomanagement Monatszeitschrift für Deutsches Recht Mitbestimmungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen mit weiteren Nachweisen
NZG NZI NZM
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift nicht rechtskräftig Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift zum Miet- und Wohnungsrecht
OHG OLG OLGE OLGR OT OVG OWiG
Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte OLG-Report Ohne Tarifbindung Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz
PatG PfandBG PK-InsO PS PSVaG
Patentgesetz Pfandbriefgesetz PräsenzKommentar zur InsO Prüfungsstandard (IDW) Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit
RBerG RdA RefE RegE RFH RFHE RG
Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsfinanzhof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht
XLIII
Abkürzungsverzeichnis RGRK RGSt RGZ RIW rkr. RL Rpfleger RPflG Rspr. RStruktFG RStruktG RVG Rz.
Reichsgerichtsräte-Kommentar Entscheidungen des Reichsgericht in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft rechtskräftig Richtlinie Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Gesetz zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds Restrukturierungsgesetz Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randzahl
s./s. a. SchKG SchVG SchwbG SGb SGB SGG Slg. SoFFin sog. SozPlG StBerG Stbg StGB
siehe/siehe auch Schweizerisches Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs Schuldverschreibungsgesetz Schwerbehindertengesetz Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Gerichts erster Instanz Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung so genannt Sozialplangesetz Steuerberatungsgesetz Steuerberatung Strafgesetzbuch
TVG TzBfG
Tarifvertragsgesetz Teilzeitbefristungsgesetz
U.S.C. Ubg UmwG UNCITRAL u. U. UR UrhG UStAE UStG UWG
United States Code Die Unternehmensbesteuerung Umwandlungsgesetz United Nations Commission in International Trade Law unter Umständen Umsatzsteuerrundschau Urheberrechtsgesetz Umsatzsteuer-Anwendungserlass Umsatzsteuergesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
v. a. VAG VerbrKrG VersR VG VGH
vor allem Versicherungsaufsichtsgesetz Verbraucherkreditgesetz Versicherungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof
XLIV
Abkürzungsverzeichnis VglO VGR VO VVG VwGO VwVfG WM
Vergleichsordnung Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht e. V. Verordnung Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
WP WPg WpHG WPO WpÜG WuB
Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (vormals WertpapierMitteilungen) Wirtschaftsprüfer Die Wirtschaftsprüfung Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferordnung Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht
z. B. ZBB ZfA ZfgK ZGR ZHR ZInsO ZIP ZKW ZPO zust. ZVG ZVI ZZP
zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zivilprozessordnung zustimmend Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht Zeitschrift für Zivilprozess
XLV
Einführung §1 Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht – Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung Kübler
I.
Die Entwicklung eines modernen Insolvenzrechts für Unternehmen ........... 1 1. Entwicklung des Sanierungsrechts bis zum Inkrafttreten des ESUG ...................... 1 2. Gesetz zur Sanierung von Konzernunternehmen ................................................ 4 II. Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung .............................................................. 7
1.
Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Eigenverwaltung? .............................. 7 2. Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Insolvenzplanverfahren? ................. 10 III. Aktuelle Entwicklungen .......................... 14 1. EU-Ebene ................................................... 14 2. Nationale Ebene ......................................... 16 IV. Schlussfolgerungen................................... 17
I.
Die Entwicklung eines modernen Insolvenzrechts für Unternehmen
1.
Entwicklung des Sanierungsrechts bis zum Inkrafttreten des ESUG
„Der Konkurs ist ein Wertvernichter schlimmster Art und obendrein das teuerste Schulden- 1 tilgungsverfahren. Je größer das ihm verfallene Unternehmen ist, je weitere Wirtschaftskreise der Zusammenbruch in Mitleidenschaft zieht, desto erwünschter muss es sein, wenn Schuldner und Gläubiger durch Vereinbarung eines Ausgleichs dem Konkurs vorbeugen.“1) Diese Aussage Jaegers aus dem Jahr 1932 hat heute nach wie vor Brisanz. Das Insolvenzrecht hat nach § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO – auch – einen Sanierungsauftrag. Dazu gehört es, eine starke, funktionale und praxistaugliche Sanierungs- und Restrukturierungssystematik zu entwickeln und zu offerieren.2) Mit Einsetzung der Kommission für Insolvenzrecht im Jahre 1978 stand das Sanierungsrecht 2 auf der rechtspolitischen Tagesordnung.3) Die Kommission war u. a. auch mit dem Auftrag betraut, sich über die Gestaltung eines Sanierungsverfahrens zu beraten, das in Unternehmenskrisen den Konkurs besser abwenden kann, als es die zur Verfügung stehenden Verfahren ermöglichen. Anregungen zum Ausbau des Sanierungsrechts bot das Ausland. So war in den USA das Insolvenzrecht im Jahr 1978 grundlegend novelliert worden. Dabei stellten die Regelungen des Reorganisationsverfahrens in Chapter 11 Bankruptcy Code den für die Wirtschaft beachtlichsten Teil dar. Doch auch die Reformbestrebungen verschiedener europäischer Staaten hatten die Intention, Verfahren zur Sanierung zu schaffen. Die Neuorientierung spiegelte sich vor allem in der Einführung des sog. Insolvenzplanverfahrens wider. Der Plan trat an die Stelle des gerichtlichen Vergleichs und des Zwangsvergleichs, §§ 173 ff. KO, gestaltete die bisherigen Verfahren grundlegend um und sollte nach dem Willen des Gesetzgebers den Beteiligten einen Rahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz in Gestalt von Verhandlungen geben.4) War der Zweck des Vergleichsverfahrens und des Zwangsvergleichs im Konkurs auf die finanzielle Sanierung des Schuldners durch Schuldenregulierung ausgerichtet, beabsichtigte das Insolvenzplanverfahren in erster Linie die finanzielle und wirtschaftliche Sanierung des Unternehmens. Entscheidend war dabei, dass das Insol___________ 1) 2) 3) 4)
Jaeger, Lehrbuch des deutschen Konkursrechts, 8. Aufl., 1932, S. 216. Henckel, ZIP 1981, 1296. Bundesjustizminister Vogel in seiner Ansprache bei der Konstituierung der Kommission. Begr. RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 90.
Kübler
1
§1
Einführung
venzplanverfahren nicht nur für die Sanierung, sondern auch für Liquidationsverfahren zur Verfügung stehen sollte. Zusätzlich gab es das Instrument der Eigenverwaltung, wonach der Schuldner beantragen konnte, dass Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis bei ihm verbleiben und ihm zur Aufsicht ein Sachwalter beigeordnet wird. Der Gesetzgeber hoffte – trotz der vielfach erhobenen Kritik –, mit der Eigenverwaltung einen Anreiz zur frühzeitigen Insolvenzantragstellung geschaffen zu haben.5) Insgesamt war jedoch festzustellen, dass sich die Hoffnung, Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren würden sich zu einem wirksamen Restrukurierungsrecht entwickeln, bislang nicht erfüllt hat. Da sich die vorhandenen Sanierungsoptionen nicht nachhaltig durchsetzen konnten, nutzten Schuldner verstärkt die Gestaltungsmöglichkeiten ausländischen Rechts – etwa im Wege der Verlagerung des COMI (centre of main interests) nach Großbritannien oder durch das dortige Betreiben des Scheme of Arrangement-Verfahrens. Ein Vergleich der verschiedenen Rechtsordnungen zeigt, dass der Einfluss von Schuldner und Gläubigern auf den Ablauf des Verfahrens vielfach größer ist als in Deutschland. Der Wettbewerb der Insolvenzrechte war daher einer der Gründe für die abermals notwendige Reform des Restrukturierungsrechts.6) 3 Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber Voraussetzungen für einen anderen Umgang mit krisenbefangenen Unternehmen geschaffen. Es findet eine feinere Differenzierung zwischen den Interessen aller Beteiligten statt. Durch Stärkung des Gläubigereinflusses auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, durch Optimierung des Insolvenzplanverfahrens und Erleichterung des Zugangs zur Eigenverwaltung soll die Sanierung von Unternehmen einfacher möglich sein.7) Die Sanierung i. R. der Insolvenz kann somit zu einer strategischen Alternative werden, der Vollstreckungsgedanke tritt mehr in den Hintergrund. Gleichzeitig bestand die Erwartung, sowohl ein Umdenken in der Öffentlichkeit zu erreichen als auch das negative Bild vom Stigma des Insolvenzverfahrens zu verändern und dieses als Sanierungsmöglichkeit gesellschaftsfähig zu machen. Um eine stetige Anpassung an die Erfordernisse der Praxis zu gewährleisten, hatte der Bundestag der Bundesregierung aufgegeben, nach fünf Jahren eine Evaluation durchzuführen.8) Zu den Ergebnissen der Expertengruppe siehe ausführlich unten § 58. 2.
Gesetz zur Sanierung von Konzernunternehmen
4 Im Rahmen der dritten Reformstufe ist das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, das am 21.4.2018 in Kraft getreten ist, erlassen worden.9) Das Gesetz baut auf dem mit dem ESUG verfolgten Konzept unter Berücksichtigung der Besonderheiten von konzernverbundenen Schuldnern auf. Die neuen Regelungen sollen helfen, Reibungsverluste bei Liquidation und Sanierung von Unternehmensgruppen, bei denen verschiedene Rechtsträger eine wirtschaftliche Einheit bilden, zu vermeiden, ohne dabei die maßgeblichen Grundsätze des Insolvenzrechts infrage zu stellen.10) Die Vorschriften greifen nicht grundlegend in das Gesellschaftsrecht ein und tasten die Unabhängigkeit der einzelnen Gesellschaften im Insolvenzkontext nicht an. 5 Zu den Neuerungen gehören ein zentraler Gruppengerichtsstand mit Verweisungsmöglichkeiten, ein Insolvenzverwalter für alle Verfahren und ein Koordinationsverfahren mit Verfahrenskoordinator und Koordinationsplan. Gerichtstands- und Verweisungsregelungen erlauben ___________ 5) BT-Drucks. 12/2443, S. 108, 225 f. 6) Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 13. 7) Dennoch sollte die (vorläufige) Eigenverwaltung auch nach den Überlegungen des Gesetzgebers zum ESUG nicht der Regelfall sein, sondern ein Sanierungsinstrument für geeignete Ausnahmefälle ermöglichen: Graf-Schlicker, 2. Dt. Gläubigerkongress v. 5.6.2013, INDat-Report 4/2013, S. 52, 53. 8) S. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/075/1707511.pdf. 9) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 865. 10) Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1768.
2
Kübler
Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht
§1
es den Schuldnern und Insolvenzverwaltern, die Verfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften an einem Insolvenzgericht zu konzentrieren. Die Bundesländer sollen in den OLGBezirken ausschließlich zuständige Insolvenzgerichte für Gruppengerichtsstände etablieren und am angerufenen Gericht soll derselbe Richter für das Gruppenverfahren zuständig sein. Eine solche Konzentration lässt den Abstimmungsbedarf zwischen den Gerichten entfallen. Im Rahmen des neuen Koordinationsverfahrens spielt der Verfahrenskoordinator, dem 6 die Aufgabe zukommt, mögliche Friktionen zwischen den parallel anhängigen Insolvenzverfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften zu minimieren, eine zentrale Rolle.11) Er darf nicht aus dem Kreis der Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner stammen, sondern soll von diesen unabhängig sein. Schließlich – und das ist in Ansehung der Regelungen des ESUG besonders bedeutsam – wurde eine Vorschrift zur Eigenverwaltung bei gruppenangehörigen Schuldnern eingefügt. Mit dem Gesetz soll das Ziel einer angemessenen Bewältigung von Unternehmensinsolvenzen erreicht und die Umsetzung solcher Insolvenzbewältigungsstrategien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zur Einzelabwicklung verbessern, ohne Gläubiger der einzelnen Gesellschaften schlechterzustellen.12) II.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung
1.
Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Eigenverwaltung?
Das ESUG hat die Sanierungskultur in Deutschland zweifellos gestärkt. Die Vorausset- 7 zungen für einen Zugang zur Eigenverwaltung und für deren Aufrechterhaltung sind günstiger geworden. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Eigenverwaltung zum Schlüssel des Sanierungserfolgs geworden ist und das „normale“ Regelinsolvenzverfahren verdrängt hat. Der Anteil der Insolvenzverfahren, die in Eigenverwaltung durchgeführt werden, ist seit Jahren im niedrigen einstelligen Bereich geblieben. Dass sich die Eigenverwaltung als Restrukturierungsinstrument nicht im erwarteten Maß etablieren konnte, liegt weniger an einer fehlenden Sanierungskultur in der deutschen Insolvenzpraxis als an fehlendem Vertrauen in eine Eigenverwaltungsstrategie.13) Die Praxis zeigt, dass die Eigenverwaltung eher bei Großverfahren beantragt, in Bezug 8 auf klein- und mittelständische Unternehmen (KMU), die dieser Verfahrensweg insbesondere ansprechen sollte, dagegen unverändert selten genutzt wird.14) Das liegt zum einen an der Skepsis der kreditgebenden Banken, zum anderen an den teilweise hohen Beraterkosten, die einer potenziell sinnvollen Sanierung in Eigenverwaltung entgegenstehen. Zudem ist der Zeitpunkt der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen bei KMUs ein sensibler Faktor.15) Hier ist es v. a. Aufgabe der Geschäftsführung, rechtzeitig aktiv zu werden.16) Die Anforderungen an die Geschäftsführung sind in der Eigenverwaltung außerordentlich hoch. Die schuldnerischen Vertretungsorgane müssen juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben, um eine Eigensanierung lenken zu können.17) Nach wie vor gibt es Nachbesserungsbedarf.18) Die durch den Gesetzgeber beabsichtigte 9 Erleichterung der Unternehmenssanierung bedarf dringender Berichtigungen insbesondere der Regelungen zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren. Denn die vergleichsweise ___________ 11) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO-E, BRDrucks. 663/13, S. 35 (ursprünglich lautete die Bezeichnung Koordinationsverwalter). 12) So bereits Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 550 f. 13) Madaus, KTS 2015, 115, 142. 14) Zu den Gründen Hammes, NZI 2017, 233, 239. 15) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 387 f.; Kranzusch, ZInsO 2016, 1077. 16) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 392. 17) Hammes, NZI 2017, 233. 18) Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153.
Kübler
3
Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht
§1
es den Schuldnern und Insolvenzverwaltern, die Verfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften an einem Insolvenzgericht zu konzentrieren. Die Bundesländer sollen in den OLGBezirken ausschließlich zuständige Insolvenzgerichte für Gruppengerichtsstände etablieren und am angerufenen Gericht soll derselbe Richter für das Gruppenverfahren zuständig sein. Eine solche Konzentration lässt den Abstimmungsbedarf zwischen den Gerichten entfallen. Im Rahmen des neuen Koordinationsverfahrens spielt der Verfahrenskoordinator, dem 6 die Aufgabe zukommt, mögliche Friktionen zwischen den parallel anhängigen Insolvenzverfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften zu minimieren, eine zentrale Rolle.11) Er darf nicht aus dem Kreis der Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner stammen, sondern soll von diesen unabhängig sein. Schließlich – und das ist in Ansehung der Regelungen des ESUG besonders bedeutsam – wurde eine Vorschrift zur Eigenverwaltung bei gruppenangehörigen Schuldnern eingefügt. Mit dem Gesetz soll das Ziel einer angemessenen Bewältigung von Unternehmensinsolvenzen erreicht und die Umsetzung solcher Insolvenzbewältigungsstrategien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zur Einzelabwicklung verbessern, ohne Gläubiger der einzelnen Gesellschaften schlechterzustellen.12) II.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung
1.
Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Eigenverwaltung?
Das ESUG hat die Sanierungskultur in Deutschland zweifellos gestärkt. Die Vorausset- 7 zungen für einen Zugang zur Eigenverwaltung und für deren Aufrechterhaltung sind günstiger geworden. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Eigenverwaltung zum Schlüssel des Sanierungserfolgs geworden ist und das „normale“ Regelinsolvenzverfahren verdrängt hat. Der Anteil der Insolvenzverfahren, die in Eigenverwaltung durchgeführt werden, ist seit Jahren im niedrigen einstelligen Bereich geblieben. Dass sich die Eigenverwaltung als Restrukturierungsinstrument nicht im erwarteten Maß etablieren konnte, liegt weniger an einer fehlenden Sanierungskultur in der deutschen Insolvenzpraxis als an fehlendem Vertrauen in eine Eigenverwaltungsstrategie.13) Die Praxis zeigt, dass die Eigenverwaltung eher bei Großverfahren beantragt, in Bezug 8 auf klein- und mittelständische Unternehmen (KMU), die dieser Verfahrensweg insbesondere ansprechen sollte, dagegen unverändert selten genutzt wird.14) Das liegt zum einen an der Skepsis der kreditgebenden Banken, zum anderen an den teilweise hohen Beraterkosten, die einer potenziell sinnvollen Sanierung in Eigenverwaltung entgegenstehen. Zudem ist der Zeitpunkt der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen bei KMUs ein sensibler Faktor.15) Hier ist es v. a. Aufgabe der Geschäftsführung, rechtzeitig aktiv zu werden.16) Die Anforderungen an die Geschäftsführung sind in der Eigenverwaltung außerordentlich hoch. Die schuldnerischen Vertretungsorgane müssen juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben, um eine Eigensanierung lenken zu können.17) Nach wie vor gibt es Nachbesserungsbedarf.18) Die durch den Gesetzgeber beabsichtigte 9 Erleichterung der Unternehmenssanierung bedarf dringender Berichtigungen insbesondere der Regelungen zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren. Denn die vergleichsweise ___________ 11) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO-E, BRDrucks. 663/13, S. 35 (ursprünglich lautete die Bezeichnung Koordinationsverwalter). 12) So bereits Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 550 f. 13) Madaus, KTS 2015, 115, 142. 14) Zu den Gründen Hammes, NZI 2017, 233, 239. 15) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 387 f.; Kranzusch, ZInsO 2016, 1077. 16) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 392. 17) Hammes, NZI 2017, 233. 18) Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153.
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§1
Einführung
geringe Regelungsdichte des Eigenverwaltungsrechts führt zu überraschenden und divergierenden gerichtlichen Entscheidungen, die eine geordnete Sanierung erschweren.19) Noch immer entscheiden die Instanzgerichte die Frage, ob der Schuldner im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren ohne Schutzschirm Masseverbindlichkeiten20) begründen darf und, wenn ja, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise, völlig unterschiedlich.21) Vielfach werden der Abbau von Rechtsmitteln, insbesondere in der Eigenverwaltung,22) wie auch fehlende Haftungsregelungen für Bescheiniger (im Schutzschirmverfahren) beklagt. 2.
Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Insolvenzplanverfahren?
10 Mit dem ESUG ist auch das Instrument des Insolvenzplans (dazu umfassend unten §§ 23 ff.) stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Eingriffsmöglichkeiten des Insolvenzplanverfahrens sind erweitert und die Verfahrenshindernisse auf dem Kurs zur Planumsetzung beseitigt worden. Das ESUG ermöglicht für das Insolvenzplanverfahren durch die Einführung des § 225a InsO die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, insbesondere eröffnet es die Möglichkeit, i. R. von Sanierungsmaßnahmen Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umzuwandeln (dazu umfassend unten § 31). 11 Das Insolvenzplanverfahren wirft allerdings insbesondere dann Fragen und Probleme auf, wenn es anscheinend als taktisches Mittel der Kontroverse zwischen Gesellschaftern genutzt wird.23) So sollte es mit der Intention eines Sanierungsverfahrens nicht vereinbar sein, wenn Gesellschafter versuchen, sich gegenseitig im Wege der einstweiligen Verfügung ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu ge- oder verbieten.24) 12 Detailfragen haben sich in den letzten Jahren bei der Abwicklung von Insolvenzplanverfahren i. R. der Vergleichsrechnung,25) die als Herzstück des Insolvenzplans bezeichnet wird, ergeben.26) Die unvollkommenen gesetzlichen Vorgaben zu Gliederung und Inhalten der Vergleichsrechnung und betriebswirtschaftliche und juristische Schwächen bei der Aufstellung zeigen, dass es oft große Erfassungs- und Konkretisierungsprobleme bei einzelnen Punkten der Vergleichsrechnung gibt.27) Es war in etlichen ESUG-Fällen zu beobachten, dass i. R. der Vergleichsrechnung für die Regelinsolvenz bei den Aktiva niedrige und bei den Passiva hohe Vergleichswerte ausgewiesen wurden. Zudem wurde behauptet, dass der Geschäftsbetrieb im Regelverfahren eingestellt werden müsse.28) Um Missbrauchsfällen entgegenzuwirken, wird vorgeschlagen, entsprechende „Kontrollinstanzen“ ausdrücklich gesetzlich zu regeln.29) ___________ 19) Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 161. 20) Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 312. 21) Vgl. Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 312; der BGH konnte sich dazu bislang nicht äußern, weil hinsichtlich Erteilung oder Versagung einer solchen Ermächtigung keine Rechtsmittel vorgesehen sind; AG Hannover v. 1.7.2016 – 908 IN 460/16, juris; AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWiR 2012, 359 (Hofmann); AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer); AG Fulda v. 12.3.2012 – 93 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; ausf. Pape, ZInsO 2013, 2129, 2134 f. 22) Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 330; Pape, ZIP 2013, 2285, 2293; LG Dessau-Roßlau v. 2.5.2012 – 1 T 116/12, juris. 23) Suhrkamp GmbH & Co. KG; vgl. Pape, ZInsO 2013, 2129, 2136. 24) OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, 2019, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). 25) S. hierzu eingehend unten § 34. 26) Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 697. 27) Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 198; Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 697. 28) Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 697, 701. 29) Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte u. a., ZIP 2017, 2430; Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 697, 704 ff.
4
Kübler
Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht
§1
Schließlich hat die Entscheidung des BFH30) zum sog. Sanierungserlass des BMF31) die 13 bisherige Insolvenzrechtspraxis ausgebremst und zu großer Verunsicherung geführt (siehe dazu § 57 Rz. 103). Zwar hat der deutsche Gesetzgeber das mit der InsO abgeschaffte gesetzliche Steuerprivileg für Sanierungsgewinne wieder eingeführt, doch bedurfte diese Regelung der Genehmigung der EU-Kommission.32) Ob die von der EU-Kommission in einem bei Redaktionsschluss noch unveröffentlichten sog. Comfort Letter vertretene Auffassung, sie gehe davon aus, dass die beabsichtigte gesetzliche Regelung des Sanierungserlasses nicht gegen europäisches Beihilferecht verstößt, Rechtssicherheit erzeugt, ist fraglich (Einzelheiten siehe unten § 57 Rz. 103 ff., 117). III.
Aktuelle Entwicklungen
1.
EU-Ebene
Sowohl die Kommissionsempfehlung von 201433) als auch der Aktionsplan von 201534) 14 beinhalten das Ziel einer frühzeitigen Restrukturierung für wirtschaftlich gesunde Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten. Zugleich geht es darum, eine Kapitalmarktunion auf EU-Ebene zu schaffen und die Insolvenzgesetze der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Am 22.11.2016 hat die EU-Kommission den Richtlinienentwurf über einen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ veröffentlicht (siehe dazu auch Rz. 19).35) Mit diesem will sie einerseits nationale funktionierende Sanierungsverfahren nicht beeinträchtigen, andererseits aber einen einheitlichen Handlungsrahmen für effektive Restrukturierungen bewirken. Der Richtlinienentwurf überlässt allerdings den Mitgliedstaaten an den entscheidenden Stellen eigene Ausgestaltungen, sodass die Uneinheitlichkeit der Umsetzung vorprogrammiert ist.36) In Deutschland hat sich dazu eine kontroverse Diskussion v. a. im Hinblick auf die Auswir- 15 kungen auf die deutsche Sanierungspraxis entwickelt. So strebt die Kommission die Harmonisierung vorinsolvenzlicher Sanierungsmechanismen an, die es in den meisten europäischen Staaten (wie in Deutschland) nicht oder (wie in Frankreich) noch nicht seit längerem gibt. Einen Harmonisierungseffekt verspricht man sich auch von der Person des „Restrukturierungsverwalters“. Der Restrukturierungsrahmen bezweckt Insolvenzprävention im weitesten Sinne. Nach überwiegender Auffassung wurde das Schutzschirmverfahren mit Planverfahren diesem Ziel nicht mehr gerecht.37) Der Schuldner bzw. sein Management soll frühzeitig mithilfe von Früherkennungsmechanismen feststellen, dass aufgrund finanzieller Schwierigkei___________ 30) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp). 31) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240 = ZIP 2003, 690 (ergänzt durch BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001-01, BStBl. I 2010, 18 = ZIP 2010, 104). 32) Entsprechend dem BMF-Schreiben v. 29.3.2018 – IV C 6-S 2140/13/10003, BStBl. I 2018, 588, sollte für Schuldenerlasse bis einschließlich zum 8.2.2017 aus Vertrauensschutzgründen weiterhin nach dem sog. Sanierungserlass zu verfahren sein. Mit Beschluss v. 16.4.2018 hat der BFH dieser Verwaltungsauffassung jedoch eine Absage erteilt und seine bisherige Rspr. bestätigt, wonach die von der Finanzverwaltung vorgesehene weitere Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle aufgrund des Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Übergangsregelung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nicht vereinbar ist (BFH v. 16.4.2018 – X B 13/18, ZIP 2018, 1360). 33) EU-Kommission, Empfehlung für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, COM(2014) 1500 final v. 12.3.2014. 34) EU-Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30.9.2015. 35) EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016. 36) Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 323. 37) Madaus, NZI 2017, 329.
Kübler
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Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht
§1
Schließlich hat die Entscheidung des BFH30) zum sog. Sanierungserlass des BMF31) die 13 bisherige Insolvenzrechtspraxis ausgebremst und zu großer Verunsicherung geführt (siehe dazu § 57 Rz. 103). Zwar hat der deutsche Gesetzgeber das mit der InsO abgeschaffte gesetzliche Steuerprivileg für Sanierungsgewinne wieder eingeführt, doch bedurfte diese Regelung der Genehmigung der EU-Kommission.32) Ob die von der EU-Kommission in einem bei Redaktionsschluss noch unveröffentlichten sog. Comfort Letter vertretene Auffassung, sie gehe davon aus, dass die beabsichtigte gesetzliche Regelung des Sanierungserlasses nicht gegen europäisches Beihilferecht verstößt, Rechtssicherheit erzeugt, ist fraglich (Einzelheiten siehe unten § 57 Rz. 103 ff., 117). III.
Aktuelle Entwicklungen
1.
EU-Ebene
Sowohl die Kommissionsempfehlung von 201433) als auch der Aktionsplan von 201534) 14 beinhalten das Ziel einer frühzeitigen Restrukturierung für wirtschaftlich gesunde Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten. Zugleich geht es darum, eine Kapitalmarktunion auf EU-Ebene zu schaffen und die Insolvenzgesetze der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Am 22.11.2016 hat die EU-Kommission den Richtlinienentwurf über einen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ veröffentlicht (siehe dazu auch Rz. 19).35) Mit diesem will sie einerseits nationale funktionierende Sanierungsverfahren nicht beeinträchtigen, andererseits aber einen einheitlichen Handlungsrahmen für effektive Restrukturierungen bewirken. Der Richtlinienentwurf überlässt allerdings den Mitgliedstaaten an den entscheidenden Stellen eigene Ausgestaltungen, sodass die Uneinheitlichkeit der Umsetzung vorprogrammiert ist.36) In Deutschland hat sich dazu eine kontroverse Diskussion v. a. im Hinblick auf die Auswir- 15 kungen auf die deutsche Sanierungspraxis entwickelt. So strebt die Kommission die Harmonisierung vorinsolvenzlicher Sanierungsmechanismen an, die es in den meisten europäischen Staaten (wie in Deutschland) nicht oder (wie in Frankreich) noch nicht seit längerem gibt. Einen Harmonisierungseffekt verspricht man sich auch von der Person des „Restrukturierungsverwalters“. Der Restrukturierungsrahmen bezweckt Insolvenzprävention im weitesten Sinne. Nach überwiegender Auffassung wurde das Schutzschirmverfahren mit Planverfahren diesem Ziel nicht mehr gerecht.37) Der Schuldner bzw. sein Management soll frühzeitig mithilfe von Früherkennungsmechanismen feststellen, dass aufgrund finanzieller Schwierigkei___________ 30) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp). 31) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240 = ZIP 2003, 690 (ergänzt durch BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001-01, BStBl. I 2010, 18 = ZIP 2010, 104). 32) Entsprechend dem BMF-Schreiben v. 29.3.2018 – IV C 6-S 2140/13/10003, BStBl. I 2018, 588, sollte für Schuldenerlasse bis einschließlich zum 8.2.2017 aus Vertrauensschutzgründen weiterhin nach dem sog. Sanierungserlass zu verfahren sein. Mit Beschluss v. 16.4.2018 hat der BFH dieser Verwaltungsauffassung jedoch eine Absage erteilt und seine bisherige Rspr. bestätigt, wonach die von der Finanzverwaltung vorgesehene weitere Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle aufgrund des Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Übergangsregelung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nicht vereinbar ist (BFH v. 16.4.2018 – X B 13/18, ZIP 2018, 1360). 33) EU-Kommission, Empfehlung für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, COM(2014) 1500 final v. 12.3.2014. 34) EU-Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30.9.2015. 35) EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016. 36) Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 323. 37) Madaus, NZI 2017, 329.
Kübler
5
§1
Einführung
ten eine Insolvenzmöglichkeit besteht, und infolgedessen Verhandlungen mit seinen Gläubigern aufnehmen. Ob das schuldnerische Unternehmen sanierungsfähig ist, sollen nach dem Richtlinienentwurf nicht die Insolvenzgerichte, sondern die Gläubiger entscheiden. 2.
Nationale Ebene
16 Die Insolvenzverwaltung respektive die Sanierungsbranche in Deutschland befinden sich in einem Umbruch.38) Zum einen sind die Zahlen der Unternehmensinsolvenzen stark rückläufig.39) Zum anderen haben die veränderte Vergabepraxis infolge des ESUG und die Professionalisierung der Vorbereitung größerer Verfahren dazu geführt, dass es zu einer „Vorstrukturierung“ dieser Verfahren kommt.40) Gläubiger und deren Berater nehmen stärkeren Einfluss auf die Verteilung der Verfahren und damit letztlich auf die Auswahl des Insolvenz- bzw. Sachwalters. Diese Entwicklung heizt auch die seit Jahren bestehende Forderung nach einer Berufsordnung für Insolvenzverwalter an, von der man sich nicht zuletzt Qualitätssicherung und die Professionalisierung der Insolvenzverwalter erhofft.41) Gegenstimmen halten den Beruf des Insolvenzverwalters für ein „Auslaufmodell“.42) Der BGH hat sich in einigen jüngeren Entscheidungen zum Anforderungsprofil der Insolvenzverwalter positioniert.43) Zahlreiche Insolvenzgerichte haben infolgedessen in den letzten Jahren Fragenkataloge entwickelt, mit denen von potenziellen Insolvenzverwaltern, die auf die Vorauswahllisten aufgenommen werden möchten, zahlreiche Informationen und Nachweise gefordert werden.44) Vielfach wird eine bundesweite einheitliche Vorauswahlliste gefordert,45) um die Informationen über die Verwalter zu bündeln. IV.
Schlussfolgerungen
17 Das Insolvenzrecht unterliegt in Deutschland seit langem einem stetigen Wandel. Besonders deutlich wird die Entwicklung bei den jahrzehntelangen Bemühungen, das Insolvenzverfahren nicht allein als Vollstreckungshandhabe, sondern vielmehr als Sanierungsmöglichkeit zu gestalten und zu propagieren. Die Neubelebung der Eigenverwaltung und die weitere Ausformung des Insolvenzplanverfahrens sollten den betroffenen Schuldnern Antrieb geben, die Sanierung rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Der Einsatz dieser Restrukturierungsinstrumente ist für den jeweiligen Fall sorgfältig zu prüfen. Gut sechs Jahre nach dem Inkrafttreten befindet sich das ESUG auf dem Prüfstand. Die Expertenkommission zur Evaluierung des ESUG hat ihre Arbeit abgeschlossen, die Ergebnisse der Kommission durften nach Maßgabe des BMJV von den Gutachtern erst ab November 2018 der Fachwelt umfassend vorgestellt werden.46) ___________ 38) 39) 40) 41)
42) 43) 44) 45) 46)
6
INDat-Report 4/2017, S. 11. Tendenzen bei Beissenhirtz, ZInsO 2018, 281, 290. Pape, in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372; Hammes, NZI 2017, 233. Vallender, NZI 2017, 641; s. a. VID, Berufsordnung für Insolvenzverwalter, Eckpunktepapier v. 30.10.2009, abrufbar unter https://www.vid.de/initiativen/berufsordnung-fuer-insolvenzverwalter-vid-eckpunktepapier/ (Abrufdatum: 30.8.2018). Römermann, ZIP 2018, 1757. Frind, ZInsO 2017, 2146, 2151. BGH v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, ZIP 2016, 876, dazu EWiR 2016, 377 (Eckardt). Ausf. Bork, ZIP 2017, 2173, sowie Bork, ZIP 2017, 2173, und Thole, ZIP 2017, 2183. Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93; krit. Ganter, NZI 2018, 137. Der „Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2582)“ ist seit Oktober 2018 abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/ 101018_Bericht_BReg_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=2B4F7C40E1760ED70F0920CA9B64B3EA .2_cid297?__blob=publicationFile&v=1 (Abrufdatum: 10.10.2018). S. hierzu die mit dem Erscheinen der 3. Auflage des HRI-Handbuchs Anfang November 2018 für die Veröffentlichung „frei“ gewordene komprimierte Darstellung in § 58.
Kübler
§1
Einführung
ten eine Insolvenzmöglichkeit besteht, und infolgedessen Verhandlungen mit seinen Gläubigern aufnehmen. Ob das schuldnerische Unternehmen sanierungsfähig ist, sollen nach dem Richtlinienentwurf nicht die Insolvenzgerichte, sondern die Gläubiger entscheiden. 2.
Nationale Ebene
16 Die Insolvenzverwaltung respektive die Sanierungsbranche in Deutschland befinden sich in einem Umbruch.38) Zum einen sind die Zahlen der Unternehmensinsolvenzen stark rückläufig.39) Zum anderen haben die veränderte Vergabepraxis infolge des ESUG und die Professionalisierung der Vorbereitung größerer Verfahren dazu geführt, dass es zu einer „Vorstrukturierung“ dieser Verfahren kommt.40) Gläubiger und deren Berater nehmen stärkeren Einfluss auf die Verteilung der Verfahren und damit letztlich auf die Auswahl des Insolvenz- bzw. Sachwalters. Diese Entwicklung heizt auch die seit Jahren bestehende Forderung nach einer Berufsordnung für Insolvenzverwalter an, von der man sich nicht zuletzt Qualitätssicherung und die Professionalisierung der Insolvenzverwalter erhofft.41) Gegenstimmen halten den Beruf des Insolvenzverwalters für ein „Auslaufmodell“.42) Der BGH hat sich in einigen jüngeren Entscheidungen zum Anforderungsprofil der Insolvenzverwalter positioniert.43) Zahlreiche Insolvenzgerichte haben infolgedessen in den letzten Jahren Fragenkataloge entwickelt, mit denen von potenziellen Insolvenzverwaltern, die auf die Vorauswahllisten aufgenommen werden möchten, zahlreiche Informationen und Nachweise gefordert werden.44) Vielfach wird eine bundesweite einheitliche Vorauswahlliste gefordert,45) um die Informationen über die Verwalter zu bündeln. IV.
Schlussfolgerungen
17 Das Insolvenzrecht unterliegt in Deutschland seit langem einem stetigen Wandel. Besonders deutlich wird die Entwicklung bei den jahrzehntelangen Bemühungen, das Insolvenzverfahren nicht allein als Vollstreckungshandhabe, sondern vielmehr als Sanierungsmöglichkeit zu gestalten und zu propagieren. Die Neubelebung der Eigenverwaltung und die weitere Ausformung des Insolvenzplanverfahrens sollten den betroffenen Schuldnern Antrieb geben, die Sanierung rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Der Einsatz dieser Restrukturierungsinstrumente ist für den jeweiligen Fall sorgfältig zu prüfen. Gut sechs Jahre nach dem Inkrafttreten befindet sich das ESUG auf dem Prüfstand. Die Expertenkommission zur Evaluierung des ESUG hat ihre Arbeit abgeschlossen, die Ergebnisse der Kommission durften nach Maßgabe des BMJV von den Gutachtern erst ab November 2018 der Fachwelt umfassend vorgestellt werden.46) ___________ 38) 39) 40) 41)
42) 43) 44) 45) 46)
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INDat-Report 4/2017, S. 11. Tendenzen bei Beissenhirtz, ZInsO 2018, 281, 290. Pape, in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372; Hammes, NZI 2017, 233. Vallender, NZI 2017, 641; s. a. VID, Berufsordnung für Insolvenzverwalter, Eckpunktepapier v. 30.10.2009, abrufbar unter https://www.vid.de/initiativen/berufsordnung-fuer-insolvenzverwalter-vid-eckpunktepapier/ (Abrufdatum: 30.8.2018). Römermann, ZIP 2018, 1757. Frind, ZInsO 2017, 2146, 2151. BGH v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, ZIP 2016, 876, dazu EWiR 2016, 377 (Eckardt). Ausf. Bork, ZIP 2017, 2173, sowie Bork, ZIP 2017, 2173, und Thole, ZIP 2017, 2183. Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93; krit. Ganter, NZI 2018, 137. Der „Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2582)“ ist seit Oktober 2018 abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/ 101018_Bericht_BReg_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=2B4F7C40E1760ED70F0920CA9B64B3EA .2_cid297?__blob=publicationFile&v=1 (Abrufdatum: 10.10.2018). S. hierzu die mit dem Erscheinen der 3. Auflage des HRI-Handbuchs Anfang November 2018 für die Veröffentlichung „frei“ gewordene komprimierte Darstellung in § 58.
Kübler
Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht
§1
Die Erfahrungen aus der Anwendung des ESUG lehren, dass zum einen nicht innerhalb 18 kürzester Zeit nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung mit einem Bewusstseinswandel der Akteure zu rechnen ist.47) Zum anderen zeigt die Praxis, dass aufgrund der Stärkung der Gläubiger- und Schuldnerrechte die Verfahrensabwicklung teilweise eine Dynamik erfahren hat, die der Gesetzgeber in dieser Form sicher nicht beabsichtigt hatte. Hinzu kommt, dass noch immer nicht alle Insolvenzrichter den Sanierungsinstrumenten Eigenverwaltung und Insolvenzplan offen gegenüberstehen. Aber: Der Markt ist ständig in Bewegung und Professionalisierung ist ein Wesenselement der heutigen Zeit. Daher soll nach dem Koalitionsvertrag nunmehr eine Berufsordnung für Insolvenzverwalter realisiert werden.48) Nur so könne den Missständen, die sich in den letzten Jahren offenbart haben, entgegengetreten werden.49) Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission zum präventiven Restrukturierungsrahmen 19 beabsichtigt wie das ESUG die Etablierung einer Sanierungskultur. Dabei bietet er sowohl detaillierte Regelungen als auch Umsetzungsspielräume für die Mitgliedstaaten. Das neue Restrukturierungsverfahren sollte allerdings auf Fälle begrenzt werden, in denen die finanzielle Restrukturierung im Vordergrund steht.50) Anderenfalls besteht die Gefahr, dass das präventive Verfahren ähnlich wie das Insolvenzverfahren stigmatisierend wirkt.51) Noch gibt es keine endgültige Fassung der Richtlinie.52) Sollte der Entwurf der Richtlinie in der jetzigen Form Gesetz werden, besteht für Deutschland nach vielfach vertretener Meinung nicht unbedingt die Pflicht, ein vorinsolvenzliches Verfahren einzuführen.53) Vielmehr wird Deutschland ein gut funktionierendes Insolvenzrecht bescheinigt.54) Im Hinblick auf die spätere Umsetzung der Richtlinie sollte schon jetzt analysiert werden, welche Regelungen des ESUG sich bewährt haben und an welchen Stellen es Nachbesserungsbedarf gibt. Die ESUG-Evaluation und die Überlegungen zur frühzeitigen Restrukturierung sind daher eng miteinander verbunden.
___________ 47) Vallender, NZI 2010, 838, 844. 48) Koalitionsvertrag 2018, Zeile 6195 ff.: „Wir werden gesetzliche Rahmenbedingungen für die Berufszulassung und -ausübung von Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwaltern sowie Sachwalterinnen und Sachwaltern regeln, um im Interesse der Verfahrensbeteiligten eine qualifizierte und zuverlässige Wahrnehmung der Aufgaben sowie effektive Aufsicht zu gewährleisten.“ Abrufbar unter https:// www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/koalitionsvertrag-inhaltsverzeichnis.html (Abrufdatum: 30.8.2018). 49) U. a. Ganter, NZI 2018, 137, 144; Vallender, NZI 2017, 641. 50) Vallender, in: FS Wimmer, 2017, S. 537, 553; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2017, 203 ff. (Thesen zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren). 51) So auch Thole, ZIP 2017, 101, 112. 52) Inzwischen hat sich der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments mit dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission eingehend befasst und hierzu diverse Änderungsvorschläge gemacht, s. dazu Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments über den Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 0723, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/ sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bREPORT%2bA8-2018-0269%2b0%2bDOC %2bXML%2bV0%2f%2fDE&language=DE (Abrufdatum: 31.8.2018). 53) Vallender, in: FS Wimmer, 2017, S. 537, 553; diff. Thole, ZIP 2017, 101, 112; a. A. Goetker/Schultz, ZIP 2016, 2095, 2099. 54) Thole, ZIP 2017, 101, 112.
Kübler
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1. Teil Allgemeines §2 Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan Undritz
I.
Die systematische Stellung von Eigenverwaltung und Insolvenzplan in der InsO .................................................. 1 1. Das Insolvenzverfahren als Einheitsverfahren............................................... 1 2. Der (unfaire) „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“ ................................. 3 II. Eigenverwaltung und Insolvenzplan – cui bono?................................................... 9 1. Die übertragende Sanierung als Erfolgsmodell ............................................. 11 2. Rechtsträgerspezifische Berechtigungen............................................... 13 3. Frühzeitige Insolvenzantragstellung ........ 15
4.
Insolvenzplanverfahren als „Privatisierung der Insolvenzabwicklung“ ................ 17 III. Eigenverwaltung und Insolvenzplan im Verbund................................................ 21 1. Die „Gretchenfrage“ der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis des Schuldners: zwischen Gläubigerschutz und Stigmatisierung........................................... 21 2. Verhältnis von Eigenverwaltung und Insolvenzplan ............................................. 26 3. Verhältnis von Eigenverwaltung und Insolvenzplan zur übertragenden Sanierung .................................................... 30 IV. Problem der Fortführungsfinanzierung .............................................. 33
Literatur: Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Gravenbrucher Kreis, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland?, ZIP 2016, 1208; Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2015, 2159; Hölzle, Präventiver Restrukturierungsrahmen – Beitrag zu einer Verbesserung der Restrukturierungskultur in Europa und ergänzende Sanierungsoption oder „Schlachtbank“ für die Motive des ESUG?, ZIP 2017, 1307; Jacoby, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 359; Klupsch/Schulz, Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zu präventiven Restrukturierungsrahmen, EuZW 2017, 85; Knof, Erfordert die Fortführungsfinanzierung (doch) einen Umverteilungstatbestand im Insolvenzrecht?, ZInsO 2010, 1999; Schmidt, H., Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735; Thole, Der Richtlinienvorschlag zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Undritz, Restrukturierung in der Insolvenz, ZGR 2010, 201.
I.
Die systematische Stellung von Eigenverwaltung und Insolvenzplan in der InsO
1.
Das Insolvenzverfahren als Einheitsverfahren
1 Unter der Geltung des überkommenen Konkurs- und Vergleichsrechts waren drei verschiedene Verfahrensarten bekannt: Die Vergleichsordnung von 1935 beinhaltete bis zu ihrer Aufhebung durch Inkrafttreten der InsO vom 1.1.1999 das konkursbeendende bzw. konkursabwendende Vergleichsverfahren, daneben beinhaltete die Konkursordnung von 1877 das Liquidationsverfahren und den konkursrechtlichen Vergleich. Die InsO 1994/1999 vereint alle drei Verfahrensarten, indem sie stets nach Antragstellung in ein einheitliches Eröffnungsverfahren und anschließend in ein einheitliches Insolvenzverfahren führt. In jedem Verfahrensstadium können die allgemeinen Regeln des Regelinsolvenzverfahren durch die besonderen Regelungen des Insolvenzplanverfahrens oder die besonderen Regelungen der Eigenverwaltung überlagert bzw. ergänzt werden. Der Schuldner kann mit dem Eröffnungsantrag den Insolvenzplan vorlegen (§ 218 Abs. 1 Satz 2 InsO) und damit von Beginn an den Erhalt „seines“ Unternehmens anstreben. Das gesetzliche Liquidationsverfahren kann aber auch noch bis zum Schlusstermin in ein Insolvenzplanverfahren überführt werden (§ 218 Abs. 1 Satz 3 InsO). Es gibt keinen Vorrang der Instrumente. Alle dienen allein der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger und stehen im Hinblick auf 8
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
§2
dieses Ziel in einem freien „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“.1) Der Schutz des Schuldners ist nicht einmal als Nebenzweck anerkannt.2) Das ESUG ließ das Einheitsverfahren unberührt. Die Reformbemühungen konzen- 2 trierten sich vielmehr auf die Verbesserung der bestehenden Instrumente des Insolvenzplans und der Eigenverwaltung. Die Verbesserungen infolge des ESUG sollten den „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“ neu anheizen. Den zahlreichen Rufen nach einem vorinsolvenzlichen, außergerichtlichen Sanierungsverfahren ist der Reformgesetzgeber hingegen bislang nicht gefolgt.3) Die EU-Kommission hat nun den Vorschlag für eine Richtlinie4) veröffentlicht, die überlebensfähigen Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten unionsweit den Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen eröffnen soll.5) Ausweislich der Erwägungsgründe des Vorschlags zielt die an die Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlung darauf ab, Mindestnormen festzulegen für (i) präventive Restrukturierungsverfahren, die Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten in die Lage versetzen, ihr Unternehmen frühzeitig umzustrukturieren und so eine Insolvenz abzuwenden, und (ii) eine Entschuldung von redlichen Unternehmern innerhalb festgesetzter Fristen als notwendige Voraussetzung, um diesen eine zweite Chance einzuräumen. Der präventive Restrukturierungsrahmen soll ausdrücklich im Vorfeld der Insolvenz sein Einsatzfeld haben. Er ist zudem nicht als „Gesamtverfahren“ ausgestaltet, das sämtliche Gläubiger betrifft, sondern bleibt auf bestimmte Gläubigergruppen beschränkt. Es geht demnach gerade um ein Verfahren der Insolvenzvermeidung, das dem Insolvenzverfahren vorangeht, nicht um einen neuen Insolvenzverfahrenstyp, der neben das bestehende Insolvenzverfahren tritt und zu einem „Dualismus“ der Insolvenzverfahrenstypen führt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht in Deutschland zu einem Ende des Einheitsverfahrens führen wird. Allerdings wird die Abgrenzung zwischen dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren und dem Insolvenzverfahren eine große Herausforderung, nicht zuletzt weil einzelne Themenbereiche auch eine Verzahnung erfordern (z. B. die Privilegierung bestimmter Sanierungsmaßnahmen in einem Folgeinsolvenzverfahren im Hinblick auf die Insolvenzanfechtung und Haftung wegen Insolvenzverschleppung). Es dürfte in Deutschland ein „Abstandsgebot zu den Insolvenzantragspflichten“ einzuhalten sein.6) Zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über 2a präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren hat nunmehr auch der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments seinen finalen Bericht vorgelegt. Der Rechtsausschuss hat zahlreiche Änderungsanträge zum Richtlinienvorschlag beschlossen, die auch ganz zentrale Aspekte des Restrukturierungsrahmens betreffen, wie z. B. die Frage der Eingangsvoraussetzungen zum vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, die Ein___________ 1) S. dazu etwa I. Pape, in: Uhlenbruck, InsO, § 1 Rz. 1. 2) Zu der durchaus strittigen Frage, ob der Schutz des Schuldners zumindest als Nebenzweck des Insolvenzverfahrens anzuerkennen ist, s. Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 97. 3) Statt vieler Bork, ZIP 2010, 397, 406; Jacoby, ZGR 2010, 359, 371 ff.; s. a. Madaus, NZI 2011, 622, 624 f. 4) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016 für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final. 5) Bork, ZIP 2017, 1441; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2016, 1208; Hölzle, ZIP 2017, 1307; Klupsch/Schulz, EuZW 2017, 85; H. Schmidt, WM 2017, 1735; Thole, ZIP 2017, 101. 6) So die ausdrückliche Forderung etwa S. 5 der Stellungnahme Nr. 17/17 des DAV aus Februar 2017 zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final.
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§2
1. Teil Allgemeines
bindung von Gerichten und Verwaltern, die Anforderungen beim klassenübergreifenden Cram-Down oder auch die Aufgaben und Pflichten der Unternehmensleitung. 2.
Der (unfaire) „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“
3 Das Insolvenzverfahren als Einheitsverfahren (siehe Rz. 1 f.) dient nach § 1 Satz 1 InsO dem Ziel, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.“ Der Einsatz von Eigenverwaltung und Insolvenzplan kann nur diesem Zweck zu dienen bestimmt sein. Eigenverwaltung und Insolvenzplan legitimieren sich mithin dadurch, dass sie eine bessere Befriedigungsaussicht versprechen als die Liquidation des schuldnerischen Vermögens („Zerschlagung“) und auch die sog. übertragende Sanierung (siehe Rz. 11 ff.), die – entgegen ihrer Bezeichnung – mit Blick auf das Vermögen des Rechtsträgers auch eine besondere Form der Liquidation ist („Liquidation im Verbund“). Der Schuldner kann auch zum Zwecke der Liquidation seines Vermögens die Anordnung der Eigenverwaltung beantragen und/oder einen (Liquidations-)Insolvenzplan zur Abstimmung stellen (siehe Rz. 26). Dies erfolgt nicht selten etwas „verdeckt“, z. B. wenn die Eigenverwaltung die Sanierung durch Insolvenzplan und durch einen M&A-Prozess parallel anstößt (Dual-TrackVerfahren) und im Ergebnis der M&A-Prozess erfolgreich abgeschlossen werden kann und das Verfahren in einer „übertragenden Sanierung“ des schuldnerischen Unternehmens oder bestimmter Unternehmensteile mündet. Die Umsetzung der Ergebnisse des M&AProzesses kann dabei auch durch Einsatz eines (verfahrensleitenden) Insolvenzplans erfolgen. In dieser Konstellation erfolgt die Liquidation des „Restes“ des schuldnerischen Unternehmens nach Aufhebung der Eigenverwaltung schließlich nicht selten in einem Regelinsolvenzverfahren. Das Gesetz hat als paradigmatischen Fall der Eigenverwaltung jedoch die Fortführung eines schuldnerischen Unternehmens zum Zwecke der Eigensanierung vor Augen. In dieser Konstellation zeigen sich die Vorteile der Eigenverwaltung in einem besonderen Maße (siehe Rz. 9 ff.). 4 Die Auseinandersetzung der Gesellschafter des Suhrkamp-Verlags hat kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des ESUG nach Einleitung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO über das Vermögen der Suhrkamp Verlag-GmbH & Co. KG die Frage aufgeworfen, in welchem Umfang der Einsatz von Eigenverwaltung und Insolvenzplan auch anderen Zwecken zu dienen bestimmt sein darf, ohne dass eine insolvenzzweckwidrige Motivlage vorliegt (siehe § 6 Rz. 49).7) Der BGH vertritt mit Blick auf den Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs des Insolvenzverfahrens bislang eine eher strenge Linie.8) Er betont, dass das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag nur dann entfällt, wenn der Gläubiger ausschließlich insolvenzzweckwidrige Ziele verfolgt. Erstrebt der Gläubiger z. B. neben einer quotalen Befriedigung zugleich die Ausschaltung eines zahlungsunfähigen Wettbewerbers, kann ihm ein Rechtschutzinteresse nicht versagt werden. Der Nebenzweck, einen insolventen Schuldner an einer weiteren Tätigkeit zu hindern, schließe mit Rücksicht auf den allgemeinen Verkehrsschutz zur Vermeidung einer fortwährenden Gläubigergefährdung das Rechtsschutzinteresse nicht aus. Gemessen an diesem Maßstab dürfte die Ablehnung ___________ 7) S. zu den verschiedenen Aspekten dieses Falls LG Frankfurt/M. v. 13.11.2013 – 3-03 O 72/12, ZIP 2013, 2311; OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz) (vorgehend: LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831); LG Frankfurt/M. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13, ZIP 2013, 1720, dazu EWiR 2013, 581 (v. Falkenhausen); LG Frankfurt/M. v. 19.7.2013 – 3-09 O 78/13, ZIP 2013, 1473; LG Frankfurt/M. v. 20.3.2013 – 3-13 O 119/12, ZIP 2013, 2080; s. a. Fölsing, ZInsO 2013, 1325; Hölzle, ZIP 2013, 1846; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953; Meyer, NJW 2013, 753; Schäfer, ZIP 2013, 2237; Thole, ZIP 2013, 1937. 8) BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, ZIP 2011, 1161 = NZI 2011, 540.
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
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eines Rechtsschutzinteresses in der Praxis oder sogar der Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs nur schwer möglich sein. Das ist allenfalls anders zu beurteilen, wenn überhaupt kein Insolvenzgrund gegeben ist, im Fall des Eigenantrags also nicht einmal der fakultative Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO vorliegt. Zwischen den zuvor genannten Verwertungsmöglichkeiten besteht ein Gleichrang (siehe 5 Rz. 1). Im Ausgangspunkt stehen alle Verwertungsmöglichkeiten mithin in einem freien „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“. Allerdings haben die insolvenzrechtlichen Rahmenbedingungen dieses „Wettbewerbs um die beste Verwertungsart“ nach der InsO 1994/1999 a. F. bisher nicht unbedingt einen fairen Wettbewerb gewährleistet. Vielmehr zeigten die empirischen Daten über den tatsächlichen Einsatz der Instrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan in der Praxis vor dem Inkrafttreten des ESUG, dass sie offenbar gegenüber den anderen Verwertungsarten nicht wettbewerbsfähig sind.9) Ob die Änderungen des ESUG die Wettbewerbsfähigkeit der Eigenverwaltung und des Insolvenzplans nachhaltig erhöhen, bleibt noch abzuwarten.10) Aus den in den ersten Jahren erhobenen Zahlen über „ESUG-Verfahren“ lässt sich ein solcher Trend deutlich ablesen. Über Erfolg oder Misserfolg im vorgenannten Wettbewerb entscheidet allerdings nicht nur die bloße Anzahl der Verfahrenseröffnungen in Eigenverwaltung und/oder mit Vorlage eines Insolvenzplans, sondern v. a. auch die Nachhaltigkeit der mit diesen Instrumenten bezweckten Sanierung. Insofern muss genau hingesehen werden, welche „ESUG-Verfahren“ zu einem späteren Zeitpunkt in Folgeinsolvenzen münden. Der Gesetzgeber hatte der Bundesregierung mit dem Erlass des ESUG bereits aufgetragen, das Gesetz fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten zu evaluieren und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten. Dafür hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ein Forschungsvorhaben ausgeschrieben. Der Evaluationsbericht der Forschergruppe, der am 30.4.2018 zunächst exklusiv an das BMJV übermittelt wurde, wird eine rechtstatsächliche Untersuchung der Folgen des ESUG, aber auch eine qualitative Analyse (u. a. unterstützt durch Experteninterviews) liefern, die den Änderungs- und Ergänzungsbedarf aufzeigen sollen.11) Die hauptsächlichen Ursachen der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit von Eigenverwal- 6 tung und Insolvenzplan bis zum Inkrafttreten des ESUG waren einmal in ihrer eigenen Schwäche, aber auch in der Stärke der konkurrierenden Sanierungsinstrumente, v. a. der sog. übertragenden Sanierung, zu sehen (siehe Rz. 11).12) Eine wesentliche Schwäche der beiden Instrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan nach der InsO 1994/1999 a. F., die auch der Reformgesetzgeber des ESUG ausgemacht hat,13) war die Unsicherheit, die sich in ganz unterschiedlicher Art mit ihrem Einsatz verbunden hat. So war etwa bei der Eigenverwaltung ungewiss, ob das Gericht dem Antrag des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung überhaupt entspricht oder nicht das Insolvenzverfahren eröffnet und doch unversehens einen Insolvenzverwalter bestellt, der die „Kontrolle“ übernimmt.14) In einer Entscheidungssituation für oder gegen die Insolvenzantragstellung bestimmte dann zumeist der individuell leistbare Verlust und nicht etwa der zu erwartete Ertrag, welche Möglichkeit der Sanierung ergriffen wird. Da der Verlust der Kontrolle für den Schuldner ___________ 9) Zu empirischen Daten s. etwa Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, Fn. 2. 10) S. dazu etwa die Einschätzung des Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2015, 2159. 11) Zu den Einzelheiten s. die Internetpräsenz der Forschungsgruppe Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole zu dem Projekt „ESUG-Evaluation“ unter https://www.esug-evaluation.de/ (Abrufdatum: 30.7.2018). 12) Zu der sog. übertragenden Sanierung als Erfolgsmodell der Restrukturierung Undritz, ZGR 2010, 201, 205 ff.; Undritz, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 265. 13) Vgl. die Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18 f. 14) Zu dieser Möglichkeit s. etwa Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1343.
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1. Teil Allgemeines
in dieser Situation häufig als worst case angesehen wird, verhinderte nicht zuletzt auch diese Unsicherheit über die Anordnung der Eigenverwaltung eine Entscheidung für die Insolvenzantragstellung. Dieser Ungewissheit hinsichtlich eines etwaigen Kontrollverlustes begegnet das ESUG mit der Möglichkeit der Rücknahme des Insolvenzantrags, wenn das Insolvenzgericht die Voraussetzungen einer Anordnung der Eigenverwaltung für nicht gegeben erachtet und wenn der Insolvenzantrag sich allein auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit stützt (vgl. § 270a Abs. 2 InsO; siehe dazu auch § 6 Rz. 216 ff.). 7 In ähnlicher Weise war auch das Insolvenzplanverfahren nach der InsO 1994/1999 a. F. mit erheblicher Unsicherheit belastet. Über das naturgemäß schwer zu prognostizierende Abstimmungsverhalten bei stark divergierenden Interessen der Beteiligten hinaus, drohte ein erhebliches Stör- und Blockadepotential jedes einzelnen Beteiligten wegen des Suspensiveffekts etwaiger Rechtsmittel. Bis ein Insolvenzplan seine Wirkungen entfaltet, konnten so mitunter mehrere Monate oder sogar Jahre ins Land gehen.15) Hinzu kam noch, dass das Insolvenzplanverfahren nach der InsO 1994/1999 a. F. gesellschaftsrechtliche Enthaltsamkeit übte und die Anteilsinhaber nicht dem Insolvenzplan unterworfen hat. Im Ergebnis hing daher das Wohl und Wehe einer Sanierung des Rechtsträgers in einem Insolvenzplanverfahren stets von der Zustimmung der Anteilsinhaber ab, die sich für ihre starke Position nicht selten Sondervorteile versprechen ließen (zur Aufgabe dieser gesellschaftsrechtlichen Enthaltsamkeit mit dem ESUG siehe § 31 Rz. 1 ff.). 8 Eine weitere allgemeine Schwäche der Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahrens sind die nur begrenzten Möglichkeiten einer Fortführungsfinanzierung (siehe Rz. 33 ff.). Sanierungshemmende Wirkung haben zudem einige Maßgaben des Arbeitsrechts (siehe dazu unten § 55) und des Steuerrechts (siehe dazu unten § 57). II.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan – cui bono?
9 Eigenverwaltung und Insolvenzplan sollen ganz i. S. des § 1 Satz 1 InsO zum Einsatz kommen, wenn der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger führt. Die Sanierung ist demnach nicht eigenständiges Verfahrensziel, sondern Mittel zum Zweck (siehe Rz. 3).16) 10 Wenn man den Begriff der „Sanierung“ weit versteht und zwischen der Sanierung des Unternehmens und seinem Inhaber, dem Unternehmensträger, unterscheidet, kennt die Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahren drei Wege: das Insolvenzplanverfahren und die Eigenverwaltung sowie als weitere Möglichkeit die sog. übertragende Sanierung. Allerdings haben nur Insolvenzplanverfahren und Eigenverwaltung beides im Blick: die Sanierung des Unternehmens und die seines Inhabers, des Unternehmensträgers. Dagegen wird im Zuge der übertragenden Sanierung eine Trennung der Aktiva (Vermögensgegenstände) von den Passiva (Schulden) vollzogen. Durch die Übertragung bestimmter Vermögensgegenstände als Einheit auf einen anderen Rechtsträger (Asset Deal) können ertragsfähige von nicht ertragsfähigen Unternehmensteilen getrennt und erstere fortgeführt werden. Der zurückbleibende Rechtsträger wird liquidiert.
___________ 15) So auch die Analyse der Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17; das ESUG reagiert auf diese Schwäche des Insolvenzplanverfahrens mit einer umfassenden Änderung des Rechtsmittelrechts (s. dazu unten § 43 Rz. 114 ff.) und überdies mit der Einbeziehung der Anteilsinhaber in das Insolvenzplanverfahren (dazu unten § 31). 16) Zur Frage, ob die Sanierung eigenständiges Ziel des Insolvenzverfahrens ist oder nicht, Ganter/ Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 85.
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1. Teil Allgemeines
in dieser Situation häufig als worst case angesehen wird, verhinderte nicht zuletzt auch diese Unsicherheit über die Anordnung der Eigenverwaltung eine Entscheidung für die Insolvenzantragstellung. Dieser Ungewissheit hinsichtlich eines etwaigen Kontrollverlustes begegnet das ESUG mit der Möglichkeit der Rücknahme des Insolvenzantrags, wenn das Insolvenzgericht die Voraussetzungen einer Anordnung der Eigenverwaltung für nicht gegeben erachtet und wenn der Insolvenzantrag sich allein auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit stützt (vgl. § 270a Abs. 2 InsO; siehe dazu auch § 6 Rz. 216 ff.). 7 In ähnlicher Weise war auch das Insolvenzplanverfahren nach der InsO 1994/1999 a. F. mit erheblicher Unsicherheit belastet. Über das naturgemäß schwer zu prognostizierende Abstimmungsverhalten bei stark divergierenden Interessen der Beteiligten hinaus, drohte ein erhebliches Stör- und Blockadepotential jedes einzelnen Beteiligten wegen des Suspensiveffekts etwaiger Rechtsmittel. Bis ein Insolvenzplan seine Wirkungen entfaltet, konnten so mitunter mehrere Monate oder sogar Jahre ins Land gehen.15) Hinzu kam noch, dass das Insolvenzplanverfahren nach der InsO 1994/1999 a. F. gesellschaftsrechtliche Enthaltsamkeit übte und die Anteilsinhaber nicht dem Insolvenzplan unterworfen hat. Im Ergebnis hing daher das Wohl und Wehe einer Sanierung des Rechtsträgers in einem Insolvenzplanverfahren stets von der Zustimmung der Anteilsinhaber ab, die sich für ihre starke Position nicht selten Sondervorteile versprechen ließen (zur Aufgabe dieser gesellschaftsrechtlichen Enthaltsamkeit mit dem ESUG siehe § 31 Rz. 1 ff.). 8 Eine weitere allgemeine Schwäche der Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahrens sind die nur begrenzten Möglichkeiten einer Fortführungsfinanzierung (siehe Rz. 33 ff.). Sanierungshemmende Wirkung haben zudem einige Maßgaben des Arbeitsrechts (siehe dazu unten § 55) und des Steuerrechts (siehe dazu unten § 57). II.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan – cui bono?
9 Eigenverwaltung und Insolvenzplan sollen ganz i. S. des § 1 Satz 1 InsO zum Einsatz kommen, wenn der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger führt. Die Sanierung ist demnach nicht eigenständiges Verfahrensziel, sondern Mittel zum Zweck (siehe Rz. 3).16) 10 Wenn man den Begriff der „Sanierung“ weit versteht und zwischen der Sanierung des Unternehmens und seinem Inhaber, dem Unternehmensträger, unterscheidet, kennt die Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahren drei Wege: das Insolvenzplanverfahren und die Eigenverwaltung sowie als weitere Möglichkeit die sog. übertragende Sanierung. Allerdings haben nur Insolvenzplanverfahren und Eigenverwaltung beides im Blick: die Sanierung des Unternehmens und die seines Inhabers, des Unternehmensträgers. Dagegen wird im Zuge der übertragenden Sanierung eine Trennung der Aktiva (Vermögensgegenstände) von den Passiva (Schulden) vollzogen. Durch die Übertragung bestimmter Vermögensgegenstände als Einheit auf einen anderen Rechtsträger (Asset Deal) können ertragsfähige von nicht ertragsfähigen Unternehmensteilen getrennt und erstere fortgeführt werden. Der zurückbleibende Rechtsträger wird liquidiert.
___________ 15) So auch die Analyse der Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17; das ESUG reagiert auf diese Schwäche des Insolvenzplanverfahrens mit einer umfassenden Änderung des Rechtsmittelrechts (s. dazu unten § 43 Rz. 114 ff.) und überdies mit der Einbeziehung der Anteilsinhaber in das Insolvenzplanverfahren (dazu unten § 31). 16) Zur Frage, ob die Sanierung eigenständiges Ziel des Insolvenzverfahrens ist oder nicht, Ganter/ Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 85.
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Die übertragende Sanierung als Erfolgsmodell
Innerhalb des Insolvenzverfahrens ist die Sanierung von Unternehmen mittels übertra- 11 gender Sanierung ein Erfolgsmodell.17) Der Begriff der übertragenden Sanierung wird teilweise deswegen kritisiert, weil es sich bei dieser Form der Unternehmensrettung rein technisch betrachtet gar nicht um eine (Eigen-)Sanierung handelt, sondern um eine besondere Art der Verwertung des Vermögens des Schuldners durch den Insolvenzverwalter, in deren Folge der ursprüngliche Unternehmensträger liquidiert wird (siehe Rz. 10).18) Diese aus dogmatischer Sicht durchaus nachvollziehbare Kritik vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass sich diese „besondere Form der Unternehmenssanierung“19) in der insolvenzrechtlichen Praxis als vielversprechendes Rettungsinstrument etabliert hat. Die InsO kennt die übertragende Sanierung (immer noch) nicht; den Begriff sucht man 12 in der InsO auch nach dem ESUG vergebens.20) Dennoch ist die übertragende Sanierung seit ihrer Konzeption und Namensgebung durch Karsten Schmidt21) zu Beginn der 1980er Jahre längst allgemein anerkannt. Im Gegensatz zur InsO selbst hat der Gesetzgeber von diesem erfolgreichen Sanierungsinstrument durchaus Notiz genommen und durch vereinzelte Maßnahmen Rahmenbedingungen geschaffen, die zumindest mittelbar die Durchführung der übertragenden Sanierung erleichtern sollen. So weist der Gesetzgeber der InsO 1994/1999 ausdrücklich darauf hin: „Die übertragende Sanierung hat sich bereits nach dem geltenden Recht außerordentlich bewährt. […] In der rechtspolitischen Diskussion ist teilweise vorgeschlagen worden, die übertragende Sanierung gegenüber der Sanierung des Unternehmensträgers zu erschweren und zurückzudrängen. Beispielsweise ist gefordert worden, § 25 HGB und § 419 BGB bei übertragenden Sanierungen auch im Insolvenzverfahren anzuwenden mit der Folge, daß der Betriebs- oder Unternehmenserwerber für die Altverbindlichkeiten weiter haftet. Der Entwurf greift derartige Vorschläge nicht auf. Die übertragende Sanierung soll den Beteiligten vielmehr neben der Sanierung des Unternehmensträgers als gleichrangiges Sanierungsinstrument angeboten werden.“ 2.
Rechtsträgerspezifische Berechtigungen
Im Gegensatz zur Sanierung auch des Rechtsträgers im Wege der Eigenverwaltung oder des 13 Insolvenzplanverfahrens, weist die übertragende Sanierung ein Manko auf: Die rechtsträgerspezifischen Berechtigungen „hängen“ am insolventen Rechtsträger des Unternehmens und können als Vermögensgegenstand nicht getrennt von diesem auf einen Dritten übertragen werden.22) Angesprochen sind hiermit in erster Linie Vertragsverhältnisse des Schuldners, die nur mit Zustimmung des Gläubigers auf den neuen Rechtsträger übertragen werden können (vgl. § 415 BGB), wie z. B. Miet- und Pachtverträge, langfristige Verträge über Lieferung und Leistung. Ferner z. B. auch Nutzungsrechte an geistigem Eigentum, etwa Lizenz- und Urheberrechte, sowie Genehmigungen, Zertifizierungen oder Akkreditierungen oder steuerliche Verlustvorträge, die ebenfalls alle an den Rechtsträger gebunden sind. Die Übertragung von Vermögensgegenständen als Einheit stößt mit Blick auf solche 14 rechtsträgerspezifischen Berechtigungen an ihre Grenzen. Die übertragende Sanierung ist ___________ 17) Dazu Undritz, ZGR 2010, 201, 205; zur vorinsolvenzlichen übertragenden Sanierung und ihren Risiken in einer etwaigen Anschlussinsolvenz s. Uhlenbruck, ZInsO 2013, 2033 ff. 18) Kluth, NZI 2002, 1 ff. 19) Wellensiek, NZI 2002, 233, 234. 20) Der Begriff „Sanierung“ findet sich seit der Einführung des MoMiG am 1.11.2008 in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO. 21) K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 329. 22) Zu diesem Manko etwa Bitter, ZGR 2010, 147, 157 ff.; Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157; ferner auch Braun, in: FS Fischer, 2008, S. 53, 63 ff.; Brinkmann, WM 2011, 97 f.
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deshalb immer dann ungeeignet, wenn wesentliche Vermögenswerte des Unternehmens an den Rechtsträger gebunden sind. In diesen Fällen traten auch schon vor dem Inkrafttreten des ESUG die Eigenverwaltung und das Insolvenzplanverfahren aus ihrem „Schattendasein“ heraus. 3.
Frühzeitige Insolvenzantragstellung
15 Im Mittelpunkt der gesetzgeberischen Tätigkeit stand bereits 1994 sowohl mit Blick auf die Eigenverwaltung als auch mit Blick auf den Insolvenzplan die Schaffung eines Anreizes für den Schuldner zur frühzeitigen Insolvenzantragstellung. Vor diesem Hintergrund ist auch die seinerzeitige Einführung des Insolvenzgrunds der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO zu sehen. Rechtstatsächlich haben sich die Hoffnungen des Gesetzgebers, die Eigenverwaltung und der Insolvenzplan würden sich zu einer bedeutenden Option in der vorinsolvenzlichen Phase entwickeln und dabei – en passant – eine frühzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens bewirken, nicht erfüllt. 16 Hier setzte das ESUG an und versuchte erneut, durch die Stärkung der Eigenverwaltung sowie den Aus- und Umbau des Insolvenzplanverfahrens die Attraktivität beider Instrumente zu steigern. Der Reformgesetzgeber des ESUG erhoffte sich durch die Änderungen im Bereich der Eigenverwaltung und des Insolvenzplanverfahrens eine Anreizwirkung zugunsten einer frühzeitigen Antragstellung und blieb seiner Linie „Aktivierung der Beteiligten, statt Sanktionierung“ treu.23) Die Annahme des Reformgesetzgebers des ESUG dürfte sich zwar im Grundsatz als richtig erwiesen haben und die gestärkten Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan und auch der „Schutzschirm“ nach § 270b InsO entfalten tatsächlich die erhoffte Anreizwirkung. Dies betrifft aber zahlenmäßig unverändert Einzelfälle und hat das Problem der verspäteten Insolvenzantragstellung und in der Folge das Problem der ausgezehrten Insolvenzmassen nicht beseitigt. In den Einzelfällen profitieren dann aber zumindest mittelbar alle Beteiligten von der Eigenverwaltung und dem Insolvenzplan in Form einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung. Der Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan und einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung ist aber mitnichten zwingend. Auch „ESUG-Verfahren“ kann eine lang währende Insolvenzverschleppung und eine Auszehrung der Insolvenzmasse vorangegangen sein, sodass die Erfolgsaussichten einer Sanierung oder doch wenigstens einer nachhaltigen Sanierung fraglich sind. Denn auch die Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahrens setzt stets die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens voraus. Um diese Voraussetzung steht es angesichts massenhafter Insolvenzverschleppungen in den allermeisten Fällen nicht allzu gut, weswegen nach einer Fortführung im Eröffnungsverfahren die unmittelbare übertragende Sanierung im eröffneten Insolvenzverfahren nicht selten der einzig gangbare Weg des Erhalts des Unternehmens und von Arbeitsplätzen darstellt. Führt nun aber das Ergreifen der Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan in Einzelfällen zu einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung und damit der Erhöhung des Sanierungspotentials, kann sich für Gläubiger und Schuldner eine Win-win-Situation ergeben, weil der eine nicht die Kontrolle über seine Gesellschaft verliert und die anderen eine bessere Befriedigung ihrer Forderungen aus dem Erlös der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens erwartet. 4.
Insolvenzplanverfahren als „Privatisierung der Insolvenzabwicklung“
17 Vor dem Hintergrund der Nachteile der außergerichtlichen Sanierung (Einstimmigkeitserfordernis und Akkordstörerproblem, Haftungsrisiken und Risiken der Insolvenzan___________ 23) Vgl. die Analyse in der Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17.
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
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fechtung in einem Folgeinsolvenzverfahren etc.) nimmt auf den ersten Blick wunder, dass das Insolvenzplanverfahren in der Sanierungspraxis – zumindest vor dem Inkrafttreten des ESUG – ein Schattendasein führte. Denn der Gesetzgeber der InsO 1994/1999 verfolgte durchaus das Ziel, so viele Elemente der „freien“ Sanierung wie möglich in das gerichtliche Insolvenzplanverfahren nach den §§ 217 ff. InsO zu integrieren, mithin die Vorteile herüber zu nehmen und gleichzeitig den Nachteilen abzuhelfen. Hinsichtlich des Insolvenzplanverfahrens soll die InsO „nur“ einen gesetzlichen Rahmen bilden und überantwortet die Entscheidung über das Ob und Wie der zu ergreifenden Sanierungsmaßnahmen i. Ü. den Beteiligten, weshalb mit Blick auf das Insolvenzplanverfahren auch von der „Privatisierung der Insolvenzabwicklung“ gesprochen wird.24) Ausdrücklich heißt es in der Gesetzesbegründung, das Insolvenzplanverfahren verfolge das Ziel, „den Beteiligten einen Rechtsrahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen zu ermöglichen“.25) Mit Blick auf die Bindungswirkung gegenüber den Beteiligten geht der bestätigte Insol- 18 venzplan sogar über den außergerichtlichen Sanierungsvergleich hinaus. Denn innerhalb des Insolvenzplanverfahrens gilt qua Gesetz die Mehrheitsherrschaft. Einzelne Gegenstimmen gegen den Insolvenzplan werden vorbehaltlich des Minderheitenschutzes nach § 251 InsO (dazu unten § 43) nicht gehört. Darüber hinaus wird unter den Voraussetzungen des § 245 InsO sogar die Zustimmung einer ganzen Gläubigergruppe, die in ihrer Abstimmungsgruppe mehrheitlich gegen den Insolvenzplan gestimmt hat, fingiert (zum Obstruktionsverbot siehe unten § 41). Damit ist ein wesentlicher Unterschied des außergerichtlichen Sanierungs- oder Liquidationsvergleichs zum heutigen gerichtlich bestätigten Insolvenzplan (vgl. § 254 Abs. 1 InsO) und auch zum früheren Vergleich nach der Vergleichsordnung (vgl. § 82 VglO) ausgemacht.26) Diese in der Theorie unbestreitbaren Vorteile des Insolvenzplanverfahrens waren jedoch 19 aufgrund praktischer Umsetzungsschwierigkeiten nur selten zur Geltung gekommen. Die Allgemeine Begründung des ESUG identifiziert u. a. die fehlende Kalkulierbarkeit des Planverfahren als eine Schwäche der §§ 217 ff. InsO a. F., da das Wirksamwerden eines Insolvenzplans durch Rechtsmittel einzelner Gläubiger „um Monate oder gar Jahre hinausgezögert werden könne“.27) Diese Schwachstellen sollten mit dem ESUG behoben werden.28) Die Begründung des RegE fasst daher das Ziel des ESUG wie folgt zusammen: „Die Möglichkeiten der Sanierung durch einen Insolvenzplan werden erweitert, Blockadepotential wird abgebaut.“29) Ob die nunmehr verbesserten Rahmenbedingungen ausreichend sind, damit in Zukunft die Vorteile der Sanierung im Insolvenzverfahren zur Geltung kommen, ist derzeit Gegenstand einer umfassenden Evaluation der neuen bzw. angepassten Regelungen (siehe oben Rz. 5). Der bloße Umstand, dass innerhalb des Insolvenzverfahrens eine Mehrheitsherrschaft be- 20 steht, die zudem durch ein Obstruktionsverbot flankiert wird, kann auch Vorwirkungen auf die Sanierungsverhandlungen in der vorinsolvenzlichen Phase zeitigen. Insofern haben die Rahmenbedingungen des Insolvenzplanverfahrens nach §§ 217 ff. InsO einen „Disziplinierungseffekt“ auf die vorinsolvenzlichen Verhandlungen, wenn der vorinsolvenzliche Sanierungsplan jederzeit in einen Insolvenzplan überführt werden kann. ___________ 24) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 217 bis 269 Rz. 1. 25) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90. 26) Auch die analoge Anwendung des § 82 VglO auf den außergerichtlichen Vergleich wurde seinerzeit abgelehnt, dazu Ebenroth/Grashoff, BB 1992, 865, 866 und 870 f. m. w. N. 27) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 28) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 29) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17.
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§2
1. Teil Allgemeines
III.
Eigenverwaltung und Insolvenzplan im Verbund
1.
Die „Gretchenfrage“ der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners: zwischen Gläubigerschutz und Stigmatisierung
21 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners geht nach § 80 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Damit markiert die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Zäsur für den Schuldner und ggf. seine Organe, die aus deren Sicht nicht selten als „Kontrollverlust“ bezeichnet und gefürchtet wird. Im Ergebnis werden Rechtsinhaberschaft einerseits und Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis andererseits ausnahmsweise getrennt. Diese Rechtsfolge ist in der Insolvenz die normative Regel, die auch in der Rechtswirklichkeit, in der die Eigenverwaltung des Schuldners kaum eine Rolle spielt, am häufigsten zu beobachten ist. Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter als Grundprinzip des Insolvenzverfahrens dient dem Schutz der Insolvenzmasse und damit mittelbar den Gläubigern, unabhängig von der Art und Weise der Verwertung des schuldnerischen Vermögens.30) 22 Die Trennung von Rechtsinhaberschaft und Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gilt im Grundsatz auch im Fall der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens zum Zwecke der Befriedigung der Gläubiger aus seinen Erträgen i. R. eines Insolvenzplans. Denn auch hier wird im Regelfall mit Verfahrenseröffnung ein Insolvenzverwalter bestellt und geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nach § 80 InsO auf ihn über. Das gilt selbst dann, wenn der Schuldner nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO von seinem Planvorlagerecht Gebrauch macht und die Vorlage des Insolvenzplans nach § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbindet (siehe Rz. 1), mag auch hier zunächst nur ein vorläufiger Insolvenzverwalter nach §§ 21, 22 InsO bestellt werden.31) 23 Die Regel, dass der Schuldner seine Befugnis zur Verwaltung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens und zur Verfügung über die Vermögensgegenstände der Insolvenzmasse verliert, wird nur im besonderen Fall der Anordnung der Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. und §§ 304 ff. InsO durchbrochen. Die Durchbrechung dieser regelmäßigen Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sollte nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzgebers der InsO eine Ausnahme bleiben. Die Begründung für den Ausnahmecharakter liefert der RegE InsO des Jahres 1992:32) „Eine Person, die den Eintritt der Insolvenz nicht hat vermeiden können, wird meist nicht dazu geeignet sein, die Insolvenzmasse optimal zu verwerten und bei der Durchführung des Insolvenzverfahrens die Interessen der Gläubiger über die eigenen Interessen zu stellen.“ 24 Die Begründung lässt – zumindest im Ansatz – die Vorstellung erkennen, dass der Schuldner, der seine Gläubiger nicht zu befriedigen vermag, das Vertrauen in seine unternehmerischen Fähigkeiten eingebüßt und die Insolvenz regelmäßig zu „verschulden“ hat.33) Deshalb schlug der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht in seinem Leitsatz 1.3.1.1 noch vor, im neu zu regelnden Insolvenzverfahren unter keinen Umständen auf die Bestellung eines Verwalters zu verzichten und damit die Eigenverwaltung auszuschließen.34) Diese strikte Linie wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens verlassen, ___________ 30) Vgl. Ott/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 1 f. 31) Zur Reichweite der Kompetenz des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalters s. etwa Hölzle, ZIP 2011, 1889 ff. 32) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 222. 33) Stürner, in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 21. 34) Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Begr. zu LS 1.3, S. 125 ff.
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
§2
weil nicht nur die Gründe gegen die Anordnung der Eigenverwaltung auf der Hand lagen, sondern auch die Gründe für die Anordnung der Eigenverwaltung; so heißt es in der Begründung des RegE InsO weiter: „Auf der anderen Seite zeigt das bisherige Vergleichsverfahren, daß es Vorteile haben kann, den Schuldner im Grundsatz verfügungs- und verwaltungsbefugt zu lassen und ihn lediglich unter die Aufsicht eines Verwalters zu stellen. Bei Unternehmen können die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung auf diese Weise am besten genutzt werden. Die Einarbeitungszeit, die jeder Fremdverwalter benötigt, wird vermieden.“ Die Anordnung der Eigenverwaltung sollte ausnahmsweise35) zulässig sein, aber nach § 270 25 Abs. 2 Nr. 1 InsO a. F. nur, wenn der Schuldner Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt hat – gewissermaßen also „geständig“ war und sein Scheitern eingestanden hat. Anderenfalls war sein Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung nach Nr. 2 des § 270 Abs. 2 InsO a. F. vom Wohl und Wehe des Antrag stellenden Gläubigers abhängig. In den Anordnungsvoraussetzungen der Eigenverwaltung kommen der Ausnahmecharakter und damit auch die bis heute noch herrschende Insolvenzkultur zum Ausdruck. Bezeichnend ist, dass nach dem Insolvenz- und Restrukturierungsrecht der USA, das von dem Verständnis geprägt ist, „gescheiterten“ Unternehmern eine zweite Chance zu bieten, die Eigenverwaltung nach dem Chapter 11-Verfahren den absoluten Regelfall darstellt.36) Das ESUG will insofern in Deutschland ebenfalls eine neue Insolvenzkultur etablieren, weswegen die Anordnungsvoraussetzungen der Eigenverwaltung maßvoll gelockert wurden (siehe dazu unten § 6 und § 10). 2.
Verhältnis von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
Die Eigenverwaltung kann sowohl zum Zwecke der Sanierung des Rechtsträgers als auch 26 zum Zwecke seiner Liquidation angeordnet werden, ebenso wie der Insolvenzplan zur Erreichung beider Zwecke eingesetzt werden kann. Beide Instrumente können aber auch unstreitig miteinander kombiniert werden (siehe oben Rz. 3). Die Möglichkeit der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens in Eigenverwaltung wird von § 284 InsO sogar vorausgesetzt. Umgekehrt können beide Sanierungsinstrumente aber auch unabhängig voneinander 27 zum Einsatz kommen. Dass ein Insolvenzplanverfahren nicht in Eigenverwaltung durchgeführt werden muss, ist klar. Dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zwingend die Vorlage eines Insolvenzplans voraussetzt, lässt sich indirekt aus § 284 InsO ableiten. Denn nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO kann auch erst die Gläubigerversammlung in der Eigenverwaltung den Sachwalter oder den Schuldner mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen, wobei v. a. im Regelfall der Fortführung des Unternehmens einzig die Beauftragung des Schuldners zur Erstellung eines Insolvenzplans in Betracht kommen dürfte; dann wirkt der Sachwalter nach § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO „beratend“ mit.37) Auch bei einem ersten Blick auf die Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenver- 28 waltung nach § 270 InsO ist die Erarbeitung eines Insolvenzplans „zum Erhalt des Unternehmens“ i. S. von § 1 Satz 1 InsO keine rechtlich zwingende Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270 InsO, und zwar weder nach geltender ___________ 35) Zum Ausnahmecharakter s. etwa Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 185. 36) Dazu Undritz, ZGR 2010, 201, 211; für einen Überblick über die Eigenverwaltung in den USA s. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 13 ff. 37) Ebenso die Einschätzung von Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 39 Rz. 32; Tetzlaff/ Kern, in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 19.
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§2
1. Teil Allgemeines
Fassung mit den Änderungen durch das ESUG, noch nach überkommenem Recht (zu den Änderungen hinsichtlich der Anordnungsvoraussetzungen siehe unten § 6 und § 10). Denn die Anordnung der Eigenverwaltung setzt nach § 270 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO materiell im Wesentlichen nur voraus, dass sie vom Schuldner beantragt worden ist und dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Solche objektiven Umstände, die gegen die Anordnung der Eigenverwaltung sprechen, sind v. a. den Ursachen der Insolvenz zu entnehmen, die der vorläufige Insolvenzverwalter für seinen Bericht ermittelt hat. Ferner spielt der „insolvenzrechtliche Leumund“ des Schuldners bzw. seiner Geschäftsleiter eine Rolle, z. B. frühere Insolvenzverfahren des Schuldners und deren Ursachen sowie etwaige Vorstrafen wegen Bankrottdelikten nach §§ 283 ff. StGB. Im Übrigen sind allgemeine Kriterien der Zuverlässigkeit und die Einhaltung der Sorgfalt eines Geschäftsleiters auch für die Anordnung der Eigenverwaltung von Interesse, nicht zuletzt weil hier ggf. umfangreiche Haftungsansprüche bestehen und – vom Sachwalter nach § 280 InsO – gegen den Schuldner geltend zu machen sind. Hier geht es v. a. um den Zustand der Buchführung und die Einhaltung handelsbilanzieller, steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Pflichten. 29 Positiv gewendet spricht aber die Vorlage eines Insolvenzplans auf der Grundlage eines Sanierungskonzepts dafür, dass mit Anordnung der Eigenverwaltung keine Nachteile für die Gläubiger zu besorgen sind. Die Durchführung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung und die Erarbeitung eines Insolvenzplans „zum Erhalt des Unternehmens“ ganz i. S. von § 1 Satz 1 InsO gehören demnach zwar nicht rechtlich, aber faktisch untrennbar zusammen.38) Ein Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung verspricht dann am meisten Erfolg, wenn er mit der Vorlage eines Insolvenzplans oder wenigstens eines in seinen Zügen bereits deutlich erkennbaren Sanierungskonzepts verbunden wird. Zu denken ist auch daran, die Umsetzung des Sanierungskonzepts mit dem Instrument des Insolvenzplans durch die Einwechselung eines Insolvenz- und Restrukturierungsexperten in die Geschäftsleitung zu flankieren.39) 3.
Verhältnis von Eigenverwaltung und Insolvenzplan zur übertragenden Sanierung
30 Nicht übersehen werden darf auch die Möglichkeit der Kombination aus Insolvenzplan und übertragender Sanierung (zum sog. Dual-Track-Verfahren oben Rz. 3). Eine solche ist nach überwiegender Auffassung zulässig.40) Sie kann Abhilfe für ein zentrales Problem der übertragenden Sanierung im Regelinsolvenzverfahren schaffen: die Marktpreisfindung für insolvente Unternehmen.41) Das Problem kann gelöst werden, indem die bisherigen Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan in dem Maße auf ihre Forderungen gegen den bisherigen Unternehmensträger verzichten, wie ihnen Ansprüche gegen den neuen Unternehmensträger zugestanden werden, der eigens zu dem Zweck gegründet worden ist, das Unternehmen oder Teile des Unternehmens fortzuführen. 31 Im Allgemeinen wird aber gleichwohl kein Insolvenzplan vorgelegt, wenn eine übertragende Sanierung in Betracht gezogen wird. Denn die übertragende Sanierung im Wege des Insolvenzplanverfahrens ist meist kostspieliger und langwieriger. An diesem rechtstatsächlichen Befund wird sich wohl auch nach dem ESUG nicht wesentlich etwas ändern und die übertragende Sanierung im Regelinsolvenzverfahren noch immer der Hauptanwendungsfall der ___________ 38) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 1. 39) Zu dieser Möglichkeit ausf. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 22; s. a. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 13. 40) Statt vieler Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 117. 41) So schon die Analyse in der Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 94 f.
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
§2
Sanierung im Insolvenzverfahren bleiben, auch wenn der Gesetzgeber das Blockadepotential der beteiligten Gläubiger und jetzt auch Gesellschafter reduziert hat. Das Erfordernis der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerver- 32 sammlung und die Informationspflichten des Verwalters gegenüber dem Schuldner sorgen zudem dafür, dass die Interessen der Beteiligten auch im Fall der übertragenden Sanierung im Regelinsolvenzverfahren ausreichend gewahrt werden und dennoch der Verhandlungsspielraum des Verwalters i. R. der Verkaufsverhandlungen nicht unnötig eingeschränkt wird.42) IV.
Problem der Fortführungsfinanzierung
Eine weitere Schwäche der Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahrens sind die unzurei- 33 chenden Möglichkeiten der Finanzierung der Unternehmensfortführung, sei es eine Fortführung nach Maßgabe eines Insolvenzplans, sei es eine Fortführung mit Hilfe des Instituts der Eigenverwaltung. Ohne hinreichende Liquidität lässt sich in der Praxis keine Fortführung organisieren und es bleibt nur noch eine schnelle Beendigung der Fortführung durch Übertragung des Unternehmens auf einen „liquiden Dritten“ im Wege der übertragenden Sanierung.43) Dass die Gewährleistung der Fortführungsfinanzierung Existenzfrage einer jeden Sanierung ist, hat freilich auch der Gesetzgeber der InsO bereits gesehen und betont deshalb diesen Zusammenhang in der Begründung zu § 311 RegE InsO: „Für das Gelingen einer Sanierung wird häufig entscheidend sein, dass dem Unternehmen nach der Bestätigung des Sanierungsplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens Kredite gewährt werden, mit denen die schwierige Anlaufzeit nach dem Insolvenzverfahren überbrückt wird.“ Hinter der Frage nach der Fortführungsfinanzierung verbirgt sich aber nicht weniger als 34 die Frage danach, wer in dem Fall, dass sich die Chancen der Fortführung nicht realisieren, das Risiko ihres Scheiterns zu tragen hat.44) Ihre Beantwortung fällt nicht zuletzt deshalb schwer, weil die Beteiligung der Gläubiger an der Verteilung des Mehrwerts am Ende einer erfolgreichen Sanierung nicht durch die Risikoübernahme am Anfang der ungewissen Sanierung bestimmt wird.45) Es besteht in den Worten Eidenmüllers46) zwangsläufig ein „Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung“: Die Beteiligten wollen zwar die Chancen der Wertschöpfung durch Unternehmensfortführung wahrnehmen und insbesondere den Mehrwert im Fall seiner Realisation für sich beanspruchen, die Risiken der Wertschöpfung wollen sie aber nicht tragen. Die InsO 1994/1999 hat sich für den sog. Erhaltungsgrundsatz und gegen Eingriffe in 35 bestehende Sicherungsrechte zum Zwecke der Absicherung neuer Sanierungskredite entschieden.47) Das ESUG bezieht zwar Anteilsinhaber in das Insolvenzplanverfahren mit ein, ändert aber nichts daran, dass keine Umverteilung stattfindet. Die Fortführungsfinanzierung bleibt demnach auch nach der Stärkung der Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan die Achillesferse eines jeden Sanierungsversuchs. ___________ 42) Undritz, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 352 f. (Veräußerung vor dem Berichtstermin) und Rz. 356 (Veräußerung nach dem Berichtstermin). 43) Gleichsinnig für die USA 5 Norton Bankr. L. & Prac 3d § 94:1 (dort Fn. 2), unter Verweis auf eine Passage In Re Mickler, 9 B.R. 121 (Bankr. M.D.Fla. 1981): „Cash is the debtor’s lifeblood.” 44) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2000. 45) Auf diesen Zusammenhang hinweisend Knof, ZInsO 2010, 1999, 2000. 46) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 51, 79. 47) Zum Erhaltungsgrundsatz Knof, ZInsO 2010, 1999, 2002 m. w. N.
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
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Sanierung im Insolvenzverfahren bleiben, auch wenn der Gesetzgeber das Blockadepotential der beteiligten Gläubiger und jetzt auch Gesellschafter reduziert hat. Das Erfordernis der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerver- 32 sammlung und die Informationspflichten des Verwalters gegenüber dem Schuldner sorgen zudem dafür, dass die Interessen der Beteiligten auch im Fall der übertragenden Sanierung im Regelinsolvenzverfahren ausreichend gewahrt werden und dennoch der Verhandlungsspielraum des Verwalters i. R. der Verkaufsverhandlungen nicht unnötig eingeschränkt wird.42) IV.
Problem der Fortführungsfinanzierung
Eine weitere Schwäche der Sanierung innerhalb des Insolvenzverfahrens sind die unzurei- 33 chenden Möglichkeiten der Finanzierung der Unternehmensfortführung, sei es eine Fortführung nach Maßgabe eines Insolvenzplans, sei es eine Fortführung mit Hilfe des Instituts der Eigenverwaltung. Ohne hinreichende Liquidität lässt sich in der Praxis keine Fortführung organisieren und es bleibt nur noch eine schnelle Beendigung der Fortführung durch Übertragung des Unternehmens auf einen „liquiden Dritten“ im Wege der übertragenden Sanierung.43) Dass die Gewährleistung der Fortführungsfinanzierung Existenzfrage einer jeden Sanierung ist, hat freilich auch der Gesetzgeber der InsO bereits gesehen und betont deshalb diesen Zusammenhang in der Begründung zu § 311 RegE InsO: „Für das Gelingen einer Sanierung wird häufig entscheidend sein, dass dem Unternehmen nach der Bestätigung des Sanierungsplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens Kredite gewährt werden, mit denen die schwierige Anlaufzeit nach dem Insolvenzverfahren überbrückt wird.“ Hinter der Frage nach der Fortführungsfinanzierung verbirgt sich aber nicht weniger als 34 die Frage danach, wer in dem Fall, dass sich die Chancen der Fortführung nicht realisieren, das Risiko ihres Scheiterns zu tragen hat.44) Ihre Beantwortung fällt nicht zuletzt deshalb schwer, weil die Beteiligung der Gläubiger an der Verteilung des Mehrwerts am Ende einer erfolgreichen Sanierung nicht durch die Risikoübernahme am Anfang der ungewissen Sanierung bestimmt wird.45) Es besteht in den Worten Eidenmüllers46) zwangsläufig ein „Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung“: Die Beteiligten wollen zwar die Chancen der Wertschöpfung durch Unternehmensfortführung wahrnehmen und insbesondere den Mehrwert im Fall seiner Realisation für sich beanspruchen, die Risiken der Wertschöpfung wollen sie aber nicht tragen. Die InsO 1994/1999 hat sich für den sog. Erhaltungsgrundsatz und gegen Eingriffe in 35 bestehende Sicherungsrechte zum Zwecke der Absicherung neuer Sanierungskredite entschieden.47) Das ESUG bezieht zwar Anteilsinhaber in das Insolvenzplanverfahren mit ein, ändert aber nichts daran, dass keine Umverteilung stattfindet. Die Fortführungsfinanzierung bleibt demnach auch nach der Stärkung der Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan die Achillesferse eines jeden Sanierungsversuchs. ___________ 42) Undritz, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 352 f. (Veräußerung vor dem Berichtstermin) und Rz. 356 (Veräußerung nach dem Berichtstermin). 43) Gleichsinnig für die USA 5 Norton Bankr. L. & Prac 3d § 94:1 (dort Fn. 2), unter Verweis auf eine Passage In Re Mickler, 9 B.R. 121 (Bankr. M.D.Fla. 1981): „Cash is the debtor’s lifeblood.” 44) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2000. 45) Auf diesen Zusammenhang hinweisend Knof, ZInsO 2010, 1999, 2000. 46) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 51, 79. 47) Zum Erhaltungsgrundsatz Knof, ZInsO 2010, 1999, 2002 m. w. N.
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1. Teil Allgemeines
36 Im Hinblick auf die vorinsolvenzliche Sanierung kann sich in puncto Fortführungsfinanzierung durch den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zu den präventiven Restrukturierungsrahmen48) in Zukunft mitunter einiges tun: Vorgeschlagen ist etwa, dass die Mitgliedstaaten Überbrückungs- und Sanierungsdarlehen in einer sich anschließenden Insolvenz Vorrang vor anderenfalls vor- oder gleichrangigen Gläubigern einräumen können sollen (vgl. Vorschlag eines Art. 16 Abs. 2 Satz 1). Ferner soll die Vergabe von Überbrückungs- und Sanierungsdarlehen hinsichtlich etwaiger Haftungsgefahren und Insolvenzanfechtungsrisiken in einer Folgeinsolvenz privilegiert werden dürfen.49) 37 Die InsO bietet als Anreiz für Kreditgeber insoweit allein die Privilegierung von Sanierungskrediten durch Einräumung eines Vorrangs an.50) Bei sog. echten Massekrediten (vgl. § 55 Abs. 2 InsO) wirkt sich dieser Vorrang im laufenden Insolvenzverfahren aus, während er sich beim sog. Kreditrahmenkredit (vgl. § 264 Abs. 1 InsO) in einem etwaigen Folgeinsolvenzverfahren auswirkt.51) Aufgrund ihrer zeitlichen und teilweise auch sachlichen Beschränkung entfalten die beiden Privilegierungen in der Praxis bislang kaum eine bemerkenswerte Anreizwirkung.52) Die Besicherung von Massekrediten würde den Anreiz zur Finanzierung der Unternehmensfortführung zwar erhöhen,53) aber in den allermeisten Fällen steht schlicht kein freies Vermögen zum Zwecke der Besicherung mehr zur Verfügung. Anders kann die Ausgangssituation freilich sein, wenn ein potentieller Kreditgeber bereits mit besicherten Krediten engagiert ist, weil es dann durchaus eine Überlegung sein kann, weiter Liquiditätshilfen zu gewähren, um einen Verfall des Werts der Sicherheiten im Fall der Zerschlagung zu verhindern. Andererseits droht dem Kreditgeber auch, schlechtem Geld gutes Geld hinterher zu werfen. 38 Wichtigste Quelle der Fortführungsfinanzierung ist und bleibt wegen des zuvor Gesagten daher der Insolvenzgeldanspruch der Arbeitnehmer nach dem SGB III.54) Die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds durch ein Kreditinstitut55) kann als Standardmaßnahme der ___________ 48) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016 für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final. 49) Zu diesen Haftungsrisiken, die mit der Vergabe von Überbrückungskrediten verbunden sind, s. etwa Jäger, WM 2018, 9. 50) Zu dieser Privilegierungslösung Knof, ZInsO 2010, 1999, 2003 f. 51) Die Schwächen der Regelung des sog. Kreditrahmenkredits haben v. a. Drukarczyk und Braun aufgedeckt, Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 13 ff.; Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809 ff., s. a. zusammenfassend Rz. 42 f.: „Das Ausgangsziel der Vorschrift, die Sanierung des Schuldnerunternehmens durch Gewährleistung der Finanzierung in der Fortführungsphase zu unterstützen, wird hierdurch nicht erreicht.“ Vgl. auch Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 264 Rz. 2 ff. 52) Ausf. zu der zeitlichen und sachlichen Beschränkung der Privilegierung Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004. 53) Zur Besicherung von Massekrediten im Eröffnungsverfahren ausf. Schönfelder, WM 2007, 1489 ff. 54) Arbeitnehmer erhalten von der Arbeitsagentur ein Insolvenzgeld, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers oder bei dessen Ablehnung mangels Masse für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf ein Arbeitsentgelt gegenüber ihrem insolventen Arbeitgeber haben (§§ 165 ff. SGB III). Den Anspruch auf Arbeitsentgelt können die Arbeitnehmer schon vor Verfahrenseröffnung an einen Dritten abtreten, der dann letztlich auch den Anspruch auf Insolvenzgeld erwirbt (unter Beachtung v. a. des Zustimmungserfordernisses nach § 170 Abs. 4 SGB III). Das eröffnet im Stadium der vorläufigen Insolvenz die Möglichkeit der Vorfinanzierung des Insolvenzgelds durch ein Kreditinstitut. S. zum Ganzen auch das Merkblatt 10 „Insolvenzgeld für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ der Bundesagentur für Arbeit (Stand: 1/2016), abrufbar unter www.arbeitsagentur.de (Abrufdatum: 30.7.2018). Zur verfassungs- und europarechtlichen Unbedenklichkeit des Umlagesystems BSG v. 29.5.2008 – B 11a AL 61/06 R, BSGE 100, 286 = NZS 2009, 401. Zu Fragen des Insolvenzgeldanspruchs nach einer Bestätigung des Insolvenzplans und erneutem Insolvenzereignis Frank/Heinrich, NZI 2011, 569 ff. 55) Ausf. zu den Rahmenbedingungen der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld i. E. s. etwa Bertram, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 110 Rz. 28 ff.; Klüter, WM 2010, 1483, 1485 ff.
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Chancen und Risiken von Eigenverwaltung und Insolvenzplan
§2
Fortführungsfinanzierung bezeichnet werden.56) Erst die Insolvenzgeldvorfinanzierung eröffnet dem vorläufigen Insolvenzverwalter de facto überhaupt die Möglichkeit zur einstweiligen Unternehmensfortführung, so wie es § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO von ihm verlangt.57) Dahinter verbirgt sich eine Umverteilung zulasten der Risikogemeinschaft der Arbeitgeber, die die Finanzmittel für das Insolvenzgeld durch eine monatliche Pflichtumlage i. R. der Insolvenzgeldversicherung gemäß §§ 358 ff. SGB III aufbringen.58) Ein rechtsvergleichender Seitenblick zeigt, dass etwa in den USA regelmäßig zwei Quellen 39 der Fortführungsfinanzierung „angezapft“ werden: zum einen die „Freigabe“ von sog. Cash Collateral (anknüpfend an Chapter 11 U.S. Code § 363), zum anderen das sog. Debtorin-possession Financing (anknüpfend an Chapter 11 U.S. Code § 364).59) In den USA hat sich über die Jahre ein großer Markt für das DIP-Financing etabliert. Interessant ist zudem, dass in den USA ein geglücktes DIP-Financing von den Marktteilnehmern stets als positives Signal wahrgenommen wird, von einem Stigma der Insolvenz wie hierzulande kann also keine Rede sein. Der US-Markt für DIP-Financing hatte freilich auch unter der Finanz- und Wirtschaftskrise zu leiden.
___________ 56) Klüter, WM 2010, 1483; früh schon Uhlenbruck, KTS 1980, 81, sowie Kilger, KTS 1989, 495, 499: Insolvenzgeldvorfinanzierung gehört zum „selbstverständlichen Instrumentarium eines jeden Verwalters“. 57) Grub, ZIP 1993, 393, 397: „Erst mit der Einführung des KAUG im Jahre 1974 und der damit verbundenen Möglichkeit der Vorfinanzierung von Personalkosten trat die Geschäftsfortführung [durch den Konkursverwalter] gleichwertig neben die Zerschlagung.“ Vgl. auch Westpfahl, ZGR 2010, 385, 388. Dieser Aspekt spielte auch in den Verhandlungen des 54. DJT eine Rolle, s. Hanau, Gutachten zum 54. DJT, 1982, S. E 104 ff., 119, sowie krit. Zeuner, Referat zum 54. DJT, 1982, S. M 32 f. 58) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2005. 59) Dazu Knof, ZInsO 2010, 1999, 2006 f. m. w. N.
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§3 Sanierungsfähigkeit Zabel
I. II. 1. 2.
Vorbemerkungen........................................ 1 Unternehmen in der Krise ........................ 3 Begriff der Krise........................................... 3 Formen der Krise ......................................... 9 2.1 Vorbemerkungen............................. 9 2.2 Strategiekrise ................................. 18 2.2.1 Begriff ............................................ 18 2.2.2 Symptome ...................................... 21 2.3 Erfolgskrise.................................... 24 2.3.1 Begriff ............................................ 24 2.3.2 Symptome ...................................... 27 2.4 Liquiditätskrise.............................. 30 2.4.1 Begriff ............................................ 30 2.4.2 Symptome ...................................... 33 3. Ursachen von Krisen ................................. 36 3.1 Exogene Krisenursachen............... 37 3.2 Endogene Krisenursachen ............ 39 III. Sanierungsfähigkeit.................................. 41 1. Begriff der Sanierungsfähigkeit ................. 41 2. Zwei-Stufen-Konzept ................................ 45 2.1 Konzeption .................................... 45 2.2 Stufe 1: Beurteilung der Unternehmensfortführung ................ 47 2.2.1 Fortführung der Unternehmenstätigkeit .......................................... 49 2.2.2 Entgegenstehende tatsächliche Gegebenheiten............................... 53 2.2.3 Entgegenstehende rechtliche Gegebenheiten............................... 54 2.3 Stufe 2: Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit............................ 55 3. Überwiegende Wahrscheinlichkeit ........... 57 IV. Sanierungskonzept (IDW S 6) ................ 59 1. Grundlagen................................................. 59 1.1 Begriff des Sanierungskonzepts ... 63 1.2 Bestandteile eines Sanierungskonzepts ........................................ 66 2. Darstellung und Analyse des Unternehmens ..................................................... 69 2.1 Vorbemerkungen........................... 69 2.2 Informationen über das Unternehmen ...................................... 72 2.2.1 Unternehmensentwicklung .......... 74 2.2.2 Rechtliche Verhältnisse................. 75 2.2.3 Organisatorische Verhältnisse...... 77 2.2.4 Finanzwirtschaftliche Verhältnisse ......................................... 78 2.2.5 Leistungswirtschaftliche Verhältnisse ......................................... 80 2.3 Analyse der Unternehmenslage.... 82 2.3.1 Analyse des Umfelds..................... 83
22
2.3.2 2.3.3 2.4
3.
4.
5.
6.
Zabel
Analyse der Branche...................... 85 Analyse des Unternehmens .......... 87 Feststellung des Krisenstadiums ......................................... 91 2.4.1 Stakeholderkrise ............................ 94 2.4.2 Strategiekrise ................................. 96 2.4.3 Produkt- und Absatzkrise ............ 98 2.4.4 Erfolgskrise.................................. 100 2.4.5 Liquiditätskrise............................ 103 2.4.6 Insolvenzreife .............................. 104 2.5 Aussagen zur Unternehmensfortführung .................................. 106 2.5.1 Aussagen zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) .................. 107 2.5.2 Aussagen zur Überschuldung (§ 19 InsO) .................................. 113 2.5.3 Aussagen zur Fortführungsprognose (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB).....116 Leitbild des sanierten Unternehmens..... 119 3.1 Begriff des Leitbilds .................... 119 3.2 Beschreibung ............................... 122 3.2.1 Unternehmensstruktur nach innen.................................... 123 3.2.2 Unternehmensstruktur nach außen ................................... 125 Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise ................................. 126 4.1 Überwindung der Insolvenz....... 128 4.2 Vermeidung der Insolvenz.......... 130 4.3 Überwindung der Liquiditätskrise.............................................. 134 4.4 Überwindung der Erfolgskrise ... 138 4.5 Überwindung der Produktund Absatzkrise........................... 141 4.6 Überwindung der Strategiekrise ......................................... 144 4.7 Überwindung der Stakeholderkrise ................................... 146 Integrierte Sanierungsplanung ............... 149 5.1 Vorbemerkungen......................... 149 5.2 Darstellung der Problem- und Verlustbereiche (Basisplanung) .....154 5.3 Darstellung der Sanierungsmaßnahmen ................................. 157 Berichterstattung ..................................... 159 6.1 Anforderungen ............................ 159 6.2 Musterbescheinigung für die Sanierungsfähigkeit ..................... 161 6.3 Musterbescheinigung für ein Fortführungskonzept.................. 162
§3
Sanierungsfähigkeit
Literatur: Brunow, Integrierte Planungsrechnung – Bestandteil des betrieblichen Rechnungswesens (Teil I), DStR 2004, 102; Gehrlein, Insolvenzrechtliche Überschuldung trotz Bilanzierung zu Fortführungswerten? Zur Unterscheidung von Fortführungsprognose und Fortbestehensprognose, WM 2018, 1; IDW, IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Auswirkungen einer Abkehr von der GoingConcern-Prämisse auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss (IDW RS HFA 17) v. 11.7.2018, IDW Life 8/2018, 777; IDW, IDW Prüfungsstandard: Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Abschlussprüfung (IDW PS 270 n. F.) v. 11.7.2018, IDW Life 8/2018, 752; IDW, Fragen und Antworten zur Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten nach IDW S 6 (F&A zu IDW S 6) v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, 826; IDW, IDW Standard: Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, 813; IDW, IDW Praxishinweis: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierung, Due Diligence und Fairness Opinion (IDW Praxishinweis 2/2017) v. 2.1.2017, IDW Life 3/2017, 343; IDW, IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 22.8.2016, IDW Life 3/2017, 332; IDW, IDW Rechnungslegungshinweis: Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012) v. 11.9.2015, IDW Life 11/2015, 610; IDW, IDW Standard: Bescheinigung nach § 270b InsO (IDW S 9) v. 18.8.2014, WPg Supplement 4/2014, 45; IDW, IDW Positionspapier: Zusammenwirken von handelsrechtlicher Fortführungsannahme und insolvenzrechtlicher Fortbestehensprognose v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463; IDW, IDW Prüfungsstandard: Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Abschlussprüfung (IDW PS 270) v. 9.9.2010, IDW WPg Supplement 4/2010, 1; Körner/Rendels/Zabel, Integrierte Unternehmensplanung als Frühwarnsystem anstatt Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung, INDat-Report 8/2016, S. 86; Leib/Rendels/Zabel, Probleme der Zahlungsfähigkeitsprüfung ex ante, INDat-Report 3/2013, S. 46; Prütting, Der rechtliche Hintergrund des IDW S 6 zur Erstellung von Sanierungskonzepten, KSI 2013, 101; Püschel, Anwendung des IDW S 6 auf Sanierungskonzepte für kleine und mittelgroße Unternehmen, KSI 2013, 53; Richter/Pluta, Haftungssprung Insolvenzreife – ein Plädoyer für die integrierte Unternehmensplanung, InsVZ 2009, 31 ff.; Rendels/Zabel, Bringt IDW ES 11 Klarheit zur Insolvenzreife?, INDat-Report 6/2014, S. 10; Rendels/Zabel, Schutzschirm: Inhalt von Sanierungskonzept und Bescheinigung?, INDat-Report 2/2012, S. 54; Tobias/Schampel, Sanierungskonzepte nach IDW S 6, KSI 2011, 245; Zabel, Die handelsrechtliche Fortführungsprognose – Ein Indikator zur Krisenfrüherkennung, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 825; Zabel/Pütz, Beurteilung der Insolvenzeröffnungsgründe nach IDW S 11 – Erläuterungen und Zweifelsfragen aus Sicht der Beratungspraxis, ZIP 2015, 912.
I.
Vorbemerkungen
Allgemein soll mit der Gründung eines Unternehmens eine erfolgsversprechende Geschäfts- 1 idee erwerbswirtschaftlich umgesetzt werden. Der Gründung liegt in der Regel ein durch die Gesellschafter erstelltes Unternehmenskonzept1) zugrunde, in dem insbesondere die Erfolgspotenziale und Ziele des Unternehmens sowie die Umsetzung dokumentiert werden. Dabei gehen alle Beteiligten regelmäßig davon aus, dass das Unternehmen auf unbestimmte Zeit besteht.2) Durch Veränderungen der Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens kann es im Lebenszyklus eines Unternehmens zu existenzgefährdenden Entwicklungen kommen, die den Bestand bedrohen und im schlimmsten Fall zu einer Insolvenz führen.3) Ausgangspunkt einer derartigen Entwicklung ist dabei stets eine Unternehmenskrise, die wiederum auf verschiedene Krisenursachen zurückzuführen ist. Um eine Unternehmenskrise erfolgreich zu überwinden, ist eine Sanierung4) des Unter- 2 nehmens erforderlich. Auf der Grundlage der Erkenntnisse über die Ursachen und Form ___________ 1)
2) 3)
4)
Es ist darauf hinzuweisen, dass das Unternehmenskonzept häufig nicht in schriftlicher Form durch die Gesellschafter dokumentiert wird. Sofern gründungsspezifische Finanzierungen von einer Bank oder der öffentlichen Hand in Anspruch genommen werden, ergeben sich regelmäßig erhöhte Anforderungen an die schriftliche Dokumentation des Unternehmenskonzepts. Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 1. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit Einführung der InsO. Im Jahr 2017 lag die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen bei 20.200 und blieb damit um 6,7 % unter dem Vorjahreswert von 21.560. Es handelt sich um den niedrigsten Stand der Unternehmensinsolvenzen seit 23 Jahren, vgl. Pressemitteilung der Verband der Vereine Creditreform e. V. v. 12.12.2017. Die Begriffe „Sanierung“ und „Restrukturierung“ werden häufig synonym verwendet.
Zabel
23
§3
1. Teil Allgemeines
der Unternehmenskrise ist mit Hilfe eines Sanierungskonzepts zu beurteilen, ob das Unternehmen sanierungsfähig ist. In den nachfolgenden Ausführungen werden die Grundlagen einer Unternehmenskrise dargestellt und insbesondere typische Ursachen und Formen erläutert. Danach werden die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Sanierungsfähigkeit von Unternehmen beschrieben und schließlich die Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten behandelt. II.
Unternehmen in der Krise
1.
Begriff der Krise
3 Das Wort „Krise“5) hat seinen Ursprung in dem altgriechischen Wort „Krisis“6) und bezeichnet allgemein eine kritische Entwicklungsphase, in der ein Handlungsbedarf besteht.7) Der Begriff der Unternehmenskrise kann dabei insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten definiert werden: 4 In der Betriebswirtschaftslehre versteht man unter einer Unternehmenskrise die Situation eines Unternehmens als Ergebnis eines ungewollten Prozesses, in dessen Verlauf sich die Erfolgspotenziale, das Reinvermögen und/oder die Liquidität so ungünstig entwickeln, dass der Fortbestand des Unternehmens durch drohende Handlungsunfähigkeit gefährdet ist (Existenzgefährdung).8) 5 Im Insolvenzrecht versteht man unter einer Unternehmenskrise die Situation eines Unternehmens, in der ein Insolvenzgrund gegeben ist, d. h. Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO),9) drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO)10) und/oder Überschuldung (§ 19 InsO)11) vorliegen. 6 Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 32a GmbHG a. F.12) versteht man unter einer Unternehmenskrise im Zusammenhang mit der Vergabe von Darlehen die Kreditunwürdigkeit eines Unternehmens als Vorstadium der Insolvenz.13) Kreditunwürdigkeit liegt insbesondere vor, wenn ein konkreter Finanzierungsbedarf eines Unternehmens nicht von einem Dritten durch Fremdkapital zu marktüblichen Bedingungen gedeckt werden ___________ 5) Im allg. Sprachgebrauch wird der Begriff „Krise“ oftmals im Zusammenhang mit anderen Schlagworten wie „Schieflage“, „Misswirtschaft“, „Sanierung“ oder „Restrukturierung“ verwendet. 6) Übersetzung: Meinung, Beurteilung Entscheidung oder Zuspitzung. 7) Maus, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rz. 1.1. Der Begriff wurde ursprünglich in der Medizin im Zusammenhang mit einem Krankheitsverlauf beschrieben, vgl. Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/ Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 12. 8) Groß, DStR 1991, 1572. 9) Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Von der Zahlungsunfähigkeit ist die Zahlungsstockung abzugrenzen, die mit einer Grundsatzentscheidung des BGH (BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns)) konkretisiert wurde. 10) Nach § 18 Abs. 2 InsO droht ein Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. 11) Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Der insolvenzrechtliche Überschuldungsbegriff wurde durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG, v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982, befristet v. 18.10.2008 bis zum 31.12.2010, neu gefasst. Diese Befristung ist durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – FMStÄndG, v. 24.9.2009, BGBl. I 2009, 3151, bis zum 31.12.2013 verlängert worden. Mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften – RechtsBehEG, v. 5.12.2012, BGBl. I 2012, 2418, wurde die Befristung aufgehoben. 12) Die Regelung des § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG a. F. über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen wurde mit dem MoMiG v. 23.10.2008 außer Kraft gesetzt. 13) Vgl. u. a. BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365.
24
Zabel
§3
1. Teil Allgemeines
der Unternehmenskrise ist mit Hilfe eines Sanierungskonzepts zu beurteilen, ob das Unternehmen sanierungsfähig ist. In den nachfolgenden Ausführungen werden die Grundlagen einer Unternehmenskrise dargestellt und insbesondere typische Ursachen und Formen erläutert. Danach werden die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Sanierungsfähigkeit von Unternehmen beschrieben und schließlich die Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten behandelt. II.
Unternehmen in der Krise
1.
Begriff der Krise
3 Das Wort „Krise“5) hat seinen Ursprung in dem altgriechischen Wort „Krisis“6) und bezeichnet allgemein eine kritische Entwicklungsphase, in der ein Handlungsbedarf besteht.7) Der Begriff der Unternehmenskrise kann dabei insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten definiert werden: 4 In der Betriebswirtschaftslehre versteht man unter einer Unternehmenskrise die Situation eines Unternehmens als Ergebnis eines ungewollten Prozesses, in dessen Verlauf sich die Erfolgspotenziale, das Reinvermögen und/oder die Liquidität so ungünstig entwickeln, dass der Fortbestand des Unternehmens durch drohende Handlungsunfähigkeit gefährdet ist (Existenzgefährdung).8) 5 Im Insolvenzrecht versteht man unter einer Unternehmenskrise die Situation eines Unternehmens, in der ein Insolvenzgrund gegeben ist, d. h. Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO),9) drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO)10) und/oder Überschuldung (§ 19 InsO)11) vorliegen. 6 Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 32a GmbHG a. F.12) versteht man unter einer Unternehmenskrise im Zusammenhang mit der Vergabe von Darlehen die Kreditunwürdigkeit eines Unternehmens als Vorstadium der Insolvenz.13) Kreditunwürdigkeit liegt insbesondere vor, wenn ein konkreter Finanzierungsbedarf eines Unternehmens nicht von einem Dritten durch Fremdkapital zu marktüblichen Bedingungen gedeckt werden ___________ 5) Im allg. Sprachgebrauch wird der Begriff „Krise“ oftmals im Zusammenhang mit anderen Schlagworten wie „Schieflage“, „Misswirtschaft“, „Sanierung“ oder „Restrukturierung“ verwendet. 6) Übersetzung: Meinung, Beurteilung Entscheidung oder Zuspitzung. 7) Maus, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rz. 1.1. Der Begriff wurde ursprünglich in der Medizin im Zusammenhang mit einem Krankheitsverlauf beschrieben, vgl. Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/ Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 12. 8) Groß, DStR 1991, 1572. 9) Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Von der Zahlungsunfähigkeit ist die Zahlungsstockung abzugrenzen, die mit einer Grundsatzentscheidung des BGH (BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns)) konkretisiert wurde. 10) Nach § 18 Abs. 2 InsO droht ein Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. 11) Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Der insolvenzrechtliche Überschuldungsbegriff wurde durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG, v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982, befristet v. 18.10.2008 bis zum 31.12.2010, neu gefasst. Diese Befristung ist durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – FMStÄndG, v. 24.9.2009, BGBl. I 2009, 3151, bis zum 31.12.2013 verlängert worden. Mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften – RechtsBehEG, v. 5.12.2012, BGBl. I 2012, 2418, wurde die Befristung aufgehoben. 12) Die Regelung des § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG a. F. über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen wurde mit dem MoMiG v. 23.10.2008 außer Kraft gesetzt. 13) Vgl. u. a. BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365.
24
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
kann und das Unternehmen ohne Kapitalzufuhr liquidiert werden müsste.14) Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf15) ist eine GmbH jedoch erst dann kreditunwürdig, wenn die Gesellschaft bereits alle möglichen Sicherheiten eingesetzt hat und eine Darlehensgewährung von persönlichen Bürgschaften der Gesellschafter abhängig gemacht wird. Im Strafrecht versteht man unter einer Unternehmenskrise grundsätzlich die Krise im insol- 7 venzrechtlichen Sinne. Insbesondere die Straftatbestände der Bankrottdelikte (§§ 283 ff. StGB) knüpfen an die Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit an. Eine Unternehmenskrise kann durch leistungs- und finanzwirtschaftliche Sanierungsmaß- 8 nahmen überwunden werden, sofern die Sanierungsfähigkeit (siehe Rz. 41 ff.) des Unternehmens gegeben ist. 2.
Formen der Krise
2.1
Vorbemerkungen
Strategiekrise
Überschuldung
Erfolgskrise
Liquiditätskrise
Insolvenz
Handlungsspielraum
In der Literatur16) werden grundsätzlich die in der nachfolgenden Abbildung17) dargestellten 9 drei Formen18) der Unternehmenskrise unterschieden, die sich hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs, der Wahrnehmung und des Handlungsspielraums voneinander unterscheiden:
(drohende) Zahlungsunfähigkeit
Zeit
Der zeitliche Ablauf der dargestellten Krisenformen ist häufig durch die Entstehungsfolge 10 gekennzeichnet.19) Ausgangspunkt einer Unternehmenskrise ist regelmäßig eine Strategiekrise, aus der eine Erfolgskrise und aus dieser wiederum eine Liquiditätskrise entsteht.
___________ 14) Ebenso Maus, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rz. 1.7. 15) OLG Düsseldorf v. 31.8.2000 – I-12 U 27/00, GmbH-Steuerpraxis 2001, 548. 16) Es handelt sich um das sog. Vier-Phasen-Modell nach Müller, vgl. u. a. Krystek, in: Hutzschenreuter/ Griess-Nega, Krisenmanagement, S. 47; IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. A Rz. 23; Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 6. 17) In Anlehnung an Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 6 m. w. N. 18) In Teilen der Literatur wird die Stakeholderkrise als weitere Krisenform genannt, vgl. Crone, in: Crone/ Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, S. 3; IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 32 ff. Das IDW differenziert weitergehend zwischen der Stakeholderkrise, Strategiekrise, Produktund Absatzkrise, Erfolgskrise und Liquiditätskrise, vgl. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 62 ff., vertiefend F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5. 19) IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. A Rz. 23.
Zabel
25
§3
1. Teil Allgemeines
Da es sich bei dem Krisenverlauf um einen dynamischen Prozess handelt,20) können sich die einzelnen Krisenformen zeitlich überlagern.21) 11 Beispiel: Die Müller GmbH produziert und vertreibt seit der Firmengründung Standardprodukte. Der Absatzmarkt ist seit Jahren rückläufig und durch einen starken Preisverfall gekennzeichnet. Der Geschäftsführer geht davon aus, dass es sich hierbei lediglich um eine kurzfristige Entwicklung handelt und hält an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens fest (Strategiekrise). Das rückläufige Nachfrageverhalten der Kunden verbunden mit einem Preisverfall führt zu einem Rückgang der Umsatzerlöse und zu Jahresfehlbeträgen (Erfolgskrise). Die rückläufigen Umsatzerlöse wiederum führen zu einem Bestandsaufbau und damit zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf, der nicht finanziert werden kann (Liquiditätskrise). 12 Der Handlungsspielraum für die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen ist durch die zeitliche Reihenfolge der Krisenformen bestimmt. Während der Handlungsspielraum bei der Strategiekrise aufgrund der noch verfügbaren Zeit regelmäßig ausreichend ist, bleiben bei einer fortgeschrittenen Liquiditätskrise häufig nur wenige Tage, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund nimmt der Handlungsspielraum mit fortschreitendem Krisenverlauf ab. 13 Beispiel: Bei der Müller GmbH ist die Liquiditätskrise mit Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit zu überwinden. Im Anschluss daran sind durch leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen entweder die Umsatzerlöse zu steigern oder die Überkapazitäten abzubauen. Daneben sind Maßnahmen erforderlich, um die strategische Neuausrichtung des Unternehmens sicherzustellen. 14 Die Wahrnehmung der einzelnen Krisenform läuft häufig der zeitlichen Abfolge der jeweiligen Krisenform entgegen. Während die Liquiditätskrise regelmäßig offenkundig ist, wird die Erfolgskrise erst durch rückläufige Monats- bzw. Jahresergebnisse erkennbar. Eine Strategiekrise ist dagegen regelmäßig erst erkennbar, wenn eine umfassende Ursachenanalyse betrieben wird. Dabei werden zudem die einzelnen Krisenformen ggf. unterschiedlich wahrgenommen.22) 15 Beispiel: Bei der Müller GmbH ist die Liquiditätskrise dadurch offenkundig, dass Eingangsrechnungen nicht unter Abzug von Skonto bzw. nicht innerhalb der vereinbarten Zahlungsziele bezahlt werden (Zahlungsstockung). Die Ergebniskrise ist erst anhand der rückläufigen Monatsund Jahresergebnisse erkennbar. Inwieweit der Liquiditäts- und Ergebniskrise eine Strategiekrise zugrunde liegt, kann anhand der vorhandenen Informationen nicht unmittelbar beurteilt werden. 16 In der Literatur werden im Zusammenhang mit der Wahrnehmung vier Phasen von Unternehmenskrisen unterschieden:23)
Die potenzielle Unternehmenskrise ist eine lediglich mögliche und noch nicht wahrnehmbare Unternehmenskrise, in der noch keine Krisensymptome vorliegen („QuasiNormalzustand“). In dieser Phase kommt der Unternehmensvorsorge eine besondere Bedeutung zu,24) wobei die Identifikation möglicher potenzieller Risiken eine wichtige Herausforderung darstellt.25)
___________ 20) Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 3. 21) Portisch, Sanierung und Insolvenz aus Bankensicht, S. 7. 22) Es kann durchaus vorkommen, dass die Geschäftsführung die wirtschaftliche Lage als positiv einschätzt, während eine Gläubigerbank den Fortbestand des Unternehmens als gefährdet bewertet, vgl. Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 24. 23) Krystek/Moldenhauer, Handbuch Krisen- und Restrukturierungsmanagement, S. 36. 24) Krystek/Moldenhauer, Handbuch Krisen- und Restrukturierungsmanagement, S. 36. 25) Krystek, in: Hutzschenreuter/Griess-Nega, Krisenmanagement, S. 49.
26
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Die latente Unternehmenskrise ist aufgrund fehlender offensichtlicher Merkmale und Auswirkungen (Symptome) nur sehr eingeschränkt wahrnehmbar. Diese Phase der Unternehmenskrise ist nur auf Basis geeigneter empirisch-statistischer Methoden der Krisenfrüherkennung wahrnehmbar.26)
Die beherrschbare Unternehmenskrise beginnt mit der Wahrnehmung der ersten Krisenanzeichen. In dieser Phase erhöhen sich die Auswirkungen der Krise stetig, so dass ein akuter Handlungsbedarf besteht. Eine Bewältigung der Unternehmenskrise ist in diesem Zeitpunkt anhand der zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen noch gegeben.27)
Die nicht beherrschbare Unternehmenskrise ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Bewältigung der Krise durch das Unternehmen wegen des fortlaufenden Wegfalls von Handlungsoptionen und der zunehmenden Auswirkungen der Unternehmenskrise nicht mehr möglich ist.28)
Praxishinweis: Bei Unternehmenskrisen werden häufig nur die offenkundigen Symptome 17 (z. B. Zahlungsstockungen) durch geeignete Sanierungsmaßnahmen behoben (z. B. Herstellung der Zahlungsfähigkeit durch eine Darlehensgewährung). Erforderlich ist aber vielmehr die Erarbeitung eines umfassenden und abgestimmten Sanierungskonzepts (siehe Rz. 59 ff.), in dem die Krisenursachen und Krisenformen analysiert werden und das strategische Unternehmenskonzept überprüft und angepasst wird.29) Eine langfristige Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit kann dabei in der Regel nur in Kombination mit der strategischen Gesamtausrichtung des Unternehmens erfolgen.30) 2.2
Strategiekrise
2.2.1 Begriff Unter einer Strategiekrise versteht man die Phase eines Unternehmens, in der die lang- 18 fristigen Erfolgspotenziale und die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt sind und keine neuen Erfolgspotenziale entwickelt werden. Die Erfolgspotenziale eines Unternehmens bilden dabei die Grundlage für einen langfristigen Vermögenszuwachs.31) Es handelt sich insbesondere um produkt- und marktspezifische Faktoren, wie z. B. die Produkte, die Marken, die Produktionsmethoden.32) Eine Strategiekrise wird oftmals dadurch ausgelöst, dass die Erfolgspotenziale des Unter- 19 nehmens durch äußere Einflüsse gefährdet sind und die Geschäftsführung auf diese Veränderungen nicht oder nicht rechtzeitig reagiert. Ebenso kann eine Strategiekrise entstehen, wenn die Erfolgspotenziale des Unternehmens langfristig nicht weiterentwickelt werden. Beispiele:
Missachtung des technischen Fortschritts,
Missachtung neuer Vertriebswege (z. B. Internet),
keine Neuentwicklung von Produkten,
Überalterung des Produktportfolios.
___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)
Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 27. Krystek, in: Hutzschenreuter/Griess-Nega, Krisenmanagement, S. 49. Krystek, in: Hutzschenreuter/Griess-Nega, Krisenmanagement, S. 50. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 35. Hermanns, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 7 Rz. 8. Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 7. Portisch, Sanierung und Insolvenz aus Bankensicht, S. 6.
Zabel
27
§3
1. Teil Allgemeines
20 In der Praxis werden Strategiekrisen häufig nicht oder nur unzureichend wahrgenommen, da operative und finanzwirtschaftliche Symptome33) nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden.34) Aufgrund des bestehenden strategischen Handlungsspielraums und der verbleibenden Zeit bestehen in diesem Stadium des Krisenprozesses gute Chancen der Bewältigung der Unternehmenskrise.35) 2.2.2 Symptome 21 In einem frühen Stadium der Strategiekrise ergeben sich meistens noch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die operative Geschäftstätigkeit, so dass operative Symptome nur sehr eingeschränkt vorhanden sind. Beispiele:
Unzureichende Neuentwicklung von Produkten,
rückläufige Investitionstätigkeit,
Eigenkündigung von Führungskräften,
Verlust von Marktanteilen.
22 Während einer Strategiekrise ergeben sich regelmäßig noch keine finanzwirtschaftlichen Symptome anhand der Rechnungslegung, so dass noch keine Rückschlüsse auf eine Strategiekrise geschlossen werden können und sich die Situation des Unternehmens unbemerkt verschlechtert.36) 23 Praxishinweis: Insbesondere bei mittelständischen Unternehmen sind die Geschäftsführer mit der Führung des operativen Geschäftes beschäftigt. Dabei wird oftmals der Blick auf die strategische Positionierung und Ausrichtung des Unternehmens vernachlässigt. In derartigen Fällen kann es sinnvoll sein, wenn Gesellschafter und Beiräte die Geschäftsführung bei strategischen Fragen unterstützen oder in regelmäßigen Abständen Strategieberater eingesetzt werden. Sofern strategische Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden, können negative Folgewirkungen vermieden werden.37) 2.3
Erfolgskrise
2.3.1 Begriff 24 Unter einer Erfolgskrise versteht man die Phase eines Unternehmens, in der operative Verluste erwirtschaftet werden, die das Eigenkapital aufbrauchen, so dass die Gefahr der bilanziellen und insolvenzrechtlichen Überschuldung droht. 25 Eine Erfolgskrise ist oftmals die Folge einer Strategiekrise, sofern keine geeigneten Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Darüber hinaus können aber auch äußere Einflüsse oder Fehlentscheidungen der Geschäftsführung zu einer Erfolgskrise führen, ohne dass eine Strategiekrise vorhanden ist.38) Beispiele:
Wegfall eines Großkunden durch Insolvenz,
Großbrand einer Produktionsanlage,
___________ 33) Unter operativen Symptomen versteht man Anzeichen i. R. der betrieblichen Geschäftstätigkeit, während finanzwirtschaftliche Symptome Anzeichen i. R. der Rechnungslegung (z. B. Monats- und Jahresabschlüsse) des Unternehmens darstellen. 34) Portisch, Sanierung und Insolvenz aus Bankensicht, S. 6. 35) Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 42. 36) Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 7. 37) Portisch, Sanierung und Insolvenz aus Bankensicht, S. 6. 38) Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 11.
28
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Verluste durch spekulative Geschäfte,
unvorhersehbare Ereignisse (z. B. Großbrand).
In der Praxis werden Erfolgskrisen anhand von operativen und finanzwirtschaftlichen 26 Symptomen regelmäßig wahrgenommen. Die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen zur Bewältigung der Unternehmenskrise nehmen jedoch in dieser Phase bereits deutlich ab.39) 2.3.2 Symptome Die Erfolgskrise hat unmittelbare Auswirkungen auf die operative Geschäftstätigkeit des 27 Unternehmens, so dass operative Symptome erkennbar werden. Beispiele:
Rückgang des Neukundengeschäfts,
Absatzschwierigkeiten werden durch Preisaktionen kompensiert,
keine Auslastung der Produktionskapazitäten,
Aufbau von Lagerbeständen.
Die Verschlechterung der operativen Geschäftstätigkeit hat unmittelbar Einfluss auf die 28 Rechnungslegung des Unternehmens, so dass auch finanzwirtschaftliche Symptome erkennbar werden. Beispiele:
Umsatz- und Ergebnisrückgänge,
Rückgang der Deckungsbeiträge,
Erhöhung der Vorratsbestände,
außerordentliche Aufwendungen.
Praxishinweis: In der Praxis werden Erfolgskrisen durch Geschäftsführer häufig als vo- 29 rübergehende negative Entwicklungen aufgrund saisonaler und konjunktureller Entwicklungen begründet. Sofern in diesem Stadium der Krise keine geeigneten Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden, wird der Handlungsspielraum weiter eingeschränkt.40) 2.4
Liquiditätskrise
2.4.1 Begriff Unter einer Liquiditätskrise versteht man die Phase eines Unternehmens, in der Zahlun- 30 gen nicht mehr oder nicht mehr fristgerecht ausgeführt werden, so dass Zahlungsunfähigkeit droht. Die Liquiditätskrise ist häufig eine Folge der Strategie- und Erfolgskrise, sofern keine ge- 31 eigneten Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Darüber hinaus können aber auch äußere Einflüsse oder Fehlentscheidungen der Geschäftsführung zu einer Liquiditätskrise führen, ohne dass zuvor eine Strategie- oder Erfolgskrise vorgelegen hätte.41) Beispiele:
Kündigung von Darlehensverträgen,
Rückführung der Kontokorrentlinien,
Fehlinvestitionen,
Zahlungsausfall eines Kunden.
___________ 39) Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 43. 40) Portisch, Sanierung und Insolvenz aus Bankensicht, S. 7. 41) Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 14.
Zabel
29
§3
1. Teil Allgemeines
32 In der Praxis sind Liquiditätskrisen meist anhand operativer und finanzwirtschaftlicher Symptome offensichtlich, so dass spätestens in diesem Krisenstadium entsprechende Anzeichen wahrgenommen werden. Die dem Unternehmen in dieser Phase zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen zur Bewältigung der Unternehmenskrise reduzieren sich häufig auf ein Minimum.42) 2.4.2 Symptome 33 Die Liquiditätskrise hat ebenso wie die Erfolgskrise unmittelbare Auswirkungen auf die operative Geschäftstätigkeit des Unternehmens, so dass operative Symptome erkennbar werden. Beispiele:
Änderung der Zahlungsweise (z. B. Verzicht auf Skonto),
Nichteinhaltung von Zahlungszielen,
Rückbuchung von Darlehensraten,
steigender Informationsbedarf der Banken.
34 Die Verschlechterung der operativen Geschäftstätigkeit hat unmittelbaren Einfluss auf die Rechnungslegung des Unternehmens, so dass finanzwirtschaftliche Symptome erkennbar werden. Beispiele:
Erhöhung der Lieferverbindlichkeiten,
Anstieg der Kreditorenlaufzeiten,
Überziehung der Kreditlinien,
hohe Zinsbelastungen.
35 Praxishinweis: In der Liquiditätskrise sind die Geschäftsführer insbesondere gefordert, kurzfristige Liquiditätsplanungen auf Wochenbasis zu erstellen, um die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu überwachen.43) 3.
Ursachen von Krisen
36 Jede Unternehmenskrise ist auf bestimmte Ursachen zurückzuführen. Dabei kann eine Unternehmenskrise nur überwunden werden, wenn die Ursachen der Krise bekannt sind. Vor diesem Hintergrund ist Ausgangspunkt einer Sanierung stets eine Analyse der Krisenursachen.44) In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich zwischen exogenen (externen) und endogenen (internen) Krisenursachen zu unterscheiden. 3.1
Exogene Krisenursachen
37 Unter exogenen Krisenursachen versteht man Ursachen, die auf Ereignisse außerhalb des Unternehmens zurückzuführen sind, die seitens des Unternehmens nicht beeinflusst werden können.45)
___________ 42) 43) 44) 45)
30
Baetge/Schmidt/Hater, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2. Kap. Rz. 44. Zöller, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 14. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 53 ff. Kihm, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 47.
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Eine mögliche Systematisierung46) exogener Krisenursachen kann aus dem Einflussbereich 38 der Unternehmensumwelt abgeleitet werden:47) Bereich48)
Teilbereiche
Beispiele
Umfeld (F&A zu IDW S 6, Abschn. 4.3)
Gesamtwirtschaftliche Lage
Rückläufige Entwicklung Konjunkturschwankungen Sinkende reale Kaufkraft Naturkatastrophen
Rechtlich-politisches Umfeld
Änderungen in der Konjunkturpolitik Unverhältnismäßige Tarifabschlüsse Änderungen in der Steuerpolitik Änderungen in der Energiepolitik
Gesellschaftliches Umfeld
Demographische Entwicklungen Gesellschaftliche Trends Veränderungen in der Vorratspolitik Veränderungen im Kaufverhalten
Wissenschaftlichtechnisches Umfeld
Neue Produktionstechnologien Entwicklung von Substitutionsprodukten Veränderungen in der Produktlebensdauer Neuentwicklung von Produkten
Wettbewerber
Neue Wettbewerber Verlust von Alleinstellungsmerkmalen Überkapazitäten innerhalb einer Branche Zusammenschluss von Wettbewerbern
Lieferanten
Hohe Abhängigkeit von Lieferanten Steigende Rohstoffpreise Verknappung von Rohstoffen Versorgungsstockungen durch Streiks
Kunden
Hohe Abhängigkeit von Kunden Veränderung im Kaufverhalten Marktsättigung Saisonale Schwankungen
Branche (F&A zu IDW S 6, Abschn. 4.3)
Quelle: In Anlehnung an: Kihm, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 47 ff.
3.2
Endogene Krisenursachen
Unter endogenen Krisenursachen versteht man Ursachen, die auf Ereignisse innerhalb 39 des Unternehmens zurückzuführen sind, die also im Einflussbereich des Unternehmens liegen.
___________ 46) In der Literatur werden exogene Krisenursachen unterschiedlich systematisiert. Einige Autoren differenzieren exogene Krisenursachen nach Strategie-, Erfolgs- und Liquiditätskrise (vgl. u. a. Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 2 Rz. 41 ff.), während andere Autoren exogene Krisenursachen nach dem Einflussbereich der Unternehmensumwelt differenzieren (vgl. u. a. Kihm, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 47 ff.). Häufig werden auch nur mögliche exogene Krisenursachen ohne Systematisierung aufgezählt (vgl. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 28). 47) Vgl. insbesondere Kihm, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 47 ff. 48) Systematisierung in Anlehnung an F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.3 und 4.4.
Zabel
31
§3
1. Teil Allgemeines
40 Eine mögliche Systematisierung49) derartiger Risiken kann aus den betrieblichen Unternehmensfunktionen abgeleitet werden:50) Bereich
Teilbereiche
Unternehmer51)
Management
Unternehmensfunktionen
Beispiele Patriarchischer Führungsstil Festhalten an veralteten Konzepten Familiäre Probleme („Familienstämme“) Unzureichende Nachfolgeregelungen
Strategie
Fehlendes Leitbild des Unternehmens Fehlende strategische Ziele Unkontrolliertes Wachstum Fehler in der Standortauswahl
Führung
Fehlende Koordination Mangelnde Delegation Entscheidungsschwäche Fehler in der Organisation
Planung, Steuerung und Kontrolle
Fehlende Unternehmensplanung Unzureichende Vor- und Nachkalkulation Schwächen im Rechnungswesen Fehlende Erfolgsaufschlüsselung
Beschaffung
Abhängigkeit von wenigen Lieferanten Unzureichende Lagerhaltung Unzureichende Beschaffungsprozesse Logistische Probleme
Produktion
Überalterte Produktionsanlagen Unzureichende Qualitätskontrolle Überdimensionierte Produktionsanlagen Unzureichende Produktentwicklungen
Absatz
Fehlerhafte Markteinschätzung Fehlerhafte Preispolitik Unzureichender Kundenservice Abhängigkeit von wenigen Kunden
Personal
Ungünstige Belegschaftsstruktur Überdimensionierte Personalbesetzung Hohe Fluktuation Qualifikations- und Motivationsdefizite
Finanzierung
Unzureichende Eigenkapitalausstattung Mangelnde Kreditwürdigkeit Hohe Kapitalbindungen Unzureichende Debitorenüberwachung
Quelle: In Anlehnung an: Kihm, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 29 ff.
___________ 49) In der Literatur werden endogene Krisenursachen unterschiedlich systematisiert. Einige Autoren differenzieren endogene Krisenursachen nach Strategie-, Erfolgs- und Liquiditätskrise (vgl. u. a. Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 2 Rz. 41 ff.), während andere Autoren endogene Krisenursachen insbesondere nach den betrieblichen Funktionen differenzieren (vgl. u. a. Kihm, in: Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 29 ff.). Häufig werden auch nur mögliche endogene Krisenursachen ohne Systematisierung aufgezählt (vgl. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 28). 50) IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 165 m. w. N. 51) Die Darstellung gilt nur, wenn ein Unternehmer gleichzeitig die Geschäftsführungsfunktion ausübt.
32
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit III.
Sanierungsfähigkeit
1.
Begriff der Sanierungsfähigkeit
Allgemein versteht man in der Betriebswirtschaft unter dem Begriff der Sanierungsfähig- 41 keit die langfristige Lebensfähigkeit eines Unternehmens auf der Grundlage einer stabilen wirtschaftlichen Basis.52) Die Sanierungsfähigkeit gibt somit an, ob das Unternehmen nachhaltig in der Lage ist, Erträge zu erwirtschaften und damit auf dem Markt fortbestehen kann (Wettbewerbsfähigkeit).53) Nach der Rechtsprechung des BGH ist Sanierungsfähigkeit gegeben, wenn die Finanz- 42 kraft des Unternehmens mittelfristig zur Fortführung ausreicht.54) Die neuere Rechtsprechung des BGH fordert in diesem Zusammenhang eine Wiederherstellung der Rentabilität und eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen.55) In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass für die Sanierung auch die Sa- 43 nierungswürdigkeit gegeben sein muss.56) Hierbei handelt es sich vorwiegend um die subjektive Beurteilung der am Sanierungsprozess Beteiligten, ob aufgrund der persönlichen Interessenlage gerechtfertigt werden kann, das Unternehmen zu sanieren.57) So haben Arbeitnehmer bspw. ein Interesse an dem Erhalt der Arbeitsplätze sowie Lieferanten an der Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung. Es ist festzustellen, dass der Begriff der Sanierungswürdigkeit in Teilen der Literatur bisweilen nicht mehr behandelt wird.58) Im Rahmen der Erstellung eines Sanierungskonzepts können grundsätzlich nur objektive 44 oder objektivierbare Kriterien zugrunde gelegt werden.59) Somit ist die Einschätzung der subjektiven Beurteilung der an dem Sanierungsprozess Beteiligten grundsätzlich nicht Gegenstand eines Sanierungskonzepts und damit der Beurteilung der Sanierungsfähigkeit.60) Sofern jedoch Beiträge Dritter i. R. des Sanierungskonzepts erforderlich sind, ist zu beurteilen, ob diese Beiträge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisiert werden können.61) ___________ 52) 53) 54) 55) 56)
57) 58) 59) 60) 61)
Feldbauer-Durstmüller/Binder, Krisenmanagement, 2007, S. 154. Crone/Henning, in: Crone/Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, S. 84. BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382, 1384, dazu EWiR 1992, 1093 (Hunecke). BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235, Rz. 36. Im Zusammenhang mit der ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen sind Voraussetzungen für die Annahme eines begünstigten Sanierungsgewinns neben der Sanierungsfähigkeit auch die Sanierungsbedürftigkeit, die Sanierungseignung und die Sanierungsabsicht, vgl. BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, ZIP 2003, 690, Rz. 4. Der BFH hat mit Beschluss vom 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338 =BB 2017, 481, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp), entschieden, dass der in dem BMF-Schreiben v. 27.3.2003 vorgesehene Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuern gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Die Finanzverwaltung hat hierauf mit einem Nichtanwendungserlass reagiert, vgl. BMF-Schreiben v. 23.3.2018 – IV C 6 – S 2140 – 13/10003. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich die steuerlichen Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung in § 3a Abs. 2 EStG n. F. neu geregelt. Bislang ist die Vorschrift jedoch noch nicht in Kraft getreten, da das Inkrafttreten des Gesetzes von der Zustimmung der EU-Kommission abhängig gemacht wurde. Von der EU-Kommission war insbesondere die Frage zu beurteilen, ob die in § 3a EStG n. F. vorgesehene Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen gegen das EU-Beihilferecht verstößt. Die EU-Kommission hat im August 2018 in einem sog. Comfort-Letter festgestellt, dass die neuen steuerlichen Regelungen des § 3a EStG n. F. mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sind. Da die EU-Kommission jedoch keinen Beschluss erlassen hat, muss der Gesetzgeber noch einmal tätig werden, um die neue Vorschrift zum Sanierungsgewinn wirksam werden zu lassen (s. hierzu § 57 Rz. 117). Crone/Henning, in: Crone/Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, S. 84. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 13. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 22. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 2; Groß, WPg 2009, 231, 238. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 21.
Zabel
33
§3
1. Teil Allgemeines
2.
Zwei-Stufen-Konzept
2.1
Konzeption
45 Das IDW hat den Begriff der Sanierungsfähigkeit in dem IDW Standard: Anforderungen an die Sanierungskonzepte (IDW S 6) in einem Zwei-Stufen-Konzept konkretisiert. Danach ist ein erwerbswirtschaftliches Unternehmen nur dann sanierungsfähig, wenn in einer ersten Stufe eine (lediglich) positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO vorliegt und somit die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum gegeben ist, d. h. die Finanzierung des Unternehmens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sichergestellt werden kann.62) Anschließend ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob durch geeignete Maßnahmen – in einem ggf. verlängerten Prognosezeitraum – auch nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangt werden kann (nachhaltige Fortführungstätigkeit).63) 46 Die Anforderungen des IDW an die Sanierungsfähigkeit haben sich in der Vergangenheit mehrfach geändert. Das IDW hat in früheren Verlautbarungen die Auffassung vertreten, dass die Feststellung eines positiven Einnahmeüberschusses für die Sanierungsfähigkeit ausreiche.64) Das Zwei-Stufen-Konzept wurde erstmals mit Verabschiedung des IDW S 6 am 20.8.2009 kodifiziert. Danach war auf der ersten Stufe die Annahme der Unternehmensfortführung i. S. des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erforderlich, d. h. es durften keine rechtlichen oder tatsächlichen Gegebenheiten der Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen. Nach der Neufassung des IDW S 6 wird zukünftig auf der ersten Stufe anstelle der Annahme der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB lediglich eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO gefordert.65) 46a Nach diesseits vertretener Auffassung ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BGH66) bei der Beurteilung der Sanierungsfähigkeit auf der ersten Stufe entgegen der Auffassung des IDW die Annahme der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erforderlich und nicht nur allein auf die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO abzustellen. 2.2
Stufe 1: Beurteilung der Unternehmensfortführung
47 Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist bei der Bewertung der im Jahresabschluss ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Die Vorschrift unterstellt damit im Zusammenhang mit der Anwendung der Bewertungsvorschriften die Fortführung der Unternehmenstätigkeit als Regelfall (GoingConcern-Prinzip).67) Bei einer Abkehr von dem Going-Concern-Prinzip ergeben sich in der Regel erhebliche bilanzielle Konsequenzen.68) ___________ 62) Nach F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.1, ist für die Fortführungsfähigkeit nicht erforderlich, dass das Unternehmen einen Jahresüberschuss oder eine branchenübliche Eigenkapitalrentabilität erwirtschaftet. 63) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 18. 64) IDW FAR 1/1991, FN-IDW 1992, 75 ff. 65) Die Neuregelung widerspricht der neueren Rspr. des BGH, der im Zusammenhang mit der Sanierungsfähigkeit eine Wiederherstellung der Rentabilität und eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen verlangt, BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235, Rz. 36, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby). 66) BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235, Rz. 36, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby). 67) Winkeljohann/Büssow, in: Beck‘scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rz. 9. 68) Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825, 833 ff. m. w. N.
34
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Die Beurteilung der Unternehmensfortführung stellt eine Prognoseentscheidung der ge- 48 setzlichen Vertreter i. R. der Aufstellung des Jahresabschlusses dar.69) Die handelsrechtliche Fortführungsprognose sollte auf der Grundlage einer integrierten Unternehmensplanung erstellt werden.70) Dabei sind die für den Fortbestand des Unternehmens maßgeblichen Gegebenheiten zu berücksichtigen (z. B. Informationen über den Auftragsbestand, Umsatz- und Ergebnisbeurteilung, Verhalten der Gläubiger etc.). Hierbei ist ferner zu beachten, dass von dem Grundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit nur abzuweichen ist, wenn tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen, d. h. wenn eine hinreichende Konkretisierung besteht.71) 2.2.1 Fortführung der Unternehmenstätigkeit Unter der Fortführung der Unternehmenstätigkeit versteht man, dass das Unternehmen 49 bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung seine Tätigkeit für einen übersehbaren Zeitraum fortsetzen kann.72) Von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit kann grundsätzlich ausgegangen werden, wenn das Unternehmen in der Vergangenheit nachhaltige Gewinne erzielt hat, leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen kann, keine bilanzielle Überschuldung droht und die Fortführung des Unternehmens beabsichtigt ist.73) Sofern diese Voraussetzungen nicht gegeben sind und das Unternehmen nicht über ausreichende stille Reserven verfügt, haben die gesetzlichen Vertreter eingehende Untersuchungen durchzuführen.74) Bei insolventen Unternehmen kann von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit nur ausgegangen werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass tatsächlich von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen ist.75) Bei der Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit sind die Verhältnisse am 50 Abschlussstichtag maßgebend,76) wobei wertaufhellende Tatsachen zu berücksichtigen sind.77) Hierunter sind Tatsachen zu verstehen, die erst nach dem Bilanzstichtag bekannt werden, deren Verursachung aber bereits vor dem Bilanzstichtag liegt. Wertbegründende Tatsachen, d. h. nach dem Abschlussstichtag eingetretene Ereignisse, sind bei der Beurteilung der Fortführungsprognose in zwei Fällen zu berücksichtigen:78)
Eingetretene positive wertbegründende Ereignisse (z. B. Forderungsverzichte oder Gesellschafterbeiträge) können bei der Beurteilung der Fortführungsprognose berücksichtigt werden, soweit davon ausgegangen werden kann, dass sie die seitens der gesetzlichen Vertreter zum Abschlussstichtag bereits bestehenden Erwartungen bestätigen.
Eingetretene negative wertbegründende Ereignisse, die auch nach den Verhältnissen am Stichtag nicht vorhersehbar waren und zu einem Wegfall der Annahme der Fortführung führen (z. B. Großbrand aller Produktionsanlagen mit der notwendigen Folge
___________ 69) Zur Beurteilung der Unternehmensfortführung i. R. der Abschlussprüfung vgl. u. a. Mujkanovic, WP Praxis 2012, 61 ff.; Thiergard, WPg 2013, 889 ff. 70) Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825, 828. 71) Nach IDW PS 270, WPg Supplement 4/2010, 1 ff., Rz. 8, muss die Annahme einer negativen Fortführungsprognose durch eine hohe Wahrscheinlichkeit abgesichert werden. 72) Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., 1998, § 252 Rz. 24. 73) IDW PS 270, WPg Supplement 4/2010, 1 ff., Rz. 1 und 9; IDW PS 270 n. F., IDW Life 8/2018, 752 ff., Rz. A8 (sog. „Sonnenscheinkriterien“). 74) Winkeljohann/Büssow, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rz. 10. 75) IDW RS HFA 17, IDW Life 12/2016, 1035 ff., Rz. 3; IDW RH HFA 1.012, IDW Life 11/2015, 610 ff., Rz. 35. 76) Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., 1998, § 252 Rz. 26. 77) Winkeljohann/Büssow, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rz. 12. 78) Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825, 831 m. w. N.
Zabel
35
§3
1. Teil Allgemeines der Betriebseinstellung), sind bei der Beurteilung der Fortführungsprognose ebenfalls zu berücksichtigen.
51 Als Bezugsperiode für die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit ist grundsätzlich79) ein Zeitraum von mindestens zwölf Monaten ab dem Abschlussstichtag zugrunde zu legen. Voraussetzung ist hierbei jedoch, dass bis zum Abschluss der Aufstellung des Jahresabschlusses keine fundierten Anhaltspunkte vorliegen, die gegen die Aufrechterhaltung der Fortführungsprognose zu einem nach diesem Zeitraum liegenden Zeitpunkt sprechen.80) Sofern Anhaltspunkte vorliegen, dass sich die gesetzlichen Vertreter mit der Prüfung der Insolvenzgründe auseinandersetzen müssen, ist der Prognosezeitraum auf das laufende und das folgende Geschäftsjahr zu erweitern.81) Da bei der Anwendung des erweiterten Prognosezeitraums erfahrungsgemäß erhebliche Ermessensspielräume für die gesetzlichen Vertreter bestehen, sollte der Prognosezeitraum nach diesseitiger Auffassung generell auf einen 24-Monats-Zeitraum erweitert werden.82) 52 Von der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose nach § 19 InsO zu unterscheiden.83) Diese ist von den gesetzlichen Vertretern spätestens dann zu erstellen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu beurteilen ist, ob die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen.84) Der Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose umfasst grundsätzlich das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr.85) Während die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose lediglich die Liquiditätsentwicklung und damit das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens im Prognosezeitraum untersucht (d. h. Zahlungsfähigkeitsprognose)86), ist bei der handelsrechtlichen Fortführungsprognose darüber hinaus zu untersuchen, ob tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten der Unternehmensfortführung im Prognosezeitraum entgegenstehen. Eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose setzt voraus, dass die mittelfristige Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit wahrscheinlicher ist als der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit.87) Die handelsrechtliche Fortführungsprognose und die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose basieren auf derselben integrierten Unternehmensplanung und sind jeweils zweckorientiert abzuleiten.88) 2.2.2 Entgegenstehende tatsächliche Gegebenheiten 53 Als tatsächliche Gegebenheiten kommen vorrangig wirtschaftliche Schwierigkeiten in Betracht,89) die bereits eingetreten sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden.90) ___________ 79) In Einzelfällen können längere Prognosezeiträume sachgerecht sein, z. B. bei wesentlichen Verzögerungen bei der Aufstellung des Jahresabschlusses, vgl. IDW Positionspapier v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463, Rz. 15 m. w. N. 80) IDW PS 270, WPg Supplement 4/2010, 1 ff., Rz. 8; IDW PS 270 n. F., IDW Life 8/2018, 752 ff., Rz. 18. 81) IDW Positionspapier v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463, Rz. 17. 82) Im Ergebnis ebenso: Richter/Pluta, InsVZ 2009, 31, 35, die als maßgeblichen Zeitraum einer Planung in jedem Fall das laufende und das darauffolgende Geschäftsjahr fordern. 83) Vertiefend Gehrlein, WM 2018, 1 ff. 84) IDW Positionspapier v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463, Rz. 1. 85) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 60. 86) IDW Positionspapier v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463, Rz. 1.; IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. C Rz. 98. 87) IDW Positionspapier v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463, Rz. 37. 88) IDW Positionspapier v. 13.8.2012, FN-IDW 9/2012, 463, Rz. 2. 89) Winkeljohann/Büssow, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rz. 15. 90) Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825, 832.
36
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Dabei müssen die wirtschaftlichen Gegebenheiten so schwerwiegend sein, dass sie voraussichtlich zu einer Einstellung des Geschäftsbetriebs oder zu einer Veräußerung der Vermögensgegenstände außerhalb der normalen Geschäftstätigkeit (Asset-Deal) führen.91) Beispiele:92)
Unfähigkeit zur Durchführung notwendiger Investitionen zwecks Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit,
Ausschöpfung von Kreditlinien bei Bestehen eines weiteren unabweisbaren Kreditbedarfs,
Ausfall wesentlicher Kreditgeber, Lieferanten oder Kunden,
Wegfall des Zugangs zu wichtigen Rohstoffmärkten,
unzureichende Eigenkapitalausstattung.
2.2.3 Entgegenstehende rechtliche Gegebenheiten Als rechtliche Gegebenheiten kommen alle Sachverhalte in Betracht, die aufgrund gesetz- 54 licher Vorschriften, vertraglicher Vereinbarungen oder behördlicher Auflagen voraussichtlich zu einer Einstellung des Geschäftsbetriebes führen. Beispiele:93)
Auslaufen von Patent-, Lizenz-, Miet- oder Pachtverträgen sowie Konzessionen,
Einschränkungen in der Produktion aufgrund von Umweltschutzauflagen,
erforderliche Auflösung der Gesellschaft aufgrund von Satzungsvorschriften oder
Eröffnung des Insolvenzverfahrens.94)
2.3
Stufe 2: Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit
Die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird auch als nachhaltige 55 Fortführungsfähigkeit bezeichnet.95) Grundsätzlich versteht man unter Wettbewerbsfähigkeit das Potenzial eines Unternehmens, sich auf einem relevanten Markt eine gegenüber den Wettbewerbern vorteilhaftere Position zu verschaffen. Die Wettbewerbsfähigkeit basiert dabei insbesondere auf dem Mitarbeiterpotenzial (Wissen, Fähigkeiten, Loyalität und Motivation des Managements und der Belegschaft), mit dem für die Kunden Vorteile und Werte durch marktfähige Produkte und Leistungen geschaffen werden. Auf der Grundlage der Wettbewerbsfähigkeit ist es Aufgabe der Unternehmensleitung, das Unternehmen weiterzuentwickeln, so dass in einem überschaubaren Zeitraum eine Marktstellung erreicht wird. Nach Auffassung des IDW ist die Finanzierbarkeit notwendige Voraussetzung für die Wett- 55a bewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Für die Finanzierbarkeit eines Unternehmens wird
___________ 91) Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., 1998, § 252 Rz. 28. 92) Fülbier/Kuschel/Selchert, in: Küting/Pfitzer/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 252 Rz. 49. 93) Fülbier/Kuschel/Selchert, in: Küting/Pfitzer/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 252 Rz. 49. 94) Im eröffneten Insolvenzverfahren kann eine positive Fortführung der Unternehmenstätigkeit gegeben sein, wenn eine hinreichend begründete Aussicht besteht, dass das Unternehmen z. B. i. R. eines Insolvenzplanverfahrens saniert werden kann, vgl. IDW RS HFA 17, IDW Life 12/2016, 1035 ff., Rz. 3, und IDW RH HFA 1.012, IDW Life 11/2015, 610 ff., Rz. 36. 95) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 18.
Zabel
37
§3
1. Teil Allgemeines
dabei grundsätzlich eine angemessene positive Rendite96) sowie ein angemessenes positives Eigenkapital97) gefordert:98)
Bei der Beurteilung der angemessenen positiven Rendite sollte vorrangig auf die Branchenüblichkeit der Rendite abgestellt werden.99) Hierbei ist aber zu bedenken, dass bei der Ermittlung der branchenüblichen Rendite häufig Probleme bei der Identifizierung der vergleichbaren Wettbewerber und der entsprechenden Datenerhebung auftreten können. Im Rahmen der Beurteilung ist nicht auf einzelne Kennzahlen, sondern auf eine Gesamtbetrachtung des sanierten Unternehmens abzustellen.100)
Bei der Beurteilung des angemessenen positiven Eigenkapitals ist auf das Eigenkapital abzustellen, das sich auf Basis der vom Unternehmen angewendeten Rechnungslegungsvorschriften ergibt. Vor diesem Hintergrund ist ein mit Rangrücktritt versehenes Darlehen nicht dem Eigenkapital zuzurechnen.101) Bestandteile des wirtschaftlichen Eigenkapitals können daher nur in Ausnahmefällen102) berücksichtigt werden.103)
55b Es ist darauf hinzuweisen, dass eine branchenübliche Rendite und eine branchenübliche Eigenkapitalausstattung ein starkes – aber nicht das einzige – Indiz für die Angemessenheit ist. Es erscheint vielmehr ausreichend, dass sich die Renditefähigkeit und die Eigenkapitalausstattung im letzten Planjahr am unteren Ende der branchenüblichen Bandbreite orientiert.104) 56 Bei der Beurteilung der nachhaltigen Fortführungsfähigkeit ist mindestens das laufende und folgende Geschäftsjahr als Prognosezeitraum heranzuziehen, wobei in der Praxis dieser Zeitraum in Abhängigkeit u. a. von der Branche, dem Geschäftsmodell oder dem Krisenstadium in der Regel drei bis fünf Jahre umfasst.105) 3.
Überwiegende Wahrscheinlichkeit
57 Bei der Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit sowie der Wettbewerbsfähigkeit muss die Nachhaltigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erreicht werden.106) Der Begriff der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ wird vom Gesetzgeber in § 19 Abs. 2 InsO im Zusammenhang mit der Beurteilung der Fortbestehensprognose verwendet. Hierunter versteht man, dass das Unternehmen die Fortführung beabsichtigt ___________ 96) Nach der bisherigen Fassung des FAQ IDW S 6, IDW Life 12/2016, 1041, Frage 5.2, war erforderlich, dass das sanierte Unternehmen eine positive branchenübliche Rendite erwirtschaftet. 97) Nach der bisherigen Fassung des FAQ IDW S 6, IDW Life 12/2016, 1041, Frage 5.3, war erforderlich, dass das sanierte Unternehmen über eine angemessene Eigenkapitalausstattung verfügt. 98) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 26. 99) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.3. 100) Nach F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.2 reicht eine „schwarze Null“ für die nachhaltige Fortführungsfähigkeit grundsätzlich nicht aus. Nach diesseitiger Auffassung kann auch in Ausnahmefällen ohne Erreichen einer branchenüblichen Rendite eine nachhaltige Fortführungsfähigkeit vorliegen (z. B. Tochterunternehmen, die aus strategischen Gründen gehalten werden). 101) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.5. 102) Bspw. Finanzierungen, die entsprechend den Anforderungen des BGH nachranging gegenüber anderen Gläubigern sind und dem Unternehmen einschließlich etwaiger Vergütungsansprüche für deren Überlassung ungeschmälert zumindest solange zur Verfügung gestellt werden, wie sie zur Herstellung eines angemessenen Eigenkapitals benötigt werden (z. B. verbindliche Belassenserklärung), vgl. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 29. 103) Nach diesseitiger Auffassung kann auch ohne angemessene (bilanzielle) Eigenkapitalausstattung eine nachhaltige Fortführungsfähigkeit vorliegen (z. B. Unternehmen mit überdurchschnittlicher branchenüblicher Rendite oder umfangreichen nachrangigen Gesellschafterdarlehen). 104) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 27. 105) IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 22. 106) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 17 ff.
38
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Prognosezeitraum anhand eines Finanzplans nachgewiesen werden kann.107) Die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist nicht als mathematisch fundiertes statistisches 58 Konzept zu verstehen.108) Vielmehr müssen gewichtigere Argumente für die nachhaltige Fortführungsfähigkeit sprechen als dagegen.109) Da diese Einschätzung ein Prognoseurteil darstellt, kann der Ersteller des Sanierungskonzepts keine Gewähr dafür übernehmen, dass die prognostizierte Entwicklung tatsächlich eintritt.110) IV.
Sanierungskonzept (IDW S 6)
1.
Grundlagen
Der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des IDW hat am 16.5.2018 den IDW 59 Standard „Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6)“ verabschiedet.111) In dem Standard werden Mindestanforderungen für die Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten dargestellt. Der Standard basiert auf den Ausführungen des bisherigen IDW S 6 a. F. vom 20.8.2012. Im Vergleich zur bisherigen Fassung wurde der IDW S 6 deutlich gekürzt,112) indem wesentliche Abschnitte113) in den F&A zu IDW S 6114) verlagert und darüber hinaus einzelne Abschnitte115) ersatzlos gestrichen wurden. Daneben wird in der Neufassung des Standards i. R. der Beurteilung der Fortführungsfähigkeit (Stufe 1) anstelle der bisherigen Annahme der (weitergehenden) handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB lediglich eine (eingeschränkte) positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO gefordert. In dem Standard wird die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer im Zusammenhang mit 60 der Erstellung von Sanierungskonzepten dargelegt.116) Die in dem Standard beschriebenen Anforderungen sollen von Wirtschaftsprüfern117) unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Auftrags bei der Erstellung von Sanierungskonzepten zugrunde gelegt werden, wobei diese Grundsätze nach diesseits vertretener Auffassung auch für die Sanierungen i. R. eines Insolvenzverfahrens gelten sollen.118) ___________ 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113)
114) 115) 116)
117)
118)
Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 19 Rz. 19. Groß, KSI 2012, 241, krit. hierzu Gleißner, KSI 2013, 172 ff. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 3.1. Groß, KSI 2012, 241. Der Standard wurde am 8.6.2018 durch den Hauptfachausschuss (HFA) billigend zur Kenntnis genommen. Die Veröffentlichung in den FN-IDW erfolgte im August 2018. Der Standard wurde von bislang 158 Randziffern auf 63 Randziffern um ungefähr 40 % gekürzt. Die bisherigen Abschn. 3.3. (Analyse der Unternehmenslage), 3.4. (Feststellungen des Krisenstadiums), 3.5. (Analyse der Krisenursachen) und 5. (Stadiengerechte Bewältigung der Krise) wurden vollständig in die F&A zu IDW S 6 verlagert. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff. Die bisherigen Abschn. 3.6. (Aussagen zur Unternehmensfortführung) und 6.1. (Darstellung der Problem- und Verlustbereiche) wurden ersatzlos gestrichen. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 1. Der Standard hat sich in der Praxis über die Grenzen des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer hinaus als Leitlinie zur Erstellung von Sanierungskonzepten durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund richtet sich der IDW S 6 nicht nur an Wirtschaftsprüfer, sondern vielmehr allgemein an den Ersteller von Sanierungskonzepten (Konzeptersteller). Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass der Ersteller eines Sanierungskonzepts aufgrund des sog. Selbstprüfungsverbots nicht gleichzeitig mit der Abschlussprüfung beauftragt werden darf, vgl. Hermanns, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 6, Rz. 9. Die Beurteilung eines Sanierungskonzeptes ist mit der späteren Tätigkeit als Abschlussprüfer vereinbar, vgl. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 38. Die bisherige Regelung in IDW S 6 a. F., WPg Supplement 4/2012, 130 ff., Rz. 3. wurde ersatzlos gestrichen.
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§3
Sanierungsfähigkeit
und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Prognosezeitraum anhand eines Finanzplans nachgewiesen werden kann.107) Die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist nicht als mathematisch fundiertes statistisches 58 Konzept zu verstehen.108) Vielmehr müssen gewichtigere Argumente für die nachhaltige Fortführungsfähigkeit sprechen als dagegen.109) Da diese Einschätzung ein Prognoseurteil darstellt, kann der Ersteller des Sanierungskonzepts keine Gewähr dafür übernehmen, dass die prognostizierte Entwicklung tatsächlich eintritt.110) IV.
Sanierungskonzept (IDW S 6)
1.
Grundlagen
Der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des IDW hat am 16.5.2018 den IDW 59 Standard „Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6)“ verabschiedet.111) In dem Standard werden Mindestanforderungen für die Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten dargestellt. Der Standard basiert auf den Ausführungen des bisherigen IDW S 6 a. F. vom 20.8.2012. Im Vergleich zur bisherigen Fassung wurde der IDW S 6 deutlich gekürzt,112) indem wesentliche Abschnitte113) in den F&A zu IDW S 6114) verlagert und darüber hinaus einzelne Abschnitte115) ersatzlos gestrichen wurden. Daneben wird in der Neufassung des Standards i. R. der Beurteilung der Fortführungsfähigkeit (Stufe 1) anstelle der bisherigen Annahme der (weitergehenden) handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB lediglich eine (eingeschränkte) positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO gefordert. In dem Standard wird die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer im Zusammenhang mit 60 der Erstellung von Sanierungskonzepten dargelegt.116) Die in dem Standard beschriebenen Anforderungen sollen von Wirtschaftsprüfern117) unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Auftrags bei der Erstellung von Sanierungskonzepten zugrunde gelegt werden, wobei diese Grundsätze nach diesseits vertretener Auffassung auch für die Sanierungen i. R. eines Insolvenzverfahrens gelten sollen.118) ___________ 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113)
114) 115) 116)
117)
118)
Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 19 Rz. 19. Groß, KSI 2012, 241, krit. hierzu Gleißner, KSI 2013, 172 ff. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 3.1. Groß, KSI 2012, 241. Der Standard wurde am 8.6.2018 durch den Hauptfachausschuss (HFA) billigend zur Kenntnis genommen. Die Veröffentlichung in den FN-IDW erfolgte im August 2018. Der Standard wurde von bislang 158 Randziffern auf 63 Randziffern um ungefähr 40 % gekürzt. Die bisherigen Abschn. 3.3. (Analyse der Unternehmenslage), 3.4. (Feststellungen des Krisenstadiums), 3.5. (Analyse der Krisenursachen) und 5. (Stadiengerechte Bewältigung der Krise) wurden vollständig in die F&A zu IDW S 6 verlagert. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff. Die bisherigen Abschn. 3.6. (Aussagen zur Unternehmensfortführung) und 6.1. (Darstellung der Problem- und Verlustbereiche) wurden ersatzlos gestrichen. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 1. Der Standard hat sich in der Praxis über die Grenzen des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer hinaus als Leitlinie zur Erstellung von Sanierungskonzepten durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund richtet sich der IDW S 6 nicht nur an Wirtschaftsprüfer, sondern vielmehr allgemein an den Ersteller von Sanierungskonzepten (Konzeptersteller). Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass der Ersteller eines Sanierungskonzepts aufgrund des sog. Selbstprüfungsverbots nicht gleichzeitig mit der Abschlussprüfung beauftragt werden darf, vgl. Hermanns, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 6, Rz. 9. Die Beurteilung eines Sanierungskonzeptes ist mit der späteren Tätigkeit als Abschlussprüfer vereinbar, vgl. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 38. Die bisherige Regelung in IDW S 6 a. F., WPg Supplement 4/2012, 130 ff., Rz. 3. wurde ersatzlos gestrichen.
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39
§3
1. Teil Allgemeines
61 Die Ausführungen im IDW S 6 sind grundsätzlich auf alle Unternehmen anzuwenden, wobei bei kleineren Unternehmen das Ausmaß der Untersuchung und die Berichterstattung ggfs. an die geringere Komplexität des Unternehmens anzupassen sind.119) Da der Standard eine Konkretisierung nicht vorsieht, werden gegenwärtig in der Literatur vereinzelt Leitlinien für die Erstellung von Sanierungskonzepten von KMU120) diskutiert.121) 62 Praxishinweis: Sofern bei der Erstellung von Sanierungskonzepten von den Ausführungen im IDW S 6 abgewichen werden soll, sollten der Auftragsumfang und die Auftragsschwerpunkte zwischen allen Beteiligten (z. B. finanzierende Kreditinstitute) abgestimmt werden und in der Berichterstattung Berücksichtigung finden.122) 1.1
Begriff des Sanierungskonzepts
63 Ein Sanierungskonzept enthält grundsätzlich eine Beschreibung des Unternehmens sowie eine Unternehmensanalyse, bei der die Lage und die Ursachen der Krise in Form von Ursachen- und Wirkungszusammenhänge beurteilt werden. Im Hinblick auf das Leitbild eines sanierten Unternehmens werden anschließend die zu ergreifenden Maßnahmen entwickelt, wobei die Realisierbarkeit zu beurteilen ist. Zur Beurteilung der Maßnahmen werden integrierte Planverprobungsrechnungen durchgeführt.123) Bei einem Sanierungskonzept handelt es sich somit um einen schriftlich formulierten Handlungsrahmen, mit dem eine Unternehmenskrise dauerhaft überwunden und die nachhaltige Fortführungsprognose sichergestellt werden soll.124) 64 Im Rahmen des Sanierungskonzepts sind die wesentlichen Annahmen vollständig und explizit offenzulegen, da die prognostizierten Aussagen nur dann den Anspruch auf Rationalität erfüllen, wenn die Sanierungserfolge und -potenziale folgerichtig aus der Gesamtheit der Einzelsachverhalte abgeleitet worden sind.125) 65 Der BGH126) fordert im Zusammenhang mit der Beurteilung der Fortbestehensprognose: „[…] mindestens ein in sich schlüssiges Konzept […], das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und nicht offensichtlich undurchführbar ist […]. Sowohl für die Frage der Erkennbarkeit der Ausgangslage als auch für die Prognose der Durchführbarkeit ist auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen […] Fachmann abzustellen […]. Eine solche Prüfung muss die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysieren und die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und ___________ 119) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 39. 120) Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen: Nach der Kommissionsempfehlung v. 6.5.2003 (Empfehlung 2003/361/EG), sind Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und bis zu 2 Mio. € Jahresumsatz oder einer entsprechenden Bilanzsumme Kleinstunternehmen, 49 Arbeitnehmern und einem Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme von bis zu 10 Mio. € kleine Unternehmen, 249 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 50 Mio. € oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. € mittlere Unternehmen. Darüber hinaus wird eine weitgehende Unabhängigkeit der Unternehmen verlangt (d. h. Unternehmen, die zu mehr als 25 % zu einer Unternehmensgruppe gehören, zählen nicht zu den KMU). 121) Püschel, KSI 2013, 53, 55, weist darauf hin, dass die Kosten für ein vollumfängliches Sanierungskonzept im Vergleich zur benötigten Finanzierung gesehen werden müssen und dass Kreditinstitute vor diesem Hintergrund nicht unbedingt auf ein umfassendes Sanierungskonzept nach IDW S 6 bestehen. Der Autor sieht dabei insbesondere Gestaltungsspielräume bei der Beschreibung der zukünftigen Unternehmensstrukturen (Leitbild des sanierten Unternehmens). 122) Püschel, KSI 2013, 53, 56; IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 92. 123) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 2. 124) IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 1. 125) Vgl. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 24. 126) Vgl. BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, dazu EWiR 1998, 225 (Gerhardt). Der BGH hat in der neueren Rspr. darauf hingewiesen, dass der Sanierungsplan des Schuldners nicht den formalen Erfordernissen des IDW S 6 entsprechen muss, vgl. BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235.
40
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Finanzlage erfassen. Dies gilt […] grundsätzlich auch für den Versuch der Sanierung eines kleinen Unternehmens, weil dabei ebenfalls Gläubiger in für sie beträchtlichem Umfange geschädigt werden können; lediglich das Ausmaß der Prüfung kann dem Umfang des Unternehmens […] angepasst werden.“ 1.2
Bestandteile eines Sanierungskonzepts
Der Grundgedanke eines Sanierungskonzepts geht von der Überlegung aus, dass von der 66 aktuellen Krise (Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrise sowie Erfolgs- und Liquiditätskrise) ausgehend die vorgelagerten Krisenstadien im Sanierungskonzept ebenfalls zu berücksichtigen sind. Ein vollständiges Sanierungskonzept liegt somit nur vor, wenn zugleich die Ursachen aller bereits durchlaufenen Krisenstadien aufgearbeitet werden.127) Ausgangspunkt einer erfolgreichen Sanierung ist stets das (gesunde) Unternehmen der 67 Vergangenheit i. V. m. der Analyse der Krisenursachen. Auf Basis der hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend Sanierungsmaßnahmen und ein tragfähiges Leitbild des sanierten Unternehmens entwickelt. Nachfolgend sind die Kernanforderungen an Sanierungskonzepte zusammengefasst dargestellt: Schritt 1: Darstellung und Analyse des Unternehmens (IDW S 6, Abschn. 3, Rz. 44 – 62),
Schritt 2: Ausrichtung am Leitbild des sanierten Unternehmens (IDW S 6, Abschn. 4, Rz. 63 – 67),
Schritt 3: Sanierungsmaßnahmen für die Bewältigung der Unternehmenskrise (IDW S 6, Abschn. 5, Rz. 68 – 71),
Schritt 4: Integrierte Sanierungsplanung (IDW S 6, Abschn. 6, Rz. 72 – 85),
Schritt 5: Berichterstattung (IDW S 6, Abschn. 8, Rz. 88 – 95).
Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kernbestandteile sollte ein vollständiges 68 Sanierungskonzept wie folgt gegliedert sein:128)
Beschreibung von Auftragsgegenstand und -umfang,129)
Darstellung der wirtschaftlichen und rechtlichen Ausgangslage,
Analyse von Krisenstadium und –ursachen sowie Beurteilung der Insolvenzgründe,
Darstellung des Leitbilds des sanierten Unternehmens,
Maßnahmen zur Abwendung einer Insolvenzgefahr und Bewältigung der Unternehmenskrise,
integrierte Unternehmensplanung.
2.
Darstellung und Analyse des Unternehmens
2.1
Vorbemerkungen
Ausgangspunkt eines Sanierungskonzepts ist stets die Darstellung und Analyse des Un- 69 ternehmens in Form einer Bestandsaufnahme der für die Sanierung relevanten Sachverhalte ___________ 127) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 33. 128) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 11, sowie Anlage 2 zu IDW S 6. 129) In den nachfolgenden Ausführungen wird auf die Darstellung des Auftragsinhalts und der Verantwortlichkeit des Wirtschaftsprüfers verzichtet.
Zabel
41
§3
1. Teil Allgemeines
und Informationen.130) Dabei sind zunächst die wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Informationen über das Unternehmen darzustellen. Anschließend sind unter Berücksichtigung der Analyse der Unternehmenslage sowohl das Krisenstadium als auch die Krisenursachen zu beurteilen.131) 70 Auf der Grundlage der Darstellung und Analyse des Unternehmens ist i. R. des Sanierungskonzepts eine Aussage über die Unternehmensfortführung zu treffen. Dies beinhaltet Aussagen zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), zur Überschuldung (§ 19 InsO) und zur Fortführungsprognose (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB).132) Nach der Neufassung des IDW S 6 wird zukünftig anstelle der Annahme der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB lediglich eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO gefordert.133) Nach diesseits vertretener Auffassung ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BGH134) entgegen der Auffassung des IDW die Annahme der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erforderlich und nicht allein auf die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO abzustellen. 71 Die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Darstellung und Analyse des Unternehmens ist dem nachfolgenden Schaubild zu entnehmen. Feststellung des Krisenstadiums
Informationen über das Unternehmen
Analyse der Unternehmenslage
Rechtliche Verhältnisse
Gesamtwirtschaft
Stakeholderkrise
Organisatorische Verhältnisse
Branche
Strategiekrise
Unternehmen
Produkt- und Absatzkrise
Finanzwirtschaftliche Verhältnisse
Erfolgskrise
Leistungswirtschaftliche Verhältnisse
Liquiditätskrise Insolvenzreife Aussagen zur Unternehmensfortführung
Aussagen zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO)
Aussagen zur Überschuldung (§ 19 InsO)
Aussagen zur Fortführungsprognose (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB)
___________ 130) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 44. 131) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 45. 132) In der Neufassung des IDW S 6 wurde der bisherige Abschn. 3.6 (Aussagen zur Unternehmensfortführung) ersatzlos gestrichen. Gleichwohl muss der Ersteller eines Sanierungskonzeptes die Insolvenzgründe beurteilen und fortlaufend aktualisieren, vgl. IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 11, 13, 16, 17, 61, 68. 133) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 18. 134) BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235, Rz. 36, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby).
42
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit 2.2
Informationen über das Unternehmen
In einem Sanierungskonzept sind die für die Sanierung relevanten Basisinformationen des 72 Unternehmens in Abhängigkeit von ihrer Bedeutung vollständig zu erfassen. Diese umfassen neben Angaben zu der bisherigen Unternehmensentwicklung insbesondere Angaben zu den
rechtlichen Verhältnissen,
organisatorischen Verhältnissen,
finanzwirtschaftlichen Verhältnissen sowie
leistungswirtschaftlichen Verhältnissen.135) Die Daten sind unter Angabe der jeweiligen Bezugsquellen in klarer und übersichtlicher 73 Form darzustellen.136) Bei der Erstellung eines Sanierungsgutachtens für einen Konzern sind insbesondere die finanz- und leistungswirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb der Konzerngesellschaften zu berücksichtigen.137) 2.2.1 Unternehmensentwicklung Die Darstellung der bisherigen Unternehmensentwicklung soll in erster Linie eine Beur- 74 teilung des Unternehmens aus historischer Sicht ermöglichen und Informationen für das i. R. des Sanierungskonzepts zu entwickelnde Leitbild des sanierten Unternehmens zur Verfügung stellen. Es handelt sich vorwiegend um Angaben zur Unternehmensgeschichte, finanzwirtschaftlichen Entwicklung, Mitarbeiterentwicklung sowie zu den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen.138) Auf die Darstellung der bisherigen Unternehmensentwicklung sollte keinesfalls verzichtet werden.139) Gleichwohl sollte sich die Darstellung auf die für die Sanierung relevanten Daten beschränken.140) 2.2.2 Rechtliche Verhältnisse Die Darstellung der wesentlichen rechtlichen Verhältnisse dient dazu, die Sanierungs- 75 fähigkeit unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Risiken (z. B. steuerliche Risiken) zu beurteilen. Hierzu zählen insbesondere Angaben zu den nachfolgenden Bereichen:141)
Gesellschaftsrechtliche Verhältnisse (z. B. Gesellschaftsvertrag, Beziehungen zu Gesellschaftern und ihnen nahestehenden Personen, Darlehens- und Sicherheitenverträge, Stundungsabreden, Dauerschuldverhältnisse, Beraterverträge, Dauerschuldverhältnisse etc.),
Steuerliche Verhältnisse (z. B. Stand der Besteuerungsverfahren, Ergebnis von Betriebsprüfungen, Beurteilung steuerlicher Organschaften, außensteuerliche Sachverhalte etc.),
Arbeitsrechtliche Verhältnisse (z. B. Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Anstellungsverträge etc.),
Wesentliche Rechtsstreitigkeiten (z. B. Arbeitsgerichtsprozesse etc.).
___________ 135) 136) 137) 138) 139) 140) 141)
IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 54. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 53. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 55. Weitergehend IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 316 ff. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 315. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 44. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 323.
Zabel
43
§3
1. Teil Allgemeines
76 Daneben können rechtliche Beziehungen zwischen Konzernunternehmen (z. B. Patronatserklärungen, Darlehensgewährungen etc.) für die Sanierung von besonderer Bedeutung sein.142) 2.2.3 Organisatorische Verhältnisse 77 Bei der Darstellung der organisatorischen Verhältnisse sollen Informationen zur Aufbauund Ablauforganisation sowie zu den Informationssystemen dargestellt werden.143) Anhand dieser Informationen können i. R. der Prüfung der Sanierungsfähigkeit z. B. veraltete Organisationsstrukturen oder Mängel in den Informationssystemen identifiziert werden. 2.2.4 Finanzwirtschaftliche Verhältnisse 78 Im Bereich der finanzwirtschaftlichen Verhältnisse sind vorwiegend die wesentlichen aktuellen wirtschaftlichen Daten der Finanzbuchhaltung (z. B. Monatsabschlüsse) bzw. der letzten verfügbaren Jahresabschlüsse darzustellen:
Vermögenslage,
Ertragslage und
Finanzlage.
79 Darüber hinaus sollten Informationen zu vorhandenen stillen Reserven, Verlustpotenzial im Auftragsbestand, Forderungsausfälle, Drohverluste aus schwebenden Geschäften etc. dargestellt werden,144) um die Chancen und Risiken der Sanierung unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. 2.2.5 Leistungswirtschaftliche Verhältnisse 80 Bei der Beschreibung der leistungswirtschaftlichen Verhältnisse sind unter Berücksichtigung der für die Sanierung relevanten Sachverhalte insbesondere die nachfolgenden Prozessbereiche zu beschreiben und die wesentlichen Eckdaten anzugeben:145)
Beschaffung (z. B. Beschaffungsmarkt, Lieferantenstruktur, Materialbedarfsermittlung, Lagerhaltung, Qualitätssicherung, Logistik etc.),
Produktion (z. B. Produkte, Produktionsprogramm, Fertigungsstruktur und -steuerung, Kapazitätsauslastung, Eigen- und Fremdfertigung, wesentliche Betriebsdaten, Maschinenlaufzeiten, Qualitätsstandards, Standardisierung etc.),
Absatz (z. B. Absatzmarkt, Auftragsbestand, Auftragseingänge, Preispolitik, Vertriebswege, Deckungsbeiträge, Marktstrategien, Werbung und Marketing, strategische Ausrichtung auf Produkte und Märkte, Wettbewerbsstrategie etc.),
Personal (z. B. Personalkosten, Fluktuation, Qualifikation, Führungsstil, Kommunikation, Krankheitsstand, Fehlzeiten, Stellenpläne, Mehrarbeit, Kurzarbeit, Altersteilzeit, Betriebsrat, Motivation etc.).
81 Im Bereich der leistungswirtschaftlichen Verhältnisse sollte zudem auch der Bereich Forschung und Entwicklung beschrieben werden.
___________ 142) 143) 144) 145)
44
Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 26. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 325. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 329. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 324.
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit 2.3
Analyse der Unternehmenslage
Auf der Grundlage der vorliegenden Informationen über das Unternehmen ist die Unter- 82 nehmenslage zu beurteilen. Mit der Analyse sollen Sachverhalte und Zusammenhänge aufgedeckt werden, die sich aus den vorliegenden Daten nicht unmittelbar ergeben. Dabei erscheint es zweckmäßig, in Anlehnung an eine SWOT-Analyse146) zwischen externen und internen Faktoren zu unterscheiden. Während externe Faktoren darauf ausgerichtet sind, Chancen und Risiken des Unternehmens innerhalb des Marktumfelds zu identifizieren, stehen bei der Analyse der internen Faktoren die Stärken und Schwächen des Unternehmens im Vordergrund.147) Die Analyse der Unternehmenslage ist dabei insbesondere zur Festlegung des Leitbilds des sanierten Unternehmens und der sich daraus zu entwickelnden Sanierungsmaßnahmen erforderlich. 2.3.1 Analyse des Umfelds Die Rahmenbedingungen eines Unternehmens werden durch die gesamtwirtschaftliche 83 Lage, das rechtlich-politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Umfeld sowie die demographische Entwicklung bestimmt.148) Entwicklungen in diesem Umfeld können unmittelbar Auswirkungen auf die zukünftigen Chancen und Risiken eines Unternehmens haben. Vor diesem Hintergrund sind i. R. der Analyse des Umfelds vorwiegend die Rahmendaten zu untersuchen, die auf die aktuelle Situation des Krisenunternehmens Einfluss nehmen können.149) Praxishinweis: Als Informationsquelle zur Analyse des Umfelds (z. B. zur gesamtwirt- 84 schaftlichen Lage) können der aktuelle Monatsbericht der Deutschen Bundesbank150) oder die Gutachten des Sachverständigenrats151) herangezogen werden. Darüber hinaus veröffentlichen Verbände, Banken und andere Institutionen regelmäßig Informationen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 2.3.2 Analyse der Branche Neben den Rahmenbedingungen eines Unternehmens hat das Marktumfeld innerhalb der 85 Branche unmittelbaren Einfluss auf die zukünftigen Chancen und Risiken eines Unternehmens. Hierzu zählen insbesondere die Bedingungen auf dem Beschaffungs- und Absatzmarkt des Unternehmens.152) Bei der Analyse sind Einflussfaktoren und Abhängigkeiten zu berücksichtigen, die einen Bezug zur Geschäftstätigkeit des Unternehmens haben.153) Beispiele:154)
Anzahl und wirtschaftliche Situation der Wettbewerber,
aktuelle und potenzielle Kunden sowie Lieferanten, ___________ 146) Eine SWOT-Analyse beinhaltet eine unternehmensinterne Stärken-Schwächen-Analyse (StrengthWeakness) und eine unternehmensexterne Chancen-Risiken-Analyse (Opportunities-Threats). 147) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 56 ff. Zu weiteren Methoden und Techniken zur Analyse des Unternehmens vgl. IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 64. Vertiefend IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 261 ff. 148) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 59. 149) Vgl. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 29. 150) Der aktuelle Monatsbericht der Deutschen Bundesbank ist im Internet unter www.bundesbank.de abrufbar. 151) Die Jahresgutachten des Sachverständigenrats sind im Internet unter www.sachverstaendigenratwirtschaft.de abrufbar. 152) Keller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 98. Die Risiken auf dem Beschaffungsmarkt konzentrieren sich insbesondere auf das Versorgungs- und Beschaffungspreisrisiko. 153) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.3. 154) In Anlehnung an F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.3.
Zabel
45
§3
1. Teil Allgemeines
Entwicklung der Technologie in der Branche,
Entwicklung der Geschäftsmodelle der Wettbewerber etc.
86 Praxishinweis: Als Informationsquellen zur Analyse der Branche können insbesondere Veröffentlichungen der Branchenverbände, Banken und anderer Institutionen herangezogen werden. 2.3.3 Analyse des Unternehmens 87 Unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und des Marktumfeldes des Unternehmens sind die internen Unternehmensverhältnisse zu analysieren. Dabei ist in einem zweistufigen Verfahren155) vorzugehen. 88 In der ersten Stufe ist die aktuelle Vermögens-, Finanz- und Ertragslage darzustellen und deren weitere Entwicklung ohne Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen darzulegen. Dabei sind auch Chancen und Risiken zu berücksichtigen, die sich i. R. der Analyse des Umfelds und der Branche ergeben haben.156) In der Praxis sollte dies in Form einer integrierten Unternehmensplanung erfolgen. Anhand der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung kann dabei die voraussichtliche Entwicklung der Ertragslage und anhand der Plan-Bilanz sowie der Plan-Kapitalflussrechnung die voraussichtliche Liquiditätsentwicklung im Prognosezeitraum abgeleitet werden. 89 In der zweiten Stufe sind die Stärken und Schwächen des Unternehmens unter Berücksichtigung des Marktumfelds zu analysieren. Hierbei sollte auch das bisherige Leitbild des Unternehmens (Ausgangsleitbild) dargestellt und kritisch gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang sind insbesondere auch die Verhältnisse des Unternehmens zum Marktumfeld zu berücksichtigen.157) 90 Bei der Analyse des Unternehmens ist neben den wirtschaftlichen Verhältnissen auch die Qualität des Managements einzubeziehen. Hierzu gehören neben der unternehmerischen und fachlichen Kompetenz auch die Fähigkeit, die im Sanierungskonzept dargestellten Sanierungsmaßnahmen im Unternehmen durchzusetzen.158) 2.4
Feststellung des Krisenstadiums
91 Grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewältigung einer Unternehmenskrise ist eine Analyse der Krisenursachen und des Krisenstadiums (zu den Krisenursachen siehe ausführlich Rz. 36 ff.).159) In diesem Zusammenhang wird im IDW S 6 zwischen den nachfolgenden sechs Stadien der Unternehmenskrise differenziert:
Stakeholderkrise, Strategiekrise, Erfolgs- und Absatzkrise, Erfolgskrise, Liquiditätskrise und Insolvenzreife.160)
___________ 155) In Anlehnung an Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 30 f. 156) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.4. 157) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.4. 158) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 58. 159) In den nachfolgenden Ausführungen werden die Krisenstadien i. S. des IDW S 6 dargestellt. 160) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 31.
46
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Das Stadium der Unternehmenskrise zeigt dabei den Grad der Bedrohung des Unter- 92 nehmens. Der Zusammenhang zwischen dem Handlungsspielraum und dem zeitlichen Ablauf der Krisenstadien ergibt sich aus der nachfolgenden Abbildung:
Stakeholderkrise
Handlungsspielraum
Strategiekrise Produkt- und Absatzkrise Erfolgskrise Liquiditätskrise Insolvenzreife
Zeit
Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die dargestellten Krisenstadien nicht zwingend in diesem 93 Ablauf entwickeln, sondern auch parallel, singulär oder überlappend auftreten können.161) 2.4.1 Stakeholderkrise Unter einer Stakeholderkrise versteht man Krisen auf Ebene der Stakeholder,162) d. h. insbe- 94 sondere Konflikte zwischen den Mitgliedern der Unternehmensleitung und den Überwachungsorganen, der Gesellschafter, der Arbeitnehmer und ihren Vertretungen, den Banken sowie anderen Gläubigern.163) Derartige Konflikte entstehen häufig dann, wenn einzelne Stakeholder Nachteile oder Verluste aus der Geschäftsbeziehung befürchten.164) In dieser Phase kann es auch zu einer Vertrauenskrise gegenüber den Organen kommen.165) Beispiele:166)
Verhalten der Unternehmensleitung mit negativen Auswirkungen auf die Beziehungen zu den Bankengläubigern und den Arbeitnehmern, Veränderung der Unternehmenskultur durch die Unternehmensleitung, Dissens innerhalb der Unternehmensleitung und des Gesellschafterkreises über die strategische Ausrichtung des Unternehmens, Konflikte zwischen der Unternehmensleitung und den Bankengläubigern über die Finanzierungsstruktur etc.
___________ 161) IDW S 6, WPg Supplement 4/2012, 130 ff., Rz. 62. 162) Unter dem Begriff „Stakeholder“ versteht man alle mit dem Unternehmen in Verbindung stehende Anspruchsgruppen mit heterogenen Interessen und Erwartungen. Dabei wird zwischen internen Stakeholdern (z. B. Geschäftsführung, Management, Arbeitnehmer) und externen Stakeholdern (z. B. Gesellschafter, Kreditinstitute, Kunden, Gläubiger) unterschieden. Beim Stakeholder-Ansatz wird davon ausgegangen, dass die Unternehmensführung bei ihren Entscheidungen die Interessen aller mit dem Unternehmen in Verbindung stehenden Anspruchsgruppen berücksichtigen sollte. 163) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Strategiekrise). 164) Groß, KSI 2013, 214. 165) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Strategiekrise). 166) Vgl. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 39 f.
Zabel
47
§3
1. Teil Allgemeines
95 Häufig wird eine Stakeholderkrise in einem Unternehmen nicht erkannt, da noch keine finanziellen Auswirkungen zu verzeichnen sind. Vor diesem Hintergrund werden Konflikte auf Ebene der Stakeholder von den Beteiligten regelmäßig unterschätzt.167) 2.4.2 Strategiekrise 96 Die Strategiekrise ist gekennzeichnet durch einen nachhaltigen Verlust von Marktanteilen und der Wettbewerbsfähigkeit. Ursächlich für die Strategiekrise sind häufig das Nichterkennen von Marktentwicklungen und einer damit einhergehenden unzureichenden Kundenorientierung.168) Beispiele:169) Durch das Nichterkennen technologischer Entwicklungen werden notwendige innovative Investitionen vernachlässigt, aufgrund einer unzureichenden Kundenorientierung wird das Produktionsprogramm nicht an die Bedürfnisse der Kunden angepasst etc. 97 Ebenso wie die Stakeholderkrise wird die Strategiekrise seitens der betroffenen Unternehmen oftmals nicht erkannt, da noch keine finanziellen Auswirkungen zu verzeichnen sind. Strategiekrisen werden durch die Unternehmensleitung häufig mit kurzfristigen Marktentwicklungen begründet.
2.4.3 Produkt- und Absatzkrise 98 Eine Produkt- und Absatzkrise als Folge der Strategiekrise ist gegeben, wenn die Nachfrage nach den Erfolgsprodukten des Unternehmens dauerhaft rückläufig ist. Weitere Folgen sind in der Regel Umsatz- und Margenrückgänge und schließlich ein Rückgang der Unternehmensergebnisse. Sofern die Produktion nicht kurzfristig an das rückläufige Nachfrageverhalten der Kunden angepasst werden kann, kommt es regelmäßig zu steigenden Vorratsbeständen und damit zu einer erhöhten Kapitalbindung.170) Beispiele:171)
Unzureichendes Marketing- und Vertriebskonzept, Sortimentsschwächen, Fehleinschätzungen bei der Preisentwicklung und damit Fehler in der Preispolitik, unzureichendes Produktsortiment etc.
99 Die Produkt- und Absatzkrise ist in der Regel aufgrund der rückläufigen Umsatz- und Margenentwicklung sowie ggf. steigender Vorratsbestände für die Unternehmensleitung erkennbar. 2.4.4 Erfolgskrise 100 Sofern die Produkt- und Absatzkrise sowie die vorherigen Krisenstadien nicht mit geeigneten Sanierungsmaßnahmen überwunden werden können, ist die Erfolgskrise unausweichlich. Diese ist durch weitere Nachfragerückgänge und Margenverluste gekennzeichnet, was zu einer nachhaltigen Ergebnisverschlechterung des Unternehmens führen kann. Sofern in dieser Situation Verluste erwirtschaftet werden, wird das Eigenkapital angegriffen und die Eigenkapitalquote belastet. Die Folge ist schließlich regelmäßig eine Verschlechterung der Bonität des Unternehmens.172) ___________ 167) 168) 169) 170) 171) 172)
48
Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 41. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Strategiekrise). Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 43. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Produkt- und Absatzkrise). F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Produkt- und Absatzkrise). F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Erfolgskrise).
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§3
Sanierungsfähigkeit
Mit der Verschlechterung der Bonität des Unternehmens geht wiederum häufig eine an- 101 gespannte Liquiditätssituation einher, so dass die für eine Sanierung notwendigen finanziellen Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen bzw. nicht aus eigener Kraft erwirtschaftet werden können. Vor diesem Hintergrund wird für die Sanierung des Unternehmens häufig eine Zuführung von Liquidität durch Dritte (z. B. Eigenkapitalerhöhung durch Investoren) erforderlich sein.173) Die Erfolgskrise ist aufgrund der rückläufigen Ertragslage des Unternehmens für die Un- 102 ternehmensleitung erkennbar. Sofern nicht geeignete Sanierungsmaßnahmen eingeleitet und umgesetzt werden, kann die Erfolgskrise zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und bei anhaltender Verlustsituation zur Überschuldung (§ 19 InsO) führen. 2.4.5 Liquiditätskrise Die Liquiditätskrise ist dadurch gekennzeichnet, dass das Unternehmen infolge der anhal- 103 tenden Erfolgskrise nur noch geringfügige bzw. negative Cash-Flows aus der laufenden Geschäftstätigkeit erwirtschaftet, so dass sich die Liquiditätssituation des Unternehmens weiter verschlechtert.174) Im Ergebnis führt die Liquiditätskrise dazu, dass die Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens nicht mehr oder nicht mehr vollständig erfüllt werden können, so dass das Unternehmen in seiner Existenz gefährdet ist.175) 2.4.6 Insolvenzreife Im Rahmen der Erstellung eines Sanierungskonzepts sind zwingend die Insolvenzgründe 104 zu beurteilen. Sofern sich bei der Darstellung und Analyse des Unternehmens Hinweise auf Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) ergeben, hat der Ersteller des Sanierungskonzepts die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens darauf hinzuweisen.176) Der Ersteller eines Sanierungskonzeptes ist somit verpflichtet, die Insolvenzgründe fortlaufend zu beurteilen.177) Die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft oder einer ihr gleichgestellten Perso- 105 nengesellschaft sind nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Beurteilung der Insolvenzgründe durch die gesetzlichen Vertreter kann nur unter Zugrundelegung einer integrierten Unternehmensplanung nachgewiesen werden.178) Die Drei-Wochen-Frist darf von den gesetzlichen Vertretern nur dann ausgeschöpft werden, wenn Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingeleitet wurden oder zeitnah eingeleitet werden, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit innerhalb der Drei-Wochen-Frist zum Erfolg führen.179) 2.5
Aussagen zur Unternehmensfortführung
Auf der Grundlage der Darstellung und Analyse des Unternehmens ist eine Beurteilung 106 der Unternehmensfortführung unter rechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmen. Die Be___________ Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 48. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 50. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 4.5 (Liquiditätskrise). IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 14 ff. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 13. Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 913; IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 4, mit Verweis auf IDW S 6 a. F., WPg Supplement 4/2012, 130 ff., Rz. 140. 179) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 1. 173) 174) 175) 176) 177) 178)
Zabel
49
§3
1. Teil Allgemeines
urteilung beziehen sich auf Aussagen zur Zahlungsfähigkeit (§ 17 InsO), Überschuldung (§ 19 InsO) und Fortführungsfähigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB).180) 106a Hinweis: Bei der Erstellung eines Sanierungskonzeptes für einen Konzern ist die Unternehmensfortführung (insbesondere die Zahlungsfähigkeit) für jede einzelne Konzerngesellschaft zu beurteilen.181) 2.5.1 Aussagen zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) 107 Im Rahmen der Erstellung des Sanierungskonzepts ist spätestens in der Liquiditätskrise die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens durch die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens zu beurteilen. Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.182) 108 Für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit183) ist die zutreffende Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit von der bloßen Zahlungsstockung184) erforderlich, die durch die Grundsatzentscheidung des BGH vom 24.5.2005185) wie folgt konkretisiert wurde (Leitsätze):186) „a) Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. b) Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, daß die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. c) Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.“ 109 Aus der Grundsatzentscheidung des BGH vom 24.5.2005 hat sich in der Praxis ein zweistufiges Verfahren zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit entwickelt:187) ___________ 180) Nach der Neufassung des IDW S 6 wird zukünftig anstelle der Annahme der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB lediglich eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO gefordert. Nach diesseits vertretener Auffassung ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BGH entgegen der Auffassung des IDW die Annahme der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB erforderlich und nicht allein auf die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO abzustellen. 181) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 55. 182) Eine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn der Schuldner wegen eines Mangels an Zahlungsmitteln den wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht erfüllt. Typische Beweisanzeichen sind nach der höchstrichterlichen Rspr. z. B. die Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen, eine dauerhafte schleppende Zahlungsweise oder zurückgegebene Lastschriften; vgl. IDW S 11, IDW Life 3/ 2017, 332, Rz. 19. 183) Zu den Problemen bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit vgl. ausführlich Leib/Rendels/Zabel, INDat-Report 3/2013, S. 46 ff.; Rendels/Zabel, INDat-Report 6/2014, S. 10 ff.; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 913 ff. 184) Unter Zahlungsstockung versteht man die vorübergehende Unfähigkeit, die fälligen Verbindlichkeiten vollständig zu begleichen, vgl. IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 14. 185) BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 186) Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung v. 24.5.2005 keine starren Lücken- und Zeitgrenzen zur Zahlungsunfähigkeit definiert (BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426). 187) Ausführlich mit Beispielen und Zweifelsfragen Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 913 ff.
50
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
Stufe 1: Zeitpunktbetrachtung (Finanzstatus): Auf der ersten Stufe sind zu einem be- 110 stimmten Stichtag die fälligen Verbindlichkeiten dem Finanzmittelbestand in Form eines Finanzstatus gegenüberzustellen. Dabei ist festzustellen, ob zum Stichtag eine Liquiditätsüberdeckung (d. h. der Finanzmittelbestand übersteigt die fälligen Verbindlichkeiten) oder eine Liquiditätsunterdeckung (d. h. die fälligen Verbindlichkeiten übersteigen den Finanzmittelbestand) vorliegt. Eine Liquiditätsunterdeckung wird in der Rechtsprechung des BGH188) auch als sog. Liquiditätslücke bezeichnet, die als absoluter oder prozentualer Wert ermittelt werden kann.189) Zum Finanzmittelbestand zählen alle zum Stichtag frei verfügbaren Zahlungsmittelbstände (Barmittel, Bankguthaben, Schecks) sowie nicht in Anspruch genommene vertraglich vereinbarte Kreditlinien. Kurzfristig verfügbare Finanzmittelbestände zählen nicht zu den Finanzmittelbeständen.190) Zu den fälligen Verbindlichkeiten zählen sämtliche zum Stichtag fälligen Zahlungsverpflichtungen, die der Gläubiger ernsthaft eingefordert hat, d. h. für die der Gläubiger die Zahlung verlangt.191) Die Fälligkeit einer Verbindlichkeit kann sich dabei aus einer gesetzlichen Regelung (z. B. Sozialversicherungsbeiträge, Lohnsteuer etc.), aus einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung (z. B. Vereinbarung eines Zahlungszieles) oder ausnahmsweise aus einer einseitigen Parteierklärung (z. B. Kündigung eines Darlehens mit sofortiger Fälligkeit) ergeben.192) Gestundete und bestrittene Verbindlichkeiten sind in der Zeitpunktbetrachtung nicht als fällige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen.193) Ergibt sich aus der Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und des Finanzmit- 110a telbestands eine Liquiditätsüberdeckung, ist eine weitergehende Prüfung grundsätzlich entbehrlich, da der Schuldner seine fälligen Verbindlichkeiten vollständig erfüllen kann.194) Sofern sich allerdings aus der Gegenüberstellung eine Liquiditätslücke ergibt, sind ausgehend vom Finanzstatus auf einer zweiten Stufe die erwarteten Einzahlungen und Auszahlungen im Prognosezeitraum in Form eines Finanzplans (Liquiditätsplanung) zu ermitteln.195)
Stufe 2: Zeitraumbetrachtung (Finanzplan): In Abhängigkeit von dem Ergebnis der 111 Zeitpunktbetrachtung ist auf der zweiten Stufe anhand eines Finanzplans zu beurteilen, ob und in welcher Höhe eine zum Stichtag bestehende Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen geschlossen werden kann. In dem Finanzplan sind die zu berücksichtigenden erwarteten Einzahlungen und Auszahlungen darzustellen, die aus der aktuellen Finanzbuchhaltung und der integrierten Unternehmensplanung abzuleiten sind.196)
Die erwarteten Einzahlungen ergeben sich aus den bereits zum Stichtag bestehenden Forderungen sowie aus den im Prognosezeitraum entstehenden Forderungen entsprechend ihrer voraussichtlichen Zahlungszeitpunkte. Daneben sind entsprechend ihrer Realisierbarkeit sonstige finanzwirtschaftliche Vorgänge (z. B. Aufnahme von Darlehen,
___________ 188) BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 189) Die Rspr. verwendet überwiegend eine prozentuale Betrachtung, vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. Hierbei wird die absolute Liquiditätslücke ins Verhältnis zu den fälligen Verbindlichkeiten gesetzt. Die relative Betrachtung kann dabei teilweise zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führen, vgl. Beispiel bei Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 914. 190) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 32. 191) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 25. 192) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 26. 193) Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 915 m. w. N. 194) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 23. 195) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 33. 196) Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 916.
Zabel
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§3
1. Teil Allgemeines
Kapitalerhöhungen, Sale-and-Lease-Back-Geschäfte, Factoring) sowie zahlungswirksame Effekte aus leistungswirtschaftlichen Maßnahmen zu berücksichtigen.197) Die erwarteten Auszahlungen ergeben sich aus den bereits zum Stichtag bestehenden Verbindlichkeiten sowie aus den im Prognosezeitraum entstehenden Verbindlichkeiten entsprechend ihrer Fälligkeit (sog. „Bugwelle“).198) Hierzu gehören insbesondere Auszahlungen aus Löhnen und Gehältern, Sozialversicherungsbeiträgen, Dauerschuldverhältnissen, Steuern, Zinsen, Tilgungen sowie geplanten Wareneinkäufen. 112 Sofern die zum Stichtag bestehende Liquiditätslücke innerhalb des Prognosezeitraums von drei Wochen geschlossen werden kann, liegt grundsätzlich keine Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich eine Zahlungsstockung, vor. Für den Fall, dass die zum Stichtag bestehende Liquiditätslücke innerhalb des Prognosezeitraums von drei Wochen nicht geschlossen werden kann, ist die relative Liquiditätslücke zum Ende des Prognosezeitraums zu berechnen,199) um die Zahlungsfähigkeit anhand der vom BGH entwickelten Leitsätze wie folgt zu beurteilen:200)
Beträgt die zum Ende des Prognosezeitraums ermittelte relative Liquiditätslücke 10 % oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten, liegt regelmäßig Zahlungsunfähigkeit vor, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist.201) Dieser nach dem Prognosezeitraum von drei Wochen anschließende weitere Zeitraum kann in Ausnahmefällen drei u. U. auch bis längstens sechs Monate betragen.202) Beträgt die zum Ende des Prognosezeitraums ermittelte relative Liquiditätslücke weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen.203) Sofern bereits absehbar ist, dass die Liquiditätslücke demnächst 10 % oder mehr erreichen wird, ist ausnahmsweise von Zahlungsunfähigkeit auszugehen.
2.5.2 Aussagen zur Überschuldung (§ 19 InsO) 113 Sofern bei der Erstellung eines Sanierungskonzepts Indizien für das Vorliegen einer Überschuldung vorliegen, ist eine Überschuldungsprüfung durch die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens erforderlich. Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens
___________ 197) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 36. 198) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 37. In Literatur und Rspr. werden die im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten auch als Passiva II bezeichnet. 199) Ausführlich Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 917 ff., die vier unterschiedliche Berechnungsalternativen mit erheblich abweichenden Ergebnissen und die damit verbundene Schlussfolgerung in Bezug auf die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit darstellen. 200) Zu weitergehenden Problemen bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit vgl. Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 917 f. 201) BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, wobei die Merkmale „ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ und „demnächst“ einer weiteren Interpretation bedürfen. 202) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 16. 203) BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. Nach IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 17, wird in diesem Fall von einer Zahlungsstockung ausgegangen mit der Verpflichtung einer Erstellung weitergehenden Liquiditätsplanung, aus der sich die Weiterentwicklung der Liquiditätslücke ergibt.
52
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.204) Die Prüfung der Überschuldung erfordert eine zweistufige Prüfung, die anhand eines Schaubilds wie folgt zusammengefasst dargestellt werden kann:205) Beurteilung der Fortbestehensprognose
1. Stufe
Auf der Basis des Unternehmenskonzeptes wird die Finanzplanung für mind. 12 Monate beurteilt
Positive Fortbestehensprognose
Negative Fortbestehensprognose
(finanzielles Gleichgewicht)
(finanzielle Unterdeckung)
Stichtagsbezogene Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden des Unternehmens
Liquidationswerte
entfällt
2. Stufe
(„Zerschlagungswerte“)
Keine Überschuldung
Positives Reinvermögen
Negatives Reinvermögen
Vermögen >Schulden
Vermögen < Schulden
Drohende Überschuldung
Überschuldung
Stufe 1: Fortbestehensprognose: Auf der ersten Stufe ist die Fortbestehensprognose206) 114 zu beurteilen. Hierbei ist auf der Grundlage eines Unternehmenskonzepts eine integrierte Unternehmensplanung zu erstellen, aus der die voraussichtliche Liquiditätsentwicklung
___________ 204) Der Überschuldungsbegriff nach § 19 Abs. 2 InsO wurde durch Art. 5 FMStG v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1982, zunächst befristet bis zum 31.12.2010 neu gefasst. Mit Art. 1 FMStÄndG v. 24.9.2009, BGBl. I 2009, 3151, wurde die Frist um weitere drei Jahre bis zum 31.12.2013 verlängert. Die Befristung wurde mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften – RechtsBehEG, v. 5.12.2012, BGBl. I 2012, 2418, aufgehoben, so dass eine positive Fortbestehensprognose eine Überschuldung ausschließt. 205) Zu Einzelheiten der Überschuldungsprüfung vgl. auch IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 53; hierzu Rendels/Zabel, INDat-Report 6/2014, S. 10 ff.; ausf. Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 917 ff. 206) Von der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose ist die handelsrechtliche Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB abzugrenzen, vgl. ausführlich IDW Positionspapier, IDW FN 9/2012, 463, Rz. 2; Gehrlein, WM 2018, 1 ff.; Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825, 832.
Zabel
53
§3
1. Teil Allgemeines
im Prognosezeitraum207) abzuleiten ist (d. h. Zahlungsfähigkeitsprognose)208). Die Finanzplanung bildet dabei die Grundlage zur Beurteilung der Fortbestehensprognose:
Eine positive Fortbestehensprognose ist gegeben, wenn mit der integrierten Unternehmensplanung plausibel nachgewiesen werden kann, dass das finanzielle Gleichgewicht im Prognosezeitraum gewahrt bleibt oder wiedererlangt wird. Somit muss innerhalb des Prognosezeitraums die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit wahrscheinlicher sein als der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit.209) Bei einer positiven Fortbestehensprognose wird durch den Gesetzgeber eine insolvenzrechtliche Überschuldung stets ausgeschlossen.
Eine negative Fortbestehensprognose ist gegeben, wenn sich aus der integrierten Unternehmensplanung für den Prognosezeitraum eine finanzielle Unterdeckung ergibt. Somit ist innerhalb des Prognosezeitraums der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher als deren Vermeidung.210)
115 Stufe 2: Überschuldungsbilanz (-status): Sofern eine negative Fortbestehensprognose vorliegt, sind auf der zweiten Stufe zu einem Stichtag alle verwertbaren Vermögensposten und alle bestehenden Verpflichtungen des Unternehmens in Form einer Überschuldungsbilanz gegenüberzustellen. Darüber hinaus sind die mit einer Liquidation im Zusammenhang stehenden Aufwendungen (sog. Auslaufkosten)211) als zusätzliche Schuldposten zu berücksichtigen.212) Die Vermögens- und Schuldposten sind in der Überschuldungsbilanz mit den Liquidationswerten anzusetzen, wobei die Bewertung der Vermögensposten zu Zeitwerten erfolgt, d. h. mit ihren voraussichtlichen Veräußerungswerten, die ihnen i. R. der Verwertungsstrategie beizumessen sind:213)
Sofern die in der Überschuldungsbilanz angesetzten Vermögensposten die Schuldposten übersteigen, liegt ein positives Reinvermögen vor. Da jedoch eine negative Fortbestehensprognose gegeben ist, kann durch die gesetzlichen Vertreter ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt werden.214)
Sofern die in der Überschuldungsbilanz angesetzten Schuldposten die Vermögensposten übersteigen, liegt ein negatives Reinvermögen vor, so dass in diesem Fall der Tatbestand der insolvenzrechtlichen Überschuldung gegeben wäre.215)
2.5.3 Aussagen zur Fortführungsprognose (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) 116 Die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens haben i. R. der Erstellung eines Sanierungskonzepts zu beurteilen, ob tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten der Unternehmensfortführung entgegenstehen (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB).216) Diese Verpflichtung gilt in entsprechender Weise für den Ersteller eines Sanierungskonzepts. ___________ 207) Der Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose umfasst grundsätzlich das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr, vgl. IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 60. 208) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 59; IDW Positionspapier, IDW FN 9/2012, 463, Rz. 1. 209) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 64. 210) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 64. 211) Hierzu zählen insbesondere Personalaufwendungen und Aufwendungen aus Dauerschuldverhältnissen soweit ihnen nicht kompensierende Erträge gegenüberstehen, Vertragsstrafen, Rückzahlungsverpflichtungen, Sozialplanverpflichtungen. Vgl. auch Förschle/Hoffmann, in: Winkeljohann/Förschle/ Deubert, Sonderbilanzen, Kap. P Rz. 118. 212) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 72. 213) Zu weiteren Einzelheiten, IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 76 ff. 214) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 90. 215) IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 89. 216) Ausführlich Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825, 832.
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§3
Sanierungsfähigkeit
Eine positive Fortführungsprognose i. S. des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB kann nur vorliegen, 117 wenn die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) nicht gegeben sind. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Insolvenzgründe bei der Beurteilung der Fortführungsprognose i. R. der Erstellung eines Sanierungskonzepts stets zu prüfen sind. Sofern sich auf der Grundlage der integrierten Unternehmensplanung eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder drohende Überschuldung im Prognosezeitraum ergibt, stehen diese Gegebenheiten der Unternehmensfortführung entgegen, sofern nicht geeignete Sanierungsmaßnahmen eingeleitet oder in der integrierten Unternehmensplanung berücksichtigt wurden. Es ist darauf hinzuweisen, dass die alleinige Beurteilung der Fortbestehensprognose wegen 118 ihres ausschließlich liquiditätsorientierten Ansatzes nach diesseits vertretener Auffassung für die Beurteilung der Fortführungsprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB nicht ausreicht.217) 3.
Leitbild des sanierten Unternehmens
3.1
Begriff des Leitbilds
Unter dem Leitbild des sanierten Unternehmens versteht man die Soll-Struktur des sa- 119 nierten Unternehmens nach Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen.218) Das Leitbild soll dabei als Orientierungspunkt219) im Sanierungsprozess aufzeigen, wie das sanierte Unternehmen zukünftig strukturell aussehen und sich auf dem Markt gegenüber den Wettbewerbern behaupten soll,220) um bei einer angemessenen positiven Rendite und einer angemessenen positiven Eigenkapitalausstattung die Attraktivität für Eigen- und Fremdkapitalgeber zu erhöhen.221)
Das Erfordernis einer branchenüblichen Rendite wird im Berufsstand kontrovers diskutiert.222) Während die Rechtsprechung des BGH223) lediglich die Wiederherstellung der Rentabilität fordert, verlangt IDW S 6 eine branchenübliche Rendite, die sich allerdings im letzten Planjahr am unteren Ende der branchenüblichen Bandbreite orientieren kann.224)
Nach Auffassung des IDW ist eine angemessene positive Eigenkapitalausstattung erforderlich, da ein Unternehmen mit negativem bilanziellen Eigenkapital stets Wettbewerbsnachteile hat. Bei der Ermittlung des Eigenkapitals ist auf das bilanzielle Eigenkapital am Ende des Sanierungszeitraums abzustellen, das sich auf Basis der angewendeten Rechnungslegungsvorschriften ergibt.225)
___________ 217) S. a. IDW S 6 a. F., WPg Supplement 4/2012, 130 ff., Rz. 85. Nach der Neufassung des IDW S 6 wird zukünftig auf die rein liquiditätsorientierte insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose i. S. des § 19 InsO abgestellt, vgl. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 18. 218) In der Literatur wird das Leitbild des sanierten Unternehmens auch als „Vision“ bezeichnet, vgl. u. a. IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 183 m. w. N. Andere Autoren bezeichnen das Leitbild als „Herzstück des Sanierungskonzepts“, vgl. Crone/Henning, in: Crone/Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, S. 79. 219) Andersch/Schneider, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 321. 220) Groß, WPg 2009, 231, 238. 221) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.1 und 5.2. 222) Am 5.2.2018 fand beim IDW eine Expertenanhörung zum IDW ES 6 n. F. statt, an der der Verfasser teilgenommen hat. 223) BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235. 224) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 27. 225) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 26, 29, wobei in Ausnahmefällen auch wirtschaftliche Eigenkapitalbestandteile berücksichtigt werden können.
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§3
1. Teil Allgemeines
120 In dem Leitbild des sanierten Unternehmens ist neben den langfristigen Zielvorstellungen, Grundstrategien und Wertevorstellungen auch das zukünftige (realisierbare) Geschäftsmodell in seinen Grundzügen zu beschreiben. Hierzu zählen insbesondere die wesentlichen Geschäftsfelder sowie die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens.226) Mit einem veränderten Leitbild kommt es regelmäßig zu Veränderungen in den bestehenden Unternehmensstrukturen, wodurch sich Potenziale in verschiedenen Bereichen ergeben können.227) 121 Um das Leitbild des sanierten Unternehmens zu realisieren, sind unter Berücksichtigung der Krisenursachen geeignete Sanierungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.228) Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Leitbild im Laufe des Sanierungsprozesses anhand der gewonnenen Erkenntnisse angepasst und weiterentwickelt werden muss.229) 3.2
Beschreibung
122 Die Beschreibung des Leitbilds des sanierten Unternehmens umfasst die zukünftige interne Unternehmensstruktur und das beabsichtigte Auftreten des Unternehmens in seinem Marktumfeld. 3.2.1 Unternehmensstruktur nach innen 123 Bei der Beschreibung der zukünftigen internen Unternehmensstrukturen sind insbesondere die leistungswirtschaftlichen Aspekte zu berücksichtigen:230)
Beschaffung (z. B. zukünftiger Beschaffungsmarkt, zukünftige Lieferantenstruktur, zukünftige Lagerhaltung, zukünftige Qualitätssicherung, zukünftige Logistik etc.),
Produktion (z. B. zukünftige Produkte, zukünftiges Produktionsprogramm, zukünftige Fertigungsstruktur und -steuerung, zukünftige Kapazitätsauslastung, zukünftige Eigenund Fremdfertigung, zukünftige Qualitätsstandards, zukünftige Standardisierung etc.),
Absatz (z. B. zukünftiger Absatzmarkt, zukünftige Preispolitik, zukünftige Vertriebswege, zukünftige Marktstrategien, zukünftige Werbung und Marketing etc.),
Personal (z. B. zukünftige Belegschaft, zukünftige Qualifikation, zukünftiger Führungsstil, zukünftige Kommunikation, zukünftige Stellenpläne etc.).
124 Darüber hinaus sind in dem Leitbild des sanierten Unternehmens zudem die zukünftigen finanzwirtschaftlichen Verhältnisse des sanierten Unternehmens darzustellen. Hierzu gehören u. a. die Darlegung des zukünftigen Kapitalbedarfs und deren Möglichkeiten der Finanzierung sowie die zukünftige Kapitalstruktur des Unternehmens. 3.2.2 Unternehmensstruktur nach außen 125 Bei der zukünftigen Unternehmensstruktur nach außen ist oberstes Ziel, dass Wettbewerbsvorteile entwickelt werden, damit sich das Unternehmen nachhaltig gegenüber seinen Wettbewerbern auf dem Markt behaupten kann. Dabei werden Wettbewerbsvorteile in erster Linie durch Alleinstellungsmerkmale (z. B. Produkte, Markenimage, Kundenbindung etc.) erreicht.231) Alleinstellungsmerkmale werden aber nur dann zu Wettbewerbsvorteilen, wenn sie von den Kunden wahrgenommen, honoriert werden und dauerhaft sind.232) In dem Leitbild des sanierten Unternehmens sind daher insbesondere die zukünf___________ 226) 227) 228) 229) 230) 231) 232)
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IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 65. IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 89. Vertiefend IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 91 ff. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 59. In Anlehnung an F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.6. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.6. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 5.6.
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§3
Sanierungsfähigkeit
tigen Wettbewerbsvorteile darzustellen und darüber hinaus die zukünftigen Wettbewerbsstrategien zu beschreiben. 4.
Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise
Auf der Grundlage der Erkenntnisse der Krisenursachen und unter Berücksichtigung des 126 Leitbilds des sanierten Unternehmens sind die leistungs- und finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen233) zu entwickeln. Dabei sind in umgekehrter Reihenfolge der Krisenstadien die einzelnen Krisen entsprechend der Dringlichkeit zu beseitigen.234) Überwindung der Stakeholderkrise
Sanierungsmaßnahmen
Überwindung der Strategiekrise Überwindung der Produktund Absatzkrise Überwindung der Erfolgskrise Überwindung der Liquiditätskrise Überwindung/ Vermeidung der Insolvenz Zeit
Bei der Entwicklung der Sanierungsmaßnahmen ist zu beachten, dass im Sanierungskon- 127 zept die zeitlichen und finanziellen Auswirkungen zu berücksichtigen sind. Daher sollten im Sanierungskonzept für die einzelnen Maßnahmen die zeitlichen und finanziellen Erfordernisse sowie die für die Umsetzung verantwortlichen Personen in Form von Maßnahmenkatalogen angegeben werden.235) 4.1
Überwindung der Insolvenz
Sofern sich das zu sanierende Unternehmen in der Insolvenz befindet, besteht die Mög- 128 lichkeit der Sanierung mit Hilfe eines Insolvenzplanverfahrens (§§ 217 ff. InsO) ggf. in Kombination mit der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO). Darüber hinaus ist die Sanierung des Unternehmens im Wege der übertragenden Sanierung möglich.236) ___________ 233) 234) 235) 236)
Vertiefend IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 145 ff. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 68. IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, Kap. B Rz. 130. Bei der übertragenden Sanierung wird der Geschäftsbetrieb im Zuge eines Asset-Deal (Veräußerung von Einzel-Vermögensgegenständen) auf eine Erwerbergesellschaft übertragen. Im Gegensatz zum Insolvenzplanverfahren erfolgt dabei keine Sanierung des Rechtsträgers.
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57
§3
1. Teil Allgemeines
129 Exkurs: Eine Sanierung i. R. eines Insolvenzverfahrens bietet im Hinblick auf die möglichen Sanierungsmaßnahmen insbesondere die folgenden Vorteile gegenüber einer außergerichtlichen Sanierung: Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehen bspw. die folgenden Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung:237) Durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters kann der Handlungsspielraum deutlich erweitert werden, da dieser das Unternehmen grundsätzlich fortzuführen hat. Ausnahmsweise kann das Insolvenzgericht einer Stilllegung zur Vermeidung erheblicher Vermögensverluste zustimmen (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Mit der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung werden Vollstreckungsmaßnahmen zum Schutz der Insolvenzmasse untersagt (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Vorfinanzierung von Insolvenzgeld nach § 186 SGB III (beachte jedoch: strengere Anforderungen an die Darlegung der Fortführungsfähigkeit). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehen bspw. die folgenden Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung:238) Der Insolvenzverwalter hat das Wahlrecht zwischen Erfüllung und Ablehnung gegenseitiger Verträge sowie zur Beendigung von Dauerschuldverhältnissen. Hierdurch können insbesondere ungünstige Abnahme- oder Lieferverträge vorzeitig beendet werden. Der Insolvenzverwalter kann Personalabbaumaßnahmen mit den insolvenzrechtlichen Kündigungsmöglichkeiten erleichtern und beschleunigen. Der Insolvenzverwalter kann mit Hilfe des Anfechtungsrechts den Finanzierungsspielraum erheblich erhöhen. 4.2
Vermeidung der Insolvenz
130 Nach § 15a InsO sind die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft oder einer ihr gleichgestellten Personengesellschaft verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. 131 Zur Vermeidung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) kommen insbesondere die nachfolgenden kurzfristigen Sanierungsmaßnahmen in Betracht: Stundung von fällig werdenden Verbindlichkeiten, Aussetzung von Tilgungsleistungen, Gesellschafterdarlehen, Überbrückungsfinanzierung. 132 Zur Vermeidung des Insolvenzgrunds der Überschuldung (§ 19 InsO) kommen bspw. die nachfolgenden kurzfristigen Sanierungsmaßnahmen in Betracht:239) Kapitalerhöhungen,
Rangrücktrittsvereinbarungen,
Erlass von Verbindlichkeiten,
Realisierung von stillen Reserven.
___________ 237) IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 103 ff. 238) IDW, WP Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 104 ff. 239) Die Sanierungsmaßnahmen zur Beseitigung der Überschuldung können auch zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit führen. So z. B. kann die Zuführung von Eigenkapital den Insolvenzgrund der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit beseitigen.
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§3
Sanierungsfähigkeit
Eine Vermeidung der Insolvenz ist nur möglich, wenn die Sanierungsmaßnahmen zur Be- 133 seitigung eines Insolvenzgrunds rechtlich abgesichert sind. Die Darstellung von nur möglichen Sanierungsmaßnahmen reicht nicht aus, um die Insolvenz zu vermeiden.240) 4.3
Überwindung der Liquiditätskrise
Bei einer Liquiditätskrise sind mögliche Liquiditätsreserven innerhalb des Unternehmens 134 zu identifizieren und auszuschöpfen. Sofern sie nicht für die Deckung des Liquiditätsbedarfs ausreichen, sind die verbleibenden Liquiditätslücken durch Zuführung liquider Mittel von außen zu schließen.241) Zur Überwindung der Liquiditätskrise kommen insbesondere die in Rz. 131 dargestellten 135 Sanierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Vermeidung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit in Betracht. Darüber hinaus sind weitere Liquiditätspotenziale des Unternehmens zu beurteilen, z. B.:
Optimierung der Lagerhaltung,
Realisierung überfälliger Forderungen,
Reduzierung der Debitorenlaufzeiten,
Sale-and-Lease-Back von Anlagevermögen,
Factoring von Forderungen und
Reverse-Factoring242).
Es ist darauf hinzuweisen, dass eine nachhaltige Überwindung der Liquiditätskrise nur er- 136 reicht werden kann, wenn das zu sanierende Unternehmen die Kreditfähigkeit wiedergewinnt.243) Dieses wird regelmäßig nur der Fall sein, wenn das Unternehmen über eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit verfügt und damit die Mindestanforderungen an ein Rating nach Basel II244) erfüllt. Bei dem Rating wird das Unternehmen unter Bonitätsgesichtspunkten durch das Kreditinstitut beurteilt. Das Rating wird dabei nach einem festgelegten Ratingschema nach Ratingklassen durchgeführt,245) wobei die Beurteilungskriterien ___________ 240) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Vermeidung der Insolvenz). 241) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Liquiditätskrise). 242) Beim Reverse-Factoring („umgekehrtes Factoring“) möchte der Abnehmer die Lieferantenrechnung zeitnah unter Ausnutzung von Skonto bezahlen, seine Liquidität aber nicht belasten. Der Factor übernimmt die sofortige Zahlung der Lieferantenrechnung und räumt dem Abnehmer ein entsprechend längeres Zahlungsziel für die Rückzahlung der vorfinanzierten Lieferantenzahlung ein. Zu Einzelheiten vgl. Herke, NWB-BB 2013, 309 ff. 243) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Liquiditätskrise). 244) Mit der vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht Ende Juni 2004 verabschiedeten neuen Eigenkapitalvereinbarung (Basel II) sollte die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Finanzsystems gestärkt, die Wettbewerbsgleichheit verbessert und die Risiken besser erfasst werden. Basel II sieht vor, insbesondere bei Unternehmen vor jeder Kreditentscheidung eines Kreditgebers eine individuelle Einschätzung der Bonität auf Basis von Ranking-Systemen vorzunehmen. Im Februar 2006 wurde der Gesetzentwurf zur Umsetzung von Basel II in deutsches Recht mit Wirkung zum 1.1.2007 verabschiedet. Als Reaktion auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2007 hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht am 12.9.2010 neue Kapital- und Liquiditätsvorschriften für Bankinstitute bekannt gegeben. Danach sollen die Banken deutlich mehr Eigenkapital vorhalten und einen zusätzlichen Kapitalpuffer anlegen, um etwaige Verluste selbst auffangen zu können. Die strengeren Regeln (Basel III) sollen dazu führen, dass Banken sich im Krisenfall aus eigener Kraft stabilisieren und retten können. 245) Die Rating-Klassifizierung nach Standard & Poor’s reicht von A für die beste Stufe bis D für die schlechteste Stufe. Eine Verdoppelung oder Verdreifachung des Buchstabens bedeutet eine Verbesserung der Bonität innerhalb der Bonitätsstufe. So z. B. bedeutet die Stufe AAA eine sehr gute Bonität mit einem geringen Insolvenzrisiko.
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59
§3
1. Teil Allgemeines
von den Kreditinstituten unterschiedlich sind. Aufgrund der Vorgaben von Basel II erstrecken sich die Beurteilungskriterien insbesondere auf die nachfolgenden Bereiche:
Qualität des Managements,
wirtschaftliche Verhältnisse,
Branchen, Markt- und Wettbewerbssituation und
bisherige Geschäftsbeziehungen und Zahlungsverhalten.
137 Die Vorgaben von Basel II sehen für Kreditinstitute bei der Kreditvergabe insbesondere vor, dass Kredite entsprechend der Ratingklassifizierung durch Eigenkapital zu unterlegen sind. Daraus folgt, dass die Höhe der Eigenkapitalunterlegung den Zinssatz für den Kredit bzw. die Kreditentscheidung maßgeblich beeinflusst. 4.4
Überwindung der Erfolgskrise
138 Zur Überwindung der Erfolgskrise sind Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, die dazu führen, dass das Unternehmen nachhaltig eine angemessene Rendite erwirtschaftet.246) Dies wird grundsätzlich erreicht, wenn die Kostenstruktur verbessert und die Umsatzerlöse gesteigert werden können.247) 139 Als Sanierungsmaßnahmen zur Überwindung der Erfolgskrise kommen grundsätzlich in Betracht:
Optimierung des Produktprogramms (z. B. Straffung des Leistungssortiments, Reduzierung der Fertigungstiefe, Bündelung von Funktionen, Festlegung des Produktprogramms unter Berücksichtigung der Deckungsbeiträge etc.),
Verbesserung der Kostenstruktur (z. B. Reduzierung der Kosten im Overhead-Bereich, Reduzierung der Fixkosten, Reduzierung der Fertigungsstückkosten, Reduzierung der Bezugskosten, Veränderung der Vergütungsstruktur im Personalbereich etc.),
Steigerung der Umsatzerlöse (z. B. Verbesserung von Marketing und Vertrieb, Überprüfung und Anpassung der Preispolitik etc.).
140 Bei der Festlegung der Sanierungsmaßnahmen zur Überwindung der Erfolgskrise ist zu beachten, dass diese mit der strategischen Neuausrichtung des Unternehmens i. R. des Leitbilds des sanierten Unternehmens einhergehen.248) 4.5
Überwindung der Produkt- und Absatzkrise
141 Bei Vorliegen einer Produkt- und Absatzkrise ist bei der Entwicklung der Sanierungsmaßnahmen zu unterscheiden, ob die Produkt- und Absatzkrise nur vorübergehend oder strukturell besteht.249) 142 Bei einer nur vorübergehenden Produkt- und Absatzkrise sind die Produkte grundsätzlich marktgerecht und wettbewerbsfähig. Da die Krise in diesem Fall bspw. aus einer vorübergehenden Branchenschwäche resultiert, sollte das Potenzial des Unternehmens erhalten bleiben.250) Vor diesem Hintergrund kommen insbesondere zeitlich befristete Kostensenkungsmaßnahmen zur Überbrückung der Schwächephase in Betracht, z. B.:251)
Einführung von Kurzarbeit,
___________ 246) 247) 248) 249) 250) 251)
60
F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Erfolgskrise). Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 66. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 66. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Produkt- und Absatzkrise). Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 67. F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Produkt- und Absatzkrise).
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§3
Sanierungsfähigkeit
Abbau von Zeitarbeitsverträgen,
Abbau von Gleitzeitguthaben.
Bei einer strukturellen Produkt- und Absatzkrise dagegen sind die Produkte nicht mehr 143 marktgerecht und wettbewerbsfähig.252) In diesem Fall sind unter Berücksichtigung der Krisenursachen strukturelle Sanierungsmaßnahmen erforderlich, z. B.:
Anpassung von Produktionsmethoden,
Investitionen in neue Technologien und Produkte,
Beseitigung von Qualitätsproblemen,
Aufgabe von Geschäftsbereichen.
4.6
Überwindung der Strategiekrise
Eine Strategiekrise wird durch die strategische Neuausrichtung unter Berücksichtigung 144 des entwickelten Leitbilds des sanierten Unternehmens überwunden.253) Hierbei steht die Wiedererlangung der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund.254) Eine nachhaltig profitable Unternehmensentwicklung kann dabei nur durch die Entwicklung geeigneter Produkt-Markt-Strategien (d. h. Strategien über das Produkt-Markt-Konzept) und Ressourcen-Strategien (d. h. Strategien zur Nutzung und Ausgestaltung der vorhandenen Ressourcen) erreicht werden.255) Vor dem Hintergrund der strategischen Neuausrichtung des Unternehmens sind strategische 145 Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, z. B.:
Stärkung des Kerngeschäfts,
Ausweitung des Kerngeschäfts,
Entwicklung neuer Erfolgspotenziale.
4.7
Überwindung der Stakeholderkrise
Eine Stakeholderkrise kann nur überwunden werden, wenn es nachhaltig gelingt, zwischen 146 den heterogenen Interessen der mit dem Unternehmen in Verbindung stehenden Anspruchsgruppen einen Konsens zu erzielen.256) Dieses wird in der Regel nur gelingen, wenn alle Interessen in dem Sanierungskonzept Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass das Management und die in den Sanie- 147 rungsprozess involvierten Berater für das Sanierungskonzept werben und gegenüber den Stakeholdern eine Moderatorenrolle übernehmen. Dies wird in der Regel nur erfolgreich sein, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen den Stakeholdern und dem Sanierungsberater bzw. dem Management besteht. Praxishinweis: In der Praxis ist häufig festzustellen, dass die Verursacher einer Stake- 148 holderkrise die Auftraggeber eines Sanierungskonzepts sind. Um Konflikte zwischen dem Sanierungsberater und dem Auftraggeber zu vermeiden, sollte der Sanierungsberater ver-
___________ 252) Von einer strukturellen Produkt- und Absatzkrise ist grundsätzlich nur auszugehen, wenn die Produkte tatsächlich als nicht marktfähig angesehen werden. Bei dieser Untersuchung sind Maßnahmen zur Beseitigung von Schwächen im Vertrieb zu berücksichtigen. 253) Vgl. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 68. 254) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Strategiekrise). 255) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Strategiekrise). 256) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 6.1 (Überwindung der Stakeholderkrise).
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61
§3
1. Teil Allgemeines
suchen, die Diskussionen über diese Krisenart mit Argumenten aus dem Bereich der Corporate Governance zu führen.257) 5.
Integrierte Sanierungsplanung
5.1
Vorbemerkungen
149 Das Sanierungskonzept muss in zusammengefasster Form eine zahlenmäßige Darstellung des geplanten Sanierungsablaufs enthalten (sog. Sanierungsplan), so dass zugleich die Finanzierbarkeit des Sanierungskonzepts nachgewiesen wird. Der Sanierungsplan ist dabei integriert als Ergebnis-, Finanz- und Vermögensplan (sog. integrierte Unternehmensplanung) zu erstellen.258) 150 Die integrierte Unternehmensplanung ist auf der Basis des Sanierungskonzepts zu erstellen, wobei ein wirtschaftlicher Zusammenhang und ein laufender Datenaustausch zwischen der Gewinn- und Verlustrechnung (leistungswirtschaftlicher Bereich) einerseits und der Bilanz sowie der Liquiditätsplanung in Form der Kapitalflussrechnung (finanzwirtschaftlicher Bereich) andererseits erfolgt.259) Absatzplanung
Produktionsplanung
Personalplanung
Investitionsplanung
...
Plan-Gewinn- und Verlustrechnung
Plan-Bilanz
Finanzplanung
151 Ausgehend von den betrieblichen Teilplanungen (z. B. Absatz-, Produktions-, Personal-, Investitionsplanung) ist die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung und darauf aufbauend die Plan-Bilanz sowie die Finanzplanung zu entwickeln (zu weiteren Einzelheiten der integrierten Unternehmensplanung siehe § 27 Rz. 97 ff.). Dabei erscheinen Alternativ-Darstellungen in Form von Best-Case- und Worst-Case-Betrachtungen zweckmäßig, wobei klarzustellen ist, auf welche Alternative sich die Bestätigung der Sanierungsfähigkeit be___________ 257) Groß, WPg 2009, 231, 242. 258) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 78. Vertiefend IDW Praxishinweis 2/2017, IDW Life 03/2017, 343 ff. 259) Zu der Differenzierung zwischen dem leistungs- und finanzwirtschaftlichen Bereich vgl. Plagens/ Brunow, DStR 2004, 102, 107.
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§3
Sanierungsfähigkeit
zieht.260) Unabhängig davon kann es zweckmäßig sein, die integrierte Unternehmensplanung um Liquiditäts-, Ertrags und Vermögenskennzahlen sowie vertraglich vereinbarte Kennzahlen (Covenants) zu ergänzen.261) Praxishinweis: In der Praxis ist häufig festzustellen, dass Unternehmen lediglich eine 152 Planung der Gewinn- und Verlustrechnung und ggf. eine daraus abgeleitete Cash-flowRechnung erstellen. Derartige Teilplanungen sind nicht als Sanierungsplan i. S. des IDW S 6 geeignet, da nur Teilbereiche berücksichtigt werden.262) Die wesentlichen Prämissen der integrierten Unternehmensplanung (z. B. Absatzplanung, 153 Auftragsbestand, Entwicklung der Beschaffungs- und Absatzpreise, Fortsetzung wichtiger Verträge etc.) sollten in schriftlicher Form dokumentiert und dem Sanierungskonzept als gesonderte Anlage beigefügt werden. 5.2
Darstellung der Problem- und Verlustbereiche (Basisplanung)
Auf der Grundlage der Analyse der Krisenursachen sind in der integrierten Unterneh- 154 mensplanung die Problem- und Verlustbereiche darzustellen. Dabei ist die integrierte Unternehmensplanung zunächst ohne die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen (sog. Basisplanung) aufzustellen. Anhand dieser Basisplanung ist ersichtlich, wie sich das Unternehmen ohne die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen voraussichtlich entwickeln wird. Praxishinweis: In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine Darstellung der Unternehmens- 155 planung ohne Berücksichtigung von Sanierungsbeiträgen insbesondere bei Verhandlungen mit Gläubigern und Arbeitnehmern über Sanierungsbeiträge sehr hilfreich sein kann und die Glaubwürdigkeit der Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen erhöht. Sofern möglich sollte innerhalb der integrierten Unternehmensplanung insbesondere im 156 Bereich der Gewinn- und Verlustrechnung nach Geschäftsbereichen differenziert werden, um Geschäftsbereiche mit negativen Ergebnisbeiträgen zu identifizieren.263) 5.3
Darstellung der Sanierungsmaßnahmen
In der integrierten Unternehmensplanung sind die bereits umgesetzten und noch umzu- 157 setzenden Sanierungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Dabei ist jede Sanierungsmaßnahme zu beschreiben und die quantitativen Auswirkungen auf die zukünftige Ergebnis-, Finanzund Vermögensentwicklung gesondert darzustellen.264) Mit der unter Berücksichtigung der Sanierungsmaßnahmen aufgestellten integrierten Un- 158 ternehmensplanung kann die Fortführungs- und Sanierungsfähigkeit nachgewiesen werden. Dies wird insbesondere dadurch erreicht, dass die integrierte Unternehmensplanung für den Prognosezeitraum Nachweise erbringt für: keine Zahlungsunfähigkeit,265) keine Überschuldung sowie angemessene positive Rendite und angemessene positive Eigenkapitalausstattung.266) ___________ 260) 261) 262) 263) 264) 265)
IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 80. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 84; F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff. Abschn. 7.4. Ebenso Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 85. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 91. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 74. Der Nachweis der Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum kann insbesondere anhand der Planung der Kapitalflussrechnung erbracht werden. 266) Der Nachweis der branchenüblichen Rendite im Prognosezeitraum kann insbesondere anhand der Planung der Gewinn- und Verlustrechnung erbracht werden. Zur Berechnung der nachhaltigen Fortführungsfähigkeit vgl. u. a. Beck/Stannek, in: Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 10. Kap. Rz. 70 ff.
Zabel
63
§3
1. Teil Allgemeines
6.
Berichterstattung
6.1
Anforderungen
159 Unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wesentlichkeit und Klarheit soll über die Durchführung des Auftrags in berufsüblicher267) Form schriftlich berichtet werden. Die Berichterstattung soll insbesondere Art und Umfang des Auftrags beschreiben.268) 160 Dabei sollte im Bericht des Wirtschaftsprüfers insbesondere auf die nachfolgenden Aspekte hingewiesen werden:
Qualität der zukunftsorientierten Informationen:269) Es ist klarzustellen, dass in dem Sanierungskonzept zukunftsorientierte Informationen verwendet werden, die auf Schätzungen und Erfahrungswerten beruhen.
Qualität der zugrunde liegenden Ausgangsdaten:270) Es ist klarzustellen, dass die zugrunde liegenden Ausgangsdaten und Informationen nicht nach Art und Umfang einer betriebswirtschaftlichen Prüfung i. S. des § 2 Abs. 1 WPO geprüft wurden.
Beurteilung der Sanierungsmaßnahmen:271) Sofern das Sanierungskonzept wesentliche Sanierungsmaßnahmen enthält, die der Wirtschaftsprüfer nicht beurteilen kann bzw. die rechtlich von der Mitwirkung Dritter abhängen und bei denen zum Zeitpunkt der Erstellung des Sanierungskonzepts eine rechtlich bindende Vereinbarung noch aussteht, ist im Bericht und in der Schlussbemerkung zur Zusammenfassung darauf hinzuweisen.
6.2
Musterbescheinigung für die Sanierungsfähigkeit
161 Nach IDW S 6 wird bei der Erstellung von Sanierungskonzepten i. R. der Berichterstattung die nachfolgende zusammenfassende Schlussbemerkung empfohlen:272) „Ich war/Wir waren beauftragt, das in voranstehendem Bericht dargestellte Sanierungskonzept für die […] [Mandant] zu erstellen. Das Sanierungskonzept wurde auf Grundlage des zwischen der Gesellschaft und mir/uns geschlossenen Auftrags, dem die berufsüblichen Allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vom 1.1.2017 zugrunde liegen, erstellt. Ich habe meiner/Wir haben unserer Erstellungstätigkeit den IDW Standard: Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) zugrunde gelegt. Dieser IDW Standard legt die Grundsätze dar, nach denen Wirtschaftsprüfer Sanierungskonzepte erarbeiten. Im Rahmen meiner/unserer Erstellungstätigkeit habe ich/haben wir auf Basis meiner/unserer Analysen der Ist-Lage und der Krisenursachen in Abstimmung mit den gesetzlichen Vertretern der Gesellschaft vor dem Hintergrund des Leitbilds des sanierten Unternehmens geeignete Sanierungsmaßnahmen erarbeitet und die Auswirkungen der ergriffenen und geplanten Maß___________ 267) Die Form eines Sanierungskonzeptes wird in der Literatur nicht diskutiert. In der Praxis ist festzustellen, dass Sanierungskonzepte häufig in Form von PowerPoint-Präsentationen erstellt werden. Nach diesseits vertretener Auffassung entspricht dies zumindest nicht der berufsüblichen Form von Wirtschaftsprüfern. 268) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 88. 269) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 89. 270) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 89. 271) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Rz. 94. 272) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 ff., Anlage 1. Die im bisherigen IDW S 6 a. F., WPg Supplement 4/2012, 130 ff., vorgesehenen zwei Formen der Berichterstattung (Bestätigung der Sanierungsfähigkeit und Bestätigung der Fortführungsfähigkeit) wurden grundsätzlich im Standard aufgegeben. Sofern nur ein Fortführungskonzept (Stufe 1) beauftragt wurde, ist eine gesonderte Bescheinigung erforderlich, die nicht mehr im IDW S 6 enthalten ist, sondern in den F&A zu IDW S 6, Abschn. 2.8.
64
Zabel
§3
Sanierungsfähigkeit
nahmen in die integrierte Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung überführt. Die gesetzlichen Vertreter haben sich das Sanierungskonzept und das dem Konzept zugrunde liegende Leitbild zu eigen gemacht. Bei ihnen liegt die Verantwortung für die Umsetzung, kontinuierliche Überwachung und Fortschreibung des Sanierungskonzepts. Aufgabe der gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft war es, mir/uns die für die Auftragsdurchführung erforderlichen Informationen vollständig und richtig zur Verfügung zu stellen. Dies wurde in einer Vollständigkeitsklärung bestätigt. Ergänzend haben mir/uns die gesetzlichen Vertreter erklärt, dass sie beabsichtigen und in der Lage sind, die zur Sanierung erforderlichen und im Sanierungskonzept beschriebenen Maßnahmen umzusetzen. Auftragsgemäß war es nicht meine/unsere Aufgabe, die dem Sanierungskonzept zugrunde liegenden Daten nach Art und Umfang einer betriebswirtschaftlichen Prüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 WPO zu prüfen. Ich habe/Wir haben hinsichtlich der in das Sanierungskonzept eingeflossenen wesentlichen Daten lediglich Plausibilitätsbeurteilungen durchgeführt. Die dem Konzept beigefügte integrierte Planung weist künftige Liquiditätsüberschüsse und zum Ende des Betrachtungszeitraums ein positives Eigenkapital aus. Das Sanierungskonzept beschreibt die für eine positive Fortbestehensprognose und darüber hinaus die für die Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit der […] [Mandant] erforderlichen Maßnahmen. Im Rahmen meiner/unserer Tätigkeit bin ich/sind wir zu der abschließenden Einschätzung gelangt, dass aufgrund der im vorliegenden Sanierungskonzept beschriebenen Sachverhalte, Erkenntnisse, Maßnahmen und plausiblen Annahmen das Unternehmen bei objektiver Betrachtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit saniert werden kann. Dabei fanden insbesondere folgende Rechtsprechungsgrundsätze Anwendung –
Das Sanierungskonzept geht von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten des Unternehmens aus und ist durchführbar.
–
Mir/uns haben die erforderlichen Buchhaltungsunterlagen des Unternehmens vorgelegen. Die Geschäftsführung hat mir/uns dies in einer Vollständigkeitserklärung bestätigt.
–
Das Sanierungskonzept enthält eine Analyse der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche und erfasst die Krisenursachen.
–
Das Sanierungskonzept beurteilt die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zutreffend.
–
Das Sanierungskonzept enthält eine positive Fortbestehensprognose.
–
Das Sanierungskonzept zeigt auf, dass das Unternehmen objektiv sanierungsfähig ist und die für seine Sanierung konkret in Angriff genommenen Maßnahmen insgesamt objektiv geeignet sind, das Unternehmen in überschaubarer Zeit durchgreifend zu sanieren.
–
Die im Sanierungskonzept dargelegten geplanten Sanierungsmaßnahmen sind jedenfalls in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt, d. h. die Sanierungsaktivitäten sind objektiv sachgerecht eingeleitet worden.
–
Das Sanierungskonzept belegt, dass nach Durchführung der Sanierungsmaßnahmen die Rentabilität der unternehmerischen Tätigkeit wiederhergestellt werden kann.
–
Das Management hat bestätigt, das vorliegende Sanierungskonzept umzusetzen.
[Ort, Datum, Unterschriften]“
Zabel
65
§3 6.3
1. Teil Allgemeines Musterbescheinigung für ein Fortführungskonzept
162 Nach F&A zu IDW S 6, Abschn. 2.8 wird bei der Erstellung von Fortführungskonzepten (Stufe 1) i. R. der Berichterstattung die nachfolgende zusammenfassende Schlussbemerkung empfohlen:273) „Ich war/Wir waren beauftragt, für die Jahre […] bis […] ein Fortführungskonzept für die […] [Mandant] zu erstellen, das eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose und eine handelsrechtliche Fortführungsannahme im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB umfasst. Hierbei handelt es sich nicht um ein umfassendes Sanierungskonzept im Sinne des IDW S 6, so dass allein auf dieser Grundlage keine Aussage zur Sanierungsfähigkeit getroffen werden kann. Das Fortführungskonzept wurde auf Grundlage des zwischen der Gesellschaft und mir/uns geschlossenen Auftrags, dem die berufsüblichen Allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vom 1.1.2017 zugrunde liegen, erstellt. Meine/Unsere Aufgabe war es, auf Basis meiner/unserer Analysen in Abstimmung mit den gesetzlichen Vertretern der Gesellschaft Maßnahmen zu erarbeiten, auf deren Grundlage von einer positiven insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose und einer handelsrechtlichen Fortführungsannahme ausgegangen werden kann. Die Planungsprämissen sowie die Auswirkungen der ergriffenen und geplanten Maßnahmen wurden von mir/uns in die integrierte Ertrags-, Liquiditäts- und Vermögensplanung überführt. Die gesetzlichen Vertreter haben sich das dem Fortführungskonzept zugrunde liegende Leitbild zu eigen gemacht. Bei Ihnen liegt die Verantwortung für die Umsetzung, kontinuierliche Überwachung und Fortschreibung des Fortführungskonzeptes. Aufgabe der gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft war es, mir/uns die für die Auftragsdurchführung erforderlichen Informationen vollständig und richtig zur Verfügung zu stellen. Auf die beigefügte Vollständigkeitserklärung wird verwiesen. Ergänzend haben mir/uns die gesetzlichen Vertreter erklärt, dass sie beabsichtigen und in der Lage sind, die für eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose und handelsrechtliche Fortführungsannahme erforderlichen und im Fortführungskonzept beschriebenen Maßnahmen umzusetzen. Auftragsgemäß war es nicht meine/unsere Aufgabe, die dem Fortführungskonzept zugrunde liegenden Daten nach Art und Umfang einer Jahresabschlussprüfung zu prüfen. Ich habe/Wir haben hinsichtlich der in das Fortführungskonzept eingeflossenen wesentlichen Daten Plausibilitätsbeurteilungen durchgeführt. Im Rahmen meiner/unserer Tätigkeit bin ich/sind wir zu der abschließenden Einschätzung gelangt, dass aufgrund der im vorliegenden Fortführungskonzept beschriebenen Sachverhalte, Erkenntnisse, Maßnahmen und plausiblen Annahmen die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist und damit zutreffend von einer positiven insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose und handelsrechtlichen Fortführungsannahme ausgegangen werden kann. [Ort, Datum, Unterschriften]“
___________ 273) F&A zu IDW S 6, IDW Life 8/2018, 826 ff., Abschn. 2.8.
66
Zabel
§4 Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren Warneke/Braun
I. Einleitung .................................................... 1 II. Ausgangssituation ...................................... 3 1. Reaktion von Kreditinstituten auf die Insolvenzantragstellung............................... 3 2. Motivation eines Kreditgebers zur weiteren Finanzierung ................................. 5 III. Absicherung des Kreditgebers................. 10 1. Rückzahlungspflicht als Masseverbindlichkeit................................................. 11 2. Besicherung ................................................ 24 IV. Unechter und echter Massekredit........... 32 1. Begriffsbestimmung................................... 33 2. Rechtliche Qualifikation des unechten Massekredits ............................................... 35 3. Rechtliche Mechanik des unechten Massekredits ............................................... 38 V. Echter Massekredit.................................... 45 VI. Unechter Massekredit .............................. 46
1.
Einräumung des unechten Massekredits ......................................................... 47 2. Wirksamkeitsvoraussetzungen.................. 54 3. Verwendungszweck des unechten Massekredits ............................................... 56 4. Sicherheiten ................................................ 58 5. Informationspflichten und sonstige Pflichten des Darlehensnehmers............... 59 6. Laufzeit, Rückzahlung und Kündigungsgründe ............................................... 61 7. Ausschluss der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters? ....................................................... 67 VII. Zustimmungspflichten für den Abschluss eines Massekreditvertrags...... 68 1. Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters ......................................................... 69 2. Zustimmungspflicht des (vorläufigen) Gläubigerausschusses................................. 77
Literatur: Ganter, Das personengebundene Massedarlehen, ZIP 2013, 597; Huber, Finanzierungsoptionen für ein Kreditinstitut im Insolvenzeröffnungsverfahren – unter besonderer Berücksichtigung der unechten Massekredite, NZI 2014, 439; Knof, Erfordert die Fortführungsfinanzierung (doch) einen Umverteilungstatbestand im Insolvenzrecht?, ZInsO 2010, 1999; Kuder, Insolvenzfestigkeit revolvierender Kreditsicherheiten, ZIP 2008, 289; Madaus/Knauth, Die Wirkungsweise des Schutzes von Sanierungsfinanzierungen durch eine Restrukturierungsrichtlinie am Beispiel des unechten Massekredits, ZIP 2018, 149; Strotmann/Tetzlaff, Besicherung von Massekrediten aus Sicht des Kreditinstituts, ZInsO 2011, 559; Trowski, Der „unechte“ Massekredit in der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO aus Sicht der finanzierenden Bank, WM 2014, 1257; Wuschek, Massekredite als Sanierungsbeitrag?, ZInsO 2012, 1294.
I.
Einleitung
Der Betrieb eines Unternehmens – insbesondere auch eines Unternehmens im vorläufi- 1 gen oder eröffneten Insolvenzverfahren – erfordert Liquidität, u. a. um die durch die laufende Geschäftstätigkeit verursachten Kosten zu decken und z. B. Warenbestellungen zu bezahlen.1) Die Verfügbarkeit von Krediten zur Sicherung der Liquidität zu dem Zeitpunkt, an dem sie benötigt wird, ist für Unternehmen allgemein essentiell. Für Unternehmen im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren ist die Verfügbarkeit von neuen Krediten im Wege der Fremdfinanzierung eine Existenzfrage (siehe bereits oben § 2 Rz. 33), wenn der Geschäftsbetrieb (auch nur teilweise oder vorübergehend) fortgeführt werden soll. Denn Quellen für eine Selbst- bzw. Eigenfinanzierung stehen regelmäßig nicht mehr zur Verfügung und bestehende Fremdfinanzierungen werden durch die Finanzierer spätestens mit Insolvenzantragstellung reflexhaft gekündigt (siehe unten Rz. 3). Gleichzeitig ist zusätzliche Liquidität erforderlich, denn durch den Vertrauensverlust, der bereits durch die (veröffentlichte) Insolvenzantragstellung ausgelöst wird, stellen Waren___________ 1) Die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds für den Zeitraum des Eröffnungsverfahrens entlastet zwar die zukünftige Insolvenzmasse von Lohnkosten (s. unten § 7 Rz. 168 ff.); die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes allein deckt jedoch üblicherweise nicht den Finanzierungsbedarf.
Warneke/Braun
67
§4
1. Teil Allgemeines
lieferanten die Belieferung auf Vorkasse um oder verkürzen Zahlungsziele. Im weiteren Verlauf sinken regelmäßig Marktanteile, Absatzzahlen und somit der Umsatz, qualifizierte Arbeitnehmer verlassen das Unternehmen, und die Rentabilität sinkt. 2 Die Sanierung insolventer Unternehmen ist volkswirtschaftlich jedoch dann sinnvoll, wenn der Liquidationswert geringer als der Sanierungswert ist, da die in einem Unternehmen gebundenen Ressourcen dort auch am effizientesten genutzt werden; die Gesellschaft ist dann sanierungsfähig.2) So zielen die Änderungen des deutschen Insolvenzrechts durch das ESUG3) darauf ab, die Sanierungsmöglichkeiten zu verbessern, und auch der Kommissionsentwurf einer Restrukturierungsrichtlinie geht in diese Richtung.4) Der Entwurf wird derzeit im Europäischen Parlament beraten. Der zuständige Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments legte am 21.8.2018 seinen Bericht5) zum Entwurf vor, über den das Parlament anschließend abstimmen wird. Die Finanzierung der Sanierung einer insolventen Gesellschaft wird jedoch nur gelingen, wenn sie risikogemäß erfolgt. Mit anderen Worten: Finanzierer werden einer (erneuten) Kreditvergabe nur dann zustimmen, wenn die durch die Insolvenz ausgelösten zusätzlichen Risiken durch die Kreditvergabe verringert werden und der Kreditgeber in Bezug auf die Rückzahlung des Kredits bestmöglich abgesichert ist. II.
Ausgangssituation
1.
Reaktion von Kreditinstituten auf die Insolvenzantragstellung
3 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat zunächst keine Auswirkungen auf bestehende Finanzierungsverträge. Der Antrag eröffnet Kreditgebern aber die Möglichkeit, Kreditverträge gemäß § 490 BGB aus wichtigem Grund außerordentlich bzw., wenn es sich bei dem Kreditgeber um eine Bank oder Sparkasse handelt, nach Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen fristlos zu kündigen.6) Durch die Kündigung verhindert der Kreditgeber, dass der insolvente Kreditnehmer auf nicht ausgenutzte Kreditlinien zugreift, und stellt bei besicherten Krediten die Verwertungsreife her. Damit regelmäßig einher geht in Bezug auf Sicherheiten am Umlaufvermögen, also insbesondere der Sicherungsübereignung von Vorräten und der Sicherungszession von Forderungen bzw. Verpfändung von Bankguthaben, der Widerruf der dem Schuldner eingeräumten Veräußerungs- bzw. Einziehungsbefugnis durch den Kreditgeber,7) die nicht durch den Insolvenzantrag, sondern erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt.8) Dadurch sichert sich der Kreditgeber dagegen ab, dass die ihm am Umlaufvermögen bestellten Sicherheiten abschmelzen.9) Denn während der Bestand der alten Sicherheiten ___________ 2) Braun, Die vorinsolvenzliche Sanierung von Unternehmen, S. 18; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 650. 3) S. zur Evaluation des ESUG die Zusammenfassung in § 58. 4) Vgl. auch den Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final, v. 22.11.2016, Beilage zu ZIP 1/2017. 5) Der Bericht ist abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP// TEXT+REPORT+A8-2018-0269+0+DOC+XML+V0//DE (Abrufdatum: 31.8.2018). 6) Vgl. Huber, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 32 Rz. 8; für den Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit, BGH v. 20.5.2003 – XI ZR 50/02, ZIP 2003, 1336, dazu EWiR 2003, 893 (Weber). 7) Kuder, ZIP 2008, 289, 293. 8) Vgl. BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, BGHZ 144, 192, 200 = ZIP 2000, 895, 897, dazu EWiR 2000, 643 (Eckardt). 9) Vgl. Huber, NZI 2014, 439, 442; Obermüller, in: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.358; vgl. Trowski, WM 2014, 1257, 1258.
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Warneke/Braun
§4
1. Teil Allgemeines
lieferanten die Belieferung auf Vorkasse um oder verkürzen Zahlungsziele. Im weiteren Verlauf sinken regelmäßig Marktanteile, Absatzzahlen und somit der Umsatz, qualifizierte Arbeitnehmer verlassen das Unternehmen, und die Rentabilität sinkt. 2 Die Sanierung insolventer Unternehmen ist volkswirtschaftlich jedoch dann sinnvoll, wenn der Liquidationswert geringer als der Sanierungswert ist, da die in einem Unternehmen gebundenen Ressourcen dort auch am effizientesten genutzt werden; die Gesellschaft ist dann sanierungsfähig.2) So zielen die Änderungen des deutschen Insolvenzrechts durch das ESUG3) darauf ab, die Sanierungsmöglichkeiten zu verbessern, und auch der Kommissionsentwurf einer Restrukturierungsrichtlinie geht in diese Richtung.4) Der Entwurf wird derzeit im Europäischen Parlament beraten. Der zuständige Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments legte am 21.8.2018 seinen Bericht5) zum Entwurf vor, über den das Parlament anschließend abstimmen wird. Die Finanzierung der Sanierung einer insolventen Gesellschaft wird jedoch nur gelingen, wenn sie risikogemäß erfolgt. Mit anderen Worten: Finanzierer werden einer (erneuten) Kreditvergabe nur dann zustimmen, wenn die durch die Insolvenz ausgelösten zusätzlichen Risiken durch die Kreditvergabe verringert werden und der Kreditgeber in Bezug auf die Rückzahlung des Kredits bestmöglich abgesichert ist. II.
Ausgangssituation
1.
Reaktion von Kreditinstituten auf die Insolvenzantragstellung
3 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat zunächst keine Auswirkungen auf bestehende Finanzierungsverträge. Der Antrag eröffnet Kreditgebern aber die Möglichkeit, Kreditverträge gemäß § 490 BGB aus wichtigem Grund außerordentlich bzw., wenn es sich bei dem Kreditgeber um eine Bank oder Sparkasse handelt, nach Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen fristlos zu kündigen.6) Durch die Kündigung verhindert der Kreditgeber, dass der insolvente Kreditnehmer auf nicht ausgenutzte Kreditlinien zugreift, und stellt bei besicherten Krediten die Verwertungsreife her. Damit regelmäßig einher geht in Bezug auf Sicherheiten am Umlaufvermögen, also insbesondere der Sicherungsübereignung von Vorräten und der Sicherungszession von Forderungen bzw. Verpfändung von Bankguthaben, der Widerruf der dem Schuldner eingeräumten Veräußerungs- bzw. Einziehungsbefugnis durch den Kreditgeber,7) die nicht durch den Insolvenzantrag, sondern erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt.8) Dadurch sichert sich der Kreditgeber dagegen ab, dass die ihm am Umlaufvermögen bestellten Sicherheiten abschmelzen.9) Denn während der Bestand der alten Sicherheiten ___________ 2) Braun, Die vorinsolvenzliche Sanierung von Unternehmen, S. 18; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 650. 3) S. zur Evaluation des ESUG die Zusammenfassung in § 58. 4) Vgl. auch den Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final, v. 22.11.2016, Beilage zu ZIP 1/2017. 5) Der Bericht ist abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP// TEXT+REPORT+A8-2018-0269+0+DOC+XML+V0//DE (Abrufdatum: 31.8.2018). 6) Vgl. Huber, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 32 Rz. 8; für den Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit, BGH v. 20.5.2003 – XI ZR 50/02, ZIP 2003, 1336, dazu EWiR 2003, 893 (Weber). 7) Kuder, ZIP 2008, 289, 293. 8) Vgl. BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, BGHZ 144, 192, 200 = ZIP 2000, 895, 897, dazu EWiR 2000, 643 (Eckardt). 9) Vgl. Huber, NZI 2014, 439, 442; Obermüller, in: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.358; vgl. Trowski, WM 2014, 1257, 1258.
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Warneke/Braun
Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
durch eine berechtigte Verfügung des Schuldners vernichtet wird, können neue (revolvierende) Sicherheiten nicht anfechtungsfest bestellt werden. Die Kündigung der Kreditverträge und der Widerruf der Einziehungsermächtigung für 4 die zur Sicherheit abgetretenen Forderungen bzw. der Verfügungsbefugnis über verpfändete Bankkonten haben zur Folge, dass dem insolventen Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten genommen werden und es von Liquidität abgeschnitten wird. 2.
Motivation eines Kreditgebers zur weiteren Finanzierung
Ohne verfügbare Kredite im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren gelingt eine 5 Sanierung des Unternehmens in den seltensten Fällen. Als Finanzierungsquelle kommt neben den Gesellschaftern insbesondere die Vergabe eines unechten Massekredits durch die bereits engagierten Kreditinstitute und/oder Lieferanten, und – vorausgesetzt, dass freie Sicherheiten zur Verfügung stehen – ggf. auch die Ausreichung echter Massekredite durch neue Kreditgeber in Betracht (siehe unten § 7 Rz. 174). Je nach Perspektive der beteiligten Parteien dienen diese beiden Finanzierungsinstrumente verschiedenen Zwecken, wobei beide Instrumente auch kombiniert eingesetzt werden können. Ob eine Finanzierung bereitgestellt wird, hängt entscheidend davon ab, ob ein Finanzie- 6 rer gefunden werden kann, der die Chancen der Fortführung des Geschäftsbetriebs bzw. Teilen davon als deutlich größer einschätzt als das Risiko eines Fehlschlags.10) Das gilt umso mehr, als – wie schon in § 2 Rz. 34 ausgeführt – zu beachten ist, dass die Beteiligung der Gläubiger an dem durch eine erfolgreiche Sanierung geschaffenen Mehrwert nicht mit den von ihnen bei der Sanierung übernommenen Risiken korrespondiert. Für den Kreditnehmer bietet der unechte Massekredit den Vorteil, dass er auch dann 7 gewährt werden kann, wenn der Kreditnehmer über keine freien Sicherheiten mehr verfügt. Für den Kreditgeber besteht der Vorteil, dass das bestehende Engagement nicht erhöht wird, der Anspruch auf Rückzahlung des unechten Massekredits eine Masseverbindlichkeit i. S. des § 55 InsO darstellt und eine Besicherung auch ohne freie bestehende Vermögenswerte möglich ist. Voraussetzung für die Vergabe eines unechten Massekredits ist allerdings, dass der Kreditgeber dem insolventen Unternehmen einen Kredit gewährt (oder im Fall eines Lieferanten Lieferungen erbracht) hat, der mit anfechtungsfesten Sicherheiten am Umlaufvermögen besichert ist. In dieser Situation ermöglicht der unechte Massekredit als Alternative zur Zerschlagung des Unternehmens dem Kreditgeber außerdem, eine unter den Gegebenheiten bestmögliche Verwertung der ihm bestellten Sicherheiten zu erreichen, z. B. indem unfertige Erzeugnisse zu Ende produziert werden und dadurch ein höherer Verkaufswert erreicht werden kann und bestehende Aufträge durch das Unternehmen abgearbeitet werden, wodurch die Neigung der Kunden sinkt, gegen den Forderungseinzug des Unternehmens Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte geltend zu machen. Die Notwendigkeit einer Finanzierungsquelle wird vor diesem Hintergrund auch nicht 8 durch eine Anordnung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO obsolet. Denn selbst bei einer solchen Anordnung darf der Schuldner die Gegenstände, die der Anordnung unterfallen, nur zur Fortführung des Unternehmens einsetzen. Zwar beinhaltet dies ggf. auch eine Verwertung oder Verarbeitung, sofern es sich hierbei um eine zweckmäßige Nutzung im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb handelt.11) Das Sicherungsrecht des Gläubigers darf hierdurch aber nicht beeinträchtigt werden, was die faktische Verwendungsmöglichkeit häufig stark beeinträchtigt. Für den Fall des Forderungseinzugs ___________ 10) Vgl. Knof, ZInsO 2010, 1999, 2000; s. a. oben § 2 Rz. 34. 11) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 21 Rz. 99.
Warneke/Braun
69
§4
1. Teil Allgemeines
durch den vorläufigen Verwalter nach gerichtlicher Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO müssen die eingezogenen Gelder außerdem separiert werden und können nicht zur Unternehmensfinanzierung herangezogen werden.12) 9 Die Gewährung frischen Geldes durch einen Gesellschafter in Form eines Gesellschafterdarlehens oder durch einen Kreditgeber in Form eines echten Massekredits ist dagegen ein höheres Risiko, weil die Gefahr besteht, gutes Geld „verlorenem“ Geld hinterherzuwerfen. Da das Risiko eines Fehlschlags der Sanierung und deren Erfolgschancen für einen Fremdkapitalgeber, der (anders als der Gesellschafter) an einer Wertaufholung nur bis zur Befriedigung seiner Forderungen profitiert, häufig nicht in einem sinnvollen Verhältnis stehen, liegt die Motivation eines Fremdkapitalgebers regelmäßig nicht darin, das Unternehmen auf Dauer zu sanieren. Vielmehr beabsichtigt ein Fremdkapitalgeber durch Vergabe eines echten Massekredits oftmals, eine (teilweise) Geschäftsfortführung bis zum Eintritt eines Investors zu ermöglichen und dadurch die Erlöse aus sonstigen ihm bestellten Sicherheiten zu verbessern.13) III.
Absicherung des Kreditgebers
10 Steht ein Kreditgeber zur Verfügung, der zur Finanzierung bereit ist, können dessen Risiken für den Fall des Fehlschlagens der Sanierung durch geeignete Maßnahmen reduziert werden. 1.
Rückzahlungspflicht als Masseverbindlichkeit
11 Eine Maßnahme der Risikoreduzierung, die den Krediten im Übrigen auch ihren Namen gibt, ist die rechtliche Qualifikation der Rückzahlungsverpflichtung des Schuldners als Masseverbindlichkeit i. S. des § 55 InsO. 12 Dies hat zur Konsequenz, dass alle Ansprüche des Kreditgebers – nicht nur die Verpflichtung des Schuldners zur Rückzahlung des Kredits – vollständig befriedigt werden müssen, bevor Insolvenzgläubiger eine Quote erhalten. Darüber hinaus haben Massegläubiger eine privilegierte Stellung im Insolvenzverfahren. Sie können im Gegensatz zu Insolvenzgläubigern bspw. mit ihren Forderungen unbeschränkt aufrechnen oder diese außerhalb des Insolvenzverfahrens vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Während Handlungen im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung nach den allgemeinen Grundsätzen der Anfechtung unterliegen,14) kann weder die Begründung von Masseverbindlichkeiten noch deren Erfüllung mit der Insolvenzanfechtung rückabgewickelt werden.15) 13 Ob es sich bei Verbindlichkeiten aus den Massekreditverträgen um Masseverbindlichkeiten oder Insolvenzforderungen handelt, richtet sich nach der verfahrensrechtlichen Situation, in der sich der Schuldner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses befindet. 14 Sofern der Massekredit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen wurde, stellen Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Vertrag, insbesondere die Rückzahlungsverpflichtung in Bezug auf die Valuta, eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Dies ergibt sich für den Fall des Regelinsolvenzverfahrens unmittelbar aus der Norm. Für den Fall der Eigenverwaltung wird aus § 275 InsO die Kompetenz des eigenverwaltenden Schuldners abgeleitet, unmittelbar durch eigene Handlungen ___________ 12) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 21 Rz. 102; Trowski, WM 2014, 1257, 1258; Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149, 150. 13) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, § 6 Rz. 78; vgl. auch Wuschek, ZInsO 2012, 1294, 1295 f. 14) OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294, dazu EWiR 2014, 525 (Rendels). 15) BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210, 214 = ZIP 2014, 584, 585.
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§4
1. Teil Allgemeines
durch den vorläufigen Verwalter nach gerichtlicher Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO müssen die eingezogenen Gelder außerdem separiert werden und können nicht zur Unternehmensfinanzierung herangezogen werden.12) 9 Die Gewährung frischen Geldes durch einen Gesellschafter in Form eines Gesellschafterdarlehens oder durch einen Kreditgeber in Form eines echten Massekredits ist dagegen ein höheres Risiko, weil die Gefahr besteht, gutes Geld „verlorenem“ Geld hinterherzuwerfen. Da das Risiko eines Fehlschlags der Sanierung und deren Erfolgschancen für einen Fremdkapitalgeber, der (anders als der Gesellschafter) an einer Wertaufholung nur bis zur Befriedigung seiner Forderungen profitiert, häufig nicht in einem sinnvollen Verhältnis stehen, liegt die Motivation eines Fremdkapitalgebers regelmäßig nicht darin, das Unternehmen auf Dauer zu sanieren. Vielmehr beabsichtigt ein Fremdkapitalgeber durch Vergabe eines echten Massekredits oftmals, eine (teilweise) Geschäftsfortführung bis zum Eintritt eines Investors zu ermöglichen und dadurch die Erlöse aus sonstigen ihm bestellten Sicherheiten zu verbessern.13) III.
Absicherung des Kreditgebers
10 Steht ein Kreditgeber zur Verfügung, der zur Finanzierung bereit ist, können dessen Risiken für den Fall des Fehlschlagens der Sanierung durch geeignete Maßnahmen reduziert werden. 1.
Rückzahlungspflicht als Masseverbindlichkeit
11 Eine Maßnahme der Risikoreduzierung, die den Krediten im Übrigen auch ihren Namen gibt, ist die rechtliche Qualifikation der Rückzahlungsverpflichtung des Schuldners als Masseverbindlichkeit i. S. des § 55 InsO. 12 Dies hat zur Konsequenz, dass alle Ansprüche des Kreditgebers – nicht nur die Verpflichtung des Schuldners zur Rückzahlung des Kredits – vollständig befriedigt werden müssen, bevor Insolvenzgläubiger eine Quote erhalten. Darüber hinaus haben Massegläubiger eine privilegierte Stellung im Insolvenzverfahren. Sie können im Gegensatz zu Insolvenzgläubigern bspw. mit ihren Forderungen unbeschränkt aufrechnen oder diese außerhalb des Insolvenzverfahrens vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Während Handlungen im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung nach den allgemeinen Grundsätzen der Anfechtung unterliegen,14) kann weder die Begründung von Masseverbindlichkeiten noch deren Erfüllung mit der Insolvenzanfechtung rückabgewickelt werden.15) 13 Ob es sich bei Verbindlichkeiten aus den Massekreditverträgen um Masseverbindlichkeiten oder Insolvenzforderungen handelt, richtet sich nach der verfahrensrechtlichen Situation, in der sich der Schuldner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses befindet. 14 Sofern der Massekredit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen wurde, stellen Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Vertrag, insbesondere die Rückzahlungsverpflichtung in Bezug auf die Valuta, eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Dies ergibt sich für den Fall des Regelinsolvenzverfahrens unmittelbar aus der Norm. Für den Fall der Eigenverwaltung wird aus § 275 InsO die Kompetenz des eigenverwaltenden Schuldners abgeleitet, unmittelbar durch eigene Handlungen ___________ 12) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 21 Rz. 102; Trowski, WM 2014, 1257, 1258; Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149, 150. 13) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, § 6 Rz. 78; vgl. auch Wuschek, ZInsO 2012, 1294, 1295 f. 14) OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294, dazu EWiR 2014, 525 (Rendels). 15) BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210, 214 = ZIP 2014, 584, 585.
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Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
Masseverbindlichkeiten zu begründen.16) Auf eine etwaige Zustimmung des Sachwalters kommt es nicht an. Eine Ausnahme hierzu stellt lediglich § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO dar. Vertragspartner des Kreditgebers ist allein der eigenverwaltende Schuldner. Im vorläufigen Insolvenzverfahren begründet der starke vorläufige Insolvenzverwalter 15 nach § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten, ein vorläufiger schwacher Insolvenzverwalter nur nach gerichtlicher Ermächtigung. In einem vorläufigen Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist nach allgemeiner Auffassung ebenfalls eine gerichtliche Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erforderlich, damit Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO hat das Gericht nach Absatz 2 auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet, sodass § 55 Abs. 2 InsO entsprechend gilt. Der Schuldner begründet nach dieser Anordnung durch alle Handlungen und somit auch durch Abschluss der Massekreditverträge Masseverbindlichkeiten. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO ist streitig, ob eine solche 16 gerichtliche Einzelermächtigung überhaupt möglich ist und wer ihr Adressat ist. Ein letztinstanzliches Urteil durch den BGH steht noch aus. Während Instanzgerichte teilweise eine solche Ermächtigung generell für nicht zulässig halten,17) gehen andere davon aus, dass der Schuldner automatisch Masseverbindlichkeiten begründet.18) Sofern eine Ermächtigung für möglich und erforderlich erachtet wird, besteht auch bei der Frage Uneinigkeit, ob der Schuldner19) oder der vorläufige Sachwalter ermächtigt werden kann. Der BGH hat in einer Entscheidung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i. R. 17 des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) die Frage aufgegriffen und den Streitstand angeführt, sich jedoch nicht abschließend positioniert.20) In der Literatur wird überwiegend davon ausgegangen, dass der Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt werden kann, dass dies aber auch erforderlich ist21)(siehe hierzu auch § 7 Rz. 121 ff.). Für die Praxis empfiehlt sich, frühzeitig zur Klärung dieser Frage mit dem zuständigen 18 Insolvenzgericht Kontakt aufzunehmen und die Möglichkeiten einer gerichtlichen Einzelermächtigung zu erörtern, sofern in der vorläufigen Eigenverwaltung eine solche erforderlich ist. Hierbei kann auch notwendig sein, dem Insolvenzgericht die verhandelten Massekreditverträge vorab vorzulegen. Eine Ermächtigung könnte den folgenden Wortlaut haben:
19
„Die Schuldnerin wird gemäß § 21 Abs. 1 InsO ermächtigt, mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters durch den Abschluss eines Massekreditvertrags von bis zu […] EUR gegenüber [Name des Massekreditgebers] Masseverbindlichkeiten zu begründen. Diese Ermächtigung bezieht sich insbesondere auch auf die im Massekreditvertrag enthaltene Verpflichtung zur Bestellung vorrangiger Sicherungsrechte für den Kreditgeber.“ Die Begrenzung der Höhe der möglichen Masseverbindlichkeiten und die Nennung eines 20 speziellen Gläubigers ist v. a. aus der Sicht des Gerichts und des Schuldners bzw. vorläufigen Sachwalters selbst empfehlenswert. Er sollte sicherstellen, dass nur solche Masse___________ Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 16; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 13. AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471. AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899, 900. AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender); LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453. 20) BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831, dazu EWiR 2016, 307 (Dimassi). 21) So z. B. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 6; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 19; Vallender, NZI 2013, 342, 343.
16) 17) 18) 19)
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§4
1. Teil Allgemeines
verbindlichkeiten begründet werden, die voraussichtlich auch aus der vorhandenen Masse befriedigt werden können. Daher sollte die Ermächtigung so konkret wie möglich sein. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung nur konkrete Einzelfallermächtigungen erlaubt.22) 21 Die Aufnahme der im Kreditvertrag enthaltenen Verpflichtung zur Bestellung von Sicherheiten erfolgt nur klarstellend. Auch ohne diesen Zusatz sind alle Verpflichtungen des Schuldners, die sich aus dem Kreditvertrag ergeben, Masseverbindlichkeiten. Dies hat zur Folge, dass die Bestellung der Sicherheiten später nicht der Insolvenzanfechtung unterliegt, da es sich hierbei um die Erfüllung einer Masseverbindlichkeit handelt. Die Klarstellung empfiehlt sich jedoch zur Vermeidung von Unstimmigkeiten insbesondere bei einem unfreiwilligen Wechsel ins Regelinsolvenzverfahren und Bestellung eines von der Person des vorläufigen Sachwalters verschiedenen Insolvenzverwalters. 22 Die Zustimmungspflicht in der Ermächtigung hat den Vorteil einer Haftung des Insolvenzverwalters nach § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO (siehe unten Rz. 75). 23 Die Privilegierung von Massegläubigern reduziert die Risiken eines Kreditgebers erheblich. Auch Masseverbindlichkeiten werden jedoch dann nicht vollständig befriedigt, wenn Masseunzulänglichkeit oder Massearmut vorliegt. Dieses Risiko kann durch eine weitere Besicherung der Verbindlichkeiten aus den Massekreditverträgen reduziert werden. 2.
Besicherung
24 Auch wenn der Anspruch auf Rückzahlung eines Massekredits, sei es kraft Gesetzes (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, § 275 InsO) oder über den handelnden starken vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. einen zum Abschluss eines Massekreditvertrages gerichtlich ermächtigten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, eine Masseverbindlichkeit ist, besteht das Risiko der Masseunzulänglichkeit und damit des vollständigen oder teilweisen Ausfalls des Massekreditgebers mit seiner Forderung. Denn wenn die Betriebsfortführung scheitert, wird der Insolvenzverwalter möglicherweise gezwungen sein, die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen.23) Das führt dazu, dass der Kreditgeber als Gläubiger der Altmasse mit seiner Forderung nur quotal befriedigt wird (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO).24) 25 Diesem Risiko kann durch eine Besicherung des Massekredits begegnet werden. Steht dafür kein freies Vermögen des Kreditnehmers zur Verfügung, und ist auch kein Gesellschafter bereit, eine Drittsicherheit zu stellen, ist eine Besicherung durch Forderungen z. B. aus Lieferungen und Leistungen und an Waren möglich, die nach Einleitung des Insolvenzverfahrens begründet bzw. angeschafft oder hergestellt worden sind.25) Diese Vermögenswerte stehen ungeachtet etwaiger revolvierender Sicherheitenverträge, die vor der Insolvenz abgeschlossen wurden, als Sicherheit für einen Massekredit zur Verfügung, weil mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis des Schuldners zur Verfügung über Gegenstände der Insolvenzmasse entfällt (§§ 80, 81 Abs. 1 Satz 1 InsO) und der Erwerb von Rechten an Gegenständen der Insolvenzmasse unwirksam ist (§ 91 InsO). Denkbar ist auch die (ergänzende) Besicherung durch Abtretung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung.26) ___________ 22) BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 367 = ZIP 2002, 1625, 1627, EWiR 2002, 919 (Spliedt). 23) Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559. 24) Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559. 25) Bähr/Schwartz, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 20 Rz. 176 ff.; Strotmann/ Tetzlaff, ZInsO 2011, 559, 560. 26) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, Anh. § 6 Rz. 7; Bähr/ Schwartz, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 20 Rz. 191 ff.
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Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
Für die neu abzuschließenden Verträge über die Bestellung von Sicherheiten an diesen 26 Vermögenswerten sowie an den Bankkonten, auf denen diese Erlöse sich ansammeln, sind folgende Besonderheiten zu beachten. Der Sicherungszweck der neu abzuschließenden Sicherheitenverträge sollte ein Rangverhältnis festlegen, so dass die Sicherheiten (soweit einschlägig) zunächst für etwaige Forderungen des Kreditgebers unter einem echten Massekreditvertrag, dazu nachrangig für die Forderungen des Kreditgebers unter dem unechten Massekreditvertrag und schließlich zur Sicherung aller Ansprüche des Kreditgebers aus dem ursprünglichen Kreditengagement dienen. Die alten Sicherheitenverträge in Bezug auf das Umlaufvermögen bleiben daneben bestehen, da sie nach wie vor die Ansprüche des Kreditgebers aus dem ursprünglichen Kreditengagement besichern (soweit diese noch bestehen und nicht vollständig durch die Valutierung des unechten Massedarlehens getilgt wurden). Es empfiehlt sich zu prüfen, ob der Sicherungszweck von bestehenden Sicherheitenverträgen über Rechte, die kein Umlaufvermögen darstellen (z. B. Grundstücke, Immaterialgüterrechte), ergänzt werden kann, um die Ansprüche des Kreditgebers aus einem echten bzw. unechten Massedarlehensvertrag zusätzlich zu sichern. Es empfiehlt sich, vertraglich zu vereinbaren, dass die Erlöse aus der Verwertung der Sicherheiten zugunsten des Kreditgebers auf einem ihm verpfändeten Sonderkonto oder einem Treuhandkonto des Insolvenzverwalters separiert werden.27) Teilweise wird eine weitere Möglichkeit zur Absicherung des Kreditgebers darin gesehen, 27 den vorläufigen (Verwalter) um Abgabe einer Erklärung zu ersuchen, Sicherungsrechte, die durch die Fortführung des Geschäftsbetriebs ggf. anfechtbar entstanden sind, im eröffneten Verfahren nicht anzufechten.28) Das erscheint übervorsichtig, da alle Verpflichtungen des Schuldners, die sich aus dem Kreditvertrag ergeben, Masseverbindlichkeiten darstellen, so dass auch die Erfüllung der Verpflichtung zur Stellung von Sicherheiten durch Bestellung der Sicherheiten nicht der Insolvenzanfechtung unterliegt.29) Empfehlenswert ist allerdings, die im vorläufigen Insolvenzverfahren abgeschlossenen Si- 28 cherheitenverträge für den Fall der Fortsetzung des Massekreditvertrages im eröffneten Verfahren mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter bestätigen zu lassen und eine darauf gerichtete Verpflichtung in den im vorläufigen Verfahren abzuschließenden Massekreditvertrag aufzunehmen. Bei Abschluss eines unechten Massekreditvertrages sind auch Risiken aus der steuerli- 29 chen Behandlung des sog. Dreifachumsatzes zu berücksichtigen (siehe zu den Grundzügen der Besteuerung im Insolvenzverfahren unten § 57 Rz. 15 ff.). Verwertet der Sicherungsgeber bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter bewegliches Sicherungsgut auf Rechnung des Sicherungsnehmers, ist die Lieferung des Sicherungsguts an den Erwerber umsatzsteuerlich dem Sicherungsgeber bzw. der Masse zuzurechnen. Infolgedessen kommt es zu einem Dreifachumsatz aus (1) der Lieferung des Sicherungsguts vom Sicherungsgeber bzw. der Masse an den Sicherungsnehmer, (2) der Rücklieferung des Sicherungsguts vom Sicherungsnehmer an den Sicherungsgeber bzw. die Masse nach Kommissionsgrundsätzen (§ 3 Abs. 3 UStG) und (3) der Lieferung des Sicherungsguts vom Sicherungsgeber bzw. der Masse an den Erwerber.30) ___________ 27) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, Anh. § 6 Rz. 7. 28) Trowski, WM 2014, 1257, 1261; in Bezug auf einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter auch Bähr/Schwartz, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 20 Rz. 187 ff. 29) BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210, 214 = ZIP 2014, 584, 585. 30) Vgl. UStAE 1.2 Abs. 1a und 4; BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2 – S 7100/07/10037, BStBl. I 2014, 816.
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1. Teil Allgemeines
30 Die Umsatzsteuerbarkeit der Lieferung des Sicherungsnehmers an den Sicherungsgeber bzw. die Masse setzt indes voraus, dass der Sicherungsnehmer Unternehmer ist. Gegebenenfalls unterliegt zudem die Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer (Schritt (1)) außerhalb des Insolvenzverfahrens nach § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG dem Reverse-Charge-Verfahren. Das Entgelt für die Lieferung des Sicherungsgebers bzw. der Masse an den Sicherungsnehmer in Schritt (1) bemisst sich nach dem Betrag, um den die Verbindlichkeiten des Sicherungsnehmers aus dem Veräußerungserlös reduziert werden. Das Entgelt für die Rücklieferung vom Sicherheitsnehmer an den Sicherheitsgeber bzw. die Masse in Schritt (2) entspricht dem (Teil-)Betrag des vom Erwerber gezahlten Veräußerungserlöses, den der Sicherungsnehmer erhält. Die Bemessungsgrundlage für die Lieferung an den Erwerber richtet sich nach dem vom Erwerber gezahlten Entgelt. 31 In Bezug auf die Verwertung von Forderungen, die einer Globalzession zugunsten eines Gläubigers unterliegen, ist außerdem § 13c UStG zu beachten.31) Die Vorschrift ordnet eine Haftung des Zessionars für die vom Insolvenzschuldner vereinnahmte Umsatzsteuer an, vorausgesetzt, dass der Zessionar die Forderung vereinnahmt. Für die Haftung des Zessionars nach § 13c UStG reicht die Sicherungsabtretung einer Forderung, deren Betrag Umsatzsteuer beinhaltet, aus. Voraussetzung für die Haftung ist allerdings, dass der Zessionar die Forderung vereinnahmt. Eine Vereinnahmung durch den Zessionar liegt auch dann vor, wenn der Zessionar dem Zedenten die Einziehung der Forderung überlässt und der Zedent den erhaltenen Betrag an den Zessionar weitergibt oder wenn im Fall der Einziehung durch den Zedenten dieser den Betrag auf ein beim Zessionar geführtes Konto zahlen lässt und der Zedent aufgrund der Überziehung des Kontos oder Kreditrahmens nicht mehr über den vereinnahmten Betrag verfügen kann. Es empfiehlt sich deshalb, den (vorläufigen) Insolvenzverwalter vertraglich zu verpflichten, die auf die eingezogenen Forderungen entfallende Umsatzsteuer an den Fiskus abzuführen.32) IV.
Unechter und echter Massekredit
32 Für Verhandlung und Dokumentation der Finanzierung muss zwischen einem echten und unechten Massekredit unterschieden werden, denn beide Instrumente unterscheiden sich sowohl rechtstechnisch als auch in der praktischen Handhabung. Es kann jedoch durchaus Bedarf bestehen, beide Instrumente auch kombiniert einzusetzen. 1.
Begriffsbestimmung
33 Unter einem echten Massekredit versteht man ein Darlehen, das an eine Gesellschaft im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren gewährt wird und zu einer Masseverbindlichkeit dieser Gesellschaft nach § 55 InsO führt. Die Gesellschaft erhält durch die Darlehensvaluta zusätzliche Liquidität33) durch frisches Geld entweder von einem bereits engagierten Darlehensgeber oder einem Darlehensgeber, der bislang noch keine Darlehensbeziehung mit der Gesellschaft unterhält. 34 Bei einem unechten Massekreditvertrag hingegen besteht bereits ein Kreditverhältnis zwischen der insolventen Gesellschaft und dem Kreditgeber. Zur Besicherung dieses Darlehens hat der Kreditnehmer dem Kreditgeber (anfechtungsfeste) Sicherheiten an seinem Umlaufvermögen bestellt. Dieser Kredit wird durch den Finanzierer mit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt und zugleich wird die bestehende Ermächtigung des Kreditnehmers, über die Sicherheiten im ordentlichen Geschäftsgang zu verfü___________ 31) Vgl. BFH v. 6.9.2016 – V B 52/16, ZInsO 2016, 2449 m. w. N. 32) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, § 6 Rz. 80. 33) Denkbar sind z. B. auch Aval- oder Akkreditivkredite, Huber, NZI 2014, 439, 443.
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§4
1. Teil Allgemeines
30 Die Umsatzsteuerbarkeit der Lieferung des Sicherungsnehmers an den Sicherungsgeber bzw. die Masse setzt indes voraus, dass der Sicherungsnehmer Unternehmer ist. Gegebenenfalls unterliegt zudem die Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer (Schritt (1)) außerhalb des Insolvenzverfahrens nach § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG dem Reverse-Charge-Verfahren. Das Entgelt für die Lieferung des Sicherungsgebers bzw. der Masse an den Sicherungsnehmer in Schritt (1) bemisst sich nach dem Betrag, um den die Verbindlichkeiten des Sicherungsnehmers aus dem Veräußerungserlös reduziert werden. Das Entgelt für die Rücklieferung vom Sicherheitsnehmer an den Sicherheitsgeber bzw. die Masse in Schritt (2) entspricht dem (Teil-)Betrag des vom Erwerber gezahlten Veräußerungserlöses, den der Sicherungsnehmer erhält. Die Bemessungsgrundlage für die Lieferung an den Erwerber richtet sich nach dem vom Erwerber gezahlten Entgelt. 31 In Bezug auf die Verwertung von Forderungen, die einer Globalzession zugunsten eines Gläubigers unterliegen, ist außerdem § 13c UStG zu beachten.31) Die Vorschrift ordnet eine Haftung des Zessionars für die vom Insolvenzschuldner vereinnahmte Umsatzsteuer an, vorausgesetzt, dass der Zessionar die Forderung vereinnahmt. Für die Haftung des Zessionars nach § 13c UStG reicht die Sicherungsabtretung einer Forderung, deren Betrag Umsatzsteuer beinhaltet, aus. Voraussetzung für die Haftung ist allerdings, dass der Zessionar die Forderung vereinnahmt. Eine Vereinnahmung durch den Zessionar liegt auch dann vor, wenn der Zessionar dem Zedenten die Einziehung der Forderung überlässt und der Zedent den erhaltenen Betrag an den Zessionar weitergibt oder wenn im Fall der Einziehung durch den Zedenten dieser den Betrag auf ein beim Zessionar geführtes Konto zahlen lässt und der Zedent aufgrund der Überziehung des Kontos oder Kreditrahmens nicht mehr über den vereinnahmten Betrag verfügen kann. Es empfiehlt sich deshalb, den (vorläufigen) Insolvenzverwalter vertraglich zu verpflichten, die auf die eingezogenen Forderungen entfallende Umsatzsteuer an den Fiskus abzuführen.32) IV.
Unechter und echter Massekredit
32 Für Verhandlung und Dokumentation der Finanzierung muss zwischen einem echten und unechten Massekredit unterschieden werden, denn beide Instrumente unterscheiden sich sowohl rechtstechnisch als auch in der praktischen Handhabung. Es kann jedoch durchaus Bedarf bestehen, beide Instrumente auch kombiniert einzusetzen. 1.
Begriffsbestimmung
33 Unter einem echten Massekredit versteht man ein Darlehen, das an eine Gesellschaft im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren gewährt wird und zu einer Masseverbindlichkeit dieser Gesellschaft nach § 55 InsO führt. Die Gesellschaft erhält durch die Darlehensvaluta zusätzliche Liquidität33) durch frisches Geld entweder von einem bereits engagierten Darlehensgeber oder einem Darlehensgeber, der bislang noch keine Darlehensbeziehung mit der Gesellschaft unterhält. 34 Bei einem unechten Massekreditvertrag hingegen besteht bereits ein Kreditverhältnis zwischen der insolventen Gesellschaft und dem Kreditgeber. Zur Besicherung dieses Darlehens hat der Kreditnehmer dem Kreditgeber (anfechtungsfeste) Sicherheiten an seinem Umlaufvermögen bestellt. Dieser Kredit wird durch den Finanzierer mit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt und zugleich wird die bestehende Ermächtigung des Kreditnehmers, über die Sicherheiten im ordentlichen Geschäftsgang zu verfü___________ 31) Vgl. BFH v. 6.9.2016 – V B 52/16, ZInsO 2016, 2449 m. w. N. 32) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, § 6 Rz. 80. 33) Denkbar sind z. B. auch Aval- oder Akkreditivkredite, Huber, NZI 2014, 439, 443.
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Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
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gen, widerrufen (wie regelmäßig der Fall, siehe oben Rz. 3). Vereinbaren der Kreditgeber und das insolvente Unternehmen einen unechten Massekredit, erlaubt der Kreditgeber dem Kreditnehmer die Einziehung von an ihn sicherungshalber abgetretenen Forderungen bzw. die Verarbeitung und den Verkauf von an ihn zur Sicherheit übereigneten Waren und die Verwendung der daraus erzielten Erlöse für den Geschäftsbetrieb.34) Anders als beim echten Massekredit wird dem insolventen Unternehmen also kein frisches Geld zugeführt. 2.
Rechtliche Qualifikation des unechten Massekredits
Es wird deshalb die Frage aufgeworfen, ob ein unechter Massekredit als Gelddarlehens- 35 vertrag i. S. der §§ 488 ff. BGB oder als Sachdarlehensvertrag gemäß §§ 607 ff. BGB einzuordnen ist.35) Ein Sachdarlehen setzt voraus, dass der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer eine vereinbarte, vertretbare Sache überlässt.36) Im Gegenzug ist der Darlehensnehmer verpflichtet, dem Darlehensgeber das vereinbarte Entgelt zu bezahlen und am Ende der Vertragslaufzeit Sachen gleicher Art, Güte und Menge zu erstatten.37) Das entspricht jedoch nicht dem von den Parteien beabsichtigen Zweck eines unechten Massekredits. Dieser soll typischerweise auch die Kreditierung der Erlöse aus zur Sicherheit abgetretenen Forderungen umfassen. Bei Forderungen handelt es sich aber nicht um bewegliche Sachen i. S. der §§ 90, 91 BGB, so dass diese als Gegenstand eines Sachdarlehens ausscheiden und damit nicht Gegenstand eines Massekredits sein könnten. Außerdem überlässt der Kreditgeber eines unechten Massedarlehens dem Kreditnehmer gerade nicht das Eigentum an den Gegenständen des Warenlagers bzw. den abgetretenen Forderungen, wie es ein Sachdarlehensvertrag verlangt.38) Denn Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung liegt – trotz ihres fiduziarischen Charakters – eine Vollrechtsübertragung auf den Sicherungsnehmer zugrunde.39) Inhalt eines unechten Massekredits ist vielmehr, dass die Erlöse aus der Verwertung des 36 Umlaufvermögens – an dessen Gegenständen kraft der geschlossenen und in Ansehung des unechten Massekredits zu bestätigenden Sicherheitenverträge dem Kreditgeber das Eigentum zusteht – dem Kreditnehmer im Wege eines Geldarlehens gemäß § 488 BGB überlassen werden.40) Rechtstechnisch kann das durch ein sog. Vereinbarungsdarlehen umgesetzt werden, also einer Abrede zwischen zwei Parteien, dass ein aus einem anderen Rechtsgrund geschuldeter Geldbetrag (das kann z. B. ein vereinbartes Auftragsverhältnis zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer in Bezug auf die Verwertung der Sicherheiten sein oder die Pflicht des Schuldners zur Auskehr von Sicherheitenerlösen nach Maßgabe des fiduziarischen Sicherungsvertrages) zukünftig als Darlehen geschuldet sein soll.41) Dem Vereinbarungsdarlehen steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Anspruch des 37 Kreditgebers gegen den Kreditnehmer auf Auszahlung der Verwertungserlöse nur um eine künftig entstehende Verbindlichkeit handelt.42) Es empfiehlt sich jedoch, den Willen der Parteien zum Abschluss eines Vereinbarungsdarlehens in Bezug auf die Verwertungserlöse durch ausdrückliche Regelung zu dokumentieren, um die für den Kreditgeber inakzeptablen ___________ Vgl. insgesamt zum unechten Massekredit Trowski, WM 2014, 1257; Huber, NZI 2014, 439, 443. Huber, NZI 2014, 439 443. Berger, in: MünchKomm-BGB, § 607 Rz. 21. Berger, in: MünchKomm-BGB, § 607 Rz. 28. Berger, in: MünchKomm-BGB, § 607 Rz. 22, unter Verweis auf BT-Drucks. 14/6040, S. 259. Vgl. Ganter, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 95 Rz. 11 und § 96 Rz. 57. Vgl. Trowski, WM 2014, 1257, 1260; Huber, NZI 2014, 439, 443. So auch Huber, NZI 2014, 439, 443; vgl. zum Vereinbarungsdarlehen: Berger, in: MünchKomm-BGB, § 488 Rz. 18. 42) Vgl. Berger, in: MünchKomm-BGB, § 488 Rz. 19.
34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41)
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§4
1. Teil Allgemeines
Rechtsfolgen (Verschaffung des Eigentums an den zu überlassenden Sachen) eines Sachdarlehens zu vermeiden. 3.
Rechtliche Mechanik des unechten Massekredits
38 Im Einzelnen liegen dem unechten Massekredit damit folgende rechtliche Einzelschritte zugrunde: 39 Die Wiedererteilung der Einziehungsbefugnis bzw. Verfügungsbefugnis zugunsten des Kreditnehmers für die zur Sicherung an den Kreditgeber abgetretenen Forderungen bzw. übereigneten Gegenstände ist die (erneute) Erteilung einer Inkassoermächtigung durch den Kreditgeber als Volleigentümer der jeweiligen Forderungen und Gegenstände zugunsten des Kreditnehmers.43) 40 Der Eingang von Erlösen beim Kreditnehmer aus der Verwertung anfechtungsfest zugunsten des Kreditgebers bestellter Sicherheiten begründet dessen Pflicht gegenüber dem Kreditgeber zur Herausgabe des Erlangten (kraft Treuhandabrede im Zusammenhang mit der wiedererteilten Einziehungs- bzw. Verfügungsbefugnis bzw. aus vertraglicher bzw. gesetzlicher Reglung (§ 667 BGB) bei Abschluss einer Verwertungsvereinbarung)44). 41 Der aus dieser Zahlungspflicht des Kreditnehmers resultierende Anspruch des Kreditgebers auf Auszahlung der Verwertungserlöse wird im Wege des Vereinbarungsdarlehens in einen Darlehensrückzahlungsanspruch gewandelt; hier sind grundsätzlich folgende Möglichkeiten denkbar:45)
Einfacher Schuldabänderungsvertrag: Die Parteien beabsichtigen nur eine inhaltliche Abänderung der an sich bestehen bleibenden alten Schuld (Herausgabe der Verwertungserlöse) mit der Folge, dass die Schuld ab dem Zeitpunkt der Einigung dem Darlehensrecht unterstellt wird. Damit wird durch eine Verfügung auf den Inhalt der alten Schuld eingewirkt, ohne dass diese durch eine neue ersetzt würde. Das hat zur Folge, dass von der Abänderung nicht betroffene Einwendungen aus dem alten Schuldverhältnis dabei ebenso weitergelten wie die für die alte Schuld bestellten Sicherheiten;
Novation: Alternativ können die Parteien vereinbaren, dass die bestehende Schuld durch eine neue Darlehensverbindlichkeit ersetzt wird und zwar entweder, indem die bestehende Schuld erlischt (kausale Schuldumschaffung); das setzt voraus, dass die bestehende Schuld tatsächlich bestanden hat; oder die Parteien ersetzen die bestehende Schuld durch eine neue, vom Bestand der bisherigen Schuld abstrakte Verbindlichkeit (abstrakte Schuldumschaffung). Deren Begründung setzt nicht den rechtlichen Bestand der alten Verbindlichkeit voraus, bedarf aber der Form der §§ 780, 781 BGB. In beiden Fällen erlöschen die bestehenden Einwendungen und die für die alte Schuld bestellten Sicherheiten. Im Zweifel ist, insbesondere im Hinblick auf das Interesse des Schuldners an der Fortgeltung der Einwendungen und das Interesse des Gläubigers am Fortbestand der Sicherheiten sowie in Anlehnung an den in § 364 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz, von einer einfachen Schuldabänderung und nicht von einer kausalen oder abstrakten Schuldumschaffung auszugehen.46)
42 Entscheidend ist die weitere Frage, wie der Anspruch des Kreditgebers auf Rückzahlung des von ihm dem Kreditnehmer vorinsolvenzlich gewährten Darlehens zu behandeln ___________ 43) 44) 45) 46)
76
Vgl. Roth/Kieninger, in: MünchKomm-BGB, § 398 Rz. 54. Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, § 6 Rz. 78. Vgl. zum Folgenden: Berger, in: MünchKomm-BGB, § 488 Rz. 20 ff. Vgl. Berger, in: MünchKomm-BGB, § 488 Rz. 22.
Warneke/Braun
Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
ist. Nach der hier vertretenen Auffassung erlischt dieser Anspruch durch Erfüllung, indem der Kreditgeber seinen Anspruch auf Zahlung der Verwertungserlöse mit dem aus dem Vereinbarungsdarlehen resultierenden Anspruch des Kreditnehmers auf Auszahlung der Valuta des unechten Massedarlehens verrechnet.47) Es empfiehlt sich, diesen Aspekt im Vertrag über den unechten Massekredit ausdrücklich zu regeln. Die Wandlung der Pflicht des Kreditnehmers zur Auskehr der Verwertungserlöse in einen 43 Darlehensrückzahlungsanspruch führt dazu, dass der im Wege des unechten Massekredits gewährte Darlehensbetrag über dessen Laufzeit portionsweise ansteigt. Wie hoch der Darlehensbetrag des unechten Massedarlehens anwächst, kann unter Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Verwertungserlöse frei zwischen den Parteien vereinbart werden, wobei maximal die Summe der Verwertungserlöse der bei Abschluss des Massekredits existierenden, dem Kreditgeber anfechtungsfest bestellten Sicherheiten am Umlaufvermögen angesetzt werden kann.48) Gleichzeitig ist das Darlehen, das der Kreditgeber vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Kreditnehmer gewährt hat und für dessen Besicherung die Sicherheiten am Umlaufvermögen des Kreditnehmers dienten, i. H. der Valuta des unechten Massedarlehens getilgt worden. Sobald alle anfechtungsfest bestellten Sicherheiten verwertet wurden, unterscheidet sich 44 der unechte Massekredit rechtstechnisch nicht mehr von einem echten Massedarlehen, denn es handelt sich ab dann um einen bestimmten Geldbetrag, der dem Kreditnehmer vom Kreditgeber überlassen wurde und dessen Rückzahlung sich nach dem Darlehensvertrag und den §§ 488 ff. BGB richtet. V.
Echter Massekredit
Parteien eines echten Massekreditvertrages49) sind Kreditgeber und eigenverwaltender 45 Schuldner bzw. Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzerfahren bzw. starker vorläufiger Insolvenzverwalter oder Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren. Besonderheiten des echten Massekreditvertrages gegenüber üblichen Kreditverträgen ergeben sich insbesondere in Bezug auf die folgenden Aspekte:
Verwendungszweck: für den Darlehensgeber ist essentiell, dass die vereinnahmte Liquidität nur für die Finanzierung der von den Parteien als fortsetzungswürdig befundenen geschäftlichen Aktivitäten verwendet wird. Es empfiehlt sich deshalb, den Verwendungszweck des echten Massekredits ausdrücklich positiv und negativ festzulegen und soweit wie möglich zu konkretisieren.
Auszahlungsvoraussetzungen: Vorlage einer Bestätigung des (vorläufigen) Sachwalters/ Insolvenzverwalters, dass die Insolvenzmasse nach einer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters durchgeführten Prüfung zur Bedienung dieses Kredits mit Hauptforderung, Zinsen, Entgelte und Kosten ausreichen wird und keine Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse droht (siehe dazu Rz. 54); Vorlage des Beschlusses des zuständigen Insolvenzgerichts über die Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters sowie dessen Ermächtigung zur Aufnahme des Kredits in konkret bezifferter Höhe und zur Bestellung der dafür vorgesehenen Sicherheiten. ___________
47) Alternativ denkbar ist auch, die Erlöse im Wege des abgekürzten Zahlungsweges dem Kreditnehmer zu überlassen, vgl. Trowski, WM 2014, 1259, 1260. 48) Vgl. zu einzelnen zu berücksichtigenden Abzugsposten die Ausführungen unten Rz. 48 ff. 49) In der einschlägigen Literatur finden sich Muster echter Massekreditverträge, z. B. bei Bähr/Schwartz, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 20 Rz. 209; Tetzlaff, in: Lwowski/Fischer/ Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, Anh. § 6; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559, 560.
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§4
ist. Nach der hier vertretenen Auffassung erlischt dieser Anspruch durch Erfüllung, indem der Kreditgeber seinen Anspruch auf Zahlung der Verwertungserlöse mit dem aus dem Vereinbarungsdarlehen resultierenden Anspruch des Kreditnehmers auf Auszahlung der Valuta des unechten Massedarlehens verrechnet.47) Es empfiehlt sich, diesen Aspekt im Vertrag über den unechten Massekredit ausdrücklich zu regeln. Die Wandlung der Pflicht des Kreditnehmers zur Auskehr der Verwertungserlöse in einen 43 Darlehensrückzahlungsanspruch führt dazu, dass der im Wege des unechten Massekredits gewährte Darlehensbetrag über dessen Laufzeit portionsweise ansteigt. Wie hoch der Darlehensbetrag des unechten Massedarlehens anwächst, kann unter Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Verwertungserlöse frei zwischen den Parteien vereinbart werden, wobei maximal die Summe der Verwertungserlöse der bei Abschluss des Massekredits existierenden, dem Kreditgeber anfechtungsfest bestellten Sicherheiten am Umlaufvermögen angesetzt werden kann.48) Gleichzeitig ist das Darlehen, das der Kreditgeber vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Kreditnehmer gewährt hat und für dessen Besicherung die Sicherheiten am Umlaufvermögen des Kreditnehmers dienten, i. H. der Valuta des unechten Massedarlehens getilgt worden. Sobald alle anfechtungsfest bestellten Sicherheiten verwertet wurden, unterscheidet sich 44 der unechte Massekredit rechtstechnisch nicht mehr von einem echten Massedarlehen, denn es handelt sich ab dann um einen bestimmten Geldbetrag, der dem Kreditnehmer vom Kreditgeber überlassen wurde und dessen Rückzahlung sich nach dem Darlehensvertrag und den §§ 488 ff. BGB richtet. V.
Echter Massekredit
Parteien eines echten Massekreditvertrages49) sind Kreditgeber und eigenverwaltender 45 Schuldner bzw. Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzerfahren bzw. starker vorläufiger Insolvenzverwalter oder Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren. Besonderheiten des echten Massekreditvertrages gegenüber üblichen Kreditverträgen ergeben sich insbesondere in Bezug auf die folgenden Aspekte:
Verwendungszweck: für den Darlehensgeber ist essentiell, dass die vereinnahmte Liquidität nur für die Finanzierung der von den Parteien als fortsetzungswürdig befundenen geschäftlichen Aktivitäten verwendet wird. Es empfiehlt sich deshalb, den Verwendungszweck des echten Massekredits ausdrücklich positiv und negativ festzulegen und soweit wie möglich zu konkretisieren.
Auszahlungsvoraussetzungen: Vorlage einer Bestätigung des (vorläufigen) Sachwalters/ Insolvenzverwalters, dass die Insolvenzmasse nach einer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters durchgeführten Prüfung zur Bedienung dieses Kredits mit Hauptforderung, Zinsen, Entgelte und Kosten ausreichen wird und keine Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse droht (siehe dazu Rz. 54); Vorlage des Beschlusses des zuständigen Insolvenzgerichts über die Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters sowie dessen Ermächtigung zur Aufnahme des Kredits in konkret bezifferter Höhe und zur Bestellung der dafür vorgesehenen Sicherheiten. ___________
47) Alternativ denkbar ist auch, die Erlöse im Wege des abgekürzten Zahlungsweges dem Kreditnehmer zu überlassen, vgl. Trowski, WM 2014, 1259, 1260. 48) Vgl. zu einzelnen zu berücksichtigenden Abzugsposten die Ausführungen unten Rz. 48 ff. 49) In der einschlägigen Literatur finden sich Muster echter Massekreditverträge, z. B. bei Bähr/Schwartz, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 20 Rz. 209; Tetzlaff, in: Lwowski/Fischer/ Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, Anh. § 6; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559, 560.
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§4
1. Teil Allgemeines
Laufzeit: Die Laufzeit kann frei vereinbart werden; üblicherweise wird vereinbart, dass sie mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet, es sei denn, dass Kreditgeber und Insolvenzverwalter die Verlängerung des Massekreditvertrages im eröffneten Verfahren beantragen. Folgt man dieser Vorgehensweise nicht, empfiehlt es sich, die Sicherheitenverträge für den Massekreditvertrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter bestätigen zu lassen und eine darauf gerichtete Verpflichtung in den im vorläufigen Verfahren abzuschließenden Massekreditvertrag aufzunehmen. Außerdem muss die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschene Verfügungs- und Einziehungsbefugnis50) über die Vermögenswerte des Umlaufvermögens neu erteilt werden.
Kündigungsrechte des Kreditgebers zusätzlich zum Eintritt eines wichtigen Grundes gemäß § 490 Abs. 1 BGB und den entsprechenden Regelungen in den AGB-Banken bzw. den AGB-Sparkassen: Drohen der Ablehnung der Eröffnung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse, drohende Anzeige der Masseunzulänglichkeit; Ersetzung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters; Veräußerung des Vermögens der Kreditnehmerin im Ganzen oder in wesentlichen Teilen.
Ausschluss der persönlichen Haftung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters.
VI.
Unechter Massekredit
46 Parteien eines unechten Massekreditvertrages sind Kreditgeber und eigenverwaltender Schuldner bzw. Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzerfahren bzw. starker vorläufiger Insolvenzverwalter oder Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren. Ein Vertrag über einen unechten Massekredit sollte neben den allgemeinen Bestandteilen eines Kreditvertrages und einer Präambel, in der der Stand des Verfahrens und die bisherigen vertraglichen Beziehungen, insbesondere bestehende Finanzierungsverträge und die dafür bestellten Sicherheiten, dargestellt werden, typischerweise die folgenden besonderen Bestandteile haben: 1.
Einräumung des unechten Massekredits
47 Zunächst muss die eigentliche Einräumung des unechten Massekredits geregelt werden. Anders als bei einem sonstigen Kreditvertrag bzw. einem echten Massekreditvertrag kann beim unechten Massekreditvertrag die Kreditsumme nicht betraglich festgelegt werden.51) Das hat z. B. die Konsequenz, dass für die Verzinsung nicht auf einen bestimmten prozentualen Wert abgestellt werden kann, sondern dieser als feststehende Summe ausgedrückt werden sollte. Vielmehr ergibt sich der Kreditbetrag aus der Summe der Verwertungserlöse der dem Kreditgeber anfechtungsfest bestellten Sicherheiten bis maximal zu dem Betrag, der für die vollständige Rückführung aller Forderungen des Kreditgebers aus dem bestehenden Kreditvertrag erforderlich ist. Dabei muss klar zwischen solchen Erlösen, die die Valuta des Massekreditvertrages erhöhen, und solchen Erlösen unterschieden werden, die aus dem Massekreditvertrag finanziert werden. Denn im Wege eines unechten Massekreditvertrages können nur Verwertungserlöse der Sicherheiten kreditiert werden, die zum Zeitpunkt der Gewährung des unechten Massekreditvertrages als anfechtungsfeste Sicherheit dem Kreditgeber bestellt wurden. Aus den hieraus erzielten Erlösen (also aus der Valuta des unechten Massekredits) neu beschaffte Waren oder neu begründete Forderungen können dem Kreditgeber als Sicherheit für Massekredite dienen, erhöhen aber ___________ 50) Vgl. BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, BGHZ 144, 192, 200 = ZIP 2000, 895, 897. 51) Vgl. Huber, NZI 2014, 439, 444.
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§4
1. Teil Allgemeines
Laufzeit: Die Laufzeit kann frei vereinbart werden; üblicherweise wird vereinbart, dass sie mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet, es sei denn, dass Kreditgeber und Insolvenzverwalter die Verlängerung des Massekreditvertrages im eröffneten Verfahren beantragen. Folgt man dieser Vorgehensweise nicht, empfiehlt es sich, die Sicherheitenverträge für den Massekreditvertrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter bestätigen zu lassen und eine darauf gerichtete Verpflichtung in den im vorläufigen Verfahren abzuschließenden Massekreditvertrag aufzunehmen. Außerdem muss die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschene Verfügungs- und Einziehungsbefugnis50) über die Vermögenswerte des Umlaufvermögens neu erteilt werden.
Kündigungsrechte des Kreditgebers zusätzlich zum Eintritt eines wichtigen Grundes gemäß § 490 Abs. 1 BGB und den entsprechenden Regelungen in den AGB-Banken bzw. den AGB-Sparkassen: Drohen der Ablehnung der Eröffnung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse, drohende Anzeige der Masseunzulänglichkeit; Ersetzung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters; Veräußerung des Vermögens der Kreditnehmerin im Ganzen oder in wesentlichen Teilen.
Ausschluss der persönlichen Haftung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters.
VI.
Unechter Massekredit
46 Parteien eines unechten Massekreditvertrages sind Kreditgeber und eigenverwaltender Schuldner bzw. Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzerfahren bzw. starker vorläufiger Insolvenzverwalter oder Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren. Ein Vertrag über einen unechten Massekredit sollte neben den allgemeinen Bestandteilen eines Kreditvertrages und einer Präambel, in der der Stand des Verfahrens und die bisherigen vertraglichen Beziehungen, insbesondere bestehende Finanzierungsverträge und die dafür bestellten Sicherheiten, dargestellt werden, typischerweise die folgenden besonderen Bestandteile haben: 1.
Einräumung des unechten Massekredits
47 Zunächst muss die eigentliche Einräumung des unechten Massekredits geregelt werden. Anders als bei einem sonstigen Kreditvertrag bzw. einem echten Massekreditvertrag kann beim unechten Massekreditvertrag die Kreditsumme nicht betraglich festgelegt werden.51) Das hat z. B. die Konsequenz, dass für die Verzinsung nicht auf einen bestimmten prozentualen Wert abgestellt werden kann, sondern dieser als feststehende Summe ausgedrückt werden sollte. Vielmehr ergibt sich der Kreditbetrag aus der Summe der Verwertungserlöse der dem Kreditgeber anfechtungsfest bestellten Sicherheiten bis maximal zu dem Betrag, der für die vollständige Rückführung aller Forderungen des Kreditgebers aus dem bestehenden Kreditvertrag erforderlich ist. Dabei muss klar zwischen solchen Erlösen, die die Valuta des Massekreditvertrages erhöhen, und solchen Erlösen unterschieden werden, die aus dem Massekreditvertrag finanziert werden. Denn im Wege eines unechten Massekreditvertrages können nur Verwertungserlöse der Sicherheiten kreditiert werden, die zum Zeitpunkt der Gewährung des unechten Massekreditvertrages als anfechtungsfeste Sicherheit dem Kreditgeber bestellt wurden. Aus den hieraus erzielten Erlösen (also aus der Valuta des unechten Massekredits) neu beschaffte Waren oder neu begründete Forderungen können dem Kreditgeber als Sicherheit für Massekredite dienen, erhöhen aber ___________ 50) Vgl. BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, BGHZ 144, 192, 200 = ZIP 2000, 895, 897. 51) Vgl. Huber, NZI 2014, 439, 444.
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nicht die Valuta eines unechten Massekredits. Diese Unterscheidung muss in der Buchhaltung des Kreditnehmers beachtet und durch den Kreditgeber anhand eines laufenden Reportings überwacht werden. Es empfiehlt sich, die Bezugnahmen auf die bestehenden Sicherheiten durch Verweise auf 48 entsprechende Auflistungen in den Anlagen zu spezifizieren bzw. eine Verpflichtung des Kreditnehmers vorzusehen, den Bestand der Sicherheiten zum Stichtag zu ermitteln und zu dokumentieren. Zu beachten ist dabei, dass die Summe der Verwertungserlöse nicht zwangsläufig identisch mit dem zu gewährenden unechten Massekredit sein muss, da z. B. berücksichtigt werden muss, dass:52)
ggf. Kosten einer außergerichtlichen Beitreibung anfallen,
i. V. m. §§ 170, 171 InsO ein gesetzlicher Kostenbeitrag beansprucht werden kann.
Außerdem ist zu beachten, dass eingezogene Forderungen aus Lieferungen und Leistun- 49 gen aufgrund eines verlängerten bzw. erweiterten Eigentumsvorbehalts einem Warenlieferanten zustehen können und somit nur für einen unechten Massekredit dieser Lieferanten verwendet werden können. Eine Formulierung könnte wie folgt lauten:
50
„Der Darlehensgeber stellt dem Darlehensnehmer im Wege des Vereinbarungsdarlehens Kreditmittel in Höhe des Betrages zur Verfügung, der der Summe der Erlöse aus der Verwertung der dem Darlehensgeber vom Darlehensnehmer am [Datum des Widerrufs der Verfügungsbefugnis] gewährten Sicherheiten (Bestandsliste gemäß Anlage)53) entspricht, wobei (i) für die Veräußerung von Vorratsvermögen Kosten der Verwertung pauschal in Höhe von 5 % der Anschaffungskosten, und (ii) beim Einzug von Forderungen Kosten der Verwertung pauschal in Höhe von 5 % des realisierten Betrages von der Darlehenssumme abzuziehen sind. Ein Abzug von Verwertungskosten für Bankguthaben erfolgt nicht.“ Der Kreditgeber ermächtigt gleichzeitig den Kreditnehmer, über die für die bestehende 51 Finanzierung bestellten Sicherheiten zu verfügen. „Um die Verwertung zu ermöglichen, ermächtigt der Darlehensgeber den Darlehensnehmer, über die von diesem dem Darlehensgeber bei Abschluss dieses Vertrages sicherungsübereigneten Warenbestände, die zur Sicherung abgetretenen Forderungen sowie die verpfändeten Bankguthaben im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs und des Verwendungszwecks dieses Vertrages zu verfügen unter der Maßgabe, dass die beschafften Waren und begründeten Forderungen von den gemäß § […] dieses Vertrages zu gewährenden Sicherheiten erfasst sind und die Verpflichtungen gemäß § […] dieses Vertrages zu jedem Zeitpunkt beachtet werden.“ Auch für die Wiedereinräumung der Verfügungsbefugnis empfiehlt es sich, präzise auf 52 die bestehenden Sicherheiten zu verweisen. Entscheidend ist, dass der Darlehensnehmer die Verfügungsbefugnis nur im ordnungsgemäßen Geschäftsgang und die erzielte Liquidität nur für die Finanzierung der von den Parteien als fortsetzungswürdig befundenen geschäftlichen Aktivitäten verwendet. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass neu beschaffte Waren und neubegründete Forderungen von den für den unechten Massekredit neu zu bestellenden Sicherheitenverträgen erfasst werden. Die Verletzung dieser Ver___________ 52) Vgl. dazu Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559, 561; Trowski, WM 2014, 1257, 1260. 53) Alternativ für den Fall, dass die Bestandslisten (noch) nicht vorliegen: „Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, zum [Datum des Widerrufs der Verfügungsbefugnis] den Bestand des Vorratsvermögens, den Bestand seiner Forderungen und die Höhe seiner Bankguthaben zu ermitteln und gegenüber dem Darlehensgeber nachzuweisen.“
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1. Teil Allgemeines
pflichtung muss den Darlehensgeber zu einer außerordentlichen Kündigung des unechten Massekredits berechtigen. „Das Darlehen unter diesem Vertrag wird dadurch valutiert, dass der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer die Erlöse aus der Veräußerung gemäß vorstehendem Absatz 1 sowie die verpfändeten Kontoguthaben im Wege eines Vereinbarungsdarlehens als unechten Massekredit zur Verfügung stellt. Das geschieht, indem die Parteien vereinbaren, dass die Erlöse nicht für die Ablösung der Absonderungsrechte des Darlehensgebers unter dem bestehenden Kreditvertrag verwendet werden, sondern als Inanspruchnahme des unter diesem Vertrag gewährten Darlehens behandelt werden. Die derzeit unter dem bestehenden Kreditvertrag offenen Forderungen des Darlehensgebers verringern sich in dieser Höhe entsprechend.“ 53 Es empfiehlt sich, den Willen der Parteien zum Abschluss eines Vereinbarungsdarlehens in Bezug auf die Verwertungserlöse durch ausdrückliche Regelung zu dokumentieren, um die für den Kreditgeber inakzeptablen Rechtsfolgen (Verschaffung des Eigentums an den zu überlassenden Sachen) eines Sachdarlehens zu vermeiden (siehe oben Rz. 35). Außerdem sollte festgehalten werden, wie die Parteien des unechten Massedarlehens die Tilgung des Anspruchs des Kreditgebers auf Rückzahlung des von ihm dem Kreditnehmer vorinsolvenzlich gewährten Darlehens regeln (siehe oben Rz. 42). 2.
Wirksamkeitsvoraussetzungen
54 Die Wirksamkeit des unechten Massekreditvertrages sollte erst mit Eintritt der folgenden Bedingungen eintreten und – für den Fall, dass zugleich ein echter Massekredit gewährt werden soll – an dessen wirksamen Abschluss und die Erfüllung der darin vorgesehenen Auszahlungsvoraussetzungen (siehe oben Rz. 45) geknüpft werden: „– Ermächtigung des Darlehensnehmers zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch Abschluss dieses Vertrages inklusive der Stellung der Sicherheiten gemäß § […] dieses Vertrages; (siehe oben Rz. 45); –
Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses des Darlehensnehmers zum Abschluss dieses Vertrages sowie zu den Verträgen über die Sicherheiten gemäß § […] dieses Vertrages; (siehe unten Rz. 77 ff.);
–
Bestätigung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters, dass die Insolvenzmasse nach einer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters/Insolvenzverwalters durchgeführten Prüfung zur Bedienung dieses Kredites mit Hauptforderung, Zinsen, Entgelte und Kosten ausreichen wird und keine Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse droht;
–
Vorlage einer aktuellen Liquiditätsplanung;
–
rechtswirksame Bestellung der gemäß § […] dieses Vertrages zu bestellenden Sicherheiten;
–
Bestätigung eines Versicherungsmaklers, dass die Versicherungsdeckung in Bezug auf Waren und Bargeld den üblichen Anforderungen des Marktes, an dem der Darlehensnehmer teilnimmt, genügt;
–
Nichtvorliegen eines wichtigen Grundes, der den Darlehensgeber zur außerordentlichen Kündigung dieses Vertrages berechtigen würde.“
55 Außerdem sollten, falls im Einzelfall relevant, als Wirksamkeitsvoraussetzungen vorgesehen werden: der Abschluss des Vertrags über den echten Massekredit, Vorlage eines Nachweises über die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds, der rechtswirksame Abschluss eines unechten Massekreditvertrages mit einem etwaigen Lieferantenpool und/oder einer Abgrenzungsvereinbarung in Bezug auf Sicherheiten, die der Absonderung unterliegen.54) ___________ 54) Trowski, WM 2014, 1257, 1261.
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§4
Zweck dieser Regelung ist es, einen Zusammenhang mit der Gesamtfinanzierung herzustellen, denn es muss vermieden werden, dass einzelne Finanzierungsbausteine in Kraft treten, ohne dass die Gesamtfinanzierung gesichert ist. 3.
Verwendungszweck des unechten Massekredits
Für den Darlehensgeber ist essentiell, dass die vereinnahmte Liquidität nur für die Finan- 56 zierung der von den Parteien als fortsetzungswürdig befundenen geschäftlichen Aktivitäten verwendet wird. Es empfiehlt sich deshalb, den Verwendungszweck des unechten Massekredits ausdrücklich festzulegen und soweit wie möglich zu konkretisieren, z. B. durch Bezug auf die zu erstellende und regelmäßig zu aktualisierende Liquiditätsplanung. „Dieser Kredit dient als Betriebsmittelkredit ausschließlich der Finanzierung des Liquiditätsbedarfs des jeweiligen Darlehensnehmers und darf von dem Darlehensnehmer ausschließlich zur (i) Finanzierung der Fortsetzung seiner rentablen Geschäftsaktivitäten, (ii) für die Beschaffung von Waren für sich und Begründung von Forderungen durch ihn, die jeweils von den gemäß § […] dieses Vertrages zu gewährenden Sicherheiten erfasst sind, sowie (iii) zur Deckung seiner operativen Kosten, die in den Liquiditätsplänen budgetiert sind, verwendet werden. Die Rückführung von Finanzierungen bei Dritten und die Finanzierung von Verlusten, die zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse führen würden, sind ausdrücklich ausgeschlossen. Der Darlehensgeber ist nicht verpflichtet, die Verwendung der unter diesem Vertrag ausgeliehenen Gelder zu überwachen oder zu prüfen. Die Verbindlichkeiten, die unter diesem Vertrag entstehen, stellen Masseverbindlichkeiten dar.“ Aus den oben (siehe Rz. 5, 11 ff.) dargestellten Gründen, ist es für den Kreditgeber ent- 57 scheidend, dass seine Forderungen im Zusammenhang mit dem Massedarlehen Masseverbindlichkeiten darstellen. Diese Eigenschaft lässt sich zwar nicht durch Einigung der Parteien begründen, aber es empfiehlt sich, das entsprechende Verständnis der Parteien festzuhalten. 4.
Sicherheiten
„Der Darlehensnehmer soll dem Darlehensgeber die folgenden Sicherheiten für die Ansprüche 58 des Darlehensgebers gegen den Darlehensnehmer aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag und den sonstigen Finanzierungsdokumenten bestellen: –
Sicherungsübereignung sämtlicher ab dem Zeitpunkt des Widerrufs der Einziehungsermächtigung neu erworbener Gegenstände des Anlagevermögens sowie der eingekauften Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie neu entstehender, fertiger oder unfertiger Erzeugnisse sowie Handelswaren; dies umfasst alle Gegenstände, die bereits durch Vereinbarung vom […] an den Kreditgeber zur Sicherheit übertragen wurden und die erst nach Stellung des Insolvenzantrages in das Sicherungsgebiet eingebracht wurden;
–
Sicherungszession sämtlicher ab dem Zeitpunkt des Widerrufs der Einziehungsermächtigung neu entstehender Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen; dies umfasst alle Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen, die bereits durch Vereinbarung vom […] an den Kreditgeber zur Sicherheit abgetreten wurden und die erst nach Stellung des Insolvenzantrages entstanden sind;
–
erstrangiges Pfandrecht an seinen Bankkonten.“
–
Falls relevant: „Sicherungszession sämtlicher Ansprüche aus Insolvenzanfechtung der Insolvenzmasse, die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen.“
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§4 5.
1. Teil Allgemeines Informationspflichten und sonstige Pflichten des Darlehensnehmers
59 Außerdem empfiehlt sich, folgende Informationspflichten festzulegen: „Der Darlehensnehmer sowie der [vorläufige Sachwalter/Insolvenzverwalter] sind verpflichtet: –
den Darlehensgeber unverzüglich zu unterrichten, wenn bei der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs kein positiver Deckungsbeitrag mehr erwirtschaftet wird und/oder Zweifel an der Durchführbarkeit der von der Darlehensnehmerin angestrebten Sanierung ihres Geschäftsbetriebs auftreten;
–
den Darlehensgeber unverzüglich über die Verwendung des Massedarlehens und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers zu informieren und dafür mindestens die folgenden Unterlagen vorzulegen: a) monatlich, unverzüglich nachdem verfügbar, spätestens bis zum […] des Folgemonats eine auf den letzten Tag des Monats bezogene Übersicht über die Entwicklung des Warenbestands, jeweils unterschieden für den Zeitraum bis zum Zeitpunkt des Widerrufs der Veräußerungsermächtigung und den anschließenden Zeitraum, b) monatlich, unverzüglich nachdem verfügbar, spätestens bis zum […] des Folgemonats eine auf den letzten Tag des Monats bezogene Übersicht über die Entwicklung des Forderungsbestands, jeweils unterschieden für den Zeitraum bis zum Zeitpunkt des Widerrufs der Veräußerungsermächtigung und den anschließenden Zeitraum,
c) monatlich, unverzüglich nachdem verfügbar, spätestens bis zum […] des Folgemonats eine auf den letzten Tag des Monats bezogene Übersicht über die Entwicklung der Lieferantenverbindlichkeiten und der erhaltenen Anzahlungen (jeweils unterschieden für den Zeitraum bis zum Zeitpunkt des Widerrufs der Veräußerungsermächtigung und den anschließenden Zeitraum) sowie eine Übersicht über die Entwicklung des Auftragsbestands, d) monatlich, unverzüglich nachdem verfügbar, spätestens bis zum […] des Folgemonats einen auf den letzten Tag des Monats bezogenen Soll-Ist-Vergleich der jeweils gültigen Finanz- und Geschäftsplanung für die Schuldnerin mit Erläuterungen zu nicht unwesentlichen Planabweichungen, und e) wesentliche Änderungen des Liquiditätsplans; – dem Darlehensgeber unaufgefordert und unverzüglich nach Kenntniserlangung alle Informationen über Sachverhalte und Ereignisse, wo erforderlich mit Erläuterung der jeweiligen Auswirkungen auf den Darlehensnehmer, zuzuleiten, die wesentliche Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis haben können oder die für eine sachgerechte Beurteilung der Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers erforderlich sein können, insbesondere über die Absicht, dem Insolvenzgericht Umstände anzuzeigen, die die Abweisung des Insolvenzantrags rechtfertigen können, die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht oder den Eintritt von Umständen, die die Aufhebung rechtfertigen, oder eine drohende oder tatsächliche Änderung in der Person des vorläufigen Sachwalters; – dem Darlehensgeber spätestens am Ende der Laufzeit dieses Vertrages vollständig Rechnung über die verwerteten und über die noch vorhandenen Sicherheiten sowie die damit im Zusammenhang stehenden Steuerzahlungen und/oder steuerlichen Risiken zu legen; und – den Darlehensgeber unverzüglich über die Entstehung einer Kündigungsmöglichkeit und/ oder über einen Umstand, der zu einer Kündigungsmöglichkeit führen könnte, schriftlich zu informieren.“ 60 Dem Darlehensnehmer können zudem weitere Verhaltenspflichten auferlegt werden: „Der Darlehensnehmer soll sicherstellen, dass –
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die von ihm erworbenen beweglichen Vermögensgegenstände an Dritte (einschließlich von Gesellschaften der Gruppe) nur unter Eigentumsvorbehalt geliefert werden oder nur im Wege Warneke/Braun
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§4
der Kommission veräußert werden, wobei die Ware bis zur Veräußerung durch den Kommissionär im Eigentum des Darlehensnehmers bleibt; die Kommissionsverträge sind mit dem Darlehensgeber abzustimmen und müssen dessen Vorgaben genügen; –
seine Forderungen ausschließlich über die zugunsten des Darlehensgebers verpfändeten Konten eingezogen werden;
–
für die Örtlichkeiten, an denen Umlaufvermögen und bewegliche Vermögensgegenstände gelagert werden, die Miete (für die Zeiträume nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens) bei Fälligkeit und nach Maßgabe der vertraglichen Bestimmungen an den jeweiligen Vermieter bezahlt wird;
–
die Forderungen von Frachtführern und Spediteuren, die Umlaufvermögen transportieren (für die Zeiträume nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens) bei Fälligkeit bezahlt werden;
–
Umlaufvermögen oder bewegliche Vermögenswerte, die Transaktionssicherheiten darstellen und sich nicht im Transit befinden, nicht an anderen Orten gelagert werden als denen, die auf den Karten, die dem Darlehensgeber nach Maßgabe der Verträge über die Transaktionssicherheiten übergeben wurden, ausgewiesen sind; und
–
auf seine Kosten unverzüglich alle Handlungen vorgenommen werden oder Dokumente unterzeichnet werden, die der Darlehensgeber vernünftigerweise vorgibt, um die Sicherheiten, die zugunsten des Darlehensgebers unter den Verträgen über die Transaktionssicherheiten entstehen oder entstehen sollen, rechtswirksam zu begründen.“
6.
Laufzeit, Rückzahlung und Kündigungsgründe
Die Laufzeit des unechten Massekreditvertrages kann frei vereinbart werden.55) So kann 61 z. B. eine Laufzeit bis zum Eintritt der Rechtskraft der Bestätigung eines vorgesehenen Insolvenzplans gewählt werden, aber es kann auch eine zeitlich festgelegte Laufzeit vereinbart werden.56) Jedenfalls sollte die Laufzeit mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, mit der Ablehnung seiner Eröffnung oder der Aufhebung der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung enden. Für den Fall, dass – was regelmäßig der Fall ist – das unechte Massedarlehen auch im eröffneten Insolvenzverfahren benötigt wird, empfiehlt es sich, dass der Kreditgeber mit dem endgültigen Insolvenzverwalter bzw. dem Unternehmen in Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren einen neuen Massedarlehensvertrag abschließt. Inhalt einer solchen Vereinbarung ist, dass der Insolvenzverwalter bzw. das eigenverwaltende Unternehmen die Verpflichtungen aus dem im vorläufigen Verfahren abgeschlossenen Massedarlehensvertrag übernimmt. In diesem Fall sind auch die im vorläufigen Verfahren abgeschlossenen Sicherheitenverträge erneut abzuschließen. Auch die Modalitäten der Rückzahlung können zwischen den Parteien frei bestimmt 62 werden, sollten aber mit der Liquiditätsplanung des Darlehensnehmers synchronisiert werden. Üblich ist eine Rückführung am Ende der Laufzeit (sog. bullet repayment) mit der Möglichkeit, während der Laufzeit vorzeitige Tilgungen zu leisten. Diese können entweder freiwillig erfolgen, oder es wird vereinbart, dass der Eintritt bestimmter Umstände (z. B. das Vorhandensein überschüssiger Liquidität, sog. excess cash) eine Pflicht zur vorzeitigen Tilgung begründet. Es empfiehlt sich aus Sicht des Darlehensnehmers zu regeln, dass vorzeitige Tilgungen jederzeit ohne Pflicht zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung zulässig sind.57) ___________ 55) Trowski, WM 2014, 1257, 1261. 56) Trowski, WM 2014, 1257, 1261. 57) Trowski, WM 2014, 1257, 1261.
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§4
1. Teil Allgemeines
63 Es bietet sich an, die folgenden Kündigungsgründe zu normieren: „Zusätzlich zu den kraft Gesetzes einem Darlehensgeber zustehenden Kündigungsrechten für ein Darlehen stellt jedes der im Folgenden genannten Ereignisse bzw. Umstände einen Kündigungsgrund dar: –
der Darlehensnehmer zahlt einen von ihm unter den Finanzierungsdokumenten zahlbaren Betrag nicht innerhalb von zehn Geschäftstagen;
–
die von dem Darlehensnehmer unter dem Kredit in Anspruch genommenen Beträge werden entgegen dem Verwendungszweck dieses Vertrages verwendet;
–
der Darlehensnehmer verletzt eine wesentliche Bestimmung dieses Vertrages oder eines Sicherheitenvertrages;
–
der Darlehensnehmer kündigt, widerruft oder erkennt ein Finanzierungsdokument nicht an oder erklärt ein solches für unwirksam bzw. gibt vor, dass ein Finanzierungsdokument nicht anerkannt, gekündigt, widerrufen oder für unwirksam erklärt wird, oder zeigt die Absicht, ein Finanzierungsdokument oder einen Vertrag über Sicherheiten zu kündigen, zu widerrufen oder nicht anzuerkennen;
–
es droht eine Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Darlehensnehmers durch das Insolvenzgericht mangels Masse oder der Antrag des Darlehensnehmers auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird zurückgenommen oder abgelehnt;
–
es droht oder erfolgt die Überleitung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens in ein Regelinsolvenzeröffnungsverfahren/Aufhebung des Schutzschirmverfahrens;
–
Herr RA […] wird als (vorläufiger) Sachwalter/Insolvenzverwalter ersetzt; oder
–
es wird ein Vertrag geschlossen, mit dem das Vermögen des Darlehensnehmers im Ganzen oder in Teilen auf einen Dritten übertragen wird.“
–
Falls relevant: „Kündbarkeit des Vertrages über den echten Massekredit.“
64 Die Aufnahme eines Kündigungsgrundes, der an die Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters anknüpft, wird von namhafter Seite für bedenklich gehalten.58) Die Befürworter einer solchen Klausel argumentieren, dass Kreditinstitute oftmals lediglich aufgrund des Vertrauens in einen bestimmten vorläufigen Verwalter bzw. Sachwalter das Massedarlehen gewähren.59) Denn ein Kreditgeber werde einen Massekredit nur vergeben, soweit er davon ausgehen könne, dass der Kredit – trotz des von der Geschäftsführung des Kreditnehmers verursachten Vertrauensverlustes – zurückgezahlt werde. Aufgrund der besonderen Umstände des Schuldners habe das Kreditinstitut ein besonderes Interesse an der Vertrauenswürdigkeit sowie Verlässlichkeit der Person des vorläufigen Verwalters bzw. Sachwalters.60) Dem wird entgegengehalten, dass die Person des vorläufigen Verwalters gemäß §§ 56, 274 InsO eine unabhängige Person sein müsse. Unabhängigkeit liege vor, sofern der vorläufige Sachverwalter nicht abhängig von einem bestimmten Gläubiger sei und allein im Interesse der Gläubigergemeinschaft handele.61) 65 Sollte sich der vorläufige Sachverwalter dennoch in einer Interessenkollision befinden und daher nicht unabhängig sein, stünde das Insolvenzgericht vor dem Problem, durch die Bestellung des abhängigen Verwalters gegen seine Pflichten aus §§ 56, 274 InsO zu versto___________ 58) 59) 60) 61)
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Vgl. Ganter, ZIP 2013, 597 ff.; Pape, ZInsO 2013, 2129, 2132, und Pape, ZIP 2013, 2285, 2287. Vgl. Bähr/Schwartz, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 20 Rz. 169. Ganter, ZIP 2013, 597, 598. Blümle, in: Braun, InsO, § 56 Rz. 44 f.; Delhaes in: Nerlich/Römermann, InsO, § 56 Rz. 17.
Warneke/Braun
Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
ßen oder die angestrebte Sanierung zu blockieren.62) Daher, so die Gegner eines solchen Kündigungsrechts, sei ein personengebundenes Massedarlehen, welches an einen dadurch abhängigen vorläufigen Verwalter gebunden sei, rechtsmissbräuchlich und nicht zulässig. Den Gegnern eines personengebundenen Kündigungsgrunds ist zuzugeben, dass ein 66 Kündigungsrecht nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden darf. Sofern der Verwalterwechsel dem Kreditgeber zumutbar ist, lässt sich ein Kündigungsgrund nicht damit begründen.63) Eine Kündigung wäre auch nicht im Interesse des Kreditgebers, wenn sichergestellt ist, dass der ernannte (neue) Verwalter über die erforderliche Expertise verfügt. Tatsächlich wird es einem Kreditgeber wohl mehr auf die Qualifikation des Verwalters für die Sanierung des Unternehmens ankommen als auf dessen Person. Vor allem in Bezug auf die Erfüllung der vertraglichen Informationspflichten (siehe oben Rz. 59) ist für den Kreditgeber die Qualifikation des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. des (vorläufigen) Sachwalters wichtig. Denn die beizubringenden Angaben stellen besondere Anforderungen an das Rechnungswesen des Kreditnehmers in einer Zeit, in der sich das Unternehmen nicht in einem üblichen Betriebsmodus befindet, sondern ggf. Schlüsselpersonal den Betrieb verlassen hat. Für Kreditgeber ist es deshalb entscheidend, dass die auf Seiten des Kreditnehmers handelnden Personen die erforderliche Qualifikation und persönliche Zuverlässigkeit aufweisen. Die Aufnahme eines Kündigungsgrunds, der eingreift, wenn dieses Interesse des Kreditgebers nicht mehr gewahrt ist, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. 7.
Ausschluss der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters?
Eine persönliche Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters oder Sachwalters unterliegt 67 den Voraussetzungen von §§ 60, 61 InsO (siehe unten § 18 Rz. 2 und 8). Es ist jedoch üblich, die persönliche Haftung des Verwalters für die Rückzahlung der Kredite grundsätzlich auszuschließen, weil es für die Übernahme dieser Haftung durch den Verwalter gar keine wirtschaftliche bzw. rechtliche Motivation gibt bzw. eine solche Haftung wegen seiner Rechtsstellung unangemessen ist.64) „Jede persönliche Haftung des (vorläufigen) Sachwalters aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder den damit im Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäften, insbesondere aus §§ 60, 61 InsO sowie gemäß § 311 BGB wegen Verschuldens bei Vertragsabschluss, ist – soweit gesetzlich zulässig – ausgeschlossen. Die Haftung für Vorsatz bleibt unberührt.“ VII. Zustimmungspflichten für den Abschluss eines Massekreditvertrags Für den eigenverwaltenden Schuldner stellt sich die Frage, ob er den jeweiligen Massekre- 68 ditvertrag nur nach vorheriger Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters oder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung abschließen darf. 1.
Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters
Nach § 275 InsO soll der Schuldner Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Ge- 69 schäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Er soll sie gar nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht. Die Norm ist im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO aufgrund der ausdrücklichen Verweisung des § 270a
___________ 62) Vgl. Ganter, ZIP 2013, 597, 600. 63) Ganter, ZIP 2013, 597, 604. 64) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, Anh. § 6 Rz. 4.
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Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
ßen oder die angestrebte Sanierung zu blockieren.62) Daher, so die Gegner eines solchen Kündigungsrechts, sei ein personengebundenes Massedarlehen, welches an einen dadurch abhängigen vorläufigen Verwalter gebunden sei, rechtsmissbräuchlich und nicht zulässig. Den Gegnern eines personengebundenen Kündigungsgrunds ist zuzugeben, dass ein 66 Kündigungsrecht nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden darf. Sofern der Verwalterwechsel dem Kreditgeber zumutbar ist, lässt sich ein Kündigungsgrund nicht damit begründen.63) Eine Kündigung wäre auch nicht im Interesse des Kreditgebers, wenn sichergestellt ist, dass der ernannte (neue) Verwalter über die erforderliche Expertise verfügt. Tatsächlich wird es einem Kreditgeber wohl mehr auf die Qualifikation des Verwalters für die Sanierung des Unternehmens ankommen als auf dessen Person. Vor allem in Bezug auf die Erfüllung der vertraglichen Informationspflichten (siehe oben Rz. 59) ist für den Kreditgeber die Qualifikation des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. des (vorläufigen) Sachwalters wichtig. Denn die beizubringenden Angaben stellen besondere Anforderungen an das Rechnungswesen des Kreditnehmers in einer Zeit, in der sich das Unternehmen nicht in einem üblichen Betriebsmodus befindet, sondern ggf. Schlüsselpersonal den Betrieb verlassen hat. Für Kreditgeber ist es deshalb entscheidend, dass die auf Seiten des Kreditnehmers handelnden Personen die erforderliche Qualifikation und persönliche Zuverlässigkeit aufweisen. Die Aufnahme eines Kündigungsgrunds, der eingreift, wenn dieses Interesse des Kreditgebers nicht mehr gewahrt ist, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. 7.
Ausschluss der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters?
Eine persönliche Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters oder Sachwalters unterliegt 67 den Voraussetzungen von §§ 60, 61 InsO (siehe unten § 18 Rz. 2 und 8). Es ist jedoch üblich, die persönliche Haftung des Verwalters für die Rückzahlung der Kredite grundsätzlich auszuschließen, weil es für die Übernahme dieser Haftung durch den Verwalter gar keine wirtschaftliche bzw. rechtliche Motivation gibt bzw. eine solche Haftung wegen seiner Rechtsstellung unangemessen ist.64) „Jede persönliche Haftung des (vorläufigen) Sachwalters aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder den damit im Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäften, insbesondere aus §§ 60, 61 InsO sowie gemäß § 311 BGB wegen Verschuldens bei Vertragsabschluss, ist – soweit gesetzlich zulässig – ausgeschlossen. Die Haftung für Vorsatz bleibt unberührt.“ VII. Zustimmungspflichten für den Abschluss eines Massekreditvertrags Für den eigenverwaltenden Schuldner stellt sich die Frage, ob er den jeweiligen Massekre- 68 ditvertrag nur nach vorheriger Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters oder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung abschließen darf. 1.
Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters
Nach § 275 InsO soll der Schuldner Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Ge- 69 schäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Er soll sie gar nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht. Die Norm ist im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO aufgrund der ausdrücklichen Verweisung des § 270a
___________ 62) Vgl. Ganter, ZIP 2013, 597, 600. 63) Ganter, ZIP 2013, 597, 604. 64) Vgl. Mordhorst, in: Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, Anh. § 6 Rz. 4.
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§4
1. Teil Allgemeines
Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend anwendbar. Gleiches gilt aber auch im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO.65) 70 Bei der Einholung der Zustimmung handelt es sich nicht um eine Pflicht des Schuldners, sondern lediglich um eine Obliegenheit. Geschäfte ohne oder gegen den Willen des (vorläufigen) Sachwalters sind gleichwohl wirksam,66) können aber dazu führen, dass der (vorläufige) Sachwalter nunmehr von Nachteilen für die Gläubiger ausgeht, die aus der Eigenverwaltung resultieren, und das Insolvenzgericht nach entsprechender verpflichtender Anzeige (§ 274 Abs. 3 InsO) und einem Antrag die Eigenverwaltung nach § 272 InsO aufhebt.67) 71 Zustimmung meint vorherige Einwilligung. Daher muss bei Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs der (vorläufige) Sachwalter vorab befragt werden. Auch der Widerspruch, sofern er erfolgt, muss vor Vornahme des Geschäfts ausgesprochen werden.68) 72 Unklar und streitig ist, ob der (vorläufige) Sachwalter auch bei Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören und die mithin einen Widerspruch erfordern, ein Informationsrecht bzw. der Schuldner eine Informationspflicht hat.69) Sofern ein solches vorheriges Informationsrecht des (vorläufigen) Sachverwalters angenommen wird, sollten der (vorläufige) Sachwalter und die Eigenverwaltung jedoch in enger Abstimmung idealerweise vorab gattungsmäßig oder in sonstiger Weise festlegen, welche Verbindlichkeiten Informationspflichten auslösen und welche die Eigenverwaltung quasi selbstständig eingehen kann, damit der laufende Geschäftsbetrieb nicht durch die dauernde Abstimmung lahmgelegt wird. Unabhängig hiervon empfiehlt sich für die Praxis generell eine enge Abstimmung der (vorläufigen) Eigenverwaltung mit dem (vorläufigen) Sachwalter, dessen Zustimmung die Gläubiger ohnehin häufig fordern werden. 73 Ob eine Verbindlichkeit zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört, richtet sich nach Art und Umfang des Geschäfts.70) Für Massekreditverträge liegt regelmäßig schon aufgrund der Art des Geschäfts ein solches außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs vor, das eine Informations- und Zustimmungspflicht auslöst. Je nach Höhe der Valuta löst auch der Umfang des Geschäfts eine Pflicht des (vorläufigen) Sachwalters zur Zustimmung aus. 74 Vor Abschluss der Verträge muss die Eigenverwaltung im vorläufigen und eröffneten Verfahren somit intern im Regelfall die Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters einholen.71) Dies sollte aus Sicht der Eigenverwaltung auch dokumentiert werden. 75 Aus der Sicht des Kreditgebers kann die Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters darüber hinaus den Zweck erfüllen, diesen ggf. aus seiner Haftung nach §§ 60, 274 Abs.1 InsO oder § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO in Anspruch nehmen zu können, sofern die Ansprüche bei nachträglich eingetretener Masseunzulänglichkeit oder Massearmut nicht vollständig befriedigt werden.72) Ist die Zustimmungsbedürftigkeit bereits durch das Insolvenzgericht in der Ermächtigung angeordnet (Vorschlag für eine Ermächtigung siehe oben Rz. 19), so findet § 61 InsO aufgrund der Verweisung in § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO Anwendung. Der ___________ Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 4. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 6; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 16. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 4. Für eine solche Pflicht Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 4. Dagegen Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 11. 70) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 8. 71) So im Ergebnis auch Trowski, WM 2014, 1257, 1260. 72) Zur Haftung des Sachwalters allg. s. unten § 18 Rz. 39 ff. 65) 66) 67) 68) 69)
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Finanzierungsoptionen im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren
§4
(vorläufige)73) Sachwalter haftet hiernach für eine nicht erfüllte Masseverbindlichkeit, es sei denn, er konnte nicht erkennen, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Ist die eingegangene Verbindlichkeit nach der gerichtlichen Einzelermächtigung auch ohne Zustimmung eine Masseverbindlichkeit, ist § 61 InsO auf den (vorläufigen) Sachwalter mangels Verweisung in § 274 InsO hingegen nicht anwendbar (zu einer möglichen analogen Anwendung siehe unten § 18 Rz. 42 ff.). Eine Haftung des (vorläufigen) Sachwalters käme außerdem nach §§ 274, 60 InsO in Be- 76 tracht. Nach § 274 Abs. 2, 3 InsO hat der Sachwalter die Pflicht, den Schuldner zu überwachen und mögliche Nachteile aus der Eigenverwaltung für Gläubiger dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Wenn der Schuldner nun deswegen Masseverbindlichkeiten begründen konnte, weil der Sachwalter schuldhaft seine Überwachungspflichten und Anzeigepflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllte, und diese Verbindlichkeiten wegen Masseunzulänglichkeit nicht erfüllt werden können, so führte diese Pflichtverletzung des Sachwalters zu dem Nichterfüllungsschaden des Massegläubigers.74) Während dies teilweise wegen Umgehung des nicht anwendbaren § 61 InsO abgelehnt wird,75) befürworten andere die Haftung.76) Erkennt man die Möglichkeit einer solchen Haftung an, so besteht das Risiko, dass in einer Zustimmung des Sachwalters zur Begründung der Masseverbindlichkeit und der damit verbundenen Kenntnis auch eine Hinweisbzw. Prüfungspflicht bejaht werden könnte, den Kreditgeber über die Gefahr der Masseunzulänglichkeit zu informieren. Eine solche Pflichtverletzung könnte dann im Falle der Masseunzulänglichkeit zu einer Haftung führen. 2.
Zustimmungspflicht des (vorläufigen) Gläubigerausschusses
Der eigenverwaltende Schuldner muss die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder 77 der Gläubigerversammlung einholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind (§ 276 Satz 1 InsO). § 160 bzw. § 276 InsO sind im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht anwendbar, sodass ein vorläufiger Gläubigerausschuss seine Zustimmung nicht erteilen kann bzw. muss.77) Für Massekreditverträge regeln § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 276 Satz 2 InsO die Zustimmungs- 78 pflicht, wenn das Darlehen die Insolvenzmasse erheblich belasten würde. Wann von einer solchen Belastung auszugehen ist, ist einzelfallabhängig. Anhaltspunkte bieten die Höhe der Valuta im Verhältnis zur vorhandenen Masse, die Dauer der Verträge, der Umfang der Besicherung oder die Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb.78) Ist das gesamte Umlaufvermögen der Schuldnerin für den bestehenden Kredit als Sicher- 79 heit gestellt und soll nun i. R. des unechten Massekreditvertrags herangezogen werden, so muss von einer Zustimmungspflicht ausgegangen werden. Wertgrenzen sind i. Ü. beim echten (wie auch unechten) Massekreditvertrag nicht zielfüh- 80 rend. Ob eine Belastung der Insolvenzmasse vorliegt, die §§ 160, 276 Satz 2 InsO vorschreibt, kann nicht an absoluten oder relativen Zahlen gemessen werden. Das führt naturgemäß zu einer Unsicherheit bei der Eigenverwaltung ob die Zustimmung notwendig ist. Die Regelung in § 160 Abs. 2 InsO suggeriert jedoch, dass der Gesetzgeber eher eine Zu___________ Zur Anwendbarkeit Kern, in: MünchKomm-InsO, § 270a Rz. 46. A. A. Trowski, WM 2014, 1257, 1263. S. hierzu i. E. unten § 18 Rz. 43. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 72. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 30 ff. Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 160 Rz. 1. Für eine „Vorwirkung“ von § 160 InsO jedoch Frind, BB 2013, 265. 78) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 26.
73) 74) 75) 76) 77)
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§4
1. Teil Allgemeines
stimmungspflicht für Darlehen statuieren wollte, sodass im Zweifel von einer solchen Pflicht ausgegangen werden sollte. Für den eigenverwaltenden Schuldner bedeutet das, dass im Zweifel vor Abschluss der Verträge der Gläubigerausschuss informiert werden und gebeten werden muss, den neuen Verträgen zuzustimmen. Der Wortlaut der Norm spricht dabei eher für eine vorherige Zustimmung als für eine nachträgliche Genehmigung.79) Sofern die Zustimmung vor Abschluss nicht eingeholt werden kann, kann der Vertrag eine aufschiebende Bedingung enthalten, dass der Gläubigerausschuss seine Zustimmung erteilt.
___________ 79) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8. A. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3.
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§5 Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren Frege/Nicht
I. Einleitung .................................................... 1 II. Grundlagen der Unternehmenskommunikation ........................................ 21 1. Einleitung ................................................... 21 2. Allgemeine Unternehmenskommunikation .......................................................... 23 2.1 Anwendungsfeld der Unternehmenskommunikation .............. 23 2.2 Kommunikationskonzepte ........... 27 2.3 Zielgruppen der Unternehmenskommunikation .................... 34 2.3.1 Abgrenzung Anspruchsgruppen – Zielgruppen.................................... 34 2.3.2 Typischer Kommunikationsbedarf.............................................. 39 2.3.3 Mitarbeiterkommunikation .......... 40 2.3.4 Kundenkommunikation ................ 44 2.3.5 Kommunikation mit Gesellschaftern, Investoren etc............... 47 2.4 Bedeutung der Kommunikationspsychologie für die Unternehmenskommunikation.......... 49 2.4.1 Bedeutung der Nachrichtenstruktur .......................................... 49 2.4.2 Typisierung der Persönlichkeitsmerkmale........................................ 54 3. Veränderungskommunikation................... 64 4. Krisenkommunikation ............................... 79 5. Zusammenfassung.................................... 101 III. Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren .................................................. 105 1. Einleitung ................................................. 105 2. Die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch die Insolvenzschuldnerin .............. 113 2.1 Vorbereitende Maßnahmen ........ 113 2.2 Stellung des Insolvenzantrags durch die Insolvenzschuldnerin ... 119 2.3 Stellung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung durch die Insolvenzschuldnerin ... 120 2.4 Vorlage eines vorbereiteten Insolvenzplans ............................. 121 3. Zusammenarbeit zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Gläubigerausschuss ........................................................ 122 3.1 Die Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses an der Auswahl des Insolvenzverwalters ..................................... 124
3.2
Die Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor der Anordnung der Eigenverwaltung......................................... 127 4. Die Zusammenarbeit des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss ........................................................ 130 5. Kommunikation und Verhandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters oder der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern............... 131 6. Zusammenfassung.................................... 134 IV. Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten........................................................ 136 1. Einleitung ................................................. 136 2. Kommunikation im Regelinsolvenzverfahren ................................................... 140 2.1 Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Gläubigerausschuss ..................... 142 2.2 Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Insolvenzgericht .......................... 144 2.3 Kommunikation zwischen dem Insolvenzverwalter und der Insolvenzschuldnerin und deren Organen und Angestellten.......... 145 2.4 Kommunikation und Verhandlungen des Insolvenzverwalters mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern.............................. 148 3. Kommunikation im Eigenverwaltungsverfahren.......................................... 149 3.1 Einleitung..................................... 149 3.2 Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter ........................................... 152 3.3 Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Gläubigerausschuss ............................. 155 3.4 Kommunikation und Verhandlungen der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern.............................. 157
Frege/Nicht
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§5
1. Teil Allgemeines 3.5
4.
Verhandlungen über den Insolvenzplan ....................................... 158 3.6 Zusammenfassung ....................... 160 Kommunikation in der Konzerninsolvenz................................................... 161 4.1 Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzgerichten ...................................... 162 4.1.1 Ermittlung der Gerichtszuständigkeit.................................... 162
4.1.2
Verfahrenskoordination durch formalisierte Absprachen der Gerichte................................. 166 4.2 Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzverwaltern ......................................... 168 4.3 Kommunikationsbeziehungen auf der Ebene der Gläubigerorgane........................................... 172 4.4 Grenzüberschreitende Konzerninsolvenz............................... 176 V. Fazit.......................................................... 178
Literatur: Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Busch/Remmert/ Rüntz/Vallender, Kommunikation zwischen Gerichten in grenzüberschreitenden Insolvenzen – Was geht und was nicht geht, NZI 2010, 417; Frege, Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren?, in: Festschrift für Martin Peltzer, 2001, S. 109; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407 = ZInsO 2012, 2217; Göpfert, In re Maxwell Communications – ein Beispiel einer „koordinierten“ Insolvenzverwaltung in parallelen Verfahren, ZZPInt 1 (1996), 269; Paulus, Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer, ZGR 2005, 309; Paulus, „Protokolle“ – ein anderer Zugang zur Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen, ZIP 1998, 977; Paulus/Hörmann, Emotionale Kompetenz im Insolvenzverfahren, NZI 2013, 623; Vallender, Gerichtliche Kommunikation und Kooperation bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO – eine neue Herausforderung für Insolvenzgerichte, KTS 2008, 59.
I.
Einleitung
1 „Man kann nicht nicht kommunizieren“ lautet eine der Grundregeln der modernen Kommunikationswissenschaft.1) Auch wer nichts sagt, sich still verhält, sich zurückzieht, die öffentliche Wahrnehmung zu meiden versucht, der kommuniziert. Dies dürfte insbesondere dann gelten, wenn die Beteiligten von einer Person oder einem Unternehmen eine ausdrückliche Entscheidung, Information, Prognose oder Anleitung erwarten oder sogar ausdrücklich fordern. 2 Beispiel 1: Nachdem im Januar 2012 vor der italienischen Mittelmeerküste ein Kreuzfahrtschiff mit über 4.000 Passagieren aufgrund mutmaßlich leichtsinnigen Verhaltens des Schiffskapitäns auf einen Felsen aufgelaufen und innerhalb kurzer Zeit in den Abendstunden gekentert war, verließ der Kapitän das bereits sinkende Schiff und ließ sich zusammen mit Passagieren mit einem Rettungsboot an Land bringen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich viele Personen noch an Bord des Schiffes. Ein Kommandant des zuständigen Hafenamtes setzte sich daraufhin telefonisch mit dem Kapitän in Kontakt, ließ sich über den Zustand des Schiffes und die Ereignisse informieren, übernahm infolge der Untätigkeit des Kapitäns das Kommando und gab dem bereits in Sicherheit sich befindlichen Kapitän den Befehl, mittels einer Strickleiter auf das Schiff zurückzukehren und seiner Kapitänsaufgabe folgend die Rettung der verbliebenen Passagiere zu koordinieren und zu leiten und die Rettungskräfte über den Verlauf der Evakuierung zu informieren. Der Kapitän rief stattdessen ein Taxi und verließ die Unfallstelle. Er wurde kurze Zeit später in Untersuchungshaft genommen. 3 Wer in einem solchen Fall passiv bleibt und nicht die der Situation angemessenen – aktiven – Kommunikationsstrategien entwickelt und durchführt, kann im für ihn günstigen Fall nur seinen Einfluss auf die (wirtschaftlichen) Geschehnisse und Entwicklungen verlieren,2) im ___________ 1)
2)
90
S. umfassend Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien, 12. Aufl., 2011, S. 58 ff., 84 ff.; hierzu auch Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 18 Rz. 38; Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 3. Vgl. Durst, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, S. 34 ff., 42.
Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
ungünstigen Fall kann er infolge seiner Zurückhaltung empfindlichen Schaden für seine Person oder sein Unternehmen verursachen, denn der Verlust an Vertrauen,3) Glaubwürdigkeit und Ansehen infolge mangelnder oder mangelhafter Handlungsbereitschaft und Kommunikation kann dazu führen, dass sich Mitarbeiter,4) Geschäftspartner und Investoren5) – insbesondere in der Krise – (endgültig) von der Person oder dem Unternehmen abwenden.6) Im Beispiel 1 (siehe Rz. 2) verlor der Kapitän nach Bekanntwerden seines Verhaltens den 4 Rückhalt bei seinem Arbeitgeber und in der Bevölkerung. Die Presseberichterstattung zeigte, dass dem Kapitän weder Achtung noch Respekt gegenüber gebracht wurden, während der pflichtbewusst, besonnen und verantwortungsvoll handelnde Kommandant des Hafenamtes öffentlich als Held gefeiert wurde. In Krise und Insolvenz ist die Situation häufig gegeben, dass Mitarbeiter, Geschäftspartner 5 und Investoren eine aktive – auf Transparenz, Information und Beteiligung gerichtete – Unternehmenskommunikation von der Geschäftsleitung erwarten.7) Das Unternehmen und insbesondere seine externen Bezugsgruppen – Kreditinstitute, Lieferanten, Kunden, Bundesagentur für Arbeit, Steuer- und Finanzbehörden, politische Institutionen – stehen unter sehr hohem Zeit-, Handlungs- und Erfolgsdruck. Das Unternehmen befindet sich in einer wirtschaftlich ernst zu nehmenden, aber – dies ist dem Begriff der Unternehmenskrise immanent8) – nicht ausweglosen Lage und wird versuchen, durch geeignete Sanierungsmaßnahmen den Weg zurück in die Erfolgsspur zu finden. Hierzu reichen die unternehmensinterne Entwicklung eines Leitbildes für das sanierte Unternehmen und eines tauglichen Sanierungsplans9) durch die Geschäftsführung – ggf. unter Einschaltung eines externen Sanierungsberaters – im Regelfall allein nicht aus, denn das zu sanierende Unternehmen ist als einem wirtschaftlichen Zweck gewidmete Sach- und Personalgesamtheit in ein komplexes Beziehungsgeflecht mit unterschiedlichen internen Bezugsgruppen (Anteilseigner, Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Belegschaft, Betriebsrat, verbundene Konzernunternehmen) und externen Bezugsgruppen (Kreditinstitute, Lieferanten, Kunden, Bundesagentur für Arbeit, Steuer- und Finanzbehörden, politische Institutionen) eingebunden. Beim Auftreten von Krisensymptomen kommt es hier in Abhängigkeit von der jeweiligen wirtschaftlichen Betroffenheit und dem individuellen Näheverhältnis zum Krisenunternehmen zu unterschiedlichen (und teils irrationalen) Reaktionen. Verunsicherung und Zukunftssorgen können zu Abwanderungen führen, weil Beteiligte versuchen, sich dem Druck der Krise zu entziehen. Verschiedene Gläubiger können bestrebt sein, ihre wirtschaftlichen und persönlichen Interessen gegenüber der Unternehmensleitung durchzusetzen o___________ 3) 4)
5) 6) 7) 8)
9)
S. Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39. S. zur Kommunikation i. R. der Mitarbeiterführung Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39, 40; Breitsohl, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 13 Rz. 1; Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 34 ff. S. zur Reaktion von Banken Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 40. S. a. Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264. Hess, Sanierungshandbuch, S. 438 f.; Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39, 40. Zum Krisenbegriff Wilden, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 1 ff. und Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 4 ff; Moldenhauer, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 109. Zur Entwicklung eines Leitbildes des sanierten Unternehmens als Bestandteil des Insolvenzplans s. Frege/Nicht, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 D. I. 6., Rz. 127 – 148, sowie Hess, WPg 2009, 299, 300, und Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 11 ff.; Crone, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 87 ff.
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1. Teil Allgemeines
der zumindest angemessen zu sichern. Diese materiellen und persönlichen Positionen können im Einzelfall gegensätzlich sein. Da manche Beteiligte zu opportunistischem Verhalten neigen, können Verteilungskämpfe die Folge sein. Kommt es hier zu einer Verhärtung von gegensätzlichen Positionen, kann dies den ohnehin schwierigen Sanierungsprozess empfindlich stören. Das kann grundsätzlich nicht im Interesse der Unternehmensleitung sein.10) 6 Beispiel 2: Ein Industrieunternehmen fertigte Maschinen zum Druck von Presseartikeln. Aufgrund neuer technologischer Entwicklungen, der generell abnehmenden Bedeutung von Printmedien, der allgemeinen Zurückhaltung von Banken bei Kreditvergaben in der Folge der Finanz- und Staatsschuldenkrise und letztlich infolge des sich verändernden Marktumfeldes ging der Absatz zunehmend zurück mit der Folge, dass das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten geriet und schließlich den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen musste. Das Unternehmen produzierte an mehreren Standorten mit mehr als 6.000 Beschäftigten. Im Markt waren Konkurrenzunternehmen etabliert, die vergleichbare Produkte absetzen konnten. In der Presse wurde berichtet, dass die strukturellen Probleme im Marktumfeld des Unternehmens mittelfristig eine Marktbereinigung zur Folge haben könnten, zumal der Konkurrenz- und Preisdruck als sehr hoch eingestuft wurde. Mit dem Bekanntwerden der Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stiegen die Marktbewertungen der Konkurrenzunternehmen. Auf Belegschaftsebene wurden öffentliche Kundgebungen und Demonstrationen organisiert. 7 Fehlende oder mangelhafte Kommunikation kann in einer solchen Situation zur Folge haben, dass die Krisenmeldungen eine verstärkende Kraft entfalten. Es besteht die Gefahr, dass die Leistungsträger das Unternehmen verlassen und die Niederlegung der Arbeit durch die Belegschaft den Produktionsprozess behindert. 8 Beispiel 3: Nachdem am 15.8.2017 – inmitten der Hauptreisezeit in den Sommerferien – die Luftfahrtgesellschaft Air Berlin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht Berlin Charlottenburg gestellt hatte, erfolgte die einstweilige Fortführung des Geschäftsbetriebs auf der Finanzierungsgrundlage eines KfW-Kredits, der durch eine Bürgschaft der Bundesrepublik Deutschland gesichert und ermöglicht worden war. Ziel der Insolvenzschuldnerin war es, Teile des Unternehmens auf potenzielle Erwerber aus dem Wettbewerbsumfeld zu übertragen. Die Mitarbeiter, allen voran die Piloten der Luftfahrtgesellschaft, hatten die Befürchtung, entweder nicht oder nur zu deutlich verschlechterten Konditionen übernommen zu werden. Am 12.9.2017 kam es (spontan) zu einer Anhäufung von etwa 200 Krankmeldungen der Piloten, woraufhin zahlreiche Flüge gestrichen werden mussten. In der Presse wurde dies als „Wilder Streik“ eingeordnet. Nach Presseberichten waren an dem Tag aufgrund unterschiedlicher Umstände 500 von insgesamt 1.500 Piloten ausgefallen, so dass nahezu die gesamte Flugzeugflotte der insolventen und nunmehr staatlich gestützten Gesellschaft am Boden bleiben musste. Die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs wurde als bedroht angesehen. Daraufhin kommunizierte das Management schriftlich mit den Beteiligten wie folgt: „Heute ist ein Tag, der die Existenz der Air Berlin bedroht. In einem schlechteren Licht kann ein Unternehmen gar nicht dastehen als die Air Berlin am heutigen Tage. Gerade in dieser angespannten Situation sind die heutigen Ereignisse pures Gift.“ 9 Es liegt nahe, dass potenzielle Kunden angesichts des drohenden Zusammenbruchs auf Konkurrenzprodukte und Konkurrenzdienstleistungen zurückgreifen bzw. Aufträge stornieren. Die Kündigung der Kreditversorgung durch die finanzierenden Banken würde den endgültigen Zusammenbruch und Werteverfall zur Folge haben. 10 Deshalb sollte die Unternehmensleitung im Blick haben, dass eine erfolgreiche Sanierung – innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahren – in aller Regel voraussetzt, dass ___________ 10) Vgl. auch Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 1 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
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sämtliche Interessenträger in den verschiedenen Bezugsgruppen inhaltlich und auch kommunikativ adäquat in den Sanierungsprozess eingebunden und ggf. geführt werden müssen.11) Hierzu sind besondere persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Handelnden12) im Bereich der Unternehmenskommunikation erforderlich, aber auch die Kenntnis der Methoden und Konzepte für Kommunikation und für Verhandlungsführung in schwierigen Situationen, die sofort eingesetzt werden müssen.13) „Unternehmenskrisen gehen oft mit Kommunikationskrisen einher.“ heißt es wohl nicht ganz zu Unrecht im Schrifttum.14) Die Bedeutung der Kommunikation für die Bewältigung von Krise und Insolvenz zeigt sich 11 ferner, wenn von den Beteiligten schwierige Entscheidungen i. R. des Sanierungsprozesses erwartet werden, d. h. wenn es die Unternehmensleitung nicht selbst in der Hand hat, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen umzusetzen, weil z. B. Eigenkapitalzuführungen,15) Kreditgewährungen und Stundungen,16) Forderungsverzichte17) oder Vertragsanpassungen erforderlich werden. Denn hier orientieren sich Beteiligte häufig an einer wirtschaftsrechtlichen Grundregel, wonach unternehmerische Ermessensentscheidungen auf unsicherer Tatsachen- und Entscheidungsgrundlage – und um solche Sachverhalte und Entscheidungen wird es in der Unternehmenssanierung im leistungswirtschaftlichen und im finanzwirtschaftlichen Bereich gehen – von den Entscheidern nur auf der Grundlage angemessener Information getroffen werden dürfen (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).18) Dies können sein:
12
Kreditvergabeentscheidungen von Banken und Lieferanten bzw. Entscheidungen über die Beendigung bzw. Nichtbeendigung von laufenden Krediten,19)
Entscheidungen über die Gewährung von Eigenkapital oder Darlehensverzicht durch die Gesellschafter des Unternehmens,
Entscheidungen über den Umtausch von Forderungen gegen Übernahme von Gesellschaftsanteilen (Debt-Equity-Swap),
___________ 11) Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39 f.; Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 266 ff. 12) S. auch Stapper, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 16 Rz. 1 ff. 13) Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, S. 77 ff.; Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 17 ff.; Homuth, Wirksame Krisenkommunikation, 2000, S. 18 ff.; Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, 3.3, S. 40 ff.; Salewski, Die Kunst des Verhandelns, S. 117 ff.; Saner, Verhandlungstechnik, S. 13 ff.; Schranner, Teure Fehler, S. 169 ff.; Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 99 ff.; Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 271 ff.; Stapper, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 16 Rz. 5 ff.; Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 82 ff.; Wachs, Faktor V – Die fünf Phasen erfolgreichen Verhandelns, 2012, S. 21 ff.; Weisbach/Sonne-Neubacher, Professionelle Gesprächsführung, 7. Aufl., 2008, S. 107 ff. 14) Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, 3.4, S. 41. 15) Hierzu Crone/Kreide, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 186 ff. 16) Crone/Kreide, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 159 ff., 163 ff. 17) Crone/Kreide, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 189 ff. 18) Zur unternehmerischen Ermessensentscheidung im Insolvenzumfeld Kebekus/Zenker, in: FS MaierReimer, 2010, S. 319 ff.; zu unternehmerischen Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters Frege/Berger, ZIP 2008, 204 ff., und Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht, in: FS Wellensiek, 2011, S. 291 ff.; Uhlenbruck, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 1603 f.; Jungmann, NZI 2009, 80 ff.; monographisch Bönner, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich, 2009, S. 104 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, 2011, S. 114 ff., 135 ff. 19) Zur Kommunikation mit Banken und Lieferanten s. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 423 f.
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1. Teil Allgemeines
Entscheidungen über den Weiterbezug oder die Weiterbelieferung durch Kunden und Lieferanten,20)
Entscheidungen über Forderungsverzichte durch sämtliche Forderungsinhaber,
Entscheidungen über öffentliche Zuwendungen durch Verwaltungsträger.21)
13 Beispiel 4: Am 15.8.2017 gab die Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Brigitte Zypries, i. R. einer Pressekonferenz folgende Entscheidung der Bundesregierung bekannt, die der insolventen Fluglinie Air Berlin die Möglichkeit zur einstweiligen Fortsetzung des Geschäftsbetriebs gab: „Die Bundesregierung ist von Air Berlin informiert worden, dass die von ihrem Partner Etihad gegenüber Air Berlin gemachten schriftlichen Zusagen hinsichtlich der kurz- und mittelfristigen Sicherung der Zahlungsfähigkeit aufgekündigt worden sind. Air Berlin musste daher Insolvenzantrag stellen. Aufgrund der damit verbundenen insolvenzrechtlichen Regelungen wäre Air Berlin verpflichtet gewesen, den Flugbetrieb unmittelbar nach Einreichung des Insolvenzantrags einzustellen. Um die Flugtätigkeit von Air Berlin in dieser Situation aufrechterhalten zu können, hat die Bundesregierung entschieden, einen Übergangskredit in Höhe von 150 Millionen Euro zu gewähren. Dieser Übergangskredit wird durch die KfW zur Verfügung gestellt und durch eine Bundesbürgschaft abgesichert. Der Flugbetrieb von Air Berlin kann in vollem Umfang fortgeführt werden. Eine Einstellung des Flugbetriebs wird so vermieden. Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich mehrere Zehntausend Reisende sowie Urlauberinnen und Urlauber an verschiedenen internationalen Urlaubsorten und Destinationen aufhalten. Der Rückflug dieser Reisenden nach Deutschland mit Air Berlin wäre andernfalls nicht möglich gewesen. Kurzfristige Alternativen für einen Rückflug dieser Reisenden nach Deutschland waren nicht zu gewährleisten. Air Berlin befindet sich seit Längerem in Verhandlungen mit anderen Airlines. Die Verhandlungen von Air Berlin mit Lufthansa und einer weiteren Airline zur Veräußerung von Unternehmensteilen sind sehr weit fortgeschritten, so dass in den nächsten Wochen eine Entscheidung durch Lufthansa sowie eine weitere Airline finalisiert werden kann. Die Sicherstellung des Flugbetriebs und die positiv laufenden Vertragsverhandlungen mit weiteren Airlines zur Zusammenarbeit mit Air Berlin zur Fortführung des Flugverkehrs unter anderen Eigentümern waren für die Bundesregierung die maßgeblichen Gründe für die Entscheidung, einen Übergangskredit abgesichert durch eine Bundesbürgschaft zu gewähren.“ 14 Die angemessene Information der Entscheidungsträger setzt einen Kommunikationsprozess zwischen beiden Seiten – z. B. in Form der Erläuterung von Sanierungsplan und Finanzplan – voraus, der die Übermittlung von entscheidungserheblichen Inhalten zum Gegenstand hat. Hier wird die Unternehmensleitung regelmäßig bestrebt sein, den Entscheidungsvorgang bei der Gegenseite im Unternehmensinteresse bereits mitzugestalten, denn Kommunikation wird im Lichte einer vorgegebenen Zielsetzung ablaufen.22) 15 Dies vorausgesetzt sollte zwingend – und besonders im aufgeheizten Klima23) einer Unternehmenskrise – beachtet werden, dass Kommunikation nicht lediglich auf der sachlichen Ebene der objektiven Zahlen, Daten und Fakten (sog. „Sachebene“, die überwiegend mit ___________ 20) Zur Kommunikation mit Kunden s. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 443. 21) Zur Kommunikation mit Behörden u. a. s. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 444. 22) S. die Definition bei Bruhn, Kommunikationspolitik, 1.1, S. 3: „Kommunikation bedeutet die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.“ 23) Vgl. Stapper, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 16 Rz. 1 ff.; Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 83 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
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sog. digitalen Informationen besetzt ist) stattfindet.24) Die konkrete Art und Weise der Informationserteilung, ihr Umfang und ihre sprachliche Ausgestaltung, schließlich die Form und Übermittlungsart und die zeitliche Einordnung lassen vielfältige Schlüsse auf die Persönlichkeit, die Struktur und Organisation des Absenders zu (sog. „Selbstoffenbarungsebene“),25) des Weiteren auf sein Verständnis von der personalen Beziehung zum Informationsempfänger (sog. „Beziehungsebene“)26) und schließlich auf seinen Erwartungshorizont im Hinblick auf das zukünftige Verhalten des Informationsempfängers und weiterer Beteiligter (sog. „Appellebene“).27) Kommunikation ist deshalb qualitativ weitaus mehr als der Transport von entscheidungserheblichen Daten und Fakten, weil besonders im personalen Bereich zahlreiche wichtige Inhalte auch auf den drei anderen Nachrichtenebenen übermittelt werden. Beispiel 5: Ein vormaliger Ministerpräsident eines Bundeslandes und späteres Staatsorgan der 16 Bundesrepublik Deutschland geriet in den Verdacht, in seiner Zeit als Ministerpräsident aus der Hand eines befreundeten Unternehmers einen Kredit zu besonders günstigen Konditionen erhalten zu haben. Auf eine entsprechende Anfrage im Landtag hin gab der Betroffene zunächst im Februar 2010 die Auskunft, er habe keine wirtschaftlichen Beziehungen zu dem entsprechenden Unternehmer, der auch als Teilnehmer von Auslandsreisen den Ministerpräsidenten zuvor begleitet hatte, in den vergangenen 10 Jahren unterhalten. Eine Tageszeitung informierte den Betroffenen im Dezember 2011 darüber, dass ein Beitrag unmittelbar zur Veröffentlichung vorgesehen sei, wonach der Betroffene im Landtag nicht die zutreffenden Tatsachen geschildert habe. Der Betroffene rief sowohl den Chefredakteur als auch den Vorstandsvorsitzenden des Verlagshauses persönlich auf deren Mobiltelefon an und bekundete in scharfem Ton seinen Unmut und Ärger über die geplante Veröffentlichung. Drei Tage später erklärte er im Anschluss an entsprechende Berichterstattung in der Presse, den Kredit zu marktgerechten Konditionen aus der Hand der Ehefrau des Unternehmers bekommen zu haben. Zudem sei das Darlehen zwischenzeitlich abgelöst worden durch ein Darlehen einer Tochtergesellschaft einer Landesbank, welches nunmehr in ein langfristiges Bankdarlehen „festgeschrieben“ worden sei. Sämtliche Details dieses Vorgangs wurden fortan unter dem Stichwort „Kredit- und Medienaffäre“ umfassend in den Medien kritisch erörtert. Die zögerliche, wichtige Informationen zurückhaltende und sich in den Details teilweise 17 widersprechende Kommunikation des Betroffenen hat zu einem schweren Glaubwürdigkeits- und Ansehensverlust des Betroffenen geführt, der auch durch ein späteres Fernsehinterview in den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF nicht kompensiert werden konnte. Insbesondere die Anrufe in der Redaktion und beim Vorstand des Verlagshauses haben in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer massiven Beschädigung des öffentlichen Ansehens des Amtsträgers geführt. Insbesondere der – auf der Mailbox aufgezeichnete – Anruf bei dem Chefredakteur der Tageszeitung wurde später nahezu ausschließlich auf der Selbstoffenbarungsebene, der Beziehungsebene und besonders auf der Appellebene wahrgenommen und medial und politisch ausgewertet. Hieraus wurde vielfach der Schluss auf die fehlende persönliche und fachliche Eignung für die Übernahme des Staatsamtes abgeleitet. Diese Gefahr droht für Unternehmensvorstände und Geschäftsführer gerade auch i. R. eines Eigenverwaltungsverfahrens in gleicher Art und Weise.
___________ 24) 25) 26) 27)
Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 47 f. Hierzu i. E. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 54 f. Hierzu i. E. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 51 f. Hierzu i. E. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 58 f.
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1. Teil Allgemeines
18 In Krise und Insolvenz sind die Kommunikationsprozesse nicht auf Informationserteilungen beschränkt, wenngleich die angemessene Information der Beteiligten eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Einbindung in den Sanierungsplan bilden dürfte.28) Die Planverwirklichung ist im Grundsatz nur im Konsens möglich.29) 19 Neben der Informationserteilung ist die Unternehmensleitung damit befasst, Meinungen, Einstellungen und Erwartungen d. h. Umstände, die einer objektiven Verifizierung nicht zugänglich sind und damit in hohem Maße der persönlichen subjektiven Wahrnehmung unterliegen zu beeinflussen und zu steuern, ferner verschiedene wirtschaftliche Entscheidungen – die mit sehr weitreichenden Zugeständnissen verbunden sein können – vorzubereiten, zu verhandeln, inhaltlich auszugestalten, umzusetzen und zu vermitteln. In diese Kategorie von wirtschaftlichen Entscheidungen fallen die originären geschäftlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung (z. B. die Anpassung des Mitarbeiterstamms, die Vornahme gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen durch Übertragung von Geschäftsanteilen etc.), aber auch die Entscheidungen externer Beteiligter (z. B. Forderungsverzichte der Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans etc.), die in das Kommunikationskonzept des Unternehmens integriert werden müssen. 20 Die nachfolgenden Darstellungen geben dem Praktiker einen Überblick über Techniken und Methoden zur Erstellung eines Kommunikationskonzepts in Krise und Insolvenz. Hierbei werden Erkenntnisse aus den Fachbereichen Psychologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaft zugrunde gelegt und mit den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Maßgaben zur Krisenbewältigung zusammengeführt. Anhand der im Folgenden weiterzuentwickelnden Beispiele 1 bis 5 können Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation im Allgemeinen aufbereitet und im Hinblick auf die Insolvenzsituation dargestellt werden. In jüngerer Zeit hat sich gezeigt, dass auch Konzernunternehmen von der Insolvenz erfasst werden können. Da das deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzrecht kein konsolidiertes Konzerninsolvenzverfahren kennt, ist die Eröffnung parallel verlaufender Insolvenzverfahren über die Vermögen der beteiligten Konzernunternehmen die regelmäßige Folge. Insoweit werden Teile eines Unternehmens in rechtlich eigenständigen Insolvenzverfahren verwaltet, was bei fehlender Koordination dieser Verfahren zu einem materiellen Wertverlust führen kann. Eine große Herausforderung besteht neben der verfahrensmäßigen und wirtschaftlichen Koordination30) in der Koordination der Unternehmenskommunikation, die im besten Fall über eine zentrale Konzerngesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter gesteuert werden sollte. II.
Grundlagen der Unternehmenskommunikation
1.
Einleitung
21 Die Kommunikation eines Unternehmens mit seinen verschiedenen Bezugsgruppen in Krise und Insolvenz kann nicht losgelöst von seiner allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung betrachtet werden. Sowohl Krise als auch Insolvenz sind Stadien eines grundsätzlich entwicklungsoffenen wirtschaftlichen Zyklus, der mit der Aufnahme der Betriebstätigkeit beginnt und möglicherweise – aber nicht zwangsläufig – in der Insolvenz des Unternehmens ___________ 28) Zum Informationsumfang im darstellenden Teil des Insolvenzplans Frege/Nicht, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 D. I. 6., Rz. 127 ff.; Mai, Insolvenzplanverfahren, Teil 2, J., S. 187 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, C. II., Rz. 121 ff. 29) Zu den Anforderungen an die Annahme eines Insolvenzplans Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 D. III., Rz. 230 ff.; Mai, Insolvenzplanverfahren, Teil 3, D.–N., S. 293 ff. 30) S. Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, 2012, S. 184 ff.; Nicht, Konzernorganisation und Insolvenz, S. 137 ff.; Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, 2011, S. 134 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, F. V.-IX., Rz. 431 – 498.
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§5
1. Teil Allgemeines
18 In Krise und Insolvenz sind die Kommunikationsprozesse nicht auf Informationserteilungen beschränkt, wenngleich die angemessene Information der Beteiligten eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Einbindung in den Sanierungsplan bilden dürfte.28) Die Planverwirklichung ist im Grundsatz nur im Konsens möglich.29) 19 Neben der Informationserteilung ist die Unternehmensleitung damit befasst, Meinungen, Einstellungen und Erwartungen d. h. Umstände, die einer objektiven Verifizierung nicht zugänglich sind und damit in hohem Maße der persönlichen subjektiven Wahrnehmung unterliegen zu beeinflussen und zu steuern, ferner verschiedene wirtschaftliche Entscheidungen – die mit sehr weitreichenden Zugeständnissen verbunden sein können – vorzubereiten, zu verhandeln, inhaltlich auszugestalten, umzusetzen und zu vermitteln. In diese Kategorie von wirtschaftlichen Entscheidungen fallen die originären geschäftlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung (z. B. die Anpassung des Mitarbeiterstamms, die Vornahme gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen durch Übertragung von Geschäftsanteilen etc.), aber auch die Entscheidungen externer Beteiligter (z. B. Forderungsverzichte der Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans etc.), die in das Kommunikationskonzept des Unternehmens integriert werden müssen. 20 Die nachfolgenden Darstellungen geben dem Praktiker einen Überblick über Techniken und Methoden zur Erstellung eines Kommunikationskonzepts in Krise und Insolvenz. Hierbei werden Erkenntnisse aus den Fachbereichen Psychologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaft zugrunde gelegt und mit den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Maßgaben zur Krisenbewältigung zusammengeführt. Anhand der im Folgenden weiterzuentwickelnden Beispiele 1 bis 5 können Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation im Allgemeinen aufbereitet und im Hinblick auf die Insolvenzsituation dargestellt werden. In jüngerer Zeit hat sich gezeigt, dass auch Konzernunternehmen von der Insolvenz erfasst werden können. Da das deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzrecht kein konsolidiertes Konzerninsolvenzverfahren kennt, ist die Eröffnung parallel verlaufender Insolvenzverfahren über die Vermögen der beteiligten Konzernunternehmen die regelmäßige Folge. Insoweit werden Teile eines Unternehmens in rechtlich eigenständigen Insolvenzverfahren verwaltet, was bei fehlender Koordination dieser Verfahren zu einem materiellen Wertverlust führen kann. Eine große Herausforderung besteht neben der verfahrensmäßigen und wirtschaftlichen Koordination30) in der Koordination der Unternehmenskommunikation, die im besten Fall über eine zentrale Konzerngesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter gesteuert werden sollte. II.
Grundlagen der Unternehmenskommunikation
1.
Einleitung
21 Die Kommunikation eines Unternehmens mit seinen verschiedenen Bezugsgruppen in Krise und Insolvenz kann nicht losgelöst von seiner allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung betrachtet werden. Sowohl Krise als auch Insolvenz sind Stadien eines grundsätzlich entwicklungsoffenen wirtschaftlichen Zyklus, der mit der Aufnahme der Betriebstätigkeit beginnt und möglicherweise – aber nicht zwangsläufig – in der Insolvenz des Unternehmens ___________ 28) Zum Informationsumfang im darstellenden Teil des Insolvenzplans Frege/Nicht, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 D. I. 6., Rz. 127 ff.; Mai, Insolvenzplanverfahren, Teil 2, J., S. 187 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, C. II., Rz. 121 ff. 29) Zu den Anforderungen an die Annahme eines Insolvenzplans Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 D. III., Rz. 230 ff.; Mai, Insolvenzplanverfahren, Teil 3, D.–N., S. 293 ff. 30) S. Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, 2012, S. 184 ff.; Nicht, Konzernorganisation und Insolvenz, S. 137 ff.; Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, 2011, S. 134 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, F. V.-IX., Rz. 431 – 498.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
endet (vgl. § 1 InsO). Die Beziehungen des Unternehmens zu Kommunikationspartnern wurden meist weit vor der Krise begonnen und über viele Entwicklungsstadien hinweg auf- und ausgebaut. Diese bestehende Vernetzung darf in Krise und Insolvenz nicht zerstört werden. Es ist erforderlich, das krisen- und insolvenzspezifische Kommunikationskonzept an das bereits vorliegende allgemeine Konzept der Unternehmenskommunikation anzubinden und entsprechend den stattfindenden Veränderungen fortzuentwickeln. In dem Beispiel 2 (siehe Rz. 6) des insolventen Maschinenherstellers ist es erforderlich, um- 22 gehend Kontakt mit den Kunden des sich in der Krise befindlichen Unternehmens aufzunehmen.31) Wenn die Kunden erste Krisensignale wahrnehmen, werden sie üblicherweise Versorgungsalternativen in den Blick nehmen. Das noch vorhandene – langfristig aufgebaute – Vertrauen in das nunmehr angeschlagene Unternehmen muss gestützt und durch die Geschäftsleitung aktiv ausgebaut werden. Hierzu sind die bestehenden Kontakte zwischen den verschiedenen Abteilungen von großer Bedeutung. Die Unternehmensleitung muss sich unverzüglich einen Überblick über die Belieferungsmöglichkeiten verschaffen und nach interner Verarbeitung aller Daten mit der Marktgegenseite Gespräche aufnehmen. 2. 2.1
Allgemeine Unternehmenskommunikation Anwendungsfeld der Unternehmenskommunikation
Kommunikation wurde definiert als Übermittlungsvorgang im Hinblick auf Informationen 23 und Bedeutungsinhalte, der dem Zweck dient, Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen zu steuern.32) Insoweit beschreiben die Begriffe „Betriebliche Kommunikationspolitik“ und „Unternehmenskommunikation“ eine Ausrichtung der Kommunikationsvorgänge auf die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird Unternehmenskommunikation als eine Auf- 24 gabe der Unternehmensleitung beschrieben, nämlich als das Management von betriebsbezogenen Kommunikationsprozessen, die zwischen dem Unternehmen und seinen internen und externen Lebensbereichen ablaufen.33) Hierbei soll das Management die Werte und Interessen der jeweils beteiligten internen und externen Bezugsgruppen ermitteln, diese in das unternehmerische Handeln einbeziehen und die Kommunikationsprozesse entsprechend gestalten. Ziel ist es, durch den Einsatz der Kommunikation einen veränderten Erwartungshorizont, die oben beschriebenen Meinungs- und Verhaltensänderungen zu bewirken und hierdurch kommerzielle Effekte auszulösen (Absatz-, Umsatz-, Deckungsbeitragsund Gewinnveränderungen).34) Die Ausgestaltung i. E. findet in den verschiedenen unternehmerischen Funktionsfeldern statt. Diesbezüglich werden in der Fachliteratur unterschiedliche Einteilungsvorschläge unterbreitet. Sinnvoll erscheint es, im Hinblick auf die Ausrichtung der Kommunikationspolitik zunächst nach internen und externen Dimensionen zu unterscheiden und schließlich nach der Art der Adressaten. Auf dieser Grundlage differenziert man grundsätzlich zwischen der Unternehmenskommunikation im engeren Sinne (Corporate Advertising, Corporate Sponsoring, Corporate Public Relations), die vornehmlich der Prägung des institutionellen Erscheinungsbilds des Unternehmens in der Öffentlichkeit dient, der Marketingkommunikation, die der Förderung des Verkaufs von Produkten und Dienstleistungen dient, und der Dialogkommunikation, die den Aufbau ___________ 31) 32) 33) 34)
S. auch Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39, 40. Bruhn, Kommunikationspolitik, 1.1, S. 3. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil I, Kap. 1, 4., S. 24. Bruhn, Kommunikationspolitik, 1.1, S. 5.
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§5
1. Teil Allgemeines
und die Vertiefung von Kundenkontakten zum Gegenstand hat.35) Unter externer Unternehmenskommunikation wird die Marktkommunikation mit Lieferanten, Konsumenten und Non-Profit-Organisationen verstanden, während die interne Unternehmenskommunikation auch unter dem Begriff der Mitarbeiterkommunikation erfasst wird.36) 25 In der Krise und Insolvenz muss die Unternehmensleitung umgehend Kommunikationsprozesse in Gang bringen, um die Stellung des Unternehmens im Markt und dessen Substanz zu schützen. 26 In dem Beispiel 1 (siehe Rz. 2) muss die Unternehmensleitung unverzüglich die Öffentlichkeit zutreffend und umfassend informieren, noch bevor die an Bord des Kreuzfahrtschiffes durch Smartphones aufgenommenen Bilder und Filme im Internet veröffentlicht sind und bevor Behörden und Politik die Kommunikationshoheit an sich ziehen. Dies gilt auch für die insolvente Luftfahrtgesellschaft in Beispiel 3 (siehe Rz. 8) und 4 (siehe Rz. 13) im Hinblick auf die Passagiere, welche sich in ihren Urlaubsorten befinden. Es sind die Grundregeln der Krisenkommunikation einzuhalten, wonach unverzüglich, sachlich und faktenorientiert, neutral, präzise, umfassend und direkt zu kommunizieren ist. Auf emotionalisierende Elemente und persönliche Meinungen und Bewertungen ist zu verzichten. Der Informationsgehalt ist streng darauf auszurichten, was die Betroffenen in der akuten Situation zwingend wissen müssen. Es sind Orientierungspunkte zu liefern, an denen sich die Betroffenen ausrichten können (handlungsleitende Informationen). Ihnen muss eine Handlungshilfe angeboten werden. Es ist umgehend Verantwortung durch das Unternehmen zu übernehmen. Schuldzuschreibungen sind zu unterlassen. Es ist ferner unverzichtbar, sachlich und mit dem nötigen Respekt vor den Verletzten und den Angehörigen zu den Ursachen, den bereits eingetretenen und den prognostizierten Folgen aufrichtig Stellung zu nehmen, bevor Gerüchte und Unwahrheiten den Ruf und den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens nachhaltig gefährden können. Angesichts der hohen medialen Verbreitungsgeschwindigkeit ist der Ermessens- und Handlungsspielraum der Geschäftsleitung extrem eingeschränkt. Die Kommunikation richtet sich ferner an potenzielle Kunden anderer Kreuzfahrtschiffe der betroffenen Gesellschaft. 2.2 Kommunikationskonzepte 27 Ziel der Unternehmenskommunikation ist es, situativ passende Kommunikationskonzepte zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen. Bei der Aufstellung eines Kommunikationskonzepts sollte sich die Unternehmensleitung an den Regeln des strategischen Managements orientieren, aus denen sich auch im Hinblick auf die Bewältigung von Kommunikationsaufgaben ein mehrstufiger Prozess ableiten lässt: Definition von konkreten Aufgaben und Zuständigkeiten, Festlegen von inhaltlichen Kernbereichen, Identifizierung und Ausarbeitung von Zielgebieten, Auswahl und Formulierung der Ziele, Vorbereitung des Maßnahmenkatalogs, Festlegen der Mechanismen für eine Erfolgskontrolle, Konzept vorstellen, Umsetzung.37)
___________ 35) Bruhn, Kommunikationspolitik, 1.1, S. 4. 36) Bruhn, Kommunikationspolitik, 1.1, S. 6. 37) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.1, S. 132 f.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Im Rahmen dieser Prozessplanung soll unter der Rubrik „Maßnahmenkatalog“ berück- 28 sichtigt werden, dass grundlegende Themenstrategien entwickelt wurden, mit denen das Kommunikationskonzept umgesetzt werden kann. Grundsätzlich empfehlen die Autoren eine offene, transparente und klare Kommunikation.38) Dies bedeutet, dass alle Umstände, die für die Beurteilung eines Sachverhalts notwendig, erforderlich und geeignet sind, offengelegt werden sollten. Dies gilt auch für nachteilige Umstände. Insofern sollten die Unternehmen kritisch mit sich selbst umgehen. Hierbei sind selbstverständlich die gesetzlichen Grenzen der Geheimhaltung und Vertraulichkeit zu berücksichtigen. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn die Gefahr besteht, aus kommunikativen Gründen die im Schrifttum gezeigten Strategien bewusst manipulativ und zum Nachteil der Bezugsgruppen einzusetzen. Die in der Literatur untersuchten Strategien können eine Kommunikation im Grundsatz nur ergänzen. Sie sind in ihrer Tendenz jedoch oft manipulativ und werden insbesondere eingesetzt, um Beteiligte im Ungewissen zu lassen. Nachstehend werden einige Strategien benannt, welche die Beteiligten kennen sollten, um sie ggf. kritisch zu würdigen:
„Huckepack-Strategie“ = Versuch, das eigentliche Anliegen des Unternehmens hinter zustimmungsfähigen oder weniger streitanfälligen Themen zu verbergen,39)
„Minen-Strategie“ = Versuch, ein sehr streitanfälliges, aber unwichtiges Thema vorzuschieben, um der Diskussion die Energie zu nehmen und dann bei abflauendem Widerstand das wichtige Thema nachzuschieben,40)
„Ablenkungs-Strategie“ = Versuch, die relevante Zielgruppe durch weitere Themen anzusprechen, bevor das wichtige Thema platziert wird,41)
„Testimonial-Strategie“ = Versuch, das Anliegen in der Bedeutung aufzuwerten, indem es durch einen besonders glaubwürdigen Absender präsentiert wird,42)
„Homöopathie-Strategie“ = Versuch, die negativ aufgeladene Information in kleine Einheiten zu zerlegen und innerhalb eines Gewöhnungsvorgangs an die Zielgruppe zu übermitteln.43)
Bei einer Katastrophe oder Havarie wie in Beispiel 1 (siehe Rz. 2) oder einem Unterneh- 29 menszusammenbruch mit sehr vielen Betroffenen wie in Beispiel 2 (siehe Rz. 6), Beispiel 3 (siehe Rz. 8) und 4 (siehe Rz. 13) sind diese Themenstrategien im Grundsatz nicht geeignet. Die überraschende, akute Krise mit sehr hohem Schadenspotenzial erfordert schnelles, sachliches, aufrichtiges, durchgreifendes und von Respekt, Durchsetzungswillen und Verantwortungsbewusstsein getragenes Handeln. In der Politik ist oft – wie Beispiel 4 (siehe Rz. 13) und 5 (siehe Rz. 15) verdeutlichen – 30 zu beobachten, dass die gezeigten Themenstrategien verwendet werden. Insbesondere die Zerlegung des Problems und stückweise Kommunikation wird häufig verwendet, um Zeit zu gewinnen und den Eindruck unzweckmäßigen oder unrechtmäßigen Handelns abzuschwächen. Im Hinblick auf Krise und Insolvenz sind dies aber keine tauglichen Mittel. Während in der Politik lediglich die Gefahr besteht, dass sich infolge des Glaubwürdigkeits___________ 38) Für die Insolvenz Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 85. 39) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 136. 40) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 136. 41) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 137. 42) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 137. 43) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 137.
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§5
1. Teil Allgemeines
und Ansehensverlustes Wählergruppen abwenden, kann bei einem Unternehmen fehlerhafte Kommunikation leicht zum Scheitern von Sanierungsbemühungen führen. 31 Bei der Erstellung des Kommunikationskonzepts ist darauf zu achten, dass:
der Kommunikator als glaubwürdig empfunden wird, d. h. seine Kompetenz im Hinblick auf das zu vermittelnde Thema nicht in Frage steht,
das Kommunikationsprogramm sich in den inhaltlichen Kontext einfügt,
die übermittelte Nachricht für den Empfänger eine Bedeutung hat bzw. einen Nutzen bewirkt,
die übermittelte Nachricht einfach formuliert ist,
die übermittelte Nachricht in sich konsistent ist und dem bisherigen Verlauf des Kommunikationsprozesses nicht widerspricht,
die bereits angelegten und bekannten Kommunikationskanäle benutzt werden,
die Aufnahmefähigkeiten der Kommunikationsempfänger richtig eingeschätzt werden.44)
32 Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) der insolventen Maschinenfabrik sowie im Beispiel 3 (siehe Rz. 8) und 4 (siehe Rz. 13) der insolventen Fluglinie besteht eine Schwierigkeit darin, einen geeigneten Kommunikator zu finden, denn in der subjektiven Wahrnehmung vieler Beteiligten liegt es nahe, dem bisherigen Management nicht mehr zu vertrauen, weil es auf Marktentwicklungen möglicherweise langfristig nicht zutreffend reagiert hat. Anders als bei einer überraschenden Krise wie in Beispiel 1 (siehe Rz. 2) wird man hier dem Management oft nicht zutrauen, die Krise angemessen zu beherrschen und zu beantworten. Insoweit könnte die Einbeziehung eines unbefangenen und sachlich geschulten Kommunikators von Vorteil sein.45) Er ist nicht mit den negativen Entwicklungen im Vorfeld der Krise belastet und kann oft auch die Kommunikationsbedürfnisse der Beteiligten besser und rationaler einordnen.46) Politische Verantwortungsträger sind jedoch aufgrund der fehlenden Neutralität und Unvoreingenommenheit nicht geeignet. Zudem wird man ihnen die erforderlichen einschlägigen Sach- und Fachkenntnisse regelmäßig nicht zuschreiben. Für einen glaubhaften und glaubwürdigen Kommunikator ist ein vertieftes Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge jedoch von großer Bedeutung, da die Rezipienten der Kommunikation ihm Vertrauen gewähren sollen. 33 Schließlich wird im Unternehmen anhand des Kommunikationskonzepts eine konkrete Umsetzungsstrategie anhand folgender Fragen entwickelt:
Welche Ziele sollen erreicht werden?
Mit welchen Inhalten sollen die Ziele erreicht werden?
Mit welchen Mitteln sollen die Ziele erreicht werden?
Wann sollen die Ziele erreicht werden?
Wer kommt als Kommunikator in Betracht?
Welche Zielgruppen sind hierbei relevant?47)
___________ 44) 45) 46) 47)
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Zu dem Vorstehenden s. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 137, 138. S. Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 20 ff. Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 24 ff. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.3, S. 138, 139.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren 2.3
§5
Zielgruppen der Unternehmenskommunikation
2.3.1 Abgrenzung Anspruchsgruppen – Zielgruppen An dieser Stelle sind zunächst Zielgruppen der Unternehmenskommunikation begrifflich 34 von Anspruchsgruppen des Unternehmens zu trennen, um so das Handlungspotenzial für ein Kommunikationskonzept zu ermitteln. Zu einer Anspruchsgruppe steht das Unternehmen meist in einem Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis, so dass man unter Anspruchsgruppen typischerweise Lieferanten, Investoren, Mitarbeiter und Kunden erfasst.48) In einer Zielgruppe werden dagegen nur diejenigen Personen zusammengefasst, denen 35 das gleiche Kernmotiv im Hinblick auf deren Handlungen zugeordnet wird und die durch eine bestimmte Kommunikationsmaßnahme gemeinsam angesprochen werden sollen.49) Es zeigt sich häufig, dass Anspruchs- und Zielgruppen (teil-)identisch sein können. In dem Beispiel 1 (siehe Rz. 2) des havarierten Kreuzfahrtschiffes sind Anspruchsgrup- 36 pen zunächst die Fahrgäste, die Mitarbeiter und ggf. die Rettungskräfte bzw. Behörden. Zielgruppen der Unternehmenskommunikation sind davon abweichend die sich in Gefahr befindlichen Personen an Bord des Schiffes und in den Rettungsboten, die Rettungsmannschaften, die Behörden, die Angehörigen, zukünftige Kunden, die bereits Reisen gebucht haben, das Kapitalmarktpublikum, die Ratingagenturen, die Versicherer. Die Schiffskatastrophe hat weitreichende Folgen für das Unternehmen. In den Zielgruppen der Unternehmenskommunikation sind auch Personen und Organisationen zu erfassen, die bislang nicht oder nur in losem Kontakt zum Unternehmen standen. Da betriebliche Kommunikationsmaßnahmen regelmäßig auf Zielgruppen zugeschnitten 37 werden, ist es in der Praxis von großer Bedeutung, die Zielgruppen möglichst genau zu identifizieren. Hierzu bedient man sich bestimmter Strukturierungskriterien:50)
Homogenität im Hinblick auf das relevante Merkmal,
Verwendungsrelevanz im Hinblick auf angebotene Leistung,
Kommunikationsrelevanz der Empfänger,
zeitliche Stabilität der Kriterien,
Messbarkeit des Kommunikationserfolgs,
Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Kommunikationsempfänger.
Im Hinblick auf das relevante Merkmal, nach dem die Zielgruppen unterschieden werden 38 können, grenzt die Kommunikationswissenschaft allgemeine (strategische) Oberziele, die eher eine Richtung für das Handeln angeben, von speziellen (operativen) Unterzielen ab, die sich in der täglichen operativen Arbeit konkret auswirken.51) Dies können ökonomische und außerökonomische Ziele sein:
Kognitiv-orientierte Kommunikationsziele (Wissen, Informationen, Kenntnisse),
affektiv-orientierte Kommunikationsziele (Gefühle, Interessen, Einstellungen),
konativ-orientierte Kommunikationsziele (Handlung, Verhalten),
sozial-orientierte Kommunikationsziele (Beziehung, Verständnis).52)
___________ 48) Bruhn, Kommunikationspolitik, 6.1, S. 203.; Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 1.1, S. 117 ff. 49) Bruhn, Kommunikationspolitik, 6.1, S. 204. 50) Bruhn, Kommunikationspolitik, 6.2, S. 206 ff. 51) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.1, S. 133. 52) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil II, Kap. 4, 3.1, S. 134.
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§5
1. Teil Allgemeines
2.3.2 Typischer Kommunikationsbedarf 39 Auf der Basis dieser Strukturierungsmerkmale wurden aufgrund statistischer Untersuchungen bestimmte Kernzielgruppen der Unternehmen ermittelt, bei denen jeweils ein typischer Kommunikationsbedarf gegeben ist:53) Zielgruppe/ Informationsbedarf
Kunden
Art
Massen- oder IndividualMassen- oder Massen- oder Massen- oder Individualkommunikation IndividualIndividualIndividualkommunikation kommunikation kommunikation kommunikation
Individualkommunikation
Massenkommunikation
Form
Absatzmittler
Investoren
Öffentlichkeit
Mitarbeiter
Persönlich oder unpersönlich, mündlich
Persönlich, mündlich
Persönlich oder unpersönlich, schriftlich
Unpersönlich, schriftlich
Persönlich oder unpersönlich, mündlich und schriftlich
Intensität Häufigkeit
Selten, sporadisch
Sporadisch
Häufig
Sporadisch
Häufig
Dauer Zeithorizont
Kurze Kontaktsequenz
Mittlere Kontaktsequenz
Mittlere Kontaktsequenz
Kurze Kontaktsequenz
Hohe Kontaktsequenz
Häufigkeit
Ereignisbezogen (z. B. Produkteinführung)
Ereignisbezogen (z. B. Produkteinführung)
Regelmäßig (z. B. quartalsweise) sowie ereignisbezogen (z. B. Kapitalerhöhung)
Regelmäßig sowie ereignisbezogen (z. B. Unternehmensevent)
Regelmäßig
Schriftlich
Persönlich
Mündlich
Online
Quelle: Bruhn, Kommunikationspolitik, 6.2, S. 214.
2.3.3 Mitarbeiterkommunikation 40 Aus unternehmerischer Sicht ist es wichtig, die interne Unternehmenskommunikation mit den Mitarbeitern optimal zu gestalten, da hiervon ganz wesentlich der unternehmerische Erfolg abhängt. Dies gilt in der Krise und Insolvenz eines Unternehmens in besonderem Maße, da aufgrund der meist ungewissen Zukunft die Motivation der Mitarbeiter in Frage gestellt sein kann bzw. bei den Leistungsträgern die Tendenz gegeben ist, das Unternehmen zu verlassen.54) 41 Regelmäßig beruht die interne Unternehmenskommunikation mit den Mitarbeitern auf den folgenden Zielvorstellungen:55)
Durch die Übermittlung von Informationen soll die optimale Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter ermöglicht werden.
Die Erfahrungen und Kenntnisse (Know-how) der Mitarbeiter sollen mobilisiert und das Engagement im Betrieb soll erhalten und weiter gefördert werden (Motivation/Wissen/ Veränderungsbereitschaft).
___________ 53) Bruhn, Kommunikationspolitik, 6.2, S. 213. 54) S. nochmals Hess, Sanierungshandbuch, S. 439 f. 55) Aufstellung nach Mast, Unternehmenskommunikation, Teil III, Kap. 8, 1., S. 220 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und deren Identifikation mit dem Unternehmen sollen erhalten und gesteigert werden (Motivation/Integration/Identifikation).
Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Mitarbeiter in das Unternehmen und seine Leitungsgremien sollen langfristig gesichert und nach Möglichkeit erhöht werden (Vertrauen/Glaubwürdigkeit/gutes Betriebsklima).
Die Arbeitsabläufe im Unternehmen sollen koordiniert und vernetzt werden.
Die Kommunikation mit den Mitarbeitern soll grundsätzlich nach folgender Themen- 42 struktur stattfinden:56)
Entstehung und Tradition des Unternehmens,
Ablauf der Geschäftsprozesse und Struktur des Unternehmens,
Aufgaben und Ziele der Mitarbeiter,
Entscheidungszuständigkeit und Verantwortlichkeit,
Zukunftsplanung und -sicherung,
Ordnung, Normen, Regelwerke,
Identität und Integration,
Problembewältigung und Fehleranalyse,
Legalität und Legitimität von Entscheidungen.
In dem Beispiel 2 (siehe Rz. 6) des insolventen Industrieunternehmens sind besonders 43 die Problembewältigung und die Fehleranalyse in den Vordergrund zu stellen, da es hiervon abhängen wird, ob die Belegschaft zukünftig der Führungsfähigkeit des Managements vertrauen und sich an den Sanierungsbemühungen beteiligen wird. Die Verantwortlichkeit für den Zustand ist zwar intern zu ermitteln und festzustellen, sollte bei der Krisenkommunikation jedoch nicht im Vordergrund stehen. Das Kommunikationskonzept muss zukunftsgerichtet sein und die Lösungsmöglichkeiten vermitteln. Zudem wird es in der Belegschaft Mitarbeitergruppen geben, die dem Management nach wie vor vertrauen und durch Bloßstellungen und Schuldzuweisungen zu einem Abwehrverhalten animiert werden. Auch kann im Markt der Eindruck entstehen, dass das Unternehmen „zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist“. Infolge dessen könnten Kundenkontakte gefährdet sein. 2.3.4 Kundenkommunikation Für die langfristige Unternehmenskommunikation mit den Kunden wurden Schlüssel- 44 merkmale analysiert, die dem Unternehmen helfen sollen, in einem zunehmend schwieriger werdenden Marktumfeld das angemessene Kommunikationskonzept zu entwickeln.57) Danach ist die Kommunikation zu den Kunden geprägt durch:
Interaktivität und Dialog,
Individualität, persönliche und emotionale Ansprache und Beziehungsmanagement,
Informativität durch Nutzwertmaximierung,
Langfristigkeit der Kundenbeziehung.58)
Diese besonderen Merkmale der Unternehmenskommunikation mit den Kunden sind in 45 den Stadien Krise und Insolvenz von besonderer Bedeutung, weil eine Sanierung des bedrohten Unternehmens im leistungswirtschaftlichen Bereich nur gelingen kann, wenn der ___________ 56) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil III, Kap. 8, 1., S. 224. 57) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil III, Kap. 9, 1.1, S. 253 f. 58) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil III, Kap. 9, 1.1, S. 253.
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§5
1. Teil Allgemeines
Marktzugang zu den Abnehmern der produzierten Waren und Dienstleistungen stabil gehalten oder sogar ausgebaut werden kann.59) Der kritische Zustand des Unternehmens kann jedoch für viele Kunden einen Anreiz bieten, sich nach entsprechenden Alternativen umzusehen, da sie die Versorgungsstabilität des bisherigen Anbieters in Frage stellen. Das Vertrauen in die Lieferfähigkeit des Unternehmens ist häufig beeinträchtigt. Deshalb wird die Unternehmensleitung besonders auf der emotionalen Ebene darum bemüht sein müssen, dieses Vertrauen zu stärken oder wiederherzustellen. 46 Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) muss die Unternehmensleitung umgehend die bestehenden Kundenkontakte aktivieren und die Bedürfnisse der Kunden zunächst proaktiv abfragen, aufnehmen und reflektieren. Es ist davon abzusehen, zu beschwichtigen oder den Zustand in einem zu milden Licht zu schildern. Vielmehr sind die Planungen und die Befürchtungen der Kunden ernsthaft zu hinterfragen und zu beantworten. Hier muss die Unternehmensleitung die Techniken des aktiven Zuhörens und des analytischen Zuhörens anwenden. Dies gilt auch für die insolvente Luftfahrtgesellschaft in Beispiel 3 (siehe Rz. 8) und 4 (siehe Rz. 13), die ohne Zeitverzug den Buchungswilligen das klare und eindeutige Signal vermitteln muss, dass die gebuchten Flüge tatsächlich durchgeführt werden. 2.3.5 Kommunikation mit Gesellschaftern, Investoren etc. 47 Für die Unternehmenskommunikation mit den Beteiligten, bei denen die Kapitalinteressen im Vordergrund stehen (Anteilsinhaber, Gläubiger des Unternehmens, Finanzanalysten) werden ebenfalls bestimmte typische kommunikationspolitische Ziele aus der Sicht des Unternehmens benannt:60)
Der wahre Unternehmenswert soll aufgezeigt werden.
Vertrauen bei Gläubigern und Investoren soll erzeugt werden.
Der Bekanntheitsgrad des Unternehmens soll gesteigert werden.
Die Positionierung des Unternehmens in der Branche soll verbessert und gefestigt werden.
Der Informationsstand des Marktes soll im Hinblick auf das Unternehmen verbessert werden.
Das Bild des Unternehmens im Markt soll verbessert werden.
Die Anziehungskraft des Unternehmens für neue Mitarbeiter soll erhöht werden.
48 Im Beispiel 1 (siehe Rz. 2) wurde noch während der laufenden Rettungsarbeiten in der Presse berichtet, dass der Aktienkurs der Anteile des Kreuzfahrtkonzerns in den 4 Tagen nach dem Unglück um 17 % gefallen sei. Offenbar war der Konzern aber sehr gut versichert und verfügte zudem über eine stabile Eigenkapitalgrundlage und einen sehr geringen Verschuldungsgrad. Infolgedessen gaben Analysten in der Wirtschaftspresse Kaufempfehlungen ab bzw. erteilten den Rat, bereits gehaltene Aktien nicht zu verkaufen. Es wurden lediglich Gewinneinbußen für die Folgesaison für möglich gehalten, weil das Unglück zeitlich in die Buchungsperiode für Kreuzfahrten fiel und eine negative Signalwirkung der Havarie nicht ausgeschlossen werden konnte.
___________ 59) Hess, Sanierungshandbuch, S. 443. 60) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil III, Kap. 10, 2., S. 280, 281.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren 2.4
§5
Bedeutung der Kommunikationspsychologie für die Unternehmenskommunikation
2.4.1 Bedeutung der Nachrichtenstruktur Die kommunikationswissenschaftlichen Modelle für die Ansprache, Information und für 49 Verhandlungen mit den Zielgruppen des Unternehmens beruhen im Kern auf Erkenntnissen der modernen Kommunikationspsychologie und Kommunikationswissenschaft. Kommunikationsprozesse finden – den automatisierten Datenaustausch ausgenommen – zwischen Menschen (Einzelpersonen, Gruppen, Netzwerke) statt, so dass deren persönliche Eigenschaften und Wahrnehmungen den Prozess wesentlich beeinflussen.61) Es ist mittlerweile bekannt, dass die Nachrichtenübermittlung i. R. eines Informations- 50 austauschprozesses nicht lediglich auf der Sachebene stattfindet, sondern immer auch – in unterschiedlicher Intensität – auf einer personalen Ebene, die durch Elemente der Selbstoffenbarung, des Beziehungsverständnisses und des Appells geprägt ist.62) Kommunikationsstörungen können entstehen, wenn die Nachricht vom Absender anhand dieser vier Nachrichtenebenen anders konstruiert war, als sie vom Empfänger wahrgenommen wird. Dessen Empfangsgewohnheiten sind von großer Bedeutung. Hört der Empfänger bspw. verstärkt auf dem „Beziehungs-Ohr“ und dem „Appell-Ohr“, fokussiert sich mithin auf seine personale Beziehung zum Absender und erwartet Handlungsanweisungen, kann dies z. B. zu einem Wahrnehmungsverlust auf der Sachebene führen mit der Folge, dass Sachentscheidungen nicht ordentlich vorbereitet und rational durchgeführt werden, weil die tatsächliche oder vermeintliche Nachrichtenübermittlung über die subjektiv gefärbten Nachrichtenkanäle den sachlichen Gehalt überlagert. In dem Beispiel 5 (siehe Rz. 15) kommunizierte der Betroffene im Wesentlichen über eine 51 Anwaltskanzlei mit den Journalisten und mit der Öffentlichkeit. Diese Art der Stellvertretung wurde von vielen Journalisten auf der Beziehungsebene als unangemessen empfunden. Auf der Selbstoffenbarungsebene wurde hier „gehört“, dass der Betroffene Kritik gern „aussitzt“ und Verantwortung ablehnt. Er nutzte daraufhin ein Fernsehinterview für die Beantwortung kritischer Fragen durch Journalisten. Auch seine hier getroffenen Aussagen wurden – dies legt die Auswertung des Interviews in Presse, Rund- und Fernsehfunk nahe – beinahe ausschließlich und durchgängig negativ auf dem „Beziehungs-Ohr“ (fehlende Anerkennung der Öffentlichkeit als ernsthaften Gesprächspartner), dem „SelbstoffenbarungsOhr“ (Opportunismus, fehlendes Verantwortungsbewusstsein) und dem „Appell-Ohr“ (mangelnder Aufklärungswille) gehört. Die Sachebene stand beinahe durchgängig im Hintergrund. Es wurden kaum Zahlen, Daten 52 und Fakten (digitale Informationen) erörtert. Der Betroffene hatte durch seine Kommunikation bewirkt, dass die öffentliche Diskussion sich von dem Sachvorgang entfernt und sich beinahe ausschließlich der Persönlichkeit zugewendet hatte. In einer Unternehmenskrise wäre dies gefährlich, weil Lösungen nicht im Zentrum des Interesses stehen würden. Die Wahrnehmung muss durch die Unternehmensleitung deshalb weg von der Person hin zur Sache gelenkt werden. Weil i. R. der Nachrichtenübermittlung ein ganz erheblicher Informationstransfer auf der 53 personalen Ebene stattfinden und die Sachebene im Einzelfall verdrängen kann, ist die Kenntnis psychologischer und soziologischer Grundlagen im Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur, auf grundlegende persönliche Werte, Handlungsmotive, Denk- und Argu___________ 61) S. hierzu mit Blick auf das Insolvenzverfahren Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623 ff. 62) Grundlegend Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien, 12. Aufl., 2011; Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1 – 3; s. ferner Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 17 ff. Rz. 34 ff.
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mentationsmuster und Charaktereigenschaften von wesentlicher Bedeutung, denn die jeweilige Nachricht muss auf der Selbstoffenbarungs-, der Beziehungs- und der Appellebene entsprechend der Empfängerpersönlichkeit erstellt werden.63) Es ist Aufgabe des Absenders der Botschaft – im Fall der Unternehmenskommunikation Aufgabe der Unternehmensleitung –, die psychologische Konstitution der angesprochenen Empfänger zu antizipieren und das Kommunikationskonzept hierauf entsprechend auszurichten. Da sich Unternehmenskommunikation im Regelfall nicht an Einzelpersonen richtet, sondern eher an komplexe Zielgruppen, kommt es vorliegend weniger auf die Kenntnis der verschiedenen grundlegenden Persönlichkeitstypen an.64) Diese Kenntnis wird man in komplexen Verhandlungssituationen in Krise und Insolvenz, die sehr auf die handelnden Personen zugeschnitten sind, zur Verfügung haben müssen, um Einfluss auf den Gang der Verhandlung und das Ergebnis nehmen zu können.65) 2.4.2 Typisierung der Persönlichkeitsmerkmale 54 Viele Erkenntnisse der psychologischen Forschung zu bestimmten typischen Eigenschaften und Verhaltensmodellen sind von großer Bedeutung, weil sie Hinweise auf die grundsätzlich mögliche Konstitution einer Empfängergruppe geben können. 55 Maßgebend sind fünf grundlegende Persönlichkeitsdimensionen, die unter dem Schlagwort „The Big Five“ zusammengefasst wurden66) wie folgt: Emotionale Stabilität
Offenheit (Sozia- Kreativität/ bilität) Aktivität
– – – – – – – –
– – – –
– – – – –
Besorgtheit Erregbarkeit Pessimismus Befangenheit Exzessivität Impulsivität Vulnerabilität Extrovertiertheit Durchsetzungsfähigkeit Risikofreude Abenteuerlust Erlebnishunger Heiterkeit
Phantasie Ästhetik Emotionalität Unternehmerschaft – Veränderungsbereitschaft – Intellektualismus – Liberalismus
– – – – – – – – –
aktiv systematisch ordentlich ehrgeizig erfolgsorientiert bestrebt konzentriert unbeirrt nachhaltig
Anpassung/ Verträglichkeit
Gewissenhaftigkeit
– – – –
– kompetent – selbstsicher – fähig – effizient
– – – – – – – – – –
Vertrauen Moral Altruismus die Position des Gegenübers erkennend egozentrisch auf eigene Ziele orientiert Entgegenkommen kooperativ anpassend antagonistisch aggressiv kompetitiv Bescheidenheit Mitgefühl
56 Diese Persönlichkeitsdimensionen geben in abstrakter Weise Auskunft darüber, wie ein Kommunikationsempfänger persönlich konstituiert sein und sich dementsprechend verhalten kann. Für die zutreffende Ansprache, insbesondere in Krisen- und Insolvenz___________ 63) Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 50 ff. Rz. 107 ff. 64) Eingehend Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 52 ff. Rz. 110 ff. unter Verweis auf Simon, Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, 2006, S. 19 ff. 65) Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, Teil 2, IV. und V., S. 89 ff.; Frege, Verhandlungserfolg Teil 1, B., S. 17 ff., Teil 2, B. und C., S. 180 ff.; Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 19 ff.; Schranner, Teure Fehler, S. 100 ff. 66) Simon, Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, 2006, S. 113 ff.; Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 57 f. Rz. 120.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
situationen, ist auf dieser Grundlage herauszuarbeiten, welche Merkmale besonders „empfangsbereit“ sein können. Es ist zu berücksichtigen, welche grundlegenden Motivationen und Bedürfnisse,67) ferner welche grundlegenden Ängste68) bestehen können, denn diese steuern die menschliche Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und – in der Folge – das weitere Verhalten der Kommunikationsempfänger.69) Insbesondere sind diese Maßgaben bei der Krisenkommunikation zu beachten, die sich an einzelne Personen oder Personengruppen auf Betriebsversammlungen oder im persönlichen Gespräch richtet. So wird in dem Beispiel 2 (siehe Rz. 6) die Unternehmensleitung zeitnah mit den Füh- 57 rungskräften des Unternehmens und mit der Belegschaft sprechen müssen.70) Hierbei müssen Strategien und notwendige Entscheidungen erörtert werden. Die Entscheidungen müssen konsequent und entschlossen durchgesetzt werden. Hierzu bedarf es der Überzeugung und der Mitwirkung der Beteiligten. Es versteht sich, dass die unterschiedlichen Persönlichkeiten im Unternehmen nicht in gleicher Weise angesprochen werden können. Der Kommunikator muss vielmehr die Struktur der Persönlichkeiten und deren betriebliche und private Situation berücksichtigen und angemessen reagieren. Im Bereich der menschlichen Motivationen und Bedürfnisse ist eine Orientierung an den 58 Untersuchungen und Festlegungen von Maslow geboten,71) hinsichtlich der Beurteilung von Ängsten geben die grundlegenden Ausführungen von Riemann einen wichtigen Überblick.72) In Restrukturierungs-, Krisen- und Insolvenzsituationen kann es dazu kommen, dass die Beteiligten – insbesondere Mitarbeiter, Geschäftsführer, Unternehmenseigentümer – eine existenzielle Bedrohungslage im Hinblick auf grundlegende Bedürfnisse empfinden. Das Kommunikationskonzept des Unternehmens muss hierzu spiegelbildlich Antworten enthalten, um den Bedürfnissen entgegenzukommen und den Ängsten entgegenzuwirken. Ziel ist es, durch den Einsatz der kommunikationspsychologischen Kenntnisse mögliche Widerstände und Hindernisse (Reaktanzen) gegen die notwendigen Restrukturierungsprozesse abzubauen. In der Fachliteratur werden im Anschluss an Maslow bestimmte Bedürfniskategorien ge- 59 zeigt, die in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Hierbei handelt es sich um eine grobe, grundlegende Einteilung und Systematisierung menschlicher Bedürfnisse, die einer weiteren Differenzierung und Detailbetrachtung zugänglich sein könnte.73) Die Grundlage der Bedürfnispyramide bilden physiologische Bedürfnisse wie die Aufnahme 60 von Nahrung und Flüssigkeit sowie das Bedürfnis nach Schlaf. Sodann ordnet sich das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz ein, gefolgt von dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Anerkenntnis und Status sowie schließlich nach Selbstverwirklichung i. S. einer vollständigen Entfaltung der Persönlichkeit.74) Insbesondere die fest im menschlichen Wesen verankerten Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Schutz, Geborgenheit, nach (sozialer) Gruppenzugehörigkeit und nach Anerkennung der eigenen Persönlichkeit und Würdigung der eigenen Leistungen spielen bereits bei der Unternehmenskommunikation im Allgemeinen eine sehr wichtige Rolle, wenngleich bei prosperierenden Unternehmen die Be___________ 67) Grundlegend Maslow, Motivation und Persönlichkeit, 12. Aufl., 2010, S. 62 ff. 68) Grundlegend Riemann, Grundformen der Angst, 40. Aufl., 2011, S. 22 ff., 68 ff., 121 ff., 179 ff. 69) Zu den Auswirkungen auf die Charakterausbildung König, Charakter, Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung, 2004, S. 17 ff. 70) S. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 439 ff. 71) Maslow, Motivation und Persönlichkeit, 12. Aufl., 2010, S. 62 ff. 72) Riemann, Grundformen der Angst, 40. Aufl., 2011, S. 22 ff., 68 ff., 121 ff., 179 ff. 73) Zur Bewertung der Kategorienbildung durch Maslow s. Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1, B., S. 79 f. Rz. 135. 74) Maslow, Motivation und Persönlichkeit, 12. Aufl., 2010, S. 62 ff.
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1. Teil Allgemeines
dürfniskategorien an der Spitze der Bedürfnispyramide angesprochen werden können. Bei der Unternehmenskommunikation in Restrukturierung, Krise und Insolvenz treten hingegen die Grundbedürfnisse deutlicher hervor, denn angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – die von den Beteiligten je nach Nähebeziehung zum Unternehmen, Qualität und Quantität des Informationszugangs und persönlicher Betroffenheit in unterschiedlicher Intensität wahrgenommen werden – ist die Sicherstellung der Befriedigung der Grundbedürfnisse aus der subjektiven Wahrnehmungsperspektive einiger Beteiligter heraus nur unzureichend gewährleistet. Deshalb ist es bei der Erstellung des Kommunikationskonzepts unverzichtbar, die betroffenen Bedürfniskategorien zu analysieren und angemessen hierauf zu reagieren. 61 Dies zeigen auch die Beispiele 1, 2 und 3 bzw. 4 (siehe Rz. 2, 6 und Rz. 8 bzw. 13). Im Fall des havarierten Kreuzfahrtschiffes sind die existenziellen Bedürfnisse der Passagiere in großer Gefahr. Umso wichtiger ist es, dass in dieser Situation der Kapitän auf dem Schiff mit Mut und Entschlossenheit handelt und die Passagiere in dieser Weise auch anspricht. Dies gibt den Betroffenen ein Gefühl der Sicherheit und des Schutzes. Das kann erforderlich sein, um eine geordnete Rettung vorzunehmen und Chaos zu vermeiden. 62 Auch im Fall des insolventen Unternehmens können – insbesondere wenn sich das Unternehmen in einer strukturarmen Umgebung befindet und als wichtiger Arbeitgeber gilt – subjektiv existenzgefährdende Umstände gegeben sein, die bei den Betroffenen zu Panik und Verängstigung führen. Hierdurch kann der Sanierungserfolg gefährdet werden. Deshalb muss die Unternehmensleitung – ähnlich wie der Kapitän an Bord des Kreuzfahrtschiffes – durch eigene Präsenz und Problembewusstsein die Ängste der Betroffenen registrieren und in geeigneter Form beantworten. Durch die Kommunikation von Ruhe, Entschlossenheit, geordneter Struktur und Entscheidungskraft können Grundbedürfnisse angesprochen und Ängste genommen werden. Damit kann die Funktionsfähigkeit des Betriebs erhalten werden. 63 Im Fall der insolventen Luftfahrtgesellschaft war das Bedürfnis der Passagiere, die sich überwiegend an ihren Urlaubsorten befanden, nach Obhut, Schutz, Sicherheit, Vorhersehbarkeit besonders ausgeprägt. Nicht zuletzt aus diesem Grund richtete sich die Bundesregierung i. R. einer öffentlichen Pressekonferenz in Beispiel 4 (siehe Rz. 13) an die Kunden des Unternehmens und vermittelte diesen das Grundgefühl staatlicher Fürsorge. 3.
Veränderungskommunikation
64 Besondere Anforderungen an die Unternehmenskommunikation werden gestellt, wenn sich das Unternehmen in einem Veränderungsprozess befindet.75) Denn von den Beteiligten wird hier erwartet, dass sie an dem Wandel teilnehmen, mithin ihre Erwartungen, Einstellungen und häufig ihr Verhalten ändern. In einer derartigen Lage reagieren viele Bezugsgruppen des Unternehmens verunsichert und haben Zweifel an der Stabilität ihrer Positionen. Hierauf muss die Unternehmensleitung angemessen reagieren und besonders die kognitive und die emotionale Ebene der Unternehmenskommunikation bedienen.76) Die allgemeinen Erfahrungen, Analysen und Handlungsempfehlungen, die in der Kommunikationslehre zum Thema „Change Communication“ vorliegen, sind für den Bereich der Krise, Sanierung und Insolvenz von Bedeutung, da sowohl die Sanierung in- und außerhalb des Insolvenzverfahrens als auch die mögliche Liquidation mit grundlegenden Veränderungen für die Beteiligten verbunden sind. ___________ 75) S. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, S. 387 ff.; Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 11 ff. 76) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, S. 387.
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Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Untersuchungen haben gezeigt, dass Veränderungsprozesse im Unternehmen durch eine 65 hohe Intensität der Wandlungsaktivitäten gekennzeichnet sind: Häufig findet eine strategische Neuausrichtung statt, die mit einem innerbetrieblichen Strukturwandel verbunden sein kann.77) Die Beteiligten nehmen die Veränderung und insbesondere die hiermit verbundenen Risiken sehr intensiv wahr und richten ihr Verhalten hieran aus. Für die Bewertung des Risikos sind folgende Kriterien maßgebend:78)
66
Entscheidungsfreiheit: die freiwillige Übernahme von Risiken wird subjektiv als weniger belastend eingestuft als die obstruierte Risikoübernahme,
Einflussnahmemöglichkeit: kontrollierbare Risiken werden subjektiv als weniger belastend eingestuft als Risiken, auf die der Beteiligte keinen Einfluss nehmen kann,
Verantwortlichkeit: fremdverursachte Risiken werden subjektiv als weniger belastend eingestuft als Risiken, die der Beteiligte mit zu verantworten hat.
Aus der Risikobewertung können – wenn subjektiv eine Gefahr gesehen wird – Ängste 67 erwachsen, d. h. Erregungszustände, mit denen auf eine gegenwärtige oder vermutete Gefahr reagiert wird, von der der Beteiligte glaubt, sie könne seine Leistungsfähigkeit oder Persönlichkeit bedrohen. Solche Ängste können als Existenz-, Leistungs- oder soziale Ängste vorliegen und weitreichende Auswirkungen haben auf die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen, das Erinnerungsvermögen und das Problembewältigungsvermögen von Beteiligten.79) In Krise und Insolvenz können v. a. soziale Ängste die Wahrnehmung beeinträchtigen, aber auch weitere Emotionen wie Überraschung, Kummer, Schmerz, Zorn, Wut, Verachtung etc. An die Erstellung eines Kommunikationskonzepts durch die Unternehmensleitung stellt diese emotionale Gemengelage besonders hohe Anforderungen. Kommunikationsstörungen resultieren regelmäßig aus der Nichtbeachtung der psychologischen Verfassung der Kommunikationsempfänger.80) Hieraus ist die Notwendigkeit abzuleiten, die verschiedenen Zielgruppen der Unternehmenskommunikation im Hinblick auf den Veränderungsprozess genau zu analysieren sowie ihre subjektiven Risikoeinschätzungen aufzugreifen und zu bewerten. Hierbei ist es erforderlich, den jeweiligen Empfängerhorizont der Kommunikation zu antizipieren. Das Kommunikationskonzept wird darauf gerichtet sein, Veränderungsbereitschaft herzustellen. Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) kann es erforderlich sein, bestimmte Fertigungsstrecken zu- 68 künftig einzustellen, weil der Markt die angebotenen Produkte nicht mehr nachfragt. Anstelle der bislang gefertigten Produkte können andere Produkte hergestellt werden, wobei dies mit einer Veränderung der Belegschaft oder der betrieblichen Umgebung verbunden sein kann. Gerade bei einer strukturellen Krise, die neben anderen Faktoren darauf zurückzuführen ist, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben (OnlinePublikationen anstelle von Printmedien), ist Veränderungsbereitschaft bei allen Beteiligten erforderlich. In Bezug auf die Zielgruppe der Mitarbeiter und Führungskräfte stellen sich regelmäßig 69 folgende Fragen im Hinblick auf die berufliche Perspektive:81) Wie wirkt sich der Veränderungsprozess auf die beruflichen Entwicklungschancen aus? Wie werden sich die Betriebsstrukturen und damit das eigene Arbeitsumfeld verändern? Ist der eigene Standort und mit ihm der eigene Arbeitsplatz gefährdet? ___________ 77) 78) 79) 80) 81)
Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 11. Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 11. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, 1.1, S. 391. Grundlegend Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, Teil A, S. 23 ff. Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 12.
Frege/Nicht
109
§5
1. Teil Allgemeines
Ist es bei Abwägung der Vor- und Nachteile lohnenswert, sich für die kommunizierten Unternehmensziele einzusetzen? Ist es bei Abwägung der Vor- und Nachteile lohnenswert, sich während des laufenden Veränderungsprozesses umzuorientieren? 70 In Bezug auf die Zielgruppe der Kunden und Lieferanten stellen sich regelmäßig folgende Fragen im Hinblick auf die wirtschaftliche Perspektive:82)
Ist davon auszugehen, dass das Unternehmen ein zuverlässiger Geschäftspartner bleibt/ wird? Ist davon auszugehen, dass das Unternehmen die benötigten Leistungen in gleicher oder besserer Qualität anbieten wird? Ist davon auszugehen, dass die Kundenprioritäten beibehalten werden oder erfolgt eine Ausrichtung auf andere/weitere Kunden- und Lieferantenkreise? Ist davon auszugehen, dass sich die Betriebsstrukturen und hierdurch die operativen Abläufe verändern? Bringt dies Nachteile für die Kunden- und Lieferantenbeziehung? Ist davon auszugehen, dass der Veränderungsprozess zu einer zeitweiligen Beeinträchtigung von Qualität und Service führt? 71 In Bezug auf die Zielgruppe der Gesellschafter, Investoren und Kreditgeber stellen sich regelmäßig folgende Fragen im Hinblick auf die wirtschaftliche Perspektive:83)
Ist davon auszugehen, dass die kommunizierte Strategie zum Ziel führt? Ist davon auszugehen, dass das aktuelle Management die kommunizierte Strategie umsetzen kann? Ist davon auszugehen, dass Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten die kommunizierte Strategie akzeptieren und unterstützen? 72 Darüber hinaus sind Politik, Gewerkschaften und das öffentliche Umfeld zu analysieren.84)
73 Ausgehend von diesen Risikobewertungen wird ein Kommunikationskonzept für den Veränderungsprozess zu entwickeln sein, welches die Veränderungsnotwendigkeit hervorhebt und versucht, Veränderungsbereitschaft aufzubauen. Hierbei soll sich der Konzeptersteller vorrangig – insbesondere im Hinblick auf die Mitarbeiter des Unternehmens – an den folgenden Faktoren orientieren:85)
Konsistenz,
Glaubwürdigkeit und Vertrauen,
Orientierung,
Wertschätzung,
Entscheidungsfreiheit.
74 Denn besonders die Mitarbeiter des Unternehmens zeigen regelmäßig Abwehrverhalten gegenüber Veränderungsvorhaben, wenn sie:86)
inkonsistente Entscheidungen der Unternehmensleitung wahrnehmen,
die kommunizierten Ziele und die Rechtfertigung von Veränderungsprozessen als nicht ehrlich enttarnen,
___________ 82) 83) 84) 85) 86)
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Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 12. Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 12. Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 12 f. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, 1.2, S. 393. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, 1.2, S. 393.
Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
zwischen verschiedenen kurzfristigen Handlungen/Projekten keinen Zusammenhang erkennen können,
eine mangelnde Wertschätzung der eigenen Rolle im Unternehmen spüren,
ein Gefühl der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins entwickeln.
Ausgehend von den allgemeinen Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Kom- 75 munikationskonzepten wurden für die Veränderungskommunikation („Change Communication“) spezifische Vorgaben erarbeitet:87)
Aktive und umfassende Kommunikation (Initiative und Integration): Fehlende und unzureichende Information und mangelnde Beteiligung der Zielgruppen oder sogar deren Ausgrenzung führen regelmäßig zu Widerständen gegen den Veränderungsprozess.
Offene, klare, konkrete und konsistente Aussagen (Kongruenz und Konsistenz): Verschleierungen, Mehrdeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten etc. können das Gefühl der Verunsicherung bei den Beteiligten verstärken und führen regelmäßig zu Widerständen gegen den Veränderungsprozess. Beschönigungen können im Verlauf des Prozesses aufgedeckt werden und beschädigen die Glaubwürdigkeit des Kommunikators.
Keine schrittweise Kommunikation schlechter Nachrichten (Glaubwürdigkeit): Das Aufspalten und Abschichten negativer Informationen kann zum Entstehen von Gerüchten führen; es kann auch im Fortgang des Prozesses das Gefühl der mangelnden Glaubwürdigkeit des Kommunikators und der unzureichenden Information der Beteiligten entstehen.
Hervorheben der Kontinuität (Historie und Sicherheit): Die erhebliche Betonung der Veränderungsnotwendigkeit kann zu einem Gefühl der Unsicherheit und fehlenden Orientierung bei den Beteiligten führen und auf diese Weise regelmäßig zu Widerständen gegen den Veränderungsprozess.
Austausch, Einbeziehung, Rückkopplung (Interaktion und Integration): Die Erläuterung der Motive und Zielvorstellungen verbreitert die Legitimationsbasis von Entscheidungen und schafft Wissen, Verständnis und Orientierung bei den Beteiligten.
Öffentliche Ergebniskontrolle (Transparenz und Reflektion): Es muss klar und eindeutig analysiert und benannt werden, welche Ziele erreicht worden sind und ggf. aus welchen Gründen Ziele nicht erreicht worden sind. Dies schafft – auch wenn zunächst Fehlschläge verzeichnet werden – ein Gefühl der Sicherheit und Orientierung bei den Beteiligten.
Hinsichtlich der Informationsdichte und Informationstiefe weist Pfannenberg darauf 76 hin, dass die Ersteller des Kommunikationskonzeptes nach den Methoden „Top-Down“ und „Inside-Out“ vorgehen, d. h. zunächst die inneren Führungskreise informieren sollten und hiervon ausgehend den Kreis der weiteren internen und externen Beteiligten.88) Die Geschäftsleitung muss demnach bei getroffenen Entscheidungen zunächst sämtliche 77 Mitglieder des zuständigen Geschäftsführungsorgans (Vorstand gemäß §§ 76 ff. AktG, Geschäftsführer gemäß §§ 35 ff., 43 ff. GmbHG) einbinden, sodann Aufsichtsräte und Beiräte (§§ 90, 95 ff. AktG), schließlich die Gesellschafter (§§ 118 ff. AktG, §§ 45 ff. GmbHG). Hiernach oder ggf. parallel dazu sind Belegschaftsversammlungen einzuberufen, auf denen sachlich und zutreffend die Belegschaft informiert werden muss. Durch korrektes und zielgerichtetes Auftreten muss versucht werden, ein Sanierungsklima herzustellen. Im Ein___________ 87) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, 2.– 6., S. 407 ff.; Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 13 ff. 88) Pfannenberg, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, I. 1., S. 18.
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§5
1. Teil Allgemeines
zelfall kann es geboten sein, die entsprechenden Maßnahmen auch mit Presserklärungen zu flankieren. 78 Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) dürfte es kaum möglich sein, die parallel stattfindenden Betriebsversammlungen bei einem Unternehmen der gezeigten Größenordnung vor der Presseberichterstattung abzuschirmen. Deshalb ist es opportun, aktiv mit den Medien zusammenzuarbeiten89) und die geplanten Schritte – Information der Belegschaft, Gespräche mit Politik und Behörden, Verhandlungen mit Investoren – im zulässigen Rahmen zu veröffentlichen, bevor Gerüchte und Halbwahrheiten sich ihren Platz suchen. Von der Unternehmensleitung wird erwartet, dass sie das Geschehen beherrscht und steuert. Sie darf sich nicht zum Getriebenen von Interessengruppen und Medien machen lassen. 4.
Krisenkommunikation
79 Einen Sonderfall des Veränderungsprozesses, der eine angemessene Behandlung durch die Unternehmenskommunikation erfordert, stellt die Krise dar. Nach einer allgemein geläufigen Definition versteht man unter einer Krise im Unternehmen einen ungeplanten und ungewollten Vorgang von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit und mit ambivalentem Ausgang, der in der Lage ist, den Fortbestand des Unternehmens substanziell und nachhaltig zu gefährden.90) Der Zustand der Krise enthält bereits per Definition die Möglichkeit zu einer positiven (Sanierung) oder einer negativen (Abwicklung) Veränderung. Die Krise läuft regelmäßig auf einen Entscheidungspunkt hinaus, in dem konsequent gehandelt werden muss. Das Unternehmen kann saniert aus der Krise hervorgehen oder – auch das liegt im Spektrum der natürlichen wirtschaftlichen Entwicklungen – mit seiner Konzeption endgültig scheitern und geordnet aus dem Markt austreten. 80 In der Literatur wurden verschiedene charakteristische Merkmale von Krisen analysiert, die für die Erstellung eines krisenspezifischen Kommunikationskonzepts von Bedeutung sind:91) Krisen treten überraschend und unvermutet auf und können hierdurch das Gefühl der Unsicherheit und fehlenden Orientierung auslösen, Krisen zwingen zu schnellem Handeln, obwohl die hierfür erforderliche Informationsgrundlage häufig noch unvollständig ist, Krisen sind durch hohe Entwicklungsgeschwindigkeiten geprägt und bergen deshalb die Gefahr der Eskalation in sich, Krisen erzeugen regelmäßig eine große Aufmerksamkeit und Informationssensibilität, Krisen bergen aufgrund der Überraschung und Entwicklungsgeschwindigkeit die Gefahr des Kontrollverlustes und der ungesteuerten Entwicklung in sich. 81 Im Beispiel 1 (siehe Rz. 2) kenterte das Kreuzfahrtschiff aufgrund der Kollision mit einem Felsen und neigte sich innerhalb weniger Stunden auf die Seite bzw. drohte zu sinken. Der Entscheidungskorridor betrug in diesem Fall weniger als 1 Stunde.
82 Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) sind über längere Zeitabläufe verschiedene Krisenstadien (strategische Krise, Erfolgskrise) durchlaufen worden, bis es zu einer akuten Krise des Unternehmens (Liquiditätskrise) kam. Mit zunehmender Entwicklung und Vertiefung der Krise sinken die Handlungsmöglichkeiten der Unternehmensleitung. Zugleich steigen der Handlungsdruck und die Handlungsanforderungen. Prinzipiell enthält eine Krise immer Elemente der Chance (Konstruktion) und des Risikos (Destruktion). Je weiter die Krise voranschreitet, desto mehr treten die Elemente des Risikos in den Vordergrund. ___________ 89) Zur Pressearbeit vgl. Voskuhl, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 43 ff.; Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 276 ff. 90) Grundlegend Krystek, Unternehmenskrisen, S. 6. 91) Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 12, 1., S. 327 m. w. N.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
In Beispiel 5 (siehe Rz. 15) erfolgte die Recherche über den Kredit des Ministerpräsidenten 83 zunächst verborgen. Mit der Veröffentlichung und Bewertung der Fakten beginnt der Krisenmechanismus. Dem Betroffenen verbleibt ein enger Handlungskorridor, der entschlossen und verantwortungsvoll genutzt werden muss. Die Handlungsalternativen sind: 1. vollständige und deutliche Zurückweisung der erhobenen Vorwürfe und schnelle, vollständige und zutreffende Aufklärung oder 2. Geständnis und aufrichtige Reue bei ebenfalls vollständiger und zutreffender Aufklärung. Beide Strategien müssen persönlich, aktiv und glaubwürdig betrieben werden. Wie in der Wirtschaft kann auch hier in der Krise eine Chance gesehen werden. Bei unzweckmäßigem Krisenmanagement entfalten die destruktiven Elemente der Krise ihre Wirkung. Um die Substanz des Unternehmens bestmöglich zu schützen, ist ein Krisenmanagement 84 erforderlich, in das die professionelle Krisenkommunikation an zentraler Stelle eingebettet ist.92) Die Unternehmenskrise darf nicht mit einer Kommunikationskrise zusammenfallen. Denn der Eintritt der Krise hat zur Entstehung bzw. Verschärfung verschiedener Risiken bei den unterschiedlichen Anspruchsgruppen geführt, die von den Beteiligten zumeist subjektiv wahrgenommen und bewertet werden. Hieran richten sie regelmäßig ihr Handeln aus. Wenn sich die Unternehmensleitung in dieser Situation nicht fragt,
85
was ihre Anspruchs- und Zielgruppen bewegt,
wie man sich selbst auf der Gegenseite im Moment fühlen würde,
was man im Unternehmen tun könnte, um den Zielgruppen zu zeigen, dass man ihre Sorgen und Befürchtungen ernst nimmt,
was man im Unternehmen tun könnte, um den Zielgruppen tatsächlich bei der Risikobeurteilung und -bewältigung zu helfen,
entsteht die Gefahr, dass die Situation durch die Unternehmensleitung nicht mehr kontrolliert werden kann und sich die Beteiligten abwenden.93) Deshalb ist das genaue Zuhören, das Nachempfinden, das Beobachten der Körpersprache etc. in dieser Phase besonders wichtig, um den subjektiven Zustand der Beteiligten und ihre Motivationslage beurteilen und beeinflussen zu können. Hier sind die psychologischen und kommunikativen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Unternehmenslenker und der Berater gefragt.94) Die Unternehmenslenker müssen ein Selbstbild des sich in der Krise befindlichen Unternehmens entwickeln und mit der Fremdwahrnehmung abgleichen, bevor sie aktiv und überzeugend auf die Zielgruppen zugehen. Im Beispiel 1 (siehe Rz. 2) besteht die Gefahr, dass der Kreuzfahrtkonzern als unzuverlässi- 86 ger Anbieter wahrgenommen wird, der die ihm anvertrauten Passagiere fahrlässig in Lebensgefahr bringt. Demgegenüber steht das Selbstbild eines verantwortungsvollen Unternehmens, welches seine Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber den Fahrgästen jederzeit organisatorisch und in konkreten nautischen Maßnahmen wahrnimmt. Das Unternehmen muss in der Krise auf die negativen Empfindungen eingehen, indem es die Krisenursache zutreffend benennt und nachweist, dass und in welcher Art und Weise es Wiederholungen ausschließen wird. Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) besteht die Gefahr, dass das Management als ungeeignet zur Er- 87 kennung von Marktveränderungen empfunden wird und dass man ihm die Sanierung des Unternehmens nicht zutraut. Hier kommen die Umgestaltung der betrieblichen Entschei___________ 92) Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, 3.3, S. 40. 93) Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, 3.3, S. 42. 94) Frege, Verhandlungserfolg, S. 17 ff.; Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 89 ff.; Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 41 ff.; Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1 – 3.
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§5
1. Teil Allgemeines
dungsstrukturen und deren Kommunikation in Betracht. Daneben können exogene Krisenfaktoren erläutert und deren Einfluss dargestellt werden. Zum Beispiel kann der Einfluss der Finanz- und Staatsschuldenkrise, die zu einer Kreditunterversorgung auch potenzieller Kunden geführt hat, nachvollziehbar kommuniziert werden. Die Marktgegenseite befürchtet typischerweise, dass es das Unternehmen „nicht schaffen werde“. Dieser Erwartungshaltung muss die Unternehmensleitung konsequent entgegentreten. 88 Im Beispiel 5 (siehe Rz. 15) besteht die Gefahr, dass der Betroffene als politischer Opportunist wahrgenommen wird, der „an seinem Stuhl klebt“ und Verantwortung ablehnt. Um die Krise abzuwenden, muss hier glaubhaft, konkret und nachvollziehbar (messbar) kommuniziert werden, wie der Betroffene seiner Verantwortung als Amtsträger bislang nachgekommen ist und zukünftig nachkommen wird. 89 Im Hinblick auf Restrukturierungsmaßnahmen, die oft in Krisensituationen erforderlich werden, wurden typische Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensmuster erfasst, die vor der Entwicklung des Kommunikationskonzepts zu überprüfen sind.95) 90 Hiernach haben insbesondere Mitarbeiter typischerweise
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Managements, den Eindruck, dass die Mitarbeiterinteressen zu Gunsten der Anteilseignerinteressen zurückgestellt werden, den Eindruck, dass die erbrachten Leistungen nicht anerkannt werden, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vermindertes Leistungsvermögen infolge ihrer Anteilnahme am Schicksal gekündigter Kollegen, vermindertes Leistungsvermögen infolge der eigenen Suche nach alternativer Beschäftigung.
91 In Beispiel 2 (siehe Rz. 6) muss die Unternehmensleitung des insolventen Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern offenlegen, wie sie bislang die Märkte eingeschätzt hat und warum dies so geschehen ist. Die Unternehmensleitung muss die Sanierungsmöglichkeiten zutreffend ermitteln, die Rolle der Belegschaft hierbei hervorheben und auch die Perspektiven zutreffend und vollständig darlegen. Die Mitarbeiter müssen als zentrale Beteiligte ernst genommen und eingebunden werden. 92 Bei Führungskräften sind typischerweise folgende Erscheinungen anzutreffen:96)
nachlassende Motivation infolge der Konkurrenz um Positionen,
die Tendenz der Leistungsträger, das Unternehmen zu verlassen,
die Tendenz, neue Führungsaufgaben nicht zu akzeptieren,
die Tendenz, Mitarbeiter als Kostenfaktoren einzuordnen und hierdurch Führungsmodelle abzuwerten, die auf Teilhabe und Mitverantwortung beruhen,
der Eindruck, dass dem Unternehmen Ressourcen verlorengehen.
93 In Beispiel 2 (siehe Rz. 6) ist der Umgang mit den Führungskräften besonders kompliziert, da bei der Nichtbeantwortung der vorangegangenen strategischen Krise und der Erfolgskrise durch das Unternehmen die leitenden Mitarbeiter involviert gewesen sind und ihre Mitverantwortung für das Scheitern des Unternehmens übernehmen müssen. Insoweit ist es hier von Bedeutung, die leitenden Mitarbeiter für die geänderte Zielstellung zu motivieren, gleichzeitig ihre Verantwortungsbeiträge nicht zu verkennen. ___________ 95) Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 142. 96) Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 142.
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Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Besondere Bedeutung kommt der Überprüfung und Reaktion auf typische Einstellungen 94 bei Kunden und Lieferanten zu:97)
der Eindruck, dass das Unternehmen zunehmend mit der Binnenorganisation und dem Restrukturierungskonzept befasst ist und keine Kapazitäten für die Belange der Kunden und Lieferanten vorhalten kann,
die Befürchtung, dass der Restrukturierungsvorgang zu Einsparungen an „falscher Stelle“, nämlich bei den nachgefragten Leistungen und beim Service führt,
die Befürchtung, dass es zu Einschränkungen im operativen Bereich durch Abwanderung von Kontaktpersonen etc. kommt,
die Befürchtung, dass die finanzwirtschaftliche Sanierung nicht gelingen wird,
der Eindruck, dass Leistungen und Service aufgrund der Krise an Qualität verlieren (Imagetransfer).
In Beispiel 2 (siehe Rz. 6) ist dem Eindruck entgegenzuwirken, dass die vertiefte Krise 95 sich auf die Produktqualität und den Service durchschlagen wird. Gegenüber den Kunden ist zu erläutern, in welcher Weise das Unternehmen Verbesserungen in den genannten Bereichen leisten möchte; geeignet ist hier eine eher emotionale, interaktive und reflektierende Kommunikation. Bei Anteilsinhabern, Kreditgebern und Investoren sind folgende typischen Einstellungen 96 festgestellt worden:98)
der Eindruck, dass die Unternehmensleitung versagt hat,
Zweifel, ob das Restrukturierungskonzept zur Wiederherstellung der Ertragskraft führen kann.
In Beispiel 2 (siehe Rz. 6) wird die Unternehmensleitung anhand von Sanierungsplänen 97 darzulegen haben, wie die Restrukturierung gelingen soll. Finanzinvestoren sind durch Zahlenwerke zu überzeugen. Emotionale und interaktive Kommunikation ist weniger geeignet. Vielmehr sind objektiv prüfbare digitale Informationen zu übermitteln, mit denen sich die Analysten zurückziehen können. Hinsichtlich der Politik und des öffentlichen Umfelds konnte ein typischer Vertrauens- 98 und Glaubwürdigkeitsverlust festgestellt werden, der häufig in öffentlicher Kritik verarbeitet wird.99) In Beispiel 2 (siehe Rz. 6) ist es geboten, insbesondere bei strukturschwachem Wirt- 99 schaftsumfeld die Unterstützung der lokalen Politik einzuholen. Gegenüber den Amtsträgern ist in erster Linie die emotionale Kommunikation unter Zuhilfenahme von Leitbildern und Symbolen zweckmäßig. Für die angemessene Unternehmenskommunikation in der Krise werden besondere Emp- 100 fehlungen bereitgehalten:100)
Das Unternehmen muss sich korrekt verhalten, d. h. Krisensymptome und deren Ursachen sind zutreffend zu analysieren und zu benennen.101) Es sollen „ungeschminkte Wahrheiten“ kommuniziert werden.102)
___________ Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 142. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 142. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 142. Umfassend Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, Kap. 5.3, S. 105 ff.; Hess, Sanierungshandbuch, S. 439 ff. 101) Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, Kap. 5.3.1, S. 110 f. 102) Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 143.
97) 98) 99) 100)
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§5
1. Teil Allgemeines
Das Unternehmen darf das vorhandene Problem nicht leugnen, da hierdurch seine Glaubwürdigkeit nachhaltig zerstört werden kann.103) Ebenfalls soll auf Rechtfertigungen, Entschuldigungen, moralische und ethische Diskussionen verzichtet werden, weil hierdurch die potenziellen Zielgruppen ohnehin nicht erreicht würden.104)
Notwendige Einschnitte sollten gemeinsam mit attraktiven Zielen kommuniziert werden.105)
Das Unternehmen muss sich zugänglich, aktiv und reaktiv kommunizierend und reflektierend zeigen.106) Entscheidungen sollten zeitnah kommuniziert werden nach dem Modus „Top-Down“ und „Inside-out“.107)
Das Unternehmen muss besonders glaubwürdig, kohärent, kompetent und transparent auftreten.108) Es darf sich nicht in Wert- und Zielkonflikte begeben.109) Die Unternehmensleitung sollte präsent und ansprechbar sein und auf diese Weise Orientierung gewährleisten.110)
Das Unternehmen soll die möglichen Perspektiven für Kunden und Lieferanten ohne Verzögerungen – und nach Möglichkeit in positiver Kommunikation – aufzeigen.111)
5.
Zusammenfassung
101 Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass in Restrukturierung, Krise und Insolvenz frühzeitig und aktiv mit der Entwicklung und Durchführung eines der Situation angemessenen Kommunikationskonzepts begonnen werden muss. Hierzu gehört die aktive und umfassende Einholung, Verarbeitung, Strukturierung und Weitergabe von Informationen. 102 Unter strategischen bzw. inhaltlichen Gesichtspunkten sollte die Unternehmensleitung hierzu ermitteln, ob
das Sanierungspotenzial des Unternehmens ermittelt und formuliert wurde,
das Leitbild des sanierten Unternehmens erstellt wurde,
das Geschäftsmodell des Unternehmens im Grundsatz noch tauglich ist,
die einzelnen Ziele formuliert und auf ihre Erreichbarkeit geprüft wurden,
einzelne Handlungsschritte zur Sanierung bereits definiert wurden,
Kapitalgeber in den Sanierungsprozess einbezogen werden müssen,
personelle Veränderungen im Unternehmen, insbesondere in der Geschäftsführung erforderlich sind,
Betriebsteile aufgegeben oder veräußert werden müssen,
bestehende Geschäftsverbindungen angepasst oder beendet werden müssen.
___________ 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110) 111)
116
Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 12, 1., S. 329. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 143. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 143. Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, Kap. 5.3.2, S. 116 f. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 143. Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, Kap. 5.3.3, S. 119 f. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 12, 1., S. 329. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 144. Pfannenberg/Müller, in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, II. 8., S. 144.
Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Im Anschluss an diese inhaltlichen Planungen sollte die Unternehmensleitung im Hinblick 103 auf die Durchführung des Kommunikationskonzepts prüfen, ob und welche Kommunikationsbarrieren bestehen könnten, insbesondere
ob und welche Informationsasymmetrien im Hinblick auf die verschiedenen Bezugsgruppen des Unternehmens bestehen und wie diese ggf. beseitigt werden können,
ob und welche subjektiven Veränderungshindernisse (psychologische Reaktanzen)112) bestehen aufgrund von empfundener Existenzangst, Ohnmacht, Mutlosigkeit, fehlender Anerkennung etc.,
ob und in welchem Umfang bei den Geschäftsführern und leitenden Mitarbeitern Frustrationen und Abwanderungsgedanken vorliegen,
ob und in welchem Umfang das Sanierungsvorhaben zu tatsächlichen persönlichen Auswirkungen führen wird, d. h. zum Eintritt negativer persönlicher Folgen.113)
Intern sind die Abläufe und Zuständigkeiten festzulegen, insbesondere
104
welche zeitlichen Besonderheiten – z. B. aufgrund von Rechtsnormen des Kapitalmarktrechts etc. – bei der Informationserteilung zu beachten sind,
welche Entscheidungsgremien einzubinden sind und ob hierdurch eine Öffentlichkeit hergestellt wird,
welche besonderen Fristen aufgrund rechtlicher und tatsächlicher Gegebenheiten einzuhalten sind,
ob und ggf. wann mit mündlichen und schriftlichen Kommunikationen begonnen wird,
welche Medien zur Kommunikation benutzt werden und welchen Verbreitungsgrad diese besitzen,
wer als Kommunikator benannt und entsprechend instruiert und mit Informationen versorgt wird,
wer dem Kommunikator in welcher Weise zuarbeitet,
wie und wann das Kommunikationskonzept konkret umgesetzt wird,
wie die Umsetzungskontrolle ausgestaltet wird,
wie und von wem Rückmeldungen aufgenommen, verarbeitet und weitergemeldet werden.114)
III.
Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren
1.
Einleitung
Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird vom Unternehmen gestellt, sofern 105 ein Eröffnungsgrund gemäß §§ 17 bis 19 InsO vorliegt, d. h. wenn die tatsächliche oder drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Unternehmen zur Antragstellung ermächtigt oder gemäß § 15a InsO verpflichtet. Das Unternehmen befindet sich demnach bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Krise115) (Erfolgskrise oder Liquiditätskrise) und kann den Eröffnungsantrag – so sehen es § 1 Satz 1 und 2, § 270b Abs. 1 InsO ausdrücklich vor – stellen, um mit den besonderen „Sanierungswerkzeugen“ des Insolvenz___________ 112) 113) 114) 115)
Vgl. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, 1.2, S. 393. Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 267 ff. Vgl. auch Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 269 ff. Zur Entstehung und Entwicklung von Unternehmenskrisen Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2, S. 137 f.
Frege/Nicht
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Im Anschluss an diese inhaltlichen Planungen sollte die Unternehmensleitung im Hinblick 103 auf die Durchführung des Kommunikationskonzepts prüfen, ob und welche Kommunikationsbarrieren bestehen könnten, insbesondere
ob und welche Informationsasymmetrien im Hinblick auf die verschiedenen Bezugsgruppen des Unternehmens bestehen und wie diese ggf. beseitigt werden können,
ob und welche subjektiven Veränderungshindernisse (psychologische Reaktanzen)112) bestehen aufgrund von empfundener Existenzangst, Ohnmacht, Mutlosigkeit, fehlender Anerkennung etc.,
ob und in welchem Umfang bei den Geschäftsführern und leitenden Mitarbeitern Frustrationen und Abwanderungsgedanken vorliegen,
ob und in welchem Umfang das Sanierungsvorhaben zu tatsächlichen persönlichen Auswirkungen führen wird, d. h. zum Eintritt negativer persönlicher Folgen.113)
Intern sind die Abläufe und Zuständigkeiten festzulegen, insbesondere
104
welche zeitlichen Besonderheiten – z. B. aufgrund von Rechtsnormen des Kapitalmarktrechts etc. – bei der Informationserteilung zu beachten sind,
welche Entscheidungsgremien einzubinden sind und ob hierdurch eine Öffentlichkeit hergestellt wird,
welche besonderen Fristen aufgrund rechtlicher und tatsächlicher Gegebenheiten einzuhalten sind,
ob und ggf. wann mit mündlichen und schriftlichen Kommunikationen begonnen wird,
welche Medien zur Kommunikation benutzt werden und welchen Verbreitungsgrad diese besitzen,
wer als Kommunikator benannt und entsprechend instruiert und mit Informationen versorgt wird,
wer dem Kommunikator in welcher Weise zuarbeitet,
wie und wann das Kommunikationskonzept konkret umgesetzt wird,
wie die Umsetzungskontrolle ausgestaltet wird,
wie und von wem Rückmeldungen aufgenommen, verarbeitet und weitergemeldet werden.114)
III.
Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren
1.
Einleitung
Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird vom Unternehmen gestellt, sofern 105 ein Eröffnungsgrund gemäß §§ 17 bis 19 InsO vorliegt, d. h. wenn die tatsächliche oder drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Unternehmen zur Antragstellung ermächtigt oder gemäß § 15a InsO verpflichtet. Das Unternehmen befindet sich demnach bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Krise115) (Erfolgskrise oder Liquiditätskrise) und kann den Eröffnungsantrag – so sehen es § 1 Satz 1 und 2, § 270b Abs. 1 InsO ausdrücklich vor – stellen, um mit den besonderen „Sanierungswerkzeugen“ des Insolvenz___________ 112) 113) 114) 115)
Vgl. Mast, Unternehmenskommunikation, Teil IV, Kap. 15, 1.2, S. 393. Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 267 ff. Vgl. auch Schulz, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 264, 269 ff. Zur Entstehung und Entwicklung von Unternehmenskrisen Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2, S. 137 f.
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§5
1. Teil Allgemeines
rechts, insbesondere aufgrund der Verwendung eines Insolvenzplans, den Erhalt des Unternehmens zu erreichen und sich zu entschulden (vgl. § 225 Abs. 1 und § 227 Abs. 1 InsO). 106 Unter dem Gesichtspunkt der guten Unternehmenskommunikation werden in dieser Phase die Maßgaben und Handlungsempfehlungen zu beachten sein, die in etwas verallgemeinerter Form für die Kommunikation in Veränderungslagen und Krisensituationen erläutert wurden:
Die Kommunikation muss vom Unternehmen aktiv betrieben werden,
sie muss konsistent, glaubwürdig und reflektierend sein,
Perspektiven sollen aufgezeigt, der Insolvenzplan als Chance zum Neubeginn116) erläutert werden.
107 Die der Antragstellung vorausliegende Existenzkrise des Unternehmens weist zudem die Besonderheit auf, dass der bereits eingetretene Zustand viele – insbesondere externe – Beteiligte unmittelbar zur Bewertung ihrer Positionen und ggf. zum Handeln zwingt:
Die finanzierenden Banken müssen die Kündigung der Kreditlinien erwägen, um das eigene Vermögen zu schützen,
Lieferanten kommen ihren vertraglichen Pflichten häufig nur gegen Vorkasse nach, um ihren vertraglichen Leistungsanspruch auch tatsächlich durchzusetzen,
qualifizierte Mitarbeiter suchen oftmals nach neuen Perspektiven außerhalb des Unternehmens, um ihren Lebensstandard zu sichern,
Kunden wählen Konkurrenzprodukte aufgrund unsicherer Gewährleistungsrechte und zukünftiger Ersatzteilversorgung.117)
108 Der Eintritt des Insolvenzfalls ist insoweit mit erheblichen negativen Gefühlen und enttäuschten Erwartungen verbunden. Will die Unternehmensleitung in dieser ernsten Situation ein Sanierungskonzept erfolgreich durchsetzen, muss sie diesen Emotionen und den geschilderten Bestrebungen entgegenwirken.118) Sie wird hierbei nicht um den Versuch umhin kommen, bei den Beteiligten aktiv für ihr Sanierungskonzept zu werben und um Vertrauen und Mitwirkung zu bitten.119) Insoweit ist die Unternehmensleitung im Insolvenzfall gut beraten, wenn sie mit einem schlüssigen und auf Vertrauensgewinn gerichteten Kommunikationskonzept geradlinig auf die Beteiligten zugeht und die strategische Zukunftsplanung nachvollziehbar vermittelt. 109 Gerade in der Krise dominieren insbesondere bei den externen Beteiligten die Grundbedürfnisse nach
Orientierung (Was passiert im Moment und was kann/sollte ich tun?),
Stabilität,
Sicherheit,
Mitwirkungs- bzw. Einflussnahmemöglichkeit.
110 Belässt man die Beteiligten hingegen im Zustand der Desorientierung, Unsicherheit und dem als negativ empfundenen Gefühl, den Gang der Ereignisse nicht mit beeinflussen zu können, kommt es zu der geschilderten Abwendung vom Unternehmen. Dies dürfte regelmäßig zum Scheitern der Sanierungsversuche führen. ___________ 116) 117) 118) 119)
118
S. a. Paulus, ZGR 2005, 309 ff.: „Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer“. S. a. Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2., S. 139. S. zu den dazu erforderlichen emotionalen Kompetenzen Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623 ff. So in der Sache auch Kraus, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2., S. 139.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) sind umgehend Betriebsversammlungen einzuberufen, um 111 den Mitarbeitern den aktuellen Stand des Unternehmens und die Perspektiven zu erläutern. Es dürfen keine Gerüchte, Halbwahrheiten und Spekulationen in Umlauf sein, die zur Verunsicherung beitragen. Die Rechtswirkungen der Insolvenzantragstellung müssen zutreffend und umfassend erläutert werden. Die Belegschaft muss wissen, was auf sie „zukommen kann“ und nach Ansicht der Unternehmensleitung „zukommen soll“. Auch Kunden und Kreditinstitute sind entsprechend – nach Möglichkeit im persönlichen Gespräch – zu informieren. Schließlich ist zu beachten, dass infolge des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 112 weitere Adressaten in das Kommunikationsverhalten einzubeziehen sind. Im Bereich des für die Bearbeitung des Insolvenzantrags zuständigen Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – sind dies zunächst der Insolvenzrichter, später der Rechtspfleger (vgl. § 18 RPflG). Zudem begründen die Einleitung und später die Eröffnung neue Zuständigkeiten für weitere insolvenzrechtliche Verfahrensorgane in Gestalt von Gläubigerausschuss (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, §§ 22a, 67 ff. InsO) und -versammlung (§§ 74 ff. InsO), Insolvenzverwalter (§§ 56, 56a InsO) oder Sachwalter (§§ 274 ff. InsO). Das Kommunikationskonzept muss auf diese Erweiterung des betroffenen Personenkreises abgestimmt werden, indem anhand der rechtlichen Rahmenbedingungen der InsO120) und ansonsten nach dem Modus „Inside-Out“ und „Top-Down“ festgelegt wird, wann wer angesprochen wird. 2.
Die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch die Insolvenzschuldnerin
2.1
Vorbereitende Maßnahmen
Die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch Antragstellung beim Insolvenzgericht (siehe 113 auch § 6 Rz. 100 ff.) ist ein Vorgang, der – sofern Sanierungshindernisse möglichst weitgehend beseitigt werden sollen – im Hinblick auf die Unternehmenskommunikation besondere Festlegungen und Maßnahmen erfordert:
Wann und in welcher Weise werden die Hauptgläubiger angesprochen?
Wann und in welcher Weise wird das Insolvenzgericht angesprochen?
Wann und in welcher Weise wird die Belegschaft informiert?
Wie sieht ggf. die Kommunikation mit verbundenen Konzerngesellschaften aus?
Sind mehrere Insolvenzanträge in der Unternehmensgruppe zu kombinieren oder zumindest abzustimmen?
Sind gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen?121)
Sind Behörden und politische Institutionen einzubeziehen?
Ist eine Insolvenzgeldvorfinanzierung vorzubereiten?
Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) waren zwar mehrere Produktionsstandorte gegeben, die je- 114 doch einer juristischen Person zuzuordnen waren, so dass nur das Insolvenzgericht am satzungsmäßigen Sitz der Schuldnerin einzubeziehen war. Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb eines Industrieunternehmens ist die Finanzierung durch Insolvenzgeld aufgrund der positiven Auswirkung auf die Liquidität von großer Bedeutung. ___________ 120) S. zu den Informationsrechten und Informationspflichten der Beteiligten nach der InsO ausf. Frege/ Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 121) S. zu den gesellschaftsrechtlichen Fragen die Entscheidungen der Gerichte im Fall des SuhrkampVerlages: BVerfG v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), ZIP 2015, 80, dazu EWiR 2015, 49 (Bähr); BVerfG v. 4.12.2014 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), DRiZ 2015, 133; BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), BGHZ 202, 133 = ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus).
Frege/Nicht
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§5
1. Teil Allgemeines
115 Infolge der Reform der InsO durch das ESUG (2012) haben sich die Anforderungen an die Unternehmensleitung vergrößert, denn die vom Gesetz vorgesehene Stärkung der Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren erfordert weiteren Handlungs- und Kommunikationsbedarf, um die geeigneten Maßnahmen für die Umsetzung des Sanierungskonzepts treffen zu können. 116 Dies kann z. B. ein Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO sein (siehe hierzu § 9 Rz. 78 ff.). In diesem Antrag müssen die möglichen Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses benannt und deren Einverständnis mit der Bestellung mitgeteilt werden. Dies setzt voraus, dass das Unternehmen im Vorfeld die geeigneten Kandidaten ermittelt und sich ihrer Mitwirkung versichert hat. Soweit ein Insolvenzverfahren nicht in Eigenverwaltung, sondern als Regelinsolvenzverfahren durchgeführt werden soll, ist zu überlegen, wer als Insolvenzverwalter in Betracht kommen könnte, denn auch insoweit haben die im Insolvenzantrag gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO kenntlich zu machenden Hauptgläubiger ein Mitspracherecht (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 2 und § 56a Abs. 1 und 2 InsO).122) 117 Im eröffneten Verfahren ist die Umwandlung von Forderungen der Gläubiger in Eigenkapital i. R. eines Insolvenzplans zulässig (§ 225a Abs. 2 InsO; siehe dazu § 31 Rz. 56 ff.). Hierdurch können die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter berührt werden (vgl. §§ 217, 225a Abs. 5, §§ 238a, 246a InsO). Auch besteht die Möglichkeit, dass die Gesellschafter sich freiwillig im Insolvenzplan gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen unterwerfen (vgl. §§ 228, 230 InsO). Soweit demnach ein Insolvenzplanverfahren unter Einbeziehung der Gesellschafter angestrebt wird, sind die Gesellschafter im Wege vorbereitender Kommunikation einzubeziehen. 118 Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) muss die Unternehmensleitung – sollte sie ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit Insolvenzplan in Erwägung ziehen – die Gesellschafter ansprechen und Vorbereitungen für eine Entschuldung treffen. Hier sind Rangrücktritte – sofern nicht bereits geschehen – zu verhandeln und Anteilsübertragungen i. R. eines denkbaren Debt-Equity-Swaps vorzunehmen bzw. vorzubereiten. Dies setzt voraus, dass sich Altgesellschafter aus dem Unternehmen zurückziehen möchten und Gläubiger zur Umwandlung ihrer Forderungen in Eigenkapital bereit sind. 2.2
Stellung des Insolvenzantrags durch die Insolvenzschuldnerin
119 Der notwendige Inhalt eines Eröffnungsantrags ist in § 13 Abs. 1 InsO beschrieben. Hieraus ergibt sich, welche Pflichtangaben zu erfolgen haben und welche Unterlagen beim Insolvenzgericht einzureichen sind. Hierzu gehört eine Forderungsaufstellung und die Kenntlichmachung verschiedener besonders bedeutsamer Forderungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 5 InsO. Zudem müssen Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zu den Arbeitnehmerzahlen gemacht werden. Dies dient der Prüfung, ob die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt sind. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 InsO i. V. m. § 22a Abs. 2 InsO kann ein vorläufiger Gläubigerausschuss mit dem Eröffnungsantrag mit beantragt werden. Angesichts der Bedeutung der zu treffenden Maßnahmen und des absehbaren organisatorischen Aufwands ist zu empfehlen, bereits vor der förmlichen Antragstellung die Abstimmung mit dem Insolvenzgericht und den Hauptgläubigern zu suchen.123) Bei Konzerninsolvenzen kann es darüber hinaus geboten sein, weitere Gesellschaf___________ 122) S. bereits AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11 (Sietas-Werft), ZIP 2011, 2372. 123) Zur bislang praktizierten Übung (sog. „Detmolder Modell“) s. Busch, DZWIR 2004, 353 ff.; Smid, ZInsO 2010, 2047 ff., und Smid, WPg 2011, Sonderheft S. 8 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
ten der Unternehmensgruppe und ggf. weitere Insolvenzgerichte – u. U. auch ausländische Gerichte124) – einzubinden, auch um Zuständigkeitsfragen bereits vorab zu klären.125) 2.3
Stellung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung durch die Insolvenzschuldnerin
Dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung wird gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur 120 stattgegeben, wenn keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (siehe eingehend § 6 Rz. 162 ff.). Hier muss das Unternehmen die Gelegenheit nutzen, bereits bei Antragstellung offensiv zu diesem Tatbestandsmerkmal der bekannten Umstände vorzutragen. Dem Insolvenzrichter wird durch einen substantiierten Sachvortrag die Entscheidung erleichtert. Zudem ist gemäß § 270 Abs. 3 InsO der vorläufige Gläubigerausschuss zum Eigenverwaltungsantrag zu hören (siehe eingehend § 9 Rz. 210 ff.). Diesem vorläufigen Gläubigerausschuss muss eine angemessene Entscheidungsgrundlage vorgelegt werden, die sich an den Grundsätzen der Business Judgment Rule orientieren kann.126) 2.4
Vorlage eines vorbereiteten Insolvenzplans
Mit dem Eröffnungsantrag kann das Unternehmen gemäß § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO einen 121 vorbereiteten Insolvenzplan einreichen (siehe auch § 23 Rz. 23 ff. und § 24 Rz. 12 ff.).127) Da mit diesem Insolvenzplan in die Rechte der Gläubiger und der Anteilseigner des Unternehmens eingegriffen werden kann und regelmäßig eingegriffen wird (vgl. § 224 InsO), ist es zweckmäßig, den Planentwurf zumindest mit den Hauptgläubigern – die gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO im Eröffnungsantrag benannt werden müssen – und mit den Gesellschaftern abzustimmen. Eine für die Beteiligten überraschende und inhaltlich nicht vorabgestimmte Vorlage kann sich negativ auf die Bereitschaft auswirken, aktiv und ggf. unter empfindlichen Einschnitten an der Sanierung mitzuwirken. Die Aufgabe der Unternehmensleitung besteht darin, die Beteiligten von dem Sanierungskonzept, das den Kern des Insolvenzplans bildet, zu überzeugen und deren Mitwirkungsbereitschaft zu erlangen. Hierzu muss kommunikativ aktive Überzeugungsarbeit geleistet werden. Gegenüber den Hauptgläubigern und Gesellschaftern ist die Verwendung verobjektivierter, ggf. digitaler Informationen angemessen, z. B. durch Vorlage eines dem IDW S 6 entsprechenden Sanierungsgutachtens. 3.
Zusammenarbeit zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Gläubigerausschuss
Die Gläubigermitbestimmung insbesondere im Eröffnungsverfahren führt dazu, dass der 122 Insolvenzrichter, der vorläufige Insolvenzverwalter und die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses häufig miteinander in Kontakt treten – miteinander kommunizieren – müssen. Es sind verschiedene wirtschaftliche und verfahrensrechtliche Entscheidungen zu treffen, an denen die Beteiligten in unterschiedlicher Weise mitwirken. Dem Insolvenzgericht obliegen hierbei die formale Verfahrensdurchführung (z. B. durch 123 die Prüfung des Insolvenzantrags auf dessen Zulässigkeit und die Anordnung von Sicher___________ 124) Zur Kommunikation der Insolvenzgerichte s. Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 ff. 125) Zur Problematik des Gerichtsstands vgl. LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140, dazu EWiR 2018, 85 (J. Schmidt); AG Charlottenburg v. 13.12.2017 – 36n IN 6433/17, ZIP 2018, 43. 126) Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Kühne, in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 5 D., S. 233 ff., Kap. 17 C., S. 626 ff. 127) Zum Vorlagezeitpunkt Frege/Nicht, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 D., Rz. 92 ff.
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§5
1. Teil Allgemeines
heitsmaßnahmen gemäß §§ 21, 22 InsO) und die Rechtmäßigkeitsaufsicht in Bezug auf das Handeln des vorläufigen Insolvenzverwalters und des vorläufigen Gläubigerausschusses, während die wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitsfragen vom vorläufigen Insolvenzverwalter und dem vorläufigen Gläubigerausschuss bearbeitet werden.128) Vom Insolvenzrichter wird verlangt, dass er auch in den wesentlichen Verfahrensfragen dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gehör verschafft bzw. den Ausschuss aktiv in die Entscheidungsfindung einbezieht wie folgt: 3.1
Die Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses an der Auswahl des Insolvenzverwalters129)
124 Das Gesetz sieht in § 56a Abs. 1 InsO vor, dass die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses sich zu den Anforderungen und zur Person des Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters äußern sollen. Gemäß § 56a Abs. 2 InsO darf das Insolvenzgericht von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für das Amt nicht geeignet ist, wobei es hinsichtlich der Eignung auf die Kriterien in § 56 Abs. 1 InsO ankommt. Insbesondere ist ein potenzieller Insolvenzverwalter hiernach nicht ungeeignet, wenn er vom schuldnerischen Unternehmen vorgeschlagen wurde und/oder das schuldnerische Unternehmen vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat. Nach dem überkommenen Recht fehlte dem Prätendenten in diesen Fällen die Unabhängigkeit von der Insolvenzschuldnerin. Nunmehr bietet es sich für das Unternehmen an, aktiv kommunizierend an die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses heranzutreten und ggf. im Verhandlungswege den bevorzugten Kandidaten – soweit keine Eigenverwaltung gemäß §§ 270 f. InsO beantragt werden soll – bei den Ausschussmitgliedern zu etablieren. Hierbei können die Hinweise in der Literatur zu einer angemessenen Argumentation i. R. schwieriger Verhandlungen beachtet werden.130) Die Unternehmensleitung verfügt in dieser Lage des Eröffnungsverfahrens noch über eine Mittlerposition und über den Zugang zu verschiedenen Interessengruppen (z. B. Gesellschafter, Investoren, Lieferanten) und sollte diese Stellung in den Verhandlungen einsetzen, um einen geeigneten Insolvenzverwalter durchzusetzen. 125 Hierzu muss die Unternehmensleitung im Hinblick auf die verschiedenen Beteiligten die Einigungsoptionen, die Nichteinigungsalternativen und mögliche Kooperationsgewinne herausarbeiten,131) die jeweils vorliegenden Interessen der verschiedenen Gruppen analysieren (z. B. Erhalt und Sanierung des Unternehmens, Übertragung an Finanzinvestoren und ggf. Aufteilung des Unternehmens, Verwertung der Sicherungsrechte etc.) und auf dieser Basis die eigenen Argumente aufbereiten und vortragen.132) Das Mitspracherecht der Hauptgläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters ist einer der Kernpunkte der Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG. Es beruht auf der Erkenntnis, dass diese Beteiligten, deren Vermögenswerte infolge der Insolvenz unmittelbar bedroht sind, ein rechtlich nunmehr geschütztes wirtschaftliches Interesse an der Auswahl der natürlichen Person bzw. Personen haben, die mit der Bewirtschaftung des insolventen Unternehmens ___________ 128) S. bereits Frege, in: FS Peltzer, 2001, S. 109, 114 f. 129) S. eingehend unten § 9 Rz. 156 ff. 130) S. insbesondere Saner, Verhandlungstechnik, S. 41 ff., 85 ff.; Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 100 ff., und Schranner, Teure Fehler, S. 93 ff.; im Ansatz mediativ Salewski, Die Kunst des Verhandelns, S. 117 ff.; Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 41 ff.; Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 53 ff. und S. 89 ff.; Wachs, Faktor V – Die fünf Phasen erfolgreichen Verhandelns, 2012, S. 75 ff., 123 ff., 165 ff. 131) Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 27 ff. und S. 54 ff. 132) Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 101 ff.; Frege, Verhandlungserfolg, Teil 2, C., S. 197 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
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betraut sein sollen. Insoweit sollte die Unternehmensleitung die Handlungsmotive und Positionen dieser Beteiligten zunächst zur Kenntnis nehmen und dann ein Kommunikationskonzept entwickeln, in dem der Nutzen des vom Unternehmen empfohlenen Insolvenzverwalters für die Gläubiger betont wird.133) Im Beispiel 2 (siehe Rz. 6) wird die Unternehmensleitung – soweit nicht ein Insolvenzver- 126 fahren in Eigenverwaltung angestrebt wird – einen sehr erfahrenen Insolvenzverwalter vorschlagen, der bereits große Industrieinsolvenzen mit hoher Mitarbeiteranzahl betreut hat. Es ist abzusehen, dass die übertragende Sanierung von Betriebsteilen eine Verfahrensoption sein kann, aber auch die Verhandlung mit Bietern i. R. von Übertragungsprozessen. Parallel muss das Unternehmen vom Insolvenzverwalter fortgeführt werden. Deshalb muss eine entsprechend leistungsstarke Insolvenzverwaltung angesprochen werden, die eine solche qualitativ und quantitativ anspruchsvolle Verfahrensdurchführung bewältigen kann. 3.2
Die Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor der Anordnung der Eigenverwaltung
In Insolvenzsituationen, die hinreichende Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung des 127 Unternehmens versprechen, kann ein vorbereiteter Sanierungs-Insolvenzplan gemeinsam mit dem Eröffnungsantrag und dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung beim Insolvenzgericht vorgelegt werden. In einem solchen Fall soll gemäß § 270a Abs. 1 InsO kein vorläufiger Insolvenzverwalter, sondern ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden, wenn der Antrag auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich ohne Erfolg ist. Der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung hat Erfolg, wenn keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Gemäß § 270 Abs. 3 InsO ist der vorläufige Gläubigerausschuss vor der Anordnung der Eigenverwaltung zu beteiligen. Unterstützt er den Antrag mit einem einstimmigen Beschluss, so gilt die Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 3 InsO als nicht nachteilig. Für das insolvente Unternehmen, welches gemäß §§ 270 ff. InsO ein Insolvenzverfahren 128 in Eigenverwaltung – ggf. unter Neubesetzung oder Ergänzung der Geschäftsführungspositionen – anstrebt, stellt sich deshalb im Vorfeld die Aufgabe, mögliche Bedenken der im vorläufigen Gläubigerausschuss repräsentierten Hauptgläubiger gegen die geplante Eigenverwaltung zu zerstreuen. Insoweit ist es von Bedeutung, zunächst den allgemeinen Vorbehalten, die gegen das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung erhoben wurden („Es werde der Bock zum Gärtner gemacht“), zu begegnen und dann auf den Einzelfall bezogen darzulegen, dass Nachteile i. S. des § 270 InsO nicht zu befürchten sind. Die Eigenverwaltung in der Insolvenz kann als ein Kooperationsmodell zwischen dem insolventen Unternehmen und seinen Gläubigern verstanden werden, weshalb es wichtig ist, den Antrag hinsichtlich der Anordnung der Eigenverwaltung mit der Darstellung der möglichen Kooperationsgewinne für die Beteiligten zu verbinden.134) Hierzu reicht es nicht aus, wenn in allgemeiner Form auf die Nutzung der branchenspezifischen Kenntnisse der Schuldnerin etc. verwiesen wird. Vielmehr muss auch hier die Unternehmensleitung die Entscheidungsberechtigten, d. h. die Hauptgläubiger, von ihren Argumenten für die Eigenverwaltung überzeugen. Sie muss innere und äußere Widerstände bei den Beteiligten überwinden, indem sie die Bedenken und Befürchtungen aufgreift, reflektiert und offensiv beantwortet. Man kann sich den Eigenverwaltungsantrag als besondere Form einer integrativen Verhandlung mit den Gläubigern vorstellen, bei der es im Gegensatz zur distributiven Verhandlung ___________ 133) Zur argumentativen Überzeugung s. nochmals Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 101 ff. 134) Zur Bedeutung von Kooperationsgewinnen für die Verhandlung Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 54 ff.
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§5
1. Teil Allgemeines
nicht um die Wertverteilung geht, sondern zunächst um eine gemeinsame Wertschaffung, die durch die Verbindung der Zugeständnisse der Gläubiger mit der Einbringung der Kompetenzen der Insolvenzschuldnerin erfolgt.135) 129 Es wurde bereits gezeigt, dass bei Kunden und Lieferanten und bei Mitarbeitern typische Vorurteile hinsichtlich des möglichen Krisenbewältigungsverhaltens des Unternehmens vorliegen können, nämlich die negative Erwartung, das Unternehmen werde zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein und den wirtschaftlichen Umschwung nicht bewältigen können; es werde die berechtigten Belange der Lieferanten, Kunden, Kreditgeber und der Belegschaft unterdrücken etc. Diese typischen Vorurteile drücken die Bedürfnisse nach Kontinuität, nach Sicherheit, nach Übernahme von Verantwortung, nach Mitnahme und Orientierung und nach Gestaltungseinfluss aus. Diese Bedürfnisse müssen vom Unternehmen befriedigt werden. Im Rahmen der Krisenkommunikation werden die Bedürfnisse angemessen gespiegelt und überzeugend beantwortet. Dies kann dazu führen, dass mögliche Bedenken gegen die Anordnung der Eigenverwaltung fallengelassen werden. Das Unternehmen muss sich reflektierend zeigen und die erwartete konkrete Stimmungslage der vorhandenen Beteiligten verarbeiten und hierauf reagieren. 4.
Die Zusammenarbeit des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss
130 Soweit keine vorläufige Eigenverwaltung stattfindet, kann hinsichtlich der Zusammenarbeit des vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss grundsätzlich auf die Maßgaben zum eröffneten Verfahren verwiesen werden (vgl. §§ 67 ff. InsO). Auch der vorläufige Gläubigerausschuss hat die Aufgabe, die Amtsführung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu überwachen und zu unterstützen. Zu wichtigen geschäftlichen Entscheidungen ist der vorläufige Gläubigerausschuss in Anlehnung an die §§ 160 ff. InsO hinzuzuziehen. Wichtig für die Art und Weise der Kommunikation zwischen dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem vorläufigen Insolvenzverwalter ist die Feststellung, dass die Beteiligten regelmäßig unter hohem Zeit- und Handlungsdruck stehen, oftmals aber nicht über die umfangreichen Informationen verfügen (können), die an sich erforderlich wären, um eine umfassend abgewogene unternehmerische Entscheidung zu treffen. Dies kann zu einem Gefühl der Desorientierung und Schutzlosigkeit führen. Hieraus kann sich angesichts der drohenden persönlichen Haftung (§§ 60, 61, 71 InsO) eine Entscheidungsschwäche entwickeln, die das Verfahren lähmen kann. Dies ist insbesondere im Eröffnungsverfahren nicht gewollt. In diesem Stadium soll durch schnelles und entschlossenes Handeln der Entscheidungsträger versucht werden, die Vermögenssituation des Unternehmens gegen nachteilige Veränderungen zu schützen. Hierzu bedarf es Entscheidungsfreude, Entschlusskraft und Durchsetzungsstärke.136) Grundsätzlich ist zu empfehlen, durch eine Formalisierung der Entscheidungsabläufe bei den Beteiligten das Gefühl der Orientierung und Sicherheit herzustellen. Der vorläufige Insolvenzverwalter – oder bei Eigenverwaltung die Insolvenzschuldnerin selbst – kann dies erreichen, indem er fortlaufende Entscheidungsvorlagen erstellt, die in ihrem Aufbau und Inhalt den Maßgaben der Business Judgment Rule entsprechen.137) ___________ 135) S. zur integrativen Verhandlung insbesondere Saner, Verhandlungstechnik, S. 85 ff. 136) S. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 440. 137) Frege/Berger, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht, in: FS Wellensiek, 2011, S. 291 ff.; Uhlenbruck, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 1603 f.; Jungmann, NZI 2009, 80 ff.; monographisch Bönner, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich, 2009, S. 104 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, 2011, S. 114 ff., 135 ff.
124
Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren 5.
§5
Kommunikation und Verhandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters oder der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern138)
Während des Eröffnungsverfahrens ist das Augenmerk zunächst auf eine Sicherung des 131 Vermögens und die Stabilisierung des Geschäftsbetriebs gerichtet. Darüber hinaus werden finanz-139) und leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen überprüft und deren Umsetzung vorbereitet. Von besonderer Bedeutung sind in dieser Phase die Verhandlungen mit
Kreditgebern über die Fortführung der Finanzierung,
Gesellschaftern über die Bereitstellung von Haftkapital bzw. über Rangrücktritte oder die Bereitstellung von Anteilen zur Durchführung eines Debt-Equity-Swaps,
Zulieferern über die Weiterbelieferung mit Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen,
Abnehmern der hergestellten und angebotenen Waren und Dienstleistungen.
Diese Gruppen sind durch unterschiedliche Interessen gekennzeichnet.140) Hervorzuheben 132 ist das Bedürfnis nach angemessener Kreditsicherung, um dem drohenden Ausfall der Forderungen aus Kredit- und Lieferverträgen im Fall der Verfahrenseröffnung vorzubeugen. Gesicherte Gläubiger nehmen aufgrund ihrer Privilegierung im Insolvenzverfahren (vgl. §§ 165 ff. InsO) in den Verhandlungen typischerweise eine – auf die Zukunft bezogen – risikoaverse Position ein, denn ihre Nichteinigungsoption ist die Durchsetzung eines Absonderungsrechts i. R. des Insolvenzverfahrens. Damit können sie regelmäßig eine weitreichende Befriedigung erreichen. Sie sind folglich in einer starken Verhandlungsposition. In vielen Fällen dürfen die gesicherten Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Absonderungsgut sogar selbst verwerten (vgl. § 166 InsO). Kommunikationspsychologisch von Bedeutung ist die Frustrationserfahrung der Gläubi- 133 ger. Bei ihnen ist das Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Insolvenzschuldnerin enttäuscht worden. Angesichts einer statistischen Befriedigungschance zwischen 5 und 20 %, d. h. einem sehr weitgehenden Ausfallrisiko, ist die Mitwirkungsbereitschaft der Gläubiger eher gering. Sie haben sich häufig emotional von dem Unternehmen abgewendet. Insoweit ist das insolvente Unternehmen in erster Linie gefordert, den Vertrauensverlust durch Sanierungshandlungen in der Sache und durch entsprechende Kommunikation zu kompensieren, um überhaupt auf der Sachebene Lösungen verhandeln zu können. Hierzu ist es erforderlich, durch vollständige, verständliche und – bezogen auf die Person des Kommunikators – glaubwürdige Information auf die Gläubiger zuzugehen.141) Soll ein Insolvenzplan durchgeführt werden, der finanzielle Zugeständnisse von den Gläubigern voraussetzt (z. B. Forderungsverzichte), kann neben dem individuellen Nutzen für die einzelnen Beteiligten kommuniziert werden, dass die Befriedigungsquoten i. R. von Insolvenzplanverfahren statistisch gesehen deutlich höher liegen als in Regelinsolvenzverfahren.142) 6.
Zusammenfassung
Wirtschaftlich ist in der Krise die Kommunikation mit den Banken und Gläubigern wichtig; 134 sie ist zugleich störungsanfällig, denn das Kommunikationsklima ist durch den Vertrauens___________ 138) Zu den Befugnissen des Schuldners und zum Zusammenwirken des Schuldners mit dem Sachwalter s. unten § 11 Rz. 10 ff. und § 13 Rz. 8 ff. 139) Vgl. Crone/Kreide, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 157 ff. 140) Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4, B. und C., S. 258 f.; zur Bedeutung der Interessen Bühring-Uhle/ Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 5 ff. 141) S. nochmals Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4, B. und C., S. 258 f. 142) Kranzusch, ZInsO 2007, 804, 806; Paffenholz/Kranzusch, Insolvenzplanverfahren – Sanierungsoption für mittelständische Unternehmen, 2007, S. 101 ff.; ferner Ehlers, ZInsO 2010, 257, 259.
Frege/Nicht
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§5
1. Teil Allgemeines
verlust und das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung belastet. Es liegt in den Händen der Unternehmensleitung, durch schnelle, klare und glaubwürdige Botschaften das Unternehmensumfeld anzusprechen und hiermit ein positives Sanierungsklima herzustellen, das für Eigenverwaltung und Insolvenzplan grundlegende Voraussetzung ist. 135 Durch das ESUG wurde die Kommunikation während des Eröffnungsverfahrens im Hinblick auf die Gläubigerbeteiligung in Teilen formalisiert. Das Gesetz sieht mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss ein weiteres Verfahrensorgan im Eröffnungsverfahren vor und ordnet ihm mit dem Verweis in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO auf die §§ 69 bis 73 InsO Aufgaben und Kompetenzen sowie eine Haftungsregel zu. An verschiedener Stelle ist im Gesetz geregelt (z. B. §§ 56a, 270 Abs. 3 InsO), wann und in welcher Form der vorläufige Gläubigerausschuss einzubeziehen ist. Hierbei handelt es sich um Abstimmungen zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Gläubigerausschuss. Die Einbeziehung der Insolvenzschuldnerin an diesen Stellen sieht das Gesetz nicht vor. Will die Insolvenzschuldnerin auf die Geschehnisse Einfluss nehmen, wird sie sich eigenständig an den vorläufigen Gläubigerausschuss wenden müssen. IV.
Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten
1.
Einleitung
136 Im Hinblick auf die Kommunikation mit den Beteiligten während des Insolvenzverfahrens ist in der Sache zu unterscheiden zwischen Information, Rechtsausübung und Verhandlung. 137 Die Informationserteilung durch die das Insolvenzverfahren leitenden Personen ist darauf gerichtet, rechtlich bestehende Informationsansprüche, z. B. der Gläubiger, zu bedienen.143) Hierdurch werden die Beteiligten in die Lage versetzt, ihre jeweiligen Verfahrensrechte etc. bestmöglich wahrzunehmen. Das jeweilige Maß und die Art und Weise der gebotenen Informationserteilung lassen sich im Zusammenhang mit den verschiedenen gesetzlichen Informationsansprüchen herleiten (vgl. nur §§ 58, 69, 79, 151 ff., 156, 160 ff., 167 f. InsO).144) 138 Rechtsausübung findet statt, wenn der Insolvenzverwalter – oder im Fall der Eigenverwaltung die Insolvenzschuldnerin bzw. der Sachwalter – Rechtshandlungen gegenüber den Beteiligten vornimmt, z. B. Erklärungen gemäß § 103 oder §§ 165 ff. InsO abgibt oder die Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO geltend macht. Über die konkrete Art und Weise der Ansprache der Erklärungsempfänger entscheidet derjenige, der die Erklärung abzugeben hat. Der Inhalt der Erklärung ergibt sich aus den verschiedenen Rechtstiteln der InsO (siehe § 11 Rz. 129 ff.). 139 Verhandlungen können im Insolvenzverfahren in verschiedenster Gestalt geführt werden. Hervorzuheben sind Verhandlungen mit Massegläubigern hinsichtlich der Weiterbelieferung des Unternehmens oder der Abnahme der angebotenen Dienstleistungen, des Weiteren Verhandlungen mit Investoren über die Übernahme des insolventen Unternehmens in seiner Gesamtheit oder in Teilen.145) Diese Verhandlungen sind nach kaufmännischen Maßgaben zu führen. Sie führen im Fall der Einigung der Verhandlungspartner zu kaufmännischen Ermessensentscheidungen, die auf der Grundlage der Business Judgment Rule zu treffen und auch zu kommunizieren sind:
Benennung des Entscheidungsgegenstands,
Darstellung der Entscheidungsalternativen,
___________ 143) Ausf. Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 144) Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 145) Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4, D., S. 259 f.
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1. Teil Allgemeines
verlust und das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung belastet. Es liegt in den Händen der Unternehmensleitung, durch schnelle, klare und glaubwürdige Botschaften das Unternehmensumfeld anzusprechen und hiermit ein positives Sanierungsklima herzustellen, das für Eigenverwaltung und Insolvenzplan grundlegende Voraussetzung ist. 135 Durch das ESUG wurde die Kommunikation während des Eröffnungsverfahrens im Hinblick auf die Gläubigerbeteiligung in Teilen formalisiert. Das Gesetz sieht mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss ein weiteres Verfahrensorgan im Eröffnungsverfahren vor und ordnet ihm mit dem Verweis in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO auf die §§ 69 bis 73 InsO Aufgaben und Kompetenzen sowie eine Haftungsregel zu. An verschiedener Stelle ist im Gesetz geregelt (z. B. §§ 56a, 270 Abs. 3 InsO), wann und in welcher Form der vorläufige Gläubigerausschuss einzubeziehen ist. Hierbei handelt es sich um Abstimmungen zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Gläubigerausschuss. Die Einbeziehung der Insolvenzschuldnerin an diesen Stellen sieht das Gesetz nicht vor. Will die Insolvenzschuldnerin auf die Geschehnisse Einfluss nehmen, wird sie sich eigenständig an den vorläufigen Gläubigerausschuss wenden müssen. IV.
Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten
1.
Einleitung
136 Im Hinblick auf die Kommunikation mit den Beteiligten während des Insolvenzverfahrens ist in der Sache zu unterscheiden zwischen Information, Rechtsausübung und Verhandlung. 137 Die Informationserteilung durch die das Insolvenzverfahren leitenden Personen ist darauf gerichtet, rechtlich bestehende Informationsansprüche, z. B. der Gläubiger, zu bedienen.143) Hierdurch werden die Beteiligten in die Lage versetzt, ihre jeweiligen Verfahrensrechte etc. bestmöglich wahrzunehmen. Das jeweilige Maß und die Art und Weise der gebotenen Informationserteilung lassen sich im Zusammenhang mit den verschiedenen gesetzlichen Informationsansprüchen herleiten (vgl. nur §§ 58, 69, 79, 151 ff., 156, 160 ff., 167 f. InsO).144) 138 Rechtsausübung findet statt, wenn der Insolvenzverwalter – oder im Fall der Eigenverwaltung die Insolvenzschuldnerin bzw. der Sachwalter – Rechtshandlungen gegenüber den Beteiligten vornimmt, z. B. Erklärungen gemäß § 103 oder §§ 165 ff. InsO abgibt oder die Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO geltend macht. Über die konkrete Art und Weise der Ansprache der Erklärungsempfänger entscheidet derjenige, der die Erklärung abzugeben hat. Der Inhalt der Erklärung ergibt sich aus den verschiedenen Rechtstiteln der InsO (siehe § 11 Rz. 129 ff.). 139 Verhandlungen können im Insolvenzverfahren in verschiedenster Gestalt geführt werden. Hervorzuheben sind Verhandlungen mit Massegläubigern hinsichtlich der Weiterbelieferung des Unternehmens oder der Abnahme der angebotenen Dienstleistungen, des Weiteren Verhandlungen mit Investoren über die Übernahme des insolventen Unternehmens in seiner Gesamtheit oder in Teilen.145) Diese Verhandlungen sind nach kaufmännischen Maßgaben zu führen. Sie führen im Fall der Einigung der Verhandlungspartner zu kaufmännischen Ermessensentscheidungen, die auf der Grundlage der Business Judgment Rule zu treffen und auch zu kommunizieren sind:
Benennung des Entscheidungsgegenstands,
Darstellung der Entscheidungsalternativen,
___________ 143) Ausf. Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 144) Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 145) Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4, D., S. 259 f.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
Darstellung der verwendeten Informationsquellen,
Darstellung der Ermessensabwägung.
2.
§5
Kommunikation im Regelinsolvenzverfahren
Im Regelinsolvenzverfahren werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Kom- 140 munikation zwischen den Beteiligten durch die Bestellung des Insolvenzverwalters gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1, § 56 InsO und das Hinzutreten der Verfahrensorgane Gläubigerausschuss (vgl. §§ 67 ff. InsO) und Gläubigerversammlung (vgl. §§ 74 ff. InsO) und die Zuordnung entsprechender Rechte und Pflichten verändert. Der Insolvenzverwalter erhält gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungs- 141 befugnis über das schuldnerische (haftende) Vermögen. Er wird deshalb zum zentralen Ansprechpartner für die verschiedenen Gläubiger und Mitarbeiter, die Geschäftsleitung und für das Insolvenzgericht und die Verfahrensorgane. Er führt Gespräche mit der Insolvenzschuldnerin zur Ermittlung der Rechts-, Geschäfts- und Vermögensverhältnisse (vgl. §§ 97 ff. InsO), berichtet gegenüber dem Insolvenzgericht i. R. der Verfahrensaufsicht (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO), berichtet gegenüber dem Gläubigerausschuss (vgl. § 69 Satz 1 und 2, §§ 160 ff. InsO) und innerhalb der Gläubigerversammlung (vgl. § 79 Satz 1 InsO); die Insolvenzschuldnerin hat Auskunftsrechte gegenüber dem Insolvenzverwalter aufgrund ihrer Eigentümerstellung, die Absonderungsberechtigten können Auskünfte gemäß §§ 167 f. InsO verlangen.146) Der Insolvenzverwalter führt darüber hinaus die Verhandlungen mit Gläubigern, Kreditinstituten und mit Investoren, die am Erwerb von Vermögensgegenständen aus der Insolvenzmasse oder dem Unternehmen insgesamt interessiert sind.147) Zumeist ist der Insolvenzverwalter Ausgangspunkt und Initiator von Kommunikationsprozessen. Dies gilt insbesondere bei Unternehmensfortführungen in der Insolvenz, da der Insolvenzverwalter hier faktisch in die Rolle der Geschäftsleitung eintritt.148) 2.1
Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Gläubigerausschuss
Der Insolvenzverwalter arbeitet gemäß § 69 Satz 1 InsO mit dem Gläubigerausschuss zu- 142 sammen und wird von diesem bei seiner Amtsführung überwacht. Die ordnungsgemäße Zusammenarbeit und Überwachung setzt voraus, dass der Gläubigerausschuss vom Insolvenzverwalter zutreffend und umfassend informiert wird. Der Gläubigerausschuss kann Entschlüsse nur auf angemessener Informationsgrundlage treffen. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, den Gläubigerausschuss nicht auf sein Einsichtsrecht gemäß § 69 Satz 2 InsO zu verweisen, sondern mit Beschlussvorlagen zu versorgen, die der wirtschaftlichen Bedeutung in Art und Umfang entsprechen. Bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen kann sich der Vorlageersteller an der Business Judgment Rule orientieren.149) Hierdurch wird eine Formalisierung des Entscheidungsvorgangs bewirkt, die den Beteiligten Sicherheit und Orientierung verschafft. Die formale und inhaltliche Grundstruktur der Entscheidungsvorlage könnte wie folgt aussehen:
Benennung von Sachbearbeiter, Ort, Zeit und Datum,
Benennung des Entscheidungsgegenstands und Themengebiets,
Darstellung der denkbaren Entscheidungsalternativen und deren Folgen, ___________ 146) Ausf. Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 147) Zur Durchführung von Unternehmenstransaktionen in der Insolvenz Kühne, in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 11, S. 461 ff., Kap. 17 C., S. 626 ff. 148) Zur Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit den Gläubigerorganen bei Betriebsfortführungen Kühne, in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 17 C., S. 626 ff. 149) Ausf. Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.
Frege/Nicht
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§5
1. Teil Allgemeines
Darstellung der denkbaren und der konkret verwendeten Informationsquellen,150)
Darstellung der konkreten Ermessensabwägung und Entschlussvorschlag.
143 Unabhängig hiervon kann der Gläubigerausschuss als Verfahrensorgan ohne Rückgriff auf die Vorarbeiten des Insolvenzverwalters beraten und Beschlüsse treffen. Da im Gläubigerausschuss – insbesondere wenn er nach dem Repräsentationsschema des § 67 Abs. 2 InsO zusammengesetzt ist – verschiedene wirtschaftliche Interessen und Positionen hinsichtlich der Verfahrensdurchführung zusammentreffen können, kann es im Einzelfall geboten sein, dass der Insolvenzverwalter als unabhängiger Amtswalter in mediativer Art und Weise zwischen den entgegengesetzten Positionen vermittelt.151) 2.2
Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Insolvenzgericht
144 Der Insolvenzverwalter wird vom Insolvenzgericht eingesetzt und überwacht (§ 27 Abs. 1 Satz 1, §§ 56, 56a, 58 InsO). Das Insolvenzgericht ist für die Rechtmäßigkeit der Verfahrensdurchführung verantwortlich. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, gegenüber dem Insolvenzgericht – zuständig ist gemäß § 18 RPflG der Rechtspfleger – regelmäßig Bericht zu erstatten, damit das Gericht seiner Überwachungsaufgabe angemessen nachkommen kann. Hinsichtlich der Art und Weise der Berichterstattung haben sich in der Praxis der Insolvenzverwaltung verschiedene Standards etabliert, die vom Insolvenzverwalter beachtet werden sollten.152) Eine gesetzliche Vorschrift zur formalen und inhaltlichen Ausgestaltung des Berichtswesens existiert nicht. Bei besonderen Anlässen kann der Insolvenzverwalter auch mündlich oder fernmündlich berichten. 2.3
Kommunikation zwischen dem Insolvenzverwalter und der Insolvenzschuldnerin und deren Organen und Angestellten
145 Inhalt und Umfang der Kommunikation mit der Insolvenzschuldnerin können je nach strategischer Verfahrensausrichtung und individueller Mitwirkungsbereitschaft der Beteiligten unterschiedlich ausfallen. 146 Bei einer Betriebsfortführung wird der Insolvenzverwalter eng mit der Geschäftsleitung und der Belegschaft zusammenwirken.153) Die Kommunikationsstrategie des Insolvenzverwalters kann hier darauf gerichtet sein, den Beteiligten den Eindruck der Wertschätzung, Anerkennung und Unterstützung zu vermitteln.154) Auch die Grundbedürfnisse der Beteiligten nach Sicherheit, Orientierung und persönlicher Gestaltungsbefugnis sollten in der Kommunikation mit den Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. Keinesfalls sollten falsche Vorstellungen über die möglichen Perspektiven erzeugt werden, um z. B. die Mitarbeiter zu motivieren. Das Kommunikationskonzept muss glaubhaft und konsistent, der Kommunikator muss glaubwürdig sein. 147 Es kann Fälle geben, in denen ein obstruktives Schuldnerunternehmen den Insolvenzverwalter in eine konfrontative Rolle nötigt. Der Insolvenzverwalter kann hierauf reagieren, indem er Auskünfte etc. gemäß §§ 97 ff. InsO von den Geschäftsleitern unter Mithilfe des Insolvenzgerichts erzwingt. Der Insolvenzverwalter muss in die Lage versetzt werden, auf einer angemessenen Tatsachengrundlage die Insolvenzverwaltung durchzuführen. So___________ 150) Zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung i. R. der Business Judgment Rule Frege/Nicht, in: FS Wellensiek, 2011, S. 291 ff. 151) Frege, in: Eidenmüller, Alternative Streitbeilegung, S. 89, 109 ff. 152) Vgl. umfassend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung. 153) Vgl. auch Borchardt, in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 4 C., D., S. 162 ff. 154) S. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 440 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
weit es zu einer zwangsweisen Durchsetzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten kommt, ist es zu empfehlen, die Vernehmungssituation entsprechend den Erkenntnissen der Aussage- und Vernehmungspsychologie vorzubereiten.155) Der Insolvenzverwalter sollte mit den Mitteln der Kommunikationspsychologie die Glaubwürdigkeit der Aussagenden und die Glaubhaftigkeit der Aussagen überprüfen, um sicherzustellen, dass er zutreffend und vollständig informiert worden ist. 2.4
Kommunikation und Verhandlungen des Insolvenzverwalters mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern
Hinsichtlich der Kommunikation mit (potenziellen) Vertragspartnern und Investoren 148 gelten die zum Eröffnungsverfahren angestellten Überlegungen. Der Insolvenzverwalter befindet sich in Verhandlungssituationen mit Beteiligten, deren Motivation oftmals darin besteht, zur Durchsetzung eigener finanzieller Interessen einen hohen Verhandlungsdruck aufzubauen. Der Insolvenzverwalter ist als Repräsentant des insolventen Unternehmens strukturell in einer unterlegenen Verhandlungssituation. Die Verhandlungspartner sind sich oftmals bewusst, dass sie mit ihrer Entscheidung für oder gegen einen Vertragsschluss einen weitergehenden Einfluss auf die Entwicklung des Unternehmens nehmen können. In der Tendenz liegt es für sie nahe, diesen möglichen Effekt in die Verhandlung einzubringen und für die eigenen Ziele zu nutzen. Deshalb sollte der Insolvenzverwalter im Vorfeld der Verhandlung die möglichen Einigungsoptionen und Nichteinigungsalternativen der Beteiligten sehr sorgfältig ermitteln und bewerten. Sodann ist es sinnvoll, mögliche Kooperationsgewinne zu ermitteln und über deren Verteilung zu befinden. Die individuelle Verhandlungstaktik ist anhand der bestehenden Reaktionsmöglichkeiten festzulegen. Von besonderem taktischen Nutzen kann hierbei der Genehmigungsvorbehalt zu Gunsten von Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung gemäß §§ 157, 158, 160 ff. InsO sein. Der Insolvenzverwalter kann die Zuständigkeit dieser Gläubigergremien i. R. seiner Verhandlungstaktik nutzen. 3.
Kommunikation im Eigenverwaltungsverfahren
3.1
Einleitung
Der Gesetzgeber hatte mit dem ESUG zum Ziel, das Eigenverwaltungsverfahren in seiner 149 praktischen Bedeutung zu stärken und mit dem Insolvenzplanverfahren zu verbinden. Hierzu sind in den §§ 270, 270a, 270b InsO Mechanismen vorgesehen, die zu einem Eigenverwaltungsverfahren führen, wenn die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens nicht offensichtlich abgelehnt wird (siehe ausführlich § 6 Rz. 82 ff.; § 8 Rz. 13 ff.). An der grundsätzlichen Idee und Konzeption der Eigenverwaltung sowie den Kompetenzen von Eigenverwalterin, Sachwalter und Gläubigerorganen wurden keine wesentlichen Änderungen vorgenommen. Nach §§ 270 ff. InsO ist im Eigenverwaltungsverfahren die Insolvenzschuldnerin für die 150 Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse zuständig. Der Sachwalter wirkt nach Maßgabe der §§ 274, 275, 277, 279 Satz 2, §§ 280, 281 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2, § 283 Abs. 1, § 284 Abs. 1, § 285 InsO hieran mit; der Gläubigerausschuss ist gemäß § 276 InsO einzubeziehen. Aus den vorgenannten Vorschriften ergibt sich die Notwendigkeit einer angemessenen Zusammenarbeit der Beteiligten im Lichte des Insolvenzzwecks (§ 1 InsO). ___________ 155) Vgl. insbesondere Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, passim; Wendler/Hoffmann, Technik und Taktik der Befragung, 2. Aufl., 2015, passim; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl., 2011, passim.
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1. Teil Allgemeines
Zur Zusammenarbeit zwischen Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung siehe § 13 Rz. 17 ff. 151 In Schrifttum und Rechtspraxis wurde schon früher eine Kombination aus Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren als taugliche Konzeption zur Unternehmenssanierung angesehen.156) Durch die Regelung in § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO, wonach das Insolvenzgericht bei einem eigenen Eröffnungsantrag der Insolvenzschuldnerin wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und Eigenverwaltungsantrag und bei grundsätzlicher Sanierungstauglichkeit eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans zu bestimmen hat, ist dieses Kombinationsmodell seit dem ESUG gesetzlich anerkannt (siehe ausführlich hierzu § 8 Rz. 11 ff.). Dies bedeutet, dass das Kommunikationskonzept des Unternehmens für das Eigenverwaltungsverfahren auch Inhalte und Maßnahmen im Hinblick auf die Vorlage und Durchsetzung eines Insolvenzplans enthalten muss. 3.2
Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter
152 Der Erfolg des Eigenverwaltungsverfahrens wird maßgeblich von der möglichst reibungslosen Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter abhängen. Insbesondere sollten Kompetenzkonflikte vermieden und Kooperationspotenziale genutzt werden. 153 Problematisch können hierbei die verschiedenen „Soll-Vorschriften“ in den §§ 270 ff. InsO sein:
Gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO sollen Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingegangen werden.
Gemäß § 279 Satz 2 InsO soll die Insolvenzschuldnerin ihre Rechte im Hinblick auf gegenseitige Verträge nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben.
Gemäß § 282 Abs. 2 InsO soll die Insolvenzschuldnerin ihr Verwertungsrecht nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben.
154 Prinzipiell kann und darf die Insolvenzschuldnerin in diesen Situationen allein entscheiden, sie soll jedoch im Einvernehmen mit dem Sachwalter handeln. Um dieses Einvernehmen herzustellen, sind gegenseitige Information und inhaltliche Abstimmung zu gewährleisten. Sobald es zu Spannungen zwischen der Insolvenzschuldnerin und dem Sachwalter kommt und die Gläubiger dies registrieren, kann dies zur Ablehnung der Eigenverwaltung führen, denn die Gläubiger haben kein Interesse daran, dass interne Zuständigkeitskonflikte die Verfahrensdurchführung behindern. 3.3
Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Gläubigerausschuss
155 Die Kommunikation zwischen Insolvenzschuldnerin und Gläubigerausschuss im Eigenverwaltungsverfahren erfolgt grundsätzlich anhand der oben skizzierten Leitlinien. Hierbei ist auf sachangemessene, d. h. inhaltlich zutreffende und umfassende, Information der Ausschussmitglieder zu achten (siehe ausführlich § 14 Rz. 27 ff.). 156 Die Beteiligung des Gläubigerausschusses gemäß § 276 InsO bringt es mit sich, dass die Insolvenzschuldnerin bzw. ihre Geschäftsleitung unmittelbar mit den Vertretern der Hauptgläubiger in Kontakt gerät. Hierbei kann es – insbesondere wenn die Geschäftsleitung nicht neu besetzt oder ergänzt wurde – aufgrund vorheriger Frustrationserfahrungen zum Aufbrechen alter Konflikte und zur Störung der Zusammenarbeit kommen. Dies kann im Einzelfall sogar so weit führen, dass die Aufhebung der Eigenverwaltung ___________ 156) S. nur Frege/Nicht, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 17 C. II., Rz. 57 ff.; Spies, ZInsO 2005, 1254 f.
130
Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
gemäß § 272 InsO beantragt wird. Aus der Perspektive der Insolvenzschuldnerin ist deshalb eine Konfliktvermeidung geboten. 3.4
Kommunikation und Verhandlungen der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern
Hinsichtlich der Kommunikation und Verhandlung der Insolvenzschuldnerin mit den ex- 157 ternen Beteiligten gelten die oben (siehe Rz. 148) skizzierten Maßgaben mit der Besonderheit, dass die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin gegenüber einem Insolvenzverwalter den Vorteil für sich in Anspruch nehmen kann, das Unternehmen im Zweifel länger und besser zu kennen als der Insolvenzverwalter und über mehr branchenspezifisches Know-how zu verfügen. Die strukturelle Unterlegenheit gegenüber Verhandlungspartnern in der Insolvenz kann hierdurch in geringem Umfang kompensiert werden. Gleichzeitig könnten sich neue Problemfelder daraus ergeben, dass z. B. die Gläubiger und Kreditinstitute persönliche Abneigungen gegen die Geschäftsleitung aufgebaut haben. Diese können sich negativ in einem Vertrauensverlust ausdrücken, der umgehend argumentativ abgebaut werden muss. Sollte diese Frustration erst i. R. der laufenden Verhandlungen bemerkt werden, könnte eine angemessene Reaktion darin bestehen, die Verhandlungen zunächst zu unterbrechen und das Verhandlungsteam neu zu besetzen. Hierdurch könnte eine Entpersonalisierung und Versachlichung erreicht werden.157) Ansonsten ist der Einsatz eines neutralen und unabhängigen Mediationsspezialisten zu erwägen.158) 3.5
Verhandlungen über den Insolvenzplan
Schließlich kann im Eigenverwaltungsverfahren die Abstimmung über einen Insolvenz- 158 plan (vgl. §§ 235 ff. InsO) eine besondere Rolle einnehmen. Die Insolvenzschuldnerin steht bei einem selbst vorgelegten Insolvenzplan vor der Aufgabe, die erforderlichen Mehrheiten in den Abstimmungsgruppen zu organisieren (vgl. §§ 243, 244 InsO; siehe auch § 38 Rz. 24 ff.). Hierbei ist es die Aufgabe der Unternehmensleitung und ggf. des Insolvenzverwalters, 159 bereits im Vorfeld der Erörterung und Abstimmung Einzelverhandlungen mit den Beteiligten durchzuführen. Vorbereitet werden diese Verhandlungen durch sorgfältige Analyse der bestehenden Nichteinigungsoptionen und Aufbereitung der möglichen Kooperationsgewinne. Die Gläubiger müssen von der Sanierungsfähigkeit und der Sanierungswürdigkeit des Unternehmens überzeugt werden, denn sonst sind sie nicht bereit bzw. nicht berechtigt, Zugeständnisse einzugehen (vgl. § 224 InsO). Von den Unternehmensleitern wird vorliegend verlangt, dass sie ihre Gesprächspartner genau analysieren und eine angemessene Gesprächsstrategie vorbereiten. Hierzu ist zu fragen,
wer an den Gesprächen teilnimmt,
wie ggf. eine Gruppe zusammengesetzt ist,
wer die Entscheidungen trifft,
welche Ziele, Motive und Interessen die Beteiligten verfolgen,
welche internen Genehmigungsvorbehalte bestehen,
welche Einigungsoptionen und Nichteinigungsalternativen gegeben sind.
___________ 157) Vgl. auch Frege, Verhandlungserfolg, Teil 3, B. III., S. 242 ff. 158) Zur Mediation im Insolvenzverfahren s. Frege, in: Eidenmüller, Alternative Streitbeilegung, S. 89 ff.
Frege/Nicht
131
§5 3.6
1. Teil Allgemeines Zusammenfassung
160 Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist in der Regel geprägt durch die personelle Kontinuität, denn im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren wird keine neutrale und unbefangene Person mit der Verwaltung und Verwertung des Vermögens betraut. Der Gesetzgeber erwartet, dass durch die Weiternutzung des Know-how der Insolvenzschuldnerin und der geschäftlichen Kontakte bessere Ergebnisse für die Beteiligten erzielt werden können. Damit sich diese Erwartung erfüllt, muss sichergestellt sein, dass die Gläubiger Vertrauen in das Rechtsinstitut und in das konkrete Vorhaben entwickeln. Hierzu ist es regelmäßig erforderlich, dass die Beteiligten den handelnden Personen bei der Insolvenzschuldnerin vertrauen. Auf die Begründung dieses Vertrauens muss die Entwicklung des Kommunikationskonzepts zugeschnitten sein. 4.
Kommunikation in der Konzerninsolvenz
161 Der Kommunikationsumfang, die Kommunikationsdichte und die Kommunikationsqualität erhöhen sich, wenn die Insolvenzschuldnerin Bestandteil einer Unternehmensgruppe159) ist und wenn mehrere Glieder dieser Unternehmensgruppe in die Insolvenz fallen. Da es im deutschen und europäischen Insolvenzrecht weder die Möglichkeit einer materiellen (substanziellen) Konsolidierung nach dem Vorbild der „substantive consolidation“ des US-Rechts noch einer gemeinsamen Verwaltung von Konzernvermögen in einem Insolvenzverfahren nach dem Vorbild der „joint administration“ des US-Rechts gibt, werden in Konzerninsolvenzen verschiedene Einzelverfahren über die Vermögen der verbundenen Rechtsträger eröffnet. Es gilt de lege lata der insolvenzrechtliche Grundsatz „Eine Person, ein Vermögen, ein Verfahren“. Damit die Verbundvorteile der Unternehmensgruppe auch nach Eintritt der Insolvenz weiterhin im Interesse der unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten genutzt werden können, ist es geboten, die verschiedenen Einzelverfahren bestmöglich zu koordinieren und nach Möglichkeit zu harmonisieren. Das Ziel besteht darin, den Zerfall des vormals einheitlichen Konzernunternehmens aufgrund der Verfahrenseröffnungen und damit einen Werteverfall zu verhindern. Hierzu wurde bereits in der Vergangenheit erwogen, sämtliche Insolvenzverfahren über gruppenangehörige Insolvenzschuldner an einem einheitlichen Konzerngerichtsstand zu eröffnen (vgl. nunmehr §§ 3a bis 3e InsO) und bestenfalls einem einheitlichen Insolvenzverwalter zu unterstellen, wobei die Problematik der teilweisen Inkompatibilität durch die Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern gelöst werden sollte.160) Auch die (teilweise) personenidentische Besetzung von Gläubigerausschüssen kann grundsätzlich ein Element zu einer harmonisierten Insolvenzverwaltung im Konzern sein. Für den Fall, dass die Vereinheitlichung auf personeller Ebene – Konzerngerichtsstand, Konzerninsolvenzverwalter, Konzerngläubigerausschuss – aus Rechtsgründen nicht zulässig oder anderweitig undurchführbar ist, wird erwogen, nicht formalisierte Koordinationsmittel einzusetzen wie Insolvenzverwaltungsverträge oder die sog. Protocols161), die insbesondere im grenzüberschreitenden Rechtsver___________ 159) Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die neuen Regelungen in der InsO ist nicht der Konzernbegriff in § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG, sondern die eigenständige Definition einer Unternehmensgruppe in § 3e Abs. 1 InsO. Hintergrund ist die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die konzerninsolvenzrechtlichen Vorschriften bereits dann eingreifen sollen, wenn die Möglichkeit zur Ausübung von Konzernleitungsmacht besteht, und nicht erst wenn – wie bei § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG – von der Leitungsmacht bereits Gebrauch gemacht wurde, um die beteiligten Gesellschaften zu einem Konzernunternehmen zusammenzufassen. 160) S. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636 ff.; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, ZIP 2008, 982 ff., dazu EWiR 2008, 595 (K. Müller); AG Essen v. 1.9.2009 – 166 IN 119/09, ZIP 2009, 1826 ff., dazu EWiR 2009, 679 (Brünkmans). 161) S. Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3 ff.; Göpfert, ZZPInt 1 (1996), 269 ff.; Paulus, ZIP 1998, 977 ff.
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Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
kehr zum Einsatz gekommen sind. Zudem wurde in den §§ 269a ff. InsO ein spezielles Konzernkoordinationsrecht eingeführt mit entsprechenden Informations- und Beteiligungspflichten und dem neuen Instrument des Verfahrenskoordinators. Sämtliche Koordinationsmaßnahmen und die dazugehörigen Koordinationsinstrumente sind gekennzeichnet durch eine Intensivierung der Kommunikationsbeziehungen. Es ist für eine erfolgreiche Insolvenzverwaltung im Konzern – ungeachtet der Branchenzugehörigkeit und Größe des Unternehmens und des konkreten Verfahrensziels – von entscheidender Bedeutung, dass sich Insolvenzgerichte, Insolvenzverwalter und Gläubigerorgane im Interesse der Optimierung der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmassen inhaltlich, personell und zeitlich abstimmen und auch im Außenauftritt kontrolliert und koordiniert vorgehen. 4.1
Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzgerichten
4.1.1 Ermittlung der Gerichtszuständigkeit Ein erhöhter Abstimmungsbedarf ist bereits gegeben, wenn es auf der Ebene der angeru- 162 fenen Insolvenzgerichte – national und/oder international – darum geht, die nach § 3 InsO, Art. 3 EuInsVO zutreffende gerichtliche Zuständigkeit für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Verfahrenseröffnung zu ermitteln.162) Die Zuständigkeit richtet sich auch bei verbundenen Unternehmen einer Unternehmensgruppe primär nach dem Satzungssitz und bei abweichenden tatsächlichen Verhältnissen nach dem Mittelpunkt der hauptsächlichen geschäftlichen Interessen.163) Insbesondere bei – satzungsmäßigen oder effektiven – Sitzverlegungen im Vorfeld der Insolvenz kann es hier zu Unklarheiten kommen, die die Insolvenzgerichte im Wege der Amtsermittlung beseitigen sollen. Hierzu ist es erforderlich und geboten, dass sich die beteiligten Insolvenzgerichte im Hinblick auf die zuständigkeitsbegründenden Merkmale164) austauschen und ggf. eine gemeinsame Rechtsbewertung vornehmen.165) Insbesondere im europäischen Zivilprozessrecht gelten die Grundsätze des wechselseitigen Vertrauens und der Harmonisierung der Zivilrechtspflege, auf deren Basis eine Abstimmung zweckmäßig und geboten ist, um das Konzernvermögen zu schützen (vgl. auch Art. 42 und 57 EuInsVO). Auf nationaler Ebene weist § 3a InsO die Möglichkeit aus, für den insolventen Konzern 163 einen sog. Gruppengerichtsstand zu bilden, wenn
ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt,
eine Verfahrenskonzentration beim angerufenen Gericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt und
der Antragsteller nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe ist.
Bei kollidierenden Anträgen an mehreren Gerichtsorten ist die größere Bilanzsumme 164 maßgebend (§ 3a Abs. 1 InsO). Es besteht nach § 3d InsO ferner die Möglichkeit, einen Eröffnungsantrag an das Gruppeninsolvenzgericht zu verweisen. Gerade wenn mehrere Insolvenzgerichte angerufen werden, ist es unerlässlich, dass sich die beteiligten Insolvenz___________ 162) LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18 (NIKI), ZIP 2018, 140; AG Charlottenburg v. 13.12.2017 – 36n IN 6433/17, ZIP 2018, 43. 163) Vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08, ZIP 2008, 423, dazu EWiR 2008, 531 (Paulus); AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, ZIP 2008, 215; AG Essen v. 1.9.2009 – 166 IN 119/09, ZIP 2009, 1826 ff. 164) Zusammenfassung hinsichtlich Art. 3 EuInsVO bei Kübler, in: FS Gerhardt, 2004, S. 527 ff. 165) Vgl. AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254 ff.; AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08, NZI 2008, 257 ff.; Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 ff.; Vallender, KTS 2008, 59 ff.
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1. Teil Allgemeines
richter und ggf. Insolvenzrechtspfleger vor dem Erlass von Maßnahmen miteinander in Verbindung setzen, um frühestmöglich die Verfahren zu koordinieren. 165 Kommt es zur Eröffnung von sog. Gruppen-Folgeverfahren an dem Gruppengerichtsstand, ist gemäß § 3c InsO der Richter für sämtliche Gruppen-Insolvenzverfahren zuständig, der für dasjenige Verfahren zuständig ist, welches den Gruppengerichtsstand begründet hat. Insoweit kommt es hier zu einer internen Zuständigkeitskonzentration, die den Abstimmungsbedarf reduziert und dazu beitragen kann, Gesamtlösungen über die Grenzen der beteiligten juristischen Personen hinweg zu befördern. 4.1.2 Verfahrenskoordination durch formalisierte Absprachen der Gerichte 166 Im Hinblick auf die weitere Koordination der gruppenangehörigen Insolvenzverfahren ist ein wechselseitiger Austausch der Insolvenzgerichte im Grundsatz erwünscht, jedoch rechtlich nicht unbedenklich. Das Insolvenzverfahren ist nach Maßgabe von § 4 InsO, § 299 ZPO nicht öffentlich bzw. lediglich parteiöffentlich (beteiligtenöffentlich). Die Weitergabe vertraulicher Verfahrensinformationen an andere Insolvenzgerichte kann dazu führen, dass diese Informationen in andere Verfahren einfließen und dort an Verfahrensbeteiligte übermittelt werden. Hierdurch würde der Grundsatz der lediglich begrenzten Öffentlichkeit unterlaufen werden. Gleichwohl wird es in bestimmten Grenzen für zulässig gehalten, dass hiesige Insolvenzgerichte mit anderen nationalen oder internationalen Insolvenzgerichten zum Zweck der Verfahrensabstimmung kommunizieren und dies auch durch Abschluss einer Vereinbarung (Protocol) rechtlich formalisieren dürfen.166) Hierbei ist zu beachten, dass die Regelungsgehalte nationaler Verfahrensvorschriften nicht unterlaufen werden. 167 Im nationalen Kontext bietet § 269b InsO eine Koordinationsregel an, die den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Insolvenzgerichten legitimiert und die entsprechenden Koordinationsinhalte vorgibt. Hiernach werden die in Konzerninsolvenzen beteiligten Insolvenzgerichte verpflichtet, Informationen auszutauschen, soweit diese für das jeweils andere Insolvenzverfahren eines gruppenangehörigen Schuldners von Bedeutung sind. Dies gilt insbesondere für:
die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen,
die Eröffnung von Insolvenzverfahren,
die Bestellung von Insolvenzverwaltern,
wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen,
den Umfang der Insolvenzmasse,
die Vorlage von Insolvenzplänen,
Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens.
4.2
Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzverwaltern
168 Es ist offenkundig, dass sich die in der Konzerninsolvenz bestellten Insolvenzverwalter wechselseitig informieren und ihre Handlungen miteinander koordinieren sollten, wenn der im Konzernunternehmen gebundene spezifische Mehrwert auch in der Insolvenz gesichert und für die Gläubiger realisiert werden soll. Dies gilt sowohl mit Blick auf das Aktivvermögen der gruppenangehörigen Insolvenzschuldner als auch im Hinblick auf die Verbindlichkeiten. Oft bestehen im Konzern enge wirtschaftliche und rechtliche Verflechtungen, die eine isolierte Verwaltung und Verwertung des Vermögens einer Konzerngesellschaft er___________ 166) Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 ff.
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Frege/Nicht
Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
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schweren oder unmöglich machen. Dies betrifft bereits die richtige Vermögenszuordnung, ferner die koordinierte Verwaltung und Verwertung, den Umgang mit Kreditsicherheiten, die Behandlung von Gläubigern, die in Rechtsverhältnisse zu mehreren Konzerngesellschaften involviert sind, und schließlich die Vermögensverteilung (z. B. bei Anwendung von § 44a InsO im Konzern)167). Die Verständigung der Insolvenzverwalter kann informell oder auf rechtlich formalisierter 169 Grundlage erfolgen, wobei gewisse rechtliche Schranken für die Informationsüberlassung zu beachten sind (z. B. der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit des Insolvenzverfahrens). Hierzu kann der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses einem sog. International Protocol beitreten, welches die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Insolvenzverwaltern im Konzern formalisiert.168) Die darin enthaltenen Abstimmungsund Informationsgebote sind im Regelfall jedoch rechtlich grundsätzlich nicht durchsetzbar. Im Schrifttum wird es für zulässig gehalten, dass der Insolvenzverwalter auch verbindliche vertragliche Zusagen im Hinblick auf die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse abgibt, die im Konzern zu einer Harmonisierung der Verwertungsstrategien beitragen können.169) In der InsO ist nunmehr eine Koordinationsvorschrift für die beteiligten Insolvenzver- 170 walter in § 269a InsO enthalten. Hiernach sollen sich die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner untereinander unterrichten und zusammenarbeiten, soweit hierdurch nicht die Interessen der Beteiligten des jeweiligen Insolvenzverfahrens beeinträchtigt werden. Insbesondere sind die beteiligten Insolvenzverwalter rechtlich verpflichtet, auf Anordnung sämtliche Informationen unverzüglich mitzuteilen, die für ein anderes Insolvenzverfahren der Unternehmensgruppe von Bedeutung sein können. Hiermit ist eine sehr weitreichende Informationspflicht eingeführt worden, deren Grenzen noch nicht vollständig erfasst sind. Die Informationspflicht ist eine insolvenzspezifische Pflicht gemäß § 60 Abs. 1 InsO, deren Verletzung zu Sanktionen gegen den Insolvenzverwalter führen kann. Soweit es zu der Einleitung eines sog. Koordinationsverfahrens gemäß der neuen Rege- 171 lung in den §§ 269d ff. InsO kommt und zur Auswahl eines sog. Verfahrenskoordinator, strukturiert und organisiert dieser besondere Insolvenzverwalter die Insolvenzbewältigung im Konzern. Der Verfahrenskoordinator ist nach den Regelungen des neuen Konzerninsolvenzrechts aus dem Kreis der in der Konzerninsolvenz beteiligten Insolvenzverwalter auszuwählen und soll für eine abgestimmte Verfahrensabwicklung sorgen, soweit diese im Interesse der Gläubiger liegt (§ 269f Abs. 1 InsO). Hierzu soll er einen Koordinationsplan entwickeln und diesen in den Einzelverfahren vorlegen. Die anderen Insolvenzverwalter arbeiten zu diesem Zweck mit ihm zusammen und liefern ihm die Informationen, die für die zweckentsprechende Ausübung der Tätigkeit benötigt werden (§ 269f Abs. 2 InsO). Insoweit ist ein Daten- und Informationsfluss zwischen den beteiligten Insolvenzverwaltungen erforderlich, der gesetzlich zulässig ist, soweit nicht der Geheimnisschutz im jeweiligen Verfahren überwiegt. 4.3
Kommunikationsbeziehungen auf der Ebene der Gläubigerorgane
Auf der Ebene der Gläubigerorgane war im Hinblick auf Kommunikationsvorgänge zwischen 172 insolventen Konzernunternehmen bislang die Frage zu beachten, wie weit die Befugnis ___________ 167) S. Frege/Nicht/Schildt, ZInsO 2012, 1961 ff. 168) S. Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3 ff.; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag. 169) Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3 ff.; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag.
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1. Teil Allgemeines
zur Weitergabe von vertraulichen Verfahrensinformationen reicht, die die Gläubiger in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Gläubigerausschusses oder als Teilnehmer einer Gläubigerversammlung erhalten haben. 173 Der BGH sieht im Hinblick auf die Weitergabe von Informationen durch Mitglieder des Gläubigerausschusses dort eine Begrenzung, wo diese Weitergabe zur Verfolgung eigener Sondervorteile erfolgt und die Insolvenzmasse hierdurch einen Schaden erleiden kann.170) Insoweit gilt auch in Konzernlagen, dass bei Ausschussdoppelmandaten, die nach der BGH-Rechtsprechung grundsätzlich zulässig sein dürften, ein Informationsverwendungsverbot besteht, wenn das betroffene Gläubigerausschussmitglied Sonderinteressen verfolgt und gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger in einem Verfahren verstößt, in dem es das Organamt innehat. 174 Hinsichtlich der Grenzen für die Weitergabe von Informationen, die Gläubiger in Gläubigerversammlung erhalten haben, existiert – soweit ersichtlich – keine einschlägige Rechtsprechung und kaum Literatur.171) In der Rechtspraxis werden insbesondere bei detaillierteren Berichten des Insolvenzverwalters in der Gläubigerversammlung entsprechende Vertraulichkeitserklärungen durch Gläubiger abgefordert, um die Vertraulichkeit und begrenzte Parteiöffentlichkeit des Insolvenzverfahrens abzusichern. Zutreffend dürfte es darüber hinaus sein, unter dem Gesichtspunkt des insolvenzspezifischen Schädigungsverbots eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht anzunehmen.172) 175 In der InsO ist nunmehr eine Koordinationsvorschrift für die beteiligten Gläubigerausschüsse in § 269c InsO enthalten. Hiernach soll das für die Gruppeninsolvenz zentral zuständige Insolvenzgericht auf Antrag eines Gläubigerausschusses eines gruppenangehörigen Schuldners einen Gruppengläubigerausschuss bilden, der mit Mitgliedern der Einzelausschüsse besetzt werden soll. Dieser Gruppengläubigerausschuss soll die einzelnen Gläubigerausschüsse in den gruppenangehörigen Insolvenzverfahren unterstützen, um eine abgestimmte Abwicklung in allen Verfahren zu erleichtern. Diese Vorschrift setzt einen ungehinderten Informationsfluss zwischen dem Gruppengläubigerausschuss und den Einzelausschüssen voraus bzw. legitimiert diesen. Damit ist die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder der Gläubigerausschüsse mit Blick auf die Gruppeninsolvenz aufgehoben. Dies kann durch den Gesetzgeber lediglich mit der paradigmatischen Annahme begründet werden, dass der Informationsaustausch und die darauf beruhende Koordination der Einzelverfahren sowohl im wirtschaftlichen Interesse des Konzerns als auch seiner Einzelgesellschaften und deren Gläubiger liegen. 4.4
Grenzüberschreitende Konzerninsolvenz
176 Auch auf europäischer Ebene sind Regeln zur Bewältigung grenzüberschreitender Konzerninsolvenzen eingeführt worden (Art. 56 bis 77 EuInsVO). Dort sind verschiedene Kooperations- und Kommunikationsbefugnisse und -pflichten geregelt. Die Neuregelung zielt auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter bei transnationalen Unternehmensgruppen. 177 Nach den neuen Regelungen in der EuInsVO müssen sich die verschiedenen Insolvenzverwalter im Konzern wechselseitig informieren und zusammenarbeiten, soweit dies für die beteiligten Verfahren von Bedeutung ist und keine erkennbaren Nachteile für die Insolvenz___________ 170) S. BGH v. 22.4.1981 – VIII ZR 34/80, ZIP 1981, 1001 ff.; BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, ZInsO 2008, 323 ff. = ZIP 2008, 652, dazu EWiR 2008, 473 (Runkel/J. M. Schmidt); BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 223/05, ZInsO 2008, 604 ff = ZIP 2008, 655. 171) S. aber Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217, 2222 ff. 172) Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217, 2227 ff.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
§5
massen verursacht. Das Gleiche gilt im Grundsatz für die Insolvenzgerichte. Nach Art. 56, 57, 58 EuInsVO haben Insolvenzverwalter im Konzern sogar einen Anspruch auf Zusammenarbeit und Informationsaustausch gegenüber Insolvenzgerichten, die nicht für ihr eigenes Insolvenzverfahren zuständig sind, sondern für ein anderes Insolvenzverfahren im Konzern. Schließlich können Insolvenzverwalter im Konzern nach Maßgabe des Art. 58 EuInsVO in Insolvenzverfahren von verbundenen Unternehmen beteiligt werden oder die Verfahrensaussetzung in einem anderen Konzernverfahren beantragen oder dort einen Sanierungsplan vorlegen. Diese zuletzt genannten Befugnisse sind sehr weitgehend und es ist fraglich, ob sie mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes vereinbar sind. In den Art. 61 ff. EuInsVO wurde ein Koordinationsverfahren neu eingeführt, welches dem Verfahren der InsO nach §§ 269d ff. InsO vergleichbar und nachgebildet ist. V.
Fazit
Die InsO enthält in zahlreichen Vorschriften Regeln, die eine Kommunikation zwischen 178 den Beteiligten des Insolvenzverfahrens untereinander oder mit externen Dritten entweder anordnen oder voraussetzen. Durch das ESUG und die hiermit verbundene Stärkung der Gläubigerrechte wurde der Kommunikationsaufwand angehoben. Aus den Regeln ergibt sich, dass umfangreiche Kommunikationsprozesse stattzufinden haben; nicht geregelt wird, wie diese Kommunikationsprozesse auszugestalten sind. Um diese Lücke zu schließen, ist der Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze der Kommunikationspsychologie erforderlich. Die Anwendung der Erkenntnisse und Erfahrungen aus diesem Bereich kann im Einzelfall neben der betriebswirtschaftlich-technischen und der juristischen Aufbereitung der Sachverhalte zu Verhandlungserfolgen und zu erfolgreicher Unternehmenskommunikation, im Ergebnis zu einer Verbesserung der Verwaltung und Verwertung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin führen.173)
___________ 173) Zur Rolle der Unternehmenskommunikation für die Wertschöpfung im Unternehmen s. Pfannenberg/ Zerfaß, Wertschöpfung durch Kommunikation, 2. Aufl., 2010.
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Kommunikation und Verhandlung in der Krise und im Insolvenzverfahren
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massen verursacht. Das Gleiche gilt im Grundsatz für die Insolvenzgerichte. Nach Art. 56, 57, 58 EuInsVO haben Insolvenzverwalter im Konzern sogar einen Anspruch auf Zusammenarbeit und Informationsaustausch gegenüber Insolvenzgerichten, die nicht für ihr eigenes Insolvenzverfahren zuständig sind, sondern für ein anderes Insolvenzverfahren im Konzern. Schließlich können Insolvenzverwalter im Konzern nach Maßgabe des Art. 58 EuInsVO in Insolvenzverfahren von verbundenen Unternehmen beteiligt werden oder die Verfahrensaussetzung in einem anderen Konzernverfahren beantragen oder dort einen Sanierungsplan vorlegen. Diese zuletzt genannten Befugnisse sind sehr weitgehend und es ist fraglich, ob sie mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes vereinbar sind. In den Art. 61 ff. EuInsVO wurde ein Koordinationsverfahren neu eingeführt, welches dem Verfahren der InsO nach §§ 269d ff. InsO vergleichbar und nachgebildet ist. V.
Fazit
Die InsO enthält in zahlreichen Vorschriften Regeln, die eine Kommunikation zwischen 178 den Beteiligten des Insolvenzverfahrens untereinander oder mit externen Dritten entweder anordnen oder voraussetzen. Durch das ESUG und die hiermit verbundene Stärkung der Gläubigerrechte wurde der Kommunikationsaufwand angehoben. Aus den Regeln ergibt sich, dass umfangreiche Kommunikationsprozesse stattzufinden haben; nicht geregelt wird, wie diese Kommunikationsprozesse auszugestalten sind. Um diese Lücke zu schließen, ist der Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze der Kommunikationspsychologie erforderlich. Die Anwendung der Erkenntnisse und Erfahrungen aus diesem Bereich kann im Einzelfall neben der betriebswirtschaftlich-technischen und der juristischen Aufbereitung der Sachverhalte zu Verhandlungserfolgen und zu erfolgreicher Unternehmenskommunikation, im Ergebnis zu einer Verbesserung der Verwaltung und Verwertung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin führen.173)
___________ 173) Zur Rolle der Unternehmenskommunikation für die Wertschöpfung im Unternehmen s. Pfannenberg/ Zerfaß, Wertschöpfung durch Kommunikation, 2. Aufl., 2010.
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2. Teil Eigenverwaltung A. Eröffnungsverfahren §6 Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte Neußner
I.
Eigenverwaltung im Eröffnungsund im eröffneten Verfahren .................... 1 1. Bedeutung und Abgrenzung ....................... 1 2. Vorläufige Eigenverwaltung mit vorläufigem Sachwalter................................ 6 II. Vorüberlegungen und vorbereitende Maßnahmen............................................... 10 1. Eigenverwaltung (nur) im Regelinsolvenzverfahren ............................................. 10 2. Vorläufige Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren .............................. 15 3. Zuständiges Gericht und forum shopping ..................................................... 23 4. Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ......... 27 4.1 Drohende Zahlungsunfähigkeit und Anordnungsplanbarkeit......... 27 4.2 Spätester Zeitpunkt ....................... 32 5. Antragsbefugnis und gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung............... 35 5.1 Drohende Zahlungsunfähigkeit und Eigenverwaltung .................... 35 5.2 Gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung.................... 41 6. Mitgebrachter vorläufiger Gläubigerausschuss .................................................... 53 6.1 Unterstützung der Eigenverwaltung und Bindung des Gerichts.......................................... 53 6.2 Bindende Entscheidung über die Person des (vorläufigen) Sachwalters .................................... 57 6.3 Sicherungswirkung ........................ 60 III. Keine Nachteile für die Gläubiger durch die Eigenverwaltung ..................... 62 1. Mindestanforderung der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung .................... 62 2. Mehrkosten der Eigenverwaltung............. 65 2.1 Berater, (vorläufiger) Sachwalter und CRO vs. (vorläufiger) Insolvenzverwalter ......... 65 2.2 Vergleichsrechnung....................... 70 2.2.1 Quotenreduzierung als Nachteil.............................................70 2.2.2 Vergleichsszenario......................... 73
138
Bedeutung der Vergleichsrechnung ........................................ 76 IV. Mehrwert der Eigenverwaltung .............. 82 1. Verfahrensziel und Beiträge ...................... 82 2. Sanierungsverfahren................................... 85 3. Eignung des Schuldners und seiner Berater ........................................................ 90 V. Vorbesprechung mit dem Gericht.......... 96 VI. Formelle Verfahrenseinleitung............. 100 1. Insolvenzantrag und Eigenverwaltungsantrag ......................................... 100 2. Schuldnerantrag, Antragsbefugnis und Vertretung ................................................ 103 3. Verschärfung der Antragsvoraussetzungen durch das ESUG .................... 117 3.1 Differenzierte Zulässigkeitsvoraussetzungen für Eigenanträge.......................................... 117 3.2 Gläubiger- und Forderungsverzeichnis ................................... 120 3.3 Kennzeichnung bestimmter Gläubigergruppen im Verzeichnis ........................................ 126 3.3.1 Sollangabe .................................... 126 3.3.2 Pflichtangabe ............................... 129 3.4 Angaben zur Größe des Unternehmens............................. 136 3.5 Richtigkeits- und Vollständigkeitsversicherung......................... 141 4. Darlegung des Eröffnungsgrunds ........... 143 VII. Begründung, Anlagen und Prognosen ........................................................ 146 1. Anordnungsplanbarkeit........................... 146 2. Information und Transparenz................. 150 VIII. Entscheidung des Gerichts ................. 162 1. Vorläufige Zulassung der Eigenverwaltung versus Sicherungsbedarf ............ 162 1.1 Eingangsschwelle......................... 162 1.2 Änderungsbefugnis im Eröffnungsverfahren ....................... 168 1.3 Nachteile...................................... 170 1.4 Beurteilungsspielraum................. 173 1.5 Gerichtliche Informationsgewinnung.................................... 176
Neußner
2.2.3
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
2. 3. IX. 1.
1.6 Konzept Gläubigerautonomie .... 184 Indizien ..................................................... 191 Flankierende Anordnungen..................... 201 Rechtsmittel ............................................ 205 Keine beschwerdefähige Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag ........... 205
§6
2.
Beschwerde gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ............................ 207 X. Hinweispflicht des Gerichts .................. 216 XI. Muster Insolvenzantrag mit Antrag Eigenverwaltung ..................................... 222
Literatur: Brückner, „Auf gute Zusammenarbeit“ – Vorbereitung und Durchführung eines insolvenzrechtlichen Großverfahrens, ZInsO 2017, 2498; Buchalik, Das Schutzschirmverfahren nach § 270b (inkl. Musteranträge), ZInsO 2012, 349; Fölsing, Strategische Insolvenzanträge: Gegenwind vom BGH, ZInsO 2017, 684; Frind, Die Reichweite der amtswegigen Tätigkeit des insolvenzgerichtlichen Rechtsanwenders – oder: „Prüfen statt Durchwinken!“, ZInsO 2018, 231; Frind, Vorschläge für Musterbeschlüsse des Insolvenzgerichtes in regelhaft gemäß InsO-ESUG vorkommenden Verfahrenssituationen, ZInsO 2012, 386; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Gehrlein, Insolvenzrechtliche Überschuldung trotz Bilanzierung zu Fortführungswerten, WM 2018, 1; Gehrlein, Freigabe der selbstständigen Tätigkeit – Königsweg zur Restschuldbefreiung?, ZInsO 2017, 1352; Gehrlein, Haftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern im Rahmen der Eigenverwaltung, ZInsO 2017, 849; Geißler, Die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) in der Entscheidungsverantwortung des GmbH-Geschäftsführers, ZInsO 2013, 919; Hammes, Das Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Frage der Eigenverwaltung und die Ermittlung des Insolvenzgerichts, ZIP 2017, 1505; Hammes, Keine Eigenverwaltung ohne Berater? – Zu Risiken und Nebenwirkungen einer scheinbaren Selbstverständlichkeit, NZI 2017, 233; Hermanns, Fortbestehensprognosen (FBP), ZInsO 2018, 362; Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG – Herausforderungen an die Praxis, ZIP 2012, 158; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender (Die Kölner Insolvenzrichter), 30 Monate ESUG – eine Zwischenbilanz aus insolvenzrichterlicher Sicht, ZIP 2014, 2153; Leinekugel/ Skauradszun, Geschäftsführerhaftung bei eigenmächtig gestelltem Insolvenzantrag wegen bloß drohender Zahlungsunfähigkeit, GmbHR 2011, 1121; Madaus, Zustand und Perspektiven der Eigenverwaltung in Deutschland, KTS 2015, 115; Müller/Rautmann, Die Unzulässigkeit des Antrags als Folge der neuen Vorgaben des § 13 InsO, ZInsO 2012, 918; Pape, Gläubiger- und Schuldneranträge im Regelinsolvenzverfahren – aktuelle Rechtsanwendungsprobleme, ZInsO 2011, 2154; Rendels, Eigenverwaltung: Schutz der Masse durch Honorarkriterien, in: Festschrift für Bruno Kübler, 2015, S. 577; Smid, Zum Beweisverfahren im Eröffnungsverfahren der §§ 270a, 270b InsO und im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren, ZInsO 2013, 209; Wallner, Wann ist die Eigenverwaltung die richtige Verfahrensart?, ZIP 2015, 997; Wertenbruch, Gesellschafterbeschluss für Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, DB 2013, 1592; Wortberg, Holzmüller und die Stellung eines Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, ZInsO 2004, 707.
I.
Eigenverwaltung im Eröffnungs- und im eröffneten Verfahren
1.
Bedeutung und Abgrenzung
Eine Restrukturierung durch Insolvenzplan in Eigenverwaltung setzt die Eröffnung eines 1 förmlichen Insolvenzverfahrens voraus. Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren sind in der InsO angesiedelt und unterliegen deren Vorgaben, insbesondere in Bezug auf den Verfahrenszweck, die Einleitungsvoraussetzungen und die funktionale Unterscheidung von Eröffnungs- und eröffnetem Verfahren. Dementsprechend sind gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO die allgemeinen Vorschriften anwendbar, soweit für die Eigenverwaltung in den §§ 270 ff. InsO keine besonderen Regelungen getroffen wurden. Der Schuldner bzw. die Geschäftsleiter, denen die Ausübung der Eigenverwaltung ob- 2 liegt, sind nicht mehr dem Unternehmensinteresse, sondern dem insolvenzrechtlichen Verfahrensziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Gläubigerbefriedigung verpflichtet, § 1 InsO.1) Im eröffneten Verfahren werden sie durch die Übertragung originärer Aufgaben eines Insolvenzverwalters gleichsam zum „Insolvenzverwalter in eigener Sache“.2) Von ___________ 1)
2)
BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, Rz. 20, 24, 53, dazu EWiR 2018, 339 (Thole); BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry); richtig dürfte hier mit der wohl h. M. die Annahme einer Amtswalterstellung des Schuldners sein, so auch BAG v. 22.8.2017 – 1 AZR 546/15 (A), ZIP 2017, 2027 = DZWiR 2017, 521; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 12; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 1, 2. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, Rz. 27 f.
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139
§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
besonderer Bedeutung ist hier die Kombination der Eigenverwaltung mit einem Insolvenzplanverfahren, das eine Gruppierung der Beteiligten anhand unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen ermöglicht und den Gleichbehandlungsgrundsatz auf die jeweilige Gruppe bezieht (§ 226 InsO). Die Insolvenzbewältigung in Eigenverwaltung mittels Insolvenzplans bietet damit die Chance für „Win-Win-Lösungen“ bei der Insolvenzbewältigung. 3 In Abgrenzung zu einem von der EU geforderten „präventiven Restrukturierungsverfahren“ gemäß Vorschlag der Kommission vom 22.11.20163) und Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 21.8.20184), handelt es um ein umfassendes gerichtliches Verfahren nach Eintritt der materiellen Insolvenz, in das alle Gläubiger einbezogen werden und in dem auch dem Schuldner als Eigenverwalter sämtliche Sanierungsinstrumente der InsO zur Verfügung stehen. 4 Dogmatisch betrachtet stellt die Eigenverwaltung zwar auch nach ihrer Aufwertung durch das ESUG5) keine eigene Verfahrensart dar, wie schon das Fehlen eines Rechtsmittels gegen ihre Ablehnung zeigt.6) Dennoch kommt ihr in der Außenwahrnehmung eine erhebliche Signalwirkung in Richtung „Sanierungsverfahren“ zu.7) Von der „Insolvenz“ gelöste Begrifflichkeiten wie „Eigenverwaltungsverfahren“, „Schutzschirmverfahren“ oder „Rettungsschirm“ haben sich nach fünf Jahren ESUG eingebürgert und auch Deutschland bekennt sich nun zu einer „neuen Sanierungskultur“.8) 5 Vorläufige Einschätzungen zum Erfolg oder Misserfolg des ESUG lagen zwar in ihren Einschätzungen zum Teil weit auseinander.9) „Offizielle“ Ergebnisse liegen nun mit Abschluss der ESUG-Evaluation vor; für eine Zusammenfassung des Berichts zur Evaluierung siehe unten § 58.10) Festgestellt werden kann aber sicherlich bereits jetzt, dass sich die Eigenverwaltung als Verfahrensalternative etabliert hat,11) auch wenn sie bei kleineren und mittleren Unternehmen noch weniger angekommen ist12) als bei großen Unterneh___________ 3) EU-Kommission, „Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU“, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, abrufbar unter https://ec.europa.eu/transparency/ regdoc/rep/1/2016/DE/COM-2016-723-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF (Abrufdatum: 24.7.2018); SchluckAmend, ZRP 2017, 6; Madaus, NZI 2017, 329. 4) Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 21.8.2018, COM(2016)0723 – C8-0475/2016 – 2016/0359(COD), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A8-20180269+0+DOC+XML+V0//DE (Abrufdatum 31.8.2018). 5) Abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/338/33871.html (Abrufdatum: 24.7.2018). 6) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394, 395, Rz. 10; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 450, Rz. 13; Pape, ZInsO 2010, 1582, 1594 f. 7) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 28, 59; Braun, NZI 2003, 588; Haas, in: Gottwald, InsRHdb., § 86 Rz. 15. 8) Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/Wierzbinski/Ziegenhaben, Evaluierung des ESUG, ZIP 2017, 2430, 2432. 9) Beispielhaft Madaus, Das ESUG hat die Eigenverwaltung nicht etabliert, KTS 2015, 115; dagegen: Moldenhauer/Wolf, Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, 3/2017 (Studie der Boston Consulting Group), abrufbar unter http://media-publications.bcg.com/Fokus-ESUG-Studie-16May17.pdf (Abrufdatum: 24.7.2018); Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 30 „Bewährung“ des Eigenverwaltungsverfahrens. 10) Näheres zur Evaluation unter: https://www.esug-evaluation.de (Abrufdatum: 24.7.2018). 11) Moldenhauer/Wolf, Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, 3/2017 (Studie der Boston Consulting Group), abrufbar unter http://media-publications.bcg.com/Fokus-ESUG-Studie-16May17.pdf (Abrufdatum: 24.7.2018). 12) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 391.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
men. Auf der anderen Seite wird jedoch von Verwaltern auch eine „erhebliche Misserfolgsquote“ dergestalt beklagt, dass in (vorläufiger) Eigenverwaltung begonnene Verfahren in Regelinsolvenzverfahren kippen bzw. ESUG-Sanierungen Folgeinsolvenzverfahren nach sich ziehen.13) Insoweit gilt es nun nach fünf Jahren Erfahrung mit dem neuen bzw. gestärkten Sanierungsrecht, die Kriterien herauszuarbeiten, die für eine erfolgreiche und nachhaltige Restrukturierung in Eigenverwaltung bei bestmöglicher Wahrung und Befriedigung der regelmäßig unterschiedlichen Gläubigerinteressen maßgeblich sind, und die Zugangsvoraussetzungen hieran zum Schutz der Gläubiger vor Nachteilen, gleichzeitig aber auch zur Steigerung der Anordnungssicherheit für antragstellende Schuldner auszurichten. 2.
Vorläufige Eigenverwaltung mit vorläufigem Sachwalter
Wichtig für die Stärkung der Eigenverwaltung durch das ESUG war v. a. ihre „Vorverle- 6 gung“ auch schon in das Eröffnungsverfahren. Dogmatisch betrachtet hat die Eigenverwaltung ihre Bedeutung an der Stelle im Ablauf eines Insolvenzverfahrens, an der ohne sie ein Insolvenzverwalter als Fremdverwalter bestellt würde. Dies ist gemäß § 80 InsO allerdings erst der Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dementsprechend konnte und kann das Insolvenzgericht nach wie vor die Eigenverwaltung förmlich erst für das eröffnete Verfahren anordnen (siehe hierzu § 10 Rz. 1 ff.).14) Für die Dauer des Eröffnungsverfahrens war daher vor ESUG auch bei einem an sich aussichtsreichen Antrag auf Eigenverwaltung nach ganz h. M. eine vorläufige Insolvenzverwaltung zu installieren. Der ESUG-Gesetzgeber hat richtig erkannt, dass die Entscheidung über die Zulassung 7 der Eigenverwaltung erst für das eröffnete Verfahren zu spät kommt bzw. in einem negativen Sinne präjudiziert ist, wenn dem Schuldner zunächst mit Antragstellung für die Dauer des Eröffnungsverfahren die Leitungsbefugnis entzogen wird und ein vorläufiger Verwalter „mit Außenwirkung“ installiert wird.15) Für die Phase des Vorverfahrens hat der ESUG-Gesetzgeber daher das Rechtsinstitut der 8 „vorläufigen Sachwalterschaft“ mit „interner“ Kontrollwirkung geschaffen. Auch wenn es formal betrachtet wiederum nicht um einen eigenen Verfahrenstyp geht, hat sich synonym auch der Begriff der „vorläufigen Eigenverwaltung“ etabliert. Die „eigentliche Entscheidung“ über die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren wird damit zwar rechtlich auch weiterhin bei Verfahrenseinleitung getroffen, allerdings durch die Anordnung einer bloßen Sachwaltung in gut vorbereiteten und geeigneten Fällen pro Eigenverwaltung offen gehalten bzw. den Beteiligten in Aussicht gestellt.16) Zu diesem Zweck gibt § 270a InsO den Gerichten vor, dass der Schuldner bei einem 9 nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsantrag nicht mehr mit Insolvenzantragstellung automatisch durch umfassende Sicherungsmaßnahmen in Gestalt eines mitbestimmenden halbstarken oder starken Insolvenzverwalters entmachtet werden darf.17) Stattdessen wird ein vorläufiger Sachwalter bestellt, der die Aufgabe hat, den Schuldner bei seiner Tätigkeit zu überwachen (§ 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 274 Abs. 2 InsO).18) Durch diese Aufgabenverteilung (intern und extern) sowie die begriffliche Anlehnung an den bekannten Sachwalter im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren wird das ge___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18)
Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262; Hammes, ZIP 2017, 1505. BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 450, Rz. 15. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 28, 59. Frind, NZI 2014, 937, 938. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 28, 59. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 28, 59; BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 91/15, ZInsO 2017, 1813.
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
richtliche Verfahren als Sanierungsverfahren wahrgenommen, was für seinen Erfolg von kaum zu überschätzender Bedeutung ist.19) II.
Vorüberlegungen und vorbereitende Maßnahmen
1.
Eigenverwaltung (nur) im Regelinsolvenzverfahren
10 Eine Eigenverwaltung durch den Schuldner kann nur im Regelinsolvenzverfahren angeordnet werden. Verbrauchern i. S. von § 304 InsO ist der Zugang versagt gemäß § 270 Abs. 1 Satz 3 InsO. Eine zügige Entschuldung durch Insolvenzplan als Alternative zu einem Restschuldbefreiungsverfahren steht ihnen dagegen auch in Verbraucherinsolvenzverfahren offen.20) Mit der Streichung von § 312 Abs. 2 InsO zum 1.7.2014 hat die Unterscheidung zwischen „IN und IK Verfahren“ für die Zulässigkeit eines Planverfahren keine Bedeutung mehr. Ein paralleles Entschuldungsverfahren kann insbesondere für Gesellschafter oder Organe von Bedeutung sein, die eine vertragliche Mithaft für Gesellschaftsschulden übernommen oder Drittsicherheiten gestellt haben und für die keine außergerichtliche Entschuldung mit den Gläubigern verhandelt werden kann. 11 Zugang zur Eigenverwaltung haben somit zum einen natürliche Personen, die bei Antragstellung selbstständig wirtschaftlich tätig sind. Erfasst werden hier alle Gewerbetreibenden und Freiberufler, wobei es auf einen bestimmten Umfang des Geschäftsbetriebs, eine Eintragung im Handelsregister, das Vorhandensein von Arbeitnehmern oder den Verschuldungsgrad, insbesondere die Anzahl der Insolvenzgläubiger, nicht ankommt.21) 12 Bei einer Geschäftstätigkeit mit ganz geringem Umfang bietet sich allerdings eher die „Freigabe der wirtschaftlichen Tätigkeit“ durch den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 InsO an.22) Mit der Erklärung des Verwalters wird die wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners vollständig aus dem Insolvenzbeschlag herausgelöst, was zumindest im eröffneten Verfahren die praktikablere Variante sein dürfte. Der Schuldner kann seine Tätigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens fortsetzen, ohne dass es hierfür eines „Einverständnisses“ des Gerichts bedürfte. Lediglich ein Gläubigerausschuss oder die Gläubigerversammlung könnte ihr Veto einlegen gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO. 13 Auch natürlichen Personen, die früher selbstständig wirtschaftlich tätig waren, diese Tätigkeit bei Antragstellung aber bereits eingestellt hatten, können dem Regelinsolvenzverfahren unterfallen, wenn sie mehr als 20 Gläubiger haben und/oder Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen oder ihre Vermögensverhältnisse aus sonstigen Gründen nicht mehr überschaubar erscheinen i. S. von § 304 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO. Ist allerdings kein laufender Betrieb mehr vorhanden, richtet sich ihr Interesse allein auf eine Entschuldung. Hier sind die Restschuldbefreiung im Regelverfahren oder auch ein Verwalterplan zur Entschuldung des früheren Inhabers die passenderen Wege, um einen Neustart zu ermöglichen. Regelmäßig wird sich auch schon die für eine Eigenverwaltung notwendige Beratung mangels ausreichender finanzieller Mittel des Schuldners nicht einkaufen lassen. 14 Typischerweise geht es um Unternehmen, die aufgrund ihrer Rechtsform der Antragspflicht nach § 15a InsO unterliegen, die eine Restrukturierung in der Insolvenz mittels Insolvenzplan in Eigenverwaltung anstreben. Offen steht die Eigenverwaltung sämtlichen in § 11 InsO als insolvenzfähig bezeichneten Gesellschaftstypen, unabhängig von ihrer Größe. Erfasst werden alle juristischen Personen sowie Personen(handels)gesellschaften deutschen oder europäischen Rechts (zur Eigenverwaltung bei Unternehmensgruppen siehe ___________ 19) 20) 21) 22)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 28, 59. Laroche/Harder, VIA 2014, 81. Wenzel, in: KPB, InsO, § 304 Rz. 11, 13; Waltenberger, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 304 Rz. 3, 5. Gehrlein, ZInsO 2017, 1352.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
unten § 19). Auslandsgesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz innerhalb der EU haben Zugang zur Eigenverwaltung, wenn sich ihr centre of main interests, kurz COMI, in Deutschland befindet, so dass die deutschen Gerichte international für das Insolvenzverfahren zuständig sind, was wiederum die Anwendung des deutschen Insolvenzrechts nach sich zieht, vgl. Art. 3 und 7 EuInsVO (siehe hierzu ausführlich unten § 20 und § 21). 2.
Vorläufige Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren
Zieht der Schuldner die fakultative Verfahrenseinleitung bei erst drohender Zahlungsun- 15 fähigkeit in Betracht, steht ihm neben der vorläufigen Eigenverwaltung alternativ auch das Schutzschirmverfahren nach § 270b zur Verfügung. Ist die Zahlungsunfähigkeit dagegen bereits eingetreten, erübrigen sich Überlegungen zu den Vor- und Nachteilen des einen oder anderen Verfahrens von vornherein.23) Der Eröffnungsgrund der Überschuldung, der neben der drohenden Zahlungsunfähigkeit in der Praxis häufig vorliegen kann, schließt das Schutzschirmverfahren dagegen nicht aus gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO. Generell geht das Schutzschirmverfahren mit einem erhöhten Aufwand im Vorfeld ein- 16 her, sowohl personeller als auch finanzieller Art. Mit der Planung und den Vorbereitungen muss noch früher begonnen werden, da die formelle Verfahrenseinleitung noch in der Phase der erst drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgen muss und das Sanierungskonzept nicht nur stehen muss, sondern auch von einer qualifizierten Person geprüft und bestätigt sein muss gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO. Umsetzungsinstrument muss ein Insolvenzplan sein, der ggf. als prepacked plan bereits bei Verfahrenseinleitung fertig ausgearbeitet und vorabgestimmt ist, zumindest aber bereits in seiner Struktur steht und in Bezug auf die Gläubigergruppen und ihre Sanierungsbeiträge mit den wesentlichen Beteiligten abgeklärt ist (siehe ausführlich unten § 8). Regelmäßig wird das Schutzschirmverfahren daher eher großen Unternehmen zur Verfügung stehen, die sich aufgrund ihres Risikomanagements sehr frühzeitig mit notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen beschäftigen und auch in der Krise noch die notwendige Liquidität für umfassende Beratungsleistungen aufbringen können. Vor allem in Bezug auf das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ist die Diskussion über 17 eine gebotene, verbotene oder im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehende Veröffentlichung der Verfahrenseinleitung entbrannt. Nach der gesetzlichen Regelung zur öffentlichen Bekanntmachung in § 23 InsO stellt sich diese Frage ebenso bei der Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO. Auch im § 270a-Verfahren wird kein vorläufiger Verwalter bestellt und v. a. auch die Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht beschränkt, was nach dem Wortlaut von § 23 InsO Voraussetzung einer Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung wäre. Die Praxis an den Gerichten erscheint nach wie vor uneinheitlich und auch die Literatur hat unterschiedlich Stellung bezogen. Die Ansichten reichen von einer Unzulässigkeit der Veröffentlichung24) bis hin zur Pflicht zur Veröffentlichung.25) Vorherrschend dürfte wohl die Handhabung nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts sein.26) Bei der Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO wird man wohl eher von einer Veröffentlichung durch das Gericht ausgehen ___________ 23) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746 = BeckRS 2014, 14510, drohende Zahlungsunfähigkeit noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. 24) Keller, ZIP 2012, 1895, 1902; Horstkotte, ZInsO 2012, 1161, 1164. 25) In diese Richtung Frind, ZIP 2012, 1591, 1595, gegen „insolvenzrechtliche Geheimverfahren“. 26) AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360, 2361; AG Göttingen v. 28.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2013, 36, 39; Vallender, GmbHR 2012, 450, 452.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
müssen.27) Diese Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters gilt es dann, eben als „Gegensatz“ zur Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung, positiv zu kommunizieren. Letztlich hat die vorläufige Eigenverwaltung kein „schlechteres“ Image bei den Gläubigern und in der Öffentlichkeit. Mittels offensiver Pressearbeit wird auch die vorläufige Eigenverwaltung als Sanierungsverfahren wahrgenommen, so dass die Frage der Veröffentlichung des einen oder anderen Verfahrenstyps keine entscheidende Rolle mehr spielen dürfte. 18 Für das Schutzschirmverfahren könnte weiter die Rechtssicherheit in Bezug auf ihre Zulassung sprechen, die durch die Einbindung eines qualifizierten Bescheinigers im Vorfeld erreicht wird, § 270b Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO. Eine dem Schutzschirmverfahren entsprechende Rechtssicherheit in Bezug auf die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung durch das Gericht sowie die eigene Auswahl des (vorläufigen) Sachwalters kann der Schuldner bei der vorläufigen Eigenverwaltung jedoch über die Einbindung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erreichen. Wird der Eigenverwaltungsantrag von einem einstimmigen Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, gilt ihre Anordnung gemäß § 270 Abs. 3 InsO nicht als nachteilig für die Gläubiger, so dass die Hürde des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nach der Intention des Gesetzgebers genommen ist (siehe ausführlich § 9). Auch den (vorläufigen) Sachwalter kann der vorläufige Gläubigerschuss bestimmen durch den einstimmigen Vorschlag einer geeigneten Person (§ 56a Abs. 2 InsO). 19 Mit einem vorläufigen Gläubigerausschuss muss sich der Schuldner ebenso im Schutzschirmverfahren „gut stellen“. Auch wenn ihm bzw. dem Gericht hier bei Verfahrenseinleitung ein Bescheiniger die Eignung des Unternehmens für eine Restrukturierung durch Plan in Eigenverwaltung verbindlich attestiert und er selbst dem Gericht einen verbindlichen Vorschlag zur Person des vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO unterbreiten kann, hängt die weitere reibungslose Durchführung des Verfahrens doch von der Unterstützung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss ab. Wird dieser nicht vom Schuldner ausreichend informiert und in das Verfahren eingebunden, kann er das Schutzschirmverfahren jederzeit mittels Aufhebungsantrag gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 2 ohne weitere Voraussetzungen untersagen. 20 Damit stellt sich im Einzelfall somit weniger die Frage, was für das Schutzschirmverfahren spricht, sondern eher umgekehrt die Frage, ob etwas gegen eine vorläufige Eigenverwaltung spricht. Dies kann insbesondere die Rechtsauffassung des Insolvenzgerichts bzw. zuständigen Richters zur Frage der Zulässigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren durch den Schuldner sein.28) Hier existieren bedauerlicherweise nicht nur aus der Anfangszeit des ESUG Entscheidungen, die eine Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gänzlich verneinen29) oder die Massebegründungskompetenz dem vorläufigen Sachwalter zusprechen30) oder von einer automatischen Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den vorläufigen Eigenverwalter, gleich einem starken vorläufigen Verwalter, ausgehen31). Einzig richtig erscheint hier die Auffassung, dass (nur) dem Schuldner eine Einzelermächtigung zur Be___________ 27) Frind, ZInsO 2018, 231, 240. 28) Markgraf/Remuta, NZI 2017, 334, 338. 29) AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; AG Hannover v. 1.7.2016 – 908 IN 460/16-2, juris, Rz. 15 ff. 30) AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer). 31) AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZIP 2015, 1843, dazu EWiR 2015, 679 (Kraus); AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899; AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZInsO 2013, 397, 398; Frind, ZInsO 2012, 1099, 1101; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 865 und 869, 870.
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§6
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
gründung für Masseverbindlichkeiten erteilt werden kann, entsprechend den Grundsätzen, die der BGH für die Erteilung einer Einzelermächtigung an einen vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalter aufgestellt hat.32) Eine Zuständigkeits- und Rechtsprechungsrecherche bzw. Vorabsprache mit dem zuständigen Richter ist somit diesbezüglich in jedem Fall angezeigt. In der Praxis nimmt die vorläufige Eigenverwaltung tendenziell zu.33) Dieser Trend wird 21 sich mit zunehmender Akzeptanz der Eigenverwaltung, dem „Einspielen“ des Umgangs mit Eigenverwaltungsanträgen bei den Gerichten und damit einhergehend der Steigerung der Anordnungsplanbarkeit sicherlich weiter verstärken. 22
Kriterien vorläufiger Eigenverwaltung vs. Schutzschirmverfahrens Kriterien
Vorl. EVW, § 270a InsO
Schutzschirmverf., § 270b InsO
Eröffnungsgrund
Jeder
Drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung
Verfahrensziel
Jedes
Insolvenzplan
Außendarstellung
Sanierungsverfahren +
Sanierungsverfahren +++
Aufwand im Vorfeld/Zeit/Kosten
+
Bescheinigung und Bescheiniger +++ Schuldner
3.
Auswahl Sachwalter
Über vorl. GLA
Masseverbindlichkeiten
Noch str., h. M. +; Anfrage Gericht
+
Einfluss vorl. Gläubigerausschuss
+
Aufhebung
Dauer
In der Regel Insolvenzgeldzeitraum
Max. 3 Monate
Bekanntmachung
Nicht zwingend, aber in der Regel
Nicht zwingend, Anfrage Gericht
Zuständiges Gericht und forum shopping
Neben der unterschiedlichen Rechtsauffassung zur Massebegründungskompetenz in der 23 vorläufigen Eigenverwaltung haben sich zudem bestimmte Gerichte bzw. Richter ESUGfreundlicher und andere eher skeptischer gezeigt. Ihre mindestens neutrale Haltung zum neuen Recht hat einen erheblichen Anteil am Gelingen einer Sanierung in Eigenverwaltung.34) Weiter ist die Erfahrung mit ESUG-Verfahren aufgrund der nach wie vor fehlenden Konzentration der Insolvenzgerichte in einigen Bundesländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Auch national wurde daher das „forum shopping“ hin zu einem „Sanierungsgerichtsstand“ zum Thema. Örtlich zuständig für das Verfahren ist grundsätzlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk 24 der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, so dass bei Gesellschaften zunächst ihr Satzungssitz und bei natürlichen Personen der Wohnsicht maßgeblich ist, § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. §§ 17, 13 ZPO.35) Allerdings gewährt § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO eine gewisse Flexibilität. Gelingt dem Schuldner der Nachweis, dass der Mittelpunkt seiner selbst___________ 32) OLG Köln v. 3.11.2014 – 2 U 82/14, ZIP 2014, 2523; OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294, dazu EWiR 2014, 525 (Rendels); LG Hannover v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790, 1792; LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = NZI 2013, 91; AG Essen v. 3.2.2015 – 163 IN 14/15, ZIP 2015, 841, dazu EWiR 2015, 457 (Kraus); Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 160; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 21. 33) Fröhlich, ZInsO 8/2018, S. IV. 34) Die Kölner Insolvenzrichter, in: FS Vallender, 2015, S. 311, 330. 35) Die zunächst vorgesehene stärkere Konzentration der Insolvenzverfahren auf nur ein Insolvenzgericht für jeden Landgerichtsbezirk musste am Ende fallengelassen werden.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
ständigen wirtschaftlichen Tätigkeit an einem anderen Ort liegt, knüpft die Zuständigkeit an diesen an. 25 Bei strategischen Vorbereitungsmaßnahmen wie einer Sitzverlegung in den Bezirk eines vermeintlich ESUG-freundlichen Gerichts ist allerdings zu beachten, dass die Zuständigkeit am Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO Vorrang vor dem am Satzungssitz anknüpfenden allgemeinen Gerichtsstand genießt.36) 26 Eine vom Satzungssitz abweichende örtliche Zuständigkeit hat bislang v. a. bei Konzerninsolvenzen Bedeutung. Sie kann die verfahrensmäßige Konsolidierung rechtlich selbstständiger Insolvenzverfahren über die einzelnen Gesellschaften einer Unternehmensgruppe bei einem Gericht, z. B. am Sitz der Muttergesellschaft, ermöglichen. Mit Inkrafttreten des Konzerninsolvenzrechts am 21.4.2018 stellt die InsO allerdings hier mit dem neuen § 3a einen Gruppengerichtsstand zur Bündelung aller Verfahren einer Unternehmensgruppe zur Verfügung (siehe ausführlich § 19).37) 4.
Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung
4.1
Drohende Zahlungsunfähigkeit und Anordnungsplanbarkeit
27 Der Eintritt der insolvenzrechtlichen Krise i. S. des Vorliegens eines Eröffnungsgrundes gibt den frühesten Zeitpunkt für die Überleitung des außergerichtlichen Restrukturierungsverfahrens in ein gerichtliches Verfahren vor, vgl. §§ 16 bis 19 InsO. Dies gilt sowohl für das Vorverfahren in Gestalt der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO wie auch für das besondere Sanierungsvorbereitungs- oder Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO. Der Insolvenzgrund muss nach dem Wortlaut des § 16 InsO im Zeitpunkt der Eröffnung vorliegen, nicht bereits bei Antragstellung.38) Insoweit könnte ggf. auch eine weitere Vorverlegung des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere des Schutzschirmverfahrens, in Betracht kommen, solange das Modul eines präventiven Restrukturierungsverfahrens in Deutschland noch nicht zur Verfügung steht. 28 Mit dem besonderen Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO gibt das Gesetz dem Schuldner eine frühe und in unmittelbarem Zusammenhang mit einer restrukturierungs- oder sanierungsorientierten Insolvenz in Eigenverwaltung stehende Einleitungsmöglichkeit.39) Ein Fremdantrag kann dagegen erst auf den allgemeinen Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO gestützt werden, so dass ein Gläubiger dem Schuldner in dieser frühen Phase auch noch nicht zuvorkommen kann. Der weitere Eröffnungsgrund der Überschuldung juristischer Personen oder atypischer Personengesellschaften nach § 19 InsO kommt für einen Gläubigerantrag mangels entsprechender Informationen praktisch nicht zum Tragen. 29 Wie § 270b InsO nochmals bestätigt, spricht die frühzeitige Einleitung des gerichtlichen Verfahrens schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit für die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung. Eine fakultative Einleitung des Verfahrens durch den Schuldner zeigt dessen Vertrauenswürdigkeit und widerlegt eine sofortige Sicherungsnotwendigkeit in Gestalt der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Sie soll daher nach der Intention des Gesetzgebers mit der Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung „belohnt“ werden.40) Genau betrachtet wird die Einleitung des Verfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ___________ 36) 37) 38) 39) 40)
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Kexel, in: Graf-Schlicker, InsO, § 3 Rz. 4. Pape, ZInsO 2018, 425. Bremen, in: Graf-Schlicker, InsO, § 16 Rz. 8 m. w. N. zur Rspr. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 1. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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jedoch häufig nicht nur freiwillig, sondern wegen bereits eingetretener Überschuldung notwendig sein.41) Strebt der Schuldner ein Insolvenzplanverfahren an, eröffnet ihm ein Verfahrenseinstieg 30 bei drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zudem die Wahl zwischen dem Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung und dem neuen Sanierungsvorbereitungsverfahren nach § 270b InsO, siehe oben Rz. 15. Als weiterer Vorteil kommt die Rückzugsmöglichkeit aus dem Verfahren in Betracht, allerdings nur falls und solange die Antragspflicht juristischer Personen und atypischer Personengesellschaften noch nicht durch Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung ausgelöst ist. Diese Überlegungen dürfen allerdings nicht zu einer „geschönten“ Antragstellung veran- 31 lassen. Ist der Schuldner tatsächlich schon zahlungsunfähig und überschuldet, wird dies auch vom Gericht ermittelt werden und eine Antragstellung wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit „nach hinten losgehen“. In der Literatur wird zudem die Ansicht vertreten, dass durch einen (verschleiernden) Insolvenzantrag wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit die Antragspflicht nicht gewahrt wird.42) Hier droht den Geschäftsführern erhebliche Gefahr, wenn man diese Konstellation als nicht richtige Antragstellung i. S. von § 15a Abs. 4 InsO einordnet. 4.2
Spätester Zeitpunkt
Eine Insolvenzantragspflicht normiert § 15a Abs. 1 InsO für alle juristischen Personen 32 und atypischen Personengesellschaften. Die Mitglieder des Vertretungsorgans haben zur Vermeidung ihrer persönlichen Haftung und Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung sowie einer mehrjährigen Disqualifizierung als Geschäftsleiter nach § 6 Abs. 2 Nr. 3a GmbHG, § 76 Abs. 3 Nr. 3a AktG ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen.43) Zu beachten ist, dass es sich bei der Drei-Wochen-Frist um eine Höchstfrist handelt, um 33 noch bestehende Chancen für eine außergerichtliche Sanierung nicht zu zerschlagen.44) Sobald eine außergerichtliche Sanierung aussichtslos geworden ist, muss der Antrag daher ohne schuldhaftes Zögern gestellt werden.45) Aber auch wenn die Drei-Wochen-Frist den Geschäftsleitern zivilrechtlich bei einer Prüfung der Verschleppungshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 15a InsO sowie strafrechtlich gemäß § 15a Abs. 4 InsO eingeräumt wird, ist ihr Ausschöpfen im Hinblick auf eine persönliche Einstandspflicht insoweit mit Gefahren verbunden, als während ihres Laufs die Massesicherungspflicht von § 92 Abs. 2 AktG, § 64 Satz 1 GmbHG greift.46) Ohne Beratung durch einen Experten bestehen hier ganz erhebliche Fallen.47) ___________ 41) Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 18 Rz. 86; zur Abgrenzung K. Schmidt, ZIP 2013, 485 ff. 42) Geißler, ZInsO 2013, 919, 924; Haas/Kolmann, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 92 Rz. 90; a. A. Brinkmann, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rz. 5.38; Kolmann, in: Saenger/Inhester, GmbHG, vor § 64 Rz. 143; Klöhn, in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 133. 43) Hierzu ausf. z. B. Steffek, in: KPB, InsO, § 15a, sowie Kiethe/Hohmann, in: MünchKomm-StGB, 2. Aufl. 2015, § 15a InsO Rz. 76 ff. 44) Steffek, in: KPB, InsO, § 15a Rz. 59. 45) Steffek, in: KPB, InsO, § 15a Rz. 59. 46) BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); Gehrlein, ZInsO 2017, 849. 47) Zur Anwendbarkeit sowie allg. zur Haftung des Geschäftsführers im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren vgl. Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 ff.; A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 ff.; Siemon/ Klein, ZInsO 2012, 2009 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
34 Die Insolvenzverschleppung ist zudem ein Kriterium, das gegen die Eignung des Schuldners als Eigenverwalter spricht. Aber auch Schuldnern ohne gesetzliche Antragspflicht sollte an einer frühzeitigen Einleitung des Verfahrens gelegen sein, um Vertrauen in die eigene Kompetenz zu schaffen und die Chancen für eine Sanierung oder Restrukturierung in Eigenverwaltung nicht durch zu langes Zuwarten und damit dokumentierte fehlende Einsicht zu beeinträchtigen. 5.
Antragsbefugnis und gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung
5.1
Drohende Zahlungsunfähigkeit und Eigenverwaltung
35 Soll für eine juristische Person oder Personengesellschaft ein Insolvenzantrag wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt werden, ist die Sonderregelung des § 18 Abs. 3 InsO in Bezug auf die Vertretungsbefugnis der Mitglieder des Vertretungsorgans zu beachten. Berechtigt einen Insolvenzantrag zu stellen ist bei juristischen Personen und Personengesellschaften gemäß § 15 InsO grundsätzliche jedes Mitglied des Vertretungsorgans, unabhängig davon, ob auch gesellschaftsrechtlich die Einzelvertretungsbefugnis eingeräumt oder Gesamtvertretung angeordnet ist. Diese insolvenzrechtliche Einzelvertretungsbefugnis steht allerdings systematisch im Zusammenhang mit der Antragspflicht nach § 15a InsO. 36 Eine Sonderregelung enthält § 18 Abs. 3 InsO für den freiwilligen Insolvenzantrag wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit. Hier bleibt es bei der Maßgeblichkeit der gesellschaftsrechtlichen Regelung der Vertretungsbefugnis nach Satzung oder Gesetz. 37 Für den weiter notwendigen Antrag auf Eigenverwaltung finden sich in der InsO keine Regelungen zur Antragsbefugnis. In der insolvenzrechtlichen Literatur werden hierzu drei unterschiedliche Ansichten vertreten: 38 Nach einer Ansicht soll die insolvenzrechtliche Einzelantragsbefugnis für den Insolvenzantrag auch für den Eigenverwaltungsantrag entsprechend gelten.48) Eine a. A. verlangt dagegen stets, also unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Regelung, eine Gesamtvertretung durch alle Mitglieder des Vertretungsorgans bei der Beantragung der Eigenverwaltung.49) Nach einer dritten Ansicht soll es für den Eigenverwaltungsantrag, ebenso wie für den Antrag wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit, bei der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsbefugnis bleiben.50) 39 Dogmatisch betrachtet erscheint die letztgenannte Ansicht zutreffend. Fehlt es an einer insolvenzrechtlichen Sonderregelung, bleibt es bei der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsbefugnis auch für Anträge nach der InsO.51) Schon das Bestehen einer Regelungslücke erscheint hier fraglich. Geht man dennoch von einer Regelungslücke aus, erscheint jedenfalls der fakultative Eigenverwaltungsantrag dem fakultativen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit vergleichbar. Auch § 18 Abs. 3 InsO belässt es jedoch bei der gesellschaftsrechtlichen Regelung. Er sieht weder eine Verschärfung noch eine Lockerung der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsvoraussetzungen vor. 40 Auf jeden Fall muss daher bei der Antragstellung die gesellschaftsrechtliche Vertretungsregelung beachtet werden. Sie ist weiter auch für eine eventuelle Antragsrücknahme maßgeblich.52) Jegliche Rechtsunsicherheit wird vermieden und zudem v. a. auch das gemeinsame ___________ 48) Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 270 Rz. 20. 49) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 37. 50) Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 12; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 31; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270 InsO Rz. 8. 51) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 4; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 7; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 31. 52) Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 12.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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Ziel der Restrukturierung in der Insolvenz in Eigenverwaltung bekräftigt durch eine gemeinschaftliche Antragstellung aller Mitglieder des Vertretungsorgans. Zu Recht sind die Insolvenzgerichte seit Suhrkamp bei nicht einvernehmlichem Auftreten der Organmitglieder oder Gesellschafter sensibilisiert für die Möglichkeit eines Missbrauchs des Insolvenzverfahrens zur Austragung von Gesellschafts- oder Gesellschafterstreitigkeiten. 5.2
Gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung
Ist der Insolvenzschuldner in der Rechtsform einer UG, einer GmbH oder einer 41 GmbH & Co. KG inkorporiert und sind Gesellschafter und Geschäftsführer nicht personenidentisch, können zudem die Anteilsinhaber anderer Auffassung sein in Bezug auf einen freiwilligen Übergang vom außergerichtlichen in das gerichtliche Sanierungs- oder Restrukturierungsverfahren. Dies wird v. a. dann der Fall sein, wenn Eingriffe auch in Gesellschafterrechte geplant sind bzw. von diesen erwartet werden. Ist die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bereits eingetreten, sind die Geschäftsleiter 42 nach § 15a InsO zur unverzüglichen Insolvenzantragstellung verpflichtet, unabhängig von einer entsprechenden oder auch widersprechenden Weisung der Gesellschafter.53) Im „Überschneidungsbereich“54) von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung stellt sich die nachfolgend dargestellte Problematik daher von vornherein nicht. Dagegen stellt sich bei einer rein fakultativen Einleitung des gerichtlichen Verfahrens wegen 43 erst drohender Zahlungsunfähigkeit die Frage nach der Notwendigkeit der Einbindung der Gesellschafterversammlung und der Bedeutung bzw. Bindung eines ablehnenden Beschlusses. Die Sonderregelung zum Antragsrecht in § 18 Abs. 3 InsO spricht hier nicht von vornherein gegen eine Einbindung der Anteilsinhaber, da sie lediglich das Verhältnis der Mitglieder des Vertretungsorgans untereinander abweichend von der insolvenzrechtlichen Einzelantragsberechtigung nach § 15 InsO i. S. der Maßgeblichkeit der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsbefugnis regelt, nicht aber dasjenige zur Gesellschafterversammlung.55) Grundsätzlich sind die Geschäftsführer der GmbH an die Weisungen der Gesellschafter 44 gebunden. Die Gesellschafterversammlung ist das oberste Organ. § 276a InsO, der im eröffneten Verfahren eine Einflussnahme der Gesellschafterversammlung auf den Geschäftsführer ausschließt, kann bei der Verfahrenseinleitung noch keine Vorwirkung zukommen.56) Es geht bei der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung und damit über die Auflösung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG um ein Grundlagengeschäft und nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme.57) Der Geschäftsführer wird hier auch noch nicht anstelle eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters und unter der „ersatzweisen“ Aufsicht der insolvenzrechtlichen Organe tätig.58) § 276a InsO kann daher nicht zur Begründung bzw. zum Ausschluss gesellschaftsrechtlicher Kompetenzen herangezogen werden.59) Umgekehrt bestätigt vielmehr die ausdrückliche Anordnung der Einberufung einer Gesell- 45 schafterversammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit für die UG haftungsbeschränkt ___________ 53) Strohn, DB 2011, 158, 161; W. Müller, in: Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 487, 497; Henssler, ZInsO 1999, 121, 125. 54) Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 18 Rz. 76 ff.; zur Abgrenzung ausf. K. Schmidt, ZIP 2013, 485 ff. 55) BT-Drucks. 12/7302, S. 157; Wortberg, ZInsO 2004, 707, 708. 56) Eine Vorwirkung auch im Eröffnungsverfahren abl. Klöhn, NZG 2013, 81, 86; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1493; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 276a Rz. 6; Spliedt, in: FS Vallender, 2015, S. 613, 617. 57) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124, n. rkr., NZB anhängig, Az d. BGH: II ZR 152/13, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/Hoffmann); Spliedt, in: FS Vallender, 2015, S. 613, 636. 58) BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 59) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276a Rz. 4; a. A. Brinkmann, WM 2012, 1369, Rz. 50; Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 6; Klöhn, NZG 2013, 81, 84.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
in § 5a Abs. 4 GmbHG eine solche Pflicht auch für die GmbH gemäß § 49 Abs. 2 GmbHG.60) Die Geschäftsführer haben einen Gesellschafterbeschluss einzuholen, bevor sie einen Insolvenzantrag wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit stellen.61) Da der Beschluss der Insolvenzantragstellung im Ergebnis die Auflösung der Gesellschaft betrifft, ist entsprechend § 60 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Nr. 4 GmbHG eine Dreiviertelmehrheit bzw. eine in der Satzung vorgesehene höhere Mehrheit erforderlich.62) Bei der GmbH & Co. KG ist für den KG-Insolvenzantrag weiter die Zustimmung der Kommanditisten erforderlich.63) Spricht sich die Gesellschafterversammlung gegen eine freiwillige Insolvenzantragstellung aus, ist der Geschäftsführer daran gebunden. Ihm droht bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Einberufung bzw. Nichtbefolgung der Weisung die Inanspruchnahme durch die Gesellschaft oder die Gesellschafter.64) Auf die Business Judgment Rule kann sich der Geschäftsführer in diesem Bereich in einem Haftungsprozess nicht berufen.65) 46 Unabhängig davon wäre ein nicht zur Entscheidung der Gesellschafter gestellter bzw. weisungswidriger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden mit einem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung in jedem Fall wirksam.66) Das rechtliche Können im Außenverhältnis wird durch eine gesellschaftsrechtliche Bindung im Innenverhältnis nicht beschränkt.67) 47 Den Geschäftsführern einer GmbH muss somit daran gelegen sein, einen zustimmenden Beschluss der Gesellschafter zu einer Insolvenzantragstellung wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen, um sich nicht Schadensersatzansprüchen wegen eines zu früh gestellten Insolvenzantrags auszusetzen.68) Sprechen sich die Gesellschafter gegen einen fakultativen Insolvenzantrag und für eine außergerichtliche Sanierung aus, sind die Geschäftsführer hieran gebunden. Ein Zuwiderhandeln stellt eine Pflichtverletzung dar.69) 48 Häufig wird allerdings gleichzeitig eine Überschuldung aufgrund der durch die drohende Zahlungsunfähigkeit indizierten negativen Fortbestehensprognose dargelegt werden können, so dass der allein auf drohende Zahlungsunfähigkeit zu stützende Insolvenzantrag in der Praxis eher die Ausnahme bildet. 49 Eine eigenmächtige bzw. weisungswidrige Insolvenzantragstellung bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit wird daher nur ganz ausnahmsweise und i. V. m. strategischen Gründen ___________ 60) Geißler, ZInsO 2013, 919, 921 f.; H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19; Rüntz/Laroche, in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 18 Rz. 17; Tetzlaff, ZInsO 2008, 226, 228. 61) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124, n. rkr., NZB anhängig beim BGH, Az. II ZR 152/13; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593; H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19; Rüntz/Laroche, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 18 Rz. 17; Tetzlaff, ZInsO 2008, 226, 228; a. A. W. Müller, in: Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 487, 497. 62) Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1128; Wortberg, ZInsO 2004, 707, 709. 63) Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1595. 64) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124, n. rkr., NZB anhängig beim BGH, Az. II ZR 152/13; zust. Jakobs/Hoffmann, EWiR 2013, 483 f.; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1128; Wortberg, ZInsO 2004, 707, 709; Tetzlaff, ZInsO 2008, 226, 228. 65) Jakobs/Hoffmann, EWiR 2013, 2013, 483, 484; a. A. Thole, ZHR 173 (2009), 504, 521 ff. 66) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124, n. rkr., NZB anhängig beim BGH, Az. II ZR 152/13; H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19; Rüntz/Laroche, in: Kayser/Thole, HKInsO, § 18 Rz. 17; Tetzlaff, ZInsO 2008, 226, 228. 67) H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19; Strohn, DB 2011, 158, 166. 68) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, n. rkr., NZB anhängig beim BGH, Az. II ZR 152/13; OLG München v. 4.2.2015 – 7 U 2177/14, ZIP 2015, 826, dazu EWiR 2015, 439 (Beck), zu dem gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßenden Insolvenzantrag des Gesellschafters einer GbR; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1128; H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19; Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rz. 71; Wortberg, ZInsO 2004, 707, 711. 69) Henssler, ZInsO 1999, 121, 126.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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vorkommen oder in Betracht zu ziehen sein. Hier ist allerdings im Zusammenhang mit dem Suhrkamp-Insolvenzplanverfahren die Frage nach einer möglichen Rechtsmissbräuchlichkeit der frühen Eigenantragstellung wegen vorgetragener drohender Zahlungsunfähigkeit virulent geworden.70) Ist ein Insolvenzantrag erst einmal gestellt, wird ein Eröffnungsgrund bis zur Verfahrenseröffnung regelmäßig eingetreten sein. Im Suhrkamp-Verfahren gibt zu denken, dass nach dem Planinhalt alle Insolvenzgläubiger voll befriedigt werden konnten, ohne dass es irgendwelcher Sanierungsmaßnahmen bedurft hätte.71) Der Eingriff in die Rechte der Insolvenzgläubiger beschränkt sich auf eine zeitlich sehr überschaubare Stundung ihrer Forderungen. Es drängt sich daher die Frage auf, ob bzw. wann das Insolvenzplanverfahren missbraucht wird, um gesellschaftsrechtlich nicht mögliche Eingriffe in Gesellschafterrechte vorzunehmen. Trittbrettfahrer, die ihren Mitgesellschaftern mit einem Insolvenzverfahren drohen, werden sich hier schnell finden.72) Die Insolvenzgerichte sind nach Suhrkamp sensibilisiert und bemüht, „nicht insolvenzrechtlich motivierte“ Eigenanträge vom Tisch zu bekommen.73) Anders als der Geschäftsführer der GmbH leitet der Vorstand die AG gemäß § 76 AktG 50 in eigener Verantwortung, so dass sich die Frage nach der Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses mit umgekehrtem Vorzeichen stellt.74) Dies spricht für die wohl h. A., nach der der Vorstand auch den fakultativen Insolvenzantrag in eigener Verantwortung stellen kann und allenfalls eine Einwilligung des Aufsichtsrats einholen muss, soweit ein entsprechendes Zustimmungserfordernis gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG besteht.75) Auch hier gilt, dass jedenfalls bei der Verfahrenseinleitung aus § 276a InsO noch kein besonderes Insolvenzgesellschaftsrecht abgeleitet werden kann.76) Eine Abstimmung mit den weiteren Vorständen ist auch im Falle der satzungsmäßigen Einzelvertretungsbefugnis zu empfehlen.77) Nach a. A., die sich auf das Holzmüller-Urteil des BGH78) stützt, sollen dagegen auch die 51 Geschäftsleiter der AG einen Beschluss der Anteilseigner vor einer fakultativen Antragstellung einzuholen haben.79) Da diese bzw. die Eröffnung und das Ergebnis eines Insolvenzverfahrens die Mitgliedschaft in der AG an sich betreffe bzw. jedenfalls betreffen könne, bestehe hier eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit.80) Dieses Argument gewinnt weiter an Gewicht, da auch die Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren i. R. eines Debt-Equity-Swaps ihre Anteilsrechte gegen ihren Willen verlieren können. Für diese Ansicht spricht zudem, dass das AktG in den § 119 Abs. 1 Nr. 8 und § 262 Abs. 1 Nr. 2 ausdrücklich die Entscheidung der Hauptversammlung über die Auflösung der Gesellschaft vorsieht. Aufgelöst wird die Gesellschaft gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG aber auch durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.
___________ 70) Brinkmann, ZIP 2014, 197; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953; Fölsing, ZInsO 2013, 1325; Eidenmüller, NJW 2014, 17; Zipperer, ZIP 2015, 2002. 71) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, 1448, Rz. 41, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 72) AG Mannheim v. 21.2.2014 – 4 IN 115/14, ZIP 2014, 484, dazu EWiR 2014, 331 (Neußner). 73) AG Mannheim v. 21.2.2014 – 4 IN 115/14, ZIP 2014, 484, dazu EWiR 2014, 331 (Neußner). 74) Strohn, DB 2011, 158, 162. 75) H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19, verlangt hier im Falle der Einzelvertretungsmacht abweichend eine Abstimmung. 76) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276a Rz. 1. 77) H.-F. Müller, in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19. 78) BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = ZIP 1982, 568. 79) Wortberg, ZInsO 2004, 707. 80) Wortberg, ZInsO 2004, 707, 708.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
52 Allerdings kann es sich auch hier nur um eine im Innenverhältnis wirkende Beschränkung des rechtlichen Dürfens handeln. Aus § 15 Abs. 3 InsO folgt auch für die AG eindeutig, dass sich die Antragsbefugnis jedenfalls im Außenverhältnis nach der Vertretungsregelung des § 78 Abs. 2 AktG bzw. einer abweichenden satzungsmäßigen Regelung richtet. Schon aufgrund der derzeit bestehenden Rechtsunsicherheit im Innenverhältnis empfiehlt es sich jedoch auch für Vorstände einer AG, vor einer fakultativen Insolvenzantragstellung einen zustimmenden Beschluss der Hauptversammlung herbeiführen, soweit nicht mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit gleichzeitig auch eine Überschuldung darstellbar sein sollte. 6.
Mitgebrachter vorläufiger Gläubigerausschuss
6.1
Unterstützung der Eigenverwaltung und Bindung des Gerichts
53 Wird die vorläufige Eigenverwaltung zugelassen, ist das Verfahren grundsätzlich im Interesse der Gläubiger durch einen vorläufigen Gläubigerausschuss zu begleiten, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO. Unabhängig davon, ob schon die Unternehmensgröße den Muss-Ausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO verlangt oder ein Antrags-Ausschuss nach § 22a Abs. 2 InsO installiert werden soll, kann der Schuldner durch seine Besetzungsvorschläge wesentlichen Einfluss auf eine professionelle Unterstützung in den wesentlichen Verfahrensfragen nehmen. 54 Über einen vorläufigen Gläubigerausschuss und dessen einstimmiges Votum für die (vorläufige) Eigenverwaltung kann zum einen nach der Intention des Gesetzgebers Rechtssicherheit in Bezug auf deren Zulassung hergestellt werden gemäß § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO.81) Wird der Antrag auf Eigenverwaltung von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, gilt die Eigenverwaltung i. S. einer unwiderlegbaren Vermutung nicht als nachteilig für die Gläubiger i. S. des Ablehnungsgrunds des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO.82) Die Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses und die bindende Wirkung eines einstimmigen Votums betrifft nach der systematischen Stellung der Regelung in § 270 Abs. 3 InsO zwar unmittelbar die förmliche Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag bei Verfahrenseröffnung. Sie hat allerdings direkte Vorwirkung auch für das Eröffnungsverfahren, da bei fehlender Nachteiligkeit für die Gläubiger ein Eigenverwaltungsantrag erst recht nicht i. S. von § 270a InsO „offensichtlich aussichtslos“ sein kann. 55 Wichtig ist jedoch bei der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zum einen, dass ein vom Schuldner „mitgebrachter“ sog. präsumtiver vorläufiger Gläubigerausschuss zunächst noch durch das Gericht eingesetzt werden muss und erst das Votum des konstituierten Organs bindende Wirkung hat.83) Damit wird gleichzeitig deutlich, dass sich die vom Schuldner vorgeschlagene Besetzung nicht nur an den gesetzlichen Vorgaben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a i. V. m. § 67 Abs. 2 InsO) orientieren muss, sondern zudem auch mit dem Gericht im Vorfeld abzuklären ist. Ein einstimmiges Votum des präsumtiven vorläufigen Gläubigerausschusses kann auch durch die Erweiterung des konstituierten Ausschusses um ein weiteres Mitglied ausgehebelt bzw. in Frage gestellt werden.84) 56 Weiter sind die umfassende Information und Einbindung der vorgeschlagenen Mitglieder sowie die Vorinformation des Gerichts notwendige Voraussetzungen dafür, dass die Konstituierung und die verbindliche Beschlussfassung praktisch auch unmittelbar mit Verfah___________ 81) AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11, ZIP 2011, 2372. 82) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11. 83) Laroche, in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 2 Rz. 209; zu weiteren formalen Anforderungen an die Beschlussfassung und Vorlage AG Freiburg v. 11.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238 = NZI 2015, 605. 84) Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2156.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
renseinleitung erfolgen können und nicht aufgrund des Eilcharakters wegen erwarteter Verzögerungen zunächst von einer Anhörung abgesehen wird (§ 270 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 56a Abs. 3 InsO analog); siehe ausführlich unten § 9.85) 6.2
Bindende Entscheidung über die Person des (vorläufigen) Sachwalters
Weiter kann über einen vorläufigen Gläubigerausschuss zudem Planungssicherheit in Be- 57 zug auf die Person des (vorläufigen) Sachwalters hergestellt werden. Der vorläufige Gläubigerausschuss kann dem Gericht eine geeignete Person durch einstimmiges Votum bindend vorgeben (§ 56a Abs. 2 InsO), wobei auch hier erst das Votum des konstituierten vorläufigen Gläubigerausschusses Wirkung entfaltet, siehe oben Rz. 55. Zwar könnte nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch der Schuldner selbst eine bestimmte Person 58 als Sachwalter vorschlagen. Dass ein Vorschlag des Schuldners zur Person des vorläufigen Sachwalters den Vorgeschlagenen nicht mehr per se wegen fehlender Unabhängigkeit für das Amt disqualifizieren kann, ist in § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO festgeschrieben. Bindend ist ein Schuldnervorschlag aber dennoch nicht. Der Schuldnervorschlag muss daher zunächst die Akzeptanz des Gläubigerausschusses finden und sodann über dieses Gläubigerorgan ein Vorschlag zur Person des Sachwalters eingebracht werden, um bindende Wirkung zu entfalten. Das Gericht kann von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses 59 zur Person des vorläufigen Verwalters nur abweichen, wenn die Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 56a Abs. 2 InsO). Bei kleineren und mittleren Verfahren spricht viel für den Vorschlag einer beim Gericht gelisteten und aus Verfahren bekannten Person. Gerade aber in größeren und großen Verfahren werden in der Praxis auch Verwalter bestellt, die von anderen Insolvenzgerichten langjährig in Verfahren vergleichbarer Größenordnung bestellt wurden und in der „Insolvenzszene“ bekannt sind, so dass ihre Eignung außer Frage steht.86) Jedenfalls ist aber auch hier eine Vorabsprache mit dem Gericht zu empfehlen. 6.3
Sicherungswirkung
Dem vorläufigen Gläubigerausschuss kommt zudem eine erhebliche Kontrollfunktion 60 und Sicherungswirkung zu. Er hat den Schuldner i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung zu unterstützen und zu überwachen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a i. V. m. § 68 InsO). Die Einbindung dieses Gläubigerorgans ist daher insbesondere auch geeignet, Vertrauen zu schaffen in eine nicht gegen das Interesse der Gläubigergemeinschaft verstoßende vorläufige Eigenverwaltung. Mittels einer Aufsicht durch vorläufigen Gläubigerausschuss und vorläufigen Sachwalter ist 61 sichergestellt, dass eine negative Entwicklung der zunächst zugelassenen Eigenverwaltung kurzfristig erkannt würde und beendet werden könnte (siehe ausführlich unter § 14 Rz. 2a, 5, 25 ff.). III.
Keine Nachteile für die Gläubiger durch die Eigenverwaltung
1.
Mindestanforderung der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung
Die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren setzt gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO vor- 62 aus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Die vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren darf dem Schuldner nur dann verwehrt werden gemäß § 270a Abs. 1 InsO, ___________ 85) Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2155. 86) AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11, ZIP 2011, 2372, 2373.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
wenn sein Antrag auf Eigenverwaltung offensichtlich aussichtslos ist, d. h. Nachteile für die Gläubiger offensichtlich drohen. 63 Diese sperrige und negative Umschreibung erscheint auf den ersten Blick sehr unglücklich und wenig praktikabel bzw. in keinster Weise motivierend für die Gläubiger, sich auf eine Steuerung des Verfahrens durch den Schuldner einzulassen.87) Sieht man sie jedoch im Zusammenhang mit der vom ESUG-Gesetzgeber bezweckten Stärkung der Eigenverwaltung, wird deutlich, dass die Eingangsschwelle zu Beginn des Verfahrens möglichst „niedrig“ aufgehängt werden sollte. Zwingende Voraussetzung jeder Eigenverwaltung ist „lediglich“ das grundsätzliche Verfahrensziel der InsO, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO. Die Gläubiger dürfen durch eine Eigenverwaltung voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als bei einer Verfahrensabwicklung mit Insolvenzverwalter. Der Gesetzgeber hat damit die Mindestanforderung für eine Eigenverwaltung formuliert, quasi die „Pflicht“. Wird das Interesse der Gläubiger und damit das Verfahrensziel der InsO gewahrt, spricht grundsätzlich nichts dagegen, dem Schuldner die Beibehaltung der Leitung des Sanierungskurses auch im gerichtlichen Verfahren zu überlassen und damit auch diesem „entgegenzukommen“. Dass nach fünf Jahren ESUG nun teilweise auch umgekehrt eine zu großzügige Zulassungspraxis anzumahnen sein könnte, war damals wohl nicht zu erwarten.88) 64 Weiter ist die umständliche negative Formulierung, „dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird“, der Erhöhung der Anordnungsplanbarkeit durch eine Umkehr der Beweislast geschuldet. Dahinter steht wiederum das erklärte Ziel des ESUG, die Eigenverwaltung zu stärken, indem der Zugang planbarer wird. Wenn hier von einer „Umkehr des Regel-AusnahmeVerhältnisses“ gesprochen wird, ist damit nicht gemeint, dass Eigenverwaltungsverfahren zum Regelfall werden und die Insolvenzverwaltung künftig nur noch die Ausnahme ist. Gemeint ist vielmehr, dass in geeigneten(!) Fällen dem Eigenverwaltungsantrag auch stattzugeben ist i. S. eines Anspruchs auf Zulassung der Eigenverwaltung. Nicht geeignet sind sämtliche Konstellationen, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. Diese Prognose steht von der Verfahrenseinleitung an, über das Eröffnungsverfahren hinweg auch im eröffneten Verfahren fortlaufend im Zentrum der Betrachtung, § 274 Abs. 3, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO. Nach der Intention des Gesetzgebers soll durch § 270a InsO jedenfalls „für den Regelfall vermieden (werden), dass der Schuldner im Eröffnungsverfahren unmittelbar mit dem Antrag die Kontrolle über sein Unternehmen verliert“ – wenn nicht offensichtlich konkrete Umstände gegen eine Wahrung des Gläubigerinteresses an einem mindestens der Insolvenzverwaltung entsprechenden Verfahrensergebnis sprechen.89) 2.
Mehrkosten der Eigenverwaltung
2.1
Berater, (vorläufiger) Sachwalter und CRO vs. (vorläufiger) Insolvenzverwalter
65 Kein Schuldner ist in der Lage, die ihm im Verfahren abverlangten insolvenzspezifischen Tätigkeiten ohne die Begleitung durch Insolvenzexperten und Insolvenzpraktiker mit einer entsprechenden Infrastruktur auszuführen. Die parallele Beschäftigung zweier Insolvenzexperten in Gestalt eines schuldnerischen Beraters und eines die Eigenverwaltung überwachenden (vorläufigen) Sachwalters ist der Eigenverwaltung typischerweise eigen.90) ___________ 87) 88) 89) 90)
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Madaus, KTS 2015, 115 ff. AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 UB 16/17, ZInsO 2018, 193, m. krit. Anm. Henkel, EWiR 2018, 281 f. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 59. Madaus, NZI 2015, 606, 607; Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577, 580.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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Die Notwendigkeit der Einbindung insolvenzerfahrener Berater stellt auch keinen „grund- 66 legenden Mangel des gesetzlichen Leitbilds der Eigenverwaltung schlechthin dar“91), da vom Inhaber oder dem Management eines Unternehmens dieses Know-how in eigener Person nicht erwartet werden kann. Dies gilt schon für das mit Minen gespickte Stadium der Krise, erst recht aber auch für ein spezielles und umfassendes gerichtliches Verfahren wie ein Insolvenz(plan)verfahren. Der Eignung des Schuldners oder des Verfahrens für eine Eigenverwaltung steht die Not- 67 wendigkeit der Einbindung von Beratern somit nicht entgegen, solange der notwendige Sachverstand eingekauft werden kann und diese Mehrbelastung der Insolvenzmasse nicht zu einer Benachteiligung der Gläubiger führt. Vielmehr würde umgekehrt der Versuch einer eigenen Verfahrensbewältigung ohne insolvenzspezifisches Know-how gegen eine Eignung des nicht insolvenzrechtlich ausgewiesenen Schuldners bzw. seines Managements als Eigenverwalter sprechen. Auch die Notwendigkeit der Ergänzung des Leitungsorgans durch einen Interims- 68 Manager oder einen Insolvenzexperten steht der Eignung des Schuldners oder des Verfahrens für eine Eigenverwaltung nicht grundsätzlich entgegen. Zudem muss es den Beteiligten überlassen werden, ob ein Insolvenzexperte aufgrund eines Beratungsvertrags für den Schuldner tätig wird oder der Eintritt in die Organstellung zweckmäßiger erscheint. Erheblich teurer wird die Eigenverwaltung allerdings regelmäßig, wenn insolvenzrechtliche Berater beauftragt werden und zusätzlich ein Interims-Manager als CRO bestellt wird. Manager in Krisenzeiten haben ihren Preis, sowohl in der Insolvenz- als auch in einer Eigenverwaltung.92) Zu berücksichtigen ist zudem, dass eine derartige Unterstützung – wenn sie zusätzlich zum Bezug des insolvenzrechtlichen Know-hows über Beraterverträge erfolgt – nicht typischerweise notwendig ist für eine Eigenverwaltung, so dass die weitere Belastung der Masse tendenziell kritischer zu hinterfragen ist. Auch wenn die Vergütung des (voräufigen) Sachwalters nur einen Bruchteil der Vergütung 69 eines Insolvenzverwalters ausmacht, kann und wird sie zusammen mit den Beraterkosten die Kosten einer Insolvenzverwaltung zumindest bei komplexen Verfahren und Gestaltungslösungen typischerweise übersteigen.93) Eine Diskussion sowie ein Ringen um Honorarkriterien sind hier sicher richtig und notwendig.94) 2.2
Vergleichsrechnung
2.2.1 Quotenreduzierung als Nachteil Kann von den Mehrkosten einer Eigenverwaltung auf eine Reduzierung der für die Gläu- 70 biger zur Verfügung stehenden Teilungsmasse geschlossen werden, liegt darin ein Nachteil i. S. von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO.95) Eine andere Auslegung des Nachteilsbegriffs dahingehend, dass nicht nur negative Auswirkungen auf das Schuldnervermögen zu erwarten sein müssten, sondern andere Nachteile,96) kommt nicht in Betracht.97) Wie ausgeführt ist Mindestanforderung einer Eigenverwaltung die Wahrung des in § 1 InsO festgelegten Verfahrensziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Zudem bleiben Insolvenzplanlösungen auch im Regelinsolvenzverfahren möglich. ___________ 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97)
Hammes, NZI 2017, 233. Hammes, NZI 2017, 233. Wallner, ZIP 2015, 997, 999. Z. B. Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577 ff. AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743, 744. Hölzle, in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 14 Rz. 23, 24. Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2162; Madaus, NZI 2015, 606, 607.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
71 Auf den ersten Blick scheint daher schon rein rechnerisch eine Schlechterstellung durch die Eigenverwaltung allein aus den Mehrkosten des Verfahrens aufgrund der notwendigen Begleitung des Schuldners durch insolvenzrechtliche Berater ableitbar.98) Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn das angestrebte Verfahrensziel und realistische Verfahrensergebnis mit und ohne Eigenverwaltung dasselbe ist, wie im Fall des AG Freiburg.99) Nach dem mitgeteilten Sachverhalt ging es dort nicht um eine Restrukturierung, sondern um „Verkaufsbemühungen“, die zudem zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits kaum noch realistisch erschienen, so dass „letztlich eine Verwertung der Vermögensgegenstände“ anstand. Hier ist es vollkommen korrekt, wenn das Gericht erhebliche Nachteile für die Gläubiger prognostiziert, falls die voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung um mehr als 30 % über den Kosten eines Regelinsolvenzverfahrens mit Verwalter liegen. Den Mehrkosten durch Berater und CRO steht hier offensichtlich kein nur im Wege der Eigenverwaltung zu erzielender Mehrwert gegenüber. 72 Konstellationen, in denen schon allein von den Mehrkosten mangels weiterer zu berücksichtigender Umstände unmittelbar auf eine Quotenreduzierung geschlossen werden kann, sind keine typischen bzw. angestrebten ESUG-Sachverhalte. 2.2.2 Vergleichsszenario 73 Hiervon abzugrenzen sind die avisierten ESUG-Verfahren, in denen die Mehrkosten der Beratung und Begleitung einer Eigenverwaltung durch zusätzliche Chancen aufgrund einer Eigenverwaltung, insbesondere aufgrund eines alternativen Verfahrensziels oder zusätzlicher Sanierungsbeiträge, mindestens aufgewogen werden.100) In größeren Verfahren können der Einstieg eines Investors oder Sanierungsbeiträge weiterer Beteiligter von einer zügigen Restrukturierung und Plansanierung abhängig sein. Bei kleineren und insbesondere inhabergeführten Unternehmen kann die Alternative einer übertragenden Sanierung durch einen Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren von vornherein aussichtslos erscheinen, so dass nur in der Person des bisherigen Inhabers eine Fortführung und zumindest geringe quotale Befriedigung der Gläubiger aus künftigen Erlösen überhaupt in Betracht kommt. 74 In derartigen Fällen genügt es somit nicht, lediglich die Kosten einer Eigenverwaltung den Kosten einer Fremdverwaltung gegenüberzustellen. Vielmehr ergeben sich auch bei den Erlösen und bei den zur Verteilung vorgesehenen und voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mittel unterschiedliche Werte, die die Mehrkosten mehr als kompensieren können. Zuvorderst müssen hier allerdings vor dem Kostenvergleich auch die Vergleichsszenarien dem Gericht plausibel gemacht werden.101) Wie insbesondere die Möglichkeit der Befriedigung der Gläubiger in Restrukturierungsplanverfahren aus künftigen Erträgen oder auch künftige Erlöse für bestimmte Gläubiger aus einer fortbestehenden Geschäftsbeziehung mit dem Schuldner zeigen, geht es gerade bei Verfahren in Eigenverwaltung zunächst um das Heben zusätzlicher Vorteile und Werte. 75 Kippt das Verfahren während des Eröffnungsverfahrens, so dass das intendierte Verfahrensziel einer Sanierung unwahrscheinlich erscheint, ist auch die Vergleichsbetrachtung umzustellen und der Realität anzupassen. Bis dahin noch voraussichtlich durch das Verfahrensergebnis kompensierte Mehrkosten der Eigenverwaltung können dann zu Nach___________ 98) Hammes, NZI 2017, 233. 99) AG Freiburg v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238 = NZI 2015, 604 (m. Anm. Madaus NZI 2015, 606). 100) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 8; Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577, 581. 101) AG Essen v. 3.2.2015 – 163 IN 14/15, ZIP 2015, 841; BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 91/15, ZInsO 2017, 1813.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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teilen für die Gläubiger und damit zu einer Anordnung der (vorläufigen) Insolvenzverwaltung führen.102) 2.2.3 Bedeutung der Vergleichsrechnung Da die Eigenverwaltung aufgrund der Beraterkosten häufig zu einer höheren Belastung 76 der Masse führt als eine Insolvenzverwaltung und die Insolvenzgerichte diesen Gesichtspunkt sehr wohl im Fokus haben, empfiehlt es sich – bei aller Prognoseunsicherheit in diesem frühen Verfahrensstadium –, eine Vergleichsrechnung aufzustellen, um den „ersten Anschein einer Gläubigerbenachteiligung“ zu widerlegen.103) Regelmäßig wird eine Vergleichsrechnung ansonsten vom Gericht angefordert werden.104) Das Verfahren – einschließlich der weiteren Masseverbindlichkeiten in Gestalt der Bera- 77 tungskosten – muss nach der Liquiditätsplanung des Schuldners bzw. seines Beraters eben nicht nur durchfinanziert sein, vielmehr dürfen die Kosten für externen Sachverstand im Eröffnungs- und im eröffneten Verfahren i. V. m. der voraussichtlichen Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters nicht zu einer Schlechterstellung der Gläubiger führen. Zudem ist Transparenz ein wichtiges Gebot der Eigenverwaltung. Damit ist es unerläss- 78 lich, dass die bereits entstandenen und voraussichtlich noch anfallenden Beratungskosten dargelegt werden. Die Transparenz bezieht sich insbesondere auch auf die mit dem Berater vereinbarte Höhe der Vergütung für seine Tätigkeit sowie das Honorar eines ggf. eingebundenen CROs. Nur der Schuldner selbst kann die erwarteten Vorteile der Eigenverwaltung, die die Mehr- 79 kosten aufwiegen, prognostizieren und dem Gericht damit plausibel machen, dass eine Schädigung der Gläubigerinteressen nicht zu erwarten ist. Hier spielt das von ihm konkret angestrebte Restrukturierungsziel eine wesentliche Rolle. Einer Vergleichsrechnung bei Einleitung des Verfahrens ist eine Planungsunsicherheit na- 80 turgemäß immanent. Dem Schuldner ist daher ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen.105) Schon die Dauer des Verfahrens und der exakte Umfang notwendig werdender Beratungsleistungen kann nicht exakt vorausgesehen werden. Nur prognostiziert werden und einer gewissen Toleranz unterliegt weiter auch die abrechenbare Vergütung des Sachwalters für seine Tätigkeit im Eröffnungs- und im eröffneten Verfahren.106) Das gilt umso mehr noch für die mit diesen addierten Kosten zu vergleichenden hypothetischen Vergütungsansprüche des vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalters. Weiter kann sich das angestrebte Verfahrensergebnis im Laufe des Verfahrens als nicht 81 realisierbar erweisen. Dies kann auf vielfältigen Gründen beruhen, die nicht nur das zu sanierende Unternehmen betreffen. Hier sei beispielhaft nur das Kippen des Sanierungserlasses durch den BFH genannt.107) Die Vergleichsrechnung kann daher einer Anpassungsnotwendigkeit unterliegen und Anlass zu einer erneuten Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Eigenverwaltung sein.108) Die fortzuschreibende Vergleichsrech___________ 102) 103) 104) 105) 106)
AG Aachen v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, ZInsO 2018, 272. Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2162. AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743, 744. Kühne/Nickert, ZInsO 2017, 2405, 2407. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, dazu EWIR 2016, 499 (Beck); BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). 107) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp); BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, ZIP 2017, 2158, dazu EWiR 2017, 761 (Anzinger); zur Bedeutung der zwischenzeitlichen Äußerung der EU mittels eines Comfort Letters s. § 57 Rz. 103 ff., 117. 108) AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743, 744.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
nung hat eine große Bedeutung daher auch für die Kontrolle durch den (vorläufigen) Gläubigerausschuss und den (vorläufigen) Sachwalter während der gesamten Dauer des Verfahrens.109) Zur Vergleichsrechnung i. E. siehe auch unten § 34. IV.
Mehrwert der Eigenverwaltung
1.
Verfahrensziel und Beiträge
82 Echte ESUG-Verfahren zeichnen sich dadurch aus, dass die Eigenverwaltung nicht nur i. S. der „Pflicht“ zu keinem Nachteil für die Gläubiger führt, sondern darüber hinaus positive Impulse für die Verfahrensabwicklung und das angestrebte Verfahrensziel hat.110) Selbstverständlich setzt das Insolvenzplanverfahren keine Eigenverwaltung voraus. Selbstverständlich kann der Schuldner, auch wenn er nicht Eigenverwalter ist, einen Insolvenzplan einreichen. Sein Planinitiativrecht nach § 218 InsO hängt nicht von einer Eigenverwaltung ab bzw. ist nicht an diese Rechtsstellung gekoppelt. 83 Durch eine Eigenverwaltung können jedoch sowohl das Engagement eines kompetenten Managements des Schuldners oder dessen Zulassung111) zu einer Tätigkeit wie auch die Bereitschaft zur Unterstützung des Restrukturierungsvorhabens durch die Gläubiger, Gesellschafter oder Investoren erhalten und gestärkt werden. Vor einer Verteilung geht es somit zunächst und v. a. um die Hebung von Ressourcen, um kreative Ergebnisse erst möglich zu machen. Ein wesentlicher Wert der Eigenverwaltung besteht somit darin, den „Kuchen zunächst zu vergrößern, bevor es an die Verteilung geht“. Dies entspricht den über eine Mediation zu erreichenden alternativen und regelmäßig besseren Ergebnissen gegenüber einer bloßen Streitentscheidung durch Dritte bzw. Unbeteiligte. Die Eigenverwaltung harmoniert auch aus diesem Grund mit dem Insolvenzplanverfahren und der dort möglichen und angestrebten besseren Befriedigung der Gläubiger durch Untergliederung derselben anhand ihrer unterschiedlichen insolvenzrechtlichen und wirtschaftlichen Interessen. 84 Auch wenn der Gesetzgeber die Zugangsvoraussetzungen negativ formuliert hat, obliegt es dem Schuldner in der Praxis, dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem Gericht sowie im Verfahren auch dem (vorläufigen) Sachwalter zu vermitteln, welche positiven Einflüsse und Ergebnisse, welchen Mehrwert er sich durch die Eigenverwaltung erwartet. Zum einen ist i. S. einer vertrauensbildenden Transparenz die Motivation des Schuldners wichtig für das Verständnis und die Unterstützung der übrigen Beteiligten. Weiter geht es um die Prognose der wirtschaftlich möglichen Ergebnisse im Verfahren und ggf. weitere wirtschaftliche Aussichten nach Aufhebung des Verfahrens. 2.
Sanierungsverfahren
85 Obgleich der Gesetzgeber das Verfahrensziel der Eigenverwaltung nicht auf die Sanierung bzw. Restrukturierung des Unternehmensträgers festgeschrieben hat, ist dies doch die typische und nachvollziehbare Motivation für eine Eigenverwaltung. In diesem Bereich werden sich Vorteile über eine Eigenverwaltung gegenüber einer Verwertung heben lassen.112)
___________ 109) Kühne/Nickert, ZInsO 2017, 2405, 2408. 110) Wallner, ZIP 2015, 997, 1005. 111) AG Essen v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, ZVI 2015, 462 = NZI 2015, 931, zur Schließung der Apotheke wegen Insolvenz des Inhabers. 112) AG Essen v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, ZVI 2015, 462 = NZI 2015, 931; dazu Scholze, NZI 2015, 923.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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Nur die Darlegung des ESUG-typischen Verfahrenszwecks durch den Schuldner im Ein- 86 zelfall ist geeignet, zu einer Steigerung der „Anordnungsplanbarkeit“ zu führen.113) Die „Kür“ besteht somit für den Schuldner und seine Berater darin, die durch die Eigenverwaltung voraussichtlich zu erzielenden weiteren und besseren Ergebnisse im eigenen Interesse der Steigerung der Anordnungssicherheit darzulegen, auch wenn eine Begründung des Eigenverwaltungsantrags an sich nicht verlangt wird.114) Zu einem Vorteil der Eigenverwaltung kann in diesem Rahmen auch schon die Planbar- 87 keit des Verfahrens aufgrund der Festlegung auf ein Sanierungskonzept im Vorfeld der Verfahrenseinleitung sowie die Möglichkeit eines zügigen Verfahrensabschlusses im Planverfahren sein. Der Schuldner muss bei der Antragstellung schon „weiter sein“ als bei einer Einleitung des Regelverfahrens, hat er doch im besten und typischen Fall bereits die Unterstützung des künftigen vorläufigen Gläubigerausschusses im Vorfeld einzuholen und eine zügige Restrukturierung im Auge. Richtigerweise ist eine Eigenverwaltung aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wenn 88 ein Planverfahren nicht (mehr) angestrebt wird.115) Erweist sich eine übertragende Sanierung als Plan B doch als die bessere oder einzig noch realisierbare Lösung, wie z. B. nach dem Wegfall des Sanierungserlasses,116) oder kommt gar nur noch eine Liquidation in Betracht, muss nicht zwangsläufig sofort die Eigenverwaltung aufgehoben werden. Weitere Kosten für Berater können im Einzelfall überschaubar sein und aufgewogen werden, wenn der Abschluss der Verwertung durch den bisherigen Eigenverwalter zügiger realisiert werden kann und unmittelbar bevorsteht. Eine Einschränkung des Verfahrensziels der Eigenverwaltung durch den Gesetzgeber oder 89 durch die Praxis auf eine Sanierung mittels Restrukturierungplans erschiene auch nicht zweckmäßig oder notwendig.117) Sonderkonstellationen wird es immer geben und sollten gerade nicht vom Zugang zur Eigenverwaltung ausgeschlossen werden, verlangen doch gerade diese einen besonderen Werkzeugkasten, so dass eine offene Formulierung vorteilhaft und zweckmäßig erscheint. 3.
Eignung des Schuldners und seiner Berater
Die offizielle Evaluierung des ESUG118) sowie sonstige Untersuchungen und Befragungen 90 lassen Rückschlüsse auf die Erfolgskriterien sowie auf die K.-o.-Kriterien für eine Eigenverwaltung zu. Bemängelt wird nach nunmehr fünf Jahren ESUG v. a. der hohe Anteil an Abbrüchen von Eigenverwaltungsverfahren bzw. Überleitungen in Regelinsolvenzverfahren.119) Weiter sind Folgeinsolvenzverfahren im Anschluss an Plansanierungen in Eigenverwaltung zu konstatieren.120) Auch wenn grundsätzlich eine zunächst offene Haltung ___________ 113) Madaus, KTS 2015, 115, 139; Madaus, NZI 2017, 329, 333; AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 114) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 90. 115) AG Aachen v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, ZInsO 2018, 272; AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193; Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2164. 116) Zum Comfort Letter der EU und seiner Bedeutung s. unten § 57 Rz. 103 ff., 117. 117) So aber noch BAKinso e. V., Entschließung v. 16.11.2010 (Herbsttagung 2010), ZInsO 2017, 2515, 2516. 118) S. die Zusammenfassung unten § 58. 119) Moldenhauer/Wolf, Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, 3/2017 (Studie der Boston Consulting Group), S. 8, 9, abrufbar unter http://media-publications.bcg.com/Focus-ESUG-Studie-16May17.pdf (Abrufdatum 24.7.2018) 120) Moldenhauer/Herrmann/Wolf/Drescher, Drei Jahre ESUG: Höherer Aufwand lohnt sich, 5/2015, (Studie der Boston Consulting Group), S. 6, abrufbar unter http://image-src.bcg.com//Images/ Drei%20Jahre%20ESUG_tcm108-141099.pdf (Abrufdatum: 24.7.2018).
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
der Gerichte bei Verfahrenseinleitung richtig erscheint und Chancen zugestanden werden sollten, gilt es hier doch, Verfahrenskosten und Verzögerungen zu vermeiden und „die Spreu vom Weizen zu trennen“. 91 Im Bereich des „Bodensatzes“ können zudem auch schon aus den langjährigen Erfahrungen der Verwalter mit Sanierungen in Regelinsolvenzverfahren objektive Kriterien auch für die Chancen einer Restrukturierung in Eigenverwaltung abgeleitet werden. 92 Rückschlüsse auf die Eignung des Schuldners können im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung zunächst nur aus seinem vorinsolvenzlichen Verhalten gezogen werden.121) Als allgemeine Zugangsvoraussetzung zur Eigenverwaltung ist zu verlangen, dass der Schuldner nicht „grob gegen wesentliche öffentlich-rechtliche Pflichten verstoßen“ hat und die Besonderheiten der Eigenverwaltung auch nicht zu verfahrensfremden bzw. allein eigenen Zwecken ausnutzen will.122) 93 Objektiv belegbar und gegen eine Eigenverwaltung sprechen i. E.:
fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten,
fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Steuererklärungspflichten,
erhebliche Lohn- und Gehaltsrückstände (inklusive rückständiger Sozialversicherungsbeiträge),
offensichtliche Verletzung von Insolvenzantragspflichten nach Maßgabe von § 15a InsO.123)
94 „Mangelnde Erfahrung des Schuldners bzw. seiner organschaftlichen Vertreter mit dem Instrument der Eigenverwaltung“124) sollte dagegen kein Ausschlusskriterium sein, solange der Schuldner das notwendige Know-how ohne Nachteile für die Gläubiger zukaufen kann.125) 95 Ein früher Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung spricht in jedem Fall für eine Eigenverwaltung. Dies zeigt das Gesetz selbst in den § 270a und § 270b InsO, wenn die Antragstellung wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit besonders belohnt wird. Auf der anderen Seite spricht die Verfahrenseinleitung erst mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sowie Ablauf der Antragspflicht nach § 15a InsO nicht gegen eine Zulassung der Eigenverwaltung bzw. Eignung des Schuldners. Wenn der Gesetzgeber diese Höchstfrist einräumt und zudem künftig auch ein präventives Restrukturierungsverfahren dem Schuldner zur Verfügung steht, kann die Ausnutzung der Frist nicht negativ zu Buche schlagen. Gegen die Eignung des Schuldners spricht dagegen eine Insolvenzverschleppung. Auch wenn die Prüfung der Eröffnungsgründe sehr komplex ist, und die Risikofrüherkennung je nach Rechtsform und Größe von Unternehmen unterschiedlich ausgeprägt ist, muss doch zumindest die Sensibilität vorhanden sein, den Zeitpunkt zu erkennen, der einer besonderen Prüfung unter Hinzuziehung besonderer Sachkunde bedarf. Gerade auch der Insolvenzgrund der Überschuldung ist hier besonders im Auge zu behalten.126) ___________ 121) AG Köln v. 9.2.2017 – 72 IN 496/16, ZIP 2017, 889 = ZInsO 2017, 510. 122) Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262; Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153; AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390, 391; AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567. 123) Ergänzungsvorschlag des Gravenbrucher Kreises zu § 13 InsO: Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262; Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2162; AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390, 391; AG Essen v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, ZVI 2015, 462 = NZI 2015, 931; dazu Scholze, NZI 2015, 923. 124) Ergänzungsvorschlag des Gravenbrucher Kreises zu § 13 InsO: Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262. 125) Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2162. 126) Zu den Pflichten und zur Strafbarkeit BGH v. 23.8.2017 – 2 StR 456/16, NJW 2018, 566, 568.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte V.
§6
Vorbesprechung mit dem Gericht
Zur Vorbereitung der Verfahrenseinleitung gehört auch in jedem Fall die Kontaktauf- 96 nahme mit dem zuständigen Insolvenzgericht. Die Gerichte wollen mit größeren und umfangreichen Verfahren auf keinen Fall überrascht werden und erst recht nicht mit einem Antrag auf Eigenverwaltung.127) Aber auch in kleinen Verfahren wollen und müssen sie die Motivation des Schuldners verstehen und bereits vor der formellen Verfahrenseinleitung einen Eindruck von der Konstellation und den Schlüsselfiguren und -themen für eine erfolgreiche Durchführung und ein Gelingen der Restrukturierung in der Insolvenz in Eigenverwaltung gewinnen. Die Gerichte stehen einer Vorbesprechung daher im Regelfall auch aufgeschlossen gegen- 97 über.128) Durch die Ankündigung der Antragstellung und Vorbesprechung kann zudem auch bei Gerichten mit Verfahrenszuweisung an die Richter nach Antragseingang bzw. Endziffer die Zuständigkeit eines bestimmten Richters festgelegt werden, wenn das Gericht schon ein „Einleitungs-Aktenzeichen“ vergibt. Damit steht der konkrete Ansprechpartner in der Vorbereitungsphase fest, so dass auch auf Seiten des Gerichts nicht unnötig Ressourcen in Anspruch genommen werden durch die sonst erforderliche Einbindung sämtlicher Insolvenzrichter in die Vorgespräche. Auf Bedenken des Gerichts im Hinblick auf die Eignung des Schuldners und/oder des 98 Verfahrens für eine Eigenverwaltung kann eingegangen sowie die erwarteten Vorteile näher erläutert und plausibel gemacht werden. Gegebenenfalls können neben einer umfassenden Information und Transparenz auch zu- 99 sätzliche Maßnahmen in Betracht kommen, um Bedenken aus der Welt zu schaffen. Diese können insbesondere die Bereiche Zuverlässigkeit des Schuldners sowie Nachteile für die Gläubiger aufgrund der Kosten der Eigenverwaltung betreffen. VI.
Formelle Verfahrenseinleitung
1.
Insolvenzantrag und Eigenverwaltungsantrag
Beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der Eigenverwaltung 100 handelt es sich um zwei Anträge, auch wenn diese sprachlich häufig zu einem „Antrag auf Anordnung der Insolvenz in Eigenverwaltung“ zusammengefasst werden. Eines weiteren dritten Antrags, gerichtet auf die Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans, bedarf es bei der Einleitung des Schutzschirmverfahrens nach § 270b. Der Schuldner hat daher alle Anforderungen an einen zulässigen Insolvenzantrag zu erfüllen 101 und zusätzlich die besonderen Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung bzw. ihre vorläufige Zulassung im Eröffnungsverfahren. Zu beachten ist dabei, dass der Eigenverwaltungsantrag nach § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 InsO wiederum die Anforderungen an den Insolvenzantrag bestimmt und steigert. Spätestens mit der Einführung des § 13 InsO durch das ESUG bedarf ein Eigenantrag, 102 mit oder ohne Eigenverwaltung, gründlichster Vorbereitung und eines nicht unerheblichen Aufwands. Nach einer Erhebung am AG Charlottenburg einige Monate nach Inkrafttreten des ESUG sollen 87,8 % der Eigenanträge betreffend Unternehmen mit noch laufendem Geschäftsbetrieb unzulässig gewesen sein.129) Obgleich bei der Kombination mit einem Eigenverwaltungsantrag regelmäßig Insolvenzexperten eingebunden sein werden, soll nachfolgend doch auch auf einige ausgewählte formale Aspekte der Antragstellung ___________ 127) Brückner, ZInsO 2017, 2498. 128) Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2157. 129) Kurznachrichten ZInsO-Aktuell, Heft 34/2012, S. III.
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
näher eingegangen werden. Und auch wenn der Fokus regelmäßig auf der Überzeugung des vorläufigen Gläubigerausschusses, des Gerichts und eines Sachverständigen oder vorläufigen Sachwalters von den Vorteilen der Verfahrensdurchführung in Eigenverwaltung und dem Ausschluss eines Nachteils für die Gläubiger insbesondere wegen einer Quotenverringerung liegen wird, sind die formellen Anforderungen doch mit größter Sorgfalt abzuarbeiten, soll nicht bereits aus Unzulänglichkeiten an dieser Stelle auf eine fehlende Eignung des Schuldners zu schließen sein.130) 2.
Schuldnerantrag, Antragsbefugnis und Vertretung
103 Die Eigenverwaltung kann durch das Gericht bei Eröffnung sowie im vorläufigen Verfahren selbstredend nur auf Antrag des Schuldners hin angeordnet bzw. zugelassen werden, § 270 Abs. 2 Nr. 1, § 270a Abs. 1 InsO. Inhaltlich ist der Antrag darauf zu richten, dass auf die Bestellung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters verzichtet und dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen unter der Aufsicht eines (vorläufigen) Sachwalters belassen werden soll.131) 104 Anders als der Antrag auf Anordnung des Schutzschirmverfahrens nach § 270b muss der Eigenverwaltungsantrag nach den §§ 270, 270a InsO nicht zwingend schon unmittelbar mit einem Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden. Eine entsprechende Anwendung des § 270b Abs. 1 InsO auf das Eigenverwaltungsverfahren ist schon mangels Regelungslücke ausgeschlossen.132) Der Eigenverwaltungsantrag kann damit rechtlich betrachtet vom Schuldner noch bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses gestellt werden, da ja auch erst in diesem förmlich über die Zulassung der Eigenverwaltung entschieden wird.133) 105 Allerdings wird ein Nachschieben des Eigenverwaltungsantrags kaum praktische Relevanz haben. Dem Schuldner muss daran gelegen sein, die Verfahrenssteuerung von vornherein in der Hand zu behalten. Hat das Gericht bereits Sicherungsmaßnahmen angeordnet, insbesondere einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, wird ein „Herunterfahren“ im Eröffnungsverfahren134) oder eine Zulassung der Eigenverwaltung auch erst für das eröffnete Verfahren praktisch kaum in Betracht kommen. 106 Sollte ein Gläubiger dem Schuldner unglücklicherweise mit einem Fremdantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zuvorgekommen sein, ist eine Eigenverwaltung auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Gestrichen wurde § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F., der im Falle eines Fremdantrags die Zustimmung des antragstellenden Gläubigers zur Voraussetzung der Eigenverwaltung machte. Der ESUG-Gesetzgeber hat damit einem Gläubigerantrag seine absolute Blockademöglichkeit hinsichtlich einer Eigenverwaltung genommen.135) Hat aber erst einmal ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gestellt, wirft dieser dennoch unweigerlich die Frage auf, ob der Schuldner seinen eigenen Antrag nicht pflichtwidrig zu spät gestellt hat bzw. ihm die Eignung für eine Eigenverwaltung mangels richtiger Einschätzung der Krisensituation und Handlungsnotwendigkeit fehlt. Zudem wird die interessenwahrende Besetzung eines die Eigenverwaltung unterstützenden vorläufigen Gläubigerausschusses nach Vorschlag des Schuldners in Frage gestellt. ___________ 130) 131) 132) 133)
AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 79. A. A. wohl Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260, Fn. 72. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 75; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 9; weitergehend Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 9: bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Eröffnungsantrag. 134) LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050 = ZIP 2014, 2355, dazu EWiR 2014, 789 (Spliedt). 135) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 57, 58.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Aber auch schon im Hinblick auf die Steuerung des Verfahrens und das notwendige Vertrauen eines vorläufigen Gläubigerausschusses sowie des Gerichts muss dem Schuldner an der eigenen Verfahrenseinleitung gelegen sein. Wird er zum „Getriebenen“, ist die Überzeugungsarbeit ungleich aufwendiger, da das Gericht und die übrigen Gläubiger die Eignung des Verfahrens sowie des Schuldners für eine Eigenverwaltung zu Recht kritischer hinterfragen. Wie bereits ausgeführt, enthalten die §§ 270 ff. InsO keine besonderen Vorgaben zum Antragsrecht i. S. der Vertretungsbefugnis bei der Beantragung der Eigenverwaltung in der Gesellschaftsinsolvenz. Richtigerweise wird es, wie bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit, auf die gesellschaftsrechtliche Regelung ankommen.136) Unabhängig hiervon zeichnet sich die typische Eigenverwaltung dadurch aus, dass sie einstimmig vom Management befürwortet und von allen Organmitgliedern mitgetragen wird. Bestehen bereits intern Differenzen, werden die Gläubiger und das Gericht kaum zu überzeugen sein (siehe zum Antragsrecht sowie der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung ausführlich Rz. 35 ff.). Der Schuldner kann sich bei der Antragstellung auch von einem Bevollmächtigten vertreten lassen. Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte (§§ 49, 54 HGB) sind allerdings ohne besondere Vollmacht weder zur Beantragung der Insolvenz noch zur Beantragung einer Eigenverwaltung befugt, da beides nicht zu den Geschäften gehört, die der Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt.137) Auch ein Generalbevollmächtigter ist nach wohl h. M. aufgrund der Ungültigkeit von organvertretenden Generalvollmachten ohne besondere Ermächtigung nicht antragsberechtigt.138) Einer Vertretung des Schuldners durch Verfahrensbevollmächtigte steht dagegen nichts entgegen.139) Dies gilt auch für juristische Personen. Die Rechtsprechung zur Ungültigkeit organvertretender Generalvollmachten bei der GmbH kann auf spezifizierte Vollmachten nicht übertragen werden.140) Da im Verfahren vor dem Insolvenzgericht keine Vertretung durch Rechtsanwälte vorgeschrieben ist,141) können auch sonstige Sanierungs- und Restrukturierungsfachleute mit der Insolvenz- und Eigenverwaltungsantragstellung beauftragt werden. Voraussetzung ist eine wirksame Bevollmächtigung durch den Schuldner bzw. bei juristischen Personen und Gesellschaften durch die organschaftlichen Vertreter. Zu beachten ist die Befugnis des organschaftlichen Vertreters zur Erteilung einer Untervollmacht und hierbei weiterhin der Grundsatz, dass eine Untervollmacht in ihrem Umfang nicht über die Vertretungsmacht des Vollmachtgebers hinausgehen kann.142) Für die rechtsgeschäftliche Vertretung bei der Insolvenzantragstellung gelten gemäß § 4 InsO grundsätzlich die Vorschriften der ZPO. Gewillkürte Vertreter haben eine besondere Insolvenzvollmacht vorzulegen, die ausdrücklich zur Insolvenzantragstellung ermächtigt.143) Die Nachprüfung der Vertretungsberechtigung erfolgt grundsätzlich von Amts wegen, § 80 Abs. 1, § 88 ZPO. Eine Ausnahme gilt hier lediglich für Rechtsanwälte. Diese haben die schriftliche Vollmacht erst auf Rüge eines Verfahrensbeteiligten zu den Akten zu reichen.144) ___________ 136) 137) 138) 139) 140) 141) 142) 143) 144)
Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 84. Schmahl/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 83; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 73. Schmahl/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 82; Schippers, DNotZ 2009, 353, 361. Schmahl/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 83. Schippers, DNotZ 2009, 353, 374. Schmahl/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 83. Schramm, in: MünchKomm-BGB, § 167 Rz. 83. Schmahl/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 83; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 73. Ausf. Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 73, sowie Schmahl/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 83.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
115 Eine besondere Form sieht § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO für den Antrag auf Eigenverwaltung nicht vor. Allerdings könnte die in § 13 Abs. 1 InsO für den Insolvenzantrag vorgeschriebene Schriftform aufgrund der Verweisung auf die allgemeinen Vorschriften in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch für den Eigenverwaltungsantrag Geltung beanspruchen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn beide Anträge wie regelmäßig vom Schuldner verbunden werden.145) Unabhängig von der Zulässigkeitsfrage ist der Eigenverwaltungsantrag schon aus Beweisgründen schriftlich zu stellen. 116 Der Eigenverwaltungsantrag ist ebenso wie der Insolvenzantrag Prozesshandlung und darf nicht an eine Bedingung geknüpft werden, wie z. B. an die Bestellung einer bestimmten Person zum Sachwalter.146) Der Insolvenzantrag darf insbesondere nicht unter der Bedingung gestellt werden, dass das Gericht die Eigenverwaltung zulässt.147) Zwar gilt auch hier, dass eine bloße innerprozessuale Bedingung unschädlich ist, d. h. der Antrag hilfsweise für den Fall zur Entscheidung gestellt werden kann, dass ein bestimmtes innerprozessuales Ereignis eintritt, z. B. das Gericht seine Zuständigkeit bejaht oder ein Hauptantrag abgewiesen wird.148) Einer derartigen Konstellation erscheint die Kombination von Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag aber nicht vergleichbar.149) Es geht hier nicht wie im Falle eines hilfsweisen Antrags um ein Vor- und Nachrangverhältnis. Vielmehr kann die Eigenverwaltung nur auf einen zulässigen und begründeten Insolvenzantrag hin angeordnet werden. Da die Eigenverwaltung zudem auch erst im Eröffnungsbeschluss gemäß § 270 Abs. 1 InsO angeordnet werden kann, würden durch ihre Ablehnung nachträglich die Voraussetzungen für die Durchführung des Eröffnungsverfahrens entfallen. Es bleibt nur der Weg einer unbedingten Antragstellung und ggf. späteren Rücknahme, falls das Gericht Bedenken gegen die Anordnung der Eigenverwaltung hat und nicht eine Antragspflicht dem Rückzug aus dem Verfahren entgegensteht. 3.
Verschärfung der Antragsvoraussetzungen durch das ESUG
3.1
Differenzierte Zulässigkeitsvoraussetzungen für Eigenanträge
117 Für Schuldneranträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das ESUG weiter mit § 13 InsO wichtige Änderungen gebracht. Nachvollziehbar und zu begrüßen ist das Ziel, den Insolvenzgerichten schon mit dem Insolvenzantrag mehr Informationen über das schuldnerische Unternehmen an die Hand zu geben. Ein Gläubiger- und Forderungsverzeichnis benötigt der Richter, wenn er die Gläubiger frühzeitiger in das Verfahren einbinden soll. Weiterhin hat dieses als Erkenntnisquelle i. R. der Beurteilung des Eröffnungsgrunds bzw. der pflichtgemäßen Verfahrenseinleitung Bedeutung.150) 118 Zu kritisieren ist allerdings die sehr umständlich differenzierende Regelung und teilweise verwirrende Formulierung des neu gefassten § 13 Abs. 1 InsO. Eindeutig war hier noch der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der lediglich zwischen den Schuldnern mit einem bei Antragstellung laufenden Geschäftsbetrieb und allen anderen Schuldnern unterschied.151) ___________ 145) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 79 Fn. 178. 146) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 6; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 80; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 3. 147) Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 3; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 4; Laroche, in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 2 Rz. 17. 148) BGH v. 9.2.2012 – IX ZB 86/10, ZIP 2012, 582, 583, Rz. 13; BGH v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888, Rz. 7, dazu EWiR 2010, 493 (Stahlschmidt). 149) Schlegel, ZIP 1999, 954, 957; Pape, in: KPB, InsO, § 13 Rz. 109; Sternal, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 13 Rz. 4; a. A. Kruse, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 174 ff. 150) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 151) BT-Drucks. 17/5712, S. 4.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Erhebliche Rechtsunsicherheit bringt dagegen die vom Rechtsausschuss eingebrachte Fassung des § 13 Abs. 1 Sätze 4 bis 6 InsO mit sich.152) Um die Gefahr der Unzulässigkeit von Insolvenzanträgen wegen Nichteinhaltung der Anforderungen zu reduzieren, sollen diese nur für bestimmte Schuldner und/oder bei bestimmten zusätzlichen Anträgen verpflichtend sein. In den verbleibenden Fällen „sollen“ die weiteren Angaben gemacht werden, so dass ihr Fehlen nicht zur Unzulässigkeit des Antrags führt.153) Der Schuldner hat damit nun zunächst die Aufgabe, die für ihn konkret geltenden Pflicht- und/oder Sollangaben zu ermitteln. Die Pflichtangaben sind dabei nicht nur als Zulässigkeitsvoraussetzungen, sondern auch für die Wahrung der Insolvenzantragspflicht durch einen „richtigen“ Insolvenzantrag (vgl. § 15a Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. Abs. 6 InsO) von Bedeutung.154) Der Gesetzgeber hat hier zwischenzeitlich allerdings auf die gesteigerte Gefahr unzulässiger Anträge reagiert und die Pflicht des Insolvenzgerichts zur Setzung einer Nachfrist zur Behebung von Mängeln in § 13 Abs. 3 InsO ausdrücklich festgeschrieben. Ein bzw. aufgrund der differenzierten Anforderungen auch unterschiedliche amtliche For- 119 mulare für Schuldneranträge zur Einleitung des Regelinsolvenzverfahrens sollen noch eingeführt werden und sind dann nach § 13 Abs. 3 Satz 2 InsO zwingend zu verwenden.155) Derzeit stellen einige Insolvenzgerichte und bspw. auch das Justizministerium NordrheinWestfalen im Internet abrufbare Formulare und Merkblätter für das Insolvenzverfahren zur Verfügung.156) Diese können insbesondere in Kleinverfahren oder bei kurzfristiger Verfahrenseinleitung ein gutes Gerüst bieten. Sind bei einem restrukturierungsorientierten Antrag auf eine Insolvenz in Eigenverwaltung professionelle Berater frühzeitig eingebunden, wird der Antrag durch diese regelmäßig einzelfallbezogen umfänglich begründet und mit umfassenderen wirtschaftlichen Unterlagen und Planrechnungen versehen sein. 3.2
Gläubiger- und Forderungsverzeichnis
Jeder Schuldner hat seinem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein Ver- 120 zeichnis seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen beizufügen, § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO.157) Nicht verlangt wird, anders als für den Zugang zum Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO, die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nebst Vermögensübersicht. Zur Information kann es ggf., je nach Verfahrensziel und Vergleichsbetrachtung zum Regelverfahren, dennoch von Bedeutung sein. Die Vorlage des Gläubiger- und Forderungsverzeichnisses ist für alle Schuldner verpflichtend 121 und damit Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags.158) Es ist dem Eigenantrag „beizufügen“, also schon mit dem Antrag einzureichen.159) Anders als § 305 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO auch nicht alternativ ein unverzügliches Nachreichen vor. Eine Fristsetzung zur Nachbesserung ist allerdings nunmehr gesetzlich vorgeschrieben in § 13 Abs. 3 InsO. ___________ 152) Pape, ZInsO 2011, 2154. 153) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45. 154) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33; Stellungnahme des Bundesrats z. ESUG, BT-Drucks. 17/ 5712, S. 79. 155) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 34. Das BMJV hat am 27.2.2014 einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der in Art. 1 die InsFormV enthält und als Anlage das Formular für einen Schuldnerantrag nebst Anlagen. 156) Formulare und Merkblätter für das Insolvenzverfahren (NRW, Hamburg, Saarland), abrufbar unter www.justiz.nrw.de/BS/formulare/insolvenz/eroeffnung_insolvenzverfahren/index.php (Abrufdatum: 26.7.2018). 157) Pape, ZInsO 2011, 2154, 2155. 158) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2252. 159) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
122 Inhaltlich muss das Verzeichnis „umfassend“ über die vorhandenen Gläubiger und die Höhe ihrer Forderungen Mitteilung machen.160) Bis zur Einführung eines amtlichen Formulars für das Regelinsolvenzverfahren kann das im Verbraucherinsolvenzverfahren schon existierende Formular eine Orientierung für den Aufbau und Inhalt bieten. Auch das Justizministerium Nordrhein-Westfalen hält ein Muster im Internet abrufbar bereit.161) 123 Aufzunehmen sind alle Gläubiger und alle Forderungen, also auch die nicht fälligen, insbesondere gestundeten Forderungen. Neben Forderungsgrund und -höhe162) sollten auch eventuelle Sicherungsrechte angegeben werden. Zu den Gläubigern, Name, Firma, ggf. Bevollmächtigter, muss die Anschrift mitgeteilt werden.163) Bei Gläubigern, die kurzfristig erreichbar sein müssen, da sie z. B. als Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen, sollten zudem auch die E-Mail-Adresse sowie Telefonnummer mitgeteilt werden. Zur Übersichtlichkeit kann es sich anbieten, die Gläubiger im Verzeichnis mit einer Kurzbezeichnung aufzunehmen und die vollständigen Angaben gesondert ans Ende zu stellen. 124 Bestehen nach Ansicht des Schuldners einzelne Forderungen nicht, so dürfen diese Gläubiger bzw. Forderungen auf keinen Fall weggelassen werden. Es bietet sich hier an, beim Forderungsgrund und der Berechtigung den Hinweis aufzunehmen, dass und aus welchem Grund oder in welcher Höhe die Forderung bestritten wird. Eine solche Erläuterung dürfte im Regelfall im Interesse der Transparenz und Information des Gerichts einer Angabe des Werts der Forderung mit „Null“ vorzuziehen sein.164) 125 Soweit dem Schuldner bei einzelnen Forderungen eine exakte Bezifferung nicht möglich ist, ist die Höhe zu schätzen. Überdies wird eine vollständige Bezifferung der jeweiligen Forderung inklusive Zinsen nicht verlangt.165) Sollten trotz „gebührender Anstrengung“ bei der Zusammenstellung des Verzeichnisses vereinzelte Gläubiger oder einzelne Forderungen im Verzeichnis fehlen, macht dies den Antrag nicht unzulässig.166) 3.3
Kennzeichnung bestimmter Gläubigergruppen im Verzeichnis
3.3.1 Sollangabe 126 Im Zusammenhang mit dem in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO vorgesehenen vorläufigen Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren steht die weitere Anforderung der Kenntlichmachung bestimmter Gläubigergruppen im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis.167) § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO nennt hier
die höchsten Forderungen,
die höchsten gesicherten Forderungen,
die Forderungen der Finanzverwaltung,
___________ 160) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 161) Abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/BS/formulare/insolvenz/eroeffnung_insolvenzverfahren/ index.php), Anlage Gläubigerverzeichnis (Verbindlichkeiten) zum Anhörungsbogen des Insolvenzgerichts (Abrufdatum: 24.7.2018). 162) AG Hannover v. 23.12.2015 – 908 IN 730/15, NZI 2016, 260. 163) AG Hannover v. 8.7.2015 – 909 IN 407/15, ZIP 2015, 2088; LG Potsdam v. 4.9.2013 – 2 T 58/13, ZVI 2014, 52; a. A. LG Frankenthal v. 17.8.2017 – 1 T 245/17, NZI 2017, 895. 164) Sabel, in: Graf-Schlicker, InsO, § 305 Rz. 31: Aufnahme in der vom Gläubiger geltend gemachten Höhe; für Bezifferung mit Null Waltenberger, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 305 Rz. 39. 165) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 166) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 167) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie
die Forderungen aus betrieblicher Altersvorsorge.
§6
Aus der Mitte dieser Gläubigergruppen werden gemäß § 67 Abs. 2 InsO die Mitglieder 127 eines vorläufigen Gläubigerausschusses typischerweise ausgewählt.168) Alle Schuldner mit einem bei Antragstellung noch laufenden Geschäftsbetrieb „sollen“ 128 diese Forderungen im Verzeichnis kenntlich machen. Das Fehlen dieser „Sollangabe“ führt nicht zur Unzulässigkeit des Antrags. Allerdings wertet § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO die Kenntlichmachung für bestimmte Schuldner zur Pflichtangabe auf: 3.3.2 Pflichtangabe Verpflichtend und damit Zulässigkeitsvoraussetzung169) des Insolvenzantrags ist die Kenn- 129 zeichnung der oben aufgeführten Forderungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO für Schuldner,
die Eigenverwaltung beantragen,
deren Unternehmen die Größenklasse des § 22a Abs. 1 InsO erreichen, d. h. mindestens zwei der folgenden Merkmale im vorangegangenen Geschäftsjahr erfüllt haben:
–
mindestens 6.000.000 EUR Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags i. S. des § 268 Abs. 3 HGB;
–
mindestens 12.000.000 EUR Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag;
–
im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer;
die die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragen, was wiederum –
die Benennung geeigneter Mitglieder sowie
–
die Beifügung von Einverständniserklärungen der Benannten erforderlich macht.
Als weitere „Grundvoraussetzung“ wird in der Literatur aus § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO der noch 130 laufende Geschäftsbetrieb entnommen.170) Dies ergibt sich zwar aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO nicht zwangsläufig, macht allerdings insoweit Sinn, als bei einem bereits eingestellten Geschäftsbetrieb gemäß § 22a Abs. 3 InsO kein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen ist und auch eine (vorläufige) Eigenverwaltung die absolute Ausnahme wäre. Auch die Motive für die stark differenzierte Regelung sprechen für dieses Verständnis.171) Die „Scharf-Schaltung“172) greift daher im Ergebnis bei Eigenverwaltungsanträgen von 131 Großunternehmen i. S. von § 22a Abs. 1 InsO mit noch laufendem Geschäftsbetrieb, und von mittleren und kleinen Unternehmen unterhalb dieser Schwelle, die einen Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses stellen, § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 und 3 InsO. Zusätzlich ist bei einem Antrag auf Einsetzung eines fakultativen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO Voraussetzung, dass mindestens eine vollständige Besetzung i. S. von § 67 Abs. 2 InsO mit dem Antrag nebst Einverständniserklärung vorgeschlagen wird. Der Wortlaut der Norm wie auch die Gesetzesbegründung lassen im Ungewissen, ob auch 132 ein isolierter Eigenverwaltungsantrag eines mittleren oder kleinen Unternehmens ___________ 168) 169) 170) 171) 172)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45. Müller/Rautmann, ZInsO 2012, 918, 919; Frind, ZInsO, 2011, 2249, 2253. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2252 ff.
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167
§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 InsO zur Aufwertung der Soll- zur Pflichtangabe führt. Nach den Ausführungen des Rechtsausschusses kommt es nur dann zur Scharf-Schaltung, wenn der Schuldner „gleichzeitig“ die Eigenverwaltung beantragt, das laufende Unternehmen die Größenklassen des § 22a InsO erreicht oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wird.173) Unklar bleibt hierbei jedoch, ob sich das „gleichzeitig“ auf die Kombination von Eigenverwaltungs- und Insolvenzantrag bezieht oder auf ein gleichzeitiges Vorliegen der Nr. 2 (Großunternehmen) oder der Nr. 3 (Antrag vorläufiger Gläubigerausschuss) neben der Nr. 1 (Antrag Eigenverwaltung). 133 Für die Annahme kumulativer Voraussetzungen spricht, dass die Kennzeichnung bestimmter Gläubiger im Zusammenhang mit der Ermöglichung der Auswahl von Gläubigerausschussmitgliedern steht.174) Sind die Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 InsO nicht erfüllt und wird kein Antrag auf Einsetzung eines fakultativen vorläufigen Gläubigerausschusses gestellt, wird das Gericht wohl auch im Regelfall von der Einsetzung absehen. Ausgeschlossen ist die Einsetzung jedoch nicht. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 22a Abs. 1 und 2 InsO kann das Gericht gemäß § 21 Abs. 1 InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn dies als Sicherungsmaßnahme erforderlich erscheint. Gerade im Falle eines Eigenverwaltungsantrags sollen die Gläubiger frühzeitig in die Entscheidung über den Ablauf des Verfahrens eingebunden werden und können das Gericht in Bezug auf die Entscheidung durch ein einstimmiges Votum sogar binden (siehe hierzu § 10 Rz. 38). Dies würde für eine Kennzeichnungspflicht allein durch den Eigenverwaltungsantrag sprechen. 134 Auch die Nr. 2 und 3 des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO können umgekehrt ohne Eigenverwaltungsantrag ihre Bedeutung haben. Ab Erreichen der Schwellenwerte bzw. auf Antrag ist bzw. soll auch ohne Eigenverwaltungsantrag nach § 22a Abs. 1 und 2 InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden. Diese Regelung sowie die Gesetzesbegründung zur Abgrenzung der Pflicht- von der Sollangabe kann daher nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Norm auch dahin gehend verstanden werden, dass die Kennzeichnung schon dann verpflichtend ist, wenn entweder die Eigenverwaltung beantragt wird oder das Unternehmen die Schwellenwerte überschreitet oder ein Antrag auf einen fakultativen vorläufigen Gläubigerausschuss gestellt wird.175) 135 Letztlich dürfte diese Unklarheit insoweit wenig praktische Bedeutung haben, da der Schuldner, der einen Eigenverwaltungsantrag stellt, bemüht sein wird, dem Gericht umfassende Informationen zur Verfügung zu stellen. Keinen besonderen Aufwand bedeutet es hier, in jedem Fall auch die als Mitglieder in einem vorläufigen Gläubigerausschuss in Betracht kommenden Gläubiger im Verzeichnis kenntlich zu machen. 3.4
Angaben zur Größe des Unternehmens
136 Jeder Schuldner, dessen Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt ist, hat nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO zudem Angaben zu den Schwellenwerten, d. h. zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen sowie zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer zu machen.176)
___________ 173) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45. 174) Frind, ZInsO, 2011, 2249, 2252. 175) Neubert, GmbHR 2012, 439, 441; so auch in Merkblätter für das Insolvenzverfahren (NordrheinWestfalen, Hamburg, Saarland), Stand: 1.3.2012, vorgesehen, abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/ BS/formulare/insolvenz/eroeffnung_insolvenzverfahren/index.php (Abrufdatum: 24.7.2018), sowie Entwurf InsFormV v. 27.2.2014, Anlage 3 a. E. 176) A. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2252, der unter Hinweis auf § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO auch in Bezug auf die Angabe der Werte von einer Sollvorschrift ausgeht; Frind, ZInsO 2012, 386.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Verlangt werden Angaben zum vorangegangenen, nicht zu dem bei Antragstellung lau- 137 fenden Geschäftsjahr des Schuldners.177) Auch für die durchschnittliche Zahl der Arbeitnehmer ist das handelsrechtliche Geschäftsjahr, nicht etwa das Zeitjahr vor der Antragstellung, maßgeblich.178) Sollten ausnahmsweise noch keine konkreten Zahlen vorliegen, etwa zu Jahresbeginn, so genügen auch Schätzungen.179) Die verlangten Angaben stehen im Zusammenhang mit dem in Großinsolvenzen nach 138 § 22a Abs. 1 InsO zwingend einzusetzenden vorläufigen Gläubigerausschuss und sind für die Abgrenzung dieses obligatorischen vom Antragsausschuss nach § 22a Abs. 2 InsO erforderlich (siehe ausführlich § 9 Rz. 7 ff.). Das Fehlen dieser Angabe macht den Antrag wiederum unzulässig.180) Sollten verlässliche 139 Angaben nicht zur Verfügung stehen – was bei einem die Eigenverwaltung beantragenden Schuldner nicht der Fall sein darf –, wären die Angaben notfalls zu schätzen.181) Soweit die Ansicht vertreten wird, dass es sich nur in Fällen des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO um Pflicht-, ansonsten nur um Sollangaben handelt, kann dem aufgrund des Wortlauts des § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO nicht gefolgt werden.182) Vielmehr müssen auch mittlere und kleine Unternehmen mit einem noch laufenden Geschäftsbetrieb nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO zwingend Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres machen, damit das Gericht diese überhaupt von den Großunternehmen i. S. von § 22a Abs. 1 InsO abgrenzen kann.183) Daher ist das Fehlen eines Verweises auf die Unternehmenskennzahlen bei der Verweisung in Satz 6 des § 13 InsO auch konsequent.184) Diese Frage stellt sich allerdings dann bei Eigenverwaltungsanträgen von vornherein 140 nicht, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass diese in jedem Falle zu einer Kennzeichnungspflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO führen. Im Übrigen dürfte auch hier der Streit bei einer angestrebten Eigenverwaltung schon deshalb kaum von praktischer Bedeutung sein, weil der Schuldner seinen Eigenverwaltungsantrag regelmäßig begründen und in diesem Rahmen Zahlen nicht nur zum laufenden, sondern auch zum vergangenen Geschäftsjahr liefern wird. 3.5
Richtigkeits- und Vollständigkeitsversicherung
Jeder Schuldner hat die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben zu versichern, 141 § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO.185) Die Erklärung, dass die Angaben richtig und vollständig sind, ist dem Verzeichnis und den weiteren Angaben beizufügen. Auch diese Versicherung ist Zulässigkeitsvoraussetzung.186) Einer förmlichen Versicherung an Eides statt bedarf es dagegen nicht.187)
___________ 177) 178) 179) 180) 181) 182) 183) 184) 185) 186) 187)
Frind, ZInsO, 2011, 2249, 2252. Frind, ZInsO, 2011, 2249, 2252. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 34. Pape, ZInsO 2011, 2154, 2155. AG Essen v. 25.3.2015 – 166 IN 22/15, ZIP 2015, 939. So aber Frind, ZInsO, 2011, 2249, 2252; Frind, ZInsO 2012, 386. Pape, ZInsO 2011, 2154, 2155. Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861; a. A. Stapper/Jacobi, ZInsO 2012, 628. Pape, ZInsO 2011, 2154, 2155. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2252; a. A. Müller/Rautmann, ZInsO 2012, 918, 920. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45.
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169
§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Übersicht zu den Voraussetzungen des Eigenantrags nach § 13 InsO
142
Kriterien
Eigenantrag
Laufender Geschäftsbetrieb
Antrag EVW § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1
Großunternehmen § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, § 22a Abs. 1
Antrag vorl. GLA § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3, § 22a Abs. 2
Gläubiger- und Forderungsverzeichnis § 13 Abs. 1 Satz 3
X
X
X
X
X
SOLL
X
X
X UND § 22a Abs. 2188)
X
X
X
X
X
X
Kenntlichmachung best. Forderungen § 13 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 bis 5 Angaben Bilanzsumme, Umsatzerlöse, Arbeitnehmer § 13 Abs. 1 Satz 5 Richtigkeits- und Vollständigkeitserklärung § 13 Abs. 1 Satz 7
4.
DANN X X
X
Darlegung des Eröffnungsgrunds
143 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass niemand einen Insolvenzantrag stellt, wenn er nicht tatsächlich insolvent ist, und verlangt daher grundsätzlich keine Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrunds durch den Schuldner bei Eigenantragstellung. Es genügt vielmehr, dass der Eröffnungsgrund im Antrag hinreichend substantiiert darlegt wird.189) 144 Etwas anderes gilt nach § 15 Abs. 2 InsO für juristische Personen und Personengesellschaften dann, wenn der Insolvenzantrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans gestellt wird. In diesem Fall ist der Eröffnungsgrund durch den Antragsteller glaubhaft zu machen. 145 Unabhängig von den gesetzlichen Anforderungen ist bei einer angestrebten Eigenverwaltung eine vom gesamten Leitungsorgan getragene Verfahrenseinleitung mit belastbarer Darlegung des Eröffnungsgrunds und des Zeitpunkts seines Eintritts, ggf. auch „bescheinigt“ durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, anzuraten. Dies gilt für den besonderen Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit schon deshalb, weil er ganz klar für eine Eigenverwaltung spricht. Aber auch in allen anderen Fällen ist die Darlegung der wirtschaftlichen Situation und des pflichtgemäßen Handelns des Schuldners wichtig, um beim Gericht Vertrauen in dessen Kompetenz und ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu schaffen. VII. Begründung, Anlagen und Prognosen 1.
Anordnungsplanbarkeit
146 Weder § 270 noch § 270a InsO verlangen als formelle Voraussetzung eines Eigenverwaltungsantrags die Beifügung von Anlagen oder Bestätigungen. Auch eine Begründung des Eigenverwaltungsantrags ist gesetzlich nicht gefordert. Etwas anderes gilt lediglich nach ___________ 188) Personenvorschlag und Einverständniserklärung. 189) Fuchs, in: Graf-Schlicker, InsO, § 13 Rz. 20.
170
Neußner
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
§ 270b InsO für den Zugang zum Sanierungsvorbereitungsverfahren. Hier ist mit dem Antrag gemäß § 270b Abs. 1 InsO eine mit Gründen versehende Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualität vorzulegen, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Einher geht hiermit auf der Rechtsfolgenseite die Schaffung einer Anordnungssicherheit. Das Fehlen derartiger formelle Zulässigkeitsvoraussetzungen für die vorläufige Eigenver- 147 waltung ist zum einen rechtlich konsequent, da diese nicht an einen bestimmten Eröffnungsgrund geknüpft und auch nicht auf das Verfahrensziel einer Restrukturierung im Planverfahren beschränkt ist. Darüber hinaus bedeutet die Pflicht zur Vorlage einer derartigen qualifizierten Bescheinigung einen hohen Zeit- und Kostenaufwand, den mittlere und kleine Unternehmen in der Krise häufig nicht mehr schultern könnten bzw. der zulasten der für die Restrukturierung noch zur Verfügung stehenden und notwendigen Liquidität gehen würde. Regelmäßig wird der Schuldner die Eigenverwaltung aber im eigenen Interesse begrün- 148 den, um dem Gericht eine „positive“ Entscheidungsgrundlage an die Hand zu geben und dadurch die Anordnungsplanbarkeit zu erhöhen.190) Da aber auch die vorläufige Eigenverwaltung im Basisverfahren ihren Hauptanwendungsbereich in restrukturierungs- oder sanierungsorientierten Verfahren hat, können sich die Antragsteller bei der Zusammenstellung wichtiger Informationen für das Gericht auf jeden Fall an den Anforderungen des § 270b InsO orientieren.191) Wie bereits ausgeführt, sollte der Weg in die Eigenverwaltung zu allererst durch den vor- 149 läufigen Gläubigerausschuss und sein einstimmiges Votum unterstützt und für das Gericht verbindlich gemacht werden. Die Überzeugungsarbeit und Transparenz bezieht sich daher gleichermaßen auf die Gläubiger wie auf das Gericht. 2.
Information und Transparenz
Wichtig ist es, das Gericht über das angestrebte Verfahrensziel zu informieren sowie über 150 bereits eingeleitete, umgesetzte und noch geplante Restrukturierungsmaßnahmen.192) Soweit möglich sollten auch belastbare Erkenntnisquellen zur Umsetzbarkeit, also insbesondere Planrechnungen, bereits mitgeliefert werden.193) Eine umfassende Information sowie Transparenz sind unabdingbar, um nicht wertvolle Zeit zu verlieren durch eine sachverständige Begutachtung der Situation des Unternehmens sowie zur angestrebten Sanierung und Eignung des Geschäftsleiters für eine Eigenverwaltung.194) Es geht hier nicht um die Wahrung formeller Zulässigkeitsvoraussetzungen, sondern um die Optimierung der Entscheidungsgrundlagen für das Gericht und damit der Erfolgsaussichten des Antrags auf – vorläufige – Eigenverwaltung.195) Der Umfang der Begründung sowie die Detailliertheit der Unterlagen hängen sicherlich in jedem Einzelfall davon ab, was im zeitlichen und finanziellen Rahmen machbar ist und im Hinblick auf Risiken für die Gläubiger notwendig erscheint. ___________ 190) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 90; a. A. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 8: verfahrensrechtliche Begründungspflicht. 191) Buchalik, ZInsO 2012, 349, 361, m. Muster Eigenverwaltungsantrag. 192) AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 193) Kühne/Nickert, ZInsO 2017, 2405. 194) Vgl. Musterbeschluss: Frind, ZInsO 2012, 389. 195) Pape, in: KPB, InsO, § 277 Rz. 90; BAKinso e. V., Entschließung Eigenverwaltung v. 6.12.2013, abrufbar unter http://www.bakinso.de/index.php?option=com_phocadownload&view=category&id=1&Itemid=43 (Abrufdatum 26.7.2018).
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
151 Die Gerichte werden bei ihren Anforderungen Maß zu halten haben, handelt es sich doch bei der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO um das Basisverfahren, das auch den Schuldnern einen Zugang zur Eigenverwaltung ermöglichen soll, die die vorbereitungsund kostenintensiven Hürden des Sanierungsvorbereitungsverfahren nach § 270b InsO nicht nehmen können. Zudem geht es hier zunächst um eine vorläufige Entscheidung. Die Grundlagen für die formale Entscheidung über die Eigenverwaltung bei Verfahrenseröffnung werden gerade erst i. R. des Vorverfahrens abschließend ermittelt, Annahmen bestätigt oder in Frage gestellt sowie Sachverhalte geprüft und verifiziert.196) 152 Verfahrensziel Sanierung und Restrukturierung: Im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung steht typischerweise die Fortführung eines noch laufenden Geschäftsbetriebs oder einer noch ausgeübten selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Eröffnungs- und im eröffneten Verfahren mit dem Ziel einer Restrukturierung oder ggf. auch übertragenden Sanierung. Hierzu macht § 270b InsO „im Groben“ deutlich, welche Informationen für das Gericht wichtig sind. Zu den Details kann der IDW Standard zur Erstellung von Sanierungs-Konzepten (IDW S 6 i. d. F. 2018)197) dem Schuldner eine Orientierung bieten, wenn auch selbstverständlich nach der Intention des Gesetzgebers weder i. R. von § 270b InsO und erst recht nicht für die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO ein Sanierungsgutachten nach bestimmten Standards verlangt wird.198) Der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des IDW gibt zudem mit der Verlautbarung IDW S 9199) für die Bescheinigung nach § 270b InsO Vorgaben zu Inhalt und Aufbau an die Hand. Die dort insbesondere ab Rz. 22 beispielhaft genannten Grundlagen der Beurteilung, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, sollten auch i. R. von § 270a InsO dem Gericht als Informationsquelle geliefert werden (siehe ausführlich § 8). Eine Orientierung kann weiterhin die, wenn auch in anderem Zusammenhang ergangene, höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Anforderungen an ein Sanierungskonzept bzw. an einen ernsthaften Sanierungsversuch bieten.200) 153 Unternehmen, Krisenursachen und -stadium: Wichtig sind Informationen über das Unternehmen, insbesondere über die Größe sowie die Branche, die ggf. besonderes Know-how oder rechtsträger- oder personengebundene Genehmigungen erfordert. Die Analyse des Unternehmens umfasst v. a. auch die Krisenursachen und das Krisenstadium, insbesondere also Angaben zum Eröffnungsgrund sowie zum Nachweis der Wahrung einer Insolvenzantragspflicht (siehe ausführlich § 25 Rz. 26 ff.). 154 Sanierungsfähigkeit, -konzept und -maßnahmen: Über die Darstellung der Ausgangslage hinausgehend sind Angaben zur Sanierungsfähigkeit, zum Leitbild des sanierten Unternehmens sowie zum Weg dahin von Bedeutung.201) In Bezug auf die Sanierungsfähigkeit können, je nach Krisenursache, Informationen zur Branchenentwicklung oder zum Unternehmensumfeld sowie zu den geplanten Maßnahmen relevant sein. Wurden bereits außergerichtlich Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, sind diese sowie ihre bisherigen Auswirkungen zu beschreiben (siehe ausführlich § 25 Rz. 48 ff.). Wichtig sind auch Aussagen zur Durchfinanzierung und Fortführungsfähigkeit im gerichtlichen Verfahren. 155 Unterlagen und Aussteller: Vorzulegen sind in jedem Fall zum Zwecke der Nachprüfbarkeit der Planungsgrundlagen und Prämissen durch das Gericht und den vorläufigen ___________ 196) 197) 198) 199) 200) 201)
Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2164. Ausf. zur Neufassung Steffan, ZIP 2018, 1767 ff. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 61; Hillebrand, ZInsO 2018, 80. IDW S 9, ZIP 2014, 2275 ff. BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137 ff., dazu EWiR 2012, 147 (Freudenberg/Wolf). Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 5.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Gläubigerausschuss Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der letzten, meist drei, ggf. auch fünf Geschäftsjahre, soweit noch von Relevanz und Aussagekraft, sowie zu den rechtlichen Verhältnissen (siehe i. E. § 27 Rz. 8 f.). Der Überzeugung von Gericht und Gläubigern dienen in die Zukunft gerichtete Planrechnungen, anhand derer die Durchführbarkeit des Verfahrens und die Sanierungs- oder Restrukturierungschancen beurteilt werden können. Ist eine Restrukturierung im Planverfahren angestrebt, ist es von Vorteil, wenn bei Antragstellung bereits Vorabsprachen mit den wesentlichen Gläubigern erfolgt sind und ein erster Entwurf für ein Sanierungskonzept nebst integrierter Planung vorgelegt werden kann (siehe ausführlich § 27 Rz. 97 ff.). In kleinen Verfahren kann auch ein Blick in das neue österreichische Sanierungsverfah- 156 ren nach § 169 Abs. 1 öIO bei der Zusammenstellung der Unterlagen eine Orientierung bieten. Der österreichische Gesetzgeber verlangt ausdrücklich die Vorlage bestimmter, aussagekräftiger Unterlagen, um dem Gericht eine Prüfung zu ermöglichen und Missbräuche des Verfahrens zu verhindern.202) Wie schon § 270b InsO zeigt, stellen die vorgelegten Informationen und Zahlen eine umso 157 verlässlichere Erkenntnisquelle dar, je unabhängiger und kompetenter der Aussteller ist. Von Bedeutung ist daher, ob bzw. welchen Berater der Schuldner beauftragt hat, insbesondere welches Vertrauen in seine Kompetenz und Unabhängigkeit dieser bei Gericht genießt.203) Geschäftsleiter und Berater: Auch wenn die Eigenverwaltung zugunsten der Gesellschaft 158 als Insolvenzschuldnerin angeordnet wird und nicht für eine bestimmte Person als Geschäftsleiter, betrifft sie doch im Ergebnis die (jeweilige) Geschäftsleitung, die das Unternehmen in der Insolvenz als Eigenverwalter mit dem Ziel der Restrukturierung oder Sanierung weiter fortführt.204) Neben den Angaben zum Unternehmen und zur Sanierungsfähigkeit sind daher auch In- 159 formationen zur Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit der Geschäftsleiter von Bedeutung.205) Diese zeigen sich v. a. in deren Verhalten in der Vergangenheit und insbesondere in der Krise.206) Auch insoweit ist unabdingbar, dass handelsrechtlich- und steuerrechtlich verlangte Dokumente lückenlos und aktuell vorgelegt werden können sowie der Nachweis der rechtzeitigen Insolvenzantragstellung geführt werden kann.207) Haben in der Krise Veränderungen in den Personen des Vertretungsorgans stattgefunden, 160 können im Einzelfall Erläuterungen angebracht sein. Die Aufnahme von Insolvenzexperten in die Geschäftsleitung wurde vor ESUG zum Teil als Einflussnahme in die Personalentscheidungskompetenz des Gerichts verstanden und negativ beurteilt.208) Dies hat sich geändert.209) Richtigerweise steht die Bestellung eines Sanierungs- oder Insolvenzexperten zum CRO nunmehr umgekehrt für das Vorhandensein des Know-hows für eine Eigenverwaltung im Unternehmen.210) ___________ 202) 203) 204) 205) 206) 207) 208) 209) 210)
Abrufbar unter www.jusline.at (Abrufdatum: 24.7.2018); Riel, ZInsO 2011, 1400, 1402. Buchalik, ZInsO 2012, 349, 353. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 65. Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 23, 27; AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487. BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, 188, Rz. 14 – zu § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 20; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 26; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 126. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636. Ausf. zur Entscheidung des AG Duisburg Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 44 ff. BAKinso e. V., Entschließung Eigenverwaltung v. 6.12.2013, Ziff. 2, abrufbar unter http://www.bakinso.de/ index.php?option=com_phocadownload&view=category&id=1&Itemid=43 (Abrufdatum 24.7.2018).
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173
§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
161 Sind Berater eingeschaltet, die den Schuldner auch im gerichtlichen Verfahren begleiten sollen, ist wiederum deren Kompetenz und Unabhängigkeit von großer Bedeutung. Wichtig ist zudem Transparenz in Bezug auf das gezahlte und zu zahlende Honorar. VIII. Entscheidung des Gerichts 1.
Vorläufige Zulassung der Eigenverwaltung versus Sicherungsbedarf
1.1
Eingangsschwelle
162 Nach Eingang und Zulassung eines (isolierten) Insolvenzantrags beurteilt das Insolvenzgericht die Sicherungsnotwendigkeit in Bezug auf das Vermögen des Schuldners während der Dauer des Vorverfahrens (§ 21 Abs. 1 InsO) bzw. lässt diese Frage durch einen Sachverständigen prüfen. Bei einem noch laufenden Geschäftsbetrieb wird regelmäßig sowohl zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse als auch zur Sicherung der Fortführungsmöglichkeit im Eröffnungsverfahren ein vorläufiger mitbestimmender Insolvenzverwalter bestellt. 163 Hat der Schuldner mit seinem Insolvenzantrag jedoch auch einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt hat und ist dieser nicht offensichtlich aussichtslos, schreibt § 270a InsO vor, dass auf die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung verzichtet werden „soll“. Stattdessen ist die vorläufige Eigenverwaltung zuzulassen und bzw. lediglich ein vorläufiger Sachwalter mit Aufsichts- und Kontrollfunktion einzusetzen. Der Zugang zur Eigenverwaltung soll vereinfacht und im Eröffnungsverfahren vermieden werden, dass nach einem mit dem Insolvenzantrag des Schuldners verbundenen Antrag auf Eigenverwaltung durch die Bestellung eines starken vorläufigen Verwalters das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsführung des Schuldners zerstört wird.211) 164 Offensichtlich aussichtslos ist der Antrag, wenn eine Anordnung der Eigenverwaltung nach den Voraussetzungen des § 270 InsO offensichtlich nicht in Betracht kommt. In Bezug auf die Mindestgarantie des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO für die Gläubiger bedeutet dies, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnungen von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahrens keine Umstände bekannt sein dürfen, die Nachteilen für die Gläubiger offensichtlich erwarten lassen. 165 Beachtet man zum einen, dass es zunächst um eine Entscheidung für das Vorverfahren geht, in dem stets bei der Entscheidung über Einschränkungen der Verfügungsmacht des Schuldners der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist, und dass es zudem um eine kurzfristig zu treffende Entscheidung geht, muss es in diesem frühen Verfahrensstadium darum gehen, eindeutig und erkennbar ungeeignete Fälle von einer Eigenverwaltung auszuschließen. Wenn Unklarheiten nach der Intention des ESUG-Gesetzgebers bei der Entscheidung über die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren nicht mehr zulasten des Schuldners gehen sollen,212) muss dies erst recht für die vorläufige Eigenverwaltung gelten und dem Schuldner eine Chance eingeräumt werden.213) Dies bringt der Begriff der Offensichtlichkeit sprachlich deutlich zum Ausdruck.214) Nur ein derartiges Verständnis harmoniert auch mit dem Grundsatz, dass das Vorverfahren noch kein Verfahrensergebnis vorwegnehmen darf, wie z. B. § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO zeigt, wenn im Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Insolvenzverwaltung ein laufender Betrieb des Schuldners nur mit Zustimmung des Gerichts und nur zur Vermeidung einer erheblichen Ver___________ 211) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 1, 19, 39 f.; BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, NZG 2016, 389, 390 = ZIP 2015, 648, dazu EWiR 2015, 351 (Frind). 212) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. 213) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 16; LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050, 1051 = ZIP 2014, 2355. 214) AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567.
174
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
mögensminderung stillgelegt werden darf. Entsprechend soll eine faktische Überholung eines Eigenverwaltungsantrags durch Installierung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung verhindert werden, soweit nicht offensichtlich Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind.215) Im Zweifel ist daher ein vorläufiger Sachwalter zu bestellen und damit die vorläufige Eigenverwaltung zuzulassen.216) Die Eingangsentscheidung unterscheidet sich von der Entscheidung über die Anordnung 166 der Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren naturgemäß dadurch, dass eben noch keine ausermittelten Grundlagen vorhanden sind. Als Reaktion soll nun nicht wegen „fehlenden Beweises“ für ein gutes Gelingen diese vorsorglich nicht zugelassen werden, bis eine sichere Grundlage ermittelt ist.217) Der Begriff der Offensichtlichkeit bringt dementsprechend zum Ausdruck, dass zu erwartende Nachteile für die Gläubiger
eindeutig oder zumindest mit einer ganz überwiegenden Wahrscheinlichkeit218) zu erwarten sind
dies ohne weitere verzögernde amtswegige Ermittlung erkennbar ist.219)
Ist eine Eigenverwaltung in dem Sinne nicht offensichtlich aussichtlos, ist die „Soll“- 167 Formulierung nicht dahingehend zu verstehen, dass dem Gericht trotzdem noch ein eigenes Ermessen zusteht, ob es eine vorläufige Verwaltung anordnen möchte. Wie auch an anderer Stelle im Gesetz verdichtet sich das Sollen zu einem Müssen, wenn die normierten Voraussetzungen vorliegen.220) 1.2
Änderungsbefugnis im Eröffnungsverfahren
Richtigerweise muss das Gericht zum Ausgleich die vorläufige Eigenverwaltung auch 168 wieder aufheben können bzw. eine vorläufige Insolvenzverwaltung installieren können, wenn die im Eröffnungsverfahren fortlaufend gewonnenen Erkenntnisse zur Annahme offensichtlicher Nachteile für die Gläubiger führen.221) Da es sich bei der Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung oder Insolvenzverwaltung letztlich um eine Auswahl der geeigneten und erforderlichen Sicherungsmaßnahmen handelt, ist das Gericht auch nicht auf einen entsprechenden Antrag des vorläufigen Sachwalters, eines Gläubigers oder des vorläufigen Gläubigerausschusses angewiesen.222) Die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung hat keine bindende Wirkung bis zur Entscheidung i. R. der Verfahrenseröffnung. Anders ist dies aufgrund spezieller Regelungen zur Verfahrensaufhebung nur beim Schutz- 169 schirmverfahren (§ 270b Abs. 4 InsO) und im eröffneten Verfahren (§ 272 InsO). Bis zur Verfahrenseröffnung muss und darf dagegen eine vorläufige Eigenverwaltung nicht durchgehalten werden, wenn die Voraussetzungen der §§ 270a, 270 InsO weggefallen sind, sei ___________ 215) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 59. 216) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 16; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 4. 217) LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050, 1051 = ZIP 2014, 2355; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 17. 218) LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050, 1051 = ZIP 2014, 2355; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 16. 219) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 4; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 2: „auf der Hand liegen“. 220) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 123; Foltis, in: FK-InsO, § 270a Rz. 16; einschränkend Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 2: Ausnahmen in Einzelfällen. 221) LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050 = ZIP 2014, 2355; AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193, 194; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 13; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 16; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 8; a. A. Madaus, NZI 2014, 1050, 1054 – § 270b Abs. 4 InsO analog. 222) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 8.
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
es, dass sich der Schuldner als ungeeignet erwiesen hat oder dass das angestrebte Verfahrensziel aussichtlos geworden ist, so dass z. B. im Einzelfall erhebliche Mehrkosten einer Eigenverwaltung nicht mehr durch einen erwarteten Mehrwert ausgeglichen werden können. Auch dieser Aspekt ist in die Abwägung mit einzubeziehen, so dass die angemahnten Fälle des Abbruchs einer zunächst zugelassenen Eigenverwaltung auch nicht grundsätzlich als Missstand oder als Versagen des ESUG zu werten sind. 1.3
Nachteile
170 Bevor es um die Bedeutung des Begriffs der Offensichtlichkeit gehen kann, bedarf das Tatbestandsmerkmal „Nachteile für die Gläubiger“ einer genaueren Betrachtung. Hier wird z. B. von den Kölner Insolvenzrichtern die Ansicht vertreten, dass dieses in einem weiten und die gesamten Interessen aller Verfahrensbeteiligten umfassenden Sinne auszulegen ist.223) 171 Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte ist es sicher richtig, eine weite Auslegung anzunehmen, was sich allerdings in erster Linie auf die zu einem Nachteil führenden Umstände und Tatsachen beziehen muss. Bei der Frage, worin ein maßgeblicher Nachteil bestehen kann, ist jedoch der Verfahrenszweck der InsO zugrunde zu legen.224) Die Umstände bzw. Tatsachen müssen geeignet sein, einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung im Ergebnis entgegenzustehen.225) Auch bei der z. B. als Nachteil bezeichneten Verfahrensverzögerung geht es somit im Ergebnis um eine Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses an einer bestmöglichen Befriedigung aufgrund der sich weiter im Vergleich zum Regelverfahren erhöhenden Verfahrensabwicklungskosten durch Beraterkosten oder einer späteren Auszahlung der Quote.226) Die ausdrückliche Nennung der Verfahrensverzögerung in § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO a. F. wurde in § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gerade nicht übernommen. Ebenso ist die fehlende Eignung des Schuldners bzw. seines Managements als solches kein Nachteil, sondern erst die hierauf gestützte Erwartung, dass der Schuldner trotz Erfahrung mit seinem Unternehmen, der Branche und den Beteiligten nicht in der Lage sein wird, eine bessere bzw. gleichwertige Lösung zu realisieren, wie es ein kompetenter und erfahrener Fremdverwalter könnte, sondern dass vielmehr sogar die Missachtung gesetzlicher Vorschriften und insbesondere auch des Gläubigerinteresses zu befürchten wäre. 172 Die konkreten Umstände müssen somit geeignet sein, zu einem wirtschaftlichen Nachteil für die Gläubiger zu führen. Der Nachteilsbegriff ist insoweit abzustimmen mit dem Verfahrensziel des § 1 InsO. Auch das Verfahrensziel der „Sanierung“ steht nach wie vor unter dem Vorbehalt einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung, so dass z. B. auch der Verlust von Arbeitsplätzen nicht als „selbstständiger“ Nachteil in Betracht kommt. Es bleibt den Gläubigern unbenommen, bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan im Verfahren mit Fremdverwalter die eigenen Interessen differenzierter zu gewichten. Das Gericht ist jedoch zunächst an die Vorgabe der gleichmäßigen und bestmöglichen Gläubigerbefriedigung in § 1 InsO gebunden. 1.4
Beurteilungsspielraum
173 Gerade in der frühen Phase der Verfahrenseinleitung muss, unabhängig von der einer jeder Prognose immanenten Unsicherheit, ein tendenziell weiterer Beurteilungsspielraum zuerkannt werden. ___________ 223) 224) 225) 226)
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Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2161. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 46. Weitergehend Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 11. AG Köln v. 15.12.2014 – 74 IN 152/12, ZIP 2015, 440 – Verfahrensverzögerungen im eröffneten Verfahren; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 115; a. A. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 11; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 46.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Das Verfahrensziel und insbesondere ein Sanierungskonzept müssen in sich schlüssig und 174 realisierbar erscheinen, die mitgelieferten Informationen belastbar sein. Im Sinne einer Plausibilität müssen die Annahmen im Hinblick auf den Sachverhalt und seine Entwicklung bis hin zur Erreichung des Verfahrensziels aus Sicht des Gerichts nachvollziehbar sowie zumindest i. S. eines „Grobkonzepts“ vollständig sein. Es dürfen weder für einen Sanierungserfolg nach dem vorgetragenen Sachverhalt offensichtlich erhebliche Punkte bei der Darstellung der Sanierungsmaßnahmen fehlen, noch die voraussichtlichen Verfahrenskosten im weiteren Sinne, insbesondere zusätzliche Masseverbindlichkeiten aufgrund der notwendigen Beratung und Begleitung im Verfahren durch Insolvenzexperten, in einer vergleichenden Betrachtung der Szenarien „totgeschwiegen“ werden. Es ist dagegen nicht Aufgabe des Gerichts, die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Kon- 175 zepts i. S. einer Optimierung des möglichen Verfahrensergebnisses zu hinterfragen. Diese Beurteilung steht allein dem vorläufigen Gläubigerausschuss zu bei seiner i. R. der Gläubigerautonomie zu treffenden Entscheidung über die Unterstützung der (vorläufigen) Eigenverwaltung. 1.5
Gerichtliche Informationsgewinnung
Nach § 5 InsO gilt im Insolvenzverfahren der Untersuchungsgrundsatz. Hält das Insol- 176 venzgericht einen Insolvenzantrag für zulässig, hat es grundsätzlich von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind.227) Zu diesem Zweck kann es nach § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO insbesondere auch Zeugen und Sachverständige vernehmen. Bis zur Entscheidung über die Eigenverwaltung im Eröffnungsbeschluss hat das Gericht 177 ausreichend Zeit, sich über das Vorliegen von Umständen, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen, ein Bild zu machen. Bis dahin kann das vorinsolvenzliche Geschehen, soweit maßgeblich, aufgeklärt werden. Vor allem aber schaffen das Verhalten des Schuldners und seiner Berater sowie der Verlauf des Eröffnungsverfahrens umfassende Erkenntnisquellen für die im Zeitpunkt der Eröffnung nochmals und vertieft anzustellende Prognose.228) Fraglich ist, ob, in welchem Zeitrahmen und mit welchen Mitteln auch schon vor der Ent- 178 scheidung über die vorläufige Eigenverwaltung, also über die Auswahl und Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, Amtsermittlungen durchgeführt werden müssen oder dürfen. Besonderheiten gelten hier zweifellos im Falle der Beantragung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO.229) Das Sanierungsvorbereitungsverfahren ist zuzulassen, wenn der Schuldner die besonderen gesetzlichen Hürden genommen hat. Die den Anforderungen des § 270b Abs. 1 InsO entsprechende Bescheinigung ersetzt hier die eigene Prüfung der Voraussetzungen einer Eigenverwaltung.230) In der Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber hierzu klar, dass das Gericht durch § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO auch gehindert ist, in der Phase bis zur Entscheidung über den Antrag auf Anordnung des Sanierungsvorbereitungsverfahrens einen Sachverständigen oder vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen.231) ___________ 227) 228) 229) 230)
BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 207/10, ZInsO 2011, 1499, 1500. AG Hamburg v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567. Smid, ZInsO 2013, 209 ff. Büchler, in: A. Schmidt, Hdb. GmbH-Insolvenz, Kap. 13 Rz. 31; allerdings lassen einige Gerichte stattdessen die Bescheinigung sachverständig überprüfen. 231) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 61.
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
179 Anders als das Schutzschirmverfahren steht das vorläufige Eigenverwaltungsbasisverfahren kraft Gesetzes nicht nur bestimmten Schuldnern bzw. nicht nur für ein bestimmtes Verfahrensziel mit fachlich bestätigter Erfolgschance offen. Vielmehr kann jeder Schuldner die Eigenverwaltung beantragen, unabhängig von der Intensität der Vorbereitung des Antrags und vom Verfahrensziel. Aufgrund der Vielzahl der Sachverhalte, die von einer aussichtsreichen Restrukturierungsabsicht im Planverfahren bis zu Missbrauchsfällen reichen können, muss dem Gericht hier eine Überprüfung im Einzelfall zur Sicherung der Gläubiger möglich bleiben. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass eben nur „offensichtliche“ Umstände, die Nachteile für die Gläubiger offensichtlich erwarten lassen, einer vorläufigen Eigenverwaltung entgegenstehen. 180 Verlangt werden entgegen der Praxis einzelner Insolvenzgerichte232) zunächst keine Detailuntersuchungen, ggf. unter Inanspruchnahme eines Sachverständigen.233) Der Ansicht, dass das Gericht bei Eigenverwaltungsanträgen mit Betriebsfortführung, was der Regelfall sein dürfte, die Fragen nach der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags sowie der Sicherungsvoraussetzungen zunächst sachverständig prüfen lassen muss, ist zumindest für den Fall entgegenzutreten, dass der Schuldner umfassende und belastbare Erkenntnisquellen liefert.234) Aufklärungen zur Nachteiligkeit einer Eigenverwaltung werden während der vorläufigen Eigenverwaltung umfassend durchgeführt. Auf neue Erkenntnisse kann hier unverzüglich reagiert werden durch die Beendigung der Eigenverwaltung und Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung. Zunächst hat sich die Untersuchung daher auf eine Evidenzkontrolle zu beschränken. Dies entspricht auch der Notwendigkeit, das Unternehmen und einen ggf. schon angegangenen Sanierungsprozess im gerichtlichen Verfahren nahtlos fortzuführen und das Vertrauen der Gläubiger in den eingeschlagenen Weg und die Sanierungschancen nicht zu beeinträchtigen.235) 181 Diese Prüfung offensichtlicher Nachteile für die Gläubiger hat durch den Richter zunächst auf der Basis der eigenen Sachkunde zu erfolgen.236) Als Erkenntnisquelle dienen ihm von Seiten des Schuldners der Antrag nebst Anlagen sowie Gespräche im Vorfeld. Die Gläubiger können sich über einen vorläufigen Gläubigerausschuss zu Wort melden oder auch einzeln gegenüber dem Gericht schon im Vorfeld oder i. R. einer kurzfristig anberaumten Anhörung Stellung beziehen. Hat ein Gläubiger Einwendungen gegen die Anordnung der – vorläufigen – Eigenverwaltung, sollten diese allerdings, wie auch die Regelung zur Beendigung des Sanierungsvorbereitungsverfahrens in § 270b Abs. 3 Nr. 3 InsO zeigt, nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie auch begründet werden können. 182 Im Ergebnis sollte die unverzügliche Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, der gleichzeitig als Sachverständiger mit der Prüfung der Schuldnerangaben sowie der Eröffnungsund Eigenverwaltungsvoraussetzungen beauftragt wird, der Regelfall sein.237) Dagegen ist die Kombination mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter, der ggf. später zum vorläufigen Sachwalter „herabgestuft“ werden kann, als Zwischenphase bis zur Entscheidung über die vorläufige Eigenverwaltung grundsätzlich unzulässig.238) Sie würde im Ergebnis eine Rück___________ 232) So z. B. AG Kleve v. 2.12.2012 – 34 IN 38/12; AG Duisburg v. 30.11.2012 – 63 IN 239/12, hierzu Smid, ZInsO 2013, 209, 213. 233) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 117; a. A. wohl Frind, ZInsO 2012, 386. 234) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 4; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 116; Smid, ZInsO 2013, 209, 212; a. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; einschränkend Frind, ZInsO 2012, 386, 388 – bei unklarer Antragslage. 235) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 17; Riggert, in: Braun, InsO, § 270a Rz. 2. 236) Hölzle, ZIP 2012, 158, 159; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 343 Rz. 13. 237) BAKinso e. V., Entschließung (Herbsttagung 2011), ZInsO 2011, 2223. 238) Hölzle, ZIP 2012, 158, 163; a. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
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kehr bzw. Fortsetzung des bisherigen unbefriedigenden Zustands bedeuten und die Neuerungen durch das ESUG gerade nicht umsetzen.239) Die bloße Bestellung eines Sachverständigen und nicht schon eines vorläufigen Sachwalters würde der Situation einer Betriebsfortführung nicht gerecht. Nicht notwendig erscheint es zur Wahrung der Neutralität der sachverständigen Entscheidung, diese Aufgabe von der Rechtsstellung eines vorläufigen Sachverständigen oder vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich abzukoppeln i. S. einer Imkompatiblität.240) Ein grundsätzliches Misstrauen erscheint hier nicht angezeigt, soweit die Rollen professionell besetzt sind. Werden noch während des laufenden Eröffnungsverfahrens Nachteile offensichtlich, 183 kann die vorläufige Eigenverwaltung jederzeit kurzfristig durch das Gericht beendet bzw. eine vorläufige Insolvenzverwaltung installiert werden, siehe oben Rz. 168 ff. „Offensichtlich“ bedeutet eben auch, dass das Gericht zunächst aufgrund seiner vorläufigen Erkenntnisquellen bei Einleitung des Verfahrens zu befinden hat. Es ist nicht praktikabel und wird daher auch nicht verlangt, dass vor der Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung eine umfassende Überprüfung des Vortrags des Schuldners durch einen Sachverständigen zu erfolgen hat. Vielmehr kann gerade auch die durch das Gericht verursachte Verfahrensverzögerung oder Verunsicherung der Beteiligten durch eine wenn auch nur kurzfristige Nichtpositionierung zur vorläufigen Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Sanierungschancen und die Verfahrensabwicklung führen, die die Nachteile einer vorläufigen Zulassung mit ggf. nachfolgender Steigerung der Intensität der Sicherungsmaßnahmen nicht unterschreitet.241) 1.6
Konzept Gläubigerautonomie
Zum Ausgleich des Gläubigerinteresses an einem Schutz vor Nachteilen sowie des Bedürf- 184 nisses des Schuldners an einer Anordnungsplanbarkeit führt die Möglichkeit der Einbindung eines vorläufigen Gläubigerausschusses mit verbindlicher Entscheidungskompetenz. Nicht nur im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, sondern auch schon bei Zulassung der 185 vorläufigen Eigenverwaltung soll nach der Intention des Gesetzgebers diesem Gläubigerorgan eine das Gericht bindende Entscheidung über die Eigenverwaltung möglich sein. Wird der Eigenverwaltungsantrag durch ein einstimmiges Votum des (konstituierten) vorläufigen Gläubigerausschuss unterstützt, so gilt die Anordnung nicht als nachteilig. Diese Fiktion ist in einem umfassenden Sinne dahingehend zu verstehen, dass kein Versagungsgrund nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorliegt.242) Eine grundsätzliche Einschränkung bzw. Herausnahme der Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung aus dem Umfang der Fiktion kann aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden.243) Das Gericht kann sich somit bei seiner Anordnung auf diese Fiktion der fehlenden Nach- 186 teiligkeit stützten. Ein „Durchwinken“ bedeutet dies im Ergebnis schon deshalb nicht, da die zur Entscheidung Berufenen die Risiken einer Eigenverwaltung im Vorfeld schon im eigenen Interesse beurteilt haben.244) Gewähr für eine umfassende Prüfung ist hier die notwendige repräsentative Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses sowie die Haftungsgefahr für jedes einzelne Mitglied des Gläubigerorgans, das durch unzulängliche ___________ So aber Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. A. A. Frind, ZInsO 2018, 231, 240. Wallner, ZIP 2015, 997, 1003. Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2161; AG Freiburg v. 11.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238 = NZI 2015, 605. 243) A. A. Hammes, ZIP 2017, 1505, 1513. 244) Krit. Frind, ZInsO 2018, 231, 240. 239) 240) 241) 242)
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Kontrolle oder die Wahrnehmung von Eigeninteressen einen Schaden mitverursacht hat, § 71 InsO. 187 Durch die Einbindung dieses Kontrollorgans vor der Verfahrenseinleitung sowie auch im Eröffnungsverfahren, informiert dann zusätzlich durch den neutralen vorläufigen Sachwalter, ist ausreichende Sicherheit geschaffen, um von einer Amtsermittlungspflicht vor Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung abzusehen. 188 Auch bei der Beantragung der vorläufigen Eigenverwaltung hat es der Schuldner somit in der Hand, über eine einstimmige Unterstützung seines plausibel und belastbar dargelegten Verfahrensziels durch den vorläufigen Gläubigerausschuss eine dem § 270b InsO vergleichbare Anordnungssicherheit herzustellen. An die Stelle der Prüfung der Sanierungsaussichten durch einen sachverständigen und neutralen Dritten vor Verfahrenseinleitung tritt hier die Beurteilung durch die wirtschaftlich Betroffenen. Für diese hat das Gläubigerorgan die Chancen und Risiken einer Eigenverwaltung und der angestrebten Bewältigung der Insolvenz abzuwägen. 189 Gelangt der vorläufige Gläubigerausschuss während des Eröffnungsverfahrens zu der Einsicht, dass er die (vorläufige) Eigenverwaltung nicht mehr mittragen kann, da sie aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse nicht zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung führt, kann er sich jederzeit an das Gericht wenden und die Bedenken mitteilen. Da das Gericht erforderliche Sicherungsmaßnahmen anordnen muss, kann und wird es, soweit das Verfahren noch nicht reif ist für eine Entscheidung über die Eröffnung, die vorläufige Sachwalterschaft in eine vorläufige Insolvenzverwaltung umwandeln.245) 190 Von einem „Funktionieren“ dieser Selbstkontrolle durch die wirtschaftlich Betroffenen ist auch grundsätzlich auszugehen,246) zumal sie auch eigene Sachkunde insbesondere zur Branche und zu den Sanierungschancen mitbringen. Eine Grenze der Bindung eines einstimmigen Votums kann erst dann überlegt werden, wenn der Beschluss offensichtlich nicht im Interesse der Gläubigergemeinschaft sein kann, da z. B. offensichtlich nur eigene Interessen durch die Mitglieder wahrgenommen werden oder massive tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anordnung nachteilig für die Gläubigergesamtheit ist und die Mitglieder dies offensichtlich nicht in ihre Entscheidung einbezogen haben.247) Die gesetzliche Fiktion kann (nur) in Fällen des Missbrauchs der Gläubigerautonomie durch den vorläufigen Gläubigerausschuss widerlegt werden.248) Unterhalb dieser Schwelle schützt der Haftungstatbestand die Gläubiger vor schuldhaft pflichtwidrigem Handeln.249) 2.
Indizien
191 Es geht somit in diesem frühen Verfahrensstadium um die Ausschließung eindeutig nicht geeigneter Fälle und Schuldner von der Eigenverwaltung.250) Wie bereits ausgeführt, kann eine voraussichtlich erheblich geringere Quote für die Gläubiger aufgrund der höheren Kosten der Eigenverwaltung nur dann zu einem offensichtlichen Nachteil führen, wenn die Kosten mit denen einer Insolvenzverwaltung tatsächlich auch 1:1 vergleichbar sind. Dies setzt voraus, dass der Schuldner keinen Mehrwert der Eigenverwaltung darlegt, viel___________ 245) LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050 = ZIP 2014, 2355; BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, NZG 2016, 389, 390 = ZIP 2015, 648. 246) AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11, ZIP 2011, 2372, 2216. 247) AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11, ZIP 2011, 2372, 2216; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 158, 161. 248) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 161; a. A. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 14 – keine Ausnahmen. 249) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 14 – Gläubigerschutz nur über Haftung. 250) Riggert, in: Braun, InsO, § 270a Rz. 2; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 19.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
mehr ein Verfahrensergebnis anstrebt oder Sanierungsbeiträge erwartet, die auch im Regelverfahren ohne weiteres zu erreichen wären, hierzu ausführlich Rz. 65 ff. Neben dem erwarteten wirtschaftlichen Ergebnis für die Gläubiger spielt weiter die fach- 192 liche und persönliche Eignung des Schuldners und seiner Berater für die Durchführung der Eigenverwaltung im Gläubigerinteresse eine ganz wesentliche Rolle. Die Verfahrenseinleitung sowie das vorinsolvenzliche Verhalten können hier objektiv belegbare Umstände liefern:251) Unzulässiger Antrag: Ein eindeutiger Fall der Aussichtslosigkeit der Eigenverwaltung 193 liegt vor, wenn schon der Antrag auf Insolvenz und/oder Eigenverwaltung unzulässig ist, z. B. die Antragsbefugnis fehlt. Wird der Insolvenzantrag den neuen Anforderungen des § 13 InsO nicht gerecht, hat das Gericht gemäß Absatz 3 eine Nachfrist zur Mängelbeseitigung zu setzen. Allerdings spricht wenig für eine Eignung des Schuldners und seiner Berater, wenn schon das Grundhandwerkzeug nicht beherrscht wird. Insolvenzdelikte und strafrechtliche Ermittlungen, insbesondere zur Verletzung öffent- 194 lich rechtlicher Pflichten: Gegen eine Eigenverwaltung spricht eine offensichtliche und längere Insolvenzverschleppung,252) der Verstoß gegen die Abführungspflicht von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung,253) weiterhin das erkennbare Ziel, die Überprüfung des eigenen Verhaltens in der Krise verhindern zu wollen.254) Zu beachten ist jedoch, dass Umstände vorliegen müssen, die auf einen missbräuchlichen Zweck bzw. jedenfalls auf Nachteile für die Gläubiger aufgrund von in Betracht kommenden Anfechtungs- und Organhaftungsansprüchen im Falle einer Eigenverwaltung255) schließen lassen. Hier kann ggf. auch durch die Auswechslung der Geschäftsleitung in der Krise wieder Vertrauen hergestellt werden.256) Fehlende Mitwirkung: Auch wenn der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleitung schon 195 unmittelbar nach Antragstellung durch das Gericht nicht zu erreichen sind und geforderten Nachbesserungen und Mitwirkungen nicht nachkommen, kann eine Eigenverwaltung offensichtlich nicht aussichtsreich sein.257) Fraglich ist, inwieweit von den Gläubigern geäußerte Vorbehalte gegen eine Eigenverwal- 196 tung zu deren offensichtlicher Aussichtslosigkeit führen können. Bei den Gläubigervorbehalten gegen eine Eigenverwaltung ist zu unterscheiden zwischen der ablehnenden und nachvollziehbaren Stellungnahme mehrerer bzw. wesentlicher Gläubiger und einer nicht weiter begründeten negativen Haltung Einzelner. Zu berücksichtigen ist, dass gerade in der Krise und in Anbetracht von Verlusten Emotionen eine große Rolle spielen und Entscheidungen nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen werden. Weiter kann in der Krisenphase mit vielfältigen Baustellen die Kommunikation mit Einzelnen nicht optimal verlaufen sein. Dem Beschluss eines vorläufigen Gläubigerausschusses kann grundsätzlich ein Gewicht 197 beigemessen werden, da der Gesetzgeber diesem Gläubigerorgan in § 270 Abs. 3 InsO ausdrücklich eine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Eigenverwaltung eingeräumt ___________ 251) Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2162. 252) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, 188, Rz. 14; AG Köln v. 9.2.2017 – 72 IN 496/16, ZIP 2017, 889 = ZInsO 2017, 510. 253) AG Essen v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, ZVI 2015, 462 = NZI 2015, 931; dazu Scholze, NZI 2015, 923. 254) Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 21; AG Köln v. 17.9.1999 – 71 IN 28/99, ZIP 1999, 1646. 255) AG Duisburg v. 19.1.2018 – 64 IN 267/14, ZInsO 2018, 622, 624, 256) AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193. 257) AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743, 744 zum eröffneten Verfahren.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
hat.258) Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass diese Entscheidung nur vorläufiger Natur ist und auch nur ein einstimmiger unterstützender Beschluss bindende Wirkung hat.259) In allen anderen Fällen entscheidet das Gericht selbst vorläufig über die Zulassung und endgültig erst die Gläubigerversammlung mit Summen- und Kopfmehrheit der anwesenden Gläubiger, vgl. § 272 InsO. 198 Dies spricht auch dagegen, ein aufgrund der Anhörung einzelner Gläubiger lediglich prognostiziertes Beschlussergebnis zur Begründung einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit genügen zu lassen.260) 199 Unabhängig davon kann allerdings das vom Schuldner angestrebte Verfahrensziel der Sanierung oder Restrukturierung aufgrund der Stellungnahme der Gläubiger bereits als von Anfang an unerreichbar erscheinen. So wird es bei einer ablehnenden Haltung oder Schutzschrift einzelner Gläubiger darauf ankommen, welche Bedeutung der Mitwirkung dieser Gläubiger für das Verfahrensziel zukommt.261) Tragen die wesentlichen Gläubiger das Ziel einer Sanierung grundsätzlich mit, allerdings nicht mehr unter der bisherigen Führung, lässt dies Nachteile der Eigenverwaltung gegenüber einer Sanierung im Regelverfahren durch einen Insolvenzverwalter erwarten.262) 200 Letztlich geht es hier um im Einzelfall zu treffende Entscheidungen und das Gewicht der dem Gericht bekannten Faktoren. Im Zweifel ist aufgrund der Beweislastverteilung sowie der psychologischen Bedeutung der Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung zumindest bei sanierungs- und restrukturierungsorientierten Verfahren Zurückhaltung bei der Annahme einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit geboten und diese zuzulassen. 3.
Flankierende Anordnungen
201 Im Einzelfall können ggf. als milderes Mittel zu einer vorläufigen Insolvenzverwaltung flankierende Anordnungen in Betracht kommen, die das notwendige Vertrauen des vorläufigen Gläubigerausschusses und/oder des Gerichts schaffen, um eine vorläufige Eigenverwaltung zu unterstützen bzw. zuzulassen. 202 Eine große Sicherungswirkung, umgekehrt aber auch eine große faktische Blockade für den Schuldner bringt eine Kassenführung durch den Sachwalter nach § 275 Abs. 2 InsO mit sich.263) Aufgrund der Verweisung des § 270a InsO kann auch schon der vorläufige Sachwalter nach pflichtgemäßem Ermessen die Kassenführung übernehmen. Wegen des damit verbundenen Aufwands wird er eine Übernahme allerdings sicherlich gut abwägen. Insbesondere wird es auch darauf ankommen, ob Berater den Schuldner i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung begleiten. Zum Teil ordnen allerdings auch die Gerichte die Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter an.264) Dies erscheint insoweit bedenklich, als die Übernahme des gesamten Geldverkehrs die eigenverwaltende Tätigkeit des Schuldners in erheblichem Umfang beschneidet und der Intention des § 270a InsO zuwiderläuft.265) ___________ 258) Hölzle, ZIP 2012, 158, 160; LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050, 1051 = ZIP 2014, 2355. 259) AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390, dazu EWiR 2013, 625 (Leib/Rendels); Die Kölner Insolvenzrichter, ZIP 2014, 2153, 2154. 260) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 19. 261) AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390, 1391; LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050 = ZIP 2014, 2355, 2357; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 93, 94. 262) AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390. 263) Frind, EWiR 2015, 651. 264) AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZInsO 2014, 2390; zum Meinungsstand Frind, EWiR 2015, 651. 265) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 16.
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Neußner
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Ausreichend und praktikabler kann es sein, z. B. die Begründung von Masseverbindlich- 203 keiten ausdrücklich unter den Vorbehalt der Zustimmung des vorläufigen Sachwalters zu stellen.266) Schon zum alten Recht hatte sich zudem die Praxis durchgesetzt, bereits bei Antragstellung 204 die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Geschäfte anzuregen. Ob eine Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Geschäfte mit Wirkung im Außenverhältnis auf eine entsprechende Anwendung von § 277 InsO gestützt werden kann, ist umstritten und wegen des dort vorausgesetzten Antrags von Seiten der Gläubiger wohl unzulässig.267) Unabhängig hiervon steht es dem Gericht allerdings schon nach den §§ 270a, 21 Abs. 1 InsO frei, Sicherungsmaßnahmen unterhalb der Schwelle eines Verfügungsverbots oder eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts und damit insbesondere besondere Zustimmungsvorbehalte anzuordnen.268) Die Anregung einer solchen Stärkung der Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters mag im Einzelfall angezeigt sein, wenn zu befürchten ist oder aufgrund der Vorgespräche feststeht, dass das Gericht beabsichtigt, ggf. auch nur zur vorläufigen Sicherung, einen vorläufigen Insolvenzverwalter einzusetzen. Bedeutung hat die Anordnung von Zustimmungsvorbehalten allerdings gegenwärtig umgekehrt zum Schutz der künftigen Insolvenzmasse sowie der Schuldnerorgane, insbesondere wenn es um die Frage der Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und an Verstöße anknüpfende Haftungsund Strafbarkeitsfolgen geht (siehe ausführlich § 7 Rz. 111, 189 ff.).269) IX.
Rechtsmittel
1.
Keine beschwerdefähige Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag
Das Gericht entscheidet bei der Einleitung des Eröffnungsverfahrens und Bestellung eines 205 vorläufigen Sachwalters oder eines vorläufigen Insolvenzverwalters noch nicht förmlich über den Eigenverwaltungsantrag. Es ergeht in Bezug auf den Eigenverwaltungsantrag weder ein ablehnender Beschluss, den der Schuldner angreifen könnte, noch ein zulassender Beschluss, den ein Gläubiger angreifen könnte. Überdies wäre auch gegen einen Beschluss die Beschwerde gemäß § 6 InsO nur dann 206 statthaft, wenn sie ausdrücklich im Gesetz zugelassen wäre. Ein Rechtsmittel hat der Gesetzgeber aber nach wie vor noch nicht einmal für den Schuldner gegen die Ablehnung des Antrags auf Eigenverwaltung im Eröffnungsbeschluss oder für den Gläubiger gegen ihre Zulassung für das eröffnete Verfahren vorgesehen.270) Eine nachträgliche Anordnung ist allein der Gläubigerversammlung vorbehalten gemäß § 271 InsO – eine Möglichkeit, die eher theoretischer Natur sein dürfte. Praktische Bedeutung wird eher der Gläubigerautonomie in Bezug auf die Aufhebung einer zunächst vom Gericht zugelassenen Eigenverwaltung zukommen, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 2.
Beschwerde gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen
Auch ohne förmlichen Beschluss in Bezug auf den Eigenverwaltungsantrag trifft das Ge- 207 richt jedoch insoweit Entscheidungen, als es das Eröffnungsverfahren entweder nach ___________ 266) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 19. 267) AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = NZI 2012, 375, dazu EWiR 2012, 359 (Hofmann); LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = NZI 2013, 91. 268) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 18. 269) AG Hamburg v. 19.6.2017 – 67g IN 173/17, ZIP 2017, 1383 m. w. N.; a. A. AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1111, dazu EWiR 2015, 651 (Frind). 270) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448; LG Frankfurt/M. v. 13.1.2014 – 2-09 T 66/13, ZIP 2014, 742 = BeckRS 2014, 07729.
Neußner
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
§ 270a InsO ausgestaltet, also insbesondere einen vorläufigen Sachwalter bestellt, oder das Regeleröffnungsverfahren mit Zustimmungsvorbehalt und vorläufigem Verwalter anordnet. Zwar sieht § 270a InsO selbst kein Rechtsmittel gegen die i. R. des Eröffnungsverfahrens getroffenen Entscheidungen vor, was sicherlich der Eilbedürftigkeit des Verfahrens geschuldet ist.271) Im Interesse der Beteiligten und der Sanierung liegt ein Abwarten auf die Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts natürlich in keinem Falle. Auf der anderen Seite schließt § 270a InsO einen nach den allgemeinen Vorschriften bestehenden Rechtsschutz nicht aus.272) 208 Die Zulassung eines Verfahrens in vorläufiger Eigenverwaltung oder die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung ist dogmatisch betrachtet eine Entscheidung über bzw. Anordnung von Sicherungsmaßnahmen. Lässt das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung nicht zu, bestellt es einen mitbestimmenden oder starken vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 InsO. Gegen die Anordnung dieser Sicherungsmaßnahmen steht dem Schuldner aber nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO die sofortige Beschwerde zu, § 6 InsO. 209 Aber auch wenn der Gesetzgeber hier noch i. R. des InsOÄG ein Rechtsmittel zugelassen hat, ist dessen Wirkung in der Praxis schon dadurch ganz erheblich begrenzt, dass die sofortige Beschwerde nach § 4 InsO, § 570 Abs. 1 ZPO grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat.273) In den ganz überwiegenden Fällen erledigen sich daher die Rechtsmittel gegen Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.274) 210 Der Schuldner müsste daher zusätzlich erreichen, dass das Beschwerdegericht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 570 Abs. 3 ZPO die Vollziehung der angefochtenen Entscheidungen, also der Sicherungsmaßnahmen, aussetzt. Hier wird das Beschwerdegericht neben den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels weiter die drohenden Nachteile für den Schuldner und die gesamte Gläubigerschaft gegeneinander abwägen.275) Gegen einen Nachteil des Schuldners und eine Klärung auf dem Rechtsweg wird typischerweise vorgebracht, dass die Gläubiger auch später in der Lage seien, eigenständig über die Eigenverwaltung zu entscheiden, und das Insolvenzgericht hierdurch binden könnten. Diese Argumentation ist allerdings insoweit zu kurz gegriffen, als auch der Gesetzgeber erkannt hat, dass eine solche Entscheidung im eröffneten Verfahren zum einen zu spät kommt und eine negative Entscheidung des Gerichts im Vorfeld zum anderen sicherlich auch nicht ohne Auswirkung auf die Entscheidung eher unentschlossener und weniger engagierter Gläubiger sein wird. 211 Gelingt es tatsächlich, kurzfristig eine Entscheidung des Beschwerdegerichts herbeizuführen, wäre weiterhin die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 InsO notwendig.276) Zweckmäßig wäre es wohl aufgrund der Eilbedürftigkeit, dass das Beschwerdegericht auch selbst die einer vorläufigen Eigenverwaltung entspre___________ 271) BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525, Rz. 6 (m. Anm. Pleister/Tholen), dazu EWiR 2013, 253 (Siemon); Kayser, WM Sonderbeilage 1 zu Heft 27/2015, S. 14; für Zulassung einer sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 4 InsO, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO bei verfassungsrechtlich gebotener teleologischer Reduktion von § 6 InsO Horstkotte, ZInsO 2012, 1930, 1933. 272) Römermann, ZInsO 2013, 482 ff. 273) Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze v. 26.10.2001, BGBl. I 2001, 2710. 274) Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 36; BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, NZG 2016, 389 = ZIP 2015, 648. 275) BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 48/02, ZIP 2002, 718, dazu EWiR 2002, 595 (Frind); Pape, in: KPB, InsO, § 34 Rz. 76, 78; Sternal, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 6 Rz. 32. 276) Sternal, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 6 Rz. 32, 38.
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Neußner
Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
chenden Sicherungsmaßnahmen anordnet. Da die Aussetzung der Vollziehung nicht den Charakter einer einstweiligen Verfügung hat, ermöglicht § 570 Abs. 3 ZPO nicht die erstmalige Anordnung von Sicherungsmaßnahmen.277) Zulässig ist es dagegen, einstweilige Anordnungen in Bezug auf die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung zu treffen.278) Hierunter zu subsumieren wäre die Reduzierung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts auf ein nach § 270a InsO zulässiges Maß. Weiterhin dürfte auch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters zulässig sein. Zwar ist der vorläufige Sachwalter nicht ein „umbenannter“ vorläufiger Verwalter. Seine Aufgaben sind an die des endgültigen Sachwalters angelehnt. Auf der anderen Seite ist er nach § 270a Satz 2 InsO „anstelle“ eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu bestellen, so dass auch seine Bestellung im Zusammenhang mit Sicherungsmaßnahmen steht. Auch könnten die Aufgaben des vorläufigen Verwalters an die eines vorläufigen Sachwalters angepasst werden.279) Diese Konstellation ist derjenigen einer unzulässigen Beschwerde gegen das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen280) nicht zu vergleichen. Unabhängig davon kann das Beschwerdegericht auch unmittelbar nach § 21 Abs. 2 InsO 212 Sicherungsmaßnahmen anordnen.281) Hierunter muss auch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters subsumiert werden. Zur Person des Sachwalters ist allerdings zu beachten, dass zwar die Bestellung eines vorläufigen Verwalters als anfechtbare Sicherungsmaßnahme der Beschwerde unterliegen kann, nicht jedoch allein die Auswahl der Person.282) An diesem Punkt wäre wiederum die Gläubigerautonomie gefordert. Sowohl von der Anordnung der Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entschei- 213 dung als auch von einer kurzfristigen Entscheidung des Beschwerdegerichts unter gleichzeitiger Anordnung ihrer sofortigen Wirksamkeit machen die Beschwerdegerichte allerdings schon in anderen Bereichen eher zurückhaltend Gebrauch.283) Selbstverständlich kann auch das Insolvenzgericht der Beschwerde abhelfen und die ange- 214 ordneten Sicherungsmaßnahmen wieder aufheben. Aber auch hier dürften die Chancen nicht hoch sein. Der Fokus muss daher auf einer Vorabstimmung mit den vorgeschlagenen Mitgliedern 215 eines vorläufigen Gläubigerausschusses und dem Gericht liegen sowie auf einer professionellen Einleitung des Verfahrens mit plausibler Begründung und belastbaren Darstellungen und Prognosen. X.
Hinweispflicht des Gerichts
Hat der Schuldner den Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt, hat 216 das Gericht den Schuldner gemäß § 270a Abs. 2 InsO zu informieren und die Bedenken mitzuteilen, wenn es die Eigenverwaltung ablehnen will. Dem Schuldner soll Gelegenheit zur Rücknahme seines Insolvenzantrags gegeben werden.284) ___________ 277) 278) 279) 280) 281) 282) 283) 284)
BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, ZIP 2005, 2333, Rz. 9; Pape, in: KPB, InsO, § 34 Rz. 76. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, ZIP 2005, 2333, Rz. 8. Rüntz/Laroche, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 22 Rz. 6. BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525 (m. Anm. Pleister/Tholen); Kayser, WM Sonderbeilage 1 zu Heft 27/2015, S. 14. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, ZIP 2005, 2333, Rz. 10. Rüntz/Laroche, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 21 Rz. 58; LG Kleve v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992, 993. Pape, in: KPB, InsO, § 34 Rz. 76, 78. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 59.
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
217 Anstelle einer Rücknahme kommt im Übrigen auch eine Erledigungserklärung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Betracht. Auch sie bewirkt, dass der Antrag nicht mehr zur Verfahrenseröffnung führen kann.285) 218 Nach seinem Wortlaut betrifft § 270a Abs. 2 InsO die Entscheidung über die Eigenverwaltung am Ende des Vorverfahrens, „ vor der Entscheidung über die Eröffnung“. Die systematische Stellung sowie v. a. der Zeck der Hinweispflicht sprechen aber auf jeden Fall auch für eine Hinweispflicht, wenn das Gericht auch schon die vorläufige Eigenverwaltung wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags nicht zulassen will.286) 219 Im Bereich der Restrukturierung von Unternehmen in der Insolvenz wird dem Rückzug aus dem Verfahren allerdings kaum praktische Bedeutung zukommen. Zum einen ist der größte Teil der Unternehmen in einer Rechtsform konstituiert, bei der die Mitglieder des Vertretungsorgans der Insolvenzantragspflicht unterliegen, § 15a InsO.287) Häufig wird im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit aber auch schon eine Überschuldung vorliegen.288) Zudem ist das Kippen, der drohenden in die eingetretene Zahlungsunfähigkeit, typische Folge des Bekanntwerdens der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens.289) 220 In allen anderen Fällen, in denen der Schuldner keiner Insolvenzantragspflicht und Haftung oder Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung unterliegt, kann er seinen Insolvenzantrag zwar zurücknehmen.290) Es stellt sich jedoch auch in Bezug auf die in der Gesetzesbegründung angesprochenen natürlichen Personen, insbesondere Einzelkaufleute und freiberufliche Unternehmer, die Frage, wie sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit außerhalb eines Insolvenzeröffnungsverfahrens noch eine Sanierung realisieren sollen. Im günstigeren Fall wird eine Plansanierung ohne Eigenverwaltung in Betracht kommen oder auch eine übertragende Sanierung im eröffneten Insolvenzverfahren. 221 Unabhängig von einer Einleitung des Verfahrens bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit erscheint jedoch ein Hinweis des Gerichts unter Darlegung seiner Bedenken in jedem Fall angezeigt vor der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, um dem Schuldner die Möglichkeit zur Nachbesserung bzw. weiteren „Unterfütterung“ seines Eigenverwaltungsantrags zu geben. Von Relevanz ist an dieser Stelle jedoch v. a. die stets zu empfehlende Vorbesprechung mit dem Gericht. XI.
Muster Insolvenzantrag mit Antrag Eigenverwaltung
222 Musterformulierung für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO zur Orientierung bis zur Einführung amtlicher Formulare: Amtsgericht […] – Insolvenzgericht – [Anschrift] Insolvenzantrag der […] ___________ 285) 286) 287) 288) 289) 290)
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BGH v. 15.1.2004 – IX ZB 197/03, ZIP 2004, 425, dazu EWiR 2004, 923 (Ferslev). Frind, ZInsO 2011, 656, 660. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 59. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 59. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 50 f. Frind, ZInsO 2011, 656, 660.
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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalte
§6
Sehr geehrte Damen und Herren, namens und im Auftrag unserer Mandantin, der […], eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter […], im Folgenden auch „Schuldnerin“ genannt, stellen wir hiermit im Auftrag der Geschäftsführer [Anm.: Beim Antrag auf Eigenverwaltung sollten nach Möglichkeit alle GF Antrag stellen], […], die Anträge, 1. das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen; 2. die Eigenverwaltung durch die Schuldnerin anzuordnen; 3. einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Zur Glaubhaftmachung unserer Vertretungsberechtigung überreichen wir die auf uns lautende Vollmacht als Anlage 1. Zum Nachweis der Vertretungsberechtigung der Geschäftsführer, […], fügen wir als Anlage 2 einen Handelsregisterauszug bei. I. Zum Antrag auf Insolvenzeröffnung Unsere Mandantin betreibt […] [Anm.: Es folgen Angaben zu Art und Umfang des Geschäftsbetriebs und zur Fortführung des Geschäftsbetriebs]. Die Insolvenz trat ein, nachdem […] [Anm.: Es folgt eine kurze Darstellung zum Hintergrund der Insolvenz]. Die Gesellschaft ist zahlungsunfähig/drohend zahlungsunfähig/überschuldet. [Anm.: Es folgen ggf. weitere ergänzende Angaben; sofern nicht alle Organmitglieder den Antrag gestellt haben, ist der jeweilige Insolvenzgrund glaubhaft zu machen]. Das Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO ist als Anlage 3 beigefügt, wobei die weiteren Angaben zu den in § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO genannten Forderungen dort besonders kenntlich gemacht sind [Anm.: Hier können ggf. weitere Erläuterungen zu diesen Forderungen folgen]. Zu den weiteren Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO teilen wir mit, dass sich im vorangegangenen Geschäftsjahr die Bilanzsumme des Unternehmens auf [… €] und die Umsatzerlöse auf [… €]. beliefen (vgl. Jahresabschluss, Anlage 4). Durchschnittlich waren in diesem Geschäftsjahr […] Arbeitnehmer im Unternehmen beschäftigt. Die Erklärung der Geschäftsführung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO, wonach die obigen Angaben zu § 13 Abs. 1 Satz 3, 4 und 5 InsO richtig und vollständig sind, ist als Anlage 5 beigefügt. II.
Zum Antrag auf Eigenverwaltung
Die Anordnung der Eigenverwaltung erscheint zweckmäßig, weil […] [Anm.: Es folgen nähere Ausführungen zu den bisherigen Sanierungsbemühungen, der Beratung des Schuldners und einem etwa schon vorliegenden Insolvenzplanentwurf]. Mit dem Antrag auf Eigenverwaltung sind auch keine Nachteile für die Gläubiger verbunden [Anm.: Weitere Ausführungen];291) hierzu verweisen wir auch auf die als Anlagenkonvolut 6 beigefügten Erklärungen der vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitglieder. Wir bitten, gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO davon abzusehen, dem Schuldner ein vorläufiges Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Stattdessen verweisen wir auf den Vorschlag der Gläubigerausschussmitglieder, Rechtsanwalt […] zum vorläufigen Sachwalter zu bestellen. ___________ 291) Voraussetzung der Anordnung der Eigenverwaltung ist nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur, dass keine Umstände bekannt sind, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. An sich muss der Schuldner daher nicht zu fehlenden Nachteilen vortragen. Zulässigkeitsvoraussetzung ist eine derartige Darlegung somit auf keinen Fall, sie erscheint allerdings zweckmäßig, um eine zügige Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.
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§6
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
III. Zur Einsetzung eines Gläubigerausschusses Die Einsetzung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses erscheint zweckmäßig, weil [Anm.: Es folgen nähere Gründe]. Zur Mitwirkung in dem vorläufigen Gläubigerausschuss haben sich bereit erklärt: 1. für die absonderungsberechtigten Gläubiger: […] 2. für die Gläubiger mit den höchsten Forderungen: […] 3. für die Kleingläubiger: […] 4. für die Arbeitnehmer: […] 5. [Anm.: Ggf. weitere Mitglieder, wie z. B. Hauptkunden; es sollte jeweils eine ungerade Zahl von Gläubigerausschussmitglieder zur Vermeidung von Pattsituationen eingesetzt werden, im Hinblick auf die Kosten ist § 22a Abs. 3 InsO zu beachten] [Bei den jeweils genannten Personen wäre deren Eignung zu begründen]. Die Einverständniserklärungen der vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitglieder liegen dem Antrag als Anlagenkonvolut 6 bei. Wir bitten darum, die vorgeschlagenen Mitglieder als Gläubigerausschussmitglieder sowie einen geeigneten vorläufigen Sachwalter zu bestellen, der sich im Geschäftsbereich der Schuldnerin auskennt und über entsprechende Sanierungserfahrung verfügt sowie […] [Anm.: Hier sollten ggf. weitere Ausführungen zum konkreten Anforderungsprofil folgen]. Hierzu verweisen wir auch auf den in den Einverständniserklärungen, Anlagenkonvolut 6, enthaltenen übereinstimmenden Vorschlag der vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitglieder. Herr/Frau […] erscheint zur Übernahme des Amtes besonders geeignet, weil […]. Wir regen an, bei Bedarf die vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitglieder kurzfristig anzuhören. Mit freundlichen Grüßen Rechtsanwalt Anlagen
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§7 Vorläufige Eigenverwaltung M. Hofmann
I.
Bedeutung des Eröffnungsverfahrens für den Verfahrensverlauf.......................... 1 II. Vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren ........................................... 3 1. Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung ....... 6 2. Voraussetzungen der vorläufigen Eigenverwaltung .................................................... 8 3. Bestellung eines vorläufigen Sachwalters....... 9 3.1 Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter................................ 10 3.2 Vorschläge des Schuldners bzw. von Gläubigern ..................... 15 3.3 Auswahlverfahren und Gläubigerbeteiligung ................................ 23 III. Stellung von Schuldner und vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO........ 27 1. Grundlagen der Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter ................................................... 28 2. Stellung des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung ............................... 30 2.1 Verfügungsmacht des Schuldners ................................................. 30 2.2 Insolvenzgerichtliche Anordnungen zu den Aufgaben des Schuldners gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO ............................................... 33 2.3 Gesellschaftsrechtliche Kompetenzen im Eröffnungsverfahren.... 37 3. Rechtsstellung und Aufgaben des vorläufigen Sachwalters ................................... 41 3.1 Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters..................................... 42 3.2 Aufsicht über den Schuldner ........ 44 3.3 Mitwirkungsbefugnisse des vorläufigen Sachwalters entsprechend § 275 Abs. 1 InsO............... 50 3.4 Informationsrechte des vorläufigen Sachwalters und korrespondierende Pflichten des Schuldners ................................................. 57 3.5 Konten-/Kassenführungsrecht entsprechend § 275 Abs. 2 InsO..... 62 3.5.1 Bedeutung der Kassenführung in der vorläufigen Eigenverwaltung.... 63 3.5.2 Inanspruchnahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter ...................................... 65
3.5.3
4.
5.
Leistung von Zahlungen nach pflichtgemäßem Ermessen des vorläufigen Sachwalters................. 68 3.5.4 Modifizierte Kassenführung durch vorläufigen Sachwalter bei mittleren und größeren Unternehmen................................. 72 3.6 Beratende Begleitung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Sachwalter ............................... 78 3.7 Anzeigepflicht bei Feststellung nachteiliger Umstände (§ 274 Abs. 3 InsO) .................................. 81 3.8 Vorbereitung eines Insolvenzplans analog § 284 Satz 2 InsO bei Beauftragung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss mit Zustimmung des Schuldners......... 85 3.9 Haftung des vorläufigen Sachwalters..................................... 87 3.10 Vergütung des vorläufigen Sachwalters..................................... 93 Absehen von verfügungsbeschränkenden Maßnahmen gemäß § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO ............................................... 102 4.1 Unzulässigkeit von allgemeinen Verfügungsbeschränkungen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO bei Bestellung eines vorläufigen Sachwalters .................... 103 4.2 Keine anderweitige Verdrängung des Schuldners aus dem Unternehmen......................................... 107 4.3 Anordnung besonderer Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO.......................... 108 4.3.1 Zustimmungsvorbehalte im eröffneten Verfahren................... 109 4.3.2 Zulässigkeit von Zustimmungsvorbehalten im Eröffnungsverfahren gemäß § 21 Abs. 1 InsO.......................... 110 4.3.3 Praxishinweise ............................. 117 Begründung von Masseverbindlichkeiten bei vorläufiger Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren ................................ 118 5.1 Keine Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den vorläufigen Sachwalter ................ 119
M. Hofmann
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren 5.2
Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten......................... 121 5.3 Sonderfall: „Starke“ vorläufige Eigenverwaltung .......................... 129 5.4 Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 1 InsO im Zusammenhang mit der Begründung erheblicher Masseverbindlichkeiten............... 132 IV. Betriebsfortführung bei vorläufiger Eigenverwaltung ..................................... 133 1. Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Schuldner, vorläufigem Sachwalter und wesentlichen Gläubigern ................................................ 134 2. Information der wesentlichen Beteiligten................................................. 142 3. Befriedigung und Sicherung von Lieferanten ............................................... 145 3.1 Problemstellung in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO...................... 146 3.2 Sicherung durch Begründung von Masseverbindlichkeiten ....... 147 3.3 Treuhandmodelle ........................ 152 3.4 Exkurs: Anfechtbarkeit bzw. Insolvenzfestigkeit von Handlungen des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung ................................... 161 4. Insolvenzgeldvorfinanzierung................. 168 5. Fortführungsfinanzierung ....................... 174 6. Umgang mit Steuerverbindlichkeiten und Sozialversicherungsbeiträgen i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung ............ 178 6.1 Anfechtungslösung: Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern in anfechtbarer Weise ...................... 180 6.2 Kassenführungslösung ................ 184
6.3
Zustimmungsvorbehaltslösung: Besonderer Zustimmungsvorbehalt hinsichtlich Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Fiskus ................................... 189 6.4 Hinweise zur Handhabung in der Praxis ..................................... 192 7. Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren: Insolvenzplan vs. übertragende Sanierung...... 194 8. Steuerliche Fragen der vorläufigen Eigenverwaltung....................................... 202 V. Weitere vorläufige Maßnahmen nach § 21 InsO ........................................ 205 1. Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO) ............ 211 2. Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO) .............. 212 3. (Keine) Vorläufige Postsperre (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO) .............. 215 4. Verbot der Verwertung von Aus- und Absonderungsgut (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO) .............................................. 216 5. Sonstige Maßnahmen............................... 220 VI. Auswirkungen der vorläufigen Eigenverwaltung auf laufende Rechtsstreite ... 221 VII. Haftung für Rechtshandlungen des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung ..................................... 226 1. Haftung des Schuldners........................... 227 2. Insolvenzrechtliche Haftung der Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane ..... 228 3. Gesellschaftsrechtliche Haftung nach §§ 43, 64 GmbHG bzw. §§ 92, 93 AktG ......................................... 231 4. Außenhaftung handelnder Personen wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (culpa in contrahendo)......... 234 5. Haftung der Geschäftsleiter nach der AO und nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB.............................................. 235
Literatur: Brinkmann, Haftungsrisiken im Schutzschirmverfahren und in der Eigenverwaltung, DB 2012, 1313 (Teil 1) und DB 2012, 1369 (Teil 2); Buchalik/Kraus, Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren, ZInsO 2014, 2354; Frind, Umgang mit sanktionsbewehrten öffentlich-rechtlichen Forderungen in der vorläufigen Eigenverwaltung, ZInsO 2015, 22; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Hofmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung der Gesellschaft, ZIP 2018, 1429; Hofmann, Die Vorschläge des DiskE-ESUG zur Eigenverwaltung und zur Auswahl des Sachwalters – Wege und Irrwege zur Erleichterung von Unternehmenssanierungen, NZI 2010, 798; Hofmann, Die Eigenverwaltung insolventer Kapitalgesellschaften im Konflikt zwischen Gesetzeszweck und Insolvenzpraxis, ZIP 2007, 263; Jung/Wienberg, ESUG: grundlegende Verbesserung der Insolvenzordnung für Gläubiger, Kreditwesen 2011, 610; Klinck, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner im Eigenverwaltungs-Eröffnungsverfahren, ZIP 2013, 853; Kübler/ Rendels, Aspekte des M&A-Prozesses in der (vorläufigen) Eigenverwaltung, ZIP 2018, 1369; Undritz, Restrukturierung in der Insolvenz, ZGR 2010, 201; Undritz/Schur, Das Recht des (vorläufigen) Sachwalters zur Kassenführung, ZIP 2016, 549.
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M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung I.
Bedeutung des Eröffnungsverfahrens für den Verfahrensverlauf
Das Eröffnungsverfahren, also der Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und der 1 Entscheidung über den Eröffnungsantrag, ist in der Praxis oftmals die entscheidende Phase für Wohl oder Wehe eines insolventen Unternehmens. Die wesentlichen Weichenstellungen für eine Restrukturierung des Unternehmens und den weiteren Verfahrensverlauf können – und müssen zum Teil – unmittelbar nach Insolvenzantragstellung getroffen werden oder werden eben genau in dieser Phase unterlassen. Dies gilt letztlich unabhängig davon, ob eine Restrukturierung in Form eines Insolvenzplans oder in Gestalt einer übertragenden Sanierung vollzogen werden soll, und ob das Verfahren durch einen Insolvenzverwalter oder in Eigenverwaltung abgewickelt werden soll. Auch ist bereits unmittelbar nach Verfahrenseinleitung eine an das jeweilige Verfahren an- 2 gepasste Kommunikation unumgänglich, um den wesentlichen Beteiligten – insbesondere Betriebsrat und Mitarbeitern, Lieferanten und Dienstleistern, Gläubigern und Kunden – Vertrauen in die agierenden Personen und in das Verfahren zu vermitteln (siehe hierzu bereits § 5 Rz. 131 ff.). Abhängig von der öffentlichen Bedeutung und Wahrnehmung des Verfahrens wird auch eine Information der (Fach-)Presse oftmals notwendig sein. Die handelnden Personen – Schuldner, Berater, Insolvenzgericht und Sachwalter – sind daher dazu berufen, im Eröffnungsverfahren die Bedeutung der hier getroffenen Entscheidungen sowie die Bedeutung des Unterlassens von Entscheidungen jederzeit zu beachten. II.
Vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren
Die erst seit Inkrafttreten des ESUG1) im Jahr 2012 vorgesehene Anordnung vorläufiger 3 Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren bzw. die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a Abs. 1 InsO spielen in der insolvenzrechtlichen Praxis inzwischen eine erhebliche Rolle. Bei der vorläufigen Eigenverwaltung handelt es sich um eines der Kernstücke der Insolvenzrechtsreform des ESUG. Gerade in mittleren und größeren Unternehmensinsolvenzen ist die Eigenverwaltung wegen der in § 270a InsO vorgesehenen vorläufigen Eigenverwaltung aus der Insolvenz- und Sanierungspraxis nicht mehr wegzudenken. Der in § 270a InsO geregelten vorläufigen Eigenverwaltung kommt daher – auch in Zusammenschau mit dem Schutzschirmverfahren des § 270b InsO als besondere Art der vorläufigen Eigenverwaltung – erhebliche Bedeutung für den Verlauf des gesamten Eigenverwaltungs- bzw. Insolvenzverfahrens zu, zumal gerade im Eröffnungsverfahren die „Weichen“ des Verfahrens gestellt werden. Wenngleich das Gesetz in § 270a Abs. 1 InsO nur von der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters spricht, hat sich in der Praxis der Terminus „vorläufige Eigenverwaltung“ durchgesetzt, so dass inzwischen auch viele Insolvenzgerichte – insoweit deklaratorisch – eine „Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung“ aussprechen. § 270a InsO normiert für den Fall eines Eigenverwaltungsantrags die Bestellung eines vor- 4 läufigen Sachwalters sowie den Verzicht auf umfassende Verfügungsbeschränkungen als Regelfall. Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung bleibt dem Insolvenzgericht demnach regelmäßig nur dann vorbehalten, wenn der Eigenverwaltungsantrag „offensichtlich aussichtslos“ erscheint. ___________ 1)
Vor Inkrafttreten des ESUG war eine „vorläufige Eigenverwaltung“ weder gesetzlich vorgesehen noch anderweitig zugelassen; so z. B. Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 517 ff.; ebenso Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 340; für die Möglichkeit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bereits vor Inkrafttreten des ESUG Ehricke, ZIP 2002, 782, 786. Vgl. zur Kritik an der damaligen Lücke bzw. am Fehlen einer „vorläufigen Eigenverwaltung“ z. B. Undritz, ZGR 2010, 201, 212; Jung/Wienberg, Kreditwesen 2011, 610, 611.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
5 Die Regelung des § 270a InsO zielt dabei auf einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Interessen des antragstellenden Schuldners einerseits und den Interessen der nach § 1 Satz 1 InsO im Fokus des Verfahrens stehenden Gläubiger andererseits unter besonderer Berücksichtigung der Interessenlagen im Eröffnungsverfahren ab.2) Während der Schuldner im Fall eines Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung verständlicherweise ein starkes Interesse daran hat, auch während des Eröffnungsverfahrens nicht durch gerichtlich angeordnete Sicherungsmaßnahmen – etwa eine sog. starke vorläufige Insolvenzverwaltung i. S. von § 22 Abs. 1 InsO – aus seinem Unternehmen gedrängt zu werden, können die Gläubiger des insolventen Unternehmens zu Recht erwarten, dass das Gericht bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag für eine hinreichende Sicherung des Schuldnervermögens gegen verfahrenszweckwidrige Veränderungen sorgt. Der Gesetzgeber trug dieser Interessenabwägung mit der Vorschrift des § 270a Abs. 1 InsO Rechnung, die den Beurteilungsspielraum des Gerichts im Hinblick auf die Erforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO im Fall eines nicht offensichtlich aussichtslosen Antrags auf Eigenverwaltung einschränkt. Ist der Eigenverwaltungsantrag nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots (§ 270a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO) oder eines allgemeinen, umfassenden Zustimmungsvorbehalts (§ 270a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO) absehen. Zugleich ist in diesem Fall kein vorläufiger Insolvenzverwalter, sondern eben ein vorläufiger Sachwalter zu bestellen (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO). 1.
Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung
6 Bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters steht der Sicherungscharakter der gerichtlichen Anordnung im Vordergrund, so dass in aller Regel auch Verfügungsbeschränkungen gegen den Insolvenzschuldner angeordnet werden. Damit werden bestimmte, einzelne Wirkungen der Verfahrenseröffnung bereits in das Eröffnungsverfahren verlagert. 7 Demgegenüber will die aus der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters folgende, in § 270a Abs. 1 InsO vorgesehene vorläufige Eigenverwaltung letztlich insbesondere den Weg zu einer späteren Anordnung der Eigenverwaltung i. R. der Verfahrenseröffnung ebnen. Im Vordergrund steht letztlich der Fortbestand der Verfügungsbefugnis des Schuldners unter der Aufsicht eines (vorläufigen) Sachwalters. Dies ist insbesondere bei der Klärung der Rechte und Pflichten von Schuldner und vorläufigem Sachwalter und auch bei der Frage nach der Zulässigkeit weiterer Sicherungsmaßnahmen zu beachten. 2.
Voraussetzungen der vorläufigen Eigenverwaltung
8 In formeller Hinsicht setzt die vorläufige Eigenverwaltung bzw. – um in den Worten der InsO zu sprechen – die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, die Stellung eines Insolvenzantrags und zudem die Beantragung der Anordnung der Eigenverwaltung voraus (siehe hierzu § 6 Rz. 100 ff.). Neben diesen formellen Voraussetzungen des Eintritts in eine (vorläufige) Eigenverwaltung hat das Insolvenzgericht in materieller Hinsicht lediglich die Vorschrift des § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO zu berücksichtigen, d. h. die offensichtliche Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags auszuschließen, wobei insoweit v. a. eine summarische Nachteilsprognose i. S. von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO erfolgen wird (siehe hierzu § 6 Rz. 162 ff.).
___________ 2)
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Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch das ESUG – trotz aller Anreize für eine Eigensanierung des Schuldners – nichts am Insolvenzzweck der bestmöglichen, gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung geändert hat.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung 3.
Bestellung eines vorläufigen Sachwalters
Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sieht § 270a Abs. 1 InsO nicht ausdrücklich die An- 9 ordnung der als solche nicht vorgesehenen „vorläufigen Eigenverwaltung“ vor, sondern vielmehr die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters. Dieser gerichtlichen Bestellungsentscheidung kommt somit in zweierlei Hinsicht grundlegende Bedeutung zu: zum einen hinsichtlich der gerichtlichen Aussage, den Eigenverwaltungsantrag des Schuldners für nicht offensichtlich aussichtslos zu halten, und zum anderen natürlich hinsichtlich der Person des vorläufigen Sachwalters. 3.1
Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter
Für die Anforderungen an die Person des vorläufigen Sachwalters gelten über § 270a Abs. 1 Satz 2 und § 274 Abs. 1 InsO die Regelungen des § 56 InsO für den Insolvenzverwalter. Demnach ist zum (vorläufigen) Sachwalter eine „für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen.“ Das Amt des (vorläufigen) Sachwalters stellt an seinen Inhaber ähnliche Anforderungen wie das Amt des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren. Für die Eignung des (vorläufigen) Sachwalters gelten damit die vielfältigen Ausführungen betreffend die Auswahl des Insolvenzverwalters entsprechend: So sind im konkreten Fall insbesondere organisatorische oder fachliche Anforderungen an die Durchführung des jeweiligen Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen, wie bspw. besondere Sprachkenntnisse bei Verfahren mit Auslandsbezug, Branchenkenntnisse oder Kenntnisse in speziellen, einschlägigen Rechtsgebieten.3) Auch die aktuelle Auslastung des in Betracht kommenden vorläufigen Sachwalters und seiner Kanzlei können für dessen Eignung eine gewichtige Rolle spielen, da gerade die Begleitung von Betriebsfortführungen – auch i. R. vorläufiger Eigenverwaltung – entsprechende personelle Kapazitäten in der Kanzlei des Sachwalters voraussetzt.4) Daneben kommt aus Sicht des Verfassers insbesondere der Persönlichkeit des Sachwalters erhebliche Bedeutung zu. Gerade das Amt des (vorläufigen) Sachwalters erfordert die Fähigkeit, vermittelnd auf die Beteiligten einzuwirken, einerseits auf den unter seiner Aufsicht agierenden Schuldner und andererseits auf die Gläubiger bzw. ggf. verschiedene Gläubigergruppen. Insolvenzverwalter, die für eine kooperative und kommunikative Ausübung des Verwalteramts bekannt sind, dürften sich daher eher für das Amt des (vorläufigen) Sachwalters eignen als Verwalter, deren Arbeitsstil eher autoritär geprägt ist.5) Unerlässlich ist insoweit jedenfalls ein hinreichendes Rollenverständnis betreffend die Rolle des (vorläufigen) Sachwalters, die sich naturgemäß erheblich von derjenigen eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters unterscheidet.6) Hinsichtlich der Unabhängigkeit sind an die Person des (vorläufigen) Sachwalters dieselben hohen Maßstäbe anzulegen wie an die Person des Insolvenzverwalters.7) Dies gilt auch dann, wenn eine Person von Schuldner, Gläubigern oder ggf. auch einstimmig von einem ___________ 3) 4) 5)
6)
7)
Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 64. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 64. Insoweit ist freilich zu berücksichtigen, dass ein großer Teil der berufsmäßigen Insolvenzverwalter – gerade bei Betriebsfortführungen und Sanierungsversuchen – bereits jetzt einen kooperativen Stil pflegt. Dass im Einzelfall auch die Autorität des Verwalteramts auszuspielen ist, darf hier nicht den falschen Schluss auf einen autoritären Arbeitsstil zur Folge haben. Bei entsprechenden Bewertungen der Arbeitsweise von Insolvenzverwaltern und Sachwaltern ist daher Vorsicht geboten. Vgl. hierzu auch Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623, 629, sowie BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 1592, 1598, dazu EWiR 2016, 499 (J. Beck) wonach zu den Aufgaben des (vorl.) Sachwalters insbesondere auch die beratende Begleitung der Eigenverwaltung gehört. Hofmann, NZI 2010, 798, 803.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagen wird. Ungeeignet sind damit insbesondere Personen, die in der Vergangenheit anwaltlich oder gutachterlich für den Schuldner tätig waren8) oder die einer Anwaltssozietät angehören, die laufend Mandate eines Großgläubigers erhält.9) Gerade im Falle früherer bzw. aktueller Tätigkeit für Schuldner und/oder Großgläubiger sind insbesondere deren Dauer, deren Aktualität und deren wirtschaftliche Bedeutung für die vorgeschlagene Person zu berücksichtigen.10) Auch dauerhafte Geschäftsbeziehungen bzw. Kooperationen zwischen Beratern und Sachwaltern können Zweifel an der Unabhängigkeit des (vorläufigen) Sachwalters begründen.11) 3.2
Vorschläge des Schuldners bzw. von Gläubigern
15 Wie § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO klarstellt, wird die erforderliche Unabhängigkeit einer als Insolvenzverwalter vorgeschlagenen Person nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die Person vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen worden ist.12) Dies gilt nicht nur für die Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, sondern über § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO auch für den (vorläufigen) Sachwalter. Vorschläge zur Person des zu bestellenden (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters sind somit von § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO ausdrücklich zugelassen. 16 Im Grundsatz ist das Insolvenzgericht an Vorschläge des Schuldners bzw. einzelner Gläubiger zur Person des vorläufigen Sachwalters nicht gebunden. Lediglich im Fall des Schutzschirmverfahrens sieht § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO eine beschränkte Bindung des Gerichts an den Vorschlag des Schuldners vor (siehe hierzu § 8 Rz. 117 ff.). Demnach kann das Gericht in diesem Fall nur bei offensichtlicher Nichteignung der vorgeschlagenen Person von dem Vorschlag abweichen, was es zudem zu begründen hat. Insoweit hat das Gericht auch i. R. von § 270b Abs. 2 InsO das Vorliegen der Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 InsO, insbesondere die Eignung und die Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person, zu prüfen. Offensichtlich ungeeignet i. S. von § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO kann ein vorgeschlagener (vorläufiger) Sachwalter insbesondere in folgenden Fällen sein: Fehlen jeglicher praktischer Erfahrung als Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter in Unternehmensinsolvenzverfahren; insolvenzrechtliche Beratung bzw. Sanierungsberatung des Schuldners im Vorfeld des Insolvenzantrags. 17 Wollen Schuldner oder Gläubiger die Auswahl des vorläufigen Sachwalters i. R. ihres Vorschlagsrechts beeinflussen, ist ihnen bzw. ihren Beratern aus Sicht des Verfassers Folgendes anzuraten: 18 Die Eignung des vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters sollte – soweit sie nicht gerichtsbekannt ist – kurz begründet werden. ___________ 8) Lüke, in: KPB, InsO, § 56 Rz. 49b-49d (auch für Fälle langjähriger Beratung oder vorinsolvenzlicher Sanierungsversuche); Bork, ZIP 2006, 58 f. 9) Vgl. BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 1113, 1114, dazu EWiR 2004, 925 (Berg-Grünewald/ Keller). 10) Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474, 1479; ebenso wohl BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 1113, 1114. 11) Zutreffend insoweit auch AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (Schulte-Kaubrügger), für einen Fall umfangreicher Geschäftsbeziehungen zwischen dem dort vorgeschlagenen Sachwalter und dem zum Sanierungsgeschäftsführer bzw. CRO berufenen Berater. 12) Während in Rspr. und Literatur auch vor Inkrafttreten des ESUG bereits anerkannt war, dass allein der Umstand, dass eine Person von einem Gläubiger oder vom Schuldner als (vorläufiger) Insolvenzverwalter vorgeschlagen worden wurde, keine indiziellen Zweifel an der Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person begründete, bestanden in der insolvenzgerichtlichen Praxis teils feststellbare Vorbehalte gegenüber vorgeschlagenen Insolvenzverwaltern, was letztlich Hintergrund der gesetzlichen Klarstellung war; vgl. hierzu auch Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26 zu Nr. 8 (Änderung von § 56).
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Die Unabhängigkeit vorgeschlagener Personen sollte hohen Anforderungen genügen. Im 19 Vorfeld getroffene Absprachen zwischen dem vorgeschlagenen Sachwalter und dem Schuldner bzw. einzelnen Gläubigern bzw. der bloße Eindruck des Bestehens entsprechender Absprachen verringern nicht nur die Chancen, dass die vorgeschlagene Person bestellt wird, sondern vernichten zudem wichtiges Vertrauen in die agierenden Personen, das sowohl seitens des Gerichts als auch seitens der weiteren Verfahrensbeteiligten benötigt wird. Frühere (anwaltliche) Berater scheiden als vorläufige Sachwalter somit aus; dies gilt insbesondere auch für den Ersteller eines sog. Prepackaged-Insolvenzplans, selbst wenn dieser unter Einbindung der wesentlichen Gläubiger vorbereitet wurde.13) Auch zu enge bzw. zu dauerhafte Geschäftsverbindungen bzw. Kooperationen zwischen Beratern des Schuldners und dem vorgeschlagenen Sachwalter gilt es zu vermeiden;14) auch hierdurch kann das Vertrauen des Gerichts und der Gläubiger in eine transparente und unabhängige Erfüllung der Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters gefährdet sein. Vorschläge zur Person des vorläufigen Sachwalters sollten zudem berücksichtigen, dass die 20 Entscheidung über die Person des vorläufigen Sachwalters – auch angesichts der in § 56a InsO vorgesehenen Gläubigerbeteiligung und der Bindung an nicht offensichtlich ungeeignete Vorschläge gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO – letztlich vom Insolvenzgericht zu treffen ist. Da der zuständige Richter für seine Entscheidung – ggf. auch unter Amtshaftungsgesichtspunkten – verantwortlich bleibt, wird er einem Vorschlag umso eher folgen, als er der vorgeschlagenen Person Vertrauen entgegenbringt. Besonders geeignet als vorgeschlagene Sachwalter sind somit Personen, die bei dem zuständigen Gericht auch zuvor bereits als Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter bestellt wurden und vor diesem Hintergrund offensichtlich das Vertrauen des Gerichts genießen.15) Personen, die beim zuständigen Insolvenzgericht nicht in die Vorauswahlliste i. S. von 21 § 56 Abs. 1 Satz 1 a. E. InsO eingetragen sind, sollten aus Sicht des Verfassers nur in begründbaren Einzelfällen16) vorgeschlagen werden, da insoweit die Gefahr besteht, dass die vorgeschlagene Person – mangels Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 1 a. E. InsO – als ungeeignet nicht bestellt wird. Ob eine entsprechend begründete Ablehnung einer vorgeschlagenen Person – gerade in mittelgroßen und großen Verfahren – vom Willen des Gesetzgebers, das Vorschlagsrecht zu stärken, gedeckt wäre, bleibt bis zu ersten judikativen Auseinandersetzungen mit dieser Frage zunächst offen. In der Praxis der Verfahrensvorbereitung erscheint insoweit eine rechtzeitige Kontaktauf- 22 nahme mit dem Insolvenzgericht bereits im Vorfeld der eigentlichen Antragstellung sinnvoll, um entsprechende Anforderungen, die das Gericht im Einzelfall an die Person des (vorläufigen) Sachwalters stellt, in Erfahrung zu bringen. Gegebenenfalls können auch mög___________ 13) Während der RegE ESUG in § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 InsO-E noch vorgesehen hatte, dass die Erstellung eines Insolvenzplans unter Einbindung von Schuldner und Gläubigern die Unabhängigkeit des Planerstellers nicht per se ausschließt, wurde die entsprechende Regelung nach Beratung im Rechtsausschuss – m. E. zu Recht – fallengelassen. 14) Vgl. hierzu z. B. AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (SchulteKaubrügger). 15) Im Internet finden sich Datenbanken, in denen die Bestellungspraxis der Insolvenzgerichte statistisch erhoben wird. Die (jüngere) Bestellungspraxis der einzelnen Insolvenzgerichte kann bspw. auf der Internetseite www.indat.info der WBDat GmbH, Köln, oder auf der Internetseite www.insolvenzportal.de der STP Portal GmbH, Karlsruhe, recherchiert werden. Zudem kann insoweit auch auf die regelmäßig erscheinenden Statistikhefte des INDat-Reports zurückgegriffen werden, welche ebenfalls einen guten Überblick über die Akzeptanz von Verwaltern und Kanzleien seitens einzelner Gerichte bieten. 16) Als Beispiel dürfte ein großes Insolvenzverfahren im Zuständigkeitsbereich eines kleineren Insolvenzgerichts zu nennen sein, bei dem kein für Verfahren dieser Größenordnung geeigneter Insolvenzverwalter „gelistet“ ist.
M. Hofmann
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
liche Vorschläge hinsichtlich der Person des (vorläufigen) Sachwalters bereits mit dem Gericht abgestimmt werden. 3.3
Auswahlverfahren und Gläubigerbeteiligung
23 Unabhängig von möglichen Vorschlägen zur Person des (vorläufigen) Sachwalters erfolgt die Auswahl des vorläufigen Sachwalters letztlich durch den zuständigen Insolvenzrichter, dem insoweit ein weites Auswahlermessen zusteht.17) Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass der Ermessensspielraum des Insolvenzrichters in Fällen einstimmiger Vorschläge des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 56a Abs. 2 Satz 1 InsO) und im Fall von Vorschlägen des Schuldners im Schutzschirmverfahren (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO) eingeschränkt ist. 24 Insbesondere gilt für die Auswahl des vorläufigen Sachwalters durch das Insolvenzgericht über die Verweise der §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 1 InsO auch das nunmehr in § 56a InsO geregelte Verfahren der Gläubigerbeteiligung in Gestalt eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Demnach ist einem bereits bestellten vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 56a Abs. 1 InsO Gelegenheit zur Äußerung zu den Anforderungen an den (vorläufigen) Sachwalter im konkreten Einzelfall sowie zur Person des (vorläufigen) Sachwalters zu geben; hiervon kann und muss gemäß § 56a Abs. 1 a. E. InsO dann abgesehen werden, wenn dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führen würde. In Fällen, in denen die Insolvenzantragstellung bereits öffentlich oder gegenüber wichtigen Geschäftspartnern bekannt geworden ist, wird regelmäßig ein Zuwarten mit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bestehende Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten beeinträchtigen, so dass insoweit eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage zu besorgen ist.18) In derartigen Fällen, kommt daher eine Anhörung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nur dann in Betracht, wenn sie innerhalb weniger Stunden erfolgen kann. 25 Schlägt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig eine Person als vorläufigen Sachwalter vor, so darf das Insolvenzgericht hiervon gemäß § 56a Abs. 2 InsO nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person ungeeignet ist.19) Hat das Insolvenzgericht gemäß § 56a Abs. 1 a. E. InsO wegen der Eilbedürftigkeit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters von einer Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses abgesehen, kann der vorläufige Gläubigerausschuss gemäß § 56a Abs. 3 InsO in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum vorläufigen Sachwalter wählen. In analoger Anwendung von § 56a Abs. 2 Satz 1, § 57 Satz 2 InsO hat das Gericht die gewählte Person zum vorläufigen Sachwalter zu bestellen, sofern diese nicht ungeeignet zur Übernahme des Amts ist. 26 Eine Anfechtung der Nichtbestellung des vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters findet nicht statt, da eine sofortige Beschwerde in § 56a InsO – anders als z. B. im Fall des § 57 InsO (vgl. Satz 3 der Vorschrift) – gerade nicht zugelassen wurde.20)
___________ 17) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 63. 18) Ebenso bereits Hofmann, NZI 2010, 798, 803. 19) Eine „einfache“ Nichteignung der vorgeschlagenen Person genügt im Zusammenhang mit dem Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 56a Abs. 2 InsO, während eine Ablehnung des vom Schuldner im Fall des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO vorgeschlagenen Sachwalters nur im Fall offensichtlicher Nichteignung in Betracht kommt (vgl. § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO). 20) Auch eine Zulassung der sofortigen Beschwerde in analoger Anwendung von § 57 Satz 3 InsO kommt nach Auffassung des Verfassers nicht in Betracht, da zum einen keine unbewusste Regelungslücke vorliegen dürfte und zum anderen die Fälle des § 56a Abs. 2, 3 InsO nicht derart mit der nicht umgesetzten Verwalterneuwahl durch die erste Gläubigerversammlung vergleichbar sind, dass eine analoge Anwendung in Betracht käme.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung III.
Stellung von Schuldner und vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO
Für die Praxis der „vorläufigen Eigenverwaltung“ gemäß § 270a Abs. 1 InsO spielen v. a. die 27 Aufgabenstellung der maßgebenden Personen, d. h. des Schuldners und des vorläufigen Sachwalters, und die zwischen diesen bestehende Kompetenzenverteilung eine bedeutende Rolle. 1.
Grundlagen der Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter
Die Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter im Eröffnungs- 28 verfahren orientiert sich maßgeblich an derjenigen zwischen Schuldner und Sachwalter im eröffneten Verfahren bei Anordnung von Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO. Das Amt des vorläufigen Sachwalters ist damit – wie dasjenige des Sachwalters im eröffneten 29 Insolvenzverfahren – geprägt von der Aufsichtspflicht des § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ähnlich dem – in der Praxis kaum üblichen – isolierten vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Anordnung flankierender Verfügungsbeschränkungen hat der vorläufige Sachwalter hierbei im Grundsatz21) keinerlei Möglichkeiten, den Schuldner in seiner Verfügungsbefugnis zu beschränken. Hinter den gemäß § 24 Abs. 1, §§ 81, 82 InsO dinglich wirkenden Befugnissen eines schwachen oder gar eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters bleibt die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters somit deutlich zurück. Dies ist gerade in Zusammenhang mit der Kompetenzenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter stets zu berücksichtigen. 2.
Stellung des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung
2.1
Verfügungsmacht des Schuldners
Die dogmatische Begründung der Verfügungsmacht des Schuldners nach Anordnung der 30 Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren ist Gegenstand verschiedener Literaturmeinungen. Nach zutreffender h. M. handelt der Schuldner i. R. einer Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nicht auf Grundlage seiner ureigenen, ihm belassenen Verfügungsmacht,22) sondern vielmehr als Amtswalter in eigenen Angelegenheiten.23) Für das eröffnete Insolvenzverfahren lässt sich diese zutreffende Auffassung mit den vielfachen, insolvenzrechtlich geprägten Befugnissen des Schuldners, z. B. dem von ihm auszuübenden Erfüllungsablehnungswahlrecht gemäß § 103 Abs. 2 InsO, und durch den gerichtlichen Anordnungsakt begründen.24) Demgegenüber findet im Eröffnungsverfahren gerade keine Anordnung einer vorläufigen 31 Eigenverwaltung statt, auf welche sich eine besondere, insolvenzrechtlich geprägte Verfügungsmacht des Schuldners stützen könnte. Auch hat der Schuldner im Eröffnungsverfahren nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters keine über seine bisherige Rechtsmacht hinausgehenden Rechte, die letztlich eine insolvenzrechtliche Rechtsmachtzuweisung erfordern würden. Der Schuldner handelt daher i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung – anders als bei angeordneter Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren – gerade aufgrund seiner eigenen, privatautonomen Verfügungsmacht. § 270a InsO beinhaltet demnach letztlich nicht die Begründung neuer Verfügungsmacht eigener Art, sondern vielmehr den Verzicht auf insolvenzrechtlich geprägte Beschränkungen der Verfügungsmacht. ___________ 21) Ausnahmen gelten nur für analog § 277 Abs. 1, 2 InsO zulässige Zustimmungsvorbehalte, s. unten Rz. 108 ff. 22) So aber Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 603. 23) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 141; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 49 m. w. N. 24) Vgl. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 141.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
32 Insolvenzrechtlich erweitert wird die Verfügungsmacht des Schuldners letztlich nur in den Fällen entsprechender gerichtlicher Anordnungen, die den Schuldner insbesondere – umfassend i. S. von § 270b Abs. 3 InsO oder isoliert i. R. von Einzelermächtigungen – zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigen können. Der Begründung von Masseverbindlichkeiten kommt dabei insbesondere i. R. der Fortführung insolventer Betriebe erhebliche Bedeutung zu (siehe unten Rz. 145). 2.2
Insolvenzgerichtliche Anordnungen zu den Aufgaben des Schuldners gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO
33 Wenn sich die Verfügungsmacht des Schuldners demnach in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht von einer gerichtlichen Anordnung, sondern nach wie vor von dessen Privatautonomie ableitet, stellt sich letztlich indes die Frage nach der Pflichtenstellung des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung. 34 Hierbei ist insbesondere aus Sicht der beteiligten Gläubiger und Drittrechtsinhaber der Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren zu ziehen: Der Kern der Aufgaben des starken vorläufigen Insolvenzverwalters wird gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO von dessen Pflicht zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens des Schuldners determiniert. Auch schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltern werden die entsprechende Sicherungs- und Vermögenserhaltungspflichten regelmäßig durch gerichtliche Anordnung gemäß § 22 Abs. 2 InsO auferlegt, um die Gläubiger i. S. von § 21 Abs. 1 InsO zu schützen. Die entsprechende Sicherungspflicht zielt dabei – über den bloßen Wortlaut des § 22 Abs. 1 InsO hinaus – nicht nur auf den Schutz des Schuldnervermögens im Interesse des Schuldners und der Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger ab, sondern umfasst auch und gerade die Wahrung und Sicherung von Vermögenswerten zugunsten Aus- und Absonderungsberechtigter.25) Beispielsweise ist der vorläufige Insolvenzverwalter vor diesem Hintergrund verpflichtet, sicherungszedierte Forderungen nur auf ein Ander- oder Treuhandkonto einzuziehen und das hieraus entstehende Kontoguthaben zu separieren, um die Rechte des Sicherungszessionars zu wahren.26) Die Sicherungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters und die hierzu ergangene Rechtsprechung sind damit insbesondere für die Interessen von Banken, Lieferanten und anderen gesicherten Gläubigern von höchster Bedeutung. 35 Demgegenüber sieht die InsO für die vorläufige Eigenverwaltung entsprechende Sicherungspflichten des Schuldners nicht von Gesetzes wegen vor. Insbesondere können derartige Pflichten m. E. nicht allein aus der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a Abs. 1 InsO abgeleitet werden, da diese gerichtliche Maßnahme – über die hiervon ausgehende Aufsicht durch den vorläufigen Sachwalter hinaus – eben keine unmittelbare Aussage zum Pflichtenkreis des Schuldners trifft. Indes ist das Insolvenzgericht auch im Fall vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 21 Abs. 1 InsO berechtigt und letztlich sogar verpflichtet,27) diejenigen „Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten“. In diesem Rahmen kann das Insolvenzgericht nach Auffassung des Verfassers28) gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO parallel zur Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a Abs. 1 InsO auch eine an den Schuldner gerichtete Anordnung treffen, die dem Schuldner Sicherungspflichten auferlegt, ___________ 25) Vgl. hierzu z. B. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739, 742, dazu EWiR 2010, 395 (Knof). 26) BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739, 742. 27) Vgl. zur Pflicht zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 21 Abs. 1 InsO („… hat alle Maßnahmen zu treffen …“) sowie i. Ü. z. B. auch Haarmeyer, in: MünchKommInsO, § 21 Rz. 2. 28) Ebenso bereits Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 344.
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Vorläufige Eigenverwaltung
die an diejenigen des vorläufigen Insolvenzverwalters angelehnt sind.29) Durch entsprechende insolvenzgerichtliche Aufgabenbestimmung wird dem Schuldner – über etwaige rein schuldrechtliche Verpflichtungen aus Sicherungsabreden hinaus – eine insolvenzrechtliche Pflicht auferlegt, Aus- und Absonderungsrechte zu wahren.30) Unabhängig hiervon wird auch der vorläufige Sachwalter gehalten sein, i. R. seiner Aufsicht 36 über den Schuldner darauf hinzuwirken, dass die Rechte sämtlicher Gläubiger – sei es einfacher Insolvenzgläubiger, sei es Aus- oder Absonderungsberechtigter – durch den Schuldner gleichermaßen gewahrt werden, wie dies im Fall einer Sicherung des Schuldnervermögens i. R. einer vorläufigen Insolvenzverwaltung der Fall wäre.31) 2.3
Gesellschaftsrechtliche Kompetenzen im Eröffnungsverfahren
Im Fall der Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren suspendiert § 276a Satz 1 37 InsO den Einfluss jeglicher Aufsichts- und Gesellschafterorgane auf die Geschäftsleitung von juristischen Personen und Personengesellschaften. Zugleich knüpft § 276a Satz 2 InsO die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung in eröffneten Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung an die Zustimmung des Sachwalters. Trotz Kritik32) an § 276a InsO wurde die Vorschrift letztlich mit dem ESUG verabschiedet. Im Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren ist § 276a 38 InsO indes nicht anwendbar, auch nicht entsprechend über § 270a Satz 2 InsO oder analog.33) Dies folgt insbesondere aus der fehlenden teleologischen Rechtfertigung für eine (analoge) Anwendung der Norm; die hinter § 276a InsO stehende legislatorische Rechtfertigung für den Eingriff in die Gesellschafterrechte liegt nämlich ausschließlich in der haftungsrechtlichen Zuweisung des Schuldnervermögens an die Gläubiger, die indes erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattfindet.34) Während des Eröffnungsverfahrens verbleibt es also bei der bisherigen gesellschaftsrecht- 39 lichen Kompetenzverteilung. Auch findet im Regime einer vorläufigen Eigenverwaltung keine insolvenzrechtlich geprägte Überlagerung der Pflichtenstellung der handelnden Gesellschaftsorgane statt. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint die oben (siehe Rz. 35) vorgeschlagene insolvenzrechtliche Pflichten- und Aufgabenbestimmung an den Schuldner gerade im Eröffnungsverfahren angezeigt. Unabhängig hiervon sollten in der Praxis in Fällen ernsthafter Sanierungsversuche sämtliche 40 Handlungen des insolventen Unternehmens bereits im Eröffnungsverfahren und letztlich sogar schon in der im Vorfeld laufenden Vorbereitungsphase vorrangig an den Gläubigerinteressen ausgerichtet sein, da jegliches eigennützige Handeln der insolventen Gesellschaft nicht nur das Vertrauen der beteiligten Stakeholder vernichten, sondern damit auch die Sanierungschancen gefährden würde. Andernfalls läuft das insolvente Unternehmen letzt___________ 29) Vgl. zu einem entsprechenden Formulierungsvorschlag Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 619 (dort Ziff. 3 des Muster-Beschlusses). 30) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 344 f. 31) So auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 345. 32) Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f.; Desch, BB 2011, 841, 845; K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; grundlegend bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 149 ff. 33) Ebenso bereits Hofmann, NZI 2010, 798, 804, Fn. 55; Desch, BB 2011, 841, 845; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494 f.; Klöhn, NZG 2013, 81, 84; a. A. (analoge Anwendung von § 276a InsO in vorläufiger Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren): Brinkmann, DB 2012, 1369, Fn. 50; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 274; diff. Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2429, 2431, der § 276a InsO im Schutzschirmverfahren, nicht hingegen in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO für analog anwendbar hält. 34) Peters, in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 22.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
lich auch Gefahr, dass das Gericht i. R. seiner laufenden Prüfung des Eintritts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags i. S. von § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO35) Sicherungsmaßnahmen in Form einer vorläufigen Insolvenzverwaltung anordnet. 3.
Rechtsstellung und Aufgaben des vorläufigen Sachwalters
41 Für Rechtsstellung und Aufgaben des vorläufigen Sachwalters gelten gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO die für den Sachwalter im eröffneten Verfahren maßgeblichen Vorschriften der §§ 274, 275 InsO entsprechend; auf die weitergehenden Vorschriften der §§ 276, 276a, 277 InsO verweist § 270a InsO demgegenüber nicht.36) 3.1
Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters
42 Aufgaben- und Pflichtenstellung des vorläufigen Sachwalters sind damit – wie diejenigen des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren – von der Aufsicht über den Schuldner geprägt. Wenngleich die InsO dem vorläufigen Sachwalter – im Gegensatz zum Sachwalter im eröffneten Verfahren37) – keine Aufgaben in eigener Zuständigkeit zuweist, beschränkt sich seine Aufgabenstellung nicht in der um die Mitwirkungsbefugnisse gemäß §§ 275, 277 InsO ergänzten Aufsicht über den Schuldner. Denn der (vorläufige) Sachwalter ist dazu berechtigt und letztlich im Interesse der Gläubigergemeinschaft auch verpflichtet, die Eigenverwaltung beratend zu begleiten (siehe hierzu i. E. Rz. 78 ff.).38) 43 Auf den vorläufigen Sachwalter sind hierbei gemäß § 270a Satz 2 InsO die Vorschriften der §§ 274, 275 InsO entsprechend anzuwenden. Entsprechend § 274 Abs. 1 InsO gelten somit für seine Bestellung, für die Aufsicht des Insolvenzgerichts und für die Haftung (siehe Rz. 87 ff.) und Vergütung (siehe Rz. 93 ff.) die den Insolvenzverwalter betreffenden Vorschriften der §§ 54 Nr. 2, 56 – 60, 62 – 65 InsO entsprechend. 3.2
Aufsicht über den Schuldner
44 Hauptaufgabe des vorläufigen Sachwalters ist die Aufsicht über den Schuldner. Gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2 InsO hat der vorläufige Sachwalter die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. 45 Die Pflicht des vorläufigen Sachwalters zur Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners dient im Eröffnungsverfahren letztlich v. a. der Vorbereitung einer Stellungnahme des vorläufigen Sachwalters zum Eigenverwaltungsantrag des Schuldners. Insbesondere hat der vorläufige Sachwalter insoweit Stellung zu nehmen, als seine Feststellungen Widersprüche zu den Angaben des Schuldners zu dessen wirtschaftlicher Lage ergeben. 46 Die ebenfalls in § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2 InsO niedergelegte Aufsichtspflicht betreffend die laufende Geschäftsführung des Schuldners ist i. S. einer permanenten Überwachung zu verstehen.39) Der vorläufige Sachwalter im Eröffnungsverfahren hat hierbei insbesondere zu überwachen, ob Verbindlichkeiten nur in dem erforderlichen Umfang begründet werden und ob Ausgaben des Schuldners auch im Eröffnungsverfahren noch sorgfaltsgemäß sind. Als Maßstab hierfür kann letztlich der Sorgfaltsmaßstab dienen, der an den vorläufigen Insolvenzverwalter anzulegen wäre. Besonderes Augenmerk wird der vorläufige Sachwalter hierbei auf die Befriedigung von Altverbindlichkeiten aus der Zeit vor der In___________ 35) 36) 37) 38) 39)
200
Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 327 f. Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 550 f. Vgl. insb. § 280 InsO. So grundlegend BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 50.
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Vorläufige Eigenverwaltung
solvenzantragstellung richten, wobei entsprechende Zahlungen nur in Ausnahmekonstellationen als sorgfaltsgemäß einzustufen sein dürften.40) Da Gegenstand der Aufsicht die Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners ist, genügt der vorläufige Sachwalter seinen Pflichten nicht, wenn er lediglich aus ex-post-Sicht die Buchführung bzw. die Geschäftsvorfälle der Vergangenheit einer Prüfung unterzieht.41) Vielmehr hat er sich laufend beim Schuldner über den aktuellen Geschäftsgang zu informieren und insbesondere die vom Schuldner zu führende Liquiditätsplanung zu kontrollieren.42) Der vorläufige Sachwalter hat insoweit stets dafür Sorge zu tragen, dass er einen vollständigen Überblick über die Geschäftsführung des Schuldners hat.43) Die Aufsicht beschränkt sich insoweit nicht nur auf den Bereich der operativen Geschäfts- 47 tätigkeit des insolventen Unternehmens, sondern erfasst gerade auch die für die Gläubiger relevanten Fragen, insbesondere die Verfahrensstrategie und den gewählten Weg der Sanierung.44) Da eine nur nachlaufende Aufsicht gerade insoweit untauglich wäre, die Interessen der Gläubiger zu schützen, muss der vorläufige Sachwalter sich bereits frühzeitig in die Erarbeitung der entsprechenden Konzepte einbinden lassen und die (vorläufige) Eigenverwaltung beratend begleiten (siehe hierzu eingehend Rz. 78 f.). Zuletzt ist der vorläufige Sachwalter im Eröffnungsverfahren über das Vermögen natür- 48 licher Personen oder von Personengesellschaften verpflichtet, die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Insoweit sind der Schuldner bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners analog § 278 InsO auch im Eröffnungsverfahren berechtigt, die zu einer bescheidenen Lebensführung benötigten Mittel dem Schuldnervermögen zu entnehmen, was der vorläufige Sachwalter zu überwachen hat. Zielrichtung der Aufsichtspflichten des vorläufigen Sachwalters ist – auch ausgehend von 49 der Zielrichtung der Pflicht des Gerichts zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO45) – der Schutz der Gläubiger und der Aus- und Absonderungsberechtigten. Der vorläufige Sachwalter hat daher seine Aufsicht daran auszurichten, dass der künftigen Insolvenzmasse gerade aus Sicht der Gläubigergemeinschaft, zugleich aber auch aus Sicht rechtlich besonders geschützter Gläubiger, insbesondere der Aus- und Absonderungsberechtigten, aus der Geschäftsführung und Verfahrensabwicklung durch den Schuldner keine Nachteile entstehen. Er hat daher i. R. seiner Aufsicht aus Sicht des Verfassers gerade auch zu überprüfen, ob das insolvente Unternehmen und seine Berater Vorsorge dafür treffen, dass die Rechte absonderungsberechtigter Gläubiger gewahrt werden. In der Praxis wird es hierbei regelmäßig insbesondere um Fälle von Sicherungsübereignungen, um Globalzessionen und um Eigentumsvorbehalte gehen. Stellt der vorläufige Sachwalter fest, dass entsprechende Maßnahmen zur Wahrung der Gläubigerrechte nicht getroffen wurden, so hat er hierauf i. R. seiner beratenden Begleitung der Eigenverwaltung hinzuwirken oder andernfalls gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 3 InsO Nachteilsanzeige zu erstatten. ___________ 40) Beispiele sorgfaltsgemäßer Zahlungen auf Altverbindlichkeiten sind insbesondere die Befriedigung voll besicherter Forderungen zum Zweck des Freiwerdens der Sicherheit sowie Zahlungen auf Altverbindlichkeiten, deren Gläubiger über Leistungsverweigerungsrechte Druck auf den Schuldner ausübt und dessen weitere Leistungserbringung für die Betriebsfortführung unerlässlich ist oder nur mit erheblichem Aufwand ersetzt werden könnte. Hinsichtlich letztgenannter Druckzahlungen des Schuldners wird i. d. R. nach Verfahrenseröffnung eine Anfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Betracht kommen (vgl. hierzu auch unten Rz. 161 ff.). 41) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 50. 42) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 50. 43) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 51. 44) So auch BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598 (zur Überwachung und Überprüfung der Sanierungspläne der Eigenverwaltung). 45) Vgl. hierzu z. B. Böhm, in: Braun, InsO, § 21 Rz. 1.
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201
§7 3.3
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Mitwirkungsbefugnisse des vorläufigen Sachwalters entsprechend § 275 Abs. 1 InsO
50 Gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 1 InsO soll der Schuldner nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörende Verbindlichkeiten nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters und auch Verbindlichkeiten i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nicht gegen den Widerspruch des vorläufigen Sachwalters eingehen. Die in § 275 Abs. 1 InsO in Bezug genommenen „Verbindlichkeiten“ erfassen nicht nur Zahlungsverpflichtungen, die der Schuldner eingeht, sondern auch Liefer- und Herstellungsverpflichtungen; die Norm gilt unabhängig davon, ob die Abwicklung i. R. eines Bargeschäfts oder auf Ziel erfolgt.46) 51 § 275 Abs. 1 InsO dient damit auch im Eröffnungsverfahren der abgestuften Ausgestaltung der vertrauensvollen Kooperation zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter. 52 Im Fall außergewöhnlicher Geschäfte ist der Schuldner demnach gehalten, die Einwilligung, d. h. die vorherige Zustimmung,47) des vorläufigen Sachwalters einzuholen. Andernfalls liefe der Zweck des Zustimmungserfordernisses, außergewöhnliche Rechtsgeschäfte eben nur in Abstimmung mit dem (vorläufigen) Sachwalter abzuschließen, leer.48) In Eilfällen, die im Fall außergewöhnlicher Geschäfte eher selten sein dürften, darf der Schuldner ohnehin angesichts der Ausgestaltung als Soll-Vorschrift ausnahmsweise ohne vorherige Zustimmung handeln. Außergewöhnliche Geschäfte49) sind insbesondere
die Veräußerung und Belastung von Grundeigentum,
die Aufnahme von Darlehen,
der Verzicht auf Forderungen,
Geschäfte außerhalb des eigentlichen Unternehmensgegenstands und
besonders schwerwiegende Geschäfte, die nach Art und Umfang die bisherige unternehmerische Tätigkeit übersteigen.
53 Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen fallen i. d. R. in den Bereich der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und unterliegen somit dem Widerspruchsrecht des § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO.50) 54 Der Begründung von Verpflichtungen i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs muss der vorläufige Sachwalter nicht ausdrücklich zustimmen, vielmehr gewährt ihm § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO insoweit ein Widerspruchsrecht. 55 Sowohl bei der Erteilung von Zustimmungen wie auch bei der Ausübung seines Widerspruchsrechts hat sich der vorläufige Sachwalter maßgeblich am Zweck der Verfahrensabwicklung im Eröffnungsverfahren zu orientieren, d. h. insbesondere am Interesse der Gläubiger, das Vermögen des Schuldners bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu sichern. Er darf daher i. d. R. einem außergewöhnlichen Geschäft insbesondere dann nicht zustimmen bzw. hat einem gewöhnlichen Geschäft regelmäßig insbesondere dann zu widersprechen, wenn
das beabsichtigte Geschäft die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs oder die Sanierungsalternativen gefährdet, z. B. im Fall des Verkaufs wesentlicher Betriebsgrundlagen oder im Fall der unzweckmäßigen Aufzehrung der vorhandenen liquiden Mittel,
___________ 46) 47) 48) 49) 50)
202
Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 6. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. Vgl. hierzu auch Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 8. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 8.
M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung
das Geschäft einen Gläubiger im Widerspruch zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ohne hinreichenden Grund bevorzugt,
Leistung und Gegenleistung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen oder
die Erfüllung der einzugehenden Verpflichtung – insbesondere im Fall der Begründung von Masseverbindlichkeiten kraft Einzelermächtigung oder gemäß § 270b Abs. 3 InsO – nicht hinreichend sichergestellt erscheint.
Schließt der Schuldner ein Geschäft ohne die gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderliche 56 Zustimmung des vorläufigen Sachwalters oder gegen dessen Widerspruch gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 ab, so handelt er pflichtwidrig. An der Wirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis ändert der Verstoß – auch im Fall der Kenntnis des Vertragspartners – im Grundsatz nichts.51) Ausnahmsweise kann ein Rechtsgeschäft, das der Schuldner im Eröffnungsverfahren unter Verstoß gegen § 275 Abs. 1 InsO abschließt, jedoch gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Vertragspartner zum Nachteil seiner Gläubiger nichtig sein (siehe zur gerichtlichen Aufgabenbestimmung auch Rz. 35).52) 3.4
Informationsrechte des vorläufigen Sachwalters und korrespondierende Pflichten des Schuldners
Damit der vorläufige Sachwalter seine Aufsichtspflichten entsprechend § 274 Abs. 1 InsO 57 sinnvoll erfüllen und entsprechend § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO der Begründung von Verbindlichkeiten i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs ggf. widersprechen kann, ist er auf laufende und aktuelle Informationen aus dem schuldnerischen Unternehmen angewiesen. Hierzu sieht die InsO Informationspflichten des Schuldners und hiermit korrespondierende Informationsrechte des vorläufigen Sachwalters vor. Gemäß § 270a, § 274 Abs. 2 Satz 2, § 20 Abs. 3 InsO ist der Schuldner insbesondere verpflichtet,
die Betretung seiner Geschäftsräume durch den vorläufigen Sachwalter sowie dessen Nachforschungen zu dulden,
dem vorläufigen Sachwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten, und
ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen.
Den Schuldner trifft damit eine umfassende Informations- und Unterstützungspflicht 58 gegenüber dem vorläufigen Sachwalter. Der Schuldner ist letztlich – auch ohne entsprechende Nachfrage des vorläufigen Sachwalters – verpflichtet, den vorläufigen Sachwalter jeweils über die aktuelle Geschäftslage, über die künftig zu prognostizierende Geschäftslage und über wesentliche Änderungen der Geschäftslage zu informieren. ___________ 51) Pape, in: KPB, § 275 Rz. 22; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15. 52) Die höchstrichterliche Rspr. zur Nichtigkeit insolvenzzweckwidriger Geschäfte des Insolvenzverwalters, die auf Geschäfte des eigenverwaltenden Schuldners im eröffneten Verfahren anwendbar ist (so z. B. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15; OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZIP 2016, 1649, 1650, dazu EWiR 2016, 639 (Stahlschmidt/Schmitt)), lässt sich nach Auffassung des Verfassers nicht uneingeschränkt auf Geschäfte im Eröffnungsverfahren übertragen. Insbesondere ist das Schuldnervermögen im Eröffnungsverfahren gerade noch nicht in Gestalt des Insolvenzbeschlags haftungsrechtlich den Gläubigern zugewiesen. Eine Nichtigkeit nach allg. Grundsätzen wegen kollusiven Zusammenwirkens kommt freilich in Betracht. Etwas anderes dürfte nach Auffassung des Verfassers dann gelten, wenn das Gericht dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO bestimmte Pflichten bzw. Aufgaben auferlegt und Handlungen des Schuldners dem Zweck dieser gerichtlichen Aufgabenbestimmung offensichtlich zuwiderlaufen.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
59 Die gemäß § 22 Abs. 3, § 98 InsO mögliche zwangsweise Durchsetzung der Pflichten des Schuldners dürfte in der Praxis bereits deshalb kaum relevant sein, weil im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung der Schuldner im Hinblick auf die noch nicht getroffene gerichtliche Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag vorbehaltlos kooperieren dürfte; sollte dies nicht der Fall sein, hat das Insolvenzgericht – ggf. neben der Anordnung von Zwangsmaßnahmen – die Notwendigkeit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters an Stelle des vorläufigen Sachwalters zu prüfen, um nachteilige Veränderungen des Schuldnervermögens zu verhindern. 60 Für die Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung empfiehlt sich zur reibungslosen und transparenten Aufsicht über die Betriebsfortführung, dass der vorläufige Sachwalter nach seiner Bestellung festlegt bzw. mit dem Schuldner abstimmt, über welche Vorgänge er zu welchem Zeitpunkt unterrichtet werden soll und welche Unterlagen ihm jeweils vorgelegt werden sollen. Im Einzelnen sollten insbesondere folgende Punkte abgestimmt bzw. festgelegt werden:
Art der beabsichtigten Geschäfte i. R. des gewöhnlichen Geschäftsgangs, über die der vorläufige Sachwalter – möglichst rechtzeitig – im Voraus informiert werden will, um ggf. entsprechend § 275 Abs. 2 Satz 2 InsO widersprechen zu können;53) hierbei bietet sich i. d. R. das betragsmäßige Auftragsvolumen des abzuschließenden Geschäfts als Abgrenzungskriterium an;
Art und Umfang der Geschäfte, die der Schuldner ohne vorherige Information des Sachwalters eingehen kann;
Unterlagen, die dem vorläufigen Sachwalter regelmäßig – z. B. täglich, wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich – vorzulegen sind; hierzu dürften insbesondere Kontoauszüge, Liquiditäts-, Ertrags- und Finanzplanung, betriebswirtschaftliche Auswertungen, Auftragseingänge u. Ä. gehören.
61 Insoweit bietet sich aus Sicht des Verfassers auch an, den Umfang der genehmigten Geschäfte ggf. anhand der Liquiditätsplanung im Vorfeld zukunftsorientiert abzustimmen, so dass die insoweit geplanten Geschäfte – insbesondere im Bereich der Material- und Dienstleistungsbeschaffung – i. R. der Planung bereits vom vorläufigen Sachwalter geprüft und sodann freigegeben werden. 3.5
Konten-/Kassenführungsrecht entsprechend § 275 Abs. 2 InsO
62 Das in § 275 Abs. 2 InsO geregelte Konten- und Kassenführungsrecht ist in der Praxis der Eigenverwaltung eines der wesentlichen Instrumente zur Aufsicht über den Schuldner einerseits und zur Erlangung des Vertrauens der Verfahrensbeteiligten andererseits.54) Gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO kann auch der vorläufige Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur von ihm geleistet werden. 3.5.1 Bedeutung der Kassenführung in der vorläufigen Eigenverwaltung 63 Der Übernahme des Zahlungsverkehrs gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung kommt nach Einschätzung des Verfassers i. d. R. deutlich höhere Bedeutung zu als im Fall der Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren. Zum einen werden die Verfahrensbeteiligten – insbesondere diejenigen, die nicht ohnehin in die Vorbereitung der Verfahrenseinleitung einbezogen wurden – den Sanierungsbemühungen des Schuldners und der Aufsicht durch einen unabhängigen vorläufigen Sachwal___________ 53) So auch Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 11. 54) Riggert, in: Braun, InsO, § 275 Rz. 14.
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Vorläufige Eigenverwaltung
ter höheres Vertrauen entgegenbringen, wenn der vorläufige Sachwalter tatsächlich das Barvermögen des Schuldners verwaltet und sichert. Zum anderen kommt dem Kassenführungsrecht des vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren auch deswegen erhebliche Bedeutung zu, weil der vorläufige Sachwalter ggf. auch ein eigenes Ermessen im Zusammenhang mit der Leistung von Zahlungen hat, während der Sachwalter im eröffneten Verfahren faktisch nur Zahlstelle des Schuldners ist (hierzu sogleich). Indes darf der von der Inanspruchnahme des Kassenführungsrechts ausgehende Schutz nicht 64 überschätzt werden, da die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO – gleich, ob im Eröffnungs- oder im Insolvenzverfahren – im Außenverhältnis nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners in diesem Bereich beseitigt.55) 3.5.2 Inanspruchnahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter Wie auch im Fall der Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren56) steht die Über- 65 nahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO im pflichtgemäßen Ermessen des vorläufigen Sachwalters. Da die Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter gerade auch dem Gewinn des Vertrauens der Gläubiger dienlich sein soll, ist ein konkreter Grund i. S. einer Besorgnis des Missbrauchs der Kassenführung durch den Schuldner nicht erforderlich.57) Die Übernahme des Zahlungsverkehrs selbst erfolgt durch Erklärung des vorläufigen Sachwalters gegenüber dem Schuldner. Eine gerichtliche Anordnung der Übernahme des Zahlungsverkehrs gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO sieht die InsO demgegenüber weder für das Eröffnungsverfahren noch für das eröffnete Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung vor.58) Übernimmt der vorläufige Sachwalter gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO die 66 Kassenführung, so hat dies keine Auswirkungen auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners; insbesondere geht gerade nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis oder die Befugnis zur Einziehung von Forderungen auf den vorläufigen Sachwalter über. Vielmehr ist der vorläufige Sachwalter im Bereich des Zahlungsverkehrs letztlich gesetzlicher Vertreter des Schuldners,59) der indes selbst auch weiterhin wirksam im Außenverhältnis handeln kann. Ob der vorläufige Sachwalter vom Schuldner die Kassenführung beansprucht, wird in der 67 Praxis vom jeweiligen Einzelfall und letztlich auch von den agierenden Personen abhängen. Oftmals erweist es sich nach den Erfahrungen des Verfassers als ausreichend, wenn der vorläufige Sachwalter mit dem Schuldner und dessen insolvenzrechtlichen Beratern – sozusagen als milderes Mittel – eine interne Einbindung in den Zahlungsverkehr verabredet. In derartigen Fällen wird der Schuldner seinen gesamten Zahlungsverkehr oder ggf. nur (wesentliche) Teile hiervon dem vorläufigen Sachwalter jeweils zur Freigabe zuleiten. Nach teils vertretener Auffassung soll hierin bereits ein Fall der Kassenführung i. S. von § 275 Abs. 2 InsO zu sehen sein.60)
___________ 55) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 6; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 20; Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552. 56) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 5. 57) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 18. 58) Ebenso Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 551; anders wohl Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 34, der indes in der Übernahme der Konten- und Kassenführung keine Aufsichts-, sondern eine Sicherungsmaßnahme sieht. 59) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 6; anders Undritz/Schur, ZIP 2016, 549. 60) Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552 f., sehen hierin eine „verdeckte“ Übernahme der Kassenführung.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
3.5.3 Leistung von Zahlungen nach pflichtgemäßem Ermessen des vorläufigen Sachwalters 68 Da der eigenverwaltende Schuldner im eröffneten Insolvenzverfahren durch seine Handlungen Masseverbindlichkeiten begründet, ist der (endgültige) Sachwalter, der die Kassenführung beansprucht hat, ggf. vorbehaltlich einer etwaigen Masseunzulänglichkeit zur Zahlung aus der von ihm verwahrten Barmasse verpflichtet (siehe § 12 Rz. 55).61) Demgegenüber begründet der Schuldner im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung – abgesehen von Einzelermächtigungen und Anordnungen gemäß § 270b Abs. 3 InsO – grundsätzlich eben keine Masseverbindlichkeiten.62) Der vorläufige Sachwalter kann nach hier vertretener Auffassung sein Kassenführungsrecht daher letztlich nach ähnlichen Gesichtspunkten ausüben wie der sog. schwache vorläufige Insolvenzverwalter; der vorläufige Sachwalter handelt insoweit i. R. des von ihm wahrgenommenen Kassenführungsrechts gemäß §§ 270a, 275 Abs. 2 InsO ausschließlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Er wird sich hierbei ausschließlich von der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs und der Sanierungsmöglichkeiten einerseits und der Sicherung des Schuldnervermögens andererseits leiten lassen. Dieser Maßstab sollte i. Ü. auch im Fall der Nichtübernahme des Zahlungsverkehrs durch den vorläufigen Sachwalter vom Schuldner eingehalten werden, um eine Masseschmälerung zu verhindern. Im Einzelnen bedeutet dies: 69 Eine Bezahlung von Altverbindlichkeiten, d. h. von solchen Verpflichtungen des Schuldnerunternehmens, die Zeiträume vor Bestellung des vorläufigen Sachwalters betreffen, wird in aller Regel nicht in Betracht kommen, es sei denn, die beglichene Forderung ist derart am Schuldnervermögen besichert, z. B. durch einen Eigentumsvorbehalt, dass durch die Zahlung das entsprechende Vermögen letztlich frei wird. In anderen Fällen liefe die Begleichung von Altverbindlichkeiten dem von § 1 Satz 1 InsO normierten verfahrensleitenden Grundsatz der par conditio creditorum zuwider. Leistet der vorläufige Sachwalter gleichwohl entsprechende Zahlungen, so verletzt er seine Pflichten und setzt sich zudem – bei vorsätzlichem Handeln – des Verdachts einer Untreuestrafbarkeit (§ 266 StGB) aus. Ausnahmsweise ist die Begleichung von Altverbindlichkeiten dann zulässig, wenn ein Geschäftspartner des Schuldners seine weitere Leistungserbringung von der Bezahlung der noch offenen Rechnungen abhängig macht und die Bezahlung der Altverbindlichkeiten vor diesem Hintergrund zur Aufrechterhaltung des Schuldnerunternehmens unerlässlich erscheint.63) 70 Lieferungen und Leistungen an das Schuldnerunternehmen während der vorläufigen Eigenverwaltung wird der vorläufige Sachwalter in der Regel i. R. seines Ermessens bezahlen. Dies gilt insbesondere für solche Verpflichtungen, die der Schuldner in Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter eingegangen ist und die somit einer Prüfung der Angemessenheit durch den unabhängig im Gläubigerinteresse tätigen vorläufigen Sachwalter standgehalten haben. Vom Schuldner unabgestimmt bzw. eigenmächtig eingegangene Verpflichtungen wird der vorläufige Sachwalter indes nur dann begleichen, wenn er sie für angemessen hält. Die Übernahme des Zahlungsverkehrs gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO dient gerade insoweit der Intensivierung der Aufsicht über das insolvente Unternehmen und wird den Schuldner dazu veranlassen, nur solche Verpflichtungen zu begründen, die dem Umfang nach grundsätzlich mit dem vorläufigen Sachwalter abgestimmt sind. ___________ 61) Zutreffend weisen Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 556 f., darauf hin, dass der (vorläufige) Sachwalter die Ausführung einer Zahlung zurückweisen darf (und muss), sofern diese offensichtlich dem Insolvenzweck zuwiderläuft. 62) Anders insoweit nur AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899, 900, das den Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO aus eigener Rechtsmacht als zur Begründung von Masseverbindlichkeiten berechtigt ansieht. 63) Zur Anfechtbarkeit der in diesen Fällen geleisteten Zahlungen vgl. BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431, dazu EWiR 2006, 349 (Homann), sowie unten Rz. 161 ff.
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Vorläufige Eigenverwaltung
Hinsichtlich der Begleichung der laufenden Entgeltforderungen aus Nutzungsüberlas- 71 sungsverhältnissen steht dem vorläufigen Sachwalter nach hier vertretener Auffassung ein gewisser Einschätzungsspielraum im Einzelfall zu, da der Vertragspartner seine Gegenleistung letztlich auch für den Fall der Nichtbezahlung nicht einsichtig zurückhalten kann. Insbesondere hat der vorläufige Sachwalter hierbei jedoch zu beachten, dass der Bestand für die Betriebsfortführung wichtiger Vertragsbeziehungen, z. B. zu Vermietern oder Leasinggebern, nicht gefährdet wird. Der vorläufige Sachwalter wird daher regelmäßig gehalten sein, Mieten bzw. Leasingraten jedenfalls insoweit zu begleichen, als anderenfalls – auch unter Berücksichtigung von § 112 InsO – ein Kündigungsrecht des Vermieters oder Leasinggebers entstünde.64) 3.5.4 Modifizierte Kassenführung durch vorläufigen Sachwalter bei mittleren und größeren Unternehmen Während bei kleineren Unternehmen die Übernahme des gesamten Zahlungsverkehrs durch 72 den vorläufigen Sachwalter durchaus sinnvoll und auch im Hinblick auf die alltägliche Abwicklung machbar erscheint, stellt die Abwicklung des Zahlungsverkehrs mittlerer und größerer Unternehmen Schuldner und vorläufigen Sachwalter vor organisatorische Herausforderungen.65) Will der vorläufige Sachwalter – auch unter Berücksichtigung weiterer, die Fortführung begleitender Mitarbeiter aus seiner Kanzlei – nicht nur ihm vom Schuldner vorgelegte Zahlungslisten „abnicken“, so wird die entsprechende Prüfung zu zeitlichen Verzögerungen führen, was wiederum für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens zum Problem werden kann. Indes lässt § 275 Abs. 2 InsO den Beteiligten auch Raum zu modifizierten Lösungen. Nach Auffassung des Verfassers empfiehlt sich daher in der Praxis – gerade bei Fortfüh- 73 rung mittlerer und größerer Unternehmen – folgende zwischen dem vorläufigen Sachwalter und dem Schuldner abzustimmende Vorgehensweise der Konten- und Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO:66) Der vorläufige Sachwalter verlangt vom Schuldner, dass eingehende Gelder – soweit es sich nicht um Barzahlungen handelt – ausschließlich von ihm entgegengenommen werden dürfen. Insbesondere für Zwecke des Forderungseinzugs ist in diesem Fall vom Schuldner ausschließlich das Anderkonto des vorläufigen Sachwalters zu nutzen. Zudem verlangt der vorläufige Sachwalter vom Schuldner bzw. vereinbart mit ihm, dass Zahlungen ab einer bestimmten Größenordnung im Einzelfall oder ab einem bestimmten täglichen/wöchentlichen Volumen nur vom vorläufigen Sachwalter bzw. nach vorheriger Freigabe durch den vorläufigen Sachwalter geleistet werden. Im Übrigen belässt der vorläufige Sachwalter dem Schuldner die Konten- und Kassenführung und stattet ihn entsprechend der Liquiditätsplanung und -lage mit entsprechenden Beträgen aus, über welche der Schuldner auf eigenen Konten verfügt. Insoweit stimmen Schuldner und vorläufiger Sachwalter den Umfang der zugelassenen Zahlungen im Vorfeld in allgemeiner Art, insbesondere unter insolvenzrechtlichen Wertungen ab, wobei die Ausführungen zum Ermessen bei Zahlungen durch den vorläufigen Sachwalter Anwendung finden können (siehe auch Rz. 67 ff.). Den entsprechenden Zahlungsverkehr kontrolliert der vorläufige Sachwalter (nachträglich) i. R. der Prüfung der ihm vorzulegenden laufenden Buchhaltung. Zudem kommt auch hinsichtlich des dem Schuldner belassenen Zahlungsverkehrs eine interne Einbindung des vorläufigen Sachwalters in Betracht (siehe hierzu bereits Rz. 67). ___________ 64) Vgl. hierzu auch Sinz/Hiebert, ZInsO 2011, 798, 799 f. 65) Ähnl. Riggert, in: Braun, InsO, § 275 Rz. 15. 66) Ebenso inzwischen Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
74 Die vorgeschlagene, mit dem Schuldner abzustimmende bzw. vom vorläufigen Sachwalter festzulegende Vorgehensweise bietet den Vorteil, dass einerseits der Schuldner im Tagesgeschäft im Wesentlichen frei und ohne Zeitverlust agieren und andererseits trotzdem der vorläufige Sachwalter das Barvermögen des Schuldners weitestgehend sichern kann. Zudem lassen sich die Abläufe der Abstimmung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter auf diese Weise effizient und praktikabel gestalten. 75 Risiken birgt die vorgeschlagene modifizierte Kassenführung demgegenüber in zweierlei Hinsicht, wobei diese Risiken ggf. auch folgendermaßen minimiert werden können: 76 Zum einen kann naturgemäß nicht ausgeschlossen werden, dass der Schuldner entgegen der mit dem vorläufigen Sachwalter erfolgten Abstimmung auch Zahlungen leistet, die im Widerspruch zu den Gläubigerinteressen stehen. Dies betrifft z. B. masseschmälernde Zahlungen auf Altverbindlichkeiten. Indes sollte dieses Risiko bereits angesichts der Kooperation zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter und der stets erforderlichen insolvenzrechtlichen Beratung des Schuldners nur theoretischer Art sein; zudem werden entsprechende Zahlungen – Kenntnis des Zahlungsempfängers vom Insolvenzantrag vorausgesetzt – im eröffneten Insolvenzverfahren auch der Kongruenzanfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen. 77 Zum anderen besteht für Empfänger der vom Schuldner geleisteten Zahlungen selbst dann das Risiko der Anfechtbarkeit gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn sich der Schuldner hierbei an die mit dem vorläufigen Sachwalter getroffenen Absprachen gehalten hat (siehe hierzu noch eingehender Rz. 161 ff.). Insoweit besteht letztlich insbesondere Rechtsunsicherheit dahingehend, dass zur Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen des Schuldners unter der Aufsicht des vorläufigen Sachwalters noch keine (höchstrichterliche) Rechtsprechung vorliegt. Eine Anfechtbarkeit lässt sich letztlich nur dann vollends ausschließen, wenn die Grenzen unanfechtbarer Bargeschäfte i. S. von § 142 InsO gewahrt bleiben oder wenn eine Zahlung auf eine Masseverbindlichkeit erfolgt. 3.6
Beratende Begleitung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Sachwalter
78 Die gesetzlich normierten Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters beziehen sich letztlich ausschließlich auf die Aufsicht über den Schuldner. Würde sich der vorläufige Sachwalter dabei auf eine nachlaufende Kontrolle der Handlungen des eigenverwaltenden Schuldners beschränken, so gewährleistete dies keinen angemessenen Schutz der Gläubigerinteressen. Der vorläufige Sachwalter darf sich daher nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht darauf beschränken, vom eigenverwaltenden Schuldner und dessen Beratern vorgelegte und abgeschlossen erarbeitete Konzepte nachträglich zu billigen oder i. R. seiner Überwachungstätigkeit zu verwerfen, da dies dem Sanierungsprozess schwerwiegend schaden würde und mit der Eilbedürftigkeit des Verfahrens unvereinbar wäre.67) Aufgabe des (vorläufigen) Sachwalters ist vielmehr die beratende Begleitung der Eigenverwaltung. Der vorläufige Sachwalter muss sich dazu frühzeitig in die Erarbeitung der Sanierungskonzepte einbinden lassen, damit er rechtzeitig kommunizieren kann, welche Sanierungsmaßnahmen nach seiner Auffassung möglich und gangbar sind.68) Der vorläufige Sachwalter ist insoweit im Interesse der Gläubigergemeinschaft berechtigt und im Ergebnis sogar verpflichtet, Handlungsalternativen aufzuzeigen, wobei es denknotwendig allein dem eigenverwaltenden Schuldner zusteht, diese aufzugreifen und umzusetzen. Gerade die beratende Begleitung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Sachwalter ermöglicht es letztlich, neben dem ___________ 67) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 68) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598.
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Vorläufige Eigenverwaltung
Sanierungs-Know-how der Berater des eigenverwaltenden Schuldners auch das entsprechende Know-how des (vorläufigen) Sachwalters für den Sanierungsprozess nutzbar zu machen. Zur Ermöglichung der laufenden beratenden Begleitung der Eigenverwaltung ist der (vor- 79 läufige) Sachwalter zudem zur Teilnahme an Verhandlungen berechtigt.69) Dies gilt bspw. für Verhandlungen mit Banken70) und anderen Gläubigern, aber gleichermaßen für Verhandlungen mit Investoren i. R. eines M&A-Prozesses. Der vorläufige Sachwalter darf gerade i. R. der für den Verfahrensfortgang wesentlichen Fragen nicht auf eine nur nachlaufende Aufsicht verwiesen werden oder sich auf eine solche beschränken,71) so dass sein Teilnahmerecht an den entsprechenden Gesprächen und Verhandlungen zwingende Voraussetzung dafür ist, dass er seine Aufsichtsfunktion im Interesse der Gläubiger wahrnimmt. In welchem Umfang der vorläufige Sachwalter von seinem Teilnahmerecht Gebrauch macht, liegt letztlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen; hierbei hat er nach hier vertretener Auffassung insbesondere zu Tage tretende Widerstreite zwischen den Interessen der auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners agierenden Personen und den Interessen der Gläubigergesamtheit zu berücksichtigen.72) Die Grenzen der beratenden Begleitung der Eigenverwaltung liegen in der grundlegenden 80 Kompetenzenverteilung i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung, welche dem Schuldner die Geschäftsführung belässt. Der (vorläufige) Sachwalter darf daher in keinem Fall den Sanierungsprozess anstelle des Schuldners und seiner Berater lenken.73) Auch darf er nicht als Vertreter oder Verhandlungsführer des Schuldners auftreten.74) Die begleitende Beratung des vorläufigen Sachwalters darf sich damit im Ergebnis nur auf Felder beziehen, in welchen der eigenverwaltende Schuldner selbst Verhandlungen führt bzw. Konzepte erarbeitet, welche der vorläufige Sachwalter i. R. seiner Aufgaben laufend zu bewerten hat. 3.7
Anzeigepflicht bei Feststellung nachteiliger Umstände (§ 274 Abs. 3 InsO)
Stellt der vorläufige Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass eine Fortsetzung 81 der (vorläufigen) Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so trifft ihn gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 3 InsO eine Anzeigepflicht gegenüber dem Insolvenzgericht und dem vorläufigen Gläubigerausschuss bzw. den Gläubigern. Fälle solcher nachteiligen Umstände können insbesondere sein:
Unkooperatives Verhalten des Schuldners, insbesondere in Gestalt der Verletzung seiner Informations- und Unterstützungspflichten gegenüber dem vorläufigen Sachwalter gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 3 InsO;
___________ 69) 70) 71) 72)
BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. So im Fall des BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. So bereits BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. Handelt es sich bei dem eigenverwalteten Unternehmen bspw. um ein Familienunternehmen und ist i. R. der Eigenverwaltung eine Lösung angestrebt, in welcher die Unternehmerfamilie – ggf. unter Hinzunahme eines Co-Investors – weiterhin maßgeblich am Unternehmen beteiligt bleiben soll, so stehen sich im Einzelfall das Interesse der Unternehmerfamilie am Erhalt ihres Einflusses und an der möglichst niedrigen Ausgestaltung eines finanziellen Sanierungsbeitrags einerseits und das Interesse der Gläubigergemeinschaft an einem bestmöglichen Ergebnis, d. h. an einer hohen Quotenausschüttung, diametral gegenüber. Gerade in derartigen Fällen wird der (vorläufige) Sachwalter dazu verpflichtet sein, sich sehr eng in die Verhandlungen einbinden zu lassen. Ist von Seiten der Eigenverwaltung demgegenüber von vornherein ein ergebnisoffener M&A-Prozess angedacht, der von einem professionellen M&A-Beratungsunternehmen begleitet wird, so kann sich der (vorläufige) Sachwalter auf die Teilnahme an wichtigen Verhandlungsterminen beschränken oder sogar auf eine Teilnahme ganz verzichten, sofern entsprechendes Vertrauen in die agierenden Personen besteht. 73) BGH v. 21.7.2016 – IX ZR 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 74) BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985 und 1986 (auch zur Unzulässigkeit der Übernahme von Verhandlungen mit Betriebsräten durch den vorläufigen Sachwalter).
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Verstoß gegen § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 1 InsO, insbesondere Abschluss außergewöhnlicher Geschäfte ohne Zustimmung oder gewöhnlicher Geschäfte gegen den Widerspruch des vorläufigen Sachwalters;
Verletzung gesetzlicher Pflichten, insbesondere handels- und steuerrechtlicher Buchhaltungs- und Rechnungslegungspflichten;
Feststellung wesentlicher, allgemeiner Geschäftsführungsmängel;
Feststellung der Nichtwahrung von Gläubigerrechten, insbesondere auch im Zusammenhang mit im eröffneten Verfahren als Aus- und Absonderungsrechten zu berücksichtigender Sicherungsrechte (siehe hierzu auch Rz. 36 und 49);
Verfolgung nicht zielführender Sanierungswege oder Vernachlässigung besserer Handlungsalternativen, wobei der vorläufige Sachwalter insoweit zunächst i. R. seiner Verpflichtung zur beratenden Begleitung auf eine Verfolgung gangbarer Wege hinzuwirken hat;
intransparente oder irreführende Information von Gläubigern über verfahrensrelevante Entwicklungen.
82 Bei der Anzeigepflicht handelt es sich letztlich um das „scharfe Schwert“ des (vorläufigen) Sachwalters, das als ultima ratio zum Einsatz kommt. Der vorläufige Sachwalter wird die Anzeigepflicht daher im Wege der Androhung auch dazu einsetzen können und müssen, den Schuldner im Falle bestehender Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der Pflichten des Schuldners, über die Art und Weise der Kooperation zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter oder sonst über die Art und Weise der Verfahrensabwicklung zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. 83 Stellt der vorläufige Sachwalter indes entsprechende Umstände für drohende Nachteile fest, so ist er zur Anzeige verpflichtet. Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, so ist die Anzeige neben dem Insolvenzgericht an den Ausschuss zu richten (vgl. § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO). Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht bestellt, so sind entsprechend § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO alle dem vorläufigen Sachwalter bekannten Gläubiger und Absonderungsberechtigten zu unterrichten. In Ermangelung von Forderungsanmeldungen im Eröffnungsverfahren ist der Kreis der Gläubiger, denen gegenüber im Fall des § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO die Unterrichtung zu erfolgen hat, noch nicht abschließend bekannt. Aus diesem Grund hat nach Auffassung des Verfassers zudem eine öffentliche Bekanntmachung der Anzeige analog § 277 Abs. 3 Satz 1 InsO zu erfolgen, sofern ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht bestellt ist.75) 84 Der Inhalt der Anzeige sollte sich – insbesondere i. R. der Anzeige an das Gericht und den vorläufigen Gläubigerausschuss entsprechend § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO – vom Zweck der Anzeigepflicht leiten lassen, dem Gericht und dem vorläufigen Gläubigerausschuss die Einleitung entsprechender Maßnahmen zu ermöglichen. Reaktionsmöglichkeit des Insolvenzgerichts dürfte im Eröffnungsverfahren insbesondere die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO sein, sofern das Gericht den Eigenverwaltungsantrag aufgrund des angezeigten Sachverhalts entgegen § 270a Abs. 1 InsO nunmehr für offensichtlich aussichtslos hält; ein vorläufiger Gläubigerausschuss sollte insoweit zuvor vom Gericht angehört werden, sofern nicht ein gravierender Fall vorliegt, der Sicherungsmaßnahmen als unaufschiebbar erscheinen lässt. Der vorläufige Gläubigerausschuss wird seinerseits auf Grundlage der Nachteilsanzeige prüfen, welche Handlungsmöglichkeiten er hat. Dabei kommen insbesondere eine Berücksichtigung i. R. der Beschlussfassung nach § 270 ___________ 75) Für eine Zulässigkeit einer entsprechenden Bekanntmachung auch im Fall des eröffneten Verfahrens bei hoher Gläubigerzahl: Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 7 m. w. N.
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Vorläufige Eigenverwaltung
Abs. 3 InsO oder eine eigenständige Anregung von Sicherungsmaßnahmen – z. B. in Gestalt der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder in Gestalt von Verfügungsbeschränkungen gemäß § 21 InsO – in Betracht. Die Anzeige sollte daher unbedingt sämtliche maßgebliche Grundlagen der entsprechenden Einschätzung des vorläufigen Sachwalters enthalten; ggf. sollte der vorläufige Sachwalter auch entsprechende Unterlagen beifügen. Zudem hat der vorläufige Sachwalter natürlich die Möglichkeit Anregungen hinsichtlich angezeigter Maßnahmen an das Insolvenzgericht bzw. den vorläufigen Gläubigerausschuss zu richten. Ist kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, so ist dem vorläufigen Sachwalter ein Spielraum dahingehend einzuräumen, die an die bekannten Gläubiger und Absonderungsberechtigten zu übermittelnde Anzeige verkürzt darzustellen und weitere Informationen bzw. Unterlagen ggf. auf entsprechende Anforderung oder i. R. eines OnlineInformationsdiensts zur Verfügung zu stellen. Auch die analog § 277 Abs. 3 Satz 1 InsO in diesem Fall angezeigte öffentliche Bekanntmachung kann deutlich verkürzt erfolgen; insoweit ist ein Hinweis darauf aufzunehmen, dass die vollständige Anzeige in der Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme der Gläubiger und Absonderungsberechtigten – gegen entsprechenden Berechtigungsnachweis – zur Verfügung steht. 3.8
Vorbereitung eines Insolvenzplans analog § 284 Satz 2 InsO bei Beauftragung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss mit Zustimmung des Schuldners
Das Insolvenzplanverfahren ist Teil des eröffneten Insolvenzverfahrens; ein Planvorlagerecht 85 des Insolvenzverwalters besteht daher im Regelinsolvenzverfahren gemäß § 218 Satz 1 InsO erst nach Verfahrenseröffnung; eine Planvorlage durch den vorläufigen Insolvenzverwalter scheidet demgegenüber aus.76) Indes sehen die Regelungen der §§ 218 Satz 2 und 270b InsO vor, dass der Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren einen Insolvenzplan vorlegen bzw. vorbereiten kann. Auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter ist anerkannt, dass er berechtigt ist, vorbereitende Maßnahmen zur frühzeitigen Vorlage eines Insolvenzplans nach Verfahrenseröffnung zu ergreifen.77) Der rechtzeitigen Erstellung und Vorlage des Insolvenzplans kann insoweit im Einzelfall erhebliche Bedeutung zukommen, insbesondere wenn die langfristige Fortführung und Sanierung des Unternehmens erheblichen Liquiditätsbedarf auslöst, der erst über einen Investor i. R. eines Insolvenzplans gedeckt werden kann. Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung ist insoweit auf Grundlage der Kompeten- 86 zenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter originär der Schuldner zur Vorbereitung eines Insolvenzplans berufen, sofern dessen frühzeitige Vorlage im konkreten Fall erforderlich erscheint. Der vorläufige Sachwalter ist hierzu demgegenüber nicht berechtigt, zumal auch der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren kein originäres Planvorlagerecht hat.78) Nur ausnahmsweise kann der vorläufige Sachwalter durch Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses analog § 284 Satz 2 InsO mit der Vorbereitung eines Insolvenzplans beauftragt werden, wobei hierzu die Zustimmung des Schuldners erforderlich ist, da dessen originäre Rechte andernfalls beeinträchtigt würden.79) Sofern im betreffenden Verfahren kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist, kommt nach hier vertretener Auffassung eine Beauftragung des vorläufigen Sachwalters mit der Vorbereitung eines Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht in Betracht, sofern dies i. S. von § 21 InsO zur
___________ 76) Beck/Pechartschek, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 20. 77) Beck/Pechartschek, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 20; ebenso Hofmann, in: Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 22. 78) Ebenso BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. 79) So BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Sicherung der Gläubigerinteressen erforderlich erscheint;80) auch ein derartiger Auftrag ist nur mit Zustimmung des Schuldners zulässig.81) 3.9
Haftung des vorläufigen Sachwalters
87 Für die Haftung des vorläufigen Sachwalters gilt gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO die Haftungsnorm des § 60 InsO. Der vorläufige Sachwalter haftet demnach gegenüber sämtlichen Beteiligten für die Erfüllung der ihm nach der InsO obliegenden Pflichten. Er hat entsprechend § 60 Satz 2 InsO für die Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters einzustehen. 88 Maßgebliche Pflichten, deren Verletzung eine Haftung des vorläufigen Sachwalters auslösen kann, sind dessen Aufsichtspflicht entsprechend § 274 Abs. 2 InsO einschließlich seiner Pflicht zur beratenden Begleitung der Eigenverwaltung sowie die Pflicht zur Anzeige nachteiliger Umstände entsprechend § 274 Abs. 3 InsO. Insbesondere das pflichtwidrige Unterlassen der Anzeige entsprechend § 274 Abs. 3 InsO birgt erhebliche Haftungsrisiken.82) Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass der vorläufige Sachwalter – wie auch der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren – letztlich mittelbar für Verfehlungen des Schuldners zur Verantwortung gezogen werden kann, soweit diese im Fall pflichtgemäßen Verhaltens des vorläufigen Sachwalters verhindert worden wären. Der Frage der haftungsausfüllenden Kausalität kommt hierbei im jeweiligen Einzelfall naturgemäß erhebliche Bedeutung zu. 89 Soweit im Falle angeordneter Zustimmungsvorbehalte (siehe hierzu Rz. 108 ff.) der Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters Masseverbindlichkeiten begründet, trifft den vorläufigen Sachwalter zudem analog § 61 InsO eine Haftung im Fall der Nichterfüllung der Masseverbindlichkeit. Der Haftungsmaßstab ist in diesem Fall dahingehend angepasst, dass sich der vorläufige Sachwalter durch eine Finanz- und Liquiditätsplanung des Schuldners exkulpieren kann, soweit diese eine Erfüllbarkeit der entsprechenden Forderung bei Fälligkeit ausgehend vom Zeitpunkt seiner Zustimmung belegt und er die Planung i. R. seiner Aufsichtspflichten entsprechend § 274 Abs. 2 InsO sorgfaltsgemäß überwacht hat.83) Zugleich hat indes die Liquiditätsplanung auch das Risiko einer Masseunzulänglichkeit auszuschließen, da andernfalls ein Ausfall später fälliger Masseverbindlichkeiten ja bereits absehbar wäre.84) 90 Soweit der vorläufige Sachwalter lediglich im Innenverhältnis entsprechend § 275 Abs. 2 InsO der Begründung einer Masseverbindlichkeit zugestimmt hat, trifft ihn demgegenüber keine Haftung analog § 61 InsO.85) Hat er seine Zustimmung indes pflichtwidrig erteilt bzw. pflichtwidrig der Begründung einer Masseverbindlichkeit nicht widersprochen, so haftet er bereits gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 60 InsO für den insoweit der Gläubigergesamtheit entstehenden Schaden. 91 Abgesehen von der insolvenzrechtlichen Haftung der §§ 60, 61 InsO wird der vorläufige Sachwalter stets auch zu beachten haben, dass persönliche Zahlungszusagen oder Zahlungsgarantien, die er gegenüber Lieferanten erteilt, ggf. eine persönliche, verschuldensunabhängige Haftung im Fall der späteren Nichterfüllbarkeit begründen können.86) Zahlungszusagen sollten daher i. d. R. vermieden werden. ___________ 80) 81) 82) 83) 84) 85)
Offengelassen vom BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. Vgl. BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. Vgl. hierzu bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 135. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 39 und § 277 Rz. 23. Bäuerle/Schneider, in: Braun, InsO, § 55 Rz. 79 (für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter). Ebenso bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 136; a. A. Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 688 ff. (Haftung analog § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO). 86) So z. B. OLG Celle v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89, dazu EWiR 2004, 445 (Undritz); Wallner/ Neuenhahn, NZI 2004, 63 ff.
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M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Übernimmt der vorläufige Sachwalter i. R. der Konten- und Kassenführung gemäß § 270a 92 Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO den Zahlungsverkehr, so wird er insoweit – wie bereits oben (siehe Rz. 66) dargestellt – (weiterer) gesetzlicher Vertreter des Schuldners. Für den vorläufigen Sachwalter gehen hiermit erhebliche zusätzliche Haftungsrisiken einher, da er i. R. des Zahlungsverkehrs sich auch der Haftung gesetzlicher Vertreter ausgesetzt sieht. Dies gilt insbesondere für die abgabenrechtliche Haftung gemäß §§ 69, 35 AO, die den vorläufigen Sachwalter als Verfügungsberechtigten i. S. von § 35 AO im Fall der pflichtwidrigen Nichtzahlung auf fällige Steuern trifft.87) 3.10 Vergütung des vorläufigen Sachwalters Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters hat i. R. des ESUG und auch seither keine eigen- 93 ständige Regelung in der InsVV erfahren. Unabhängig hiervon hat auch der vorläufige Sachwalter gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 InsO Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen.88) Angesichts der unterbliebenen Regelung in der InsVV waren Art und Weise der Berech- 94 nung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters, insbesondere die Höhe des Regelsatzes, die Berechnungsgrundlage und auch die Zuschlagsfähigkeit der Vergütung in Rechtsprechung und Literatur bis zur Klärung durch den BGH durch Beschluss vom 21.7.201689) höchst streitig.90) Zwischenzeitlich hat der IX. Zivilsenats die wesentlichen Fragen für die Praxis geklärt. Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters richtet sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung demnach grundsätzlich nach dem Vergütungsanspruch des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren, somit nach § 12 InsVV; Hintergrund ist, dass sich die Aufgaben des vorläufigen Sachwalters weitestgehend mit denjenigen des endgültigen Sachwalters decken, so dass auch eine an dessen Vergütung angelehnte Vergütung sachgerecht erscheint.91) Angesichts der kürzeren Dauer der Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren im Vergleich zu derjenigen des endgültigen Sachwalters und angesichts des geringeren Aufgabenumfangs des vorläufigen Sachwalters beläuft sich der Regelsatz der Vergütung des vorläufigen Sachwalters nach der Grundsatzentscheidung des BGH abweichend von § 12 InsVV auf 25 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters gemäß § 2 InsVV.92) Berechnungsgrundlage ist hierbei die gemäß § 12 InsVV maßgebliche Berechnungsgrund- 95 lage des § 1 InsVV, somit die Insolvenzmasse des eröffneten Insolvenzverfahrens unter Berücksichtigung der Regelungen des § 1 InsVV, ohne dass hiervon Abweichungen wie im Fall des Vergütungsanspruchs des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 bis 3 InsO, § 11 InsVV angezeigt sein sollen.93) Gegenstände, an denen Aus- und Absonderungsrechte bestehen, sind daher in gleicher Weise wie beim endgültigen Insolvenzverwalter zu berücksichtigen,94) d. h. gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV nur i. H. des zur Insolvenzmasse geflossenen Überschusses bzw. Kostenbeitrags.95) Auch Erlöse aus der Re___________ 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95)
Hierzu auch unten Kahlert, § 57 Rz. 2 ff., 32 ff., sowie Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 565. Ebenso im Ergebnis BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592. Vgl. zum Streitstand vor der Entscheidung des BGH z. B. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 584 ff., oder Schur, ZIP 2014, 757 ff. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1595. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1595. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. Eine Berücksichtigung i. H. von bis zu 50 % der zur Masse geflossenen Feststellungskosten gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 InsVV dürfte demgegenüber nur dann in Betracht kommen, wenn Feststellungskosten ausdrücklich vereinbart wurden, da in der Eigenverwaltung pauschale Feststellungskostenbeiträge gemäß § 282 Satz 2 InsO nicht erhoben werden.
M. Hofmann
213
§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
alisierung erst mit Verfahrenseröffnung entstehender Rechte, z. B. aus Anfechtungsansprüchen, sind i. R. der Berechnungsgrundlage – anders als im Fall der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters – mit zu berücksichtigen.96) 96 Sofern das Insolvenzverfahren eröffnet wird und der vorläufige Sachwalter auch zum endgültigen Sachwalter bestellt wird, erfolgt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine gesonderte Festsetzung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters; in diesem Fall besteht vielmehr ein einheitlicher Vergütungsanspruch des Sachwalters, wobei der Regel-Vergütungssatz des § 12 InsVV wegen der vorangegangenen Tätigkeit als vorläufiger Sachwalter von 60 % auf 85 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters zu erhöhen ist.97) Da die Vergütungsfestsetzung somit letztlich erst bei Verfahrensabschluss in Betracht kommt, steht dem vorläufigen Sachwalter das Recht zu, nach Verfahrenseröffnung in analoger Anwendung von § 9 InsVV einen Vorschuss zu beantragen, wobei ein Zeitablauf von sechs Monaten nicht abzuwarten ist.98) Der Vorschuss ist letztlich auf die endgültig festgesetzte Sachwaltervergütung anzurechnen. 97 Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet oder wird der vorläufige Sachwalter nicht zum Sachwalter bestellt, so hat er einen entsprechenden anteiligen Anspruch für seine Tätigkeit.99) Dieser ist gesondert durch Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts festzusetzen,100) wobei die Festsetzung im Fall der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 26a InsO gegen den Schuldner erfolgt.101) 98 Die (anteilige) Vergütung des vorläufigen Sachwalters für dessen Tätigkeit im Eröffnungsverfahren ist durch entsprechende Zuschläge gemäß § 3 Abs. 1 InsVV (i. V. m. § 10 InsVV) an den Umfang des konkreten Verfahrens anzupassen, wenn der Arbeitsaufwand im konkreten Verfahren die gesetzlichen Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters im durchschnittlichen Eigenverwaltungsverfahren übersteigt oder die Verfahrensbearbeitung des (vorläufigen) Sachwalter besonders in Anspruch genommen hat.102) Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nur solche Tätigkeiten eine Vergütung und somit auch einen Zuschlag rechtfertigen können, die dem (vorläufigen) Sachwalter von der InsO, vom Insolvenzgericht oder von den Verfahrensbeteiligten auf Grundlage der InsO übertragen worden sind; nimmt der (vorläufige) Sachwalter Aufgaben in Überschreitung seiner ihm gesetzlich zukommenden Aufgaben wahr, so sind diese nicht zu vergüten.103) Zuschläge hinsichtlich der Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters dürften in der Praxis insbesondere in folgenden Fällen denkbar sein:
aufwändige Überwachung und Begleitung der Betriebsfortführung, wobei ein Zuschlag nur dann in Betracht kommt, wenn der (vorläufige) Sachwalter in überdurchschnittlichem Umfang in Anspruch genommen wird; da es dem durchschnittlichen Eigenverwaltungsverfahren entspricht, dass laufender Geschäftsbetrieb besteht, kommt dann kein Zuschlag in Betracht, wenn der Schuldner in einem durchschnittlichen Verfahren die Überwachung und Kontrolle jederzeit ermöglicht, die Unterlagen und Daten aufbereitet und vollständig zur Verfügung stellt und jederzeit Auskunft gibt;104)
___________ 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104)
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BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. So im Ergebnis letztlich BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596, dazu EWiR 2016, 499, 500 (J. Beck). BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1597. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1597.
M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Übernahme der Kassenführung gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO oder arbeitsintensive interne Einbindung in den Zahlungsverkehr i. R. eines Freigabesystems (siehe oben Rz. 67);
umfangreiche und über das durchschnittliche Maß hinausgehende beratende Begleitung der vorläufigen Eigenverwaltung, z. B. i. R. der Vorbereitung eines Insolvenzplans oder der Begleitung eines M&A-Prozesses, sowie umfangreiche Teilnahme an Verhandlungsterminen;
Konzernstrukturen oder Auslandsbezug, sofern diese zu erhöhtem Überwachungsaufwand führen;105)
erhöhter Überwachungsaufwand angesichts fehlenden insolvenzrechtlichen Know-hows des Schuldners.106)
Keinen Zuschlag rechtfertigen folgende Tätigkeiten, welche nicht zum Aufgabenbereich 99 des (vorläufigen) Sachwalters gehören:
Information von Kunden und Lieferanten;107)
Abhaltung von Mitarbeiterversammlungen sowie Entwerfen und Versenden von Informationsschreiben für Mitarbeiter;108)
Führen von Verhandlungen mit Kreditgebern;109)
eigenständige Entwicklung von Maßnahmen und Strategien, z. B. hinsichtlich der Behandlung von Umsatzsteuer- und Sozialversicherungsbeitragszahlungen;110)
auch die Kommunikation mit den Gläubigern des Verfahrens soll nach einer zur Vergütung des vorläufigen Sachwalters ergangenen Entscheidung des BGH keinen Zuschlag auslösen können, da sie Aufgabe der Eigenverwaltung und nicht des (vorläufigen) Sachwalters sei;111) ob dies in der vom IX. Zivilsenat ausgedrückten Allgemeingültigkeit so zutrifft, erscheint dem Verfasser indes fragwürdig. Gerade in Fällen, in welchen die Gläubiger einer Eigenverwaltung kritisch gegenüberstehen, ist der vorläufige Sachwalter durchaus dazu berufen, unmittelbar mit den Gläubigern des Schuldners in Kontakt zu treten, um insoweit nicht ausschließlich auf die von Seiten des Schuldners erlangten Informationen angewiesen zu sein. Andernfalls bestünde der erste (zulässige) Kontakt des vorläufigen Sachwalters mit den Gläubigern in der Nachteilsanzeige gemäß §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 3 InsO.
Darüber hinaus kommen auch im Fall der Vergütung des vorläufigen Sachwalters Abschläge 100 gemäß § 3 Abs. 2 InsVV in Betracht.112) Sie werden insbesondere in Fällen sehr großer Insolvenzmassen und zugleich geringer Anforderungen an die Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters (vgl. § 3 Abs. 2 lit. d InsVV) oder in Fällen einer sehr kurzen Tätigkeit als vorläufiger Sachwalter in Betracht kommen. Keinen Abschlag rechtfertigt es, wenn auf Seiten des Schuldners insolvenzrechtliche Expertise vorhanden ist, da dies gerade das Leitbild der (vorläufigen) Eigenverwaltung darstellt.113) ___________ 105) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 106) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 591, wobei sich insoweit regelmäßig die Frage stellen wird, ob in derartigen Fällen überhaupt eine vorläufige Eigenverwaltung in Betracht kommt. 107) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 108) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 109) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 110) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 111) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. 112) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. 113) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598 f.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
101 Neben der Vergütung kann der vorläufige Sachwalter gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 InsO die Erstattung angemessener Auslagen beanspruchen. Er kann analog §§ 10, 8 Abs. 3 InsVV anstelle der tatsächlich angefallenen Auslagen eine Auslagenpauschale beanspruchen, wobei sich der monatliche Höchstbetrag der Auslagenpauschale analog § 12 Abs. 3 InsVV auf netto 125 EUR beläuft. 4.
Absehen von verfügungsbeschränkenden Maßnahmen gemäß § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO
102 Parallel zur von § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO vorgesehenen Bestellung eines vorläufigen Sachwalters beschränkt § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO das Insolvenzgericht auch in der Anordnung verfügungsbeschränkender vorläufiger Maßnahmen i. S. von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO. 4.1
Unzulässigkeit von allgemeinen Verfügungsbeschränkungen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO bei Bestellung eines vorläufigen Sachwalters
103 Nach § 270a Satz 1 Nr. 1 InsO soll das Gericht im Eröffnungsverfahren davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen, sofern der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Nach Nr. 2 der genannten Vorschrift soll in diesem Fall auch ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt nicht angeordnet werden. Der Gesetzgeber hat damit Stimmen aus der Literatur114) aufgegriffen, die auch bislang bei nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsanträgen Verfügungsbeschränkungen für unverhältnismäßig und unzulässig hielten, sofern hierdurch der Schuldner aus seinem Unternehmen gedrängt wird. Die nunmehrige Gesetzesfassung konkretisiert daher im Grundsatz lediglich das in § 21 Abs. 1 InsO ohnehin verankerte Verhältnismäßigkeitsgebot.115) 104 Dies gilt insbesondere für die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots, das den Schuldner – völlig im Widerspruch zum Wesen der Eigenverwaltung – von sämtlichen Verfügungen und Entscheidungen ausschließt. Insoweit ist § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO teleologisch sogar dahingehend auszulegen, dass das Gericht unter den Voraussetzungen des § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO nicht nur davon absehen soll, ein allgemeines Verfügungsverbot anzuordnen, sondern dass eine entsprechende Anordnung unzulässig ist.116) 105 Auch die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts soll gemäß § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO im Falle eines nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsantrags unterbleiben. Auch dies erscheint folgerichtig. Insbesondere steht auch ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt im Widerspruch zum Grundverständnis der Eigenverwaltung, die den Schuldner gerade ohne die Mitwirkung des Sachwalters verfügungsbefugt belässt. Wenn aber eine umfassende Beschränkung der Verfügungsmacht des Schuldners im Fall der Eigenverwaltung schon im eröffneten Verfahren gerade nicht vorgesehen ist, erscheint dies im Eröffnungsverfahren erst recht nicht zulässig. 106 Indes lässt § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO offen, ob im Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO die Anordnung eines beschränkten Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO zulässig ist.117) Nach hier vertretener Auf___________ 114) Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 497; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 339. 115) So bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 339. 116) Da es sich bei der Anordnung eines allg. Verfügungsverbots um einen erheblichen Eingriff in die Verfügungsbefugnis des Schuldners handelt, kommt eine entsprechende Anordnung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur in Fällen konkret drohender Vermögensnachteile in Betracht. In entsprechenden Fällen wird eine vorläufige Eigenverwaltung von vornherein nicht in Betracht kommen. 117) Bejahend – indes unter gleichzeitiger analoger Anwendung von § 277 InsO – Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 18 m. w. N.
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Vorläufige Eigenverwaltung
fassung sind derartige beschränkte Zustimmungsvorbehalte – freilich unter Beachtung der grundsätzlichen Kompetenzenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter – bereits auf der Grundlage der Sicherungspflicht des Insolvenzgerichts gemäß § 21 InsO zuzulassen (siehe sogleich Rz. 110 ff.). 4.2
Keine anderweitige Verdrängung des Schuldners aus dem Unternehmen
Über die beiden konkret in § 270a Satz 1 InsO genannten vorläufigen Maßnahmen i. S. von 107 § 21 InsO hinaus soll das Gericht – bei nicht offensichtlich aussichtslosem Eigenverwaltungsantrag – auch sonst jedwede Maßnahme verhindern, die eine Verdrängung des Schuldners bzw. der Leitungsorgane des Schuldners aus dem insolventen Unternehmen zur Folge haben kann, bspw. die Anordnung einer vorläufigen Postsperre gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO (siehe Rz. 215). 4.3
Anordnung besonderer Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO
Wenngleich die Anordnung eines umfassenden Zustimmungsvorbehalts zugunsten des 108 vorläufigen Sachwalters auf Grundlage von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO – wie dargelegt (siehe Rz. 105 f.) – nicht in Betracht kommt, kann gleichwohl in einzelnen Bereichen ein Bedürfnis für eine intensivere Aufsicht über den Schuldner durch den vorläufigen Sachwalter bestehen. 4.3.1 Zustimmungsvorbehalte im eröffneten Verfahren Im eröffneten Verfahren trägt ausschließlich § 277 Abs. 1, 2 InsO einem entsprechenden 109 Bedürfnis Rechnung; demnach muss das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 277 Abs. 1 InsO) oder kann es auf Antrag einzelner Gläubiger (§ 277 Abs. 2 InsO) die Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte des Schuldners anordnen. Während die insolvenzgerichtliche Rechtsprechung118) aus nachvollziehbaren Gründen die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Amts wegen – in analoger Anwendung von § 277 InsO oder § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO – bereits im Eröffnungsbeschluss zulässt, will die wohl h. M. eine Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Amts wegen im eröffneten Insolvenzverfahren nicht zulassen.119) Dies wird insbesondere damit gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber der InsO für Eilfälle gerade die Möglichkeit der Antragstellung einzelner Gläubiger gemäß § 277 Abs. 2 InsO vorgesehen habe, so dass ein Bedürfnis für eine amtswegige Anordnung nicht bestehe.120) 4.3.2 Zulässigkeit von Zustimmungsvorbehalten im Eröffnungsverfahren gemäß § 21 Abs. 1 InsO Auch im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO kann im Einzel- 110 fall ein mit der Situation im eröffneten Verfahren vergleichbares Bedürfnis entsprechender Anordnungen bestehen. Wenngleich der Gesetzgeber § 277 InsO nicht in die Verweisungen des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO aufgenommen hat, liegt insoweit keine Regelungslücke vor, die durch analoge Anwendung von § 277 InsO zu füllen wäre.121) Bereits die in ___________ 118) AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock Borsig AG), ZIP 2002, 1636; AG München v. 14.6.2002 – 1502 IN 879/02 (KirchMedia GmbH & Co. KGaA), n. v.; zust. bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 67 ff. 119) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 277 Rz. 3; Landfermann, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 277 Rz. 4; a. A.: Foltis, in: Wimmer, InsO, § 277 Rz. 2; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 3. 120) Pape, in: KPB, InsO, § 277 Rz. 13. 121) Anders noch in der 2. Aufl., s. § 7 Rz. 103.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
jedem Eröffnungsverfahren zu beachtende Generalklausel des § 21 Abs. 1 InsO gebietet dem Insolvenzgericht jedwede Sicherungsmaßnahme, die zur Sicherung der Vermögenslage des Schuldners im Gläubigerinteresse erforderlich erscheint.122) Die Regelung des § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO schränkt diese in § 21 Abs. 1 InsO normierte Anordnungskompetenz lediglich dahingehend ein, dass das Insolvenzgericht von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots wie auch eines alle Verfügungen des Schuldners erfassenden allgemeinen Zustimmungsvorbehalts absehen soll. Die Anordnung eines – zur Sicherung des Schuldnervermögens i. S. von § 21 Abs. 1 InsO erforderlichen – besonderen Zustimmungsvorbehalts unterbindet § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO weder ausweislich seines Wortlauts noch unter systematischen oder teleologischen Gesichtspunkten, sofern hierdurch nicht das Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung verändert wird. Insoweit wirkt § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO auf die Anordnungskompetenz des Insolvenzgerichts derart ein, dass der Schuldner gerade im Tagesgeschäft weiterhin in eigener Verantwortung handeln können muss. 111 In inhaltlicher Hinsichtlich kommt die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 1 InsO für Rechtsgeschäfte jeglicher Art in Frage. In der Praxis empfehlen sich in Einzelfällen Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO insbesondere zur Verhinderung von Verfügungen über unbewegliches Vermögen und über sonstiges wesentliches Anlagevermögen oder betreffend die Begründung von Masseverbindlichkeiten in bedeutendem Umfang. Einer der Hauptanwendungsfälle eines besonderen Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 1 InsO dürfte in der Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung zwischenzeitlich zudem die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Zahlungen auf Sozialversicherungsbeiträge und Steuerverbindlichkeiten sein.123) 112 Da § 21 Abs. 1 InsO die Vermögenssicherung zur ureigenen Aufgabe des Insolvenzgerichts macht, kann die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts insoweit auf Anregung des Schuldners, auf Anregung des vorläufigen Sachwalters, auf Anregung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, auf Anregung einzelner Gläubiger oder auch von Amts wegen erfolgen. 113 Die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts erfolgt durch insolvenzgerichtlichen Beschluss. Eine obligatorische Anhörung des Schuldners i. S. von § 10 InsO sieht § 21 Abs. 1 InsO zwar nicht vor, gleichwohl sollte das Insolvenzgericht dem Schuldner – letztlich bereits als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG – gerade in Fällen vorläufiger Eigenverwaltung die Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Verzichtbar erscheint dies nur, soweit rechtliches Gehör angesichts akuten Sicherungsbedarfs ausnahmsweise nachträglich erteilt wird oder die Anordnung nicht ohnehin auf einer Anregung des Schuldners beruht. Im Fall der Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts hat zudem eine öffentliche Bekanntmachung der Anordnung analog § 23 Abs. 1 Satz 1 InsO zu erfolgen, um hierdurch die gewünschten Rechtswirkungen analog § 24 InsO, insbesondere die Unwirksamkeit entsprechender, ohne Zustimmung des vorläufigen Sachwalters erfolgter Rechtshandlungen auszulösen.124) Betrifft der Zustimmungsvorbehalt im Grundbuch oder in anderen öffentlichen Registern eingetragene Vermögenswerte, so hat analog § 23 Abs. 3, §§ 32, 33 InsO die Eintragung der Verfügungsbeschränkung im entsprechenden Register zu erfolgen. ___________ 122) So bereits Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1815; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 18; diff. Rattunde/ Stark, Sachwalter, Rz. 500, die ohne nähere Begründung besondere Zustimmungsvorbehalte nur außerhalb eines Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO für zulässig halten. 123) S. hierzu auch Rz. 189 m. w. N. sowie grundlegend AG Düsseldorf v. 10.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389. 124) Ebenso Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 372.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Beschluss zudem – wie auch im Fall des Er- 114 öffnungsbeschlusses (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO) – die Stunde der Anordnung enthalten. Andernfalls dürfte § 27 Abs. 3 InsO analog anzuwenden sein, so dass die Mittagsstunde des Tages, an dem der besondere Zustimmungsvorbehalt angeordnet wurde, als Zeitpunkt der Anordnung gilt. Gegen die Anordnung steht dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO die sofortige 115 Beschwerde zu. Der Beschluss hat daher gemäß § 4 InsO, § 232 ZPO eine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung zu enthalten. Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO entfalten – anders als der gesetzliche 116 (interne) Zustimmungsvorbehalt gemäß § 275 Abs. 1 InsO – Wirkung auch im Außenverhältnis. Ohne die erforderliche Zustimmung des vorläufigen Sachwalters abgeschlossene Rechtsgeschäfte sind daher analog § 24 Abs. 1, § 81 InsO unwirksam. Der gute Glaube an die bestehende unbeschränkte Verfügungsbefugnis des Schuldners ist nur i. R. öffentlicher Register (analog § 81 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO) geschützt. 4.3.3 Praxishinweise Für die Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung empfiehlt sich aus Sicht des Verfassers durch- 117 aus ein offener Umgang aller Verfahrensbeteiligten mit inhaltlich beschränkten Zustimmungsvorbehalten gemäß § 21 Abs. 1 InsO. Dies gilt v. a. im Hinblick darauf, dass die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts das Vertrauen des Gerichts und der Gläubiger in das Verfahren und in die agierenden Personen stärken kann.125) Der Schuldner sollte sich daher letztlich nicht gegen entsprechende, dem Umfang nach angemessene Zustimmungsvorbehalte zur Wehr setzen, sondern vielmehr im Einzelfall aus eigenem Antrieb entsprechende Anordnungen anregen, um insoweit v. a. auf einen angemessenen Umfang von Zustimmungsvorbehalten hinzuwirken. Empfehlenswert kann daher ggf. sogar die Anregung entsprechender Zustimmungsvorbehalte bereits i. R. des Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrags sein. Dem Umfang nach empfiehlt sich insbesondere die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit folgender Rechtsgeschäfte:
Verpflichtungen und Verfügungen über unbewegliches Vermögen und über wesentliche Betriebsgrundlagen, wobei letztere konkret zu benennen sind;
Abschluss von Verträgen, die Zahlungspflichten in verhältnismäßig erheblicher Höhe zur Folge haben, wobei die entsprechende betragsmäßige Grenze konkret zu benennen ist, um das Bestimmtheitserfordernis zu wahren;
Leistung von Zahlungen ab einer bestimmten Höhe.
5.
Begründung von Masseverbindlichkeiten bei vorläufiger Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren
In der insolvenzrechtlichen Praxis besteht bereits im Eröffnungsverfahren – gerade in Fällen 118 von Betriebsfortführungen126) – das Bedürfnis, Verbindlichkeiten zu begründen, die auch nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO aus der Insolvenzmasse befriedigt werden dürfen. Im Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch diesen im Fall der sog. starken vorläufigen Insolvenzverwaltung i. S. von § 22 Abs. 1 InsO bereits gesetzlich geregelt (vgl. § 55 Abs. 2 InsO) bzw. auch in Fällen sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwaltung in ___________ 125) Vgl. auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 371. 126) Vgl. zur Problematik der Sicherung von Lieferanten im Fall der Betriebsfortführung auch Rz. 145 ff.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Gestalt sog. Einzelermächtigungen durch die Rechtsprechung zugelassen.127) Demgegenüber ist die Frage der Zulässigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO – gerade außerhalb des Schutzschirmverfahrens, für das diese Frage in § 270b Abs. 3 InsO eine teilweise Regelung erfahren hat – Gegenstand divergierender insolvenzgerichtlicher Entscheidungen und eines höchst praxisrelevanten Meinungsstreits.128) 5.1
Keine Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den vorläufigen Sachwalter
119 Im Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO beschränkt sich dessen Aufgabenkreis entsprechend §§ 274, 275 InsO in der Aufsicht über den Schuldner, in der Mitwirkung an dessen Rechtshandlungen und in der beratenden Begleitung der Eigenverwaltung. Eigene Verfügungsmacht bzw. Teilhabe an der Verfügungsmacht des Schuldners hat der vorläufige Sachwalter allenfalls i. R. von Zustimmungsvorbehalten, die das Insolvenzgericht anordnet. Zutreffend ist der (vorläufige) Sachwalter somit nicht berechtigt, als Vertreter oder als Verhandlungsführer des Schuldners aufzutreten;129) erst recht darf er keine Verpflichtungen für den Schuldner eingehen. 120 Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters schließt somit auch unter systematischen Gesichtspunkten von vornherein aus, dass der vorläufige Sachwalter aus eigenem Recht oder auch kraft den Schuldner insoweit verdrängender gerichtlicher Ermächtigung130) Verpflichtungen zulasten der künftigen Insolvenzmasse oder zulasten des Schuldners begründet. Dies bestätigt auch ein Blick auf das Amt des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren, der – abgesehen von seinem Aufgabenbereich gemäß § 280 InsO – ebenfalls keine Verpflichtungen zulasten der Insolvenzmasse begründen kann. Die Rechtsmacht des vorläufigen Sachwalters kann über diese Stellung des endgültigen Sachwalters nicht hinausgehen, so dass seine Rechtsstellung die Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht umfassen kann und auch nicht durch gerichtliche Anordnung hierauf erweitert werden kann.131) 5.2
Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten
121 Demgegenüber kann auch der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung – gleich, ob in einem Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO oder in „einfacher“ vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO – nicht aus eigener Rechtsmacht Masseverbindlichkeiten begründen. Der insoweit vereinzelt vertretenen a. A.132) stehen erhebliche systematische Bedenken entgegen, da der Schuldner – gerade ohne eine entsprechende gesetzliche oder gerichtliche Ermächtigung – noch vor Verfahrenseröffnung eine Rechtsmacht er___________ 127) Zur Zulässigkeit von Einzelermächtigungen im Fall der Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt). 128) Vgl. zum Streitstand und zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen Auffassungen auch eingehend Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 379 ff. 129) So ausdrücklich BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 130) So aber eine vereinzelt gebliebene Entscheidung des AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu (abl.) EWiR 2012, 361 (Zipperer). 131) A. A. AG Hamburg. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu (abl.) EWiR 2012, 361 (Zipperer). 132) AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899, 900; AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZInsO 2015, 1112 f. = ZIP 2015, 1843, dazu EWiR 2015, 679 (Kraus); ebenso im Ergebnis Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 869, sowie wohl auch Frind, ZInsO 2012, 1099, 1101 f., die jeweils eine gesetzliche Befugnis des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten aus der entsprechenden Anwendung des § 275 Abs. 1 InsO über § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO ableiten wollen, insoweit jedoch nach hier vertretener Auffassung auch den Regelungsgehalt des § 275 Abs. 1 InsO verkennen.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
langen würde, wie sie sonst lediglich auf Grundlage der Verfahrenseröffnung ein Insolvenzverwalter oder der Schuldner bei angeordneter Eigenverwaltung hätte.133) Nach zutreffender h. M. kann das Insolvenzgericht den Schuldner durch Beschluss i. R. einer 122 sog. Einzelermächtigung ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen.134) Die Ermächtigung kann insoweit auch über eine Einzelermächtigung hinaus nicht nur die Begründung im Beschluss bestimmter Masseverbindlichkeiten ermöglichen, sondern letztlich auch als „starke“ vorläufige Eigenverwaltung i. S. einer umfassenden Ermächtigung ausgestaltet sein.135) Die Zulässigkeit derartiger Ermächtigungen setzt der Gesetzgeber in seiner Begründung 123 zu § 270b Abs. 3 InsO voraus.136) Unabhängig hiervon folgt die Zulässigkeit entsprechender Ermächtigungen bereits aus § 21 Abs. 1 InsO und aus einem Vergleich zur Anordnung vorläufiger Insolvenzverwaltung: Erweist sich die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Fall beantragter Eigenverwaltung als zur Sicherung des Schuldnervermögens und der Betriebsfortführung erforderlich i. S. von § 21 Abs. 1 InsO, so muss das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 InsO die Möglichkeit haben, die hierzu erforderliche Ermächtigung des Schuldners anzuordnen.137) Andernfalls hätte das Insolvenzgericht nur die Möglichkeit, einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen und zugleich die Verfügungsbefugnis des Schuldners zu beschränken, was zum einen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und zudem gegen § 270a Abs. 1 InsO verstieße. Hieraus ergibt sich auch, dass entsprechende Ermächtigungen – gleich, ob als Einzelermächtigung oder als umfassende Ermächtigung – nicht nur im Schutzschirmverfahren, sondern in allen Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung zulässig sind. Dieses Ergebnis steht insbesondere auch nicht im Widerspruch zu Wortlaut und ratio des § 270b Abs. 3 InsO, womit eine a. A. wiederum die Unzulässigkeit entsprechender Einzelermächtigungen außerhalb des Schutzschirmverfahrens begründen will.138) § 270b Abs. 3 InsO will dem Schuldner letztlich einen Anspruch auf die Ermächtigung zu einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung vermitteln, was sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift („hat“) wie auch aus der Begründung des Rechtsausschusses139) ergibt.140) Ein darüber hinausgehender Regelungsgehalt i. S. einer Grundlage der Ermächtigung als solcher ist der Vorschrift des § 270b Abs. 3 InsO demgegenüber nicht zu entnehmen.141) Dementsprechend ist mit der h. M. die Zulässigkeit von Einzelermächtigungen in jedem Fall 124 der vorläufigen Eigenverwaltung – d. h. in der „normalen“ vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO wie auch im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO – zu bejahen. ___________ 133) Ebenso Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 383. 134) Hofmann, EWiR 2012, 359; ebenso: AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWiR 2012, 359 (Hofmann); AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender); LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = NZI 2013, 91 (m. zust. Anm. Andres); Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 16; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 21; Pape, ZInsO 2013, 2077, 2080 f.; Buchalik/Kraus, ZInsO 2012, 2330, 2332; Buchalik/Kraus, ZInsO 2013, 815, 816 f.; Zipperer, EWiR 2012, 361. 135) Ebenso Klinck, ZIP 2013, 853, 861. 136) Begr. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 (zu § 270b Abs. 3). 137) Ebenso für § 21 Abs. 1 InsO als Grundlage entsprechender Ermächtigungen: Klinck, ZIP 2013, 853, 859. 138) AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; ebenso Nöll, ZInsO 2013, 745 ff.; ähnl. wohl auch Schelo, ZIP 2012, 712, 714 f. 139) Vgl. Begr. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511, S. 37, wonach es der Rechtsausschuss als notwendig ansieht, den Schuldner im Schutzschirmverfahren dadurch zu unterstützen, dass er auf seinen Antrag hin obligatorisch zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt werden muss und ihm hierdurch die Möglichkeit einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung eröffnet wird. 140) Ebenso Klinck, ZIP 2013, 853, 859, 861. 141) Ebenso Klinck, ZIP 2013, 853, 859, 861.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
125 Im Schutzschirmverfahren besteht insoweit gemäß § 270b Abs. 3 InsO ein Anspruch des Schuldners auf Anordnung der „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung, d. h. auf die insolvenzgerichtliche Anordnung, dass er Masseverbindlichkeiten begründet. Nach zutreffender Auffassung dürfte § 270b Abs. 3 InsO dahingehend auszulegen sein, dass auf Antrag des Schuldners auch entsprechende Einzelermächtigungen anzuordnen sind.142) 126 In materieller Hinsicht hat das Insolvenzgericht vor Anordnung einer (Einzel- oder Global-)Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten deren Erforderlichkeit i. S. von § 21 Abs. 1 InsO zu prüfen.143) Bereits der Schuldner und ggf. auch der vorläufige Sachwalter sind daher gehalten, i. R. entsprechender Anregungsschriftsätze darauf zu achten, dass zu den inhaltlichen Voraussetzungen der Ermächtigung ausreichend vorgetragen ist.144) Letztlich muss die angeregte Ermächtigung – auch unter Berücksichtigung des Interesses der Gläubigergesamtheit an einem Schutz der Insolvenzmasse vor einer Aushöhlung durch überflüssige Masseverbindlichkeiten – erforderlich, aber auch ausreichend sein. Kern der Erforderlichkeitsprüfung des Insolvenzgerichts wird regelmäßig die Notwendigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten zur Sicherung der Betriebsfortführung und der Sanierungschancen sein. Darüber hinaus hat das Gericht auf Grundlage der ihm vorgetragenen Daten auch zu prüfen, ob eine Befriedigung der zu begründenden Masseverbindlichkeiten i. R. der Liquiditätsplanung des insolventen Unternehmens plausibel erscheint.145) Lediglich im Schutzschirmverfahren findet – ausgehend vom Regelungsgehalt des § 270b Abs. 3 InsO – weder eine Erforderlichkeits- noch eine Erfüllbarkeitsprüfung durch das Insolvenzgericht statt. 127 Liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer (Einzel- oder Global-)Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten vor, so erfolgt diese durch Beschluss des Insolvenzgerichts, dessen öffentliche Bekanntmachung im Ermessen des Insolvenzgerichts liegen dürfte. Soll der Schuldner mittels Einzelermächtigung nur in bestimmten Fällen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt werden, so hat das Insolvenzgericht den Umfang der Ermächtigung hinreichend genau zu individualisieren; dem Rechtsverkehr muss ohne Berücksichtigung weiterer Unterlagen oder Umstände möglich sein, zweifelsfrei festzustellen, durch welche Handlungen der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet und durch welche Handlungen er weiterhin Verpflichtungen im Rang von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO eingeht.146) 128 Rechtsfolge der Ermächtigung ist, dass der Schuldner im Umfang der Anordnung Masseverbindlichkeiten begründet. Hierbei steht dem Schuldner kein Wahlrecht dergestalt zu, dass er die Qualität der von ihm begründeten Verpflichtung wählen könnte; vielmehr löst die Ermächtigung in ihrem Geltungsbereich automatisch die Begründung von Verpflichtungen aus, die mit Verfahrenseröffnung zur Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 InsO erstarken. Insoweit führen sowohl die Anordnung von Einzelermächtigungen wie auch die starke vorläufige Eigenverwaltung zu einer analogen Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO147) bzw. – im Fall der Ermächtigung auf Antrag des Schuldners gemäß § 270b Abs. 3 InsO im ___________ 142) Vgl. z. B. auch Ganter, NZI 2012, 433, 439; ebenso: AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWiR 2012, 359 (Hofmann). 143) Eingehend hierzu auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 386 f. 144) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 387. 145) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 387; Laroche, NZI 2010, 965, 971 f. 146) Vgl. zu den inhaltlichen Anforderungen an Einzelermächtigungen auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 392 f.; vgl. hierzu auch BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 (zu Beschlüssen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO), dazu EWiR 2010, 155 (Voss); ähnl. zur Anordnung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 277 InsO: Pape, in: KPB, InsO, § 277 Rz. 10; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 277 Rz. 4. 147) Vgl. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt).
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Schutzschirmverfahren – kraft gesetzlicher Anordnung in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO zu einer entsprechenden Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO. Hierbei sind auch ggf. entstehende Sekundäransprüche wegen Schlechtleistung, Nichterfüllung, Verzug oder ähnlicher Leistungsstörungen Masseverbindlichkeiten.148) 5.3
Sonderfall: „Starke“ vorläufige Eigenverwaltung
Sonderfall der Ermächtigung ist die umfassende Ermächtigung des Schuldners, Massever- 129 bindlichkeiten zu begründen, wie sie auch in § 270b Abs. 3 InsO in Bezug genommen wird. Entsprechende Globalermächtigungen149) sind nach hier vertretener Auffassung nicht nur im Schutzschirmverfahren, sondern auch in Fällen „einfacher“ vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO zulässig, sofern die Voraussetzungen der Erforderlichkeit nach § 21 Abs. 1 InsO vorliegen.150) Ermächtigt das Gericht den Schuldner in dieser Weise zur umfassenden Begründung von Masseverbindlichkeiten, so kommt es zu einer Vorverlagerung der Wirkungen der Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO in das Eröffnungsverfahren, weshalb – vergleichbar mit einer starken vorläufigen Insolvenzverwaltung i. S. von § 22 Abs. 1 InsO – diese Konstellation als „starke“ vorläufige Eigenverwaltung bezeichnet werden kann. Die im Fall der starken vorläufigen Eigenverwaltung analog zur Anwendung kommende 130 Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO hat insbesondere die Konsequenz, dass analog § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO auch sämtliche Verpflichtungen aus Dauerschuldverhältnissen aus der Insolvenzmasse zu erfüllen sind, soweit der Schuldner während des Eröffnungsverfahrens die Gegenleistung in Anspruch nimmt. Dies mag zwar gegenüber den Gläubigern der entsprechenden Dauerschuldverhältnisse durchaus gerechtfertigt erscheinen, greift allerdings in erheblicher Weise die Liquiditätslage des Schuldners an. Ebenfalls sind sämtliche nach Anordnung der Globalermächtigung begründete Steuerverbindlichkeiten analog § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen,151) was mitunter einen erheblichen finanziellen Nachteil zulasten der Insolvenzmasse und damit zulasten der Gläubigergemeinschaft darstellen kann. Indes ist aus Sicht der Insolvenzpraxis Vorsicht bzw. Zurückhaltung hinsichtlich der Be- 131 antragung bzw. Anordnung starker vorläufiger Eigenverwaltungen – auch im Fall des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b Abs. 3 InsO – angezeigt. Insbesondere vermag die Begründung des Rechtsausschusses zu § 270b Abs. 3 InsO, wonach die in § 55 Abs. 2 InsO vorgesehene Begründung von Masseverbindlichkeiten Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren oftmals erst ermögliche, letztlich nicht zu überzeugen; vielmehr erscheint diese Aussage von der insolvenzrechtlichen Praxis und Wirklichkeit überholt.152) Während der Gesetzgeber der Insolvenzrechtsreform noch davon ausgegangen war, dass die sog. starke vorläufige Insolvenzverwaltung und damit die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den vorläufigen Insolvenzverwalter der Regelfall würde, bestellen die Insolvenzgerichte in den meisten Fällen lediglich einen sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnen zugleich i. d. R. einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO an. Hintergrund dieser Praxis ist insbesondere die beabsichtigte und zulässige Vermeidung der „nachteiligen Auswirkungen des § 55 Abs. 2 InsO“, was auch der ___________ Vgl. z. B. Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 55 Rz. 213. So Klinck, ZIP 2013, 853, 860 f. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 388. Vgl. hierzu für die unmittelbare Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO z. B. Bäuerle/Schneider, in: Braun, InsO, § 55 Rz. 78. 152) Ebenso für die starke vorläufige Insolvenzverwaltung: Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 55 Rz. 211.
148) 149) 150) 151)
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
BGH unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes vom 26.10.2001153) konstatiert hat.154) 5.4
Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 1 InsO im Zusammenhang mit der Begründung erheblicher Masseverbindlichkeiten
132 Ermächtigt das Gericht den Schuldner – gleich, ob in Gestalt von Einzelermächtigungen oder in Gestalt einer starken vorläufigen Eigenverwaltung – zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, so hat dies angesichts des besseren Rangs der von ihm begründeten Verpflichtungen erhebliche Auswirkungen auf die Liquiditätslage und auf die Befriedigungsaussichten der Alt-Gläubiger. Diesem Risiko kann das Insolvenzgericht – sofern erforderlich(!) – dadurch Rechnung tragen, dass es gerade für die Begründung wesentlicher Masseverbindlichkeiten einen besonderen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 1 InsO anordnet (zur Zulässigkeit entsprechender Anordnungen von Amts wegen siehe bereits Rz. 112). Dies gilt insbesondere für betragsmäßig erhebliche Verpflichtungen zulasten der künftigen Insolvenzmasse und auch für zeitlich erhebliche Verpflichtungen, insbesondere im Falle mittelund langfristiger Aufträge und Projekte; insoweit ist zudem zu beachten, dass gerade im Fall der Annahme von Aufträgen im Fall des Scheiterns der Betriebsfortführung auch die Nichterfüllungsansprüche den Rang von Masseverbindlichkeiten einnehmen. Besonders zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Haftung des vorläufigen Sachwalters analog § 61 InsO (siehe bereits Rz. 89). IV.
Betriebsfortführung bei vorläufiger Eigenverwaltung
133 Sieht man Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente zur Restrukturierung von Unternehmen, so muss nach Insolvenzantragstellung und nach der Bestellung des vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a InsO zunächst eine geordnete Betriebsfortführung im Mittelpunkt der Bemühungen aller Beteiligten stehen. Lässt sich das Schuldnerunternehmen nicht fortführen, so sind jegliche Restrukturierungschancen von vornherein vernichtet. 1.
Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Schuldner, vorläufigem Sachwalter und wesentlichen Gläubigern
134 Wesentliche Grundvoraussetzung einer geordneten Betriebsfortführung im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung ist – wie auch im Fall einer sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung – die zielgerichtete und transparente Kommunikation der maßgeblichen Verfahrensbeteiligten, insbesondere
des Schuldners bzw. der für den Schuldner handelnden Vertretungspersonen,
der Berater des Schuldners,
der wesentlichen Gläubiger bzw. Geschäftspartner und ggf. ihrer Berater und
nicht zuletzt des vorläufigen Sachwalters (und seines Teams).155)
135 Abhängig von Größe und Umfang des Verfahrens bzw. Unternehmens wird es sich bei den für das Verfahren entscheidenden Akteuren um einen kleineren oder größeren Personenkreis handeln, so dass auch die Koordination der erforderlichen Kommunikation einen ge___________ 153) Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, v. 26.10.2001, BGBl. I 2001, 2710. 154) BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1629. 155) Der vorläufige Sachwalter wird – wie auch der (vorläufige) Insolvenzverwalter – in Sanierungsfällen nicht als Einzelkämpfer in Erscheinung treten, sondern vielmehr ein schlagkräftiges Team aus seinem Mitarbeiterstamm zusammenstellen müssen. Die Vorhaltung eines entsprechenden Mitarbeiterstamms ist damit unabdingbare Voraussetzung der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters. Ebenso Undritz, ZGR 2010, 201, 204.
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Vorläufige Eigenverwaltung
wissen Aufwand darstellen kann. Nur wenn zwischen diesen Personen von Anfang an eine transparente und vertrauensvolle Kommunikation und Zusammenarbeit stattfindet und insbesondere allseits die jeweilige Sichtweise und ggf. Pflichtenstellung der Akteure bewusst und akzeptiert ist, kann das volle Potenzial der vorläufigen Eigenverwaltung für Zwecke der Restrukturierung genutzt werden. In den ersten Tagen nach Bestellung des vorläufigen Sachwalters wird daher der vorläufige 136 Sachwalter gemeinsam mit einem auf das jeweilige Verfahren zugeschnittenen Team sich einen Überblick über die wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des Schuldnerunternehmens verschaffen und hierzu – neben der Einsichtnahme in entsprechende Unterlagen – insbesondere Gespräche mit den verantwortlichen Entscheidungsträgern im Schuldnerunternehmen und ggf. auch mit wichtigen Gläubigern und Geschäftspartnern führen. Gerade die Kommunikation zwischen insolventem Unternehmen und dessen Beratern ei- 137 nerseits und dem (vorläufigen) Sachwalter andererseits wird eine der Schicksalsfragen des Verfahrens sein. Daher ist es wichtig, dass bereits in den ersten Tagen nach Bestellung des vorläufigen Sachwalters die jeweiligen Ansprechpartner und deren Zuständigkeitsbereiche – sowohl auf Seiten des Schuldners als auch auf Seiten des vorläufigen Sachwalters – festgelegt und den anderen Akteuren kommuniziert werden und dass die Kommunikationsabläufe abgestimmt werden. Damit eine sinnvolle Kommunikation auf fachlich hohem Niveau stattfinden kann, er- 138 scheint es aus Sicht des Verfassers insbesondere erforderlich, dass auf allen Seiten fachlich, d. h. insolvenzrechtlich und betriebswirtschaftlich, versierte Personen agieren. Gerade die Geschäftsführung des Schuldnerunternehmens wird oftmals bereits i. R. der Vorbereitung einer Eigenverwaltungsinsolvenz zusätzliche Verstärkung ihres insolvenzrechtlichen Know-how benötigen. Hierzu und zur Frage der Auswahl eines vorzuschlagenden vorläufigen Sachwalters erscheinen folgende Praxisempfehlungen sachgerecht: Die Aufnahme eines zusätzlichen Sanierungsgeschäftsführers oder -vorstands, der – z. B. 139 in der Funktion eines Chief Restructuring Officers (CRO) – für die operative Umsetzung und Koordination von Restrukturierungsmaßnahmen im Unternehmen wie auch für die Erfüllung der insolvenzverfahrensspezifischen Aufgaben des insolventen Unternehmens in der Eigenverwaltung zuständig ist, kann aus Sicht des Verfassers in vielen Fällen Sinn machen. Dies gilt insbesondere bei größeren Unternehmen oder dann, wenn dies zur Vertrauensbildung seitens der wesentlichen Gläubiger und Geschäftspartner sinnvoll erscheint. Indes muss im jeweiligen Einzelfall stets überdacht werden, ob der Eintritt eines beratenden Sanierungs- und Insolvenzexperten in die Organstellung mit einem Mehrwert gegenüber einem reinen Beratungsmandat verbunden ist. Als Alternative zur Bestellung eines CRO kommt auch die ebenfalls praktizierte Einsetzung eines Generalbevollmächtigten neben den bisherigen Geschäftsführern, die auch nach dem Restrukturierungsprozess die Geschicke des Unternehmens wieder eigenständig leiten sollen, in Betracht. Gegenüber der Einsetzung eines Generalbevollmächtigten, bietet die Bestellung eines CRO, der als echter Geschäftsführer bzw. Vorstand in die Organrolle schlüpft, indes aus Sicht des Verfassers nennenswerte Vorzüge. Zum einen unterliegt der CRO keinen Weisungen der anderen Geschäftsführer bzw. Vorstände; zum anderen gilt für den CRO im eröffneten Verfahren insbesondere auch die Vorschrift des § 276a Satz 2 InsO, so dass dieser nicht ohne Zustimmung des Sachwalters ausgetauscht werden kann. Demgegenüber leitet der Generalbevollmächtigte seine Stellung letztlich lediglich vom Vertretungsorgan ab, das die Vollmacht regelmäßig jederzeit widerrufen kann.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
140 Unerlässlich ist jedoch in jedem Fall die kompetente insolvenzrechtliche Beratung des insolventen Unternehmens.156) Erst bei Einschaltung versierter Berater wird insbesondere zwischen Schuldner und (vorläufigem) Sachwalter auch eine Kommunikation auf Augenhöhe und eine sinnvolle Zusammenarbeit stattfinden können; andernfalls werden – selbst bei kaufmännisch und organisatorisch noch so erfahrenen Leitungspersonen im Schuldnerunternehmen – das Verständnis und die Akzeptanz hinsichtlich der denknotwendig auch insolvenzrechtlich geprägten Entscheidungen des (vorläufigen) Sachwalters zum Teil nicht oder nur unter erheblichen Mühen und ggf. mit Zeitverlusten vermittelbar sein. 141 Die Auswahl eines vorzuschlagenden vorläufigen Sachwalters sollte nach der Einschätzung des Verfassers insbesondere von Seiten des insolvenzrechtlichen Beraters des Schuldnerunternehmens erfolgen. Insolvenzrechtlich spezialisierte Anwälte kennen den „Markt“ der geeigneten Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter sicherlich hinreichend und können insoweit auch eine sachkundige Einschätzung hinsichtlich der Qualität der Tätigkeit in Frage kommender Verwalter treffen. Mit den Hauptgläubigern sollte der Vorschlag eines vorläufigen Sachwalters nach Möglichkeit abgestimmt sein. Zudem hat sich in der Praxis inzwischen auch eine rechtzeitige Abstimmung mit dem Insolvenzgericht über einen möglichen Vorschlag oder über den Kreis der ggf. geeigneten (vorläufigen) Sachwalter als zielführend erwiesen, um insbesondere eine zügige Bearbeitung des Insolvenzantrags bei Gericht zu ermöglichen. Maßgebliches Kriterium der Auswahl wird insbesondere die zu erwartende Kommunikation zwischen dem Sachwalter und dem Schuldnerberater sowie der Geschäftsführung des Schuldners sein: Ist die Kommunikation zwischen Schuldnerberater, Gläubigeranwälten und Sachwalter von Konkurrenzdenken oder gegenseitigen Profilierungsversuchen überschattet, so schadet dies letztlich dem gesamten Verfahrensverlauf. Die Fähigkeit zu zielgerichteter und kollegialer Kommunikation – gerade zwischen den agierenden Anwälten und Beratern einerseits und dem vorläufigen Sachwalter bzw. dessen Team andererseits – ist daher maßgebliches Auswahlkriterium seitens des Schuldners und der Gläubiger, wenn es um die Frage des vorzuschlagenden vorläufigen Sachwalters geht. Dass die vorzuschlagende Person hohe fachliche Eignung besitzen, über eine leistungsfähige Kanzleistruktur verfügen und die Gewähr für absolute Unabhängigkeit von allen Beteiligten bieten muss, ist indes selbstverständlich und damit Grundvoraussetzung für einen entsprechenden Vorschlag. 2.
Information der wesentlichen Beteiligten
142 Einer transparenten Information von Kunden und Lieferanten über die vorläufige Eigenverwaltung kommt – wie auch im Fall der vorläufigen Insolvenzverwaltung – grundlegende Bedeutung zu, da hierdurch insbesondere das Vertrauen der Verkehrskreise erhalten bzw. zurückgewonnen werden kann. Für die Lieferanten gilt dies aus der Erfahrung des Verfassers in jedem denkbaren Fall, für die Kunden des Schuldners v. a. dann, wenn größere laufende Projekte bzw. Aufträge betroffen sind oder wenn die Nachricht von der Insolvenz bereits zu erster Verunsicherung auf Kundenseite geführt hat. 143 Die insolvenzrechtliche Praxis des Regelinsolvenzverfahrens ist davon geprägt, dass nach dem Insolvenzantrag mit dem gerichtlich bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter eine neutrale Person wesentlichen Einfluss auf die Geschicke des Schuldnerunternehmens ausübt. Alle interessierten Kreise, d. h. Schuldner, Arbeitnehmer, Gläubiger, Lieferanten und andere Personen, haben somit hohe Erwartungen insbesondere an eine zeitnahe Information gerade durch die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters.157) Im Fall der vorläufigen Eigenver___________ 156) Hofmann, ZIP 2007, 263. 157) Undritz, ZGR 2010, 201, 204.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
waltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO bleibt der Schuldner weiterhin uneingeschränkt verfügungsbefugt. Konsequenterweise erwartet die Praxis im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung inzwischen ein entsprechendes Informationsschreiben des Schuldners bzw. seiner Berater. Die Information von Kunden und Lieferanten ist insoweit – ausgehend von der Kompetenzverteilung i. R. der Eigenverwaltung – Aufgabe des eigenverwaltenden Schuldners, nicht hingegen des vorläufigen Sachwalters.158) Eine grundsätzlich denkbare gemeinsame Information durch Schuldner und vorläufigen Sachwalter erscheint demgegenüber verzichtbar, zumal der Rechtsverkehr inzwischen weitgehend die Funktionsweise der Eigenverwaltung nachvollzogen hat.159) Aufgabe des vorläufigen Sachwalters i. R. der Information von Kunden und Lieferanten ist es, i. R. seiner Überwachungsaufgaben die Vorbereitung der entsprechenden Informationsschreiben beratend zu begleiten. Informationsschreiben des vorläufigen Sachwalters widersprechen demgegenüber der Kompetenzverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter und sind daher als bedenklich einzustufen.160) Die Information der Lieferanten, Dienstleister und Versorger des insolventen Unternehmens 144 sollte neben der Weitergabe grundlegender Informationen zum Verfahrensstand – z. B. dem Hinweis auf laufende Sanierungsbemühungen – insbesondere auch die weitere Vorgehensweise hinsichtlich der Abwicklung von Altverbindlichkeiten, hinsichtlich der Behandlung von Eigentumsvorbehalten und sonstigen Sicherungsrechten sowie hinsichtlich der Sicherstellung neu zu begründender Verpflichtungen erläutern. Empfehlenswert erscheint zudem, dass sich der Schuldner von Lieferanten, die zugleich Gläubiger sind, bestätigen lässt, dass diese auf die Geltendmachung von Zurückbehaltungs- und Pfandrechten für Altforderungen im Zusammenhang mit abzuwickelnden Neuaufträgen verzichten. 3.
Befriedigung und Sicherung von Lieferanten
Eines der wesentlichen, teils unterschätzten Probleme der Betriebsfortführung im Eröff- 145 nungsverfahren ist in der insolvenzrechtlichen Praxis die insolvenzfeste Befriedigung und Sicherung von Lieferanten und Dienstleistern. Schwierigkeiten bereitet hierbei – ausgehend vom praktisch relevantesten Fall einer sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung – der (insolvenzrechtliche) Rang der gegenüber den Lieferanten begründeten Forderungen. Auch wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit der Erteilung eines Auftrags durch den Schuldner ausdrücklich einverstanden ist und hierzu erklärt, dass er eine Bezahlung der insoweit entstehenden Forderungen aus dem von ihm verwalteten Vermögen sicherstellen werde, ändert dies nichts am Rang der Forderung im eröffneten Insolvenzverfahren: Die vom Schuldner begründete Forderung ist eine (einfache) Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO.161) Soweit Lieferanten, Dienstleister oder Versorger daher nicht i. R. von Bargeschäften oder sonst unter Schaffung eines anfechtungsverhindernden Vertrauenstatbestands durch den schwachen vorläufigen Verwalter befriedigt werden können, erscheint eine Sicherung der Begleichung ihrer bei Verfahrenseröffnung noch offenen Forderungen nur im Wege sog. ___________ 158) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1597. 159) Anders noch die 2. Aufl., s. § 7 Rz. 136. 160) Da nach außen – abgesehen von Fällen der Zustimmungserteilung des § 21 Abs. 1 InsO – allein der Schuldner handelt, hat sich der (vorläufige) Sachwalter auf die in §§ 274, 275 InsO vorgesehene Aufsicht und Mitwirkung im Innenverhältnis zu beschränken. Einzige gesetzlich vorgesehene Information einzelner Gläubiger ist der Fall des § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO, d. h. die Unterrichtung sämtlicher Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigter über zu erwartende Nachteile bei Fortsetzung der vorläufigen Eigenverwaltung. 161) Im Ergebnis a. A. Stapper/Schädlich, ZInsO 2011, 249 ff., die eine Bezahlung von Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung während der vorläufigen Insolvenzverwaltung im Falle der Abwicklung des Zahlungsverkehrs über ein Anderkonto oder offenes Treuhandkonto für zulässig halten. Die dogmatische Herleitung dieses Ergebnisses erscheint de lege lata m. E. indes äußerst fraglich.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Treuhandmodelle162) oder durch Begründung von Masseverbindlichkeiten auf Grundlage insolvenzgerichtlicher Einzelermächtigungen163) möglich, während persönliche Zahlungszusagen des vorläufigen Verwalters hierfür nicht geeignet sind.164) 3.1
Problemstellung in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO
146 Während für Fälle vorläufiger Insolvenzverwaltung Praxis und Rechtsprechung zwischenzeitlich ausreichende Möglichkeiten geschaffen haben, Lieferanten zu sichern, muss die Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO diese Hürde erst noch nehmen. Besondere Schwierigkeit hierbei bereitet aus Sicht des Verfassers die nur eingeschränkte Übertragbarkeit der für die vorläufige Insolvenzverwaltung gefundenen Lösungsansätze angesichts der fehlenden Vergleichbarkeit der insolvenzrechtlichen Rechtsmacht des vorläufigen Insolvenzverwalter mit der Aufgabenstellung des vorläufigen Sachwalters bzw. des Schuldners im Eröffnungsverfahren. 3.2
Sicherung durch Begründung von Masseverbindlichkeiten
147 Eine Möglichkeit der Sicherung von Geschäftspartnern des Schuldners im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung ist die Erhebung der ihnen gegenüber begründeten Verpflichtungen in den Rang von Masseverbindlichkeiten. Hierdurch werden die Geschäftspartner gegen zwei Risiken gesichert: zum einen gegen eine Insolvenzanfechtung erhaltener Gegenleistungen und zum anderen gegen das Risiko, bei Verfahrenseröffnung noch keine Leistung erhalten zu haben und dem Rang nach lediglich eine Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO geltend machen zu können. 148 Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO kommt eine Begründung von Masseverbindlichkeiten nur dann in Betracht, wenn der Schuldner hierzu vom Insolvenzgericht ermächtigt wurde. Dies kann nach hier vertretener Auffassung in Gestalt von Einzelermächtigungen (siehe Rz. 122 ff.) oder in Gestalt einer umfassenden Anordnung (sog. „starke“ vorläufige Eigenverwaltung) erfolgen (siehe Rz. 129 ff.). Entsprechende Anordnungen erlässt das Insolvenzgericht regelmäßig auf begründete Anregung oder – im Fall des § 270b Abs. 3 InsO – auch auf Antrag des Schuldners (siehe zu den Voraussetzungen der Anordnung außerhalb des Schutzschirmverfahrens Rz. 126). 149 Außerhalb des Schutzschirmverfahrens, für welches § 270b Abs. 3 InsO eine ausdrückliche Regelung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten enthält,165) bestehen in der Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung indes teils erhebliche Schwierigkeiten aufgrund einer Zurückhaltung der Insolvenzgerichte. Hintergrund ist die seit Inkrafttreten des ESUG eingetretene Rechtszersplitterung infolge der divergierenden Entscheidungen verschiedener Gerichte und des Offenlassens der Frage der Zulässigkeit von Einzelermächtigungen durch den BGH.166) Insoweit erscheint eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wünschenswert. Bis dahin empfiehlt sich aus Sicht des Verfassers bereits frühzeitig, ggf. sogar vor Insolvenzantragstellung, ein Gedankenaustausch mit dem zuständigen Insolvenzrichter auch zur Frage der Zulässigkeit von (Einzel-)Ermächtigungen i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO. ___________ 162) Vgl. hierzu Bork, ZIP 2003, 1421, 1423 f.; Werres, ZInsO 2005, 1233, 1239 ff.; Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185. 163) BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1627; Voß, in: Graf-Schlicker, InsO, § 22 Rz. 16. 164) Hierzu eingehend Beck, in: FS Runkel, 2009, S. 3, 29 ff. 165) Zum Regelungsgehalt der Vorschrift bereits oben Rz. 123. 166) Vgl. BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525 (m. Anm. Pleister/Tholen).
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Rechtsfolge einer Begründung von Masseverbindlichkeiten ist, dass der Schuldner und im 150 Fall der Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter auch der (vorläufige) Sachwalter verpflichtet sind, die Verbindlichkeit bei Fälligkeit aus der Insolvenzmasse bzw. dem Schuldnervermögen zu begleichen. Selbst im Falle der späteren Nichtanordnung der Eigenverwaltung bei Verfahrenseröffnung müsste der sodann bestellte Insolvenzverwalter die entsprechende Verbindlichkeit aus der Insolvenzmasse bedienen. Gegen das Risiko, nach Verfahrenseröffnung in den Rang einer Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zurückgestuft zu werden, sind Vertragspartner somit im Fall der Begründung einer Masseverbindlichkeit ausreichend geschützt. Keinen Schutz bietet die Begründung von Masseverbindlichkeiten indes gegen den späteren 151 Eintritt der Masseunzulänglichkeit i. S. von §§ 208 ff. InsO. In diesem Fall sind die im Eröffnungsverfahren begründeten Masseverbindlichkeiten Altmasseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Eine gerichtliche Vorrangermächtigung, d. h. die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, die im Fall der Masseunzulänglichkeit den Rang sog. Neumasseverbindlichkeiten i. S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO einnehmen, ist insoweit nach zutreffender Auffassung nicht zulässig.167) Ist das Risiko einer Masseunzulänglichkeit absehbar, so besteht die Möglichkeit, Geschäftspartner – neben gebräuchlichen Warenkreditsicherheiten, insbesondere Eigentumsvorbehalten – im Wege von Vorausleistungen vorab zu befriedigen oder im Wege anderer dinglicher Sicherheiten oder im Wege der Einrichtung von Treuhandmodellen zu sichern.168) 3.3
Treuhandmodelle
Treuhandmodelle haben sich in der Praxis als geeignetes Sicherungsmittel im Fall der Be- 152 triebsfortführung im Eröffnungsverfahren und auch zur Sicherung von Geschäftspartnern im eröffneten Verfahren bei drohender oder bestehender Masseunzulänglichkeit erwiesen. Sie verschaffen dem begünstigten Gläubiger das Recht, Befriedigung aus dem Treuhandvermögen zu erhalten. Sie schützen den gesicherten Gläubiger – begrenzt auf die Höhe des Treuhandvermögens – sowohl gegen das Risiko, lediglich Gläubiger einer ungesicherten Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO zu sein, als auch gegen das Risiko der Masseunzulänglichkeit gemäß §§ 208 ff. InsO. Soweit das Treuhandmodell rechtlich sauber und transparent ausgestaltet ist, besteht auch hinreichender Schutz gegen eine Anfechtbarkeit. Treuhandmodelle sind in vielfältigen Ausgestaltungen denkbar, wobei die Einzelheiten zu- 153 lässiger Treuhandmodelle durchaus streitig sind.169) Nach hier vertretener Auffassung ungeeignet sind insbesondere Modelle, die darin bestehen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter ein zusätzliches bzw. besonderes Ander- bzw. Treuhandkonto einrichtet, von dem er – auch nach Verfahrenseröffnung – die für Zwecke der Betriebsfortführung begründeten Verbindlichkeiten bedient. Selbst wenn der als Treuhänder fungierende vorläufige Insolvenzverwalter entsprechende vertragliche Abreden mit dem Schuldner und den zu sichernden Gläubigern trifft, entfalten diese m. E. keine hinreichende Wirkung, da – insbesondere auch im praxisrelevanten Fall der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts – die Übertragung von Schuldnervermögen auf den Treuhänder der Zustimmung des vorläufigen Ver___________ 167) So die zutreffende h. M.: Lüke, in: KPB, InsO, § 61 Rz. 17; Hefermehl, in: MünchKomm-InsO, § 209 Rz. 20a m. w. N.; a. A. AG Hamburg v. 15.11.2004 – 67g IN 390/04, ZInsO 2004, 1270 f., sowie AG Hamburg v. 20.2.2006 – 67g IN 513/05, ZInsO 2006, 218 f., das die Zulässigkeit einer VorrangErmächtigung mit der Unzumutbarkeit des aus seiner Sicht „rechtlich zweifelhaften Konstruktes“ des Treuhandmodells begründet. 168) Zur Vermeidung einer Strafbarkeit wegen Eingehungsbetrugs sollte in diesem Fall der Vertragspartner ggf. transparent über das Risiko des Eintritts der Masseunzulänglichkeit informiert werden und sollten gemeinsam mit dem Vertragspartner entsprechende sichernde Vorkehrungen getroffen werden. 169) Vgl. hierzu eingehend Ganter, NZI 2012, 433, 434 ff., oder auch Beck, in: FS Runkel, 2009, S. 3, 14 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
walters bedürfte, der jedoch angesichts seiner eigenen Beteiligung als Treuhänder gemäß § 181 BGB nicht wirksam an der Vermögensübertragung mitwirken kann.170) Allenfalls die Zustimmung eines vorläufigen Sonderinsolvenzverwalters, nicht hingegen die bloße Genehmigung des nicht verfügungsbefugten Insolvenzgerichts könnten nach zutreffender Auffassung den Mangel der Zustimmung vorläufigen Insolvenzverwalters heilen. 154 Um im Fall vorläufiger Eigenverwaltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO ein möglichst rechtssicheres Treuhandmodell einzurichten, erscheint aus Sicht des Verfassers die Befolgung folgender Hinweise empfehlenswert: 155 Als Treuhänder sollte ein Dritter, d. h. weder der Schuldner, noch der vorläufige Sachwalter, fungieren. Insbesondere der anwaltliche Berater des Schuldners oder ein dessen Kanzlei angehöriger Rechtsanwalt eignet sich m. E. als Treuhänder. Das Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB verbietet eine Stellung des vorläufigen Sachwalters als Treuhänder immer dann, wenn dessen Zustimmung zur Übertragung des Treuhandvermögens auf die Person des Treuhänders bzw. vorläufigen Sachwalters erforderlich ist. Indes sollte der vorläufige Sachwalter auch in anderen Fällen bereits aus Transparenzgründen nicht als Treuhänder auftreten. 156 Der Treuhandvertrag sollte aus Gründen der Transparenz und der späteren Prüfbarkeit schriftlich abgeschlossen werden. Parteien des Treuhandvertrags sind jedenfalls der Schuldner und der Treuhänder. Im Fall eines entsprechenden Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 1 InsO ist auch der vorläufige Sachwalter am Vertragsschluss zu beteiligen. Demgegenüber ist die gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO regelmäßig zur Einrichtung des Treuhandmodells erforderliche Zustimmung nicht unbedingt in die Vertragsurkunde selbst aufzunehmen. Die zu sichernden Gläubiger können in Fällen umfangreicher besicherter Verbindlichkeiten ebenfalls in den Vertragsschluss einbezogen werden. Im Übrigen empfiehlt sich, den besicherten Gläubigern im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter Rechte gegen den Treuhänder einzuräumen. 157 Als Treuhandvermögen eignet sich naturgemäß vorhandenes Barvermögen, welches auf ein vom Treuhänder eingerichtetes Treuhandkonto transferiert wird. Reicht das liquide Vermögen zur Einrichtung des Treuhandmodells nicht aus, so kann auf den Treuhänder auch anderes Vermögen, z. B. Forderungen des Schuldners, übertragen werden. Insoweit ist allerdings zu bedenken, dass der Treuhänder in diesem Fall im eröffneten Verfahren lediglich Inhaber eines Absonderungsrechts i. S. von § 51 Nr. 1 InsO wird. Auch sollten hierbei aufgrund des Prioritätsgrundsatzes vorrangige Abtretungen, z. B. auf Grundlage einer Globalzession, bedacht werden. 158 Soweit die besicherten Verbindlichkeiten der Lieferanten, Dienstleister und sonstigen Geschäftspartner nicht konkret bezeichnet werden können, sollte der Umfang der besicherten Verbindlichkeiten bestmöglich bestimmt werden. Hierzu empfiehlt sich z. B. die Bezugnahme auf besondere Formen der Zustimmung. In der vorläufigen Eigenverwaltung erscheint bspw. denkbar, i. R. des Treuhandvertrags Rechte zur Sicherung solcher Verbindlichkeiten einzuräumen, deren Begründung der vorläufige Sachwalter ausdrücklich und in Schriftoder Textform zugestimmt hat. 159 Der Treuhandauftrag sollte nach Möglichkeit unentgeltlich abgewickelt werden, wobei freilich die anfallenden Kosten, z. B. für Kontoführungsgebühren, aus dem Treuhandvermögen bedient werden dürften. Im Gegenzug ist eine Haftungsbegrenzung des Treuhänders auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit als üblich anzusehen.
___________ 170) A. A. hinsichtlich der Übertragung von Kontoguthaben: Bork, NZI 2005, 530 ff.
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Vorläufige Eigenverwaltung
Um das Risiko einer späteren Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff. InsO zu minimieren, er- 160 scheint es zudem zweckmäßig, dass der Schuldner gerichtlich zur Einrichtung des Treuhandmodells und insoweit zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt wird; insoweit erweisen sich die bereits erwähnte Rechtszersplitterung und die Zurückhaltung einzelner Gerichte hinsichtlich der Anordnung von Einzelermächtigungen als besonders problematisch (siehe hierzu Rz. 149). 3.4
Exkurs: Anfechtbarkeit bzw. Insolvenzfestigkeit von Handlungen des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung
Gerade im Zusammenhang mit der Befriedigung und Sicherung von Lieferanten und an- 161 deren Vertragspartnern im Eröffnungsverfahren stellt sich die Frage nach der Insolvenzfestigkeit der insoweit vom Schuldner – ggf. mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters – vorgenommenen Rechtshandlungen. Dies gilt gleichermaßen für geleistete Zahlungen – gleich, ob auf Neu- oder Altforderungen –, für die Gewährung von Sicherheiten oder aber für die soeben dargelegte Einrichtung eines Treuhandmodells zur Sicherung entsprechend umschriebener Forderungen. Sämtliche vorgenannte Rechtshandlungen bieten den Geschäftspartnern des Schuldnerunternehmens nur dann hinreichende Sicherheit, wenn nicht nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Anfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO durch einen Insolvenzverwalter oder Sachwalter droht. Für Rechtshandlungen unter Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Re- 162 gel-Insolvenzeröffnungsverfahren ist die Rechtslage auf Grundlage entsprechender höchstrichterlicher Rechtsprechung weitgehend geklärt. Der BGH geht zunächst davon aus, dass lediglich Handlungen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters i. S. von § 22 Abs. 1 InsO aufgrund der Annäherung an Amt und Verfügungsgewalt eines endgültigen Insolvenzverwalters von vornherein der Anfechtung entzogen sind.171) Ist die Rechtsstellung des vorläufigen Verwalters indes nicht derjenigen eines Insolvenzverwalters angenähert, kommt eine Anfechtbarkeit der unter seiner Mitwirkung erfolgten Rechtshandlungen im Grundsatz gleichwohl in Betracht. Indes muss eine Anfechtung dann ausgeschlossen bleiben, wenn der Empfänger der ggf. anfechtbaren Leistung gerade aufgrund der Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters Vertrauen in die Endgültigkeit einer Leistung gewinnen durfte.172) Demnach besteht insbesondere dann ein schutzwürdiges Vertrauen in die Insolvenzbeständigkeit einer Rechtshandlung, wenn es sich um eine solche des vorläufigen Insolvenzverwalters selbst – z. B. die Zahlung vom Insolvenzanderkonto – oder um eine mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommene Rechtshandlung des Schuldners – z. B. auch die Gewährung von Sicherheiten – handelt und die Rechtshandlung zugleich vorbehaltlos und im Zusammenhang mit noch zu erbringenden Leistungen des Vertragspartners erfolgt.173) Eine Anfechtung durch den Insolvenzverwalter kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter entweder bereits unter dem Vorbehalt der Anfechtung gehandelt hat oder aber einen zuvor erklärten Widerstand erst angesichts der Marktmacht des Vertragspartners aufgegeben hat.174) Zur Begründung des auf § 242 BGB gestützten Vertrauenstatbestands verweist der BGH insbesondere auch darauf, dass bei Zulassung einer Kongruenzanfechtung gemäß § 130 InsO regelmäßig eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren erschwert bzw. vereitelt würde, was den Zielen des Insolvenzverfahrens zuwiderliefe.175) ___________ 171) 172) 173) 174) 175)
Vgl. z. B. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 315, dazu EWiR 2005, 511 (Marotzke). BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314. BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
163 Demgegenüber ist die Rechtslage für den Fall von Rechtshandlungen während einer vorläufigen Eigenverwaltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor nicht abschließend geklärt. Ausgehend von den Wertungen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind folgende Konstellationen zu unterscheiden: 164 Rechtshandlungen des „starken“ Schuldners, der vom Gericht – sei es, gemäß § 270b Abs. 3 InsO oder gemäß § 21 Abs. 1 InsO – zur umfassenden Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt wurde, sind der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO von vornherein erzogen.176) Gleiches gilt, soweit der Schuldner i. R. einer Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt ist. In beiden Fällen ist die Rechtsmacht des Schuldners bereits im Eröffnungsverfahren an die Stellung des Schuldners angenähert, die er im eröffneten Verfahren aufgrund der gerichtlichen Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO erlangt. Angesichts der Rechtsmacht, die (künftige) Insolvenzmasse zu verpflichten, kommt eine Anfechtung der Rechtshandlungen des Schuldners insoweit nicht in Betracht. 165 Ohne Mitwirkung des vorläufigen Sachwalters vorgenommene Rechtshandlungen des („schwachen“) Schuldners, der nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt ist, unterliegen demgegenüber – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – der Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff. InsO.177) 166 Rechtshandlungen des vorläufigen Sachwalters können im Grundsatz ebenfalls der Insolvenzanfechtung unterliegen, da der vorläufige Sachwalter letztlich keinerlei eigene – insolvenzverwalterähnliche – Verfügungsgewalt innehat. Dies gilt insbesondere für Zahlungen, die der vorläufige Sachwalter aufgrund des von ihm beanspruchten Konten- und Kassenführungsrechts entsprechend § 275 Abs. 2 InsO leistet. Die vorbehaltlose Mitwirkung bzw. Zustimmung des vorläufigen Sachwalters bzw. die vorbehaltlose Zahlung durch den vorläufigen Sachwalter vermitteln indes nach hier vertretener Auffassung dem Vertragspartner bzw. Leistungsempfänger ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtsbeständigkeit der erhaltenen Leistung. Insoweit gelten letztlich die vom BGH zum vorläufigen Insolvenzverwalter entwickelten Grundsätze. Hierfür spricht nach Ansicht des Verfassers insbesondere die Annäherung der Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters an diejenige des (endgültigen) Sachwalters, der im eröffneten Verfahren gerade gemäß § 280 InsO allein zur Prüfung und Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen berufen ist. Auch die vom BGH herangezogene Aufrechterhaltung von Sanierungspotenzial im Interesse der bestmöglichen Verfahrenszielerreichung spricht gerade unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertungen des ESUG offenkundig dafür, auch im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung einen anfechtungsausschließenden Vertrauensschutz in Zustimmungen und Mitwirkungshandlungen des vorläufigen Sachwalters anzuerkennen.178) Dies gilt unabhängig davon, ob der spätere Sachwalter oder Insolvenzverwalter personenidentisch mit dem vorläufigen Sachwalter ist oder nicht.179) 167 Ergänzend ist jedoch ein möglichst vorsichtiger Umgang mit der Thematik zu empfehlen. Insoweit ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die maßgebenden Rechtsfragen der Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff. InsO für Rechtshandlungen im Stadium einer vorläufigen Eigenverwaltung bis zu einer abschließenden Klärung durch den BGH noch offen sind. Im Zweifel sollte das insolvente Unternehmen Leistungen daher i. R. von gemäß § 142 InsO unanfechtbaren Bargeschäften erbringen. ___________ 176) 177) 178) 179)
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So auch OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZIP 2016, 1649, 1652. So auch OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294, dazu EWiR 2014, 525 (Rendels). BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316 (für den vorläufigen Insolvenzverwalter). BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316.
M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung 4.
Insolvenzgeldvorfinanzierung
Ein wesentliches und bewährtes Sanierungsinstrument stellt in der insolvenzrechtlichen 168 Praxis seit langem die sog. Insolvenzgeldvorfinanzierung dar. Dies dient insbesondere der Aufrechterhaltung oder sogar Wiederherstellung eines funktionierenden operativen Geschäftsbetriebs bei zugleich erfolgender Schonung der – oftmals ohnehin nicht bzw. nicht ausreichend vorhandenen – Liquidität. Arbeitnehmer haben nach § 165 SGB III Anspruch auf Insolvenzgeld für Lohn- bzw. Ge- 169 haltsrückstände aus den letzten drei Monaten vor einem Insolvenzereignis, d. h. insbesondere auch für die letzten drei Monate vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§ 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Hiermit einhergehend kann der Anspruch des Arbeitnehmers aber auch erst mit Eintritt des Insolvenzereignisses entstehen, so dass im Eröffnungsverfahren noch kein Anspruch gegen die Agentur für Arbeit besteht. Um gleichwohl das oftmals nicht zur Deckung sämtlicher Kosten ausreichende Schuldnervermögen von den Lohnkosten zu entlasten und die Arbeitskraft der Mitarbeiter zu erhalten, finanziert i. R. der Insolvenzgeldvorfinanzierung eine Bank die Nettolohnansprüche der betroffenen Arbeitnehmer – bis zur Höhe der künftigen Insolvenzgeldansprüche – über die Einräumung eines Kredits an die Schuldnerin vor; Zug um Zug gegen die Auszahlung der entsprechenden Beträge an die Arbeitnehmer lässt sich die Bank im Gegenzug die Lohnansprüche der Arbeitnehmer abtreten, so dass nach Verfahrenseröffnung die Bank auch die Insolvenzgeldansprüche gemäß § 170 Abs. 1 SGB III erwirbt. Die Rückführung des ausgereichten Vorfinanzierungsdarlehens erfolgt letztlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Agentur für Arbeit. Lediglich die Zinsen und Kosten der Insolvenzgeldvorfinanzierung belasten letztlich das Schuldnervermögen bzw. die Insolvenzmasse. Um missbräuchliche Insolvenzgeldvorfinanzierungen zu verhindern, schränkt § 170 Abs. 4 170 SGB III die Zulässigkeit von Vorfinanzierungen ein. Nach § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III kann der Zessionar einer Lohn- bzw. Gehaltsforderung, dem die Forderung im Zusammenhang mit einer Vorfinanzierung abgetreten wurden, den Anspruch auf Insolvenzgeld nur im Fall der Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Vorfinanzierung geltend machen. Die Zustimmung zur Insolvenzgeldvorfinanzierung darf die Agentur für Arbeit dabei gemäß § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III nur dann erteilen, wenn auf Grundlage von Tatsachen der Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze anzunehmen ist. Ausreichend sind insoweit bereits 10 % der Arbeitsplätze.180) Nähere Einzelheiten zum Zustimmungsverfahren gemäß § 170 Abs. 4 SGB III regelt die Insolvenzgeld-DA.181) Die in § 170 Abs. 4 SGB III geregelte Insolvenzgeldvorfinanzierung ist auch in der vor- 171 läufigen Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren möglich (siehe auch § 8 Rz. 202). Unter den Voraussetzungen des § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III hat die Agentur für Arbeit die Zustimmung zu einer Insolvenzgeldvorfinanzierung zu erteilen, wobei die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung oder ein insolvenzgerichtlicher Eingriff in die Verfügungsbefugnis gerade nicht Voraussetzung einer Zustimmung gemäß § 170 Abs. 4 SGB III ist. Maßgebende Voraussetzung ist vielmehr auch im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung die Prognose, ob ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten werden kann. Der Antrag auf Erteilung der Zustimmung ist insoweit stets durch die finanzierende Bank 172 zu stellen, wobei auch eine Vertretung der Bank in Betracht kommt.182) Eine Antragstel___________ 180) Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld-DA zu § 170 SGB III, Ziff. 3.2 Abs. 2, Stand: 5/2013 abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/ mta4/~edisp/l6019022dstbai446824.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI446827 (Abrufdatum: 16.8.2018). 181) Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld-DA, Stand: 5/2013. 182) Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld-DA zu § 170 SGB III, Ziff. 3.2 Abs. 17, Stand: 5/2013.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
lung wird in der vorläufigen Eigenverwaltung daher – entsprechende Bevollmächtigung durch die vorfinanzierende Bank vorausgesetzt – regelmäßig durch den Schuldner bzw. dessen Berater erfolgen. Dem Schuldner obliegt insoweit überhaupt die Vorbereitung und Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Demgegenüber beschränken sich die Aufgaben des vorläufigen Sachwalters im Zusammenhang mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung auf die Überwachung und beratende Begleitung des Schuldners.183) Der Schuldner bzw. vielmehr dessen Berater haben daher insbesondere die erforderlichen Prognosen zu bestehenden Sanierungsmöglichkeiten und zur Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzerhalts gegenüber der Agentur für Arbeit darzulegen. Soweit die Insolvenzgeld-DA auf Stellungnahmen des vorläufigen Insolvenzverwalters abstellt, akzeptiert die Agentur für Arbeit in der Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung inzwischen entsprechende Stellungnahme der insolvenzrechtlichen Berater des eigenverwalteten Schuldners. Die positive Prognose des Arbeitsplatzerhalts ist dabei nach Möglichkeit auf entsprechende Tatsachen zu stützen.184) Eine ergänzende Einschätzung bzw. Stellungnahme des vorläufigen Sachwalters kann im Einzelfall sinnvoll sein, stellt aber nach den Erfahrungen des Verfassers nicht den Regelfall dar. 173 Die Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung warf gerade in der Anfangszeit der vorläufigen Eigenverwaltung nach Inkrafttreten des ESUG erhebliche Schwierigkeiten auf. So waren etliche Kreditinstitute zu einer Vorfinanzierung aufgrund der noch unbekannten Situation und aufgrund der aus Sicht der Banken bestehenden höheren Risiken äußerst zurückhaltend und zur Gewährung von Vorfinanzierungsdarlehen nicht bereit. Andere Banken wiederum bestanden auf einer deutlich stärkeren Einbindung des vorläufigen Sachwalters in die vertragliche Abwicklung, als seiner Rechtsstellung im Verfahren gerecht geworden wäre, was wiederum für die beteiligten vorläufigen Sachwalter mit erheblichen, unangemessenen Haftungsrisiken verbunden gewesen wäre. Inzwischen hat sich die Situation deutlich entspannt, wobei die Kreditwirtschaft nach wie vor das Ausfallrisiko einer Vorfinanzierung im Schutzschirmverfahren bzw. in der vorläufigen Eigenverwaltung höher einschätzt als im Regel-Insolvenzeröffnungsverfahren unter Beteiligung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Die konkrete Vorbereitung und Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung erfolgt in der Praxis i. d. R. durch das Schuldnerunternehmen bzw. dessen Berater, im Einzelfall auch – insoweit entgegen der gesetzlichen Kompetenzverteilung – durch den vorläufigen Sachwalter. Dies betrifft insbesondere die Abstimmung mit der vorfinanzierenden Bank, die Berechnung der Höhe der künftigen Insolvenzgeldansprüche und die Vorbereitung der erforderlichen Abtretungsverträge, wobei auch in den Fällen der Abwicklung durch das Schuldnerunternehmen der vorläufige Sachwalter die Insolvenzgeldvorfinanzierung zu überwachen hat;185) teils ist der vorläufige Sachwalter auch – jedenfalls auf Wunsch der vorfinanzierenden Bank – in die Abwicklung eingebunden. Zur Sicherung der Zins- und Kostenforderungen der vorfinanzierenden Bank bietet sich an, insoweit vereinbarte Vorschüsse zu leisten oder i. R. einer insolvenzgerichtlichen (Einzel-)Ermächtigung insoweit Masseverbindlichkeiten zu begründen. Die vorfinanzierten Arbeitsentgeltansprüche belasten das Schuldnerunternehmen nach Übergang auf die Bundesagentur für Arbeit nur im Rang von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO; dies gilt auch im Fall der Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, da insoweit § 55 Abs. 3 InsO analog anzuwenden ist.
___________ 183) So auch BGH v. 21.7.2016 – IX ZR 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 184) Hierzu eingehend: Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld-DA zu § 170 SGB III, Ziff. 3.2 Abs. 5 – 7, Stand: 5/2013. 185) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598.
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Vorläufige Eigenverwaltung 5.
Fortführungsfinanzierung
Wesentliches Problem der Aufrechterhaltung und Fortführung von Betrieben in der In- 174 solvenz – sowohl im Eröffnungs- wie auch im Insolvenzverfahren – ist oftmals die Finanzierung der Betriebsfortführung. In einer Vielzahl von Fällen wird bei Insolvenzantragstellung nahezu keine „echte“ Liquidität verfügbar sein. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Schuldner vor Stellung des Insolvenzantrags seine Liquidität oftmals zu einem nennenswerten Teil aus dem Einzug globalzedierter Forderungen oder aus einer ihm zur Verfügung gestellten Kontokorrentkreditlinie schöpft. Beide Finanzierungsmittel stehen unmittelbar nach Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zur Verfügung, da Gläubiger und Banken die Befugnis zur Einziehung sicherungszedierter Forderungen an sich ziehen und Kreditlinien wegen Verschlechterung der Vermögenslage kündigen werden. Wenn zudem bei Lieferanten bereits Zahlungsrückstände bestehen und diese auf Vorkassezahlungen bestehen, kann das Fehlen liquider Mittel letztlich sogar zum unmittelbaren Erliegen des Geschäftsbetriebs führen. Während nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung der vorläufige Insolvenz- 175 verwalter sich nach Verschaffung eines ersten Überblicks über die Lage des Geschäftsbetriebs im Falle fehlender Liquidität vorrangig der Liquiditätsplanung und -beschaffung widmen wird, ist dies im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung Aufgabe des Schuldners und seiner Berater. Der Schuldner hat hierbei den Vorteil, dass er entsprechende Vorbereitungen bereits im Vorfeld der Insolvenzantragstellung einleiten und insbesondere sicherstellen kann, dass im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung noch ausreichende Liquiditätsreserven zur Verfügung stehen. Das Dilemma der Fortführungsfinanzierung lässt sich nur mittels einer an die Erfordernisse 176 des jeweiligen Verfahrens angepassten Finanz- und Liquiditätsplanung lösen. Eine solche Planung ist zudem unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der vorläufige Sachwalter – gleich, ob gemäß § 275 Abs. 2 InsO oder gemäß § 277 Abs. 1, Abs. 2 InsO – seine Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten oder sonstigen Verpflichtungen erteilt (siehe bereits Rz. 55). Aufgabe der Liquiditätsplanung ist es, den Liquiditätsbedarf einerseits und die zur Verfügung stehenden liquiden Mittel für jeden Zeitpunkt des Planungszeitraums gegenüberzustellen, um die Erfüllbarkeit einzugehender Verpflichtungen zu belegen und etwaige Finanzierungslücken bzw. zusätzlichen Finanzbedarf aufzudecken. Unter Vorsichtsgesichtspunkten sollte die Planung stets angemessene Puffer bzw. Sicherheitsreserven berücksichtigen. Der zu planende Liquiditätsbedarf kann im Eröffnungsverfahren grundsätzlich aus dem im allgemeinen Geschäftsgang außerhalb einer Insolvenz bestehenden Liquiditätsbedarf unter Berücksichtigung verschiedener insolvenzspezifischer Sondereffekte abgeleitet werden. Zu diesen Sondereffekten gehören zum einen Liquiditätsvorteile, die im Eröffnungsverfahren genutzt werden können und die im normalen Geschäftsgang nicht zur Verfügung stünden; zu nennen sind insbesondere die Nichtbezahlung von Löhnen und Lohnnebenkosten für den Zeitraum einer Insolvenzgeldvorfinanzierung (siehe soeben Rz. 168 ff.), das „Einfrieren“ von Zahlungen auf unbesicherte Altverbindlichkeiten aus der Zeit vor der Antragstellung und die nur teilweise Begleichung von Mieten, Leasingraten und ähnlichen Nutzungsentgelten (siehe bereits Rz. 71). Zum anderen wird jedoch auch zusätzlicher bzw. zeitlich früher greifender Liquiditätsbedarf bestehen, da der Insolvenzantrag auf Seiten verschiedener Geschäftspartner zu einer Verkürzung von Zahlungszielen oder zur Umstellung auf Vorkassezahlungen bzw. zur Einforderung von Sicherheitsleistungen führen kann. Wesentliche Liquiditätsquelle im Eröffnungsverfahren ist die Eigenbzw. Selbstfinanzierung in Gestalt vorhandener liquider Mittel, insbesondere Guthaben
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
auf kreditorisch geführten Konten des Schuldners bei Nichtgläubiger-Banken186) und in Gestalt liquider Mittel aus dem Forderungseinzug oder aus der Veräußerung nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Daneben können etwaige Finanzierungslücken im Wege der Fremdfinanzierung in Gestalt echter oder unechter Massekredite gedeckt werden. Als Kreditgeber werden i. d. R. insbesondere die bisherigen Gläubigerbanken oder – insbesondere im Fall einer angestrebten Restrukturierung des Schuldnerunternehmens – die Gesellschafter in Betracht kommen. Sofern noch freie Sicherheiten vorhanden sind, ist auch an eine Darlehensfinanzierung durch bislang nicht involvierte Kreditgeber zu denken. 177 Im Rahmen der Vorbereitung eines Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrags hat der Schuldner auch Überlegungen zur Fortführungsfinanzierung anzustellen. Bleiben solche vorbereitenden Überlegungen aus oder werden sie erst nach Antragstellung angestellt, greifen entsprechende Maßnahmen u. U. zu spät bzw. nur noch mit erheblichen Anstrengungen. Derartige Versäumnisse stellen aus Sicht des Verfassers die Fähigkeit des Schuldners, seine eigene Insolvenz zu verwalten, in Frage. Insbesondere im Fall des Bestehens einer Globalzession bzw. im Fall der Liquiditätsschöpfung aus Kontokorrentkrediten wird die Vorbereitung der Fortführungsfinanzierung im Eröffnungs- und Insolvenzverfahren bereits deutlich vor Verfahrenseinleitung einsetzen müssen, da der Schuldner oder dessen Organe andernfalls sogar Gefahr laufen, haftbar gemacht zu werden, wenn im Vorfeld des Insolvenzantrags noch Kreditmittel in Anspruch genommen werden, deren Rückführung nicht hinreichend und insolvenzfest gesichert ist. 6.
Umgang mit Steuerverbindlichkeiten und Sozialversicherungsbeiträgen i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung
178 Von erheblicher praktischer Bedeutung ist in der Praxis die Frage, in welchem Umfang Steuern und Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung befriedigt werden. In Fällen der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung können derartige Forderungen zunächst unbeglichen bleiben, um die Liquiditätslage des Unternehmens zu schonen und eine Masseschmälerung zu verhindern, ohne dass sich die agierenden Personen Strafbarkeits- oder Haftungsrisiken aussetzen.187) Demgegenüber ändert die vorläufige Eigenverwaltung nichts an der Rechtsmacht des Schuldners bzw. der Geschäftsleiter des insolventen Unternehmens, so dass deren öffentlich-rechtliche Pflichten – einschließlich der an eine Nichtzahlung anknüpfenden Strafbarkeits- und Haftungsrisiken – fortbestehen. Zugleich unterliegen Schuldner bzw. Geschäftsleiter nach zutreffender Auffassung im Eröffnungsverfahren der vorläufigen Eigenverwaltung der insolvenzrechtlichen Vermögenssicherungspflicht.188) Es liegt daher eine Kollision insolvenzrechtlicher Sicherungspflichten und steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Zahlungspflichten vor. 179 Wenngleich in der vorläufigen Eigenverwaltung die insolvenzrechtlichen Sicherungspflichten und die Pflicht zur Durchsetzung der Gläubigergleichbehandlung letztlich die straf- und haftungsbewehrten steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten überla___________ 186) Kontoguthaben bei Banken, die zugleich Kreditgeber des Schuldners sind, sind i. d. R. mit Insolvenzantragstellung der Verfügung des Schuldners entzogen, da die Bank in zulässiger Weise ihr AGBPfandrecht gemäß Nr. 14 AGB-Banken geltend machen wird. 187) Hierzu ist anzumerken, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter gerade keiner straf- oder haftungsbewehrten Verpflichtung zur Zahlung der entsprechenden Beträge unterliegt, während die den entsprechenden Pflichten unterliegenden Verantwortlichen des insolventen Unternehmens aufgrund der angeordneten Verfügungsbeschränkungen die Zahlungen gerade nicht mehr leisten dürfen bzw. können; vgl. hierzu auch Frind, ZInsO 2015, 22. 188) Ebenso Frind, ZInsO 2015, 22; Kahlert, s. unten § 57 Rz. 236 ff.; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1406; a. A. wohl (indes ohne nähere Begr.) Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356.
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Vorläufige Eigenverwaltung
gern müssen,189) liegt hierzu bislang keinerlei höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Aus dieser ungeklärten Rechtslage resultiert für Schuldner bzw. Geschäftsleiter das Dilemma,190) sich entweder einer Strafbarkeit und Haftung ausgesetzt zu sehen oder eine Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung zu riskieren. Zur Lösung dieses Dilemmas und zur Vermeidung einer Strafbarkeit und Haftung der Geschäftsleiter haben sich in der Praxis der (vorläufigen) Eigenverwaltung inzwischen verschiedene Vorgehensweisen herausgebildet, deren Zulässigkeit i. E. jedoch umstritten ist. 6.1
Anfechtungslösung: Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern in anfechtbarer Weise
Als vielfach empfohlene Lösung hat sich bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der §§ 270a, 180 270b InsO folgende im jeweiligen Einzelfall zwischen insolventem Unternehmen, Beratern und vorläufigem Sachwalter abgestimmte „Anfechtungslösung“191) herausgebildet:
Der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleiter stellen eine Bezahlung der Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags auch i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung sicher, um eine andernfalls drohende Strafbarkeit gemäß § 266a StGB zu vermeiden. Um im Ergebnis den Abfluss der entsprechenden Mittel gleichwohl i. R. der Insolvenzanfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO rückgängig machen zu können, ist vor den entsprechenden Zahlungen dafür Sorge zu tragen, dass die beteiligten Sozialversicherungsträger eine Information über die Insolvenzantragstellung erhalten haben; diese Information sollte zudem mit einem Vorbehalt der Insolvenzanfechtung verbunden werden.
Eine Bezahlung der Arbeitgeberanteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags erscheint demgegenüber nicht angezeigt, so dass unter Berücksichtigung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes und der Verpflichtung des Schuldners zur Schonung seines Vermögens im Interesse der Gläubigergemeinschaft entsprechende Zahlungen zu unterbleiben haben, was der vorläufige Sachwalter i. R. seiner Aufsicht gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2 InsO zu überwachen hat.192)
Auch die Verpflichtung zur Bezahlung von Steuern tritt in der vorläufigen Eigenverwaltung hinter die insolvenzrechtliche Pflicht zur Sicherung des Vermögens gegen Masseschmälerungen zurück.193) Gleichwohl ist hinsichtlich der Handlungsempfehlung an Schuldner und Geschäftsleiter zunächst zu differenzieren: In der vorläufigen Eigenverwaltung einer natürlichen Person kann eine Nichtbezahlung der Steuern von vornherein keine weiteren haftungsrechtlichen Konsequenzen haben, weshalb eine entsprechende Zahlung zur Vermeidung einer Masseschmälerung zu unterbleiben hat. Da in der vorläufigen Eigenverwaltung von Personengesellschaften und juristischen Personen indes eine steuerliche Vertreterhaftung der Geschäftsleiter gemäß § 69 AO drohen kann194) und finanzgerichtliche Rechtsprechung zur insolvenzrechtlichen Überlagerung der
___________ 189) So auch Kahlert, s. unten § 57 Rz. 236 ff., anders indes – jedenfalls im Hinblick auf die entsprechende Argumentationslinie des BFH Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1409. 190) So auch ausdrücklich Frind, ZInsO 2015, 22. 191) So bereits Hofmann, Eigenverwaltung, 1. Aufl., 2014, Rz. 464; ebenso im Ergebnis: Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 ff., sowie Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 25; Rattunde/Stark, Sachwalter, Rz. 189 (für Steuerforderungen) und Rz. 194 ff. (für Sozialversicherungsbeiträge). 192) So letztlich auch Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356, dort Fn. 15. 193) Kahlert, s. unten § 57 Rz. 236 ff.; anders Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1409, welche insoweit insbesondere auf Grundlage der Rechtsprechung des BFH zur Geschäftsführerhaftung gemäß § 69 AO argumentieren. 194) Vgl. hierzu eingehend auch Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1409.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren steuerrechtlichen Zahlungspflicht in der vorläufigen Eigenverwaltung nach wie vor noch nicht vorliegt, erfolgt im Fall der „Anfechtungslösung“ auch die Bezahlung der Steuern in anfechtbarer Weise, d. h. nach Bösgläubigmachung des Finanzamts bzw. Steuergläubigers.195) Von einer Steuerzahlung absehen können die Geschäftsleiter ausnahmsweise dann, wenn hierzu eine entsprechende verbindliche Auskunft gemäß § 89 AO vorliegt, die bestätigt, dass eine Nichtzahlung aus insolvenzrechtlichen Gründen gerade nicht zu einer Haftung gemäß § 69 AO führen wird;196) eine solche verbindliche Auskunft dürfte jedoch aus Gründen der Bearbeitungsdauer kaum rechtzeitig zu erhalten sein.
181 Nachteil der „Anfechtungslösung“ ist der zusätzliche Liquiditätsbedarf i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung, der bei der Liquiditätsplanung und der Fortführungsfinanzierung bereits im Vorfeld der Verfahrenseinleitung zu berücksichtigen ist. 182 Gegen die „Anfechtungslösung“ führen einzelne Stimmen ins Feld, dass diese Handhabung die Interessen der Geschäftsleiter an einer persönlichen Strafbarkeits- bzw. Haftungsvermeidung über die Interessen der Gläubigergemeinschaft stellen würde.197) Zudem wird vereinzelt die – aus Sicht des Verfassers und unter Berücksichtigung entsprechender Praxiserfahrungen eher theoretische – Gefahr gesehen, dass die Anfechtung im eröffneten Verfahren nicht erfolgreich durchgesetzt werden kann.198) Wenngleich auch nach hier vertretener Auffassung die insolvenzrechtlichen Pflichten des Schuldners bzw. der Geschäftsleiter die straf- und haftungsbewehrten sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Zahlungspflichten überlagern, so ist dies gerade noch nicht durch entsprechende Rechtsprechung zu § 266a StGB oder zu § 69 AO bestätigt. Gerade aus dieser rechtlichen Unsicherheit ergibt sich das erwähnte Strafbarkeits- und Haftungsrisiko. Nach Frind199) sollen sich die Geschäftsleiter insoweit „mindestens in der gleichen Pflichtenverhaftung zugunsten der Gläubigergemeinschaft, wie im „normalen“ Insolvenzeröffnungsverfahren der vorläufige Insolvenzverwalter“ befinden. Gerade für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter dürfte aber unzweifelhaft sein, dass er sich trotz seiner Pflichten gegenüber den Gläubigern des von ihm betreuten Insolvenzverfahrens keinen persönlichen Strafbarkeits- oder Haftungsrisiken aussetzen muss. Gleiches muss im Ergebnis auch für die Geschäftsleiter einer eigenverwaltenden Schuldnerin gelten. Andernfalls wäre die höchstrichterlich für Fälle der (vorläufigen) Eigenverwaltung noch nicht geklärte Kollision zwischen insolvenzrechtlichen Sicherungspflichten einerseits und sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Zahlungspflichten andererseits nicht auflösbar. 183 Die „Anfechtungslösung“ erscheint damit als gangbarer Weg, das Dilemma zwischen ungeklärter Strafbarkeit und Haftung einerseits und Masseschutz andererseits sachgerecht zu lösen, wenngleich die zwischenzeitlich vielfach praktizierte „Zustimmungsvorbehaltslösung“ (siehe sogleich Rz. 189) aus Sicht des Verfassers den „Königsweg“ darstellen dürfte. 6.2
Kassenführungslösung
184 Das AG Hamburg200) sucht die Lösung des Dilemmas in einer – ggf. sogar gerichtlich angeordneten – Überleitung der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen ___________ Kahlert, s. unten § 57 Rz. 243; Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 55 Rz. 93. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 486; ebenso noch Kahlert in der 2. Aufl., § 57 Rz. 25. Frind, ZInsO 2015, 24. So AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101 = ZInsO 2014, 2390; in diesem Sinne auch Hörmann/Yildiz, NZI 2015, 229. 199) Frind, ZInsO 2015, 22, 24. 200) AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101 = ZInsO 2014, 2390; ergänzend erläutert durch Frind, ZInsO 2015, 22–26; ausdrücklich abl. Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 ff.
195) 196) 197) 198)
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Vorläufige Eigenverwaltung
Sachwalter. Demnach soll das Insolvenzgericht – sofern der vorläufige Sachwalter die Kassenführung nicht selbst gemäß § 270a Abs. 1, § 275 Abs. 2 InsO an sich zieht – die Kassenführung durch Beschluss auf den vorläufigen Sachwalter übertragen können.201) Hierdurch sollen eine Masseschmälerung durch Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern unterbunden und zugleich eine straf- und haftungsrechtliche Verantwortung der Geschäftsleiter ausgeschlossen werden. Indes verfehlt die Kassenführungslösung nach Einschätzung des Verfassers jedenfalls teil- 185 weise ihr Ziel, da sie die Rechtswirkungen der Übernahme der Kassenführung gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 2 InsO teils verkennt: Nach h. M. wird der vorläufige Sachwalter durch Übernahme der Kassenführung zum weiteren gesetzlichen Vertreter der Schuldnerin, ohne die Schuldnerin hierbei von der Verfügungsbefugnis auszuschließen.202) Konsequenz dieser bloßen Innenwirkung der Übernahme der Kassenführung ist auch, dass die Geschäftsleiter der Schuldnerin weiterhin rechtlich in der Lage sind, Zahlungen – auch solche an Sozialversicherungsträger und den Fiskus – zu leisten. Verbleibt der Zahlungsverkehr trotz der im Innenverhältnis gemäß § 275 Abs. 2 InsO übernommenen Kassenführung auf den Konten der Schuldnerin, so können die Geschäftsleiter weiterhin wirksam über die entsprechenden Guthaben verfügen, so dass sie in der Lage wären, die betreffenden strafbewehrten Zahlungen zu leisten. Dass hierdurch die insolvenzrechtlichen Pflichten der Schuldnerin gemäß § 275 Abs. 2 InsO gegenüber dem vorläufigen Sachwalter verletzt werden, ändert hieran letztlich nichts; vielmehr ist der Interessenwiderstreit insoweit im Ergebnis derselbe wie bei Unterbleiben der Übernahme der Kassenführung. Es verbleibt damit in diesem Fall beim Fortbestand des Strafbarkeits- und Haftungsrisikos.203) Sofern der kassenführende vorläufige Sachwalter den Zahlungsverkehr vollständig auf ein Ander- oder Treuhandkonto204) überleitet und zugleich aufgrund des ihm nach hier vertretener Auffassung zustehenden Ermessens205) entsprechende Zahlungen nicht leistet, können sich die Geschäftsleiter unter Zugrundelegung der Rechtsprechung zu § 266a StGB angesichts faktisch fehlender Zahlungsmöglichkeit in der Tat von dem Vorwurf des § 266a StGB exkulpieren.206) Unabhängig hiervon begründet indes die Nichtbegleichung von Arbeitnehmersozialversi- 186 cherungsbeiträgen bei übernommener Kassenführung ggf. ein Strafbarkeitsrisiko des vorläufigen Sachwalters, der nach h. M. als (weiterer) gesetzlicher Vertreter der Schuldnerin anzusehen ist und insoweit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 StGB gerade auch als Täter des Delikts des § 266a StGB in Betracht kommt bzw. insoweit jedenfalls nicht von vornherein als Täter ausgeschlossen ist.207) Kommt der vorläufige Sachwalter gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 StGB als tauglicher Täter in Betracht, so besteht letztlich parallel hierzu auch ein zivilrechtliches Haftungsrisiko des vorläufigen Sachwalters gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB, welches ggf. angesichts vorsätzlichen und strafbaren Handelns nicht einmal von einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung gedeckt wäre. ___________ 201) Zur Unzulässigkeit der gerichtlichen Übertragung der Kassenführung vgl. bereits AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893, dazu EWiR 2015, 651 (Frind); ebenso Undritz, ZIP 2016, 549, 551. 202) Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 260. 203) Ebenso Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748, 1749. 204) Für die Zulässigkeit der Einrichtung von Ander- und Treuhandkonten zu Recht: Fiebig, in: HambKommInsO, § 275 Rz. 15; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7, der die Überleitung des Zahlungsverkehrs auf Ander- bzw. Treuhandkonten für unzulässig hält. 205) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 363. 206) So im Ergebnis auch Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748, 1750 m. w. N.; vgl. zur strafrechtlichen Rechtsprechung z. B. BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, ZIP 2002, 2143 = NZI 2002, 454, dazu EWiR 2002, 1017 (A. Schmidt). 207) Hierauf geht Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748 ff., leider nicht ein.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
187 Auch hinsichtlich der Nichtbegleichung von Steuern führt die Übernahme der Kassenführung – jedenfalls bei Überleitung des Zahlungsverkehrs auf ein Ander- bzw. Treuhandkonto – zwar zu einer Entlastung der Geschäftsleiter wegen faktischer Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer steuerlichen Zahlungspflichten. Indes ist auch insoweit zu beachten, dass der kassenführende vorläufige Sachwalter im Bereich der Kassenführung als gesetzlicher Vertreter des Schuldners und somit als Verfügungsberechtigter i. S. von § 35 AO agiert, so dass er sich einem steuerrechtlichen Haftungsrisiko gemäß §§ 69, 35 AO aussetzt, sofern er Steuerzahllasten pflichtwidrig nicht bedient.208) 188 Wenngleich die vorgenannten Strafbarkeits- und Haftungsrisiken konstruiert erscheinen mögen, so liegen die hierzu führenden rechtlichen Erwägungen aus Sicht des Verfassers jedenfalls nicht derart fern, dass es einem vorläufigen Sachwalter zuzumuten wäre, eine Zahlung von straf- und haftungsbewehrten Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerforderungen zu unterlassen. Solange gefestigte Rechtsprechung zur Überlagerung sozialversicherungsund steuerrechtlicher Zahlungspflichten in der vorläufigen Eigenverwaltung noch nicht vorliegt, ist im Ergebnis also der vorläufige Sachwalter im Fall der Übernahme der Kassenführung – gleichermaßen wie die Geschäftsleiter im Fall nicht übernommener Kassenführung – gehalten, entsprechende Zahlungen nach Bösgläubigmachung der Zahlungsempfänger zu leisten. Damit wäre mit der Übernahme der Kassenführung letztlich aus Sicht des Verfassers nichts gewonnen. Vielmehr führt die Übernahme oder Übertragung der Kassenführung lediglich zu einer Verlagerung der Strafbarkeits- und Haftungsrisiken von den Geschäftsleitern auf den vorläufigen Sachwalter oder gar zu einer Verdopplung des Strafbarkeits- und Haftungsrisikos, weshalb die „Kassenführungslösung“ im Ergebnis als nicht zur Auflösung des Dilemmas tauglich abzulehnen ist. 6.3
Zustimmungsvorbehaltslösung: Besonderer Zustimmungsvorbehalt hinsichtlich Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Fiskus
189 Auf Grundlage eines Beschlusses des AG Düsseldorf209) aus dem Jahr 2014 hat sich inzwischen als weitere und aus Sicht des Verfassers vorzugswürdige Auflösung des Dilemmas die insolvenzgerichtliche Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts hinsichtlich der Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Steuergläubiger herausgebildet.210) Teile der Literatur211) und Rechtsprechung212) halten einen entsprechenden besonderen Zustimmungsvorbehalt für unzulässig und verweisen zur Begründung insbesondere darauf, dass der Gesetzgeber in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO zwar auf die §§ 274, 275 InsO, nicht aber auf § 277 InsO verwiesen habe, welcher die Anordnung besonderer Zustimmungsvorbehalte im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren regelt.213) Demgegenüber verkennt die ablehnende Auffassung m. E. die § 270a Abs. 1 InsO überschattende Geltung der Generalklausel des § 21 Abs. 1 InsO:214) Demnach kann und muss das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren sämtliche Maßnahmen ergreifen, „die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den An___________ 208) Laut Kahlert, EWiR 2015, 709, 710, soll die Finanzverwaltung NRW insoweit bereits kassenführende vorläufige Sachwalter aus einer möglichen Haftung gemäß §§ 69, 35 AO in Anspruch genommen haben. 209) AG Düsseldorf v. 10.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389. 210) Ebenso inzwischen: AG Berlin-Charlottenburg v. 30.10.2014 – 36g IN 124/14, n. v.; AG Amberg v. 26.1.2015 – 163 IN 26/15, n. v.; AG Osnabrück v. 16.4.2015 – 26 IN 14/15, n. v.; AG Reinbek v 8.2.2016 – 1500 IN 267/16, n. v.; AG München v. 27.7.2017 – 1507 IN 2020/17, n. v.; AG Heilbronn v. 23.3.2016 – 12 IN 149/16, ZIP 2016, 782 f.; AG Hamburg v. 19.6.2017 – 67g IN 173/17, ZIP 2017, 1383, dazu EWiR 2017, 537 (Hofmann); zust. auch Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356 f. 211) Frind, ZInsO 2015, 22, 24. 212) AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893. 213) AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893. 214) Vgl. hierzu auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 369.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
trag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten.“ Die Regelung des § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO schränkt diese Anordnungskompetenz lediglich dahingehend ein, dass das Insolvenzgericht von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots wie auch eines alle Verfügungen des Schuldners erfassenden allgemeinen Zustimmungsvorbehalts absehen soll. Die Anordnung eines – zur Sicherung des Schuldnervermögens i. S. von § 21 Abs. 1 InsO erforderlichen – besonderen Zustimmungsvorbehalts unterbindet § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO weder ausweislich seines Wortlauts noch unter systematischen oder teleologischen Gesichtspunkten, sofern hierdurch nicht das Wesen der (vorläufigen) Eigenverwaltung verändert wird und der Schuldner gerade im Tagesgeschäft weiterhin in eigener Verantwortung handeln kann. Sofern gegen einen besonderen Zustimmungsvorbehalt das Argument vorgebracht wird, dass 190 letztlich eine Zustimmung von vornherein nicht erteilt werden wird, so spricht dies weniger gegen die Zulässigkeit eines besonderen Zustimmungsvorbehalts, sondern vielmehr letztlich sogar dafür, dass das Insolvenzgericht sogar ein besonderes Zahlungsverbot anordnen dürfte oder müsste. Da indes der besondere Zustimmungsvorbehalt i. S. von § 21 Abs. 1 InsO demgegenüber das mildere Mittel darstellt, erscheint aus hiesiger Sicht die Anordnung eines besonderen Zahlungsverbots nicht angezeigt. Dies gilt umso mehr, als durchaus Fälle denkbar sind, in denen der vorläufige Sachwalter seine Zustimmung zur Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen erteilt, z. B. im Fall eines Arbeitnehmerüberlassungsunternehmens zur Vermeidung einer Haftung des Entleihers gemäß § 28e SGB IV. Ordnet das Insolvenzgericht einen entsprechenden Zustimmungsvorbehalt an und verwei- 191 gert der vorläufige Sachwalter die Erteilung der Zustimmung, so scheidet eine Haftung der Geschäftsleiter wegen der Nichtabführung von Steuern gemäß § 69 AO – wie im dann vergleichbaren Fall der Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters215) – aus.216) 6.4
Hinweise zur Handhabung in der Praxis
Die Vielfalt der vertretenen Lösungen und die hiermit einhergehende ablehnende Haltung 192 gegenüber den jeweils anderen Lösungen verkompliziert die Handhabung in der Praxis bis zu einer abschließenden höchstrichterlichen Klärung in Abhängigkeit von der Haltung des jeweils zuständigen Insolvenzrichters deutlich. Insoweit ist letztlich zu empfehlen, die Vorgehensweise – wie ggf. auch die Frage der Begründung von Masseverbindlichkeiten – bereits im Vorfeld der Insolvenzantragstellung oder spätestens unmittelbar nach Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung mit dem zuständigen Insolvenzrichter zu klären. Treten Fälligkeiten entsprechender Zahlungen – z. B. für die Umsatzsteuer am 10. des Folgemonats oder für die Sozialversicherungsbeiträge am drittletzten Bankarbeitstag des Monats – bereits kurz nach Insolvenzantragstellung ein, so ist dringend zu empfehlen, entsprechende Anregungen bereits in den Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag aufzunehmen. Inhaltlich erscheint aus Sicht des Verfassers die dargestellte Zustimmungsvorbehaltslösung 193 vorzugswürdig. Daher sollte versucht werden, das zuständige Gericht von der Zulässigkeit dieser Lösung zu überzeugen.217) Sollte das Gericht sich dieser Lösung verwehren, so erscheint aus Sicht des Verfassers die Anfechtungslösung als zweite Wahl, da hierdurch mögliche Haftungsrisiken der Kassenführungslösung vermieden werden. Wichtig ist in diesem Fall, den Nachweis der Bösgläubigmachung der Zahlungsempfänger unter gleichzeitigem Anfechtungsvorbehalt möglichst sowohl durch den Schuldner als auch durch den vorläu___________ 215) Vgl. hierzu BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122. 216) So auch FG Münster v. 3.4.2017 – 7 V 492/17 U, ZIP 2017, 1174, dazu EWiR 2017, 569 (Hölzle). 217) Vgl. zu einem Muster hinsichtlich einer entsprechenden Anregung Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 621.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
figen Sachwalter belastbar zu dokumentieren. Vorläufigen Sachwaltern ist anzuraten, bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtslage die sog. „Kassenführungslösung“ als risikoträchtig abzulehnen. 7.
Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren: Insolvenzplan vs. übertragende Sanierung
194 Einen der grundlegenden Konflikte zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen wird insbesondere in Fällen inhabergeführter Unternehmen oder von Familienunternehmen die Entscheidung zwischen Restrukturierung des Unternehmensträgers mittels Insolvenzplan einerseits und Restrukturierung des Unternehmens im Wege der übertragenden Sanierung andererseits bilden. 195 Die vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren wird in aller Regel – z. B. auch in Gestalt des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO – auf eine Restrukturierung des Schuldnerunternehmens durch einen Insolvenzplan abzielen. Hat insoweit der Schuldner bzw. dessen Gesellschafterkreis Interesse daran, auch nach Abschluss des Verfahrens maßgeblich, evtl. sogar allein am Unternehmen beteiligt zu sein, so liegt auf der Hand, dass das Interesse des Schuldners bzw. der Gesellschafter an diesem Erhalt der eigenen Rechtsposition und an der Minimierung eines ggf. nötigen finanziellen Sanierungsbeitrags einerseits und das Interesse der Gläubiger an einem (wirtschaftlich) bestmöglichen Verfahrensergebnis zuwiderlaufen. Zugleich ist festzuhalten, dass die Entscheidung über den Weg zur Erreichung des Verfahrensziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung gemäß § 157 InsO gerade nicht dem (eigenverwaltenden) Schuldner, sondern ausschließlich der Gläubigerversammlung zusteht. Als gleichberechtigte Wege stehen dabei die Sanierung des insolventen Rechtsträgers mit Hilfe eines Insolvenzplans, die übertragende Sanierung und die Liquidation des Schuldnerunternehmens zur Verfügung, wobei letztlich auch ergebnisoffen ist, wer als Investor einer Plan- oder Übertragungslösung zum Zug kommt.218) Im Regelinsolvenzverfahren ist der vorläufige Insolvenzverwalter daher aufgrund seiner Pflicht zur Sicherung des Schuldnervermögens verpflichtet, i. R. seiner Befugnisse dafür zu sorgen, dass den Gläubigern im eröffneten Insolvenzverfahren die entsprechenden Entscheidungsmöglichkeiten verbleiben.219) Der vorläufige Insolvenzverwalter ist daher sowohl verpflichtet, Bemühungen des Schuldners zur Vorbereitung eines Insolvenzplans beratend zu unterstützen, soweit sachgerecht ggf. eigene entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und zudem sämtliche zum Werterhalt des Schuldnerunternehmens angezeigte Maßnahmen zu treffen; dies gilt im Fall einer in Betracht kommenden übertragenden Sanierung insbesondere auch für die frühzeitige Identifizierung möglicher Investoren und die Führung vorbereitender Gespräche mit Investoren und wesentlichen Verfahrensbeteiligten i. R. eines strukturierten M&A-Prozesses.220) Während die entsprechende Pflichtenstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters insoweit von § 22 InsO relativ klar durch dessen Sicherungsaufgabe determiniert ist, fehlt für die vorläufige Eigenverwaltung ein entsprechendes Leitbild. 196 Zwar ist Aufgabe des vorläufigen Sachwalters im Verfahren gemäß § 270a Abs. 1 InsO letztlich vorwiegend die Aufsicht über den Schuldner. Insoweit darauf zu schließen, dass es nicht Aufgabe des vorläufigen Sachwalters sei, Vorbereitungen für eine übertragende Sanierung zu treffen bzw. auf solche Vorbereitungen hinzuwirken, würde indes zu kurz greifen. Der vorläufige Sachwalter hat nämlich Gericht und Gläubiger gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 ___________ 218) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1892. 219) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1892. 220) Ähnl. auch Fröhlich/Bächstädt, ZInsO 2011, 985, 990, die indes den frühzeitigen Aufbau von Alternativszenarien v. a. im Fall angebrachter Skepsis gegenüber einem konkreten Insolvenzplanvorhaben empfehlen.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Abs. 3 InsO davon zu unterrichten, wenn er Nachteile für die Gläubigergemeinschaft feststellt. Würden nicht sämtliche realistischerweise in Frage kommenden Möglichkeiten der Erreichung der Gläubigerbefriedigung aufrechterhalten, so drohte für die Gläubiger jedenfalls der Nachteil, dass ihnen die Entscheidung gemäß § 157 InsO von vornherein aus der Hand genommen würde. Kommen daher neben einer vom Schuldner angestrebten Insolvenzplanlösung auch andere Wege der Gläubigerbefriedigung in Betracht, insbesondere eine übertragende Sanierung, so hat der vorläufige Sachwalter i. R. seiner beratenden Begleitung221) der Eigenverwaltung entsprechende Diskussionen anzustoßen und nötigenfalls darauf hinzuwirken, dass der Schuldner auch insoweit entsprechende Vorbereitungen in die Wege leitet, insbesondere einen M&A-Prozess einleitet. Auch im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO gelten nach hier vertretener Auffas- 197 sung insoweit keine Besonderheiten. Zwar mag die gesetzgeberische Wertung dafür sprechen, dass während der vom Gericht gemäß § 270b Abs. 1 InsO bestimmten Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans die Restrukturierung des Unternehmens i. R. eines Insolvenzplans als mögliches Verfahrensziel Priorität hat. Allerdings dürfen anderweitige Bemühungen auch im Fall des § 270b InsO nicht einfach zurückgestellt werden, da die in § 157 InsO vorgesehene Entscheidung der Gläubigerversammlung auch in diesem Fall nicht vereitelt werden darf. Zudem ist es auch im Hinblick auf die Erfolgsaussichten eines Insolvenzplans ggf. empfehlenswert, Alternativüberlegungen umzusetzen, um insbesondere die Angemessenheit der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote belegen zu können. Für die Praxis der Verfahrensabwicklung empfiehlt sich daher der offene und transparente 198 Umgang mit dem Konflikt zwischen Insolvenzplan und übertragender Sanierung. Zusammenfassend lassen sich insoweit folgende Empfehlungen aussprechen: Bis zur Entscheidung der Gläubiger gemäß § 157 InsO im Berichtstermin haben sowohl 199 Schuldner wie auch (vorläufiger) Sachwalter sämtliche möglichen Alternativen der Verfahrenszielerreichung als gleichwertig zu verfolgen und zu fördern. Schuldner und vorläufiger Sachwalter haben sich in der Erreichung der bestmöglichen 200 Gläubigerbefriedigung so weit wie möglich zu unterstützen. Der vorläufige Sachwalter ist insoweit als im Interesse der Gläubiger bestelltes Aufsichtsorgan – auch entsprechend dem Rechtsgedanken des § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO – insbesondere verpflichtet, die Vorbereitung eines Insolvenzplans durch den Schuldner beratend zu begleiten. Der Schuldner ist demgegenüber auch im Fall eines angestrebten Insolvenzplans verpflichtet, Bemühungen um eine übertragende Sanierung oder um einen Investor für eine Planlösung einzuleiten (Dual-Track); ein entsprechender ergebnisoffener M&A-Prozess hat insoweit unter beratender Begleitung des vorläufigen Sachwalters stattzufinden. Erscheint ein M&A-Prozess aus wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Gründen222) 201 als verzichtbar, weil solche Gründe klar für eine greifbare Lösung, z. B. die vom Schuldner angestrebte Sanierung über einen Insolvenzplan, sprechen oder lassen solche Gründe eine ___________ 221) Vgl. hierzu auch BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 1592, 1598, wonach sich der (vorläufige) Sachwalter i. R. seiner beratenden Begleitung der Eigenverwaltung rechtzeitig in die Erarbeitung der Sanierungskonzepte des Schuldners einbinden lassen und rechtzeitig zu erkennen geben muss, welche Maßnahmen und Wege er für gangbar hält, um eine Beschädigung des Sanierungsprozesses zu vermeiden. 222) Verzichtbar erscheint ein M&A-Prozess i. d. R. bei kleinen und mittleren Unternehmen, die wegen ihrer starken inhaltlichen Verknüpfung mit den als Gesellschafter und Geschäftsleiter agierenden Personen ohne deren Mitwirkung nicht veräußerbar erscheinen. Da mit einem M&A-Prozess zugegebenermaßen auch hohe Kosten einhergehen können und die Investorensuche angesichts des unklaren Ausgangs auch zu negativen Beeinträchtigungen auf Kunden- und Umsatzseite führen kann, erscheint ein M&A-Prozess nach hier vertretener Auffassung auch dann verzichtbar, wenn im Einzelfall ein bereits weit fortgeschrittenes Insolvenzplankonzept einem Vergleich mit realistischerweise zu erwartenden Kaufangeboten auf Grundlage vorliegender Unternehmensbewertungen ohne weiteres standhält.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
andere Lösung als nicht sinnvoll erscheinen, sollte zudem auf jeden Fall der (vorläufige) Gläubigerausschuss eine entsprechende verfahrensleitende Entscheidung treffen.223) Auf Grundlage dieser aus der Gläubigerautonomie abgeleiteten Entscheidung haben Schuldner und vorläufiger Sachwalter sodann die entsprechenden Maßnahmen zur Umsetzung zu treffen. Ohne hinreichenden Grund sollte indes auch der (vorläufige) Gläubigerausschuss zurückhaltend darin sein, durch seine Entscheidungen eine Entscheidung der Gläubigerversammlung gemäß § 157 InsO vorwegzunehmen oder zu vereiteln. 8.
Steuerliche Fragen der vorläufigen Eigenverwaltung224)
202 Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bleibt zunächst ohne jegliche Auswirkungen auf steuerliche Pflichten des Schuldners. Insbesondere ist der vorläufige Sachwalter wie auch der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren in keinem Fall als Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO anzusehen. 203 Soweit der Schuldner umfassend Masseverbindlichkeiten begründet, z. B. aufgrund einer Anordnung gemäß § 270b Abs. 3 InsO, sind nach Verfahrenseröffnung auch entsprechend entstehende Steuern im Rang von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270b Abs. 3 Satz 2, § 55 Abs. 2 InsO zu erfüllen. 204 In allen anderen Fällen kommt nach zutreffender Ansicht eine analoge Anwendung von § 55 Abs. 4 InsO nicht in Betracht, da dem vorläufigen Sachwalter eine mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter vergleichbare Rechtsmacht von vornherein fehlt.225) Auch mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters vorgenommene Geschäfte des Schuldners können daher nach Auffassung des Verfassers im Grundsatz nur Steuerforderungen im Rang von Insolvenzforderungen i. S. von § 38 InsO zur Folge haben. V.
Weitere vorläufige Maßnahmen nach § 21 InsO
205 Zur Sicherung des Schuldnervermögens und zur Vermeidung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners während des Eröffnungsverfahrens kann und muss das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 InsO alle erforderlichen Maßnahmen treffen. Dies gilt insbesondere für solche Maßnahmen, die der Stabilisierung der Fortführung des Schuldnerunternehmens oder dem Schutz der vorhandenen Liquidität des Schuldners nützen. In praxi wird das Insolvenzgericht in aller Regel auf Hinweise des vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. – im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung – des Schuldners und des vorläufigen Sachwalters angewiesen sein, da diese deutlich tiefere Detailkenntnisse der Vermögenssituation des Schuldners und etwaig drohender nachteiliger Veränderungen haben. 206 Im Hinblick auf die Anregung entsprechender vorläufiger Maßnahmen ist den Akteuren für eine zügige Umsetzung folgende Praxis anzuraten: 207 Vorläufige Maßnahmen i. S. von § 21 Abs. 1 bzw. Abs. 2 InsO sind i. R. entsprechender an das Insolvenzgericht gerichteter Anregungen möglichst bestimmt zu bezeichnen, damit das Gericht ohne größere Nachfragen hierüber entscheiden kann.226) 208 Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Hintergründe der angeregten vorläufigen Maßnahme sind dem Insolvenzgericht zur Begründung der Anregung i. d. R. schriftlich, im Einzelfall – insbesondere im Fall besonders eiliger Maßnahmen – mündlich darzulegen. ___________ 223) Ebenso Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1375. 224) Zu steuerlichen Fragen der Sanierung s. a. unten § 57. 225) So z. B. auch Kahlert, EWiR 2015, 709; a. A. LG Erfurt v. 16.10.2015 – 8 O 196/15 (Laborchemie Apolda GmbH), ZIP 2015, 2181, dazu EWiR 2015, 709 (Kahlert) – aufgehoben durch OLG Jena v. 22.6.2016 – 7 U 753/15, ZIP 2016, 1741, dazu EWiR 2016, 671 (Haneke/Debus). 226) Beschlussanregungen i. S. ausdrücklicher Formulierungsvorschläge für entsprechende gerichtliche Anordnungen erscheinen insoweit aus Sicht des Verfassers durchaus empfehlenswert.
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
Damit das Insolvenzgericht zeitnah über eine entsprechende Anregung entscheiden kann, 209 sollten Anregungen entweder gemeinsam durch Schuldner und vorläufigen Sachwalter erfolgen oder der jeweils andere sollte gegenüber dem Gericht jedenfalls kurz (positiv) Stellung zu der Anregung nehmen. Eine entsprechend abgestimmte Vorgehensweise unterstreicht insbesondere auch nochmals das unerlässliche kooperative Verhältnis zwischen Schuldner und (vorläufigem) Sachwalter. Im Einzelnen kommen insbesondere folgende vorläufige Maßnahmen i. S. von § 21 InsO 210 in Betracht: 1.
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO)227)
Sofern das Gericht nicht bereits vor der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 21 211 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss eingesetzt hat, kann oftmals die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses sinnvoll sein, z. B. um frühzeitig ein Gläubigerorgan an verfahrensleitenden Entscheidungen zu beteiligen. In den Fällen des § 22a InsO ist die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses letztlich sogar obligatorisch. 2.
Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO)
Eine wesentliche und in Fällen der Betriebsfortführung regelmäßig anzuordnende vorläu- 212 fige Maßnahme ist die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO vorgesehene vorläufige Einstellung und Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Die Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO dient hierbei insbesondere der Verhinderung von Pfändungen von Barvermögen bzw. von Kontopfändungen, die einer Betriebsfortführung oftmals die erforderliche Liquidität und damit die wesentliche Grundlage zu entziehen drohen. Im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO hat das Gericht Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO auf Antrag des Schuldners anzuordnen (vgl. § 270b Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 InsO). Auch in allen anderen Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung wird das Insolvenzgericht die Einstellung und Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO entweder bereits bei Bestellung des vorläufigen Sachwalters von Amts wegen oder in der Folge auf entsprechende Anregung des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters anordnen. Die Einstellung und Untersagung der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 213 InsO erfasst neben der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen auch die Herausgabevollstreckung nach §§ 883 ff. ZPO, insbesondere auch die Vollstreckung der Herausgabe und Räumung von Geschäftsräumen.228) In Fällen gekündigter Geschäftsraummietverhältnisse ist die Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO somit ein absolut unerlässliches Instrument zur Aufrechterhaltung der Sanierungschancen, da der Schuldner so während des Eröffnungsverfahrens zusätzliche Zeit zu einer möglichen Einigung mit dem Vermieter bzw. zu einer anderweitigen Lösung der Geschäftsraumproblematik erhält.229) ___________ 227) Vgl. hierzu eingehend unten § 9. 228) Voß, in: Graf-Schlicker, InsO, § 21 Rz. 21. 229) Für den Vermieter führt die vorläufige Einstellung der Vollstreckung zu der misslichen Situation, dass ihm – abgesehen von Fällen der Anordnung starker vorläufiger Eigenverwaltung – seine Nutzungsentschädigungsforderung gemäß § 546a BGB nur im Rang einer Insolvenzforderung zusteht. Vor diesem Hintergrund wird auch der Vermieter ggf. Interesse an einer Einigung mit dem Schuldner haben, die letztlich auch die Bezahlung einer neu vereinbarten Miete für die Zeit des Eröffnungsverfahrens und für die Zeit nach Verfahrenseröffnung zum Gegenstand haben kann.
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§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
214 Einzig nicht von der vorläufigen Einstellung und Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfasst sind auf Grundlage des insoweit eindeutigen Wortlauts des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO Zwangsvollstreckungen in unbewegliches Vermögen des Schuldners. Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren i. S. des ZVG werden somit durch die insolvenzgerichtliche Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO nicht suspendiert. Insoweit besteht jedoch gemäß § 30d Abs. 4 ZVG die Möglichkeit der einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung, wobei im Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 30d Abs. 4 Satz 2 ZVG das Antragsrecht dem Schuldner zusteht.230) 3.
(Keine) Vorläufige Postsperre (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO)
215 Eine vorläufige Maßnahme, die in praxi insbesondere in Fällen mangelnder Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter zum Einsatz kommt, ist die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO vorgesehene vorläufige Postsperre. In Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung wird eine vorläufige Postsperre bereits vom Grundsatz her nicht in Betracht kommen. Vielmehr hat eine vorläufige Postsperre entsprechend der Wertung des § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO zu unterbleiben, wenn ein vom Schuldner gestellter Eigenverwaltungsantrag nicht offensichtlich aussichtslos ist. Sollten demgegenüber die Voraussetzungen einer vorläufigen Postsperre vorliegen, insbesondere der begründete Verdacht des Verleugnens oder Vorenthaltens von Unterlagen oder Vermögenswerten durch den Schuldner bestehen,231) so wird vielmehr die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters anstelle des vorläufigen Sachwalters und zusätzlich die Anordnung einer vorläufigen Postsperre angezeigt sein. Die vorläufige Eigenverwaltung des § 270a InsO wäre in diesem Fall indes zu Recht beendet. 4.
Verbot der Verwertung von Aus- und Absonderungsgut (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO)
216 Das mit Wirkung vom 1.7.2007 in den Regelkatalog der vorläufigen Maßnahmen des § 21 Abs. 2 InsO aufgenommene Verwertungs- und Einziehungsverbot stellt in der insolvenzrechtlichen Praxis ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung von Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren dar. Dies gilt insbesondere für Gegenstände des Anlagevermögens, die im laufenden Betrieb zum Einsatz kommen sollen. Demgegenüber erscheint die Vorschrift für Zwecke des Einsatzes von Umlaufvermögen, insbesondere von Vorbehaltsware, sicherungsübereigneten Warenbeständen oder globalzediertem Forderungsbestand, nicht zielführend;232) insoweit ist nämlich zu beachten, dass Erlöse aus der Einziehung von Forderungen oder der Veräußerung von Gegenständen auf Grundlage einer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO gerade nicht für Zwecke der Fortführungsfinanzierung eingesetzt werden dürfen. Entsprechende Erlöse stehen letztlich ausschließlich dem betreffenden aus- bzw. absonderungsberechtigten Gläubiger zu und sind für diesen zu separieren.233) Ein Einsatz liquider Mittel aus der Einziehung sicherungszedierter Forderungen kommt daher letztlich nur im Fall entsprechender vertraglicher Vereinbarungen mit dem jeweiligen Drittrechtsinhaber i. R. eines sog. unechten Massekredits in Betracht. 217 Hinsichtlich der Voraussetzungen der Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO ist zu beachten, dass die Forderungen oder die Gegenstände, die von der Anordnung be___________ 230) Zu beachten ist insoweit, dass gemäß § 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG zugleich die Auflage anzuordnen ist, dass spätestens ab dem vierten Monat nach der ersten einstweiligen Einstellung dem betreibenden Gläubiger die laufenden Zinsen bezahlt werden. 231) Vgl. z. B. Voß, in: Graf-Schlicker, InsO, § 21 Rz. 24. 232) Vgl. hierzu auch Andres/Hees, NZI 2011, 881 ff. 233) Vgl. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 ff., dazu EWiR 2010, 395 (Knof).
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§7
Vorläufige Eigenverwaltung
troffen sind, zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von erheblicher Bedeutung sein müssen. Dies sollte das Gericht in seiner Entscheidung jedenfalls kurz bzw. ggf. unter Bezugnahme auf entsprechende Anregungsschriftsätze des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters begründen.234) Zu beachten ist zudem, dass – auch in Fällen „schwacher“ vorläufiger Eigenverwaltung – 218 der von der Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO betroffene Ab- bzw. Aussonderungsberechtigte ab der Anordnung Ausgleichsansprüche gegen die Insolvenzmasse, d. h. im Rang von Masseverbindlichkeiten, erwirbt.235) Die Ansprüche richten sich auf Ausgleich des durch die Nutzung des Gegenstands eintretenden Wertverlusts (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO), so dass sich die Dokumentation des Umfangs entsprechender Nutzung bzw. des Zustands im Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung empfiehlt, um den durch die Nutzung eingetretenen Wertverlust letztlich im weiteren Verfahrensverlauf ermitteln zu können. Hierbei ist zu beachten, dass der durch Nutzung eintretende Wertverlust sich nach zutreffender Auffassung gerade nicht mit einer ggf. vereinbarten Miete, Leasingrate oder anderweitigen Nutzungsentschädigung decken wird;236) vereinbarte Nutzungsvergütungen beinhalten nämlich neben einem Äquivalent für die Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeit auch Bestandteile für Finanzierungskosten und für einen durch bloßen Zeitablauf eintretenden Wertverlust.237) Der Schuldner und seine Berater wie auch – i. R. seiner Aufsichtsaufgabe – der vorläufige Sachwalter haben daher für die entsprechende Dokumentation des Zustands der von einer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO erfassten Gegenstände Sorge zu tragen, um Nachteile aus einer fehlenden bzw. mangelhaften Dokumentation zu vermeiden. Im Hinblick auf insolvenzgerichtliche Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO so- 219 wie im Hinblick auf deren Anregung durch den Schuldner oder den vorläufigen Sachwalter ist zudem zu beachten, dass die betreffenden Gegenstände hinreichend genau individualisiert werden; insbesondere ein pauschales Aufgreifen des Wortlauts von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an entsprechende insolvenzgerichtliche Beschlüsse.238) 5.
Sonstige Maßnahmen
Da es sich bei den in § 21 Abs. 2 InsO genannten Maßnahmen lediglich um Regelbeispiele 220 vorläufiger Maßnahmen handelt, lässt § 21 Abs. 1 InsO dem Insolvenzgericht breiten Raum für weitere Anordnungen. Hierbei sind letztlich – insbesondere bei Maßnahmen gegen am Verfahren nicht beteiligte Dritte – v. a. verfassungsrechtliche Grenzen zu beachten, so dass insbesondere eine Durchsuchung von Räumen Dritter i. R. einer gerichtlichen Anordnung auf Grundlage der insoweit nicht bestimmten Norm des § 21 Abs. 1 InsO nicht zulässig ist.239)
___________ 234) BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141, 142 f. 235) BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141. 236) Ebenso Sinz/Hiebert, ZInsO 2011, 798, 799, die sogar so weit gehen, lediglich über das gewöhnliche Maß hinausgehende Substanzschädigungen als ersatzpflichtig anzusehen. 237) Besonders signifikant mag dies im Fall neuer Kraftfahrzeuge sein, die – letztlich ohne jegliche Nutzung – allein durch die Zulassung des Fahrzeugs und den Verlust des Status eines „Neuwagens“ einen Wertverlust erleiden, der nach hier vertretener Auffassung nicht als „durch Nutzung eintretender Wertverlust“ i. S. von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO zu entschädigen ist. 238) BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141. 239) BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068, dazu EWiR 2010, 21 (Frind).
M. Hofmann
247
§7 VI.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Auswirkungen der vorläufigen Eigenverwaltung auf laufende Rechtsstreite
221 Im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung bei Verfahrenseröffnung tritt – wie im Fall der Bestellung eines Insolvenzverwalters – eine Unterbrechung sämtlicher vermögensrelevanter Rechtsstreite gemäß § 240 Satz 1 ZPO ein.240) Diese ist letztlich unmittelbare Folge der Verfahrenseröffnung. Zweck der Unterbrechung anhängiger Rechtstreite gemäß § 240 ZPO ist es, dem Insolvenzverwalter bzw. – im Fall der Eigenverwaltung – dem Schuldner eine hinreichende Überlegungsfrist zu verschaffen, innerhalb derer über das künftige Prozessverhalten entschieden werden kann.241) In der Eigenverwaltung hat sich der Schuldner hierbei insbesondere auch mit dem Sachwalter abzustimmen, was ebenfalls die Verfahrensunterbrechung erfordert bzw. rechtfertigt.242) 222 Im Eröffnungsverfahren statuiert § 240 Satz 2 ZPO ebenfalls eine Unterbrechung anhängiger Zivilprozesse im Fall des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis einer Partei auf einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter i. S. von § 22 Abs. 1 InsO. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne gleichzeitige Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots führt indes nicht zur Unterbrechung anhängiger Rechtsstreite.243) 223 Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters hat keine Regelung in § 240 ZPO erfahren. Nach hier vertretener Auffassung kann – ausgehend vom dargelegten Gesetzeszweck der Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO – die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nicht die Folgen des § 240 ZPO auslösen. Insbesondere fehlt es an jeglicher Vergleichbarkeit zur Konstellation des § 240 Satz 2 ZPO, da gerade im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO keinerlei Eingriff in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners erfolgt. Auch wird die Zielrichtung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners durch die bloße Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nicht grundsätzlich geändert. 224 Anders verhält es sich indes im Fall der umfassenden gerichtlichen Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (sog. starke vorläufige Eigenverwaltung). Hat das Gericht eine entsprechende Anordnung erlassen, so verpflichtet der Schuldner durch sein Handeln die künftige Insolvenzmasse. Die für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter i. S. von § 22 Abs. 1 InsO geltende Norm des § 55 Abs. 2 InsO wird von § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO insoweit ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt. Verpflichtet der Schuldner jedoch im Fall der „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung unmittelbar die künftige Insolvenzmasse, so muss auch er sein weiteres Prozessverhalten vorrangig an den Gläubigerinteressen ausrichten. Er benötigt insoweit die von § 240 ZPO bezweckte Überlegungsfrist.244) Angesichts der insoweit bestehenden Gesetzeslücke ist § 240 Satz 2 ZPO in diesem Fall unter teleologischen Gesichtspunkten analog anzuwenden; eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber wäre jedoch wünschenswert. Die Anordnung einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung führt damit – sei es im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b Abs. 3 InsO oder auch in einer „normalen“ vorläufigen Eigenverwaltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO – analog § 240 Satz 2 ZPO zur Unterbrechung anhängiger Zivilprozesse. 225 Für Rechtsstreite in arbeits-, finanz-, verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren gilt über die Verweisungsnormen § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 155 FGO, § 173 Satz 1 VwGO, ___________ 240) 241) 242) 243) 244)
248
BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry). Ebenso BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 f. Vgl. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250.
M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung
§ 202 SGG Entsprechendes, so dass auch in diesen Verfahren im Fall einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung analog § 240 Satz 2 ZPO eine Unterbrechung eintritt. VII. Haftung für Rechtshandlungen des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung Während sich die Haftung des vorläufigen Sachwalters (siehe hierzu Rz. 87) gemäß § 270a 226 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO insbesondere nach der Norm des § 60 InsO richtet, hat die Haftung des Schuldners und der für den Schuldner handelnden Geschäftsleiter keine eigenständige insolvenzrechtliche Regelung erfahren. Die Fragen der Haftung des Schuldners und der Geschäftsleiter eigenverwalteter Gesellschaften waren insoweit lange Zeit umstritten. Auch war das Fehlen eines gesetzlich geregelten Haftungsregimes in der (vorläufigen) Eigenverwaltung lange Zeit ein Kritikpunkt an den Regelungen der Eigenverwaltung.245) Mit seiner Grundsatzentscheidung vom 26.4.2018246) hat der BGH die vorangegangene Diskussion in der Literatur für die Praxis i. S. einer analogen Anwendung der insolvenzrechtlichen Haftungsnormen der §§ 60, 61 InsO beendet. Aussagen zum Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung trifft der BGH nicht; gleichwohl sind die Erwägungen des BGH auf die vorläufige Eigenverwaltung – gleich, ob in Fällen des § 270a Abs. 1 InsO oder in Fällen des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO – übertragbar.247) 1.
Haftung des Schuldners
Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH haftet der Schuldner im eröffneten Eigen- 227 verwaltungsverfahren über die Verweisungsnorm des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend §§ 60, 61 InsO für die Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten.248) Indes erscheint eine derartige Haftung des Schuldners im Ergebnis nicht zielführend, da den Gläubigern ohnehin das gesamte Schuldnervermögen haftet, so dass eine derartige Haftung jedenfalls wirtschaftlich regelmäßig wertlos erscheint.249) In Fällen der Eigenverwaltung natürlicher Personen ergeben sich hieraus für die Gläubiger im Ergebnis Nachteile gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren, da dort gerade der (vorläufige) Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO gegenüber sämtlichen Verfahrensbeteiligten für die Verletzung seiner Pflichten haftet. Dieser verminderte Schutz der Verfahrensbeteiligten ist indes im Institut der (vorläufigen) Eigenverwaltung von vornherein angelegt, so dass Schutz gegen entsprechende Risiken letztlich allein über die Frage nach der Zulassung der (vorläufigen) Eigenverwaltung im konkreten Fall zu suchen ist. 2.
Insolvenzrechtliche Haftung der Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane
Handelt es sich bei dem Schuldner eines Eigenverwaltungsverfahrens um eine Gesellschaft, 228 so wird diese durch ihre Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane vertreten. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH besteht eine Haftung der Geschäftsleiter analog §§ 60, 61 InsO gegenüber den Beteiligten des Insolvenzverfahrens. Dies führt zu einem Haftungsgleichlauf zwischen Eigenverwaltung und Regelinsolvenz, so dass Geschäftsleiter in der Ei___________ 245) So hatte auch der Verfasser bereits nach Vorliegen des Diskussionsentwurfs des ESUG die Schaffung eines insolvenzrechtlichen Haftungstatbestands im System der Eigenverwaltung gefordert, vgl. Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f. 246) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter), dazu EWiR 2018, 339 (Thole). 247) Ebenso bereits Bitter, ZIP 2018, 988; Thole, EWiR 2018, 339, 340; Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430. 248) So BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 978, Rz. 18 f. 249) So auch BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 979, Rz. 23: „[…] wäre damit für die Beteiligten haftungsrechtlich wenig gewonnen […]“; vgl. hierzu eingehend Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 99 ff.
M. Hofmann
249
§7
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
genverwaltung einer Gesellschaft in dem Umfang haften, in dem auch ein Insolvenzverwalter haften würde.250) Der BGH begründet den Analogieschluss im Kern mit der Vergleichbarkeit der Aufgaben- und Pflichtenstellung der Geschäftsleiter im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung zu derjenigen eines Insolvenzverwalters. Wenngleich sich der BGH in dem entschiedenen Fall hierzu nicht zu äußern brauchte, greift die Argumentationslinie des BGH vollumfänglich auch für eine im Insolvenzantragsverfahren angeordnete vorläufige Eigenverwaltung.251) Wird im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a Abs. 1 InsO bzw. gemäß § 270b InsO also ein vorläufiger Sachwalter bestellt, so haften die Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane der eigenverwaltenden Gesellschaft den Verfahrensbeteiligten analog §§ 60, 61 InsO, sofern sie ihre insolvenzrechtlichen Pflichten verletzen. 229 Da gerade im Eröffnungsverfahren die Weichenstellungen für den gesamten Verfahrensverlauf und damit auch für die Befriedigungsaussichten der Gläubiger und den Erfolg einer angestrebten Sanierung getroffen werden, ergeben sich gerade für das Handeln der Geschäftsleiter i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung erhebliche Haftungsrisiken. Dabei ist zu beachten, dass Kern der Pflichten im Eröffnungsverfahren die Pflicht zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse – einerseits im Interesse der Gläubigergesamtheit, andererseits aber auch im Interesse der Inhaber von Aus- und Absonderungsrechten – ist. Ein wesentliches insolvenzspezifisches Haftungsrisiko dürfte i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung insoweit die Nichtbeachtung von Sicherungsrechten aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger darstellen.252) 230 Eine persönliche Einstandspflicht der Geschäftsleiter analog § 61 InsO für nicht bediente Zahlungspflichten aus dem Zeitraum der vorläufigen Eigenverwaltung oder eines Schutzschirmverfahrens kommt demgegenüber nur dann in Betracht, wenn das Insolvenzgericht die Schuldnerin zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt hat.253) Nur gegenüber Massegläubigern ist Raum für eine entsprechende insolvenzrechtliche Haftung.254) 3.
Gesellschaftsrechtliche Haftung nach §§ 43, 64 GmbHG bzw. §§ 92, 93 AktG
231 In welchem Umfang neben der insolvenzrechtlichen Haftung der Geschäftsleiter analog §§ 60, 61 InsO Raum für eine gesellschaftsrechtliche Haftung wegen der Verletzung ihrer Organpflichten nach § 43 GmbHG, § 93 AktG bleibt, hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung255) zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung offengelassen. Grundsätzlich dürften die insolvenzspezifischen Pflichten der Geschäftsleiter gegenüber den Beteiligten des Insolvenzverfahrens die Organpflichten gegenüber den Gesellschaftern der Schuldnerin überlagern.256) Eine Ausnahme muss jedoch dann gelten, wenn es um die Wahrnehmung von Verfahrensrechten der Schuldnerin – einschließlich z. B. des Rechts zur Rücknahme des Insolvenzantrags – geht, da diese Rechte ausschließlich den Interessen der Gesellschaft entspringen. Insbesondere im Eröffnungsverfahren, in dem auch die Regelung des § 276a InsO noch nicht zur Anwendung kommt,257) dürften die Geschäftsleiter jedenfalls dann auch den Gesellschaftern weiterhin verpflichtet sein, wenn keine Insolvenzantragspflicht besteht oder wenn eine Beseitigung der Insolvenzreife und eine Rück___________ 250) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. 251) Bitter, ZIP 2018, 988 (Urteilsanm.); Thole, EWiR 2018, 339, 340(Urteilsanm.); Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430. 252) Vgl. hierzu und zu Strategien zur Haftungsvermeidung i. E. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1433 f. 253) Vgl. zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i. E. oben Rz. 118 ff. 254) Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430 f.; Schoppmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 61 Rz. 33. 255) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. 256) Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1431 f. 257) Vgl. hierzu oben Rz. 38.
250
M. Hofmann
§7
Vorläufige Eigenverwaltung
nahme des Insolvenzantrags im Raum stehen.258) Den Geschäftsleitern entsprechender Gesellschaften ist daher zu empfehlen, ihr Handeln insoweit auch mit den zuständigen Aufsichts- oder Gesellschafterorganen abzustimmen.259) Die zuvor260) vertretene These, wonach i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung die Organpflichten i. R. der Haftung gemäß § 43 GmbHG durch den Zweck des Insolvenzverfahrens überlagert würden, erscheint angesichts der nach der Rechtsprechung des BGH angezeigten analogen Anwendung der §§ 60, 61 InsO nicht mehr haltbar. Vielmehr hat sich die Haftung nach § 43 GmbHG bzw. nach §§ 92, 93 AktG ausschließlich an den Interessen der Gesellschaft zu orientieren. Während – wie soeben dargestellt – Raum für eine Haftung für die Verletzung von Or- 232 ganpflichten gegenüber der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern in einem engen Rahmen noch bestehen kann, besteht auf Grundlage der Judikatur des BGH zur analogen Anwendung der §§ 60, 61 InsO jedenfalls in der Sache keine Notwendigkeit einer Haftung der Geschäftsleiter unter dem Gesichtspunkt der Masseschmälerungshaftung, die in § 64 GmbHG bzw. in § 93 Abs. 3 Nr. 6, § 92 Abs. 2 AktG sowie in korrespondierenden Vorschriften geregelt ist.261) Gegenstand der Masseschmälerungshaftung ist jeweils die Pflicht zur Erstattung sämtlicher nach Eintritt der Insolvenzreife geleisteten Zahlungen, soweit diese nicht auch nach diesem Zeitpunkt noch mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind. Der hierbei anzulegende Sorgfaltsmaßstab richtet sich insbesondere nach dem Interesse der Gesellschaftsgläubiger, deren Schutz die Masseschmälerungshaftung dient.262) Die Frage, ob für Zahlungen im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung – auch in Ge- 233 stalt des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO – eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Masseschmälerungshaftung in Betracht kommt, hatte der BGH bislang nicht zu entscheiden. Angesichts der hier vertretenen analogen Anwendung des § 60 InsO auf die Geschäftsleiter in der vorläufigen Eigenverwaltung würde eine derartige Haftung im Ergebnis den Gläubigern keinen zusätzlichen Schutz vermitteln. Vielmehr dürfte es – ausgehend von der Argumentation des BGH i. R. seiner Grundsatzentscheidung zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung263) – sogar richtig sein, anzunehmen, dass die Anwendung der Haftungsnormen für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter eine Anwendung der Normen der Masseschmälerungshaftung ausschließen. Dies entspräche zudem dem gesetzgeberischen Ziel der Haftungsnormen der Masseschmälerungshaftung, Geschäftsleiter eben zur Insolvenzantragstellung zu veranlassen. Ab Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung unterliegen die Geschäftsleiter damit gerade nicht mehr dem Haftungsregime der Masseschmälerungshaftung, sondern demjenigen eines Insolvenz(antrags)verfahrens. Im Ergebnis kommt daher – anders als zuvor vertreten – eine Masseschmälerungshaftung für Zahlungen während der vorläufigen Eigenverwaltung oder während eines Schutzschirmverfahrens nicht in Betracht. Der Schutz der Gläubiger ist vielmehr ausschließlich über die Haftung analog § 60 InsO zu suchen, was vollends ausreichend erscheint.
___________ 258) So bereits Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1432, auch unter Verweis auf die Rspr. zur Haftung im Fall der Stellung eines Insolvenzantrags im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit, vgl. OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/Hoffmann). 259) Vgl. hierzu auch BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945 ff., wonach eine Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG stets dann ausscheidet, wenn das betreffende Geschäftsführerhandeln im Einvernehmen aller Gesellschafter erfolgte, dazu EWiR 2004, 443 (Sinewe). 260) Vgl. z. B. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 212 f. 261) Ebenso bereits zuvor Brinkmann, DB 2012, 1369, der sich jedenfalls für das Schutzschirmverfahren für eine teleologische Reduktion des § 64 GmbHG und der korrespondierenden Haftungsnormen aussprach. 262) BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, dazu EWiR 2001, 329 (Priester). 263) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977.
M. Hofmann
251
§7 4.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Außenhaftung handelnder Personen wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (culpa in contrahendo)
234 Im Einzelfall kommt über die insolvenzrechtliche Haftung hinaus auch eine Haftung aus culpa in contrahendo für den Fall der Nichterfüllbarkeit von eingegangenen Verbindlichkeiten in Betracht.264) Eine derartige Haftung gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB kann letztlich neben den zur organschaftlichen Vertretung berufenen Geschäftsleitern auch sonstige Dritte treffen, wobei insoweit die Hürden für das Entstehen eines entsprechenden Schuldverhältnisses sicherlich eher hoch liegen dürften. Indes kann gerade die Einbindung von Insolvenz- und Sanierungsexperten als CRO oder als Generalbevollmächtigter durchaus die Anforderungen des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllen, da diese Personen ja gerade durch ihre Expertise und Integrität in besonderem Maße das Vertrauen des Rechtsverkehrs für sich in Anspruch nehmen. 5.
Haftung der Geschäftsleiter nach der AO und nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB
235 Zuletzt bestehen im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren – auch im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO – Haftungsrisiken der Geschäftsleiter im Hinblick auf die Erfüllung steuerlicher Pflichten wie auch im Hinblick auf die Abführung der Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. 236 In steuerlicher Hinsicht unterliegen die Geschäftsleiter als gesetzliche Vertreter i. S. von § 34 Abs. 1 AO der abgabenrechtlichen Haftung gemäß § 69 AO. Soweit Steueransprüche infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Erklärungs- oder Zahlungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden, haften die hierfür verantwortlichen Geschäftsleiter daher gegenüber dem Fiskus. Ob i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung oder im Schutzschirmverfahren insoweit eine Überlagerung steuerlicher Zahlungspflichten durch ein insolvenzrechtliches Pflichtenregime stattfindet, ist jedenfalls in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt.265) 237 Auch die gemäß § 266a StGB strafbewehrte sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen wird im Eröffnungsverfahren nicht grundsätzlich suspendiert, so dass auch insoweit eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommt, sofern die als Schutzgesetz eingestufte Norm des § 266a StGB verletzt wird. 238 Zur Haftungsvermeidung kommen die bereits unter Rz. 189 und Rz. 180 ausführlich dargestellte Zustimmungsvorbehaltslösung wie auch die sog. Anfechtungslösung in Betracht.
___________ 264) Hierauf hat bereits Brinkmann, DB 2012, 1369, 1370, zutreffend hingewiesen; ähnl. OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – I-16 U 33/17, ZIP 2017, 2211. Angesichts der analogen Geltung von § 61 InsO im Fall der Nichtbegleichung von Masseverbindlichkeiten, bleibt Raum für eine Haftung für Inanspruchnahme von Vertrauen insbesondere in Fällen, in denen keine (Einzel-)Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten vorlag. 265) S. hierzu unten § 57 Rz. 232 ff.
252
M. Hofmann
§8 Schutzschirmverfahren Koch/Jung
I. II. 1. 2. 3.
Einleitung .................................................... 1 Antrag ........................................................ 11 Voraussetzungen ........................................ 13 Entscheidungserheblicher Zeitpunkt........ 19 Antragsausarbeitung .................................. 27 3.1 Vorbereitungen.............................. 27 3.2 Angaben und Anlagen des Antrags........................................... 31 4. Bescheinigung............................................. 43 4.1 Bescheiniger ................................... 43 4.1.1 Qualifikation des Bescheinigers ... 43 4.1.2 Unabhängigkeit ............................. 50 4.1.3 Haftung .......................................... 56 4.2 Inhalt der Bescheinigung .............. 67 4.2.1 Ausschluss der Zahlungsunfähigkeit.......................................... 70 4.2.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit.... 71 4.2.3 Überschuldung .............................. 74 4.2.4 Keine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Sanierung .................. 77 5. Vorläufiger Gläubigerausschuss ................ 84 6. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ..... 88 7. Begründung von Masseverbindlichkeiten .................................................... 90 8. Antragsrücknahme durch den Schuldner .................................................... 93 III. Prüfung durch das Gericht ...................... 96 IV. Beschluss (§ 270b InsO) ......................... 105 1. Frist zur Vorlage des Insolvenzplans...... 105 2. Vorläufiger Sachwalter ............................. 108 2.1 Person des vorläufigen Sachwalters .......................................... 108 2.2 Abweichung vom Vorschlag des Schuldners ............................. 117 2.3 Antragsgemäße Bestellung.......... 131 2.4 Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters................................... 133 2.5 Haftung des vorläufigen Sachwalters .......................................... 152 3. Anordnung vorläufiger Maßnahmen auf Antrag des Schuldners (§ 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 – 5 InsO).................................... 158 4. Anordnung der Begründung von Masseverbindlichkeiten (§ 270b Abs. 3 InsO)............................................. 164
5. Veröffentlichung des Beschlusses ........... 171 V. Rechtsmittel ............................................ 176 1. Rechtsmittel gegen die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans............................ 176 2. Person des bestellten vorläufigen Sachwalters ............................................... 177 3. Anordnung vorläufiger Maßnahmen (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO) .................... 178 4. Aufhebung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b Abs. 4 InsO).................. 179 VI. Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren ...................................... 182 1. Vorbereitung der Betriebsfortführung ... 187 1.1 Unternehmensplanung und Controlling .................................. 187 1.2 Kunden......................................... 190 1.3 Einkauf ......................................... 191 1.4 Finanzierung ................................ 195 1.5 Anlage- und Umlaufvermögen ... 204 1.6 Externe und interne Kommunikation ........................................ 208 2. Operative Betriebsfortführung ............... 209 2.1 Aufgaben der Beteiligten ............ 209 2.2 Laufendes Controlling ................ 217 2.3 Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen.................................. 219 2.4 Ausarbeitung eines Insolvenzplans ............................................. 222 2.5 M&A-Prozess.............................. 223 VII. Aufhebung der Maßnahmen durch das Gericht (§ 270b Abs. 4 InsO) .......... 224 1. Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung (§ 270b Abs. 4 Nr. 1 InsO).... 224 2. Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO) ...... 229 3. Antrag absonderungsberechtigter Gläubiger (§ 270b Abs. 4 Nr. 3 InsO).... 233 4. Rechtsfolge ............................................... 236 VIII. Haftung der Organe des Schuldners ... 242 IX. Haftung des Schuldners ......................... 253 X. Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens.............................. 255 1. Die gerichtliche Entscheidung bei fristgemäß eingereichten Insolvenzplan.... 256 2. Die gerichtliche Entscheidung bei Fristversäumnis ........................................ 260
Literatur: Frind, Die Unabhängigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters/Sachwalters nach Inkrafttreten des „ESUG“, ZInsO 2014, 119; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsund Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Gutmann/Laubereau, Schuldner und Bescheiniger im Schutzschirmverfahren, ZInsO 2012, 1861; Smid, Vorprüfung des Insolvenzplans, insbesondere in Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren – Teil 1, ZInsO 2016, 61; Smid, Zum Beweisverfahren
Koch/Jung
253
§8
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
im Eröffnungsverfahren der §§ 270a, 270b InsO und im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren, ZInsO 2013, 209.
I.
Einleitung
1 Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist eine der grundlegendsten Änderungen der InsO durch das ESUG. Mit seiner Einführung ist es insolvenzbedrohten Unternehmen erstmalig möglich, in einem kontrollierbaren Verfahren unter gerichtlicher Aufsicht eine „selbstbestimmte“ Restrukturierung als Sanierungsinstrument zu nutzen.1) 2 Der Kontrollverlust durch ein (vorläufiges) Insolvenzverfahren, einhergehend mit der mangelnden Vorhersehbarkeit des vom Insolvenzgericht bestellten (vorläufigen) Insolvenzverwalters, dürfte in der Vergangenheit eine nicht unerhebliche Anzahl von Unternehmen davon abgehalten haben, sich frühzeitig in ein Insolvenz(antrags-)verfahren und damit unter den insolvenzbedingten Schutz vor den Gläubigern zu begeben. Das weiterhin vorhandene Stigma der Insolvenz hat, trotz aller Bemühungen und Erfolge i. R. von Insolvenzverfahren, ein Übriges dazu beigetragen, den Gang zum Insolvenzgericht so lange wie nur irgend möglich aufzuschieben.2) 3 Folglich wurden und werden auch noch heute Insolvenzanträge durch Unternehmen regelmäßig erst bei längst eingetretener Zahlungsunfähigkeit gestellt. Dadurch wird die Restrukturierung i. R. des Insolvenzverfahrens erschwert, denn oft genug sind Löhne und Gehälter bereits so weit rückständig, dass der für die Stabilisierung eines Unternehmens wertvolle Insolvenzgeldzeitraum regelmäßig verkürzt ist, falls er denn überhaupt noch vorhanden ist. Oft genug war und ist das gesamte Vermögen des insolvenzreifen Unternehmens in diesen Fällen vollständig aufgezehrt, so dass eine Sanierung, trotz aller in der InsO vorhandenen Instrumente, de facto nahezu ausgeschlossen ist. 4 Mit dem Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist es seit Einführung des ESUG möglich, unter Beibehaltung der handelnden Organe eine finanz- und leistungswirtschaftliche Restrukturierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens vorzubereiten, auch wenn die Praxis seitdem zeigt, dass dieses Verfahren gemessen an der Gesamtzahl der Insolvenzen bisher in Deutschland wenig verbreitet ist.3) 5 Verbunden mit der Einführung dieses Sanierungsverfahrens war die Hoffnung des Gesetzgebers, zukünftig auch die Restrukturierungen zu ermöglichen, die in anderen europäischen Staaten mit einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren bewerkstelligt werden.4) Ob dies gelungen ist oder gelingen wird, werden die Evaluation der durch das ESUG eingeführten Instrumente und die wiederbelebte Diskussion über den präventiven Restrukturierungsrahmen zeigen. 6 Entscheidend für den Erfolg des Schutzschirmverfahrens ist die Bereitschaft zu Transparenz und Seriosität aller Verfahrensbeteiligten.5) Doch auch wenn viele Schutzschirmverfahren derart transparent und seriös abgewickelt werden, zeigen die Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre, dass sich die Eigenverwaltungen auf einem niedrigen Niveau mit einem Anteil von lediglich 2,6 % im Verhältnis zu Regelinsolvenzverfahren eingependelt haben.
___________ 1) 2) 3) 4) 5)
254
K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1606. Vgl. Westpfahl, ZGR 2010, 385, 392. BCG, Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, v. 3/2017, abrufbar unter http://mediapublications.bcg.com/Focus-ESUG-Studie-16May17.pdf (Abrufdatum: 22.7.2018). Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 4. Jung/Wienberg, ZfgK 2011, 610, 612.
Koch/Jung
§8
Schutzschirmverfahren
Davon wiederum sind gerade einmal 20 % bis 25 % Schutzschirmverfahren i. S. des § 270b InsO.6) Die Zahlen belegen, dass sich das Schutzschirmverfahren noch nicht auf breiter Front 7 durchgesetzt hat. Denn auch wenn sich eine ganze Reihe prominenter Unternehmen mit den weitreichenden Restrukturierungsmöglichkeiten, die das Schutzschirmverfahren bietet, saniert hat, wirkt sich doch ein deutlicher Trend dämpfend aus: Gerade in den letzten Jahren hat der Anteil der Großverfahren, die überproportional häufig die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren als Instrument der gerichtlichen Sanierung wählen, abgenommen (bei den 50 größten Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2016 lag der Anteil für Anträge auf ein Eigenverwaltungs- bzw. Schutzschirmverfahren bei 58 %). Für das Schutzschirmverfahren i. S. des § 270b InsO im Vergleich zur vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO gilt dies umso mehr: Während die Antragssteller in Schutzschirmverfahren eine durchschnittliche Umsatzgröße von 14 Mio. EUR und eine durchschnittliche Mitarbeiteranzahl von 100 aufwies, betrug der durchschnittliche Umsatz bei Antragstellern für eine vorläufige Eigenverwaltung nur 4,5 Mio. EUR bei durchschnittlich 35 Mitarbeitern. Das zeigt: Das Schutzschirmverfahren kommt gemessen an dem Gesamtumfang der Unternehmensinsolvenzen, der zum ganz überwiegenden Teil kleine und Kleinstunternehmen betrifft, in der Praxis nur für wenige große Unternehmen infrage. In Bezug auf KMUs besteht u. a. eine erhebliche Skepsis der kreditgebenden Banken ge- 8 genüber der Eigenverwaltung. Lediglich 51 % der befragten Kreditinstitute (Volksbanken und Sparkassen) hatten überhaupt Erfahrung mit der Eigenverwaltung. Diese Erfahrungen waren zudem überwiegend negativ oder neutral. Nur 13 % beschrieben die Erfahrungen als „grundsätzlich positiv“ oder „sehr positiv“. Schuldnerseitig wird das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO aufgrund der hohen Eingangshürden nahezu nicht genutzt. Insbesondere schreckt der hohe Vorbereitungs- und Durchführungsaufwand und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten externer Beratungsleistungen – die bei einem Schutzschirmverfahren praktisch immer notwendig sind – davon ab, das Schutzschirmverfahren zu beantragen.7) Zusätzlich zeigt sich in der Praxis, dass nicht jeder Antrag auf Eigenverwaltung und 9 Schutzschirm zum Erfolg, sprich zur Durchführung eines entsprechenden Schutzschirmverfahrens führt: 33 % der Schutzschirmanträge werden direkt als Regelinsolvenz(antrags)verfahren eröffnet (allerdings sind das deutlich weniger als bei der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO mit 42 %8), was zeigt, dass Schutzschirmverfahren grundsätzlich eine höhere Aussicht auf Erfolg haben, als dies bei der „normalen“ Eigenverwaltung der Fall ist). Grund für das bessere „Abschneiden“ des Schutzschirms ist sicher der mit der Bescheinigung verbundene höhere Vorbereitungsgrad. In 44 % aller abgelehnten Anträge auf Anordnung eines Schutzschirmverfahrens war der Grund eine (inhaltlich) mangelnde Bescheinigung als Bestandteil des Antrags.9) Dieser Umstand sowie die Tatsache, dass mit der Ausstellung der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO externe (teure) Experten betraut werden müssen, führt zu einer eher zurückhaltenden Bewertung des Verfahrens. Nach einer gemeinsamen Studie von Roland Berger Strategy Consultants und der Heidelberger gemeinnützigen Gesellschaft für Unternehmensrestrukturierung wird das Schutzschirmverfahren lediglich von 26 % der Befragten als positiv und von 30 % als negativ ___________ 6) 7) 8) 9)
BCG, Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, v. 3/2017. Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 391; Hammes, NZI 2017, 233, 241; Madaus, KTS 2015, 115, 126. BCG, Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, v. 3/2017. Kremers/Hoffmann, ZInsO 2013, 289, 290.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
bewertet.10) Insoweit ist es als positiv zu betrachten, dass mit dem IDW S 911) und den vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e. V. aufgestellten Grundsätzen für die Struktur eines Grobkonzepts i. R. der Bescheinigung nach § 270b InsO12) Instrumentarien zur Verfügung stehen, anhand derer eine Bescheinigung erstellt werden kann, die sowohl die Interessen der Gerichte, der Gläubiger als auch die des Schuldners berücksichtigt. 10 Problematisch bleibt der schmale Grad zwischen der Eigenverwaltung als vom Gesetzgeber bewusst geregeltem Sanierungsinstrument und der über die Grenzen des Seriösen hinausgehenden Ausnutzung gesetzlicher Sondervergünstigungen. Hier ist das Gericht gefordert, einen wichtigen Beitrag zu leisten und von seinem Amtsermittlungsinstrument Gebrauch zu machen.13) Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Schutzschirmverfahren vermutlich heute noch nicht den Stellenwert erreicht hat, den der Gesetzgeber mit der Einführung des ESUG bezwecken wollte. Nichtsdestotrotz ist das Verfahren insbesondere für größere Unternehmen weiterhin interessant und sollte nicht – wie zum Teil in der Literatur gefordert – abgeschafft werden.14) Gerade wenn der Betrieb i. R. des Verfahrens stabil fortgeführt werden kann und die Instrumente der InsO zur finanziellen, aber auch operativen Restrukturierung (z. B. durch das Insolvenzarbeitsrecht) genutzt werden können, gibt es nach wie vor kein effektiveres Verfahren als das des Schutzschirms. II.
Antrag
11 Das Schutzschirmverfahren des § 270b Abs. 1 InsO beginnt bereits im Eröffnungsverfahren. Es gestaltet sich im Vergleich zum üblichen Insolvenzverfahren komplex und setzt zunächst drei grundlegende und notwendige Anträge des Schuldners voraus. Diese sind:
Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO und/oder Überschuldung gemäß § 19 InsO,
Antrag auf (vorläufige) Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 1 InsO sowie
Antrag zur Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans durch das Gericht gemäß § 270b Abs. 1 InsO.
12 Daneben besteht die Möglichkeit der Stellung dreier fakultativer Anträge:
Antrag auf Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 270b Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO (siehe Rz. 88 f.),
Antrag auf Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270b Abs. 3 InsO (siehe Rz. 90 ff.) sowie
Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO (siehe Rz. 84 ff.).
1.
Voraussetzungen
13 Ein Antrag auf Durchführung eines Schutzschirmverfahrens ist zwingend mit dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung zu verbinden. Dazu sind zunächst die allgemeinen Voraussetzungen des § 270 InsO zu erfüllen und vom Gericht zu prüfen. ___________ 10) RolandBerger/HgGUR, 5 Jahre ESUG – Eine Bestandsaufnahme, v. 1/2018, abrufbar unter https:// www.rolandberger.com/publications/publication_pdf/roland_berger_five_years_esug.pdf (Abrufdatum: 22.7.2018). 11) IDW, Bescheinigung nach § 270b InsO (IDW S 9), ZIP 2014, 2275. 12) BDU, Grundsätze für die Struktur eines Grobkonzepts im Rahmen der Bescheinigung nach § 270b InsO, v. 10/2015. 13) Hammes, NZI 2017, 233, 241; zu den strafrechtlichen Konsequenzen: Meier, ZInsO 2016, 1499. 14) Madaus, KTS 2015, 115, 117.
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Schutzschirmverfahren
Gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO setzt die Anordnung der Eigenverwaltung voraus, dass 14 der Eröffnungsantrag ein vom Schuldner selbst eingebrachter Antrag i. S. der §§ 13, 15 InsO ist (Eigenantrag). Zudem dürfen nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO keine Umstände bekannt sein, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Daneben sind sämtliche weiteren Bestimmungen zur Eigenverwaltung natürlich ebenso einzuhalten. Dazu zählt die Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO mit der Modifikation, dass der Schuldner diesen grundsätzlich benennen darf. Weiterhin gelten die speziellen Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO. Ein Er- 15 öffnungsantrag für ein Schutzschirmverfahren ist demnach nur bei Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO und/oder Überschuldung gemäß § 19 InsO zulässig. Das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit bei gleichzeitiger Überschuldung ist für die Antragsvoraussetzungen daher unschädlich. Unzulässig ist ein Eröffnungsantrag hingegen bei bereits vorliegender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO. Tritt die Zahlungsunfähigkeit im späteren Verlauf des Schutzschirmverfahrens ein, so ist dies unerheblich.15) Zudem fordert § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sein darf. Dazu muss zunächst die Fortführung des Geschäftsbetriebs in dem für die Erstellung des Insolvenzplans notwendigen Zeitraum gewährleistet und eine erhebliche Vermögensminderung ausgeschlossen werden.16) Der Schuldner muss gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO den Nachweis der Anordnungs- 16 voraussetzungen gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO in Form einer mit Gründen versehenen Bescheinigung erbringen. Da das Schutzschirmverfahren den Antrag des Schuldners auf Eröffnung eines Insolvenz- 17 verfahrens voraussetzt, müssen zusätzlich die Vorschriften zum Antrag gemäß §§ 13, 15 InsO beachtet werden. Wird der Antrag auf Anordnung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO zurück- 18 gewiesen, kommt unabhängig davon die Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270a InsO in Betracht.17) 2.
Entscheidungserheblicher Zeitpunkt
In der Literatur und der Rechtsprechung ist die Frage strittig, auf welchen Stichtag es zur 19 Erfüllung der Antragsvoraussetzungen ankommt. Dieser ist insbesondere für die Frage, wie lange die Zahlungsfähigkeit in Zukunft noch bestehen wird, entscheidend. In Betracht kommt der Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bei Gericht oder der Entscheidungszeitpunkt durch das Gericht. In der Literatur wird teilweise auf die Antragstellung als maßgeblichen Zeitpunkt abge- 20 stellt.18) Begründet wird dies sowohl mit einer besseren Planbarkeit des Verfahrens für den Schuldner als auch damit, dass es ansonsten einzelne Gläubiger in der Hand hätten, durch Fälligstellung ihrer Forderungen vor der Entscheidung über den Antrag die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen und damit das angestrebte Verfahren zu vereiteln. Zusätzlich werden als Argumente für den Zeitpunkt der Antragstellung als den für die 21 Beurteilung der Insolvenzgründe maßgeblichen Zeitpunkt auch der Wortlaut der Norm ___________ 15) Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 7; Buchalik, in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 17. 16) Siemon, ZInsO 2012, 1045. 17) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746. 18) Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 7 f.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
(„hat […] bei […] gestellt“) nach § 270b Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO sowie die Entstehungsgeschichte der Norm angeführt.19) Das Wortlautargument greift aber bereits deshalb nicht, weil nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO der Schuldner eine Bescheinigung vorzulegen hat, „aus der sich ergibt“, dass „keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt“. Der Gesetzgeber verwendet – zumindest auch – das Präsens und verlangt, dass die Bescheinigung auch den Zeitpunkt erfasst, an dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Insoweit ist sehr wohl zweifelhaft, was der Gesetzgeber gewollt hat. 22 Auch das Argument der Gesetzesentstehung greift nicht. Zwar ist es richtig, dass der Rechtsausschuss den zwingenden Aufhebungsgrund des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach Anordnung des Schutzschirmverfahrens gestrichen hat, weil dies die Missbrauchsmöglichkeit durch die Gläubiger ermöglicht. Jedoch spricht der Rechtsausschuss auch hier nur dann von einem Missbrauch, wenn dies „nach“ der Anordnung erfolgt.20) Auch in seiner weiteren Begründung wird deutlich, dass der Rechtsausschuss davon ausging, dass bei Anordnung des Schutzschirmverfahrens noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist: „Da beim Schuldner noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist es nach Einschätzung des Ausschusses gerechtfertigt, den Beteiligten einen weiten Rechtsrahmen zu eröffnen, um die Verfügungsbefugnis so auszugestalten, wie sie im Interesse einer möglichst optimalen Sanierung am sinnvollsten ist.“21) 23 Insoweit kann auch auf die Rede des Bundestagsabgeordneten Ahrendt (FDP) verwiesen werden, der in der dritten Lesung – also nach den Änderungen im Rechtsausschuss – bekräftigte: „Wer zahlungsunfähig ist, der sollte an diesem Verfahren nicht teilnehmen können.“22) 24 Das AG Ludwigshafen23) und Teile der Literatur24) sehen den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Schuldners als den maßgeblichen Zeitpunkt an und begründen dies damit, dass das Gericht sonst zu einer schwierigen Rekonstruktion der Vermögensverhältnisse bei Antragstellung gezwungen wäre. Andererseits ist das Schutzschirmverfahren von einem wechselseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schuldner und Hauptgläubigern geprägt. Dementsprechend kann sich aus einem absehbaren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit während des Schutzschirmverfahrens bereits eine Vermutung für die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Sanierung ergeben. 25 Für den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht spricht auch, dass der Schuldner bei in der Praxis üblicherweise sehr kurzfristigen Entscheidungen des Gerichts über den Antrag kaum zwischen Stellung eben dieses Antrags und Entscheidung darüber zahlungsunfähig werden dürfte. Passiert dies doch, so kann es zwei Konstellationen geben: Hat ein Gläubiger mit einer kleinen Forderung in der Phase zwischen Antrag und Anordnung diese fällig gestellt und ist dadurch die Zahlungsunfähigkeit eingetreten, war die Differenz zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit minimal – und somit der Schuldner nicht besonders schützenswert. Ist hingegen ein bedeutender Gläubiger, wie z. B. eine Bank, der Störenfried, so erscheint die Sanierung bereits aufgrund des offenbar mangelnden Interesses dieses Großgläubigers unwahrscheinlich. ___________ Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 12. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll der 136. Sitzung v. 27.10.2011, abrufbar unter http:// dipbt.bundestag.de/dip21/btp/17/17136.pdf#P.16173 (Abrufdatum: 22.7.2018). 23) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746. 24) Kern, in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 29. 19) 20) 21) 22)
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Schutzschirmverfahren
Insoweit sprechen auch Sinn und Zweck der Norm gegen den Zeitpunkt der Antragstel- 26 lung, sodass maßgeblich für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens der Zeitpunkt der Anordnung durch das Gericht ist. 3.
Antragsausarbeitung
3.1
Vorbereitungen
Die notwendigen Voraussetzungen für einen zulässigen Antrag auf Eigenverwaltung ge- 27 mäß § 270b InsO mitsamt allen notwendigen Anlagen und die komplexe Struktur des Antragsverfahrens erfordern eine intensive Vorbereitung durch den Schuldner und dessen insolvenzerfahrenen Berater. Möglicherweise auftretende Verzögerungen bei der Anordnung der Eigenverwaltung können vermieden werden, indem eine frühzeitige Abstimmung mit dem Gericht bzw. dem zuständigen Richter gesucht wird. Diese strukturierten Vorbesprechungen sind für ein reibungsfreies und letzten Endes erfolgreiches Schutzschirmverfahren in jedem Falle anzuraten.25) Die Handhabung solcher Gespräche ist an den Insolvenzgerichten noch immer sehr un- 28 terschiedlich, weil es dazu keine gesetzliche Regelung gibt. In der Praxis sind besonders Gerichte, die aufgrund häufigerer Antragstellung besser mit Verfahren gemäß § 270a InsO oder § 270b InsO vertraut sind, durchaus dazu bereit, im Vorfeld der Stellung eines Eröffnungsantrags intensiv mit dem Schuldner und dessen Beratern zu sprechen und ggf. die Antragsunterlagen einer Vorprüfung zu unterziehen. Dabei ist ein signifikanter Zusammenhang zwischen stattgefundener Vorbesprechung und später angeordneter Eigenverwaltung zu beobachten.26) Inhalte eines oder mehrerer solcher Abstimmungsgespräche können die Einrichtung und 29 Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a InsO, die Person des vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO, die Ausgestaltung und ggf. besondere inhaltliche Anforderungen an die notwendige Bescheinigung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO sowie notwendige Anlagen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 InsO sein,27) aber auch ganz pragmatisch die Terminfindung für den Tag des Insolvenzantrags. Daneben ist im direkten Vorfeld der Antragstellung eine intensive Zusammenarbeit und 30 Abstimmung von Schuldner, möglichen Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses und vorläufigem Sachwalter unerlässlich. Die unterlassene Einbeziehung von oder eine intransparente Kommunikation mit allen wesentlichen Verfahrensbeteiligten kann zu einer erheblichen Verzögerung oder im schlimmsten Fall zur Gefährdung des gesamten Prozesses führen. 3.2
Angaben und Anlagen des Antrags
Der schriftlich ausformulierte Eröffnungsantrag muss diverse obligatorische Angaben 31 enthalten. Neben der Vorbereitung des Antrags i. R. einer laufenden Abstimmung mit externen Prozessbeteiligten ist die umfassende und korrekte Zusammenstellung der für den Insolvenzantrag geforderten Angaben ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Antragsvorbereitung. Nur durch lückenlose und vollständige Darstellung kann eine reibungslose Bearbeitung seitens des Gerichts ohne verzögernde Nachfragen gewährleistet werden. ___________ 25) Buchalik/Lojowsky, ZInsO 2013, 1017. 26) Haarmeyer/Buchalik/Haase, ZInsO 2013, 26. 27) DIAI, Handlungsempfehlungen für die neue Insolvenzordnung, S. 5, abrufbar unter http:// www.restrukturierungsforum.de/assets/file/Handlungsempfehlungen-fr-die-neue-Insolvenzordnung.pdf (Abrufdatum: 22.7.2018).
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
32 Im Antrag sind zunächst natürlich die Gesellschaft, das antragstellende Vertretungsorgan und der Antragsgrund zu benennen. Die Eröffnungsgründe gemäß § 18 InsO oder § 19 InsO sind im Falle des Schutzschirmverfahrens in Form einer mit Gründen versehenen Bescheinigung als Anlage zum Antrag darzulegen. Weiterhin sind bei einer juristischen Person die Gesellschafterstruktur oder bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit sämtliche persönlich haftenden Gesellschafter zu benennen. 33 Im Folgenden sind Angaben zur Firmierung, zur Handelsregisternummer, zum Sitz und zu den vertretungsberechtigten Organen notwendig. Diese im schriftlichen Antrag erfassten Informationen sind durch Einreichung eines möglichst aktuellen Handelsregisterauszugs, in welchem die vertretungsberechtigten Organe verzeichnet sind, zu belegen.28) 34 Falls mehrere vertretungsberechtigte Organe bestellt sind, ist es fraglich, ob alle Vertretungsorgane den Antrag unterzeichnen müssen. Die Intention des Gesetzgebers bei Einführung des Schutzschirmverfahrens lässt dies vermuten, da eine Sanierung nur erfolgreich sein wird, wenn sämtliche Vertretungsberechtigten die Sanierung unterstützen. Gemäß § 18 Abs. 3 InsO ist jedoch auch ein nicht von allen vertretungsberechtigten Organen unterzeichneter Eröffnungsantrag nach § 270b InsO zulässig.29) 35 Die Beschreibung der Geschäftstätigkeit bzw. des Gegenstands der Gesellschaft kann den Angaben des Handelsregisterauszugs entsprechen, jedoch im Einzelfall auch abweichen und ist dann gesondert zu erläutern. Ziel ist es, dem Gericht eine erste Vorstellung vom Tätigkeitsfeld des Unternehmens zu geben. 36 Bei Beantragung eines Schutzschirmverfahrens ist die Angabe der Nichteinstellung des Geschäftsbetriebs obligatorisch. Dies hat zur Folge, dass gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO ein Gläubigerverzeichnis mit besonderer Kennzeichnung der höchsten Forderung, der höchsten gesicherten Forderung, der Forderungen der Finanzverwaltung, der Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie der Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung beizufügen ist. 37 Da der Antrag auf Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens einen Antrag auf Eigenverwaltung voraussetzt, sind gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 und 5 InsO ebenfalls Angaben zur Höhe der Umsatzlöse, der Bilanzsumme und der Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen und durch Beifügung des aktuellen Jahresabschlusses zu belegen. Für ggf. weitere Prüfungen durch das Insolvenzgericht sind dem Antrag zusätzlich der Jahresabschluss des vorletzten Geschäftsjahres sowie ein aktueller Monatsabschluss des laufenden Geschäftsjahres beizufügen. 38 Die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 und 5 InsO sind auch beim Antrag auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens verpflichtend, wenn der Antragsteller die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wurde. 39 Die Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Verzeichnis angegebenen Gläubiger und ihrer Forderungen, der angegebenen Bilanzsumme, der Umsatzerlöse und der durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres müssen durch den Antragsteller bzw. die vertretenen Organe versichert werden.
___________ 28) Wurde kurz vor Antragstellung ein insolvenzerfahrener Sanierungsgeschäftsführer (CRO, Chief Restructuring Officer) in die Stellung eines vertretungsberechtigten Organs berufen, sind die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister sowie der Gesellschafterbeschluss zur Bestellung ebenfalls beizufügen. 29) Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861.
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Schutzschirmverfahren
Falls ein vorläufiger Gläubigerausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO beantragt wird, ist eine 40 Liste der Personen, die als geeignete Mitglieder in Betracht kommen, mitsamt deren Einverständniserklärungen als Anlage beizufügen. Zuletzt ist dem Gericht ein Vorschlag für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters zu 41 unterbreiten. Der Vorschlag muss sich dabei nicht auf eine Person beschränken. Das Vorschlagsrecht liegt nach § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO i. d. R. beim Antragsteller. In der Praxis hat sich jedoch herausgebildet, dass auch im Fall eines Antrags auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens die Gläubiger bzw. die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses involviert sind und zum Teil direkt einen mit dem Antragsteller abgestimmten Vorschlag für einen vorläufigen Sachwalter unterbreiten. Bereits ab Beginn des Schutzschirmverfahrens kann so eine intensive Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses gewährleistet werden. Der Sachwalter muss nicht bei dem zuständigen Insolvenzgericht gelistet sein, jedoch führt der Vorschlag eines erfahrenen und bei diesem Gericht gelisteten sowie regelmäßig bestellten Insolvenzverwalters zu erhöhtem Vertrauen des Gerichts in den laufenden Prozess. Auf die bereits genannten notwendigen Anträge zur Bestimmung einer Frist zur Vorlage 42 eines Insolvenzplans sowie auf Anordnung der Eigenverwaltung wird hier erneut hingewiesen. 4.
Bescheinigung
4.1
Bescheiniger
4.1.1 Qualifikation des Bescheinigers Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll der Bescheiniger ein Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, 43 Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation sein. In der Gesetzesbegründung finden sich Hinweise auf Steuerbevollmächtigte oder vereidigte Buchprüfer bzw. eine vergleichbare Qualifikation im EU-Ausland.30) Fraglich ist in diesem Zusammenhang u. a., ob neben den im Gesetz genannten Berufsträ- 44 gern auch Unternehmensberater aus Sicht des Gesetzgebers entsprechend qualifiziert sein können. Hiervon ist nach dem Gesetzeswortlaut und dessen Begründung zunächst nicht zwingend auszugehen. In der Diskussion wird zum Teil die Meinung vertreten, dass die Erstellung der Bescheinigung grundsätzlich Berufsträgern vorbehalten ist.31) Langjährig tätige Unternehmensberater mit entsprechender Spezialisierung, Professionalität und Reputation dürften aber eine Person mit vergleichbarer Qualifikation gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO sein.32) Auch wenn die vorgelegten Bescheinigungen überwiegend durch Berufsträger, mehrheitlich Wirtschaftsprüfer, erstellt werden, ist kein Fall bekannt, in dem die Bescheinigung eines nachweislich erfahrenen Unternehmensberaters allein deshalb abgelehnt wurde, weil er nicht Berufsträger ist. Eine besondere Schwierigkeit besteht für die Gerichte darin, das Tatbestandsmerkmal „in 45 Insolvenzsachen erfahren“ zu bestimmen.33) Problemlos dürfte das auf langjährig tätige Unternehmensinsolvenzverwalter zutreffen. Auch regelmäßig im Bereich von Insolvenzen/ Restrukturierung tätigen Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten und Unternehmensberatern sollte dieser „Insolvenzerfahrungsnachweis“ gelingen, wenn sie entwe___________ 30) 31) 32) 33)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. Exemplarisch Steffan/Solmecke, ZIP 2014, 2271; Buchalik/Kraus, KSI 2012, 60, 61. Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583, 584; Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1097. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
der gerichtsbekannt sind oder ihre Expertise anhand von in der Vergangenheit betreuten Mandaten, Veröffentlichungen etc. dem Gericht gegenüber darlegen können. 46 Neben Erfahrung in Insolvenzsachen sollte der Bescheiniger idealerweise über fundierte betriebswirtschaftliche Sanierungskompetenz verfügen und Erfahrung bei der Erstellung von Sanierungsgutachten haben. Ist er zudem Verfasser mehrerer Insolvenzpläne, darf an der Qualifikation kein Zweifel mehr bestehen.34) 47 Insofern erscheint die oben erwähnte zum Teil vertretene Begrenzung der Eignung des Bescheinigers ausschließlich auf Berufsträger widersprüchlich, da sämtliche Anforderungen auch durch Unternehmensberater, die langjährig im Insolvenzumfeld tätig sind, umfänglich erfüllt werden können. So sieht auch die Mehrheit der Befragten einer Umfrage der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Schutzschirmbescheinigung Unternehmensberater als geeignete Ersteller an.35) In jedem Falle sollte der Bescheiniger seine Qualifikation dem Gericht schriftlich und substantiiert mitteilen. Den Bescheiniger trifft mithin die Darlegungs- und Beweislast.36) Der Nachweis der Qualifikation ist dabei kein Bestandteil der Bescheinigung. 48 Ob der Bescheiniger eine natürliche Person sein muss oder auch juristische Personen als Bescheiniger in Betracht kommen, ist nicht ausdrücklich geregelt und mithin in der Literatur strittig. Rechtsprechung ist bisher nicht ersichtlich. Teilweise wird argumentiert, dass die Insolvenzerfahrung nur für einzelne natürliche Personen festgestellt werden kann, sodass Gesellschaften als Bescheinigungsaussteller ausscheiden.37) Andere Stimmen in der Literatur bejahen die Möglichkeit, eine juristische Person zu beauftragen, hingegen.38) Der Wortlaut der Norm spricht lediglich von einer „Person“ und nicht – wie bei § 56 InsO – von einer natürlichen Person. Der IDW S 9, welcher als Standard für die Erstellung einer Bescheinigung auch von dem Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V. empfohlen wird,39) lässt es insoweit zu, dass auch juristische Personen beauftragt werden. Allerdings kommt es dabei darauf an, dass die konkret befasste Person die entsprechende Sachkunde und Unabhängigkeit mitbringt. Daher ist in der Bescheinigung eben auch die natürliche Person zu nennen, die die Bescheinigung vorgenommen hat. Nur so kann die Qualifikation geprüft werden. Dieser Ansatz erscheint sachgerecht, entspricht dies doch auch der Regelung des § 319 Abs. 1 Satz 1 HGB, nach der allgemein anerkannt ein Abschlussprüfer auch eine juristische Person sein kann.40) 49 Ob in der Praxis tatsächlich überwiegend eine juristische oder eine natürliche Person eingesetzt wird, unterliegt in der Literatur einer sehr konträren Wahrnehmung.41) 4.1.2 Unabhängigkeit 50 Der Bescheiniger muss gemäß § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO personenverschieden vom zu bestellenden vorläufigen Sachwalter sein, um die erforderliche Unabhängigkeit des Sach___________ 34) Buchalik, in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 9. 35) Befragt wurden Mitglieder des BDU, BRSI und TMA. 36) Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Frind, ZInsO 2012, 1546. Laut einer Studie der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Schutzschirmbescheinigung (v. 6/2013) befürworten 83 % der Befragten einen schriftlichen Qualifikationsnachweis. 37) Martini, in: BeckOK-InsO, § 270b Rz. 39 – 50; Kern, in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 43. 38) Ausf. Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1097; Beth, ZInsO 2015, 369, 373. 39) Vgl. Frind, ZInsO 2014, 2264, 2265. 40) Habersack/Schürnbrand, in: Staub, Großkomm-HGB, Bd. 7/1, § 319 Rz. 8. 41) Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583, sehen die juristische Person im Fokus, während Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1097, hauptsächlich die natürlichen Personen beauftragt sehen.
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Schutzschirmverfahren
walters zu gewährleisten.42) Mit dieser wichtigen Änderung im Gesetzentwurf hat der Gesetzgeber den massiven Bedenken der Praxis Rechnung getragen, die zu Recht befürchtete, dass die Missbrauchsgefahr und die damit einhergehende Möglichkeit der Insolvenzverschleppung durch kollusives Zusammenwirken von Schuldner und Bescheiniger/vorläufigem Sachwalter signifikant steigen würde.43) Darüber hinaus ist zu fordern, dass über eine entsprechende Anwendung von § 45 Abs. 3 BRAO der Bescheiniger und der vorläufige Sachwalter auch nicht aus derselben Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Berufsträgern stammen dürfen.44) Hierunter müssen auch Bürogemeinschaften subsumiert werden. Ferner löst jeder Anschein einer Interessenkollision oder Interessenverquickung von Be- 51 scheiniger und vorläufigem Sachwalter einen Glaubwürdigkeitsverlust für das gesamte Schutzschirmverfahren und das nachfolgende Insolvenzplanverfahren aus und gefährdet dessen Annahme bzw. dessen Erfolg nachhaltig. Demgegenüber ist es – wie auch der IDW S 9 klarstellt – unschädlich, wenn der Bescheiniger vorher beratend für den Antragsteller tätig war.45) Vielmehr kann dies gerade in kleineren Fällen sogar beschleunigend und kostenminimierend sein, ist jedoch gegenüber den in den Prozess eingebundenen Gläubigern sowie dem Gericht transparent darzustellen. Das AG München hingegen hat in einer Entscheidung ähnlich strenge Anforderungen 52 aufgestellt wie bei der Auswahl eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 56 Abs. 1 InsO.46) Das Gericht begründet seine Entscheidung mit der teilweise auch in der Literatur gestützten Auffassung, die Bescheinigung entspreche einem insolvenzrechtlichen Gutachten in Kurzform, und führt die Gläubigerinteressen an.47) Zwar ist zuzugeben, dass mit zunehmender Nähe des Bescheinigers zum Schuldner die Zuverlässigkeit der Bescheinigung schwinden könnte;48) dass jedoch deshalb der Bescheiniger nicht zuvor beratend tätig werden darf, erscheint jedoch überzogen. Den Gefahren der fehlenden Überzeugungskraft der Bescheinigung wird durch die Ein- 53 schränkung der Auswahl des Bescheinigers, die Prüfung der Bescheinigung durch das Gericht sowie durch die Haftung des Bescheinigers ausreichend Rechnung getragen. Auch praktische Gründe sprechen für keine allzu streng vorausgesetzte Unabhängigkeit von Bescheiniger und Schuldner. In der Regel ist bereits ein Sanierungsberater eingeschaltet und hat sich in die Zahlenwerke und den Betrieb eingearbeitet. Er kann also zeitnah eine Bescheinigung erteilen, wenn dies aufgrund unvorhergesehener Ereignisse notwendig wird.49) Weder der Wortlaut des § 270b InsO noch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht für eine solche Auslegung, da der Gesetzgeber die Problematik im Allgemeinen erkannt hat. Insoweit ist deshalb auch die Meinung in der Literatur abzulehnen, die fordert, dass der 54 Ersteller des Grobkonzepts und der Bescheiniger personenverschieden sein sollten, da er ansonsten gegen das Selbstprüfungsverbot verstoßen würde.50) Zwar ist auch hier der ___________ 42) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 20, unter Hinweis auf § 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 274, 56 InsO. 43) Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 361; VID, Stellungnahme v. 22.6.2011, S. 3; Hofmann, NZI 2010, 798, 801. 44) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2261; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 29 ff. 45) Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1102; Buchalik, in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 9. 46) AG München v. 29.3.2012 • 1507 IN 1125/12, ZIP 2012, 789 = NZI 2012, 566, dazu EWiR 2012, 465 (Hölzle). 47) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270b Rz. 23; Pape, in: KPB, InsO, § 270b Rz. 44. 48) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 20. 49) Kern, in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 57. 50) Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583, 585; Hermanns, ZInsO 2014, 922, 925.
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Meinung insoweit zuzustimmen, dass eine Trennung meist auch zu mehr Objektivität führt, allerdings ist der Nutzen der Trennung minimal und führt zu weiteren Kosten und zeitlichen Verzögerungen. Bestehen aus Sicht des Insolvenzrichters Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung, kann das Gericht nach § 5 Abs. 1 InsO die Bescheinigung überprüfen lassen.51) 55 Auch nach dem IDW S 9 soll nicht erforderlich sein, dass das Sanierungskonzept, zu dessen Erfolgsaussichten sich der Aussteller der Bescheinigung äußert, von einer anderen Person erstellt worden ist. Es soll auch zulässig sein, dass der Bescheiniger selbst es für den Schuldner ausgearbeitet hat. In jedem Falle empfiehlt sich auch zu diesem Punkt eine vorherige Abstimmung mit dem Gericht und ggf. sogar den in Aussicht genommenen Mitgliedern eines vorläufigen Gläubigerausschusses. 4.1.3 Haftung 56 Eine Haftung des Bescheinigers gegenüber den Gläubigern ermöglichen die Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.52) Die Gläubiger des Schuldners sind von dem Schutzschirmverfahren unmittelbar betroffen und aufgrund fehlender eigener Anspruchsgrundlage auch schutzbedürftig. Dies ist für den Bescheiniger erkennbar. Die Haftung des Bescheinigers ist ein wesentliches und wichtiges Korrektiv, um zu verhindern, dass vorsätzlich oder fahrlässig unrichtig ausgestellte Bescheinigungen zu einem Missbrauch des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO führen. 57 Mit der im Gesetzgebungsverfahren erfolgten Korrektur, wonach der Bescheiniger nicht Sachwalter werden kann, ist zumindest die offenkundigste Missbrauchsmöglichkeit ausgeschlossen worden. Folgende wesentliche Fehler bei der Bescheinigung sind gleichwohl denkbar: 58 Zahlungsunfähigkeit: Wenn das antragstellende Unternehmen entgegen der Bescheinigung zahlungsunfähig ist und der Bescheiniger hiervon Kenntnis hatte bzw. Kenntnis haben musste, ist zu differenzieren, ob eine Insolvenzverschleppung vorliegt oder der Eigenantrag des Schuldners noch innerhalb der gesetzlich normierten Antragsfristen gestellt wurde. Im letzteren Fall dürfte ein Schaden und dementsprechend eine Haftung des Bescheinigers nur dann vorliegen, wenn i. R. der Eigenverwaltung handwerkliche Fehler nachzuweisen sind, die im Falle eines Regelinsolvenzverfahrens mit Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht zu erwarten gewesen wären (z. B. Gläubigerbegünstigung hinsichtlich Altforderungen etc.). 59 Besteht die Zahlungsunfähigkeit schon länger und sind die gesetzlichen Antragsfristen verstrichen, dürfte eine zusätzliche Haftung für den Schaden während der Verschleppung, wie z. B. Quotenschaden und Schaden der Neugläubiger i. R. der üblichen Insolvenzverschleppungshaftung, nicht nur für den Geschäftsführer, sondern auch für den Bescheiniger in Betracht kommen. 60 Stellt der Bescheiniger trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Sanierung eine Bescheinigung gemäß § 270b Abs. 1 InsO aus, kommt ebenfalls eine Haftung in Betracht. Schwierig bleibt die Frage, welcher Grad der Offensichtlichkeit zu fordern ist. Die Offensichtlichkeit i. S. von § 270b Abs. 1 InsO ist sicherlich dann gegeben, wenn bei Erstellung der Bescheinigung bereits bekannt war bzw. bekannt sein musste, dass die Zustimmung ___________ 51) AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944; AG München v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZIP 2012, 789; Hölzle, EWiR 2012, 466; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270b Rz. 22. 52) Ausf. Brinkmann, DB 2012, 1313, 1314; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270b Rz. 31; GrafSchlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 16; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 6; Martini, in: BeckOK-InsO, § 270b Rz. 5.
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wesentlicher Gläubiger zu dem vorzulegenden Insolvenzplan nicht gegeben bzw. auch nicht zu erlangen ist und somit dessen Annahme gemäß § 244 InsO scheitern wird. Hier werden im Wesentlichen die Gerichte eine entsprechende Kasuistik mit Hilfe von Sachverständigen entstehen lassen. Eine Haftung erscheint auch dann möglich, wenn zum Zeitpunkt der Bescheinigung keine 61 ausreichende Sicherheit darüber besteht, dass im Eröffnungsverfahren zu jedem Zeitpunkt ausreichend Liquidität vorhanden ist. Ist die Gefahr der Liquidationslücken zum Zeitpunkt der Bescheinigung dem Bescheini- 62 ger nachzuweisen, käme auch hier, wie im Fall der Zahlungsunfähigkeit ohne Insolvenzverschleppung, eine Haftung für handwerkliche Fehler i. R. der Eigenverwaltung in Betracht, die in einem Regelinsolvenzverfahren bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht passiert wären. Liegen entgegen der Bescheinigung keine Insolvenzgründe vor und ist auch nicht von einer 63 drohenden Zahlungsunfähigkeit mit einem damit einhergehenden Antragsrecht der Geschäftsführung auszugehen, kommt die übliche Haftung des Bescheinigers, ggf. als Gesamtschuldner mit einem kollusiv zusammenwirkenden Geschäftsführer, sowohl gegenüber den Gesellschaftern/Aktionären als auch gegenüber allen sonstigen Gläubigern inkl. der Arbeitnehmer und Lieferanten in Betracht, sofern ein Schaden entstanden ist. Die haftungsbegründende Kausalität wird zum Falle einer Zahlungsunfähigkeit bei An- 64 tragstellung und einer anderslautenden Bescheinigung relativ einfach nachzuweisen sein. Schwieriger wird es bei der haftungsausfüllenden Kausalität. Hier werden ggf. aufwändige Ermittlungen notwendig sein, um einen Schaden, der durch Einleitung des Schutzschirmverfahrens statt Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens entstanden sein könnte, auch zu belegen. In Betracht kommen hier Handlungen des Schuldners, welche gegen die InsO verstoßen, insbesondere die Befriedigung von vor Antragstellung begründeten Altverbindlichkeiten. Handelt der Bescheiniger vorsätzlich, kommt auch eine Haftung nach § 826 BGB und 65 § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. mit einem Schutzgesetz in Betracht. Daneben haftet der Bescheiniger dem Schuldner als Auftraggeber gegenüber nach allge- 66 meinen vertraglichen Grundsätzen. 4.2
Inhalt der Bescheinigung
Aus der Bescheinigung muss sich gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO ergeben, dass drohende 67 Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Diese Bescheinigung ist mit Gründen zu versehen.53) Fraglich ist, wie ausführlich die Bescheinigung zu begründen bzw. mit welchen Anlagen sie plausibel zu machen ist. Die Bescheinigung ist kein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, sondern ein Parteigutachten, das letztlich einen qualifizierten Parteivortrag darstellt, der gemäß § 286 ZPO der freien richterlichen Würdigung unterstellt ist.54) Eine Bescheinigung, deren Begründung sich im Wesentlichen auf den Wortlaut des Ge- 68 setzestextes beschränkt, dürfte nicht ausreichend sein. Vielmehr müssen für das Gericht plausibel und nachvollziehbar die Tatbestandsvoraussetzungen des § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO durchgeprüft werden. Dabei sollte die Begründung so umfassend wie möglich sein, ___________ 53) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 54) Beth, ZInsO 2015, 369, 374.
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um dem Gericht die Prüfung55) zu erleichtern und so dem Entlastungszweck des § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO56) zu genügen. Sämtliche verwendeten Definitionen und das Zahlenmaterial sind durch den Bescheiniger transparent darzulegen.57) Der Gesetzgeber macht keine Angaben zur notwendigen Aktualität der Bescheinigung, aber unzweifelhaft muss die Bescheinigung zeitnah zum Eröffnungsantrag ausgestellt worden sein.58) 69 Welchen Umfang diese Bescheinigung haben sollte, ist am konkreten Einzelfall festzumachen. Insbesondere wenn z. B. eine Unterdeckung der Liquidität vorliegt, ist eine dezidierte Darlegung notwendig, weshalb bisher noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Insoweit ist eine Drei-Wochen-Liquiditätsplanung vorzulegen, aus der sich ergibt, dass es sich lediglich um eine Zahlungsstockung handelt. Liegt hingegen nur eine deutliche Überschuldung vor und ist die Zahlungsfähigkeit hingegen derzeit kein Problempunkt, kann die Bescheinigung in ihrer Begründung weniger detailliert ausfallen. 4.2.1 Ausschluss der Zahlungsunfähigkeit 70 Die Bescheinigung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO muss zunächst den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausschließen. Hier sind die allgemein bekannten Vorgaben des BGH59) zu beachten. Die Erstellung eines kurzfristigen Finanzplans (drei Wochen) zum Nachweis dafür, dass nicht mehr als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht bezahlt werden können, dürfte erforderlich, aber auch ausreichend sein. Durch eine nachhaltige Stundungsvereinbarung kann die eingetretene Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden.60) Zu weiteren inhaltlichen Anforderungen an die Prüfung der Zahlungsfähigkeit siehe § 3 Rz. 107 ff. und den IDW S 11.61) 4.2.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit 71 Eine mögliche Antragsvoraussetzung für das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist das Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Nach der Legaldefinition in § 18 Abs. 2 InsO bedeutet dies, dass der Antragsteller voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit droht, wenn anhand eines Finanzplans für das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr voraussichtlich, d. h. mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, die Zahlungsunfähigkeit eintritt. In dem Finanzplan müssen alle zahlungswirksamen Determinanten einschließlich konkret geplanter Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen, wie z. B. die Zuführung von Eigen- oder Fremdkapital, enthalten sein, sofern deren Realisierung hinreichend wahrscheinlich ist. Die Prüfung muss auf den Zeitpunkt der Antragseinreichung erstellt werden.62) 72 Der Finanzplan inklusive einer summarischen Zusammenfassung sollte der Bescheinigung als Anlage beigefügt werden, damit das Insolvenzgericht die Möglichkeit erhält, die Aussage des Bescheinigers nachzuvollziehen. ___________ 55) 56) 57) 58)
59) 60) 61) 62)
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Zum Prüfungsumfang des Gerichts s. Rz. 96 ff. Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861, 1868. Frind, ZInsO 2012, 1546. Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 14. Nach Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 120, darf die Bescheinigung max. eine Woche alt sein, nach Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, max. drei Tage. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns). Riggert, in: Braun, InsO, § 270b Rz. 3. IDW S 11 v. 29.1.2015, Rz. 93, 57 – 59; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912. Frind, ZInsO 2012, 1546.
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Der Zulässigkeit des Schutzschirmverfahrens steht es nicht entgegen, wenn der Schuldner 73 zum Zeitpunkt der Prüfung nachgewiesen zahlungsfähig ist, jedoch absehbar unmittelbar, d. h. frühestens einen Tag nach Antragstellung, zahlungsunfähig wird, etwa durch Kündigung von Krediten.63) Dies gilt ebenso für eine absehbare Unterdeckung von mehr als 10 % im Prognosezeitraum sowie auch für eine nur durch ein Moratorium erreichte Zahlungsfähigkeit zum Prüfungszeitpunkt. Dabei darf bei der Verhandlung des Moratoriums kein Gläubiger getäuscht, sondern muss über die geplante Antragstellung informiert worden sein. In jedem Fall muss der Antragsteller dafür Sorge tragen, dass die Finanzierung der Betriebsfortführung während der Schutzschirmphase durch geeignete Maßnahmen gewährleistet ist.64) 4.2.3 Überschuldung Eine weitere mögliche Antragsvoraussetzung ist das Vorliegen der Überschuldung ge- 74 mäß § 19 InsO. Hier ist ein stichtagsbezogener Überschuldungsstatus zu erstellen, der entsprechend dem gesetzlich festgelegten Überschuldungsbegriff aufgestellt ist. Dies ist der seit dem 1.1.2011 gültige und über den 1.1.2014 hinaus verlängerte neue alte sog. modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff.65) Eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne wird danach ausgeschlossen, wenn eine positive Fortführungsprognose gemäß § 19 Abs. 2 InsO vorliegt. Oder anders herum: Eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne setzt eine negative Fortführungsprognose voraus und damit im Überschuldungsstatus den Ansatz der Aktiva zu Liquidationswerten. Der aufgestellte Überschuldungsstatus ist dem Insolvenzgericht einschließlich einer summa- 75 rischen Zusammenfassung als Anlage der Bescheinigung vorzulegen, um die Überprüfung zu ermöglichen. Für den Fall, dass in der Bescheinigung die Überschuldung als Antragsgrund genannt wird, 76 entsteht auf den ersten Blick der folgende Konflikt: Der Überschuldung liegt in aller Regel die negative Fortbestehensprognose zugrunde, also die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen eben nicht fortgeführt werden kann. Gleichzeitig muss der Bescheiniger aber bestätigen, dass die Sanierung zumindest nicht offensichtlich aussichtslos ist. Gelöst wird dieser scheinbare Konflikt dadurch, dass ein Schutzschirm- und Insolvenzverfahren und die damit verbundenen Sanierungsmaßnahmen die nun nicht offensichtlich aussichtlose Sanierung des Unternehmens erst herbeiführen. Gleichwohl sind in diesen Fällen die Grundannahmen des Bescheinigers zu beiden Teilbereichen sowie sein Verständnis der Überschuldung genau zu prüfen.66) In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die wenigsten Anträge auf ein Schutzschirmverfahren mit einer Überschuldung begründet werden. 4.2.4 Keine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Sanierung Die vom Schuldner angestrebte Sanierung muss in der Bescheinigung als nicht offensicht- 77 lich aussichtslos bestätigt werden. Der Gesetzgeber verlangt ausdrücklich kein vollständiges Sanierungskonzept nach formalisierten Standards, da hierdurch mit erheblichen Kosten zu rechnen und damit das Verfahren für kleine und mittelständische Unternehmen ver___________ 63) Ganter, NZI 2012, 985; Leib/Rendels, INDat-Report 7/2013, S. 66. 64) Ganter, NZI 2012, 985. 65) Pressemitteilung des BMJ v. 9.11.2012 zur Entfristung des Überschuldungsbegriffs; BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91 (Dornier), BGHZ 119, 201 ff. = ZIP 1992, 1382. 66) Frind, ZInsO 2012, 1546.
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sperrt wäre.67) Eine nähere Definition der inhaltlichen Anforderungen an die nicht offensichtliche Aussichtslosigkeit unterließ der Gesetzgeber dagegen. Durch das Wort „offensichtlich“ kann darauf geschlossen werden, dass keine tiefgreifende Analyse und umfangreiche Konzeption erforderlich, sondern vielmehr eine Plausibilitätskontrolle der Sanierungsfähigkeit als materielle Anforderung ausreichend ist.68) Ein bloßer Sanierungswille des Antragstellers reicht jedoch regelmäßig nicht. Ein Grobkonzept zur Sanierung des Unternehmens muss in Ansätzen vorliegen.69) Als offensichtlich aussichtslos ist die Sanierung dementgegen anzusehen, wenn die Finanzierung der Betriebsfortführung nicht gesichert ist, ein nachhaltiger Auftragsmangel besteht, fehlende Mitwirkung durch wesentliche Gläubiger signalisiert wird oder durch die Betriebsfortführung verminderte Befriedigungsaussichten zu erwarten oder aus rechtlichen Gründen gar aussichtslos sind, z. B. weil dem Schuldner eine Genehmigung entzogen wird.70) 78 Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Bescheinigung hat das IDW den IDW S 971) entwickelt. Dieser setzt voraus, dass ein Grobkonzept erstellt wird, das grundsätzlich darstellt, wie die Sanierung konzeptionell und finanziell erreicht werden kann, ohne dass es einer umfassenden Beurteilung bedarf. Gefordert wird inhaltlich, dass das Ziel der angestrebten Sanierung und die dafür wesentlichen Maßnahmen benannt und etwaige wesentliche Hindernisse der Sanierung aufgezeigt werden. Ferner muss eine Realisierungswahrscheinlichkeit dargelegt werden. Auch die Identifikation von Krisenursachen sollte Bestandteil des Grobkonzepts sein. Eine Liquiditätsunterdeckung im Eröffnungsverfahren stellt insbesondere ein Anzeichen für das Vorliegen einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit dar. 79 Der Umfang des Grobkonzepts sollte der Größe des betreffenden Unternehmens angepasst sein und auf Detaildarstellungen und die Wiedergabe komplizierter Prüfsachverhalte verzichten. Es sollte die im konkreten Einzelfall für die Sanierung erfolgsrelevanten Themenbereiche aufnehmen. Das Grobkonzept kann entweder Textbestandteil der Bescheinigung sein oder bei größerem Umfang der Bescheinigung als Anlage beigefügt werden.72) Ersteller des Grobkonzepts kann der Schuldner oder eine vom ihm beauftragte Person bzw. Unternehmung sein. 80 Erster inhaltlicher Punkt des Grobkonzepts sollte die Beschreibung der aktuellen Krisensituation sein, dabei aber keine detaillierte Analyse wie in einem Sanierungskonzept vornehmen, sondern vielmehr die derzeitigen Symptome, die Umsatz- und Ergebnisentwicklung der letzten beiden Jahre, ggf. eine Spartenrechnung sowie typische betriebswirtschaftliche Kennzahlen und wesentliche Verpflichtungen, falls diese zur Krise beigetragen haben, erläutern. Weiterhin sollte nachvollziehbar dargestellt werden, warum der bisherige Sanierungsweg und die bereits eingeleiteten Maßnahmen nicht ausreichend waren. 81 Unmittelbar auf diesen Punkt aufbauend sind die avisierten Sanierungsmaßnahmen zu nennen, die innerhalb des Schutzschirm- bzw. anschließenden Insolvenzverfahrens angedacht sind, um die Krise zu überwinden. Gegebenenfalls sind die teilweise sehr einschneidenden Maßnahmen, wie Standortschließungen, Sortimentsstraffung, Personalreduzierung, Teilveräußerungen, Lieferantenkredite, Anpassung oder Aussetzung eines Sanierungstarifvertrages, nur in einem Insolvenzverfahren, hier Schutzschirmverfahren, durchführbar oder zumindest wesentlich leichter durchführbar. Sanierungsmaßnahmen mit mittel- und ___________ 67) 68) 69) 70)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861; Buchalik, in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 11. Vgl. BDU, Struktur eines Grobkonzepts im Rahmen der Bescheinigung nach § 270b InsO, v. 10/2015. Frind, ZInsO 2012, 1546; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 18; Siemon, ZInsO 2012, 1045; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1870. 71) IDW, Bescheinigung nach § 270b InsO (IDW S 9), ZIP 2014, 2275. 72) BDU, Struktur eines Grobkonzepts im Rahmen der Bescheinigung nach § 270b InsO, v. 10/2015.
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langfristigem Wirkungshorizont sind bei Bedarf lediglich weniger detailliert in das Grobkonzept mit aufzunehmen. Von großer Bedeutung für die spätere Betriebsfortführung ist die Frage, ob der Geschäftsbetrieb während des Schutzschirmverfahrens und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechterhalten und finanziert werden kann. Bei seiner Einschätzung sollte der Bescheiniger auf die Besonderheiten des Geschäftsmodells des Schuldners eingehen. Eine idealerweise integrierte Unternehmensplanung (Ertrags-, Liquiditäts- und Bilanzplanung) bis zur Verfahrensaufhebung dokumentiert diese Einschätzung. In den Rahmeninformationen zum Insolvenzplan werden die geplante Einbindung der Gläubiger, der avisierte Zeitplan, die angedachte Gruppenstruktur, die Finanzierung des Insolvenzplanverfahrens und ggf. sonstige relevante Regelungen beschrieben. Die voraussichtliche Besserstellung der Gläubiger durch den Insolvenzplan ist ebenfalls 82 (qualitativ) darzustellen. Eine differenzierte Vergleichsrechnung ist i. R. des Grobkonzepts aber noch nicht notwendig. Die Qualifikation und Person des Eigenverwalters und die Eignung des avisierten Sachwalters sind kritisch zu würdigen. Der Bescheiniger sollte zuletzt eine Einschätzung abgeben, ob offensichtliche Gründe vorliegen, weshalb wesentliche Gläubiger oder Leistungspartner eine Sanierung im Schutzschirmverfahren ggf. nicht mittragen könnten. Ferner ist es – wie bei der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO – notwendig, 83 dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Nach dem AG Essen73) führt das Schutzschirmverfahren dann zu Nachteilen für die Gläubiger, wenn auf der Grundlage der Tatsachen, die dem Gericht zum Zeitpunkt seiner Prognoseentscheidung zur Verfügung stehen, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung besteht, d. h. wenn davon auszugehen ist, dass bei Anordnung des Schutzschirmverfahrens für die Befriedigung der Gläubigerforderungen eine geringere Masse zur Verfügung stehen würde, als dies bei regelhaftem Verfahrensablauf der Fall wäre. 5.
Vorläufiger Gläubigerausschuss
Gemäß § 22a Abs. 2 InsO kann der Schuldner die Einsetzung eines vorläufigen Gläubi- 84 gerausschusses beantragen. Sofern das Gericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 22a InsO bestellt, ist zu klären, welche Rechte dieser i. R. des Schutzschirmverfahrens haben kann. Voraussetzung ist zunächst die Bestellung durch das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO; sie ist in das Ermessen des Insolvenzgerichts gestellt. Sofern die Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 InsO vorliegen, ist das Gericht grundsätzlich zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses verpflichtet, wenn nicht die Ausnahmeregelung des § 22a Abs. 3 InsO Anwendung findet. Sofern vom Insolvenzgericht ein Gläubigerausschuss bestellt wird, dürfte dies regelmäßig 85 erst nach dem Beschluss gemäß § 270b Abs. 1 InsO erfolgen. Dies ist grundsätzlich unschädlich, da eine zwingende Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist.74) Die Gläubiger dürfen sich bei der Auswahl des „mitgebrachten“ Sachwalters75) gemäß 86 §§ 274, 56 Abs. 2 InsO nur zur Person des vorläufigen Sachwalters äußern, wenn dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. ___________ 73) AG Essen v. 3.2.2015 – 163 IN 14/15, ZIP 2015, 841, dazu EWiR 2015, 457 (Kraus). 74) Hirte, ZInsO 2011, 401, 404; Hofmann, NZI 2010, 798, 804 jew. m. w. N. A. A. Frind, ZInsO 2011, 656, 661; BAKinso, Stellungnahme v. 25.2.2011, S. 9, abrufbar unter http://m.bs-inso.de/cms/upload/pdf/ Stellungnahme_BAKinso_zweiter_Teil_RegE_2322011_ESUG.pdf (Abrufdatum: 22.7.2018). 75) Buchalik, in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 6.
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Da regelmäßig eine hohe Eilbedürftigkeit besteht, dürfte die formelle Gläubigerbeteiligung die Ausnahme sein und damit eine potenzielle Gefährdung von Gläubigerinteressen bestehen.76) Dies ist vom Gesetzgeber aber ausdrücklich so gewollt, denn im Schutzschirmverfahren soll gerade der Schuldner entscheidenden Einfluss auf die Bestellung des vorläufigen Sachwalters haben, damit der Antrag frühzeitiger als bisher gestellt wird.77) Die Interessen der Gläubiger sind durch §§ 274, 57 InsO hinreichend gewahrt, da hiernach die Möglichkeit besteht, den Sachwalter nach Verfahrenseröffnung abzuwählen und durch einen anderen zu ersetzen.78) 87 Gleichwohl empfiehlt es sich für den Schuldner bzw. seine Berater, möglichst im Vorfeld mit wesentlichen Gläubigern bzw. den voraussichtlichen Mitgliedern eines Gläubigerausschusses bzgl. der Person des vorläufigen Sachwalters Einvernehmen zu erzielen bzw. sicherzustellen, dass keine Bedenken gegen den ausgewählten vorläufigen Sachwalter bestehen. 6.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung
88 Durch den Antrag auf Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 270b Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO werden bereits eingeleitete Maßnahmen einstweilen eingestellt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Dieser Antrag ist unerlässlich und sollte in jedem Fall gestellt werden, da ein Sanierungskonzept nur unter Fortsetzung der Geschäftstätigkeit ohne den Zugriff von Gläubigern auf Vermögensgegenstände sinnvoll ausgearbeitet werden kann.79) Ein Antrag auf Anordnung der Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kann ebenso Bestandteil des Eröffnungsantrags sein. Wird diesem stattgegeben, dürfen mit Ab- oder Aussonderungsrechten belegte bewegliche Gegenstände mit erheblicher Bedeutung für die Betriebsfortführung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Gläubiger nicht verwertet werden. 89 Für unbewegliches Vermögen gilt § 30d Abs. 1, 4 ZVG analog auch für den Schuldner in Eigenverwaltung, so dass auf Antrag das Gericht die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen hat. 7.
Begründung von Masseverbindlichkeiten
90 Ein Antrag auf Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270b Abs. 3 InsO erscheint ebenfalls obligatorisch (siehe hierzu auch Rz. 164 ff.). Mit dieser Regelung soll v. a. die Möglichkeit einer Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren und damit die Grundvoraussetzung für eine Sanierung überhaupt erst geschaffen werden. Insbesondere gilt es in der kritischen Phase des Eröffnungsverfahrens, das Vertrauen der Geschäftspartner zu erhalten und auf deren Mitwirkung für eine Betriebsfortführung und anschließende erfolgreiche Sanierung hinzusteuern.80) 91 Das Gericht hat dem Antrag des Schuldners stattzugeben, insoweit besteht kein Ermessen oder ein materielles Prüfungsrecht des Gerichts. Es darf jedoch nur auf Antrag tätig werden.81)
___________ 76) Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1043, mit Hinweis auf den möglichen Verlust der Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters. 77) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 78) Hirte, ZInsO 2011, 401, 404. 79) Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861. 80) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. 81) BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831, dazu EWiR 2016, 307 (Dimassi).
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Schutzschirmverfahren
Der Schuldner kann den Umfang der zu begründenden Masseverbindlichkeiten selbst 92 bestimmen und sowohl eine Einzel-, Gruppen- oder Globalermächtigung beantragen. Unterlässt der Schuldner den Antrag, so kann er keine Masseverbindlichkeiten begründen. Die Rechtmäßigkeit durch den Schuldner zu begründender Masseverbindlichkeiten folgt nicht bereits daraus, dass diesem mangels Einschränkung durch das Insolvenzgericht die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis verbleibt.82) § 55 Abs. 2 InsO gilt entsprechend. 8.
Antragsrücknahme durch den Schuldner
Gemäß § 270a Abs. 2 InsO hat der Schuldner bei einem Insolvenzantrag wegen drohen- 93 der Zahlungsunfähigkeit das Recht, den Eröffnungsantrag zurückzunehmen, wenn das Insolvenzgericht ankündigt, dass gegen den gestellten Antrag Bedenken bestehen. Dieses Recht auf Antragsrücknahme besteht auch im Schutzschirmverfahren, sofern der 94 Insolvenzantrag auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt wird und keine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Problematisch ist hier, dass bei drohender Zahlungsunfähigkeit wegen der damit regelmäßig einhergehenden negativen Fortbestehensprognose im Überschuldungsstatus nur noch zu Liquidationswerten bilanziert werden darf, was in vielen Fällen zu einer antragspflichtigen Überschuldung führt; damit wäre eine Antragsrücknahme grundsätzlich ausgeschlossen.83) Darüber hinaus lässt sich eine insolvenzantragsverpflichtende Zahlungsunfähigkeit bzw. 95 Überschuldung im Zuge der Rücknahme eines Eigen(verwaltungs)antrags nur vermeiden, wenn dies unmittelbar in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung erfolgt und damit eine Veröffentlichung bzw. ein Bekanntwerden des Antrags selbst verhindert werden kann. Dieses Öffentlichwerden hat spätestens durch die dann erfolgende Fälligstellung der Verbindlichkeiten durch die Gläubiger/Banken regelmäßig die Insolvenzreife des antragstellenden Schuldners zur Folge.84) III.
Prüfung durch das Gericht
Die Bescheinigung wird vom Gericht überprüft.85) In formeller Hinsicht wird vom Gericht 96 zunächst zu prüfen sein, ob die Bescheinigung von einer Person erstellt worden ist, die die gesetzlichen Anforderungen des § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO erfüllt, und ob die Bescheinigung eine Begründung enthält.86) Nicht verlangt wird ein Sanierungsgutachten entsprechend bestimmter formaler Standards, wie bspw. dem IDW S 6.87) Das Gericht wird dann auch inhaltlich zu prüfen haben, ob die Bescheinigung und die mit 97 ihr eingereichten Unterlagen eine Aussage dazu treffen, dass die Bescheinigung auf einer eigenen Einschätzung und eigenen Nachforschungen des Bescheinigungsausstellers basiert. Außerdem muss das Gericht der Bescheinigung die Aussage entnehmen können, dass beim Schuldner eine Überschuldung i. S. des § 19 InsO und/oder eine drohende Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 InsO, keinesfalls aber eine Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 17 InsO vorliegt. Schließlich muss das Gericht der Bescheinigung noch die Feststellung entnehmen können, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.88) ___________ 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88)
OLG Köln v. 3.11.2014 – 2 U 82/14, ZIP 2014, 2523. Hölzle, NZI 2011, 124, 130. Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Hofmann, NZI 2010, 798, 804. Hölzle, NZI 2011, 124, 130 m. w. N.; a. A. Hill, ZInsO 2010, 1825. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 170 unter H. IV. 1., Rz. 674. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 12. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 170 unter H. IV. 1., Rz. 675.
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§8
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
98 Fraglich ist allerdings, welche Anforderungen an die Prüfungstiefe des Gerichts bestehen.89) Dies hängt zum einen von der Person des Bescheinigers ab. Handelt es sich um einen in Insolvenzsachen gerichtsbekannten, erfahrenen Berufsträger, d. h. Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater, der womöglich selbst bei dem betreffenden oder einem anderen Insolvenzgericht als Insolvenzverwalter gelistet ist und regelmäßig bestellt wird, kann das Insolvenzgericht davon ausgehen, dass die erstellte Bescheinigung grundsätzlich sorgfältig erstellt wurde. Denn bei qualitativ schlechter oder gar dolos verfasster Bescheinigung dürfte sich der Bescheiniger unabhängig von der eigenen Haftung (siehe oben Rz. 56 ff.) auch eines Delistings bei den in Frage kommenden Insolvenzgerichten sicher sein, sei es als Insolvenzverwalter, sei es als Bescheiniger. 99 Bei nicht gerichtsbekannten Berufsträgern oder Nicht-Berufsträgern wie z. B. Unternehmensberatern dürften sich die Insolvenzgerichte deutlich schwerer tun, die Bescheinigung ohne weitere externe Überprüfung anzuerkennen. Zumindest von der in § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO vorausgesetzten Erfahrung des Bescheinigers in Insolvenzsachen muss sich das Insolvenzgericht überzeugen. 100 Eine inhaltliche Prüfungsbefugnis des Gerichts könnte sich aus § 5 Abs. 1 InsO ergeben. Die konsequente Anwendung des § 5 Abs. 1 InsO würde allerdings bedeuten, dass das Insolvenzgericht nicht nur zur tiefgreifenden Prüfung, regelmäßig durch Bestellung eines Sachverständigen, befugt ist, sondern hierzu auch i. R. der Amtsermittlung verpflichtet wäre. Weitgehend Einigkeit besteht aber dahingehend, dass zumindest eine Amtsermittlungspflicht nicht besteht.90) Anstatt zur Begründung der Prüfungsbefugnis des Gerichts § 5 Abs. 1 InsO heranzuziehen, ist es überzeugender, den Begriff der Offensichtlichkeit in § 270b InsO i. S. der Offenkundigkeit des § 291 ZPO zu verstehen. Eine offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt demnach nur dann vor, wenn dem Insolvenzrichter aus seiner amtlichen Tätigkeit Tatsachen bekannt sind, die erwarten lassen, dass die angestrebte Sanierung aussichtslos ist.91) 101 Entscheidend dürfte dabei sein, dass das Gericht nach einer Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung der vorgelegten Bescheinigung und unter Berücksichtigung seiner sonstigen Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Es scheint daher vertretbar, die materielle Prüfungskompetenz der Gerichte92) auf vorhandene, offensichtliche Mängel der Bescheinigung zu beschränken.93) Ein Bedürfnis für eine Amtsermittlung, welche regelmäßig durch die Bestellung eines Sachverständigen erfolgen dürfte, besteht in diesen Fällen gerade nicht, da dann die Bescheinigung bereits inhaltlich unrichtig und somit untauglich ist und in der Konsequenz schon kein zulässiger Antrag nach § 270b Abs. 1 InsO vorliegt. Der Antrag kann dann zurückgewiesen oder aber eine Frist zur Vorlage einer berichtigten Bescheinigung gesetzt werden.94) Gegen eine grundsätzliche, tiefgreifende materielle Prüfungsbefugnis durch das Gericht bezogen auf die Bescheinigung ist zudem einzuwenden, dass damit der Zweck des § 270b InsO, dem Schuldner einen weitgehend selbstbestimmten Eintritt in das Insolvenz(antrags)verfahren zu ermöglichen, gefährdet wäre. ___________ 89) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344, wonach die Beauftragung eines Sachverständigen ausgeschlossen ist; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 322. 90) Beth, ZInsO 2015, 369, 371. 91) Beth, ZInsO 2015, 369, 371. 92) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2261; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270b Rz. 22. 93) Desch, BB 2011, 841; so im Ergebnis auch Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 965; Smid, ZInsO 2013, 209, 216; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 322. 94) Beth, ZInsO 2015, 369, 371.
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§8
Schutzschirmverfahren
Andernfalls bestünde zudem die Gefahr, dass die Insolvenzgerichte aus den unterschied- 102 lichsten Motiven jede Bescheinigung von einem Sachverständigen überprüfen lassen und bei divergierenden Auffassungen von Bescheiniger und Gericht/Sachverständigem das Schutzschirmverfahren unnötig verkompliziert, verzögert und damit – gegen den ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers – wieder „gerichtsdominiert“ wird. Das hätte zur Folge, dass dieses Verfahren an Attraktivität bei Schuldnern verlieren, wenn nicht gar bedeutungslos würde. Auch der Eilcharakter des Verfahrens spricht für eine Beschränkung des Gerichts auf eine Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung.95) Eine weitere Standardisierung der Bescheinigung gemäß § 270b InsO dürfte diese Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung weiter erleichtern. Auch nach der jüngsten im Januar 2018 veröffentlichten ESUG-Studie von Roland Berger besteht aus der Sicht der befragten Praktiker ein Bedarf nach einer weiteren Standardisierung der Bescheinigung gemäß § 270b InsO, insbesondere hinsichtlich der Prüfung der Sanierungsaussichten. Der IDW S 9 sowie der vom BDU vorgestellte Leitfaden für die Struktur eines Grobkonzepts i. R. der Bescheinigung nach § 270b InsO werden von der Mehrheit der befragten Praktiker bei der Erstellung der Bescheinigung angewendet.96) Siehe zu weiteren Einzelheiten der ESUG-Evaluation die Zusammenfassung des Berichts unten in § 58. Es dürfte aus Praktikersicht in jeder Hinsicht sinnvoll sein, dass der Schuldner oder dessen 103 insolvenzerfahrener Berater sich im Vorfeld mit dem Insolvenzgericht hinsichtlich der Person des ins Auge gefassten Bescheinigers zumindest insoweit abstimmt, ob seitens des Gerichts Bedenken bestehen, um Zeitverzögerungen durch die Beauftragung externer Gutachter durch das Gericht zu vermeiden. In diesem Zusammenhang dürfte es verfahrensökonomisch zweckdienlich sein, eine (evtl. 104 bundesweite) Liste anerkannter und seriöser Bescheiniger zu schaffen, die den Insolvenzgerichten zumindest einen Anhaltspunkt hinsichtlich der Person des Bescheinigers im konkreten Fall geben könnte. Zu klären wären u. a. die Zugangsvoraussetzungen, evtl. erforderliche Zertifizierungen sowie Voraussetzungen für ein Delisting. IV.
Beschluss (§ 270b InsO)
1.
Frist zur Vorlage des Insolvenzplans
Die vom Gericht festzulegende Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans beträgt maximal 105 drei Monate gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO. Es ist davon auszugehen, dass die DreiMonats-Frist der Regelfall sein wird, zumal in komplexeren Verfahren schon drei Monate zur Erstellung eines Insolvenzplans knapp bemessen sind. Das Gericht kann selbstverständlich eine kürzere Frist bestimmen, so dass es aus Sicht des Schuldners grundsätzlich ratsam ist, Vorbereitungen zur Erstellung eines Insolvenzplans parallel zur Vorbereitung des Eigenantrags gemäß § 270b InsO vorzunehmen, um unabhängig von etwaigen Rechtsmitteln zeitlich genügende Reserven für „Unvorhergesehenes“ zu haben. Die Erstellung des Insolvenzplans bzw. die hierdurch verursachten Kosten stellen Maß- 106 nahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs im Schutzschirmverfahren dar, dürfen vom schuldnerischen Unternehmen beauftragt bzw. bezahlt werden97) und auch ohne Zustimmung des Sachwalters getätigt werden.98) Auch ist vorstellbar, dass das Gericht zunächst eine kürzere Frist bestimmt und eine etwaige 107 Verlängerung von den Fortschritten bei den Verhandlungen mit den Gläubigern/bei der ___________ 95) Desch, BB 2011, 841; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 170 unter H. IV. 1., Rz. 677. 96) RolandBerger/HgGUR, 5 Jahre ESUG – Eine Bestandsaufnahme, v. 1/2018, S. 27. 97) Vgl. hierzu ausf. Hölzle, ZIP 2012, 855, 860; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 203 f.; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 205 unter L. I. 2. 98) Nerlich, in: MünchAHB Sanierung und Insolvenz, § 24 Rz. 184; Desch, BB 2011, 841, 842.
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§8
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Erstellung des Insolvenzplans abhängig macht. Das Insolvenzgericht dürfte den vorläufigen Sachwalter regelmäßig als Sachverständigen zumindest hinsichtlich der Eröffnungsvoraussetzungen bestellen, der sein Gutachten zusammen mit den Fristigkeiten des vom Schuldner vorzulegenden Insolvenzplans einreichen wird.99) 2.
Vorläufiger Sachwalter
2.1
Person des vorläufigen Sachwalters
108 Gemäß § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO muss der vom Gericht zu bestellende (mitgebrachte) vorläufige Sachwalter personenverschieden von dem Aussteller der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 InsO sein. Darüber hinaus darf der Sachwalter entsprechend § 45 Abs. 3 BRAO in keiner denkbaren (losen) Form mit dem Bescheiniger beruflich verbunden sein. 109 Mit diesem Regulativ soll eine mögliche Verquickung der Interessen des Bescheinigers und des vorläufigen Sachwalters wenn nicht verhindert, so doch deutlich erschwert werden. Es ist davon auszugehen, dass die Insolvenzgerichte auch den Zusammenschluss von Bescheiniger und vorläufigem Sachwalter zur gemeinsamen Berufsausübung in jedweder Form nicht akzeptieren, sondern Wert darauf legen, dass Bescheiniger und vorläufiger Sachwalter in jeder Hinsicht voneinander (auch wirtschaftlich) unabhängige Personen sind. 110 Die Unabhängigkeit (siehe hierzu auch Rz. 127) des Sachwalters als Wahrer der Interessen der Gläubigergesamtheit hat umso größere Bedeutung, wenn der Schuldner „seinen“ Sachwalter auswählen kann. Allein dieses Recht des Schuldners zur Auswahl ist geeignet, das Vertrauen der Gesamtgläubigerschaft in die Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters zu erschüttern. Der Gefährdung der Glaubwürdigkeit des vorläufigen Sachwalters und damit des gesamten Schutzschirmverfahrens wird man in der Praxis regelmäßig dadurch begegnen können, dass als „mitgebrachter“ vorläufiger Sachwalter ein bei einem Insolvenzgericht gelisteter und regelmäßig bestellter Unternehmensinsolvenzverwalter ausgewählt wird.100) 111 Es ist davon auszugehen, dass die Insolvenzgerichte nur tätige und über einen nennenswerten Erfahrungsschatz bei Unternehmensinsolvenzen/Betriebsfortführungen nachweisbar verfügende Unternehmensinsolvenzverwalter als vorläufige Sachwalter bestellen. Das ist auch sinnvoll, da es sich auch beim Schutzschirmverfahren formal um ein Insolvenz(antrags)verfahren handelt, das umfassende verfahrensrechtliche sowie insolvenzspezifische Kenntnisse verlangt, über die regelmäßig nur ein erfahrener Unternehmensinsolvenzverwalter verfügt. 112 Die Akzeptanz des Insolvenzgerichts dürfte bei einem dort gelisteten Unternehmensinsolvenzverwalter sicherlich am höchsten sein, so dass ein gut beratener Schuldner zunächst in diesem Kreis der Insolvenzverwalter Ausschau halten sollte. 113 Im Rahmen der gesetzlichen Regelung steht nur dem Schuldner ein Vorschlagsrecht im Hinblick auf die Person des vorläufigen Sachwalters zu. Das Gericht kann gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO vom Vorschlag des Schuldners lediglich dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich nicht für die Übernahme des Amtes geeignet ist. Bestehen also nur geringe Zweifel, genügt es regelmäßig nicht, den Vorschlag abzulehnen. Von einer offensichtlichen Ungeeignetheit kann hingegen ausgegangen werden, wenn ___________ 99) Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 964. A. A. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 254 ff., der die Bestellung eines personenverschiedenen Sachverständigen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Kontrollfunktionen befürwortet. 100) So auch Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 364; Frind, ZInsO 2014, 119, 131.
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§8
Schutzschirmverfahren
insbesondere die Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person nicht gewährleistet ist.101) Das AG Stendal sieht einen solchen Fall als gegeben, wenn zwischen dem sanierungsberatenden Geschäftsführer und der vorgeschlagenen Person eine umfangreiche frühere Geschäftsverbindung bestand.102) Ist dies der Fall kann das Gericht selbst den vorläufigen Sachwalter auswählen, muss dies 114 aber begründen, § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO. In der Praxis entsteht im Hinblick auf die insofern reduzierte Gläubigermitbestimmung ein erhebliches Spannungsfeld. Regelmäßig wollen die Gläubiger möglichst frühzeitig in das Verfahren der Sanierung involviert werden. Vor der Eröffnung des Insolvenzplanverfahrens stehen einem vorläufigen Gläubigerausschuss jedoch keine Rechte gemäß § 56a InsO zu. Diese – wohl vom Gesetzgeber gewollte – Lösung erscheint trotz einer in der Literatur auch vertretenen a. A.103) jedoch sachgerecht. Vor allem ist an dieser Stelle der gesetzgeberisch angestrebte Zweck des Schutzschirmverfahrens zu berücksichtigen: Der Schuldner sollte gestärkt werden und ihm sollte die Sorge genommen werden, mit dem Eröffnungsantrag die Kontrolle über sein Unternehmen zu verlieren. Anders als in einem Regelinsolvenzverfahren soll dem Schuldner in diesem Stadium der Vorbereitung der Sanierung mittels insolvenzrechtlicher Normen seine unternehmerische Freiheit nicht entzogen werden. Dies wird u. a. im Hinblick auf die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO deutlich. Laut Begründung des Gesetzgebers soll der Schuldner die Sicherheit erhalten, die Sanierung mit einer für ihn vertrauenswürdigen Person vorbereiten zu können; dies ist ebenfalls wiederum Ausfluss der Tatsache, dass der Schuldner sich ja bei (nur) drohender Zahlungsunfähigkeit freiwillig unter das Regime des Insolvenzrechts begibt. Dies würde konterkariert, wenn man einem vorläufigen Gläubigerausschuss die Möglichkeit eröffnete, sich mit dem eigenen vorläufigen Sachwalter durchzusetzen. Aktuelle Beispiele aus der Praxis zeigen, dass selbst eine gesetzlich vorgesehene Mitwirkung der Gläubiger im Stadium der Bestimmung eines endgültigen Sachwalters u. U. bedenklich erscheint. In diesem Zusammenhang ist auch der optionale Charakter des Schutzschirmverfahrens von Bedeutung. Die Aussicht auf einen „fremden“ Sachwalter würde die Bereitschaft des Schuldners, freiwillig einen Antrag auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens zu stellen, erheblich einschränken, was auch den Interessen der Gläubiger nicht entspricht. Berücksichtigt man den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm des § 56a InsO, scheint ihr Wortlaut, welcher die Erwähnung eines Sachwalters vermeidet, deutlich gegen eine entsprechende Anwendung auf das Verfahren des § 270b InsO zu sprechen. Aus praktischer Sicht ist dem Schuldner aber dringend anzuraten – um eine Sanierung 115 i. R. der Eigenverwaltung auch und insbesondere über das Eröffnungsverfahren hinaus zu ermöglichen –, sich trotz seines gesetzlichen Vorschlagsrechts bereits im Vorfeld um eine Einigung mit den wichtigsten Gläubigern zu bemühen, um die späteren Sanierungsmöglichkeiten nicht zu erschweren. Auch hier sollten somit die Sanierung des Unternehmens und die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller handelnden Personen im Vordergrund stehen. Darüber hinaus ist bei der Entscheidung über den Vorschlag eines vorläufigen Sachwalters 116 bspw. einer GmbH zu beachten, dass i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung die Gesellschafterrechte – als Eigentumsrechte – nicht oder kaum eingeschränkt werden, so dass auch bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters der Zuständigkeitsbereich der Gesellschafterversammlung tangiert und entsprechend von der Geschäftsführung zu beachten ist. ___________ 101) Vallender, DB 2015, 231, 237. 102) AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (Schulte-Kaubrügger). 103) Graeber, in: MünchKomm, InsO, § 56a Rz. 6 f.; Rendels, INDat-Report 8/2011, S. 44, 47; Frind, ZInsO 2011, 656, 661.
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§8 2.2
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Abweichung vom Vorschlag des Schuldners
117 Das Gericht kann gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO vom Vorschlag des Schuldners nur abweichen, wenn es die vorgeschlagene Person für offensichtlich ungeeignet hält. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber nachvollziehbar und richtigerweise erreichen, dass grundsätzlich die vertrauenswürdige, gleichzeitig aber auch unabhängige Person zum vorläufigen Sachwalter bestellt wird, mit der der Schuldner die Sanierung i. R. des Schutzschirmverfahrens vorbereiten und dann später im Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung umsetzen möchte.104) 118 Dieser Spagat von Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit ist zwar schwierig zu bewerkstelligen,105) aber machbar. Die Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters dürfte immer dann zu verneinen sein, wenn über eine allgemeine und idealerweise abstrakte, nicht am konkreten Fall orientierte, erstmalige und einmalige Vorberatung hinaus eine längerfristige Vorberatung stattgefunden hat. 119 Eine offensichtliche Ungeeignetheit dürfte immer dann vorliegen, wenn die vorgeschlagene Person nicht in Insolvenzsachen erfahren, d. h. langjährig und schwerpunktmäßig als Unternehmensinsolvenzverwalter tätig ist. 120 Fraglich ist, ob über die Verweisungskette § 270b Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO auch § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO generell zur Anwendung kommt.106) Dann wäre der vorläufige Sachwalter aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen. 121 Dafür spricht, dass auch das Schutzschirmverfahren ein Insolvenzverfahren ist, welches potenziell in ein „normales“ Regelinsolvenzverfahren übergeht, sei es durch Aufhebung des Schutzschirms gemäß § 270b Abs. 4 InsO oder nach Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens. Ein gelisteter und regelmäßig bestellter (Unternehmens-)Insolvenzverwalter dürfte theoretisch und praktisch das umfänglichste Wissen und die höchste Qualifikation für das Amt des (vorläufigen) Sachwalters besitzen. Andererseits soll mit dem Vorschlagsrecht des Schuldners dessen Wunsch nach Planbarkeit des Verfahrens mit einer ihm bereits bekannten und vertrauten Person als vorläufigem Sachwalter ermöglicht werden. 122 Bei Abwägung dieser beiden Ausgangspunkte erscheint es vertretbar, über die o. g. Verweisungskette § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO als lex specialis zu § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO anzusehen.107) Allerdings darf der Schuldner nicht auf die beim jeweils zuständigen Insolvenzgericht gelisteten und bestellten Insolvenzverwalter beschränkt sein. Vielmehr müssen grundsätzlich auch bei anderen Insolvenzgerichten gelistete Insolvenzverwalter vorgeschlagen werden dürfen.108) Die Akzeptanz dürfte natürlich beim Vorschlag eines örtlichen, dem Insolvenzgericht „wohlbekannten“ Insolvenzverwalters als vorläufiger Sachwalter am höchsten sein. 123 Auch die fehlende Unabhängigkeit führt zu einer offensichtlichen Ungeeignetheit. 124 Bei einem „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalter ergibt sie sich aber nicht schon aus dessen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO nunmehr möglichen Vorbefassung. § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO kommt über folgende Verweisungskette zur Anwendung: § 270b Abs. 2 Satz 1 ___________ 104) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 53 unter C. II., Rz. 194. 105) A. A. Hofmann, NZI 2010, 798, 803. 106) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG z. § 270b Abs. 2 InsO, BTDrucks. 17/7511, S. 50; dafür Frind, ZInsO 2014, 129, 130. 107) A. A. Rendels, INDat-Report 8/2011, S. 44, 46. 108) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 252.
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Schutzschirmverfahren
Halbs. 1, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO.109) Diese Verweisungskette wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich so verwendet.110) Hiernach darf der vorläufige Sachwalter den Schuldner vor Insolvenzantragstellung in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten haben. Diese Formulierung im Gesetz ist in hohem Maße auslegungsfähig und damit in gleichem Maße auslegungsbedürftig. Beratung, zumal die entgeltliche, hat immer den – häufig erreichten – Zweck des Erkenntnisgewinns für den Beratenen. Sofern der spätere vorläufige Sachwalter in allgemeiner Form den Ablauf eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung und eines sich anschließenden Insolvenzplanverfahrens und dessen allgemeine Folgen erläutert, ist hiergegen wenig einzuwenden. Dies umso mehr, als der „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter ja gerade auch das Vertrauen des Schuldners genießen soll. Dieses lässt sich trotz oder gerade wegen aller moderner Kommunikationstechnik nicht virtuell, sondern nur über eine persönliche Begegnung herstellen. Idealerweise findet diese persönliche Begegnung im Vorfeld unentgeltlich statt. Jeder potenzielle vorläufige Sachwalter dürfte diesen Zeitaufwand unter Akquisitionskosten problemlos verbuchen können und wollen. Hochproblematisch ist eine Beratung über die Folgen des konkreten Insolvenzverfahrens. Hierbei werden regelmäßig auch Gesellschafterfinanzierungsverhältnisse Gegenstand sein, aus denen für den Berater und späteren vorläufigen Sachwalter bzw. Sachwalter verschiedene, teils strafbewehrte Interessenkonflikte resultieren. So ist er z. B. gemäß § 203 StGB gehindert, seine Kenntnisse aus der allgemeinen Beratung vor Antragstellung zu verwenden, wenn diese sich aus den im Unternehmen vorhandenen Daten nicht ohne weiteres ergeben.111) Es ist davon auszugehen, dass das Thema Anfechtung bzw. die damit zusammenhängenden Fristen regelmäßig Gegenstand einer solchen Beratung sind. Durch diese nahezu als Automatismus einer vorinsolvenzlichen Beratung auftretenden Interessenkonflikte werden die auch und gerade für einen „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalter so wichtige Unabhängigkeit sowie dessen Glaubwürdigkeit irreparabel beschädigt.112) Offensichtlich ungeeignet sind nach der o. g. Verweisungskette jedenfalls wohl unstreitig die schon im Vorfeld längerfristig bzw. zeitintensiv tätigen Rechtsberater oder auch die betriebswirtschaftlichen Berater, selbst wenn sie insolvenzerfahren sind.113) Es bleibt Aufgabe aller Verfahrensbeteiligten, das so wichtige Schutzschirmverfahren nicht durch Zweifel an der Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters, zumal er ja vom Schuldner „mitgebracht“ wird, in seiner notwendigen, breiten Akzeptanz bei allen Gläubigern, Kunden und Lieferanten ernsthaft zu beschädigen. Es ist davon auszugehen, dass die Insolvenzgerichte immer dann von dem Vorschlag des Schuldners abweichen, wenn der vorgeschlagene Sachwalter nicht nachgewiesenermaßen über langjährige Erfahrung in der Insolvenzverwaltung verfügt, zumal beim Scheitern des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b Abs. 4 InsO das Regelinsolvenzverfahren zur Anwendung kommt und der (vorläufige) Sachwalter zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter bestellt werden dürfte, um kosten- und verfahrensökonomisch das schuldnerische Vermögen zu schonen. Die auch mögliche Aufrechterhaltung der (vorläufigen) Eigenverwaltung
___________ 109) Frind, ZInsO 2011, 656, 661. 110) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 111) Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 365; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 514; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 80. 112) Frind, ZInsO 2011, 373, 380, der sich u. a. auch gegen eine allgemeine Beratung ausspricht; Vallender, NZI 2010, 838, 843 113) Mit überzeugender Begr. Rendels, INDat-Report 8/2011, S. 44, 45 f.; Frind, ZInsO 2014, 119, 130.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
gemäß § 270a InsO114) dürfte bei einem Scheitern des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b Abs. 4 InsO die Ausnahme darstellen. 129 Die Abweichung vom Vorschlag des Schuldners hinsichtlich der Person des vorläufigen Sachwalters ist vom Gericht zu begründen. Die Begründung soll nach der Intention des Gesetzgebers den Gläubigern nach Verfahrenseröffnung als Entscheidungsgrundlage für eine etwaige Neuwahl eines anderen Sachwalters dienen.115) Ein Rechtsmittel gegen die Bestellung des vorläufigen Sachwalters durch das Insolvenzgericht sieht das Gesetz hingegen nicht vor. Auch dann nicht, wenn das Insolvenzgericht vom Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses abweicht.116) 130 Dies eröffnet den Gläubigern die Möglichkeit, nach Eröffnung des Verfahrens, aber auch erst dann,117) gemäß § 274 i. V. m. § 57 InsO die Abwahl des gerichtlich bestellten Sachwalters und die Neuwahl des vorgeschlagenen Sachwalters zu betreiben. 2.3
Antragsgemäße Bestellung
131 Sofern die vom Schuldner vorgeschlagene Person nicht offensichtlich für die Übernahme des Amtes als vorläufiger Sachwalter ungeeignet ist, wird das Gericht die vorgeschlagene Person entsprechend bestellen. Dies dürfte regelmäßig bei bereits langjährig bestellten Insolvenzverwaltern der Fall sein. 132 Auch überregional tätige Verwalter dürften bei ortsnaher Logistik in Form von (schon bestehenden!) mit eigenem Personal ausgestatteten Büros bei den Insolvenzgerichten auf wenig Widerstand stoßen. Die Akzeptanz des Insolvenzgerichts dürfte auf jeden Fall weiter erhöht werden, wenn der vorgeschlagene vorläufige Sachwalter die Unterstützung der Gläubiger oder besser – des sich bereits abzeichnenden vorläufigen Gläubigerausschusses – dem Insolvenzgericht nachvollziehbar darlegen kann.118) Grundsätzlich steht das Vorschlagsrecht aber dem Schuldner zu.119) 2.4
Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters
133 Die Einsetzung des vorläufigen Sachwalters ist im Falle der Anordnung der Eigenverwaltung mit Schutzschirmverfahren zwingend vorgeschrieben. Daraus ergeben sich auch dessen Kompetenzen, die sich wohl am besten mit dem Begriff eines „Schiedsrichters“ umschreiben lassen (siehe hierzu auch Rz. 212 ff.).120) 134 Der vorläufige Sachwalter fungiert im Auftrag des Insolvenzgerichts als eine Art erweiterte insolvenzgerichtliche Kontrolle bzw. als ein „insolvenzgerichtliches“ Kontrollorgan.121) Diese Kontrollfunktion hat der vorläufige Sachwalter im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger auszuüben. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die Funktion des Sachwalters an dem Rechtsbegriff der Gläubigerbenachteiligung ausgestaltet. Das heißt, die Kompetenz des vorläufigen Sachwalters beschränkt sich i. R. des Schutzschirmverfahrens im We___________ 114) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. 115) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 62; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 173 unter H. V. 2., Rz. 688. 116) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 39; AG Hamburg v. 2.7.2013 – 67e IN 108/13, ZInsO 2013, 1533; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 688 unter H. V. 2. 117) A. A. Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 696, wonach auch bei § 270b InsO eine Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters zuzulassen ist. 118) Richter/Pernegger, BB 2011, 876, 879. 119) Krit. Hofmann, NZI 2010, 798, 804; Frind, NZI 2010, 705, 707. 120) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 112 unter E. VI. 2., Rz. 425. 121) Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425.
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sentlichen auf die Überwachung des eigenverwaltenden Schuldners – also insbesondere auf die Kontrolle der Geschäftsführung des Schuldners –, damit die Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Hierfür ist auch notwendig, dass der vorläufige Sachwalter mit dem eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschuss zusammenarbeitet. Neben den verfahrensimmanenten Kompetenzen i. S. der soeben beschriebenen erweiterten 135 insolvenzgerichtlichen Kontrolle obliegt dem Sachwalter zudem die Geltendmachung insolvenztypischer Ansprüche – freilich im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren –, wie z. B. von Insolvenzanfechtungsansprüchen bzw. Ansprüchen i. R. der §§ 92, 93 InsO. Der Gesetzgeber versteht den vorläufigen Sachwalter in diesem Sinne als eine Art Binde- 136 glied zwischen den Interessen des Schuldners und denjenigen der Gesamtheit der Gläubiger.122) Begründet wird dies damit, dass dem Schuldner, der sich i. R. eines Verfahrens nach § 270b InsO sozusagen freiwillig und vor Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit einem insolvenzrechtlichen Regelungsregime unterwirft, im Gegenzug (in der Art von Vorschusslorbeeren)123) das Recht behält, auch weiterhin maßgeblichen Einfluss auszuüben. Um jedoch auch den insolvenzrechtlichen und insbesondere den Gläubigerinteressen Rechnung zu tragen, wird ihm sodann der Sachwalter als Aufsichts- und Überwachungsorgan zur Seite gestellt. Zur Ausübung der ihm obliegenden Kontrollfunktion und -verpflichtung ist der Sachwalter 137 zudem mit besonderen Kompetenzen ausgestattet, die er in eigenem Ermessen ausüben kann. Die Ausübung und dann folgende Ausgestaltung wird immer eine Frage des jeweiligen Verfahrens sein und sich an der Größe des Geschäftsbetriebs, der Arbeitnehmerzahl und ähnlichen Kennzahlen orientieren. Hinsichtlich der Einzelheiten der möglichen Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters 138 siehe § 7 Rz. 41 ff. In diesem Zusammenhang wird oftmals als schärfstes Schwert des Sachwalters gegenüber 139 dem Schuldner die sog. Kassenführungsbefugnis bzw. deren An-Sich-Ziehen gemäß § 275 Abs. 2 InsO beschrieben. In der Praxis ist tatsächlich die Führung der Kasse ein probates – wenn nicht sogar das einzige wirkliche – Mittel zur tatsächlichen Kontrolle des Schuldners. Gemäß § 275 InsO obliegt es allein dem vorläufigen Sachwalter, die Kassenführungsbe- 140 fugnis an sich zu ziehen oder diese beim Schuldner zu belassen.124) Der vorläufige Sachwalter kann demnach die Konto- und Kassenführung durch einfache Erklärung gegenüber dem Schuldner an sich ziehen. Dieses Recht gibt ihm zwar nicht die Möglichkeit, einzelne Zahlungen zu verweigern oder selbstständig vorzunehmen, sondern ermöglicht ihm lediglich eine besonders effektive Kontrolle des Schuldners, da mit Übernahme der Kontound Kassenführung grundsätzlich sämtliche Geldeingänge wie auch Geldausgänge über die hierfür eingerichteten Anderkonten laufen. Dabei fungiert der vorläufige Sachwalter als gesetzlicher Vertreter des Schuldners.125) Damit wird der vorläufige Sachwalter in die Lage versetzt, seine Kontrollbefugnisse effektiv auszuüben. Zwar kann er – wenn der Schuldner ihm eine entsprechende Zahlungsanweisung gibt – eine Auszahlung nicht verweigern, allerdings hat die Praxis gezeigt, dass jede Zahlungsaufforderung des Schuldners an den Sachwalter i. d. R. begründet ist und der vorläufige Sachwalter bei jeder Zahlung als insolvenzrechtlich versierte Person diese auch einschätzen kann und wird und insofern auch den Schuldner ggf. auf bestimmte insolvenzrechtliche Problematiken hinweisen wird. ___________ 122) 123) 124) 125)
Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 112 unter E. VI. 2., Rz. 426. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 112 unter E. VI. 2., Rz. 426. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7; Berner, in: Pape/Uhländer, InsR, § 275 InsO Rz. 7. Vgl. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Rz. 352 ff., 347 ff.
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Auf diese Weise kann der vorläufige Sachwalter recht effektiv mitbestimmen, welche Gläubiger Zahlungen erhalten und welche nicht.126) 141 Allerdings wirken Konto- und Kassenführungsbefugnis nur intern im Verhältnis zwischen vorläufigem Sachwalter und Schuldner, so dass der vorläufige Sachwalter weder eine Zahlung im Ergebnis verweigern, noch verhindern kann, dass der Schuldner – der im Eigenverwaltungsverfahren ja weiterhin die volle Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis besitzt – selber zahlt oder auch schuldbefreiend Zahlungen entgegennimmt.127) In Fällen, in denen es zu Zahlungen kommt, in denen der vorläufige Sachwalter einen Verstoß gegen Normen des Insolvenzrechts sieht bzw. Nachteile für die Gesamtheit der Gläubiger erkennt, bleibt ihm nur die Möglichkeit bzw. Pflicht, diesen „Verstoß“ unverzüglich dem Insolvenzgericht anzuzeigen. In diesen Fällen wird das Insolvenzgericht zunächst prüfen, ob dieser Verstoß des Schuldners zu so schwerwiegenden Nachteilen für die Gläubiger führt, dass die Anordnung der Eigenverwaltung sodann von Amts wegen aufzuheben ist. Diesen Schritt wird der Schuldner – schon aus eigenem Interesse – vermeiden wollen, um weiterhin „sein Unternehmen“ in Eigenverwaltung zu restrukturieren. Insofern wird der Schuldner bei Einwänden des vorläufigen Sachwalters Zahlungen entweder zurückstellen, neu bewerten oder gemeinsam mit dem vorläufigen Sachwalter insolvenzrechtskonforme Lösungen entwickeln. 142 Die Initiative zur Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter kann auch vom Schuldner oder Gläubigerausschuss kommen, um damit gegenüber den Lieferanten, Kunden und Banken notwendiges Vertrauen aufzubauen, ohne freilich einen Anspruch darauf zu haben. 143 In der Praxis hat sich das „Wirtschaftskonten-Modell“ bewährt, welches die Auszahlungen an Lieferanten dem im Schutzschirmverfahren befindlichen Unternehmen überlässt. Der Sachwalter vereinnahmt hierbei sämtliche Zahlungen der Kunden bzw. Auftraggeber des Unternehmens auf ein zu diesem Zwecke eingerichteten Treuhandkonto. Hiernach ruft das Unternehmen in einem bestimmten Turnus (i. d. R. wöchentlich) Liquidität vom Sachwalter auf sog. Wirtschaftskonten ab, von denen dann die fälligen Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten aus der Betriebsfortführung nach Antragstellung beglichen werden. Diese Liquiditätsabrufe werden vom Unternehmen idealerweise mit prüffähigen Unterlagen eines unabhängigen externen Controllers unterlegt. Anhand von Stichproben einzelner Zahlungsvorgänge überprüft der vorläufige Sachwalter dann die Korrektheit der Angaben. Vorteil dieses Models ist die Belassung des Zahlungsausgangsverkehrs im Unternehmen, so dass trotz Übernahme der Konten- und Kassenführungsbefugnis ein schneller und reibungsloser Zahlfluss an die Lieferanten gewährleistet wird. 144 Der Gesetzgeber hat i. R. der Eigenverwaltung dem Schuldner jedenfalls im Innenverhältnis eine weitere Beschränkung auferlegt. So bedarf der Schuldner (im Innenverhältnis) bei der Eingehung von Verbindlichkeiten, die nicht zu seinem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, der vorherigen Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters. In der Praxis wird dies dergestalt vollzogen, dass der Schuldner entsprechende, begründete Entscheidungsvorlagen an den vorläufigen Sachwalter richtet, die dieser sorgfältig prüft und ggf. mit seiner Zustimmung versieht. Die Anforderungen an die Entscheidungsvorlagen sind stark vom einzelnen Verfahren abhängig. Sind in der schuldnerischen Geschäftsführung Sanierungsgeschäftsführer tätig, die über Fachwissen im Bereich des Insolvenzrechts verfügen bzw. selbst Berufsträger sind, so wird man auch entsprechende juristische und insolvenzrechtliche Anforderungen an den Inhalt der entsprechenden Entscheidungsvorlagen ___________ 126) Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 275 Rz. 12. 127) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 117 unter E. VI. 2. d) cc), Rz. 443.
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stellen müssen. Insbesondere bei kleineren Unternehmen, in denen die ursprüngliche – nicht juristisch vorgebildete – (kaufmännische) Geschäftsführung weiterhin im Amt ist, wird regelmäßig der vorläufige Sachwalter die spezifische juristische, insbesondere insolvenzrechtliche Prüfung des Sachverhalts vornehmen müssen. In diesen Fällen muss der Schuldner nur dafür Sorge tragen, dass die Entscheidungsvorlage den zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig und richtig wiedergibt und dass sämtliche relevanten Unterlagen, wie Verträge, AGBs u. Ä., beiliegen, so dass eine unverzügliche Prüfung durch die Sachwaltung möglich ist (siehe hierzu auch Rz. 212 ff.). Das Gegenstück zu den zustimmungspflichtigen Rechtsgeschäften ist gemäß § 275 Abs. 1 145 Satz 2 InsO der mögliche Widerspruch des vorläufigen Sachwalters gegen die Eingehung von Verbindlichkeiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs. In der Praxis wird dies nur erfolgen, wenn mit einzelnen Rechtsgeschäften offensichtlich Nachteile für das Verfahren und die Gesamtheit der Gläubiger verbunden sind. Dies wird i. d. R. der Fall sein, wenn die Eingehung dieser Verbindlichkeiten zu Verlusten oder jedenfalls zu erheblichen Risiken für die künftige Insolvenzmasse führen würde, ohne dass diesem Risiko ein adäquater Vorteil für die Masse gegenüberstünde.128) Die Abgrenzung von Rechtsgeschäften des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und solchen, 146 die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, ist fließend und wird von Verfahren zu Verfahren neu zu bestimmen sein. Abgrenzungskriterien sind die Art und der Umfang des bisherigen Geschäftsbetriebs des Schuldners. Die Praxis zeigt jedoch, dass Schuldner auch bei Rechtsgeschäften, die eindeutig in den 147 Bereich des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs fallen, die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters einfordern. Dies ist sinnvoll und gerade gegenüber dritten Vertragspartnern als zusätzliche vertrauensbildende Maßnahme positiv zu bewerten. Denn auch wenn die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters bei diesen Rechtsgeschäften keine Rechtsfolge auslöst und nicht notwendig ist, wird regelmäßig der Dritte allein durch die Mitwirkung des objektiven, vom Gericht eingesetzten Sachwalters mehr Vertrauen in die Sanierung des Schuldners durch ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung setzen. Der vorläufige Sachwalter hat nur darauf zu achten, dass dies nicht dazu führt, dass ihm tatsächlich jedes Rechtsgeschäft zur Zustimmung vorgelegt wird, denn dann würde er sich eher in der Rolle eines vorläufigen Insolvenzverwalters wiederfinden. Diese Rolle ist aber bewusst nicht mit der des vorläufigen Sachwalters vergleichbar. Mithin ist eine regelmäßige und gute Kommunikation sowie enge Abstimmung zwischen schuldnerischer Geschäftsführung und vorläufiger Sachwaltung anzustreben. Im Außenverhältnis hat eine fehlende Zustimmung wie auch der Widerspruch des vor- 148 läufigen Sachwalters gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO – mit Ausnahme der Grenzen des § 138 BGB – aber keinen Einfluss auf die Rechtswirksamkeit des Rechtsgeschäfts.129) Dies ist u. a. Ausfluss der Eigenverwaltung, die dem Schuldner ja gerade die gesamte Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis belässt und ihm den vorläufigen Sachwalter „nur“ als Kontrollorgan und erweiterte insolvenzgerichtliche Kontrolle zur Seite stellt. Darüber hinaus kann nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und aufgrund der fehlenden Verweisung in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO auf § 277 InsO nach wohl h. M. im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Verfügungsmacht des Schuldners im Außenverhältnis nicht beschränkt werden. Regelmäßig werden für eine solche Beschränkungsmöglichkeit auch in der vorläufigen Eigenverwaltung jedoch praktische Bedürfnisse sprechen. Daher wird hier mitunter auch vertreten, dass es sich um eine planwidrige Regelungslücke handelt, so dass ___________ 128) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 117 unter E. VI. 2. d) dd), Rz. 444. 129) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 117 unter E. VI. 2. d) dd), Rz. 444.
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eine analoge Anwendung des § 277 InsO durchaus möglich ist.130) Auch die Praxis hat gezeigt, dass einige Insolvenzgerichte – wie z. B. das AG Fulda und das AG Kassel – genau dieser Auffassung folgen und mit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung die Verfügungsmacht des Schuldners auch im Außenverhältnis beschränken, indem z. B. ein Verbot der Begründung von Masseverbindlichkeiten angeordnet wird.131) Dass durch die Anordnung solcher Maßnahmen bzw. Beschränkungen die vorläufigen Verfahren in Eigenverwaltung nicht einfacher werden, dürfte auf der Hand liegen. In diesen Fällen müssen schuldnerische Geschäftsführung und vorläufige Sachwaltung vielfältige und kreative Ideen und Lösungen entwickeln, die zum einen insolvenzrechtlich nicht zu beanstanden sind und zum anderen dem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dennoch über die Hürde der Insolvenzeröffnung helfen. 149 Gemäß § 276a InsO hat der Sachwalter bei der Ab- bzw. Neubestellung von Geschäftsführern durch die Gesellschafter den Beschlüssen (als Wirksamkeitsvoraussetzung) zuzustimmen, wenn darin keine Nachteile für die Gesamtheit der Gläubiger zu erkennen sind. Es ist jedoch umstritten, ob § 276a InsO auch in der vorläufigen Eigenverwaltung anwendbar ist. Nach wohl zutreffender Meinung findet § 276a InsO, der von der Verweisung in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO ausdrücklich ausgenommen ist, im Eröffnungsverfahren keine Anwendung,132) insofern erstreckt sich die Kompetenz des vorläufigen Sachwalters auch nicht auf die Befugnisse gemäß § 276a InsO. Eine Mitwirkung des Sachwalters bei der wirksamen Ab- und/oder Neubestellung von Mitgliedern der schuldnerischen Geschäftsführung durch die Gesellschafterversammlung ist weder möglich noch notwendig. 150 Last but not least hat auch der vorläufige Sachwalter bereits – wie dies auch regelmäßig der vorläufige Insolvenzverwalter tut – sämtliche Voraussetzungen zu schaffen, die er später im eröffneten Verfahren zur Durchsetzung der insolvenzspezifischen Ansprüche, allen voran der Durchsetzung von Insolvenzanfechtungsansprüchen, benötigt. So wird der vorläufige Sachwalter bereits im Eröffnungsverfahren in enger Abstimmung mit der Geschäftsführung des Schuldners dafür Sorge tragen, dass sämtliche Informationen und Unterlagen gesichert und/oder bei Dritten angefordert werden, so dass im eröffneten Verfahren die entsprechenden Voraussetzungen zur Durchsetzung der insolvenzspezifischen Ansprüche gegeben sind. 151 Mit darüber hinausgehenden Kompetenzen hat der Gesetzgeber den vorläufigen Sachwalter nicht ausgestattet. Insbesondere steht dem vorläufigen Sachwalter auch kein Planinitiativrecht zu.133) Denn ein Planinitiativrecht steht im Widerspruch zu dem Grundgedanken des Gesetzgebers, der ausdrücklich anstrebte, dass der Schuldner selbst eine Insolvenzplanlösung erarbeitet.134) Die Alternative würde den vorläufigen Sachwalter aus seiner objektiven Kontrollfunktion herausheben und ihn mehr in die Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs einbinden. Dies wäre mit einer reinen Kontroll- und Aufsichtsfunktion bezüglich des selbstverwaltenden Schuldners kaum vereinbar.
___________ 130) Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 6; Desch, BB 2011, 841, 845; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494. 131) Vgl. Beschlüsse in den Verfahren der Fräger Gruppe, AG Kassel (Insolvenzgericht) v. 1.10.2013 – 660 IN 292/13. 132) Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 6; Desch, BB 2011, 841, 845; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 118 unter E. VI. 2. d) ee). 133) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 119 unter E. VI. 2. d) ff), Rz. 449; a. A.: Hölzle, ZIP 2012, 855, 858; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 204. 134) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 64; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 119 unter E. VI. 2. d) ff), Rz. 449.
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Schutzschirmverfahren 2.5
Haftung des vorläufigen Sachwalters
Auch wenn das Thema der Haftung des Sachwalters noch nicht gänzlich abschließend ge- 152 klärt sein mag, kann sich diese jedoch nur an den oben beschriebenen Kompetenzen und Verpflichtungen und jeweils ausgeübten Rechten orientieren. Da der Kompetenzbereich des vorläufigen Sachwalters im Vergleich zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter eingeschränkt ist, ist trotz der Verweisung des § 274 Abs. 1 InsO auf § 60 InsO letzterer wohl nicht vollumfänglich anwendbar. Grundsätzlich wird sich der vorläufige Sachwalter bezüglich seiner persönlichen Haftung 153 an der Kernfrage seines (gesetzgeberisch gewollten) Handelns bzw. der Tätigkeitsbeschreibung des Sachwalters festhalten lassen müssen. Diese lässt sich im Grunde daran festmachen, ob er gemäß § 274 Abs. 3 InsO unverzüglich dem Insolvenzgericht und ggf. dem vorläufigen Gläubigerausschuss mitgeteilt hat, dass eine Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt. In diesem Zusammenhang wird auch zu überprüfen sein, ob der vorläufige Sachwalter seine Kompetenzen entsprechend genutzt hat und damit die Frage, ob durch die Eigenverwaltung des Schuldners Nachteile für die Gläubiger zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreten, rechtzeitig hat beurteilen können. Im Interesse der Haftungsvermeidung ist dem vorläufigen Sachwalter nur anzuraten, sämtliche Kompetenzen auch tatsächlich auszuüben und im Zweifel z. B. lieber auf die Führung der Konten und der Kasse zu bestehen, als diese weiterhin dem Schuldner zu überlassen. Die Zweifel hinsichtlich der uneingeschränkten Anwendbarkeit der Norm werden unter 154 Heranziehung eines Vergütungsvergleichs bekräftigt. Dem Sachwalter stehen lediglich 60 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters zu. Zum Teil wird in Ausnahmefällen auch eine Haftung nach §§ 61, 277 Abs. 1 Satz 3 InsO 155 angenommen, wenn der Sachwalter seine Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt hat.135) Außerdem kann der Sachwalter auch nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen haften, wenn er Lieferanten, Kunden oder Banken entsprechende Zahlungszusagen gemacht hat. Während der (vorläufige) Sachwalter grundsätzlich nicht nach § 69 AO haftet, da er we- 156 der Vertreter noch Vermögensverwalter i. S. des § 34 Abs. 3 AO ist, haftet er, wenn er die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO übernimmt. In diesem Fall ist er Vertreter des Schuldners nach § 35 AO.136) Gleiches muss dann auch für etwaige Mitwirkungs-, Buchführungs- und Steuererklärungspflichten im Besteuerungsverfahren (z. B. §§ 90 ff., 140 ff. AO, § 5b EStG, § 60 EStDV) gelten. Schließlich ist festzuhalten, dass sich aus dem Schutzschirmverfahren gegenüber einer 157 „normalen“ vorläufigen Eigenverwaltung bezüglich der Haftung des vorläufigen Sachwalters keine Unterschiede ergeben.137) Insofern siehe auch § 7 Rz. 87 ff. 3.
Anordnung vorläufiger Maßnahmen auf Antrag des Schuldners (§ 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 – 5 InsO)
Das Insolvenzgericht kann bzw. hat gemäß § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO Maßnahmen ge- 158 mäß § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 – 5 InsO bzw. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO anzuordnen. Das Gericht ist durch die abschließende Aufzählung daran gehindert, einen Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen.138) Fraglich ist dies hin___________ 135) 136) 137) 138)
Madaus, KTS 2015, 115, 129. Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1408. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 211 unter L. II. 3., Rz. 863. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
sichtlich der Bestellung eines Sachverständigen zur Klärung einzelner verfahrensrelevanter Fragen, wie z. B. der Richtigkeit der Bescheinigung. Die materielle Prüfungskompetenz des Gerichts ist hierbei allerdings auf offensichtliche, nicht nachgebesserte Mängel beschränkt (siehe Rz. 100 ff.). Die einzelnen Maßnahmen sollen hier nur kursorisch dargestellt werden; wegen Einzelheiten siehe oben § 7. 159 § 21 Abs. 1 InsO: Das Gericht kann alle Maßnahmen anordnen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist das Ermessen des Gerichts im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren jedoch deutlich eingeschränkt, da auch seine Befugnisse deutlich reduziert sind, zumal wenn auch ein vorläufiger Gläubigerausschuss gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO bestellt wird. Die Anordnung von Verfügungsbeschränkungen, die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung sowie die Bestellung eines Sachverständigen sind dem Insolvenzgericht grundsätzlich verwehrt.139) 160 § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO: Das Gericht kann gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen. Es hat gemäß § 22a InsO die Pflicht, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, wenn die dortigen Kriterien erfüllt sind: mindestens 6.000.000 EUR Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags oder mindestens 12.000.000 EUR Umsatzerlöse in den letzten zwölf Monaten vor Abschlussstichtag oder im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitnehmer; hiervon müssen zwei Merkmale erfüllt sein. Es ist davon auszugehen, dass das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO überwiegend von Unternehmen in Anspruch genommen wird, die unter die Definition von § 22a InsO fallen, so dass insoweit vom Gericht dann jeweils ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen ist. 161 § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO: Das Gericht kann Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen. Soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind, hat es diese Maßnahmen anzuordnen, wenn der Schuldner dies beantragt gemäß § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO. Bei unbeweglichen Gegenständen kann das Gericht auf Antrag des Schuldners Maßnahmen gemäß § 30d ZVG (einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung) anordnen, während bei Zwangsverwaltung keine Maßnahmen gemäß § 153b ZVG (Einstellung der Zwangsverwaltung) im Eröffnungsverfahren angeordnet werden können.140) Regelmäßig wird der Schuldner seinen Eigenantrag mit einem Antrag auf Anordnung von Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO verbinden, so dass die Einstellung bzw. Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner der Regelfall sein dürfte. 162 § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO: Das Gericht kann gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO eine Postsperre anordnen. Diese Befugnis ist unverständlich und erschließt sich auch nicht aus den Begründungen zum Gesetzentwurf. Die Anordnung einer Postsperre würde die Geschäftstätigkeit des schuldnerischen Unternehmens komplett blockieren und damit dem Sinn und Zweck des Schutzschirmverfahrens zuwiderlaufen. Im Falle einer angestrebten Sanierung sollten allerdings bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Postsperre fehlen. Es ist zu hoffen, dass die Insolvenzgerichte von dieser Maßnahme nur im Falle des offensichtlichen Missbrauchs bzw. betrügerischer Machenschaften unter dem Schutzschirm des § 270b InsO Gebrauch machen werden. In dem Zusammenhang wird auch abzuwarten sein, inwiefern dann der vorläufige Sachwalter weitere Kompetenzen auferlegt bekommt, um z. B. die schuldnerische Post entgegenzunehmen. Dass dies eigent___________ 139) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. 140) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41.
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Schutzschirmverfahren
lich nicht mit der Eigenverwaltung und erst recht nicht mit der Kontroll- und Aufsichtsfunktion des Sachwalters in Einklang steht, liegt auf der Hand. Insofern ist wohl in der Tat davon auszugehen, dass eine Postsperre im Eigenverwaltungsverfahren nicht nur aus praktischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen unanwendbar ist. Erscheint diese Maßnahme tatsächlich notwendig, wird man regelmäßig auch darüber zu entscheiden haben, ob die Eigenverwaltung die richtige Verfahrensart ist. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: Auch die Maßnahme gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO 163 (Verwertungsstopp und Nutzungsbefugnis für künftige Aus- und Absonderungsgüter und Übertragung der Einziehungsbefugnis) dürfte das Gericht regelmäßig anordnen, um das für die weitere Betriebsfortführung erforderliche Anlagevermögen, welches i. d. R. mit Aus- bzw. Absonderungsrechten behaftet ist, weiter dem schuldnerischen Unternehmen zur Nutzung zugänglich zu machen. 4.
Anordnung der Begründung von Masseverbindlichkeiten (§ 270b Abs. 3 InsO)
Auf Antrag des Schuldners, hat das Gericht anzuordnen, dass der Schuldner Massever- 164 bindlichkeiten begründen kann. Vielfältig wird vertreten, dass dem Gericht hierbei kein Ermessenspielraum zusteht und eine entsprechende Anordnung zu erfolgen hat. In der Praxis hat sich aber – insbesondere in den Entscheidungen des AG Fulda und AG Kassel – gezeigt, dass es Insolvenzgerichte gibt, die genau die andere Auffassung vertreten und im Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung – jedenfalls in Verfahren nach § 270a InsO – gerade die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner von vornherein untersagen.141) Hierbei gilt § 55 Abs. 2 InsO entsprechend. Mit dieser Regelung wurde der vielfältigen 165 Kritik aus der Praxis Rechnung getragen. Formal hätte es sich sonst bei den aus der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens herrührenden Verbindlichkeiten i. R. des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO um Insolvenzforderungen gehandelt. Das hätte den Fortführungs- und Sanierungsgedanken des Schutzschirmverfahrens torpediert bzw. zunichte gemacht. Im Schutzschirmverfahren begründete Verbindlichkeiten können also i. R. normaler Zah- 166 lungsziele beglichen werden; damit ist eine erhebliche Entlastung bzw. Erhaltung der Liquidität des schuldnerischen Unternehmens überhaupt erst gewährleistet. Gleichzeitig ist aber der Schuldner nunmehr bei Begründung von Verbindlichkeiten i. R. der normalen Geschäftstätigkeit wie im eröffneten Verfahren ausschließlich verfügungsbefugt, während der vorläufige Sachwalter lediglich eine Überwachungs- bzw. Widerspruchsfunktion gemäß § 275 InsO in entsprechender Anwendung hat.142) Wegen Einzelheiten siehe oben § 7. Besonders aktuell ist in diesem Zusammenhang die Diskussion über die Geltung des Fis- 167 kusprivilegs. Die Vorschrift des § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO verweist nämlich auf § 55 Abs. 2 InsO, nicht aber auf § 55 Abs. 4 InsO. In der Literatur wird diese gesetzgeberische Normgestaltung überwiegend als Grundlage für ein „großartiges Steuersparmodell“ angesehen, das „in der Praxis sicherlich auf lebhaftes Interesse stoßen wird“.143) Begründet wird diese Ansicht mit dem Wortlaut des § 270b InsO, der eine gesetzgeberische Intention, keine Steuerzahlungspflicht in diesem Rahmen zu begründen, deutlich erkennen lässt, und mit dem Analogieverbot im Steuerrecht. Auch in dem BMF-Schreiben vom 20.5.2015 ___________ 141) Vgl. Beschlüsse zur Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung der Fräger-Gruppe, AG Kassel (Insolvenzgericht) v. 1.10.2013 – 660 IN 202/13. 142) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 50. Krit. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 143) Marotzke, DB 2013, 1287.
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§8
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
findet § 270b InsO keine ausdrückliche Erwähnung. Der Vorrang der Massesicherungspflicht wird außerdem im Hinblick auf die Entscheidungen des BGH zu § 64 GmbHG a. F. (= § 15a InsO) aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung hergeleitet.144) Vorbehaltlich der einschlägigen Rechtsprechung ist die Praxis an dieser Stelle etwas zurückhaltender. Vor allem im Hinblick auf die Haftungsrisiken sowie strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Implikationen für die Geschäftsleiter wird grundsätzlich empfohlen, Steuern unter Hinweis auf die erfolgte Antragstellung vorerst zu zahlen, wodurch der Fiskus zumindest faktisch zunächst privilegiert wird. Ein nachträglicher Ausgleich kann bei Kenntnis des Finanzamts vor Antragstellung i. R. der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO erfolgen.145) Um dabei jeglichen Vorwurf der Gläubigerbenachteiligung zu vermeiden, sollte die Geschäftsleitung diese Vorgehensweise mit dem Sachwalter und ggf. mit dem Insolvenzgericht absprechen. Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens fällt eine entsprechende „Steuerzahlungspflicht“ in die Kompetenz des Schuldners. Der vorläufige Sachwalter hat insofern keine ausreichenden Befugnisse. 168 Die Rechtsprechung zu dem Themenkreis ist nach wie vor uneinheitlich. Nach einer Entscheidung des AG Hamburg146) kann das Dilemma aufgelöst werden, indem die Verfügungsbefugnis der Schuldnerin zum Schutz der künftigen Insolvenzmasse und zur Durchsetzung des im Insolvenzgeldzeitraums bestehenden Vorrangs der insolvenzrechtlichen Pflicht zur Masseerhaltung gegenüber der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung durch Beschluss des Insolvenzgerichts gemäß §§ 270a, 21 Abs. 1 Satz 1 InsO dahingehend eingeschränkt wird, dass die Schuldnerin Zahlungen auf Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung i. S. von § 266a StGB nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters leisten darf. Nach Auffassung des AG Hannover147) kann das Insolvenzgericht in der vorläufigen Eigenverwaltung hingegen nicht anordnen, dass bestimmte Zahlungen des Schuldners nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sind. Aufgrund der uneinheitlichen Rechtsprechung und der damit zusammenhängenden Risiken kann derzeit nur empfohlen werden, das geplante Vorgehen mit dem Insolvenzgericht und den beteiligten Finanzämtern und Sozialversicherungsträgern im Vorfeld abzustimmen. 169 Uneinheitlich wird bis jetzt beurteilt, ob die Verleihung der Masseschuldbegründungskompetenz eine gerichtliche Anordnung voraussetzt oder ob ein bloßes Unterlassen genügt. Nach dem AG Hamburg148) ist die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO nur i. R. eines Schutzschirmverfahrens anwendbar und aufgrund der Besonderheiten dieses Verfahrens nicht analogiefähig. 170 Von besonderer Bedeutung ist an dieser Stelle die Haftungsfrage. Werden Masseverbindlichkeiten begründet, obwohl für den Geschäftsführer erkennbar ist, dass die Masse nicht für deren Begleichung ausreicht, und unterlässt er eine entsprechende Aufklärung gegenüber dem Geschäftspartner der Schuldnerin, macht er sich nach § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB haftbar. Für die eigentliche Erfüllung von Masseverbindlichkeiten haftet, mangels insolvenzrechtlicher Regelungen, weder der Geschäftsleiter noch ein vorläufiger Sachwalter. Siehe dazu ausführlich unten § 57 Rz. 45, 235.
___________ 144) 145) 146) 147) 148)
286
Bitter, ZInsO 2010, 1516. Hiebert, ZInsO 2015, 1242, 1243. AG Hamburg v. 19.6.2017 – 67g IN 173/17, ZIP 2017, 1383, dazu EWiR 2017, 537 (Hofmann). AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893, dazu EWiR 2015, 651 (Frind). AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer).
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§8
Schutzschirmverfahren 5.
Veröffentlichung des Beschlusses
Fraglich ist, ob der Beschluss des Insolvenzgerichts gemäß § 270b Abs. 1 InsO veröffent- 171 licht werden muss. Ausdrückliche Regelungen fehlen im Gesetz.149) Die Frage der Bekanntmachung von Entscheidungen im Verfahren nach § 270b InsO ist 172 nach wie vor umstritten. Einerseits muss man das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Schuldners berücksichtigen. Andererseits besteht die Gefahr eines unzulässigen Informationsvorsprungs einzelner Gläubiger. Dieser Gefahr wird von einem Teil der Literatur, der eine entsprechende Pflicht an sich ablehnt, durch eine teleologische Erweiterungsauslegung des § 9 InsO Rechnung getragen, indem eine direkte Anwendung als Ermessensnorm oder eine analoge Anwendung herangezogen wird.150) Es wird außerdem vertreten, dass für eine entsprechende Bekanntmachung i. R. des Schutzschirmverfahrens keine praktische Notwendigkeit bestehe, weil die amtliche Bekanntmachung des sich anschließenden Eröffnungsbeschlusses das Publizitätserfordernis hinreichen wahren sollte. Das AG Göttingen hat sich in diesem Zusammenhang dahingehend geäußert, dass eine Veröffentlichung im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts stehe.151) Eine Pflicht zur Veröffentlichung lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Die Möglichkeit der Bekanntmachung bestehe jedoch außerhalb des § 23 InsO. Ein Absehen von der Veröffentlichung sei v. a. dann gerechtfertigt, wenn durch diese ein Vertrauensverlust der Kunden/Auftraggeber bewirkt und die Fortführungsmöglichkeit beeinträchtigt wäre. Im gegebenen Fall hat das Insolvenzgericht sein Ermessen dahingehend ausgeübt, von einer Veröffentlichung der Anordnung des Schutzschirmverfahrens abzusehen. Im Hinblick auf die Regierungsbegründung zum ESUG scheint diese richterliche Praxis 173 und die h. M. in der Literatur etwas unstimmig zu sein. Die Regierungsbegründung scheint nämlich von einer Bekanntmachung wie selbstverständlich auszugehen, wenn sie davon spricht, dass die Gläubiger ihre Forderungen in Kenntnis drohender Zahlungsunfähigkeit fälligstellen könnten.152) Allerdings fehlen ausdrückliche Regelungen im Gesetz. Eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers wäre insoweit wünschenswert. § 23 InsO ist insoweit nicht einschlägig, da ja gerade im Schutzschirmverfahren keine Verfü- 174 gungsbeschränkungen angeordnet werden.153) Veröffentlichungspflicht besteht immer dann, wenn Sicherungsmaßnahmen gemäß § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO angeordnet werden. Da zumindest die Untersagung der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO regelmäßig angeordnet wird, ist auch regelmäßig von einer Veröffentlichung auszugehen. Ein Ermessen des Insolvenzgerichts besteht nur dann, wenn keinerlei Sicherungsmaß- 175 nahmen und auch keine Anordnung der Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270b Abs. 3 InsO erfolgt. Die gesetzliche Regelung ergibt sich aus den § 270a Abs. 2 Satz 1, § 274 i. V. m. §§ 56 ff. InsO.154) V.
Rechtsmittel
1.
Rechtsmittel gegen die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans
Sofern das Gericht die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans innerhalb der maximalen 176 Frist von drei Monaten bestimmt, ist fraglich, inwieweit hier Rechtsmittel möglich sind. ___________ 149) Willemsen/Rechel, BB 2011, 834, 837. 150) Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270b Rz. 49; Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 45. 151) AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766. 152) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 61 f. 153) Desch, BB 2011, 841, 842; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270b Rz. 29. 154) Hirte, ZInsO 2011, 401, 404.
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§8
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
§ 6 InsO lässt die sofortige Beschwerde nur in den Fällen zu, in denen dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall, so dass ein Rechtsmittel gegen die vom Gericht festgelegte Frist zur Vorlage des Insolvenzplans nicht gegeben ist. 2.
Person des bestellten vorläufigen Sachwalters
177 Ein Rechtsmittel gegen die Bestellung eines anderen als des vom Schuldner vorgeschlagenen Sachwalters besteht ebenso wenig wie gegen die antragsgemäße Bestellung des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters. Auch der vorläufige Gläubigerausschuss kann nicht entsprechend intervenieren, was dem Normzweck des § 270b InsO entspricht: Der Gesetzgeber will gerade den Schuldner zum Gang in das Insolvenzplanverfahren ermutigen, und dabei ist dessen Vorhersehbarkeit eine wesentliche Komponente, die wiederum maßgeblich von der Person des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters abhängt. 3.
Anordnung vorläufiger Maßnahmen (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO)
178 Gegen die Anordnung der in § 270b Abs. 2 Satz 2 aufgeführten Maßnahmen steht dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO die sofortige Beschwerde zu. Insbesondere eine vom Insolvenzgericht angeordnete vorläufige Postsperre gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO ist aus den in Rz. 162 genannten Gründen regelmäßig mit der sofortigen Beschwerde angreifbar. 4.
Aufhebung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b Abs. 4 InsO)
179 Gegen die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens durch das Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 4 InsO ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Dies ist auch vertretbar, da die Privilegierung des Schutzschirmverfahrens nur dann eingreifen soll, wenn die angestrebte Sanierung erreicht werden kann und von den Gläubigern mitgetragen wird. 180 Eine vollkommene Abhängigkeit von Gläubigerinteressen155) ist nicht zu befürchten, da entweder ein Gläubigerausschuss die Gläubigergesamtheit repräsentiert oder bei dessen Nichtvorhandensein ein absonderungsberechtigter Einzelgläubiger die Benachteiligung der Gläubiger durch das Schutzschirmverfahren glaubhaft machen muss. Hier obliegt es dem Insolvenzgericht, sorgfältig zu prüfen. 181 Mit der Pflicht eines Insolvenzrichters zur Überwachung der Sanierungsfortschritte korrespondiert eine mögliche Haftung gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG gegenüber den Gläubigern. Diese wird v. a. dann relevant, wenn das Schutzschirmverfahren infolge einer unsorgfältigen Prüfung zu spät oder gar nicht aufgehoben wird. VI.
Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren
182 An der Stelle des (vorläufigen) Insolvenzverwalters steht im Schutzschirmverfahren der Eigenverwalter, bei dem auch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt. Ihm wird vom Gericht ein (vorläufiger) Sachwalter an die Seite gestellt (vgl. § 270b Abs. 2 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO). Im Rahmen der Sanierung des Unternehmens ist die Notwendigkeit der Betriebsfortführung immanent und insbesondere auch im Schutzschirmverfahren unabweisbar.156) Sie unterscheidet sich von einer Betriebsfortführung in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO lediglich durch den vom Insolvenzgericht regelmäßig anzuordnenden Vollstreckungsschutz gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO. Dieser ermöglicht es dem Schuldner, für den vom Insolvenzgericht angeordneten Zeit___________ 155) So Willemsen/Rechel, BB 2011, 834, 837. 156) Ganter, NZI 2012, 433; Spies, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 87.
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§8
Schutzschirmverfahren
raum gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO unbehelligt von den Gläubigern die Sanierung über einen Insolvenzplan vorzubereiten.157) Darüber hinaus obliegt dem Management die Auswahl des Sachwalters, was in Bezug auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit ebenfalls ein wesentlicher Vorteil sein kann. Durch die im Schutzschirmverfahren regelmäßig anzuordnende Befugnis des Schuldners, 183 Masseverbindlichkeiten zu begründen (vgl. § 270b Abs. 3 InsO), haben die Lieferanten die Sicherheit, dass ihre Forderungen aus Lieferungen und Leistungen auch nach Insolvenzantragstellung und späterer Eröffnung des Verfahrens befriedigt werden. Bei der Befugnis des Schuldners, Masseverbindlichkeiten zu begründen, handelt es sich um eine Globalermächtigung, die pauschal die nach Antragstellung begründeten Neu-Forderungen der Gläubiger im späteren Insolvenzverfahren in den Rang von Masseverbindlichkeiten stellt. Der Schuldner erhält damit die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters. Anderes gilt natürlich für Forderungen, die vor Insolvenzantragstellung vom Schuldner begründet worden sind; sie sind Insolvenzforderungen und dürfen nicht bedient werden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung158) sind jedoch bei der gerichtlichen Glo- 184 balermächtigung i. S. des § 270b Abs. 3 InsO nunmehr auch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, soweit die Arbeitsleistung im Antragszeitraum tatsächlich entgegengenommen wurde, Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO. Als Folge hieraus erwächst eine Zahlungsverpflichtung. Der Weg über eine etwaige spätere Anfechtung i. S. der §§ 129 ff. InsO, mit dem Ziel einer späteren Rückgewährung, ist damit ausgeschlossen (gleiches gilt in diesem Zusammenhang auch für die im Antragszeitraum anfallenden Steuern). In der Praxis empfiehlt sich daher, unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls bei Gericht eine entsprechende Einzel- oder hinreichend bestimmte Gruppenermächtigung zu beantragen, die gerade keinen globalen Ermächtigungscharakter hat. Unstrittig ist, dass durch die Antragstellung ein zusätzlicher Liquiditätsbedarf erzeugt 185 wird (siehe auch unten § 23 Rz. 38),159) sei es bspw. durch Kündigung von bis zum Antrag nicht vollständig genutzten Kreditlinien oder das Umstellen auf Zahlung per Vorkasse bei wichtigen Lieferanten. Der entstehende Liquiditätsdruck und die allgemeinen verfahrensspezifischen Anforderungen bedürfen einer intensiven Vorbereitung der Betriebsfortführung durch den Schuldner. Die möglichen Auswirkungen müssen antizipiert und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Das dafür notwendige Know-how baut das Unternehmen idealerweise frühzeitig selbst auf oder kauft es in Form eines in Insolvenzsachen erfahrenen Unternehmensberaters ein. Die Praxis zeigt, dass eine gut strukturierte Vorbereitung auf eine Betriebsfortführung es- 186 sentiell ist für deren geordnete und erfolgreiche Umsetzung. Dies schließt die Erarbeitung eines vorläufigen Sanierungskonzepts sowie die Planung einer entsprechenden Fortführungsfinanzierung ebenso mit ein wie die Einbindung wesentlicher Gläubiger/Vertragspartner. Die Entscheidung für einen kompetenten Berater, der weniger die Unternehmensgeschicke im Detail lenkt, als vielmehr gemeinsam mit der Geschäftsleitung das Schutzschirmverfahren als Sanierungslösung andenkt und umsetzt, rundet eine gute und zielgerichtete Vorbereitungsphase ab, sowohl für das Schutzschirmverfahren im Allgemeinen als auch für die Betriebsfortführung im Besonderen. ___________ 157) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 158) BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295 = NZI 2016, 778, dazu EWiR 2016, 501 (Hofmann); Köster/Feil, NZI 2016, 763. 159) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
1.
Vorbereitung der Betriebsfortführung
1.1
Unternehmensplanung und Controlling
187 Es ist unbedingt anzuraten, vor der eigentlichen Antragstellung eine integrierte Unternehmensplanung unter Berücksichtigung der vielfältigen insolvenzspezifischen Sachverhalte zu erstellen. Der Planungszeitraum sollte dabei das Schutzschirmverfahren („vorläufiges Verfahren“), das eröffnete Verfahren bis zur Planannahme und darüber hinaus mindestens die nächsten zwei regulären Geschäftsjahre beinhalten. Durch die frühzeitige Antizipation der betriebswirtschaftlichen Vorgänge innerhalb des Verfahrens können für ggf. auftretende Liquiditätsunterdeckungen notwendige Gegenmaßnahmen konzipiert werden. Erst durch die umfängliche Darstellung der Liquiditätsentwicklung zeitlich über alle Verfahrensstufen hinweg können Management und Berater die notwendige Sicherheit erlangen, um guten Gewissens den vorbereiteten Antrag einzureichen. 188 Die Buchhaltungs- und Controllingsysteme des Unternehmens sind auf „Insolvenzkompatibilität“ zu prüfen und ggf. durch eine insolvenzspezifische Nebenbuchhaltung zu ergänzen. Das Controlling ist so auszugestalten, dass insolvenzspezifische Anforderungen, wie z. B. die Erfassung des Verbrauchs von mit Eigentumsvorbehalten belasteter Ware oder der nach Zeiträumen getrennte Forderungseinzug, erfüllt werden können. Weiterhin muss prozessual sichergestellt werden, dass keine durch den Schuldner vor Antragstellung begründeten Verbindlichkeiten bedient werden. Schließlich ist dafür Sorge zu tragen, dass Management und Sachwalter taggenau über die Liquiditätsentwicklung und insbesondere Plan-Ist-Abweichungen informiert werden, um auf diese Weise bei ggf. auftretenden Fehlentwicklungen rechtzeitig eingreifen zu können. 189 Externe Dienstleister bspw. für die insolvenzspezifische Buchhaltung, die Bewertung von mobilen und immobilen Vermögensgegenständen, arbeitsrechtliche Beratung etc. müssen rechtzeitig hinzugezogen und intern abgestimmt werden. 1.2
Kunden
190 Wichtigstes Gut eines Unternehmens sind i. d. R. die bestehenden Kundenbeziehungen. Die Bereitschaft zur Erteilung neuer Aufträge ist wesentliche Grundlage für die Aufrechterhaltung und Konsolidierung des operativen Geschäftsbetriebs. Dies gilt natürlich auch und gerade im Schutzschirmverfahren und umso mehr darüber hinaus in der angestrebten Sanierung. Je nach Geschäftsmodell können sie einen mehr oder weniger deutlichen Einfluss auf den Verfahrensverlauf nehmen. Beispielsweise haben im Fall eines Schutzschirmverfahrens die Automobilhersteller als Hauptkunden der im Vergleich meist deutlich kleineren schuldnerischen Zulieferunternehmen einen erheblichen Einfluss, da sie die Finanzierung der Betriebsfortführung durch rechtzeitige Zahlung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber dem schuldnerischen Unternehmen oder Zahlungen für einen ggf. zu vereinbarenden Verlustausgleich sicherstellen. Aber auch in anderen Märkten ist es wichtig, eine frühzeitige Antizipation der Reaktion der Kunden auf den Schutzschirmantrag, die Definierung von ggf. erforderlichen Gegenmaßnahmen sowie eine sorgfältige Wahl des Zeitpunkts, ab wann und wie die (Haupt-)Kunden in den Sanierungsprozess eingebunden werden sollen, vorzunehmen. Weiterhin sind Überlegungen anzustellen, inwieweit die Kunden mit in die Finanzierung einbezogen werden können, z. B. durch zu leistende Vorkassen, einen Verlustausgleich oder Beistellungen. 1.3
Einkauf
191 Im Vorfeld der Antragstellung ist regelmäßig auch das Freigabe- und Bestellwesen für den notwendigen Materialeinkauf bzw. die Beschaffung von erforderlichen Dienstleistun-
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Schutzschirmverfahren
gen o. Ä. neu zu organisieren bzw. zu ergänzen. Eine unabhängige Prüfung und Freigabe der auszulösenden Bestellungen sollte installiert werden, um so die bestehenden „eingeschliffenen“ Denkmuster aufzubrechen und eine ständige Überprüfbarkeit auch durch den vorläufigen Sachwalter zu gewährleisten. Dabei zielen die Prüfung und Freigabe darauf ab, i. R. der Betriebsfortführung nur unbedingt notwendige Bestellungen auszulösen. So soll die Liquidität geschont und die in vielen Fällen notwendige Kostenreduktion eingeleitet werden. Bei Lieferanten mit regelmäßigem Bezug oder großen Volumina ist nicht jede einzelne Bestellung zu prüfen, sondern ein monatliches oder wöchentliches Budget mit dem Einkauf zu vereinbaren. Anzuraten ist es hier, eine konkrete Verantwortlichkeit festzulegen, über die alle Bestellvorgänge gesammelt ablaufen und die dem ebenfalls einzurichtenden Bestell-Controlling zuarbeitet. Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass sich durch die Implementierung eines verfahrensvorgebenden Bestellwesens naturgemäß Zahlungswege verändern und sich die Vorbereitung von Zahlungen verlängert. Noch vor Antragstellung sollten detaillierte Unterlagen zu den wesentlichen Lieferanten 192 zusammengestellt werden. Eventuellen Störungen in der Leistungsbeziehung, wie z. B. Zahlungsstopp oder Nichtlieferung, kann so schneller begegnet werden. Sämtliche Informationen rund um die bestehenden Dauerschuldverhältnisse sollten de- 193 tailliert aufbereitet werden, um im Fall einer Leistungseinstellung des Vertragspartners schnell reagieren zu können. Gerade bei kritischen betrieblichen Ressourcen, wie Telekommunikation oder Energieversorgung, wäre eine auch nur vorübergehende Störung für den Betriebsablauf enorm schädlich. Wesentliche, für die operative Betriebsfortführung wichtige Verträge, wie z. B. zu beweglichen und unbeweglichen Leasinggegenständen, Miet- und Pachtverträge oder auch Lizenzverträge, sind zumindest griffbereit zu halten. Zu erheben ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, inwieweit rückständige Zahlungen aus Dauerschuldverhältnissen existent sind, die möglicherweise den betroffenen Vertragspartnern ein außerordentliches Kündigungsrecht einräumen. Eine kurzfristige Prüfung der mit Speditionen unterwegs befindlichen Güter ist zu empfehlen. Gegebenenfalls sollte darauf geachtet werden, dass am Tag der Antragstellung keine Güter mit Speditionen unterwegs sind (Speditionspfandrecht). Sollten Lagerplätze bei Speditionen angemietet sein, sollte sehr kurzfristig nach Antragstellung Kontakt aufgenommen werden. Anfallende Mehraufwendungen zur Abgeltung der Speditionspfandrechte müssen in die Planung einfließen. Der allgemeine Versicherungsschutz und dessen Bedingungen sollten geprüft und ggf. an- 194 gepasst werden. Für einen tätig werdenden CRO wird empfohlen, eine D&O-Versicherung, auch Organ-Haftpflichtversicherung, abzuschließen. 1.4
Finanzierung
Die eingebundenen (Haus-)Banken werden in der Mehrzahl der Fälle auch im Schutz- 195 schirmverfahren die bestehenden Kredite kündigen, über freie Linien nicht mehr verfügen lassen bzw. verfügbare liquide Mittel auf Guthabenkonten i. R. des AGB-Pfandrechts zurückhalten. Mit dem Schutzschirmantrag stehen daher üblicherweise keine liquiden Mittel mehr zur Verfügung, die zur Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs verwendet werden können. Diesem Umstand ist in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Folgende Möglichkeiten bei der Finanzierung der Betriebsfortführung haben sich als praktikabel herausgestellt: Es ist sicherzustellen, dass das Unternehmen auch unmittelbar nach Antragstellung hand- 196 lungsfähig bleibt. Dazu kann es ratsam sein, im Vorfeld der Antragstellung ein Guthabenkonto bei einer Nicht-Gläubigerbank einzurichten und mit einer ausreichenden AnKoch/Jung
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fangsliquidität auszustatten. Dies kann mit Mitteln aus dem laufenden Geschäftsbetrieb oder durch Beiträge des Gesellschafters geschehen. Mögliche Finanzierungsbeiträge des Gesellschafters müssen sich nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt vor Antragstellung begrenzen, sondern können natürlich auch innerhalb des Verfahrens in Anspruch genommen bzw. zugeführt werden. Wenn ein Teil des Zahlungsverkehrs auf ein Guthabenkonto umgeleitet werden soll, ist vorab zu prüfen, ob etwaige Globalzessionen oder sonstige schuldrechtliche Vereinbarungen mit den kreditausreichenden Hausbanken bestehen, die ein derartiges Umleiten schuldrechtlich verbieten. 197 Die beteiligten Hausbanken haben die Möglichkeit, ein echtes Massedarlehen zu gewähren, welches durch die ab Antragstellung erwirtschafteten Forderungen oder die neu beschafften und bezahlten Bestände gesichert werden kann.160) Ein sog. unechtes Massedarlehen findet in der Praxis ebenfalls breite Anwendung. Dabei können zedierte, aber vom Unternehmen eingezogene Forderungen ebenso wie sicherungsrechtsbelastete Vorratsvermögenspositionen zur Finanzierung verwendet werden, da Forderungseinzüge und verumsatzte Vorratsverbräuche über einen mit dem jeweiligen Sicherungsgläubiger abgestimmten Zeitraum auf dem Betriebsfortführungskonto verbleiben und erst später, nachdem aus den i. R. der Betriebsfortführung erwirtschafteten Forderungen ein liquider Überschuss erzielt worden ist, ausgekehrt werden. Zu Massedarlehen siehe auch oben § 4. 198 Auf der Kundenseite sind die am häufigsten anzutreffenden (Vor-)Finanzierungsformen die klassischen Vorkassen und die Beistellung von Material. Beides wirkt unmittelbar liquiditätsschonend und trägt damit zur operativen Stabilisierung des Geschäftsbetriebs bei. Ein ähnlicher, aber nicht unmittelbar Liquidität generierender Effekt kann durch die Verhandlung von kürzeren Zahlungszielen erreicht werden. Eine ggf. vorgelagerte Verlustfinanzierung durch die Kunden ist dagegen seltener anzutreffen. 199 Die einzige Möglichkeit, bei den Lieferanten einen positiven Finanzierungseffekt zu erreichen, ist die Verhandlung von längeren Zahlungszielen. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass hier eher Verkürzungen der Zahlungsziele, teilweise auch Vorauszahlungen anzunehmen und einzuplanen sind. Erst im weiteren Verlauf des Verfahrens, wenn sich wieder Vertrauen zwischen Schuldner und Lieferanten aufzubauen beginnt, gelingt es langsam wieder, an die ursprünglich vereinbarten Zahlungsziele heranzukommen. 200 Sofern bereits bei Antragstellung ein das Verfahren und die Sanierung finanzierender Investor bereitsteht, wird es regelmäßig so sein, dass durch ihn die erforderliche Finanzierung bereitgestellt wird. Dies schon allein deshalb, weil die Gewährung der Finanzierung durch den Investor eine enorm vertrauensbildende Maßnahme darstellt, die alle am Prozess beteiligten Stakeholder für das geplante Verfahren einnimmt. So bleiben mögliche Friktionen aus, die allein aus Misstrauen entstehen. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass derartige Fälle in der Praxis eher selten sind. In der Regel warten auch die vorab eingebundenen Investoren ab, ob das Schutzschirmverfahren und das anschließende Insolvenzverfahren mit einem positiv beschiedenen Insolvenzplan abgeschlossen werden kann, und geben erst dann, wenn die Rahmenbedingungen neu definiert sind, die erforderlichen liquiden Mittel in das Unternehmen. 201 Nicht zuletzt hat der Gesetzgeber mit dem Insolvenzgeld gemäß §§ 165 ff. SGB III ein wirksames Mittel zur Liquiditätsgenerierung innerhalb des Eröffnungsverfahren geschaffen.161) Da das Insolvenzgeld aber erst nach dem Insolvenzereignis, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, für einen Zeitraum von maximal drei Monaten (vor Eröffnung) rückwirkend ausgezahlt wird, ist es notwendig, diese Phase zu überbrücken. Dies geschieht ___________ 160) Spies, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 113. 161) Spies, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 109.
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Schutzschirmverfahren
üblicherweise durch eine Insolvenzgeldvorfinanzierung. Diese finanziert den Zeitraum zwischen Fälligkeit des Entgelts der Arbeitnehmer für die tatsächlich erbrachte und zu vergütende Arbeitsleistung im Drei-Monats-Zeitraum und der Auszahlung des Insolvenzgeldes durch die Agentur für Arbeit nach Verfahrenseröffnung. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung ist damit ein weiteres wichtiges Finanzierungsinstrument für die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren. Die Genehmigung zur Vorfinanzierung durch die Agentur für Arbeit ist zu beantragen (mit ausführlicher Begründung) und eine vorfinanzierende Bank muss rechtzeitig gesucht werden. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung ist nach dem gesetzgeberischen Willen auch im Schutz- 202 schirmverfahren möglich. Daher hat die Bundesagentur für Arbeit die Durchführungsanweisung Ziff. 3.2 Abs. 1 zu § 170 Abs. 4 SGB III wie folgt ergänzt: „Die Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen nach § 170 Abs. 4 SGB III ist grundsätzlich auch während einer Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren (§ 270a InsO) – ggf. unter einem Schutzschirm (§ 270b InsO) – möglich, sobald das Gericht entsprechende Anordnungen getroffen hat. Die Gewährung von Insolvenzgeld hängt auch in diesem Fall vom Eintritt eines Insolvenzereignisses ab. Kommt es daher zu einer Sanierung des Unternehmens, ohne dass das Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnet oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ablehnt, scheidet die Gewährung von Insolvenzgeld (ggf. auch trotz vorheriger Genehmigung der Vorfinanzierung) aus.“162) Der Vorteil der Insolvenzgeldvorfinanzierung kann nur dadurch entstehen, dass durch sel- 203 bige keine Masseverbindlichkeiten ausgelöst werden. Gemäß § 55 Abs. 3 InsO sind Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit wegen der Zahlung von Insolvenzgeld immer Insolvenzforderungen. Dies muss auch für das Schutzschirmverfahren gelten.163) 1.5
Anlage- und Umlaufvermögen
Alle Vorbereitungen für eine ordentliche Inventur am Tag der Antragstellung müssen be- 204 reits vorher abgeschlossen worden sein. Dies ist für die spätere Ermittlung von Aus- und Absonderungsrechten von besonderer Wichtigkeit. In diesem Zusammenhang sind auch die ggf. von der IT zu schaffenden Voraussetzungen für eine aussagekräftige Inventur frühzeitig abzustimmen. Die Inventur ist auf den Tag der Antragstellung zu legen. Untermonatige Stichtaginventuren können in Abhängigkeit vom Umfang der Sicherungsrechte und dem Sicherungsbedürfnis besicherter Gläubiger ebenfalls durchgeführt werden. Zum Abschluss des Schutzschirmverfahrens bzw. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist auf den jeweiligen Stichtag eine Abschlussinventur durchzuführen. Neben der Erhebung des Mengengerüsts empfiehlt sich auch eine Werterhebung des Vorratsvermögens (Preisgerüst) durch einen sachverständigen Dritten. Das Lagerwesen sollte idealerweise auf insolvenzspezifische Anforderungen, beispielhaft 205 die Möglichkeit der Umstellung von FIFO auf LIFO, eingehen können. Der laufende Verbrauch von Vorräten ist taggenau zu dokumentieren. Eine Lagertrennung (Alt- und Neuware, ggf. noch weitere Zeiträume) sollte, wenn möglich, physisch wie auch im System durchgeführt werden. Ein Bestandscontrolling zu installieren ist in jedem Fall sehr hilfreich bei der späteren Ermittlung möglicher Ab- und Aussonderungsrechte und deren Bezifferung. ___________ 162) Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld Durchführungsanweisungen (DA), Ziff. 3.2 Abs. 2, Stand: 5/2013, abrufbar unter https://www3.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/ webdatei/mdaw/mta4/~edisp/l6019022dstbai446824.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI446827 (Abrufdatum: 22.7.2018). 163) Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
206 Gegebenenfalls außenstehende, betriebsnotwendige Vermögensgegenstände Dritter sollten durch das Unternehmen gesichert werden. Weiterhin muss ermittelt werden, welche mit Aus- und Absonderungsrechten belegten Vermögensgegenstände weiterhin benötigt werden. 207 Für die spätere Aufstellung eines Vermögensstatus gemäß § 153 InsO sollten sämtliche Güter des Anlagevermögens (fallweise auch des Umlaufvermögens) in einer detaillierten Aufstellung aufgeführt werden. Diese dient einem späteren Industriesachverständigen bzw. -bewerter als Grundlage seiner Wertermittlung. 1.6
Externe und interne Kommunikation
208 Die Wahrnehmung des Schutzschirms als Sanierungsverfahren durch die Mitarbeiter und die externen Marktpartner ist für den Erfolg des Sanierungsprozesses von höchster Bedeutung. Nur eine aktive, transparente Kommunikation nach innen und außen schafft das notwendige Vertrauen in das Verfahren und die Verfahrensbeteiligten. Der Antragsteller tut gut daran, sich bereits im Vorfeld durch eine professionelle PR-Agentur beraten zu lassen. Die entsprechenden Informationsschreiben für die Marktpartner und eine Pressemitteilung sollten für den Zeitpunkt der Antragstellung vorbereitet sein, um sie dann unmittelbar versenden zu können. Ein persönliches Gespräch kann für die wichtigsten Marktpartner empfehlenswert sein. Nicht zu unterschätzen ist die Wichtigkeit, die Mitarbeiter einerseits über den Sanierungsprozess informiert zu halten und andererseits für die Mitarbeiter mit Außenkontakt (z. B. Empfang, Vertrieb, Pressestelle, Einkauf) „Sprechzettel“ vorzubereiten, die Antworten auf zentrale Fragen der Marktpartner geben, um damit dafür Sorge zu tragen, dass diese Mitarbeiter i. R. ihrer Kommunikation den eingeschlagenen Sanierungsweg nachhaltig unterstützen. 2.
Operative Betriebsfortführung
2.1
Aufgaben der Beteiligten
209 Durch die inhärente Komplexität eines Schutzschirmverfahrens ist eine vorgelagerte Auseinandersetzung mit der Aufgabenverteilung innerhalb des Verfahrens unerlässlich. Die Aufgaben, die in den Verantwortungsbereich des Schuldners fallen, können dabei klar von den Aufgaben des Sachwalters getrennt werden. 210 Der Schuldner hat sein Handeln ausschließlich am Interesse der Gläubigergemeinschaft auszurichten und Individualinteressen zu vernachlässigen. Er behält im Schutzschirmverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) und hat es für die Gläubiger zu erhalten (vgl. § 1 Satz 1 InsO). Neben der Vermögenssorge, obliegt dem Schuldner in der Eigenverwaltung natürlich die Führung des operativen Geschäftsbetriebs und alle damit verbundenen Aufgabenfelder, wie Einkauf, Vertrieb, Auftragsabwicklung etc. Er nimmt weiterhin die Arbeitgeberstellung gegenüber seinen Angestellten ein und bestimmt Art und Ausmaß der durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen. Er hat die massebezogenen Prozesse zu führen und zu entscheiden, ob Prozesse, die nach § 240 ZPO unterbrochen sind, wieder aufzunehmen sind. Insolvenzrechtliche Sonderaufgaben, wie die Erstellung und Vorlage des Verzeichnisses der Massegegenstände gemäß § 151 InsO, des Gläubigerverzeichnisses gemäß § 152 InsO und der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO, darüber hinaus die Erstellung des Berichts zum Berichtstermin gemäß § 156 InsO, fallen ebenfalls in seinen Aufgabenbereich. Zudem kann gemäß § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO auch die Erstellung des Insolvenzplans zu seinen Aufgaben gehören. Dem Sachwalter ist regelmäßig über den Fortgang des Verfahrens und den laufenden Geschäftsbetrieb Bericht zu erstatten, und Sitzungen des (vorläufigen) Gläubigerausschusses sind vorzubereiten, einzuberufen und durchzuführen. Der Schuldner ist letztendlich nur dort nicht zuständig, wo das Gesetz die Aufgaben aus294
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Schutzschirmverfahren
drücklich dem Sachwalter zuordnet (vgl. § 280 InsO). Um diesen zusätzlichen Anforderungen als Schuldner gerecht zu werden, bedarf es in der Geschäftsleitung insolvenzspezifischen Know-hows, das durch die Ergänzung der Geschäftsleitung durch einen Chief Restructuring Officer (CRO) verwirklicht wird.164) Zu beachten ist zudem die auch nach Antragstellung weiterlaufende Haftung der Organe, 211 insbesondere bzgl. der abzuführenden Umsatzsteuer sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Die Aufgaben des Sachwalters werden weitestgehend durch das Gesetz bestimmt. Er hat 212 die wirtschaftliche Lage des Schuldners laufend zu überwachen und die Zielerreichung des Schutzschirmverfahrens sicherzustellen. Der Sachwalter arbeitet im Hintergrund und lässt zunächst die Geschäftsführung walten. Es gehört nicht zu seinem Arbeitsverständnis, jegliches Handeln zu prüfen. Wie weit die Prüfungspflicht konkret gehen soll, ist vom Einzelfall abhängig und sollte mit dem Insolvenzgericht/Rechtspfleger abgestimmt werden.165) In jedem Fall muss der (vorläufige) Sachwalter beratend in dem Sinne tätig werden, dass er sich rechtzeitig in die Erarbeitung der Sanierungskonzepte einbinden lässt und rechtzeitig zu erkennen gibt, welche erwogenen Maßnahmen nach seiner Auffassung möglich und welche Wege gangbar sind.166) Trotz der beim Schuldner verbleibenden allgemeinen Verfügungsbefugnis ergeben sich 213 zahlreiche Zustimmungserfordernisse durch den Sachwalter.167) Dazu zählen die Zustimmungserfordernisse bei Abschluss verpflichtender Leistungsgeschäfte außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO – mit Ausnahme von Bargeschäften –, bei Handlungen, die dem Schuldner durch gerichtliche Anordnung untersagt bzw. eingeschränkt wurden gemäß § 276 InsO, und bei Maßnahmen zur Durchführung einer Betriebsänderung i. S. der §§ 120, 122, 126 InsO gemäß § 279 Satz 3 InsO. Bei Ausübung des Wahlrechts i. R. von gegenseitigen Verträgen besteht ein Einvernehmenserfordernis gemäß § 279 Satz 2 InsO. Setzt sich der Schuldner über diese Erfordernisse hinweg und tätigt Rechtsgeschäfte ohne die jeweilige Zustimmung, sind diese im Außenverhältnis gleichwohl wirksam. Dies kann aber zur Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO führen. Zur Sicherstellung der Zielerreichung gehören die Gewährleistung des Verfahrensablaufs und die Sicherstellung einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO). Daneben obliegen dem Sachwalter umfangreiche Kontroll- und Unterstützungsfunktionen. Gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die wirtschaftliche Lage des Schuldners laufend zu prüfen. Der Sachwalter kann dazu vom Schuldner die Übertragung des Kassenführungsrechts gemäß § 275 Abs. 2 InsO verlangen. Die Überwachung, dass während des gesamten Verfahrens eine kostendeckende Masse vorhanden ist, obliegt ihm ebenfalls. Eine Masseunzulänglichkeit ist gemäß § 285 InsO anzuzeigen. Bei der Erstellung des Insolvenzplans wirkt der (vorläufige) Sachwalter gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO unterstützend mit. Zulässig ist nach dem BGH auch, in entsprechender Anwendung von § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO den (vorläufigen) Sachwalter mit der Erarbeitung eines Insolvenzplans zu beauftragen. Voraussetzung ist die Zustimmung des Schuldners und der ausdrückliche Auftrag des vorläufigen Gläubigerausschusses.168) Es ist aber nicht Aufgabe des (vorläufigen) Sachwalters, aus eigener Zuständigkeit als Al- 214 ternative zum M&A-Prozess einen Insolvenzplan zu erarbeiten.169) Die Planerfüllung ist ___________ 164) Thiele, ZInsO 2015, 877. 165) Frind, NZI 2014, 937, 938. 166) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 63, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). 167) Spies, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 149. 168) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 77, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963. 169) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 62, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
gemäß § 284 Abs. 2 InsO zu überwachen. Zu den insolvenzspezifischen Aufgaben des Sachwalters zählen die Führung der Insolvenztabelle und die Geltendmachung von Rückgewähransprüchen aus anfechtbaren Handlungen. Die Insolvenzanfechtung obliegt gemäß § 280 i. V. m. §§ 129 ff. InsO allein dem Sachwalter. Stellt er Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so hat er dies gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Die Teilnahme des Sachwalters am Prüfungstermin ist obligatorisch. 215 Ein besonderes Augenmerk ist auch auf die Anfechtbarkeit von Beraterhonoraren zu legen. Das LG Frankfurt a. M. – mit Zustimmung des OLG Frankfurt a. M. – hält die Honorarzahlung an einen vom Schuldner beauftragten, letztlich erfolglos gebliebenen Sanierungsberater für anfechtbar nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO, weil der Schuldner seine drohende Zahlungsunfähigkeit gekannt und deshalb bei der Honorarzahlung mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt habe.170) 216 In den Aufgabenbereich des Bescheinigers fällt lediglich die Erstellung der Bescheinigung im Vorfeld der Antragstellung. Der Bescheiniger ist i. d. R. personen- und kanzleiverschieden zum prozessbegleitenden Berater des Schuldners. Im Rahmen der Betriebsfortführung nach Antragstellung spielt er typischerweise keine Rolle mehr. 2.2
Laufendes Controlling
217 Nach Antragstellung sind sämtliche vorbereiteten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des operativen Geschäftsbetriebs umzusetzen und laufend an die aktuellen Anforderungen anzupassen. Zur Überwachung der Geschäftsentwicklung dient das insolvenzspezifische, wöchentliche Controlling, welches auch Grundlage dafür ist, am Ende der Betriebsfortführung den Erfolg eben dieser darzulegen. Es sollte damit Grundlage für die diesbezügliche Berichterstattung des Sachwalters an das Insolvenzgericht sein. 218 Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens beinhaltet das laufende Controlling zwingend die regelmäßige Überprüfung der Zahlungsfähigkeit. Falls die Zahlungsunfähigkeit eintritt, muss diese dem Gericht umgehend angezeigt werden. Im Rahmen der Liquiditätsüberwachung ist erfahrungsgemäß ein besonderes Augenmerk auf die Steuerung des Einzugs der vor Antragstellung begründeten Forderungen zu richten. 2.3
Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen
219 Die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen beginnt mit dem ersten Tag der Betriebsfortführung, also unmittelbar nach Insolvenzantragstellung bzw. nach Anordnung des Schutzschirmverfahrens. Die umzusetzenden Maßnahmen wurden idealerweise bereits i. R. eines frühzeitig erstellten Sanierungskonzepts definiert und mit internen und externen Stakeholdern abgestimmt. Liegt kein detailliertes Sanierungskonzept vor, bietet zumindest das notwendige Grobkonzept (siehe Rz. 77 ff.)171) wichtige Anhaltspunkte. Die ersten Wochen der Betriebsfortführung können in diesem Fall genutzt werden, um sämtliche Maßnahmen und deren Effekte zu validieren, zu konkretisieren und dann anschließend die Umsetzung einzuleiten. 220 Die operative Umsetzung erfordert eine vor Ort installierte Projektorganisation unter Einbindung der intern verantwortlichen Mitarbeiter, der (externen) Berater und der Sta___________ 170) LG Frankfurt/M. v. 7.5.2015 – 2-32 O 102/13, ZIP 2015, 1358, dazu EWiR 2015, 455 (Fölsing); OLG Frankfurt/M. v. 19.10.2016 – 19 U 102/15, ZIP 2017, 187; krit. Ganter, ZIP 2015, 1414. 171) Vgl. BDU, Grundsätze für die Struktur eines Grobkonzepts im Rahmen der Bescheinigung nach § 270b InsO, v. 10/2015.
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keholder, die bei der Umsetzung der Maßnahmen mitwirken oder zustimmen müssen. Hierzu zählen i. d. R. Kunden, Lieferanten, Betriebsrat bzw. Gewerkschaft, Kreditinstitute, Warenkreditversicherer und Factorer, aber auch die Gläubiger wie z. B. das Finanzamt oder die Sozialversicherungsträger. Das Spektrum der avisierten Sanierungsmaßnahmen ist von Fall zu Fall sehr unter- 221 schiedlich und natürlich von Krisenstadium und -ursachen sowie vom jeweiligen konkreten Geschäftsmodell des Unternehmens abhängig. Die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen können sämtliche Funktionsbereiche der Wertschöpfungskette betreffen. Dazu gehören die Bereiche Forschung und Entwicklung, Einkauf und Beschaffung, Produktion und Logistik, Vertrieb und Marketing, Finanzen und Controlling, Personalwesen sowie Informationstechnologie. Die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen gliedern sich in Maßnahmen zur Liquiditätszufuhr in Innen- und Außenfinanzierung sowie bilanztechnische Maßnahmen. Hinzu kommen nicht zuletzt arbeitsrechtliche Maßnahmen. Für eine inhaltliche Detaillierung generell möglicher Maßnahmen sei hier auf die weiterführende Literatur verwiesen.172) 2.4
Ausarbeitung eines Insolvenzplans
Mit der Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans ist der zeitliche Rahmen zur Erstellung 222 desselben dezidiert i. S. des § 270b Abs. 1 Satz InsO vorgegeben. Der sich hierauf beziehende Antrag ist wesensnotwendig für einen Antrag auf ein Schutzschirmverfahren. Der Insolvenzplan muss innerhalb der gesetzten Frist fertiggestellt und bei Gericht eingereicht werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass der angedachte Sanierungsprozess scheitert und das Gericht das Schutzschirmverfahren i. S. des § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO aufhebt und die Anordnung der Eigenverwaltung ablehnt. Die Frist zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans ist grundsätzlich angelehnt an die maximale Dauer der Insolvenzgeldfinanzierung von drei Monaten. Im Rahmen der Betriebsfortführung empfiehlt es sich daher, einen sachverständigen Dritten mit der Erarbeitung eines Insolvenzplans zu beauftragen. Bestenfalls besteht zu diesem Zeitpunkt schon ein über wesentliche Grundzüge hinausgehendes Sanierungskonzept, welches als Grundlage für die darstellenden und gestaltenden Elemente des Insolvenzplans herangezogen werden können. 2.5
M&A-Prozess
Wesenskern des Insolvenzplans ist die sog. Vergleichsrechnung. Aus ihr muss hervorgehen, 223 dass die Gläubiger im direkten Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren besser oder zumindest nicht schlechter gestellt werden. Unter dem Primat einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung wird jedoch in aller Regel parallel zu den Vorbereitungen eines Insolvenzplans ein ordnungsgemäßer, transparenter und ergebnisoffener Investorenprozess zu initiieren sein. Es gilt herauszufinden, ob ein Investorenprozess mit einer sich daran anschließenden übertragenden Sanierung mindestens zu einer wirtschaftlich gleichwertigen Befriedigungsmöglichkeit führt wie die angestrebte Insolvenzplanlösung. Da dieser Prozess jedoch i. R. einer Betriebsfortführung nebst den entsprechenden Insolvenzplanvorbereitungen zu erheblichen Zusatzbelastungen führt, empfiehlt es sich, bereits zu Beginn der Betriebsfortführung ein grundsätzliches Vorgehen mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem (vorläufigen) Sachwalter zu erörtern. Allerdings fällt es nicht in die Zuständigkeit des (vorläufigen) Sachwalters, ein Sanierungskonzept zu erarbeiten und einen M&A-Prozess zu initiieren.173) ___________ 172) Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz; Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement. 173) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 62, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
VII. Aufhebung der Maßnahmen durch das Gericht (§ 270b Abs. 4 InsO) 1.
Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung (§ 270b Abs. 4 Nr. 1 InsO)
224 Wenn sich im Zuge des Schutzschirmverfahrens herausstellt, dass die angestrebte Sanierung nunmehr aussichtslos geworden ist, hebt das Insolvenzgericht die Anordnung nach § 270b Abs. 1 InsO auf. Während für die Bescheinigung noch „Offensichtlichkeit“ verlangt wird, hat das Insolvenzgericht bei der Aufhebung lediglich die Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung zu prüfen. Damit ist der Prüfungsmaßstab ein anderer.174) Ob die angestrebte Sanierung aussichtslos ist, ist vom Insolvenzgericht selbstständig zu ermitteln, sofern die entsprechende Mitteilung nicht einvernehmlich von Schuldner und vorläufigem Sachwalter erfolgt. 225 Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung dürfte immer dann vorliegen, wenn wesentliche betriebswirtschaftliche Parameter nicht mehr vorliegen bzw. weggefallen sind, seien es gescheiterte Verhandlungen mit wesentlichen Gläubigern (Banken oder Lieferanten etc.),175) seien es nicht mehr zur Verfügung stehende Mittel, die zur Durchführung des Insolvenzplans erforderlich sind. 226 Eine Anzeigepflicht des Sachwalters bzw. des Schuldners gemäß § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO gibt es nur bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. 227 Sofern das Gericht Hinweise auf die Aussichtslosigkeit von Dritten wie z. B. Gläubigern erhält, gibt es dem Sachwalter auf, kurzfristig Stellung zu beziehen. Alternativ kommt eine regelmäßige und zeitnahe Unterrichtung des Insolvenzgerichts über den Verlauf des Schutzschirmverfahrens durch den Sachwalter in Betracht, damit es von der Aussichtslosigkeit der Sanierungsbemühungen nicht erst verzögert erfährt. 228 Der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im eröffneten Schutzschirmverfahren stellt, formal betrachtet, noch kein unmittelbares Indiz für die Aussichtlosigkeit der Sanierung dar. In der Praxis wird sie sogar ziemlich oft nach Beantragung des Schutzschirmverfahrens eintreten. Für sich genommen ist dies allerdings kein Grund, das Schutzschirmverfahren zu beenden. Der Gesetzgeber hat eine zunächst vorgesehene Regelung aus § 270b Abs. 3 Nr. 1 InsO-E gestrichen. Es sollte v. a. vermieden werden, dass der Erfolg des Verfahrens von einzelnen Gläubigern abhängig wird. 2.
Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO)
229 Sofern der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung der Maßnahmen gemäß § 270b Abs. 1 InsO beantragt, hebt das Gericht diese ohne weitere Prüfung auf. Für den Beschluss des Gläubigerausschusses ist keine Einstimmigkeit erforderlich, so dass gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a i. V. m. § 72 InsO die Kopfmehrheit der anwesenden Mitglieder ausreicht.176) Diese Antragsbefugnis ist ein weiterer Beleg für den stark gewachsenen Einfluss der Gläubigerschaft auch und gerade im Schutzschirmverfahren. Wenn die im vorläufigen Gläubigerausschuss vertretene Gläubigerschaft keine Perspektive mehr für eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens i. R. eines Insolvenzplanverfahrens sieht, ist das entsprechende Votum auch vom Insolvenzgericht umzusetzen. 230 Die Gläubigerschaft kann so – obwohl noch nicht als Gläubigerausschuss konstituiert – zumindest mittelbar bereits im Vorfeld der Antragstellung auf die Person des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters Einfluss nehmen.177) Der Schuldner läuft das Risiko, dass ein ___________ 174) 175) 176) 177)
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Desch, BB 2011, 841, 844. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270b Rz. 46. Desch, BB 2011, 841, 844; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270b Rz. 52. Desch, BB 2011, 841, 844.
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Schutzschirmverfahren
vorläufiger Gläubigerausschuss gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO oder – wenn kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist – einzelne Gläubiger gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 3 InsO nach Antragstellung die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens beantragen (siehe Rz. 233 ff.).178) Sofern das Schutzschirmverfahren dann aufgehoben wird, kann zumindest ein vorläufiger Gläubigerausschuss vor Bestellung des Sachwalters bei Eröffnung von seinem Vorschlagsrecht gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 274 Abs. 1 i. V. m. § 56 Abs. 3 InsO Gebrauch machen.179) Dies liefe allerdings dem Willen des Gesetzgebers zuwider, gerade im Schutzschirmver- 231 fahren gemäß § 270b InsO dem Schuldner eine hohe Planungssicherheit auch in Bezug auf den „mitgebrachten“, aber unabhängigen vorläufigen Sachwalter zuzubilligen.180) Auch sind die Gläubigerinteressen durch die Möglichkeit der Wahl eines anderen Sachwalters bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinreichend gewahrt. Ein faktischer Gläubigereinfluss bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters ist daher für die Attraktivität des „selbstbestimmten“ Schutzschirmverfahrens kontraproduktiv und abzulehnen. Gleichwohl ist jeder Schuldner gut beraten, sich im Vorfeld eines geplanten Schutz- 232 schirmverfahrens auch über die Person des ins Auge gefassten vorläufigen Sachwalters und dessen Akzeptanz mit den wesentlichen Gläubigern auszutauschen, um verfahrenshinderliche Friktionen möglichst zu vermeiden. 3.
Antrag absonderungsberechtigter Gläubiger (§ 270b Abs. 4 Nr. 3 InsO)
Sofern ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger die Aufhe- 233 bung gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 3 InsO beantragt und Umstände bekannt werden, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, kann das Gericht ebenfalls die Anordnung der Maßnahmen gemäß § 270b Abs. 1 InsO aufheben. Der Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder eines Insolvenzgläubigers ist allerdings nur zulässig, wenn kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist. Darüber hinaus müssen die Umstände, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, von dem Antragsteller/den Antragstellern gegenüber dem Gericht auch glaubhaft gemacht werden. Hier wiederum setzt eine weitere Prüfungspflicht des Gerichts ein, die auch eine Anhörung des vorläufigen Sachwalters sowie des schuldnerischen Unternehmens und u. U. die Einholung sachverständiger Expertise einschließt. Hinsichtlich der möglichen Einflussnahme des insoweit antragstellenden (ggf. absonderungsberechtigten) Gläubigers auf die Auswahl des vorläufigen Sachwalters durch den Schuldner wird auf Rz. 230 verwiesen. Nachteilig für die Gläubiger könnte das Risiko des Forderungsausfalls wegen sich rapide 234 verschlechternder wirtschaftlicher Entwicklung des Schuldners im Schutzschirmverfahren sein. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber trotz Wegfalls des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit als Aufhebungsgrund181) die Anzeigepflicht von Schuldner oder vorläufigem Sachwalter bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beibehalten.182) Da sich der Schuldner im vorläufigen Insolvenzverfahren befindet und unter Aufsicht eines 235 vorläufigen Sachwalters steht, können sich drohende Nachteile durch die Anordnung des Schutzschirms nur i. R. dessen spezifischer Besonderheiten ergeben. Hier käme z. B. er___________ 178) 179) 180) 181)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. Ehem. § 270b Abs. 3 Nr. 1 RegE ESUG v. 23.2.2011, abrufbar unter http://www.bak-inso.de/ index.php?option=com_phocadownload&view=category&id=12&Itemid=95 (Abrufdatum: 22.7.2018). 182) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
kennbar kollusives Zusammenwirken von Schuldner und „mitgebrachtem“ vorläufigen Sachwalter in Betracht, aber auch jede Form von Aushöhlung des schuldnerischen Vermögens ohne Wissen des vorläufigen Sachwalters. 4.
Rechtsfolge
236 Bei Aufhebung der Maßnahmen gemäß § 270b Abs. 4 InsO wird das Verfahren in ein Regelinsolvenzverfahren übergeleitet.183) Der bestellte vorläufige Sachwalter dürfte bei entsprechender Qualifikation (langjährig erfahrener und tätiger Unternehmensinsolvenzverwalter) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt werden.184) Die Eigenverwaltung wird dann dementsprechend aufgehoben. Die Weiterarbeit an dem Insolvenzplan ist damit ebenso wenig ausgeschlossen wie dessen Verabschiedung im eröffneten Insolvenz(plan)verfahren. 237 Demgegenüber wird vertreten, dass die Aufhebung des Schutzschirms durch das Insolvenzgericht zwar die Aufhebung des Beschlusses über die Einsetzung des vorläufigen Sachwalters beinhaltet,185) das Insolvenzgericht aber nur bei Aussichtslosigkeit der Sanierung gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 1 InsO statt eines anderen oder desselben vorläufigen Sachwalters einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen solle.186) Sonst werde der Schuldner gegenüber einer vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO benachteiligt, weil in diesem Verfahren nur bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Antrags auf Eigenverwaltung ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden soll. Diese Auffassung ist nicht überzeugend. 238 Sofern einer der Aufhebungsgründe des § 270b Abs. 4 InsO vorliegt, insbesondere bei Aussichtslosigkeit der Sanierung, aber auch bei entsprechenden Anträgen der Gläubiger, muss das Sicherungsinteresse der Gesamtgläubigerschaft überwiegen, auch wenn damit theoretisch die Insolvenzplansanierung in Eigenverwaltung erst wieder im eröffneten Insolvenzverfahren gemäß § 271 InsO möglich wäre, sofern das Insolvenzgericht statt des vorläufigen Sachwalters nunmehr einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. 239 Das Schutzschirmverfahren ist als konsensuales Verfahren angelegt, bei dem die Gläubiger nicht nur mitwirken müssen, indem sie über den Insolvenzplan im eröffneten Verfahren abstimmen. Vielmehr haben sie über § 270b Abs. 4 Nr. 2, 3 InsO die Möglichkeit, dieses Verfahren auch wieder zu beenden. 240 Dem Insolvenzgericht stehen mit Aufhebung des Verfahrens wieder alle im Eröffnungsverfahren bestehenden Optionen offen. Dies beinhaltet im Wesentlichen die Maßnahmen nach §§ 21 bis 25 InsO sowie § 270a InsO,187) wobei das Insolvenzgericht zur Wahrung der Gläubigerinteressen regelmäßig eine vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt anordnen dürfte. 241 Nachfolgend entscheidet es dann über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.188) Eine Frist zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist dem Gesetz an dieser Stelle nicht zu entnehmen. Sollte Zahlungsunfähigkeit eintreten, worüber der Schuldner oder der Sachwalter das Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO unverzüglich informieren müssen, führt dies zwar nicht zur Beendigung des Schutzschirmverfahrens. Gleichwohl darf aber die operative Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs nicht gefährdet werden. ___________ 183) RegE ESUG v. 23.2.2011, abrufbar unter http://www.bak-inso.de/index.php?option=com_phocadownload&view=category&id=12&Itemid=95 (Abrufdatum: 22.7.2018); a. A. Desch, BB 2011, 841, 845. 184) So auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 185) BRAK, Stellungnahme Nr. 20/2011, S. 12. 186) Desch, BB 2011, 841, 845. 187) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. 188) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41.
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Schutzschirmverfahren
Rückständige bzw. rückständig werdende Löhne/Gehälter könnten nunmehr über eine Vorfinanzierung von Insolvenzgeld abgesichert werden, sofern die Agentur für Arbeit zustimmt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde.189) Hierdurch kann die Zahlungsfähigkeit begrenzt wiederhergestellt werden, sofern der Insolvenzgeldzeitraum von max. drei Monaten wenigstens teilweise noch zur Verfügung steht und die Frist des Gerichts zur Vorlage des Insolvenzplans gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO noch nicht abgelaufen ist.190) Spätestens nach dessen Ablauf muss aber das Insolvenz(plan)verfahren dann eröffnet werden.191) VIII. Haftung der Organe des Schuldners Von besonderer Bedeutung ist i. R. des Schutzschirmverfahrens die Frage der Haftung 242 der Organe des Insolvenzschuldners. Da das Gesetz keine Regelung für die Organe vorsieht, war in der Literatur bisher höchst strittig, ob und wie die Organe des Insolvenzschuldners haften sollten. Nach einer Ansicht sollten die Normen der § 64 Satz 1, 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG te- 243 leologisch reduziert werden und die Organhaftung wegfallen. Der Zweck der Haftung für nach Eintritt der Insolvenzreife geleistete Zahlungen bestehe nämlich darin, „Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht.“192) Nach Einleitung des Schutzschirmverfahrens sind die Organe einer etwaigen Antragspflicht jedoch sinngemäß nachgekommen.193) Eine a. A. befürwortete die Anwendbarkeit von § 64 Satz 1, 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG und stützte sich dabei auf den Wortlaut der Normen, wonach das Zahlungsverbot unabhängig davon gilt, ob ein Insolvenzantrag gestellt wurde oder nicht. Mit Urteil vom 26.4.2018 hat der BGH194) – entgegen der bisher h. M. in der Literatur195) 244 – im Fall einer Eigenverwaltung entschieden, dass die Organe der Insolvenzschuldnerin analog §§ 60, 61 InsO gegenüber außenstehenden Gläubigern haftbar sein können. Die Analogie begründet der BGH damit, dass die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO die Organe des Schuldners nicht unmittelbar erfasse. Insoweit habe der Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen nicht bedacht. Denn faktisch nähmen die Geschäftsleiter einer Gesellschaft i. R. der Eigenverwaltung weitgehend die Befugnisse wahr, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Aus Sicht des BGH ist die Anwendung der allgemeinen Organinnenhaftung nicht ausrei- 245 chend bzw. angemessen, da nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht werde, welche Pflichten im Insolvenzverfahren auch gerade gegenüber außenstehenden Dritten bestehen. Zudem könne es an einem nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ersatzfähigen Eigenschaden der Gesellschaft fehlen. Ferner bestehe auch nur über die Insolvenz___________ 189) Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld Durchführungsanordnungen (DA), Ziff. 3.2 Abs. 2, Stand: 5/2013. 190) Kammel/Staps, NZI 2010, 791, 796. 191) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. 192) BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186 = ZIP 2000, 184, dazu EWiR 2000, 295 (Noack). 193) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 207. 194) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, dazu Hofmann, ZIP 2018, 1429, und EWiR 2018, 339 (Thole). 195) Vgl. hierzu die Nachweise bei Bitter, ZIP 2018, 977, 986.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
masse ein haftungsrechtlicher Umweg auf das Vermögen des Geschäftsführers. Diesen Umweg wollte das Gesetz durch die §§ 60, 61 InsO den Beteiligten gerade ersparen. 246 Der Anwendung der bekannten Haftungsinstitute wie des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder der culpa in contrahendo erteilt der BGH eine Absage. 247 Nach Meinung von Bitter soll die insolvenzrechtliche Lösung nicht nur auf den konkreten Einzelfall verstanden werden, sondern generell gelten.196) Diese Sichtweise erscheint aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit den Lösungswegen der bisher vertretenen Literaturmeinungen nachvollziehbar. Insbesondere betont der BGH in seinem Urteil auch, dass die Befugnisse des Geschäftsleiters in der Eigenverwaltung einer Gesellschaft weitgehend denen des Insolvenzverwalters im Regelverfahren entsprechen, weshalb diese beiden Personengruppen – die Insolvenzverwalter im Regelverfahren und die Organe der Gesellschaft im Eigenverwaltungsverfahren – auch haftungsrechtlich gleichzustellen sind. Insoweit gilt die neue Rechtsprechung ebenfalls für das Schutzschirmverfahren. 248 Spannend ist die sich nun aufdrängende Frage, ob der in der Praxis häufig eingesetzte sog. Chief Restructuring Officer (CRO), der aufgrund möglicher Haftungsrisiken gerade nicht zum Geschäftsführer bestellt wird, sondern als Prokurist oder Generalbevollmächtigter agiert, ebenfalls nach §§ 60, 61 InsO haftbar ist, wenn er unter Verdrängung des eigentlichen Geschäftsführers als sog. „faktischer Geschäftsführer“ handelt. 249 Dagegen wird angeführt, dass eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO auf Prokuristen und Generalbevollmächtigte systematisch verfehlt wäre, da diese ihre Befugnisse von der Geschäftsleitung ableiten. Auch bei einem regulären Insolvenzverfahren trifft nur den Insolvenzverwalter und nicht den weisungsabhängig handelnden Prokuristen/Generalbevollmächtigten die Haftung. Dann muss auch für die Eigenverwaltung gelten, dass nur die Organmitglieder analog §§ 60, 61 InsO haften, jedoch – wie der Insolvenzverwalter – auch für Handlungen, welche unter ihrer Führung von anderen vorgenommen werden.197) 250 Für eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO könnte indes sprechen, dass im Falle der Einsetzung eines CRO, der als faktischer Geschäftsführer agiert,198) seine Position gerade der des Insolvenzverwalters ähnelt und eben nicht der des formal im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers. In der Regel bringt der CRO die notwendige insolvenzrechtliche Expertise mit und leitet auch die unternehmerischen Geschicke. 251 Andernfalls müsste der verdrängte Geschäftsführer den CRO pedantisch kontrollieren, um nicht selbst in die Haftung genommen zu werden. Da der formale Geschäftsführer in der Regel insolvenzrechtlich unerfahren ist, würde das wiederum bedeuten, dass sich der Geschäftsführer externe Beratung einholen müsste, um sich der Gefahr der persönlichen Haftung zu entledigen. Dies kann hingegen nicht gewollt sein. 252 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO entgegen einer in der Literatur bisher weit verbreiteten Ansicht199) auch auf die Geschäftsleiter während des Schutzschirmverfahrens ernsthaft in Betracht zu ziehen. IX.
Haftung des Schuldners
253 Die Haftung des Schuldners selbst ergibt sich aus § 60 InsO, wenn man diese Regelung als „allgemeine Vorschrift i. S. von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO“ versteht und zugrunde legt, ___________ 196) Bitter, ZIP 2018, 977, 987. 197) Bitter, ZIP 2018, 977, 987. 198) Zu den Voraussetzungen vgl. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork); Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rz. 220 ff. 199) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 211 unter L. III. 2. b), Rz. 862.
302
Koch/Jung
§8
Schutzschirmverfahren
dass der Schuldner i. R. des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nicht mehr „nur als Schuldner“, sondern als eine Art Sonderrechtssubjekt, das mit einem Insolvenzverwalter im Regelverfahren vergleichbar ist, handelt. Allerdings wird man auch hier, ähnlich wie bei der Haftung des vorläufigen Sachwalters, Abstriche in der Anwendung der Haftungsnorm des § 60 InsO machen müssen, da der Schuldner nicht als vorläufiger Insolvenzverwalter handelt, sondern Teile des Aufgabenspektrums eines vorläufigen Insolvenzverwalters ja gerade auf den vorläufigen Sachwalter übertragen werden, so dass nicht mehr das volle Aufgabenspektrum eines vorläufigen Insolvenzverwalters beim Schuldner verbleibt; insofern ist es sachgerecht, auch nicht das gesamte Haftungsspektrum des § 60 InsO, das auf den vorläufigen Insolvenzverwalter zugeschnitten ist, anzuwenden. Dem Tatbestand kommt allerdings, mangels „echter Befriedigungsvorteile“ für den Gläu- 254 biger, i. d. R. keine praktische Relevanz zu. Ausnahmen mögen sich in Bezug auf die wenigen Fällen ergeben, in denen das Scheitern der Eigenverwaltung nicht zum Regelinsolvenzverfahren geführt hat, sondern ein dennoch restrukturiertes, leistungsfähiges Unternehmen erhalten bleibt bzw. aus dem gescheiterten Verfahren hervorgegangen ist. X.
Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens
Sofern der Insolvenzplan in der vom Gericht gesetzten Frist eingereicht wurde, wird das 255 Insolvenzgericht ihn nach einer Vorprüfung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 InsO entweder zulassen oder zurückweisen (hinsichtlich der Einzelheiten der Vorprüfung eines Schuldnerplans durch das Insolvenzgericht siehe § 35 Rz. 7 ff.) Aber auch in den Fällen, in denen der Insolvenzplan vom Schuldner nicht fristgemäß eingereicht wurde, wird das Gericht eine Entscheidung über das weitere Verfahren treffen müssen. Das Gesetz normiert dabei in § 270b Abs. 4 Satz 3 InsO lediglich, dass das Gericht nach Fristablauf über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet. Die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans suspendiert insofern die Entscheidung über den Insolvenzantrag.200) Je nachdem, ob der Schuldner fristgemäß einen Insolvenzplan bei Gericht eingereicht hat oder nicht, unterscheiden sich die vom Gericht vorzunehmende Prüfung und die sich daraus abzuleitende Entscheidung. 1.
Die gerichtliche Entscheidung bei fristgemäß eingereichten Insolvenzplan
Für den Fall, dass der Plan vom Schuldner fristgemäß eingereicht wurde und keine Zu- 256 rückweisungsgründe vorliegen, wird das Insolvenzverfahren eröffnet und in einer Gläubigerversammlung über den eingereichten Insolvenzplan abgestimmt. Fraglich erscheint, ob das Gericht seine Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenz- 257 verfahrens ohne weiteres auf die Angaben stützen kann, die der Schuldner in seinem Eigenantrag und der Bescheiniger in der Bescheinigung gemacht haben. Dafür spricht zum einen, dass das Gericht mit der Fristsetzung nach § 270b InsO das Schutzschirmverfahren eingeleitet und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass es von der Richtigkeit der Bescheinigung und konkludent auch vom Vorliegen von Eröffnungsgründen ausgeht.201) Hinzu kommt, dass der vorläufige Sachwalter auch i. R. des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts steht und auf dessen Verlangen Einzelfragen zu beantworten sowie Sachstandsberichte einzureichen hat. Auch diese Informationen stehen dem Gericht als weitere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund erscheint es somit vertretbar, dass es der Bestellung eines Sachverständigen zu den Fragen, ob ein Eröffnungs___________ 200) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 54 unter C. III, Rz. 197; Smid, ZInsO 2016, 61, 66. 201) Smid, ZInsO 2016, 61, 67.
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§8
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
grund und eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist oder nicht, regelmäßig nicht bedarf. Da aber die originäre Prüfung eines Eröffnungsgrunds (§ 16 InsO) sowie der Verfahrenskostendeckung (§ 26 Abs. 1 InsO) und die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzgericht zu verantworten ist, ist es dem Gericht unbenommen, auch einen Gutachter zu beauftragen, der für das Insolvenzgericht bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung diese Voraussetzungen festzustellen hat.202) 258 Sodann wird über den eingereichten Insolvenzplan in einer Gläubigerversammlung abgestimmt. Hier kann ein vorläufiger Gläubigerausschuss ggf. von seinen Rechten gemäß § 56a InsO Gebrauch machen und als Insolvenzverwalter bzw. als Sachwalter eine andere Person als die vom Schuldner seinerzeit vorgeschlagene und bestellte, bei Aufhebung der Maßnahmen gemäß § 270b Abs. 4 InsO vom vorläufigen Sachwalter zum vorläufigen Insolvenzverwalter ernannte Person auswählen. 259 Wenn der Insolvenzschuldner den Plan zwar fristgemäß einreicht, aber Zurückweisungsgründe vorliegen, stellt sich die Frage, wie das Gericht das weitere Verfahren organisieren kann. Eine Möglichkeit besteht darin, dass das Schutzschirmverfahren als „reguläres“ Eröffnungsverfahren fortgeführt wird. Möglich ist aber auch, dass das Gericht das Verfahren nach § 270b InsO in ein Verfahren nach § 270a InsO umleitet. Bei dem Verfahren nach § 270b InsO handelt es sich schließlich um einen Sonderfall der (vorläufigen) Eigenverwaltung; es basiert sozusagen auf dem Verfahren nach § 270a InsO, sodass dessen Voraussetzungen ebenfalls vorliegen müssen. Sofern das Insolvenzgericht bei einem Antrag nach § 270b InsO die Voraussetzungen für die Eigenverwaltung für nicht gegeben hält, wird es gemäß § 270a Abs. 2 InsO seine Bedenken dem Schuldner mitteilen und ihm Gelegenheit geben, den Eröffnungsantrag vor Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens zurückzunehmen, wenn der Schuldner den Antrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt hat. Sollte dem Antrag nach § 270b InsO zumindest auch der Insolvenzgrund der Überschuldung zugrunde liegen, wäre eine Antragsrücknahme bereits aufgrund der strafrechtlichen Implikation nicht opportun.203) 2.
Die gerichtliche Entscheidung bei Fristversäumnis
260 Auch wenn der Insolvenzschuldner den Plan nicht fristgemäß einreicht, stellt sich die Frage nach der weiteren Organisation des Verfahrens durch das Insolvenzgericht. Eine Möglichkeit besteht auch hier darin, dass das Schutzschirmverfahren als „reguläres“ Eröffnungsverfahren fortgeführt wird. Möglich ist aber auch in diesem Fall, dass das Gericht das Verfahren nach § 270b InsO in ein Verfahren nach § 270a InsO umleitet. Der Transformation des Verfahrens nach § 270b InsO in ein Verfahren nach § 270a InsO steht es nicht entgegen, dass der Insolvenzplan nicht innerhalb der Höchstfrist von drei Monaten eingereicht wird. Dies ergibt sich bereits aus der Unabhängigkeit bzw. Selbstständigkeit der beiden Verfahrensanträge.204) 261 Allein aus dem Umstand, dass der Schuldner den Insolvenzplan nicht innerhalb der Frist von höchstens drei Monaten eingereicht hat, ist zudem nicht zwingend der Rückschluss auf die Aussichtslosigkeit des Reorganisations- und Sanierungskonzepts zu ziehen. Auch der Schluss, dass die Anordnung der Eigenverwaltung für die Gläubiger nachteilig sei, ist nicht zwingend. Die Gründe für die Fristversäumnis können sehr vielfältig sein.205) Von ___________ 202) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 175 unter H. VI. 2. b), Rz. 697. 203) Smid, ZInsO 2016, 61, 67. 204) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 202 unter K. II. 1. b), Rz. 819. 205) Smid, ZInsO 2016, 61, 66.
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§8
Schutzschirmverfahren
entscheidender Bedeutung wird auch hier die Kommunikationsstrategie des Schuldners sein. Die Überleitung des Schutzschirmverfahrens in ein Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO würde dem Schuldner die Möglichkeit geben, das Reorganisations- und Sanierungskonzept weiter auszuarbeiten.206) Nicht ausgeschlossen ist dann auch, dass der Schuldner den zunächst i. R. des Verfahrens nach § 270b InsO einzureichenden Insolvenzplan nach Fristablauf im Verfahren nach § 270a InsO einreicht und das Insolvenzverfahren doch noch, wenn auch mit Verzögerung, wie geplant eröffnet wird. Dieses Procedere dürfte insbesondere in komplexen Fällen relevant werden, wenn sich nämlich die i. R. des Plans zu beantwortenden Fragen als hochkomplex erweisen und in der Folge die Planausarbeitung mehr Zeit verlangt.207) Für den Fall, dass das Insolvenzgericht auch die Voraussetzungen einer Eigenverwaltung 262 als nicht gegeben ansieht und beabsichtigt, das Verfahren als „reguläres“ Eröffnungsverfahren weiterzuführen, muss es dem Schuldner die Möglichkeit zur Antragsrücknahme geben, wenn der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt hat. Für das Verfahren nach § 270a InsO ist dies speziell in § 270a Abs. 2 InsO normiert. Allgemein ergibt sich diese Hinweispflicht aus § 4 InsO i. V. m. § 139 Abs. 1 ZPO.208)
___________ 206) Smid, ZInsO 2016, 61, 67. 207) Smid, ZInsO 2016, 61, 66. 208) Smid, ZInsO 2016, 61, 67.
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§9 Vorläufiger Gläubigerausschuss Ampferl
I. Verortung der Gläubigermitwirkung ...... 1 II. Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ............................................. 5 1. Obligatorischer Gläubigerausschuss........... 7 1.1 Überschreiten der Schwellenwerte................................................. 7 1.1.1 Bilanzsumme ................................. 14 1.1.2 Umsatzerlöse................................. 16 1.1.3 Anzahl der Arbeitnehmer ............. 22 1.2 Ausnahmen von der Einsetzungspflicht ................................... 28 1.2.1 Eingestellter Geschäftsbetrieb...... 31 1.2.2 Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf die zu erwartende Masse.............................................. 34 1.2.2.1 Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung............................. 35 1.2.2.2 Stellungnahme ............................... 39 1.2.2.3 Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit im konkreten Fall ........ 41 1.2.3 Nachteilige Veränderung der Vermögenslage durch die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung ........................................ 51 1.3 Tatsachenermittlungen zu den Schwellenwerten............................ 61 1.3.1 Schuldnerangaben gemäß § 13 InsO ....................................... 62 1.3.1.1 Angaben und Unterlagen.............. 62 1.3.1.2 Genauigkeit der Angaben ............. 65 1.3.1.3 Erklärung zur Richtigkeit und Vollständigkeit ....................... 71 1.3.1.4 Rechtsfolgen fehlender oder unvollständiger Angaben .............. 72 1.3.2 Maßnahmen des Gerichts zur Ermittlung der Schwellenwerte .... 74 2. Antragsausschuss ....................................... 78 2.1 Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags .................................... 80 2.1.1 Antragsberechtigung..................... 80 2.1.2 Benennung geeigneter Personen und Einverständniserklärung........ 85 2.1.3 Weitere Antragserfordernisse....... 90 2.2 Ausnahmen von der Einsetzung beim Antragsausschuss ........ 92 2.3 Gerichtliche Entscheidung über den Antrag............................. 96 3. Fakultativer Gläubigerausschuss............... 98 4. Zusammensetzung ................................... 102 4.1 Größe ........................................... 105 4.2 Mitglieder..................................... 109
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Grundsätzliche Feststellungen ... 109 Gläubigerstellung ........................ 112 Auswahl im Einzelnen ................ 115 Ermittlung der zur Bestellungsentscheidung notwendigen Tatsachen ..................................... 127 4.3.1 Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO .................................. 130 4.3.2 In § 13 Abs. 1 InsO nicht abgefragte, aber zwingend notwendige Angaben .................. 135 4.4 Gerichtliche Maßnahmen zur Vorbereitung der Besetzungsentscheidung................................ 140 5. Gerichtliches Vorgehen ........................... 144 6. Rechtsbehelfe ........................................... 148 7. Amtsannahme und Amtsdauer ............... 150 III. Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters/Insolvenzverwalters................................................. 156 1. Anhörungspflicht..................................... 161 1.1 Voraussetzung ............................. 161 1.2 Form und Fristsetzung ............... 162 1.3 Ausnahme von der Anhörungspflicht ............................. 164 2. Stellungnahme des Gläubigerausschusses .................................................... 170 2.1 Formelle Aspekte ........................ 170 2.2 Inhalt............................................ 174 2.2.1 Anforderungsprofil ..................... 174 2.2.2 Vorschlag zur Person .................. 176 3. Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung............................................ 179 3.1 Keine Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses........................................ 179 3.2 Einstimmiger Beschluss .............. 181 3.3 Mehrheitsbeschluss zur Person des vorläufigen Sachwalters ........ 191 3.4 Mehrheitsbeschluss zum Anforderungsprofil .......................... 192 4. Abwahl des bereits bestellten vorläufigen Sachwalters................................. 193 4.1 Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO zur Neuwahl........... 194 4.2 Keine Neuwahl des Verwalters .................................... 198 4.3 Beschlussfassung ......................... 199 4.4 Rechtsfolgen................................ 200
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4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3
§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss IV. Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters – erneute Anhörung ................................................ 201 1. Anhörungspflicht ..................................... 203 2. Auswirkungen auf die gerichtliche Bestellungsentscheidung.......................... 205 2.1 Einstimmiger Beschluss zur Person........................................... 205 2.2 Fortdauer der Bindungswirkung für die Bestellung des endgültigen Sachwalters .............. 206 V. Allgemeine Rechte und Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses..................................................... 207 1. Allgemeine Rechte und Pflichten gemäß § 69 InsO ...................................... 207 2. Besondere Zustimmungsrechte im Antragsverfahren...................................... 208
VI. Recht zur Stellungnahme bei Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 3 InsO .................................... 210 1. Anhörungspflicht..................................... 211 2. Stellungnahme des Gläubigerausschusses . 216 3. Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung bei Zustimmung zur Eigenverwaltung....................................... 220 4. Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung bei Ablehnung der Eigenverwaltung....................................... 222 VII. Besonderheiten beim Schutzschirmverfahren ...................................... 223 1. Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses .......................................... 224 2. Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters ................................. 227 3. Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens ...................................... 228
Literatur: Beth, Zur Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 3, 2. Alt. InsO, ZInsO 2012, 1974; Desch, Schutzschirmverfahren nach dem RegE-ESUG in der Praxis, BB 2011, 841; Ehlers, Teilnahme und Nutzen einer Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss, BB 2013, 259; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Frind, Die Gläubigermitbestimmung bei der Verwalterauswahl und das „Zeitkorridor-Problem“, ZInsO 2011, 757; Frind, Problemanalyse zum RefE „ESUG“ (Teil 1), ZInsO 2011, 373; Haarmeyer, Kein „freihändiges Nachbestellungsrecht“ des Insolvenzgerichts, ZInsO 2013, 1039; Haarmeyer, Musterantrag zur Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a Abs. 2 InsO (Antragsausschuss), ZInsO 2012, 370; Haarmeyer/Horstkotte, Die „Einsetzungsbremsen“ des § 22a Abs. 3 InsO und ihre Umsetzung in der Praxis, ZInsO 2012, 1441; Obermüller, Der Gläubigerausschuss nach dem „ESUG“, ZInsO 2012, 18; Obermüller, Das ESUG und seine Auswirkungen auf das Bankgeschäft, ZInsO 2011, 1809; Pape, Eigenverwaltungsverfahren im Spiegel der Rechtsprechung nach Inkrafttreten des ESUG, ZInsO 2013, 2129; Pape, Gläubiger- und Schuldneranträge im Regelinsolvenzverfahren – aktuelle Rechtsanwendungsprobleme, ZInsO 2011, 2154; Pape, Rechtliche Stellung, Aufgaben und Befugnisse des Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren, ZInsO 1999, 675; Römermann, ESUG: Neue Einflussmöglichkeiten und neue Gefahren für die Gläubiger, ForderungsPraktiker 2012, 8; Römermann/ Praß, Rechtsschutz bei Ablehnung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1923; Schmidt, N., Zur Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO – Prozedere und Rechtsbehelf, ZInsO 2012, 1107; Steinwachs, Die Wahl des vorläufigen Insolvenzverwalters durch den (vorläufigen) vorläufigen Gläubigerausschuss nach dem „ESUG“, ZInsO 2011, 410; Vallender, Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses, WM 2002, 2040.
I.
Verortung der Gläubigermitwirkung
Die Einordung der Gläubigermitwirkung im Eröffnungsverfahren bei beantragter Eigen- 1 verwaltung steht im Spannungsfeld zwischen zwei wesentlichen Prinzipien des Insolvenzrechts. Mit Einführung der InsO sollten die bis dahin bestehenden Tendenzen zur Zerschlagung 2 von Unternehmen im Konkurs aufgehoben und Rahmenbedingungen für marktwirtschaftlich sinnvolle Sanierungen geschaffen werden.1) Durch Änderungen der InsO, insbesondere durch das ESUG,2) wurde die Fortführung von Unternehmen i. R. des Insolvenzver___________ 1) 2)
Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 77; zur Frage, inwieweit der Erhalt des Unternehmens Verfahrens(neben)ziel ist: Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 85. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.
Ampferl
307
§9
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
fahrens erleichtert und das Insolvenzrecht als Sanierungsrecht gestärkt.3) Dazu wurde u. a. der Zugang zur Eigenverwaltung vereinfacht. 3 Maßgebliche Zielsetzung des Insolvenzverfahrens ist auch in der Eigenverwaltung die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung, § 1 Satz 1 InsO (siehe eingehend dazu oben § 2 Rz. 3 ff.), um dem von Art. 14 Abs. 1 GG gewährten Schutz ihrer Ansprüche gerecht zu werden.4) Mit der Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO enthält das Insolvenzrecht zudem ein wesentliches Element des Gläubigerschutzes bei Gesellschaften ohne eine natürliche Person als haftenden Gesellschafter.5) Die Gesellschaftsgläubiger sollen vor einer Verringerung der ihnen zustehenden Haftungsmasse geschützt werden,6) den Gläubigern ist also das Vermögen als Haftungsfonds im Insolvenzverfahren zugewiesen. 4 Da die Gläubiger – über die Höhe der Quote – der Erfolg oder Misserfolg der Sanierung trifft, sind sie es, die an den grundlegenden Verfahrensentscheidungen zu beteiligen sind.7) Nach Auffassung des Gesetzgebers gehören hierzu insbesondere die Bestellung des vorläufigen Sachwalters und die Entscheidung über den Antrag auf Eigenverwaltung. II.
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses
5 Der Ablauf des Eröffnungsverfahrens bestimmt sich – auch bei Vorliegen eines Antrags auf Eigenverwaltung – zunächst nach den allgemeinen Vorschriften. Spezielle Regelungen – allerdings nicht für die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses – enthält § 270a InsO. Auf Spezialregelungen für das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist gesondert einzugehen (siehe Rz. 223). 6 Gemäß § 22a Abs. 1 InsO hat das Gericht einen Ausschuss einzusetzen, wenn der Schuldner mindestens zwei von drei gesetzlich benannten Schwellenwerten überschreitet („obligatorischer Gläubigerausschuss“)8). § 22a Abs. 2 InsO räumt dem Schuldner, dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder jedem Gläubiger das Recht ein, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu beantragen, welcher durch das Gericht daraufhin eingesetzt werden soll („Antragsausschuss“)9). Schließlich kann das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn es i. R. seiner nach § 21 Abs. 1 InsO zu treffenden Entscheidung zu der Überzeugung gelangt, dass diese Maßnahme erforderlich ist, eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten („fakultativer Gläubigerausschuss“).10) 1.
Obligatorischer Gläubigerausschuss
1.1
Überschreiten der Schwellenwerte
7 Gemäß § 22a Abs. 1 InsO ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr zumindest zwei der drei nachstehenden Leistungsmerkmale erfüllt hat: mindestens 6.000.000 EUR Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrages i. S. des § 268 Abs. 3 HGB, ___________
3) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 2; Paulus, NZI 2015, 1001, 1006: Erhaltung des Unternehmens steht im Vordergrund. 4) BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, ZIP 2016, 321, dazu EWiR 2016, 145 (Flöther). 5) K. Schmidt/Herchen, in: K. Schmidt, InsO, § 15a Rz. 1. 6) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 7) Wimmer, jurisPR-InsR 5/2011 Anm. 1. 8) Die Terminologie ist nicht einheitlich; teilweise als originärer Pflichtausschuss bezeichnet. 9) Auch derivativer Pflichtausschuss genannt. 10) Vgl. AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193, dazu EWiR 2018, 281 (Henkel), zur Einsetzung eines Ausschusses als milderes Mittel im Vergleich zur Aufhebung der Eigenverwaltung.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
mindestens 12.000.000 EUR Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag,
im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitnehmer.
Die Schwellenwerte entsprechen den Merkmalen zur Abgrenzung einer kleinen von 8 einer mittelgroßen Kapitalgesellschaft gemäß § 267 Abs. 1 HGB. Zur Bestimmung kann daher auf die Kommentierungen zu dieser Vorschrift zurückgegriffen werden, nachdem in beiden Normen eine typisierende Einordnung vorgenommen wird.11) Bei der Beurteilung ist auf das vorangegangene Geschäftsjahr abzustellen und nicht auf 9 das zurückliegende Kalenderjahr. Bei einem abweichenden Geschäftsjahr ist also dieses maßgeblich. Entgegen den allgemeinen Regeln kommt es im Speziellen für die Beurteilung der Schwellenwerte nicht auf den Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung an.12) Da – anders als bei den Insolvenzgründen – mit der Bestellung kein weitergehender Eingriff in die Rechte des Schuldners durch die Bestellung eines Ausschusses verbunden ist, kann ohne weiteres auf das letzte Geschäftsjahr abgestellt werden. Die typisierende Betrachtungsweise bringt es mit sich, dass Veränderungen des Unternehmens seit dem letzten Abschlussstichtag unbeachtet bleiben. Zur Erleichterung der Feststellung der Schwellenwerte ist dies gerechtfertigt. Die Höhe der Schwellenwerte wurde als zu niedrig kritisiert.13) Es sei zwar der Wille des 10 Gesetzgebers, die Gläubiger stärker am Verfahren zu beteiligen und die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auch bei kleineren und mittleren Unternehmen zu etablieren.14) In der Praxis sei es aber außerordentlich schwierig, geeignete Gläubigerausschussmitglieder zu finden und eine professionelle Gläubigerausschussarbeit zu gewährleisten.15) Da das Insolvenzverfahren im Gläubigerinteresse durchgeführt wird, ist es gerechtfertigt, 11 die Gläubiger stärker an den maßgeblichen Entscheidungen des Verfahrens, d. h. sowohl die Bestellung des vorläufigen Sachwalters wie die Fortführung des Unternehmens im Antragsverfahren, zu beteiligen.16) Im Kontext der Festlegung der „richtigen“ Schwellenwerte ist zum einen zu berücksichti- 12 gen, dass insbesondere institutionelle Gläubiger aus Kosten-, Kapazitäts- und Haftungsgründen eine Mitgliedschaft nur ab einer gewissen Verfahrensgröße und bei erheblichen eigenen Forderungen gegen den Schuldner übernehmen.17) Zum anderen muss das gesetzliche Konzept der Gläubigerbeteiligung angesichts der Not- 13 wendigkeit schneller Entscheidungen zur Stabilisierung von Unternehmen nach der Insolvenzantragstellung innerhalb weniger Stunden umsetzbar sein. Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und insbesondere seine Beteiligung an der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters ist nur dann mit den akuten Handlungsnotwendigkeiten für ein insolventes Unternehmen in Einklang zu bringen, wenn zeitlich ein sehr schnelles Handeln des Ausschusses gewährleistet werden kann. Voraussetzung hierfür ist ein gründlich und professionell vorbereiteter Insolvenzantrag und die Bereitschaft der Gläubiger, soweit sie wirtschaftlich interessiert sind, den organisatorischen ___________ 11) Vgl. für HGB: Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 4. 12) Krit. Frind, in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 4. 13) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037; Steinwachs, ZInsO 2011, 410; Frind, ZInsO 2011, 373, 376; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1042. 14) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 15) Frind, ZInsO 2011, 373, 376. 16) Riggert, NZI 2011, 121, 124. 17) Vgl. dazu: Woltersdorf, INDat-Report 1/2018, S. 12.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
Aufwand (Bereithaltung, Sitzungsteilnahme, Anreise) mitzutragen. Dies ist erfahrungsgemäß jedoch erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße der Fall, die mit einem Abstellen auf mittelgroße Unternehmen nach Anhebung der Schwellenwerte durch das BilRUG zutreffend abgebildet wird.18) 1.1.1 Bilanzsumme 14 Die Bilanzsumme ist die Summe aller Aktivposten abzüglich eines auf der Aktivseite eventuell ausgewiesenen „Nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags“ gemäß § 268 Abs. 3 HGB.19) Bei Gesellschaften i. S. des § 264a HGB ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter, etwa bei der GmbH & Co. KG, ist der Betrag „Nicht durch Vermögenseinlagen gedeckter Verlustanteil persönlich haftender Gesellschafter“ gemäß § 264c Abs. 2 Satz 5 HGB abzuziehen. Gleiches gilt für die KGaA gemäß § 286 Abs. 2 Satz 3 AktG. Entscheidend ist die Bilanzsumme der rechtmäßigen Bilanz.20) Die zulässige Darstellung von Bilanzvermerken im Anhang oder in der Bilanz selbst hat keinen Einfluss auf die Höhe der Bilanzsumme.21) Auch bei Gesellschaften mit ordnungsgemäßer Bilanzierung liegt – je nach zeitlichem Abstand zum letzten Bilanzstichtag – noch keine Bilanz vor. In diesem Fall sind die Werte zu schätzen.22) 15 Offen lässt der Gesetzestext die Bestimmung des Merkmals für den Fall, dass der Schuldner nicht bilanzierungspflichtig ist. Soweit keine Bilanzierungspflicht besteht, weil das Unternehmen keinen nach Art oder Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB), entstehen keine Probleme, weil das Unternehmen bei dieser Konstellation die Schwellenwerte nicht erreichen kann. Problematisch sind die Fälle der Katalogberufe gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, bei denen keine Bilanzierungspflicht besteht, auch wenn das Unternehmen eine erhebliche Größe erreicht. So ist es durchaus denkbar, dass eine Gemeinschaftspraxis von Ärzten die Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 InsO übersteigt. Es könnte zunächst daran gedacht werden, dass der Freiberufler seine Bilanzsumme zu schätzen hat. Dies kann aber zu erheblichen Schwierigkeiten führen bei der Bestimmung der Buchwerte beim Anlage- und Umlaufvermögen. Richtigerweise wird man bei Personen, die nicht bilanzierungspflichtig sind und damit auch keine Bilanzsumme ausweisen, diese auch nicht einfordern können.23) Infolgedessen kann es vorkommen, dass bei Freiberuflern kein Gläubigerausschuss eingesetzt wird, wenn das Unternehmen nicht die beiden anderen Schwellenwerte (Umsatzerlöse und Anzahl der Arbeitnehmer) erfüllt. Soweit das Gericht angesichts der Größe eines solchen Verfahrens die Notwendigkeit sieht, kann es aus eigenem Ermessen einen Ausschuss einsetzen, oder die Gläubiger, der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner können die Einsetzung beantragen. 1.1.2 Umsatzerlöse 16 Umsatzerlöse sind als Posten i. R. der Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 275 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 HGB auszuweisen und in § 277 Abs. 1 HGB gesetzlich definiert als „Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft nach Abzug von Erlös___________ Frind, in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 4. Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 267 Rz. 2. Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6. Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6. AG Essen v. 25.3.2015 – 166 IN 22/15, ZIP 2015, 939 = ZInsO 2015, 754; näher zur Schätzung s. u. Rz. 68. 23) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 82. 18) 19) 20) 21) 22)
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schmälerungen und der Umsatzsteuer sowie sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern“. Ob die Erlöse aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit herrühren, ist nicht mehr von Bedeutung. Macht eine Gesellschaft von ihrem Saldierungswahlrecht gemäß § 276 HGB Gebrauch 17 und weist in der GuV lediglich ein „Rohergebnis“ aus, so ist die Höhe der darin enthaltenen Umsatzerlöse separat zu ermitteln.24) Nicht zu den Umsatzerlösen zählen die Bestandsveränderungen i. S. des § 275 Abs. 2 18 Nr. 2 HGB, wie sie in § 277 Abs. 2 HGB gesetzlich definiert sind. Für § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO ist also nicht auf das Gesamtergebnis abzustellen. In zeitlicher Hinsicht stellt § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO für die Bestimmung der Umsatzer- 19 löse als vorrangige spezielle Regelung auf die letzten zwölf Monate vor dem Abschlussstichtag ab und nicht auf das vorangegangene Geschäftsjahr, wie § 22a Abs. 1 InsO für alle drei Schwellenwerte allgemein normiert. Dies entspricht der Regelung des § 267 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Relevant wird diese Differenzierung bei einem Rumpfgeschäftsjahr, d. h. einem Geschäftsjahr, das keine zwölf vollen Monate umfasst, bspw. weil das Unternehmen zuletzt einen neuen Abschlussstichtag gewählt hat oder neu gegründet wurde. Bei einem kürzeren vorangegangenen (Rumpf-)Geschäftsjahr sind für die Beurteilung der Umsatzerlöse die tatsächlichen Umsätze des Rumpfgeschäftsjahres und der Monate des dem Rumpfgeschäftsjahr vorausgegangenen Geschäftsjahres heranzuziehen, die den fehlenden Monaten entsprechen. Ist das Rumpfgeschäftsjahr z. B. aufgrund Neugründung oder Umwandlung des Unter- 20 nehmens zugleich das erste Geschäftsjahr und können folglich keine tatsächlichen Umsätze aus dem vorangegangenen Geschäftsjahr herangezogen werden, so könnte man für die Berechnung der Umsatzerlöse lediglich den Zeitraum des Rumpfgeschäftsjahres als Grundlage nehmen.25) Dies führt aber zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass die Erfüllung dieses Leistungsmerkmals je nach Länge des Rumpfgeschäftsjahres letztlich vom Zufall abhinge. Sowohl die handelsrechtliche Regelung des § 267 Abs. 1 Nr. 2 HGB als auch die Vorschrift des § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO sind deshalb dahin gehend auszulegen, dass die im Rumpfgeschäftsjahr erzielten Umsatzerlöse auf ein Jahresergebnis hochzurechnen sind.26) Soweit bekannt, sind dabei saisonale Einflüsse auf die jeweiligen Umsätze zu berücksichtigen. 21 Sind solche unbekannt, so ist die Möglichkeit nicht berücksichtigter Umsatzschwankungen innerhalb des Geschäftsjahres hinzunehmen, da die Einordnung allemal näher an der Wirklichkeit sein wird als die Berücksichtigung allein der Umsatzerlöse des (ggf. sehr kurzen) Rumpfgeschäftsjahres.27) 1.1.3 Anzahl der Arbeitnehmer Der Begriff des Arbeitnehmers bestimmt sich nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen 22 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG.28) Arbeitnehmer ist danach jede natürliche Person, die sich anlässlich eines (auch unwirksamen jedoch tatsächlich durchgeführten) privatrechtlichen Vertrags einem anderem gegenüber zur Leistung einer fremdbestimmten Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet hat.29) ___________ 24) 25) 26) 27) 28) 29)
Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 7. So für § 267 HGB Joswig, BB 2007, 763, 764. Umfassend Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 16; a. A. Joswig, BB 2007, 763, 764. Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 16. Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. BAG v. 20.8.2003 – 5 AZR 610/02, NZA 2004, 39; Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8 m. w. N.
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23 Nachdem sich die InsO an die Regelung des § 267 HGB anlehnt, ist § 267 Abs. 5 HGB analog anzuwenden.30) Auch bei § 22a Abs. 1 Nr. 3 InsO kommt es auf eine typisierende Einordnung anhand klarer Kriterien an. 24 Bei der Berechnung sind damit entsprechend § 267 Abs. 5 HGB die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer mitzuzählen. Ebenfalls mitzuzählen sind Aushilfskräfte. Teilzeitbeschäftigte sind voll mitzuzählen und nicht auf Vollzeitarbeitskräfte umzurechnen.31) Nachdem das BAG einen Rechtsprechungswandel hinsichtlich der Berücksichtigung der Leiharbeitskräfte bei der Festlegung der Schwellenwerte zur Anwendung des KSchG und bei der Betriebsratswahl vollzogen hat,32) sind die i. S. des AÜG überlassenen Arbeitnehmer sowohl beim Entleiher wie beim Verleiher zu berücksichtigen. 25 Keine Arbeitnehmer sind Personen, deren Arbeitsverhältnis ruht,33) etwa Mitarbeiter in Elternzeit. Gemäß § 267 Abs. 5 HGB sind zudem nicht zu berücksichtigen die zur Berufsausbildung Beschäftigten. Weiterhin keine Mitarbeiter sind die Mitglieder der Gesellschaftsorgane.34) 26 Der Jahresdurchschnitt der beschäftigten Arbeitnehmer ist analog § 267 Abs. 5 HGB zu bilden, indem die Summe der Quartalszahlen zum 31.3., 30.6., 30.9. und 31.12. eines Jahres durch vier geteilt wird („arithmetisches Mittel“). 27 Handelt es sich bei dem vorangegangenen Geschäftsjahr um ein Rumpfgeschäftsjahr, so ist entsprechend dem Wortlaut allein dieses zur Bestimmung der durchschnittlichen Arbeitnehmeranzahl heranzuziehen.35) Der Jahresdurchschnitt ist zu bilden, indem die Summe der vorhandenen Quartalszahlen des Rumpfgeschäftsjahres durch deren Anzahl geteilt wird („zeitraumbezogener Durchschnitt“). Enthält das Rumpfgeschäftsjahr keinen einzigen der genannten Stichtage, ist die Arbeitnehmerzahl zum Abschlussstichtag entscheidend.36) 1.2
Ausnahmen von der Einsetzungspflicht
28 § 22a Abs. 3 InsO regelt drei Ausnahmen von der Verpflichtung zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Demnach ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht einzusetzen, wenn
der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist (Alt. 1),
die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist (Alt. 2) oder
die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt (Alt. 3).
29 Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass in den drei vorgenannten Fällen die Einsetzung nicht sinnvoll ist.37) Vor dem Hintergrund des Verfahrensziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ist die Einsetzung eines Gläubigerausschusses also dann geboten, wenn die Gläubiger vermutlich ein Interesse an der Mitwirkung haben werden und der ___________ 30) Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 19. 31) Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8 m. w. N. 32) BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, ZIP 2013 1442, dazu EWiR 2013, 493 (Fuhlrott); BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69/11, ZIP 2013, 1489, dazu EWiR 2013, 539 (Korff). 33) Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. 34) Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. 35) „Jahresdurchschnitt“ aus § 22a Abs. 1 Nr. 3 InsO bezieht sich insoweit auf das „vorangegangene Geschäftsjahr“ aus § 22a Abs. 1 InsO. 36) Reiner, in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 16. 37) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 25.
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mit der Einsetzung verbundene kostenmäßige und organisatorische Aufwand angesichts der Verfahrensgröße gerechtfertigt ist. Die vom Gesetzgeber gewollte Mitbestimmung der Gläubiger kann zudem mit den sehr 30 kurzfristigen Handlungserfordernissen im Insolvenzantragsverfahren kollidieren. Im Rahmen von Unternehmensinsolvenzen besteht nahezu ausnahmslos ein Zeitproblem.38) Eine Entscheidung – insbesondere zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters – unter Beteiligung von Gläubigern wird i. d. R. einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen als die unverzüglich umsetzbare alleinige Entscheidung des Richters. Das Gesetz löst diesen Konflikt durch die dem Gericht eingeräumte Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen bei einer Verzögerung von der Einsetzungspflicht abzusehen. 1.2.1 Eingestellter Geschäftsbetrieb Ein vorläufiger Gläubigerausschuss ist nicht einzusetzen, wenn der Geschäftsbetrieb des 31 Schuldners eingestellt ist. Zur Bestimmung dieses Merkmals ist auf die Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO abzustellen.39) Gegenstand dieser Rechtsprechung war die Frage, wann eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts – abweichend vom Satzungssitz – am Ort der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit gegeben ist. Im Rahmen von Firmenbestattungen wurde häufig eine Abwicklungstätigkeit fernab des ursprünglichen Wirkungskreises der Gesellschaft behauptet und eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts am Ort dieser Abwicklung in den Raum gestellt.40) Die Gerichte sind dem entgegengetreten und haben als Voraussetzung für die Zuständigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO eine werbende Tätigkeit angenommen. Eine solche Tätigkeit ist nicht mehr gegeben, wenn der Gewerbebetrieb abgemeldet ist, die bestehenden Arbeitsverhältnisse aufgelöst sind und etwa angemietete Räumlichkeiten zurückgegeben wurden,41) mithin kein Geschäftslokal mehr vorhanden ist. Reine Abwicklungstätigkeiten stellen keine werbende Tätigkeit mehr dar.42) Trotz der Abwicklungsarbeiten ist der Geschäftsbetrieb schon eingestellt. Für § 22a Abs. 3 Alt. 1 InsO ist damit auf die Ausübung einer werbenden Tätigkeit ab- 32 zustellen. Zur Bestimmung sind die vorgenannten Kriterien, welche für § 3 InsO entwickelt wurden, heranzuziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung des Merkmals ist die Entscheidungsreife des 33 Einsetzungsbeschlusses. Greift zunächst die temporäre Einsetzungssperre des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ein und ist nach deren Wegfall der Betrieb vollständig zusammengebrochen, besteht keine Pflicht zur Einsetzung eines Ausschusses.43) Da sich die Einstellung des Betriebes regelmäßig als Entwicklung verschiedener Parameter darstellt und weniger als einmaliges Ereignis, ergeben sich Abgrenzungsprobleme bezogen auf den zeitlichen Aspekt in drei Fällen: zum einen der bei Antragstellung noch werbend tätige Betrieb, dessen Einstellung aber absehbar erscheint,44) zum anderen der bereits eingestellte Betrieb, dessen Reanimation im Raum steht,45) und zum dritten der noch werbend tätige Betrieb, der nach der Einsetzung zusammenbricht. Für den ersten Fall ist zunächst festzuhalten, dass praktisch bei einer Vielzahl von Verfahren mit Insolvenzantragstellung eine Betriebseinstellung ___________ 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45)
Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037; Frind, ZInsO 2011, 757, 758; Steinwachs, ZInsO 2011, 410, 411. AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. Grundsätzlich zur Firmenbestattung: Kleindiek, ZGR 2007, 276 ff. OLG Schleswig v. 4.2.2004 – 2 W 14/04, ZIP 2004, 1476 = NZI 2004, 264; BayObLG v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, ZInsO 2003, 902, 903, dazu EWiR 2004, 763 (Pape). OLG Hamm v. 24.6.1999 – 1 Sbd 16/99, ZInsO 1999, 533, 534. AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418. AG Hamburg v. 3.5.2013 – 67c IN 161/13, ZIP 2013, 1391 = ZInsO 2013, 1804. Vgl. dazu Martini, ZInsO 2013, 1782.
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droht und es die Aufgabe des eigenverwaltenden Schuldners und des vorläufigen Sachwalters ist, den Betrieb zu stabilisieren. Maßgeblich muss es in diesem Fall also sein, dass das Gericht nach seiner Prognose bei Antragstellung es für überwiegend wahrscheinlich hält, dass der Betrieb irreversibel zum Erliegen kommen wird, weil nur dann die Sinnhaftigkeit des Ausschusses nach der Intention des Gesetzgebers nicht mehr gegeben ist.46) Andererseits kann allein die Hoffnung auf Wiederbelebung nicht die Pflicht zur Einsetzung begründen. Auch für den zweiten Fall hat das Gericht bei Antragstellung eine Prognose abzugeben, wie wahrscheinlich die Wiederaufnahme ist, weil der Gesetzgeber bei der Einsetzungspflicht hauptsächlich diejenigen Fälle erfassen wollte, bei denen es um die Sanierung von Unternehmen und den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.47) Nur wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen – etwa die erklärte Bereitschaft des Hauptkunden zur Wiederaufnahme der Warenabnahme –, dann hat das Gericht einen Ausschuss zu bestellen.48) 33a Übt der Schuldner bei Antragstellung eine werbende Tätigkeit aus und wird vom Gericht ein Gläubigerausschuss eingesetzt, muss das Unternehmen sodann im weiteren Verlauf des Antragsverfahrens aber eingestellt werden, kann das Gericht den Einsetzungsbeschluss weder aufheben49) noch den Ausschuss auflösen.50) Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a InsO finden auf den vorläufigen Gläubigerausschuss die Vorschriften der §§ 69 bis 73 InsO Anwendung. Gemäß § 70 InsO kann das Gericht bei einem einmal eingesetzten Ausschuss nur einzelne Mitglieder aus wichtigem Grund entlassen. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs ist aber kein wichtiger Grund für die Entlassung aller Mitglieder. Dem Gericht steht damit keine Befugnis zu, den Ausschuss aufzulösen. Mit Eröffnung des Verfahrens endet aber das Amt der Ausschussmitglieder automatisch. Mit der Eröffnung kann das Gericht von der (erneuten) Einsetzung des Ausschusses absehen. 1.2.2 Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf die zu erwartende Masse 34 Nach der Gesetzesbegründung ist ein Gläubigerausschuss nicht einzusetzen, wenn dies einen – bezogen auf das Restvermögen des Schuldners – unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit und Kosten verursachen würde.51) Vor diesem Hintergrund ist zu klären, welche Ermittlungen das Gericht zu den Kosten und der Insolvenzmasse vorzunehmen hat und welche Relation der Kosten zur Masse zum Ausschluss führt. 1.2.2.1
Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung
35 Nach der von Frind vertretenen Auffassung hat das Gericht zunächst die freie zur Verteilung an die Gläubiger am Ende des Verfahrens zur Verfügung stehende Masse zu prognostizieren.52) Frind stellt entgegen der gesetzlichen Definition in § 35 InsO damit nicht auf die Insolvenzmasse, sondern auf die Verteilungsmasse als Bezugsgröße ab. 36 In einem zweiten Schritt sind die Kosten für den Gläubigerausschuss abzuschätzen unter Berücksichtigung der zu erwartenden Sitzungshäufigkeiten und unter Einbeziehung der notwendigen Kosten für die Versicherung.53) ___________ 46) Ähnl. Haarmeyer/Horstkotte, ZInsO 2012, 1441, 1446; Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 25 – Ausproduktion keine werbende Tätigkeit. 47) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. 48) Ähnl. Pape, ZInsO 2013, 2129, 2131 – theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme reicht nicht. 49) So aber Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 35. 50) So Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 26. 51) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 25. 52) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254 f.; ebenso Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 27. 53) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255.
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Sodann sind die beiden Werte einem Vergleich zu unterziehen. Frind geht davon aus, dass 37 die ermittelten Kosten den Anteil von 5 % an der freien Masse nicht überschreiten dürfen.54) Da nach dieser Ansicht eine feste Quote der Masse als Schwellenwert zur Unverhältnismäßigkeit angesehen wird, soll diese Theorie hier als Fixquotentheorie bezeichnet werden. Soweit das Gericht diese Ermittlungen nicht vornehmen kann, habe es einen Sachverständigen einzusetzen.55) Das AG Ludwigshafen hat in einem Insolvenzverfahren zunächst einen vorläufigen Insol- 38 venzverwalter eingesetzt und diesen als Sachverständigen damit beauftragt, die Relation von Teilungsmasse und Kosten zu ermitteln. Auf dieser Basis ist es davon ausgegangen, dass jedenfalls bei einem zu erwartenden Anteil von 7 % der Kosten bezogen auf die Teilungsmasse eine Unverhältnismäßigkeit gegeben sei.56) 1.2.2.2
Stellungnahme
Soweit man sich nur am Wortlaut orientiert, erscheint sich daraus die vorstehend darge- 39 stellte rechnerische Ermittlung zu ergeben. Sie ist zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens praktisch aber völlig ausgeschlossen. Der abschließende Umfang der Insolvenzmasse ist noch nicht bestimmbar, der Bestand an Sicherungsrechten ist unklar, die Masseverbindlichkeiten sind nicht annähernd abschätzbar. Die Kosten für den Gläubigerausschuss können ebenfalls nicht vorhergesehen werden. Pape spricht daher zu Recht von einer unmöglichen Prognose.57) Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass das Gericht von der Bestellung 40 aufgrund der mit der Einsetzung verbundenen Verzögerung absieht58) oder einen Sachverständigen einsetzt59) oder gar von einer Unverhältnismäßigkeit ausgeht, bis ihm das Gegenteil nachgewiesen wird.60) Vielmehr ist die Vorschrift ihrem Zweck und ihrer Systematik entsprechend auszulegen. 1.2.2.3
Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit im konkreten Fall
Die Auslegung des Ausnahmetatbestandes darf nicht an dem – verunglückten – Wortlaut 41 festhalten, sondern hat sich am Telos der Norm zu orientieren.61) Bei § 22a Abs. 3 Alt. 2 InsO geht es nicht darum, rechnerisch bestimmte Bezugsgrößen 42 zu ermitteln und diese dann in ein Verhältnis zu setzen, weil dies in der praktischen Umsetzung unmöglich ist. Bei der Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit im Verhältnis zur Insolvenzmasse ist Folgendes zu beachten: Es besteht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Bei Überschreiten der Schwellenwerte nor- 43 miert § 22a Abs. 1 InsO die Pflicht zur Bestellung eines Ausschusses. Ein Abweichen kann sich daher nur dann ergeben, wenn sich im Verhältnis zum vorangegangenen Geschäftsjahr bis zur Antragstellung maßgebliche Veränderungen ergeben haben, trotz hoher Bilanzsumme keine Vermögenswerte vorhanden sind oder der Betrieb bis auf einen kleinen Teil (sonst Alt. 1) zusammengebrochen ist. Beim Antragsausschuss (§ 22a Abs. 2 InsO) liegen die Einverständniserklärungen der vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitglieder ___________ 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61)
Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255. Musterbeschluss: Frind, ZInsO 2012, 386, 387. AG Ludwigshafen v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012, 2310. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255. Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 31. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 154.
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vor. Damit gehen die Gläubiger selbst davon aus, dass für das Verfahren ein Ausschuss sinnvoll ist und dass sie daran teilnehmen würden. Dies spricht damit ebenfalls dafür, dass dann nur im Ausnahmefall davon abzusehen ist. 44 Da das Gesetz davon ausgeht, dass im Regelfall ein Ausschuss in den vorgenannten Fällen einzusetzen ist, muss der Umfang des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 InsO wegen Unmöglichkeit einer rechnerischen Ermittlung der Unverhältnismäßigkeit eingeschränkt werden.62) Die Einsetzungsausnahme bezieht sich nur auf für den Richter offensichtliche Fälle. Entgegen der in der Literatur vertretenen rechnerischen Fixquotentheorie ist zur Bestimmung die hier entwickelte Evidenztheorie anzuwenden. Der Richter hat bei seiner Entscheidung die ihm bekannten Tatsachen heranzuziehen und nur bei offensichtlichen Zweifeln an der Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung weitere eigene Ermittlungen vorzunehmen.63) Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers, der dem Schuldner – wie sich aus § 13 InsO ergibt – keine Pflicht auferlegt hat, für die Feststellung Angaben zu machen, im Gegensatz zu den Schwellenwerten oder möglichen Ausschussmitgliedern. Es gilt auch kein Beibringungsgrundsatz, mit der Konsequenz, dass die Einsetzung so lange unverhältnismäßig wäre, bis dem Gericht das Gegenteil nachgewiesen ist.64) 45 Als Insolvenzmasse ist die Insolvenzmasse gemäß § 35 InsO zu verstehen. Ein teleologisch begründetes Abstellen auf die i. d. R. kleinere Verteilungsmasse ist nicht angezeigt. Im Gläubigerausschuss sind auch die absonderungsberechtigten Gläubiger und die Arbeitnehmer vertreten. Ein Abstellen auf die Verteilungsmasse würde zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass bei Masseunzulänglichkeit kein Ausschuss eingesetzt werden dürfte, weil die Kosten höher als diese Masse wären. Ein Verbot der Ausschusseinsetzung bei absehbarer Masseunzulänglichkeit wird den Interessen dieser Gruppen auch bei diesen Verfahren nicht gerecht.65) 46 Eine fixe Größe einer zu erwartenden Insolvenzmasse, bei deren Unterschreiten eine Ausschusseinsetzung unverhältnismäßig ist, kann wegen der Vielfältigkeit der Verfahrenskonstellationen nicht bestimmt werden.66) Zudem ist das Vermögen nicht als statische, sondern als variable Größe zu sehen, die durch das Handeln des vorläufigen Verwalters im Zuge einer Betriebsfortführung gerade erhöht werden soll. 47 Jedenfalls wenn aufgrund der Eigenangaben und bekannten Tatsachen Zweifel daran bestehen, ob angesichts der noch vorhandenen Masse die Verfahrenskosten gedeckt sind, ist es – um der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens gerecht zu werden – nicht zielführend, einen Gläubigerausschuss einzusetzen, der dann zur Abweisung mangels Masse führt.67) 48 Soweit keine Zweifel an der Verfahrenskostendeckung bestehen, ist die Einsetzung dennoch unverhältnismäßig, wenn im konkreten Einzelfall neben einem geringen liquidierbaren Vermögen auch der Geschäftsumfang und damit die zukünftige Wertschöpfung gering sind oder der Erhalt des Unternehmens sehr unwahrscheinlich ist. Als Indizien können eine Ist-Masse bei Antragstellung von weniger als 50.000 EUR, fünf oder weniger ___________ 62) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 65; a. A. Beth, ZInsO 2012, 1974, 1979 – Ermittlungspflicht nicht eingeschränkt. 63) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1810; a. A. Beth, ZInsO 2012, 1974, 1979, der dabei Haftungsgefahren des Insolvenzgerichts sieht. 64) So aber: Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 31; dagegen auch Beth, ZInsO 2012, 1974, 1979. 65) Die Masseunzulänglichkeit steht der Einsetzung des Ausschusses und seiner weiteren Arbeit nicht entgegen; vgl. Hefermehl, in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 44. 66) Pape, ZInsO 2013, 2129, 2131 – fraglich, ob Quotientenrechnung geeignet und ausreichend. 67) So zumindest auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
Mitarbeiter, irreversibel gekündigte Betriebsräume oder nicht mehr vorhandene Aufträge herangezogen werden. Angesichts der Einsetzungspflicht schafft die Vorschrift ein Korrektiv, welches dem Richter 49 eine Handhabe eröffnet, mit der er in offensichtlichen und für ihn augenfälligen Fällen nicht zur Bestellung eines Gläubigerausschusses gezwungen sein soll, obwohl er klar erkennt, dass ein Ausschuss bei einem Verfahren dieser aktuell geringen Größenordnung nicht angezeigt ist. Praxistipp: Angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit in Bezug auf diesen Einsetzungs- 50 ausschluss68) ist es dem Berater zu empfehlen, im Insolvenzantrag auch Angaben zum Verhältnis einer möglichen Masse zu den Kosten eines Gläubigerausschusses zu machen.69) 1.2.3 Nachteilige Veränderung der Vermögenslage durch die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung Um zu verstehen, wann eine mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nach- 51 teiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, muss man sich den Gesamtkontext der Gläubigerausschussbestellung vergegenwärtigen. Zielsetzung der Regelungen ist es, die Gläubigerbeteiligung bei der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters/ Sachwalters auszubauen. Das Insolvenzgericht hat daher auf einen zulässigen Insolvenzantrag hin zunächst zwingend über die Einsetzung eines Gläubigerausschusses zu entscheiden und sodann in einem weiteren Schritt einen vorläufigen Insolvenzverwalter/Sachwalter zu bestellen. Insbesondere bei Insolvenzverfahren mit laufendem Geschäftsbetrieb besteht aber die 52 Notwendigkeit, klare und schnelle Entscheidungen zu treffen in Bezug auf Kunden, Lieferanten und Entgeltansprüche der Arbeitnehmer.70) Damit ist eine zügige Entscheidung zur Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters erforderlich. Die Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters nimmt aber Zeit in Anspruch, weil das Gericht gerade nicht alleine entscheiden kann. Wie sich aus dem Regelungszusammenhang der §§ 22a, 56a InsO ergibt, nimmt der Gesetzgeber allerdings bewusst in Kauf, dass die Bestellung des vorläufigen Sachwalters mit Beteiligung des Ausschusses einen längeren Zeitraum beansprucht als eine Bestellung allein durch das Gericht. Diese grundsätzliche Inkaufnahme der Verzögerung durch den Gesetzgeber ist bei der Auslegung von § 22a Abs. 3 InsO zu berücksichtigen. Es ist also weder generell davon auszugehen, dass bei laufendem Geschäftsbetrieb immer die Ausnahme von der Bestellungspflicht eingreift,71) noch andererseits der Geschäftsbetrieb führungslos tagelang „dahindümpelt“.72) § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO regelt den Fall, dass der Ausschuss nicht zeitnah eingesetzt werden 53 kann und damit keine Bestellung des vorläufigen Sachwalters möglich ist. Nur unter dieser Voraussetzung entbindet die Norm von der Einsetzungspflicht. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Ausschuss zwar kurzfristig eingesetzt werden kann, aber seine Anhörung offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt.73) Hier kann das Gericht gemäß § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO von der Anhörung des bereits vorher bestellten vorläufigen Gläubigerausschusses absehen. ___________ 68) 69) 70) 71) 72) 73)
Vgl. insoweit die Ansicht von Beth, ZInsO 2012, 1974, 1976. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 155. Vgl. Pechartscheck/Zupancic, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 3 ff. In diese Richtung BAKinso, ZInsO 2011, 2223; darstellend auch Frind, ZInsO 2011, 757, 758. So die Befürchtung von Frind, ZInsO 2011, 757, 758. Wie hier Frind, ZInsO 2011, 757, 758.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
54 In einem ersten Schritt ist eine mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu ermitteln. Diese kann aus folgenden Gründen eintreten:
Zunächst kann Unklarheit bestehen über das Erreichen der Schwellenwerte und die damit einhergehende Einsetzungspflicht, weil der Schuldner entweder die Angaben nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO nicht erteilt hat oder das Gericht Zweifel an den (lückenhaften) Angaben des Schuldners hat und aus den vorgelegten Unterlagen nicht sicher auf die Werte schließen kann. Im zuerst genannten Fall der fehlenden Angaben ist der Antrag unzulässig.74) Das Insolvenzgericht hat den Schuldner zu unterrichten und auf die Stellung eines zulässigen Antrags hinzuweisen. Im zweiten Fall muss das Gericht abschätzen, wie schnell es die Angaben vom Schuldner erlangen kann. Eine pauschale Aussage verbietet sich, weil in dieser Konstellation eine kurze telefonische Nachfrage Klarheit schaffen kann, in anderen Fällen das Gericht anhand des Antrags i. Ü. erkennen muss, dass eine strukturierte Aussage von den Geschäftsführern kurzfristig nicht zu erlangen sein wird.
Hauptanwendungsfall der Regelung des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ist, dass dem Gericht die notwendigen Tatsachen für die Entscheidung über die Besetzung des Ausschusses fehlen. Auch hier ist danach zu differenzieren, ob die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO gänzlich fehlen (dann Unzulässigkeit des Insolvenzantrags) oder ob sie unvollständig sind. Darüber hinaus kann das Gericht Zweifel daran haben, ob es mit den Angaben eine korrekte Abbildung der Gesamtgläubigerschaft sicherstellen kann. Weiterhin können dem Gericht schlicht Angaben fehlen zu dem zu bestellenden Arbeitnehmervertreter oder sonstigen Ansprechpartnern der Gläubiger. Wiederum hat das Gericht abzuschätzen, wie lange entsprechende Nachfragen beim Schuldner dauern werden.
Weiterhin ist abzuschätzen, welchen Zeitaufwand Amtsannahme der Mitglieder und Konstituierung des gesamten Ausschusses in Anspruch nehmen. Dies ist kein Problem bei beigefügten Einverständniserklärungen der Bestellten. Kann das Einverständnis mit der Bestellung nicht telefonisch erfragt werden, muss hier ebenfalls zusätzliche Zeit für die Rückmeldung eingerechnet werden.
55 In einem zweiten Schritt ist festzustellen, ob diese Verzögerungen in Zusammenschau mit der damit verbundenen verzögerten Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage führen. Eine abstrakte Gefahr ist immer vorhanden, hier aber nicht beachtlich. Vielmehr kommt es darauf an, ob konkret Nachteile zu befürchten sind.75) Maßgeblich ist dabei neben der Größe des Unternehmens die Gewähr einer kurzfristigen Fortführung und Sicherung durch die Organe der Gesellschaft und v. a. auch die Publizität der Antragstellung.76) 56 Im Geschäftsverkehr ist nicht jede Antragstellung sofort bekannt.77) Soweit aber in der Öffentlichkeit Kenntnis von der Insolvenzantragstellung herrscht, weil das Unternehmen wegen seiner Börsennotierung etwa eine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben muss, erfordert die Sicherung des Vermögens die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters am gleichen Tag. Für die Praxis ist damit davon auszugehen, dass bei einer solchen Gesellschaft konkret begründete Vorschläge zu den Mitgliedern des Ausschusses gemacht werden sowie die Ansprechpartner mit allen verfügbaren Kontaktdaten und Einverständniserklärungen benannt sein müssen. Außerdem muss dem Gericht dargelegt werden, dass der Ausschuss ___________ 74) 75) 76) 77)
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So auch Obermüller, ZInsO 2012, 18, 19. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1810. Vgl. den Sachverhalt des AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418. Anders Frind, ZInsO 2011, 757, 758.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
entweder als „mitgebrachter“ Ausschuss direkt im Gericht oder i. R. einer Telefonkonferenz innerhalb weniger Stunden entscheiden kann. Für das Normalverfahren unter Berücksichtigung weitestgehend rechtzeitiger Antrag- 57 stellung ist zunächst davon auszugehen, dass durch die Geschäftsführung kurzfristig für zwei bis fünf Tage die Fortführung des Geschäftsbetriebs und das Vermögen gesichert werden können, soweit der Insolvenzantrag nicht publik gemacht worden ist. Soweit das Gericht also zur Überzeugung kommt, dass innerhalb dieser Frist eine Entscheidung vorliegen wird, hat es den Ausschuss zu bestellen. Ansonsten hat es davon abzusehen und unmittelbar den vorläufigen Sachwalter einzusetzen. Bei einem nicht offensichtlich aussichtslosen Antrag auf Eigenverwaltung soll das Gericht davon absehen, ein allgemeines Verfügungsverbot zu erlassen oder einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen. Nachdem der Schuldner das Unternehmen ohnehin selbst fortführen muss, kann auch für die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters eine größere Zeitspanne zur Verfügung stehen. Branchenabhängig kann etwas anderes gelten etwa in Geschäftsfeldern, bei denen in grö- 58 ßerem Umfang Insolvenzforderungen befriedigt und andererseits neue Forderungen begründet werden.78) Praxistipp: Nachdem der Schuldner bei der Eigenverwaltung eine Sanierung in Zusammen- 59 arbeit mit den wesentlichen Gläubigergruppen anstrebt, sollte er bei Überschreiten der Schwellenwerte nicht nur die verpflichtenden Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO erteilen, sondern zusätzlich die Einsetzung eines Gläubigerausschusses mit den Gläubigern abstimmen und Einverständniserklärungen vorlegen. Zur Steuerung des Prozesses ist es notwendig, dass sich der zukünftige vorläufige Gläubigerausschuss bereits vor Insolvenzantragstellung zusammensetzt und Entscheidungen zum Personal- und Profilvorschlag trifft.79) Zu empfehlen ist in jedem Fall auch die vorherige Abstimmung der Insolvenzantragstellung, der Einsetzung des Gläubigerausschusses und der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters mit dem Gericht.80) Für den Gläubigervertreter bei einer Gesellschaft, die die Schwellenwerte überschreitet, 60 ist zunächst gegenüber dem Schuldner darauf hinzuwirken, dass durch ihn Personen für einen Ausschuss benannt werden. Wenn sich der Schuldner dem verschließt und unklare Angaben gemäß § 13 InsO macht, wird das Gericht im Ergebnis gezwungen sein, § 22 Abs. 3 Alt. 3 InsO anzuwenden.81) Ob der Gläubiger i. R. einer „Schutzschrift“ seine Bereitschaft zur Mitwirkung bei Gericht vortragen kann, ist unklar.82) Jedenfalls wird die Wirkung der Schutzschrift begrenzt sein, weil für das Gericht unklar bleibt, wie es die anderen notwendigen Mitglieder ermitteln soll. 1.3
Tatsachenermittlungen zu den Schwellenwerten
Dem Gericht müssen diejenigen Tatsachen mitgeteilt werden, die notwendig sind, um 61 über die Einsetzung eines vorläufigen Ausschusses entscheiden zu können. Dies betrifft sowohl die Schwellenwerte als auch die Besetzung des Ausschusses, weil die Einsetzung zwingend auch die Besetzung bedeutet. ___________ 78) 79) 80) 81) 82)
Vgl. den Fall des AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 68, spricht von präsumtiver Beschlussfassung. Ausf. dazu: Buchalik/Lojowsky, ZInsO 2013, 1017. Pape sieht daher erhebliche Manipulationsgefahren, Pape, ZInsO 2011, 1033, 1036. Für eine Schutzschrift gegen den Antrag auf Eigenverwaltung: AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390, dazu EWiR 2013 625 (Leib/Rendels); Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 270, 270a Rz. 56.
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1.3.1 Schuldnerangaben gemäß § 13 InsO 1.3.1.1
Angaben und Unterlagen
62 Die Regelungen des § 13 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 InsO sehen für den Schuldner verschiedene Angaben und Unterlagen vor, die er je nach Fallkonstellation erteilen bzw. einreichen muss oder soll, und zwar
in jedem Fall ein Verzeichnis der Gläubiger mit ihren Forderungen, § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO,
bei laufendem Geschäftsbetrieb Kenntlichmachung besonderer Gläubigergruppen, § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO, um dem Gericht die Identifikation derjenigen Personen, die zu Gläubigerausschussmitgliedern bestellt werden können, zu ermöglichen (siehe daher genauer Rz. 127), und
Angaben zu den Schwellenwerten, § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO, um dem Gericht die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen für § 22a Abs. 1 InsO zu geben.
63 Die Angaben zu den Schwellenwerten sind bei laufendem Geschäftsbetrieb verpflichtend. Nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO hat der Schuldner „in diesem Fall“ Angaben zu den Schwellenwerten zu machen. Teilweise wird daraus der Schluss gezogen, dass der Schuldner diese Angaben nur zu erteilen hat, wenn die Angaben nach § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO verpflichtend sind, was wiederum das Vorliegen der Kriterien des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO voraussetzt.83) Dies ist nicht zutreffend. Die Formulierung „in diesem Fall“ bezieht sich auf das Vorhandensein eines Geschäftsbetriebs, der nicht eingestellt ist, § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO. Dies ergibt sich aus dem Sinn der Norm. Gemäß § 22a Abs. 1 InsO hat das Gericht bei laufendem Geschäftsbetrieb stets zu prüfen, ob die Schwellenwerte überschritten sind.84) Es benötigt daher in diesem Fall auch die entsprechenden Informationen. 64 Es ist damit festzuhalten, dass in jedem Insolvenzantrag anzugeben ist, ob der Geschäftsbetrieb noch läuft oder schon eingestellt ist. Wenn der Betrieb noch läuft, müssen Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer gemacht werden. 1.3.1.2
Genauigkeit der Angaben
65 Im Rahmen seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflicht hat der Schuldner richtige und vollständige Auskünfte zu erteilen.85) Andererseits würde die Verpflichtung zur richtigen und vollständigen Auskunftserteilung die Anforderungen an einen zulässigen Insolvenzantrag so weit erhöhen, dass in der Praxis eine Vielzahl von Anträgen unzulässig wäre.86) Darüber hinaus ist eine absolute Richtigkeit für den Zweck der Auskünfte nicht dienlich. 66 Demgemäß ist es für das Gläubigerverzeichnis unschädlich, wenn einzelne Gläubiger oder einzelne Forderungen fehlen. Zwangsläufig gibt es in jedem laufenden Betrieb nachlaufende Rechnungen, die zu einem bestimmten Stichtag nicht eingebucht sind und damit auch in einem Gläubigerverzeichnis fehlen. Die Höhe der Forderungen kann geschätzt werden. Eine vollständige Bezifferung ist nicht erforderlich.87) ___________ 83) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253. 84) So auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253, der daraus aber den Schluss zieht, dass das Gesetz einen Konstruktionsfehler enthält, wobei zuzugeben ist, dass sinnvollerweise im Gesetz die Sätze 5 und 4 in umgekehrter Reihenfolge hätten stehen sollen. 85) Vgl. § 20 Abs. 1, §§ 97, 98 InsO. 86) Frind, ZInsO 2011, 373, 375. 87) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
Für die Schwellenwerte ist Folgendes festzuhalten: Liegt für das vorangegangene Geschäfts- 67 jahr ein Jahresabschluss vor, enthält dieser die Bilanzsumme, regelmäßig die Umsatzerlöse88) und auch die Anzahl der Arbeitnehmer.89) Der Schuldner kann die zu beziffernden Angaben dem Jahresabschluss entnehmen und diesen als Beleg dem Gericht vorlegen. Liegt kein Jahresabschluss vor, sind die Angaben vom Schuldner zu schätzen.90) Dazu 68 sind die einzelnen Vermögenspositionen der Aktivseite einer Bilanz entsprechend § 266 HGB zu addieren. Zur Ermittlung der Einzelwerte ist für das Anlagevermögen auf das Anlagenverzeichnis des letzten Abschlusses abzüglich der Abgänge und Abschreibungen und zuzüglich der Zugänge abzustellen. Auf die Passivseite muss nicht eingegangen werden, weil ein negatives Eigenkapital ohnehin abzuziehen ist. Problematisch ist der Fall, wenn die Gesellschaft trotz bestehender Buchführungspflicht 69 gar keine Buchführung erstellt hat oder – wie in Fällen der Firmenbestattung – keine Unterlagen mehr vorhanden sind. Nachdem gerade auch in diesen Fällen ein zulässiger Antrag geboten ist, um zeitnah Ermittlungen zugunsten der Gläubiger aufnehmen zu können,91) muss bei fehlender Buchhaltung auch die Angabe genügen, dass die Schwellenwerte nicht überschritten sind. Besteht bei Freiberuflern keine Bilanzierungspflicht, können sie nur Angaben zu den 70 Umsatzerlösen und der Arbeitnehmeranzahl erteilen. 1.3.1.3
Erklärung zur Richtigkeit und Vollständigkeit
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO hat der Schuldner eine Erklärung abzugeben, dass die An- 71 gaben richtig und vollständig sind. Es wird ausdrücklich keine Versicherung an Eides statt verlangt, um für die Antragstellung keine abschreckende Wirkung zu erzeugen und dadurch vielmehr eine frühzeitige Antragstellung zu fördern.92) 1.3.1.4
Rechtsfolgen fehlender oder unvollständiger Angaben
Die gemäß § 13 Abs. 1 InsO zu erteilenden Angaben und beizufügenden Unterlagen sind 72 Bestandteil des Insolvenzantrags. Ihr Fehlen führt damit zur Unzulässigkeit93) und als Folge ggf. zur Strafbarkeit gemäß § 15a Abs. 4 InsO wegen „nicht richtigem“ Insolvenzantrag. Fraglich ist, wo die Schwelle zur Unzulässigkeit anzulegen ist. Eine Unzulässigkeit des Antrags ist immer verbunden mit einer Verzögerung der Vermögensaufklärung. Zudem verringern sich auch die Sanierungschancen, wenn sich die Einleitung des Verfahrens verzögert, weil das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist.94) Andererseits gibt das Gericht mit der Zulassung des Insolvenzantrags ein Mittel aus der Hand, den Schuldner zu vollständigen Angaben zu bewegen, weil ihn nur ein zulässiger Antrag von der Insolvenzantragspflicht befreit. Wegen der Sanierungs- und Ordnungsfunktion ist eine Unzulässigkeit des Antrags nur 73 anzunehmen, wenn die Angaben und Unterlagen gänzlich fehlen.95) Dies stellt für das ___________ 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95)
Ausnahmen sind möglich gemäß § 276 HGB. Es handelt sich um eine Pflichtangabe im Anhang gemäß § 285 Satz 1 Nr. 7 HGB. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. AG Ludwigshafen v. 2.10.2012 – 3a IN 186/12, ZInsO 2012, 2057; Pape, ZInsO, 2013, 2129, 2131. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. Linker, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 30 – Anwendung mit Augenmaß. So auch Pape, ZInsO 2011, 1033, 1035, der eindringlich davor warnt, dass bei „kleinlicher Betrachtungsweise“ Sanierungsmöglichkeiten gefährdet werden.
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Gläubigerverzeichnis die Begründung des Gesetzes klar.96) Für die Schwellenwerte ist auch nur dann von einer Unzulässigkeit auszugehen, wenn keine Angaben erteilt werden. 1.3.2 Maßnahmen des Gerichts zur Ermittlung der Schwellenwerte 74 In der Literatur ist die Prüfungstiefe für das Gericht bezogen auf die Schwellenwerte umstritten. Nach einer Auffassung muss sich das Gericht davon überzeugen, dass die Voraussetzungen für einen Pflichtausschuss vorliegen. Es habe daher Ermittlungen zur Höhe der Bilanzsumme, der Umsatzerlöse und der Arbeitnehmeranzahl vorzunehmen und muss v. a. die Angaben des Schuldners verifizieren, weil diese Angaben vom Schuldner nur als richtig versichert werden müssen und die Richtigkeit nicht an Eides statt zu versichern ist.97) Andere sehen es hingegen als völlig verfehlt an, eine solche „Prüfungsorgie“ zu veranstalten.98) Das Gericht habe die Angaben auf Plausibilität zu prüfen und im Zweifel als richtig zu unterstellen. 75 Zur Bestimmung der Prüfungstiefe sind drei Aspekte von Bedeutung:
Zum einen werden sich dann keine Probleme ergeben, wenn durch den Schuldner ein Jahresabschluss vorgelegt werden kann. Darüber hinaus besteht für das Gericht jederzeit die Möglichkeit, Bilanzen im Unternehmensregister abzurufen, soweit die Gesellschaft der Veröffentlichungspflicht nachgekommen ist. Soweit ein Jahresabschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr noch nicht vorliegt, ist der Jahresabschluss für den vorhergehenden Stichtag vorzulegen und eine Erklärung abzugeben, ob und in welcher Art und Weise sich die wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben.
Die Angaben dienen der gemäß § 22a Abs. 1 InsO zu treffenden Entscheidung. Die Einsetzung des Ausschusses hat nach der Vorstellung des Gesetzgebers sehr schnell zu erfolgen, damit er an der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters mitwirken kann. Dieses Ziel kann aber nicht erreicht werden, wenn die Schwellenwerte zur Überzeugung des Gerichts entsprechend § 286 ZPO gegeben sein müssen.99) Es genügt vielmehr, wenn auf Basis der plausiblen Schuldnerangaben durch das Gericht die Überschreitung der Schwellenwerte festgestellt wird.
Entscheidungserheblich ist nur das Vorliegen oder Nichtvorliegen von zwei der drei Schwellenwerte. Soweit das Gericht zwar erkennt, dass die Angaben des Schuldners nicht richtig sind, in jedem Fall aber klar ist, dass die Schwellenwerte nicht erreicht werden, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen.100)
76 Maßstab für die Entscheidung des Gerichts sind also die Angaben des Schuldners i. R. des Insolvenzantrags. Das Gericht kann sich zur Prüfung gemäß § 20 InsO den Jahresabschluss vorlegen lassen oder ergänzende Angaben verlangen. In besonderen Zweifelsfällen könnte auch die Einsetzung eines Sachverständigen gemäß § 5 InsO in Frage kommen, wobei das Gericht dabei zu berücksichtigen hat, dass es damit der Intention des Verfahrensschritts nicht gerecht wird. 77 Kommt das Gericht auf der Basis der Schuldnerangaben und des Jahresabschlusses zum Ergebnis, dass die Schwellenwerte überschritten sind, hat es – um einen Ausschuss einsetzen
___________ 96) 97) 98) 99)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. Frind, in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 7. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 19. Vgl. BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, ZIP 2003, 358, 359 – Schlüssigkeit bei Schuldnerantrag nicht erforderlich, dazu EWiR 2003, 589 (Gundlach/Frenzel). 100) AG Ludwigshafen v. 2.10.2012 – 3a IN 186/12, ZInsO 2012, 2057.
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zu können – festzustellen, welche Mitglieder zu berufen sind. Soweit die Schwellenwerte nicht überschritten sind, wird das Gericht dies mit einem Vermerk in den Akten festhalten. 2.
Antragsausschuss
Das Gericht kann nach pflichtgemäßem Ermessen Sicherungsmaßnahmen anordnen. Um 78 die Einbeziehung der Gläubiger auch in kleinen oder mittleren Insolvenzverfahren zu fördern, sieht § 22a Abs. 2 InsO die Möglichkeit vor, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu beantragen.101) Praxistipp: Auch bei Unternehmen oberhalb der Schwellenwerte ist die Beantragung des 79 Gläubigerausschusses durchaus empfehlenswert. Vor allem ist es sinnvoll, dem Gericht entsprechend § 22a Abs. 2 InsO Mitglieder für den Ausschuss vorzuschlagen und Einverständniserklärungen beizufügen. Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu Verzögerungen kommt, die zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage i. S. des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO führen.102) 2.1
Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags
2.1.1 Antragsberechtigung Antragsberechtigt ist der Schuldner. Bei juristischen Personen ist damit jeder organ- 80 schaftliche Vertreter mit Alleinvertretungsbefugnis antragsberechtigt. Für eine Anwendung der Schutzvorschrift des § 15 Abs. 2 InsO ist hier kein Bedürfnis. Die Einleitung des Verfahrens bedarf wegen des besonderen Einschnitts in die Vermögenslage besonderer Anforderungen, die für den Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses nicht nötig sind. Bei Führungslosigkeit ist jeder Gesellschafter antragsbefugt, wie aus § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO abzuleiten ist.103) Antragsberechtigt ist weiter der vorläufige Insolvenzverwalter. Er wird den Antrag stellen, 81 wenn bereits im Antragsverfahren maßgebliche Entscheidungen zu treffen sind oder zur Abstimmung der Sanierungsmaßnahmen die Einsetzung zweckdienlich und aufgrund der Verfahrensgröße die Gläubigerbeteiligung geboten erscheint. Daneben kann jeder Gläubiger Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses stellen. 82 Erfasst sind damit die Insolvenzgläubiger. Im Gegensatz zur Insolvenzantragstellung104) ist die Fälligkeit der Forderung nicht notwendig. Wie bei der Insolvenzantragstellung105) ist auch ein Antrag eines nachrangigen Gläubigers möglich.106) Nicht notwendig ist, dass der antragstellende Gläubiger selbst Mitglied werden will bzw. vom Gericht zum Mitglied bestellt wird. Der Antragsteller kann damit das Gericht also nicht in Bezug auf seine eigene Bestellung zum Mitglied präjudizieren. Erforderlich ist aber, dass er für einen ausgewogen besetzten Ausschuss Mitglieder vorschlägt und deren Einverständniserklärungen beifügt. Umstritten ist, ob damit auch absonderungsberechtigte Gläubiger und spätere Insol- 83 venzgläubiger oder Massegläubiger den Antrag stellen können.107) Für absonderungsbe___________ 101) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33; Musterantrag: Haarmeyer, ZInsO 2012, 370. 102) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 20. 103) Str.; für eine Aktivlegitimation Linker, in: HambKomm-InsO, § 13 Rz. 18; gegen eine Aktivlegitimation zumindest beim Fremdantrag Schmerbach, in: Wimmer, InsO, § 14 Rz. 36. 104) Fälligkeit der Forderung beim Gläubigerantrag: BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 = ZInsO 2007, 939, 941, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder). 105) BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055, dazu EWiR 2010, 819 (Gundlach/Müller). 106) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 20. 107) Bejahend Obermüller, ZInsO 2012, 18, 20; verneinend für spätere Insolvenzgläubiger und Massegläubiger Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253.
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rechtigte Gläubiger und spätere Insolvenzgläubiger ist dies zu bejahen, da sie auch zu Mitgliedern bestellt werden können bzw. sollen. Einen Massegläubiger gibt es i. d. R. unmittelbar nach Insolvenzantragstellung noch nicht. Es erscheint zweifelhaft, wie eine Person geltend machen kann, dass sie sicher zum Massegläubiger wird.108) Ein Antragsrecht für vermutliche Gläubiger ist aber nicht vorgesehen. 84 Ob es sich bei dem Antragsteller tatsächlich um einen Gläubiger handelt, kann zunächst durch Abgleich mit dem vom Schuldner stets einzureichenden Gläubigerverzeichnis abgeklärt werden. Soweit dies, etwa beim Antrag eines (anderen) Gläubigers, nicht möglich ist oder der Antragsteller im Verzeichnis nicht enthalten ist, hat das Gericht einen entsprechenden Nachweis anzufordern. 2.1.2 Benennung geeigneter Personen und Einverständniserklärung 85 Der Antrag ist nur zulässig, wenn mit ihm Personen benannt werden, die als Mitglieder in Betracht kommen, und entsprechende Erklärungen beigefügt sind, wonach mit der Bestellung Einverständnis besteht. Mit dieser Antragsvoraussetzung soll das Insolvenzantragsverfahren nicht dadurch belastet werden, dass das Gericht zunächst nach geeigneten Mitgliedern suchen und ihr Einverständnis erfragen muss. Diese Verpflichtung obliegt daher nach der Intention des Gesetzgebers demjenigen, der im jeweiligen Verfahren den Ausschuss eingesetzt haben möchte. Beim Gläubigerantrag korrespondiert die weite Antragsberechtigung auf der einen Seite (jeder Gläubiger) mit der hohen Hürde der Benennungspflicht auf der anderen Seite, um damit das zutreffende Maß an Mitwirkungsrecht durch Beantragung eines Gläubigerausschusses herzustellen. Beim Schuldnerantrag besteht damit natürlich ein hohes Gestaltungs- bis hin zum Missbrauchspotential, so dass das Gericht die Schuldnervorschläge sorgfältig zu prüfen hat. 86 Der Antragsteller hat die Pflicht, einen vollständigen Gläubigerausschuss unter Beachtung der Vorgaben des § 67 Abs. 2 InsO zu benennen.109) Zu weitgehend ist es aber, den Antrag erst dann als zulässig anzusehen, wenn der Antragsteller die nach Ansicht des Gerichts richtigen Mitglieder vorschlägt. Notwendig aber auch ausreichend für die Zulässigkeit des Antrags ist es, dass der Antragsteller einen repräsentativen Ausschuss vorschlägt. Soweit das Gericht weitere oder andere Mitglieder einsetzen möchte, ist es darin frei, kann aber aus diesem Grunde nicht den Antrag als unzulässig zurückweisen. 87 Der Antrag muss nicht stets zu allen vier Gruppen des § 67 Abs. 2 InsO einen Vorschlag machen, um zulässig zu sein.110) Im Einzelfall könnten auch drei Vorschläge reichen, etwa wenn die Bank gleichzeitig absonderungsberechtigter Gläubiger und unter Abzug des Sicherungsrechts größter Einzelgläubiger ist und weitere Großgläubiger nicht vorhanden sind. Dem Antragsteller ist freilich ein solches Vorgehen nicht anzuraten. Auf der anderen Seite ist der Antrag nicht per se zulässig, wenn zu jeder Gruppe ein Vertreter benannt wurde. Wird als Mitarbeiter die Ehefrau angegeben und als Kleingläubiger die Mutter des Schuldners, kann sich daraus die Unzulässigkeit ergeben, wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die Gläubigerschaft nicht ausreichend repräsentiert wird. 88 Der Antragsteller – auch der Gläubiger – muss sich damit einen Überblick über die gesamte Gläubigerstruktur verschaffen, um entsprechende Vorschläge gegenüber dem Ge___________ 108) Denkbar ist allenfalls der Fall, dass ein vorläufiger starker Verwalter bestellt wurde. Dann ist aber zu fragen, warum der Massegläubiger ein Antragsrecht für den Ausschuss erhalten soll, nachdem er – jedenfalls vom Grundsatz her – zu bezahlen ist. 109) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 34; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253; AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; a. A. Römermann, ForderungsPraktiker 2012, 8, 9 – zwei Mitglieder als Untergrenze. 110) So aber Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253.
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richt machen zu können. Dies schränkt die Möglichkeit der Antragstellung für den einzelnen Gläubiger stark ein, ist aber hinzunehmen.111) Weiterhin müssen dem Antrag die Einverständniserklärungen der zukünftigen Mitglie- 89 der beigefügt sein. Erforderlich ist, dass es sich um eine schriftliche Einverständniserklärung handelt, d. h. eine Erklärung per E-Mail genügt nicht. Teilweise wird gefordert, dass diese im Original oder in beglaubigter Abschrift dem Gericht vorgelegt werden muss.112) Dem ist nicht zu folgen. Gemäß § 131 ZPO sind Urkunden in Urschrift oder in Abschrift beizufügen. Eine Kopie – auch per Telefax – genügt. Eine Originalvorlage ist weder zweckdienlich noch erforderlich. Zum einen würde dadurch bei dem mit der Insolvenzantragstellung verbundenen Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses ein Formerfordernis aufgestellt, was der gesetzlichen Intention der Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung zuwiderläuft. Zum anderen besteht auch keine Notwendigkeit der Originalvorlage. Wenn die Erklärung gefälscht ist, hat das Mitglied keine Amtsannahme erklärt und kann folglich die Annahme ablehnen. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, die Bestellung des gesamten Ausschusses wieder aufzuheben. Wesentliche Vorteile wird der „Fälscher“ in der Zwischenzeit nicht erlangen, weil der Ausschuss keine Beschlüsse fasst. Es droht vielmehr die Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung. 2.1.3 Weitere Antragserfordernisse Der Antrag unterliegt den allgemeinen Voraussetzungen für Prozesshandlungen. Fer- 90 ner muss der Antragsteller partei- und prozessfähig sowie ordnungsgemäß vertreten sein. Der Antrag ist bedingungs- und befristungsfeindlich, kann also etwa nicht nur gestellt werden unter der Bedingung, dass das Gericht einen Ausschuss mit genau den benannten Personen bestellt. Des Weiteren ist der Antrag schriftlich zu stellen; die Übersendung via Telefax genügt. Fraglich ist, ob der Gläubiger seinen Antrag vor der Stellung des Insolvenzantrags stellen 91 kann. Der Gläubiger wird über die Insolvenzantragstellung nicht unterrichtet. Wenn er davon erfährt, ist regelmäßig ein vorläufiger Verwalter bereits bestellt. Wenn die Gläubiger bei der Auswahl des Verwalters mitbestimmen wollen, kommt ihr Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses regelmäßig zu spät. Dennoch kann aus verfahrensrechtlichen Gründen ein Antrag immer erst dann gestellt werden, wenn bereits ein Insolvenzantrag vorliegt.113) Dem oder den Gläubigern bleibt damit nur die Möglichkeit, entweder mit dem Schuldner zu vereinbaren, dass der Einsetzungsantrag der Gläubiger gemeinsam mit dem Insolvenzantrag gestellt wird, oder aber dem Gericht – freilich ohne Bindungswirkung – einen Vorschlag für die Bestellung eines Verwalters vorzulegen. 2.2
Ausnahmen von der Einsetzung beim Antragsausschuss
Die Ausschlusstatbestände des § 22a Abs. 3 InsO gelten gleichermaßen für den obligato- 92 rischen Gläubigerausschuss wie für den Antragsausschuss.114) Auf die obigen Ausführungen (siehe Rz. 28) kann damit vollumfänglich verwiesen werden. Gerade für den Antragsausschuss – der auch in Verfahren mit sehr geringen Unternehmens- 93 größen gestellt werden kann – ist es notwendig, vor der Bestellung zu prüfen, ob der Aus___________ 111) 112) 113) 114)
A. A. Martini, ZInsO 2013, 1782, 1784. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253. A. A. Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 7. AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; a. A. Haarmeyer/ Horstkotte, ZInsO 2012, 1441, 1445.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
schuss für das konkrete Verfahren sinnvoll ist. Dies ist gemäß § 22a Abs. 3 Alt. 1 InsO bei eingestelltem Geschäftsbetrieb i. d. R. nicht der Fall.115) 94 Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse (§ 22a Abs. 3 Alt. 2 InsO) ist auch für den Antragsausschuss von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis auszugehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll grundsätzlich bei Beantragung ein Ausschuss eingesetzt werden. Das Vorliegen der Unverhältnismäßigkeit stellt die Ausnahme dar, weil sich i. R. der Einverständniserklärungen die Gläubigergruppen gemäß § 67 Abs. 2 InsO für den Ausschuss und seine Sinnhaftigkeit in dem konkreten Verfahren aussprechen. Nur ein solches Verständnis der Norm ermöglicht es, bei Zweifeln an der Verfahrenskostendeckung oder bei geringem liquidierbaren Restvermögen und geringem Geschäftsumfang die Einsetzung zu verweigern.116) Die Schwelle zur Verhältnismäßigkeit darf allerdings nicht zu hoch angesetzt werden. 95 Die Anwendung der dritten Alternative des § 22a Abs. 3 InsO auf den Antragsausschuss wird teilweise gänzlich abgelehnt.117) Dies ist weder durch den Wortlaut gedeckt noch inhaltlich nachvollziehbar. Zwar entstehen bei einem Antrag auf Einsetzung mit begründeten Mitgliedsvorschlägen keine Verzögerungen in der Einsetzung. Es kann allerdings der Fall eintreten, dass das Gericht Zweifel daran hat, ob die vorgeschlagenen Personen die Gesamtgläubigerschaft auch zutreffend abbilden. Daher ist § 22 Abs. 3 Alt. 3 InsO auch auf den Antragsausschuss anzuwenden. 2.3
Gerichtliche Entscheidung über den Antrag
96 Das Gericht „soll“ gemäß § 22a Abs. 2 InsO einen Ausschuss auf Antrag hin einsetzen. Die Vorschrift räumt dem Gericht damit ein „intendiertes Ermessen“ bei der Einsetzung ein. Im Regelfall hat das Gericht bei zulässigem Antrag einen Ausschuss einzusetzen. Im Ausnahmefall hat es den Antrag abzulehnen. Als Gründe kommen insbesondere rechtsmissbräuchliche Zwecke des Antrags in Betracht.118) 97 Nach der von Haarmeyer vertretenen Ansicht ist das Gericht an die Besetzungsvorschläge des Antragstellers gebunden und kann diese nur aus wichtigem Grund entsprechend § 70 InsO zurückweisen.119) Dem ist nicht zu folgen. Das Gericht ist nicht an die Besetzungsvorschläge gebunden und hat selbst zu prüfen, ob der Ausschuss repräsentativ zusammengesetzt ist.120) Der Ansicht liegt die Befürchtung zugrunde, dass das Gericht wegen Zweifeln an der Repräsentativität der Vorschläge die Einsetzung zurückstellt und ohne Anhörung des Gläubigerausschusses einen vorläufigen Sachwalter bestellt. Um dies auszuschließen ist aber nicht das Besetzungsrecht des Gerichts einzuschränken. Es ist vielmehr Aufgabe des Antragstellers, das Gericht davon zu überzeugen, dass die gemachten Vorschläge die einzig richtige Besetzung i. S. des § 67 Abs. 2 InsO darstellen. Überdies geht Haarmeyer davon aus, dass es zur Umsetzung einer angestrebten Sanierungslösung legitim sei, nur dieses Konzept unterstützende Gläubiger zu benennen, um eine vom Gesetzgeber gewollte verfahrenssichere Gestaltung zu ermöglichen.121) Nachdem die Art und Weise der bestmöglichen ___________ 115) A. A. Haarmeyer/Horstkotte, ZInsO 2012, 1441, 1446. 116) Die Gegenansicht Haarmeyer/Horstkotte, ZInsO 2012, 1441, 1446, berücksichtigt diese Ordnungsverfahren nicht. 117) So Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255. 118) In diese Richtung auch: Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 11. 119) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff. 120) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701. 121) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
Gläubigerbefriedigung zu Beginn des Verfahrens noch gar nicht feststeht, sind gerade die verschiedenen Interessenlagen im Ausschuss abzubilden, der eine Plattform sein sollte, auf der gemeinsam die beste Sanierungslösung erstritten wird. 3.
Fakultativer Gläubigerausschuss
Gemäß § 21 Abs. 1 InsO kann das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen sämtliche An- 98 ordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern.122) Auch bei beantragter Eigenverwaltung kann das Gericht Sicherungsmaßnahmen anordnen, 99 § 21 Abs. 1 InsO.123) Damit steht dem Gericht auch die Möglichkeit offen, einen fakultativen Gläubigerausschuss einzusetzen. Allein durch die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses kann das Vermögen 100 des Schuldners nicht gesichert werden. Bezogen auf seine unmittelbare Wirkung ist die Einsetzung keine Sicherungsmaßnahme. Das Ermessen i. R. des § 21 Abs. 1 InsO ist erweiternd dahingehend zu verstehen, dass letztendlich durch frühzeitige Einbeziehung der Gläubigergruppen in das Insolvenzverfahren ein hohes Maß an Gewähr für eine bestmögliche Haftungsrealisierung besteht und somit im Ergebnis in diesem Verfahrensstadium eine Vermögenssicherung erfolgt. Damit kann die Einsetzung einem pflichtgemäßen Ermessen entsprechen, wenn die Gesellschaft die Schwellenwerte nur knapp verfehlt und das Gericht einen Ausschuss für die Sanierung und Fortführung des Unternehmens als dienlich erachtet. Vorstellbar ist eine Einsetzung auch in Fällen, in denen sich der Geschäftsumfang erheblich ausgeweitet hat und die Schwellenwerte zum Zeitpunkt der Antragstellung überschritten wären. Weiterhin gewinnt die fakultative Einsetzung eines Ausschusses dann einen Anwendungs- 101 bereich, wenn der Betrieb bereits eingestellt ist. Ein Pflicht- oder Antragsausschuss kommt dann nicht in Betracht. Die Regelung des § 22a Abs. 3 InsO findet aber auf den fakultativen Gläubigerausschuss keine Anwendung, so dass das Gericht einen Ausschuss einsetzen kann.124) Auch wenn ein Antragsausschuss in diesem Fall nicht in Betracht kommt, hindert dies den vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. vorläufigen Sachwalter nicht daran, die Einsetzung anzuregen, wenn es im konkreten Fall sinnvoll erscheinen sollte, die Gläubiger frühzeitig einzubinden. 4.
Zusammensetzung
Soweit entweder die Schwellenwerte überschritten sind, ein zulässiger Antrag vorliegt 102 oder das Gericht ohne Antrag einen Ausschuss einsetzen will, müssen die Mitglieder bestimmt werden. Die Entscheidung über die Einsetzung ist gleichzeitig Entscheidung über die Besetzung. § 67 Abs. 2 InsO sieht ein Repräsentationsschema vor, nach dem die absonderungsbe- 103 rechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen, die Kleingläubiger und die Arbeitnehmer im Ausschuss vertreten sein sollen. Daraus ist zunächst abzuleiten, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die wesentlichen Gläubigergruppen zu berücksichtigen sind125) und es nicht etwa darauf ankommt, dass diejenigen zu Mitgliedern bestellt werden, für welche wirtschaftlich das Verfahren die meiste Bedeutung ___________ 122) 123) 124) 125)
Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 3. AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193. AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 22; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9 – „Ausgewogenheit der Besetzung“.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
hat. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen für das konkrete Verfahren einen Ausschuss zu bestellen, der die wesentlichen Gläubigergruppen abbildet.126) 104 Praxistipp: Eine möglichst breite Repräsentationsbasis begründet eine größere Legitimation für die Entscheidungen des Ausschusses, insbesondere in Bezug auf die Eigenverwaltung und die Sachwalterauswahl.127) Berater können nur dringend davor gewarnt werden, einen kleinen Ausschuss mit drei auserlesenen Mitgliedern bei Gericht durchsetzen zu wollen, der alle Entscheidungen mitträgt. Spätestens beim Insolvenzplan braucht man die gesetzlichen Gläubigermehrheiten. Unausgewogene Vorschläge schaffen zudem Misstrauen bei Gericht, die es veranlassen werden, weitere Ermittlungen vorzunehmen und wegen nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage einen vom Gericht ausgewählten Sachwalter zu bestellen. 4.1
Größe
105 Wie bei jedem repräsentativen Gremium besteht ein Spannungsverhältnis, hier zwischen umfassender Abbildung aller Gläubiger einerseits und der Schaffung eines sehr schnell und flexibel handlungsfähigen Organs andererseits. Bei der Bestimmung der Größe ist zum einen zu klären, ob es eine bestimmte Pflicht- oder Regelgröße gibt, und zum anderen, ob es aus praktischen Erwägungen heraus sinnvoll ist, eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern zu wählen. 106 Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Gläubigerausschuss aus mindestens zwei Personen bestehen muss.128) Nach ganz h. M. obliegt es darüber hinaus dem Gericht i. R. des vorstehend beschriebenen pflichtgemäßen Ermessens in Bezug auf das konkrete Verfahren, wie viele Ausschussmitglieder es bestellt und welche Gläubigergruppen im Ausschuss vertreten sind.129) Dabei ist die Bestellung eines Ausschusses mit drei Mitgliedern in kleineren Verfahren nicht nur zulässig, sondern auch praxisgerecht.130) Dies gilt auch für den Antragsausschuss, nachdem das Gericht an die benannten Personenvorschläge nicht gebunden ist.131) Es steht damit auch in seinem Ermessen, einen kleineren oder größeren Ausschuss zu bestellen. 107 Aus praktischen Erwägungen heraus kann es sich anbieten, einen Ausschuss mit ungerader Mitgliederzahl zu bestellen, um damit stets Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen.132) 108 Praxistipp: Für den Antragsausschuss wird der Antragsteller sich immer an § 67 Abs. 2 InsO zu orientieren haben, um der Unzulässigkeit seines Antrags vorzubeugen.133) Es ist daher zu empfehlen, stets Mitgliedsvorschläge zu allen vier genannten Gruppen vorzulegen und ggf. ein weiteres Mitglied zu benennen, falls das Gericht i. R. des eigenen Entscheidungsermessens fünf Mitglieder bestellen möchte. ___________ 126) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 127) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 47 – „Legitimität durch Repräsentativität“. 128) BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 148/08, ZIP 2009, 727; a. A. Pollmächer/Siemon, NZI 2018, 625, die einen Ein-Personen-Ausschuss für gesetzeskonform halten. 129) Kübler, in: KPB, InsO, § 67 Rz. 15; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 130) A. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251, der einen Ausschuss mit weniger als fünf Mitgliedern für unzulässig hält; Frind, in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 4, für den Pflichtausschuss; AG Ludwigshafen v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012, 2310; dagegen wie hier: Pape, ZInsO 2013, 2129, 2131. 131) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251. 132) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 22. 133) So auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253, der allerdings meint, dass der Antrag mit nur drei benannten Personen unzulässig sei.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss 4.2
Mitglieder
4.2.1 Grundsätzliche Feststellungen Nach überwiegender Auffassung wird die Möglichkeit der Mitgliedschaft von juristi- 109 schen Personen bejaht.134) Die Gegenmeinung, nach welcher wegen der Gefahr ständig wechselnder Vertreter der Gesellschaft statt ihrer ein Organmitglied als natürliche Person in den Ausschuss zu berufen sei,135) ist abzulehnen. Nachdem § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO nur auf § 67 Abs. 2 InsO verweist, können Nichtgläubiger nicht zu Mitgliedern bestellt werden. Damit scheidet die Möglichkeit aus, Organmitglieder persönlich zu Ausschussmitgliedern zu bestellen, weil sie keine Forderungen gegen den Schuldner haben. Im Ergebnis ist damit immer die juristische Person als Mitglied zu bestellen. Für Behörden wird eine Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss zu Recht abgelehnt, soweit 110 die Behörde nicht selbst rechtsfähig ist.136) Statt der Behörde ist vielmehr die juristische Person des öffentlichen Rechts zu bestellen, deren Vertreter die Behörde ist. Die Bestellung des einzelnen Mitarbeiters der Behörde persönlich scheidet ebenfalls aus.137) Um der Gefahr ständig wechselnder Sitzungsteilnehmer zu begegnen, ist im Bestellungs- 111 beschluss ein Ansprechpartner oder regelmäßiger Vertreter der juristischen Person anzugeben.138) 4.2.2 Gläubigerstellung Im Gegensatz zum (vorläufigen) Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren, bei dem 112 gemäß § 67 Abs. 3 InsO auch die Bestellung von Nichtgläubigern möglich ist, können im Antragsverfahren zu Mitgliedern nur Personen bestellt werden, die entweder Gläubiger sind oder die mit Eröffnung des Verfahrens zu Gläubigern werden. Die Norm des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO verweist ausdrücklich nur auf § 67 Abs. 2 InsO. Nach einer Ansicht muss das avisierte Mitglied sicher mit Eröffnung Gläubiger werden.139) 113 Soweit bei Antragstellung alle Ansprüche erfüllt und – etwa bei Mitarbeitern – weitere Ansprüche durch das Insolvenzgeld abgesichert seien, würde eine Mitgliedschaft ausscheiden. Diese Ansicht ist abzulehnen. Der Weg des Verfahrens ist zu diesem frühen Stadium noch völlig offen. Der Gläubigerausschuss soll den Verwalter regelmäßig dabei unterstützen, ein Worst-Case-Szenario einer Schließung abzuwenden, bei dem etwa die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren, die Kunden den Lieferanten und der Vermieter seinen Mieter. Wegen der Betroffenheit der Beteiligten in diesem Fall kann man für die Ausschussbestellung nicht vom best-case-Szenario ausgehen, mit der Begründung, dass der Eintritt des Worst-Case-Szenarios gerade noch nicht feststeht. Vor diesem Hintergrund reicht eine mögliche Gläubigerstellung im Falle einer sofortigen Betriebsstilllegung aus. Zweck der Regelung ist es, aufgrund der eilbedürftigen Entscheidungen nur Personen zu 114 Mitgliedern zu bestellen, die einen unmittelbaren Bezug zum Schuldner haben und über ___________ 134) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; Kübler, in: KPB, InsO, § 67 Rz. 21; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 17; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 26. 135) Vallender, WM 2002, 2040, 2041; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 18. 136) BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46, 47, dazu EWiR 1994, 281 (Lüke); Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 27. 137) A. A. noch Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 15 m. w. N. 138) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701. 139) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251; Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 44.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
praktische Kenntnisse von dessen Geschäftsbetrieb verfügen.140) Ob diese Zielsetzung wirklich erreicht werden kann, hängt u. a. davon ab, ob sich Mitglieder vertreten lassen können. Dies ist umstritten.141) Bejaht man eine Vertretung, entfaltet die Vorschrift keine weitergehende Steuerungsfunktion, sondern begründet nur die Pflicht für das Gericht, die Gläubigereigenschaften bereits in diesem frühen Stadium zu prüfen.142) 4.2.3 Auswahl im Einzelnen 115 Kein Gläubiger hat einen Anspruch auf Bestellung zum Gläubigerausschussmitglied.143) Ausgehend von § 67 Abs. 2 InsO ergeben sich – je nach konkreter Ausgestaltung des Verfahrens – folgende typischerweise zu bestellende Mitglieder: 116 Als absonderungsberechtigte Gläubiger und als Großgläubiger kommt regelmäßig die Bestellung von Banken in Frage.144) 117 Große Gläubiger eines Verfahrens können institutionelle Gläubiger, wie Finanzämter145) oder Sozialversicherungsträger sein.146) 118 Als maßgebliche Gläubiger kommen weiter die Bundesagentur für Arbeit oder der Pensionssicherungsverein in Betracht.147) Beide sind zum Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses i. d. R. noch keine Gläubiger. Die Ansprüche der Agentur für Arbeit etwa entstehen erst mit Einreichung des Antrags auf Insolvenzgeld, § 169 Satz 1 SGB III, mithin nach Eröffnung. Die Vorschrift des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a Halbs. 2 InsO ermöglicht aber ausdrücklich die Bestellung von Personen, die erst mit Eröffnung des Verfahrens zu Gläubigern werden. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Gläubigerstellung zwingend durch die Eröffnung eintritt. Es genügt, dass die Person aufgrund vertraglicher oder gesetzlicher Regelung zur Übernahme der bestehenden Insolvenzforderung verpflichtet ist.148) 119 Zur Abbildung der verschiedenen Gruppen ist es regelmäßig auch geboten, einen Lieferanten in den Ausschuss aufzunehmen.149) In der Praxis erfolgt regelmäßig die Aufnahme eines Kreditversicherers.150) Problematisch ist, dass der Kreditversicherer auch nach Eröffnung des Verfahrens formal nicht als Gläubiger im Verfahren auftritt.151) Wirtschaftlich vom Forderungsausfall betroffen ist aber die Kreditversicherung, so dass deren Aufnahme gerechtfertigt ist. In der Praxis wird zudem der zukünftige Poolvertreter zum Ausschussmitglied bestellt. Dies ist für den vorläufigen Ausschuss insoweit problematisch, da der Pool kein Insolvenzgläubiger ist. Der Poolführer als Dauervertreter eines Lieferanten oder Kreditversicherers ist wegen der grundsätzlich höchstpersönlichen Wahr___________ 140) 141) 142) 143) 144) 145)
146) 147) 148) 149) 150) 151)
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Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. Allg. zur Vertretung im Ausschuss Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 26. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251. Frind, in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 5; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 13. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. Die Finanzämter oder nicht rechtsfähige Behörden können nicht als Gläubigerausschussmitglied eingesetzt werden. Mitglied wird in diesen Fällen regelmäßig der Rechtsträger (Bundesland), welcher dann durch das zuständige Finanzamt im Gläubigerausschuss vertreten wird. Hierzu Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 20. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 22. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. Trotz des in den Versicherungsbedingungen für Warenkreditversicherungen vorgesehenen Rechtsübergangs gemäß § 86 VVG erfolgt die Forderungsanmeldung durch den Gläubiger selbst.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
nehmung des Amtes durch das Mitglied eigentlich nicht möglich. Die Abtretung einer Forderung an den Poolführer widerspräche seiner Treuhänderstellung gegenüber allen Poolmitgliedern. Nach der hier vertretenen Lösung gewährt das vom Pool wahrgenommene Absonderungsrecht selbst ein Teilnahmerecht am Ausschuss, wie sich aus der ausdrücklichen Benennung in § 67 Abs. 2 InsO ergibt. Wie auch an anderen Stellen trennt die InsO zwischen absonderungsberechtigtem Gläubiger und Insolvenzgläubiger.152) Die Stellung als Insolvenzgläubiger ist nicht erforderlich. Konsequenterweise wäre dann der Lieferantenpool selbst als Sicherheitenverwertungsgesellschaft bürgerlichen Rechts zum Mitglied zu bestellen. Die unmittelbare Bestellung des Poolführers ist aber ebenso möglich, da sie dem Zweck des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO gleichfalls gerecht wird. Mitglied des Ausschusses soll regelmäßig ein Vertreter der Arbeitnehmer sein. Die bis 120 29.2.2012 geltende Einschränkung in § 67 Abs. 2 InsO, dass sie nur zu Mitgliedern bestellt werden sollen, wenn sie nicht unerhebliche Forderungen haben, wurde gestrichen. Damit ist der Arbeitnehmer nun in jedem Fall „Regelmitglied“.153) In der Praxis wird als Arbeitnehmervertreter der Vorsitzende des Betriebsrats zu bestellen sein oder – soweit kein Betriebsrat vorhanden – ein Mitarbeiter, der im Unternehmen i. R. der Belegschaft als Führungsperson angesehen wird (z. B. Produktionsleiter). Aufgrund des fehlenden Verweises auf § 67 Abs. 3 InsO in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO 121 wird die Bestellung von Gewerkschaften nach dem Wortlaut als nicht möglich angesehen.154) Nach dem Sinn der Regelung – Abwehr von Mitgliedern, denen praktische Kenntnisse über das Unternehmen fehlen – ist eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahin gehend vorzunehmen, dass die im Betrieb gemäß § 2 Abs. 1 und 2 BetrVG vertretenen Gewerkschaften zu Mitgliedern bestellt werden können, auch wenn ihnen die Gläubigereigenschaft fehlt.155) Die Notlösung, dass ein Arbeitnehmer zum Ausschussmitglied bestellt wird und sich dann dauerhaft durch die Gewerkschaft vertreten lässt, verstößt einerseits gegen die grundsätzlich gebotene persönliche Wahrnehmung des Amtes und schafft andererseits Haftungs- und Vergütungsprobleme.156) Zur Begründung der Mitgliedschaft von Gewerkschaftsvertretern wird auch darauf verwiesen, dass § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO – auf den § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a InsO verweist – den Vertretern der Arbeitnehmer ein eigenes von der Gläubigerstellung unabhängiges Teilhaberecht gewährt und somit für den Arbeitnehmervertreter eine Gläubigerstellung nicht erforderlich sei. Weiterhin soll nach der Vorschrift ein Vertreter der Arbeitnehmer Mitglied sein. Ein solcher Vertreter könne auch ein Gewerkschaftsmitglied sein.157) Im Rahmen der Unternehmenssanierung bietet es sich regelmäßig an, auch einen Kunden 122 in den Ausschuss mit aufzunehmen, gerade wenn das Unternehmen von bestimmten Aufträgen abhängig ist und – branchenspezifisch – die Kunden starken Einfluss auf ihre Lieferanten und damit auch den insolvenzrechtlichen Sanierungsprozess nehmen. Problematisch ist ihre Stellung als Gläubiger. Wie bereits dargestellt, kommt es auf ihre Gläubigerstellung im Worst-Case der sofortigen Betriebsstilllegung an, die regelmäßig wegen der Ansprüche auf Schadensersatz bei Nichterfüllung gegeben sein dürfte. ___________ 152) Vgl. etwa § 222 InsO bei der Gruppenbildung. 153) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2250; a. A. Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 45: regelmäßig kein Mitglied, weil nicht Gläubiger. 154) Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 44. 155) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 22; Wroblewski, ArbuR 2012, 188, 191. 156) Wroblewski, ArbuR 2012, 188, 191. 157) AG Hannover v. 14.9.2015 – 908 IN 594/15 – 1, ZInsO 2015, 1982; dem folgend: Frind, in: HambKommInsO, § 67 Rz. 7a.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
123 Die Vorschrift des § 67 Abs. 2 InsO sieht die Einbeziehung der Gruppe der Kleingläubiger vor. Naturgemäß haben diese Gläubiger wegen der geringen Höhe ihrer Forderung regelmäßig kein wirtschaftliches Interesse an der Teilnahme am Ausschuss. Hintergrund eines Teilnahmewunsches eines solchen Gläubigers können persönliche Interessen in Bezug auf die handelnden Personen oder am Insolvenzrecht oder der Sanierung sein. Wegen der Vielzahl der möglichen Kleingläubiger ist die Auswahl des Mitglieds zudem stark manipulationsanfällig. Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, auf einen Vertreter aus der Gruppe der Kleingläubiger gänzlich zu verzichten.158) Dem kann nicht gefolgt werden. Neben den gesicherten Großgläubigern und den am Erhalt des Arbeitsplatzes interessierten Arbeitnehmern besteht ein Bedürfnis dafür, auch die ungesicherten einfachen Insolvenzgläubiger zu beteiligen. Zu bestellen ist – soweit möglich – ein repräsentativer Vertreter der Kleingläubiger, etwa ein Vertreter der Pächter. Soweit der Schuldner eine Anleihe emittiert hat und nach dem Schuldverschreibungsgesetz ein gemeinsamer Vertreter gewählt wurde, kann dieser zum Gläubigerausschussmitglied bestellt werden, da er im Insolvenzverfahren die Rechte der Anleihegläubiger allein vertritt, § 19 Abs. 3 SchVG. Eine solche Bestellung ist auch dann möglich, wenn der Beschluss zur Wahl des gemeinsamen Vertreters wegen einer anhängigen Anfechtungsklage gemäß § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG noch nicht vollzogen werden darf.159) Nachdem der gewählte gemeinsame Vertreter i. R. der Wahl die nötigen Mehrheiten erzielt hat, kann das Insolvenzgericht in als repräsentativen Vertreter der Anleihegläubiger einsetzen, ohne dass es auf die Vollzugssperre des § 21 Abs. 2 SchVG ankäme. 124 Untaugliche Mitglieder sind der Schuldner sowie seine Organe. Bei Aufsichtsräten wird die Bestellbarkeit abgelehnt, weil sie auf der Interessenseite des Unternehmens stehen, § 111 AktG.160) Diese Ansicht ist zu pauschal und daher nicht zutreffend. So ist beim mitbestimmten Aufsichtsrat die Bestellung des Betriebsratsvorsitzenden natürlich möglich, gleiches gilt für die Bestellung eines Kreditinstituts mit dem Vertreter, der bisher als persönliches Mitglied im Aufsichtsrat vertreten war. 124a Soweit eine Unabhängigkeit des Gläubigerausschussmitglieds gefordert wird, bezieht sich dies zunächst auf die Amtsführung. Die Ausschussmitglieder haben ihre unzweifelhaft vorhandenen, durchaus gegenläufigen persönlichen Interessen zurückzustellen und gemeinsam das Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu verfolgen.161) Bei der Bestellung kann es naturgemäß nicht darauf ankommen, dass das Mitglied vorher nicht in Geschäftsbeziehung zum Schuldner stand. Es kommt vielmehr auf die Art der Geschäftsbeziehung an. Begründet der Gegenstand der Tätigkeit des Dritten ein besonderes Näheverhältnis zum Schuldner oder zu seinen Organen, dann scheidet eine Bestellung zum Ausschussmitglied aus. Keine tauglichen Mitglieder sind damit die aktuellen Berater des Schuldners oder der Organe. Sie sind zwar ggf. wegen ihrer vorinsolvenzlichen Honoraransprüche Insolvenzgläubiger. Ihre Aufgabe ist es, den eigenverwaltenden Schuldner zu unterstützen. Mit dieser Umsetzungsfunktion verbietet sich die Mitgliedschaft in dem Organ, das diese Tätigkeit überwacht. Dies gilt auch für den früheren Berater, soweit eine erneute Tätigkeit für die Schuldnerin im Verfahren nicht ausgeschlossen werden kann.162) In diesem Fall wäre die Beendigung der Tätigkeit nur vorgeschoben. ___________ 158) Schmerbach, in: Wimmer, InsO, § 22a Rz. 70. 159) In diese Richtung auch: AG Hamburg v. 2.8.2017 – 67g IN 173/17 (Rickmers Holding II), ZIP 2017, 2213, dazu EWiR 2018, 185 (Paulus). 160) H. M., vgl. nur Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 19. 161) BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781, dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach). 162) A. A. AG Hamburg v. 2.8.2017 – 67g IN 173/17 (Rickmers Holding II), ZIP 2017, 2213.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
Gesellschafter sind regelmäßig nur nachrangige Insolvenzgläubiger. Im Umkehrschluss zu 125 § 67 Abs. 3 InsO sind aber die nachrangigen Gläubiger als Gläubiger im Verfahren anzusehen und damit bestellbar.163) Auf der anderen Seite kann im konkreten Verfahren die Situation eintreten, dass der Gesellschafter der größte Einzelgläubiger ist. Es stellt sich damit die Frage, ob der Gesellschafter dann „Sollmitglied“ ist. Dies ist aus systematischen und teleologischen Erwägungen heraus zu verneinen. Die InsO schließt den nachrangigen Gläubiger von der Verfahrensteilnahme weitgehend aus, § 77 Abs. 1 Satz 2, § 174 Abs. 3 InsO. Am Ergebnis des Insolvenzverfahrens sind sie nur nachrangig beteiligt, so dass eine Einflussnahme auf das Verfahren nicht gerechtfertigt ist. Gerade bei der Eigenverwaltung mit Insolvenzplan kann es jedoch geboten sein, die Gesellschafter mit einzubinden, da die Sanierung mit dem Erhalt des Rechtsträgers ihnen zugutekommt. Es können mehrere Vertreter einer Gruppe bestellt werden. Insgesamt hat das Gericht 126 i. R. seines pflichtgemäßen Ermessens darauf zu achten, dass bei späteren Abstimmungen nicht einzelne Gruppen die Mehrheitsentscheidungen dominieren. 4.3
Ermittlung der zur Bestellungsentscheidung notwendigen Tatsachen
Dem Gericht liegen in diesem frühen Verfahrensstadium keine Erkenntnisse zu Gläubigern 127 und zur Gläubigerstruktur vor. Zudem gibt es keinen vorläufigen Verwalter/Sachwalter, der zu Vorschlägen für einen Gläubigerausschuss befragt werden könnte. Da das Gericht beim Antragsausschuss an die Besetzungsvorschläge nicht gebunden ist, hat es auf der Basis der Angaben des Schuldners zu prüfen, ob durch die im Antrag benannten Personen die Gesamtgläubigerschaft zutreffend abgebildet wird. Die Überprüfung der Angaben ist damit auch für den Antragsausschuss nötig.164) Zur Ermittlung von Personen, die konkret als Mitglied in Frage kommen, legt die Norm 128 des § 13 InsO dem Schuldner entsprechende Informationspflichten auf. Diese Pflichten sind aber – wie gleich zu zeigen sein wird – für die Bestellung eines repräsentativen Gläubigerausschusses unzureichend. Für das Gericht besteht zudem die Notwendigkeit, nicht nur die Mitglieder, sondern auch 129 konkrete Ansprechpartner der jeweiligen Gläubiger zu ermitteln, um diese schnellstmöglich – telefonisch – zur Mitwirkungsbereitschaft zu befragen und um ihnen den Bestellungsbeschluss zuleiten zu können. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich für regelmäßig in Gläubigerausschüssen mitwirkende Institutionen, sich grundsätzlich zur Mitwirkungsbereitschaft zu erklären und beim Gericht den Namen eines regionalen Ansprechpartners mit Kontaktdaten zu hinterlegen. 4.3.1 Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO Bei laufendem Geschäftsbetrieb sollen im Gläubigerverzeichnis gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 130 InsO zur Identifikation von potentiellen Mitgliedern die höchsten Forderungen, die höchsten gesicherten Forderungen, die Forderungen der Finanzverwaltung, die Forderungen der Sozialversicherungsträger und die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung kenntlich gemacht werden. Mit diesen Angaben soll das Gericht diejenigen Personen identifizieren können, die es zu Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses bestellen kann.165) Dementsprechend sind die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO nur verpflichtend, 131 wenn ein Ausschuss vom Gericht zu bestellen ist (obligatorischer Ausschuss oder An___________ 163) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 16; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 29. 164) A. A. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff. 165) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
tragsausschuss).166) Für den obligatorischen Ausschuss sieht § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 InsO vor, dass die Angaben verpflichtend werden, wenn „der Schuldner die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt“. Nachdem ein obligatorischer Ausschuss einzusetzen ist, wenn mindestens zwei der drei Merkmale erfüllt sind, müssen auch bereits bei Erfüllung von mindestens zwei Merkmalen die Angaben verpflichtend werden.167) Stellt der Schuldner Antrag auf Eigenverwaltung, sind die Angaben ebenfalls verpflichtend, auch wenn ein Gläubigerausschuss bei Eigenverwaltung nicht per se zu bestellen ist, § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 InsO. Wegen des klaren Wortlauts müssen daher bei einem Antrag auf Eigenverwaltung stets die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO erteilt werden. 132 Hinsichtlich der Anforderungen an die Genauigkeit der Kenntlichmachung ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Schuldner zu richtigen und vollständigen Angaben verpflichtet ist, die auch erforderlich sind, um einen ausgewogenen Gläubigerausschuss bestellen zu können. Andererseits würden überspannte Vorgaben zu einer Vielzahl von unzulässigen Anträgen führen (siehe Rz. 72 f.). Als Maßstab muss der gewissenhafte Geschäftsführer oder Kaufmann herangezogen werden, der mit entsprechender Sorgfalt und ohne Rechtsberatung die geforderten Angaben erteilt. Unter Heranziehung dieses Sorgfaltsmaßstabs kann die Situation entstehen, dass der Geschäftsführer bspw. zu den Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung keine Angaben machen kann. Der Antrag ist als zulässig anzusehen, wenn die Angaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers erteilt wurden. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages ist auch zu berücksichtigen, dass die Angaben des § 13 InsO ihren Zweck ohnehin nicht erfüllen. 133 Wenn nachträglich i. R. eines bereits laufenden Insolvenzantragsverfahrens ein Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses oder auf Eigenverwaltung gestellt wird, soll nach einer Auffassung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO die Kennzeichnung der verschiedenen Gläubigergruppen verpflichtend werden.168) Der bereits gestellte Insolvenzantrag würde damit automatisch unzulässig, es sei denn, er enthielte die Angaben bereits. Das Gericht müsste sofort alle Sicherungsmaßnahmen aufheben und könnte allenfalls eine kurze Frist zur Nachbesserung des Insolvenzantrags setzen.169) Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.170) Bei einem zulässigen nachträglichen Antrag auf Bestellung eines Gläubigerausschusses müssen Vertreter zu den einzelnen Gläubigergruppen benannt sein. Das Gericht hat damit einen ersten Überblick über mögliche Mitglieder und kann auf dieser Basis weitere Ermittlungen vornehmen, etwa den Schuldner oder vorläufigen Insolvenzverwalter auffordern, mögliche Mitglieder zu benennen, § 22a Abs. 4 InsO. Vor dem Hintergrund der Sanierungsund Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts wäre die Rechtsfolge der nachträglichen Unzulässigkeit völlig unverhältnismäßig. 134 Den Angaben hat der Schuldner gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO eine Erklärung beizufügen, dass die Angaben richtig und vollständig sind. 4.3.2 In § 13 Abs. 1 InsO nicht abgefragte, aber zwingend notwendige Angaben 135 Gemäß § 67 Abs. 2 InsO sollen zu Mitgliedern des Ausschusses die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen, die Kleingläubiger und die Arbeitnehmer bestellt werden. Davon ausgehend ist zunächst festzuhalten, dass nach § 13 Abs. 1 InsO keine Angaben zu Arbeitnehmern zu erteilen sind, wenn ___________ 166) 167) 168) 169) 170)
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Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RefE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45. A. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. Pape, in: KPB, InsO, § 13 Rz. 135; Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 121.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
diese nicht bereits Gläubiger sind.171) Bei frühzeitiger Antragstellung ohne Lohnrückstände kennt das Gericht keine Namen der Mitarbeiter. Auch wenn diese bekannt sind, fehlen ggf. Angaben zu den Betriebsratsmitgliedern. Weiterhin soll ein Kleingläubiger zu einem Mitglied bestellt werden. In § 13 Abs. 1 InsO 136 werden dem Schuldner aber keine Angaben dazu abverlangt, welche Kleingläubiger, etwa wegen ihrer Stellung als wichtiger Lieferant, geeignet wären. Die Vorschrift enthält auch keine Verpflichtung für den Schuldner, sich zu wichtigen 137 Kunden zu äußern. Angaben zu Forderungen der Bundesagentur für Arbeit können naturgemäß nicht gemacht werden, weil sie noch nicht bestehen. Allerdings könnte die Angabe der monatlichen Nettolohnsumme ein wesentliches Indiz dafür sein, welchen Umfang die Insolvenzgeldansprüche annehmen werden. Diese Angabe wird vom Schuldner aber nicht verlangt. Für das Gericht bleibt aufgrund der Schuldnerangaben weiter ungeklärt, ob Kreditver- 138 sicherer in dem Verfahren eine Rolle spielen oder ob die Bestellung von Gesellschaftern zu Ausschussmitgliedern sinnvoll sein kann. Es wird an dieser Stelle nochmals (siehe schon oben bei Rz. 88 und bei Rz. 59 f.) deutlich, 139 dass die Beteiligung der Gläubiger an der Sachwalterauswahl maßgeblich davon abhängt, ob der Insolvenzantrag lückenlos und präzise vorbereitet ist und die notwendigen – auch über § 13 Abs. 1 InsO hinausgehenden – Angaben enthält. Ohne eine entsprechende sachkundige Sachverhaltsdarstellung, die dem Gericht unter Heranziehung des § 67 Abs. 2 InsO für das konkrete Verfahren darlegt, welche Mitglieder aufgrund der konkreten Ausgangssituation zu bestellen sind, bestehen für das Gericht erhebliche Schwierigkeiten, einen ausgewogenen Ausschuss zu bestellen.172) Will der Berater zuverlässig die Einsetzung eines Ausschusses erreichen, kann er nicht beim Pflichtprogramm des § 13 InsO verharren, sondern muss eine an § 67 Abs. 2 InsO orientierte, begründete Empfehlung für einen zu bestellenden Ausschuss abgeben. Diese ist vor der Insolvenzantragstellung mit dem Gericht zu besprechen, wozu bei den meisten Gerichten auch Bereitschaft besteht.173) 4.4
Gerichtliche Maßnahmen zur Vorbereitung der Besetzungsentscheidung
Für das Gericht sind zur Einsetzung eines Gläubigerausschusses zwei Ebenen maßgeb- 140 lich: die Ermittlung des der Prüfung zugrunde zu legenden Sachverhalts und die darauf aufbauende rechtliche Prüfung und Entscheidung. Hinsichtlich des Sachverhalts hat das Gericht die Angaben des Schuldners zugrunde zu legen, auf Schlüssigkeit und Plausibilität zu prüfen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen, ohne sie durch einen Sachverständigen verifizieren zu lassen.174) Eine solche Prüfung der Schuldnerangaben widerspräche dem Ziel des Gesetzgebers, die Gläubiger – auch ohne abschließende Erkenntnisse – am Verfahren zur Bestellung des vorläufigen Sachwalters zu beteiligen. Sind hingegen die Informationen vom Schuldner nicht zu erlangen oder der Vortrag unschlüssig, kann ein Sachverständiger damit beauftragt werden, Ermittlungen zu den noch fehlenden Mitgliedern vorzunehmen.
___________ 171) So ausdrücklich Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23, mit der nicht nachvollziehbaren Ausführung, dass ein Arbeitnehmervertreter unabhängig von der Forderungshöhe zu einem Mitglied zu bestellen ist. Dem Gericht fehlen aber die Namen geeigneter Arbeitnehmervertreter! 172) Daher der Vorwurf bei Pape, dass der Schuldner damit in der Lage ist, die Beteiligung der Gläubiger an der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters zu manipulieren, Pape, ZInsO 2011, 1033, 1036. 173) Ausf. dazu: Buchalik/Lojowsky, ZInsO 2013, 1017. 174) So aber Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
141 Den vom Schuldner vorgetragenen Sachverhalt hingegen hat das Gericht eingehend zu prüfen und nicht kritiklos die daraus abgeleiteten Mitgliedsvorschläge des Schuldners zu übernehmen. Das richtige Maß zwischen einer zu langwierigen und damit die Einsetzung verhindernden Prüfung des Gerichts einerseits und der Bekämpfung von Missbräuchen andererseits liegt – auch in Bezug auf eine mögliche Haftung des Gerichts – darin, auf der Sachverhaltsebene den schlüssigen und plausiblen Vortrag zugrunde zu legen, die eingehende Prüfung der daraus abzuleitenden Zusammensetzung des Ausschusses aber dem Gericht zuzuweisen. Kann das Gericht auf der Grundlage der Schuldnerangaben und seiner eigenen Prüfung einen ausgewogenen Gläubigerausschuss zusammensetzen, hat es diesen zu bestellen. 142 Soweit das Gericht auf dieser Basis keine Entscheidung zur Besetzung treffen kann, hat es entweder den Schuldner aufzufordern, weitere Angaben i. R. seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflicht zu erteilen oder Mitglieder gemäß § 22a Abs. 4 InsO zu benennen. Wenn diese Angaben nicht durch Befragung des präsenten oder am Telefon erreichbaren Schuldners erlangt werden können, hat das Gericht abzuwägen, ob wegen der damit verbundenen Verzögerungen ein Fall des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO vorliegt (siehe genauer oben Rz. 51 ff.). Von der Einsetzung des Ausschusses kann zunächst abgesehen werden, wodurch der Weg zur sofortigen Bestellung eines vorläufigen Sachwalters eröffnet ist. Die Einsetzung des Gläubigerausschusses ist dann später nachzuholen. 143 Ob das Gericht nach Einsetzung eines Ausschusses noch weitere Mitglieder nachbestellen kann, ist umstritten. Haarmeyer ist einem entsprechenden Vorgehen des AG Kleve entgegengetreten und lehnt dies ab.175) Der Ansicht ist zuzugeben, dass der Gläubigerausschuss als Organ der Selbstverwaltung der Disposition des Gerichts entzogen ist. Richtig ist auch, dass ein einmal eingesetzter repräsentativer Ausschuss nicht erweitert werden kann, ohne dass die Repräsentativität gefährdet ist. Wenn das Gericht aber nachträglich erkennt, dass die ursprüngliche Besetzung nicht repräsentativ war, weil – in Unkenntnis des Sachverhalts durch das Gericht – eine wesentliche Gläubigergruppe vergessen wurde, ist kein Grund ersichtlich, dem Gericht zu verwehren, ein weiteres Mitglied zu bestellen.176) Daraus folgt aber auch, dass das Gericht nicht auf jeden Antrag eines Gläubigers hin diesen zum weiteren Ausschussmitglied bestellen kann, sondern ausführlich begründen muss, warum die ursprüngliche Entscheidung abgeändert wird. 5.
Gerichtliches Vorgehen
144 Das Gericht hat fünf Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen:
Soweit der Insolvenzantrag unzulässig ist, weil verpflichtende Angaben fehlen (siehe näher bei Rz. 72 f. sowie Rz. 132), hat es den Schuldner zur „Nachbesserung“ aufzufordern und den Antrag ggf. als unzulässig zurückzuweisen.177)
Soweit der Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses unzulässig ist (siehe zu den Zulässigkeitsmerkmalen Rz. 80 ff.), hat es dem Antragsteller ebenfalls eine Frist zur „Nachbesserung“ zu setzen und den Antrag dann auch als unzulässig zurückzuweisen.
Wenn die Schwellenwerte überschritten sind oder ein zulässiger Antrag vorliegt und das Gericht Klarheit über die Besetzung des Ausschusses hat und kein Ausschlussgrund vorliegt, ist der vorläufige Gläubigerausschuss durch Beschluss einzusetzen.
___________ 175) Haarmeyer, ZInsO, 2013, 1039, 1040. 176) Zum Ausschuss nach Eröffnung: AG Kaiserslautern v. 15.6.2004 – InsO IN 144/04, NZI 2004, 676; a. A. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff. 177) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
Wenn weder ein Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses vorliegt noch die Schwellenwerte überschritten sind, muss das Gericht keinen Ausschuss einsetzen. Das gleiche gilt, wenn zwar die Schwellenwerte überschritten sind bzw. ein zulässiger Antrag gestellt wurde, aber ein dauerhafter Ausschlussgrund (siehe Rz. 28 ff. und Rz. 92 ff.) gegeben ist oder das Gericht i. R. seiner Ermessensentscheidung (siehe Rz. 96) auf den zulässigen Antrag hin keinen Ausschuss einsetzt.178)
Liegt zwar ein zulässiger Insolvenzantrag vor, fehlen dem Gericht aber plausible Schuldnerangaben zu den Schwellenwerten (siehe Rz. 75 ff.) oder besteht aufgrund von Zweifeln am Kosten-Nutzen-Verhältnis weiterer Klärungsbedarf (siehe Rz. 44), hat das Gericht weitere Ermittlungen vorzunehmen. Weiterhin können dem Gericht – beim Pflicht- wie beim Antragsausschuss – Erkenntnisse zur ausgewogenen Besetzung des Ausschusses fehlen (siehe Rz. 142). Auch in diesem Fall sind weitere Ermittlungen nötig. Grundsätzlich ist das Gericht aber verpflichtet, vor der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters den obligatorischen Ausschuss oder den Antragsausschuss einzusetzen. Von dieser Pflicht wird das Gericht durch § 22a Abs. 3 InsO entbunden. Es wird also bei abzuschätzenden Verzögerungen, die zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führen, zunächst einen vorläufigen Sachwalter bestellen (siehe Rz. 57). Dies entbindet aber nicht von der Verpflichtung, weitere Ermittlungen zur Einsetzung und Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses vorzunehmen.179) Nach Vorliegen der entsprechenden Erkenntnisse hat das Gericht den Ausschuss einzusetzen oder die Einsetzung abzulehnen.180)
Die gerichtliche Entscheidung zur Einsetzung oder Ablehnung eines Antrags auf Einset- 145 zung ergeht durch Beschluss.181) Dieser ist jedenfalls dann zu begründen, wenn der Antrag auf Einsetzung abgelehnt wird oder wenn ein Rechtsmittel statthaft ist – mithin also nur bei Einsetzung des Ausschusses.182) Soweit mehrere Anträge auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses gestellt werden, hat 146 das Gericht aus den Besetzungsvorschlägen, aber auch aufgrund eigener Erkenntnisse und Ermittlungen einen ausgewogenen Gläubigerausschuss einzusetzen. Die Anträge sind nicht deshalb als unzulässig anzusehen, weil sie keine „Einheitsvorschläge“ enthalten.183) In entsprechender Anwendung von § 329 Abs. 3 ZPO sind Entscheidungen des Gerichts 147 zuzustellen, wenn gegen sie die sofortige Beschwerde zulässig ist. Dies ist für den Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen der Fall. Damit ist der Beschluss zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses dem Schuldner zuzustellen. Einer förmlichen Zustellung des Beschlusses an die Gläubigerausschussmitglieder bedarf es nicht, da ihnen keine Rechtsmittel zustehen.184) Der Beschluss ist ihnen gegenüber bekannt zu geben und zwar gemäß § 329 Abs. 2 ZPO durch formlose Mitteilung. Diese kann per Telefax, per einfacher E-Mail,185) aber auch mündlich bzw. fernmündlich ___________ 178) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254 – kein Beschluss bei Ablehnung des Antrags; dagegen: Entscheidung durch Verfügung wird der Sache nicht gerecht. 179) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253 – „temporäre Einsetzungsbremse“, die von der Einsetzungspflicht nicht suspendiert. 180) Sehr instruktiv zur gerichtlichen Prüfungsfolge: AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418. 181) A. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. 182) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 54; umfassend Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 329 Rz. 24 ff. 183) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 21. 184) A. A. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1811. 185) Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 329 Rz. 8.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
erfolgen. Zur Dokumentation wird das Gericht den Beschluss den Ausschussmitgliedern regelmäßig auch zustellen, um einen nachweisbaren Zugang sicherzustellen. 6.
Rechtsbehelfe
148 Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu. Vom Wortlaut her fällt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses in den Anwendungsbereich der Regelung und kann daher angegriffen werden.186) Bei der Einsetzung eines Gläubigerausschusses wird jedoch stets zweifelhaft sein, wie der Schuldner durch diese Maßnahme in seinen Rechten beschwert ist. Nicht angegriffen werden kann die Auswahl der Mitglieder durch das Gericht.187) 149 Umstritten ist, ob dem Schuldner oder den Gläubigern eine Beschwerdebefugnis bei Ablehnung der Einsetzung oder Untätigkeit zustehen soll.188) Da insoweit kein Rechtsmittel vorgesehen ist, kommt eine sofortige Beschwerde nach dem Enumerationsprinzip des § 6 Abs. 1 InsO nicht in Betracht. Bei der Ablehnung eines begründeten Antrags auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses ist der Antragsteller in seiner subjektiven Rechtsposition bezogen auf den Antrag betroffen. Bei der Diskussion einer daraus abzuleitenden verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Rechtsschutzes sollte aber bedacht werden, dass damit weder für den Schuldner noch für den Gläubiger unmittelbar Eingriffe in ihre Vermögenspositionen verbunden sind, sondern vielmehr der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter nach wie vor zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung verpflichtet ist, womit sich der gesetzliche Verzicht auf ein Rechtsmittel zugunsten der Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit rechtfertigen lässt. Ein Rechtsmittel ist mithin nicht gegeben. 7.
Amtsannahme und Amtsdauer
150 Das Gläubigerausschussmitglied kann zur Übernahme des Amtes nicht gezwungen werden. Schon aus Gründen der Haftung gemäß § 71 InsO ist die ausdrückliche oder konkludente Amtsannahme zur Wirksamkeit der Bestellung erforderlich.189) Zunächst setzt dies eine Willenserklärung des Bestellten voraus. Die Frage ist hierbei, ob diese auch schon vor der Bestellung abgegeben werden kann, mithin ob die dem Einsetzungsantrag beigefügten Einverständniserklärungen als antizipierte Annahmeerklärungen zu werten sind. Dies ist zu bejahen, denn der Wille des Erklärenden zielt gerade darauf ab, für den Fall seiner Bestellung das Amt anzunehmen. Damit ist in diesem Fall für die Wirksamkeit der Bestellung deren Kenntnis durch den Bestellten ausreichend.190) 151 Nachdem das Gericht Kenntnis davon benötigt, ob die bestellten Personen das Amt auch ausüben oder ob ggf. andere Mitglieder bestellt werden müssen, ist die Amtsannahme gegenüber dem Gericht zu erklären.191) Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen.192) Eine ausdrückliche Erklärung der Amtsannahme gegenüber dem Gericht ist – außer in den Fällen der Fristsetzung – allerdings nicht erforderlich. Die Annahme kann auch konkludent er___________ 186) So LG Kleve v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992, für das „Ob“ der Bestellung. 187) Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 50a. 188) Dafür: Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923; Horstkotte, ZInsO 2012, 1930; Haarmeyer, in: MünchKommInsO, § 22a Rz. 169; dagegen: LG Dessau-Roßlau v. 2.5.2012 – 1 T 116/12; N. Schmidt, ZInsO 2012, 1107; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. 189) Allg. M., Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 21; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 27. 190) So auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2256. 191) Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 27; Frind, ZInsO 2011, 757, 758. 192) LG Duisburg v. 29.9.2003 – 7 T 203/03, ZIP 2004, 729 (LS) = NZI 2004, 95.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
klärt werden durch Übernahme des Amtes, etwa durch Abgabe eines Votums zum vorläufigen Sachwalter. Das Gericht muss für die Anhörung gemäß § 56a Abs. 1 InsO nicht abwarten, bis alle 152 Mitglieder die Annahme schriftlich erklärt haben. Zwar wird die Bestellung erst mit Annahme wirksam, so dass erst die Annahme zur Wirksamkeit der Anhörung führt. Für den Fall, dass der Bestellte das Amt nicht annimmt, entfaltet die Anhörung zwar nicht die Wirkungen des § 56a InsO, ist aber ansonsten unschädlich. Die Aufforderung zur Annahme des Amtes und die Anhörung sollten damit aus Beschleunigungsgründen verbunden werden. Probleme treten auf, wenn nicht alle vom Gericht bestellten Mitglieder ihr Amt an- 153 nehmen. Der Ausschuss könnte dann unausgewogen besetzt sein. Das Gericht wird in diesem Fall zu erklären haben, ob es an der Bestellung des kleineren Ausschusses festhält oder weitere Mitglieder bestellen will, nachdem es nach pflichtgemäßem Ermessen einen Ausschuss bestellen muss, der die wesentlichen Gläubigergruppen abbildet. Individuell endet das Amt durch Tod oder durch Entlassung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 154 Nr. 1a i. V. m. § 70 InsO durch das Gericht. Die Amtsniederlegung ist unzulässig. Vielmehr eröffnet § 70 InsO für das Mitglied gerade die Möglichkeit, auf eigenen Antrag hin entlassen zu werden.193) Für den gesamten Ausschuss endet das Amt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens.194) Das Gesetz trennt klar zwischen dem Antragsverfahren und dem eröffneten Verfahren. Aufgrund der Systematik enden alle vorläufigen Maßnahmen automatisch mit Verfahrenseröffnung.195) Dies betrifft auch den vorläufigen Gläubigerausschuss. Das Gericht kann den vorläufigen Gläubigerausschuss insgesamt nicht abberufen. Erst 155 recht besteht keine Pflicht zur Auflösung des Ausschusses bei Einstellung des Geschäftsbetriebs.196) Gegen die generelle Möglichkeit der Abberufung spricht systematisch bereits § 70 InsO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht von Amts wegen nur einzelne Mitglieder bei Vorliegen eines wichtigen Grunds entlassen. Über § 70 InsO hinaus ist die Gläubigerautonomie und auch die Unabhängigkeit der Mitglieder des Gläubigerausschusses197) besonders geschützt,198) so dass das Gericht den gesamten Ausschuss nur absetzen darf, wenn ein wichtiger Grund für die Absetzung aller Mitglieder gegeben ist. Damit besteht weder das Recht noch die Pflicht zur Absetzung des Ausschusses, wenn etwa der Geschäftsbetrieb eingestellt wird. Das Gericht wird in diesem Fall i. R. seiner Ermessensentscheidung gemäß § 67 InsO zu prüfen haben, ob die weitere Einsetzung eines vorläufigen Ausschusses im eröffneten Verfahren sinnvoll ist. III.
Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters/Insolvenzverwalters
Die gesamten Regelungen zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses sind auf 156 die Beteiligung dieses Organs an der Bestellung des vorläufigen Sachwalters ausgerichtet.199) Nachdem in einem ersten Schritt vom Gericht die allgemeinen Zulässigkeitsvorausset___________ Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 70 Rz. 6; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 70 Rz. 3. Kübler, in: KPB, InsO, § 67 Rz. 14; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251; Obermüller, ZInsO 2012, 18, 21. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 25 Rz. 2. AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418; a. A. Frind, in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 17; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 35; Hölzle, in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 26. 197) Vgl. BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781, 783: Abwahl einzelner Mitglieder nicht möglich, dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach/Frenzel). 198) Vgl. dazu auch Haarmeyer, ZInsO 2013, 1039. 199) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24.
193) 194) 195) 196)
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§9
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
zungen des Insolvenzantrags zu klären sind, ist über die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a InsO und erst dann über die Bestellung des vorläufigen Sachwalters bzw. Insolvenzverwalters zu entscheiden. Soweit der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist, bestellt das Gericht gemäß § 270a InsO einen vorläufigen Sachwalter, auf den § 274 InsO entsprechend anzuwenden ist, der für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters auf die § 56 und § 56a InsO verweist. 157 Die Mitwirkung der Gläubiger bei der Insolvenzverwalterbestellung wird – neben dem schon dargestellten Zeitproblem – in einem Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters gesehen.200) Der gewählte vorläufige Insolvenzverwalter werde Anfechtungsansprüche gegen seine „Wähler“ nicht durchsetzen,201) sondern hauptsächlich im Interesse der Großgläubiger handeln.202) Zudem wird bemängelt, dass er – sofern er zuvor beratend tätig war – vorherige Missstände nicht aufklären und erst recht keine Anfechtungsansprüche gegen sich selbst erheben werde.203) 158 Das Verfahren dient der Gläubigerbefriedigung, was auf den ersten Blick für eine umfassende Einbindung der Gläubiger spricht. Die Gläubiger als homogene Gruppe gibt es aber nicht.204) Es ist damit erforderlich, dass eine unabhängige Instanz – Insolvenzgericht und unabhängiger Sachverwalter205) – sicherstellt, dass in der Situation der Insolvenz als Zustand der Verteilungsknappheit206) eine gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger unter strenger Einhaltung gesetzlicher Vorschriften erfolgt. Diese Unabhängigkeit des Sachwalters oder Insolvenzverwalters ist für die Gläubiger auch nicht disponibel.207) 159 Der Gesetzgeber hat den Konflikt zwischen diesen beiden Aspekten gesehen. Er hat sich für die grundsätzliche Mitwirkung der Gläubiger bei der Verwalterauswahl ausgesprochen und sieht für die Lösung des Unabhängigkeitsproblems drei Aspekte:
Ein für das Gericht bindender Vorschlag erfordert Einstimmigkeit, um zu verhindern, dass einzelne Großgläubiger das Verfahren dominieren. Eine ausgewogene Besetzung des Ausschusses sieht der Gesetzgeber als Gewähr dafür, dass die Interessen der Gesamtgläubigerschaft berücksichtigt werden.
Auch bei einstimmigem Vorschlag hat das Gericht festzustellen, ob der vorgeschlagene Verwalter geeignet ist. Die – nicht disponible – Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters hat das Gericht gerade auch bei dem vom vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagenen Kandidaten besonders eingehend zu prüfen.208) Dies gilt insbesondere für die Frage, ob andere Mitglieder seiner Sozietät oder verbundene Unternehmensberater den Schuldner im Vorfeld beraten haben.209)
___________ 200) Sehr krit. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1034. 201) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1034; Pape, ZInsO 2010, 1582, 1590; zum Problem der Gläubigerautonomie im Spannungsverhältnis zur Insolvenzanfechtung auch: Wimmer, ZIP 2013, 2038. 202) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1034; Pape, ZInsO 2010, 1582, 1590. 203) Frind, ZInsO 2010, 1473, 1478; Vallender, WM 1998, 2129, 2133. 204) Heyer, ZIP 2011, 557, 558. 205) Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ist in langer Tradition in Deutschland anerkannt, vgl. Braun, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 463, 478. Ob diese Unabhängigkeit in den grundgesetzlichen Schutz des Art. 14 GG fällt, erscheint zweifelhaft; so aber Siemon, ZInsO 2011, 381, 384 f.; a. A. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18. 206) Pape, in: Uhlenbruck, InsO, § 1 Rz. 2; Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 8. 207) So aber: Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238; abl. wie hier die h. M., vgl. nur: Bork, ZIP 2013, 145, GrafSchlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766. 208) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 4. 209) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
Der – bei der Auswahl nicht beteiligte – vorläufige Gläubigerausschuss kann den vorläufigen Sachwalter nur in seiner ersten Sitzung abwählen, so dass sich der vorläufige Verwalter nicht dem ständigen Druck der Ausschussmitglieder ausgesetzt sieht.
Vor diesem Hintergrund ist zu klären, wie der Ausschuss anzuhören ist, welche Ent- 160 scheidungen er treffen kann, wie sich diese auf die gerichtliche Entscheidung auswirken und welche Möglichkeiten zur Neuwahl bestehen. 1.
Anhörungspflicht
1.1
Voraussetzung
Gemäß § 56a Abs. 1 InsO ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, 161 sich zum Anforderungsprofil und zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters zu äußern. Voraussetzung der Anhörungsverpflichtung ist damit, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss zuvor bestellt wurde.210) Weitere Voraussetzungen sind nicht erforderlich. 1.2
Form und Fristsetzung
Die „Gelegenheit des Gläubigerausschusses zur Stellungnahme“ bedeutet nicht Anhörung 162 der Einzelmitglieder, sondern Anhörung als Gremium durch Diskussion und Stellungnahme i. R. einer Sitzung durch Beschluss. Nachdem der Ausschuss allerdings – zu diesem frühen Zeitpunkt ohne innere Organisationsstruktur – aus seinen Mitgliedern besteht, hat das Gericht diese aufzufordern, sich in ihrer Gesamtheit als Ausschuss zum Anforderungsprofil und zur Person des Verwalters zu äußern. Nach allgemeinen Grundsätzen kann die Aufforderung mündlich oder schriftlich – auch per E-Mail oder Telefax – erfolgen.211) Sind die in Frage kommenden Ausschussmitglieder persönlich bei Gericht präsent und werden vom Gericht bestellt, wäre eine schriftliche Aufforderung reine Formalie. Der Richter hat die Ausschussmitglieder vielmehr (mündlich) aufzufordern, sich zu ihrer Sitzung zusammenzusetzen und einen Beschluss zu fassen. Eine schriftliche Aufforderung kann geboten sein, wenn aus den telefonischen Rückmeldungen erkennbar wird, dass eine Dokumentation oder Fristsetzung erforderlich ist. Nachdem es die Aufgabe des Insolvenzrichters ist, zeitnah alle erforderlichen Siche- 163 rungsmaßnahmen anzuordnen, hat er dem Ausschuss eine Frist zu setzen, innerhalb derer eine Stellungnahme zu erfolgen hat. Dies können je nach Verfahrensumständen ein bis fünf Tage sein. 1.3
Ausnahme von der Anhörungspflicht
Gemäß § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO kann das Gericht von der Anhörung absehen, soweit 164 dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führt. Damit müssen zwei Fälle unterschieden werden. Auf der Ebene der Bestellung des Ausschusses kann gemäß § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO von der Einsetzung abgesehen werden (siehe dazu oben Rz. 57), während § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO den Fall betrifft, dass ein bereits eingesetzter Ausschuss nicht angehört wird. Der Gesetzgeber sieht für diese Ausnahme nur geringe praktische Bedeutung, da die Kon- 165 sultation des bereits eingesetzten Ausschusses einen nur geringen Zeitaufwand erfordert.212) Wie bei der Prüfung von § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ist auch hier zunächst zu prüfen, welche 166 Verzögerungen mit der Befragung des Ausschusses verbunden sind. Erfasst sind durch ___________ 210) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2255. 211) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 5; Frind, in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 14. 212) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
die Vorschrift Fälle, in denen der Ausschuss wegen umfassender Informationen des Gerichts und beigefügter Einverständniserklärungen sofort eingesetzt werden kann, dann aber Probleme bestehen, ein Votum zur Person oder zum Anforderungsprofil herbeizuführen. Nach einer Entscheidung des AG München kann eine solche Verzögerung auftreten, weil sich der Ausschuss zunächst konstituieren müsse, was einige Tage in Anspruch nehme.213) Dem ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Es ist nicht auf den formalen Akt der Konstituierung abzustellen, sondern darauf, ob alle Mitglieder zu erreichen sind und sie sich mit dem Verfahren ausreichend auseinandersetzen konnten,214) so dass sie auf dieser Basis kurzfristig ein Votum abgeben können. Zur Beurteilung der Verzögerungen ist zu klären, innerhalb welcher Frist der Ausschuss eine Entscheidung treffen kann. Sind etwa in Frage kommende Mitglieder mit Telefon- und Telefaxnummer oder Mailadresse benannt, ist davon auszugehen, dass der Ausschuss spätestens am nächsten Tag seine Arbeit aufnehmen und auch entscheiden kann. Sind nur Postanschriften vorhanden und können Telefaxnummern nicht ermittelt werden, müssen die Postlaufzeiten eingerechnet werden. Keine Ausnahme von der Anhörungspflicht besteht, weil der Ausschuss vermeintlich – wegen bekannter zerstrittener Mitglieder – ohnehin nicht zu einer Entscheidung kommt. Zur Verhinderung von sich hinziehenden Beratungen hat das Gericht vielmehr eine Frist zu setzen. 167 Im Gegensatz zu § 22a Abs. 3 InsO ist Voraussetzung, dass es bei § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage kommt. Die Anforderungen sind also höher. Daran wird deutlich, dass im Zweifel eine Anhörung verbunden mit einer Fristsetzung zu versuchen ist. 168 In einem zweiten Schritt ist zu klären, welche konkreten nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage offensichtlich eintreten werden. Entscheidend ist dabei die Frage, ob die Fortführung des Unternehmens und die Sicherung der Vermögenswerte kurzfristig durch die Organe der Gesellschaft als „Notversorgung“ unter Berücksichtigung der Publizität der Antragstellung sichergestellt werden können.215) Dies kann je nach Größe und Branche des Unternehmens für zwei bis fünf Tage der Fall sein. Bei börsennotierten Gesellschaften kann es allerdings auch notwendig sein, innerhalb weniger Stunden zu handeln. 169 Beim nicht offensichtlich aussichtslosem Antrag auf Eigenverwaltung ist zu beachten, dass dem Schuldner weder die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis entzogen noch ein vorläufiger „schwacher“ Insolvenzverwalter bestellt werden soll, § 270a InsO. Der Schuldner selbst bleibt also dafür verantwortlich, das Unternehmen fortzuführen. Eine kurzfristige nachteilige Veränderung der Vermögenslage sollte damit vom Grundsatz her nicht eintreten. 2.
Stellungnahme des Gläubigerausschusses
2.1
Formelle Aspekte
170 Der Gläubigerausschuss äußert seinen Willen durch Beschluss,216) der grundsätzlich i. R. einer Gläubigerausschusssitzung gefasst wird. In Rechtsprechung und Literatur ist für die „normale“ Gläubigerausschusssitzung anerkannt, dass diese unter Angabe der Tagesordnung mit einer Vorbereitungszeit von drei Tagen zu laden ist.217) Umlaufbeschlüsse und Sitzungen i. R. von Telefonkonferenzen werden dann als zulässig angesehen, wenn dies in ___________ 213) AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender). 214) Dies war im vom AG München zu entscheidenden Verfahren offensichtlich nicht der Fall. 215) In diese Richtung auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2257 – Vollstreckungen drohen oder fortführungsgefährdende Unsicherheiten. 216) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 30. 217) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 4.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
der Geschäftsordnung so geregelt ist218) oder allseitiges Einverständnis besteht.219) Der Rechtsgedanke des § 108 Abs. 4 AktG kann insoweit herangezogen werden. Ohne Einverständnis sind sie also unzulässig,220) das Einverständnis kann aber auch i. R. einer Telefonkonferenz erklärt werden.221) In Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens der § 121 Abs. 6 AktG und § 51 Abs. 3 171 GmbHG kann der Gläubigerausschuss ohne jedwede formelle Einschränkungen beraten und beschließen, wenn erstens alle Mitglieder (telefonisch) anwesend sind und zweitens keines der Mitglieder widerspricht. Daraus sind zwei Erkenntnisse zu ziehen:
Wenn sich alle bestellten Mitglieder i. R. eines Beschlusses oder Umlaufbeschlusses äußern, ohne dass i. R. des Protokolls dagegen Widerspruch erhoben wird, dann sind die formalen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Beschlusses erfüllt. Der Beifügung der Einladung zum Sitzungsprotokoll und der Prüfung von formellen Beschlussmängeln durch das Gericht bedarf es nicht.222)
Wenn sich nicht alle Mitglieder i. R. des gefassten Beschlusses äußern, dann müssen die formalen Voraussetzungen für die Beschlussfassung geprüft werden. Zu prüfen ist mithin die Ladung mit Tagesordnung sowie ein Einverständnis aller zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren.
Der Beschluss kann erst nach der Einsetzung des Ausschusses durch das Gericht gefasst 172 werden. Ein „Vorratsbeschluss“ vor der Einsetzung des Ausschusses bindet das Gericht nicht. Dies hindert den zukünftigen Ausschuss aber nicht daran, bereits vor seiner Einsetzung dem Gericht einen Vorschlag zur Person des Verwalters zu unterbreiten.223) Soweit das Gericht keinen Gläubigerausschuss einsetzt, hat es die Äußerungen der Mitglieder eines repräsentativ vorgeschlagenen Ausschusses zu berücksichtigen und den vorgeschlagenen Sachwalter einsetzen. Praxistipp: Für eine optimale Beschleunigung der Bestellung sollte ein von allen Mitglie- 173 dern des Ausschusses unterzeichnetes Beschlussprotokoll erstellt und ein Mitglied mit der unverzüglichen Mitteilung des Vorschlags an das Gericht betraut werden.224) 2.2
Inhalt
2.2.1 Anforderungsprofil Negativ abgegrenzt darf das Profil keine Kriterien enthalten, die mit dem Gesetz nicht 174 übereinstimmen oder von der Rechtsprechung als unzulässig verworfen worden sind.225) Letztendlich darf das Profil damit nicht gegen die Negativmerkmale des § 56 InsO verstoßen. Es kann auf die Literatur und Rechtsprechung zu § 57 InsO abgestellt werden, der die gleichen Anforderungen stellt.226) Damit ist ein Anforderungsprofil sicher unzulässig, wenn es einen fachlich unfähigen oder persönlich unzuverlässigen Verwalter verlangen würde. Unzulässig sind aber auch Anforderungsmerkmale, die die Unabhängigkeit des Verwalters in Frage stellen (z. B. „Sachnähe als Berater des Schuldners oder der Haus___________ 218) 219) 220) 221) 222) 223) 224) 225) 226)
Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 5; Kübler, in: KPB, InsO, § 72 Rz. 3. Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 10. Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 10. Anders: Graeber, in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 35, der für die erste Sitzung gleichzeitige Präsenz aller Mitglieder an einem Ort fordert. Abw. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2257. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 69. Römermann, ForderungsPraktiker 2012, 8, 12. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 20 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
bank“).227) Neben diesen eindeutigen Fällen werden aber auch solche Kriterien als unzulässig anzusehen sein, für die es – bezogen auf das konkrete Verfahren – keine sachliche Rechtfertigung gibt, d. h. die nicht in sachlich begründetem Zusammenhang mit dem Verfahren stehen, etwa „nicht in Köln ansässiger Verwalter“. 175 Positiv ist zu empfehlen, dass das Anforderungsprofil objektive Kriterien an den Verwalter bezogen auf das konkrete Verfahren zu stellen hat. Dies kann betreffen:228)
Branchenkenntnisse, wenn der Schuldner in einer speziellen Branche tätig ist;
unternehmerische Fähigkeiten;
bisherige Verfahrensabwicklungen;
Erfahrungen im Bereich Insolvenzplan und Eigenverwaltung;
Ortsnähe;
besondere Fremdsprachenkenntnisse bei Geschäftsbeziehungen ins Ausland;
Personelle Ausstattung, Kanzleigröße;
Auslastung.
2.2.2 Vorschlag zur Person 176 Nach einer Auffassung setzt ein Vorschlag zur Person durch den Gläubigerausschuss zwingend ein von diesem beschlossenes Anforderungsprofil voraus.229) Aus dem Wortlaut ergibt sich dies nicht. Aus systematischen Gründen könnte man aus § 56a Abs. 2 Satz 2 InsO den Schluss ziehen, dass – um eine Entscheidung des Gerichts zu ermöglichen – auch ein Anforderungsprofil notwendig sei. Es wäre aber auch unproblematisch möglich, dass das Gericht ohne Anforderungsprofil direkt auf § 56 InsO abstellt.230) Der einstimmige Vorschlag zur Person muss allerdings für das Gericht nachvollziehbar sein, um eine Eignung prüfen zu können. 177 Im Regelfall wird der Ausschuss auf der Basis seines Anforderungsprofils einen Sachwalter vorschlagen. Möglich ist in jedem Fall, dass der Ausschuss zwei oder mehrere Verwalter benennt und dem Gericht die konkrete Auswahl überlässt. Fraglich ist, ob das Gericht bei der Benennung mehrerer Personen bei einstimmigem Beschluss an den Vorschlag gebunden ist. Gegen eine solche Auswahl aus einem benannten Personenkreis gibt es keine Sachgründe.231) Das Gericht ist mithin daran gebunden, aus den Benannten einen auszuwählen, vorausgesetzt es wurde wenigstens ein geeigneter Kandidat benannt. 178 Ausweislich der Begründung zu § 56a InsO ist es nicht notwendig, dass der Vorgeschlagene auf der Vorauswahlliste des Insolvenzgerichts steht.232) Dies entspricht der einhelligen Meinung zu § 57 InsO.233) Der Ausschuss muss also niemanden vorschlagen, der bei dem zuständigen Gericht gelistet ist. Andererseits kann es sehr sinnvoll sein, wenn die Ausschussmitglieder das Gespräch mit dem Insolvenzrichter suchen, wie auch andererseits der Richter mit dem Ausschuss Kontakt aufnehmen kann.234) Zur Aufnahme in die Listen ___________ 227) 228) 229) 230) 231) 232) 233) 234)
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Frind, ZInsO 2011, 2249, 2257. Vgl. Uhlenbruck-Kommission, abgedr. in ZIP 2007, 1432. Frind, in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 13. In diese Richtung: Ries, in: K. Schmidt, InsO, § 56a Rz. 12. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2257. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 23. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2258.
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Vorläufiger Gläubigerausschuss
sind vom Insolvenzverwalter umfangreiche Bewerbungsunterlagen einzureichen.235) Von einigen Gerichten werden zudem Verfahrenskennzahlen erhoben.236) Darüber hinaus kann das Gericht zur aktuellen Belastung des Kandidaten möglicherweise Informationen liefern. 3.
Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung
3.1
Keine Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses
Wie sich aus § 56a Abs. 1 InsO ergibt, hat der vorläufige Gläubigerausschuss nur Ge- 179 legenheit zur Stellungnahme. Der Ausschuss hat keine Pflicht zur Äußerung. Wenn das Gericht innerhalb der gesetzten Frist keine Rückäußerung erhält, hat es – ohne Einschränkungen – selbst gemäß § 56 InsO einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen. Haben die Mitglieder eines repräsentativen zukünftigen Gläubigerausschusses sich bereits 180 vor ihrer Bestellung i. R. der mit dem Insolvenzantrag übersandten Einverständniserklärungen zur Person des Insolvenzverwalters geäußert, muss das Insolvenzgericht dies bei der Prüfung einer nachteiligen Verzögerung als beschleunigendes Element einbeziehen und – sofern es keinen Gläubigerausschuss einsetzen kann – bei seiner eigenen Auswahlentscheidung berücksichtigen.237) Ob sich daraus eine Haftung des Gerichts für die Vergütung des später abgewählten Verwalters ergibt, mag dahinstehen. Jedenfalls im Interesse des Verfahrensergebnisses und des Erhalts des Unternehmens hat das Gericht zu prüfen, ob der vorgeschlagene Sachwalter einzusetzen ist. 3.2
Einstimmiger Beschluss
Gemäß § 56a Abs. 2 InsO darf das Gericht von einem einstimmigen Vorschlag zur Person 181 des vorläufigen Insolvenzverwalters nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person zur Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Zunächst setzt dies einen wirksamen Beschluss voraus. Werden mithin wesentliche For- 182 malien nicht eingehalten, ist der Beschluss nichtig und damit nicht bindend.238) Praktische Relevanz wird dies nicht haben, da ohnehin der Beschluss immer in einer Vollversammlung gefasst werden muss. Einstimmigkeit erfordert, dass alle Mitglieder – nicht nur die anwesenden – zustimmen. 183 Stimmenthaltungen, nichtige Stimmen und abwesende Mitglieder hindern die Wirksamkeit eines einstimmig zu fassenden Beschlusses.239) Dieses strenge Erfordernis ist auch geboten, um einen übereinstimmenden Vorschlag aller Gläubigergruppen zu haben. Das Gericht hat sodann zu prüfen, ob die vorgeschlagene Person für die Übernahme des 184 Amtes ungeeignet ist. Hierfür hat es die Kriterien des § 56 InsO zugrunde zu legen.240) Hinsichtlich der Ungeeignetheit bezogen auf die Merkmale des § 56 Abs. 1 InsO kann 185 auf die Literatur und Rechtsprechung zu § 57 InsO Bezug genommen werden. Dies betrifft zum einen die persönliche und fachliche Eignung für das Verfahren, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit sowie Unabhängigkeit.241) Letztere ist nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Person vom Schuldner oder vom Gläubiger vorgeschlagen worden ___________ Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 11; Graeber, in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 93, 99. Frind, ZInsO 2011, 1913 ff. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 69. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 1; Frind, in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 5. Graeber, in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 25; BayObLG v. 8.12.1994 – 2Z BR 116/94, MDR 1995, 569; a. A. Ries, in: K. Schmidt, InsO, § 56a Rz. 18; Obermüller, ZInsO 2012, 18, 24; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 7. 240) Graeber, in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 37. 241) Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 20.
235) 236) 237) 238) 239)
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
ist oder die Person den Schuldner in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens oder dessen Folgen beraten hat. Darüber hinaus hat das Gericht allerdings eingehend die Unabhängigkeit zu prüfen, insbesondere die Frage, ob Partner des Vorgeschlagenen oder mit ihm verbundene Unternehmensberater im Vorfeld tätig waren.242) Der Gläubigerausschuss kann auch nicht einstimmig auf die Unabhängigkeit verzichten.243) Sie ist vielmehr nicht disponibles Kriterium des vorläufigen Sachwalters. 186 Problematisch ist, ob jemand, der vor der Antragstellung gemeinsam mit dem Schuldner und den Gläubigern einen Insolvenzplan erstellt hat, die notwendige Unabhängigkeit besitzt. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde dies als möglich angesehen,244) die entsprechende Regelung dann aber ausdrücklich gestrichen. Zum einen wird an § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO deutlich, dass eine Beratung, die über die allgemeine Form hinausgeht, dazu führt, dass die erforderliche Unabhängigkeit ausgeschlossen ist. Zum anderen ist es gerechtfertigt, dass ein vom Vorberater unabhängiger neutraler Dritter auch im Planverfahren eine Kontrollfunktion übernimmt.245) 187 Eine fehlende Listung des vorgeschlagenen Sachwalters führt nicht zur Ungeeignetheit. Zwar muss das Gericht i. R. der Geeignetheitsprüfung zunächst notwendige Mitteilungen und Auskünfte vom Kandidaten einholen246) um zu verhindern, dass – gerade beim Antragsausschuss – ggf. bewusst ein unbekannter Kandidat vorgeschlagen wird, der die Kriterien des § 56 Abs. 1 InsO nicht erfüllt. Ob dies dazu führen kann, dass das Gericht mit Verweis auf eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage gegen den einstimmigen Vorschlag einen anderen Verwalter bestellt,247) kann bezweifelt werden, nachdem § 56a Abs. 3 InsO nur auf die Anhörung abstellt. Sofern das Gericht aber weder den vorgeschlagenen Verwalter noch sein Büro telefonisch erreichen kann oder aber der Verwalter nicht in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit einige grundlegende Informationen zu seiner persönlichen und fachlichen Eignung zusammenzustellen, kann ggf. gerade diese Eignung oder seine Büroorganisation in Zweifel gezogen werden. 188 Bei der Eigenverwaltung kann man die Unabhängigkeit des (vorläufigen) Sachwalters als fast noch wichtiger als die des Insolvenzverwalters ansehen.248) Dies gilt in zwei Richtungen. Zum einen besteht im Hinblick auf bestimmte Großgläubiger die Gefahr, dass sich der Schuldner nicht ausreichend gegen sie positionieren kann und von ihnen instrumentalisiert wird. Zum anderen ist sicherzustellen, dass – wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis schon beim Schuldner verbleibt – ihm eine unabhängige und starke Kontrollperson an die Seite gestellt wird. Um den regelmäßig dargestellten Vorbehalten gegen die Eigenverwaltung249) entgegenzuwirken, kommt es darauf an, unabhängige und durchsetzungsfähige Sachwalter einzusetzen. Damit ist aber auch festzuhalten, dass sich die vom Gericht zu prüfende Eignung auch darauf bezieht, ob der Sachwalter dazu in der Lage ist, die
___________ 242) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 44. 243) So aber: Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238; abl. wie hier die h. M., vgl. nur: Bork, ZIP 2013, 145, GrafSchlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766. 244) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. 245) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 2. 246) Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 23; Förster, ZInsO 1999, 625, 626 f. 247) So angedeutet bei Frind, ZInsO 2011, 2249, 2257. 248) Vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 49; Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 274 Rz. 4; ebenso Vallender, WM 1998, 2129, 2139. 249) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 1 m. w. N.; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, vor §§ 270 – 285 Rz. 22.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
Kontrollfunktion sachlich auszufüllen und persönlich gegenüber den Beteiligten umzusetzen. Bei Ungeeignetheit hat das Gericht unter Berücksichtigung des Anforderungsprofils des 189 Gläubigerausschusses einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, § 56a Abs. 2 Satz 2 InsO. Im Eröffnungsbeschluss hat das Gericht gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 5 InsO zu begründen, 190 warum es vom einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters abgewichen ist. Ausgehend vom Wortlaut greift die Vorschrift nur, wenn im Vorfeld der Eröffnung der vorläufige Gläubigerausschuss angehört wird, einstimmig einen Vorschlag macht und das Gericht im Eröffnungsbeschluss einen anderen Verwalter bestellt. Für die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters greift § 27 Abs. 2 Nr. 5 InsO nicht ein.250) 3.3
Mehrheitsbeschluss zur Person des vorläufigen Sachwalters
Wird der Beschluss zur Person des vorläufigen Sachwalters vom Gläubigerausschuss nicht 191 einstimmig gefasst, ist das Gericht daran nicht gebunden. Es ist nicht gezwungen, sich mit dem Vorschlag zu beschäftigen, wird dies aber i. d. R. tun.251) So wie jeder Gläubiger oder Schuldner einen Vorschlag machen kann, der gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO die Unabhängigkeit des Kandidaten nicht in Frage stellt, besteht diese Möglichkeit erst recht für den vorläufigen Gläubigerausschuss. Gerade wenn im Gläubigerausschuss eine Einstimmigkeit aber nicht hergestellt werden konnte, wird sich das Gericht fragen müssen, aus welchen Gründen ein Mitglied sich dem Vorschlag nicht anschließen wollte. 3.4
Mehrheitsbeschluss zum Anforderungsprofil
Das vom vorläufigen Gläubigerausschuss mit Kopfmehrheit (§ 72 InsO) beschlossene 192 Anforderungsprofil ist für das Gericht bindend.252) Einstimmigkeit ist nicht erforderlich. Insbesondere wenn kein Vorschlag zur Person gemacht wird, hat das Gericht die vom Ausschuss definierten Kriterien zu beachten. 4.
Abwahl des bereits bestellten vorläufigen Sachwalters
Beim Insolvenzantragsverfahren handelt es sich um ein Eilverfahren. Aufgrund bestehender 193 dringender Handlungsnotwendigkeiten kann die Gläubigerbeteiligung zu lange dauern, so dass das Gesetz in den § 22a Abs. 3 Alt. 3, § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO die Möglichkeit einräumt, von der Beteiligung abzusehen, wenn die entstehende Verzögerung zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage führt. Um dennoch dem Anspruch auf eine Beteiligung der Gläubiger gerecht zu werden, eröffnet § 56a Abs. 3 InsO für den vorläufigen Gläubigerausschuss die Möglichkeit, in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zu wählen. 4.1
Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO zur Neuwahl
Von seinem Wortlaut her findet § 56a Abs. 3 InsO nur dann Anwendung, wenn das Ge- 194 richt mit Rücksicht auf eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage von der Anhörung nach Absatz 1 abgesehen hat. Der Anwendungsbereich jener Vorschrift ist allerdings eingeschränkt auf den Fall, dass die Konsultation des bereits eingesetzten Ausschusses eine zu lange Zeit in Anspruch nimmt. ___________ 250) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 23. 251) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2258; Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1813. 252) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 23.
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§9
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
195 Der Wortlaut umfasst nicht den Fall des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO, dass ein Ausschuss zunächst gar nicht eingesetzt wird, weil die damit verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führt. Aus diesem Grund wird die Neuwahlmöglichkeit bei zeitlich der Verwalterbestellung nachfolgender Bestellung des Ausschusses abgelehnt.253) Insgesamt ging es dem Gesetzgeber aber darum, die zügige Bestellung eines vorläufigen Verwalters und die Gläubigerbeteiligung in Einklang zu bringen.254) Der Wortlaut von § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO und § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ist nahezu identisch. Auf der Basis dieser Prämisse gibt es keinen Sachgrund, den Fall der Nichtbestellung des Ausschusses anders zu behandeln als den Fall des nicht angehörten Ausschusses, d. h. in den beiden Konstellationen unterschiedliche Rechte einzuräumen. Damit ist der Gläubigerausschuss auch dann zur Abwahl des eingesetzten Sachwalters berechtigt, wenn er bei dessen Bestellung in Anwendung des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO noch nicht eingesetzt war.255) 196 Als weiterer denkbarer Fall für eine zur Bestellung des vorläufigen Sachwalters nachgelagerte Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ist festzuhalten, dass das Gericht nachträglich feststellt, dass die Schwellenwerte gemäß § 22a Abs. 1 InsO doch überschritten waren, und sodann einen Ausschuss einsetzt. Insbesondere besteht aber die Möglichkeit, dass erst nachträglich, etwa auch durch einen Gläubiger, Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO gestellt und daraufhin ein Antragsausschuss eingesetzt wird. Gerade die Abwahlmöglichkeit durch den später beantragten und eingesetzten Gläubigerausschuss birgt besonderes Potential, einen nicht gewollten vorläufigen Sachwalter wieder „loszuwerden“. Gegen eine Abwahlmöglichkeit spricht damit, dass den Gläubigern eine Möglichkeit gegeben wird, den vorläufigen Sachwalter unter Druck zu setzen. Für eine analoge Anwendung des § 56a Abs. 3 InsO ist die zunächst erforderliche Planwidrigkeit der Regelungslücke gegeben. Der Fall wurde nicht bedacht. Für die Analogie sprechen vier Gründe:
Wenn der Antragsausschuss bereits vor der Bestellung des vorläufigen Sachwalters eingesetzt wird, hat er ebenfalls alle Rechte gemäß § 56a InsO.
Der Gesetzgeber geht – wie § 57 InsO zeigt – von einer – an hohe Anforderungen geknüpften – Gläubigerautonomie hinsichtlich der Person des Verwalters aus.
Gerade beim nachträglich einzusetzenden Antragsausschuss besteht die Möglichkeit für das Gericht, besonders intensiv die Ausgewogenheit der Ausschussbesetzung zu prüfen und auch mit dem vorläufigen Sachwalter abzustimmen. Damit ist gewährleistet, dass der Ausschuss entsprechend § 67 Abs. 2 InsO besetzt ist.
Die Neuwahl des vorläufigen Sachwalters kann nur in der ersten Sitzung und auch nur einstimmig erfolgen. Wenn sich alle repräsentierten Gläubigergruppen bereits in der ersten Sitzung einig sind, dass sie einen neuen Sachwalter wollen, mithin andererseits der eingesetzte Verwalter keine einzige Gruppe von sich überzeugen konnte, dann ist die Neubesetzung in jedem Fall gerechtfertigt.
197 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch der nachträglich auf Antrag eingesetzte Gläubigerausschuss die Möglichkeit hat, einstimmig in seiner ersten Sitzung einen neuen Verwalter gemäß § 56a Abs. 3 InsO analog zu wählen.256)
___________ 253) 254) 255) 256)
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Graeber, in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 60 ff.; Frind, in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 29. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 133; Ehlers, BB 2013, 259, 262. Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 133; Ehlers, BB 2013, 259, 262.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss 4.2
Keine Neuwahl des Verwalters
Der Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO ist nicht eröffnet, wenn das Gericht von 198 einem einstimmigen Vorschlag des Gläubigerausschusses wegen Ungeeignetheit des Kandidaten abweicht. In diesem Fall ist das Mitwirkungsrecht ausgeschöpft. Gleiches gilt aber auch, wenn es zunächst nur einen Mehrheitsbeschluss gab und nun einstimmig doch von dem vom Gericht bestellten Verwalter abgewichen werden soll. Auch hier hatte der Ausschuss die, vom Gesetz sowohl in § 56a Abs. 1 als auch in Abs. 3 InsO geregelte, einmalige Mitwirkungsbefugnis bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters. 4.3
Beschlussfassung
Voraussetzung für die Neuwahl ist zunächst ein einstimmiger Beschluss des Ausschusses. 199 Es gelten die dargestellten Erfordernisse für die Wirksamkeit (siehe oben Rz. 182). Der Beschluss ist einstimmig von allen Mitgliedern des Ausschusses zu fassen. 4.4
Rechtsfolgen
Hat der Ausschuss mit wirksamem einstimmigen Beschluss einen neuen vorläufigen 200 Sachwalter gewählt, stellt sich die Frage, wie und ab wann er in sein Amt kommt. In § 56a Abs. 3 InsO fehlt es insoweit an einer Regelung der Rechtsfolgen. Diese Regelungslücke kann unproblematisch durch § 57 Satz 3 InsO geschlossen werden, der den vergleichbaren Fall der Abwahl eines Verwalters durch die Gläubigerversammlung regelt. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen:
Der gewählte vorläufige Sachwalter wird durch das Gericht bestellt. Sein Amt beginnt mit der Annahme seiner gerichtlichen Bestellung.257)
Das Gericht hat den Gewählten nicht zu bestellen, wenn er für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Damit deckt sich die Bestellung im Fall der späteren Abwahl auch mit der Bestellung des einstimmig vorgeschlagenen Kandidaten gemäß § 56a Abs. 2 InsO.
IV.
Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters – erneute Anhörung
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist bei Anordnung der Eigenverwaltung gemäß 201 § 270c InsO ein Sachwalter zu bestellen. Gemäß § 274 Abs. 1 InsO gelten für die Bestellung die § 56 und § 56a InsO entsprechend. Gemäß § 56a InsO ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss vor der Bestellung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Man muss sich an dieser Stelle allerdings vergegenwärtigen, dass die viel wichtigere Entscheidung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens lange gefallen ist, nämlich bereits mit Bestellung des vorläufigen Sachwalters. In der Regel wird mit Eröffnung der vorläufige Sachwalter auch zum endgültigen Sachwalter bestellt. Grundsätzlich gelten für die Bestellung des endgültigen Sachwalters die gleichen Rege- 202 lungen wie vorstehend (siehe Rz. 156 ff.) dargestellt. Soweit der vorläufige Gläubigerausschuss bereits zur Bestellung des vorläufigen Sachwalters angehört worden ist, stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine erneute Anhörung zu erfolgen hat und welche Wirkungen die Entscheidungen des vorläufigen Gläubigerausschusses in Bezug auf den vorläufigen Sachwalter für die Bestellung des endgültigen Sachwalters haben. ___________ 257) Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 19.
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349
§9 1.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Anhörungspflicht
203 § 56a Abs. 1 InsO sieht für die Bestellung des Sachwalters eine Anhörungspflicht unter der Voraussetzung vor, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt wurde. Das Gericht kann von der Anhörung absehen, soweit dies offensichtlich zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners führt. Diese Ausnahme wird bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters kaum eingreifen. Wegen des vorgelagerten Insolvenzantragsverfahrens besteht für das Gericht immer ausreichend Zeit, dem Ausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 204 Vom Grundsatz her hat vor der Bestellung des endgültigen Sachwalters eine erneute Beteiligung des Gläubigerausschusses zu erfolgen, um die Erkenntnisse des Ausschusses i. R. des Antragsverfahrens ausreichend einzubeziehen.258) Nachdem das Insolvenzrecht keinen Automatismus zur Bestellung des endgültigen Verwalters kennt, bestehen die Mitwirkungsrechte gemäß § 56a Abs. 2 InsO auch bei dessen Einsetzung. Nach allgemeinen Grundsätzen bedarf es dann keiner erneuten Anhörung, wenn diese schon erfolgt ist und sich nachfolgend aus dem bisherigen Verfahrensverlauf eine bestimmte Entscheidung ergibt.259) Eine nochmalige Anhörung kann demnach unterbleiben, wenn der Ausschuss ausreichend informiert ist, seine Mitwirkungsrechte ausreichend gewahrt sind und er von der gerichtlichen Entscheidung nicht überrascht wird. Insofern ist die Beteiligung des Ausschusses nicht nötig, wenn das Gericht den einstimmig vorgeschlagenen oder später gewählten vorläufigen Sachwalter mit Eröffnung zum endgültigen Sachwalter bestellen will.260) Das Gericht kann dann von einem fortbestehenden Willen des Ausschusses ausgehen, dass mit der Bestellung des Benannten Einverständnis besteht, oder – anders gewandt – der Ausschuss muss in diesem Fall ausdrücklich dem Gericht seinen nunmehr entgegengesetzten Willen mitteilen. 2.
Auswirkungen auf die gerichtliche Bestellungsentscheidung
2.1
Einstimmiger Beschluss zur Person
205 Nachdem zwischen vorläufigem und endgültigem Verwalter keine Kontinuität besteht, kann der vorläufige Gläubigerausschuss nunmehr einen Vorschlag zur Person machen, der bei Einstimmigkeit Bindungswirkung für das Gericht entfaltet, wenn der Vorgeschlagene nicht ungeeignet ist. Infolgedessen kann es zu einem Wechsel des Sachwalters kommen. 2.2
Fortdauer der Bindungswirkung für die Bestellung des endgültigen Sachwalters
206 Für den Fall, dass der vorläufige Sachwalter aufgrund eines einstimmigen Vorschlags gemäß § 56a Abs. 2 InsO oder einer Wahl gemäß § 56a Abs. 3 InsO in sein Amt gekommen ist, stellt sich die Frage, ob das Gericht an dieses Votum für die Bestellung des endgültigen Verwalters gebunden ist.261) Vom Wortlaut und der Systematik her, müsste der vorläufige Gläubigerausschuss vor Eröffnung erneut einstimmig einen Vorschlag zur Person machen, um die Bindungswirkung des § 56a Abs. 2 InsO zu erzeugen. Diese rein formale Betrachtungsweise wird der Vorstellung des Gläubigerausschusses nicht gerecht. Der Gläubigerausschuss, von dem das Verfahren als Einheit gesehen wird, geht davon aus, dass sein einmal geäußerter Wille zur Bestellung einer bestimmten Person fortwirkt und weiterhin eine Bindung für das Gericht erzeugt. Damit ist das Gericht an den ursprünglichen Beschluss gebunden und muss dieselbe Person zum endgültigen Verwalter bestellen, ___________ 258) 259) 260) 261)
350
Graeber, in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 19. Saenger, in: Saenger, ZPO, Einf. Rz. 50. Etwas weiter Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. Vgl. dazu Obermüller, ZInsO 2012, 18, 24.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
es sei denn, dieser ist zwischenzeitlich ungeeignet geworden, etwa weil er in grob pflichtwidriger Weise seine Anzeigepflicht gemäß § 274 Abs. 3 InsO verletzt hat. V.
Allgemeine Rechte und Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses
1.
Allgemeine Rechte und Pflichten gemäß § 69 InsO
Dem Gläubigerausschuss stehen auch im Insolvenzantragsverfahren die allgemeinen 207 Rechte und Pflichten gemäß § 69 InsO zu, wie sich aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO ergibt. Die Vorschrift definiert allgemein eine Unterstützungs- und Überwachungsverpflichtung bezogen auf den Insolvenzverwalter und nennt beispielhaft die Pflicht zur Unterrichtung und Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere sowie die Kassenprüfung. Bei der Eigenverwaltung, bei der die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ja beim Schuldner verbleibt, macht die Kontrolle des Kontrolleurs wenig Sinn. Der (vorläufige) Gläubigerausschuss hat damit die Pflicht, den Schuldner zu unterstützen und zu überwachen. Zu den Einzelheiten kann auf unten § 14 verwiesen werden. 2.
Besondere Zustimmungsrechte im Antragsverfahren
Der Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren hat verschiedene Zustimmungsrech- 208 te.262) Insbesondere ist seine Zustimmung einzuholen zur Betriebsstilllegung vor dem Berichtstermin und zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen, wie sie in § 160 Abs. 2 InsO beispielhaft aufgeführt sind. Für die Eigenverwaltung regelt § 276 InsO das Zustimmungserfordernis zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners (siehe unten § 14). Der Verweis auf § 160 InsO fehlt in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO. Dies ist insoweit zutreffend, als es um die Veräußerung des Unternehmens und die Verwertung der Masse geht, die dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht gestattet ist. Auf der anderen Seite werden aber gerade im Antragsverfahren die maßgeblichen Verhandlungen zum Verkauf geführt, um – soweit nötig – direkt mit Eröffnung veräußern zu können. Die Zustimmung zum Verkauf nach Eröffnung ist dann reine Formalie, weil eine Alternative ohnehin nicht mehr besteht. § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO nennt weiter die Aufnahme von Darlehen, die gerade auch im Antragsverfahren erfolgen kann. Die Möglichkeit zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO wurde gerade eingeführt, weil wesentliche Entscheidungen im Antragsverfahren gefällt werden.263) Die Weichen für die Fortführung und auch für den Verkauf werden dort gestellt. Deshalb ist es gerechtfertigt, die Zustimmungserfordernisse für den vorläufigen Gläubigerausschuss auf den Gläubigerausschuss des Antragsverfahrens auszudehnen.264) Überschneidungen ergeben sich nach den vorstehenden grundsätzlichen Ausführungen 209 bei einer Betriebsstilllegung. Diese erfordert gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sowohl die Zustimmung des Insolvenzgerichts wie auch die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 158 InsO. Ohne Zustimmung des Gerichts darf der Betrieb nicht stillgelegt werden.265) Ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses ist die Stilllegung möglich, aber haftungsbegründend.266)
___________ 262) 263) 264) 265) 266)
Vgl. Aufstellung bei Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 68 ff. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. So auch Frind, ZIP 2012, 1380, 1382, der in § 160 InsO eine spezielle Ausformung des § 69 InsO sieht. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 32. Weber, in: KPB, InsO, § 158 Rz. 8 f.
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§9 VI.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Recht zur Stellungnahme bei Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 3 InsO
210 Nach § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO ist der vorläufige Gläubigerausschuss vor der Entscheidung über den Antrag auf Eigenverwaltung anzuhören. Der Gesetzgeber sieht bei der Entscheidung über die Eigenverwaltung eine Parallelität zur Entscheidung über die Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters. In beiden Fragestellungen sollen die Gläubiger möglichst frühzeitig einbezogen werden, um „der Gläubigerautonomie effektiv Geltung zu verschaffen“.267) 1.
Anhörungspflicht
211 Voraussetzung für die Anhörungspflicht ist, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt wurde. Die Norm des § 270 Abs. 3 InsO enthält keine Verpflichtung, einen Gläubigerausschuss einzusetzen.268) Dies bestimmt sich vielmehr nach §§ 22a, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO.269) Ein eingesetzter Ausschuss – ob obligatorischer Ausschuss, Antragsausschuss oder fakultativer Ausschuss – ist aber anzuhören.270) 212 Zu differenzieren ist zunächst im Hinblick auf den Zeitpunkt der Anhörung. Nach der gesetzlichen Regelung ist der Gläubigerausschuss zum Antrag auf Eigenverwaltung, über den mit Verfahrenseröffnung zu entscheiden ist, anzuhören. Der notwendige Zeitpunkt der Anhörung ist damit vor der Eröffnungsentscheidung. 213 Für das Eröffnungsverfahren sieht der Wortlaut des § 270a InsO keine Anhörung über die im Antragsverfahren anzuordnenden bzw. nicht anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen vor. Die erste Weichenstellung in Richtung Eigenverwaltung fällt aber bereits unmittelbar nach Insolvenzantragstellung, wenn das Gericht gemäß § 270a InsO keinen vorläufigen starken oder schwachen Insolvenzverwalter, sondern einen vorläufigen Sachwalter bestellt. Eine erste Anhörung kann damit aus dem vorgenannten Gesichtspunkt allerdings auch bereits mit der Anhörung zur Auswahl des vorläufigen Sachwalters verbunden werden.271) Sie muss damit verbunden werden, wenn das Gericht eine vorläufige Eigenverwaltung ablehnen will. Ein einstimmiges Votum für eine Eigenverwaltung entsprechend § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO erzeugt auch für das Eröffnungsverfahren Bindungswirkung für das Gericht, weil es nicht durch die Ablehnung der Eigenverwaltung und Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vollendete Tatsachen entgegen dem Ausschussvotum – welches das Gericht später binden würde – schaffen darf. Hat der Ausschuss auf diese erste Anhörung hin kein einstimmiges Votum für die Eigenverwaltung abgegeben, ist eine abschließende Anhörung unmittelbar vor Verfahrenseröffnung vorzunehmen, die die Erkenntnisse des Antragsverfahrens mit einbeziehen kann. 214 Eine bestimmte Form der Anhörung ist nicht vorgeschrieben. Sie kann mündlich oder schriftlich – auch per Telefax oder E-Mail – erfolgen. Da das Gericht über die innere Organisation des Ausschusses keine Kenntnis hat, bedeutet Anhörung die Aufforderung an alle Mitglieder des Ausschusses, sich in ihrer Gesamtheit durch Beschluss zu äußern. Nachdem die Eröffnung des Verfahrens regelmäßig zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen soll, wird das Gericht dem Ausschuss hierfür eine Frist setzen. Diese kann wesent___________ 267) 268) 269) 270)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39, und Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1814. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. Abw. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 24, der dem fakultativen Ausschuss keine Rechte einräumen will; dagegen Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33 – Nennung von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a. 271) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39.
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§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
lich länger bemessen sein als die Frist zur Stellungnahme der Auswahl des vorläufigen Sachwalters. Gemäß § 270 Abs. 3 Halbs. 2 InsO ist eine Ausnahme für die Anhörungspflicht normiert 215 für den Fall, dass dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt. Es muss für das Gericht mithin die Situation bestehen, dass ohne die sofortige Anordnung der Eigenverwaltung kurzfristig ein Schaden entsteht. Es ist zu prüfen, welche nachteiligen Veränderungen entstehen können, wenn zunächst die Anhörung erfolgt, bevor die Eigenverwaltung angeordnet wird. Wird der Antrag auf Eigenverwaltung mit dem Insolvenzantrag gestellt, sind Fallgestaltungen, die zu einer Ausnahme von der Anhörungspflicht führen, kaum denkbar.272) Die Vorschrift kann allerdings Bedeutung erlangen, wenn das Gericht unmittelbar nach Antragstellung die Eigenverwaltung ablehnen und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen will. 2.
Stellungnahme des Gläubigerausschusses
Die Stellungnahme des Gläubigerausschusses erfolgt durch Beschluss, der in einer Gläu- 216 bigerausschusssitzung zu fassen ist, zu der unter Angabe der Tagesordnung ordnungsgemäß zu laden ist, es sei denn, es handelt sich um eine Vollversammlung (siehe Rz. 182). Inhaltlich hat der Gläubigerausschuss sein Votum zur Anordnung der Eigenverwaltung 217 abzugeben. Neben dem Antrag des Schuldners ist für die Anordnung der Eigenverwaltung wesentliche Voraussetzung, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Diese Nicht-Nachteiligkeit für die Gläubiger wird bei einstimmigem Beschluss des Ausschusses fingiert. Vor diesem Hintergrund muss sich der Ausschuss zwingend mit der Frage auseinandersetzen, ob Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Zur Absicherung der eigenen Entscheidung wird der Ausschuss Entscheidungsgrundlagen und Abwägungen dokumentieren, zumal eine Fehlentscheidung (Befürwortung der Eigenverwaltung, obwohl nachteilige Umstände dem Ausschuss bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen) eine Haftung der Ausschussmitglieder begründet.273) Soweit einzelne Mitglieder oder der Ausschuss insgesamt gegen die Anordnung sind, ist 218 das Gericht an diesen die Eigenverwaltung ablehnenden Beschluss nicht gebunden. Um eine Ablehnung der Eigenverwaltung durch das Gericht zu erreichen, muss der Ausschuss in der Begründung seines ablehnenden Beschlusses konkrete Umstände darlegen, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Allein der unbegründet ablehnende Beschluss des Ausschusses ist für sich kein nachteiliger Umstand.274) Ein Nachteil für die Gläubiger kann es aber sein, wenn wesentliche Beteiligte den Sanierungsprozess unter der bisherigen Führung nicht unterstützen275) oder dem Gläubigerausschuss im Antragsverfahren kein Zahlenwerk und keine Planrechnungen für die Unternehmenssanierung vorgelegt wurden.276) Wie sich aus der Formulierung von § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO ergibt, ist der Gläubigeraus- 219 schuss nicht verpflichtet, eine Stellungnahme abzugeben.
___________ 272) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1814. 273) Kübler, in: KPB, InsO, § 71 Rz. 26. 274) AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390; a. A. LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14 (MIFA), ZIP 2014, 2355, dazu EWiR 2014, 789 (Spliedt) – starkes Indiz. 275) AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390. 276) AG Köln v. 1.6.2012 – 73 IN 125/12, ZInsO 2012, 353.
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§9 3.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung bei Zustimmung zur Eigenverwaltung
220 Nach Maßgabe des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO gilt bei wirksamem einstimmigen Beschluss des Gläubigerausschusses für die Anordnung der Eigenverwaltung diese nicht als nachteilig für die Gläubiger. Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzung gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO wird damit fingiert und gilt als erfüllt. Das Gericht hat diese Voraussetzung nicht mehr zu prüfen, sondern als gegeben zu unterstellen.277) Dem Antrag des Schuldners ist stattzugeben. 221 Spricht sich der Gläubigerausschuss nur durch Mehrheitsbeschluss für die Eigenverwaltung aus, entfaltet dies für das Gericht keine Bindungswirkung. Vielmehr hat es in eigener Zuständigkeit das Vorliegen der Voraussetzung des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu prüfen.278) Im Rahmen seiner Entscheidung muss es aber den Beschluss des Ausschusses und v. a. die darin enthaltenen Erwägungen berücksichtigen, wie es jede Stellungnahme von Gläubigern einzubeziehen hat.279) Insbesondere aus den Voten der ablehnenden Mitglieder ergeben sich ggf. Umstände, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen führt. 4.
Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung bei Ablehnung der Eigenverwaltung
222 Eine ablehnende Entscheidung des Gläubigerausschusses – unabhängig ob einstimmig oder mehrheitlich – ist für das Gericht nicht bindend.280) Das Gericht wird sich in diesem Fall aber eingehend mit den Gründen für die Ablehnung auseinandersetzen müssen. Die vom Gläubigerausschuss dargelegten Umstände, die eine nachteilige Wirkung für die Gläubiger erwarten lassen, sind zu würdigen. VII. Besonderheiten beim Schutzschirmverfahren 223 Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist kein eigenständiges Sanierungsverfahren, sondern eine besondere Form des Eröffnungsverfahrens, speziell der vorläufigen Eigenverwaltung.281) In Bezug auf die Mitwirkung des Gläubigerausschusses gelten damit zunächst einmal die allgemeinen Regeln, soweit nicht § 270b InsO Besonderheiten vorsieht. 1.
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses
224 Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen wird durch § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO eingeschränkt.282) Die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO ist ausdrücklich zugelassen. 225 Problematisch ist, ob durch § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO die Einsetzung eines obligatorischen Gläubigerausschusses bzw. eines Antragsausschusses gemäß § 22a InsO suspendiert ist. Explizit verwiesen wird auf § 22a InsO beim Schutzschirmverfahren nicht. Daher wird teilweise die Einsetzung eines obligatorischen Ausschusses oder eines Antragsausschusses abgelehnt.283) In der Folge würde dies aber bedeuten, dass durch den Antrag auf ein „Schutzschirmverfahren“ die sonst zwingende Mitwirkung des Gläubigerausschusses ___________ 277) 278) 279) 280) 281) 282) 283)
354
Begr. RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1814. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 41. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1814. Desch, BB 2011, 841. Desch, BB 2011, 841, 842. Frind, ZIP 2012, 1380, 1384; dagegen wie hier: Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 11.
Ampferl
§9
Vorläufiger Gläubigerausschuss
ausgehebelt werden könnte, weil im Eröffnungsverfahren dann kein Ausschuss einzusetzen ist und nach Eröffnung keine Einsetzungspflicht mehr besteht. Die Nichtanwendung von § 22a InsO beim Schutzschirmverfahren würde damit zu einem Wertungswiderspruch führen. Gerade die Eigenverwaltung sieht in § 270 Abs. 3 InsO die besondere Mitwirkung des Gläubigerausschusses vor. Die Entscheidung über die Eigenverwaltung wird vom Gesetzgeber in Parallelität zur Verwalterauswahl gesehen,284) so dass die gleichen Regelungsmechanismen für den obligatorischen Ausschuss und den Antragsausschuss anzuwenden sind. Andernfalls würde es zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO kommen, die der grundsätzlich angestrebten Gläubigerbeteiligung im Verfahren zuwiderläuft. Die Norm des § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO schränkt daher nur die Anwendung von § 21 InsO 226 ein. § 22a InsO ist im Schutzschirmverfahren anzuwenden.285) 2.
Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters
Im Schutzschirmverfahren ist ein vorläufiger Sachwalter gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 227 i. V. m. § 270a Abs. 1 InsO zu bestellen. Für dessen Bestellung finden über § 274 InsO die Vorschriften der § 56 und § 56a InsO Anwendung. Entsprechend dieser Verweisungskette wäre der vorläufige Gläubigerausschuss vor der Bestellung des vorläufigen Sachwalters anzuhören und könnte gemäß § 56a InsO mitwirken.286) Gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO hat das Gericht aber den vom Schuldner vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, wenn er nicht offensichtlich für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Die Frage ist mithin, ob die Schuldner- oder die Gläubigermitwirkung hier vorrangig sein soll. Da der vorläufige Gläubigerausschuss gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO mit einfacher Mehrheit die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens beantragen kann, wird daraus gefolgert, dass er auch für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters anzuhören sei.287) Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.288) Wesentlicher Unterschied zum „normalen“ Antrag auf Eigenverwaltung ist, dass der Schuldner „seinen“ vorläufigen Sachwalter mitbringen kann. Gerade dies soll einen Anreiz schaffen, frühzeitig Antrag zu stellen und die Sanierung einzuleiten.289) Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Gläubigerausschuss Einfluss auf die Wahl des vorläufigen Sachwalters hätte bzw. für den Schuldner bei Einleitung des Verfahrens eine solche Unsicherheit bestünde. Der „mitgebrachte“ Sachwalter ist ein so wesentliches Element des Schutzschirmverfahrens, dass – wenn der Ausschuss später auf die Auswahl der Person des vorläufigen Sachwalters Einfluss nehmen will – er dazu die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens zu beantragen hat und sodann im „normalen“ Eröffnungsverfahren bei Eigenverwaltung einen (einstimmigen) Vorschlag machen kann. Nach der überwiegenden Ansicht wird auch § 56a Abs. 3 InsO von der Spezialregelung 227a des § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO verdrängt.290) Der Gläubigerausschuss kann also den „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalter nicht abwählen. Der Ausschuss kann in diesem Fall aber das Schutzschirmverfahren durch einstimmigen Beschluss beenden. Ein separates Abwahlrecht für den vorläufigen Sachwalter würde nur relevant, wenn der Ausschuss ___________ 284) 285) 286) 287)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. Im Ergebnis ebenso: Pape, in: KPB, InsO, § 270b Rz. 70. Rendels, INDat-Report 8/2011, S. 44, 47. Rendels, mit dem problematischen Vorschlag, die Kollision dadurch zu lösen, dass das Gericht § 22a Abs. 3 InsO anwenden soll, INDat-Report 8/2011, S. 44, 47. 288) So auch: Ehlers, BB 2013, 259, 262; Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 274 Rz. 7. 289) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 290) Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 30; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 10.
Ampferl
355
§9
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren
zwar das Schutzschirmverfahren beibehalten will, aber den vorläufigen Sachwalter nicht. Diese Konstellation dürfte die absolute Ausnahme sein. 3.
Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens
228 Der vorläufige Gläubigerausschuss kann gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO die Aufhebung des „Schutzschirmverfahrens“ beantragen. Es genügt hierfür ein wirksamer Beschluss mit der Kopfmehrheit gemäß § 72 InsO. Eine Begründung für den Aufhebungsantrag hat der Gläubigerausschuss nicht abzugeben. Der Gläubigerausschuss hat den Antrag schriftlich durch Einreichung des entsprechenden Beschlusses beim Insolvenzgericht zu stellen. Liegt ein wirksamer Beschluss vor, hat das Gericht die Anordnung gemäß § 270b Abs. 1 InsO aufzuheben. 229 Fraglich ist, ob der Gläubigerausschuss die Pflicht hat, einen Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens zu stellen. Eine solche Pflicht wird teilweise bereits dann angenommen, wenn nach Einleitung des Schutzschirmverfahrens Zahlungsunfähigkeit eintritt. Dies ist als zu weitgehend abzulehnen. Der Ausschuss hat allgemein die Pflicht, den Schuldner zu überwachen und die Interessen der Gläubiger zu wahren. Aus dieser allgemeinen Pflicht und aus dem Regelungszusammenhang der § 270b Abs. 4 und § 270 Abs. 2 InsO ergibt sich damit eine Pflicht zum Antrag auf Aufhebung nur dann, wenn die Sanierung offensichtlich aussichtslos geworden ist oder nachteilige Umstände für die Gläubiger bekannt werden oder hätten erkannt werden müssen. 230 Nach Aufhebung der Anordnung gelten entweder die Vorschriften für ein Eröffnungsverfahren bei Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO oder sogar für ein allgemeines Eröffnungsverfahren gemäß §§ 21 ff. InsO. Dies hat zunächst zur Konsequenz, dass der Gläubigerausschuss in seinem Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens dazu Stellung nehmen sollte, ob die Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. 231 Zu der Streitfrage, ob mit der Aufhebung der Anordnung gemäß § 270b Abs. 1 InsO gleichzeitig auch der vom Schuldner mitgebrachte vorläufige Sachwalter abberufen ist oder das Gericht diesen nur abberufen kann,291) muss hier nicht Stellung genommen werden. Der Gläubigerausschuss sollte in jedem Fall i. R. des Antrags dazu Stellung nehmen, ob der bisherige Sachwalter beibehalten werden kann.
___________ 291) Desch, BB 2011, 841, 844.
356
Ampferl
B. Eröffnetes Verfahren § 10 Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung Neußner/Flöther
I.
Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung des Sachwalters................. 1 1. Eröffnungsbeschluss .................................... 1 1.1 Anordnung der Eigenverwaltung ............................................ 1 1.2 Bestellung eines Sachwalters........... 8 2. Gläubigerversammlung .............................. 10 2.1 Gläubigerautonomie Eigenoder Fremdverwaltung .................. 10 2.2 Abwahl und Neuwahl des Sach- bzw. Insolvenzverwalters.... 13 II. Anordnungsvoraussetzungen.................. 16 1. Schuldnerantrag.......................................... 16 2. Materielle Voraussetzungen bzw. Versagungsgründe ...................................... 23 2.1 Keine Nachteile durch die Eigenverwaltung ............................ 23 2.2 Mehrwert einer Eigenverwaltung und Anordnungsplanbarkeit............ 29 2.3 Anspruch auf Eigenverwaltung .... 31 2.3.1 Beweislastverteilung ...................... 31 2.3.2 Einstimmige Unterstützung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss ........................................ 38 2.4 Beurteilungsgrundlagen ................ 44 2.4.1 Konkrete Umstände ...................... 44 2.4.2 Amtsermittlung und Berichtspflicht im Eröffnungsverfahren .... 51
2.5
Fallgruppen und Faktoren für und gegen die Eigenverwaltung .... 57 2.5.1 Verfahrensziel und Verfahrenseinleitung........................................ 57 2.5.2 Verzögerung des Verfahrens......... 61 2.5.3 Unternehmensstruktur und Branche........................................... 65 2.5.4 Kompetenz, Zuverlässigkeit und Vertrauen der Beteiligten .............. 71 3. Begründung der Entscheidung .................. 77 4. Rechtsmittel ............................................... 79 4.1 Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde .................................... 79 4.2 Außerordentliche Rechtsbehelfe ............................................ 81 III. Nachträgliche Anordnung ...................... 87 1. Sinn und Zweck.......................................... 87 2. Voraussetzungen ........................................ 88 2.1 Antrag der ersten Gläubigerversammlung.................................. 88 2.2 Zustimmung des Schuldners zur Anordnung der Eigenverwaltung .......................................... 94 3. Verfahren .................................................... 97 4. Bestellung eines Sachwalters.................... 101 5. Rechtsfolgen............................................. 102 6. Rechtsmittel ............................................. 104
Literatur: Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Frind, Der Aufgabenkreis des vorläufigen Sachwalters in der Eigenverwaltung – Eine Betrachtung aus insolvenzgerichtlicher Sicht, NZI 2014, 937; Frind, Vorschläge für Musterbeschlüsse des Insolvenzgerichtes in regelhaft gem. InsO-ESUG vorkommenden Verfahrenssituationen, ZInsO 2012, 386; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Frind, Problemanalyse zu geplanten Neuregelungen des Plan- und Eigenverwaltungsverfahrens nebst Insolvenzstatistik, ZInsO 2011, 656; Gravenbrucher Kreis, ESUG – Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2014, 1262; Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG – Herausforderungen für die Praxis, ZIP 2012, 158; Obermüller, Das ESUG und seine Auswirkungen auf das Bankgeschäft, ZInsO 2011, 1809; Pape, Gläubiger- und Schuldneranträge im Regelinsolvenzverfahren – aktuelle Rechtsanwendungsprobleme, ZInsO 2011, 2154; Paulus, Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer, ZGR 2005, 309; Wehdeking/Smid, Soll die Anordnung der Eigenverwaltung voraussetzen, dass der Schuldner dem Insolvenzgericht einen „pre-packaged“ Insolvenzplan vorlegt?, ZInsO 2010, 1713.
I.
Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung des Sachwalters
1.
Eröffnungsbeschluss
1.1
Anordnung der Eigenverwaltung
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Gericht gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO 1 nun erstmals auch förmlich über den Eigenverwaltungsantrag zu entscheiden. Dies gilt Neußner/Flöther
357
§ 10
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
auch dann, wenn die vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO oder in Gestalt des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO vom Gericht zugelassen worden ist. Ordnet das Gericht die Eigenverwaltung über das Vermögen des Schuldners an, kommt es nicht zum Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen Fremdverwalter, wie es § 80 InsO ansonsten für das eröffnete Verfahren vorsieht. Stattdessen üben in der Eigenverwaltung die Geschäftsleiter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis für das Unternehme aus und sind aufgrund der übertragenen Befugnisse gleichsam Amts- bzw. Insolvenzverwalter in eigener Sache.1) Neußner
2 Umstritten ist, ob gleichermaßen auch eine Ablehnung der Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 1 bis 4 InsO, abzugrenzen von einer vorläufigen Insolvenzverwaltung, erst im Eröffnungsbeschluss erfolgen kann2) oder ob ein isolierter Beschluss auch schon während des noch laufenden Eröffnungsverfahrens und vor der Entscheidung über die Eröffnung ergehen kann.3) 3 Nach seinem Wortlaut regelt § 270 Abs. 1 InsO nur die Anordnung der Eigenverwaltung, die zwingend im Eröffnungsbeschluss zu erfolgen hat, nicht dagegen die Zurückweisung eines Eigenverwaltungsantrags. Diese kann daher jedenfalls auch in einem isolierten Beschluss getroffen werden. Zum Teil wird ein gesonderter Zurückweisungsbeschluss in der Literatur auch ausdrücklich empfohlen.4) 4 Gegen eine zeitlich vorgezogene Entscheidung spricht nach neuem Recht allerdings, dass für die Zeit des Eröffnungsverfahrens bei Eigenverwaltungsanträgen mit den §§ 270a, 270b InsO eigenständige Regelungen getroffen wurden. Die Verfahrensabschnitte sollten daher auch klar getrennt bleiben. Einer förmlichen Entscheidung über die Zulassung oder Abweisung des Eigenverwaltungsantrags bedarf es erst mit der Eröffnung aufgrund des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen Amtswalter gemäß § 80 InsO. Es sollte daher regelmäßig zunächst bei der Entscheidung über Sicherungsmaßnahmen nach § 270a InsO bleiben und die endgültige Entscheidung erst aufgrund der im Eröffnungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse getroffen werden. Dem entspricht auch der Charakter des Vorverfahrens, in dem es zunächst um den Schutz der Insolvenzmasse geht und um die Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen, ohne dass Verfahrensergebnisse bereits vorweg genommen werden sollen, wie z. B. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO für die vorläufige Insolvenzverwaltung zeigt. Zeigt die Entwicklung während der vorläufigen Eigenverwaltung voraussichtliche Nachteile für die Gläubiger auf, kommt eine Intensivierung der Sicherungsmaßnahmen hin zu einer vorläufigen Insolvenzverwaltung in Betracht.5) 5 Auch wenn man eine vorzeitige Abweisung für grundsätzlich zulässig hält, kann sie dann aber jedenfalls nicht allein in der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung gesehen werden. Die Entscheidung gemäß § 270a InsO ist sowohl dogmatisch als auch nach ihrem Zweck eine Entscheidung über Sicherungsmaßnahmen. Da die Abstandnahme von einer vorläufigen Insolvenzverwaltung in § 270a Abs. 1 InsO zudem lediglich als „Sollregelung“ formuliert ist, kann aus ihrer Anordnung auch nicht zwingend auf eine Ableh___________ 1) 2) 3) 4) 5)
358
BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter), Rz. 28, dazu EWiR 2018, 339 (Thole). Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 393 – 423. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 24. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 55. LG Halle (Saale) v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050 = ZIP 2013, 2355, dazu EWiR 2014, 789 (Spliedt); AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193, 194, dazu EWiR 2018, 281 (Henkel); Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 13; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 16; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 8; a. A. Madaus, NZI 2014, 1050, 1054, § 270b Abs. 4 InsO analog.
Neußner
Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
nung der Eigenverwaltung geschlossen werden. Eine Ablehnung für das eröffnete Verfahren würde in jedem Fall eines gesonderten Beschlusses bedürfen, der gemäß § 270 Abs. 4 InsO auch zu begründen wäre. Hält der Schuldner trotz negativer „Vorentscheidung“ für das Eröffnungsverfahren gemäß 6 § 270a InsO an seinem Ziel der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren fest, wird es in aller Regel schwierig sein, die anfänglichen Vorbehalte des Gerichts und ggf. auch diejenigen der Gläubiger während der Dauer des Eröffnungsverfahrens noch auszuräumen, da er sich neben einem vorläufigen Verwalter nur schwer noch „bewähren“ kann.6) Der Schuldner muss einen neuen Antrag stellen, wenn dieser nicht zurückgewiesen, sondern 7 von ihm selbst im Eröffnungsverfahren zunächst wieder zurückgenommen wurde.7) Allein das Schweigen des Schuldners auf einen Hinweis nach § 270a Abs. 2 InsO oder auf die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung kann allerdings nicht als Rücknahme verstanden oder ausgelegt werden.8) 1.2
Bestellung eines Sachwalters
Lässt das Gericht die Eigenverwaltung zu, ist notwendiger weiterer Inhalt des Eröff- 8 nungsbeschlusses die Bestellung eines Sachwalters für das eröffnete Verfahren, § 270c i. V. m. § 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO. Für die Person und die Auswahl des Sachwalters gelten über die Verweisung in § 274 Abs. 1 InsO auf die § 56 und § 56a InsO die Regeln zur Bestellung des Insolvenzverwalters, insbesondere das Vorschlagsrecht des Schuldners sowie die frühzeitigere Einbindung der Gläubiger über einen vorläufigen Gläubigerausschuss, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a InsO (siehe ausführlich § 7 Rz. 10 ff. sowie § 9 Rz. 156 ff.). Die Personalentscheidung ist jedoch in aller Regel schon mit der Auswahl und Bestellung 9 des vorläufigen Sachwalters gefallen. Die durch das ESUG konkretisierten Anforderungen an die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters sowie den gestärkten Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl hatte das Gericht über § 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO schon bei der Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung unter der Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters zu beachten. Hier liegt auch der eigentliche Anwendungsbereich der Neuregelungen, da der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren typischerweise eine vorläufige Eigenverwaltung mit vorläufigem Sachwalter vorausgehen wird.9) Regelmäßig liegt eine Kontinuität in der Person im Interesse der Beteiligten, um Reibungsverluste und Verzögerungen zu verhindern, so dass der vorläufige Sachwalter auch zum Sachwalter im eröffneten Verfahren bestellt wird (zur Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor der Bestellung des Sachwalters bei Eröffnung siehe ausführlich § 9 Rz. 201 ff.).10) 2.
Gläubigerversammlung
2.1
Gläubigerautonomie Eigen- oder Fremdverwaltung
Die an die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 InsO bzw. an eine einstimmige Unterstützung 10 des vorläufigen Gläubigerausschusses gebundene Entscheidung des Gerichts über den Eigenverwaltungsantrag kann allerdings auch nur eine vorläufige sein. Auch mit der An___________ Frind, NZI 2014, 937, 938; Wallner, ZIP 2015, 997, 1003. BGH v. 15.1.2004 – IX ZB 197/03, ZIP 2004, 425, dazu EWiR 2004, 923 (Ferslev). Sternal, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 13 Rz. 13 – zum Insolvenzantrag. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37; BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 91/15, ZInsO 2017, 1813; Frind, NZI 2014, 937, 938. 10) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 6) 7) 8) 9)
Neußner
359
§ 10
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
ordnung der Eigenverwaltung im Eröffnungsbeschluss ist der Schuldner noch nicht endgültig im sicheren Hafen.11) 11 Es bleibt auch nach der Stärkung der Gläubigerautonomie durch die Mitwirkung eines vorläufigen Gläubigerausschusses schon zu Beginn des Verfahrens dabei, dass die Gläubigerversammlung die gerichtliche Entscheidung im eröffneten Verfahren – ohne Angabe von Gründen und ohne Überprüfungsmöglichkeit (siehe ausführlich § 17 Rz. 5 ff.)12) – korrigieren kann, §§ 272, 271 InsO.13) Auch bzw. gerade diese nicht überprüfbare Letztentscheidungsbefugnis aller Gläubiger ist Ausfluss der Gläubigerautonomie.14) Dem Schuldner darf damit nicht nur am Vertrauen der Gläubigerausschussmitglieder gelegen sein, er muss auch die Gläubigerversammlung überzeugen. Bei der Benennung von Gläubigerausschussmitgliedern muss daher unbedingt darauf geachtet werden, dass die Vorgeschlagenen auch tatsächlich das Vertrauen der von ihnen repräsentierten Gläubigergruppen sowie der übrigen Gläubiger genießen. 12 Auf jeden Fall bewirkt die Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses bzw. des Insolvenzgerichts aber eine nicht nur psychologische, sondern auch rechtliche Weichenstellung im Hinblick auf die nachfolgende Abstimmung der Gläubigerversammlung. Erforderlich ist sowohl für die nachträgliche Aufhebung als auch für eine nachträgliche Anordnung gemäß §§ 272, 271 InsO neben der Summenmehrheit zusätzlich auch eine Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger. Wenige Großgläubiger oder eine geschickt agierende Kleingläubigergruppe können daher ihre Sonderinteressen nicht so einfach gegen die Anordnungsvoraussetzungen des § 270 InsO bzw. gegen das gemeinschaftliche Interesse der Gläubiger durchsetzen (siehe hierzu kritisch § 17 Rz. 8).15) 2.2
Abwahl und Neuwahl des Sach- bzw. Insolvenzverwalters
13 Trägt die Gläubigerversammlung die Entscheidung des Gerichts zugunsten der Eigenverwaltung mit, kann sie immer noch über die Person des Sachwalters neu entscheiden gemäß § 274 Abs. 1 i. V. m. § 57 InsO. Eine Auswechslung ist allerdings nur in der ersten Gläubigerversammlung und auch nur mit Summen- und Kopfmehrheit der Anwesenden möglich. Typischerweise ist der Berichtstermin die erste Gläubigerversammlung. Zwingend ist dies allerdings nicht. Das Gericht muss vielmehr eine frühere erste Gläubigerversammlung zum Zwecke der Ab- und Neuwahl einberufen, wenn dies nach § 75 InsO beantragt wird. Insbesondere kann sich der Gläubigerausschuss nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu einem solchen Antrag veranlasst sehen, wenn das Gericht einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Sachwalters nicht gefolgt ist.16) Eines sachlichen Grundes bedarf es für eine Ab- und Neuwahl nicht. Die Entscheidung ist vielmehr Ausdruck der Gläubigerautonomie und gerichtlich nicht überprüfbar.17) Insbesondere kann nicht gemäß § 78 InsO vorgebracht werden, dass sie dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht.18)
___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)
360
Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr). Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 62. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 62. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 62. LG Stendal v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168; hierzu Hofmann, EWiR 2012, 729 f. BGH v. 8.1.2009 – IX ZB 161/07, NZI 2009, 246; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 57 Rz. 13. BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, ZIP 2003, 1613; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 57 Rz. 14.
Neußner
Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
Auch an dieser Stelle ändert sich nichts durch die Einbindung eines vorläufigen Gläubiger- 14 ausschusses im Vorverfahren.19) Hat dieser dem Gericht den (vorläufigen) Sachwalter durch einstimmigen Beschluss vorgegeben, ist die Gläubigerversammlung daran nicht gebunden. Auch wenn die Interessen aller Gläubiger im Gläubigerausschuss vertreten sein sollen gemäß § 67 Abs. 2 InsO, handelt sich doch um zwei unabhängige Organe der Gläubigerautonomie, denen jeweils eigene Mitwirkungsbefugnisse zustehen und die mit unterschiedlichen Mehrheiten beschließen. Der Gesetzgeber hat die frühere Einbeziehung der Gläubiger über einen vorläufigen Gläubigerausschuss nicht zum Anlass genommen, das Mitwirkungsrecht der Gläubigerversammlung einzuschränken. Dies erscheint auch insoweit konsequent, als die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO vom Schuldner mitgebracht oder vom Gericht bestimmt werden und, anders als die Mitglieder des endgültigen Gläubigerausschusses gemäß § 68 InsO, nicht durch die Gläubigerversammlung legitimiert sind. In der Praxis werden dennoch die Weichen auch in Bezug auf die Person des Sachwalters 15 durch eine einstimmige Entscheidung des Gläubigerausschusses und die gerichtliche Bestellung i. d. R. gestellt sein. Zum einen bedarf eine Korrektur auch hier der doppelten Mehrheit, zum anderen wird der Gläubigerversammlung im Falle der weiteren Zulassung der Eigenverwaltung nicht an einer Verzögerung des Verfahrens und Reibungsverlusten gelegen sein. Eine Entscheidung für eine andere Person wird wohl eher im Falle der gleichzeitigen Entscheidung auch gegen die Eigenverwaltung zu erwarten sein. Dennoch sollte der Schuldner bei seinem Vorschlag der Gläubigerausschussmitglieder, wie bereits ausgeführt, unbedingt darauf achten, dass diese auch das Vertrauen der Gesamtheit der Gläubiger genießen. II.
Anordnungsvoraussetzungen
1.
Schuldnerantrag
Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung ist in formeller Hinsicht ein ent- 16 sprechender Antrag des Schuldners, vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO, wie er vorne in § 6 Rz. 100 ff. ausführlich dargestellt wurde. Von Amts wegen, auf Antrag eines Gläubigers oder des vorläufigen Gläubigerausschusses kann die Eigenverwaltung selbstredend nicht angeordnet werden. Lediglich im eröffneten Verfahren kann die Eigenverwaltung nach § 271 Satz 1 InsO auch 17 ohne vorherigen, vom Gericht abgelehnten Schuldnerantrag nachträglich angeordnet werden.20) Voraussetzung ist aber auch hier, dass der Schuldner einem solchen Antrag der Gläubigerversammlung auf nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung zustimmt. Praktische Bedeutung wird dieser nachträglichen Anordnungsmöglichkeit wohl kaum zukommen. Entfallen ist § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F., der im Falle eines Fremdantrags auf Eröffnung 18 des Insolvenzverfahrens die Zustimmung des Gläubigers zum Eigenverwaltungsantrag des Schuldners verlangte. Der Gesetzgeber hat damit dem Gläubigerantrag das absolute Blockadepotenzial genommen.21) Dennoch sollte schon als vertrauensbildende Maßnahme sowie zum Zwecke der Steuerung des Verfahrens von Anfang an nach wie vor die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner das Ziel sein, vgl. auch hierzu § 6 Rz. 105 ff. Zur Anordnungsvoraussetzung hat zwar auch das ESUG einen Eigenantrag des Schuldners 19 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aufgewertet. Der insoweit unverändert geblie___________ 19) So ausdrücklich Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 61, 62 – für das vorgeschaltete Sanierungsvorbereitungsverfahren. 20) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 62. 21) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 57 f.
Neußner
361
§ 10
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
bene § 270 InsO wie auch der neue § 270a InsO verlangen, anders als § 270b InsO, ausdrücklich nur einen Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung, nicht dagegen einen Eröffnungsantrag des Schuldners.22) 20 Dennoch wird ein Eigenantrag bei juristischen Personen und atypischen Personengesellschaften regelmäßig schon zur Wahrung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO erforderlich sein, in jedem Fall aber „zum Nachweis“ der Eignung des Schuldners zur Verfahrensdurchführung in Eigenverwaltung. Die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit ist in jedem Fall gemäß § 18 Abs. 1 InsO an einen Eigenantrag gebunden. 21 Nach § 270 Abs. 1 InsO kann der Eigenverwaltungsantrag bis zur Entscheidung des Gerichts über die Verfahrenseröffnung gestellt bzw. nachgeholt werden.23) In der Praxis sollte er jedoch schon deshalb mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden, um eine vorläufige Eigenverwaltung schon im Vorverfahren nach § 270a oder § 270b InsO und damit eine wichtige Weichenstellung für das eröffnete Verfahren zu erreichen. 22 In Bezug auf das Antragsrecht, Vertretungsfragen, Inhalt, Begründung und Anlagen etc. wird auf die ausführlichen Ausführungen zur vorläufigen Eigenverwaltung in § 6 Rz. 100 ff. verwiesen. 2.
Materielle Voraussetzungen bzw. Versagungsgründe
2.1
Keine Nachteile durch die Eigenverwaltung
23 Dem Antrag des Schuldners kann nur entsprochen werden, wenn durch die Eigenverwaltung keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind, § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Die Eigenverwaltung ist wie jedes Insolvenzverfahren dem Verfahrenszweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung verpflichtet, § 1 InsO (siehe auch § 6 Rz. 62 ff. sowie 170 ff.).24) Das Interesse des Schuldners an einer Sanierung oder Restrukturierung in der Insolvenz in Eigenverwaltung muss mit diesem zum Ausgleich gebracht werden können i. S. einer „WinWin-Konstellation“. 24 In Kombination mit einem Insolvenzplanverfahren steht es den Beteiligten zwar grundsätzlich frei, das Verfahrensziel sowie Art und Weise der Befriedigung im konkreten Fall selbst zu bestimmen, vgl. § 1 Satz 1 InsO a. E. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass ein Zurückbleiben hinter der im Regelverfahren zu erwartenden Gläubigerbefriedigung nur im Falle eines echten Konsenses möglich ist, nicht dagegen durch Mehrheitsentscheidung unangreifbar erzwungen werden kann. So kann die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe über das Obstruktionsverbots des § 245 InsO gemäß Absatz 1 Nr. 1 nur dann fingiert werden, wenn die Gläubiger dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden (siehe zum Obstruktionsverbot ausführlich unten § 41). Einzelne, in ihrer Gruppe überstimmte Gläubiger genießen über § 251 und § 253 InsO umfassenden Schutz.25) 25 Die Umstände, die für eine Prognose von Relevanz sein können, können vielgestaltig sein und werden in jedem Einzelfall zu beurteilen sein, wenngleich eine gewisse „typisierte ___________ 22) Pape, ZInsO 2011, 2154, 2157; a. A. wohl Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 23) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 9; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 75; weitergehend Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 9 – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Eröffnungsantrag. 24) BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry); Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 12; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 1, 2. 25) Zur Zulässigkeit und zum Prüfungsumfang einer sofortigen Beschwerde BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus).
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
Betrachtung“ nach fünf Jahren Erfahrung mit dem ESUG sowie langjähriger Erfahrung mit der Sanierung in der Insolvenz sicherlich als Einstieg i. S. von K.-o.-Kriterien möglich ist (siehe ausführlich § 6 Rz. 90 ff. und 191 ff. sowie nachfolgend Rz. 57 ff.). Maßgeblich für die Beurteilung bzw. Vergleichsbetrachtung zwischen einer Eigen- und 26 einer Fremdverwaltung im Hinblick auf mögliche Nachteile sind an erster Stelle die in § 1 InsO angesprochenen Insolvenzgläubiger, um deren „gemeinschaftliche“ Befriedigung es im Insolvenzverfahren geht.26) Für sie dürfen aufgrund der im Laufe des Eröffnungsverfahrens ermittelten Umstände keine Nachteile gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu erwarten sein. Weiter sind aber auch die Absonderungsberechtigten in das Insolvenzverfahren einbezo- 27 gen. Wird die Eigenverwaltung zugelassen, steht dem Schuldner insbesondere auch gemäß § 282 InsO das Recht zur Verwertung des Sicherungsguts zu. Daher müssen auch die Interessen der Absonderungsberechtigten an einer korrekten Feststellung ihrer Rechte, Einhaltung der Vorgaben für das Verwertungsverfahren, insbesondere für die Information der Gläubiger in Bezug auf die beabsichtigte Verwertung. sowie für die Abrechnung und Auskehr des ihnen zustehenden Erlöses Beachtung finden.27) Insoweit können Umstände, die die Eignung des Schuldners bzw. seines Managements und insbesondere deren Erreichbarkeit und Transparenz der Verfahrensabwicklung von Relevanz sein. Haben Absonderungsberechtigte einen Ausfall auf ihre persönliche Forderung zu erwarten, sind sie unabhängig davon auch als Insolvenzgläubiger eingebunden (§ 52 Satz 2 InsO), so dass auch eine geringere Quotenerwartung für sie von Relevanz sein kann. Auch die Rechtsstellung der Aussonderungsberechtigten sowie der Massegläubiger muss 28 der Eigenverwalter selbstredend bei der Verfahrensabwicklung beachten. Ihnen haftet der Geschäftsleiter im Fall von Pflichtverletzungen analog §§ 60, 61 InsO wie ein Insolvenzverwalter.28) Neben diesem repressiven Schutz sollten zu erwartende Nachteile für die Massegläubiger allerdings auch in der Prognose und Entscheidung über die Zulassung der Eigenverwaltung Eingang finden.29) Der Wortlaut des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO stellt nicht darauf ab, ob die Gläubigerstellung bereits vor oder erst im Verfahren begründet wurde. Wird die Geschäftsleitung durch die Eigenverwaltung in die Lage versetzt, Masseverbindlichkeiten zu begründen, ist ihre Zuverlässigkeit bei einer solchen Amtsführung gerade auch für diese Gläubigergruppe von höchster Relevanz. 2.2
Mehrwert einer Eigenverwaltung und Anordnungsplanbarkeit
Ein besseres Verfahrensergebnis als im Verfahren mit Fremdverwalter oder sonstige Vor- 29 teile durch die Eigenverwaltung verlangt § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO dagegen für eine Anordnung der Eigenverwaltung nicht. Der typische ESUG-Fall zeichnet sich aber dennoch dadurch aus, dass i. S. einer Win-Win-Lösung andere Verfahrensergebnisse angestrebt werden und erreichbarer erscheinen als durch eine Fremdverwaltung (siehe ausführlich § 6 Rz. 82 ff.). Vor der Verteilung an die Gläubiger steht die Hebung zusätzlicher Beiträge und Vorteile, wie der Erhalt von Geschäftsbeziehungen, der Erhalt der Arbeitsplätze, die Erwirtschaftung und Bereitstellung künftiger Erträge zur Verteilung etc. Auf diese Weise können auch durch die Einbindung von Beratern ausgelöste Mehrkosten einer Eigenverwaltung neutralisiert werden, vgl. hierzu ausführlich bei § 6 Rz. 65 ff. Kreative Gestaltungen ___________ 26) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 46. 27) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 10; Hofmann, Eigenverwaltung Rz. 14; Tetzlaff, in: MünchKommInsO, § 270 Rz. 51; Henkel, ZIP 2015, 562, 564. 28) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter). 29) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter), Rz. 62.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
machen letztlich Planverfahren in Eigenverwaltung zu einer wertvollen Alternative zum Regelinsolvenzverfahren. 30 Da das Gläubigerinteresse und dementsprechend das Verfahrensziel des § 1 InsO auf eine bestmögliche Befriedigung gerichtet ist, ist das Verfahrensergebnis für die Gläubiger bei Fremd- und Eigenverwaltung, bei allen Planungsunsicherheiten, zumindest i. S. einer Plausibilität zu prognostizieren (zu Bedeutung und Inhalt einer Vergleichsrechnung siehe § 6 Rz. 70 ff. und unten § 34). Hier kann v. a. ein bis zur Eröffnung ausgearbeiteter Insolvenzplan Informationen liefern. Die bloße Unsicherheit in Bezug auf die Realisierbarkeit des vom Schuldner angestrebten Verfahrensziels stellt keinen relevanten Nachteil dar, wenn sie ebenso im Falle einer Fremdverwaltung besteht. Zudem darf es sich nicht nur um die allgemeine Prognoseunsicherheit handeln, da Unklarheiten nach neuem Recht gerade nicht mehr zur Ablehnung der Eigenverwaltung führen dürfen.30) 2.3
Anspruch auf Eigenverwaltung
2.3.1 Beweislastverteilung 31 Der ESUG-Gesetzgeber hat insbesondere auch die Beweislast neu geregelt.31) Er kehrt mit der Neuregelung in § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zur ursprünglichen Formulierung im Regierungsentwurf der InsO zurück.32) Nachdem grundsätzliche Vorbehalte gegen das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung in der „Erprobungsphase“ ausgeräumt wurden, konnten nun auch die bei Einführung noch für notwendig gehaltenen Verschärfungen gestrichen werden. Anordnungsvoraussetzung ist nun nicht mehr, dass nach den Umständen zu erwarten ist, die Anordnung werde nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen. 32 Vielmehr kann der Antrag nur noch dann abgelehnt werden, wenn tatsächlich konkrete Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.33) Der Anordnung darf nicht allein entgegenstehen, dass jeder exante-Betrachtung ein Risiko immanent ist.34) Sind Umstände, die Nachteile erwarten lassen, nicht bekannt, hat der Schuldner einen Anspruch auf Anordnung der Eigenverwaltung.35) Ein Anordnungsermessen hat das Gericht dann nicht.36) Unklarheiten über mögliche Nachteile dürfen nicht zulasten des Schuldners gehen.37) Für die Erfolgsaussichten eines zulässigen Eigenverwaltungsantrags ist diese „Umstellung“ deshalb von großer Bedeutung, weil die Anordnung in geeigneten Fällen bei einer gut vorbereiteten Einleitung des Verfahrens und einem „planmäßig“ verlaufenden vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner sicher sein sollte. 33 Den Interessen der Gläubiger tragen die Vorschriften zur Aufgabenverteilung zwischen Eigenverwalter und Sachwalter sowie zur Korrektur und Ergänzung des Beschlusses durch die Gläubigerversammlung ausreichend Rechnung. 34 Der Schuldner steht während des gesamten Verfahrens unter der Aufsicht eines Sachwalters, §§ 270c, 274 InsO. Insbesondere bei Unternehmensfortführung hat dieser gemäß § 275 ___________ 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)
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Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 57; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 21. Pape, ZInsO 2011, 2154, 2157. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58; Pape, ZInsO 2011, 2154, 2156; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 10, 11; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; Hölzle, ZIP 2012, 158, 159.
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
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Abs. 1 InsO im Innenverhältnis bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten mitzuwirken. Eine sehr starke Position und Überwachung kann sich der Sachwalter verschaffen, indem er verlangt, dass alle eingehenden Gelder nur vom ihm entgegengenommen und auch Zahlungen nur von ihm geleistet werden, § 275 Abs. 2 InsO. Dem Charakter einer „Eigen“-verwaltung ist dies allerdings abträglich, so dass sich diese faktische Beschränkung auf Fälle beschränken sollte, in denen das angestrebte Verfahrensziel eindeutig für eine Eigenverwaltung spricht, die Person des Eigenverwalters aber eine atypisch hohe Kontrolldichte verlangt. Weiterhin ist die Entscheidung des Gerichts, wie bereits ausgeführt, keine endgültige. 35 Schon in der ersten Gläubigerversammlung kann sie, ohne Angabe von Gründen, von den Gläubigern wieder aufgehoben werden, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Zudem kann auch bei fortbestehender Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners gemäß § 277 Abs. 1 InsO auf Antrag der Gläubigerversammlung eingeschränkt werden. Auch hierfür bedarf es keiner Begründung. Dagegen kann nicht schon im Eröffnungsbeschluss die Verwaltungs- und Verfügungs- 36 befugnis des Schuldners von Amts wegen durch eine Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte nach § 270 InsO beschränkt werden.38) Daran hat der Gesetzgeber auch i. R. des ESUG nichts geändert und insbesondere auch nicht die Möglichkeit einer Anordnung im Eröffnungsbeschluss auf Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses aufgenommen. Auch die Kassenführung kann das Gericht nicht von Amts wegen dem Sachwalter übertragen. Die Übernahme hat vielmehr gemäß § 275 Abs. 2 InsO der Sachwalter zu verlangen.39) Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber allerdings im Zusammenhang mit der Neurege- 37 lung und Herabsetzung der Anordnungsvoraussetzungen nicht auch den Rechtsweg gegen Entscheidungen des Gerichts eröffnet (siehe Rz. 79 ff.).40) Insoweit kann die Stärkung der Eigenverwaltung tatsächlich als halbherzig bezeichnet werden.41) Soweit möglich sollte daher versucht werden, über die Entscheidungskompetenz eines vorläufigen Gläubigerausschusses Rechtssicherheit in Bezug auf die gerichtliche Anordnung im Eröffnungsbeschluss herzustellen. 2.3.2 Einstimmige Unterstützung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss Die Anordnung der Eigenverwaltung gilt dann nicht als nachteilig für die Gläubiger, wenn 38 der vorläufige Gläubigerausschuss sie einstimmig unterstützt, § 270 Abs. 3 Satz 3 InsO. Das Gericht hat in diesem Fall davon auszugehen, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, d. h. die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gegeben sind.42) Liegt ein zulässiger Antrag des Schuldners vor, muss die Eigenverwaltung grundsätzlich entsprechend der Gläubigerentscheidung vom Gericht angeordnet werden. Dem Gericht ist eine eigene Beurteilung und abweichende Entscheidung dann grundsätzlich versagt. Eine Grenze kann hier allenfalls in Missbrauchsfällen liegen, wenn die Nachteiligkeit für die Gläubigergemeinschaft nach den Ermittlungen im Vorverfahren klar auf der Hand liegt und die Ausschussmitglieder sie aufgrund der Wahrnehmung nur eigener Interessen oder Nicht-Wahrnehmung ihrer Aufsichtsfunktion ___________ 38) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 277 Rz. 3; Pape, in: KPB, InsO, § 277 Rz. 50 ff.; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 277 Rz. 4; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 277 Rz. 4; a. A. zum alten Recht AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock Borsig AG), ZIP 2002, 1636. 39) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 50. 40) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. 41) Pape, ZInsO 2011, 2154, 2157. 42) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
ihrer Entscheidung erkennbar nicht zugrunde gelegt haben. In allen übrigen Fällen sollte das Korrektiv der Haftung genügen zur Steuerung und Sicherstellung einer Kontrolle sowie ggf. zum Ausgleich von Schäden im Falle einer fahrlässigen Pflichtverletzung. 39 Ein bloßer Mehrheitsbeschluss für oder auch gegen die Eigenverwaltung bindet das Gericht dagegen nicht.43) Dasselbe gilt auch für einen einstimmigen ablehnenden Beschluss.44) Das Gericht hat in diesen Fällen die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO eigenständig zu prüfen. In diesem Rahmen hat die Begründung des Gläubigerausschusses bzw. wichtiger Gläubiger selbstverständlich Bedeutung.45) 40 Von einer Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses kann das Gericht nur dann absehen, wenn dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO. Einer Anhörung unmittelbar vor Eröffnung des Verfahrens, also während des Vorverfahrens, kann eine Eilbedürftigkeit aber praktisch kaum entgegenstehen. 41 Auch wenn die Anhörung systematisch in § 270 Abs. 3 InsO und nicht in § 270a InsO geregelt ist, geht der Gesetzgeber selbst in der Gesetzesbegründung davon aus, dass sie regelmäßig schon bei der Entscheidung über die vorläufige Eigenverwaltung und über die Person des vorläufigen Sachwalters erfolgen wird.46) Damit kann sich die Frage stellen, ob der vorläufige Gläubigerausschuss an sein früheres Votum gebunden ist oder ob er noch ein zweites Mal und nun insbesondere auch gegen die Eigenverwaltung stimmen kann (siehe ausführlich § 9 Rz. 213). 42 Für die Bindung eines Beschlusses zugunsten der Eigenverwaltung könnte zwar sprechen, dass der Schuldner einer gewissen Planungssicherheit und Kontinuität bedarf und auch nicht „erpressbar“ sein darf. Auf der einen Seite muss der Gläubigerausschuss seine Entscheidung zumindest dann ändern können, wenn er aufgrund neuer Erkenntnisquellen im Verlauf des Vorverfahrens nun Nachteile für die Gläubiger erwartet. Die wichtigeren Gründe und Gläubigerinteressen sprechen daher eindeutig für die erneute Anhörung und Entscheidungskompetenz des vorläufigen Gläubigerausschusses für das eröffnete Verfahren. Gerade aufgrund der im Eröffnungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse ist der vorläufige Gläubigerausschuss nun vor Eröffnung in der Lage, eine fundierte Entscheidung im Gläubigerinteresse zu treffen. Ist dieser Beschluss dann nicht mehr bindend zugunsten der Eigenverwaltung, hat das Gericht diese zwar nicht zwingend abzulehnen. Bei seiner eigenen Entscheidung nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO wird das Gericht aber in jedem Falle die Begründung des vorläufigen Gläubigerausschusses beachten. 43 Endgültig im sicheren Hafen ist der Schuldner allerdings auch im Falle der Unterstützung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss insoweit nicht, als zwar der Richter, nicht aber die Gläubigerversammlung an das einstimmige zustimmende Votum gebunden ist (siehe ausführlich zur nachträglichen Aufhebung § 17 Rz. 5 ff.). 2.4
Beurteilungsgrundlagen
2.4.1 Konkrete Umstände 44 Nach Wortlaut und Gesetzesbegründung muss die negative Prognose auf bekannten und damit konkreten Umständen beruhen, um die Ablehnung eines zulässigen Eigenverwaltungs___________ 43) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1814. 44) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1814; AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390, dazu EWiR 2013, 625 (Leib/Rendels). 45) AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390. 46) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58, 59.
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
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antrags zu rechtfertigen.47) Abstrakte Vorbehalte gegen das Rechtsinstitut des debtor in possession und Befürchtungen genügen nicht.48) Der pauschalen Annahme, dass es in aller Regel ein Nachteil für die Gläubiger ist, wenn ein Schuldner, der den Eintritt der Insolvenz nicht hat vermeiden können, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen behält,49) ist somit spätestens nach ESUG jegliche Grundlage entzogen. Eine negative Prognose kann auch nicht allein darauf gestützt werden, dass längere Zeit außergerichtliche Sanierungsversuche erfolglos unternommen wurden.50) Solange dies gesetzeskonform ist, ist dagegen nichts einzuwenden. In erster Linie wird es bei der Entscheidung für das eröffnete Verfahren auf die Erfahrun- 45 gen des Gerichts, der Gläubiger sowie des vorläufigen Sachwalters mit dem Schuldner und seinem Management bzw. den Beratern im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ankommen.51) Im Rahmen des insolvenzrechtlich sehr anspruchsvollen Eröffnungsverfahrens zeigt sich bereits, ob der Schuldner die speziellen insolvenzrechtlichen Spielregeln verinnerlicht hat und zuverlässig einhält. Von wesentlicher Bedeutung ist weiter, ob sich die bei Verfahrenseinleitung mitgeteilten Annahmen bislang bewahrheiten, d. h. das Verfahren „rund läuft“, oder ob sich umgekehrt bereits erhebliche Abweichungen vom geplanten Verlauf auftun. Nach wie vor von Bedeutung bleibt auch das Verhalten des Managements in der Krise, 46 soweit daraus Schlüsse auf die Eignung zur Verfahrensabwicklung in Eigenverwaltung und die Vertrauenswürdigkeit gezogen werden können.52) Regelmäßig werden gravierende Unzulänglichkeiten allerdings schon bei der Eingangsentscheidung Berücksichtigung gefunden und zur vorläufigen Insolvenzverwaltung geführt haben. Umstände in der Person eines Geschäftsleiters können jedoch dann ihre Relevanz verloren haben, wenn dieser vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens ausgewechselt wurde und sich die neue Geschäftsleitung im Eröffnungsverfahren bewährt hat. Weiterhin darf die Frage der fachlichen Kompetenz nicht allein an den persönlichen Fähig- 47 keiten des Schuldners bzw. seines Managements festgemacht werden, wenn diese auch im Verfahren von professionellen Beratern mit Sanierungs-, Restrukturierungs- und InsolvenzKnow-how begleitet werden.53) Hier stellt sich allerdings stattdessen die Frage nach einer Nachteiligkeit der Eigenverwal- 48 tung unter dem Gesichtspunkt höherer Verfahrenskosten aufgrund von Beraterhonoraren, vgl. § 6 Rz. 65 ff. Die bei Verfahrensbeginn vorgelegte Vergleichsrechnung kann am Ende des Eröffnungsverfahrens (vorläufig) bestätigt oder auch schon anzuzweifeln sein, wenn die angesetzten Kosten für eine Beratung und Begleitung des Schuldners bereits erheblich von den Annahmen abweichen. Vor allem aber ein greifbares unkooperatives und unprofessionelles Verhalten des Schuldners 49 und seines Managements im Eröffnungsverfahren, insbesondere deren Nichterreichbarkeit, fehlende oder zögerliche Auskunftserteilung oder sonstige Unzuverlässigkeit, spricht gegen eine Eigenverwaltung. Einem Schuldner, der das Gericht während des gesamten ___________ 47) 48) 49) 50)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. Pape, ZInsO 2011, 2154, 2157. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock Borsig AG), ZIP 2002, 1636, 1639. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 14; a. A. LG Bonn v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, ZIP 2003, 1412, dazu EWiR 2003, 871 (Bork). 51) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 12. 52) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 12. 53) BAKinso, Entschließung Eigenverwaltung, v. 3.12.2013; abrufbar unter http://www.bak-inso.de/ index.php?option=com_phocadownload&view=category&download=271:2013-eigenverwaltung&id=1:entschliessungen&Itemid=43 (Abrufdatum: 22.7.2018).
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Eröffnungsverfahrens nicht vom Verlauf der Betriebsfortführung unterrichtet, wird kaum Vertrauen entgegengebracht werden.54) Im vorgeschalteten Schutzschirmverfahren schlägt der Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO negativ zu Buche.55) 50 Bei juristischen Personen kann ein Nachteil nicht mehr allein aus einem Konflikt insolvenzrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Kompetenzen hergeleitet werden. Das ESUG hat dieses Problem mit § 276a InsO i. S. eines Vorrangs des Insolvenzrechts gelöst. 2.4.2 Amtsermittlung und Berichtspflicht im Eröffnungsverfahren 51 Im Insolvenzverfahren gilt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO grundsätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz. Soweit das Gesetz nicht ausnahmsweise dem Antragsteller den Nachweis oder die Glaubhaftmachung bestimmter Anordnungsvoraussetzungen aufgibt, hat somit das Insolvenzgericht alle erheblichen Sachverhaltsdaten von Amts wegen zu ermitteln.56) Art und Umfang der Ermittlungen stehen grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts.57) 52 Eine Glaubhaftmachung der Anordnungsvoraussetzungen durch den Schuldner wird von § 270 InsO nicht verlangt.58) Nach früherem Recht musste das Gericht im Falle eines Eigenverwaltungsantrags gemäß § 270 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F. von Amts wegen feststellen, dass weder eine Verzögerung noch sonstige Nachteile für die Gläubiger durch die Eigenverwaltung zu erwarten waren.59) Der Schuldner hatte dem Insolvenzgericht i. R. der Amtsermittlung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über den Antrag erforderlich waren bzw. Grundlage weiterer Ermittlungen sein konnten. Das Gericht durfte jedoch nicht ohne weiteres von der Zulässigkeit der Eigenverwaltung ausgehen, wenn keine Hinderungsgründe vorgetragen wurden.60) Es musste sich vielmehr auf Grundlage der Darstellung des Schuldners davon überzeugen, dass Nachteile für die Gläubiger nicht zu erwarten waren.61) Waren für das Gericht nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen Nachteile für die Gläubiger nicht auszuschließen, musste der Eigenverwaltungsantrag abgelehnt werden. Verbleibende Unklarheiten gingen damit zulasten des Schuldners.62) 53 Nunmehr hat sich die Beweislastverteilung umgekehrt.63) Das Gericht kann den Eigenverwaltungsantrag nur noch dann abweisen, wenn Nachteile positiv zu erwarten sind. Unklarheiten gehen somit nicht mehr zulasten des Schuldners.64) Auch wenn grundsätzlich nach § 5 InsO der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, werden dem Gericht ohne konkrete Hinweise keine besonderen Nachforschungen auferlegt, insbesondere wenn ein Insol___________ 54) 55) 56) 57) 58)
59) 60) 61) 62) 63) 64)
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AG Hamburg v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684, dazu EWiR 2013, 591 (Stahlschmidt). AG Hamburg v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684, 1685. Kexel, in: Graf-Schlicker, InsO, § 5 Rz. 4. Kexel, in: Graf-Schlicker, InsO, § 5 Rz. 5. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 13; dennoch wurde zum Teil eine Begründung und Darlegung der Umstände verlangt, die darauf schließen lassen, dass die Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen führen wird, so Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 81 ff. und 92 ff. m. w. N. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 13; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 99 ff. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 95. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 95. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 11. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11; Pape, ZInsO 2011, 2154, 2156; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; Hölzle, ZIP 2012, 158, 159. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Pape, ZInsO 2011, 2154, 2156; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; Hölzle, ZIP 2012, 158, 159.
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
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venzplan vorgelegt werden kann und das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren reibungslos verlaufen ist.65) Die generelle Ablehnung der Befugnis des Gerichts, den entscheidungserheblichen Sach- 54 verhalt zu ermitteln bzw. einen Sachverständigen mit der gutachtlichen Stellungnahme zu der Frage zu beauftragen, ob Umstände bekannt sind, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen, kann sich allerdings dem geänderten Wortlaut auch nicht entnehmen lassen.66) In der Praxis wird die Beauftragung des vorläufigen Sachwalters, als Sachverständiger zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung (noch) vorliegen und ob Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, eher der Regelfall sein.67) Eine Verpflichtung hierzu besteht allerdings nicht.68) Das Gericht kann sich vielmehr im Falle der Einbindung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auf dessen einstimmiges Votum für die Eigenverwaltung mit der Folge der unwiderlegbaren Vermutung der Nicht-Nachteiligkeit verlassen69) und im Übrigen durch den Schuldner und den vorläufigen Sachwalter ausreichend informiert sehen. Ob bzw. in welchem Umfang das Gericht im Einzelfall in eine Ermittlung des Sachver- 55 halts einsteigt, wird ganz wesentlich von der Vorbereitung des Verfahrens und v. a. auch von der Information durch den Schuldner während des Eröffnungsverfahrens abhängen.70) Begründet der Schuldner den Eigenverwaltungsantrag nicht oder nicht nachvollziehbar, wird das Gericht in jedem Fall weitere Ermittlungen und insbesondere auch die Anforderung von Plausibilitätsrechnungen für erforderlich halten, da auch mit missbräuchlichen Antragstellungen gerechnet werden muss oder mit Anträgen von Schuldnern, die nicht in der Lage sind, ein Verfahren in Eigenverwaltung selbst abzuwickeln oder die entsprechenden Berater zu beauftragen. Weiter hat die Geschäftsleitung den Gläubigern, vertreten durch den vorläufigen Gläubigerausschuss, dem vorläufigen Sachwalter sowie dem Gericht über die Entwicklung und Maßnahmen im Eröffnungsverfahren zu berichten. Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berichte der Geschäftsleitung sowie des vorläufigen Sachwalters und Sachverständigen bilden sich mit Zunahme der Eigenverwaltungsverfahren Standards heraus. Hier kann beispielhaft verwiesen werden auf die Anforderungen des Insolvenzgerichts Aachen an die Berichte in der Eigenverwaltung.71) Ist kein vorläufiger Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren eingesetzt, können vom Gericht auch die wichtigsten Gläubiger gehört werden.72) Ist das Verfahren professionell vorbereitet und auch die notwendige Kompetenz i. R. der 56 Verfahrensabwicklung sicher- und im vorläufigen Verfahren unter Beweis gestellt, können dagegen weitere Ermittlungen im Einzelfall nicht veranlasst sein, wenn sich auch die wesentlichen Gläubiger positiv äußern. Gerade bei einer frühzeitigen Antragstellung und nachvollziehbaren Begründung des Eigenverwaltungsantrags zur Flankierung einer angestrebten Restrukturierung im Planverfahren mit Vergleichsbetrachtung und -rechnung ___________ 65) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 116 f. 66) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 18; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 117; a. A. wohl Hölzle, ZIP 2012, 158, 159, der die Einholung eines Sachverständigengutachtens über mögliche Auswirkungen der Eigenverwaltung auf das Vermögen für nicht mehr möglich hält. 67) Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138, 1139. 68) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11. 69) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11. 70) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 11. 71) Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138 ff. 72) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14.
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§ 10
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
kann das Gericht davon ausgehen, dass der Schuldner dazu geeignet ist, bis zur Entscheidung der ersten Gläubigerversammlung die Eigenverwaltung zu führen.73) 2.5
Fallgruppen und Faktoren für und gegen die Eigenverwaltung
2.5.1 Verfahrensziel und Verfahrenseinleitung 57 Auch wenn das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung – anders als das US-amerikanische Vorbild des debtor in possession – kraft Gesetzes nicht auf die Reorganisation im Insolvenzplanverfahren beschränkt ist,74) wird diese Kombination doch den in der Praxis aussichtsreichsten Fall darstellen.75) Der Schuldner kann dem Gericht hier durch einen Prepackaged Plan oder eine zumindest vorangeschrittene Planausarbeitung und -abstimmung mit wesentlichen Gläubigern eine belastbare Beurteilungsgrundlage liefern.76) Die zum darstellenden Teil des Insolvenzplans gemäß § 220 Abs. 1 und 2 InsO notwendigen Ausarbeitungen zu den Grundlagen und Auswirkungen des Plans sowie insbesondere auch die aufzustellende Vergleichsrechnung liefern gleichzeitig die für die Prognose nach § 270 Abs. 1 Nr. 2 InsO wichtigen Informationen. 58 Wird das Verfahren bereits bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit vom Schuldner eingeleitet und hat dieser ohne Beanstandungen das Vorverfahren in vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO oder das Sanierungsvorbereitungsverfahren nach § 270b InsO unter der Aufsicht eines Sachwalters geführt, sollte einer Eigenverwaltung nichts entgegenstehen.77) Keine negative Bedeutung darf dem „Kippen“ der drohenden Zahlungsunfähigkeit in eine Zahlungsunfähigkeit zukommen. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Verfahren ist vielmehr typisch und steht daher auch der Fortführung des Schutzschirmverfahrens nicht entgegen. Allerdings kann das pflichtwidrige Unterlassen der Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO die Zuverlässigkeit des Schuldners in Frage stellen. 59 Umgekehrt spricht eine Insolvenzantragstellung wegen bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht gegen die Zulassung der Eigenverwaltung, sondern erst ein Verstoß gegen gesetzliche Pflichten, insbesondere eine offensichtliche und nicht nur kurzfristige Insolvenzverschleppung. 60 Auch bei einer angestrebten übertragenden Sanierung kann ein Interesse an der Zulassung der Eigenverwaltung bestehen, insbesondere dann, wenn ein Mitglied des Managements selbst am Erwerb des Unternehmens interessiert ist. Sie ist auch in Liquidationsverfahren nicht ausgeschlossen.78) Allerdings wird sich hier wohl regelmäßig die Frage nach der Motivation des Eigenverwaltungsantrags aufdrängen. 2.5.2 Verzögerung des Verfahrens 61 Anders als in § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO a. F. wird die Verzögerung des Verfahrens nicht mehr beispielhaft als Nachteil genannt. Dass dem Zeitumstand damit grundsätzlich keine ___________ 73) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. 74) Krit. und für einen zumindest sachlichen Zusammenhang Wehdeking/Smid, ZInsO 2010, 1713, 1714; Frind, ZInsO 2011, 656, 659. 75) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 1; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 61; Paulus, ZGR 2005, 309, 316; AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, ZIP 2014, 390. 76) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 61; Paulus, ZGR 2005, 309, 322; Frind, ZInsO 2012, 386, 389. 77) Begr. RegE, BT-Drucks. 17/5712, S. 24; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 60. 78) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1623, Rz. 10; LG Cottbus v. 17.7.2001 – 7 T 421/00, ZIP 2001, 2188.
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
Bedeutung mehr zukommen kann, ist der Gesetzesbegründung allerdings auch nicht zu entnehmen.79) Auf der anderen Seite ist gerade in Bezug auf die Dauer eines Insolvenzverfahrens eine Prognose schwer und zudem müsste sich die Erwartung einer Verzögerung auch wiederum aus konkreten Umständen ableiten. Gerade Planverfahren haben jedoch in der Vergangenheit gezeigt, dass das Verfahren we- 62 sentlich schneller abgeschlossen werden kann. Zweckmäßig ist es daher, einen Insolvenzplan möglichst bereits vor der Verfahrenseinleitung, spätestens aber im Vorverfahren vorzubereiten, damit ein zügiges Voranschreiten im eröffneten Verfahren in Aussicht gestellt und auch schon eine konkrete Zeitschiene bekannt gegeben werden kann. Zumindest müsste die Verzögerung des Verfahrens auch im Zusammenhang mit wirt- 63 schaftlichen Nachteilen für die Gläubiger stehen. Hier wird eine spätere Auszahlung einer Quote wohl weniger zu beklagen sein als vielmehr weiterlaufende Kosten für die Beratung des Eigenverwalters, die die Masse belasten und damit die Quotenaussicht reduzieren, da sie nicht mehr durch ein zunächst angestrebtes alternatives Verfahrensziel aufgefangen werden.80) Im Zusammenhang mit der Prognose der Verfahrensdauer steht auch die Frage, welche 64 Bedeutung einer voraussichtlich ablehnenden Entscheidung der Gläubigerversammlung zur Eigenverwaltung zukommt. Die Gefahr einer Verfahrensverzögerung konnte sich nach altem Recht dann aufdrängen, wenn absehbar war, dass die Gläubigerversammlung die vom Gericht zunächst angeordnete Eigenverwaltung wieder aufheben lassen wird, z. B. weil Großgläubiger ihr ablehnend gegenüber standen.81) Hier ist nach heutigem Recht jedoch zu beachten, dass aus der Äußerung einzelner Gläubiger nicht mehr ohne weiteres auf das Beschlussergebnis in der Gläubigerversammlung geschlossen werden kann, nachdem die Summenmehrheit um eine Kopfmehrheit ergänzt wurde. Es ist daher an dieser Stelle Zurückhaltung geboten, da die Vorentscheidung des Gerichts oder des vorläufigen Gläubigerausschusses gerade durch die Summen- und Kopfmehrheit einen gewissen Bestandsschutz erfahren sollte.82) 2.5.3 Unternehmensstruktur und Branche Gerade in Großverfahren und Konzerninsolvenzen hat sich die Eigenverwaltung be- 65 währt.83) Eine professionelle Vorbereitung und weitere Begleitung des Verfahrens durch Einbindung von Beratern wird hier die Regel sein. Der in der Vergangenheit juristischen Personen, insbesondere den AG, teilweise entgegen- 66 gebrachte Generalverdacht, dass aufgrund anonymer Strukturen i. d. R. eine indizielle Vermutung dafür spreche, dass die Fortdauer der freien Verfügungsbefugnis zu einer Gefährdung der Masse führen könne, entbehrt jeder Grundlage und kann damit eine Ablehnung nicht rechtfertigen.84)
___________ 79) AG Hamburg v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684 – keine sachliche Änderung; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270 Rz. 10; a. A. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 115; Ringstmeier, in: Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270 InsO Rz. 12. 80) AG Köln v. 15.12.2014 – 74 IN 152/12, ZIP 2015, 440. 81) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14. 82) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 62. 83) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 68; a. A. zum alten Recht AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock Borsig AG), ZIP 2002, 1636, 1640. 84) A. A. zum Eröffnungsverfahren nach früherem Recht LG Bonn v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, ZIP 2003, 1412, 1413.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
67 Gegen eine Eigenverwaltung spricht auch nicht, dass die juristische Person schon außerhalb der Krise und Insolvenz durch einen Fremdgeschäftsführer geleitet wurde.85) Die Eigenverwaltung bezweckt nicht die Verwaltung durch die Anteilsinhaber. Sie betrifft vielmehr, auch wenn sie zugunsten des Schuldners angeordnet wird, das jeweilige Management. Dies hat der Gesetzgeber durch § 276a InsO nochmals deutlich gemacht und der insolvenzrechtlichen Eigenverwaltung durch das Management Vorrang vor gesellschaftsrechtlichen Bindungen im Innenverhältnis eingeräumt. Die Regelung zum Verhältnis Gesellschafts- und Insolvenzrecht in § 276a InsO soll gerade auch für die AG Bedeutung haben, wie der Verweis des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan in insolvenzrechtliche Schranken zeigt. 68 Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung soll jedoch auch im Bereich der mittleren und kleinen Unternehmen gestärkt werden, um Chancen für eine Fortführung mit dem Ziel der Sanierung oder Restrukturierung im gerichtlichen Verfahren zu nutzen. Wie auch bei der Fremdverwaltung hängt die Frage der Eignung des Schuldners als Eigenverwalter davon ab, welche Aufgaben das konkrete Verfahren nach Umfang und Komplexität mit sich bringen wird. Ist z. B. eine übertragende Sanierung ausgeschlossen, weil Investoren in einer bestimmten Branche oder für eine bestimmte Größe von Unternehmen nicht zu gewinnen sind, kann die Eigenverwaltung in Verbindung mit einem Insolvenzplan von Vorteil sein, wenn das Management bei dieser Gestaltung bereit ist, im Boot zu bleiben und das Unternehmen fortzuführen, so dass künftige Erträge zur Befriedigung der Gläubiger eingesetzt werden können. 69 Vor allem auch bei Freiberuflern spielt die Nutzung von Kenntnissen und Erfahrungen des Schuldners sowie seines Vertrauens bei den Kunden durch eine Eigenverwaltung eine wesentliche Rolle.86) Hier ist im Falle einer Einstellung oder übertragenden Sanierung regelmäßig kein oder nur ein geringer Erlös zu erwarten. Ein Hindernis kann allerdings derzeit noch die Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zum Verlust der Zulassung sein, soweit es nicht gelingt, diese zeitnah zurückzuerlangen.87) 70 Darüber hinaus sprechen generell auch im Unternehmensbereich Branchen, die ein Spezialwissen erfordern, für die Eigenverwaltung.88) 2.5.4 Kompetenz, Zuverlässigkeit und Vertrauen der Beteiligten 71 Der Schuldner muss die Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringen, um ein Unternehmen auch in der schwierigen Situation einer Insolvenz weiter zu führen.89) Die außergerichtliche Nichtbewältigung der Unternehmenskrise allein lässt dabei keinen Rückschluss auf eine fehlende Eignung zur Fortführung und Restrukturierung im gerichtlichen Verfahren zu.90) Auch dass das Unternehmen durch Managementfehler in die Insolvenz geraten ist, schließt nicht zwangsläufig aus, dass der Schuldner die erforderliche Qualifikation hat, einen als notwendig erkannten Restrukturierungskurs erfolgreich umzusetzen.91) Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.92) Ein wichtiges Indiz ist hier das Verhalten ___________ 85) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 68. 86) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 66. 87) BGH v. 18.7.2011 – AnwZ (B) 28/10, BeckRS 2011, 20247; Sußner, VIA 2011, 76; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 66 m. w. N.; Paulus, ZGR 2005, 317; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 6. 88) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339. 89) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 5. 90) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14; wohl auch Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 6; a. A. LG Bonn v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, ZIP 2003, 1412, 1413. 91) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14. 92) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14.
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
in der Krise. Auch an dieser Stelle hat daher ein frühzeitig gestellter Insolvenzantrag wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit Gewicht.93) Unerlässlich für das Zugestehen der erforderlichen Kompetenz und Verlässlichkeit ist jedoch in jedem Fall, dass der Schuldner eine aktuelle und aussagekräftige Buchführung vorlegen kann.94) Zu beachten ist, dass der Schuldner bzw. das Management die erforderliche Sanierungs- 72 und Restrukturierungserfahrung und insbesondere auch Insolvenzexpertise nicht in Person mitbringen muss. Vor allem in Großverfahren und bei komplexen Insolvenzplänen wird die Beauftragung erfahrener und v. a. auch im Insolvenzrecht ausgewiesener Experten im Vorfeld der Antragstellung wie auch im gerichtlichen Verfahren regelmäßig unabdingbar sein.95) Die Belastung der Masse mit diesen Mehrkosten muss allerdings aufgefangen werden durch das angestrebte Verfahrensziel und Verfahrensergebnis (siehe ausführlich hierzu § 6 Rz. 65 ff.). Wesentliche Voraussetzung des Gelingens einer angestrebten Restrukturierung ist zudem, 73 dass der Schuldner bzw. sein Management dem Gericht vertrauenswürdig und zuverlässig erscheint und v. a. auch das Vertrauen der Gläubiger genießt.96) Gläubigerschädigende Handlungen und Intransparenz im Vorfeld der Antragstellung sind daher regelmäßige K.-o.Kriterien.97) Hier wird regelmäßig schon der Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung verschlossen sein, vgl. § 6 Rz. 90 ff., 194 f. In einem solchen Fall kann es sich anbieten, die Geschäftsleitung neu zu besetzen oder zu ergänzen, insbesondere durch Personen mit guter Reputation im Bereich der Sanierung, um Vertrauen zurückzugewinnen.98) Dasselbe kann gelten, wenn Managementfehler als Ursache der Krise und Insolvenz ausgemacht wurden.99) Hat das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung bzw. das Schutzschirmverfahren zugelassen, liegt es am Schuldner bzw. seinem Management und den Beratern, die Eignung und Zuverlässigkeit durch eine regelmäßige Information des Gerichts, des vorläufigen Sachwalters und des vorläufigen Gläubigerausschusses über den Verfahrensfortgang unter Beweis zu stellen. Noch greifbarer ist eine Unzuverlässigkeit des Schuldners im Eröffnungsverfahren. Informiert der Schuldner das Gericht nicht über den Fortgang der Unternehmensfortführung oder unterlässt er die Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO, wird das Gericht an seiner Eignung zweifeln und Nachteile für die Gläubiger befürchten.100) Dasselbe gilt, wenn der Schuldner dem vorläufigen Gläubigerausschuss auch auf Nachfrage keine aktuellen Unternehmenszahlen zur Verfügung stellt.101) Gegen eine Eigenverwaltung spricht es insbesondere, wenn der Schuldner dem Sachwalter die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufsichts- und Überwachungsaufgaben erschwert, indem er für das Verfahren maßgebliche Umstände nicht von sich aus, sondern stets erst auf mehrmalige Nachfrage hin mit erheblicher Verzögerung übermittelt, insbesondere Liquiditätsplanungen statt für künftige Zeiträume trotz Anforderung aktueller Planungen für zurückliegende Zeiträume einreicht, Aufstellungen zu unberichtigten Masseverbind___________ 93) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14. 94) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262, 1263. 95) BAKinso, Entschließung Eigenverwaltung, v. 3.12.2013; AG Hamburg v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, ZIP 2014, 487. 96) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 5. 97) BGH. v. 15.1.2004 – IX ZB 197/03, ZIP 2004, 425, 426; LG Bonn v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, ZIP 2003, 1412, 1414; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14. 98) AG Köln v. 22.8.2005 – 71 IN 426/05, ZIP 2005, 1975, 1977 f., dazu zust. Bähr/Landry, EWiR 2006, 153, 154; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 14; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 18c; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339; Paulus, ZGR 2005, 309, 318. 99) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339. 100) AG Hamburg v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684. 101) AG Köln v. 1.6.2012 – 73 IN 125/12, ZInsO 2013, 353.
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§ 10
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
lichkeiten nicht vorlegt etc.102) Auch Zerwürfnisse des Vorstands mit dem vorläufigen Sachwalter können gegen eine Eigenverwaltung sprechen.103) Allerdings ist hier auch der Schuldner bzw. sein Management zu hören und zu hinterfragen, welchen Beitrag ggf. auch der vorläufige Sachwalter geleistet hat. Gerade in der Anfangszeit des ESUG mussten Verwalter sich mit der neuen Rolle des bloßen Sachwalters erst abfinden, so dass Machtkämpfe ggf. nicht einseitig angelegt waren. 74 Auch wenn ein Vorteil der Eigenverwaltung typischerweise in der Nutzung der Kenntnisse und Erfahrungen der Geschäftsleitung liegt, kann jedenfalls im Falle einer vom Schuldner begründeten Auswechslung oder Ergänzung des Managements die Eigenverwaltung nicht mit dem Argument der fehlenden personellen Kontinuität abgelehnt werden.104) Voraussetzung für die Eigenverwaltung ist nicht zwingend die Nutzung bisheriger Kenntnisse und Erfahrungen der Geschäftsleitung. Auch das ESUG hat diese nicht zu einer Anordnungsvoraussetzung erhoben, sondern vielmehr die Anreizwirkung einer Eigenverwaltung in den Fokus gerückt.105) 75 Die Berufung von Insolvenzverwaltern oder in der Krise beauftragten Beratern ins Management wurde vor ESUG als sog. „atypische Eigenverwaltung“ bezeichnet.106) Als unzulässige Umgehung der gesetzlichen Vorgaben zur Eignung und Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters nach § 56 InsO sowie als Aushebelung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis wurden derartige Maßnahmen teilweise kritisch gesehen.107) Mit Hilfe der gesetzlichen Vorgaben zum Vorschlagsrecht des Schuldners sowie zur Mitwirkung eines mitgebrachten vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Auswahl des Sachwalters in den § 56 und § 56a InsO ist es nun auch insolvenzverfahrensmäßig möglich, die Rollen planbar und konstruktiv zu besetzen. An der Praxis der Ergänzung der Geschäftsleitung durch Sanierungsexperten hat sich dennoch nichts geändert. Hiergegen ist auch nichts einzuwenden. Häufig wird ein CRO aus der Berater- bzw. Insolvenzverwalterbranche von den Gläubigern als vertrauensbildende Maßnahmen sogar gerne gesehen bzw. gewünscht. Auch aus Sicht des Beraters kann die Organstellung die Einflussnahme im Sanierungsprozess praktikabler machen als das bloße Dauerberatungsmandat. Genießt das bisherige Management nicht mehr das Vertrauen der Gläubiger und damit voraussichtlich auch nicht dasjenige des Gerichts, wird eine Eigenverwaltung ohne eine derartige Personalmaßnahme auf Organebene auch keine Aussicht auf Anordnung haben. Wie bereits ausgeführt, müssen allerdings die Mehrkosten durch Vorteile der Eigenverwaltung ausgeglichen werden (siehe hierzu § 6 Rz. 65 ff.). 76 Ablehnende Äußerungen wesentlicher Gläubiger können i. R. der Prognose dann eine Rolle spielen, wenn ihre Mitwirkung für die Erreichung des Verfahrensziels unbedingt notwendig wäre.108) Darüber hinaus darf nicht sachlich begründeten Vorbehalten einzelner Gläubiger dagegen keine Bedeutung zukommen.109) Vor Verfahrenseröffnung nimmt der vorläufige Gläubigerausschuss die Gläubigerinteressen wahr. Im eröffneten Verfahren kann ein Einzelgläubiger die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 InsO nur beantragen, wenn er glaubhaft machen kann, dass ihm durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen. Dennoch sollten Vorbehalte einzelner Gläubiger ___________ 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109)
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AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743, 744. LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050, 1052 = ZIP 2013, 2355. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 44 ff. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 1, 28. Hofmann, ZIP 2007, 260, 263. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock Borsig AG), ZIP 2002, 1636, 1639. AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390, 1391. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 77.
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Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
gegen eine Eigenverwaltung möglichst i. R. der Vorbereitung des Verfahrens ermittelt und die Kommunikation mit diesen gesucht werden. 3.
Begründung der Entscheidung
Eine zu großzügige Annahme einer negativen Prognose ohne konkrete Anhaltspunkt 77 kann ggf. auch die in § 270 Abs. 4 InsO aufgenommene Pflicht zur Begründung der Entscheidung und Veröffentlichung verhindern. Auch wenn sie in erster Linie die Entscheidung der Gläubigerversammlung im Berichtstermin ermöglichen soll, kann ihr doch auch eine gewisse präventive Wirkung dadurch zukommen, dass sie nochmals auf konkrete Umstände und erwartete Nachteile fokussiert. Die inhaltlichen Anforderungen an die Begründung müssen sich daran orientieren, dass der 78 Gläubigerversammlung eine eigene und in ihrem Interesse liegende Entscheidung möglich sein muss. Eine nur formelhafte Begründung der Zurückweisung des Antrags kann daher auf keinen Fall genügen.110) Jedenfalls die die Entscheidung tragenden Gründe müssen dargelegt werden.111) Allerdings hat das Gericht auch datenschutzrechtliche sowie strafrechtliche Vorschriften zu beachten, insbesondere wenn die Eigenverwaltung aufgrund von in der Person des Schuldners oder seines Managements begründeten Umständen abgelehnt wird.112) 4.
Rechtsmittel
4.1
Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde
Der Gesetzgeber ist nach wie vor der Forderung nach einer Überprüfbarkeit der gericht- 79 lichen Entscheidung über die Eigenverwaltung nicht nachgekommen.113) Es bleibt dabei, dass eine Beschwerde gegen die Abweisung des Eigenverwaltungsantrags mangels Zulassung im Gesetz gemäß § 6 Abs. 1 InsO nicht statthaft ist.114) Unzulässig ist umgekehrt aber auch die Beschwerde eines Gläubigers gegen die gerichtliche Anordnung der Eigenverwaltung. Die Eigenverwaltung stellt auch weiterhin keine eigene Verfahrensart oder Form des Insol- 80 venzverfahrens dar, deren Ablehnung nach § 34 InsO angegriffen werden könnte.115) Ein Rechtsschutz wird insbesondere auch nicht durch die Verbindung der Entscheidung über die Eigenverwaltung mit einer anfechtbaren Maßnahme ausgelöst.116) So lassen § 34 Abs. 1 und 2 InsO zwar die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und gegen den Eröffnungsbeschluss zu. Obgleich die Entscheidung über die Eigenverwaltung gleichzeitig ergeht, wird sie jedoch nicht Teil derselben, sondern bleibt selbstständig und unanfechtbar.117) Überdies wäre der Schuldner gegen die Verfahrenseröffnung aber auch nur im Falle eines Fremdantrags nach § 34 Abs. 2 InsO beschwerdebefugt, mangels formeller Beschwer dagegen nicht beim Eigenantrag.118) ___________ 110) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 168, 169. Nicht richtig erscheint es dagegen, wegen des Fehlens eines Rechtsmittels geringe Anforderungen an die Begründung zu stellen, so aber Wuschek, ZInsO 2012, 110, 113. 111) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 168. 112) Frind, ZInsO 2011, 656, 660. 113) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58. 114) LG Frankfurt/M. v. 13.1.2014 – 2-09 T 66/13, ZIP 2014, 742; zum alten Recht BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448. 115) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 449. 116) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394. 117) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 20. 118) BGH v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 f., dazu EWiR 2008, 723 (Voss).
Neußner
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§ 10 4.2
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Außerordentliche Rechtsbehelfe
81 Handelt es sich somit bei der Ablehnung des Eigenverwaltungsantrags um eine Entscheidung, gegen die nach dem Gesetz kein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf zulässig ist, könnte zumindest die Gehörsrüge nach § 321a ZPO, § 4 InsO statthaft sein.119) Mit diesem außerordentlichen Rechtsbehelf kann die entscheidungserhebliche Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör gerügt werden, § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO.120) 82 Nach Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte verpflichtet, das Vorbringen der Partei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.121) Für die Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag bedeutet dies, dass dem Schuldner insbesondere Gelegenheit gegeben werden muss, sich zu Gläubigervorbringen, z. B. in einer vorsorglich beim Insolvenzgericht hinterlegten Schutzschrift, zu äußern. Seine Ausführungen müssen i. R. der Prognose nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zudem auch beachtet werden. Benennt er Zeugen, um negatives Vorbringen zu widerlegen, muss ihm diese Möglichkeit eingeräumt werden. 83 Die Rüge muss innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis der Verletzung rechtlichen Gehörs erhoben werden, § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO. Ein Verstoß gegen die Anhörungs- oder Beachtungspflicht kann v. a. aus der Begründung des Abweisungsbeschlusses ersichtlich werden, wobei zu beachten ist, dass das Gericht in seiner Begründung der Ablehnung der Eigenverwaltung grundsätzlich nicht zum gesamten Vortrag inhaltlich Stellung nehmen muss.122) 84 Obgleich nach den in § 321a Abs. 4 ZPO normierten Voraussetzungen nichts gegen die Statthaftigkeit einer Anhörungsrüge auch gegen die Ablehnung des Eigenverwaltungsantrags spricht, ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Gerichte ihre Zulässigkeit mit der Begründung verneinen, dass die getroffene Entscheidung nur eine vorläufige ist und endgültig erst bzw. noch nachfolgend die Gläubigerversammlung entscheidet. Aus früheren Entscheidungen des BGH könnte hier u. U. geschlossen werden, dass die Möglichkeit einer Korrektur der gerichtlichen Entscheidung im Wege der Gläubigerautonomie eine nochmalige gerichtliche Überprüfung überflüssig macht.123) 85 Auch wenn diese Argumentation schon deshalb angreifbar erscheint, weil der gerichtlichen Vorentscheidung gerade im Hinblick auf die nachfolgende Gläubigerentscheidung eine erhebliche psychologische und rechtliche Wirkung i. S. einer Weichenstellung zukommt, muss doch in Bezug auf die Erfolgsaussichten einer Anhörungsrüge beachtet werden, dass diese nicht den Zugang zu einer höheren Instanz eröffnet. Vielmehr entscheidet das Insolvenzgericht selbst, und zwar wiederum durch unanfechtbaren Beschluss, § 321a Abs. 4 ZPO. Wird der Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör vom Ausgangsgericht auf die Gehörsrüge hin nicht beseitigt, bleibt nur noch die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG.124) 86 Eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit ist seit der ZPOReform neben der Gehörsrüge grundsätzlich nicht mehr eröffnet.125) Soweit dennoch die ___________ 119) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 60; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 179. 120) Bacher, in: BeckOK-ZPO, § 321a Rz. 11; nach a. A. auch Verstoß gegen einzelgesetzliche Anhörungspflicht, Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a Rz. 3a. 121) BGH v. 20.1.2010 – IX ZB 59/08, BeckRS 2010, 03333. 122) BGH v. 20.1.2010 – IX ZB 59/08, BeckRS 2010, 03333; Bacher, in: BeckOK-ZPO, § 321a Rz. 13. 123) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394, 395, Rz. 13 – zum Ausschluss des Instanzenzugs; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 450, Rz. 16, 17. 124) BGH v. 7.3.2002 – IX ZB 11/02, ZIP 2002, 959, dazu EWiR 2002, 835 (Prütting); Bacher, in: BeckOKZPO, § 321a Rz. 64. 125) BGH v. 7.3.2002 – IX ZB 11/02, ZIP 2002, 959; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 179.
376
Neußner
Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
sofortige Beschwerde bei gesetzesfremden, in den grundrechtlich geschützten räumlichen Bereich des Schuldners eingreifenden Maßnahmen für statthaft gehalten wird, dürfte dieser Konstellation im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Eigenverwaltung jedenfalls keine Bedeutung zukommen. Zudem bestünden auch hier wiederum Bedenken aufgrund der nachfolgenden Letztentscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung im eröffneten Verfahren.126) III.
Nachträgliche Anordnung
1.
Sinn und Zweck
Ziel der Regelung des § 271 InsO ist die Förderung der Gläubigerautonomie.127) Die 87 Vorschrift sieht vor, dass trotz einer Ablehnung des schuldnerischen Antrags auf Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht auf Antrag der ersten Gläubigerversammlung die Eigenverwaltung nachträglich angeordnet werden kann. Das Gericht soll sich nicht über den Willen der Gläubigerversammlung hinwegsetzen können.128) Folglich trifft das Insolvenzgericht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur eine vorläufige Entscheidung darüber, ob die Eigenverwaltung angeordnet wird oder nicht,129) während die Gläubigerversammlung endgültig über diese Frage zu entscheiden hat. Damit zeigt die Vorschrift des § 271 InsO Parallelen zu den Regelungen der §§ 57, 68 InsO, die der Gläubigerversammlung die Möglichkeit einräumen, einen anderen als den vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalter zu wählen bzw. über die Beibehaltung oder Änderung der Zusammensetzung eines bereits bestellten Gläubigerausschusses zu bestimmen. 2.
Voraussetzungen
2.1
Antrag der ersten Gläubigerversammlung
Flöther
Zunächst bedarf es eines Antrags der ersten Gläubigerversammlung auf Anordnung der 88 Eigenverwaltung. Notwendig ist nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO neben der Mehrheit der Stimmen des § 76 Abs. 2 InsO (Summenmehrheit) auch die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger (Kopfmehrheit), so dass einzelne Großgläubiger nicht mehr gegen die Interessen und den Willen der (Personen-)Mehrheit der an der Gläubigerversammlung teilnehmenden Gläubiger die Anordnung der Eigenverwaltung erzwingen können.130) Dennoch haben einzelne Großgläubiger, sofern sie über die Summenmehrheit verfügen, weiterhin die Möglichkeit, die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung entgegen den Interessen der übrigen Gläubiger zu verhindern. Insbesondere durch Absonderungsrechte ausreichend gesicherte Großgläubiger könnten geneigt sein von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, da sie häufig kein Interesse an einer ggf. sogar erfolgversprechenden Eigenverwaltung haben und im Regelinsolvenzverfahren eine schnellere Realisierung ihrer Sicherheiten erreichen. Ein schriftlicher Antrag der Gläubigerversammlung ist nicht erforderlich, da der Antrag 89 in der Gläubigerversammlung protokolliert wird.131) Darüber hinaus kann die Gläubigerversammlung im Antrag entsprechend § 57 InsO die 90 Person des Sachwalters vorschlagen.132) ___________ 126) BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394, 395, Rz. 13 – zum Ausschluss des Instanzenzugs; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 450, Rz. 16, 17. 127) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. 128) Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg, S. 50. 129) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. 130) RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 61. 131) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 271 Rz. 4; Riggert, in: Braun, InsO, § 271 Rz. 6; Tetzlaff, in: MünchKommInsO, § 271 Rz. 39. 132) Wehdeking, in: Flöther/Smid/Wehdeking, Kap. 2 Rz. 69.
Flöther
377
§ 10
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
91 Fraglich ist, ob sie eine Verpflichtung zur Benennung hat.133) Eine solche Verpflichtung will Foltis aus den § 270 Abs. 1 Satz 2, § 57 Satz 1 InsO herleiten.134) Dies überzeugt nicht. Vielmehr ist die Verweisung so zu verstehen, dass die Gläubigerversammlung ihren Antrag auch ohne Vorschlag eines bestimmten Sachwalters stellen kann.135) Erst in der darauf folgenden Versammlung sind die Gläubiger nach § 274 Abs. 1, § 57 Satz 1 InsO berechtigt, einen neuen Sachwalter zu wählen. Sie haben also keine Verpflichtung, wohl aber die Möglichkeit, die Person des Sachwalters bei Antragstellung vorzuschlagen.136) 92 Das Gericht ist an einen einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 2 InsO gebunden, sofern die ausgewählte Person für das Amt des Sachwalters geeignet erscheint. Wenn der Gesetzgeber aber eine Bindung an den einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses anordnet, stellt sich die Frage, ob das dann nicht erst recht für einen Vorschlag der Gläubigerversammlung gilt. Das Gesetz schweigt dazu. Im Regelinsolvenzverfahren spricht sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen eine Bindung an den Vorschlag der Gläubiger aus, weil dies bei Beachtung der Kopfmehrheit zu einer Verzögerung des Verfahrens führen würde, während eine Beachtung nur der Summenmehrheit der Gläubiger dazu führen könnte, dass Großgläubiger zu großen Einfluss auf die Einsetzung des Insolvenzverwalters hätten.137) 93 Bei der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung hat jedoch im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren bereits eine erste Gläubigerversammlung stattgefunden, nämlich jene, welche die nachträgliche Anordnung des Eigenverwaltungsverfahrens beantragt, so dass eine Verzögerung ausgeschlossen ist. Jedenfalls bei Einstimmigkeit oder im Fall der Erreichung der Kopf- und der Summenmehrheit bezogen auf sämtliche Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, sollte deshalb ein Vorschlag der Gläubigerversammlung das Gericht bei der Einsetzung des Sachwalters binden. Dadurch ist ein übermäßiger Einfluss von Großgläubigern nicht zu befürchten, so dass auch dem Minderheitenschutz genüge getan ist. Es wäre unzweckmäßig und weder einer Sanierung noch einer Unternehmensfortführung förderlich, wenn das Gericht gegen den offensichtlichen Willen der Mehrheit der Gläubiger einen Sachwalter einsetzen kann, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der darauf folgenden Gläubigerversammlung nach § 270 Abs. 1 Satz 2, § 57 Satz 1 InsO wieder abgewählt wird. Den Grundgedanken des § 56a Abs. 2 InsO aufgreifend, sollte deshalb zumindest unter oben genannten Voraussetzungen der Vorschlag der Gläubigerversammlung bezüglich der Person des Sachwalters als bindend angesehen werden. Eine Ablehnung sollte nur möglich sein, wenn die vorgeschlagene Person für das Amt ungeeignet erscheint.138) 2.2
Zustimmung des Schuldners zur Anordnung der Eigenverwaltung
94 Vor Inkrafttreten des ESUG bedurfte es eines Antrags des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung, der durch das Gericht abgelehnt wurde. Dieses Erfordernis war in der Literatur schon vor der Gesetzesänderung von einigen Autoren als überflüssig angesehen worden.139) Die Befolgung des Wortlauts führte dazu, dass möglicherweise im Zeitpunkt der ersten Gläubigerversammlung alle Beteiligten die Anordnung der Eigenverwaltung als sinnvoll erachteten, eine solche aber nicht mehr möglich war, weil es an einem vorherigen ___________ 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139)
378
So Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 6. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 6. Vgl. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 15. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 2. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 23. So auch Ellers, in: BeckOK-InsO, § 271 Rz. 16. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 13; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 2.
Flöther
Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
Antrag des Schuldners fehlte.140) Durch das ESUG hat der Gesetzgeber auf die berechtigte Kritik reagiert. Unter Verzicht auf einen Antrag des Schuldners vor der ersten Gläubigerversammlung wird nun lediglich noch seine Zustimmung zur Anordnung der Eigenverwaltung verlangt. Eine solche Zustimmung schützt ebenfalls davor, dass der Schuldner, der zunächst einen 95 Antrag auf Eigenverwaltung gestellt hat, an diesem gegen seinen Willen festgehalten und in das Eigenverwaltungsverfahren gezwungen wird, obwohl er direkt nach dessen Anordnung einen Antrag auf Aufhebung des Verfahrens nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO stellen könnte. Aus diesen Gründen forderte schon vor Inkrafttreten des ESUG ein Großteil der Literatur, dass sich das Gericht über die Bereitschaft des Schuldners zur Eigenverwaltung zu informieren hat.141) Die Zustimmung kann schriftlich oder mündlich gegenüber dem Insolvenzgericht erfol- 96 gen.142) Sie kann vor oder nach der Gläubigerversammlung erteilt werden. Auch eine Rücknahme der Zustimmung ist bis zur Anordnung der Eigenverwaltung möglich.143) Nach Anordnung der Eigenverwaltung muss der Schuldner einen Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO stellen bzw. ist ein Widerruf der Erklärung in diesem Fall als Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO auszulegen.144) Hat der Schuldner bereits einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt und wurde dieser vom Gericht abgelehnt, genügt es, wenn der Schuldner erklärt, dass er seinen Antrag aufrechterhält.145) 3.
Verfahren
Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Zuständig ist das Insolvenzgericht. Die funk- 97 tionelle Zuständigkeit liegt grundsätzlich beim Rechtspfleger (§ 18 RPflG). Sofern die Eigenverwaltung aber dem gesetzgeberischen Leitbild entsprechend mit einem Insolvenzplanverfahren verbunden ist, liegt die Zuständigkeit beim Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG). Es sollten Datum und Stunde der Anordnung der Eigenverwaltung genannt werden, um Probleme bei der Feststellung der Wirksamkeit von Rechtshandlungen zu vermeiden.146) Der Beschluss ergeht ohne Ermessen des Gerichts, weil es an den Antrag der ersten 98 Gläubigerversammlung gebunden ist. Das Gericht prüft lediglich, ob der Beschluss ordnungsgemäß zustande gekommen ist und nicht materiell nichtig ist.147) Gemäß § 273 InsO ist der Beschluss öffentlich bekannt zu machen. Es gilt § 9 InsO, so 99 dass eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet zu erfolgen hat. Zudem muss entsprechend §§ 31 ff. InsO eine Korrektur von Register- und Grundbucheintragungen erfolgen.148) Eine Zustellung des Beschlusses über die Anordnung der Eigenverwaltung ist nicht zwin- 100 gend notwendig. Sie empfiehlt sich aber, weil sowohl Gläubiger und Schuldner, als auch Sachwalter und der ehemalige Insolvenzverwalter darüber in Kenntnis zu setzen sind.149) ___________ 140) Foltis, in: Wimmer, InsO, 6. Aufl., 2012, § 271 Rz. 5. 141) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 3; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 8; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 5; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 28. 142) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 4. 143) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 3. 144) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 271 Rz. 4; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 3. 145) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 271 Rz. 4; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 11. 146) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 4; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 40. 147) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 271 Rz. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 5. 148) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 273 Rz. 2; Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 273 Rz. 1; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 273 Rz. 9. 149) Pape, in: KPB, InsO, § 273 Rz. 2; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 273 Rz. 10.
Flöther
379
§ 10 4.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Bestellung eines Sachwalters
101 Zunächst einmal besteht keine Verpflichtung des Gerichts, einen bestimmten Sachwalter einzusetzen, es sei denn, es liegt ein einstimmiger Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 2 InsO oder ein Vorschlag der ersten Gläubigerversammlung mit den erforderlichen Mehrheiten vor (siehe Rz. 92 f.). Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, den bisherigen Insolvenzverwalter zum Sachwalter zu bestellen (§ 271 Satz 2 InsO). Dennoch wird sich dies aufgrund der besseren Sachverhaltskenntnis des bereits in den Fall eingearbeiteten Insolvenzverwalters häufig nicht nur anbieten, sondern der Regelfall sein.150) 5.
Rechtsfolgen
102 Rechtshandlungen, die vom Insolvenzverwalter bis zur nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung vorgenommen wurden, bleiben wirksam.151) Somit bleiben auch durch ihn begründete Masseverbindlichkeiten bestehen. Zeigt der Sachwalter die Masseunzulänglichkeit an, haftet der bisherige Insolvenzverwalter nach den allgemeinen Vorschriften.152) 103 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden Prozesse gemäß § 240 ZPO unterbrochen und können bis zur nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Unproblematisch ist es, wenn ein Prozess unterbrochen bleibt und nicht vom Insolvenzverwalter aufgenommen wurde. Dann ist es ab Anordnung der Eigenverwaltung Sache des Schuldners, den Prozess wieder aufzunehmen.153) Bei anhängigen Prozessen, die der Insolvenzverwalter bereits aufgenommen hatte, verliert dieser die Prozessführungsbefugnis. Sie geht mit Anordnung der Eigenverwaltung wieder auf den Schuldner über (bei Anfechtungsprozessen auf den Sachwalter).154) Für einen geordneten Übergang der Prozessführungsbefugnis findet eine Unterbrechung des Prozesses statt.155) Über das Erfordernis einer solchen Unterbrechung besteht allgemeine Einigkeit, während die Rechtsgrundlage derselben umstritten ist (§ 241 ZPO analog156) oder § 239 ZPO analog157)). Fest steht jedenfalls, dass der Schuldner wegen des Gebots der Waffengleichheit nicht unmittelbar in den Prozess eintreten muss.158) 6.
Rechtsmittel
104 Grundsätzlich ist für einzelne Gläubiger gegen die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung kein Rechtsmittel vorgesehen. Dies ergibt sich aus § 6 Abs. 1 InsO. 105 Bei der nachträglichen Anordnung, die regelmäßig der Rechtspfleger trifft (eine Ausnahme gilt im Fall der Verbindung mit einem Insolvenzplanverfahren gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG), kommt auch die Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG nicht in Betracht.159) Grund dafür ist, dass das Gericht nicht nach eigenem Ermessen entscheidet, ___________ 150) 151) 152) 153) 154) 155) 156) 157) 158) 159)
380
Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 8; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 6. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 272 Rz. 5; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 142. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 272 Rz. 7. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 139. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.15. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 141; Schlegel, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 143. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.15. Schlegel, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 143. Zur Notwendigkeit der Verfahrensunterbrechung im Regelinsolvenzverfahren für die Herstellung der Waffengleichheit Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 8 Rz. 22. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 5; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 20; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 11; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8.
Flöther
Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung
§ 10
sondern aus Gründen der Gläubigerautonomie an die Entscheidungen der Gläubigerversammlung gebunden sein soll. Würde man die Rechtspflegererinnerung zulassen, könnte die Entscheidung der Gläubigerversammlung umgangen und die Gläubigerautonomie ausgehebelt werden.160) Den Gläubigern bleibt aber die Möglichkeit, einen Antrag nach § 78 InsO zu stellen.161) 106 Schließlich ist der Beschluss nach § 271 InsO auf die Durchführung eines vom Regelfall abweichenden Verfahrens gerichtet und bringt damit erhebliche Risiken für die Gläubiger mit sich.162) Sofern der Beschluss den gemeinsamen Interessen der Gläubiger widerspricht, ist der Antrag erfolgreich. Im Einzelnen umstritten ist, ob das Gericht bei der Bestimmung der Interessen auf die Kriterien zu § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zurückgreifen kann.163) Dadurch würde allerdings die Gläubigerautonomie ausgehöhlt, sodass sich die Prüfung nach den zu § 78 InsO und § 272 InsO entwickelten Kriterien zu richten hat.164) Des Weiteren muss der Antrag zur Verhinderung eines ständigen Wechsels der Verfahrensart in derselben Gläubigerversammlung gestellt werden und die Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach § 78 InsO noch vor der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung ergehen.165) Nur so kann das Interesse der Gläubigerautonomie mit dem Interesse des Minderheitenschutzes wirksam in Einklang gebracht und dennoch ein reibungsloser Verfahrensablauf gewährleistet werden. Gegen den Beschluss nach § 78 Abs. 2 InsO steht den Gläubigern wiederum die sofortige Beschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 3 InsO zur Verfügung oder, sofern der Rechtspfleger entschieden hat, die Rechtspflegererinnerung. Falls die Voraussetzungen der Anordnung der Eigenverwaltung weggefallen sind, können 107 die Gläubiger einen Antrag auf Aufhebung der Anordnung nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO stellen.166)
___________ 160) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 11; Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 14. 161) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 15; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 3; anders wohl BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622; Ellers, in: BeckOK-InsO, § 271 Rz. 8. 162) Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 15. 163) Für die Anwendbarkeit Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 3; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 3; dagegen Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 271 Rz. 5; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 24. 164) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 271 Rz. 5; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 24. 165) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 34. 166) So auch Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8.
Flöther
381
§ 11 Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners Bierbach
I.
Grundsätzliche Problemstellung und dogmatische Einordnung der Rechtsstellung des Schuldners.............................. 1 1. Problemstellung ........................................... 1 2. Dogmatische Einordnung; Rechtsstellung des Schuldners ............................... 6 II. Übersicht zur Aufgabenverteilung........... 9 III. Die Rechte und Aufgaben des Schuldners im Einzelnen ......................... 10 1. Grundsatz................................................... 12 2. Aufgaben der Betriebsfortführung ........... 16 2.1 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.......................................... 17 2.1.1 Verwaltungsbefugnis..................... 17 2.1.2 Verfügungsbefugnis (§ 270 Abs. 1 InsO) ...................... 20 2.2 Überwachung und Zustimmungspflichten.............................. 23 2.2.1 Überwachung durch den Sachwalter (§ 274 Abs. 2 InsO) ........... 24 2.2.2 Kassenführung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO) ........... 25 2.2.3 Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit (§ 277 InsO) ........... 26 2.2.4 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 276 InsO) ............. 28 2.2.5 Betriebsveräußerung ..................... 35 2.2.6 Wirksamkeit der Schuldnerhandlung ........................................ 36 2.2.7 Insolvenzzweckwidrige Verfügungen ........................................ 37 2.3 Eingehen neuer Verbindlichkeiten (§§ 270, 275 Abs. 1 InsO) .... 38 2.3.1 Verbindlichkeiten .......................... 40 2.3.2 Einholung von Zustimmungen..... 41 2.3.2.1 Widerspruchsrecht des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) ........... 43 2.3.2.2 Zustimmung des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO) ........... 44 2.3.2.3 Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO)................... 47 2.3.2.4 Zustimmungserfordernis nach § 277 InsO ..................................... 48 2.3.2.5 Wirksamkeit der Schuldnerhandlung ........................................ 50 2.4 Arbeitgeberfunktion .................... 51 2.4.1 Befugnisse des Sachwalters ........... 52 2.4.2 Insolvenzrechtliche Implikationen ............................................. 53 2.4.3 Sondervorschriften des Insolvenzarbeitsrechts........................... 55
382
3.
4.
Bierbach
2.4.3.1 Kompetenzen, die im Einvernehmen auszuüben sind (§ 279 Satz 2 InsO) ....................... 56 2.4.3.2 Kompetenzen, die nur mit Zustimmung ausgeübt werden können (§ 279 Satz 3 InsO) ......... 62 2.5 Öffentlich-rechtliche Pflichten, Rechenschaftspflichten und Ordnungsvorschriften........... 70 2.6 Zielvorgaben und betriebswirtschaftliche Kontrolle .............. 72 2.7 Betriebseinstellung ........................ 74 2.8 Kosteneinsparungen und Schadensminderungspflichten...... 77 2.9 Sanierungsmaßnahmen ................. 80 2.10 Beauftragung von Beratern ........... 82 2.11 Versicherung von Vermögen ........ 88 2.12 Aufnahme von unterbrochenen Rechtsstreitigkeiten (§§ 85, 86 InsO), allgemeine Prozessführungsbefugnis........................... 89 2.13 Freigabe aus der Masse.................. 90 Gläubigerinformation (§ 281 InsO) ......... 91 3.1 Verzeichnis der Massegegenstände ............................................. 97 3.2 Gläubigerverzeichnis..................... 99 3.3 Vermögensübersicht ................... 101 3.4 Niederlegung ............................... 102 3.5 Berichterstattung......................... 104 3.5.1 Berichtstermin (§ 156 InsO) ...... 104 3.5.2 Inhalt des Berichts im Einzelnen .................................... 108 3.5.3 Allgemeine Auskunftspflicht ..... 117 3.6 Rechnungslegung (§ 281 Abs. 3 InsO) .................... 118 3.6.1 Schlussrechnungslegung ............. 118 3.6.2 Zwischenrechnungslegung ......... 120 3.7 Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 InsO).................. 122 3.8 Planerstellung (§ 284 InsO) ....... 124 Insolvenzspezifische Gestaltungsrechte ........................................................ 129 4.1 Kompetenz des Schuldners......... 129 4.2 Einvernehmen mit dem Sachwalter .................................... 131 4.3 Zustimmungserfordernis ........... 132 4.4 Die Gestaltungsrechte im Einzelnen ..................................... 133 4.5 Verwertung und Verteilung ....... 134 4.5.1 Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 InsO) ................................ 134
§ 11
Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners 4.5.2
5.
Forderungsprüfung (§ 283 Abs. 1 InsO)..................... 139 4.5.3 Verteilung (§ 83 Abs. 2 InsO).... 143 4.6 Geltendmachung bestimmter Ansprüche .................................... 146 4.7 Anzeige der Masseunzulänglichkeit und Führung der Tabelle der Massegläubiger ......... 149 4.8 Mittel zur Lebensführung des Schuldners (§ 278 InsO) ............. 154 Sonstige Aufgaben ................................... 158
IV. Informations- und Mitwirkungspflichten ................................................... 160 V. Konsequenzen von Verstößen und Kompetenzüberschreitungen ................ 164 VI. Stellung der Organe des Schuldners .... 166 1. Haftung..................................................... 166 2. Kein Einfluss auf die Geschäftsleitung ... 167 3. Vorwirkung .............................................. 174 4. Handlungsempfehlung für die Organe im Insolvenzfall ........................................ 177 VII. Der Berater des Schuldners .................. 179
I.
Grundsätzliche Problemstellung und dogmatische Einordnung der Rechtsstellung des Schuldners
1.
Problemstellung
Die Eigenverwaltung, in der die Ziele und Wirkungen des Regelinsolvenzverfahrens grund- 1 sätzlich beibehalten werden, stellt v. a. an den eigenverwaltenden Schuldner ganz erhebliche Anforderungen. Eine erfolgreiche Eigenverwaltung setzt regelmäßig umfassende insolvenzrechtliche Kenntnisse entweder des Schuldners oder seiner Organe oder die Beauftragung entsprechender Berater voraus. Vor allem muss erreicht werden, Vertrauen des Marktes in die Eigen-Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und insbesondere in die Fähigkeiten der handelnden Personen herzustellen; sonst kann die Eigenverwaltung deutlich schlechtere Ergebnisse bringen als das Regelverfahren mit Einsetzung eines Insolvenzverwalters. Die Inhaberschaft der grundsätzlichen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis stellt den 2 rechtlich nicht versierten Schuldner vor mitunter unlösbare Aufgaben. Der Zeitdruck für Entscheidungen ist gleichzeitig groß. Fehlentscheidungen können die Sanierung und die Gläubigerbefriedigung insgesamt gefährden. Eine Gefährdung geht ebenso von ungeschicktem oder unsicherem Verhalten im Markt aus. Auch führt die Inhaberschaft der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der Praxis un- 3 weigerlich zu erheblichen Konfliktsituationen für den eigenverwaltenden Schuldner, insbesondere wenn die Geschäftsführung im zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung nicht wechselt oder die Geschäftsführer auch Gesellschafter sind. Je kleiner die zu verwaltenden Verfahren sind, desto konkreter sind viele Probleme im täglichen Geschäft für den eigenverwaltenden Schuldner. Die Konfliktpotentiale sind mannigfaltig und die menschlichen Schwächen in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen: Zum einen werden die Organe der Schuldnerin immer auch erhebliche eigene Interessen z. B. am Werterhalt ihrer Geschäftsanteile und am Erhalt ihres Arbeitsplatzes als Einkommensquelle für sich und ihre Familien haben. Dies kann Unternehmer und Geschäftsführer dazu verleiten, die Augen vor betriebswirtschaftlichen Tatsachen und rechtlichen Gebotenheiten zu verschließen und notwendige Entscheidungen bis hin zur Betriebsschließung nicht oder zu spät zu treffen. Zum anderen bestehen in der täglichen Geschäftsführung erhebliche Konflikte, wie z. B. der Wunsch der Geschäftsführung oder der Mitarbeiter an der Einhaltung von Zusagen, die sie wenige Wochen oder Tage vor Antragstellung noch gegenüber Mitarbeitern, Lieferanten oder Kunden getätigt haben, die sich aber aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht mehr einhalten lassen. Insbesondere fehlt hier das erheblich positive Potential zur verbesserten Gläubigerbefriedigung durch Einsetzung eines unabhängigen, rechtlich und moralisch niemandem außer den Gläubigern verpflichteten Insolvenzverwalters.
Bierbach
383
§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
4 Als Korrektiv ist in der Eigenverwaltung die Unterstützungs- und Überwachungsfunktion des Sachwalters vorgesehen. Ihm obliegt es, die klaren Vorgaben der InsO zu überwachen und Konfliktpotentiale zu erkennen, mit dem Schuldner zu besprechen und die Gläubiger und das Gericht zu informieren. 5 Die Frage, wer die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausübt, hat für das Verfahren ganz wesentliche Bedeutung, denn daran hängt eine vielfältige Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Art und Weise der Führung des schuldnerischen Unternehmens und des Verfahrens insgesamt, welche das Verfahrensergebnis wesentlich beeinflussen kann und i. d. R. auch beeinflussen wird.1) Dies insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber dem Schuldner v. a. auch die wesentlichen Entscheidungskompetenzen überlassen hat. Gerade die grundsätzlichen Unternehmensentscheidungen, wie die Ausübung der Wahlrechte der §§ 103 bis 128 InsO, das Recht, langfristige Liefer- oder Abnahmeverpflichtungen einzugehen, oder Entscheidungen zu Mietverträgen und Personalangelegenheiten liegen beim Schuldner. Aber auch sämtliche Einzelentscheidungen im Tagesgeschäft trifft der Schuldner. Viele davon sind nicht frei von Konfliktpotential, wie bspw. die Vereinbarung von Preisen mit durch die Insolvenz geschädigten Lieferanten und Kunden oder die Frage der Akzeptanz und Anrechnung von ungesicherten Vorauskasseleistungen von Kunden. 2.
Dogmatische Einordnung; Rechtsstellung des Schuldners
6 In der Eigenverwaltung erhält2) der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Rein faktisch sieht es für den Schuldner und alle Beteiligten zwar so aus, als würde der Schuldner diese ihm ursprünglich kraft Privatautonomie zustehenden Rechte behalten. Er wird dies auch zur Beruhigung des Marktes so kommunizieren. Der Gesetzeswortlaut des § 270 Abs. 1 InsO spricht aber für eine Übertragung der Verwaltungs- und Verwertungsbefugnis an den Schuldner als Amtswalter.3) Der Schuldner wird insoweit, wie der Insolvenzverwalter auch, als Amtswalter (jedoch in eigener Sache) tätig.4) 7 Die Aufsichtsfunktion hat der Sachwalter, § 274 Abs. 2 InsO. Eine direkte Aufsicht des Gerichts über den eigenverwaltenden Schuldner besteht nicht. § 58 InsO, der den Insolvenzverwalter im Regelverfahren unter die Aufsicht des Gericht stellt, ist für den eigenverwaltenden Schuldner nicht anwendbar.5) Ein Verweis auf diese Vorschrift fehlt. Das Gericht seinerseits hat nur die Aufsichtsfunktion über den Sachwalter nach § 274 Abs. 1 InsO, der auf die Normen über die Bestellung, Überwachung, Entlassung und die Haftung sowie die Vergütung des Insolvenzverwalters verweist. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Gerichte in der Praxis gegenüber noch nicht gerichtsbekannten Sachwaltern eine gewisse Skepsis hegen und Vorschlägen bereits bekannter und bestellter Sachwalter offener gegenüberstehen. 8 Eine Aufsichtsfunktion sowohl über den Sachwalter als auch über den eigenverwaltenden Schuldner hat auch der Gläubigerausschuss. Die Überwachungsfunktion über den Schuldner ergibt sich aus § 276 InsO und seiner grundsätzlichen Aufgabe der Überwachung der Verwaltung und Verwertung des der Gesamtvollstreckung unterliegenden Vermögens im Gläubigerinteresse. Dieser Aufgabe könnte der Gläubigerausschuss nur durch Überwachung des Sachwalters nicht nachkommen (siehe § 14 Rz. 22 ff.).6) ___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)
384
Grub, in: Kölner Schrift, S. 491, 499, Rz. 27. So Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 20 m. w. N., Rz. 24; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 141; a. A. („behält“) noch Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 270 Rz. 67. Tetzlaff, in: Münch-Komm-InsO, § 270 Rz. 149. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 121. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 28. Pape, in: Kölner Schrift, S. 767, 804, Rz. 71.
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§ 11
Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners II.
Übersicht zur Aufgabenverteilung 9
Aufgabenverteilung in der Eigenverwaltung Zuständigkeit des Sachwalters
des Schuldners Art der Aufgabe
mit Zustimmung des ohne Zustimmung mit Zustimmung Gläubigerausschusses/ der Gläubigerverdes Sachwalters des Sachwalters sammlung
Betriebsfortführung Eingehen von Verbindlichkeiten
x
Eingehen von Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs
x
Liquiditätsplanung/Ertragsplanung
x
Beauftragung von Beratern
x
Kassenführung, § 275 Abs. 2 InsO
x
Steuererklärung
x
Buchhaltung
x
Registereintragungen
x
Einholen behördlicher Genehmigungen
x
Entnahme von Mitteln zur Lebensführung
x
Abschluss von Versicherungen
x
(x)
Betriebseinstellung
x
Ausübung von Wahlrechten u. Ä. Aufnahme von Rechtstreitigkeiten
x
Freigabe von Massegegenständen
x
Erfüllungswahl bei gegenseitigen Verträgen
x
Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen, § 109 InsO
x
Kündigung von Dienstverhältnissen, § 113 InsO
x
§§ 120, 122, 126 InsO
x
Widerruf eines vorinsolvenzlichen Sozialplans, § 124 InsO
x
Modifikationen bei Interessenausgleich und Kündigungsschutz, § 125 InsO
x
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385
§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Verwertung und Befriedigung Geltendmachung, §§ 92, 93 InsO Geltendmachung sonstiger Ansprüche gegen Gesellschafter und Geschäftsführer
x x
Insolvenzanfechtung
x
Bericht nach § 156 InsO
x
Verzeichnis der Massegegenstände
x
Gläubigerverzeichnis
x
Vermögensübersicht
x
Prüfung der Verzeichnisse und der Übersicht
x
Stellungnahme zum Bericht
x
Fertigung von Sachstandsberichten
x
Prüfung angemeldeter Forderungen
x
Rechnungslegung gemäß §§ 66, 155 InsO
x
Verwertung Mobilien/ Immobilien, Beteiligungen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO (inkl. Sicherungsgut)
x
x
Betriebsveräußerung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO Niederlegung der Tabelle
x x
Prüfung des Verteilungsverzeichnisses Ausarbeitung Insolvenzplan
x x
x
Überwachung der Planerfüllung
x
Anzeige Masseunzulänglichkeit
x
Befriedigung Massegläubiger
x
Verteilung der Quote
x
Überwachung des Schuldners Kommunikation mit dem Gericht/Gläubigerausschuss
x x
x
Die obenstehende Zuständigkeitsverteilung bezieht sich auf den Regelfall und kann in Sonderfällen davon abweichen, insbesondere gemäß §§ 160, 162, 163, 275, 276, 277 InsO.
III.
Die Rechte und Aufgaben des Schuldners im Einzelnen
10 Mit dem Recht zur Verwaltung und Verfügung korrespondieren entsprechende Aufgaben und Pflichten des Schuldners. Diese Aufgaben und Rechte des Schuldners ergeben sich aus den §§ 270 ff. InsO.
386
Bierbach
Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
Sie können grundsätzlich in folgende Kategorien unterteilt werden:
11
Aufgaben der Betriebsfortführung, inklusive der Befugnis zur Verwaltung und Verfügung;
formale Aufgaben im Insolvenzverfahren gegenüber Gläubigern;
Ausübung insolvenzspezifischer Gestaltungsrechte, §§ 103 ff. InsO;
Obliegenheiten gegenüber dem Sachwalter;
Verwertung und Verteilung.
1.
Grundsatz
§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO überträgt dem Schuldner alle Pflichten, die in der Regelinsol- 12 venz der Insolvenzverwalter zu erfüllen hätte,7) soweit nicht die §§ 271 ff. InsO eine explizite Zuweisung vornehmen. Die InsO schafft bei der Eigenverwaltung keine neuen Aufgaben, sondern verteilt die Aufgaben und Befugnisse nur anders. § 270 InsO erfüllt insofern die Funktion eines Auffangtatbestands. Die Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter kann man auf folgende grobe Formel herunterbrechen: Der Schuldner führt (mit Ausnahmen) die laufenden Geschäfte und der Sachwalter nimmt dabei im Wesentlichen Überwachungs- und Mitwirkungsaufgaben wahr. Darüber hinaus obliegen ihm insolvenzspezifische eigene Aufgaben. Da die Eigenverwaltung nach der Konzeption des Gesetzgebers v. a. bei Betriebsfortfüh- 13 rungen Anwendung finden soll, grenzt das Gesetz die Aufgaben nach denjenigen, die mit der Geschäftsführung/Betriebsfortführung im Zusammenhang stehen, und den insolvenzrechtlich besonderen Aufgaben ab. Erstere sollen wegen seiner größeren Sachkompetenz beim Schuldner verbleiben, Letztere vom Sachwalter wahrgenommen werden.8) Problematisch ist dabei aber, dass beinahe sämtliche, auch die normalsten geschäftstypi- 14 schen Aufgaben im schuldnerischen Unternehmen mit Insolvenzantragstellung insolvenzrechtlichen Implikationen unterliegen. Bereits die Erstellung der Lohn- und Gehaltsabrechnung oder die Abgabe der Unternehmenssteuererklärungen funktioniert nicht mehr wie bisher, da vor- und nachinsolvenzliche Zeiträume sauber abzugrenzen sind. Darüber hinaus ist diverse, dem insolvenzrechtlichen Laien nicht immer leicht eingängige Rechtsprechung zu beachten. Der eigenverwaltende Schuldner wird in der Regel ohne Hilfestellung externer Berater oder des Sachwalters nicht oder zumindest nicht vollständig richtig selbstständig agieren können. Und selbst wenn er und seine Mitarbeiter in der Verwaltung des Unternehmens in der Lage sind, diese Probleme zu erkennen und nach den insolvenzrechtlichen Vorgaben abzuarbeiten, werden ihre zeitlichen Kapazitäten schnell an Grenzen stoßen, da sie parallel das Unternehmen stabilisieren und fortführen und letztlich sanieren wollen, was schon allein aufgrund der wachsenden Kommunikationsanforderungen einen sehr viel größeren als den üblichen zeitlichen Einsatz erfordert. Es ist daher zumindest in der Anfangsphase i. d. R. unerlässlich, dass der Schuldner insol- 15 venzrechtliche Beratung in Anspruch nimmt (siehe dazu Rz. 82 ff.). Der in den ersten Jahren nach Einführung des ESUG festzustellenden Praxis, dass der Sachwalter oder sein Kanzleiapparat dem eigenverwaltenden Schuldner bei der Bearbeitung insolvenzspezifischer Aufgaben zur Hilfe geeilt ist, ist aufgrund mehrerer Entscheidungen des BGH die Grundlage entzogen. Der BGH9) entschied, dass ein (vorläufiger) Sachwalter für über___________ 7) 8) 9)
Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 20. Begr. RegE z. § 331 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels); BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 91/15, ZInsO 2017, 1813.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
nommene Aufgaben, die nicht seinem gesetzlichen Zuständigkeitsbereich angehören, sondern durch den Schuldner zu erledigen sind, keine Zuschläge zur Vergütung erhalten kann. 2.
Aufgaben der Betriebsfortführung
16 Der Gesetzgeber hat sich bei Einführung der Eigenverwaltung u. a. auch von der Überlegung leiten lassen, dass der Schuldner seinen Betrieb besser führen kann als ein fremder und außenstehender Insolvenzverwalter. Dies insbesondere, weil der Schuldner v. a. die Branche und das Unternehmen inklusive seiner Kunden- und Lieferantenbeziehungen besser kennt. Der Schuldner kann daher bei Anordnung der Eigenverwaltung den Betrieb selbstständig fortführen. Damit einher geht aber auch die Pflicht, alle notwendigen Maßnahmen zur gewinnoptimierten Betriebsfortführung zu ergreifen. In der Praxis wird die Eigenverwaltung manchmal als „Gläubigerschutzverfahren“ verkauft und die Bezeichnung „Insolvenzverfahren“ vermieden, wovon sich die schwächelnden Unternehmen versprechen, dass der Markt die Insolvenz nicht realisiert, was aber erhebliche Risiken birgt. 2.1
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
2.1.1 Verwaltungsbefugnis 17 Im Rahmen der Eigenverwaltung erhält der Schuldner die Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen, die Insolvenzmasse, § 35 InsO. Diese hat denselben Umfang wie diejenige des Insolvenzverwalters im Regelverfahren nach § 80 Abs. 1 InsO. Er muss ganz allgemein die Insolvenzmasse im Interesse bestmöglicher Gläubigerbefriedigung verwalten. Dies umfasst zunächst ganz allgemeine Vermögensfürsorgepflichten und eine weitgehende Pflicht zur Vermögenssicherung, die z. B. den Abschluss notwendiger Sach- und Haftpflichtversicherungen, Diebstahlschutz, Brandschutz etc. beinhaltet. 18 Die Verwaltungsbefugnis umfasst darüber hinaus auch das Recht zur Betriebsfortführung oder zur Betriebseinstellung.10) Der Schuldner hat die Betriebsfortführung im Interesse der Gläubigerbefriedigung vorzunehmen, d. h. er hat dies so zu tun, dass der Betrieb gewinnbringend oder zumindest so verlustarm wie möglich arbeitet und so eine Gefährdung der Fortexistenz des Betriebs oder eine Gefährdung der Gläubigerbefriedigung vermieden wird. Der Schuldner muss dazu stets die sich im Geschäft ergebenden Chancen und Risiken abwägen. Er hat dem Unternehmen Ziele vorzugeben und deren Erreichung zu überwachen. Er hat die Ausgestaltung der Corporate Governance vorzunehmen und ihre Einhaltung zu überwachen. Er hat kontinuierlich eine Ertragsplanung zu erstellen. Gleichzeitig muss er sicherstellen, dass von ihm eingegangene Verbindlichkeiten im Fälligkeitszeitpunkt bedient werden können, er muss also stets eine Liquiditätsplanung vornehmen. Er hat all dies zu dokumentieren und den Sachwalter zu informieren, denn der Sachwalter hat die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen, § 274 Abs. 2 InsO. 19 Darüber hinaus hat er den Betrieb wie ein ordentlicher Kaufmann zu führen. Oft genug wird, nicht nur bei kleineren und mittleren Betrieben, das einfache betriebswirtschaftliche Handwerkszeug nicht beherrscht. So stellt man in der Praxis immer wieder fest, dass Verträge, insbesondere Arbeitsverträge, nicht schriftlich geschlossen werden, nicht auf beiderseitige Unterschriften geachtet wird, keine kaufmännischen Bestätigungsschreiben genutzt werden, keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorhanden sind oder diese nicht genutzt werden, Rügefristen nicht kontrolliert werden, keine ordentliche Aktenführung vorliegt, nicht zeitnah gebucht wird, kein oder ein laxer Forderungseinzug betrieben wird, ___________ 10) Selbstverständlich besteht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch im Falle der Liquidation des Schuldners.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
etc. Diese Mängel in der Unternehmensführung, die oft genug zumindest mitursächlich für die Insolvenz sind, muss der Schuldner beseitigen. Wenn hier eklatante Fehler in der Geschäftsführung feststellbar sind, werden die Voraussetzungen der Anordnung einer Eigenverwaltung – zumindest, wenn die alte Geschäftsführung beibehalten wird und/oder keine externen Berater hinzugezogen werden – i. d. R. nicht vorliegen oder Gründe gegeben sein, diese aufzuheben. Der Sachwalter hat i. R. seiner Überwachungspflichten vordringlich auf die ordnungsgemäße Geschäftsführung des Schuldners zu achten und darauf hinzuwirken. 2.1.2 Verfügungsbefugnis (§ 270 Abs. 1 InsO) Jede Betriebsfortführung setzt voraus, dass die Insolvenzmasse neu verpflichtet wird und 20 Verfügungen über das Vermögen getroffen werden. Das Recht zur Verfügung über das Vermögen erhält der Schuldner aus § 270 Abs. 1 InsO. Im Unterschied zu den Verfügungen sind die rein schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfte separat, nämlich in § 275 InsO, geregelt. Sofern übergreifend von „Rechtsgeschäften“, wie in § 277 InsO, oder „Rechtshandlungen“, wie in § 276 InsO, gesprochen wird, betreffen diese Regelungen sowohl Verfügungsgeschäfte als auch Verpflichtungsgeschäfte. Während Verfügungen des Schuldners im Regelverfahren nach § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO 21 grundsätzlich unwirksam sind, erhält der Schuldner bei Anordnung der Eigenverwaltung das Recht, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verfügungen vorzunehmen, etwa: Übereignung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen, Abtretung oder Erlass von Forderungen oder Bestellung von Pfandrechten und Grundpfandrechten. Die §§ 80 bis 82 InsO sind in der Eigenverwaltung grundsätzlich nicht anwendbar. Die Verfügungen des Schuldners sind vom Sachwalter zu überwachen, unterliegen ggf. 22 Zustimmungspflichten (§ 276 InsO) und können eingeschränkt werden (§ 275 Abs. 2, § 277 InsO). Der Sachwalter hingegen ist ausnahmslos nicht berechtigt, über das Vermögen zu verfügen. 2.2
Überwachung und Zustimmungspflichten
Der eigenverwaltende Schuldner kann die Verwaltung und Verfügungen nicht gänzlich 23 frei vornehmen. Er unterliegt der Überwachung durch den Sachwalter und muss in einigen Bereichen dessen Zustimmung einholen. Er unterliegt gemäß § 276a InsO jedoch nicht mehr der Kontrolle der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane. 2.2.1 Überwachung durch den Sachwalter (§ 274 Abs. 2 InsO) Im Rahmen der allgemeinen Überwachung der Geschäftsführung hat der Sachwalter re- 24 gelmäßig die Verwaltung und die Verfügungen des Schuldners und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Verträge zu überwachen, § 274 Abs. 2 InsO. So wird er gerade i. R. der Überwachung der Betriebsfortführung darauf zu achten haben, dass der Schuldner mit solventen Vertragspartnern, ggf. unter Einbindung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vereinbarung weitgehender Eigentumsvorbehalte kontrahiert (siehe zum Ganzen auch § 12 Rz. 36 ff.). 2.2.2 Kassenführung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO) Eine besonders wirksame Kontrollfunktion hat der Sachwalter, wenn er die Kassenfüh- 25 rung an sich zieht, so dass eingehende Gelder nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur von ihm geleistet werden können. Der Schuldner hat dies zu akzeptieren und sämtlichen Geldverkehr über das Konto des Sachwalters laufen zu lassen. Daneben ist es
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
tunlich, dass der Schuldner zumindest das Recht behält, eine Barkasse für kleinere Besorgungen und Bareinkäufe sowie zur Betankung von Fahrzeugen etc. zu führen, die der Sachwalter auffüllt und kontrolliert (siehe zum Ganzen auch § 12 Rz. 47 ff.). 2.2.3 Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit (§ 277 InsO) 26 Da die reine Überwachung durch den Sachwalter in Einzelfällen u. U. nicht ausreicht, kann nach § 277 InsO durch das Insolvenzgericht für bestimmte Rechtsgeschäfte die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Sachwalter angeordnet werden. Dies kann auf Antrag der Gläubigerversammlung (Absatz 1) oder eines absonderungsberechtigten oder einfachen Insolvenzgläubigers (Absatz 2) durch das Insolvenzgericht geschehen und ist dann öffentlich bekannt zu machen und in den maßgeblichen Registern sowie ggf. im Grundbuch einzutragen. Weder dem Insolvenzgericht noch dem Sachwalter noch einem Massegläubiger steht ein Initiativ- oder Antragsrecht zu. Dies ist Ausdruck der besonderen Gläubigerautonomie im Eigenverwaltungsverfahren.11) 27 Entgegen der Anordnung, d. h. ohne Zustimmung des Sachwalters getätigte Rechtsgeschäfte oder Verfügungen des Schuldners sind auch im Außenverhältnis unwirksam (siehe zum Ganzen auch § 12 Rz. 57 ff.). 2.2.4 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 276 InsO) 28 Eine weitere Einschränkung der freien Verfügungsbefugnis des Schuldners sieht § 276 InsO vor: Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen hat der Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. § 160 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 161 Satz 2 und § 164 InsO gelten entsprechend. Besonders bedeutsame Rechtshandlungen sind in § 160 Abs. 2 InsO beispielhaft ausgeführt. Der Begriff „Rechtshandlungen“ ist in weitem Sinne zu verstehen, er umfasst also verfügende oder verpflichtende Rechtsgeschäfte, Prozesshandlungen oder tatsächliche Handlungen, die rechtliche Wirkung auslösen.12) Dies kann auch Rechtshandlungen betreffen, für die gleichzeitig eine Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO angeordnet ist. 29 Eine einheitliche Definition der besonders bedeutenden Rechtshandlung ist nicht ersichtlich. Graf-Schlicker13) und zustimmend Pape14) definieren sie als Rechtshandlungen, mit denen gleichsam eine Weiche für das Insolvenzverfahren gestellt wird und hinsichtlich derer nicht nur eine reine Wirtschaftlichkeitskontrolle stattfinden soll. Letztlich ist es eine Frage der Einzelfallbeurteilung, die unter Berücksichtigung von Art und Umfang der einzelnen Verpflichtung15) und der damit verbundenen Risiken nach den Umständen des jeweiligen Verfahrens zu erfolgen hat. Tetzlaff/Kern16) gehen davon aus, dass die „besonders bedeutsamen Rechtshandlungen“ i. S. von § 276 InsO genauso zu definieren sind wie i. R. von § 160 Abs. 1 InsO. 30 Da es sich bei § 276 InsO zwar um eine parallele Regelung zu § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO im Regelverfahren, aber doch um eine Spezialvorschrift für das Eigenverwaltungsverfahren handelt, muss ihr Anwendungsbereich für diese Verfahrensart m. E. spezifisch bestimmt werden. Auch wenn die Regelungssystematik der InsO dem Schuldner grundsätzlich die Verfügungsbefugnis belässt und grundsätzlich kein Zustimmungserfordernis des Sachwal___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16)
390
Pape, in: Kölner Schrift, S. 767, 801, Rz. 67. Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 7. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 4. Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 7. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 7. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 5.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
ters besteht, darüber hinaus bei Verfügungen nur im Falle des § 282 Abs. 2 InsO ein Einvernehmen mit dem Sachwalter erzielt werden soll, muss die Regelung des § 276 InsO m. E. weiter ausgelegt werden als § 160 InsO im Regelverfahren. Dies ist darin begründet, dass die Eigenverwaltung besonderer Ausdruck der Gläubigerautonomie ist und der Schuldner nicht vom Insolvenzgericht überwacht wird. In Zweifelsfällen ist es deshalb erforderlich, dass der Schuldner den Gläubigerausschuss in seine Entscheidung einbindet. Er riskiert sonst, das Vertrauen des Sachwalters und der Gläubiger zu verlieren, was ggf. zu einer Beendigung der Eigenverwaltung führen kann. Die Verpflichtung gemäß § 276 InsO soll andererseits aber nicht so weit gehen, dass der Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses bei allen Rechtshandlungen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören und zu denen der Sachwalter nicht gemäß § 275 InsO seine Zustimmung erteilt hat, einholen muss. Eine weite Auslegung liegt jedenfalls auch im Interesse des Schuldners, der ansonsten 31 riskiert, dass Gläubiger sich nicht oder schlecht informiert und in ihren Kompetenzen hintergangen fühlen und Anträge auf Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO stellen. Wegen der mit der Eigenverwaltung verbundenen besonderen Vertrauensstellung des Schuldners und der besonderen Risiken für die Gläubiger (siehe Rz. 36) müssen die Gläubiger als Korrektiv vom Schuldner noch weitergehend in verfahrensrelevante Entscheidungen eingebunden werden.17) Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Schuldner gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO ein beachtliches Vorschlagsrecht für die Auswahl des Sachwalters hat. Die Gläubiger können die Eigenverwaltung und die Auswahl des Sachwalters zu Beginn des Verfahrens nicht beeinflussen, weshalb sie als Korrektiv verstärkt in die für das Verfahren maßgeblichen Entscheidungen einzubinden sind. Streitig ist, ob „Zustimmung“ i. S. des § 276 InsO nur die vorherige Einwilligung i. S. des 32 § 184 BGB meint oder ob auch die nachträgliche Genehmigung genügt. Gerade aufgrund der besonderen Bedeutung der Gläubigerautonomie und regelmäßig fehlender anderweitiger Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners sowie fehlender Korrektur durch Haftungsnormen ist im Eigenverwaltungsverfahren zwingend die vorherige Zustimmung18) erforderlich (a. A. siehe § 14 Rz. 46 ff.). Dies bringt auch der Wortlaut „vornehmen will“ klar zum Ausdruck. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversamm- 33 lung einzuholen, § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO, wobei dann der Schuldner entsprechend § 75 Abs. 1 Satz 1 InsO zum Antrag auf Einberufung berechtigt ist.19) Auch eine vorläufige Untersagung der Rechtshandlung nach § 276 Satz 2 i. V. m. § 161 34 Satz 2 InsO durch das Insolvenzgericht und eine Einberufung einer Gläubigerversammlung kommen in Betracht (siehe auch § 12 Rz. 56). 2.2.5 Betriebsveräußerung Im Falle der Betriebsveräußerung finden über die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 35 InsO die allgemeinen Vorschriften der §§ 162, 163 InsO Anwendung.20) Auch in diesem Falle ist der Schuldner verfügungsbefugt, bedarf aber – wie auch der Insolvenzverwalter im Regelverfahren – der Zustimmung der Gläubigerversammlung.
___________ 17) 18) 19) 20)
A. A. Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 8, und Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 5. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 11 m. w. N.; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 14. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 10; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 12.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
2.2.6 Wirksamkeit der Schuldnerhandlung 36 Außer in den Fällen gerichtlicher Anordnung nach § 277 InsO sind Verfügungen des Schuldners, die ohne die erforderliche Zustimmung des Gläubigerausschusses nach § 276 (§ 276 Satz 2 InsO verweist ausdrücklich auf § 164 InsO) oder der Gläubigerversammlung nach §§ 162, 163 InsO oder die ohne Einvernehmen mit dem Sachwalter nach § 282 Abs. 2 InsO21) oder ohne Information des Sachwalters und damit unter Umgehung seiner Überwachung (§ 274 Abs. 2 InsO) erfolgen, wirksam, § 164 InsO. Das heißt, Verstöße des Schuldners haben keine Wirkung im Außenverhältnis. Darin liegt ein erhebliches Risiko für die Gläubiger, denn die Handlung wird nicht wie im Regelverfahren durch einen neutralen und den Haftungsnormen des § 60 Abs. 1 InsO unterworfenen Insolvenzverwalter vorgenommen. Die entsprechende Haftung des Schuldners (zur Haftung der Schuldnerorgane siehe Rz. 166) läuft mangels Haftungssubstrat leer.22) 2.2.7 Insolvenzzweckwidrige Verfügungen 37 Die Rechtsgrundsätze zur Nichtigkeit insolvenzzweckwidriger Handlungen, insbesondere bei kollusivem Zusammenwirken zwischen dem Vertragspartner und dem verfügenden Schuldner finden nach h. M. auch im Verfahren der Eigenverwaltung Anwendung.23) 2.3
Eingehen neuer Verbindlichkeiten (§§ 270, 275 Abs. 1 InsO)
38 Das Recht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, also die Befugnis zum Abschluss schuldrechtlicher Verträge und die Befugnis, die Insolvenzmasse zu berechtigen und zu verpflichten, erhält der Schuldner aus der Generalklausel des § 270 InsO, die jedoch durch § 275 Abs. 1 InsO erheblich modifiziert wird. Auch insoweit liegt die Handlungsbefugnis grundsätzlich beim eigenverwaltenden Schuldner und der Sachwalter ist keinesfalls berechtigt, die Masse zu verpflichten. Er hat lediglich Überwachungs- oder Mitwirkungspflichten, kann aber wie bei den Verfügungen nicht aus eigenem Recht selbstständig handeln. 39 § 275 Abs. 1 InsO unterscheidet zwischen Verbindlichkeiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und solchen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören (siehe zu Letzterem § 12 Rz. 41 f.). Darüber hinaus gelten für das Eingehen von Verbindlichkeiten ggf. auch die Regelungen des § 276 InsO; sie setzen bei besonderer Bedeutung die Zustimmung des Gläubigerausschusses voraus. Ebenso kann das Gericht auf Antrag die Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte und damit auch für bestimmte Verpflichtungen der Masse anordnen, § 277 InsO. 2.3.1 Verbindlichkeiten 40 Das Eingehen von Verbindlichkeiten i. S. des § 275 InsO meint jedwede Rechtsgeschäfte, die den Schuldner vertraglich oder auch nur einseitig verpflichten, eine bestimmte Leistung zu erbringen.24) Da § 275 Abs. 1 InsO nur zwischen Verbindlichkeiten unterscheidet, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb und die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, die Zugehörigkeit zum Geschäftsbetrieb aber Voraussetzung ist, fallen solche Verbindlichkeiten, die die private Lebensführung des Schuldners in der Insolvenz der natürlichen Person betreffen, nicht hierunter. Letztere betreffen nur das insolvenz___________ 21) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 282 Rz. 8. 22) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter), Rz. 23, dazu EWiR 2018, 339 (Thole). 23) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 13 m. w. N.; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 21 m. w. N. 24) Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 7.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
freie Vermögen, das auch in der Eigenverwaltung denkbar ist. Erfasst sind sowohl der Einkauf als auch der Verkauf von Waren und Dienstleistungen, das Eingehen von Lieferverpflichtungen, der Abschluss von Miet- oder Leasingverträgen, Arbeitsverträgen, Werkverträgen, Darlehensverträgen etc. Alle diese Verträge, egal ob auf Geld oder eine andere Leistung gerichtet, verpflichten die Masse und begründen Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 1 InsO. Zu beachten ist auch, dass die aus Nicht- oder Schlechterfüllung resultierenden Schadensersatzverpflichtungen aus durch den Schuldner nach Verfahrenseröffnung geschlossenen Verträgen Masseverbindlichkeiten darstellen. 2.3.2 Einholung von Zustimmungen Der Schuldner hat bei der Eingehung neuer Verbindlichkeiten grundsätzlich im Gläubi- 41 gerinteresse zu handeln. Neben der ganz grundsätzlichen Verpflichtung, derartige Rechtsgeschäfte unter betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten bestmöglich für die Masse abzuschließen, muss der Schuldner Chancen und Risiken abwägen und Alternativen in Betracht ziehen. Ferner müssen stets die Auswirkungen auf die Liquidität und den Ertrag geprüft werden. Diese Dinge sind Selbstverständlichkeiten für jeden ordentlichen Kaufmann, finden aber in der Praxis v. a. bei in die Krise geratenen Unternehmen gleichwohl keine oder keine hinreichende Berücksichtigung. In der Eigenverwaltung ist der Schuldner jedoch gezwungen, vor Vertragsabschluss entsprechende Erwägungen anzustellen und erforderlichenfalls mündlich oder schriftlich zu dokumentieren und zu kommunizieren. Denn nur so kann der Sachwalter seinen Überwachungs- und Mitwirkungsverpflichtungen nachkommen. Der Grad der Informationstiefe hängt dabei selbstverständlich von der Bedeutung des Rechtsgeschäfts für das Verfahren, insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Risiken für die Masse ab. Darüber hinaus regeln die §§ 275 bis 277 InsO die Zustimmungserfordernisse abgestuft 42 nach der Bedeutung für das Verfahren. Zunächst wird beim laufenden Geschäftsbetrieb zwischen Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, und solchen, die darüber hinausgehen, unterschieden und unterschiedlich intensive Mitwirkungsrechte des Sachwalters etabliert. Bei Rechtsgeschäften, die von besonderer Bedeutung für das Verfahren sind, ist der Gläubigerausschuss einzubinden, § 276 InsO. Schließlich kann für „bestimmte Rechtsgeschäfte“ die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Sachwalter gerichtlich angeordnet werden, § 277 InsO. Siehe hierzu aus der Sicht des Sachwalters § 12 Rz. 40 ff. 2.3.2.1
Widerspruchsrecht des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO)
Für Verbindlichkeiten die i. R. des üblichen Geschäftsbetriebs eingegangen werden, be- 43 darf der Schuldner, was sich aus dem Umkehrschluss zu § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, zwar grundsätzlich keiner Zustimmung. Gleichwohl unterliegt auch der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Überwachung des Sachwalters nach § 274 Abs. 2 InsO. Bei Geschäften des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs soll der Schuldner die Verbindlichkeit nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht. Daher hat der Schuldner i. R. seiner Mitwirkungspflichten Dokumentationspflichten auch bei Geschäften, die zum üblichen Geschäftsbetrieb gehören. Der Schuldner hat den Sachwalter, damit dieser ggf. seinem Widerspruchsrecht nachkommen kann, zu informieren und seine Entscheidungsfindung darzulegen, ggf. zu dokumentieren. Der Schuldner hat dabei auf Anforderung des Sachwalters alle notwendigen Auskünfte zu erteilen. Idealerweise wird zu Verfahrensbeginn einvernehmlich oder vom Sachwalter einseitig festgelegt, wann, wie und in welchem Umfang und bei welcher Art von Geschäften er regelmäßig über den normalen Geschäftsbetrieb informiert werden muss. Entsprechend hat der Schuldner dies zu befolgen und die gewünschten Informationen im erforderlichen Detaillierungsgrad zu erteilen. Bierbach
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§ 11 2.3.2.2
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Zustimmung des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO)
44 Bei Rechtsgeschäften, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, hat der Schuldner die Pflicht, die Zustimmung des Sachwalters einzuholen. Dazu gehört auch die Dokumentation und Darlegung der Entscheidungsgründe. Zustimmung i. S. dieser Regelung ist ebenso wie bei § 276 InsO das Einverständnis vor Abschluss des Rechtsgeschäfts, also entsprechend § 183 BGB.25) Auch hierfür spricht der klare Wortlaut der Regelung in § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO. Das Einholen einer nachträglichen Genehmigung reicht nicht aus, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Schuldner das Rechtsgeschäft schon – im Außenverhältnis wirksam – abgeschlossen. Der Sachwalter hat dann keine Einflussnahmemöglichkeit mehr. Der Schuldner riskiert, durch derartiges Verhalten das in ihn gesetzte Vertrauen zu verspielen, was in der Aufhebung der Eigenverwaltung enden kann, denn derartige Obliegenheitsverletzungen des Schuldners sind Umstände, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, § 272 Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO.26) 45 Ob ein Geschäft zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört, ist an Hand einer Einzelfallbetrachtung zu ermitteln. Abgestellt werden muss auf die konkrete Situation des Unternehmens, und es ist ein Vergleich zu ziehen mit der bisherigen Geschäftspraxis. Auch die Satzung der Gesellschaft kann als Indiz herangezogen werden. Trifft sie Regelungen im Hinblick auf besondere (Vertretungs-)Anforderungen bei bestimmten Geschäften, sind diese regelmäßig auch bei der insolvenzrechtlichen Beurteilung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs relevant. 46 Darüber hinaus ist zu empfehlen, die Kriterien für den gewöhnlichen und den außergewöhnlichen Geschäftsbetrieb zwischen Sachwalter und eigenverwaltendem Schuldner zu Beginn der Eigenverwaltung festzulegen. Dabei kommt insbesondere die Bestimmung einer Wertgrenze in Betracht, ab der ein Geschäft als nicht mehr zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörend anzusehen ist. Im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs erfolgt z. B. regelmäßig die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen, der normale Einkauf und der normale Verkauf. Nicht mehr zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören in der Regel hingegen langfristige Dauerschuldverhältnisse, Großaufträge, Verkauf von betriebsnotwendigem Anlagevermögen, Grundstücksgeschäfte, die Aufnahme von Darlehen sowie der Verzicht auf Forderungen.27) 2.3.2.3
Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO)
47 Eine weitere Einschränkung bei der Eingehung von Verbindlichkeiten sieht § 276 InsO vor: Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (also auch: bei der Eingehung besonderes bedeutsamer Verbindlichkeiten) hat der Schuldner (nicht der Sachwalter) die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. § 160 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 161 Satz 2 und § 164 InsO gelten entsprechend. Die besonders bedeutsamen Rechtshandlungen sind in § 160 Abs. 2 InsO beispielhaft ausgeführt. Das Zustimmungserfordernis gemäß § 276 InsO kann auch Rechtshandlungen betreffen, für die gleichzeitig eine Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO angeordnet ist. Wegen Einzelheiten kann auf die Ausführungen in Rz. 28 f. verwiesen werden, wobei auch hier zwingend die Einholung einer Zustimmung vor Eingehung der Verbindlichkeit zu fordern ist (siehe § 12 Rz. 53).
___________ 25) Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 13; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. 26) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 16. 27) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 8.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners 2.3.2.4
§ 11
Zustimmungserfordernis nach § 277 InsO
Ebenso wie für Verfügungen kann auch für Verpflichtungen der Masse ein Zustimmungs- 48 vorbehalt des Sachwalters gerichtlich angeordnet werden. Es gelten insofern die Ausführungen oben (siehe Rz. 28 f.). Zu beachten ist, dass nur in Fällen des § 277 InsO, in denen die Eingehung der Verbindlichkeit durch den Schuldner ohne Zustimmung des Sachwalters erfolgt, diese auch im Außenverhältnis unwirksam ist. Stimmt der Sachwalter nach § 277 InsO der Begründung von Masseverbindlichkeiten zu, 49 haftet er aufgrund der Verweisung des § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO gemäß § 61 InsO. Da der Sachwalter also ggf. für Masseverbindlichkeiten haftet, der Schuldner selbst mangels Haftungssubstrat jedoch nicht (zur Haftung der Schuldnerorgane siehe Rz. 166), hat der Sachwalter einen Anspruch darauf, jegliche benötigte Information zu erhalten. Der Schuldner hat die Obliegenheit, den Sachwalter vollumfänglich über alle für das Geschäft maßgeblichen betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Tatsachen auch ungefragt zu informieren (siehe § 12 Rz. 33 ff.). 2.3.2.5
Wirksamkeit der Schuldnerhandlung
Mit Ausnahme von Verpflichtungsgeschäften, für die ein Zustimmungsvorbehalt nach 50 § 277 InsO gerichtlich angeordnet ist, gilt wie bei Verfügungen des Schuldners, dass auch Verpflichtungsgeschäfte im Außenverhältnis regelmäßig wirksam sind, siehe Rz. 36. Dies gilt sowohl für Verpflichtungen, die der Schuldner im gewöhnlichen Betrieb eingeht, als auch für solche, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, und sogar für die Eingehung besonders bedeutsamer Verpflichtungen, für die die Zustimmung des Gläubigerausschusses notwendig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der Sachwalter oder der Gläubigerausschuss vom Schuldner informiert wurde, ja sogar, wenn diese Kontrollorgane ausdrücklich widersprechen bzw. ihre Zustimmung nicht erteilen. Gerade dies gebietet, dass der Schuldner diese Organe umfassend und rechtzeitig informiert. Andernfalls drohen Maßnahmen der Gläubiger nach § 277 Abs. 2 InsO oder gar Anträge auf Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO (siehe zum Ganzen auch § 12 Rz. 35). 2.4
Arbeitgeberfunktion
Der Schuldner behält aufgrund der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis die Arbeitge- 51 berfunktion und muss weiterhin seinen entsprechenden Arbeitgeberpflichten nachkommen. Die Arbeitsverträge bleiben von der Insolvenzeröffnung in ihrem Bestand unberührt, § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Schuldner hat die ihm in dieser Rolle zukommenden Rechte auszuüben und den ihm obliegenden Pflichten nachzukommen.28) Dies betrifft sowohl das Individual- als auch das Kollektivarbeitsrecht. Im Einzelnen sind beispielhaft folgende, in beinahe jedem Insolvenzverfahren bestehende arbeitsrechtliche Aufgaben zu nennen (siehe auch unten § 55):
Einstellungen,
Abmahnungen,
Kündigungen,
Lohn- und Gehaltsabrechnungen,
Zeugniserstellung,
Abführung von Sozialabgaben und Lohnsteuer,
An- und Abmeldungen,
___________ 28) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 164 ff.; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 14.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Einholung von Genehmigungen zur Arbeitserlaubnis,
Erstellung von Insolvenzgeldbescheinigungen,
Altersteilzeitvereinbarungen,
Sicherung von Arbeitszeitkonten,
Informationspflichten zum Betriebs(teil)übergang nach § 613a Abs. 5 BGB,
Meldung von Betriebsrenten an den PSVaG.
2.4.1 Befugnisse des Sachwalters 52 Da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis allein beim Schuldner liegt, stehen dem Sachwalter keinerlei Arbeitgeberbefugnisse zu. Letzterer kann weder Einstellungen vornehmen noch Kündigungen aussprechen oder Arbeitsverträge modifizieren und verhandeln. Er kann auch die Mitarbeiter des Schuldners mangels Arbeitgeberfunktion nicht anweisen. Auch aus seiner Kontroll- und Überwachungsfunktion heraus kann er dies nicht. Jedoch ist der Schuldner verpflichtet, seine Mitarbeiter anzuweisen, den Sachwalter vollumfänglich zu informieren und Auskünfte zu erteilen. Gerade in größeren Unternehmen wird es dem Sachwalter nicht ausreichen können, die Informationen stets nur über den Schuldner selbst bzw. dessen Organe zu erlangen. Zur umfassenden Information aus erster Hand muss er auch von den Mitarbeitern in Schlüsselfunktionen, insbesondere aus dem Bereich Buchhaltung und Controlling oder bspw. dem Einkauf und Vertrieb oder von einzelnen Projektverantwortlichen direkt informiert werden. Dies ergibt sich aus § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO mit Verweis auf § 22 Abs. 3 InsO, der im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung so auszulegen ist. 2.4.2 Insolvenzrechtliche Implikationen 53 Auch bzgl. der Arbeitgeberrechte hat sich der Schuldner stets an den Zielen des Insolvenzverfahrens, d. h. der Gläubigerbefriedigung und, sofern damit in Einklang zu bringen, dem Unternehmenserhalt zu orientieren.29) Insolvenzrechtliche Modifikationen dieser Rechte und Pflichten sind zu beachten. So muss der Schuldner v. a. die Arbeitnehmerforderungen strikt nach ihrer insolvenzrechtlichen Qualifikation trennen: Zum einen gibt es Forderungen der Arbeitnehmer, die als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO zu qualifizieren sind, und solche, die als Masseverbindlichkeiten einzuordnen sind. Erstere sind wiederum in insolvenzgeldfähige und nicht insolvenzgeldfähige zu unterteilen. Letztere können als Neu- und Altmasseverbindlichkeiten (insbesondere bei Freistellungen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, mit der Besonderheit der Differenzlohnabrechnung bei Anspruchsübergängen auf die Bundesagentur) zu qualifizieren sein. 54 Auch liegt die Pflicht zur Erstellung von Insolvenzgeldbescheinigungen und zu sonstigen Meldungen, wie bspw. die Meldung von Betriebsrenten an den PSVaG, beim Schuldner. Insgesamt ist festzustellen, dass die Personalabteilungen auch größerer und großer Unternehmen ohne Hilfestellung oder Unterstützung von Fachleuten, wie sie insbesondere in der Büroorganisation professioneller Insolvenzverwalter beschäftigt sind, diese Aufgaben nicht zeitnah und richtig erfüllen können. 2.4.3 Sondervorschriften des Insolvenzarbeitsrechts 55 Die InsO gewährt besondere, die Sanierung erleichternde Sondervorschriften zum Arbeitsrecht. Diese kann auch der eigenverwaltende Schuldner gemäß § 279 i. V. m. §§ 103 ff. InsO nutzen. ___________ 29) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 190.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners 2.4.3.1
§ 11
Kompetenzen, die im Einvernehmen auszuüben sind (§ 279 Satz 2 InsO)
Grundsätzlich kann der Schuldner folgende Rechte selbstständig wahrnehmen, wobei er 56 dies im Einvernehmen mit dem Sachwalter tun soll, § 279 Satz 2 InsO: Kündigung eines Dienst-/Arbeitsverhältnisses, § 113 InsO: § 113 InsO ist die zentrale 57 Bestimmung zur Beendigung von Dienst- und Arbeitsverhältnissen im Insolvenzverfahren. Sie hat zwei zentrale Auswirkungen:
Der Schuldner in Eigenverwaltung kann trotz ggf. entgegenstehendem tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit das Dienst- oder Arbeitsverhältnis beenden.
Darüber hinaus gibt die Bestimmung das Recht zur Ausnutzung einer Höchstkündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende, wenn einzelvertraglich, tarifvertraglich oder gesetzlich eine längere Kündigungsfrist für die ordentliche Beendigung gilt. In Verbindung mit § 119 InsO, der gesetzlich die Unwirksamkeit von Ausschlüssen oder Beschränkungen des Kündigungsrechts im Insolvenzverfahren vorsieht, hat daher der Schuldner in Eigenverwaltung im Einvernehmen mit dem Sachwalter ein rechtlich effektives Handwerkszeug, um auch im Dienst- oder Arbeitsvertragsbereich eines Unternehmens Änderungen herbeizuführen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens verschlossen bleiben.
Betriebsänderungen und Vermittlungsverfahren, § 121 InsO: Die Vorschrift ist im Zu- 58 sammenhang mit § 122 InsO zu lesen (siehe unten Rz. 65 f.). Eine isolierte Anwendungsmöglichkeit für den Schuldner in Eigenverwaltung ergibt sich nicht. Nachinsolvenzlicher Sozialplan, §§ 123, 124 InsO: Der Sozialplan ist eine Betriebsver- 59 einbarung i. S. von § 112 Abs. 1 Satz 3, § 77 Abs. 1 BetrVG. Hierbei ist als Form die schriftliche Niederlegung vorgeschrieben, § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 125 BGB. Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB muss die Unterzeichnung der Betriebsparteien, hier also des Schuldners in Eigenverwaltung sowie des Betriebsrats durch seinen Vorsitzenden, auf einer Urkunde erfolgen. In schuldnerischen Unternehmen, in denen sich ein Betriebsrat i. S. des BetrVG konstituiert hat, ermöglichen §§ 123, 124 InsO, wirtschaftliche Belastungsgrenzen für die Insolvenzmasse einzuziehen. Die Bestimmungen sind inhaltlich und in der Umsetzung schwierig. Es kommt hinzu, dass die Regelungen des BetrVG kumulativ gelten. Einem Schuldner in Eigenverwaltung, der nicht bereits in der Vergangenheit entsprechende Expertise im Umgang mit Verhandlung und Abschluss von schriftlichen Interessenausgleichs- und Sozialplanvereinbarungen sammeln konnte, ist dringend anzuraten, fachanwaltliche Hilfe in Abstimmung mit dem Sachwalter in Anspruch zu nehmen, da für den Fall nicht gesetzeskonformer Durchführung von Betriebsänderungen immer das Damoklesschwert des Nachteilsausgleichs gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG (eine Art finanzieller Entschädigungsanspruch für Mitarbeiter) über ihm und der Insolvenzmasse schwebt. Interessenausgleich und Kündigungsschutz, § 125 InsO: Ist eine Betriebsänderung 60 i. S. des § 111 BetrVG geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein schriftlicher Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 KSchG nur mit Einschränkungen im Prozessfalle anwendbar. Die Vorschrift beinhaltet also eine wesentliche Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess für den Bereich der dringenden betrieblichen Gründe i. S. von § 1 KSchG. Die Darlegungslast für die durchgeführte Sozialauswahl verbleibt beim eigenverwaltenden Schuldnerunternehmen, ist aber arbeitsgerichtlich lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. Sofern es also gelingt, mit dem Betriebsrat im Hinblick auf die geplante Betriebsänderung einen schriftlichen Interessen-
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
ausgleich mit Namensliste (§ 1 Abs. 5 KSchG) zu vereinbaren, können etwaige spätere Prozessrisiken vor dem ArbG wesentlich minimiert werden. Dies wird gemeinhin als sanierungsfreundliches Instrumentarium der InsO angesehen. In der Praxis hat sich erwiesen, dass der sonst üblicherweise von Betriebsratsseite abgelehnte Abschluss einer Namensliste positiv beurteilt wird, weil die betrieblichen Veränderung regelmäßig unter Zeitdruck und schnell durchgeführt werden müssen und die finanzielle Abfederung der wirtschaftlichen Nachteile für die Betroffenen ohnehin wegen § 123 InsO gesetzlich eingeschränkt ist. Dies führt in der Praxis in der Regel zu zielgerichteten und konstruktiven Verhandlungen, da die Alternativen (Betriebsstilllegung insgesamt o. Ä.) deutlich schwerer wiegen. 61 Verstöße gegen die Obliegenheit, die Arbeitgeberfunktion diesbezüglich nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter auszuüben, berühren die Wirksamkeit des Handelns jedoch nicht.30) Selbiges gilt, falls auch im arbeitsrechtlichen Bereich besonders bedeutsame Rechtshandlungen vorgenommen werden, die der vorherigen (siehe Rz. 32) Zustimmung des Gläubigerausschusses nach § 276 InsO bedürfen, wie bspw. der Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans. 2.4.3.2
Kompetenzen, die nur mit Zustimmung ausgeübt werden können (§ 279 Satz 3 InsO)
62 Die Rechte aus bestimmten arbeitsrechtlichen Sondervorschriften kann der Schuldner wirksam nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben. Dies sind i. E.: 63 Kündigung von Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO: Sind in Betriebsvereinbarungen (§ 77 BetrVG) die Insolvenzmasse belastende Leistungen vorgesehen, so sollen der eigenverwaltende Schuldner und der Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten. Noch weitergehend gewährt das Gesetz in § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Höchstkündigungsfrist von drei Monaten hierfür. Wegen § 279 Satz 3 InsO darf der eigenverwaltende Schuldner die Kündigung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung nur mit Zustimmung des Sachwalters aussprechen. Dies bedeutet, dass nach Zugang der Kündigung beim Betriebsrat das Einverständnis des Sachwalters nicht mehr nachgeschoben werden kann. Eine ohne Einwilligung erfolgte Kündigung ist nichtig. 64 Als die Insolvenzmasse belastende Regelungen werden Betriebsvereinbarungen angesehen, die zu Leistungsverpflichtungen des eigenverwaltenden Unternehmers führen. Als Beispiele sind zu nennen Sozialleistungen wie Gratifikationen, Urlaubsgelder, Jubiläumszuwendungen, Ausbildungsbeihilfen, zusätzliche Leistungen für Gesundheitsschutz und Unfallverhütung u. v. m.31) 65 Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung, § 122 InsO: Der eigenverwaltende Schuldner kann die Zustimmung des ArbG beantragen, dass die geplante und dem Betriebsrat vorgestellte Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist (also ohne vorheriges Vermittlungsersuchen an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit), ohne Einigungsstellenverfahren, ohne drohende Unterlassungsverfügungen und ohne das Damoklesschwert eines Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG. Bei der Entscheidung des ArbG geht es lediglich um die Eilbedürftigkeit der vom eigenverwaltenden Schuldnerunternehmen beantragten Betriebsänderung, also um deren Zeitpunkt. Das ArbG prüft nicht, ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist, die Entscheidung enthält also inzident keine Zustimmung zur geplanten Maßnahme. ___________ 30) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 3. 31) Caspers, in: MünchKomm-InsO, § 120 Rz. 8.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
In dem Antrag ans ArbG sind sämtliche bereits in § 122 InsO explizit aufgezählten Vor- 66 aussetzungen einzuhalten und so genau wie möglich zu bezeichnen. Es muss vorgetragen werden, dass trotz ausführlicher Unterrichtung und schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen nicht innerhalb von drei Wochen ein schriftlicher Interessenausgleich zustande gekommen ist. Das Kernproblem der Bestimmung liegt – wie zumeist in der Praxis – in der rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung des Betriebsrats. Das eigenverwaltende Schuldnerunternehmen hat diese Voraussetzung für den Antrag erfüllt, wenn dem Betriebsrat die wirtschaftlichen und sozialen Gründe, die für die Durchführung der Betriebsänderung sprechen, so mitgeteilt wurden, dass sich dieser ein vollständiges Bild hierüber machen konnte,32) und wenn die geplante Betriebsänderung noch nicht durchgeführt wurde. Im Rahmen des Antrags nach § 122 InsO trägt die eigenverwaltende Schuldnerin die volle Darlegungs- und Beweislast. Ist die Unterrichtung des Betriebsrats nicht ausreichend, wird die sich hieran anschließende Drei-Wochen-Frist nicht in Lauf gesetzt. Der Antrag an das ArbG ist dann unzulässig. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz, §§ 126, 127 InsO: Hat der Betrieb keinen 67 Betriebsrat oder kommt innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO nicht zustande, obwohl der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom eigenverwaltenden Schuldner unterrichtet worden ist, kann ein Beschlussverfahren beim ArbG anhängig gemacht werden. Es ist dabei die Feststellung zu beantragen, dass die Kündigung bestimmter, im Antrag näher bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Dabei kann nach § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten überprüft werden. Die Bestimmung ermöglicht dem Schuldner kurz gefasst die Durchführung eines kollek- 68 tiven Kündigungsschutzverfahrens mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit einer Vielzahl von Kündigungen feststellen zu lassen. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Die rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 126 InsO entfaltet sodann Bindungswirkung für das individuelle Kündigungsschutzverfahren (§ 127 Abs. 1 InsO). Die Bindungswirkung betrifft aber nur die Frage der sozialen Rechtfertigung der Entlassung nach § 1 KSchG. In diesen in § 279 Satz 3 InsO enumerativ aufgelisteten Fällen der §§ 120, 122 und 126 69 InsO sind die entsprechenden Willenserklärungen und Handlungen, die ohne Zustimmung des Sachwalters erfolgen, im Interesse des wirksamen Schutzes der Arbeitnehmer auch im Außenverhältnis unwirksam.33) 2.5
Öffentlich-rechtliche Pflichten, Rechenschaftspflichten und Ordnungsvorschriften
Der Schuldner muss weiterhin seinen öffentlich-rechtlichen und Rechenschaftspflichten 70 nachkommen; außerdem obliegt ihm weiterhin die Beachtung von Ordnungsvorschriften. Das umfasst insbesondere sämtliche steuerliche Aufgaben und Buchhaltungspflichten (§ 281 Abs. 3 i. V. m. § 155 InsO), ggf. Pflichten gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Sicherstellung der Ad-hoc-Publizität und die Erfüllung der Offenlegungspflichten gemäß §§ 325 ff. HGB. Auch Eintragungspflichten nach dem Handelsregisterrecht muss der Schuldner nachkommen. Des Weiteren hat der Schuldner die Aufgabe, ggf. erforderliche behördliche Genehmigungen zu behalten oder zu erwirken, wie bspw. solche nach dem Gewerbeaufsichtsrecht oder dem BImSchG. Ferner trifft ihn die ___________ 32) ArbG Berlin v. 26.3.1998 – 5 BV 5735/98, ZInsO 1999, 51, sowie Moll, in: KPB, InsO, § 122 Rz. 20. 33) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 4 m. w. N.; Pape, in: KPB, InsO, § 279 Rz. 10 f.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Pflicht, gesetzliche oder behördliche Auflagen sowie die dem Arbeitnehmerschutz dienenden Vorgaben der Berufsgenossenschaften zu beachten und einzuhalten. Auch der zunehmend an Bedeutung gewinnende Datenschutz ist von ihm zu beachten. 71 Sofern der eigenverwaltende Schuldner diesen Pflichten nicht nachkommt, hat die öffentliche Hand trotz der Insolvenz entsprechende Durchsetzungsmöglichkeiten, so wie im Regelverfahren gegen den Insolvenzverwalter. Dies ändert jedoch nichts an der Qualifikation von auf Geld gerichteten vorinsolvenzlichen Forderungen öffentlich-rechtlicher Gläubiger, die nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO sind, die auch im Falle der Eigenverwaltung nicht vollstreckt oder sonst durchgesetzt werden können.34) 2.6
Zielvorgaben und betriebswirtschaftliche Kontrolle
72 Im Falle der Fortführung des Unternehmens in Eigenverwaltung hat der Sachwalter gemäß § 274 Abs. 2 InsO die Pflicht zur Kontrolle der Umsetzbarkeit des Sanierungsziels, der Liquiditätsplanung sowie der Ertragsplanung.35) Den Schuldner trifft insoweit eine gleichgerichtete Obliegenheit. Ohne Erfüllung dieser Aufgaben kann eine Fortführung in Eigenverwaltung naturgemäß keinen Erfolg haben. In der eigenverwalteten Insolvenz von Konzernunternehmen hat der Schuldner auch die Aufgabe, die Liquidität im Konzern aufrechtzuerhalten, soweit dies insolvenzrechtlich zulässig und dem Ziel der Gläubigerbefriedigung dienlich ist, wobei die Vermögensmassen – wie auch im Regelverfahren – strikt zu trennen sind. 73 Der Schuldner muss bestimmten Informations- und Mitwirkungspflichten nachkommen. Zu Einzelheiten siehe unten Rz. 160 ff. 2.7
Betriebseinstellung
74 Die Entscheidung über die Fortführung des Betriebs oder die ganz oder teilweise Betriebsstilllegung hat grundsätzlich die Gläubigerversammlung nach § 157 InsO zu treffen. Diese Entscheidung gehört zu den Verfahrenszielen, die der Gesetzgeber ausschließlich in die Hand der Gläubiger gelegt hat.36) Auch im Eigenverwaltungsverfahren ändert sich hieran nichts, die allgemeinen Verfahrensvorschriften sind über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO anwendbar. 75 Da der Schuldner nach § 281 Abs. 2 Satz 1 InsO im Berichtstermin selbst den Bericht zu erstatten hat, auf dessen Grundlage die Gläubiger ihre Entscheidung treffen können, hat er auch diesbezüglich erhebliche Einflussnahmemöglichkeiten. Als Korrektiv ist die zwingende Stellungnahme des Sachwalters vorgesehen, § 281 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dieser kann und muss die Gläubiger über die Chancen und Risiken der Betriebsfortführung und deren Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung unterrichten. Er hat dabei zu sämtlichen relevanten innerhalb und außerhalb des Unternehmens liegenden Punkten Stellung zu nehmen. Dies beinhaltet auch objektive Angaben über die Person und die Organe des Schuldners und die Risiken, die möglicherweise in der Organisation des Schuldners liegen. 76 Eine Betriebsfortführung gegen den Willen des Schuldners im Eigenverwaltungsverfahren ist nicht vorstellbar und kann von der Gläubigerversammlung nicht erzwungen werden.37) Ferner kann der Schuldner aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis den Betrieb bereits vor der Gläubigerversammlung faktisch stilllegen. § 158 InsO ist in diesen ___________ 34) 35) 36) 37)
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Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 157 ff. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 47 ff. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 1. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 10.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
Fällen über § 270 InsO entsprechend anwendbar. Der Schuldner bedarf also der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Falls ein solcher nicht bestellt ist, gilt § 158 Abs. 2 InsO mit veränderter Rollenverteilung. Der Schuldner hat, was sich auch aus § 274 Abs. 2 InsO ergibt, den Sachwalter vor der Stilllegung oder Veräußerung zu unterrichten. Auch § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO ist in umgekehrter Rollenverteilung anwendbar: In der Eigenverwaltung muss der Sachwalter aufgrund der Reichweite und regelmäßiger Unumkehrbarkeit der Entscheidung berechtigt sein, einen Antrag auf Untersagung der Stilllegung und Veräußerung des Betriebs beim Insolvenzgericht zu stellen. Da der Schuldner zu einer Fortführung des Betriebs grundsätzlich nicht gezwungen werden kann, müsste der Sachwalter zur Vermeidung einer Betriebsstilllegung allerdings durch eine Gläubigerversammlung die Eigenverwaltung beenden lassen, um den Betrieb dann durch einen Insolvenzverwalter fortführen zu können. 2.8
Kosteneinsparungen und Schadensminderungspflichten
Zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ist es erforderlich, dass laufende Betriebskosten 77 auf ein notwendiges Maß begrenzt werden. Dies betrifft sowohl die Kosten des laufenden Geschäftsbetriebs, die zum Zweck einer erfolgreichen und die Liquidität schonenden Fortführung des Betriebs und anschließender Sanierung mittels Plan oder durch übertragende Sanierung in aller Regel gesenkt werden müssen, als auch Verwaltungs- und Beratungskosten. Es ist Aufgabe des Schuldners die entsprechenden Kosteneinsparungspotentiale zu ermitteln und dem Sachwalter zu kommunizieren. In der Regel wird die Kosteneinsparung gerade bei lange laufenden Verträgen durch Ausübung der insolvenzrechtlichen Wahlrechte der §§ 103 ff. InsO, die der Schuldner gemäß § 279 InsO ausüben kann, zu erreichen sein. Bei Masseunzulänglichkeit sind die Besonderheiten der Einteilung in Neu- und Altmasse- 78 verbindlichkeiten zu beachten, die vom Schuldner zu nutzen sind, um die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO weitgehend zu vermeiden. Dies kann insbesondere durch Freigaben und Freistellungen erfolgen, um nicht die Gegenleistung gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO in Anspruch zu nehmen. Gerade im Bereich der Kosteneinsparung und der Schadensminderungspflichten gibt es 79 regelmäßig einen hohen Informationsbedarf für den Sachwalter und erheblichen Diskussionsbedarf. Grund hierfür sind in der Regel unterschiedliche Bewertungen von Chancen und Risiken von Investitionen oder die Beibehaltung nicht ertragreicher Geschäftsbereiche und bspw. Marketingaufwendungen. Auch lieb gewonnene, aber teure und in der Insolvenzsituation nicht mehr angemessene Kostenpositionen, wie Ausgaben für den geleasten Fuhrpark, das vom Unternehmen gesponserte Kantinenessen oder die Höhe der Geschäftsführergehälter bzw. Beraterkosten seien hier beispielhaft genannt. In diesen Bereich gehören auch Schadensminderungspflichten zur Vermeidung der Vergrößerung der Passivseite, d. h. der zur Tabelle anzumeldenden Forderungen von Gläubigern. So kann es bspw. erhebliche Quotenauswirkungen haben, wenn Mietverträge oder Arbeitsverträge einvernehmlich aufgehoben werden und wenn dadurch die Geltendmachung von Verfrühungsschäden38) oder aufschiebend bedingten Forderungen i. S. des § 191 InsO vermieden wird. Durch weitgehende Vermeidung von weiteren Schäden bei Gläubigern kann eine deutliche Quotenverbesserung für die übrigen Gläubiger erreicht werden.
___________ 38) Zobel, in: Uhlenbruck, InsO, § 113 Rz. 150 ff.
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§ 11 2.9
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sanierungsmaßnahmen
80 Der Schuldner ist i. R. einer Betriebsfortführung mit dem Ziel der Plansanierung oder der übertragenden Sanierung und zur Vermeidung einer ansonsten notwendig werdenden Liquidation verpflichtet, sämtliche notwendigen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. Diese stehen unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit wegen der in der Regel geringen Liquidität. Die denkbaren Sanierungsmaßnahmen beinhalten die soeben erwähnten Kosteneinsparungen, gehen aber weit darüber hinaus. Sie sind unternehmensspezifisch und vielfältig, sie reichen vom Cash-Management und verbesserten Controlling über die Prozessoptimierung, die Einkaufs- und Vertriebsoptimierung bis hin zur Konzentration auf Kernkompetenzen oder strategische Entscheidungen zur (Neu-)Ausrichtung des Unternehmens, um nur einige zu nennen. 81 Gerade hier bestehen erhebliche Informationspflichten gegenüber dem Sachwalter und den Gläubigern. Die grundsätzlich bestehenden Zweifel der Gläubiger, dass ausgerechnet der Schuldner selbst, der die Insolvenz des Unternehmens im Vorfeld herbeigeführt hat oder nicht vermeiden konnte, das Unternehmen im Interesse bestmöglicher Gläubigerbefriedigung sanieren soll, gebieten es, dass der Schuldner den Sachwalter und die Gläubigerorgane, also die Gläubigerversammlung und den Gläubigerausschuss, sehr transparent informiert. Auch in Großverfahren, in denen häufig Insolvenz- und Sanierungsexperten der Geschäftsführung zur Seite stehen, als Generalbevollmächtigte auftreten oder als Chief Restructuring Officer (CRO) selbst in die Geschäftsführung gehen, bestehen diese Informations- und Abstimmungspflichten. 2.10 Beauftragung von Beratern 82 Die Verantwortlichkeit für die am Gläubigerinteresse ausgerichtete bestmögliche Betriebsfortführung liegt in der Eigenverwaltung beim Schuldner. Er hat die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis, aber auch die strategische Hoheit über das Unternehmen. Das Schicksal der Gläubiger in Hinblick auf ihre Befriedigungschancen liegt weitgehend in seinen Händen. Die Eigenverwaltung bietet für die Fortführung des Betriebs erhebliche Chancen, da eine Fortführung umso leichter ist, wenn Kontinuität gewahrt wird und der Markt das Signal der Fortführung durch den Schuldner richtig versteht. Bei schuldnerischen Betrieben, in denen die Insolvenzursachen in externen oder einmaligen, nicht oder nur einmalig vom Schuldner zu vertretenden Ereignissen liegen, wie bspw. hohe Forderungsausfälle, zu teurer Neubau einer Betriebsimmobilie o. Ä., ist die Betriebsfortführung in Eigenverwaltung sicher erfolgversprechender als bei komplexeren internen Insolvenzursachen. Diese zu beseitigen ist Aufgabe des eigenverwaltenden Schuldners, welcher aber auch die internen insolvenzauslösenden Ursachen zu vertreten hat. Ohne die Durchführung von diese Ursachen beseitigenden Sanierungsmaßnahmen ist das Unternehmen in der Regel nicht fortführungsfähig. 83 Kleine wie große Unternehmen sind in der Regel nicht in der Lage, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung in der Insolvenz bestehenden Sanierungschancen optimal zu nutzen und Risiken zu vermeiden, wenn sie sich nicht von betriebswirtschaftlich und insolvenzrechtlich versierten Beratern unterstützen lassen. Vor allem bei kleineren Unternehmen, Freiberuflern und Handwerksbetrieben läuft der Sachwalter Gefahr, Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich dem Schuldner obliegen und für die er möglicherweise haftet, ohne dass er sie vergütet erhält (siehe Rz. 15). Bei mittleren und großen Unternehmen, für die die Eigenverwaltung ursprünglich gar nicht gedacht war,39) bedingt die ___________ 39) Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1986, S. 149 f.; Grub, in: Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 671, 682 f., Rz. 31, wagte hingegen die Prognose, dass die Eigenverwaltung „bei mittleren und größeren Wirtschaftsunternehmen eher das Regelinsolvenzverfahren werden“ wird.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
Schwierigkeit der Aufgabe und das erforderliche Know-how sowie die Beschränktheit der im Unternehmen selbst zur Verfügung stehenden Managementkapazitäten fast immer die Beauftragung von Beratern. In diversen öffentlichkeitswirksamen Großverfahren wurde dies praktiziert, wie bspw. Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, Rudolf Wöhrl AG und KTG Agrar SE, aber auch bei anderen, in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommenen Insolvenzen von Betrieben mittlerer Größe. Durch die Beauftragung von Beratern soll sichergestellt werden, dass einerseits der Einstieg 84 ins Verfahren, also die Vorbereitung, die Antragstellung und die Akzeptanz der Eigenverwaltung bei Gericht und Gläubigern, aber auch bei allen übrigen Stakeholdern, erleichtert wird. Andererseits soll im Verfahren eine der Komplexität des jeweiligen Unternehmens angemessene Verwaltung durch den Schuldner ermöglicht werden. Die Beauftragung kann prinzipiell auf zweierlei Art erfolgen: entweder durch Abschluss eines Beratungsvertrags mit Festlegung der Anforderungen, Aufgaben und Kompetenzen sowie des Honorars und ggf. Erteilung einer Generalvollmacht oder durch Berufung des Beraters in eine Organstellung im schuldnerischen Unternehmen (siehe auch § 13 Rz. 51 ff.). Letztere hat den großen Vorteil, dass der Insolvenz- und Sanierungsexperte nicht nur berät, sondern qua Amt auch uneingeschränkt zur Umsetzung im Innen- und Außenverhältnis befähigt ist. Die an dieser Praxis geübte Kritik, dass nämlich das Unternehmen sich so seinen Insol- 85 venzverwalter selbst aussuchen könne,40) vermag nicht oder nur in Teilen zu überzeugen.41) Die Komplexität von Großunternehmen, die Schnelligkeit des Geschäftsverkehrs, ein harter Wettbewerb und die mitunter leichte Ersetzbarkeit von Unternehmen in globalen Märkten setzen im Gläubigerinteresse eine professionelle Vorbereitung und zügige Durchführung von Insolvenzverfahren voraus. Diese kann in der Eigenverwaltung bei Unternehmen ab einer gewissen Komplexität und Größenordnung häufig nur durch entsprechende Einschaltung von externen Beratern erreicht werden. Unerlässlich ist, dass auch die Berater, ob in der Geschäftsführung oder nicht, allen Stake- 86 holdern gegenüber klarstellen, dass sie der Sanierung des Unternehmens im Gläubigerinteresse verpflichtet sind. Wichtig ist daher auch, dass ausschließlich das schuldnerische Unternehmen die Berater beauftragt und vergütet. Der Anschein der Parteilichkeit gegenüber den Gesellschaftern oder bestimmten Gläubigergruppen kann die Eigenverwaltung gefährden. Sie wird von den Gläubigern und ihren Gremien, aber auch von Seiten des Sachwalters und des Gerichts nicht toleriert werden. Bei alldem darf nicht übersehen werden, dass die Beauftragung externer Berater den er- 87 strebten Kostenvorteil der Eigenverwaltung schnell wieder aufzehrt. Der Schuldner hat dies im Interesse der Gläubigerbefriedigung abzuwägen und dem Gericht zum Zwecke der Nachteilsprüfung gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO frühzeitig eine Kostenschätzung mitzuteilen. Es obliegt dem Sachwalter i. R. seiner allgemeinen Überwachungsfunktion oder i. R. seiner Zustimmungsbefugnis nach § 275 Abs. 1 InsO, die Kosten der Insolvenzverwaltung inklusive der Geschäftsführung und der Berater zu kontrollieren und seine Zustimmung ggf. zu verweigern. 2.11 Versicherung von Vermögen Der eigenverwaltende Schuldner hat zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu ver- 88 sichern. Zwar werden durch die zu zahlenden Versicherungsprämien Masseverbindlich___________ 40) V. a. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636, 1639; ebenso Frind, ZInsO 2002, 745, 751; Hofmann, ZIP 2007, 260, 262 f. 41) So wie hier auch Buchalik, NZI 2000, 294, 295 f.; Uhlenbruck, NJW 2002, 3219; jedenfalls für Großverfahren Köchling, ZInsO 2003, 53, 55 f.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
keiten begründet. Die Verwaltung der Insolvenzmasse muss jedoch gemäß dem Verfahrenszweck des § 1 InsO im Interesse der Gläubigergesamtheit erfolgen. Dazu gehört auch die Absicherung der Gläubiger vor einer möglichen Schmälerung der Masse durch Verlust, Beschädigung, Betriebsunterbrechung oder Haftpflichtschäden etc. 2.12 Aufnahme von unterbrochenen Rechtsstreitigkeiten (§§ 85, 86 InsO), allgemeine Prozessführungsbefugnis 89 Mangels besonderer Zuweisung an den Sachwalter bleibt es für die Prozessführungsbefugnis bei der Grundregel, dass der Schuldner in der Eigenverwaltung die Aufgaben des Insolvenzverwalters wahrnimmt. Die Aufnahme von nach § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreitigkeiten gemäß §§ 85, 86 InsO und die Führung neuer Prozesse obliegt dem eigenverwaltenden Schuldner. 2.13 Freigabe aus der Masse 90 Die Freigabe von Gegenständen aus der Masse ist Aufgabe des Schuldners.42) Dies ergibt sich wiederum aus der allgemeinen Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter. In diesem Bereich muss der Sachwalter seine Überwachungsaufgabe besonders gewissenhaft wahrnehmen, da hier ein Missbrauch der Eigenverwaltung durch den Schuldner besonders naheliegend sein kann. 3.
Gläubigerinformation (§ 281 InsO)
91 Anknüpfend an die beim Schuldner liegende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO, hat nach § 281 InsO der eigenverwaltende Schuldner auch die allgemeine Unterrichtung der Gläubiger zu übernehmen. Die Unterrichtung der Gläubiger und des Gerichts ist im Hinblick auf Umfang und Zeitpunkt der Information durch die InsO in wichtigen Teilen formalisiert und vereinheitlicht. Wann und welche Informationen über das verwaltete Vermögen zu erteilen sind, wird vom Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss nach § 29 InsO festgelegt und unterliegt nicht dem Belieben des eigenverwaltenden Schuldners. Der Termin für die erste Gläubigerversammlung soll nicht über sechs Wochen und darf nicht über drei Monate nach Verfahrenseröffnung angesetzt werden. 92 Die im Gesetz normierten Informations- und Darlegungspflichten sind mittlerweile ebenfalls weitgehend formal standardisiert. Die in Literatur, Rechtsprechung und v. a. der Praxis herausgearbeiteten Standards werden, mit leichten regionalen Unterschieden, je nach Vorstellung und Organisation der Insolvenzgerichte, mit Hilfe von Softwareprogrammen für die Insolvenzverwaltung abgebildet, über die der eigenverwaltende Schuldner aber i. d. R. nicht verfügen dürfte. Diese auch formale Vereinheitlichung erleichtert Gerichten und Gläubigern die Einarbeitung in die zur Verfügung gestellten Informationen und deren Auswertung. 93 Auch die Form und der Inhalt der Rechnungslegung und des in der ersten Gläubigerversammlung zu erstattenden Berichts sind weitgehend standardisiert. Insoweit wird der Schuldner hier auf die Unterstützung und Hilfestellung durch einen Berater angewiesen sein.43) Auch der Sachwalter tut sich erheblich leichter, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Verpflichtung zur Stellungnahme nachzukommen, wenn sich der Schuldner formal und inhaltlich an seinen Vorgaben orientiert. ___________ 42) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 16. 43) Eine Beratung durch den Sachwalter kommt insoweit nicht in Betracht, s. Rz. 179; a. A. Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 3.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
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Daneben verlangt die Eigenverwaltung vom Schuldner fundierte Kenntnisse des mate- 94 riellen Insolvenzrechts. Deren Vorliegen oder Mängel werden bei der Erstellung des Berichts und der Verzeichnisse offenbar. Der Schuldner, der nicht selbst über Berater oder Organe insolvenzrechtliches Fachwissen hat, wird diese formalen Anforderungen nur ausnahmsweise inhaltlich korrekt erfüllen können. So sind im Gläubigerverzeichnis bspw. die absonderungsberechtigten Gläubiger (§§ 50, 51 InsO) sowie deren mutmaßlicher Ausfall gesondert aufzuführen. Die entsprechende Prüfung wird dem Schuldner ohne entsprechendes Know-how nur mit erheblicher Unterstützung eines Beraters möglich sein. Die Informationspflicht umfasst grundsätzlich alle im Regelverfahren dem Verwalter ob- 95 liegenden Aufgaben zur Information der Gläubiger (§§ 151 – 156 InsO). Diese sollen einen umfassenden Überblick über das Vermögen des Schuldners und die Gläubiger im Verfahren erhalten. Sie sollen „Anhaltspunkte für weitere Rechnungslegungen des Insolvenzverwalters erhalten, seine Kontrolle ermöglichen sowie den Insolvenzbeteiligten das Wissen für ihre Entscheidungen vermitteln“.44) Im Regelverfahren dienen diese Aufgaben auch der Ermöglichung der Aufsicht des Insolvenzgerichts über die Tätigkeit des Insolvenzverwalters. Im Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung dienen sie der Ausübung der Aufsicht durch den Sachwalter und durch die Gläubigerversammlung, da eine unmittelbare Aufsicht des Gerichtes nicht stattfindet (siehe oben Rz. 7 ff.). Die Unterrichtungspflicht umfasst aber nur das der Verwaltungs- und Verfügungsbefug- 96 nis unterliegende Vermögen, nicht die Ansprüche, die nach § 280 InsO allein vom Sachwalter geltend gemacht werden können. Insofern besteht für den Sachwalter eine eigene Unterrichtungspflicht.45) 3.1
Verzeichnis der Massegegenstände46)
Nach § 281 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Schuldner die insolvenzrechtlichen Verzeichnisse 97 zu führen. Im Einzelnen sind dies das Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO, das Gläubigerverzeichnis gemäß § 152 InsO sowie die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO. § 151 InsO ist bei Verzeichniserstellung durch den Schuldner im Falle der Eigenverwaltung umfassend entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass der Schuldner an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt. Auf begründeten Antrag hin kann das Insolvenzgericht dem Schuldner die Erstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände erlassen, § 151 Abs. 3 Satz 1 InsO. Gegebenenfalls ist gemäß Absatz 3 Satz 2 die Zustimmung des Gläubigerausschusses dazu einzuholen. Wenn kein solcher bestellt ist, bedarf es stattdessen der Zustimmung des Sachwalters.47) Aufzunehmen in das Verzeichnis der Massegenstände sind alle gemäß §§ 35, 36 InsO zur 98 Insolvenzmasse gehörigen Gegenstände (Sachen und Rechte). Gegenstände, an denen ein Aussonderungsrecht besteht, sind nicht aufzunehmen, mit Ausnahme von solchen Gegenständen, die der Schuldner unter Eigentumsvorbehalt erworben hat. Diese Gegenstände können nach Ausübung der Gestaltungsrechte zur Insolvenzmasse gehören. Über sie muss demnach informiert werden. Dieses Interesse kann auch dann bestehen, wenn ein evtl. bestehendes Aussonderungsrecht noch nicht sicher feststeht. Aufzunehmen sind auch Rechte, die insolvenzspezifisch entstanden sind, v. a. aus Insolvenzanfechtung, hier insbesondere auch die Anfechtung der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen gemäß § 135 ___________ 44) 45) 46) 47)
Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 2. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 3. Vgl. die beispielhafte Darstellung bei Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 8. A. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 2; ein Zustimmungserfordernis des Sachwalters auch bei Bestehen eines Gläubigerausschusses nimmt an Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 13.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
InsO, Schadensersatzansprüche nach § 64 GmbHG, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, Verlustausgleich im Konzern gemäß § 302 AktG. Gemäß § 151 Abs. 2 Satz 2 InsO sind ggf. sowohl Fortführungs- als auch Liquidationswert anzugeben. 3.2
Gläubigerverzeichnis
99 § 152 InsO ist entsprechend anzuwenden. An die Stelle des Insolvenzverwalters tritt der eigenverwaltende Schuldner. In das Gläubigerverzeichnis sind alle bekannten Gläubiger aufzunehmen, also nicht etwa nur diejenigen, die eine Forderung angemeldet haben. Gemäß § 152 Abs. 2 InsO ist dabei wie bei der Gruppenbildung im Insolvenzplan gemäß § 222 InsO zu gliedern nach absonderungsberechtigten Gläubigern und den einzelnen Rangklassen der nachrangigen Gläubiger. Anschrift des Gläubigers (für die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses, § 30 Abs. 2 InsO) sowie Grund und Betrag seiner Forderung sind anzugeben. Bei absonderungsberechtigten Gläubigern bedarf es außerdem der Angabe des Gegenstands, an dem ihr Recht besteht, sowie der mutmaßlichen Höhe eines evtl. Ausfalls. Gegebenenfalls bestehende Möglichkeiten der Aufrechnung sind anzugeben; zuletzt ist die Höhe der Masseverbindlichkeiten zu schätzen, § 152 Abs. 3 InsO. 100 Aussonderungsberechtigte Gläubiger sind grundsätzlich nicht aufzunehmen; eine Ausnahme besteht hier nur insoweit, als aufgrund des Informationsinteresses beim Eigentumsvorbehalt oder bei unklarer Rechtslage der entsprechende Gegenstand in das Verzeichnis der Massegegenstände aufgenommen wurde und deshalb Insolvenzforderungen dieser Gläubiger im Raume stehen. 3.3
Vermögensübersicht
101 In gleicher Weise ist die Vorschrift des § 153 InsO über die Aufstellung einer Vermögensübersicht in der Eigenverwaltung entsprechend anzuwenden. In der Vermögensübersicht sind die Gegenstände der Insolvenzmasse den Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüberzustellen. Auch hier sind ggf. Fortführungs- und Liquidationswert anzugeben. Die Verbindlichkeiten sind wie i. R. des § 152 InsO zu gliedern. Die Vermögensübersicht muss den bilanzrechtlichen Grundsätzen der Richtigkeit, Vollständigkeit, neutralen Wertermittlung, Wesentlichkeit, Klarheit sowie dem Stichtagsprinzip genügen.48) 3.4
Niederlegung
102 Trotz fehlenden Verweises in § 281 Abs. 1 Satz 1 InsO ist auch § 154 InsO in der Eigenverwaltung anzuwenden.49) Die Verzeichnisse müssen demnach spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin zur Einsicht der Beteiligten in der Geschäftsstelle des zuständigen Insolvenzgerichts niedergelegt werden. Dies umfasst auch die Stellungnahme des Sachwalters gemäß § 281 Abs. 1 Satz 2 InsO. Nur so erhalten die Gläubiger die Möglichkeit, sich rechtzeitig vor dem Berichtstermin einen Überblick zu verschaffen. Dadurch soll die sinnvolle Mitwirkung in der ersten Gläubigerversammlung ermöglicht werden. 103 Nicht gesetzlich geregelt ist, in welchem Zeitraum vor der ersten Gläubigerversammlung die Verzeichnisse und der Bericht vom Schuldner dem Sachwalter zur Kontrolle und Stellungnahme vorzulegen sind. Dies sollte der Sachwalter je nach Umfang des Verfahrens auf einen so rechtzeitigen Zeitpunkt festlegen, dass er seinen Kontroll- und Stellungnahmepflichten nachkommen kann.
___________ 48) Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 2 ff. 49) Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 5.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners 3.5
§ 11
Berichterstattung
3.5.1 Berichtstermin (§ 156 InsO) Der Schuldner hat gemäß § 281 Abs. 2 InsO an Stelle des Insolvenzverwalters Bericht an 104 die Gläubiger entsprechend § 156 InsO zu erstatten. Der Bericht ist schriftlich abzufassen50) und mündlich im Termin vorzutragen. Der Inhalt der Berichtspflicht ist vom Gesetzgeber in § 156 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 InsO festgelegt. Darzustellen sind
die wirtschaftliche Lage des Schuldners,
die Ursachen der wirtschaftlichen Lage (insbesondere die Ursachen der Insolvenz),
Aussichten zum Erhalt des Unternehmens im Ganzen oder in Teilen,
Möglichkeiten für einen Insolvenzplan,
die jeweiligen Auswirkungen für die Gläubigerbefriedigung.
Die Gläubigerautonomie erfordert eine umfassende und objektive Information durch den 105 eigenverwaltenden Schuldner entsprechend der Berichtspflicht des Insolvenzverwalters im Regelverfahren. Der Umfang der Informationspflichten wird vom Umfang der Entscheidungsbefugnisse der Gläubiger vorgegeben. In der Gläubigerversammlung werden nach dem Willen des Gesetzgebers die wesentlichen Weichen für den Verfahrensfortgang gestellt. Die Gläubiger haben in der Gläubigerversammlung v. a. die folgenden, für den Fortgang des Verfahrens ganz wesentlichen Entscheidungskompetenzen und Rechte:
Entscheidungen über die Beendigung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO),
Antrag auf Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte durch den Sachwalter (§ 277 Abs. 1 InsO),
Entscheidung über die Fortführung oder Einstellung des Unternehmens (§ 157 InsO),
Entscheidung über die Insolvenzplanerstellung (§ 157 InsO),
Wahl eines Gläubigerausschusses (§ 68 InsO),
Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 160 InsO),
Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (§ 162 InsO),
Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 InsO),
Wahl eines anderen Sachwalters (§ 274 i. V. m. § 57 InsO).
Entsprechend umfassend sollte der Bericht des Schuldners Auskunft erteilen, um den Gläu- 106 bigern zu all diesen Punkten eine Entscheidungsgrundlage zu geben und eine Meinungsbildung unter Abwägung der Chancen und Risiken der Entscheidungsalternativen zu ermöglichen. Insbesondere i. R. seines Berichts an die Gläubiger, der sich gemäß § 156 Abs. 1 Satz 2 107 InsO auch auf Fortführungsaussichten erstreckt, hat der Schuldner die Möglichkeit, Einfluss auf die Entscheidungen der Gläubiger hinsichtlich des weiteren Verlaufs des Insolvenzverfahrens zu nehmen.51) Regelmäßig werden die Gläubiger begründete Entscheidungsvorschläge von ihm erwarten. Ganz maßgeblich für den Erfolg des Verfahrens ist hier eine in den wesentlichen Punkten möglichst deckungsgleiche Stellungnahme des Sachwalters. Widersprüchliche Aussagen werden die Gläubiger verunsichern, das Verfahren verzögern und die Fortführung des Unternehmens und damit die Gläubigerbefriedigung gefährden. Ob eine gute Zusammenarbeit zwischen eigenverwaltendem Schuldner und Sachwalter gegeben ist, wird im Berichtstermin offensichtlich und dürfte regelmäßig entscheidende ___________ 50) Castrup, in: Graf-Schlicker, InsO, § 156 Rz. 3. 51) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 281 Rz. 21.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Bedeutung für den Verfahrensfortgang und -erfolg haben. Zur Kontrolle durch den Sachwalter siehe § 12 Rz. 105 ff. 3.5.2 Inhalt des Berichts im Einzelnen 108 Für einen umfassenden Bericht der Gläubiger sind mindestens folgende Informationen erforderlich: 109 Allgemeines/Gesellschaftsverhältnisse:
Insolvenzverfahren: –
Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung, Grund für die Insolvenzantragstellung,
–
Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im vorläufigen Verfahren,
–
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Gesellschaftsverhältnisse: –
Wer sind Gesellschafter mit welchen Anteilen, wer ist Geschäftsführer; Berater?
–
Angaben zu Kapital und Kapitalaufbringung,
–
evtl. Börsennotierung.
Unternehmenshistorie;
Darstellung des Geschäftsgegenstands;
Darstellung der wesentlichen Geschäftskennzahlen wie Umsatzerlös, Jahresergebnis, Kapital, ggf. detaillierte Angaben zu Rohertrag, Ergebnisentwicklung und einzelne Sparten;
Unternehmensfinanzierung.
110 Aktuelle Situation des Geschäftsbetriebs:
Besteht ein laufender Geschäftsbetrieb? Mit welchen Besonderheiten?
Situation der Arbeitnehmer, Informationen zu Betriebsrat, Insolvenzgeldzahlungen etc.,
Auflistung der Miet- und ggf. auch der Untermietverhältnisse,
Darstellung von Leasing- und Finanzierungsverhältnissen,
Stand der Buchhaltung,
Steuerliche Verhältnisse.
111 Die Insolvenz und die Insolvenzursachen:
Zahlungsunfähigkeit/drohende Zahlungsunfähigkeit,
Überschuldung,
Eintritt der Insolvenzreife (die Angaben hierzu sind besonders wichtig, um den Gläubigern einen Überblick zu geben, ob Haftungsansprüche gegen Geschäftsführung oder Berater bestehen können und ob diese hinreichend geltend gemacht werden);
Ursachen der Insolvenz, insbesondere bei beabsichtigter Fortführung des Betriebs oder Plansanierung ist eine umfassende Analyse der Insolvenzursachen erforderlich, da nur im Falle von deren Beseitigung eine Fortführung/Plansanierung möglich sein wird.
112 Tätigkeitsbericht des eigenverwaltenden Schuldners:
Angaben zur vorhandenen Liquidität und den geführten Konten,
Tätigkeiten zur Betriebsfortführung,
Verhältnis zu Lieferanten und Kunden,
Auftragsbestand etc.,
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
Behandlung von Aus- und Absonderungsrechten,
Versicherungsschutz,
Ergreifen von Sanierungsmaßnahmen inklusive der Ausübung der Wahlrechte gemäß § 179 i. V. m. §§ 103 bis 128 InsO.
Fortführungsaussichten jeweils unter Angabe der Auswirkungen für die Gläubigerbe- 113 friedigung:
Chancen und Risiken der Betriebsfortführung,
Chancen und Risiken übertragender Sanierung,
Möglichkeiten für ein Insolvenzplanverfahren.
Beginn der Verwertungshandlungen:
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Forderungseinzug,
Verwertung von Anlage- und Umlaufvermögen,
insolvenzspezifische Ansprüche, ggf. Verweis auf die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen etc. durch den Sachwalter.
Weitere Informationen:
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Zusammenarbeit mit dem Sachwalter,
Gegebenenfalls Zusammenarbeit mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss,
Verfahrensdauer,
Quotenaussichten,
Anträge über Zustimmungen in der Gläubigerversammlung.
Davon abgesehen hat der Schuldner in dem Bericht gemäß § 156 InsO detaillierte Infor- 116 mationen über die von ihm beabsichtigten besonders bedeutsamen Rechtshandlungen aufzunehmen, zu denen er die Zustimmung der Gläubigerversammlung einholen möchte. Der Schuldner hat die Gläubiger i. E. über die Folgen, Chancen und Risiken dieser sowie über Alternativen zu diesen Rechtshandlungen zu informieren. 3.5.3 Allgemeine Auskunftspflicht Darüber hinaus hat der Schuldner eine allgemeine „Auskunftspflicht“ gegenüber den Gläubi- 117 gern entsprechend § 79 InsO.52) In der Praxis wird das Gericht den Schuldner zur turnusmäßigen Berichterstattung (in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten) auffordern. Sie kann mit der Zwischenrechnungslegung (siehe dazu unten Rz. 120 f.) verknüpft werden. 3.6
Rechnungslegung (§ 281 Abs. 3 InsO)
3.6.1 Schlussrechnungslegung53) § 281 Abs. 3 InsO überträgt dem Schuldner in der Eigenverwaltung sowohl die Aufgabe 118 der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung nach § 66 InsO als auch der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung gemäß § 155 InsO. Ebenso wie der Insolvenzverwalter im Regelverfahren hat der Schuldner in der Eigenverwaltung die Verpflichtung zur „dualen Rechnungslegung“.54) Im Hinblick auf die steuerrechtliche Rechnungslegungspflicht können sich Kapitalgesellschaften vom Registergericht gemäß § 270 Abs. 3 AktG, ___________ 52) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 79 Rz. 16; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 281 Rz. 22. 53) Riedel, in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 7 ff.; Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 24. 54) Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 12.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
§ 71 Abs. 3 GmbHG von der Überprüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer befreien lassen.55) 119 Die Ausgestaltung der Schlussrechnung ergibt sich aus dem BGB und anderen Gesetzen, insbesondere dem HGB. Daneben wurde durch die Rechtsprechung in diesem Bereich zu beachtendes Gewohnheitsrecht geschaffen.56) Es bedarf einer „geordneten Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben“.57) Zur Rechnungslegung gehören insbesondere eine Überschussrechnung (chronologische Einnahmen-Ausgaben-Rechnung), eine Schlussbilanz (in Anlehnung an die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO, nicht verpflichtend), ein Schlussbericht (als Tätigkeitsbericht) und ein Schlussverzeichnis (in Anlehnung an die Tabelle gemäß § 175 InsO). Zur Kontrolle durch den Sachwalter siehe § 12 Rz. 111 ff. 3.6.2 Zwischenrechnungslegung 120 Die insolvenzrechtliche Rechnungslegungspflicht umfasst neben der Pflicht zur Schlussrechnungslegung, § 281 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 66 Abs. 1 und 2 InsO, auch die Pflicht zur Zwischenrechnungslegung, § 281 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 66 Abs. 3 InsO. Trotz ausdrücklich fehlendem Verweis gilt auch für die Zwischenrechnungslegung die Prüfungs- und Erklärungspflicht des Sachwalters, weil nur so die umfassende Gläubigerinformation gewährleistet ist.58) 121 Die Zwischenrechnungslegung hat gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 InsO nach denselben Maßstäben zu erfolgen wie die Schlussrechnungslegung. Die Zwischenrechnungslegung wird in der Regel mit einem schriftlich ausformulierten Zwischenbericht nach § 79 InsO zur Erläuterung der Rechnungslegung versehen. Dieser soll zumindest über den Fortgang des Geschäftsbetriebs, Verwertungshandlungen und -erlöse, angefallene Ausgaben, die Befriedigung von Absonderungsrechten, laufende Prozesse, die Prognose zur Verfahrensdauer und die Befriedigungsaussichten der Gläubiger berichten. 3.7
Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 InsO)
122 Der Schuldner ist gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO berechtigt, die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung zu beantragen. Auf diesen Antrag hin ist die Eigenverwaltung aufzuheben, denn ein Eigenverwaltungsverfahren, hinter dem der Schuldner nicht steht, ist sinnlos und im Zweifel eine Gefahr für die Gläubigerinteressen. Eine Pflicht des Schuldners, die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung in bestimmten Fällen zu beantragen, lässt sich aus dem Gesetz jedoch nicht herleiten. Dies kann in entsprechenden Fällen nur durch die Gläubigerversammlung oder einzelne Gläubiger beantragt werden, § 272 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 InsO, welche zuvor vom Sachwalter nach § 274 Abs. 3 InsO zu unterrichten sind. In der Praxis erfolgt die Aufhebung der Eigenverwaltung in vielen Fällen auf Antrag des Schuldners, wenn ihr „Zweck“ erreicht ist, also z. B. nach Betriebsveräußerung, aber auch etwa nach Betriebseinstellung. 123 Gemäß § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO steht dem Schuldner nur in einer Konstellation ein Beschwerderecht gegen die Aufhebung der Eigenverwaltung zu. Das Rechtsmittel ist nur dann statthaft, wenn der Beschluss über die Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag eines einzelnen Gläubigers gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO ergangen ist. Hat hingegen die Gläubigerversammlung die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragt, ist gegen einen ___________ 55) 56) 57) 58)
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Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 5; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 26. Nowak, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 66 Rz. 9. BGH v. 29.1.1985 – X ZR 54/83, ZIP 1985, 810, dazu EWiR 1985, 259 (Stürner). Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 31 m. w. N; a. A. Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 13.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
daraufhin ergangenen Beschluss des Insolvenzgerichts kein Rechtsmittel statthaft.59) Vgl. zum Ganzen auch § 17. 3.8
Planerstellung (§ 284 InsO)
Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung wird in der Regel dann vom Schuldner ange- 124 strebt, wenn er beabsichtigt, das Verfahren im Einvernehmen mit seinen Gläubigern durch Abschluss eines Insolvenzplans zu beenden. Zwar kann die Eigenverwaltung auch bei beabsichtigter Liquidation beantragt werden, hiervon ist jedoch in vielen Fällen abzuraten.60) Beim Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ist die Sanierungsabsicht durch Plan sogar Eintrittsvoraussetzung in das Verfahren. In aller Regel dürfte die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Beauftragung des Schuldners oder Sachwalters mit der Planerstellung durch die Gläubigerversammlung insofern überflüssig sein, als der Schuldner regelmäßig bereits vor Antragstellung einen sog. „Prepackaged-Plan“ ausgearbeitet hat oder zumindest vor dem Berichtstermin mit der Ausarbeitung begonnen hat. Sollte die Gläubigerversammlung dennoch einmal das Planinitiativrecht nutzen und den Schuldner mit der Planerstellung beauftragen, hat dieser den Plan in angemessener Frist vorzulegen.61) § 284 InsO trifft zum Insolvenzplan in der Eigenverwaltung einige spezielle Regelungen 125 bzw. Modifikationen zur Aufgabenverteilung. Materielle Sonderregelungen zum Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO enthält er nicht. So ist nach Absatz 1 ein Auftrag zur Ausarbeitung eines Plans nicht an einen – in der Eigenverwaltung nicht existenten – Insolvenzverwalter, sondern entweder an den Schuldner oder an den Sachwalter zu richten. Wird der Auftrag an den Schuldner gerichtet, wirkt der Sachwalter gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO an der Planerstellung beratend mit. Beiden kann die Gläubigerversammlung dabei gemäß § 157 Satz 2 InsO das Ziel des Plans vorgeben. Die Planüberwachung ist, so sie denn nach § 260 InsO im Plan vorgesehen ist, nach § 284 Abs. 2 InsO Aufgabe des Sachwalters. Entsprechendes wird auch für die Fortsetzung von Insolvenzanfechtungsklagen zu gelten 126 haben. Da diese in der Eigenverwaltung nach § 280 InsO in die ausschließliche Kompetenz des Sachwalters fallen, muss auch diesbezüglich im Plan eine Regelung nach § 259 Abs. 3 InsO enthalten sein. Es verbleibt dann bei der Prozessführungsbefugnis und Zuständigkeit des Sachwalters. Im Übrigen ergibt sich die Verteilung der Aufgaben aus dem Grundsatz, dass in der Eigen- 127 verwaltung grundsätzlich der Schuldner die laufenden Geschäfte zu erledigen hat und dem Sachwalter – sofern nichts anderes geregelt ist – nur Überwachungsaufgaben zukommen.62) Der Schuldner kann neben einem durch die Gläubigerversammlung beauftragten auch einen 128 zweiten Plan aus eigener Initiative vorlegen.63) 4.
Insolvenzspezifische Gestaltungsrechte
4.1
Kompetenz des Schuldners
Gemäß § 279 InsO tritt der Schuldner bei der Ausübung des Wahlrechts bzgl. gegenseitiger 129 Verträge an die Stelle des Insolvenzverwalters. Im Übrigen ergeben sich innerhalb der Regelungen der §§ 103 ff. InsO keine materiellen Besonderheiten. Ähnlich wie bei der ___________ 59) 60) 61) 62) 63)
Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 56. Pape, in: KPB, InsO, § 284 Rz. 1. Pape, in: KPB, InsO, § 284 Rz. 14. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 16. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 15.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Übertragung der Verfügungs- und Verwertungsbefugnis gibt die InsO hier dem Schuldner wesentliche insolvenzrechtliche Gestaltungsrechte zur Beendigung von für die Masse ungünstigen Verträgen oder Dauerschuldverhältnissen an die Hand (siehe auch § 12 Rz. 71 ff.). 130 Die richtige taktische Anwendung, die materiell-rechtlich richtige Ausübung und die Bewertung der wirtschaftlichen Konsequenzen der Ausübung von Wahlrechten ist eine der schwierigsten Aufgaben im Insolvenzverfahren überhaupt. Entscheidungsmaßstab für die Ausübung ist das Interesse der Gläubiger an einer möglichst optimalen Befriedigung.64) Der Schuldner selbst, der vorinsolvenzlich Verträge abgeschlossen hat, erhält hier das für den Vertragspartner oft mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbundene Recht, sich von diesen wieder zu lösen. Diese Durchbrechung des Rechtsgrundsatzes „pacta sunt servanda“ kann, da in der Eigenverwaltung gerade nicht ein neutraler Insolvenzverwalter diese Rechte ausübt, zu Konflikten mit Vertragspartnern führen, die erhebliche, auch negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb haben können. Darüber hinaus wird der Schuldner auch moralische Bedenken und Skrupel zum Zwecke der Sanierung des Unternehmens zu überwinden haben. Insofern ist er dem Sachwalter nicht nur bzgl. der Ausübung, sondern gerade auch bzgl. der Nichtausübung zur Rechenschaft verpflichtet. 4.2
Einvernehmen mit dem Sachwalter
131 Nach § 279 Satz 2 InsO soll der Schuldner seine Wahlrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben. Die Missachtung der Vorschrift des § 279 Satz 2 InsO hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der schuldnerischen Handlung65) im Außenverhältnis. Zu befürchten steht dann allerdings, dass die Gläubigerversammlung oder auch ein einzelner Gläubiger die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO beantragt. Es gilt das Gleiche wie auch bei den besonders bedeutsamen Rechtshandlungen i. S. von § 276 InsO (siehe dazu oben Rz. 47; vgl. außerdem § 12 Rz. 71 ff.). 4.3
Zustimmungserfordernis
132 Zu beachten ist § 279 Satz 3 InsO, der in bestimmten Fällen die Zustimmung des Sachwalters zu der Ausübung des Wahlrechts zwingend erforderlich macht (siehe Rz. 62 ff.). Außerdem kann über diese Fälle hinaus die Gläubigerversammlung gemäß § 277 InsO für die Ausübung von Wahlrechten des Schuldners die Zustimmungsbedürftigkeit anordnen lassen. 4.4
Die Gestaltungsrechte im Einzelnen
133 §§ 103 ff. InsO enthalten Regelungen zu insolvenzrechtlichen Gestaltungsrechten und den materiellen Rechtsfolgen im Falle ihrer Ausübung. Im Folgenden sollen die gerade für die Sanierung in der Insolvenz maßgeblichen Wahlrechte aufgelistet werden. Zu Einzelheiten ist auf die Literatur zu verweisen (siehe auch § 12 Rz. 71).66)
§ 103 InsO: Wahlrecht bei gegenseitigen, nicht erfüllten Verträgen, modifiziert durch §§ 104 bis 107 InsO.
§ 109 InsO: Kündigungsmöglichkeiten von Miet- oder Pachtverhältnissen über Immobilien oder Räume, die der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen ist; Rücktrittsrecht für den Fall, dass der Miet- oder Pachtgegenstand noch nicht überlassen ist.
§ 113 InsO: Kündigung von Dienstverhältnissen (siehe Rz. 57).
___________ 64) Pape, in: KPB, InsO, § 279 Rz. 6. 65) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 279 Rz. 8. 66) Etwa Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 143 ff.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
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§ 120 InsO: Kündigung von Betriebsvereinbarungen (siehe Rz. 63 f.).
§ 122 InsO: Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (siehe Rz. 65 f.).
§ 124 InsO: Widerruf eines vorinsolvenzlichen Sozialplans (siehe § 55 Rz. 136).
§ 125 InsO: Modifikationen bei Interessenausgleich und Kündigungsschutz (siehe Rz. 60).
§ 126 InsO: Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (siehe Rz. 67 f.).
4.5
Verwertung und Verteilung
4.5.1 Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 InsO) Dem Schuldner steht – wie in der Regelinsolvenz dem Insolvenzverwalter – gemäß § 282 134 Abs. 1 InsO das Recht zu, mit Absonderungsrechten belastete Gegenstände zu verwerten. Es gelten die §§ 49 bis 51 sowie §§ 165 bis 173 InsO entsprechend, ohne dass allerdings Feststellungskostenbeiträge erhoben werden können, § 282 InsO; die Kosten der Verwertung dürfen anders als im Regelverfahren nicht pauschaliert erhoben werden. Ein Verwertungsrecht des Schuldners besteht also an beweglichen Gegenständen, die der Schuldner in Besitz hat, und an sicherungszedierten Forderungen. Dadurch sind die absonderungsberechtigten Gläubiger auch in der Eigenverwaltung gehindert, dem insolventen Unternehmen die zur Fortführung notwendigen Mittel zu entziehen.67) Nicht im Besitz des Schuldners stehende Sachen können vom Gläubiger verwertet werden, § 173 InsO. Ein Verwertungsrecht an Gegenständen, die mit einem Aussonderungsrecht belastet 135 sind, besteht für den eigenverwaltenden Schuldner ebenso wenig wie im Regelverfahren für den Insolvenzverwalter. Bei Immobilien steht dem Schuldner nach § 282 i. V. m. § 165 InsO neben dem Grund- 136 pfandgläubiger das Recht zur Beantragung von Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung zu, ebenso das Recht zur Beantragung der Einstellung bereits anhängiger Verfahren.68) Der Schuldner soll sein Verwertungsrecht gemäß § 282 Abs. 2 InsO im Einvernehmen 137 mit dem Sachwalter ausüben. Stellt er dieses Einvernehmen nicht her, beeinträchtigt dies jedoch nicht die Wirksamkeit der Verwertungshandlungen.69) Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Schuldner führt wegen der Regelung 138 des § 282 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO zur Kosteneinsparung für die absonderungsberechtigten Gläubiger durch gänzlichen Wegfall der Feststellungskostenbeiträge i. H. von 4 % (§ 171 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Mobilienverwertung und § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG bei Zubehör im Zwangsversteigerungsverfahren) und Beschränkung der Verwertungskosten auf die tatsächlich entstandenen Kosten ohne Vergütung einer Pauschale von 5 % nach § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO. 4.5.2 Forderungsprüfung (§ 283 Abs. 1 InsO) Anders als im Regelverfahren gesteht § 283 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Schuldner neben dem 139 Sachwalter und den Insolvenzgläubigern das Recht zu, angemeldete Forderungen zu bestreiten und so deren Feststellung zu verhindern. Das Bestreiten hat im Prüfungstermin nach § 176 InsO oder im nachträglichen Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren nach § 177 InsO zu erfolgen. ___________ 67) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 282 Rz. 1. 68) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 282 Rz. 18. 69) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 282 Rz. 6; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 282 Rz. 19.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
140 Das Bestreiten des eigenverwaltenden Schuldners hindert aber das Stimmrecht des betroffenen Gläubigers in der Gläubigerversammlung. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgedanken, der § 77 Abs. 1 Satz 1 InsO zugrunde liegt.70) 141 Zur Führung des Feststellungsrechtsstreits gegen den bestreitenden Schuldner ist dieser passivlegitimiert, § 179 Abs. 1 InsO. 142 Die Führung der Insolvenztabelle obliegt hingegen nicht dem Schuldner, sondern dem Sachwalter.71) 4.5.3 Verteilung (§ 83 Abs. 2 InsO) 143 Der eigenverwaltende Schuldner hat die Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger vorzunehmen. Es gelten die §§ 187 bis 199 InsO entsprechend. Der Schuldner rückt insoweit in die Stellung des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren ein.72) Materielle Unterschiede in der Verteilung ergeben sich dadurch nicht. Der Schuldner hat demgemäß insbesondere folgende Aufgaben und Rechte (siehe auch § 12 Rz. 108 und Rz. 115):
Führung des Verteilungsverzeichnisses, § 188 InsO, Niederlegung, öffentliche Bekanntmachung.
Ihm gegenüber müssen absonderungsberechtigte Gläubiger ihren endgültigen Forderungsausfall anzeigen, § 190 InsO.
Entscheidungen des Insolvenzgerichts im Zusammenhang mit dem Verteilungsverzeichnis sind dem Schuldner zuzustellen, § 194 Abs. 2 und 3 InsO.
Dem Schuldner steht gegen diese Entscheidungen die sofortige Beschwerde zu, § 194 Abs. 3 InsO.
Der Schuldner hat den zu zahlenden Bruchteil dem Gläubigerausschuss vorzuschlagen bzw. selbst festzulegen, § 195 Abs. 1 InsO.
Antragsrecht auf Nachtragsverteilung, Rechtsmittel in diesem Zusammenhang sowie Vollzug der Nachtragsverteilung, §§ 203 bis 205 InsO; sein Beschwerderecht als Schuldner gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO bleibt ihm erhalten.73)
144 Über einen nach der Verteilung verbleibenden Überschuss erhält der Schuldner die uneingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.74) 145 Der Sachwalter hat das Verteilungsverzeichnis zu prüfen und schriftlich zu erklären, ob Einwendungen zu erheben sind, § 283 Abs. 2 Satz 2 InsO. Ein Recht, förmliche Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis zu erheben, worüber das Insolvenzgericht zu entscheiden hat, steht dem Sachwalter nicht zu. § 197 Abs. 3 i. V. m. § 194 InsO sind nicht entsprechend anwendbar.75) Die Gläubiger selbst können förmliche Einwendungen auf Grundlage der schriftlichen Stellungnahme des Sachwalters zum Verteilungsverzeichnis erheben. 4.6
Geltendmachung bestimmter Ansprüche
146 Dem eigenverwaltenden Schuldner verbleibt die Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht gemäß § 280 InsO explizit dem Sachwalter zugewiesen sind. Das sind insbesondere ___________ 70) 71) 72) 73) 74) 75)
Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 12 m. w. N. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 3; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 300. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 5. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 5; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 20. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 6; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 21. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 23; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 8.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
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Ansprüche auf Kapitalaufbringung, Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung im Vorfeld und Ansprüche wegen Verstoßes gegen Nachgründungsvorschriften gemäß §§ 52 f. AktG. Auch hat der Schuldner ggf. Ansprüche gegen die Geschäftsführer nach § 64 GmbHG bzw. Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 3 AktG geltend zu machen.76) Diese Ansprüche fallen nicht unter § 92 InsO und damit nicht in die Kompetenz des Sachwalters gemäß § 280 InsO, da es sich um Ansprüche der Gesellschaft selbst und nicht um Ansprüche der Insolvenzgläubiger handelt (siehe auch § 12 Rz. 92 f.). Dabei stellen sich in der Praxis allerdings folgende Probleme: Die Geschäftsführung bzw. der Vorstand hat mit Anordnung der Eigenverwaltung nicht 147 notwendigerweise gewechselt. Dann sollen diese Personen als Ausführende der Eigenverwaltung ggf. Haftungsansprüche gegen sich selbst, die Gesellschafter, Kollegen oder von ihnen beauftragte Berater geltend machen. Diese erhebliche Interessenkollision wurde anscheinend vom Gesetzgeber nicht gesehen. Das Problem kann in der Praxis dadurch gemildert werden, dass Geschäftsleitungsorgane, gegen die ein Haftungsanspruch gemäß § 64 GmbHG bzw. § 93 Abs. 3 AktG in Betracht kommt, vor der Anordnung der Eigenverwaltung ausgetauscht werden. Sollten sie nicht ausgetauscht werden, so käme die Anordnung der Eigenverwaltung aufgrund des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO regelmäßig wohl nicht in Betracht.77) Allerdings kann kein Beteiligter, auch nicht das Insolvenzgericht, bereits im Antragsverfahren abschließend prüfen, ob gegen die aktuelle Geschäftsführung entsprechende Ansprüche bestehen. Die wenigsten Geschäftsführer dürften überhaupt wissen oder erkennen, welche Ansprü- 148 che bestehen können, geschweige denn, wie sie detailliert geprüft und durchgesetzt werden müssen. Im Interesse der Gläubigerbefriedigung muss daher zwingend der Sachwalter i. R. seiner Überwachung nach § 274 InsO prüfen, ob entsprechende Anhaltspunkte für Ansprüche bestehen und ob diese von der Geschäftsführung geltend gemacht werden.78) Der eigenverwaltende Schuldner muss den Sachwalter umfassend informieren und ihm alle zur Prüfung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen. Widrigenfalls muss der Sachwalter seinen Berichtspflichten gegenüber dem Gericht und den Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO nachkommen. 4.7
Anzeige der Masseunzulänglichkeit und Führung der Tabelle der Massegläubiger
Die Anzeige einer evtl. Masseunzulänglichkeit oder drohender Masseunzulänglichkeit 149 nach § 208 InsO obliegt in der Eigenverwaltung dem Sachwalter nach § 285 InsO (siehe auch § 12 Rz. 86 ff.). Der Schuldner selbst hat die Obliegenheit, ständig die Liquidität zu prüfen und den 150 Sachwalter darüber zu informieren, falls zwar die Kosten des Verfahrens gedeckt sind, jedoch die Masse nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten im Fälligkeitszeitpunkt zu erfüllen. Selbiges gilt, falls dieser Zustand einzutreten droht. Zwar hat der Sachwalter i. R. seiner laufenden Prüfung auch stets die Massezulänglichkeit zu prüfen; dies ist ihm ohne entsprechende eigene permanente Prüfung durch den Schuldner jedoch kaum oder nur schwer möglich. § 285 InsO regelt nur die Zuständigkeit für die Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Die 151 weiteren materiellen Wirkungen der §§ 208 bis 211 InsO bleiben auch im Eigenverwaltungsverfahren unverändert, wobei an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner ___________ 76) A. A. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 274 f.; Kirchhof, in: MünchKomm-InsO, § 280 Rz. 3; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 280 Rz. 4; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 3 a. E. 77) In diese Richtung auch Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 280 Rz. 3. 78) Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 274 Rz. 26.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
tritt. In Ermangelung einer expliziten Kompetenzzuweisung an den Sachwalter bleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner, wobei streitig ist, ob nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit auch die Alt-Massegläubiger eine Antragsbefugnis zur Aufhebung der Eigenverwaltung haben, um zu verhindern, dass ihre Befriedigungsmöglichkeiten noch weiter geschmälert werden.79) 152 Jedenfalls hat der Schuldner die Massegläubiger in der Rangfolge des § 209 InsO zu befriedigen. Dies setzt voraus, dass er die Alt- und die Neumassegläubiger vollständig erfasst und den Rang ihrer Befriedigung gemäß den gesetzlichen Vorgaben festlegt. Außerdem hat er die Entscheidung zu treffen, welche Masseverbindlichkeiten er nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch begründet. Hierzu gehört auch die Entscheidung zur Freistellung von Arbeitnehmern oder zur aktiven Nutzungsaufgabe von Mietflächen. Aufgrund der damit verbundenen besonderen Schwierigkeiten, der besonderen Haftungsrisiken für den Sachwalter und der offensichtlichen Unmöglichkeit der Gläubigerbefriedigung kann die Anzeige der Masseunzulänglichkeit Grund zur Beendigung der Eigenverwaltung i. S. von § 274 Abs. 3 InsO sein.80) 153 Auch bei nicht gegebener Massekostendeckung nach § 207 InsO, also in Fällen, in denen nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt sind, hat der Sachwalter die Anzeigepflicht des § 285 InsO. Der Schuldner hat die Verfahrenskosten dann am Verfahrensende quotal zu befriedigen. 4.8
Mittel zur Lebensführung des Schuldners (§ 278 InsO)
154 Der Schuldner hat i. R. von § 278 InsO in gewissem Umfang das Recht zur Entnahme von Mitteln zur Lebensführung. Hier besteht offensichtlich die Gefahr, dass der Schuldner durch unangemessene Entnahmen die Insolvenzmasse schädigt. Da es sich dabei um tatsächliche Eingriffe handelt, kann dieser Gefahr auch nicht durch eine Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit gemäß § 277 InsO („bestimmte Rechtsgeschäfte“) begegnet werden. Siehe zur Überwachung durch den Sachwalter § 12 Rz. 29. 155 Der Schuldner ist berechtigt zur Entnahme von Mitteln, „die unter Berücksichtigung der bisherigen Lebensverhältnisse des Schuldners eine bescheidene Lebensführung gestatten“. Dies erfordert eine Einzelfallbetrachtung. Der Gesetzgeber führt in der Begründung zu § 278 InsO aus, dass die zur bescheidenen Lebensführung notwendigen Mittel zumeist schon aus dem unpfändbaren Teil des nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Einkommens bestritten werden können und ein Entnahmerecht daher in den meisten Fällen nicht in Betracht komme.81) 156 An dieser Sichtweise wird in der Literatur insoweit Kritik geübt, dass dem Schuldner damit ein wesentlicher Anreiz fehle, seine Fähigkeiten und Arbeitskraft bestmöglich in die Eigenverwaltung einzubringen.82) Er müsse schließlich zu fremdnützigem Handeln, namentlich zugunsten der Gläubigergesamtheit, motiviert werden.83) Die Literatur ist daher überwiegend der Ansicht, dass dem Schuldner Mittel zustehen müssen, die über die Sätze der Sozialhilfe84) und auch über die Pfändungsfreigrenzen der ZPO hinausgehen. Dagegen kann wiederum folgendes Argument vorgebracht werden: Da ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung nur in den seltensten Fällen auf Liquidation des schuldnerischen Ver___________ 79) 80) 81) 82) 83) 84)
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Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 16: „regelmäßig“. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 15. Begr. RegE z. § 339 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 278 Rz. 6; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 278 Rz. 4 f. So auch Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 278 Rz. 10. So der Maßstab des Gesetzgebers i. R. von § 100 InsO, vgl. Begr. RegE z. § 114 InsO 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 143.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
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mögens gerichtet sein wird, sondern vielmehr meist die Sanierung des Schuldners zum Ziel hat,85) besteht auch jenseits von Vergütungen ein Eigeninteresse des Schuldners an der bestmöglichen Abwicklung der Insolvenz in Eigenverwaltung. Letztendlich wird über den anzulegenden Maßstab die Gläubigergesamtheit entscheiden, 157 da sie immer die Möglichkeit hat, dem Schuldner die Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO zu entziehen.86) Sie hat also, auch wenn die Unterhaltsgewährung nach § 278 InsO nicht in ihrem Ermessen steht,87) eine Steuerungsmöglichkeit. Die Eigenverwaltung wird deshalb in den allermeisten Fällen ohne einen Schuldner, der jenseits von Vergütungsaussichten ein Interesse an einer geordneten Insolvenz unter eigener Federführung hat, kaum durchführbar sein. 5.
Sonstige Aufgaben
Die gesetzlichen Regelungen zur Aufgabenverteilung sind nicht abschließend. Jedes In- 158 solvenzverfahren hat seine Besonderheiten, mit denen oftmals besondere Anforderungen und Aufgaben einhergehen. Die sich ergebenden, nicht gesetzlich geregelten Aufgaben sollten einvernehmlich entweder dem Schuldner oder dem Sachwalter klar zugeordnet werden.88) Dabei sollten sich beide an dem Grundgedanken des Gesetzgebers orientieren, der einerseits die Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Geschäftsführung stehen, dem Schuldner belässt und die Überwachung dem Sachwalter aufgibt. Insolvenzspezifische Aufgaben fallen vielfach in die Kompetenz des Sachwalters. In Zweifelsfällen sollten beide eine klare Abgrenzung vereinbaren und schriftlich festlegen. Dies dient sowohl der Vermeidung doppelter Arbeit und dadurch anfallender erhöhter Kosten als auch, was noch wichtiger ist, der Vermeidung von Haftungsfällen, wenn Aufgaben in der Annahme, der jeweils andere würde sie erledigen, von keinem von beiden wahrgenommen werden. Soweit Aufgaben vereinbarungsgemäß beim Schuldner verbleiben, hat der Sachwalter je- 159 denfalls seine Überwachungs- und Unterstützungskompetenzen. IV.
Informations- und Mitwirkungspflichten
Erstaunlicherweise fehlt in den §§ 270 ff. InsO eine explizite und ausführliche Regelung 160 zu den allgemeinen Informations- und Mitwirkungspflichten des Schuldners.89) Dennoch bestehen diese in erheblichem Umfang. Sie ergeben sich zum einen aus dem Verweis in § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO auf die Regelung des § 22 Abs. 3 InsO90) und zum anderen implizit aus den Regelungen über die Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse des Sachwalters und des Gläubigerausschusses, denen diese ohne entsprechende Obliegenheiten des Schuldners nicht nachkommen können. Auch aus der aus Sicht des Sachwalters sehr schwierigen und bisweilen undankbaren Auf- 161 gabenverteilung, die dem Schuldner durch Übertragung der gesamten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis große Handlungsspielräume gibt und dem Sachwalter nur Kontrollrechte, für die er aber u. U. persönlich haftet, folgt eine umfassende Informations- und Aufklärungsobliegenheit des Schuldners. Ansonsten kann der nur auf dem „Beifahrersitz“ ___________ 85) 86) 87) 88) 89)
Begr. RegE z. § 339 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 278 Rz. 15 a. E. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 278 Rz. 11. Dies kann ggf. auf vertraglicher Basis erfolgen, s. § 13 Rz. 31. Es handelt sich nicht um Pflichten im Rechtssinne, da der Schuldner zur Vornahme der Aufgaben nicht gezwungen werden kann. Da die Erfüllung der Obliegenheiten jedoch mit der drastischen Folge des Entzugs der Eigenverwaltung sanktioniert werden kann, kann dennoch von „Verpflichtungen“ des Schuldners gesprochen werden. 90) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 55 f.
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§ 11
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
befindliche Sachwalter seiner Aufgabe nicht gerecht werden und geht enorme Haftungsgefahren ein. Diese kann er und hat er bei nicht gegebener Information und Kooperation durch den Schuldner einzuschränken durch Übernahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO oder Beendigung der Eigenverwaltung, indem er die Gläubiger informiert und auf eine Beendigung der Eigenverwaltung hinwirkt. Er selbst hat kein Antragsrecht zur Aufhebung der Eigenverwaltung, dies liegt allein in der Hand der Gläubiger und ist Ausdruck einer ganz besonderen Gläubigerautonomie im Eigenverwaltungsverfahren. 162 Der Schuldner hat damit zugleich die Pflicht, den Sachwalter umfassend und zeitnah zu informieren, damit dieser seine Pflicht zur laufenden Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und dessen Geschäftsführung wahrnehmen kann. Dadurch muss der Sachwalter in die Lage versetzt werden, ggf. die Gläubiger und den Gläubigerausschuss zu informieren und Entscheidungen nach § 277 InsO anzuregen. Gemäß § 274 Abs. 2, § 22 Abs. 3 InsO hat der Schuldner dem Sachwalter zur Erfüllung der Aufgaben aus § 274 Abs. 2 InsO Zugang zu seinen Geschäftsräumen und Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. Ferner hat er dem Sachwalter alle Auskünfte zu erteilen, die dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. 163 Die Informations- und Mitwirkungspflichten des Schuldners können, anders als seine übrigen Aufgaben in der Eigenverwaltung, gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 InsO zwangsweise durchgesetzt werden. V.
Konsequenzen von Verstößen und Kompetenzüberschreitungen
164 Verstöße gegen die gesetzlich vorgesehene Aufgabenverteilung und Kompetenzüberschreitungen können verschiedene Konsequenzen haben: Grundsätzlich kann der Schuldner zur Vornahme der ihm übertragenen Aufgaben nicht gezwungen werden. Einzige Sanktionsmöglichkeit ist insoweit, ihm den Entzug der Eigenverwaltung anzudrohen und vorzunehmen. Dies hat der Sachwalter bei der Feststellung von Umständen, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt, durch entsprechende Unterrichtung des Gerichts und des Gläubigerausschusses oder der Gläubiger nach § 274 Abs. 3 InsO zu tun. Er wird hierbei sicherlich anregen oder auf die Möglichkeit hinweisen, dass nicht er und nicht das Gericht, sehr wohl aber die Gläubiger nach § 272 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen können. 165 Einzige Ausnahme zur grundsätzlichen Nicht-Erzwingbarkeit ist die Erzwingung von Informations- und Mitwirkungspflichten des Schuldners gegenüber dem Sachwalter gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2, § 98 Abs. 2 InsO. Sie ermöglicht, den Schuldner zwangsweise vorführen zu lassen oder ihm Beugehaft anzudrohen bzw. diese zu vollstrecken. VI.
Stellung der Organe des Schuldners
1.
Haftung
166 Die Frage nach der Haftung der handelnden Organe des Schuldners für etwaige Fehler ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt; der BGH bejaht die analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO auch auf die Organe des eigenverwaltenden Schuldners (siehe dazu im Einzelnen § 18 Rz. 19 ff.).91) Eine Haftung besteht darüber hinaus dann, wenn die Grenzen delikti___________ 91) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter); auch schon Tetzlaff, in: MünchKommInsO, § 270 Rz. 172 ff.; gegen eine Haftung noch die Vorinstanz OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – I-16 U 33/17, ZIP 2017, 2211, dazu EWiR 2018, 53 (Krüger); Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 33; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 522; Hofmann, ZIP 2018, 1429; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 276; eine Haftung der Organe „gegenüber der Gesellschaft (Masse)“ nehmen Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1101 ff., an.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
schen oder gar strafrechtlich relevanten Verhaltens überschritten werden.92) Allerdings haften die handelnden Organe des eigenverwaltenden Schuldners nicht wegen der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (§ 311 Abs. 3 BGB).93) 2.
Kein Einfluss auf die Geschäftsleitung
Soweit dem Schuldner Kompetenzen in der Eigenverwaltung zustehen, stellt sich die Frage, 167 ob die Geschäftsleitungsorgane des Schuldners (Vorstand, Geschäftsführung) als Ausübende dieser Kompetenzen den üblichen gesellschaftsrechtlichen Bindungen durch die Kontrollorgane (Aufsichtsrat, Hauptversammlung, Gesellschafterversammlung) unterliegen. In der Krise der Gesellschaft, gleichsam an der Schnittstelle zur Insolvenz, beginnen sich 168 die von den Organen zu beachtenden Interessen zugunsten der Gläubiger zu verschieben. Dies deutet sich mit der gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Risikobegrenzung in der Krise an, die die Geschäftsleitung gemäß § 92 Abs. 1 AktG bzw. § 49 Abs. 3 GmbHG bei einem Verlust der Hälfte des Nennkapitals zur Anzeige an die Gesellschafterversammlung verpflichtet. Weiter zeigt sich diese Verschiebung an der Pflicht zur Insolvenzantragstellung gemäß § 15a InsO bei Insolvenzreife und den Haftungstatbeständen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO oder § 64 GmbHG und § 92 Abs. 2, § 93 AktG. Diese Vorschriften stehen nicht zur Disposition der Gesellschafter;94) an ihnen zeigt sich eindeutig die Interessenverschiebung zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft. Der bestehende Interessenkonflikt wird in der Praxis bedauerlicherweise jedoch entgegen dem gesetzgeberischen Willen allzu oft zugunsten der Gesellschafter gelöst, nämlich indem diese die Geschäftsführung abberufen, die die Gesellschafter über die Notwendigkeit und die Beabsichtigung der Insolvenzantragstellung informieren. Im Insolvenzverfahren vollzieht sich endgültig eine Interessenverschiebung zugunsten 169 der Gläubiger.95) Dies ergibt sich deutlich aus dem in § 1 InsO festgeschriebenen Ziel des Insolvenzverfahrens, der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.96) Die unbedingte Verfolgung des Gesellschaftszwecks tritt in dieser Situation grundsätzlich in den Hintergrund.97) Nur die gesellschafts- und organisationsrechtliche Abwicklung kann als Zweck im Insolvenzverfahren mitverfolgt werden.98) Uhlenbruck geht sogar davon aus, dass die optimale Gläubigerbefriedigung in der Insolvenz zum Gesellschaftszweck werde und dieser sich nur noch an § 1 InsO orientiere.99) Aus dieser Verschiebung der Interessen erwachsen für die Organe der Gesellschaft Konflikte. Sie sind, wie kurz dargestellt, grundsätzlich dem Interesse der Gesellschaft und der Gesellschafter verpflichtet und müssen in der Insolvenz doch ihr Augenmerk fast ausschließlich auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger richten.100) ___________ 92) In Betracht kommen könnte z. B. eine Untreue gemäß § 266 StGB. 93) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter), Rz. 37; so auch schon OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – I-16 U 33/17, ZIP 2017, 2211. 94) Bremen, in: Graf-Schlicker, InsO, § 15a Rz. 5; anders noch bei der Antragstellung ohne gesetzliche Verpflichtung: Hier müssen mindestens der Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafterversammlung angehört werden. 95) Dass diese Interessenverschiebung u. U. nicht immer ganz ernst genommen wird, vermutet Hofmann, ZIP 2007, 260, 262 f. 96) BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry); BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 449; Noack, ZIP 2002, 1873, 1875. 97) Die Interessen des Schuldners sollten auch nach der weitergehenden Fassung des RegE nur insoweit berücksichtigt werden, als „die Interessen des Schuldners, der eine natürliche Person ist, und seiner Familie nicht vernachlässigt werden“, vgl. Begr. RegE z. § 1 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 108. 98) Begr. RegE z. § 1 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 109. 99) Uhlenbruck, in: FS Kirchhof, 2003, S. 479, 496. 100) Instruktiv zu den widerstreitenden Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern Klöhn, NZG 2013, 81, 82.
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170 Gemäß § 276a InsO ist ein Einfluss der Überwachungsorgane auf die Geschäftsführung des Schuldners in der Eigenverwaltung ausdrücklich ausgeschlossen. Ferner wird die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung von der Zustimmung des Sachwalters abhängig gemacht, die aber im Regelfall (nämlich bei Fehlen nachteiliger Folgen) zu erteilen ist. Gemäß § 276a InsO haben die Kontrollorgane nach Anordnung der Eigenverwaltung weiterhin das Recht, Mitglieder der Geschäftsleitung abzuberufen und neu zu bestellen, wenn auch der Sachwalter dieser Maßnahme zustimmen muss.101) Eine Mitwirkung von Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung und entsprechenden Organen an der Geschäftsleitung ist nicht mehr möglich. Die Durchführung des Insolvenzverfahrens ist in der Eigenverwaltung allein dem Geschäftsleitungsorgan des Schuldners übertragen. Die übrigen Schuldnerorgane haben keine Einflussmöglichkeiten mehr auf die Geschäftsführung. 171 § 276a InsO geht damit vom Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Gesellschaftsrecht aus, denn die Überwachungsorgane sollen im Falle der Regelinsolvenz und der Eigenverwaltung keine unterschiedlichen Einflussnahmemöglichkeiten haben. Die auch im Regelinsolvenzverfahren vorzunehmende Abgrenzung von Schuldner- und Verdrängungsbereich102) ist also auch i. R. der Eigenverwaltung vorzunehmen.103) An die Stelle der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane treten der Sachwalter, der Gläubigerausschuss und die Gläubigerversammlung. Aus der insolvenzrechtlichen Kompetenzverschiebung ergeben sich quasi vorgelagert auch Auswirkungen auf andere gesellschaftsrechtliche Bereiche. So kann z. B. die Einberufung einer Gesellschafterversammlung nicht mehr wegen Themen verlangt werden, für die die Gesellschafterversammlung aufgrund von § 276a InsO nicht mehr zuständig ist.104) 172 In der Literatur wird erwogen, dass weniger einschneidende Maßnahmen mit Zustimmung des Sachwalters zulässig sind. Diese Zustimmung sei jedenfalls zu erteilen, wenn die Maßnahme keine nachteiligen Folgen befürchten lässt.105) Dazu zählen bspw. konkrete Weisungen an die Geschäftsleitung oder aber auch Boni-Regelungen. 173 An der pauschalen Richtigkeit dieser Aussage darf gezweifelt werden. Zunächst kommt es auf eine Abgrenzung von Schuldner- und Verdrängungsbereich an und erst in einem zweiten Schritt auf die Bewertung der Nachteiligkeit der Maßnahme. Im Verdrängungsbereich ist eine Einflussnahme der Überwachungsorgane – wie in der Regelinsolvenz auch – schlechthin ausgeschlossen. Im Schuldnerbereich sind Maßnahmen stets und ohne Zustimmung des Sachwalters möglich, wenn sie keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners haben. Sobald solche Maßnahmen im Schuldnerbereich jedoch Einfluss auf die Geschäftsführung haben, sind sie in Anlehnung an § 276a Sätze 2 und 3 InsO nur zulässig, wenn die Zustimmung des Sachwalters vorliegt, die bei Fehlen nachteiliger Rechts___________ 101) Diese Zustimmung ist ausweislich der Gesetzesbegründung Wirksamkeitsvoraussetzung für die Neubestellung. Da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Handelsregister eingetragen ist und das Registergericht auch die materiellen Voraussetzungen der Eintragung überprüft (Hopt, in: Baumbach/ Hopt, HGB, § 8 Rz. 8), muss zukünftig auch das Vorliegen der Zustimmung durch das Registergericht geprüft werden. 102) Also die Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten des Schuldners (sog. Schuldnerbereich, zu dem insbesondere gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten und die Verfügung über insolvenzfreies Vermögen gehören) und des Insolvenzverwalters (sog. Verdrängungsbereich, zu dem grundsätzlich alle Angelegenheiten mit Bezug zu dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögen gehören). 103) Eine systematische Darstellung möglicher Rechtsfolgen im Falle der Verletzung des § 276a InsO findet sich bei Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 276. 104) AG Montabaur v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307; OLG Düsseldorf v. 11.4.2013 – I-3 Wx 36/13, ZIP 2013, 1022, dazu EWiR 2013, 559 (Klöhn). 105) Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 275.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners
§ 11
folgen stets zu erteilen ist. Erst auf dieser letzten Ebene kann der Schluss a maiore ad minus gezogen werden. 3.
Vorwirkung
§ 276a InsO entfaltet vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Anordnung der Ei- 174 genverwaltung keine Wirkung.106) Eine Anwendung auf das Eröffnungs- bzw. Schutzschirmverfahren im Wege der Auslegung oder auch nur i. R. einer „Vorwirkung“ kommt nicht in Betracht.107) Eine solche Anwendung im Zuge teleologischer Auslegung erfordert der nach dem Gesetzgeberwillen herzustellende Gleichlauf mit dem Regelinsolvenzeröffnungsverfahren nicht, da in diesem ein Eingriff in die (insbesondere gesellschaftsrechtliche) Autonomie des Schuldners nicht erfolgt. Zwar ist richtig, dass im Eröffnungsverfahren vor der Regelinsolvenz gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO vorläufige Maßnahmen angeordnet werden können, die in die Autonomie des späteren Insolvenzschuldners eingreifen. Solche Eingriffe rechtfertigen sich jedoch nur im Einzelfall und nach richterlicher Anordnung sind auch in einem einer Eigenverwaltung vorgelagerten vorläufigen Verfahren möglich. Für die analoge Anwendung des § 276a InsO auf das Eröffnungs- bzw. Schutzschirmverfahren fehlt es daher an einer Regelungslücke. Dass eine Anwendung des § 276a InsO bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung wün- 175 schenswert wäre, steht auf einem anderen Blatt. Gerade da häufig schon im vorläufigen Verfahren wichtige Weichen insbesondere für eine Sanierung des Schuldners gestellt werden, müssten Obstruktionen entsprechender Maßnahmen durch die Gesellschafter wirksam verhindert werden können. Das ist wie dargelegt de lege lata nicht möglich, sodass eine Nachbesserung des Gesetzgebers an dieser Stelle zu wünschen wäre. Außerhalb des Insolvenzrechts zeitigen im Gesellschaftsrecht § 64 GmbHG bzw. § 92 176 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG eine gewisse Vorwirkung. Durch diese Vorschriften werden die Gesellschaftsorgane im Vorfeld der Insolvenz im Idealfall besondere Vorsicht walten lassen. In ihrem Handlungsspielraum werden sie dadurch jedoch in keiner Weise beschränkt. 4.
Handlungsempfehlung für die Organe im Insolvenzfall
§ 276a InsO bringt für die Organe einer Gesellschaft in der Insolvenz ein erhebliches 177 Maß an Rechtssicherheit. Das Organ setzt sich bei Nichtbeachtung gesellschaftsrechtlicher Bindungen keiner Haftungsgefahr gegenüber den Gesellschaftern aus (zur Haftung gegenüber Gläubigern siehe Rz. 166). Sollte sich das Geschäftsleitungsorgan dennoch entgegen der Regelung an Vorgaben der Kontrollorgane halten, besteht jedenfalls die große Wahrscheinlichkeit, dass die Gläubiger einen Antrag auf Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO stellen. Es kann jedoch nicht im Interesse des Schuldners liegen, dass die einmal angeordnete Eigenverwaltung wieder aufgehoben wird. Darüber hinaus sollten aber auch die Kontrollorgane der Gesellschaft eine naheliegende 178 Empfehlung beachten: Sie sollten jeden Versuch einer Einmischung in die Geschäftsleitung unterlassen. Denn sollte bei den Gläubigern der Eindruck entstehen, die Kontrollorgane könnten entgegen der gesetzlichen Regelung versuchen, Einfluss auf die Geschäftsleitung zu nehmen, besteht die Gefahr, dass sie gemäß § 272 InsO die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung beantragen. Da die Gesetzesbegründung zu § 276a InsO darauf abstellt, dass die Einwirkung der Kontrollorgane auf die Geschäftsführung „hemmend ___________ 106) Wie hier Klöhn, NZG 2013, 81, 84; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494 f.; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276a Rz. 5 m. w. N. 107) Klöhn, in: MünchKomm-InsO, § 276a Rz. 18; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 366; a. A. Ströhmann/ Längsfeld, NZI 2013, 271, 275, und Hölzle, ZIP 2012, 2427 („Vorwirkung“).
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
und blockierend“ wirken kann, ist evtl. schon der Aufhebungsantrag eines einzelnen Gläubigers gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgreich. VII. Der Berater des Schuldners108) 179 Der Schuldner, der die Durchführung des Verfahrens in Eigenverwaltung beabsichtigt, wird, insbesondere in umfangreichen Verfahren, vielfach nicht über das dazu notwendige Wissen und die notwendigen Kapazitäten verfügen. Der Sachwalter kann, trotz seiner Sachkunde, die Beratung des Schuldners nach Antragstellung nicht übernehmen. Da er im Hinblick auf den Schuldner Überwachungsaufgaben wahrzunehmen hat und als „Organ der staatlich kontrollierten Gläubigerselbstverwaltung“109) handelt, würde dies zu einer Interessenkollision führen.110) Es bedarf daher in der Mehrzahl der Fälle sowohl vor als auch nach Insolvenzantragstellung externer Berater. Die in der Praxis anzutreffenden Beratungsleistungen betreffen insbesondere das Insolvenzrecht und die Beratung zur Sanierung in der Insolvenz. Auch im Bereich des Arbeitsrechts ist dem Schuldner externe Beratung in vielen Fällen nahezulegen. Die Beratung umfasst in der Regel juristische und betriebswirtschaftliche Hilfe, idealerweise gepaart mit Erfahrung und Ansehen in diesem Bereich sowie Verhandlungsgeschick. 180 Die Beauftragung von Insolvenzspezialisten, die bereits im Vorfeld einer Antragstellung das schuldnerische Unternehmen beraten oder in die Geschäftsführung wechseln oder mit Generalvollmacht handeln, hat erhebliche Vorteile. Vor allem können diverse Rechtsfragen, die ab Antragstellung zu klären sind, vorbereitet werden. Auch kann für ausreichend Liquidität zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit gesorgt werden. Liquiditäts- und Ertragsplanungen können bereits unter Berücksichtigung der insolvenzspezifischen Einsparungspotentiale vorbereitet werden. Überlegungen zum Erhalt oder zur Beendigung oder zur Nachverhandlung besonders kritischer Verträge können schon im Vorfeld angestellt werden. Restrukturierungsmaßnahmen und Verkaufsprozesse können vorbereitet werden. Insgesamt kann die Eigenverwaltung, wenn sie gut vorbereitet ist, erheblich schneller agieren und entscheiden. Das Ziel der InsO, durch die Eigenverwaltung das Know-how des Schuldners zu erhalten und lange Einarbeitungszeiten eines externen Insolvenzverwalters zu vermeiden, kann so besonders effektiv erreicht werden. 181 Dabei ist jedoch, insbesondere nach Insolvenzantragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens, genau zu unterscheiden, wer den Berater mandatiert hat. Auch der Berater muss seine Rolle klar definieren. Die externe Beratung kann entweder dem schuldnerischen Unternehmen selbst, der Geschäftsführung des Unternehmens oder aber Gesellschaftern zugutekommen. Je nachdem, wer Vertragspartner des Beraters wird, ergeben sich erhebliche Unterschiede im Hinblick auf Beratungsumfang, -gegenstand und die Vergütung. Die Vertretung von mehr als einem Mandanten oder eine Verwischung der Grenzen darf nicht erfolgen, da Interessenkonflikte unvermeidlich sind. Auch die Glaubwürdigkeit gegenüber den Gläubigern darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. 182 Zu beachten ist insbesondere, dass bei Beratung des Schuldners selbst die Vergütung des Beraters auf unsicherem Boden steht. Für Leistungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist er Massegläubiger nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO wie jeder andere Vertragspartner zu diesem Zeitpunkt auch. Wenn die Beratung im Vorfeld der Insolvenzeröffnung stattgefunden hat, unterliegen die Vergütungsansprüche des Beraters u. U. den Anfech___________ 108) S. a. oben Rz. 82 ff. 109) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 45. 110) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14 Rz. 72, ZIP 2016, 1981; OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937, dazu EWiR 2015, 707 (Zimmer).
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tungsregeln der §§ 129 ff. InsO bzw., wenn die Beratung zwischen Antragstellung und Eröffnung stattgefunden hat, wird die Vergütung evtl. durch Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO gehindert. Da die Beratung des schuldnerischen Unternehmens selbst jedoch durchaus im Gläubigerinteresse sein kann, sollte schnellstmöglich auch mit dem Sachwalter Einigkeit über die Fortsetzung und Vergütung der Beratungsleistung erzielt werden. Wird der Berater hauptsächlich zur Beratung der Geschäftsführung oder der Gesellschafter 183 bspw. über Haftungsrisiken oder drohende Anfechtungen gemäß § 135 InsO beauftragt, muss natürlich auch die Vergütung von entsprechender Stelle erfolgen. Insbesondere der Sachwalter muss sehr genau darauf achten, dass nicht eine Beratung Gesellschaftern auf Kosten der Insolvenzmasse erfolgt.
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§ 12 Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters Minuth
I. Einführung .................................................. 1 II. Die Aufsicht des Sachwalters als Reaktion auf die Missbrauchsanfälligkeit ...................................................... 5 III. Die Bestellung des Sachwalters............... 10 1. Grundsatz................................................... 10 2. Die Bestellung des vorläufigen Sachwalters ................................................. 12 3. Die Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters .......................... 16 4. Bestellung eines Sachwalters aufgrund nachträglicher Anordnung der Eigenverwaltung ................................................. 21 IV. Auskunfts- und Zutrittsrechte bei Aufnahme der Tätigkeit .......................... 25 V. Prüfungs- und Überwachungspflichten .................................................... 27 1. Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 InsO ...................................... 27 2. Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 InsO........................... 30 3. Durchsetzung der Rechte.......................... 33 4. Organisation der Überwachung................ 36 VI. Begründung von Verbindlichkeiten im Geschäftsbetrieb .................................. 40 1. Zustimmungsvorbehalte und Widerspruchsrechte nach § 275 InsO................. 40 2. Widerspruchsrechte und Folgen der fehlenden Zustimmung nach § 275 InsO.................................................. 45 VII. Kassenführungsrecht des Sachwalters ........................................................ 47 VIII. Besondere Zustimmungserfordernisse.............................................. 52 1. Mitwirkung des Gläubigerausschusses ..... 52 2. Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO ............................. 57 3. Zustimmung zu Änderungen in der Geschäftsführung....................................... 65 4. Zustimmungspflichten und Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters........... 68 IX. Schuldnerrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter .................................. 71 1. Ausübung der Rechte aus gegenseitigen Verträgen ............................................. 71
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2. Verwertung von Sicherungsgut................. 76 X. Redepflichten ............................................ 83 1. Unterrichtungspflicht gegenüber Gläubigern über drohende Nachteile aus der Fortsetzung der Eigenverwaltung .................................................. 83 2. Anzeige der Masseunzulänglichkeit ......... 86 XI. Die Geltendmachung von Gesamtschäden und der Gesellschafterhaftung ......................................... 92 XII. Anfechtung............................................... 95 XIII. Das Tabellenverfahren........................... 99 XIV. Verzeichnisse, Schlussrechnung, Verteilung ............................................... 105 1. Stellungnahmen zu den Verzeichnissen gemäß § 281 InsO und dem Bericht in der ersten Gläubigerversammlung ......... 105 2. Stellungnahme zum Verteilungsverzeichnis .................................................... 108 3. Stellungnahmen zur Schlussrechnung und im Schlusstermin .............................. 111 4. Verteilung ohne Zustimmungserfordernis ........................................................ 115 XV. Planüberwachung im Insolvenzplanverfahren .......................................... 118 XVI. Der Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts ............................. 120 XVII. Beendigung der Sachwaltertätigkeit mit Aufhebung der Eigenverwaltung ............................................... 125 1. Aufhebung der Eigenverwaltung durch Beschluss der Gläubigerversammlung .... 125 2. Weiteres Antragsrecht nur für Gläubiger – kein Antragsrecht des Sachwalters .............................................. 128 3. Rechtsfolgen der Beendigung für den Sachwalter................................................. 132 XVIII. Besonderheiten in der Konzerninsolvenz .................................................. 135 1. Kooperationspflichten der (vorläufigen) Sachwalter................................. 135 2. Kooperationspflichten gegenüber einem Verfahrenskoordinator ................ 136 3. Antragsrechte des (vorläufigen) Sachwalters .............................................. 137 4. Stellungnahme zum Koordinationsplan und Umsetzung........................................ 139 XIX. Praktische Zusammenarbeit................ 141
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters I.
§ 12
Einführung
Eine Option bei der Restrukturierung von Unternehmen ist die Durchführung eines In- 1 solvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Seit Inkrafttreten der InsO in 1999 sind Unternehmen aller Größenordnungen bis hin zu einer gemeinnützigen Stiftung mit Erfolg in Eigenverwaltung saniert worden. Aufmerksamkeit haben Eigenverwaltungen insbesondere in Großinsolvenzen erhalten, wie in dem Verfahren über das Vermögen der Kirch Media AG (2002), Babcock Borsig AG (2002),1) Ihr Platz GmbH & Co. KG (2005),2) SinnLeffers GmbH (2008), der Friedr. Gustav Theis Kaltwalzwerke GmbH (2009)3), der Pfleiderer AG (2012), der IVG Immobilien AG (2014) sowie der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG und ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin (2017). Aber auch in zahlreichen weiteren Insolvenzen insbesondere von mittelständischen Unternehmen wurde die Eigenverwaltung angeordnet. Viele Beispiele belegen, dass mit der Einführung der InsO, ergänzt durch das ESUG, wirksame Instrumente zur Verfügung gestellt wurden, um Unternehmen zu sanieren und überwiegend zu erhalten. Das Amt des Sachwalters und die Ausgestaltung seiner Rechte hatten sich erst nach in- 2 tensiven Diskussionen um die Eigenverwaltung herausgebildet. Anders als im Regelfall der Insolvenzverwaltung, in dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen gemäß § 80 InsO entzogen wird, verbleibt diese mit Anordnung der Eigenverwaltung beim Schuldner bzw. dessen Organen, beschränkt auf den Insolvenzzweck bestmöglicher Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO.4) Darüber hinaus erhalten die Organe mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens neue weitgehende Handlungskompetenzen, insbesondere das Wahlrecht über die Erfüllung von Rechtsgeschäften, Sonderkündigungsrechte (§ 279 i. V. m. §§ 103 bis 128 InsO) und das Recht zur Verwertung von Gegenständen, an denen ein Absonderungsrecht von Gläubigern besteht (§ 282 Abs. 2 InsO). Ihm zur Seite gestellt wird der durch das Insolvenzgericht zu bestellende Sachwalter. 3 Grundsätzlich hat der Sachwalter das Recht und die Pflicht, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und seine Geschäftsführung und die Ausgaben für seine Lebensführung zu überwachen (§ 274 Abs. 2 InsO). Das Gesetz sieht für den Sachwalter sodann konkrete Einflussmöglichkeiten nach einem i. E. abgestuften Überwachungssystem vor. Als originäre Aufgaben weist das Gesetz dem Sachwalter die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten aus dem Anfechtungsrecht einschließlich der Ansprüche auf Ersatz eines Gesamtschadens nach den §§ 92, 93 InsO zu, die Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 285 InsO, sowie die Überwachung eines Insolvenzplans, § 284 InsO. Foltis beschreibt die Abgrenzungsleitlinie zwischen den Aufgaben der Schuldners und des Sachwalters dahin, dass bei ersterem die geschäftstypischen Rechte und Pflichten verbleiben, die der Sachwalter kontrolliert und unterstützt, und auf Letzteren im Übrigen die insolvenztypischen Aufgaben übertragen werden.5) Im Detail ergeben sich hieraus zahlreiche rechtliche Fragestellungen für den Schuldner, 4 seine Berater und den Sachwalter, darüber hinaus praktische zum Umgang miteinander. ___________ 1) 2)
3) 4) 5)
Hierzu: Piepenburg, NZI 2004, 231 ff. In der Business Week v. 24.10.2005 wurde die Entwicklung zu Ihr Platz wie folgt gesehen: „It’s [Anm. Name der Investmentbank] maneuver would hardly raise an eyebrow in New York or London. But in Germany, it was revolutionary: The American firm is pioneering Germany’s first large case of a Chapter 11-style restructuring under a little-used 1999 law. […] American and British hedge funds use insolvency as strategic tool to implement a turnaround.“ Vgl. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr). Foltis, in: Wimmer, InsO, Vor § 270 Rz. 3. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270c Rz. 12 ff.
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§ 12
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
In der Vergangenheit6) haben diese Fragen aufgrund der geringen Zahl der Eigenverwaltungen einen eher kleinen Kreis von Spezialisten beschäftigt. Entsprechend dem Willen des Gesetzgebers haben Eigenverwaltungen mit dem am 1.3.2012 in Kraft getretenen ESUG jedoch in größerer Zahl Bedeutung erhalten. Hierzu wurde der Einfluss der Gläubiger erhöht und die Voraussetzungen für deren Anordnung gelockert: Der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung kann nur noch abgelehnt werden, wenn konkrete Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Unklarheiten über mögliche Nachteile für die Gläubiger gehen damit nicht mehr zulasten des Schuldners. Insbesondere kann nun schon im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden. Unterbreitet ein vorläufiger Gläubigerausschuss zur Person des (vorläufigen) Sachwalters einen Vorschlag, so ist das Gericht hieran unter der Maßgabe gebunden, dass ein einstimmiger Beschluss zugrunde liegt. Die Aussichten des Schuldners auf die Anordnung der Eigenverwaltung sind damit deutlich erhöht worden. Umso wichtiger ist es, sich mit diesen Fragestellungen zu befassen. Ausgehend von der Fragestellung, was der Gesetzgeber mit der Aufsicht eines Sachwalters bezweckt, wird nachstehend ein an den einzelnen Rechten und Pflichten orientierter Überblick über die Rechtsperson Sachwalter gegeben. Die Entwicklung seit Inkrafttreten des ESUG hat aber gezeigt, dass viele Fragen weiter offen sind und in Literatur und Rechtsprechung7) uneinheitlich erörtert werden. II.
Die Aufsicht des Sachwalters als Reaktion auf die Missbrauchsanfälligkeit
5 Wohl nicht zuletzt in der Konsequenz der neuen Optionen mit Inkrafttreten des ESUG ist in der breiteren Öffentlichkeit eine Diskussion um die Grenzen des Insolvenzrechts aufgekommen.8) Der Gesetzgeber war sich der Wirkungsmacht der Reformen durchaus bewusst und hat mit der Entscheidung über das ESUG einen Evaluierungsauftrag formuliert: Fünf Jahre nach Inkrafttreten der Reformen soll deren Wirkung eingeschätzt werden.9) Das BMJV hat den Auftrag Ende 2016 aufgenommen und eine wissenschaftliche Untersuchung zur Wirkungsweise des ESUG in Theorie und Praxis ausgeschrieben. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Herbst 2018 veröffentlicht (für eine Zusammenfassung siehe unten § 58). 6 Diskussionen um die Eigenverwaltung und deren Grenzen bzw. die Kontrolle durch den Sachwalter sind jedenfalls nicht neu. Die Einführung der Eigenverwaltung in die zum 1.1.1999 in Kraft getretene InsO war noch heftig umstritten. Im Mittelpunkt der Kritik standen die Missbrauchsanfälligkeit der Eigenverwaltung und das mangelnde Vertrauen in die bisherige Geschäftsführung.10) Aufgrund der zahlreichen Bedenken war eine Eigenverwaltung noch im Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht von 1985 abgelehnt worden,11) der zweite Bericht sah die Eigenverwaltung sehr eingeschränkt für Klein___________ 6) Eine tabellarische Übersicht mit Daten des Statistischen Bundesamtes geben Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, eine aktuelle Übersicht findet sich bei Böhm, in: Braun, Insolvenzrecht und Unternehmenssanierung, Jahrbuch 2018, S. 70. 7) Vgl. Pape, ZInsO 2013, 2129 ff. und Rz. 14 Fn. 44. 8) So wurde in einer Kolumne auf S. 1 des Wirtschaftsteils der FAZ gefordert, unternehmerisches Scheitern nicht zu verklären: Giersberg, Wichtige Warnung, FAZ v. 27.12.2017, Nr. 299 S. 15. In einem Artikel des Wirtschaftsmagazins BILANZ wurde die Insolvenz als Sanierungsmodell auf Kosten der Steuerzahler und Gläubiger scharf kritisiert: Böhmer, Unsittliches Angebot für Trigema-Chef Grupp, BILANZ – Das Wirtschaftsmagazin, v. 4.10.2017, abrufbar unter https://www.welt.de/wirtschaft/ bilanz/article169009828/Unsittliches-Angebot-fuer-Trigema-Chef-Grupp.html (Abrufdatum: 22.7.2018). 9) Madaus, ESUG Evaluation startet, abrufbar unter: http://stephanmadaus.de/2017/05/30/esug-evaluationstartet/ (Abrufdatum: 22.7.2018), mit weiteren Informationen zum Auftragsinhalt. 10) Details der Diskussionen finden sich bei Uhlenbruck, in: FS Metzeler, 2003, S. 85, 86, Fn. 2. 11) Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, Begr. z. Leitsatz 1.3.1.1., S. 124 ff.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
verfahren vor,12) setzte sich aber nicht durch. Der Gesetzgeber versuchte vielmehr, den Bedenken nachfolgend Rechnung zu tragen und hat die Eigenverwaltung an strenge Voraussetzungen gebunden.13) Als Konsequenz hierauf wurde das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter die Aufsicht eines Sachwalters gestellt. Im Junktim hiermit wurden hohe Anforderungen für die Anordnung formuliert. Nach den Umständen durfte es nicht zu erwarten sein, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Schließlich wurden Rechte der Gläubiger aufgenommen, die Eigenverwaltung zu beenden. Unter anderem sollte eine Fortführung über eine längere Zeit hinweg durch den Schuldner vermieden werden, ohne dass das eigentliche Ziel der InsO erfüllt wird, auch in der Eigenverwaltung die optimale Gläubigerbefriedigung herbeizuführen.14) Entsprechend erschließt sich die Funktion des Sachwalters nicht zuletzt aus der Gesetzeshistorie. Vorbild für die Regelungen zur Rechtsstellung des Sachwalters waren die Rechte und 7 Pflichten des Vergleichsverwalters nach der aus dem Jahre 1935 stammenden Vergleichsordnung (VerglO).15) Der Vergleichsverwalter hatte im Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses weitgehende Überwachungs- und Antragsrechte. Rechte zur Verwaltung und Verfügung über das Schuldnervermögen hatte er nicht. Der Begriff des Sachwalters fand sich zwar auch in §§ 91 – 95 VerglO, unterscheidet sich aber grundlegend von dem Sachwalter nach Ausprägung der InsO.16) Dogmatisch wird der Sachwalter heute als „Inhaber eines öffentlichen Amtes aufgrund gerichtlicher Bestellung“17) und Inhaber einer „insolvenzverwalterähnlichen“18) oder dieser „angenäherten“19) Stellung mit im Verhältnis zum Insolvenzverwalter eingeschränktem Tätigkeitsbereich20) qualifiziert. Mit diesem Ansatz unterscheidet sich die InsO auch von dem Debtor in Possession-Kon- 8 zept nach US-amerikanischem Recht, wo die Bestellung eines „Trustee“ im Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 möglich, aber selten ist.21) Nur in den Fällen, in denen Gläubiger die Unzuverlässigkeit des Schuldners beweisen können, soll die nach Chapter 11 vorgesehene Handlungsmacht des Schuldners durch einen Trustee beschränkt werden.22) Auch in den USA war kontrovers diskutiert worden, ob nicht doch automatisch ein Ver___________ 12) Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1986, Leitsatz 6.1.3.2. 13) Zum weiteren Verlauf und zur Kritik an der Eigenverwaltung: Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg nach dem neuen Insolvenzrecht, 2004, S. 32 ff., 44 ff. 14) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. § 331 RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 185. 15) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f.; ausf. zur Historie Kruse, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz mit ihren gesellschaftsrechtlichen Bezügen, S. 36 ff. 16) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270c Rz. 6. 17) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270c Rz. 7. 18) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270c Rz. 7. 19) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270c Rz. 3; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 1 und Rz. 9 sowie § 270c Rz. 5 f. 20) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 4, § 270c Rz. 7: Grundsätzlich finden demnach die allg. Bestimmungen für das Insolvenzverfahren mit Insolvenzverwalter Anwendungen, soweit die besonderen Regelungen der Eigenverwaltung nicht entgegenstehen. Die Reichweite einzelner Regelungen in der Eigenverwaltung ist durch Auslegung zu ermitteln; einschränkend: Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 274 Rz. 1, wonach die Rechtsstellung des Sachwalters nach den speziellen Reglungen der §§ 275, 277, 279, 280 – 285 InsO im Wesentlichen auf die Kontrolle des Schuldners beschränkt ist und die Regelungen für den Insolvenzverwalter nicht pauschal herangezogen werden können, da dem Sachwalter seitens des Gesetzgebers keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt wurde; ähnl. Tetzlaff/ Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 3. 21) Ausf. Kemper, Die US-amerikanischen Erfahrungen mit „Chapter 11“ – Ein Vergleich mit dem Insolvenzplan der neuen Insolvenzordnung, 1996, S. 58 ff. 22) Priebe, ZInsO 2011, 1676, 1683.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
walter zu bestellen wäre.23) Im Detail sind die beiden Konzepte im Übrigen wenig vergleichbar.24) Anders als im deutschen Recht sind im US-amerikanischen Recht insbesondere die Rechte des aufsichtführenden Richters gegenüber dem Schuldner umfassender ausgestaltet. Für das Liquidationsverfahren ist dort keine „Eigenverwaltung“ vorgesehen.25) Tatsächlich ist die Eigenverwaltung allerdings auch im deutschen Recht vornehmlich auf Fortführungsfälle ausgelegt.26) 9 Dogmatisch war bis zuletzt streitig, ob die Eigenverwaltung in der Prägung vor dem ESUG nach dem Willen des Gesetzgebers nur einen Ausnahmefall gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren darstellt, mit entsprechend eingeschränktem Anwendungsbereich,27) oder eine besondere Verfahrensart des Insolvenzverfahrens, bei der die Anordnungsvoraussetzungen Ausdruck einer Abwägung der Beteiligteninteressen ist, wie sie aus Sicht des Gesetzgebers typischerweise vorliegen, wenn der eigenverwaltende Schuldner Verwaltungs- und Verfügungsbefugter und damit Hauptverantwortlicher für sein zugunsten der Gläubigergemeinschaft beschlagnahmtes Vermögen wird.28) Allerdings sollte auch nach der letzteren Auffassung aus der strengen Gläubigerschutzkonstruktion der Eigenverwaltung die Auslegungsregel folgen, dass begründete Zweifel am Vorliegen oder unveränderten Fortbestehen der Eigenverwaltungsvoraussetzungen zulasten des Schuldners gehen, mithin die Normen über die Anordnung der Eigenverwaltung einschränken bzw. deren Aufhebung erleichtern.29) Der Gesetzgeber des Jahres 2011 hat mit Einführung des ESUG die Eigenverwaltung jedenfalls deutlich gestärkt;30) das ESUG erweckte den Eindruck, dass, wie es Brinkmann/Zipperer formulierten, ein Paradigmenwechsel bei der Eigenverwaltung vom Ausnahme- zum Regelfall vollzogen wird.31) III.
Die Bestellung des Sachwalters
1.
Grundsatz
10 Das Amt des Sachwalters beginnt mit seiner Bestellung durch Beschluss des Insolvenzgerichts.32) Funktionell zuständig ist der Insolvenzrichter, § 18 Abs. 1 Nr. 3 RPflG.33) Für die Bestellung des Sachwalters geltend dieselben Voraussetzungen wie für einen Insolvenzverwalter, § 274 Abs. 1, § 56 InsO. Als Anforderungsprofil gibt das Gesetz vor, eine geeignete, geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestimmen. Insbesondere für Fortführungsfälle sind persönliche und fachliche Fähig___________ 23) Nachweise bei Kemper, Die US-amerikanischen Erfahrungen mit „Chapter 11“ – Ein Vergleich mit dem Insolvenzplan der neuen Insolvenzordnung, 1996, S. 63; Braley/Rosenzweig, The Yale Law Journal 101 (1992), 1043 ff. 24) Vgl. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz: Grundlagen, Gestaltungsmöglichkeiten, Sanierung mit der Insolvenzordnung, 1997, S. 692; Schlegel, ZIP 1999, 954. 25) Auch in den USA bestand ursprünglich die Aufgabe des Konkursrechts in der Liquidation und Verteilung des Vermögens an die Gläubiger. In Weiterentwicklung des Bankruptcy Act von 1898 wurde in den Jahren 1933 und 1934 der Gedanke der Sanierung des Schuldners verstärkt aufgegriffen. Ab 1938 waren vier unterschiedliche Sanierungsverfahren in das Gesetz aufgenommen; hierzu Riesenfeld, KTS 1983, 85, 89 f. 26) Begr. RegE InsO Vor § 331, BT-Drucks. 12/2443. 27) Für den Zeitraum vor Inkrafttreten des ESUG: Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Vor §§ 270 – 285 Rz. 19; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, Vor § 270 Rz. 1. 28) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 6, 24, 38. 29) So noch in der 6. Aufl., 2011: Foltis, in: Wimmer, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 27. 30) Vallender, GmbHR 2012, 445, 446. 31) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337. 32) Vgl. hierzu Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 11, und a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 3: Annahme des Amtes durch den Sachwalter, ebenso: Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 28. 33) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270c Rz. 2; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270c Rz. 9 m. w. N.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
keiten, ausgeprägte Führungsqualitäten, persönliche Integrität34) sowie Integrationsfähigkeit erforderlich. Der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners kann nicht zum Sachwalter bestellt werden,35) ebenso wenig eine juristische Person.36) An diesen Grundsätzen änderte auch das ESUG nichts. Klargestellt wird, dass die erfor- 11 derliche Unabhängigkeit nicht bereits schon dadurch ausgeschlossen wird, dass die Person vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen worden ist oder den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat. Die im ESUG zunächst vorgesehene Ausnahme, wonach die Mitwirkung bei der Erstellung eines Prepackaged-Insolvenzplans nicht als Vorbefassung zu qualifizieren ist, wurde gestrichen.37) Für die seit dem 1.12.2012 beantragten Fälle kann das Ermessen des Richters bei der Bestellung des Sachwalters des weiteren entfallen bzw. Einschränkungen erfahren, als dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss Beschlüsse zu dessen Person und zu den an sie gestellten Anforderungen vorgegeben hat (siehe dazu nachstehend Rz. 16 ff.). 2.
Die Bestellung des vorläufigen Sachwalters
Mit der Einführung des ESUG wurde für den Fall eines Antrags auf Anordnung einer Ei- 12 genverwaltung im Insolvenzeröffnungsverfahren die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ermöglicht.38) Zuvor wurde im Vorverfahren regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit mehr oder weniger starken Eingriffsrechten gemäß §§ 21 ff. InsO bestellt. Die Bestellung des Sachwalters erfolgte durch das Insolvenzgericht erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ggf. nachträglich auf Antrag der ersten Gläubigerversammlung, § 271 InsO. Der Gesetzgeber wollte mit der Etablierung des vorläufigen Sachwalters vermeiden, dass aufgrund des Verlusts der Verfügungsbefugnis im Insolvenzeröffnungsverfahren das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsführung des Schuldners und deren Sanierungskonzept zerstört wird39) und das Verfahren für den Schuldner, der die Kontrolle über sein Vermögen auch im Eröffnungsverfahren behält, attraktiver zu machen.40) In den Fällen, in denen der Schuldner mit einem Insolvenzantrag den Antrag auf Eigen- 13 verwaltung verbindet und dieser nicht offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg ist, soll gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO davon abgesehen werden, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters wird in diesem Fall ein vorläufiger Sachwalter bestellt.41) Bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters sind die für die Bestellung des Sachwalters ___________ 34) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 5 ff.; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 9. 35) Vgl. Lüke, ZIP 2001, 2188, 2190 (Urteilsanm.). 36) BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, ZIP 2013, 2070 = ZInsO 2013, 2103, dazu EWiR 2014, 23 (Eckardt); Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 14; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsR, § 270c InsO Rz. 2. 37) Vgl. Zusammenstellung des RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712 mit den Beschlüssen des Rechtsausschusses, S. 9. 38) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 f. 39) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 40) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 41) Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 19, unter Hinweis auf die Reformbegründung, wonach bei nicht offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Eigenverwaltung das Gericht von der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung abzusehen und einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen hat; zur Aussichtslosigkeit einer Sanierung: AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
geltenden Vorschriften gemäß § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO entsprechend heranzuziehen,42) einschränkungslos allerdings nur insoweit, als kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist. 14 Dem sodann bestellten vorläufigen Sachwalter stehen die Befugnisse gemäß § 274 und § 275 InsO entsprechend zu. Hierbei handelt es sich um Kontroll- und Mitwirkungsbefugnisse (siehe dazu unten Rz. 40 ff.). Ein allgemeines, umfassendes Verfügungsverbot oder ein umfassender Zustimmungsvorbehalt – wie bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO – ist grundsätzlich ausgeschlossen.43) In der Konsequenz dieser Kompetenzverteilung haben die Insolvenzgerichte – allerdings nicht einheitlich – auch den Schuldner und nicht den Sachwalter zum Adressaten einer gerichtlichen Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 2 InsO im Eröffnungsverfahren gemacht44) (siehe dazu Rz. 69 f.). 15 In einem Sanierungsverfahren nach § 270b InsO erhält der Schuldner weitergehend das Angebot, von einem vorläufigen Sachwalter überwacht zu werden, der auf seinen Vorschlag hin zu bestellen ist. Liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor, kann der Schuldner unter dessen Aufsicht sodann einen Insolvenzplan erarbeiten und ist sein Vermögen gleichzeitig dem unmittelbaren Zugriff der Gläubiger entzogen. Mit dieser Option soll das Vertrauen der Schuldner in das Insolvenzverfahren ebenfalls gestärkt und gleichzeitig ein Anreiz geschaffen werden, frühzeitig einen Eröffnungsantrag zu stellen, um rechtzeitig die Weichen für eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens zu stellen.45) 3.
Die Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters
16 Über die Person des Sachwalters hatte bisher ausschließlich das Insolvenzgericht zu befinden. Der Gesetzgeber hat mit dem ESUG die Rechte der Gläubiger hinsichtlich der Bestellung des Sachwalters und des vorläufigen Sachwalters erweitert. Einem – eher vor-
___________ 42) §§ 56, 56a InsO geltend entsprechend bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39). 43) Vgl. Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 18; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 3; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 19. 44) So AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWIR 2012, 359 (Hofmann); AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937 = ZInsO 2015, 2273; LG Hannover v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 19; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 19.; a. A. AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471 – generell ausgeschlossen; OLG Jena v. 22.6.2016 – 7 U 753/15, ZIP 2016, 1741, dazu EWiR 2016, 671 (Haneke/Debus) – keine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten; a. A. AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787 – Ermächtigung nur des vorläufigen Sachwalters möglich, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer); nach Auffassung von Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 25, hat der Schuldner aufgrund des Verweises auf §§ 274 f. InsO mit dem Anordnungsbeschluss originär die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Verwalters mit Masseverbindlichkeitenbegründungsfolge gemäß § 55 Abs. 2 InsO inne; so i. E. auch AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899 = ZInsO 2012, 397 f.; AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZIP 2015, 1843 = ZInsO 2015, 1112, dazu EWiR 2015, 679 (Kraus); offengelassen in BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831, Rz. 4, 6 = ZInsO 2016, 903, dazu EWiR 2016, 307 (Dimassi), für Verfahren nach § 270a InsO. Für das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO führt erst die Ermächtigung durch das Gericht nach § 270b Abs. 3 InsO und die hierauf begründeten Verpflichtungen des Schuldners zu unanfechtbaren Masseverbindlichkeiten, BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295, dazu EWiR 2016, 501 (Hofmann); krit.: Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 26. 45) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 19.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
vorläufigen – Gläubigerausschuss46) ist nicht nur Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter zu äußern, die bei dessen Auswahl zu berücksichtigen sind (§ 56a Abs. 1 InsO), sondern ihm ist auch die Möglichkeit einzuräumen, dem Insolvenzgericht eine bestimmte Person vorzuschlagen. Die Anhörung kann das Insolvenzgericht mit der nach § 270 Abs. 3 InsO vorgesehenen Anhörung zur Anordnung der Eigenverwaltung verbinden (§§ 56, 56a i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 270 Abs. 3, § 274 Abs. 1 InsO).47) Nach § 56a Abs. 2 InsO sind Vorschläge des vorläufigen Gläubigerausschusses zu den 17 Anforderungen48) an den Sachwalter für das Gericht bindend. Dies gilt auch dann, wenn die Vorschläge nicht einstimmig beschlossen worden sind, sondern mit der für Beschlüsse des Ausschusses maßgeblichen Kopfmehrheit (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a i. V. m. § 72 InsO). Weitergehend wird das Insolvenzgericht nach § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 1 InsO verpflichtet, 18 eine auf Grundlage eines einstimmig gefassten Beschlusses vorgeschlagene Person zum (vorläufigen) Sachwalter zu bestellen. Das Gericht ist an den Beschluss allerdings nur gebunden, wenn der Vorschlag nicht in Widerspruch zu den Kriterien nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO steht, mithin die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes im konkreten Fall nicht geeignet ist. Gründe hierfür sind bspw. fehlende Sachkunde oder die aufgrund einer vorherigen Tätigkeit für den Antragsteller nicht mehr gewahrte Unabhängigkeit.49) Unerheblich für die Entscheidung des Insolvenzgerichts soll es hingegen bleiben, ob die durch einstimmigen Beschluss vorgeschlagene Person bei dem zuständigen Insolvenzgericht in einer Vorauswahlliste geführt wird.50) Folgt das Gericht in einem Ausnahmefall dem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses nicht, so ist dies im Eröffnungsbeschluss schriftlich zu begründen, § 27 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Die erste Gläubigerversammlung kann sodann ggf. erneut über die Person des Verwalters entscheiden und – nach Auseinandersetzung mit den Gründen der Ablehnung – im Berichtstermin diesen ggf. erneut bestellen.51) Auf die Anhörung kann das Insolvenzgericht nur verzichten, wenn hierdurch offensicht- 19 lich Nachteile für die Vermögenslage des Schuldners drohen.52) Verzichtet das Insolvenzgericht auf die Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses aufgrund offensichtlich drohender Nachteile, so kann der vorläufige Gläubigerausschuss in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die Bestellte zum (vorläufigen) Sachwalter wählen, § 56a Abs. 3 InsO a. E., die sodann vom Gericht zu bestellen ist. Auch wenn ein Verwalter auf Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses vom Insol- 20 venzgericht bestellt worden ist, bleibt es dabei, dass im eröffneten Verfahren die Gläubi___________ 46) Vgl. hierzu AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender), wonach sich der Gläubigerausschuss zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung bereits konstituiert haben muss. 47) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 48) Voigt-Salus/Sietz, ZInsO 2010, 2050. 49) Vgl. hierzu AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (SchulteKaubrügger): Danach wurde ein von einem Gläubigerausschuss vorgeschlagener Sachwalter als ungeeignet qualifiziert, weil zwischen Sanierungsberater-Geschäftsführer der Schuldnerin und dem Vorgeschlagenen zuvor eine umfangreiche frühere Geschäftsverbindung bestand. 50) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 11, 21; diff.: AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11, ZIP 2011, 2372. 51) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 7, 23. 52) Nach Auffassung des AG München können bereits zeitnah erwartete Zahlungseingänge beim Schuldner, eine erforderliche Insolvenzgeldvorfinanzierung und die Sicherung des Auftragsbestandes die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters auch ohne Anhörung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erforderlich machen, um eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners abzuwenden: AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308; ausf.: Smid, ZInsO 2013, 209 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
gerversammlung mit Summen- und Kopfmehrheit endgültig über die Person des Verwalters entscheidet (§ 57 InsO). Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass der vorläufige Gläubigerausschuss sich dessen bewusst ist und keine Person vorschlagen wird, bei der mit einer Abwahl durch die Gläubigerversammlung zu rechnen ist. Umstritten ist es dann allerdings, ob ein Beschluss der Gläubigerversammlung zur Sachwalterbestellung wegen Missbrauchs der Mehrheit gemäß § 78 InsO durch das Gericht aufgehoben werden kann.53) Die gerichtliche Ablehnung des Gewählten erfolgt jedenfalls durch Beschluss des Gerichts, der für jeden Gläubiger rechtsmittelfähig ist, §§ 274 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 4 InsO. 4.
Bestellung eines Sachwalters aufgrund nachträglicher Anordnung der Eigenverwaltung
21 Der Gläubigerversammlung bleibt es unbenommen, jederzeit während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung und einen Sachwalter zu beschließen, § 271 InsO. Beantragt nicht schon der Schuldner die Anordnung der Eigenverwaltung oder wird der Antrag abgelehnt, so ordnet das Insolvenzgericht sie unter der Maßgabe an, dass die Eigenverwaltung – nach entsprechender Ankündigung und öffentlicher Bekanntmachung in der Tagesordnung – von der Gläubigerversammlung beantragt wird, diese sich mit der Summen- und Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger gemäß § 57 Satz 2, § 76 Abs. 2 InsO für die Eigenverwaltung entscheidet und der Schuldner dem zustimmt, § 271 InsO. Ein Ermessensspielraum des Gerichts soll dabei nicht bestehen,54) es sei denn, der von der Gläubigerversammlung gewählte Sachwalter ist für das Amt ungeeignet, § 56 Abs. 1 InsO.55) Hat die Gläubigerversammlung einen geeigneten und bereiten Sachwalter vorgeschlagen, geht mit dem Anordnungsbeschluss des Gerichts die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Insolvenzverfahren wieder auf den Schuldner über. Der Schuldner übernimmt das Verfahren im aktuellen Verfahrensstand und nach Maßgabe der bisherigen Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters.56) 22 Zum Sachwalter kann der bisherige Insolvenzverwalter oder ein Dritter bestellt werden. Ob die Gläubigerversammlung verpflichtet ist, bereits im Antrag eine bestimmte Person zu benennen, wird allerdings kontrovers erörtert. Teilweise wird ein Antrag, der nicht zugleich die Benennung einer bestimmten Person enthält, unter Verweis auf §§ 270, 57 InsO als unzulässig angesehen.57) Nach § 57 InsO wird ein bloßer Antrag auf Abwahl eines Insolvenzverwalters ohne Benennung eines potenziellen Nachfolgers als unzulässig angesehen. 23 Funktionell zuständig für die Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung des Sachwalters ist der Rechtspfleger, § 18 RPflG. Dessen Entscheidung in dieser Sache ist weder durch Rechtspflegererinnerung nach § 11 RPflG noch durch Beschwerde anfechtbar.58) Ob hingegen Widerspruchsmöglichkeiten der überstimmten Gläubiger nach § 78 InsO gegen die Anordnung der Eigenverwaltung bestehen, weil der Beschluss gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger verstoßen könnte, wird aufgrund einer Ent___________ 53) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 13; a. A. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 31, unter Bezugnahme insbesondere auf die Entscheidung des BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, ZIP 2003, 1613, zur Nichtüberprüfbarkeit einer Abwahlentscheidung eines Insolvenzverwalters durch die Gläubigerversammlung. 54) Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 13, 28; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 15; a. A. Riggert, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 271 Rz. 5. 55) Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 13, 28; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 15. 56) Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 29; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 9. 57) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 6; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 271 InsO Rz. 8; a. A.: Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 2. 58) Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 17; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 6; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 5.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
scheidung des BGH aus dem Jahre 2011 zu § 272 InsO und mit Betonung der Gläubigerautonomie bei Entscheidungen der Gläubigerversammlung unterschiedlich gesehen.59) Besonderheiten ergeben sich nach Inkrafttreten des ESUG insoweit, dass die Möglichkeiten 24 der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung erheblich erweitert wurden: Ob ein Insolvenzgericht auch nachträglich die Eigenverwaltung anordnen kann, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Schuldnerantrag auf Eigenverwaltung gestellt und ein solcher mithin nicht abgelehnt wurde, war in der Literatur umstritten. Um diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen, wurde im ESUG klargestellt, dass eine Anordnung auch in solchen Fällen möglich ist, in denen der Schuldner einen entsprechenden Antrag nicht bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, sofern sich Schuldner und Gläubigerversammlung über die Fortsetzung des Verfahrens in Eigenverwaltung einig sind. Die Vorschrift ist damit nicht zuletzt auch Ausfluss der vom Gesetzgeber mit dem ESUG angestrebten Deregulierung des Insolvenzrechts und Betonung des Grundsatzes der Gläubigerautonomie.60) IV.
Auskunfts- und Zutrittsrechte bei Aufnahme der Tätigkeit
Nach seiner Bestellung benötigt der (vorläufige) Sachwalter zahlreiche Informationen. 25 Regelmäßig sind dem Sachwalter die tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten des Unternehmens nicht bekannt. Gleichwohl gehört es vom ersten Tag an zu seinen zentralen Aufgaben,61) die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu überprüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners, die dieser gemäß § 278 InsO entnehmen darf, zu überwachen. Damit der Sachwalter seine Pflichten erfüllen kann, räumt ihm das Gesetz umfassende 26 Unterrichtungsmöglichkeiten ein. Für die Durchführung seiner Überwachungsaufgaben hat er die gleichen Rechte und dieselbe Stellung wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter, auf den ebenfalls keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist, § 274 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO. Daraus leitet sich das Recht des Sachwalters ab, zunächst die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und vor Ort umfangreiche Nachforschungen anzustellen. Das schließt die Mitarbeiter des Sachwalters sowie ggf. von ihm beauftragte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ein.62) Um den Zugang zu ermöglichen, sind dem Sachwalter bspw. auch Schlüssel und Zugangscodes zur Verfügung zu stellen. Insoweit gelten keine Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren. V.
Prüfungs- und Überwachungspflichten
1.
Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 InsO
Anders als der Insolvenzverwalter ist der Sachwalter von der Erstellung des Vermögens- 27 verzeichnisses, der Abfassung des Berichts an die Gläubigerversammlung sowie der Er___________ 59) Vgl. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622 zum abgewiesenen Antrag gemäß § 78 InsO gegen einen Beschluss der Gläubigerversammlung zur Aufhebung einer Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO. Danach ist der Gläubigerantrag schon unzulässig, weil das Gericht keine Legitimation zur Prüfung hat; ausf. hierzu Pape, in: KPB, InsO, § 271 Rz. 19, der sich im Ergebnis i. R. des § 271 InsO für den Minderheitenschutz und eine Überprüfbarkeit der Entscheidung nach § 78 InsO ausspricht, ebenso im Ergebnis Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 5, 13; a. A. Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsR, § 271 InsO Rz. 6 f. und Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 6 – keine Überprüfung des Antragsbeschlusses. 60) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 271 Rz. 1. 61) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 6. 62) Vgl. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 284; Rüntz/Laroche, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 22 Rz. 65.
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§ 12
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
stellung der Rechnungslegung befreit. Diese Aufgaben obliegen nach Anordnung der Eigenverwaltung dem Schuldner. Das Gesetz verpflichtet den Sachwalter aber, dazu und zu weiteren Sachverhalten eine Stellungnahme gegenüber den Gläubigern abzugeben. Will er dazu die Angaben des Schuldners überprüfen, muss sein Kenntnisstand im Ergebnis dem eines Insolvenzverwalters entsprechen,63) andernfalls wäre er nicht in der Lage, belastbare Aussagen zu den Verzeichnissen abzugeben und damit diesen und weiteren Aufgaben nachzukommen. 28 Für die Umsetzung seiner Prüfungspflichten erhält der Sachwalter die Rechte eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 274 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO). Das Gesetz nennt die Pflicht des Schuldners, Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners zu gestatten. Gemeint sind damit v. a. die vorhandenen Bilanzen nebst Gewinn- und Verlustrechnungen, darüber hinaus bspw. die Kreditorenbuchhaltung und Korrespondenz mit Gläubigern, die Debitorenbuchhaltung, Arbeitnehmerunterlagen, sämtliche Sicherungs- und Übereignungsverträge, Pfändungsprotokolle, Finanzierungs- und Leasingverträge, Mietverträge, Lebensversicherungsverträge, Darlehensverträge sowie alle sonstigen Verträge, die einen vermögensrechtlichen Inhalt haben. Auf Anforderung des Sachwalters sind ihm eine aktuelle Bestandsaufnahme des Anlagevermögens und der Gegenstände des Umlaufvermögens sowie die Gesellschaftsverträge und Beschlüsse der Gesellschafter zur Verfügung zu stellen und Prämissen der Bewertung sowie die Wertansätze offenzulegen.64) Grundsätzlich gehen die Auskunftspflichten daher sehr weit. Auf den vorläufigen Sachwalter finden die Vorschriften über den Sachwalter nach § 274 InsO entsprechende Anwendung. 29 Im Ergebnis wird der Sachwalter so auch in die Lage versetzt, die ausschließlich ihm obliegenden Anfechtungssachverhalte geltend zu machen und Gesamtschäden nach § 92 und § 93 InsO durchzusetzen. Gleichzeitig wird dem Sachwalter eine Beurteilung der wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schuldners, seiner unternehmerischen Fähigkeiten und der Aussichten der Fortführung sowie einer gläubigerunschädlichen Erfüllung der schuldnerischen Verwaltungs- und Verfügungsrechte ermöglicht.65) 2.
Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 InsO
30 Parallel zur Prüfung der aktuellen wirtschaftlichen Lage hat der Sachwalter die Geschäftsführung des Schuldners sowie ggf. seine Ausgaben für die Lebensführung gemäß § 278 InsO zu überwachen. Zwecks Erfüllung dieser Aufgabe ist der Schuldner verpflichtet, dem Sachwalter alle benötigten Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 274 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO). Auch diese Regelung dient dem Gläubigerschutz und soll verhindern, dass der Schuldner die Eigenverwaltung nutzt, um zum Schaden der Insolvenzgläubiger Vermögenswerte beiseite zu schaffen oder zu verschleiern oder entgegen einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung zu handeln.66) Diese als permanente Pflicht67) verstandene Aufgabe kann für den Sachwalter, der gegenüber dem Schuldner kein eigenes Weisungsrecht besitzt,68) gerade bei größeren ___________ 63) 64) 65) 66) 67) 68)
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Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 73. Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 58. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 61. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 63. Pape, in: Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 911. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 72; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 51.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
Unternehmensinsolvenzen eine anspruchsvolle Tätigkeit darstellen. Als Beispiele seien genannt
die erforderliche Auswertung von Liquiditätsplanungen,
integrierten Planrechnungen,
der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung nach § 155 InsO auf Ordnungsgemäßheit,
der Abschluss neuer Verträge bis hin zu
der Bewertung von Chancen einer Sanierung und den hierzu einzuleitenden Maßnahmen.
Im Ergebnis wird der Sachwalter so auch in die Lage versetzt, ggf. die Masseunzuläng- 31 lichkeit gemäß § 285 InsO anzuzeigen. Im Tagesgeschäft muss der Sachwalter darauf achten, dass der Schuldner im Zahlungsverkehr nicht den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung verletzt und Altverbindlichkeiten erfüllt. Erkennt der Sachwalter drohende Nachteile für die Gläubiger, muss er hierauf unver- 32 züglich reagieren und entscheiden, ob diese Informationen dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen sind, § 274 Abs. 3 InsO. Entsprechendes gilt für eine drohende Masseunzulänglichkeit. Der Sachwalter hat fortwährend alle Umstände zu prüfen, die aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen den Schuldner oder eine Aufhebung der Eigenverwaltung rechtfertigen können.69) Im Zweifel wird er dabei kein Risiko eingehen wollen. Die unverzügliche Anzeige drohender Nachteile gehört zu seinen insolvenzspezifischen Pflichten, deren schuldhafte Verletzung zu einer Haftung nach § 60 InsO führen kann.70) Ist ein Gläubigerausschuss nicht vorhanden, so hat der Sachwalter die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, sowie die absonderungsberechtigten Gläubiger zu benachrichtigen. Gläubigerausschuss und Gläubiger werden so in die Lage versetzt, einen Antrag gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Aufhebung der Eigenverwaltung zu stellen, § 272 InsO. Statt die Aufhebung zu beschließen, besteht die Möglichkeit, in einer außerordentlichen Gläubigerversammlung Handlungen des Schuldners einem Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters gemäß § 277 InsO zu unterstellen.71) Ein eigenes Antragsrecht auf Aufhebung der Eigenverwaltung steht dem Sachwalter jedenfalls nicht zu.72) Der vorläufige Sachwalter hat anstelle der nach § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO zu unterrichtenden Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Gläubiger zu unterrichten.73) 3.
Durchsetzung der Rechte
Soll die Eigenverwaltung Erfolg haben, wird der Schuldner seinen Auskunfts- und Mit- 33 wirkungsrechten bestmöglich nachkommen. Sofern erforderlich, können diese aber auch wie von einem vorläufigen Insolvenzverwalter durchgesetzt werden. Art und Umfang der Sachwalterrechte bestimmen sich nach §§ 97, 98 und § 101 InsO. Auf Antrag des Sachwalters an das Insolvenzgericht können insbesondere Zwangsgeld, Vorführung und Haft angeordnet werden. Wenn es zur Herbeiführung wahrheitsgemäßer Aussagen erforderlich scheint, kann das Insolvenzgericht anordnen, dass der Schuldner zu Protokoll an ___________ 69) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 55. 70) Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 75, Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 79, Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 68. 71) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 69. 72) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 80. 73) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39.
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§ 12
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Eides statt versichert, er habe die von ihm erlangte Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig erteilt, § 98 Abs. 1 InsO. 34 Die Auskunftspflichten können auch leitende Angestellte treffen: Bei juristischen Personen sind verpflichtet die Mitglieder des Vertretungs- und Aufsichtsorgans sowie die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners, einschließlich derer, die nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dieser Stellung ausgeschieden sind. Selbiges gilt für Angestellte und frühere Angestellte des Schuldners, soweit diese nicht früher als zwei Jahre vor der Eröffnung ausgeschieden sind, § 101 Abs. 2 InsO. Hier gelten allerdings nur beschränkte Durchsetzungsmöglichkeiten. 35 Verweigert der Schuldner seine Mitwirkungspflichten, stellt dies einen Grund dar, über die Beendigung der Eigenverwaltung zu entscheiden, § 272 InsO.74) Grundlage hierfür ist zunächst die Anzeige drohender Nachteile75) durch den Sachwalter an das Insolvenzgericht sowie den Gläubigerausschuss bzw. die Gläubiger mit Insolvenzforderungen und absonderungsberechtigte Gläubiger, § 274 Abs. 3 InsO, sofern kein Gläubigerausschuss bestellt ist. Die Entscheidung über den Pflichtenverstoß und die Konsequenzen liegt dann bei den Gläubigern.76) Zwingend ist die Entscheidung über die Beendigung der Eigenverwaltung aber nicht. 4.
Organisation der Überwachung
36 In Unternehmensinsolvenzen ist neben rechtlichen Kenntnissen auch unternehmerisches Geschick erforderlich, um den Schuldner bei der Ausübung der ihm zustehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu überwachen, ohne den Geschäftsbetrieb über die Maßen einzuschränken. Der Pflichtenkanon des Sachwalters gerade in einer Großinsolvenz ist zu weit, um die hieraus resultierenden Aufgaben persönlich wahrzunehmen. Regelmäßig sind dem Sachwalter auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten des Unternehmens zu Beginn des Verfahrens nicht bekannt. Für die Überwachung der Geschäftsführung benötigt er schnell belastbare Informationen aus Buchhaltung, Rechtsabteilung und Personalabteilung. Für deren Überwachung muss er auf Mitarbeiter der Controlling-Abteilung des Unternehmens zurückgreifen können. Dass er sich hierbei eines Teams aus eigenen oder hinzugezogenen Mitarbeitern bedient, ist selbstverständlich. 37 Rechtlich muss der Sachwalter – in Anlehnung an die Formulierungen von § 347 HGB (Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns), § 93 Abs. 1 AktG und § 43 GmbHG – bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sachwalters anwenden.77) Dabei ist zu berücksichtigen, dass ihm gegenüber dem Insolvenzverwalter wesentlich eingeschränkte Befugnisse zugewiesen sind. Für ein Verschulden von Angestellten des Schuldners wird, soweit diese i. R. ihrer bisherigen Tätigkeit eingesetzt werden müssen und nicht offensichtlich ungeeignet sind, eine Haftung des Sachwalters grundsätzlich ausgeschlossen. Den Verwalter trifft dann aber eine allgemeine Überwachungspflicht,78) wobei unklar ist, inwieweit der Sorgfaltsmaßstab für die Grundpflichten des Sachwalters i. E. gelockert ist.79) ___________ 74) 75) 76) 77) 78) 79)
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Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, § 274 Rz. 55. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 54. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 54. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 8; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 9. Vgl. Ausschussbericht z. § 71 Abs. 2, abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 141. Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 34.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
Eine abstrakte „Blaupause“ kann diese Vorgabe aufgrund der vielfach unterschiedlichen 38 Unternehmensstrukturen, Größen und Besonderheiten des Einzelfalls nicht erfüllen. Die Aufgaben bei der Fortführung bspw. einer Drogeriemarktkette unterscheidet sich von der eines Kraftwerkbauers mit einer professionellen Konzernrechtsabteilung oder anderer Filialisten, diese von mittelständischen Unternehmen oder einem Krankenhausbetrieb i. R. einer gemeinnützigen Stiftung. In größeren Insolvenzverfahren bietet es sich an, wichtige Themen in regelmäßigen Geschäftsführungsbesprechungen („Jour Fixe“), an denen alle leitenden Angestellten teilnehmen, zu erörtern und Aufgaben zu verteilen, deren Umsetzung durch ein wirksames Task Management überwacht wird. Ist erkennbar, dass Personen ungeeignet sind oder geforderte Unterlagen und Ergebnisse nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, muss der Sachwalter hierauf reagieren und auf Veränderungen im Management des Schuldners dringen. Für Schwerpunktthemen können Arbeitsgruppen gebildet werden, die an die Geschäfts- 39 führung und den Sachwalter zu berichten haben. In mehreren Eigenverwaltungen wurden gute Erfahrungen mit Arbeitsteams für bestimmte Aufgabenstellungen gemacht, wie etwa für die Erstellung der Liquiditätsplanung unter Berücksichtigung insolvenzrechtlicher Besonderheiten, die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Themen, Insolvenzplanerstellung, insolvenzrechtliche Steuerthemen bspw. zum Sanierungsgewinn, Kommunikation und Pflege der Lieferanten- und Kundenbeziehungen sowie bei Konzerninsolvenzen, für Tochtergesellschaften und internationale Themen wie internationale Großprojekte oder Rechtsstreitigkeiten. Für die Organisation dieser In-House-Teams ist in der Eigenverwaltung grundsätzlich der Schuldner verantwortlich, der Sachwalter sollte aber Gelegenheit haben, hieran mitzuwirken. Ist absehbar, dass die Anzahl und Komplexität der Aufgabenstellungen die Mitarbeiter überfordern, kann es empfehlenswert sein, in Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss professionelle Berater für Schwerpunktthemen einzuschalten, insbesondere insolvenzerfahrene Unternehmensberater, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder M&A-Spezialisten für die Veräußerung bspw. von Tochtergesellschaften. VI.
Begründung von Verbindlichkeiten im Geschäftsbetrieb
1.
Zustimmungsvorbehalte und Widerspruchsrechte nach § 275 InsO
Die dem Sachwalter auferlegte Pflicht, die Geschäftsführung des Schuldners sowie ggf. 40 seine Ausgaben für die Lebensführung gemäß § 278 InsO zu überwachen, wird durch konkrete Einflussmöglichkeiten nach §§ 275 – 277 InsO ergänzt. Die Vorschriften sehen abgestufte Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse vor,80) die einerseits bewirken sollen, dass der Schuldner und sein Unternehmen weitgehend ungehindert durch Eingriffe der Gläubiger oder eines Verwalters weiterarbeiten können, andererseits sicherstellen, dass die Eigenverwaltung nicht dazu genutzt wird, die Haftungsmasse zulasten der Gläubiger auszuhöhlen81) Grundsätzlich wird es dem Schuldner gestattet, Verbindlichkeiten, die zum gewöhn- 41 lichen Geschäftsverkehr gehören, nach Anordnung der Eigenverwaltung einzugehen, § 275 Abs. 1 InsO. Widerspricht der Sachwalter, soll der Schuldner diese unterlassen. Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr gehören, sollen nur mit Zustimmung des Sachwalters begründet werden. Will der Schuldner Rechtshandlungen vornehmen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind, so hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, § 276 InsO. Nach § 277 InsO kann sodann das Insolvenzgericht weitere Vorgaben machen und anordnen, dass bestimmte ___________ 80) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 1. 81) Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 275 Rz. 1.
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§ 12
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Rechtsgeschäfte nur wirksam sind, wenn der Sachwalter zustimmt. Stimmt der Sachwalter zu und wird dadurch eine Masseverbindlichkeit begründet, so erweitert dies auch den bestehenden Haftungsrahmen des Sachwalters. Wird die Masseverbindlichkeit nicht erfüllt, so kann sich der Sachwalter gemäß § 61 InsO schadensersatzpflichtig machen. 42 Im Einzelfall schwierig ist die Abgrenzung, ob ein Geschäft noch dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb i. S. des § 275 InsO unterfällt. Die Unterscheidung soll grundsätzlich nicht von der wirtschaftlichen Bedeutung als vielmehr davon abhängen, ob die Geschäfte nach Art und Umfang des einzelnen Rechtsgeschäfts z. B. zur normalen Geschäftsfortführung zählen.82) Außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs stehen sicherlich Grundstücksgeschäfte, die Belastung von Immobilien, die Aufnahme von Darlehen, der Verzicht auf Forderungen, der Kauf von neuen Maschinen, die Einstellung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern sowie die Aufnahme von Massekrediten. In der Literatur wird vorgeschlagen, ähnlich wie in § 116 HGB für die OHG vorgesehen, jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Handlungen gewöhnlich der Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt. Im Zweifel sind dies alle Geschäfte, die den Unternehmensgegenstand verwirklichen.83) Geht ein Geschäft darüber hinaus, muss ein Beschluss der Gesellschafter eingeholt werden. Besteht Unsicherheit über die Qualifizierung einer Maßnahme, sollte immer der Sachwalter beigezogen werden. Die Verzögerung von Entscheidungen und die öffentliche Auseinandersetzung über Kompetenzfragen würden nicht zuletzt das Vertrauen der Kunden und Lieferanten in den Erfolg der Eigenverwaltung schnell zerstören. Im Zweifel können Sachwalter und Schuldner auch einvernehmlich eine konkrete Wertgrenze vereinbaren, sofern das Gericht nicht bereits gemäß § 277 Abs. 1 InsO Vorgaben gemacht hat. 43 Zustimmung i. S. von § 275 InsO ist grundsätzlich nur die Einwilligung, § 183 InsO,84) also die Erklärung des Sachwalters zu einer Rechtshandlung vor der Weiterleitung an den Vertragspartner.85) Alles andere würde Sinn und Zweck der Regelungen widersprechen. Entsprechend muss der Schuldner den Sachwalter auch aktiv und v. a. rechtzeitig darüber informieren, wenn er Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr gehören, eingehen will oder hieran Zweifel hat. Die Zustimmung nach § 275 InsO kann grundsätzlich formfrei erklärt werden.86) 44 Legt der Schuldner Rechtsgeschäfte zur Entscheidung vor, so hat der Sachwalter nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung über die Vertretbarkeit des Rechtsgeschäfts zu entscheiden. Im Rahmen seiner Zustimmungsbefugnis ist der Sachwalter auch unabhängig von der Entscheidung des Gläubigerausschusses.87) Weder der Gläubigerausschuss oder die Gläubigerversammlung noch das Insolvenzgericht haben ein Weisungsrecht zur Zustimmungserteilung gegenüber dem Sachwalter.88) Handelt der Sachwalter aber bspw. im Interesse einzelner Gläubiger oder mangels ausreichender Geschäftskunde den Interessen der Gläubiger zuwider oder verletzt er sonst das Neutralitätsgebot, so ist das Insolvenzgericht verpflichtet, seiner Aufsichtspflicht gemäß § 58 InsO nachzukommen. ___________ 82) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 2. 83) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 8; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 275 Rz. 3; Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 7; Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 10. 84) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. 85) Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 13; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 275 Rz. 3; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. 86) Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 13 m. w. N. 87) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 5; Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 15. 88) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7 m. w. N.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters 2.
§ 12
Widerspruchsrechte und Folgen der fehlenden Zustimmung nach § 275 InsO
Der Schuldner kann, wie vorstehend ausgeführt, grundsätzlich allein Verbindlichkeiten 45 auslösen, die sich aus seinem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb ergeben. Dem Sachwalter steht lediglich ein Widerspruchsrecht zu. Der Widerspruch ist gegenüber dem Schuldner zu erklären oder bei juristischen Personen gegenüber dem Organ. Das Gesetz sieht keine zwingende Bindung des Schuldners an den Widerspruch vor. Der Schuldner riskiert aber eine öffentliche Diskussion über die Beendigung der Eigenverwaltung nach Anzeige durch den Sachwalter an das Insolvenzgericht und den Gläubigerausschuss bzw., sofern nicht vorhanden, an die Gläubiger i. S. von § 274 InsO. Die Anzeige nach § 274 InsO liegt grundsätzlich im Ermessen des Sachwalters, bei schwerwiegenden Verstößen wird sich das Ermessen aber zur Anzeigepflicht reduzieren, mit der Folge von Schadensersatzansprüchen gegen den Sachwalter, sofern er der Verpflichtung nicht nachkommt. Alternativ kann die Verfügungsmacht durch das Insolvenzgericht nach außen hin beschränkt werden, § 277 InsO – siehe dazu Rz. 57 ff. Auf die rechtliche Wirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis hat es grundsätzlich 46 keinen Einfluss, wenn der Schuldner ohne die erforderliche Zustimmung oder trotz eines Widerspruchs nach § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO handelt. Das wird mit dem Vertrauensschutz der weiteren Beteiligten begründet. Ein Vertragspartner des Schuldners soll in seinem Vertrauen auf dessen Handlungsfreiheit geschützt werden, mit der Folge, dass die Rechtshandlungen grundsätzlich wirksam sind.89) Das gilt jedenfalls so lange, wie sich nicht offensichtliche Hinweise auf die Insolvenzzweckwidrigkeit eines Geschäfts ergeben, etwa durch kollusives Zusammenwirken von Schuldner und Vertragspartner zum Nachteil der Gläubiger. In diesen Fällen sind, unabhängig von der Zustimmung des Sachwalters, §§ 138, 826 BGB einschlägig, mit der Folge der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts90) sowie von Schadensersatzansprüchen auch gegenüber dem Vertragspartner.91) Die Schwelle dafür soll aber hoch liegen, da sich der Dritte darauf verlassen können soll, dass der Schuldner die Rechte des Sachwalters beachtet.92) VII. Kassenführungsrecht des Sachwalters Eine weitere effektive Einflussmöglichkeit des Sachwalters besteht aufgrund des Kassen- 47 führungsrechts. Der Sachwalter kann gemäß § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung des Schuldners an sich ziehen. Alle eingehenden Gelder sind sodann nur noch vom Sachwalter entgegenzunehmen, alle Zahlungen nur durch ihn zu leisten. Der Sachwalter richtet dazu eine Hinterlegungsstelle nach den Vorgaben des § 149 InsO ein. Die Übernahme der Kassenführung soll unwirtschaftliche Bargeschäfte des Schuldners ausschließen, rechtswidrige Geldabflüsse verhindern und die Aufnahme von Krediten ohne Zustimmung des Sachwalters verhindern.93) Einer förmlichen Entscheidung des Insolvenzgerichts oder der Zustimmung des Schuld- 48 ners zu der Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter bedarf es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht. Die Entscheidung hierüber liegt allein im pflichtgemäßen Ermessen des Sachwalters.94) Als Anlass kann bereits die Annahme genügen, der Ver___________ 89) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 6; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 5; Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 22; Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 18 m. w. N. 90) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 6 m. w. N. 91) Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 18; Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 275 Rz. 6. 92) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 5. 93) Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 19. 94) Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 20; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 25; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
bleib der Kassenführung führe zu einer Gefährdung von Gläubigerbelangen oder zu einer ungleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger, bspw. aufgrund bevorstehender Masseunzulänglichkeit. Eine konkrete Gefährdung der Gläubigerinteressen muss nach wohl einhelliger Meinung in der Kommentarliteratur nicht vorliegen, ebenso wenig eine Begründungspflicht gegenüber dem Schuldner.95) Sofern konkrete Hinweise auf eine Gefährdung von Gläubigerinteressen vorliegen, kann sich das Ermessen des Sachwalters zu einer Verpflichtung konkretisieren.96) Das Ansichziehen der Kassenführung ist gegenüber der Anregung, die Eigenverwaltung aufzuheben, ggf. auch das geringere und angemessene Mittel. 49 Die Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter begründet für den Schuldner nicht nur die Pflicht, keine Gelder mehr in Empfang zu nehmen und Zahlungen zu unterlassen, sondern auch die Verpflichtung, erlangte Gelder an den Sachwalter auszuhändigen, Drittschuldner über den Übergang der Kassenführung zu informieren und alle Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Sachwalter die Kassenführung zu ermöglichen.97) Andernfalls würde das Kassenführungsrecht leerlaufen. Die Übernahme der Kassenführung hat keinen Einfluss darauf, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleibt. Der Sachwalter handelt nach ganz überwiegender Auffassung als gesetzlicher Vertreter des Schuldners aufgrund gerichtlicher Anordnung der Eigenverwaltung,98) wobei die Vertretungsbefugnis grundsätzlich beschränkt ist auf die Entgegennahme und Auszahlung von Geldern. Im Sachzusammenhang hiermit steht die Befugnis, Quittungen zu erteilen und Zahlungsaufforderungen sowie Mahnungen auszusprechen, nicht jedoch weitergehende Verfügungen über die Forderung.99) Insbesondere bleibt die Befugnis, offene Forderungen einzuklagen, beim Schuldner, ebenso die Aufrechnungsbefugnis oder der Abschluss von Vergleichen oder (Teil-)Erlassen,100) wobei diese dann jeweils dem Zustimmungserfordernis des Sachwalters unterliegen können.101) Klagen auf Zahlung von Masseverbindlichkeiten sind gegen den insoweit prozessführungsbefugten Schuldner zu führen.102) 50 Die Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter führt zwar dazu, dass der Schuldner hierüber die Befugnis verliert, also nicht mehr verfügen bzw. keine Gelder mehr in Empfang nehmen darf. Zahlungen Dritter an den Schuldner haben im Außenverhältnis aber weiter schuldbefreiende Wirkung; entsprechendes gilt für Zahlungen des Schuldners.103) Ein solches Verhalten bietet aber ggf. einen Anlass für die Unterrichtung der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses mit weitergehenden Folgen bis hin zur Aufhebung der Eigenverwaltung. 51 Bei der Wahrnehmung der Aufgaben ist der Sachwalter als gesetzlicher Vertreter unabhängig von den Weisungen des Schuldners.104) Als solcher ist er aber grundsätzlich verpflichtet, alle vom Schuldner ausgelösten Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Nur wenn ___________ 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104)
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Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 25. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 22. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 23. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 26; Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 26; Riggert, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 275 Rz. 6. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 32; Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 27. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8. Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8; Foltis in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 33; Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 27. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 275 Rz. 14. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
absehbar ist, dass er nicht alle Verbindlichkeiten befriedigen kann, hat er die Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu veranlassen und diese unbezahlt zu lassen.105) Daraus kann sich im Einzelfall Konfliktpotential ergeben, wenn der Schuldner bspw. gegen den Widerspruch des Sachwalters Verbindlichkeiten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr oder – außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs – ohne dessen Zustimmung begründet hat, die zur Zahlung vorgelegt werden. In der Entgegennahme dieser Gelder oder der daraufhin ausgelösten Zahlung liegt ohne weitere Erklärung des Sachwalters aber keine Genehmigung des Rechtsgeschäfts.106) Die Verantwortlichkeit für die von ihm rechtswirksam ausgelösten Masseverbindlichkeiten verbleibt in jedem Falle allein beim Schuldner.107) VIII. Besondere Zustimmungserfordernisse 1.
Mitwirkung des Gläubigerausschusses
Die Zustimmung des Sachwalters zu einer Maßnahme des Schuldners genügt nicht für alle 52 Geschäftsvorfälle. Zusätzlich zur Zustimmung des Sachwalters ist vom Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn Rechtshandlungen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind, zur Entscheidung anstehen. Die Qualifikation als bedeutsame Rechtshandlung bestimmt sich nach § 160 Abs. 2 InsO und den dort genannten Regelbeispielen, wie etwa Veräußerung des Unternehmens oder eines Betriebs, des Warenlagers im Ganzen, der Beteiligung des Schuldners an einem anderen Unternehmen, die Aufnahme von Darlehen oder die Führung eines Rechtsstreits von erheblicher Bedeutung. In der Sache handelt es sich daher um solche Geschäfte, die auch im Regelinsolvenzverfahren der Zustimmung des Gläubigerausschusses bedürfen. Diese Regelbeispiele sind nicht abschließend. Als zustimmungspflichtig werden alle Geschäfte definiert, die nach Art und Umfang der einzelnen Verpflichtung aber auch aufgrund der Besonderheit für das individuelle Schuldnerunternehmen von besonderer Bedeutung sind.108) Dazu zählen bspw. ungewöhnlich hohe Investitionen in den Geschäftsbetrieb, der Abschluss besonders lang laufender Verträge oder ein außergewöhnlich hohes Bestellvolumen i. R. des Geschäftsbetriebs.109) Die Qualifikation als eine nicht gewöhnliche Verbindlichkeit nach § 275 InsO reicht für die Annahme einer besonders bedeutsamen Verpflichtung des Schuldners alleine nicht aus.110) Dem Wortlaut der Vorschrift nach ist eine Zustimmung vor der Durchführung der 53 Maßnahme einzuholen. In der Literatur wird kontrovers diskutiert, ob nicht auch hier eine Genehmigung möglich sein soll. Dagegen spricht zunächst jedenfalls der Wortlaut,111) dafür die Gesetzesmaterialien, wonach sich keine Hinweise auf eine Änderung der noch unter Konkursrecht möglichen Genehmigungsmöglichkeiten durch den Gläubigerausschuss finden lassen.112) Ebenso wird nicht einheitlich erörtert, ob neben der Zustimmung des Gläubigerausschusses zusätzlich die Zustimmung des Sachwalters erforderlich ist oder nicht.113) ___________ Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28 m. w. N. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 8; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 2. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 8. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 2. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 5. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 9; i. E. so auch Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 3; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 9. 113) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 6; a. A. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 1; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 10.
105) 106) 107) 108) 109) 110) 111) 112)
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
54 Ist kein Gläubigerausschuss bestellt, so hat in vorstehenden Fällen die Gläubigerversammlung zuzustimmen, § 276 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO. Den Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung sollen nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO sowohl der Schuldner als auch der Sachwalter berechtigt sein zu stellen (siehe Rz. 85),114) was aber nicht unumstritten ist.115) 55 Wie bereits für die Zustimmung des Sachwalters ist auch hier unter der Maßgabe, dass keine anderen Unwirksamkeitsgründe vorliegen, das Fehlen oder die Verletzung von Mitwirkungshandlungen des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung kein Unwirksamkeitsgrund für eine Rechtshandlung.116) Die fehlende Zustimmung lässt die Wirksamkeit einer Maßnahme im Außenverhältnis unberührt, wie sich aus dem Verweis des § 276 auf § 164 InsO ergibt. Der Schuldner geht allerdings das Risiko ein, dass die Aufhebung der Eigenverwaltung durch den Sachwalter angeregt, § 274 Abs. 3 InsO, oder die Zustimmungspflicht nach § 277 InsO beantragt wird. Ist eine Zustimmung nach § 277 InsO vorgesehen und liegt sie nicht vor, führt dies zur Nichtigkeit der Rechtshandlung. Hierbei ist jedoch immer darauf hinzuweisen, dass bei einer echten Gefährdung der Gläubigerinteressen die Beendigung der Eigenverwaltung und nicht die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit das geeignete Mittel ist. 56 Trotz Zustimmung des Gläubigerausschusses kann die Situation eintreten, dass einzelne Gläubiger den Beschluss nicht mittragen wollen. Wollen einzelne Gläubiger die Vornahme einer Rechtshandlung vorläufig untersagen, bleibt ihnen ein Antrag nach § 276 Satz 2 i. V. m. § 161 Satz 2 InsO an das Insolvenzgericht. Das Insolvenzgericht kann auf Antrag von mindestens fünf absonderungsberechtigten Gläubigern oder nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern, deren Absonderungsrechte und Forderungen zwei Fünftel der Summe ausmachen, die sich aus dem Wert aller Absonderungsrechte bzw. Forderungsbeträge ergibt, die Rechtshandlung nach Anhörung des Schuldners vorläufig untersagen. Es entscheidet dann abschließend die Gläubigerversammlung. 2.
Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO
57 Wie vorstehend bereits ausgeführt (siehe Rz. 41), sieht das Gesetz zum Schutz der Gläubiger vor typischerweise mit der Eigenverwaltung verbundenen Gefahren auch die Möglichkeit vor, die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte an die Zustimmung des Sachwalters zu koppeln. Voraussetzung ist ein Antrag der Gläubigerversammlung; in Eilfällen zur Abwendung von Nachteilen für die Gläubiger kann auch ein einzelner Gläubiger den Antrag stellen, § 277 Abs. 2 InsO. Dem Sachwalter wurde hierfür keine Antragsbefugnis eingeräumt.117) 58 Der Antrag muss erkennen lassen, welche konkreten Rechtsgeschäfte der Zustimmung bedürfen. Zulässig ist auch, die Zustimmungspflicht auf eine bestimmte Gruppe von Geschäften zu beschränken, wie bspw. Grundstücksgeschäfte oder Rechtsgeschäfte mit einem bestimmten Volumen oder etwa besonders bedeutsame Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO. Folgt das Gericht der Anregung, dann ist die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit öffentlich bekannt zu machen und die Verfügungsbeschränkungen in den zuständigen Registern einzutragen, § 277 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO. Die Eintragung der Verfahrenseröffnung in die Grundbücher des Schuldners gemäß § 32 InsO und andere Register i. S. des ___________ 114) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 11; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 14. 115) Vgl. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 8 und § 274 Rz. 17 – nur der Schuldner. 116) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 6; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 19; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 13. 117) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 277 Rz. 2.
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§ 33 InsO erfolgt – für die Dauer der Eigenverwaltung – im Übrigen nicht, § 270c Satz 3 InsO.118) Der Beschluss mit der Anordnung der Verfügungsbeschränkung ist im Übrigen nicht rechtsmittelfähig, § 6 InsO; unterliegt aber bei einer Entscheidung – wie im Regelfall durch den Rechtspfleger – der Rechtspflegererinnerung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG.119) Vereinzelt haben Gerichte bereits im Beschluss über die Anordnung der Eigenverwaltung 59 gemäß § 277 InsO dem Schuldner konkrete Schranken für dessen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gesetzt. Die Anordnung einer umfassenden Zustimmungsbedürftigkeit von Amts wegen wurde erstmals durch das AG Duisburg in der Babcock BorsigInsolvenz vorgenommen. Seinerzeit wurde angeordnet, dass alle Rechtshandlungen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörten, zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Sachwalters bedurften. Das Gericht argumentierte mit einer analogen Anwendung von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 24 Abs. 1, § 277 Abs. 1 InsO. Der Beschluss des AG Duisburg ist in der Literatur sehr kontrovers diskutiert worden.120) Teilweise haben Insolvenzgerichte – nach vorheriger Anhörung des Schuldners und des Sachwalters – bereits mit Anordnung der Eigenverwaltung konkrete Höchstgrenzen formuliert. Alle außerhalb des so definierten Rahmens getätigten Rechtsgeschäfte sollte der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen können. Der Beschluss lautete etwa wie folgt: „Es wird Eigenverwaltung angeordnet. Die Schuldnerin ist berechtigt, unter der Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 – 285 InsO). Es werden folgende Beschränkungen angeordnet: […] Alle eingehenden Gelder dürfen nur vom Sachwalter entgegengenommen werden. Zahlungen dürfen nur vom Sachwalter geleistet werden. Jegliche Verfügung der Schuldnerin über ihren Grundbesitz bedarf der Zustimmung des Sachwalters. Rechtsgeschäfte mit einem Wert von mehr als […] EUR bedürfen der Zustimmung des Sachwalters. Zum Sachwalter wird ernannt […]“ Sachwalter und Schuldner, aber auch insbesondere den Lieferanten werden so konkrete 60 Leitlinien für den weiteren Geschäftsbetrieb gegeben. Der Beschluss präzisiert die Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und nicht mehr gewöhnlichen Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsbetrieb und damit v. a. die Kompetenzen zwischen den Beteiligten auch im Außenverhältnis zu Lieferanten und Kunden. Die Gläubigerversammlung hat in diesen Fällen die Anordnung der Zustimmungsvorbehalte jeweils genehmigt. In der Literatur wird die Anordnung von Amts wegen aber kontrovers erörtert.121) Wesentliche Rechtsfolge des Beschlusses nach § 277 InsO ist, dass Vertragspartner des 61 Schuldners – anders als im Regelfall bei Nichtbeachtung dieser Schranken – nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit des schuldnerischen Handelns vertrauen können. Das gilt jedenfalls für Rechtsgeschäfte über bewegliche Gegenstände und Forderungen, wie sich aus dem Verweis auf § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO ergibt. Rechtsgeschäfte, die unter das Zustimmungserfordernis des § 277 InsO fallen, sind daher ohne eine solche Erklärung auch im Außenverhältnis absolut (schwebend) unwirksam. Anders als im Regelfall nach § 275 InsO soll die Genehmigung durch den Sachwalter nach §§ 184, 185 BGB – oder ggf. er___________ 118) Vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270c Rz. 6; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270c Rz. 7; Pape, in: KPB, InsO, § 270c Rz. 10. 119) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 277 Rz. 6 m. w. N. 120) Ein Überblick findet sich bspw. bei Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 67 ff. 121) Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 277 Rz. 2; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 3; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 277 Rz. 4 m. w. N.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
setzt durch Beschluss der Gläubigerversammlung122) – aber zulässig sein.123) Die nachträgliche Verweigerung der Genehmigung führt zur endgültigen Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts. 62 Eine Ausnahme besteht zum einen für Registerrechte. Für Registerrechte besteht der Gutglaubensschutz über die Verfügungsbefugnis des Schuldners fort. Das folgt aus der Verweisung in § 277 Abs. 1 auf § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO. Ein gutgläubiger Erwerb von einem im Grundbuch, Schiffsregister oder Luftfahrzeugregister eingetragenen, tatsächlich aber in seiner Verfügungsmacht beschränkten Schuldner ist unter den Voraussetzungen der §§ 892, 893 BGB weiter möglich. 63 Eine weitere Ausnahme ist für Leistungen an den Schuldner geregelt, soweit für das zugrunde liegende Geschäft die Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO angeordnet worden ist,124) § 277 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 82 InsO. Leistungen zwecks Erfüllung eines Rechtsgeschäfts können also weiter schuldbefreiend an den Schuldner erbracht werden, auch wenn für das zugrunde liegende Geschäft die Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO angeordnet worden ist.125) Einzelheiten hierzu, insbesondere zur Beweislast, folgen aus § 82 InsO. Die Bekanntmachung der Verfügungsbeschränkung führt zur Umkehr der Beweislast; der Dritte muss nachweisen, von der Verfügungsbefugnis keine Kenntnis gehabt zu haben. Kann er dies nicht, so befreit ihn die Leistung an den Schuldner nicht von seiner Verbindlichkeit. 64 Der Sachwalter erteilt die Zustimmung zu Rechtsgeschäften grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung.126) Aus der auf Grundlage von § 277 InsO erteilten Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten können sich für den Sachwalter weitergehende Haftungsfragen ergeben. Mit der nach § 275 InsO erteilten Zustimmung ergeben sich Haftungsrisiken, soweit der Sachwalter schuldhaft ihm obliegende Pflichten verletzt, § 60 InsO. Nach einer Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten auf Grundlage eines Beschlusses gemäß § 277 InsO kann sich eine persönliche Haftung ergeben, wenn diese nicht erfüllt werden, § 61 InsO.127) Der Sachwalter hat daher immer zu prüfen, ob die mit seiner Zustimmung begründeten Masseverbindlichkeiten aus dem vorhandenen oder voraussichtlichen künftigen Massebestand gedeckt werden können. Die Prüfungspflicht des Sachwalters geht also dahin, nicht nur die Vertretbarkeit des Rechtsgeschäfts für die Gläubiger zu prüfen, sondern auch dessen Erfüllbarkeit.128) Maßstab der Prüfung ist auch hier die Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters. 3.
Zustimmung zu Änderungen in der Geschäftsführung
65 In der Literatur war umstritten, inwieweit nach Anordnung der Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren gesellschaftsrechtliche Bindungen des Schuldnerorgans zur Gesellschaft weiterbestehen.129) § 276a InsO löst die Frage dahin gehend auf, dass Überwachungsorgane juristischer Personen im eröffneten Insolvenzverfahren130) keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners haben. Überwachungsorgane i. S. der Vor___________ 122) 123) 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130)
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Foltis, in: Wimmer, InsO, § 277 Rz. 10. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 6. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 277 Rz. 42. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 277 Rz. 42. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 6. Ausf.: Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 10. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 5, und Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 50 ff. Abl. zum Insolvenzeröffnungsverfahren: Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 23.
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schrift sind Aufsichtsrat und Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung. Grundgedanke der Regelung ist, dass die Überwachungsorgane bei Eigenverwaltung im Wesentlichen keine weiter gehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben sollen als bei Bestellung eines Insolvenzverwalters.131) Die Führung der Geschäfte ist in dieser Situation an den Interessen der Gläubiger auszurichten; Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung überwachen die wirtschaftlichen Entscheidungen der Geschäftsleitung, eine zusätzliche Überwachung durch die Organe des Schuldners erschien dem Gesetzgeber nicht erforderlich. Die Befugnis zur Abberufung und zum Austausch von Vorstandsmitgliedern bzw. Ge- 66 schäftsführern wurde den Gesellschaftsorganen nicht genommen, da Wechsel in der Geschäftsleitung auch während eines Insolvenzverfahrens aus den verschiedensten Gründen erforderlich sein können.132) Um einen missbräuchlichen Austausch der Geschäftsleitung zu verhindern und die Unabhängigkeit der Geschäftsleitung von den übrigen Gesellschaftsorganen zu stärken, sieht § 276a Satz 2 InsO vor, dass für Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung die Zustimmung des Sachwalters Wirksamkeitsvoraussetzung ist.133) Liegt die Zustimmung des Sachwalters nicht vor, ist die Abberufung oder Bestellung nichtig. Adressat der Zustimmung, die in der jeweils gesellschaftsrechtlich erforderlichen Form zu erteilen ist,134) ist in diesen Fällen Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung oder das entsprechende Organ, das über die Bestellung oder Abberufung entscheidet. Die Zustimmung darf vom Sachwalter allerdings nur verweigert werden, wenn die Maß- 67 nahme zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, § 276a Satz 3 InsO. Um eine belastbare Zustimmungsentscheidung zu ermöglichen, sollen bezüglich der Beweggründe für den Austausch sowie die Neubestellung und insbesondere zur Qualifikation des neuen Organs konkrete Informationspflichten gegenüber dem Sachwalter bestehen, die aus §§ 97, 98, 101 InsO abgeleitet werden.135) Werden die Informationen durch die maßgeblichen Gesellschaftsorgane nicht erteilt oder erscheint der Austausch willkürlich, kann in einem funktionierenden Eigenverwaltungsverfahren der Wechsel von Geschäftsführen als nachteilig angesehen werden.136) Im Streitfall hierüber hat der Sachwalter die Beteiligten gemäß § 274 Abs. 3 InsO zu informieren.137) Das Zustimmungserfordernis begründet jedenfalls keine Befugnis des Sachwalters, die Geschäftsführung selbst auszutauschen oder zu ergänzen.138) 4.
Zustimmungspflichten und Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters
Wie bereits oben (siehe Rz. 14) ausgeführt, sind im Insolvenzeröffnungsverfahren für den 68 vorläufigen Sachwalter die Befugnisse des Sachwalters gemäß § 274 und § 275 InsO kraft Verweises in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO maßgeblich. Demnach geltend grundsätzlich die Ausführungen zu § 275 InsO. Auf die in § 277 InsO vorgesehenen Zustimmungsvorbe___________ 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 30; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 276a InsO Rz. 10. Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 31; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 276a InsO Rz. 9. Ausf.: Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Römermann, NJW 2012, 645, 650; Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 8, 34 ff. Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 276a InsO Rz. 10; Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 30 ff. Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 8, 28.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
halte wurde nicht verwiesen. Das schließt nicht aus, dass nicht doch weitergehende Zustimmungsvorbehalte im Insolvenzeröffnungsverfahren durch das Insolvenzgericht angeordnet werden können. Foltis weist darauf hin, dass es eines Verweises auf § 277 InsO nicht bedurfte: Dem Insolvenzgericht stehen mit § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO – mit Ausnahme der vorläufigen Insolvenzverwaltung – alle Anordnungsmöglichkeiten im Eröffnungsverfahren weiter zu.139) Nach dem Wortlaut des § 270a InsO ist nur die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes oder eines umfassenden Zustimmungsvorbehalts durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter faktisch ausgeschlossen.140) Einzelanordnungen, die unterhalb der Schwelle des § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO liegen, sollen i. R. des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO hingegen weiter zulässig sein.141) Keine grundsätzlichen Beschränkungen ergeben sich auch für den Erlass weiterer Sicherungsmaßnahmen, mit denen nicht in Verfügungsrechte des Schuldners eingegriffen wird, etwa § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 5 InsO sowie die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses.142) 69 Aus dem Verweis auf die Regelungen in §§ 274, 275 InsO, wonach der vorläufige Sachwalter die Befugnisse hat, die dem Sachwalter zustehen, wird gefolgert, der Schuldner habe grundsätzlich die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters mit der Befugnis, im Umfang des § 275 InsO Masseverbindlichkeiten zulasten der späteren Insolvenzmasse gemäß § 55 Abs. 2 InsO zu begründen; dies jedenfalls in den Fällen, in denen die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht auf den Sachwalter überging, weil diesem das Kassenführungsrecht nach § 275 Abs. 2 InsO übertragen wurde bzw. eine Einzelanordnung des Gerichts nach § 21 Abs. 1 InsO zugunsten des Sachwalters beschlossen wurde.143) 70 Die Haltung der Gerichte zu diesen Fragestellungen ist uneinheitlich, der BGH hatte die Frage hinsichtlich § 270a InsO in einer Entscheidung zum Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ausdrücklich offengelassen.144) Das AG Hamburg145) vertrat die Auffassung, nur der vorläufige Sachwalter sei zur Begründung von Masseverbindlichkeiten berechtigt und rekurrierte dabei u. a. auf § 270b Abs. 3 InsO: Eine § 270b Abs. 3 InsO entsprechende Regelung, wonach der Schuldner ermächtigt werden kann, Masseverbindlichkeiten zu begründen, ist i. R. des § 270a InsO nicht eingefügt worden. Das AG Fulda146) lehnte u. a. mit dieser Begründung eine Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Insolvenzeröffnungsverfahren generell ab, ebenso im Ergebnis das OLG Jena.147) AG Köln, AG München und LG Duisburg lehnen eine Ermächtigung des vorläufigen Sachwalters zur Begründung von Masseverbindlichkeiten u. a. als „systemwidrig“ ab und betonen dabei den Zweck des § 270a InsO, dem Schuldner die Verfügungsbefugnis ___________ 139) AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 24; ähnl. Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 7, 18; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270a InsO Rz. 7; Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1815. 140) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 8, der auch darauf hinweist, dass bei der Auswahl der Sicherungsmaßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. 141) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 18; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270a InsO Rz. 7; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 270a Rz. 16. 142) Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 11 f. 143) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270a Rz. 25 und § 275 Rz. 5; i. E. ebenso: AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899 = ZInsO 2012, 397 f.; AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZIP 2015, 1843 = ZInsO 2015, 1112. 144) BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, Rz. 4, 6, ZIP 2016, 831 = ZInsO 2016, 903. 145) AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787. 146) AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471, ebenso: Riggert, in: Braun, InsO, § 270a Rz. 6. 147) OLG Jena v. 22.6.2016 – 7 U 753/15, ZIP 2016, 1741 – generell keine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
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im Insolvenzeröffnungsverfahren weitestgehend zu erhalten und dem vorläufigen Sachwalter keine Befugnisse einzuräumen, die weiter gehen als die eines Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren.148) Im Ergebnis ist nach dieser Auffassung der Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch das Insolvenzgericht zu ermächtigen,149) hinsichtlich des vorläufigen Sachwalters kommt allerdings ein Zustimmungsvorbehalt in Betracht.150) IX.
Schuldnerrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter
1.
Ausübung der Rechte aus gegenseitigen Verträgen
Der Schuldner erhält mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Verfahren auch 71 die Option, Verträge zu beenden, die er zuvor selbst abgeschlossen hatte.151) Aus Gründen des Gläubigerschutzes darf er diese aber nicht alleine, ohne die Mitwirkung des Sachwalters ausüben. Das Gesetz differenziert im Übrigen weitergehend mit Blick auf die Rechtsfolgen: Hinsichtlich der Erfüllung von Verträgen (§ 103 InsO), der Kündigung von Mietver- 72 trägen (§ 109 InsO) und Dienstverträgen (§ 113 InsO), der Aufstellung eines Sozialplans (§ 123 InsO) oder eines Interessensausgleichs über die zu kündigenden Arbeitnehmer (§ 125 InsO) soll der Schuldner seine Rechte nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben, § 279 InsO. Bei einigen besonderen arbeitsrechtlichen Maßnahmen, wie der Kündigung von Betriebs- 73 vereinbarungen (§ 120 InsO), dem Antrag auf Zustimmung des Arbeitsgerichts zu einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) sowie der Einleitung eines Beschlussverfahrens zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) ist die Zustimmung des Sachwalters zu der Maßnahme erforderlich. Unterschiede ergeben sich im Hinblick auf die Rechtsfolgen: Die arbeitsrechtlichen Erklärungen des Schuldners nach den Vorschriften der §§ 120, 122 und 126 InsO sind nur wirksam, wenn der Sachwalter ihnen konkret zugestimmt hat. Der Schuldner könnte sonst – ohne ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrats – sehr weitgehend in die Rechte einer Vielzahl von Arbeitnehmern eingreifen, weshalb ein besonderes Schutzbedürfnis besteht.152) Der Gesetzgeber hat die Rechte des Schuldners daher gemäß § 279 Satz 3 InsO von der Zustimmung des Sachwalters abhängig gemacht, ohne die deren Ausübung absolut unwirksam wäre. In den Fällen des § 122 und § 126 InsO soll die Zustimmung bis zur gerichtlichen Entscheidung allerdings nachgeholt werden können.153) Übt der Schuldner Rechte nach den sonstigen Vorschriften über die Erfüllung der Rechts- 74 geschäfte und der Mitwirkung des Betriebsrats nach §§ 103 bis 128 InsO aus, berührt das fehlende Einvernehmen des Sachwalters deren Wirksamkeit im Außenverhältnis hingegen grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme kann insbesondere gelten, falls das Insolvenzgericht die Ausübung dieser Rechte bereits nach § 277 InsO unter den Vorbehalt einer Sachwalterzustimmung gestellt hat. ___________ 148) AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788; AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; ebenso: Vallender, GmbHR, 2012, 445, 447, Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 19 ff., und Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 15 ff. 149) I. E. ebenso: OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937 = ZInsO 2015, 2273; LG Hannover v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 6; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 19. 150) AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; i. E. ebenso AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788; Pape, in: KPB, InsO, § 270a Rz. 19. 151) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 2. 152) Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 279 Rz. 4. 153) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 279 Rz. 18; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 4.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
75 Handelt der Schuldner, ohne ein Einvernehmen mit dem Sachwalter hergestellt zu haben, so geht er das Risiko ein, dass diese Verstöße dem Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss oder, sofern nicht vorhanden, den Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO angezeigt werden oder eine Zustimmungspflicht nach § 277 InsO beantragt wird. Entsprechendes gilt, wenn die Ausübung der Rechte aufgrund ihrer besonderen Bedeutung zusätzlich der Mitwirkung des Gläubigerausschusses bedurft hätte. 2.
Verwertung von Sicherungsgut
76 Der Gesetzgeber hat dem Schuldner mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch das Recht eingeräumt, Gegenstände, an denen Sicherungsrechte bestehen, selbst zu verwerten, § 282 InsO. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass i. d. R. die Eigenverwaltung unter Aufsicht des Sachwalters angeordnet wird und Aussichten bestehen, ein Unternehmen durch Insolvenzplan zu sanieren.154) Ein ungehinderter Zugriff der absonderungsberechtigten Gläubiger sollte hier ebenso verhindert werden wie im Regelinsolvenzverfahren. Durch die Entziehung des Verwertungsrechts werden diese Sicherheitengläubiger daran gehindert, eine aussichtsreiche Betriebsfortführung und Sanierung zu vereiteln.155) Im Ergebnis steht dem Schuldner das Recht auf Verwertung von beweglichem Sicherungsgut zu, soll aber i. S. des Gläubigerschutzes und zur Vermeidung der Verschleuderung der Masse im Einvernehmen mit dem Sachwalter erfolgen, § 282 Abs. 2 InsO. 77 Das Verwertungsrecht korrespondiert nicht mit dem Recht des Insolvenzverwalters im regulären Verfahren, einen Gegenstand aus dem Insolvenzbeschlag freizugeben. Die Befugnis zur Freigabe soll nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung aufgrund sonst bestehender Interessenkonflikte ausschließlich dem Sachwalter zustehen,156) spätestens der Gläubigerversammlung im Schlusstermin, § 197 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO. 78 Einzelheiten zu den Verwertungsmöglichkeiten bestimmen sich wie im regulären Insolvenzverfahren nach §§ 165 ff. InsO. Der Schuldner kann demnach wie ein Insolvenzverwalter die mit Absonderungsrechten belasteten beweglichen Gegenstände verwerten, die er im Besitz hat. Nicht in seinem Besitz befindliche Sachen unterliegen dem Verwertungsrecht der Gläubiger. Ebenso kann der Schuldner zur Sicherheit zedierte Forderungen einziehen. Bei der Verwertung hat er den gesicherten Gläubiger über seine Verwertungsabsichten zu unterrichten und ihm Gelegenheit zu geben, auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit hinzuweisen oder selbst den Gegenstand zu übernehmen. Für die Gläubiger ist die Verwertung in der Eigenverwaltung im Übrigen aufgrund der geringeren Kosten interessant. Anders als im Regelinsolvenzverfahren werden nur die tatsächlich für die Verwertung entstandenen Kosten sowie Umsatzsteuer erhoben, da aufgrund der Kenntnisse des Schuldners eine genaue Feststellung der Sicherheiten möglich ist. Im Ergebnis entfällt der Abzug für die Feststellungskosten i. H. von 4 % des Verwertungserlöses bei Mobiliar-Sicherheiten bzw. die Verwertungspauschale von 5 %. 79 Bei der Verwertung von mit Grundpfandrechten belasteten Immobilien kann der Schuldner wie der Insolvenzverwalter nach § 49 InsO den Antrag auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung bzw. die Einstellung der Zwangsversteigerung nach § 30d ZVG bzw. der Zwangsverwaltung nach § 153b ZVG beantragen, um bestehende Sanierungsmöglichkeiten weiter zu nutzen. Soweit Gläubiger zur Aussonderung gemäß §§ 47, 48 InsO berechtigt sind, wird zwar das Aussonderungsrecht durch die Eigenverwaltung nicht ___________ 154) Begr. RegE InsO § 282, abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 399. 155) Pape, in: KPB, InsO, § 282 Rz. 6. 156) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, Vor §§ 270 Rz. 12; i. E. ebenso: Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 74.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
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beeinträchtigt. Der Schuldner kann dann hier, wie der Insolvenzverwalter auch, den Eintritt in die bestehenden Verträge spätestens nach dem Berichtstermin wählen und sodann selektiv entscheiden, welche Betriebsmittel für das Unternehmen und deren Fortführung erforderlich sind bzw. welche Sicherheiten herausgegeben werden sollen.157) Aus Gründen des Gläubigerschutzes soll der Schuldner Sicherungsgut nur im Einver- 80 nehmen mit dem Sachwalter verwerten. Auch hier gilt, dass Verstöße nicht die Unwirksamkeit implizieren. Ein Verstoß kann als ein Umstand zu qualifizieren sein, der Nachteile für die Gläubiger aus der Fortsetzung der Eigenverwaltung erwarten lässt; er ist vom Sachwalter unverzüglich dem Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss oder, sofern nicht vorhanden, den Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO anzuzeigen. Die Verwertungsmaßnahme selbst bleibt im Außenverhältnis gegenüber dem Dritten aber wirksam. Die Regelung ist deshalb auch auf Kritik gestoßen, da sie dem Schuldner im Ergebnis „freie Hand“ lässt.158) Problematisch dürften auch Fälle sein, in denen sich die Frage stellt, ob der Schuldner eine ausreichende Qualifikation für die rechtliche Prüfung der Sicherheitenrechte hat. Neben dem Verkauf bleiben die Abrechnung des erzielten Erlöses und Befriedigung des 81 Schuldners nach Maßgabe von § 170 InsO originäre Aufgabe des Schuldners. Unterbleibt die Abrechnung oder Befriedigung, kann der absonderungsberechtigte Gläubiger nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO den Antrag auf Beendigung der Eigenverwaltung stellen. Dem Sachwalter selbst stehen keine Einflussmöglichkeiten auf das Abrechnungs- und Befriedigungsverhalten des Schuldners zu. Erwartet der absonderungsberechtigte Gläubiger Nachteile aus der Verwertungskompe- 82 tenz des Schuldners, muss er selbst aktiv werden und rechtzeitig den Antrag auf Beendigung der Eigenverwaltung stellen oder als milderes Mittel die Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO beantragen. So könnte die Gläubigerversammlung auch beschließen, das Recht der Verwertung auf den Sachwalter ganz oder teilweise zu übertragen.159) X.
Redepflichten
1.
Unterrichtungspflicht gegenüber Gläubigern über drohende Nachteile aus der Fortsetzung der Eigenverwaltung
Ist absehbar, dass aus der Eigenverwaltung Nachteile drohen, obliegt es dem Sachwalter, 83 das Insolvenzgericht und den Gläubigerausschuss zu informieren. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so hat der Sachwalter die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu informieren. Die Anzeige hat unverzüglich zu erfolgen, nachdem der Sachwalter Umstände festgestellt hat, die erwarten lassen, dass eine Fortsetzung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, § 274 Abs. 3 InsO. Die Mitteilungspflicht dient zum einen der Information des Gerichts. Darüber hinaus sollen die Gläubiger in die Lage versetzt werden, drohenden Schädigungen des eigenverwaltenden Schuldners durch Wahrnehmung des Antragsrechts zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO entgegenzuwirken oder andere Maßnahmen nach bspw. § 277 InsO zu beschließen.160) Da die Anzeige als insolvenzspezifische Pflicht haftungsbewehrt ist, wird der Sachwalter auf drohende Nachteile im eigenen Interesse frühzeitig reagieren müssen. Eine Mitteilungspflicht des Sachwalters wird bereits gesehen, wenn die ___________ 157) Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 282 Rz. 14. 158) Pape, in: KPB, InsO, § 282 Rz. 1. 159) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 282 Rz. 19, unter Verweis auf § 277 Abs. 1 InsO; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 282 Rz. 6 m. w. N. 160) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 69.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Auskunftspflicht nach § 22 Abs. 3, § 97 InsO verletzt wird,161) im Übrigen bei etwa fehlender oder unsachgemäßer Buchführung des Schuldners, zu hohen Entnahmen, Begründung von Masseverbindlichkeiten ohne ausreichende Liquiditätsplanung und Massezulänglichkeitsberechnung sowie unkooperativem Verhalten des Schuldners.162) Da der Sachwalter die Gefährdung der Gläubigerinteressen konkret nachweisen muss, kann als Maßstab für das Bestehen einer Unterrichtungspflicht § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO herangezogen werden.163) 84 Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, müssen alle Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger informiert werden. Hier soll es zulässig sein, die Anzeige analog § 277 Abs. 3 InsO durch das Insolvenzgericht öffentlich bekannt zu machen.164) Alternativ wäre den Gläubigern per Einschreiben die Information zukommen zu lassen. Gerade in Großverfahren ist das mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden, die durch eine öffentliche Bekanntmachung vermieden werden kann. 85 Neben dem Informationsrecht steht dem Sachwalter, wie bereits oben ausgeführt (siehe Rz. 54), nach hier vertretener Auffassung das Recht auf Einberufung und Teilnahme an einer Gläubigerversammlung nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu. Auf der Versammlung kann er nach einer verbreiteten Auffassung entsprechend § 78 InsO wie ein Insolvenzverwalter die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragen, durch den er das gemeinsame Interesse der Gläubiger als verletzt ansieht.165) 2.
Anzeige der Masseunzulänglichkeit
86 Das Eintreten der Masseunzulänglichkeit ist im Verfahren der Eigenverwaltung insbesondere dann problematisch, wenn der Schuldner die Eigenverwaltung als die fortführungsorientierte Sanierungslösung mit einer Besserstellung aller Beteiligten verkündet hat. Der Schuldner wird sich – über die Bezahlung der Neuverbindlichkeiten hinaus – fragen lassen müssen, ob nicht die ursprünglich kostendeckende Masse verwirtschaftet wurde und die Folgen nicht bereits vorher hätten erkennbar sein können, der Gläubigerausschuss, ob er nicht früher einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung und Beendigung der Eigenverwaltung hätte stellen müssen. 87 Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit an das Insolvenzgericht ist Aufgabe des Sachwalters (§ 285 InsO). Die Anzeige ist für das Insolvenzgericht bindend. Ob i. R. des § 285 InsO auch die Anzeige einer Masselosigkeit gemäß § 207 InsO auf den Sachwalter übertragen wurde, wird allerdings unterschiedlich beurteilt.166) 88 Die Aufgabe korrespondiert mit der Verpflichtung des Sachwalters aus § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu überwachen und den Gläubigerausschuss und das Insolvenzgericht unverzüglich in Kenntnis zu setzen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für den Gläubiger führen kann.167) Der Sachwalter sollte daher im eigenen Interesse zwecks Vermeidung einer ansonsten drohenden Haftung nach § 60 InsO Liquiditätsberechnungen des Schuldners und ggf. seiner Berater fortlaufend einfordern und, soweit in der Praxis überhaupt möglich, überwachen. Denn Grundlage für die ___________ Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 75. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 83. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 59. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 73 m. w. N. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 83; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 17. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 285 Rz. 6 (i. R. der Verpflichtung, dem Insolvenzgericht Nachteile anzuzeigen); diff. Pape, in: KPB, InsO, § 285 Rz. 20: Sachwalter nur, wenn er erkennt, dass der Schuldner die gebotene Mitteilung an das Gericht unterlassen hat und weiter unterlässt. 167) Pape, in: KPB, InsO, § 285 Rz. 3.
161) 162) 163) 164) 165) 166)
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
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Kalkulation der Masseunzulänglichkeit sind grundsätzlich die vom Schuldner angestellten Liquiditätsberechnungen, der – sieht man von der Sonderregelung nach § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO ab – auch die Verantwortung für die Begründung der Masseverbindlichkeiten trägt.168) Für die Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelten im Übrigen die §§ 208 bis 216 InsO. 89 Die Anzeige ist daher nicht erst für den Fall einer bereits feststehenden Masseunzulänglichkeit zu erstatten, sondern auch, wenn die Masse voraussichtlich nicht ausreicht, um die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten gemäß § 208 Abs. 2 Satz 2 InsO zu bezahlen. Sie macht auch Sinn, wenn die Masseunzulänglichkeit nur von begrenzter Dauer ist. Wenn die Liquidität aus Fortführungserlösen wieder hergestellt wird, kann die Anzeige eine Liquiditätsdelle überwinden helfen. In der Literatur ist streitig,169) ob die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den 90 Schuldner zulässig ist. Dem Wortlaut des Gesetzes ist das jedenfalls nicht zu entnehmen. Die Folgen einer Masseunzulänglichkeit für die Gläubiger und das gesamte Insolvenzverfahren sprechen für die im Gesetz formulierte Lösung, wonach der Sachwalter als neutrale Person die Prüfung und Überwachung übernimmt. So kann insbesondere eine nur vorsorgliche Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Schuldner, um Vollstreckungshandlungen von Massegläubigern zu verhindern, vermieden werden.170) Wird die Eigenverwaltung als Konsequenz der Masseunzulänglichkeit nicht aufgehoben,171) 91 verbleibt die weitere Abwicklung des Insolvenzverfahrens einschließlich der Rechnungslegung für die Tätigkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und die Durchführung einer Nachvertragsteilung beim Schuldner, beim Sachwalter dessen Überwachung bzw. Überprüfung gemäß § 274 Abs. 2, § 281 Abs. 3 InsO.172) XI.
Die Geltendmachung von Gesamtschäden und der Gesellschafterhaftung
Nur der Sachwalter kann die Haftung nach § 92 und § 93 InsO geltend machen und die 92 Rechtshandlungen nach §§ 129 bis 147 InsO anfechten, § 280 InsO. Die Vorschrift durchbricht den Grundsatz, dass i. R. der Eigenverwaltung nur der Schuldner verwaltungsund verfügungsberechtigt ist.173) Der Sachwalter hat insoweit die vollen Rechte eines Insolvenzverwalters. Prozesse zur Durchsetzung der Rechte werden im eigenen Namen geführt (siehe auch Rz. 95 f.). Seine rechtsgeschäftlichen Erklärungen im Prozess verpflichten den Schuldner unmittelbar. Die Folgen eines Prozesses erhöhen oder verringern die Insolvenzmasse. Im Regelfall der Eigenverwaltung führt der Schuldner Prozesse mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse. Der Zweck der Zuweisung dieser Aufgaben an den Sachwalter erschließt sich mit Blick 93 auf die Anspruchsinhalte: Ansprüche aus § 92 InsO umfassen alle Schäden, die die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens erleiden,174) und richten sich bspw. gegen den Geschäftsführer wegen verspäteter Insolvenzantragstellung oder einen Gesellschafter wegen faktischer Geschäftsführung. § 93 InsO ist Grundlage für eine per___________ 168) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 54. 169) Zum Meinungsstand vgl. Pape, in: KPB, InsO, § 285 Rz. 12, und Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 285 Rz. 2; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 10. 170) Pape, in: KPB, InsO, § 285 Rz. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 285 Rz. 2. 171) S. zur Antragsberechtigung und Beteiligung der Masse- oder Insolvenzgläubiger unten Rz. 128 ff. 172) Pape, in: KPB, InsO, § 285 Rz. 21, 29. 173) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 1. 174) Im Ergebnis ebenso: Schmidt, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 92 Rz. 6.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
sönliche Inanspruchnahme von Gesellschaftern einer Personengesellschaft (OHG, KG, KGaA, Partnerschaftsgesellschaft, BGB-Gesellschaft). In der Begründung zu der Vorschrift wird knapp ausgeführt, dass der Sachwalter hierzu besser geeignet ist als der Schuldner.175) In der Sache geht es v. a. darum, dass ein Geschäftsführer die Masse geschädigt hat und ohne diese Regelung Ansprüche gegen sich selbst durchsetzen müsste, was offensichtlich unsinnig ist. Entsprechendes gilt für die Gesellschafter einer Personengesellschaft, die dann Ansprüche gegen sich selbst durchsetzen müssten. 94 § 280 InsO regelt darüber hinaus auch Ansprüche gegen einen Sachwalter selbst, etwa wegen Schadensersatzansprüchen aus §§ 274, 60 InsO. Diese können entweder durch einen Sondersachwalter geltend gemacht werden oder es wird entsprechend § 92 Abs. 2 InsO der Sachwalter entlassen und in schwerwiegenden Fällen ein neuer bestellt, der die Ansprüche durchsetzt.176) XII. Anfechtung 95 Die Befugnis zur Anfechtung von Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger benachteiligen, ist dem Sachwalter übertragen, § 280 InsO. Anwendbar sind dieselben materiellen Vorschriften, die auch für den Insolvenzverwalter Anwendung finden, §§ 129 – 146 InsO. Für die Begründung der Regelung gilt das vorstehend Gesagte (siehe Rz. 92). Anfechtungsansprüche werden nicht zuletzt gegen dem Schuldner nahestehende Personen oder bspw. Kunden geltend gemacht, die der Schuldner wesentlich für eine weitere Geschäftsfortführung hält. Mit der Übertragung der Ansprüche auf den Sachwalter werden mögliche Interessenkollisionen des Schuldners von vornherein ausgeschlossen und die Wahrnehmung der Gläubigerbelange sichergestellt. 96 Prozessual wird der Sachwalter bei der Durchsetzung der Ansprüche als Partei kraft Amtes tätig und führt Prozesse im eigenen Namen. Da er insoweit Verwalter der Insolvenzmasse ist, binden die Ergebnisse den Schuldner,177) insbesondere im Hinblick auf die Kosten der Rechtsstreite. Sind die erforderlichen Mittel für die Führung des Prozesses in der verwalteten Insolvenzmasse und bei den wirtschaftlich Beteiligten nicht vorhanden, kann ihm Prozesskostenhilfe bewilligt werden.178) 97 Der Schuldner hat keine eigenen Befugnisse zur Geltendmachung des Anfechtungsrechts, insbesondere kann er sich darüber nicht vergleichen oder Verzichtserklärungen abgeben. Trotz der auf den ersten Blick eindeutigen Regelung ergeben sich in der Praxis hieraus weitere Fragen: Kann der Anfechtungsgegner etwa eine Widerklage entgegensetzen, mit der Ansprüche gegen den Schuldner behauptet werden? Das soll nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung zulässig sein, jedenfalls wenn der Widerkläger mit der Widerklage eine Parteierweiterung nach § 263 ZPO verbindet und die Widerklage gegen den Schuldner richtet.179) In dem umgekehrten Fall, dass der auf Zahlung einer Masseverbindlichkeit verklagte Schuldner dem Kläger Gegenansprüche aus Anfechtungssachverhalten entgegenhält, soll eine unmittelbare Einwendung hingegen ausgeschlossen sein.180) Unbenommen bleibt in diesem Fall die Möglichkeit des Sachwalters, die Anfechtungseinrede ___________ 175) 176) 177) 178) 179) 180)
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Begr. RegE InsO z. § 341, abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 398. Pape, in: KPB, InsO, § 280 Rz. 7. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 7. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 4. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 10 m. w. N. Pape, in: KPB, InsO, § 280 Rz. 8.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
im Wege eines Nebeninterventionsverfahrens zu erheben.181) Die Anfechtungswiderklage ist im Nebeninterventionsverfahren aber nicht möglich.182) Fällt eine Handlung in den Zeitraum der Rückschlagsperre des § 88 InsO, bleibt hinge- 98 gen der Schuldner zuständig, da sich die Nichtigkeit unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Einer separaten Anfechtung bedarf es dann nicht. Für die Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruchs ist dann entsprechend der allgemeinen Aufgabenzuweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO der Schuldner zuständig.183) XIII. Das Tabellenverfahren Das Gesetz überträgt dem Sachwalter neben den in § 274 Abs. 2, §§ 275 bis 277 InsO 99 übertragenen Aufgaben weitere Pflichten im Tabellenverfahren. Für die Bearbeitung von Gläubigerforderungen differenziert das Gesetz den Aufgabenbereich von Schuldner und Sachwalters für das Tabellen- und das Verteilungsverfahren gemäß §§ 187 ff. InsO. Der Schuldner übernimmt grundsätzlich das Verteilungsverfahren, er hat das Verzeichnis der Forderungen zu erstellen, die bei der Verteilung zu berücksichtigen sind, und nimmt die Verteilung vor. Die Aufgabe des Verwalters bleibt auf die Prüfung des Verzeichnisses beschränkt. Die Insolvenztabelle wird vom Sachwalter erstellt (siehe auch § 15 Rz. 7 ff.). Forderun- 100 gen der Gläubiger sind beim Sachwalter anzumelden, § 270c Satz 2 InsO. Dieser hat die Anmeldungen entgegenzunehmen und in der Insolvenztabelle einzutragen. Die Vorschriften der §§ 174 bis 186 InsO sind mit Bezug auf die Tabellenführung insofern so zu verstehen, dass der Sachwalter an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt.184) Der Sachwalter hat die Ordnungsgemäßheit der Anmeldungen zu prüfen, ggf. gemäß § 175 InsO zurückzuweisen und die Tabelle sodann auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsichtnahme niederzulegen. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für festgestellte Forderungen ihrem Betrag und Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil, aus dem dann nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Im Prüfungstermin steht dem Sachwalter ein eigenes Widerspruchsrecht zu (§ 283 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Bestreiten des Sachwalters hat die gleiche Wirkung wie das Bestreiten eines Insolvenzverwalters. Insoweit gelten keine Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren. Abweichungen gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren bestehen bezüglich der Wider- 101 spruchsrechte des Schuldners gegen die angemeldeten Forderungen: Als wesentliche Abweichung von der Regelung des § 178 InsO sieht § 283 Abs. 1 Satz 2 InsO vor, dass auch das Bestreiten des Schuldners die Feststellung einer angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle hindert (siehe auch § 15 Rz. 19 f.). Wird eine Forderung bestritten, ist es Sache des anmeldenden Gläubigers, Klage auf 102 Feststellung der Forderung gemäß § 179 Abs. 1, § 180 InsO zu erheben. Passiv legitimiert ist grundsätzlich der Bestreitende.185) Die Klage kann daher sowohl gegen den bestreitenden Schuldner als auch gegen den bestreitenden Sachwalter gerichtet werden. Bei mehrfachem Bestreiten sind sämtliche Widersprüche zu überwinden, um die Rechtswirkungen des § 183 InsO herbeizuführen.186) Wird nach Rechtshängigkeit der Klage die Eigenver___________ 181) 182) 183) 184) 185) 186)
Vgl. Thole, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 146 Rz. 17; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 11. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 11. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 280 Rz. 6; Pape, in: KPB, InsO, § 280 Rz. 8. Pape, in: KPB, InsO, § 283 Rz. 14. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 4. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 17; Pape, in: KPB, InsO, § 283 Rz. 22.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
waltung aufgehoben, so ist entsprechend §§ 241, 246 ZPO das Verfahren gegen den Insolvenzverwalter fortzusetzen. Siehe auch § 15 Rz. 25 ff. 103 Liegt eine bereits vor Verfahrenseröffnung erwirkte rechtskräftige Entscheidung vor, so ist es Sache des Schuldners, den Widerspruch gemäß § 179 Abs. 2 InsO im Klagewege oder vor der zuständigen Verwaltungsbehörde zu verfolgen, § 185 InsO. War ein Rechtsstreit bei Verfahrenseröffnung anhängig, die Forderung aber noch nicht tituliert, so ist die Feststellung durch Aufnahme des Rechtsstreits nach § 180 Abs. 2 InsO, § 250 ZPO zu betreiben. Der aufnehmende Gläubiger hat dazu den Klageantrag von Leistung auf Feststellung umzustellen und die Bezeichnung des Bestreitenden als nunmehrigen Beklagten zu ändern. Das in einem Feststellungsprozess zwischen dem Schuldner und einem Gläubiger erwirkte Urteil bindet jedenfalls auch die übrigen Insolvenzgläubiger und den Sachwalter, § 183 Abs. 1 InsO.187) 104 Soweit es sich um Prozesse handelt, die vor Eröffnung anhängig sind, führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 240 ZPO unproblematisch zur Unterbrechung.188) Die Anordnung der Eigenverwaltung ändert nichts an der Zäsur, die mit der Verfahrenseröffnung eintritt.189) Der Schuldner ist sodann zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt, § 85 InsO. Für die Aufnahme des Prozesses soll grundsätzlich Einvernehmen mit dem Sachwalter hergestellt werden.190) Passivprozesse können gemäß § 86 InsO sowohl vom Schuldner als auch vom Gegner aufgenommen werden. XIV. Verzeichnisse, Schlussrechnung, Verteilung 1.
Stellungnahmen zu den Verzeichnissen gemäß § 281 InsO und dem Bericht in der ersten Gläubigerversammlung
105 Wie im Regelinsolvenzverfahren auch sind die Gläubiger in der Eigenverwaltung über die Vermögenssituation des Schuldners umfassend zu informieren, so dass sie eine Grundlage für ihre in der ersten Gläubigerversammlung zu fassenden Entscheidungen erhalten.191) Nach § 281 InsO sind die dafür zu fertigenden Verzeichnisse der Massegegenstände, das Gläubigerverzeichnis und die Vermögensverzeichnisse unter der Stilllegungs- und Fortführungsprämisse nach Anordnung der Eigenverwaltung vom Schuldner zu fertigen und gemäß § 270 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Woche vor dem Berichtstermin auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Auf Antrag des Sachwalters kann das Insolvenzgericht dem Schuldner aufgeben, die Vollständigkeit der Vermögensübersicht eidesstattlich zu versichern, § 153 Abs. 2 Satz 1 InsO.192) Der Schuldner hat darüber hinaus den Bericht an die Gläubigerversammlung zu fertigen und gegenüber den Gläubigern mündlich vorzutragen. Die Verzeichnisse sind Teil der Unterrichtungspflicht im Berichtstermin.193) Da der Sachwalter die Aufgabe hat, die Haftung nach §§ 92, 93 InsO sowie An___________ 187) Pape, in: KPB, InsO, § 283 Rz. 23; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 283 Rz. 6; streitig, ob bezüglich der Aufnahme eines Rechtsstreits eine Parteierweiterung gegen den Schuldner erforderlich wird, weil er eine Berechtigung zum Bestreiten sowohl als Organ als auch als Privatperson hat und es sonst an der Wirkung nach § 183 InsO fehlt, vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 4 m. w. N. 188) Vgl. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry). 189) BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 194. 190) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 4; Pape, in: KPB, InsO, § 282 Rz. 8. 191) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 23. 192) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 2; a. A. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 281 Rz. 7 – nur auf Antrag des Gläubigers; einschränkend Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 1 – des Sachwalters unter der Maßgabe, dass Zweifel an der Richtigkeit des Verzeichnisses im Antrag vorgetragen werden. 193) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 24.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
fechtungen nach §§ 129 bis 147 InsO durchzusetzen, bleiben diesbezüglich Unterrichtungspflichten beim Sachwalter, eine Information hierüber ist aber dem Schuldner rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, damit er sie in die Verzeichnisse aufnehmen kann.194) Der Sachwalter hat die Aufgabe, die Verzeichnisse zu prüfen und schriftlich zu erklären, 106 ob von ihm Einwendungen erhoben werden. Faktisch ist der Sachwalter gegenüber einem Insolvenzverwalter damit nur von der Erstellung der Verzeichnisse und der Abfassung des Berichts befreit. Einwendungen sind ggf. substantiiert schriftlich darzulegen und ebenfalls in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen.195) In der Gläubigerversammlung hat der Sachwalter zu dem Bericht des Schuldners Stellung zu nehmen. Für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Überwachungspflicht haftet der Sachwalter 107 nach §§ 274, 60 InsO. Hat er Bedenken gegen deren Richtigkeit, so hat er eigene Nachforschungen anzustellen und ggf. auf Kosten der Masse einen Sachverständigen zur Klärung von Bewertungsfragen zu beauftragen.196) In der Literatur ist allerdings streitig ist, ob er sich im Übrigen auf die stichpunktartige Prüfung der Verzeichnisse und Unterlagen beschränken kann oder darüber hinaus gehalten ist, sich einen lückenlosen Überblick zu verschaffen.197) 2.
Stellungnahme zum Verteilungsverzeichnis
Zum Zwecke des Gläubigerschutzes ist der Sachwalter auch im Verteilungsverfahren in- 108 volviert. Die Verteilungen an die Gläubiger einschließlich eventueller Abschlagsverteilungen i. S. des § 187 Abs. 2 InsO sind auf der Basis eines Verteilungsverzeichnisses vorzunehmen, das im Regelinsolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter erstellt wird (siehe auch § 15 Rz. 41). In der Eigenverwaltung ist dies Aufgabe des Schuldners, § 283 Abs. 2 InsO. Ebenso ist die Verteilung selbst vom Schuldner vorzunehmen. Grundlage für das Verteilungsverzeichnis ist die nach § 175 InsO erstellte und bereinigte Insolvenztabelle. Das vom Schuldner erstellte Verteilungsverzeichnis ist, wie im Regelinsolvenzverfahren, beim Insolvenzgericht auf der Geschäftsstelle zu hinterlegen. Gleichzeitig sind dem Gericht die Summe der Forderungen sowie der zur Verteilung verfügbare Betrag aus der Insolvenzmasse mitzuteilen, damit diese öffentlich bekannt gemacht werden können, § 188 InsO. Entscheiden sich die Gläubiger für eine Feststellungsklage, ist diese innerhalb der zweiwöchigen Frist nach der öffentlichen Bekanntmachung dem Schuldner nachzuweisen, § 189 InsO. Entsprechend haben absonderungsberechtigte Gläubiger ihren Forderungsausfall dem Schuldner nachzuweisen, § 190 InsO. Der Sachwalter hat das Verteilungsverzeichnis zu prüfen, bevor es auf der Geschäftsstelle 109 niedergelegt wird. Die Information an die Gläubiger über das Ergebnis der Prüfung erfolgt durch Niederlegung der Erklärung auf der Geschäftsstelle des Gerichts. Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis sind ggf. in der bei Gericht niedergelegten Stellungnahme substantiiert darzulegen.198) Das Gesetz trifft keine Regelung, wie Differenzen zwischen Schuldner und Sachwalter 110 hinsichtlich des Verteilungsverzeichnisses aufzulösen sind. Änderungen des Verteilungsverzeichnisses sind vom Schuldner vorzunehmen, § 193 InsO. Weist der Schuldner die Einwendungen des Sachwalters zurück, kann eine Berichtigung allenfalls auf Anordnung ___________ 194) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 20 – insolvenzspezifische Informationspflicht; a. A. Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 281 Rz. 4 – keine Ergänzungspflicht des Sachwalters. 195) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3. 196) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 17; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3. 197) So Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 1; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3. 198) Vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
des Insolvenzgerichts erfolgen, § 194 Abs. 3 InsO. Ausdrücklich weist das Gesetz dem Sachwalter keine Befugnis zu, Anträge nach § 194 InsO zu stellen. Lehnt man eine entsprechende Anwendung ab, haben nur die Gläubiger Gelegenheit, die Einwendungen des Sachwalters aufzunehmen und ihrerseits Anträge nach § 197 Abs. 3, § 194 InsO an das Insolvenzgericht zu stellen.199) Gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts steht ihnen – und dem Schuldner – das Beschwerderecht zu. Haben die Gläubiger grundsätzliche Bedenken, bleibt es ihnen im Übrigen unbenommen, bereits in der ersten Gläubigerversammlung einen Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises für den Sachwalter auf Grundlage von § 277 InsO zu stellen. Die Wirksamkeit des Verteilungsverzeichnisses kann so frühzeitig an die Zustimmung des Sachwalters gebunden werden.200) Siehe auch § 15 Rz. 42. 3.
Stellungnahmen zur Schlussrechnung und im Schlusstermin
111 Der Schuldner ist wie ein Insolvenzverwalter zur Rechnungslegung verpflichtet. Konkret obliegt ihm damit in Bezug auf die Insolvenzmasse die handelsrechtliche und steuerliche Rechnungslegung nach § 155 InsO, ferner nach § 66 InsO darüber hinaus die insolvenzrechtliche Rechnungslegung. 112 Dem Sachwalter obliegt nach § 281 Abs. 2 InsO eine Prüfungs- und Erklärungspflicht nur in Bezug auf die insolvenzrechtliche Buchführungspflicht nach § 66 InsO, nicht hingegen auf die nach § 155 InsO.201) Einwendungen gegen die Schlussrechnung nach § 66 InsO sind vom Sachwalter schriftlich substantiiert darzulegen und mit der Schlussrechnung spätestens eine Woche vor dem Termin in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts auszulegen.202) In der Gläubigerversammlung zur Beendigung des Insolvenzverfahrens hat der Sachwalter zu der Schlussrechnung des Schuldners Stellung zu nehmen. Insofern gelten die Ausführungen oben, siehe Rz. 106 f. 113 Fraglich ist, ob der Sachwalter verpflichtet ist, Zwischenrechnungen des Schuldners nach § 66 Abs. 3 Satz 1 InsO ebenfalls zu prüfen. Obwohl die Prüfungspflicht nicht in § 281 Abs. 3 InsO niedergelegt ist, wird sie in der Kommentarliteratur als sachgerecht bejaht.203) 114 Eine eigene Schlussrechnungslegungspflicht besteht für den Sachwalter i. R. der ihm nach §§ 280, 92, 93 InsO zustehenden Rechte. Denn insoweit übt er selbst die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus. Sie ist für das Insolvenzgericht insoweit Prüfungsgegenstand nach § 66 Abs. 2 Satz 1 InsO. 4.
Verteilung ohne Zustimmungserfordernis
115 Der Sachwalter muss zwar das Verteilungsverzeichnis prüfen, bei der Verteilung selbst wirkt er aber nicht mit. Den Grundsätzen der Eigenverwaltung entsprechend ist die Verteilung auf die festgestellten Forderungen vom Schuldner vorzunehmen, § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO. Sie erfolgt nach den Vorschriften der §§ 187 bis 199 InsO.204) Für die Auszahlung der Beträge braucht der Schuldner daher, wie der Insolvenzverwalter im regulären Verfahren, die Zustimmung des Insolvenzgerichts, § 196 InsO. Ein Zustimmungserfor___________ 199) Für eine entsprechende Anwendung: Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 9; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 11; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 23. 200) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 24. 201) Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 13; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 28. 202) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 29. 203) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 281 Rz. 31; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 5; abl.: Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 281 Rz. 14; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 281 Rz. 33; Pape, in: KPB, InsO, § 281 Rz. 13; Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 281 Rz. 4. 204) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 19.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
dernis des Sachwalters ist nicht vorgesehen. Da die Verteilung durch Auszahlung der vorhandenen Barmittel an die Gläubiger erfolgt, kann der Sachwalter die Auszahlung regelmäßig nur i. R. einer übernommenen Kassenführung überwachen. Haben die Gläubiger grundsätzliche Bedenken, bleibt ihnen die Option, in der ersten 116 Gläubigerversammlung einen Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises für den Sachwalter auf Grundlage von § 277 InsO zu stellen und die Schlussverteilung von seiner Zustimmung abhängig zu machen. Den Auszahlungen an die Gläubiger, sei es durch bargeldlosen Zahlungsverkehr oder Barzahlung sowie die dafür erforderlichen Vorbereitungshandlungen, kommt insoweit der Charakter eines Rechtsgeschäfts i. S. von § 277 InsO zu.205) Die Hinterlegungspflicht für nicht ausgezahlte Beträge trifft konsequenterweise den 117 Schuldner, § 198 InsO.206) Soll eine Nachtragsverteilung angeordnet werden, ist diese vom Schuldner, nicht vom Sachwalter zu beantragen und vorzunehmen, § 203 InsO. Auch hier nimmt der Schuldner alle Rechte wahr, die regelmäßig einem Insolvenzverwalter übertragen sind. Rechtsmittel gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung auf Antrag eines Gläubigers oder von Amts wegen stehen nach § 204 Abs. 2 InsO dem Schuldner zu.207) Wegen der Interessenkollision zwischen Schuldner und Gläubigergemeinschaft nach der Aufhebung des Verfahrens empfiehlt Foltis, dem früheren Sachwalter die Befugnis zur Nachtragsverteilung zu übertragen.208) Das ist letztlich aber wiederum eine Entscheidung der Gläubiger. XV. Planüberwachung im Insolvenzplanverfahren Weitere Aufgaben sind dem Sachwalter auch im Insolvenzplanverfahren übertragen. Eine 118 im Insolvenzplan gemäß § 260 InsO vorgesehene Überwachung der Planerfüllung ist nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung Aufgabe des Sachwalters, § 284 Abs. 2 InsO. Unerheblich ist, ob der Plan vom Sachwalter erstellt wurde oder nicht.209) Zur Planüberwachung allgemein siehe unten § 47 Rz. 108. Ist im gestaltenden Teil des Insolvenzplans keine Überwachung vorgesehen, so besteht 119 für den Sachwalter auch keine Überwachungspflicht; eine generelle Pflicht ist nicht vorgesehen.210) Für das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bestehen im Übrigen zur Planüberwachung keine Sonderregelungen. Der Sachwalter tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters, dessen Aufgaben als Planüberwacher in §§ 261 – 269 InsO geregelt sind. War im Insolvenzverfahren ein Gläubigerausschuss bestellt, so bleibt dieser auch im Fall der Eigenverwaltung entsprechend § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO bestehen.211) Im Übrigen besteht die Aufsicht des Insolvenzgerichts für den Zeitraum der Planüberwachung fort. XVI. Der Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts Der Sachwalter ist nicht nur Überwacher, er wird auch überwacht. Er steht wie ein Insol- 120 venzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, § 274 Abs. 1, § 58 InsO. Danach kann das Insolvenzgericht jederzeit Auskunft und Bericht über den Sachstand und die ___________ 205) 206) 207) 208) 209) 210) 211)
Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 24. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 5. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 20. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 283 Rz. 5. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 284 Rz. 14. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 284 Rz. 5 m. w. N. Pape, in: KPB, InsO, § 284 Rz. 22.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Geschäftsführung verlangen.212) Bezüglich der Geschäftsführung ist der dem Sachwalter – nicht etwa dem Schuldner oder einem Insolvenzverwalter – in der Eigenverwaltung gesetzlich obliegende Pflichtenkanon gemeint.213) Der Sachwalter wird durch die Vorschrift nicht zu weitergehenden Maßnahmen und Berichten verpflichtet, als sie ihm zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Eigenverwaltung auferlegt wurden. 121 Berichtspflichtig sind daher bspw. die seitens des Sachwalters eingeleiteten Maßnahmen und Ergebnisse
bezüglich der Überwachung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und dessen Geschäftsführung,
bezüglich der Ausgaben des Schuldners für die Lebensführung (§ 274 Abs. 2 InsO) sowie
bezüglich Unterrichtungen gegenüber Gläubigerausschuss und ggf. Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO,
schließlich die weiteren insolvenztypischen Pflichten nach §§ 275 ff. InsO.
Berichte über den Zahlungsverkehr kann das Insolvenzgericht vom Sachwalter nur verlangen, wenn der Sachwalter nach § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung übernommen hat,214) wobei auch in diesem Fall die Rechnungslegung einschließlich der Zwischenrechnungslegung beim Schuldner verbleibt, § 281 Abs. 3 InsO (siehe dazu Rz. 112 ff.).
Soweit Zustimmungsvorbehalte nach § 275 Abs. 1 InsO und § 277 InsO angeordnet wurden, muss der Bericht des Sachwalters Informationen enthalten, ob die Zustimmungsvorbehalte umgesetzt wurden und der Schuldner diese beachtet.
Zu den berichtspflichtigen Sachverhalten gehören ggf. auch die Maßnahmen bezüglich der – ausschließlich dem Sachwalter obliegenden – Geltendmachung von Gesamtschäden nach § 92 InsO, der Haftungsinanspruchnahme der Gesellschafter nach § 93 InsO, Anfechtungen sowie der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 285 InsO.
122 Wie das Insolvenzgericht die Aufsicht im Einzelfall ausübt – bspw. schriftliche periodische Berichte oder ggf. eine mündliche Anhörung –, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen und orientiert sich letztlich an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten.215) Ein aktiver Sachwalter wird das Insolvenzgericht aber schon von sich aus regelmäßig über die Geschäftsführung des Schuldners, die Organisation der Überwachung und das Ergebnis der Überwachungsmaßnahmen informieren. Gegenüber dem regulären Insolvenzverfahren besteht seitens des Insolvenzgerichts grundsätzlich keine Verpflichtung zu einer überhöhten Kontrolldichte in der Eigenverwaltung.216) 123 Kommt der Sachwalter seinen Auskunftspflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht diese wie im regulären Insolvenzverfahren ggf. durch Zwangsgeld gemäß § 58 Abs. 2 InsO durchsetzen. Sollten die Sanktionsmöglichkeiten nicht durchgreifen, kann der Sachwalter aus wichtigem Grunde aus dem Amt entlassen werden. Maßgeblich hierfür ist eine schwere oder wiederholte Pflichtverletzung oder absolute Unfähigkeit, das Amt auszuüben.217) In Betracht kommt des Weiteren die Abgabe von eidesstattlichen Versicherungen,218) ggf. auch die ___________ 212) 213) 214) 215) 216) 217) 218)
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Pape, in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 17. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 20. Pape, in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 35. Pape, in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 40. Pape, in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 38. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 6. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 21, unter Verweis auf BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 177/08, ZIP 2010, 383 = ZInsO, 2010, 188.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
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Bestellung eines Sondersachwalters, wenn der amtierende Sachwalter verhindert ist oder der Verdacht auf eine erhebliche Pflichtverletzung besteht;219) der Entzug des Kassenführungsrechts220) sowie bei schwerwiegenden Verstößen als weitere Konsequenz das „Delisting“ aus der beim Insolvenzgericht geführten Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter und Sachwalter.221) Aus der nicht rechtzeitigen oder unvollständigen Information und – aus diesem Grunde – unterbliebenen, schadensvermeidenden Maßnahmen durch das Insolvenzgerichts kann sich letztlich auch eine Haftung des Sachwalters nach § 60 InsO ergeben. Der Schuldner unterliegt jedenfalls nicht der Aufsichtspflicht des Gerichts. Die Vorschrift 124 ist auch nicht entsprechend anwendbar.222) XVII. Beendigung der Sachwaltertätigkeit mit Aufhebung der Eigenverwaltung 1.
Aufhebung der Eigenverwaltung durch Beschluss der Gläubigerversammlung
Das Amt des Sachwalters endet – außer in den Fällen einer Entlassung wegen eines wich- 125 tigen Grunds gemäß § 59 InsO – mit Aufhebung der Eigenverwaltung. Nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO muss das Insolvenzgericht die Anordnung der Eigenverwaltung aufheben, wenn dies von einer Gläubigerversammlung – nach entsprechender Ankündigung und öffentlicher Bekanntmachung in der Tagesordnung – beantragt wird (siehe ausführlich dazu unten § 16). Funktionell zuständig für die Entscheidung über den Antrag ist der Rechtspfleger, § 18 RPflG. In der Abstimmung über die Beendigung der Eigenverwaltung durch die Gläubigerver- 126 sammlung war früher die Summenmehrheit der Stimmen nach §§ 76 ff. InsO maßgeblich. Seit Inkrafttreten des ESUG kommt es auf die Summen- und Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger an. Die Änderung dürfte sich gerade in Insolvenzverfahren mit einer größeren, geschlossen auftretenden Arbeitnehmerschaft auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken. Der Einfluss von einzelnen Großgläubigern, denen auch keine Beschwerdemöglichkeit gegen die Anordnung der Eigenverwaltung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusteht, wurde damit erheblich eingeschränkt. Entscheidet sich die Gläubigerversammlung sodann gegen die Eigenverwaltung, ist das Insolvenzgericht an die Entscheidung gebunden. Ein eigenes Ermessen besteht insoweit nicht mehr. Strittig ist aber weiter, wer an der Gläubigerversammlung zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit teilnehmen soll: Nach einer Auffassung sollen nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit die Altmassegläubiger die Gläubigerversammlung bilden.223) Soweit ersichtlich wird diese Auffassung aber überwiegend abgelehnt.224) Das Insolvenzgericht muss, wenn die Voraussetzungen vorliegen, sodann zwingend die 127 Eigenverwaltung aufheben und einen Insolvenzverwalter bestellen.225) Der BGH hat klargestellt, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, nicht im Verfahren nach § 78 InsO angefochten werden kann, und dazu ausgeführt, dass die Entscheidung an keine gesetzlichen Voraussetzungen geknüpft ___________ 219) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 7 m. w. N.; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 28; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 22. 220) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 21, unter Bezugnahme auf BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 178/08, ZIP 2010, 383 = ZInsO, 2010, 187, das Kassenführungsrecht wurde in diesem Fall einem Sonderinsolvenzverwalter übertragen. 221) Pape, in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 45. 222) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 7; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 34, Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 28; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 64. 223) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 285 Rz. 4; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 16. 224) Pape, in: KPB, InsO, § 285 Rz. 17 m. w. N. 225) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 12.
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§ 12
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
ist und im freien Ermessen der Gesellschafterversammlung steht. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Ermessensüberprüfung bestehe nicht.226) In der Literatur war die Frage früher kontrovers erörtert worden.227) 2.
Weiteres Antragsrecht nur für Gläubiger – kein Antragsrecht des Sachwalters
128 Neben der Gläubigerversammlung steht ein Antragsrecht auf Aufhebung der Eigenverwaltung den absonderungsberechtigten Gläubigern und Insolvenzgläubigern zu, § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Davon erfasst werden nach wohl einhelliger Meinung die Inhaber von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO. Gläubiger nachrangiger Forderungen gemäß § 39 InsO sind nicht zur Antragstellung legitimiert.228) 129 Eine Antragsbefugnis für den Sachwalter oder eine Kompetenz des Gerichts von Amts wegen zur Beendigung der Eigenverwaltung sieht das Gesetz nicht vor.229) Strittig ist allenfalls, ob für besondere Ausnahmefälle zur Vermeidung einer zeitlichen Verzögerung bis zur Gläubigerversammlung dem Gericht analog § 59 InsO von Amts wegen eine Befugnis zur Aufhebung der Eigenverwaltung zustehen kann.230) Dagegen spricht aber der Wortlaut der Vorschrift. 130 Der Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist von dem Gläubiger schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen, seine Gründe durch eidesstattliche Versicherung oder sonstige Beweismittel gemäß § 4 InsO, § 294 ZPO zu belegen.231) Der durch einen absonderungsberechtigten Gläubiger oder durch einen Insolvenzgläubiger zu stellenden Antrag ist nur dann begründet, wenn die Voraussetzung des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO weggefallen ist und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen, die er konkret darzustellen hat. Früher war lediglich glaubhaft zu machen, dass die Aufrechterhaltung der Eigenverwaltung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer konkreten Verfahrensverzögerung oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird. 131 Der Schuldner ist sodann zu dem Gläubigerantrag anzuhören.232) Richtigerweise sollte das Gericht vor seiner Entscheidung auch dem Sachwalter Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu dem Gläubigerantrag gegeben haben. Zwingend sieht das Gesetz seine Stellungnahme aber nicht vor.233) 3.
Rechtsfolgen der Beendigung für den Sachwalter
132 Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Beschluss, gegen den Gläubigern und dem Schuldner Rechtsmittel zustehen, § 272 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 6 InsO, also im Falle der Aufhebung auf Antrag eines Gläubigers dem Schuldner, bei Ablehnung dem Gläubiger. In den übrigen Fällen nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO besteht keine Beschwerdebefugnis.234) In diesen Fällen endet das Amt des Sachwalters mit Erlass des Be___________ 226) 227) 228) 229) 230)
231) 232) 233) 234)
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BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622. Vgl. die Nachweise bei Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 12 ff. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 21. Vgl. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 32. So: Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 272 Rz. 14 – in Ausnahmefällen; a. A. Riggert, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 272 Rz. 1; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 1 – ausgeschlossen; einschränkend Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 6 – grundsätzlich ausgeschlossen; Aufhebung von Amts wegen möglich in den Fällen nichtiger Anordnung der Eigenverwaltung. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 24. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 27. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 36.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
schlusses zur Aufhebung der Eigenverwaltung; nur im Fall des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO bleibt demnach die Anordnung der Eigenverwaltung bis zur Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses bestehen. Das Insolvenzgericht hat sodann zwingend einen Insolvenzverwalter zu bestellen, der mit 133 dem bisherigen Sachwalter personenidentisch sein kann.235) Die Bestellung des Insolvenzverwalters erfolgt nach allgemeinen Regeln durch das Gericht, § 56 InsO. Funktionell zuständig für die Bestellung des Insolvenzverwalters ist grundsätzlich der Rechtspfleger, § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ist nicht einschlägig, sofern sich der Richter die Entscheidung nicht vorbehalten hat.236) Im Verfahren einer Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag der Gläubigerversammlung kann diese gleichzeitig einen Beschluss darüber fassen, ob sie den bisherigen Sachwalter als Insolvenzverwalter beibehalten oder einen anderen Insolvenzverwalter will, wobei eine Bindungswirkung des Beschlusses für das Insolvenzgericht teilweise abgelehnt wird.237) Erfolgt die Aufhebung hingegen auf Antrag eines Gläubigers oder auf Antrag des Schuldners selbst, hat die folgende Gläubigerversammlung das Recht zur Abwahl nach § 57 InsO. Der Insolvenzverwalter wird das Verfahren sodann in dem Zustand übernehmen müssen, 134 in dem es ihm vom eigenverwaltenden Schuldner übergeben wird. Es gelten hier spiegelbildlich die Ausführungen zu § 271 InsO: Die bisherigen Handlungen des Sachwalters bleiben in vollem Umfang wirksam, insbesondere die Folgen aus der Ausübung des Wahlrechts, von Kündigungen oder aus der Begründung von Masseverbindlichkeiten. Eingeleitete Prozesse werden durch die Aufhebung nicht unterbrochen. Der Insolvenzverwalter tritt als Rechtsnachfolger gemäß § 239 InsO in die vom Schuldner geführten Prozesse ein. Zur Begründung wird im Übrigen auf die Situation verwiesen, wie sie bei der Abwahl eines Verwalters in der ersten Gläubigerversammlung eintritt.238) XVIII. Besonderheiten in der Konzerninsolvenz 1.
Kooperationspflichten der (vorläufigen) Sachwalter
Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen ist am 21.7.2018 135 in Kraft getreten. § 270d InsO legt die Kooperationspflichten des § 269a InsO dem Schuldner auf. Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich nicht entnehmen, ob diese Koordinationspflichten auch in einer Konzerninsolvenz bestehen, in der mehrere (vorläufige) Sachwalter für gruppenzugehörige Schuldner bestellt wurden. In der Gesetzesbegründung findet sich zu der Frage kein Hinweis,239) es wird klargestellt, dass sich aus der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen auch die Zulässigkeit der Bestellung eines einheitlichen Sachwalters in den Fällen ergibt, in denen bei mehreren gruppenangehörigen Unternehmen die Eigenverwaltung angeordnet wird und sich nach § 274 InsO i. V. m. § 56b InsO sich die befassten Gerichte in dieser Frage abstimmen sollen. In der Literatur wird eine Koordinationspflicht der (vorläufigen) Sachwalter für die Dauer der Eigenverwaltung im Ergebnis bejaht, sei es aufgrund einer analogen Anwendung von § 270d InsO, sei es durch die Fortgeltung der allgemeinen Vorschriften.240) ___________ 235) Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 11. 236) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 8; Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 35; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 13. 237) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 37, und Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 8 – keine Bindungswirkung. 238) Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 271 Rz. 11; Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 38. 239) Begr. RegE BT-Drucks. 18/407, S. 42. 240) Flöther/Hoffmann, in: FS Kübler, 2015, S. 147, 156; Wimmer-Amend, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 3 m. w. N.
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§ 12 2.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Kooperationspflichten gegenüber einem Verfahrenskoordinator
136 Die wichtigste Rolle bei der Abstimmung der einzelnen Insolvenzverfahren über gruppenangehörige Schuldner hat der Koordinationsverwalter auszufüllen.241) Ihm obliegt es, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um eine Abwicklung der Verfahren dergestalt sicherzustellen, dass es nicht zu Reibungsverlusten kommt. § 269f Abs. 2 InsO sieht eine Verpflichtung der (vorläufigen) Insolvenzverwalter vor, mit dem Verfahrenskoordinator zusammen zu arbeiten. Auch ohne eine ausdrückliche Verweisung in § 270d InsO wird diese Verpflichtung auch für den jeweiligen (vorläufigen) Sachwalter der gruppenzugehörigen Schuldner bejaht.242) 3.
Antragsrechte des (vorläufigen) Sachwalters
137 Der Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstands setzt einen zulässigen Eröffnungsantrag des betreffenden Schuldners voraus. Nach § 3 Abs. 3 InsO geht die Antragsbefugnis mit der Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter über. Wird vor Verfahrenseröffnung ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen übertragen wird, so geht die Antragsbefugnis auf diesen über. Gemäß § 270d Satz 2 InsO geht diese Befugnis im Falle einer Eigenverwaltung auf den Schuldner über. Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung aus, dass dem Sachwalter die Aufgabe zukommt, die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen, nicht aber die Geschäftsführung selbst zu übernehmen und nach außen hin aufzutreten und deshalb viel dafür spreche, dass diesbezüglich der eigenverwaltende Schuldner in die Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters eintritt. Während es gemäß § 269e Satz 3 InsO ausgeschlossen ist, einen gruppenangehörigen Schuldner zum Verfahrenskoordinator zu bestellen, soll die Bestellung eines gruppenzugehörigen Sachwalters aber grundsätzlich möglich bleiben.243) 138 Zur weitergehenden Frage eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Sachwalters findet sich kein Hinweis in der Gesetzesbegründung, die Frage wird von Wimmer-Amend verneint.244) Entsprechendes gilt hinsichtlich der Anträge auf Verweisung an den GruppenGerichtsstand (§ 3d Abs. 2 InsO) und Eröffnung eines Koordinationsverfahrens (§ 269d Abs. 2 Satz 2 InsO). 4.
Stellungnahme zum Koordinationsplan und Umsetzung
139 Das Koordinationsverfahren soll die Abstimmung der Einzelverfahren verbessern, ohne die Selbstständigkeit der Einzelverfahren in Frage zu stellen. Der Koordinationsverwalter ist berechtigt, einen vom Koordinierungsgericht zu bestätigenden Koordinationsplan vorzulegen, der als Referenzplan für die auf der Ebene der Einzelverfahren, insbesondere auf der Grundlage von Insolvenzplänen, zu ergreifenden Maßnahmen dient. Der Insolvenzverwalter der gruppenzugehörigen Schuldner hat dazu Stellung zu nehmen und zu begründen, von welchen im Plan aufgeführten Maßnahmen er Abstand nehmen will, § 269i InsO. Die Aufgabe wird im Falle einer Eigenverwaltung mit § 270d InsO nicht ausdrücklich zugeordnet. In der Kommentarliteratur wird sie in analoger Anwendung der §§ 270d, 269i InsO dem Schuldner zugewiesen.245) ___________ 241) 242) 243) 244) 245)
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Begr. RegE BT-Drucks. 18/407, S. 35. Flöther/Hoffmann, in: FS Kübler, 2015, S. 147, 156; Wimmer-Amend, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 5. Flöther/Hoffmann, in: FS Kübler, 2015, S. 147, 157. Wimmer-Amend, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 9. Wimmer-Amend, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 14.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
Entsprechendes soll für Fälle des § 269i Abs. 2 InsO gelten, wenn die Gläubigerversamm- 140 lung den Insolvenzverwalter anweist, auf der Grundlage des Koordinationsplans einen Insolvenzplan auszuarbeiten.246) XIX. Praktische Zusammenarbeit Die Übertragung von Aufgaben auf den Schuldner und die zahlreichen Überwachungs- 141 und Mitwirkungsrechte des Sachwalters erfordern eine professionelle Zusammenarbeit. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Sachverhalte, die in einer Eigenverwaltung zu entscheiden sind, ist das Konfliktpotential zwischen beiden erheblich. Grundsätzlich muss der Schuldner in der Eigenverwaltung die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens und seine Verantwortung gegenüber den Gläubigern pflichtgemäß umsetzen. § 1 InsO verpflichtet ihn, die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Der Sachwalter hat die Umsetzung zu überwachen und die Interessen der Gläubiger zu schützen. Das Ziel der optimalen Gläubigerbefriedigung kann drastisch mit einer vom Schuldner angestrebten dauerhaften Betriebsfortführung kollidieren. Offensichtlich sind die Fälle, in denen Verluste erzielt werden. Schwieriger sind Fälle mit Risikoabwägungen über Markt und zukünftiges Kundenoder Lieferantenverhalten. Der Sachwalter muss darauf reagieren. Konflikte können sich auch an dem „richtigen“ Weg zur Sanierung entzünden. Eine über- 142 tragende Sanierung kann in vielen Fällen Vorteile gegenüber einem Insolvenzplanverfahren bieten und umgekehrt. Ist ein Insolvenzplanverfahren angedacht, hat der Schuldner möglicherweise ein Interesse daran, seine Liquidität nicht vollständig den Gläubigern zur Verfügung zu stellen, sondern für nachinsolvenzliche Geschäfte zu nutzen. Das wird ggf. sein Gesellschafter genauso sehen. Hier gilt es, eine für die Gläubiger akzeptable Lösung zu finden. Dabei können viele Gläubiger aber außer ihrem Quoteninteresse auch ein Interesse am Fortbestand des Unternehmens haben: Arbeitnehmer, Dienstleister, Lieferanten, Vermieter, sogar der PSVaG. Offensichtlich werden insolvenzunerfahrene Organe auch häufig nicht in der Lage sein, 143 die Besonderheiten des komplizierten Insolvenzrechts vollständig zu verstehen. Das gilt bspw. für den Abschluss von langfristigen Verträgen, die erhebliche Verpflichtungen begründen und im Falle einer Nichterfüllung Schadensersatzansprüche auslösen. Inhaltlich müssen Verträge dem „Standard“ des Sachwalters entsprechen und mit ihm abgestimmt werden. Dabei ist er nicht der Berater des Schuldners: Das Gesetz sieht eine beratende Tätigkeit des Sachwalters gegenüber dem Schuldner nur in den Fällen vor, in denen ein Auftrag der Gläubigerversammlung zur Erstellung eines Insolvenzplans an den Schuldner gerichtet wurde, § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO. Konfliktpotential für die Zusammenarbeit mit dem Sachwalter kann sich im Ergebnis an 144 zahlreichen Sachverhalten entzünden, nicht zuletzt aufgrund einer persönlichen Inanspruchnahme des Schuldners durch den Sachwalter oder nahestehender Personen bis hin zur Anfechtung von Sachverhalten gegenüber den für die Fortführung des Geschäftsbetriebs erforderlichen Kunden oder Lieferanten. Bis heute ungeklärt ist bspw. auch, ob und inwieweit der Schuldner den Sachwalter über die bevorstehenden Geschäftsabschlüsse i. R. der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nach § 275 InsO informieren muss.247) In der praktischen Zusammenarbeit kann daher nur ein professioneller Dialog und ein hohes Maß an Kommunikation zwischen Sachwalter und Schuldner sowie den anderen Beteiligten zum Erfolg führen (siehe auch oben § 5). Die einvernehmliche Abgrenzung der Aufgaben und Konkretisierung des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs bereits zu Beginn des Verfah___________ 246) Wimmer-Amend, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 15. 247) Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 15, und Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 17 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
rens wird viele Missverständnisse vermeiden können. Hat der Schuldner Zweifel, ob eine Maßnahme zustimmungspflichtig ist, so ist schon die Nachfrage beim Sachwalter vertrauensbildend. 145 Regelmäßige „Jour-fixes“, am Anfang ggf. täglich, in denen der Schuldner berichtet, geben dem Sachwalter Gelegenheit, sich einen Überblick über das Tagesgeschäft und Sonderthemen zu verschaffen und frühzeitig seine Vorstellungen zu kommunizieren. 146 Aus Sicht des Sachwalters liegt in der Liquiditätsplanung und deren Erfüllung einer der wesentlichen Schwerpunkte im Verfahren. Zum einen würde die ihm übertragene Kassenführung ohne Kenntnis der Liquiditätsplanung faktisch leer laufen. Insbesondere ist aber eine Überwachung des schuldnerischen Unternehmens und seiner Geschäftsführung ohne eine belastbare Liquiditätsplanung ausgeschlossen. Der Sachwalter wird keine Erklärungen gegenüber Lieferanten und Zustimmungen zu Bestellungen abgeben, die nicht erfüllt werden können. Bei der Erstellung der Planung und ggf. einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sollte der Schuldner daher große Sorgfalt anwenden. Zu optimistische Annahmen lassen schnell Zweifel an seiner Kompetenz aufkommen. Auch kann der Sachwalter in die Erstellung eingebunden werden, bspw. hinsichtlich der zugrunde liegenden Prämissen. Abweichungen in der Liquiditätsplanung müssen sofort dem Sachwalter gemeldet und erläutert werden. 147 Wie bereits oben (siehe Rz. 39) ausgeführt, bietet es sich in größeren Insolvenzverfahren an, Arbeitsgruppen für bestimmte Schwerpunktthemen (bspw. Liquiditätsplanung, arbeitsrechtliche Themen, Insolvenzplanerstellung, insolvenzrechtliche Steuerthemen, Kommunikation, Lieferanten und Kundenbeziehungen sowie bei Konzerninsolvenzen, für Tochtergesellschaften und internationale Themen) zu bilden und den Sachwalter oder seine Mitarbeiter hierbei einzubinden. Eine frühzeitige Abstimmung mit dem Sachwalter vermeidet spätere Überraschungen, nicht zuletzt in der Gläubigerversammlung oder im Gläubigerausschuss. 148 Offensichtlich ist ein in Insolvenzfragen unerfahrener Schuldner mit den Fragestellungen im Einzelfall überfordert. Die Eigenverwaltung ist auch kein Sanierungsinstrument im engeren Sinne. Beabsichtigt der Schuldner, sein Unternehmen zu sanieren, bedarf es der Einleitung eines Insolvenzplanverfahrens oder einer übertragenden Sanierung durch Verkauf der Aktiva und Übernahme von Mitarbeitern durch die Erwerberin oder der Übertragung auf eine zu diesem Zweck gegründete Übernahmegesellschaft, § 260 Abs. 3 InsO.248) Eine mögliche Lösung ist, die Geschäftsführung durch einen zuverlässigen und kompetenten Sanierungsspezialisten zu ergänzen, der die erforderlichen Kenntnisse für eine Sanierung mitbringt und Vertrauen bei den Gläubigern und Gesellschaftern hat. In einer Eigenverwaltung in der Ausprägung, dass die Kommunikation und Abstimmung mit dem Sachwalter im Wesentlichen über Sanierungsexperten erfolgt, werden die übrigen Manager weitgehend befreit und dem Management die Gelegenheit gegeben, sich – soweit möglich – auf das Routine-Geschäft zu konzentrieren. Das Management kann daher seinem spezifischen Aufgabenbereich nachgehen, während der Restrukturierungsexperte die Umsetzung vornimmt. Die spezifischen Fähigkeiten und Erfahrungen des Managements lassen sich so effizient nutzen. Die Aufteilung der Kompetenzen auf zwei Experten, den Eigenverwalter und den Sachwalter, kann auch einen großen Einfluss auf die Beschleunigung des ganzen Prozesses haben und Vertrauen in die Restrukturierungsstrategie des Managements aufbauen. 149 Letztlich fördert diese Lösung auch den professionellen Dialog zwischen dem geschäftsorientierten Eigenverwalter und dem vom Gericht bestellten Sachwalter. Mit einem restrukturierungserfahrenen Eigenverwalter sind Sachwalter und Gläubiger eher geneigt, ___________ 248) Hierzu Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 220 Rz. 24.
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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters
§ 12
Vertrauen in das Management und die Restrukturierungsstrategie des Managements zu entwickeln. Des Weiteren verkürzt ein professioneller Dialog erheblich die Zeit beim Austausch von Fakten und Zahlen. An dieser Lösung wurde allerdings heftige Kritik geübt, weil über den Einfluss von Banken und anderen Großgläubigern oder der Politik das Benennungsrecht des Insolvenzgerichts für einen Insolvenzverwalter gemäß § 56 InsO umgangen werden könne.249) Mit der Einführung des ESUG und den oben (siehe Rz. 16 – 20) bereits zusammengefassten Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger dürfte sich diese Kritik allerdings relativiert haben.
___________ 249) Die Argumente und Gegenargumente sind zusammengefasst bei Uhlenbruck, in: FS Metzeler, 2003, S. 85, 90 f., sowie Hügel, Die Eigenverwaltung als Modell zur Erhöhung der Insolvenzmasse, 2007, S. 50 ff.
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§ 13 Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Specovius
I. Einleitung .................................................... 1 II. Zusammenspiel im Eröffnungsverfahren ........................................................... 8 1. Insolvenzverfahren ...................................... 8 2. Schutzschirmverfahren .............................. 15 III. Zusammenspiel im eröffneten Insolvenzverfahren............................................ 17 1. Organisation der Tagesarbeit .................... 17 2. Abstimmung mit dem Sachwalter............. 21 2.1 Strukturierung des Verfahrens ..... 34 2.2 Implementierung von Projektgruppen .......................................... 36 2.3 Allgemeine Verfahrensabwicklung......................................... 46
3. 4.
Einbindung externer Berater ..................... 51 Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss .................................................... 54 5. Zusammenarbeit mit Aufsichtsrat/ Beirat/Gesellschafterversammlung ........... 58 6. Zusammenarbeit im Tagesgeschäft........... 59 IV. Konfliktpotenzial und Lösungen............ 66 V. Kommunikation mit dem Insolvenzgericht ................................................ 74 VI. Kommunikation mit der Gläubigerversammlung............................................. 75 VII. Checklisten............................................... 78
Literatur: Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG – Herausforderungen für die Praxis, ZIP 2012, 158; Huep, Auswirkungen des ESUG auf das Tätigkeitsfeld Insolvenzverwaltung, ZInsO 2012, 403; Klöhn, Gesellschaftsrecht in der Eigenverwaltung: Die Grenzen des Einflusses auf die Geschäftsführung gemäß § 276a Satz 1 InsO, NZG 2013, 81; Luttermann/Geißler, Rechtsbasis und Praxis einer Kultur der Unternehmenssanierung, ZInsO 2013, 1381; Pape, Erleichterung der Sanierung von Unternehmen durch Stärkung der Eigenverwaltung, ZInsO 2010, 1582; Ströhmann/ Längsfeld, Die Geschäftsführungsbefugnis in der GmbH im Rahmen der Eigenverwaltung, NZI 2013, 271; Zipperer, Die Einflussnahme der Aufsichtsorgane auf die Geschäftsleitung in der Eigenverwaltung – eine Chimäre vom Gesetzgeber, Trugbild oder Mischwesen?, ZIP 2012, 1492.
I.
Einleitung
1 Vom gedeihlichen Zusammenwirken des Schuldners (Eigenverwalters) und des Sachwalters hängt maßgeblich der Erfolg des Insolvenz(plan)verfahrens ab. Wird der Insolvenzverwalter gemeinhin als „Schlüsselfigur“ des Insolvenzverfahrens bezeichnet,1) so dupliziert sich diese Stellung bei der Eigenverwaltung. Die Anordnung der Eigenverwaltung führt zu einer Aufteilung der Kompetenzen zwischen Schuldner und Sachwalter, dessen vordringliche Aufgabe es ist, den Schuldner zu überwachen und zu unterstützen (siehe § 11 Rz. 4 und § 12 Rz. 3 ff.). Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten für das Verfahren die allgemeinen Vorschriften und Grundsätze, soweit nichts anderes bestimmt ist. Ein Vorschlag, wie die Arbeiten zwischen Sachwalter und Eigenverwaltung, unterschieden nach vorläufigem und eröffnetem Verfahren, aufgeteilt werden können, lässt sich den unter VII. abgedruckten Checklisten entnehmen (siehe Rz. 78 f.). 2 Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung.2) Dies gilt selbstverständlich auch für Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung,3) denn dieses Verfahren dient mitnichten primär den Interessen des Schuldnerunternehmens bzw. des Schuldners. Der Schuldner unterliegt der Verpflichtung, bei seinen Rechtshandlungen das Interesse der Gläubigergesamtheit in den Mittelpunkt seines Handelns zu stellen und folglich nur solche Maßnahmen zu treffen, die den Zielen der InsO entsprechen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung hat der Sachwalter zu überwachen. Zum Erreichen dieser Ziele ist eine ___________ 1) Wie Jäger schon seinerzeit in seinem Kommentar zur KO treffend feststellte. 2) Kießner, in: Braun, InsO, § 1 Rz. 2. 3) Foltis, in: Wimmer, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 3; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 31.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
koordinierte Planung und Organisation des Insolvenzverfahrens und insbesondere der Betriebsfortführung ebenso unerlässlich wie eine umfangreiche und konstruktive Zusammenarbeit, gerade auch bei Kompetenzkonflikten zwischen dem Unternehmen und dem vorläufigen, respektive endgültigen, Sachwalter4) einerseits sowie den verschiedenen, je nach Größe des Verfahrens hinzuzuziehenden, externen Beratern andererseits. Durch eine Planung und geordnete Vorbereitung des Verfahrens kann der Schuldner 3 das Heft des Handelns in der Hand behalten und nicht nur das spätere Verfahren beschleunigen, sondern darüber hinaus auch die Grundlagen für eine spätere Kommunikationsführerschaft legen, dem (vorläufigen) Sachwalter eine zügige Einarbeitung in das Unternehmen ermöglichen und für den Gang des Verfahrens wichtige Arbeiten vorbereiten.5) Ziel aller Vorbereitungshandlungen sollte die Schaffung der Voraussetzungen für eine nahtlose Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren sein. Hierzu ist es empfehlenswert, i. R. der Vorbereitung des Insolvenzverfahrens alle Unter- 4 lagen zusammenstellen zu lassen, die der vorläufige Sachwalter benötigt, um sich schnell ein Bild über das Unternehmen und seine Besonderheiten verschaffen zu können, sowie die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die er zur Anfertigung seines Gutachtens braucht (z. B. Bilanzen, Grundbücher, Debitorenliste, Kreditorenliste, Handelsregisterauszug, Mietverträge, Aufstellung sämtlicher Dauerschuldverhältnisse, Sicherheitenverträge, Bankunterlagen etc.). Die Geschäftsführung sollte in der Lage sein, den Sachwalter kurz und prägnant über den Sachstand des Unternehmens, die Insolvenzursachen, die beabsichtigte Restrukturierung, potenzielle Probleme und weitere wichtige Informationen in Kenntnis zu setzen. Dank der Änderung der §§ 56, 274 Abs. 1 InsO durch das ESUG ist es für den Schuldner 5 gefahrlos, bereits i. R. der Planung des Insolvenzverfahrens Kontakt zu dem späteren potenziellen Sachwalter aufzunehmen und mit diesem die Struktur des Verfahrens vorzubesprechen. Es ist dringend zu empfehlen, entsprechend zu verfahren, damit der Einstieg ins vorläufige Insolvenzverfahren möglichst reibungslos vonstatten geht. Unabhängig davon, ob der Erstkontakt zwischen Schuldner und Verwalter noch vor oder erst nach Stellung des Insolvenzantrags erfolgt, ist dieser Erstkontakt natürlich für beide Seiten extrem wichtig. Entsprechend sollte er vom Schuldner auch geplant und initiiert werden. Nicht nur bei Großverfahren, sondern auch bei Verfahren mittlerer Größe, sofern sie von 6 regionaler Bedeutung und öffentlichem Interesse sind, empfiehlt sich auch die Vorbereitung der Kommunikation mit den vom Insolvenzverfahren betroffenen Personen und Institutionen. Gerade in der Krise muss das Unternehmen um good will und aktive Unterstützung werben.6) In vorbereiteten Anschreiben an diese Stakeholder sollte u. a. auf die angestrebte Eigenverwaltung und auf die – später noch zu konkretisierende – Person des (vorläufigen) Sachwalters hingewiesen werden. Mindestens genauso wichtig wie die Vorbereitung der externen ist die der internen Kommunikation, insbesondere gegenüber den Mitarbeitern. Ratsam ist daher sowohl die Durchführung einer Betriebsversammlung unmittelbar vor Antragstellung, noch ohne Teilnahme des späteren vorläufigen Sachwalters, um die Mitarbeiter über die geplanten Schritte in Kenntnis zu setzen, sie so weit wie möglich über den voraussichtlichen Ablauf des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf ihr Arbeitsverhältnis zu informieren und ihnen eventuelle Ängste zu nehmen, als auch die Organisation einer Betriebsversammlung gemeinsam mit dem vorläufigen Sachwalter, in der dieser sich vorstellen und um Vertrauen bei der Belegschaft werben kann. Hilfreich ist es auch, wenn die Insolvenzgeldvorfinanzierung bereits im Vorfeld des Verfahrens vorbe___________ 4) Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 49. 5) v. Buchwaldt, BB 2015, 3017 ff.; Kolmann, DB 2014, 1663 ff. 6) Scheurer, ZInsO 2013, 2368, 2369 ff.
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§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
reitet wurde und somit in der ersten Betriebsversammlung durch den vorläufigen Sachwalter eine zeitnahe Befriedigung der Arbeitnehmeransprüche angekündigt werden kann. In Fällen von namhafter Bedeutung sollte die Durchführung einer Pressekonferenz zusammen mit dem vorläufigen Sachwalter erwogen und organisiert werden.7) Eine kommunikative Zurückhaltung in dieser Phase führt nur dazu, dass Wettbewerber, unzufriedene Kunden und Lieferanten sowie interne Kritiker Gelegenheit zu einer interessengelenkten Kommunikation erhalten, die nicht immer fair, offen und sachlich sein muss.8) 7 Lässt sich der Schuldner in seiner Vorbereitung von dem Ziel leiten, alle Voraussetzungen für eine nahtlose Betriebsfortführung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren zu schaffen und keine (faktische oder juristische) präjudizierende Wirkung in Bezug auf das nachfolgende eigentliche Insolvenzverfahren herbeizuführen, steht einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem – ggf. von ihm mit ausgesuchten – Sachwalter nichts im Wege. II.
Zusammenspiel im Eröffnungsverfahren
1.
Insolvenzverfahren
8 Die Insolvenzordnung fördert die Eigenverwaltung durch folgende Regelungen:
Die Eigenverwaltung ist in das Eröffnungsverfahren implementiert.
Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht im Eröffnungsverfahren davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen, § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO.
Anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird ein vorläufiger Sachwalter bestellt.
Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt und die Eigenverwaltung beantragt, sieht das Gericht jedoch die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat es seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen, § 270a Abs. 2 InsO.
9 Diese Regelungen stärken das Vertrauen der am Insolvenzverfahren Beteiligten in das Schuldnerunternehmen.9) Das Gericht vermittelt nach außen den Eindruck, der Eigenverwaltungsantrag sei, nach einer ersten Prüfung, nicht aussichtslos. Es ist richtig, die Eigenverwaltung in das vorläufige Verfahren vorzuziehen10) und damit der Geschäftsleitung die Kontrolle über das Unternehmen zu belassen. 10 Die Gläubiger sind durch diese Regelungen nicht schutzlos gestellt, denn der vorläufige Sachwalter kontrolliert den Schuldner über §§ 274, 275 InsO, insbesondere über das Kassenführungsrecht des § 275 Abs. 2 InsO, und kann nachteilige Verfügungen zu Lasten der Gläubiger verhindern bzw. aufdecken. 11 Dass es kein allgemeines Verfügungsverbot gibt (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO), erscheint sachgerecht, da es den Schuldner faktisch aus dem Unternehmen drängen und damit eine Eigenverwaltung aussichtslos machen würde.
___________ 7) In derartigen Fällen ist m. E. die Einschaltung von PR-Spezialisten zur Koordination der internen und externen Kommunikation unabdingbar; s. ausführlich oben § 5. 8) Scheurer, ZInsO 2013, 2368 ff. 9) Hofmann, NZI 2010, 798. 10) Schelo, DB 2010, 2209.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
Im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen vorläufigem Sachwalter und Schuldner 12 ist es psychologisch für den Schuldner von erheblicher Bedeutung, bereits zu Beginn des Verfahrens als eigenverwaltetes Unternehmen nach außen auftreten zu können. Hierauf ist in der Kommunikation ein Schwerpunkt zu setzen. Den Verfahrensbeteiligten muss, in Zusammenarbeit zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter, die Rollenverteilung nahegebracht und verdeutlicht werden, dass bereits von Beginn des Verfahrens an die Verantwortung für die Betriebsfortführung in den Händen des Schuldners liegt. Je nachdem, wie der vorläufige Sachwalter seine Rolle ausfüllt, ob als reines Kontroll- 13 und Aufsichtsorgan oder nach wie vor, unabhängig von der Bezeichnung, als vorläufiger Insolvenzverwalter, wird er sich unterschiedlich stark in das Verfahren einbringen. An der Funktion des vorläufigen Sachwalters als „Kreditversicherer“ des Schuldners wird sich nichts ändern. Durch die Übertragung der Kassenführungsbefugnis auf ihn, wird er das Eingehen von Verbindlichkeiten maßgeblich mit beeinflussen. Er wird Bestellungen mit abzeichnen müssen, das Anderkonto führen und auf eine penible Liquiditätskontrolle bestehen. Eine dem vorläufigen Sachwalter obliegende Aufgabe ist es, das Insolvenzgericht regel- 14 mäßig durch Zwischenberichte über den Stand des Verfahrens zu unterrichten und die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses sowie dessen Zusammensetzung anzuregen. 2.
Schutzschirmverfahren
Im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO gelten besondere Regelungen für die Eigen- 15 verwaltung (Einzelheiten siehe oben § 8). Während des Schutzschirmverfahrens darf das Gericht weder einen vorläufigen Insolvenzverwalter noch einen Gutachter bestellen, vielmehr ist es auf die Bestellung eines Sachwalters beschränkt.11) Auch darf das Gericht nur eingeschränkt Sicherungsmaßnahmen erlassen (vgl. § 270 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 InsO) und muss umgekehrt auf Antrag des Schuldners eine bereits laufende Zwangsvollstreckung untersagen oder einstellen lassen. Durch diese Maßnahmen wird die Stellung des Eigenverwalters – vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt – gegenüber der des Sachwalters sehr hervorgehoben. Ausgeglichen wird diese Stärke durch die Berichtspflicht des Sachwalters über den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder eine erkennbare Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung (§ 270b Abs. 3 InsO) – Umstände, die zu einer vorzeitigen Aufhebung des Schutzschirmverfahrens führen können. Die noch bis zu den Lesungen im Bundestag enthaltene Regelung, dass das Schutzschirm- 16 verfahren bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Aussichtslosigkeit der Sanierung aufzuheben sei, wurde nach heftiger Kritik dann doch noch zu Gunsten einer Ermessensregelung umgewandelt.12) Somit ist das Damoklesschwert der Aufhebbarkeit des Verfahrens zumindest abgemildert. Es bleibt abzuwarten, ob die Spruchpraxis der Gerichte die Spielräume für den Eigenverwalter offenhält. Tritt die Zahlungsunfähigkeit nicht ein und erscheint die Sanierung auch nicht aussichtslos, so ist der Eigenverwalter im Schutzschirmverfahren im Vergleich zum „normalen“ Antragsverfahren in einer weitaus besseren Position. Angesichts der nachfolgend noch zu schildernden Zustimmungsrechte etc. des Sachwalters ist dem Eigenverwalter aber auch im Schutzschirmverfahren zu empfehlen, eine enge Abstimmung mit dem Sachwalter zu suchen.
___________ 11) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344. 12) S. zur Diskussion u. a. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1345.
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§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
III.
Zusammenspiel im eröffneten Insolvenzverfahren
1.
Organisation der Tagesarbeit
17 Mit der Eigenverwaltung wird die Stellung des Schuldners im Insolvenzverfahren wesentlich gestärkt. Der Schuldner ist berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, § 270 Abs. 1 InsO. In seinem Verantwortungsbereich liegt die Führung der Geschäfte, während der Sachwalter diejenigen Aufgaben übernimmt, die im Interesse der Gläubiger grundsätzlich dem Insolvenzverwalter übertragen sind.13) Diese Verfahrensgestaltung erfordert eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen Schuldner und Sachwalter. 18 Während die InsO für den Regelfall vorsieht, dass der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verliert (§ 80 InsO), unterbleibt dies bei der Eigenverwaltung. Der Schuldner bleibt als Eigenverwalter für die gesamte Durchführung des Verfahrens zuständig, dementsprechend setzt der Gesetzgeber dessen Kooperationsbereitschaft mit dem Sachwalter voraus. Selbst bei der Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte (§ 277 InsO) erhält der Sachwalter kein eigenes Verfügungsrecht,14) sondern lediglich ein Mitwirkungsrecht. Wie der Insolvenzverwalter im allgemeinen Verfahren handelt der Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren dann als Amtswalter mit gesetzlich bestimmten Rechten und Pflichten.15) Bei der Ausübung dieser Rechte und Pflichten wird er durch den Sachwalter kontrolliert und überwacht. Dies hat eine Art gemeinsame Unternehmensleitung zur Folge.16) 19 Die Aufgaben des Schuldners (Einzelheiten oben § 11) sind zu differenzieren in die allgemeinen Aufgaben, wie u. a. die Geschäftsführung, Arbeitgeberfunktion, Begründung von Masseverbindlichkeiten, als auch in die in den §§ 270 ff. InsO geregelten insolvenzrechtlichen Sonderaufgaben, wie das Führen des Verzeichnisses der Massegegenstände, des Gläubigerverzeichnisses, die Erstattung des Berichts zur Gläubigerversammlung, die Rechnungslegung, die Entscheidung über die Aufnahme von Prozessen nach §§ 85, 96 InsO, das feststellungshindernde Bestreiten angemeldeter Forderungen, die Entscheidung über die Fortsetzung nicht vollständig erfüllter Vertragsverhältnisse, die Verwertung von Sicherungsgut und die Verteilung der Masse. 20 Die aufgezählten Verpflichtungen setzen erheblichen insolvenzrechtlichen Sachverstand voraus. Sofern der Schuldner nicht bereits in der Planungsphase, spätestens aber mit der Eröffnung des Verfahrens, einen in der Bearbeitung von Insolvenzverfahren erfahrenen „Lotsen“ an Bord geholt hat, ist zu erwarten, dass der Sachwalter in vielen Fällen dem Schuldner Hilfestellung geben muss (siehe auch § 11 Rz. 14). Daneben stehen dem Sachwalter originäre Rechte wie das Kassenführungsrecht, das Insolvenzanfechtungsrecht, die Pflicht zur Entgegennahme von Forderungsanmeldungen, die Führung der Tabelle und das Recht zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu. 2.
Abstimmung mit dem Sachwalter
21 Das Eigenverwaltungsrecht des Schuldners ist unbeschränkt, aber nicht schrankenlos. Deshalb sieht die InsO in § 275 Abs. 1 Satz 1 auch vor, dass der Schuldner bei bestimmten Verbindlichkeiten, die er eingehen will, die Zustimmung des Sachwalters einholen bzw. Verbindlichkeiten nicht eingehen soll, wenn der Sachwalter widerspricht. Zustimmung ___________ 13) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 23. 14) Vgl. BGH v. 14.2.1957 – VII ZR 250/56, BGHZ 23, 307, 318. 15) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 12 m. w. N.; Riggert, in: Braun, InsO, § 270 Rz. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.13. 16) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 275 Rz. 4.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
i. S. dieser Vorschrift ist die Einwilligung entsprechend § 183 BGB, also die vorherige Zustimmung, nicht die nachträgliche Genehmigung gemäß § 184 BGB.17) Zwar ließe die Legaldefinition der §§ 183, 184 BGB beide Auslegungen zu, jedoch widerspräche das dem Gesetzeszweck, die Kontrolle des Sachwalters zu ermöglichen. Die Kontrolle durch den Sachwalter soll auch darin bestehen, bereits im Vorfeld die Gläubiger schädigende Verbindlichkeiten zu verhindern und nicht erst im Nachhinein diese zu kritisieren und dem Gläubigerausschuss bzw. dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Die Wirksamkeit der vom Schuldner eingegangenen, ohne Zustimmung des Sachwalters 22 getätigten Verpflichtungen im Außenverhältnis bleibt unberührt, dafür spricht die Ausgestaltung dieser Norm als Soll-Vorschrift. Der Geschäftsverkehr soll auf die Handlungsfähigkeit des Schuldners vertrauen dürfen,18) selbst dann, wenn dem Vertragspartner des Schuldners die fehlende Zustimmung oder das Vorliegen eines Widerspruchs bekannt war.19) Anders verhält es sich bei den Rechten nach §§ 120, 122, 126 InsO. Die Kündigung von 23 Betriebsvereinbarungen, Durchführung von Betriebsänderungen und Anträge im Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz sieht der Gesetzgeber als so besonders wichtig an, dass sie der Zustimmung des Sachwalters bedürfen.20) In diesen Fällen ist das Handeln des Schuldners auch im Außenverhältnis nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam.21) Auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 277 Abs. 1 InsO) oder bei Eilbedürftigkeit 24 und entsprechender Glaubhaftmachung (§ 277 Abs. 2 InsO) auf Antrag eines Gläubigers kann das Insolvenzgericht die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von der Zustimmung des Sachwalters abhängig machen. Unter Beachtung von § 81 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 82 InsO wirken solche Verfügungsbeschränkungen absolut; Vertrauensschutz wird in diesen Fällen nur in den engen Grenzen, wie sie für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geregelt sind, gewährt (ausführlich siehe § 12 Rz. 57 ff.). Nach § 275 Abs. 2 InsO kann der Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle einge- 25 henden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen werden (siehe § 12 Rz. 47 ff.). Hierzu bedarf es keiner gerichtlichen Anordnung, vielmehr hat der Sachwalter einen unmittelbaren Anspruch gegen den Schuldner. Es empfiehlt sich, bereits im Eröffnungsverfahren Einigkeit darüber zu erzielen, wer das Konto führen soll. Wird keine abweichende Regelung getroffen, bleibt der Schuldner in vollem Umfang verfügungsbefugt, denn der Antrag auf Eigenverwaltung lässt die Kontoinhaberschaft unberührt. Allerdings erlischt das bestehende Kontokorrentverhältnis mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens22) und es ist ein außerordentlicher Saldenabschluss durchzuführen.23) Will der Schuldner das Konto nach Anordnung der Eigenverwaltung weiterführen, bedarf es hierzu einer gesonderten Vereinbarung mit der Bank. ___________ 17) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. 18) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15; Riggert, in: Braun, InsO, § 275 Rz. 6; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 7. 19) Riggert, in: Braun, InsO, § 275 Rz. 6. 20) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.17. 21) Riggert, in: Braun, InsO, § 279 Rz. 3. 22) BGH v. 21.6.2005 – XI ZR 152/04, ZIP 2005, 1448, dazu EWiR 2005, 755 (Haertlein); BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138, dazu EWiR 2006, 213 (Flitsch/Schellenberger); BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437, dazu EWiR 2008, 659 (D. Schulz); BGH v. 5.2.2009 – IX ZR 78/07, ZIP 2009, 673, dazu EWiR 2009, 481 (Ch. Keller). 23) BGH v. 13.11.1990 – XI ZR 217/89, ZIP 1991, 155, dazu EWiR 1991, 151 (Bülow); OLG Köln v. 19.4.2004 – 2 U 187/03, ZInsO 2004, 683.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
26 Einer solchen bedarf es nicht, wenn der Sachwalter von seinem Recht, und dies sollte er grundsätzlich zur besseren Kontrolle auch tun, Gebrauch macht, die Kassenführung an sich zu ziehen und ein entsprechendes Treuhandkonto zu eröffnen. Da diese Maßnahme nur interne Wirkung hat, kann der Schuldner im Außenverhältnis zu Dritten weiterhin wirksam leisten und Leistungen entgegennehmen.24) Soll das Konto des Schuldners also für weitere Zahlungsausgänge geschlossen werden, bedarf es einer entsprechenden Weisung seinerseits. Dies gilt grundsätzlich auch für Zahlungseingänge. Davon ist aber abzuraten. Die Bank wäre in einem solchen Fall verpflichtet, eingehende Zahlungen an den Anweisenden zurückzuüberweisen. Eine Umleitung auf das Konto des Sachwalters würde von dem Zahlungsauftrag abweichen und daher nicht erfolgen.25) 27 Bei der Finanzierung der Betriebsfortführung ist Folgendes zu beachten: Spätestens nach Anordnung der Eigenverwaltung wird die Bank in der Regel die Kredite kündigen. Ein anderes Verhalten ist ihr auch nicht zumutbar, insbesondere dann nicht, wenn sie über revolvierende Sicherheiten verfügt. Diese, wie z. B. Sicherungsübereignungen eines Warenlagers mit wechselndem Bestand oder Vorausabtretungen von Forderungen, zeichnen sich dadurch aus, dass die im Zeitpunkt der Kreditgewährung vorhandenen Sicherheiten während der Laufzeit der Kredite ausgetauscht werden. Die Bank lässt Verfügungen über das Warenlager bzw. die Forderungen zu in der Kenntnis, wieder anderweitige Sicherheiten zu erlangen. Besteht die Einziehungs- und Verfügungsbefugnis, ist dies unproblematisch; der Kreditnehmer kann Waren verkaufen, Forderungen einziehen und neu erworbene Forderungen sowie neu eingekaufte oder produzierte Waren dem Sicherungsgut hinzuführen. Erlangt die Bank jedoch Kenntnis von dem Antrag auf Eigenverwaltung, unterliegen die neu begründeten Forderungen bzw. die neu dem Warenlager zugeführten Bestände der Anfechtung. Folglich muss die Bank, um den bestehenden Bestand an Sicherheiten zu sichern, die Einziehungs- und Veräußerungsermächtigung widerrufen. Für den Schuldner kann dies die Folge haben, dass die Finanzierung der Betriebsfortführung nicht mehr möglich ist. Die in der Praxis entwickelten Instrumente zur Finanzierung des Eröffnungsverfahrens funktionieren nicht. 28 Selbst wenn der Sachwalter einer Kreditaufnahme durch den Schuldner zustimmt, werden die neu begründeten Kredite nicht zu Masseverbindlichkeiten. Erforderlich wäre hierfür die Anordnung eines Verfügungsverbots, die bei der Eigenverwaltung jedoch gerade unterbleiben soll. In der vorläufigen Insolvenzverwaltung vereinbart die Bank in der Regel mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter, die Veräußerungsermächtigung und die Einziehungsermächtigung aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, sofern der vorläufige Verwalter zustimmt, neue Sicherungsgegenstände und Forderungen i. H. der Abgänge als Sicherheiten dienen zu lassen, und damit eine spätere Anfechtung ausschließt.26) Scheitert damit die Betriebsfortführung durch die Eigenverwaltung? 29 Auch wenn ein allgemeines Verfügungsverbot nicht angeordnet wurde, kann sich der vorläufige Verwalter ermächtigen lassen, einzelne im Voraus spezifizierte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, sofern dies für die Verwaltung erforderlich ist.27) Die dann eingegangenen Verbindlichkeiten sind Masseschulden. Diese Möglichkeit gilt auch in der Eigenverwaltung. § 270 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist nur eine Sollvorschrift und will nur den umfassenden Zustimmungsvorbehalt verhindern.28) Um die Finanzierung der Fort___________ Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 7. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1817. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1816. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt); Laroche, NZI 2010, 965, 966; A. Schmidt/Roth, ZInsO, 2006, 177, 180. 28) Swierczok, ZInsO 2016, 2366.
24) 25) 26) 27)
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
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führung zu sichern, ist dem Schuldner daher zu empfehlen, diesen Weg der Einzelermächtigung zu gehen und mit Zustimmung des Sachwalters entsprechende (Masse-)Verbindlichkeiten zu begründen.29) Unabhängig von diesen gesetzlich vorgesehenen Zustimmungserfordernissen sollte der 30 Eigenverwalter versuchen, auch in den gesetzlich nicht vorgesehenen Fällen und gerade in Eilfällen eine Abstimmung mit dem Sachwalter herbeizuführen. Lag die Eilzuständigkeit vor der Reform häufig beim vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter, ist aufgrund der Gesamtkonzeption des ESUG davon auszugehen, dass diese Kompetenz nunmehr auf den Eigenverwalter übergegangen ist. Die unterschiedliche Aufgabenzuweisung durch das Gesetz und das gebotene Miteinan- 31 der von Schuldner und Sachwalter lassen es ratsam erscheinen, gleich zu Beginn des Verfahrens und damit schon im Eröffnungsverfahren Einvernehmen über die Abgrenzung der Aufgaben herzustellen, dies schriftlich festzuhalten und Strukturen zu schaffen, die eine gedeihliche Zusammenarbeit ermöglichen,30) zumal bei Anordnung der Eigenverwaltung der Schuldner dem Sachwalter ohnehin vollumfänglich auskunfts- und mitwirkungsverpflichtet ist.31) Hat der Sachwalter die Kassenführung übernommen, ist der Schuldner nicht nur ver- 32 pflichtet, Zahlungen zu unterlassen und keine Gelder in Empfang zu nehmen, er hat darüber hinaus empfangene Gelder auszuhändigen, Drittschuldner von der Kassenführung durch den Sachwalter zu informieren und alle Erklärungen abzugeben, die notwendig sind, um dem Sachwalter die ungehinderte Kassenführung zu ermöglichen. Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen soll nachfolgend die konkrete Zusammenar- 33 beit im Verfahren dargestellt werden. Der Verfasser hat sich dabei von eigenen Erfahrungen leiten lassen, ohne den Anspruch zu erheben, dass die beschriebene Vorgehensweise allgemeinverbindlich oder auf jeden Fall anwendbar ist. 2.1
Strukturierung des Verfahrens
Bereits in der Vorbereitung des Verfahrens sollte eine Vorstrukturierung der im Insol- 34 venzverfahren erforderlichen Arbeiten dergestalt erfolgen, dass eine Aufgliederung nach Maßnahmentyp (z. B. Warenbestellung) und Dringlichkeit erfolgt. Nur so kann eine effektive und effiziente Abstimmung des Vorgehens im Verfahren erfolgen. Es bietet sich an, zur Koordinierung zwischen den Fachabteilungen des Schuldners und den Teams eines etwaig für die Sanierung bestellten CRO und des Sachwalters bereits vorab die Einrichtung eines Lenkungsausschusses zu planen und diesen dann im Zusammenwirken mit dem Sachwalter möglichst sofort nach Einleitung des Insolvenzverfahrens operativ zu setzen. Der Lenkungsausschuss dient dazu, die einzelnen Verfahrensschritte abzustimmen und 35 die verschiedenen Teams über die Arbeitsfortschritte informiert zu halten. Ihm sollten natürlich der Sachwalter und die Organe des Schuldners angehören. Daneben richtet sich die Zusammensetzung nach den Gegebenheiten des Einzelfalls. So können z. B. die Abteilungsleiter, eine beauftragte PR-Agentur oder ähnliche Spezialisten hinzugezogen werden. Sollte es im Unternehmen schon vor der Insolvenz ähnliche Gremien/Sitzungen geben, wie Abteilungsleiterkonferenzen oder ähnliches, können diese natürlich weiter genutzt werden. Wichtig ist dabei aber, nicht aus Versehen systemische Fehler des Unter___________ 29) Swierczok, ZInsO 2016, 2366, 2370. 30) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270c Rz. 33. 31) Das ergibt sich aus dem Verweis in § 274 Abs. 2 Satz 2 auf § 22 Abs. 3 InsO. So auch Lüke, in: KPB, InsO, § 97 Rz. 18; Kroth, in: Braun, InsO, § 97 Rz. 4.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
nehmens fortzuführen, sondern auf Veränderungen der Situation flexibel reagieren zu können. 2.2
Implementierung von Projektgruppen
36 Unterhalb der Ebene des Lenkungsausschusses empfiehlt sich die Einrichtung von Projektgruppen, in denen die Tagesarbeit erledigt bzw. die zur Entscheidung durch den Schuldner in Zusammenarbeit mit dem Sachwalter anstehenden Sachverhalte aufgearbeitet und zur Entscheidungsfindung vorbereitet werden. Mitglieder dieser Projektgruppen sollten Mitarbeiter des Unternehmens, aus dem Team des Sachwalters und ggf. externe Berater sein. Ziel dieser Gruppen ist auch, die unterschiedlichen Kompetenzen, die sowohl im Unternehmen als auch in dem Team des Sachwalters und den externen Beratern vorhanden sind, zu bündeln und zum Wohl des Gesamtprojekts einzusetzen. 37 Welche Projektgruppen im Einzelfall zu bilden sind, hängt ebenso von Größe und Struktur des jeweiligen Unternehmens ab, wie die personelle Stärke der einzelnen Gruppen. Ist die Gruppe personell zu stark besetzt, besteht die Gefahr der Unproduktivität; wird sie, gemessen an den Aufgaben, zu schwach besetzt, kann es sein, dass sie ihren Aufgaben nicht nachkommen kann. Als sachgerecht haben sich Gruppen in einer Größe von zwei bis fünf Personen herausgestellt. 38 Projektgruppe Liquiditätssteuerung: Aufgabe dieser Gruppe ist es, taggenaue Auskunft über den Stand der Liquidität und deren voraussichtliche Entwicklung in den nächsten Wochen bzw. Monaten zu geben. Entsprechende aussagekräftige Unterlagen sind der Unternehmensführung und dem Sachwalter täglich zu übermitteln. Abweichungen der IstEntwicklung von der Planung sind zu begründen. Die erarbeiteten Unterlagen sind ein wesentliches Instrumentarium zur Steuerung des Unternehmens. Sie können darüber hinaus als Tischvorlagen für die Sitzungen des Gläubigerausschusses und, soweit vorhanden und i. R. des Insolvenzverfahrens noch tagend, des Beirats bzw. Aufsichtsrats verwendet werden. 39 Projektgruppe Arbeitsrecht: In der Regel geht mit jeder Restrukturierung, innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens, ein Arbeitsplatzabbau einher. Diese Arbeitsgruppe, der neben Mitarbeiter der Personalabteilung auch insolvenzerfahrene Arbeitsrechtsanwälte angehören sollten, kann sich schon vor Eröffnung des Verfahrens mit der Organisation der Insolvenzgeldvorfinanzierung beschäftigen. Hauptaufgabe wird es sein, die Verhandlungen über den Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat, aufgrund der Direktiven durch die Unternehmensleitung und den Sachwalter, zu führen und den Ausspruch der Kündigungen vorzubereiten. Sofern eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zum Tragen kommt, können die Verhandlungen mit der Transfergesellschaft, dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern ebenfalls an diese Arbeitsgruppe delegiert werden. Darüber hinaus kann diese Gruppe, sofern eine betriebliche Altersversorgung besteht, damit beauftragt werden, die entsprechenden Unterlagen für den Pensionssicherungsverein aufzuarbeiten, die entsprechenden Korrespondenzen mit diesem zu führen und die Einrichtung eines vorläufigen Zahlungswegs in die Wege zu leiten. 40 Projektgruppe Insolvenzplanerstellung: Dieser Kernbereich der Sanierung des Unternehmens, ohne den die Anordnung der Eigenverwaltung fast nicht vorstellbar, aber auch nicht zwingend ist, da die Eigenverwaltung auch in einem Regelinsolvenzverfahren angeordnet werden kann,32) erfordert eine eigenständige Projektgruppe. Die Hauptaufgabe liegt neben dem reinen Editieren des schriftlichen Plans darin, die dafür notwendigen Daten zu erheben bzw. von den anderen Projektgruppen i. R. gezielter Arbeitsaufträge erheben ___________ 32) Obermüller, ZInsO 2011, 1809 ff., 1813.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
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zu lassen. Da sich i. R. der Vorbereitung der Antragstellung für eine Eigenverwaltung die Übung herausgebildet hat, dass nicht nur ein Sanierungsexperte in die Geschäftsführung geholt wird, sondern dass auch der Insolvenzplan zumindest im Rohentwurf bereits bei Antragstellung vorgelegt wird (siehe § 6 Rz. 150 ff.), ist diese Gruppe eigentlich schon vor Antragstellung einzurichten und in Koordination mit dem vorläufigen Sachwalter dann personell zu ergänzen. Projektgruppe Planrechnung: Soll das Unternehmen i. R. des Insolvenzplanverfahrens 41 ganz oder in Teilen fortgeführt und sollen die Gläubiger aus den künftigen Einnahmen befriedigt werden, schreibt § 229 InsO die Erstellung einer Vermögensübersicht (Planbilanz), eines Ergebnisplans (Plan-GuV) und eines Finanzplans (Plan-Liquiditätsrechnung) vor. Aufgabe dieser Arbeitsgruppe ist die Erstellung und bei Bedarf Aktualisierung dieser integrierten Planrechnung. Empfehlenswert ist, die i. R. eines Prepackaged-Plans erstellte Planrechnung nach Insolvenzeröffnung den ggf. sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Nur bei komplexen Verfahren ist es empfehlenswert, hier eine eigene Arbeitsgruppe zu bilden und diese nicht in die Arbeitsgruppe „Insolvenzplanerstellung“, die mehr rechtlich determiniert ist, zu integrieren. Projektgruppe Öffentlichkeitsarbeit: Eine Unternehmenssanierung ohne Koordination 42 der Öffentlichkeitsarbeit ist heute gerade bei Großverfahren schlichtweg nicht mehr denkbar – das öffentliche Gezerre um die Karstadt-Insolvenz dürfte das eindrucksvoll veranschaulicht haben. Aus diesem Grund ist ab einer bestimmten Unternehmensgröße (oder bei entsprechendem Medienandrang, z. B. in Verfahren mit betroffenen Kleinanlegern) die Einrichtung einer eigenen Projektgruppe PR geboten. Projektgruppe internationale Beziehungen/internationales Insolvenzrecht: Angesichts 43 der fortschreitenden globalisierten Vernetzung der deutschen Wirtschaft dürfte es schwierig sein, heute noch eine Insolvenz über ein deutsches mittelständisches Unternehmen abzuwickeln, ohne dass internationale Beziehungen zu berücksichtigen sind. In einer Vielzahl der Fälle sind aber heute auch die Rechtsbeziehungen zu (nicht insolventen) Tochtergesellschaften im Ausland, Kunden- und Lieferantenbeziehungen im Ausland und Unternehmensfinanzierungen mit ausländischen Investoren und nach ausländischem Recht bei der Sanierung zu berücksichtigen. Es wird gerade bei größeren Fällen weder dem Eigen- noch dem Sachwalter möglich sein, selbst oder auch mit Hilfe der internen Teams solche Auslandssachverhalte professionell abzuwickeln. Deswegen werden häufig auch andere Berater und Kanzleien zugezogen. Die Erkennung, Aufarbeitung und (interne) Bearbeitung der internationalen Sachverhalte sollten in einer eigenständigen Projektgruppe gebündelt werden, die dann auch für die Auftragsvergabe an externe Berater verantwortlich ist (siehe auch Rz. 51). Projektgruppe Koordination Tochtergesellschaften: Die Konzernierung deutscher Un- 44 ternehmen ist mittlerweile – auch aufgrund steuerlicher Beratung – selbst im Mittelstand so weit fortgeschritten, dass es schon fast zum Regelfall für den Insolvenzverwalter geworden ist, quasi sofort mit der Existenz von Tochtergesellschaften konfrontiert zu werden, die vielleicht noch nicht Insolvenz angemeldet haben, weil in einem solchen Fall der Wert dieser Gesellschaften rapide abnehmen würde oder die Lieferbeziehungen zu den Kunden aufgrund von Insolvenzen mit unterschiedlichen Verwaltern in unterschiedlichen Jurisdiktionen gefährdet wären. Die (operative) Steuerung dieser Tochtergesellschaften und ihre Stabilisierung dienen wesentlich dem Werterhalt auch des insolventen Unternehmens. Auch hierfür bietet sich deswegen eine eigene Projektgruppe an. Projektgruppe Lieferanten und Kundenbeziehungen: Die Betreuung oder Abwicklung 45 von Lieferanten- oder Kundenkontakten und die enge Kommunikation mit den Kreditversicherern gehören gerade bei Handelsunternehmen in eine gesonderte Gruppe. Durch die enge Kommunikation mit den Lieferanten, auch schon im Vorfeld des Verfahrens, soll Specovius
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
das Abreißen der Lieferkette ebenso vermieden werden wie die plötzlich „notwendige“ Preiserhöhung, das Umstellen der Zahlungsziele oder das Junktim, weitere Lieferungen erst nach Begleichung aller offenen vorinsolvenzrechtlichen Altverbindlichkeiten vornehmen zu können. Bei diesbezüglichen Verlangen können Geschäftsführung und Sachwalter die Rollenverteilung in den entsprechenden Gesprächen festlegen und die ganze Klaviatur der Verhandlungsführung spielen. Wichtig ist nur, gemeinsam das Ziel festzulegen und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. 2.3
Allgemeine Verfahrensabwicklung
46 Hierhin gehören die Tätigkeiten, die in jedem Insolvenzverfahren anfallen, aber nicht zum Tagesgeschäft des Unternehmens zählen, z. B. die Führung der Insolvenztabelle, die Bearbeitung der Aus- und Absonderungsrechte, damit zusammenhängend auch die Koordination z. B. mit Lieferantenpools, Fragen betreffend Mietobjekte etc. sowie das Erstellen des Verzeichnisses der Massegegenstände, des Gläubigerverzeichnisses, der Vermögensübersicht und des Berichts zur Gläubigerversammlung (siehe zum Inhalt des Berichts § 11 Rz. 104 ff.). Diesbezüglich ist eine enge Abstimmung mit dem Sachwalter empfehlenswert, damit es keine unterschiedlichen Ansichten bspw. hinsichtlich der Bewertung des schuldnerischen Vermögens gibt bzw. damit diese nicht erst in der Gläubigerversammlung i. R. der Stellungnahme des Sachwalters nach § 281 Abs. 1 Satz 2 InsO zutage treten. Da diese Aufgaben erheblichen insolvenzrechtlichen Sachverstand voraussetzen, sollte der Schuldner die Hilfe des Sachwalters entgegennehmen. 47 Wie im Regelinsolvenzverfahren steht auch in der Eigenverwaltung das Verwertungsrecht an den mit Absonderungsrechten behafteten Gegenständen, soweit ansonsten der Verwalter zur Verwertung berechtigt wäre, nicht den gesicherten Gläubigern zu, sondern dem Schuldner. Er hat sein Verwertungsrecht im Einvernehmen mit dem Sachwalter auszuüben, § 282 Abs. 2 InsO. Aus dieser Pflicht folgt, dass der Schuldner den Sachwalter vor der Durchführung der Verwertung von den beabsichtigten Verwertungsmaßnahmen informieren muss. Widerspricht der Sachwalter, ist dies für den Schuldner beachtlich und er darf die Verwertung nicht vornehmen.33) Da es sich auch bei dieser Vorschrift um eine Soll-Vorschrift handelt, ist die Rechtshandlung des Schuldners, so er entgegen dem Widerspruch des Sachwalters handelt, im Außenverhältnis wirksam. Andererseits ist der Schuldner frei, wenn der Sachwalter aufgrund besserer Rechtskenntnisse in der Lage ist, die Absonderungsrechte festzustellen, dem Sachwalter die Feststellung und Verwertung im Wesentlichen zu überlassen, § 282 InsO als dispositives Recht steht dem nicht entgegen.34) 48 In der allgemeinen Verfahrensabwicklung kann bei der Verwertung von Sicherungsgut die Gefahr bestehen, dass der Schuldner jedenfalls das Gut, das für die Fortführung des Geschäftsbetriebs nicht benötigt wird, nicht mit der gebotenen Eile verwertet. Hier ist es Aufgabe des Sachwalters, auf eine zeitnahe Verwertung zu drängen und darauf zu achten, dass das Sicherungsgut nicht nur verwertet, sondern der Verwertungserlös separiert und nicht untrennbar mit der Masse vermengt wird. 49 Abweichend von § 178 InsO hat i. R. der Forderungsprüfung ein Widerspruch des Schuldners, der ebenso wie der Sachwalter angemeldete Forderungen bestreiten kann, die Wirkung, dass eine Forderung nicht festgestellt wird. In der Tabelle ist daher ausdrücklich zu vermerken, wer den Widerspruch erklärt hat. Für den Schuldner folgt das Widerspruchsrecht aus seiner fortbestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, für den Sachwalter entspricht es seiner Rechtsstellung als Hüter der Gläubigerinteressen. ___________ 33) Riggert, in: Braun, InsO, § 282 Rz. 6. 34) Riggert, in: Braun, InsO, § 282 Rz. 7.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
Auch die Verteilung hat durch den Schuldner zu erfolgen, § 283 Abs. 2 InsO (siehe auch 50 § 11 Rz. 134). Der Sachwalter ist hierbei lediglich zur Prüfung verpflichtet. Die Prüfung der Forderungen und die Verteilung setzen eine enge Abstimmung zwischen dem Schuldner und dem Sachwalter voraus. Es handelt sich um eine Aufgabe, die nach überkommenem Verständnis von Insolvenzabwicklung eigentlich von einem neutralen Dritten durchzuführen ist; dennoch bleibt sie in der Eigenverwaltung dem Schuldner zugeordnet. Der Sachwalter kann nur dann davon ausgehen, dass der Schuldner ohne weiteres fähig ist, diesen Pflichten sachgerecht nachzukommen, wenn dieser entsprechend beruflich qualifiziert ist und die gebotene Distanz zu ggf. eigenen, früheren Erklärungen hat. Gerade bei der Verteilung der Masse ist eine erhöhte Überwachungspflicht durch den Sachwalter daher geboten. 3.
Einbindung externer Berater
Externe Berater sind logischerweise nicht zum schuldnerischen Unternehmen gehörende 51 Personen, also z. B. Unternehmensberater, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, PR-Berater, Kassenprüfer etc. Eine Zwitterstellung nehmen dabei die auch bei deutschen Verfahren mittlerweile häufig anzutreffenden „Sanierungsgeschäftsführer“ oder neu-deutsch „CROs“ (Chief Restructuring Officers) ein. Sie sind zumeist externe Berater, die aber zumindest für einen begrenzten Zeitraum als Vertreter, zumeist als Organ, wie Vorstand oder Geschäftsführer, neuerdings aber auch als Generalbevollmächtigter, also Prokurist mit Sonderbefugnissen, in die Unternehmensleitung berufen werden. Vor dem Hintergrund der Zustimmungserfordernisse (siehe Rz. 21) stellt sich die Frage, 52 wer für die Beauftragung externer Berater zuständig ist. Das dürfte im Grundsatz immer das schuldnerische Unternehmen sein. Allerdings erfolgt in der Praxis zumindest bislang entweder schon die Beauftragung (i. R. eines Vertrages zu Gunsten Dritter) oder aber die Absicherung der Honorierung der Beraterleistungen häufig über die Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens. Dies hat sich in der Vergangenheit gerade bei Planverfahren als hilfreich erwiesen. Die Gesellschafter sind nämlich zumeist bereit, eine Finanzierung der für die Durchführung des Insolvenzplans erforderlichen Leistungen zu übernehmen. Mit der Beauftragung (und/oder Bezahlung) der Berater sicherten sich die Gesellschafter früher einen gewissen Einfluss auf das Insolvenzverfahren. Wie sich diese Praxis angesichts des nunmehr möglichen Debt-Equity-Swaps entwickeln wird, bleibt allerdings abzuwarten. Denn es ist schwer vorstellbar, dass ein Gesellschafter die Bezahlung der Berater übernimmt, wenn das Risiko besteht, dass er seine Gesellschaftsanteile verliert. Möglicherweise folgt das deutsche Recht den anglo-amerikanischen Entwicklungen. Dort ist es mittlerweile üblich, das Verfahren schon so weit vorzubereiten, dass der Insolvenzplan lediglich der Umsetzung dient. Im Rahmen dieser Verhandlungen werden zumeist auch schon die Kapitalanteile für die Zeit nach Verfahrensende festgelegt. Hieran anknüpfend könnte auch die Kostenverteilung in Bezug auf die Berater erfolgen. Auf der operativen Ebene ist es natürlich wichtig, die Leistungen der externen Berater 53 effektiv und effizient in den Sanierungsprozess einzusteuern. Angesichts des Zeitdrucks und der Beteiligung des Sachwalters erfordert diese an sich einfache Aufgabenstellung eine stringente Führung durch den Eigenverwalter in Abstimmung mit dem Sachwalter. Das heißt konkret, dass die Berater so beauftragt werden müssen, dass sie an den Sitzungen der jeweilig für sie relevanten Projektgruppen, ggf. auch denen des Lenkungsausschusses teilnehmen, aus den Projektgruppen heraus ihre Aufgabenstellung erhalten und an die Projektgruppe, ggf. den Lenkungsausschuss, berichten. 4.
Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss
Auch das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist ein gläubigerorientiertes Verfahren. 54 Es liegt daher auf der Hand, dass die Gläubiger ein gestärktes Interesse an der Kontrolle Specovius
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§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
dieser Selbstverwaltungsautonomie haben. Zu Recht weist ihnen daher der Gesetzgeber die Befugnis zu, gemäß § 277 Abs. 1 InsO die ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens durch Anträge abzusichern. 55 Eine besondere Rolle kommt dem Gläubigerausschuss zu. Die frühestmögliche Einbindung eines vorläufigen Gläubigerausschusses in das Verfahren ist ratsam, um einerseits die Gläubiger zeitnah in das Verfahren und die einzelnen geplanten Restrukturierungsschritte bzw. den zu erstellenden Insolvenzplan einzubinden und um andererseits die in diesem Gremium vorhandenen Kompetenzen für die Fortführung zu nutzen. Schon in der Vergangenheit wurde in der Praxis bereits im Eröffnungsverfahren ein sog. „vorläufiger vorläufiger“ Gläubigerausschuss eingesetzt. Diese praktische und sinnvolle Handhabung ist nunmehr in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO kodifiziert. 56 Neben den in § 69 InsO normierten Aufgaben dürfte der Gläubigerausschuss nicht nur die Befugnis haben, die Arbeit des Sachwalters zu begleiten und diesen zu unterstützen, sondern darüber hinaus auch eigenständig den Schuldner (und damit den Eigenverwalter) zu unterstützen und zu überwachen.35) Durch ein kooperatives Miteinander von Sachwalter, Schuldner und Gläubigerausschuss lässt sich das Risiko für die Gläubiger, das teilweise im Belassen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner gesehen wird, begrenzen. In Eigenverwaltungsverfahren sollte ein Gläubigerausschuss daher regelmäßig bestellt werden, um den Gläubigern einen schnellen Zugriff auf für sie ungünstige Entwicklungen zu ermöglichen. 57 Will der Schuldner Rechtshandlungen vornehmen, die von besonderer Bedeutung sind, hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, § 276 InsO. Hier ergibt sich für den Schuldner die Frage, wann er die Zustimmung des Gläubigerausschusses und wann die des Sachwalters einholen muss, denn Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung können gleichzeitig ungewöhnliche Verbindlichkeiten i. S. des § 275 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Maßstab für die Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit des Sachwalters und der des Gläubigerausschusses ist § 160 Abs. 2 InsO. Eine dort nicht ausdrücklich aufgeführte Rechtshandlung sollte nur dann der Zustimmungspflicht des Gläubigerausschusses unterliegen, wenn es sich um eine besonders bedeutsame Verpflichtung des Schuldners handelt, bspw. das Eingehen von Verpflichtungen für ungewöhnlich hohe Investitionen oder langfristig bindende Verträge (siehe auch § 12 Rz. 52 ff.).36) 5.
Zusammenarbeit mit Aufsichtsrat/Beirat/Gesellschafterversammlung
58 In der Vergangenheit ist kontrovers diskutiert worden, ob i. R. einer angeordneten Eigenverwaltung gesellschaftsrechtliche Bindungen des Geschäftsleitungsorgans bestehen bleiben sollen oder ob die Geschäftsleitung gesellschaftsrechtlichen Weisungen und Kontrollen ebenso wenig unterliegen soll wie ein Insolvenzverwalter.37) Durch § 276a InsO ist nunmehr klargestellt, dass bei der Eigenverwaltung von Gesellschaften der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder vergleichbare Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners haben. Die Doppelspurigkeit der Überwachung durch insolvenzrechtliche Gremien (Gläubigerausschuss, Gläubigerversammlung) und gesellschaftsrechtliche Gremien (Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung) entfällt, so dass eine mögliche Schwerfälligkeit des Verfahrens vermieden wird.38) Gleichwohl ist zu empfehlen, zumindest informelle Sitzungen eines Aufsichtsrats zuzulassen, um das dort vorhandene Know-how ___________ 35) 36) 37) 38)
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Pape, in: Kölner Schrift, S. 804, Rz. 71. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 276 Rz. 8. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276a Rz. 1; Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 11 ff. Hofmann, NZI 2010, 798, 804.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
zu nutzen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass bei der Eigenverwaltung die gesellschaftsrechtlichen Gremien nur zeitweise verdrängt werden – nach Abschluss des Insolvenzverfahrens leben ihre Ämter wieder auf.39) Zu beachten ist, dass eine entsprechende Regelung für das Eröffnungsverfahren fehlt. Nach teilweise vertretener Ansicht soll die Vorschrift bereits im Eröffnungsverfahren ab Bestellung eines vorläufigen Sachwalters Anwendung finden.40) Die wohl h. M. folgt dem nicht.41) Für diese Meinung spricht neben dem Argument der fehlenden Nennung von § 276a InsO in der Verweisungsnorm des § 270a Abs. 1 Satz 2 a. E. InsO insbesondere die fehlende Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und dementsprechend die fehlende haftungsrechtliche Zuweisung des Schuldnervermögens an die Gläubiger als Grundlage derartig gravierender Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter. 6.
Zusammenarbeit im Tagesgeschäft
Die praktische Zusammenarbeit im Tagesgeschäft sollte natürlich so weit wie möglich den 59 oben (siehe Rz. 45) dargestellten Prinzipien folgen. Nachfolgend sind einige Bereiche hervorgehoben, die für den Erfolg der Unternehmenssanierung im Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung besonders bedeutsam sind. Unabdingbare Voraussetzung für eine professionelle Betriebsfortführung in der Insol- 60 venz ist die betriebswirtschaftliche Überwachung i. R. einer integrierten Plan-, Gewinnund Verlustrechnung. Die der Planrechnung zu unterlegenden Planprämissen sollten Schuldner und Sachwalter abstimmen und einvernehmlich festlegen. Nicht selten neigen Schuldner dazu, zu optimistische Prämissen in Ansatz zu bringen, und unterschätzen, welche Auswirkungen die Beantragung eines Insolvenzverfahrens auf die Auftragseingänge oder Zahlungsbedingungen haben kann. Der Rat des in Insolvenzverfahren erfahrenen Sachwalters ist von nicht zu unterschätzendem Wert. Planrechnungen, die ständig nach unten korrigiert werden müssen, ermutigen die Gläubiger nicht, dem Schuldner ihr Vertrauen in seine Eigenverwaltung zu schenken. Gerade in diesem Bereich werden Schuldner und Sachwalter zur Vermeidung von Nach- 61 teilen für die Gläubiger besonders eng zusammenarbeiten müssen. Anhand der täglichen Kontrolle, insbesondere der Liquiditätsentwicklung, kann der Sachwalter über die Kassenführung bindend in die Geschäftsführung des Schuldners eingreifen. Voraussetzung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ist, dass der Eigenverwalter dem Sachwalter kontinuierlich die Liquiditätslage des Unternehmens meldet, also z. B. täglich den Liquiditätsstatus übermittelt. Neben den Banken als direkte Finanzierungsquelle stellen die Kunden- und Lieferanten- 62 beziehungen das wesentliche „Kapital“ des Unternehmens dar. Dieser Binsenweisheit muss natürlich gerade bei einer Kompetenzzuordnung an zwei Personen Rechnung getragen werden. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass das insolvente Unternehmen unkoordiniert kollabiert, ist es wichtig, die Stakeholder-Gruppen schnell, umfassend und aus einer Hand zu informieren. Grundsätzlich sollte schriftlich und unmittelbar nach Verfahrenseinleitung informiert werden. Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Vorbereitung der Insolvenz (neben dem Erstellen des Insolvenzplans) ist die Vorbereitung dieser Schreiben. Nichts verärgert Betroffene eines Insolvenzverfahrens mehr, als die Nachricht aus der Zeitung zu erfahren. Gerade bei wichtigen und/oder schwierigen Kunden- und Lieferan___________ 39) Zur daraus resultierenden Kritik an dieser Regelung s. Hofmann, NZI 2010, 798, 804. 40) Brinkmann, DB 2012, 1368; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 273. 41) Pape, in: KPB, InsO, § 276a Rz. 6; Riggert, in: Braun, InsO, § 276a Rz. 3; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Klöhn, NZG 2013, 81, 84.
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§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
tenkontakten ist neben der kurzen schriftlichen Information u. U. eine persönliche Ansprache erforderlich. Auch diese Gespräche sollten vorher, wenn nicht geprobt, so doch gut vorbereitet und zwischen Schuldner und Sachwalter abgestimmt werden, damit sie auch in der Drucksituation der Insolvenzeröffnungsphase ruhig und besonnen ablaufen. Im Verfahren ist die fortlaufende Information dieser Gläubigergruppen ebenfalls sehr wichtig. Es sollte darauf geachtet werden, neben den gesetzlich erforderlichen Pflichtmeldungen (Anschreiben zur Forderungsanmeldung, Einladung zur Gläubigerversammlung etc.) auch regelmäßig Zwischenberichte abzuliefern. 63 Information der Mitarbeiter und arbeitsrechtliche Maßnahmen: Die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs ist nur durch eine konsequente Motivierung der Mitarbeiter möglich. Diese suchen angesichts der Unternehmenskrise zu Recht Führung und Information, aber auch aktive Einbeziehung in den Sanierungsprozess. Eigen- und Sachwalter tun gut daran, diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, also insbesondere Betriebsversammlungen gemeinsam abzuhalten und für eine einheitliche stimmige Information über die geplanten Maßnahmen zu sorgen. Zwar werden die arbeitsrechtlichen Maßnahmen in der oben (siehe Rz. 39) schon beschriebenen Projektgruppe vorbereitet, die Kommunikation und Umsetzung dieser Maßnahmen muss aber vom Eigenverwalter in enger Abstimmung mit dem Sachwalter erfolgen. 64 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch für die in einem Planverfahren durchzuführenden Erörterungs- und Abstimmungstermine Berichte durch den Schuldner vorzubereiten sind, die dem Sachwalter vorab, so sie in schriftlicher Form oder als Präsentation gefertigt werden, zur Durchsicht vorgelegt werden sollten. Anderenfalls ist zumindest der Inhalt der mündlich vorgetragenen Berichte mit ihm abzustimmen. 65 Kommunikation mit sonstigen Stakeholdern: Der Kreis der vom Insolvenzverfahren betroffenen Personen kann nicht nur bei Großverfahren erheblich größer sein als die klassisch betroffenen (Gläubiger-)Gruppen der Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und Banken. So ruft bereits der durch die Insolvenzantragstellung als möglich erscheinende Abbau von Arbeitsplätzen nicht selten zumindest die lokalen Politiker auf den Plan. Je nach Branche und Regulierungsgrad derselben können auch Behörden zu Stakeholdern werden. Man denke nur an die Publizitätspflichten bei börsennotierten Gesellschaften. Die Information dieser Stakeholder sollte vor Einleitung des Verfahrens bereits vorbereitet sein und dann in Absprache mit dem Sachwalter durch den Eigenverwalter erfolgen. Das „Wie“ dieser Kommunikation hängt sehr vom Einzelfall ab; in Betracht kommen die klassische Presseerklärung, E-Mails, telefonische Unterrichtung oder persönliche Treffen. IV.
Konfliktpotenzial und Lösungen
66 Das Konfliktpotenzial zwischen Eigenverwalter und Sachwalter ist offensichtlich: Während der Eigenverwalter „im Lager“ des Unternehmens steht, ist der Sachwalter – abgesehen von der Kontrolle der Geschäftsführung – Hüter der Gläubigerinteressen im Verfahren.42) Überspitzt formuliert bedeutet dies, dass der Eigenverwalter immer eine möglichst geringe Quote für die Gläubiger anstreben wird, um die Chancen der Sanierung zu erhöhen, während der Sachwalter eine möglichst hohe Befriedigungsquote sucht. Dieser Grundkonflikt kann durch unterschiedliche strategische Ansichten, wie die Betriebsfortführung „am besten“ zu organisieren sei, und/oder durch persönliche Rivalitäten noch verstärkt werden. 67 Es ist ebenso offensichtlich, dass ein solcher Grundkonflikt, wenn nicht ausreichend ausbalanciert, den Erfolg der Betriebsfortführung und damit der gesamten Sanierung gefähr___________ 42) Vgl. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 270 Rz. 79; Riggert, in: Braun, InsO, § 270 Rz. 8.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
det. Unterschiedliche strategische Ansichten von Eigen- und Sachwalter werden irgendwann in abweichende Entscheidungen bezüglich bestimmter unternehmerischer Maßnahmen führen. Im Extremfall kann das bedeuten, dass der Eigenverwalter einen Insolvenzplan zur Sanierung favorisiert, während der Sachwalter eine übertragende Sanierung bevorzugt. Behält der Schuldner die Verfügungsbefugnis (so nach ESUG der gesetzlich vorgesehene Regelfall, siehe sogleich Rz. 70), so kann der Sachwalter gegen den Willen des Eigenverwalters keine von ihm favorisierte Lösung durchsetzen.43) Liegt der (bislang nicht selten anzutreffende) Fall vor, dass ein Dritter (häufig der Gesell- 68 schafter) für den Fall der Zustimmung zum Insolvenzplan bereit ist, weiteres Geld in die Gesellschaft einzubringen, so wird sich das Konfliktpotenzial auf der einen Seite verringern, denn der Eigenverwalter wird häufig mit dem Segen des Dritten tätig werden und befindet sich als Vertreter des Finanziers damit in einer gewissen Machtposition. Auf der anderen Seite kann diese Konstellation aber auch vielleicht schon vorhandene Animositäten zwischen Eigenverwalter und Sachwalter verstärken. Zumindest die Lösung dieses Konfliktpotenzials ist vom Gesetzgeber vorgegeben: Die Sanie- 69 rung ist gemäß § 1 InsO nur dann zulässig, wenn nicht zumindest den Gläubigern hieraus die gleiche Befriedigungsquote zuteil wird wie bei einer Zerschlagung. Das Mittel der Feststellung dieser zumindest gleich hohen Befriedigungsquote – und damit der Konfliktbefriedigung – ist die Vergleichsrechnung (siehe dazu unten § 34). Auf ihr fußt der Insolvenzplan (der zumeist durch den Eigenverwalter schon in groben Zügen vorbereitet sein sollte, bevor der Gang zum Insolvenzgericht angetreten wird), und er sollte der zumindest objektivierte Ausgangspunkt der Tätigkeit von Eigenverwalter und Sachwalter sein. Ferner wird im gesetzlich vorgesehenen Regelfall nach § 270a Abs. 1 InsO im Eröff- 70 nungsverfahren zunächst ein vorläufiger Sachwalter bestellt. Dabei „soll“ das Insolvenzgericht nicht nur keinen starken vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzen, sondern auch von der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt absehen, wenn der Antrag „nicht offensichtlich aussichtlos ist“.44) Somit sieht der Gesetzgeber vor, dass der (vorläufige) Eigenverwalter über das letztliche Entscheidungsrecht verfügt, weil er weiterhin die Verfügungsbefugnis innehat. Dies stellt eine gravierende Änderung gegenüber den Regelungen vor Inkrafttreten des ESUG dar: Da die InsO bis zu diesem Zeitpunkt keine vorläufige Eigenverwaltung kannte, sondern nur die vorläufige Insolvenzverwaltung, stellte sich für das Gericht eigentlich nur die Frage, ob ein starker oder schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter zu bestellen sei. Häufig genug wurde aus verschiedenen Erwägungen heraus dann ein starker vorläufiger Verwalter bestellt – und damit die Eigenverwaltung aufgrund des zumindest zwischenzeitlichen Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis von Anfang an vereitelt.45) Eine derartige Aushöhlung der Eigenverwaltung ist nunmehr nicht mehr möglich; die Eigenverwaltung, nicht der Sachwalter, führt bereits im Eröffnungsverfahren das Unternehmen. Angesichts dieser Machtfülle des Eigenverwalters stellt sich – unabhängig vom Verfah- 71 rensstadium – dann aber die Frage, wie bei Handlungen des Eigenverwalters gegen den (ausdrücklich erklärten) Willen des Sachwalters vorzugehen ist. Zum einen kann der Sachwalter den Konflikt dem Gericht i. R. seiner Berichtspflicht anzeigen – und ggf. eine Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeiführen bzw. bei einem Risiko der Benachteiligung der Gläubiger sogar die Aufhebung der Eigenverwaltung anregen. Als milderes Mittel kommt die Anregung an den Gläubigerausschuss in Betracht, gemäß § 277 InsO die ___________ 43) Bales, NZI 2008, 216, 221. 44) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1342. 45) Bales, NZI 2008, 216, 220.
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§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Zustimmungsbedürftigkeit von bestimmten Rechtsgeschäften beim Insolvenzgericht zu beantragen. Da nach § 275 InsO der Sachwalter auch an sich schon bei der Eingehung von Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, zustimmen soll oder verlangen kann, dass alle eingehenden Zahlungen nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur von ihm geleistet werden dürfen, verfügt er insgesamt über ein ansehnliches Arsenal repressiver Maßnahmen, die er einsetzen kann, zumindest wenn gegen seinen Willen (vermögensbindende oder liquiditätswirksame) Rechtshandlungen vorgenommen werden. Da letztlich fast alle Rechtshandlungen des Eigenverwalters eine gewisse Bindung des Vermögens des Schuldners hervorrufen, hat der Sachwalter zwar keine eigene aktive Gestaltungsmöglichkeit mehr, aber eine zumindest passive Vetostellung. Bei einem Dissens zwischen Sachwalter und Eigenverwalter kann Ersterer also grundsätzlich die in Frage stehende Handlung durch sein Veto stoppen. 72 Nimmt der Eigenverwalter trotz Veto des Sachwalters eine Rechtshandlung vor, so stellt sich die Frage nach der Rechtswirksamkeit solcher Maßnahmen. Bei Rechtsgeschäften, bei denen das Insolvenzgericht nach § 277 InsO die Zustimmungsbedürftigkeit angeordnet hat, ist die Zustimmung des Sachwalters konstitutiv, d. h. ohne seine Zustimmung ist die Rechtshandlung des Eigenverwalters schwebend unwirksam.46) Demgegenüber ist die Zustimmung des Sachwalters zu in § 275 Abs. 1 InsO beschriebenen Rechtsgeschäften nicht obligatorisch; diese Rechtsgeschäfte werden also auch ohne seine Zustimmung wirksam.47) Allerdings dürfte eine ohne Zustimmung oder sogar explizit gegen den Willen des Sachwalters eingegangene Rechtshandlung genügend Argumente für die Aufhebung der Eigenverwaltung liefern. 73 Es ist offensichtlich, dass eine die Sanierung des Unternehmensträgers bezweckende Eigenverwaltung, der die Lähmung durch auf ihre jeweiligen Rechte pochende Sachwalter und Eigenverwalter droht, nicht erfolgversprechend ist. Unabhängig von der Frage der formellen Kompetenzen wird empfohlen, schon bei Beginn des Verfahrens ein Prozedere für den Fall eines Dissenses festzulegen. Es bietet sich an, in einem solchen Fall den Gläubigerausschuss anzuhören oder von seiner Zustimmung oder Ablehnung das weitere Verhalten abhängig zu machen. Demgegenüber wird eine standardisierte Einbindung des Insolvenzgerichts nicht empfohlen, da hierdurch das Gericht zu sehr in Anspruch genommen wird und sich die Prozesse weiter verlangsamen. V.
Kommunikation mit dem Insolvenzgericht
74 Die Kommunikation mit dem Insolvenzgericht ist die ureigenste Kompetenz des Sachwalters,48) der in der überwiegenden Anzahl der Verfahren die Vertrauensperson des Gerichts ist und daher den unmittelbaren Kontakt zum Gericht hat. Er wird in der Regel bereits in der Phase des Eröffnungsverfahrens dem Gericht regelmäßige, mündliche oder schriftliche Zwischenberichte über den Ablauf des Verfahrens erstatten und die nach Eröffnung anstehenden Verfahrenstermine mit dem Gericht erörtern. Daneben trifft den Sachwalter außerhalb dieser Termine die Verpflichtung, Verfehlungen des Schuldners dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss, ist ein solcher nicht bestellt, den Insolvenzgläubigern und absonderungsberechtigten Gläubigern, mitzuteilen (siehe auch § 5 Rz. 144). VI.
Kommunikation mit der Gläubigerversammlung
75 Im Regelverfahren sind gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO sowohl der Schuldner als auch der Insolvenzverwalter berechtigt, an der Gläubigerversammlung teilzunehmen. Im Verfahren der Eigenverwaltung hat auch der Sachwalter zumindest ein Recht zur Teilnahme, ___________ 46) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 153; Riggert, in: Braun, InsO, § 277 Rz. 1. 47) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 155; Riggert, in: Braun, InsO, § 275 Rz. 6. 48) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 58 f.
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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung
§ 13
anderenfalls könnte er seiner Verpflichtung, in der Gläubigerversammlung zum Bericht des Schuldners Stellung zu beziehen, nicht nachkommen. Das Recht, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, hat im Regelinsolvenzverfahren der 76 Insolvenzverwalter, § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Fraglich ist jedoch, wem das Initiativrecht zur Einberufung bei der Eigenverwaltung zukommt, dem Schuldner, der an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt, oder dem Sachwalter? Diese Frage ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt; es spricht jedoch viel dafür, das Initiativrecht beim Schuldner zu verorten: Der Schuldner ist verpflichtet, die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren vornehmen will, § 276 InsO. In den Fällen, in denen ein Gläubigerausschuss nicht besteht, muss der Schuldner die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zu stellen, um die Zustimmung einholen zu können. Gegen ein Initiativrecht des Sachwalters könnte § 274 Abs. 3 InsO sprechen: Eine Befugnis zur Beantragung der Einberufung einer Gläubigerversammlung sieht diese Norm nicht vor und die darin getroffenen Regelungen wären nicht nachvollziehbar, wenn der Sachwalter die Einberufung einer Gläubigerversammlung beantragen könnte. Dies spricht dafür, das Antragsrecht nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem Schuldner und nicht dem Sachwalter zu gewähren.49) Unabhängig von der Rechtslage sollte in der praktischen Handhabung die Einberufung einer 77 Gläubigerversammlung durch den Schuldner i. S. einer kooperativen Zusammenarbeit nicht ohne Absprache mit dem Sachwalter erfolgen. Gemeinsam mit ihm sollte die Tagesordnung vorbereitet werden, da davon auszugehen ist, dass der Sachwalter von den Gläubigern aufgefordert wird, zu einzelnen oder allen Punkten Stellung zu beziehen. Eine rechtzeitige Absprache im Vorfeld hilft, unliebsame Überraschungen im Termin zu vermeiden. VII. Checklisten Insolvenzeröffnungsverfahren bei Fortführung Sachverhalt
Sachwaltung
Eigenverwaltung
78 Anmerkungen
A. Vorarbeiten Fortführungsplanrechnung mit Liquiditätsplan; Best- und Worst-Case-Variante
X
Fortführungsfinanzierung sicherstellen (direkt od. Liquiditätshilfe; Lieferantenpool, Banken)
X
Kundenlastschriften: Verfügung über Guthaben klären
X
X
Sachwalter bei Übernahme Kassenführung
X
Ggf. empfiehlt sich ein vom SW und EW gemeinsam verfasstes Schreiben
X
Ggf. empfiehlt sich ein vom SW und EW gemeinsam verfasstes Schreiben
Lieferantenrundschreiben
Kundenrundschreiben
Fortführungsdebitoren in FiBu neu anlegen bzw. Debitorenliste mit Neuforderungen erstellen
X
___________ 49) So auch Pape, in: Kölner Schrift, S. 796, Rz. 52.
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483
§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt
Sachwaltung
Eigenverwaltung
Anmerkungen
B. Insolvenzspezifische Einweisung der Abteilungen Verantwortlichkeiten festlegen/ändern
X
B. I. Einkauf Entnahmen aus Altwarenlager mit Sicherungsgläubigern klären
X
Bei EDV-gestützter Inventur: Zugänge in Altlager buchen, Abgänge lagerbezogen
X
Einweisung EV-Bearbeitung (Erfassung Exceltabelle)
X
Einweisung Bestellwesen
X
KGL (Kreditgenehmigungsliste) im Einkauf alt und neu
X
Erpressungsanschreiben Liste Erpressungskosten
X
Grds. EW, außer SW behält sich die Freigabe jeder einzelnen Zahlung vor
X
Ggf. gemeinsam mit SW wg. Anfechtung
X
B. II. Verkauf/Vertrieb Handelsvertreter: Fortsetzung oder Beendigung
X
Auftragseingangsüberwachung
X
Kalkulation (in Abstimmung mit Controlling)
X
Zahlungsziele
X
Erhaltene Anzahlungen
X
Einweisung Aufrechnungssachverhalte
X
Auslieferung klären (Speditionen!)
X
B. III. Finanz-/Lohnbuchhaltung Liste Vorkassenzahlungen zur Abgrenzung gelieferter Waren/Rechnungsstellung
X
Kreditorenabgrenzung Alt-/Neuverbindlichkeiten in FiBu
X
Anderkonto auf neue Ausgangsrechnungen vermerken
X
Tägl. Bankkonten-Liquiditätsplan
X
Ablage Anderkonto und Belege im Betrieb
X
Vorbereitung Zahlungswesen X Insolvenzgeldvorfinanzierung
X
Ggf. gemeinsam bei Kassenführung SW und KGL des SW
X
Zahlungstermine Sozialversicherungs (SV)Beiträge/Insolvenzgeldvorfinanzierung überwachen X
484
Wenn neues Konto von SW eingerichtet
Specovius
Grds. Frage, ob SV-Beiträge abgeführt werden. Aus Haftungsgründen sollte abgeführt werden. Allerdings sollten die Sozialversicherungsträger vorher bösgläubig gemacht werden
Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt
Sachwaltung
Eigenverwaltung
Lohnbuchhaltung einweisen – Bearbeiter für AN-Sachverhalte einschalten
X
Buchhaltung bei Fortführung – Betriebswirtschaftliches Controlling installieren
X
§ 13
Anmerkungen
B. IV. Personalabteilung Checkliste AN bearbeiten
X
Erhebungsbogen AN bearbeiten lassen
X
Personalplanung
X
Urlaubsplanung
X
Arbeitszeitkonten klären
X
Lfd. Prämienzahlungen aus Lebensversicherungen der Arbeitnehmer ggf. leisten
X
Ansprechpartner für AN-Sachverhalte im Unternehmen bestimmen
X
Betriebsvereinbarungen auf nachteilige Regelungen überprüfen/verfristen auf Eröffnung
X
C. Dauerschuldverhältnisse Strom, Gas, Wasser, Tel., Müll: Anschluss- bzw. Ver- und Entsorgungsverträge zur Aufrechterhaltung anschreiben, Versorgungsverträge prüfen („Leistungsspitzen“), ggf. anpassen
X
Weiternutzung von beweglichen Miet- und Leasinggegenständen prüfen
X
Bei beweglichen u. unbeweglichen Miet- und Leasinggegenständen Kündigungssperre geltend machen, ggf. zahlen
X
D. Versicherungsverhältnisse Versicherungen bearbeiten
X
Kreditversicherung des Schuldners: Versicherungsschutz für künftige Lieferungen und Leistungen (LuL); Überwachung der Kundenmeldungen durch Einkauf
X
E. Wirtschaftliche Punkte zur Unternehmensfortführung Ggf. Betriebsänderungen einleiten, vgl. „Stilllegung“/Checkliste Liquidation
X
X
Interimsmanager einsetzen
X
Beschäftigungsgesellschaft einschalten
X
Kurzarbeit „0“ beantragen
x
Bei dauernder Fortführung prüfen: eigene Auffanggesellschaft gründen, Splitting Produktion/ Vertrieb, Teilbetriebsübertragung, Outsourcing
X
Abstimmung zwischen SW, EW und Gläubigerausschuss
F. Controlling Controlling durch Soll-Ist-Vergleich/ Flash-Info (Kurzinfo betriebswirtschaftl. Kennzahlen)
X
Specovius
485
§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt
Sachwaltung
Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen prüfen Regelmäßiger Besprechungstermin mit Führungspersonal
Eigenverwaltung
Anmerkungen
X
X
X
hier sollte der SW einbezogen werden, um Transparenz zu gewährleisten
Eröffnetes Insolvenzverfahren
79 Sachverhalt
Sachwaltung Eigenverwaltung
Anmerkungen
A. Vorarbeiten Fristen notieren durch Sekretariat: Berichtstermin, Anmeldetermin, Niederlegungstermin, Prüfungstermin, Anfechtungsfrist
X
Neues Anderkonto anlegen (Info an Zahlungsverkehr), bei Fortführung Konto-Zweitschriften für Unternehmen, Einweisung Ablage Belege im Unternehmen, Buchhaltung klären
X
Erweiterung Haftpflicht Sachwalter?
X
(Vorl.) Gläubigerausschuss/Versicherung (vorl.) Gläubigerausschuss? Rundschreiben an Gläubiger und Debitoren mit Beschluss und Unterlagen zur Forderungsanmeldung versenden, Versendungsprotokoll (W.P3-Report 3500) erstellen
X
X
Bei Masseunzulänglichkeit: Zustellung Masseunzulänglichkeitsanzeige an Massegläubiger, Versendungsprotokoll – W.P3-Report 3500 – erstellen, Info an Sekretariat wegen Vermerk in IDM/W.P3 und Info an Schnittstellen Buchhaltung, Steuer, Arbeitnehmer! Presseinformation (Checkliste Gliederung Presseinformation)/ggf. weitere Presseinformation vormerken
X
X
Bei Fortführung Kundeninformation, Lieferanteninformation, Bankinformation Bei Fortführung Information Betriebsrat, Arbeitnehmer/Betriebsrat/Gewerkschaft
X
X
EW und SW in Abstimmung
X X
Aktiv- und Passivprozesse: § 240 ZPO Unterbrechung mitteilen
X
EW und SW in Abstimmung
X
B. Entscheidung Art der Verwertung Art der Verwertung: Zerschlagung, Fortführung, übertragende Sanierung, Insolvenzplan
486
X
Specovius
X
EW und SW in Abstimmung
Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt
Sachwaltung Eigenverwaltung
§ 13
Anmerkungen
C. I. Zustimmungen Gläubigerausschuss/ -versammlung Stilllegung vor Berichtstermin
X
Veräußerung Unternehmen, Betrieb, Warenlager im Ganzen
X
Veräußerung Grundstück
X
Veräußerung Beteiligung
X
Veräußerung Recht auf Bezug wiederkehrender Leistungen
X
Zur Darlehensaufnahme mit erheblicher Massebelastung
X
Wiederaufnahme/Klageeinreichung/ Vergleichsabschluss Rechtsstreit mit erheblichem Streitwert
X
Ergänzung Tagesordnung Berichtstermin
X
Informationsschreiben an Gläubigerausschuss nach Verfahrensaufhebung
X
C. II. Dauerschuldverhältnisse/Dienstverträge/Auftragsverhältnisse Rechtsanwalt, Steuerberater, Inkassobüros, Wirtschaftsprüfer: Erlöschen Auftragsverhältnis mitteilen
X
Handelsvertreter
X
Mietverträge bewegliche/unbewegliche Gegenstände Erfüllungswahl/(nach-)kündigen (bspw. Telefonanlage, Gasflaschen)
X
Abrechnung Mietkaution
X
Leasingverträge (ggf. Folgenutzung vereinbaren)
X
Kfz-Leasing: Abmeldung bei Fahrzeugrückgabe
X
Gewerbeabmeldung veranlassen
X
Strom, Gas, Wasser
X
GEZ
X
Telefonie (Festnetz, Mobil, Internet-Provider)
X
Versicherungsverträge prüfen, ggf. kündigen/ Erklärung gemäß § 103 InsO
X
Wartungsverträge/Dienstleistungsverträge (z. B. Bewachung, Beratung etc.)/sonstige
X
Gewährleistungsbürgschaften von SubUnternehmen in Insolvenzverfahren?
X
Internetprovider,- host (ggf. Denic) Vertrag übertragen/löschen
X
D. Arbeitnehmer Laufende Information an Betriebsrat/Mitarbeiter über wesentliche Entwicklungen
X
Betriebsrat? Interessenausgleich, Sozialplan
X
EW und SW in Abstimmung
X
Specovius
487
§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt
Sachwaltung Eigenverwaltung
(Abschlags-)Zahlungen auf Sozialplan prüfen
X
Betriebsvereinbarungen erheben, ggf. kündigen
X
Sonderkündigungsschutz (Schwangere, Mütter, Schwerbehinderte, Betriebsratsmitglieder, Wehrpflichtige, Zivildienstleistende, Datenschutzbeauftragte)
X
Abwicklungsmannschaft aufstellen? Verlängerung ggf. vereinbaren
X
Stammdaten erfassen lassen
X
Checkliste Kündigung bearbeiten
X
Kommunikation Arbeitnehmervertreter/ Gewerkschaften
X
X
Kündigung/Nachkündigung (auch bei bereits laufender Kündigungsschutzklage!)
X
Freistellung Arbeitnehmer
X
Rückgabe Dienstfahrzeuge, Arbeitsunterlagen, Handys, Schlüssel/Karten etc. überwachen
X
Nicht vergessen: Kündigung/Freistellung Vorstände, Geschäftsführer; Aufhebungsvereinbarung anbieten
X
Unterstützung Insolvenzgeldanträge im Betrieb organisieren
X
Entscheidung über Beauftragung externer Dienstleister zur Bearbeitung der Personalabrechnungen/Insolvenzgeldbescheinigungen etc.
X
X
Überwachung der Insolvenzgeldverdienstbescheinigungen
X
Überwachung des Drittantrages Insolvenzgeld bei Vorfinanzierung
X
Überwachung der Ab-/Anmeldung (neue Betriebsnummer) der Arbeitnehmer bei Sozialversicherungsträger
X
Überwachung der Übersendung der Arbeitnehmerpapiere
X
Prüfung PSV/benachrichtigen/Meldungen (Formular)
X
Betriebsrenten-Anwartschaften bis Beendigung Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG berechnen und Auszahlung/Sicherstellung klären
X
E. I. Einlageforderung Ausstehende Einlage feststellen, anfordern
X
Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung feststellen; geltend machen
X
E. II. Immaterielle Vermögenswerte Firmenwert, sonstige nicht gewerbliche Schutzrechte, Domains (www.denic.de)?
488
X
Specovius
Anmerkungen
EW und SW in Abstimmung
Ggf. mit Zustimmung SW, wenn dieser Kassenführung und Freigabe Bestellungen übernommen hat
Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt
Sachwaltung Eigenverwaltung
Softwarelizenzen feststellen/sichern
X
Register anschreiben (www.dpma.de)
X
Schutzgebühren feststellen (Patentanwalt), ggf. zahlen
X
Drittrecht feststellen (Arbeitnehmer: § 27 ArbNErfG)
X
Immateriellen Wert/gewerbliches Schutzrecht bewerten
X
Veräußerung Firmenwert, gewerbliches Schutzrecht
X
§ 13
Anmerkungen
E. III. Immobilien Grundstücksversicherung: Sachversicherung, Grundstückshaftpflichtversicherung?
X
Mitteilung der Grundstücke an Haftpflichtversicherer
X
Faktische Sicherung: Zugangsmöglichkeit, wer hat Schlüssel; Winterfestigkeit?
X
Grundstücksbewertung
X
Mieteinzug (Vorausverfügung § 110 InsO)
X
Verwertungsabrede Bank Mieteinzug, Grundstücksveräußerung
X
Bei Veräußerung: Umsatzsteueroption klären
X
Bei Zwangsversteigerungsantrag: Umsatzsteueroption klären
X
Altlasten? Sonderabfall?
X
E. IV. Bewegliches Anlagevermögen Erfassung des beweglichen Inventars/Entscheidung über Bewertungsauftrag externer Dienstleister
X
Import des Anlagevermögens
X
Verwertungsauftrag erteilen
X
Bei Verwertung von Computern: Datensicherung/-löschung?
X
Versicherung (Kfz-Kasko, Kfz-Haftpflicht, Rauminhaltsversicherung, Hausrat?)
X
Zugangssicherung: Wo befinden sich Gegenstände? Wer hat Schlüssel (Generalschlüssel/ Tresor/Schließfach)?
X
Kraftfahrzeuge: Papiere, Schlüssel, Standort, Sicherung Kennzeichen, Stilllegung?
X
Drittrechte? (Prüfung: Sicherungsübereignung, Vermieterpfandrecht, Zubehörhaftung, Pfandrechte)
X
Erfassung der Drittrechte
X
Specovius
Ggf. in Abstimmung mit SW
489
§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt
Sachwaltung Eigenverwaltung
Abrede Absonderungsberechtigte: Nutzungsentgelt, Massebeteiligung, Wertausgleich
X
Mitteilung Verwertungsabsicht an Gläubiger § 168 InsO
X
Veräußerung: Abrechnung durch Verwerter? Abrechnung mit Drittberechtigten?
X
Freigabe an Schuldner?
X
Freigabe Sicherungsgut an Gläubiger (§ 170 Abs. 2 InsO)
X
E. V. Beteiligungen Beteiligungen erfassen (bei nat. Personen auch: Genossenschaftsbanken, Wohnungsbaugenossenschaften, Nachlässe)
X
Bewertung: Satzung prüfen bei Insolvenz des Beteiligten § 84 InsO
X
Drittrechte?
X
Veräußerung/Kündigung der Beteiligung
X
E. VI. Vorräte Inventur erstellen auf Eröffnungsstichtag
X
Im Werkvertrags-/Baubereich: Erfassen der Unfertigen, Fertigen (Aufmaß, Abnahme)
X
Feststellung Verbrauch/Abgeltung bei Aus-/ Absonderungsberechtigten
X
EV-Lieferanten Rückholung anbieten/Wahlrecht § 103 InsO/Gutschriftseingang überwachen
X
Versicherung der Vorräte
X
Sicherung der Vorräte: Sicheres Lager? Wer hat Zugang?
X
Feststellen Drittrechte, insbesondere Eigentumsvorbehalte, Raumsicherung
X
Verkauf/Verwertung
X
Abrechnung Sicherungsgläubiger
X
Feststellen: Sondermüll/Entsorgungskosten?
X
Freigabe Sicherungsgut an Gläubiger (§ 170 Abs. 2 InsO)
X
E. VII. Forderungen (Lieferungen und Leistungen, Vermietung und Verpachtung) Debitorenliste/-unterlagen erheben
X
Info an Steuerberater, dass USt aus Altdebitoreneinzug zu erklären ist
X
Titel erheben/umschreiben lassen
X
Mahnlauf
X
Drittrecht feststellen, ggf. Einzugsabrede oder Freigabe § 170 InsO
X
490
Specovius
Anmerkungen
Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt
Sachwaltung Eigenverwaltung
Streitige Sachverhalte weiterleiten an Prozessanwälte
X
Aufnahme von Prozessen § 85 InsO
X
Aufrechnungssachverhalte prüfen, insbesondere öffentliche Auftraggeber §§ 95, 96 InsO
X
Forderungsverkauf (insbes. Sicherheitseinbehalte)
X
Ggf. Abrechnung Zessionar (USt-Belastung aus Alt-Debitoreneinzug beachten)
X
Datensicherung für Abrechnung nach § 13b UStG
X
§ 13
Anmerkungen
Ggf. mit SW wegen Anfechtung
E. VIII. Lebensversicherungen Erfassen sämtlicher Lebensversicherungen
X
Anschreiben Versicherungsgesellschaft wegen Bezugsrecht/Erstanschreiben
X
Erklärung zum Bezugsrecht abgeben
X
Drittrecht? Ggf. kündigen, einziehen, abrechnen
X
Versicherung der versicherten Person anbieten § 177 VVG
X
Abwicklung Rückdeckungsversicherung
X
Im Übrigen: Kündigung/Verkauf der Lebensversicherung vor Verfahrensabschluss sowie Sofortkündigung bei Todesfallabtretung; Prüfung: alternative Verwertungsmöglichkeit durch Verkauf
X
E. IX. Sonstige Forderungen Rückschlagsperre (§ 88 InsO)
X
Insolvenzanfechtungssachverhalte aufarbeiten und geltend machen (insb. Abtretungen u. Zwangsvollstreckungen nach Zahlungseinstellung, Erpressungssachverhalte) erfassen
X
Bankunterlagen/Kasse prüfen mindestens 4 Monate vor Antragstellung!
X
Deliktische Ansprüche/Geschäftsführerhaftung (§ 64 GmbHG)
X
Kapitalersatz; Gesellschafterdarlehen; Anspruch aus freigewordenen Gesellschaftersicherheiten
X
Gesellschafterverrechnungskonto
X
Gesamtschadenshaftung
X
Persönliche Haftung Gesellschafter, Gesellschafter GbR, oHG, KG geltend machen
X
E. X. Kasse, Bank Kasse sichern, einzahlen X
X
Maßgeblich, ob SW die Kassenführung an sich gezogen hat
X
X
Maßgeblich, ob SW die Kassenführung an sich gezogen hat
Bankguthaben einziehen
Specovius
491
§ 13
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt
Laufende Zahlungseingänge auf schuldnerischen Konten überwachen/Übertrag auf Massekonto
Sachwaltung Eigenverwaltung X
X
F. Steuern Auftragserteilung StB wg. (USt-Erklärung/ Abschlüsse/etc.)/Überwachung Umsatzsteuer im Betrieb
X
Umsatzsteuer aus Einzug Altdebitoren als Masseverbindlichkeit zu erklären? Abzuführen?
X
Aufträge InsStB erteilen
X
OP-Listen Debitoren und Kreditoren, SuSa-Listen, Kontenblätter ausdrucken/Datenübertrag überwachen
X
Unterlagen: aufgenommen, archiviert, gesichert? Einlagerung geklärt?
X
Einlagerung Unterlagen weiterberechnen (bei eigenem Lager)
X
Stand Jahresabschlussarbeiten überwachen
X
G. Gericht Gläubiger- und Drittschuldnerrundschreiben (Zustellungsnachweis führen) Übersendung Zustellungsnachweis zum Gläubiger-/Debitorenrundschreiben (Info Eröffnung)
X
Erstellung und Niederlegung der Verzeichnisse nach §§ 151 ff. InsO
X
Bericht erstellen und einreichen
X
Tabellen Erstellung und Niederlegung/ Forderungsprüfung
X
Gläubiger über Ergebnis Prüfungstermin informieren/Zustellung Tabellenauszüge (bei Aufforderung durch Gericht), Zustellungsnachweis führen
X
Nachträgliche Anmeldungen, weiterer Prüftermin/ Zustellung Beschluss, Zustellungsnachweis führen
X
Abschließende Forderungsprüfung
X
Abrechnung Vergütung Gutachten (Frist: 3 Monate nach GA-Einreichung)
X
Abrechnung Vergütung vorläufige Sachwaltung
X
492
Specovius
Anmerkungen Maßgeblich, ob SW die Kassenführung an sich gezogen hat
§ 14 Mitwirkung des Gläubigerausschusses Ampferl
I.
Die Grundlagen des Gläubigerausschusses ................................................... 1 1. Gläubigerautonomie und Eigenverwaltung.......................................................... 1 2. Einsetzung eines Gläubigerausschusses nach Verfahrenseröffnung ........................... 8 3. Innere Organisation und Beschlussfassung ........................................................ 14 4. Vergütung ................................................... 18 II. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den anderen Verfahrensbeteiligten ... 20 III. Die Anwendung des § 69 InsO bei der Eigenverwaltung................................. 23 IV. Anzeigepflicht des Sachwalters gemäß § 274 InsO ..................................... 30
V. Mitwirkungserfordernis bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung (§ 276 InsO)........................... 35 1. Generalklausel ............................................ 37 2. Regelbeispiele zustimmungsbedürftiger Rechtshandlungen ...................... 40 3. Prüfungsmaßstab des Gläubigerausschusses ................................................. 44 4. Zustimmung des Gläubigerausschusses.... 46 5. Vorläufige Untersagung einer vom Gläubigerausschuss gebilligten Rechtshandlung.......................................... 49 6. Rechtsfolgen fehlender Zustimmung des Gläubigerausschusses .......................... 50 VI. Haftungsfragen ......................................... 53
Literatur: Cranshaw, Haftung, Versicherung und Haftungsbeschränkung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses?, ZInsO 2012, 1151; Ehlers, Teilnahme und Nutzen einer Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss, BB 2013, 259; Frind, Der vorläufige Gläubigerausschuss – Rechte, Pflichten, Haftungsgefahren, ZIP 2012, 1380; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Ganter, Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, in: Festschrift für Gero Fischer, 2008, S. 121; Hirte, ESUG: Brauchen die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses überhaupt eine Versicherung?, ZInsO 2012, 820; Ingelmann/Ide/Steinwachs, Vorschlag einer Mustersatzung des Gläubigerausschusses, ZInsO 2011, 1059; Obermüller, Der Gläubigerausschuss nach dem „ESUG“, ZInsO 2012, 18; Pape, Die Eigenverwaltung des Schuldners nach der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur InsO, 3. Aufl., 2009, Kap. 24; Vallender, Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses, WM 2002, 2040; Vortmann, Die Haftung von Mitgliedern eines Gläubigerausschusses, ZInsO 2006, 310; Zimmer, Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, ZIP 2013, 1309.
I.
Die Grundlagen des Gläubigerausschusses
1.
Gläubigerautonomie und Eigenverwaltung
Die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger durch Verwertung des Vermögens und 1 Verteilung des Erlöses gemäß § 1 Satz 1 InsO obliegt ohne Anordnung der Eigenverwaltung dem Insolvenzverwalter. Er hat das Vermögen zu verwerten und trifft alle wichtigen Entscheidungen, insbesondere bei einer Fortführung und Sanierung des Unternehmens. Damit ist er die zentrale Figur der Insolvenzabwicklung.1) Auch bei der Eigenverwaltung ist Zweck des Verfahrens die bestmögliche Gläubigerbe- 2 friedigung. Daher sind die Gläubiger an den grundlegenden Entscheidungen des Verfahrens zu beteiligen („Gläubigerautonomie“).2) Das Konzept der Gläubigerautonomie hat zwei Schwachstellen. Der Gesetzgeber geht zwar davon aus, dass die Gläubiger sich für die bestmögliche marktkonforme Verwertungslösung entscheiden werden.3) Der einzelne Gläubiger hat aber gar kein Interesse an der bestmöglichen Befriedigung aller, sondern nur an der bestmöglichen Befriedigung seiner eigenen Forderung. Beide Ziele können deckungsgleich sein, müssen es aber nicht. Kritiker befürchten ein von den Hauptgläubigern ___________ 1) Häsemeyer, Insolvenzrecht, S. 105; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 1. 2) Pape, in: Uhlenbruck, InsO, § 1 Rz. 3; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 1 – 4; Ehricke, in: MünchKommInsO, § 74 Rz. 3. 3) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 77; aber auch: Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766: „Die Unabhängigkeit des Verwalters ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts.“
Ampferl
493
§ 14
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
gesteuertes Verfahren – wenn diese im Vorfeld auf einen ihnen wohlgesonnenen Gläubigerausschuss hinwirken.4) Die Lösung dieses Problems liegt in einem repräsentativ besetzten Gläubigerausschuss. Zum zweiten besteht ein zeitliches Umsetzungsproblem bei der Gläubigerbeteiligung. Die Gläubigerversammlung kann nur wesentliche Grundentscheidungen des Verfahrens – etwa gemäß § 157 InsO – treffen.5) Zudem ist die Präsenz der Gläubiger häufig sehr gering. Die Einsetzung des wesentlich flexibler, schneller und auf Detailebene agierenden Gläubigerausschusses löst dieses Umsetzungsproblem.6) 2a Dem Gläubigerausschuss obliegen – sofern verpflichtend oder fakultativ bestellt – verschiedene Informations-, Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Kernaufgabe des Ausschusses ist dabei die Unterstützung und Überwachung des Insolvenzverwalters gemäß § 69 InsO.7) Nachdem im Insolvenzverfahren nicht nur Rechtsfragen zu klären sind, sondern v. a. wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden müssen, kommt dieser Zweckmäßigkeitsprüfung erhebliche Bedeutung zu. Das Gericht hat gemäß § 58 Abs. 1 InsO (nur) die Rechtsaufsicht über den Insolvenzverwalter zu führen. 3 Bei Anordnung der Eigenverwaltung verschiebt sich die Verantwortlichkeits- und Zuständigkeitsstruktur der Beteiligten zueinander. Die Verfügungsmacht verbleibt weitgehend beim Schuldner. Er behält viele Kompetenzen, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter zugewiesen sind. Dem Sachwalter obliegt gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO nur die Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und die Überwachung der Geschäftsführung. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Gläubigerausschuss: 4 Die Unterstützung und Überwachung des gemäß § 270c InsO eingesetzten Sachwalters – anstelle eines Insolvenzverwalters – ist nicht zielführend. Die Hauptaufgabe des Ausschusses bestünde dann in der Kontrolle des Sachwalters, der seinerseits bereits ein Kontrollorgan des Schuldners darstellt. Eine effektive Mitwirkung im Verfahren wäre damit nicht gewährleistet. Die Schaffung eines „doppelten Kontrollorgans“ ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Gesetzes sicher nicht gewollt.8) 5 Dem Gläubigerausschuss kommt vielmehr eine aufgespaltene Aufsichtspflicht zu.9) Er berät, unterstützt und überwacht sowohl den Sachwalter als auch den Schuldner.10) Der Rechtsgedanke des § 276 InsO – die Mitwirkung des Ausschusses unmittelbar gegenüber dem Schuldner – ist für die Eigenverwaltung zu verallgemeinern.11) Mit der Gläubigerautonomie im Insolvenzverfahren wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn dem Ausschuss nur marginale Restaufgaben verblieben. Die Norm des § 69 InsO findet daher entsprechend auch auf den eigenverwaltenden Schuldner Anwendung.12) 6 Der Mitwirkung des Gläubigerausschusses kommt damit besondere Bedeutung zu.13) Sie kann die Akzeptanz der Eigenverwaltung bei den Gläubigern erhöhen. Die Ausübung der Überwachungsrechte hat – verglichen mit dem regulären Verfahren – ebenfalls einen höheren ___________ 4) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 148. 5) Zum Aufgabenbereich auch Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 74 Rz. 3 ff. 6) Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 1: Die Gläubigerversammlung ist zu groß und zu schwerfällig. 7) Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 69 Rz. 8. 8) So Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 13; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12. 9) Pape, in: Kölner Schrift, Kap. 24 Rz. 71; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3. 10) Frind, ZIP 2012, 1380, 1384. 11) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 13, und Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3. 12) Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 4; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 13. 13) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 18; Vallender, WM 2002, 2040, 2048; Pape, in: Kölner Schrift, Kap. 24 Rz. 70.
494
Ampferl
§ 14
Mitwirkung des Gläubigerausschusses
Stellenwert, nachdem nicht nur ein (unabhängiger) Insolvenzverwalter, sondern der Schuldner selbst und seine Organe zu kontrollieren sind. Spiegelbildlich erhöhen sich dadurch aber auch die Gefahren für den Gläubigerausschuss, 7 in Haftung genommen zu werden, wenn der Schuldner seine Pflichten i. R. der Eigenverwaltung nicht erfüllt.14) 2.
Einsetzung eines Gläubigerausschusses nach Verfahrenseröffnung
In zeitlicher Hinsicht sind zu unterscheiden: der vorläufige Gläubigerausschuss im Ver- 8 fahren der vorläufigen Eigenverwaltung oder im Schutzschirmverfahren, der Interimsausschuss zwischen Eröffnung und erster Gläubigerversammlung sowie der endgültige Ausschuss nach Wahl durch die Gläubigerversammlung.15) Beim vorläufigen Gläubigerausschuss sind in Bezug auf die Einsetzungspflichten wiederum drei Arten zu unterscheiden: der obligatorische Gläubigerausschuss, der Antragsausschuss und der fakultative Ausschuss (siehe eingehend dazu § 9). Nach Eröffnung des Verfahrens kann das Insolvenzgericht vor der ersten Gläubigerver- 9 sammlung gemäß § 67 Abs. 1 InsO einen Gläubigerausschuss einsetzen (Interimsausschuss). Die Einsetzung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts.16) Auch wenn im Insolvenzantragsverfahren bereits ein Ausschuss eingesetzt wurde, muss 10 das Gericht nach Eröffnung erneut über die Einsetzung entscheiden, weil für den vorläufigen Ausschuss das Amt mit Eröffnung des Verfahrens endet.17) Für die Bestellung eines Ausschusses im eröffneten Verfahren findet § 22a InsO unmittelbar keine Anwendung. Die Frage ist, ob das Bestehen eines vorläufigen Ausschusses – entweder weil er obligatorisch im Antragsverfahren gemäß § 22a Abs. 1 InsO oder auf Antrag gemäß § 22a Abs. 2 InsO einzusetzen war oder fakultativ vom Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO bestellt wurde – zu einer Ermessensreduktion bei der Entscheidung gemäß § 67 InsO führt. Betont man – streng formal – die Diskontinuität zwischen Antragsverfahren und eröffnetem Verfahren, ergeben sich für die Einsetzung nach Eröffnung keine Einschränkungen des gerichtlichen Ermessens.18) Aus zwei Gründen ist entgegen der formalen Sichtweise eine Fortwirkung des § 22a InsO im eröffneten Verfahren anzunehmen: Zum einen hat der Gesetzgeber mit § 22a InsO klar zum Ausdruck gebracht, in welchen Fällen er die Einsetzung eines Ausschusses für geboten ansieht. Auch wenn der Ausschuss hauptsächlich bei der Insolvenzverwalterbestellung mitwirken soll, also bei einer Aufgabe, die er vor der Eröffnung wahrzunehmen hat, dient die Einsetzung insgesamt der Stärkung der Gläubigerautonomie.19) Im Hinblick auf diese Aufgabe hat § 22a InsO als gesetzlicher Wertungsmaßstab in die Ermessensentscheidung nach § 67 InsO einzufließen.
Zum anderen ist anerkannt, dass der Ausschuss – nach seiner Einsetzung – gegenüber dem Gericht unabhängig ist.20) Eine Auflösung des Ausschusses ist – wenn überhaupt – nur dann möglich, wenn gemäß § 70 InsO analog ein wichtiger Grund für die Entlassung des gesamten Ausschusses besteht.
___________ 14) Frind, ZIP 2012, 1380, 1385; Riggert, in: Braun, InsO, § 276 Rz. 6. 15) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 23; Frind, in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 2. 16) Schmitt, in: Wimmer, InsO, § 67 Rz. 2; Riedel, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 67 Rz. 2; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 6; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 7. 17) Haarmeyer, in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 164; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251; Obermüller, ZInsO 2012, 18, 21. 18) So wohl Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251. 19) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 131; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 2. 20) BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781 ff., dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach/Frenzel).
Ampferl
495
§ 14
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
11 Damit muss das Gericht nicht immer einen Ausschuss einsetzen, wenn im Antragsverfahren bereits ein Ausschuss bestand. Das Ermessen i. R. der Entscheidung gemäß § 67 InsO wird aber dahingehend eingeschränkt, dass das Gericht in diesem Fall einen Ausschuss einsetzen soll (Gläubigerautonomie überlagert Diskontinuität).21) Das Gericht kann von der Einsetzung absehen, wenn der Geschäftsbetrieb zwischenzeitlich eingestellt ist und mit besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO nicht mehr gerechnet werden kann.22) Es hat vor der Entscheidung – unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 70 Satz 3 InsO – den gesamten Ausschuss vor Eröffnung anzuhören. 12 Bei der gerichtlichen Entscheidung nach § 67 InsO sind darüber hinaus die besonderen Aufgaben des Ausschusses i. R. der Eigenverwaltung zu berücksichtigen.23) Als Reflex aus §§ 274, 276 InsO ist ein Ausschuss dann einzusetzen, wenn – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Geschäfte nicht durch einen Verwalter geführt werden – absehbar ist, dass das Unternehmen fortgeführt wird und mehrfach Entscheidungen nach § 276 InsO getroffen werden müssen. Dennoch muss die Einsetzung eines Gläubigerausschusses bei der Eigenverwaltung nicht der Regelfall sein.24) Gerade bei dem eigenverwaltenden Freiberufler ist ein Gläubigerausschuss i. d. R. nicht erforderlich. 13 Die abschließende Entscheidung, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt oder beibehalten werden soll, trifft die Gläubigerversammlung gemäß § 68 Abs. 1 InsO. Gemäß § 68 Abs. 2 InsO kann die Gläubigerversammlung die vom Gericht bestellten Mitglieder abwählen und neue oder zusätzliche Mitglieder berufen. Umstritten ist, ob für die Wahl durch die Gläubigerversammlung das Repräsentationsschema des § 67 Abs. 2 InsO gilt.25) Zugespitzt ist die Frage, ob ein Gläubiger mit Summenmehrheit alle bisherigen Mitglieder abwählen und durch eigene Gefolgsleute ersetzen kann. Dies ist abzulehnen. Auch für die Gläubigerversammlung gilt § 67 Abs. 2 InsO, weil die weitreichenden Befugnisse des Ausschusses und die fehlende Kontrolle seiner Beschlüsse gemäß § 78 InsO nur dann gerechtfertigt sind, wenn er repräsentativ zusammengesetzt ist. 3.
Innere Organisation und Beschlussfassung
14 Zur inneren Organisation des Gläubigerausschusses existieren keine gesetzlichen Regelungen. Der Ausschuss kann sich eine Geschäftsordnung geben.26) Im Übrigen können die allgemeinen Regeln des Vereins- und Gesellschaftsrechts herangezogen werden, insbesondere auch zum Aufsichtsrat.27) 15 Soweit in der Geschäftsordnung nichts anderes geregelt ist, steht jedem Mitglied das Recht zu, eine Ausschusssitzung einzuberufen.28) Für die Einladung mit Tagesordnung und ausreichender Ladungsfrist gelten die allgemeinen Regeln.29) ___________ 21) Enger: Kübler, in: KBP, InsO, § 69 Rz. 14: „muss“. 22) In diese Richtung Obermüller, ZInsO 2012, 18, 21. 23) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 8; Schmitt, in: Wimmer, InsO, § 67 Rz. 5; Frind, in: HambKommInsO, § 67 Rz. 3. 24) So aber: Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 25; Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 12. 25) Dagegen: Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 68 Rz. 7; dafür: Frind, in: HambKomm-InsO, § 68 Rz. 2; vermittelnd: Maßstab sind die gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger: Hammes, in: KölnKommInsO, § 68 Rz. 8; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 68 Rz. 11. 26) Muster bei Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1207b; Ingelmann/Ide/Steinwachs, ZInsO 2011, 1059 ff., und ZInsO 2012, 372. 27) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151; Riedel, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 72 Rz. 2. 28) Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 28 und § 72 Rz. 3, 5. 29) Hierzu Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 28 und § 72 Rz. 4; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 9.
496
Ampferl
§ 14
Mitwirkung des Gläubigerausschusses
Entscheidungen des Gläubigerausschusses werden durch Beschluss getroffen. Beschluss- 16 fähigkeit ist gemäß § 72 InsO gegeben, wenn die Mehrheit der Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat. Nach allgemeinen Regeln, bspw. gemäß § 136 AktG, ist das Mitglied jedenfalls von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn eine Interessenkollision vorliegt.30) In welchen Fällen dies auch einen Ausschluss von der Teilnahme an der Sitzung und der Beratung begründet, ist im Einzelfall danach zu entscheiden, ob es bereits dadurch zu einer Beeinträchtigung der Interessen der Insolvenzmasse kommt.31) Soweit die InsO nicht Einstimmigkeit vorschreibt, ist für die Beschlussfassung gemäß 17 § 72 InsO die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Jedes Mitglied hat eine Stimme, so dass es auf die Kopfmehrheit ankommt. Bei Mangelhaftigkeit von Beschlüssen sind je nach „Fehlerquelle“ drei Problemstellungen zu differenzieren.
Bei objektivem Verstoß gegen die gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger unterliegt der Beschluss nicht der Aufhebung durch das Insolvenzgericht gemäß § 78 InsO.32)
Soweit ein Verstoß gegen zwingende Formvorschriften vorliegt, die zur Nichtigkeit führen, entfaltet der Beschluss keine Rechtswirkungen. Zur Klarstellung der Rechtslage sieht das Gesellschaftsrecht in diesen Fällen die Nichtigkeitsklage vor, § 249 AktG. Aus der besonderen Stellung des Insolvenzgerichts ist abzuleiten, dass das Gericht von Amts wegen zur Sicherstellung der gesetzeskonformen Abwicklung des Verfahrens den Beschluss für nichtig zu erklären hat.33)
Soweit zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit über formelle Mängel oder den Inhalt des Beschlusses besteht, der nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur Anfechtbarkeit führen würde, ist die Rechtslage nicht geklärt. Zu denken ist an eine Anfechtungsklage gemäß §§ 243 ff. AktG analog. Dabei könnte aus Gründen der Sachnähe eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts erwogen werden.34)
4.
Vergütung
Gemäß § 73 InsO haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses einen Anspruch auf 18 Vergütung und Auslagenersatz. Bemessungsgrundlage ist der Zeitaufwand sowie der Umfang der Tätigkeit. Der Stundensatz beträgt gemäß § 17 Satz 1 InsVV regelmäßig 35 bis 95 EUR. Ein darüber hinausgehender Stundensatz von bis zu 200 EUR bei entsprechender Qualifikation in anspruchsvollen Verfahren wird für zulässig erachtet.35) Der Zeitaufwand umfasst alle Zeiten, die mit der Ausschusstätigkeit im Zusammenhang stehen, auch Zeiten für häusliches Aktenstudium und Fahrzeiten.36) Umstritten ist, ob und, wenn ja, in welchen Fällen eine Vergütung gewährt werden kann, 19 die sich stundenunabhängig an der Insolvenzmasse oder der Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters orientiert. Wie sich aus dem Wortlaut des § 17 InsVV ergibt, ist von einer Vergütung auf Stundenbasis auszugehen. Dies entspricht der Vorstellung des Ge___________ 30) Riedel, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 72 Rz. 3; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 14; Schmitt, in: Wimmer, InsO, § 72 Rz. 7. 31) Str.; für die Teilnahme an der Beratung: Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 14; Frind, in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 4; dagegen: Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 72 Rz. 18; nunmehr auch Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 10. 32) Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 72 Rz. 19. 33) Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 22. 34) Vgl. dazu auch: Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 72 Rz. 19. 35) LG Hamburg v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050; AG Hamburg v. 25.7.2018 – 67c IN 137/16, ZIP 2018, 1562: Stundensatz i. H. von 300 €. 36) LG Münster v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, NZI 2017, 548.
Ampferl
497
§ 14
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
setzgebers von einer Tätigkeitsvergütung.37) Eine fehlerhafte Beantragung und Festsetzung als prozentualer Anteil an der Verwaltervergütung kann strafrechtliche38) Haftungsgefahren und ggf. Rückzahlungsansprüche nach sich ziehen. II.
Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den anderen Verfahrensbeteiligten
20 Das Verhältnis von Gläubigerausschuss zur Gläubigerversammlung ist umstritten. Dies betrifft drei Aspekte:
Die Wahl des endgültigen Ausschusses erfolgt durch die Versammlung. Daraus ergibt sich aber kein Rangverhältnis. Für die Wahl gilt § 67 Abs. 2 InsO. Nach der Wahl beginnt das „Eigenleben“ des Gläubigerausschusses.39) Eine Abwahl des von der Versammlung eingesetzten Ausschusses oder spätere Auflösung durch die Versammlung ist unzulässig.40)
Die Gläubigerversammlung hat keine Einschränkungsbefugnis. Sie hat nicht das Recht, die gesetzlichen Befugnisse des Ausschusses inhaltlich oder summenmäßig zu begrenzen.41)
Die Gläubigerversammlung hat auch nicht das Recht, eine Entscheidung des Gläubigerausschusses zu ersetzen oder aufzuheben.42) Dies ergibt sich für den Regelungskreis des § 160 InsO aus § 161 Satz 2 InsO, der dem Insolvenzgericht die Aufgabe zuweist, eine Rechtshandlung zu untersagen und die Gläubigerversammlung dann einzuberufen, wenn das Gericht der Meinung ist, dass die Entscheidung des Ausschusses erhebliche Nachteile für die Masse bringt. Damit wird deutlich, dass es nur für diesen Sonderfall eine Aufhebung der Entscheidung des Gläubigerausschusses durch die Versammlung gibt.
20a Der Gläubigerausschuss ist neben der Gläubigerversammlung ein unabhängiges Organ der Gläubigerschaft.43) Dies ist bei der Bestimmung der einzelnen Kompetenzen zu berücksichtigen. 21 Auch gegenüber dem Insolvenzgericht sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses unabhängig. Der Ausschuss unterliegt nicht der Aufsicht des Insolvenzgerichts.44) Dieses ist weder zu Weisungen gegenüber den Mitgliedern befugt noch kann es Ordnungsstrafen verhängen. Vom Grundsatz her ist das Insolvenzgericht auch nicht befugt, Streitigkeiten innerhalb des Ausschusses zu entscheiden45) oder Beschlüsse des Gläubigerausschusses aufheben.46) Möglich könnte aber eine Zuständigkeit bei Beschlussanfechtungsklagen erscheinen. Darüber hinaus kann das Gericht einzelne Mitglieder aus wichtigem Grund gemäß § 70 Satz 1 InsO entlassen.47) ___________ 37) 38) 39) 40) 41) 42)
43) 44) 45) 46) 47)
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Frind, in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 4; weitergehend: Zimmer, ZIP 2013, 1309, 1315 ff. LG Aurich v. 13.5.2013 – 15 KLs 1000 Js 55939/12, ZInsO 2014, 343. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 2. Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 68 Rz. 12. Göb, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, D. Rz. 14.; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 3. Str.; wie hier Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 10; Vallender, WM 2002, 2040, 2047; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 26; Kübler, in: KPB, InsO, § 69 Rz. 7; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 7; a. A. Blersch, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsO, § 72 Rz. 6. Das Rangverhältnis ist umstritten; wie hier: Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 4; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 3: Gläubigerversammlung oberstes Gläubigerorgan. BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 6 m. w. N. Kübler, in: KPB, InsO, § 69 Rz. 9; Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 8. Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 8 m. w. N.; a. A. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch InsO, Kap. 6 Rz. 5: Aufhebung auf Antrag analog § 78 InsO. Ausf. Pape, ZInsO 2002, 1017 ff.; konkretisierend auch BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781 ff.
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§ 14
Mitwirkung des Gläubigerausschusses
Der Gläubigerausschuss tritt neben den Sachwalter, soweit er den Schuldner zu überwa- 22 chen hat.48) Darüber hinaus hat der Ausschuss aber auch den Sachwalter unmittelbar zu überwachen und zu unterstützen. III.
Die Anwendung des § 69 InsO bei der Eigenverwaltung
Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten bei der Eigenverwaltung die allgemeinen Vor- 23 schriften, soweit nichts anderes bestimmt ist. Zur Bestimmung der Aufgaben des Gläubigerausschusses ist damit auf die Norm des § 69 InsO abzustellen. Nach dieser Vorschrift hat der Gläubigerausschuss folgende Aufgaben:49)
Unterstützung des Insolvenzverwalters bei der Geschäftsführung, etwa bei der Planung der Fortführung des Unternehmens,50)
Überwachung des Insolvenzverwalters, insbesondere Überprüfung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit seines Handelns,51)
Unterrichtung über den Fortgang des Verfahrens, einschließlich der Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere,
Überprüfung von Konten und Belegen („Kassenprüfung“).
Gemäß § 69 InsO beziehen sich diese Pflichten auf den Insolvenzverwalter. Übertragen 24 auf die Eigenverwaltung bedeutet dies zunächst, dass der Gläubigerausschuss den Sachwalter bei der Wahrnehmung aller Aufgaben, die diesem durch das Gesetz oder das Gericht übertragen worden sind, unterstützt und kontrolliert.52) Dies bezieht sich zum einen auf die eigenen Abwicklungskompetenzen des Sachwalters gemäß § 280 InsO, zum anderen aber gerade auch auf die Prüfung, ob er seiner Pflicht zur Schuldnerüberwachung gemäß § 274 InsO ausreichend nachkommt. Zu diesem Zweck kann der Ausschuss Berichte des Sachwalters über seine Tätigkeit anfordern.53) Nachdem wesentliche Aufgaben der Verwaltung und Verwertung der Masse dem Schuldner 25 obliegen, ist zusätzlich dessen Handeln Bezugspunkt der Rechte des Gläubigerausschusses. Nur so kommt der Gläubigermitwirkung der gleiche Stellenwert zu wie bei der Regelabwicklung.54) Auch bei der Eigenverwaltung hat der Gläubigerausschuss den Schuldner zu unterstützen, 26 um für das Verfahren – welches zugunsten der Gläubiger betrieben wird – das bestmögliche Ergebnis zu erreichen, selbst wenn der Schuldner „Gerichtsvollzieher“55) in eigener Sache ist. Besondere Bedeutung kommt der Pflicht des Ausschusses zu, sich eingehend über den 27 Fortgang des Verfahrens zu unterrichten.56) Dazu zählt eine intensive Befassung mit den Unternehmensplanungen des Schuldners, um eine verlustbringende Fortführung zu verhindern.57) Dies gilt schon aus haftungsrechtlichen Gründen. Im Regelinsolvenzverfahren ___________ Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 2. Ausf. Frind, ZIP 2012, 1380. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 21. Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 18; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 22. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 21. Pape, in: Kölner Schrift, Kap. 24 Rz. 73; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 22. Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 17; Pape, in: Kölner Schrift, Kap. 24 Rz. 71 f. 55) Jaffé, ZHR 175 (2011), 38, 41. 56) Frind, ZIP 2012, 1380, 1381 ff.; Pape, in: Kölner Schrift, Kap. 24 Rz. 72. 57) Ehlers, BB 2013, 259, 262.
48) 49) 50) 51) 52) 53) 54)
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§ 14
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
setzt der (erfahrene und unabhängige) Insolvenzverwalter die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse um. Bei einer Verletzung dieser Pflichten, z. B. durch nicht gerechtfertigte Fortführung des verlustbringenden Geschäftsbetriebs, können Haftungsansprüche gegen ihn verwirklicht werden.58) Zwar haften nach der Rechtsprechung des BGH bei Anordnung der Eigenverwaltung die Geschäftsleiter der Schuldnerin nach §§ 60, 61 InsO analog.59) Im konkreten Fall bleibt aber die Frage, was eine solche Haftung wirtschaftlich wert ist. Vor diesem Hintergrund hilft den Gläubigern zur Sicherung der ihnen zugewiesenen Insolvenzmasse – neben der Haftung des Sachwalters – die Kontrolle des Schuldners, um zu verhindern, dass er bspw. sein Unternehmen auf Kosten der Gläubiger fortführt. 28 Eine besonders bedeutsame Aufgabe des Gläubigerausschusses in jedem Verfahren ist die Prüfung der Bankkonten und Belege.60) Bei der Eigenverwaltung obliegt die Führung der Konten vom Grundsatz her dem Schuldner, es sei denn, der Sachwalter hat den Zahlungsverkehr gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen. Vor diesem Hintergrund kann sich die „Kassenprüfung“ bei der Eigenverwaltung aufwändiger gestalten und auch wesentlich haftungsträchtiger sein. 29 Der Gläubigerausschuss kann diese Pflicht zur Kassenprüfung nicht auf den Sachwalter übertragen. Neben dem Gläubigerausschuss ist dieser gemäß § 274 Abs. 2 InsO zur Prüfung der Konten und Belege verpflichtet, wenn er die Kassenführung nicht selbst übernimmt. Beide Organe haben aber jeweils eigenständige Verpflichtungen, so dass sich der Gläubigerausschuss nicht über den Sachwalter exkulpieren kann. IV.
Anzeigepflicht des Sachwalters gemäß § 274 InsO
30 Der Sachwalter hat gemäß § 274 Abs. 2 InsO die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen und seine wirtschaftliche Lage fortlaufend zu prüfen. Hierüber hat er in entsprechender Anwendung des § 69 InsO dem Gläubigerausschuss regelmäßig Bericht zu erstatten. 31 Wenn für den Sachwalter allerdings Umstände erkennbar werden, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, muss er dies gemäß § 274 Abs. 3 InsO unverzüglich dem Gläubigerausschuss anzeigen. Solche Umstände liegen bspw. (siehe eingehend § 12 Rz. 31 f.) vor, bei:
drohender Masseunzulänglichkeit,
Verschleppung der Verfahrensabwicklung,
Unregelmäßigkeiten in finanzieller Hinsicht,
Verstoß gegen Zustimmungspflichten gemäß §§ 275, 276 InsO,
Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten.61)
32 Auf eine Anzeige des Sachwalters hin kann der Gläubigerausschuss nicht selbst einen Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung stellen. Er muss vielmehr prüfen, ob er gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung mit dem Ziel stellt, eine Entscheidung nach § 277 oder § 272 InsO herbeizuführen. Als Folge der Anzeige kann dann die Gläubigerversammlung die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit gemäß § 277 InsO beantragen, um für bestimmte Geschäfte eine absolute ___________ 58) Gerbers, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Rz. 76 ff. 59) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, dazu EWiR 2018, 339 (Thole). 60) Schmitt, in: Wimmer, InsO, § 69 Rz. 10; Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 29, 31; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 18. 61) Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 274 Rz. 20; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 56.
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§ 14
Mitwirkung des Gläubigerausschusses
Unwirksamkeit bei fehlender Zustimmung des Sachwalters zu erreichen. Sie kann weiterhin mit Kopf- und Summenmehrheit gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Der Gläubigerausschuss hat – schon um einer eigenen Haftung vorzubeugen62) – im Re- 33 gelfall nach einer Anzeige den Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zu stellen. Unterlässt der Sachwalter die Anzeige oder ist diese verspätet, kann dies zunächst für ihn 34 haftungsrechtliche Konsequenzen haben.63) Für den Gläubigerausschuss, der – auch ohne Anzeige – aufgrund seiner eigenen Überwachungspflicht zur Überzeugung kommt, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen kann, besteht das Recht und auch die Pflicht, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, ohne zuvor einen Anspruch gegen den Sachwalter auf eine Anzeige gemäß § 274 Abs. 3 InsO geltend machen zu müssen. Erkennt der Gläubigerausschuss, dass der Sachwalter nicht nur die Anzeige unterlassen hat, sondern durch die Verletzung seiner Pflichten die Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigt, kann er zudem – soweit gerichtliche Aufsichtsmaßnahmen keinen Erfolg versprechen – einen Antrag auf Entlassung des Sachwalters gemäß § 59 InsO stellen. V.
Mitwirkungserfordernis bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung (§ 276 InsO)
Gemäß § 160 InsO hat der Insolvenzverwalter bei der Vornahme besonders bedeutsamer 35 Rechtshandlungen die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. Nachdem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis grundsätzlich bei der Eigenverwaltung beim Schuldner verbleibt, wird in § 276 InsO geregelt, dass dieser für diese Handlungen die Zustimmung des Ausschusses einzuholen hat. Es wird in paralleler Art und Weise der Gläubigerautonomie auch bei der Eigenverwaltung Geltung verschafft. Damit ergeben sich für den Schuldner gestaffelte Zustimmungserfordernisse. Während 36 er i. R. der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit die alleinige Entscheidungskompetenz hat, soll er Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, gemäß § 275 InsO nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses erforderlich.64) Zudem kann gemäß § 277 InsO durch das Gericht ein Zustimmungsvorbehalt für bestimmte Rechtsgeschäfte angeordnet werden. 1.
Generalklausel
Der Begriff der „besonders bedeutsamen Rechtshandlungen“, die nach § 276 Satz 1 InsO 37 zustimmungsbedürftig sind, bestimmt sich entsprechend des § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO.65) Als besonders bedeutsam ist eine Rechtshandlung anzusehen, wenn sie – bezogen auf die Besonderheiten des konkreten Insolvenzverfahrens – greifbare Auswirkungen auf die Unternehmensaktiva oder die Masseverbindlichkeiten hat bzw. wenn die Handlung erhebliche (wenn auch ggf. unwahrscheinliche) Risiken birgt.66)
___________ 62) 63) 64) 65) 66)
Pape, in: Kölner Schrift, Kap. 24 Rz. 70. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 68; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 8, 16. Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 2. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. Decker, in: HambKomm-InsO, § 160 Rz. 2.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
38 Umstritten ist das Verhältnis zwischen der Sachwalterzustimmung bei der Begründung von Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, und der Zustimmung des Gläubigerausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen. Teilweise wird vertreten, dass jede besonders bedeutsame Rechtshandlung gleichzeitig immer über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgeht und damit beide Organe zustimmen müssten.67) Andererseits findet sich die Auffassung, dass bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen allein der Gläubigerausschuss zustimmen müsse und er die Zustimmung des Sachwalters ersetze.68) Diese Auffassung ist abzulehnen. Richtigerweise sieht das Gesetz eigenständige Zustimmungserfordernisse für den Sachwalter und den Gläubigerausschuss vor. Die Tatbestandsmerkmale sind unabhängig voneinander zu bestimmen und nicht zwingend deckungsgleich. Soweit eine besonders bedeutsame Rechtshandlung vorliegt, die gleichzeitig nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört, haben beide Organe zuzustimmen, weil beide aus ihrer unterschiedlichen Stellung heraus unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe anlegen können.69) 39 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen, die i. R. eines Plans vorgenommen werden, bedürfen nicht der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Das Insolvenzplanverfahren sieht insoweit speziellere Verfahrensregeln vor, die § 160 InsO verdrängen.70) 2.
Regelbeispiele zustimmungsbedürftiger Rechtshandlungen
40 Über die Verweisung in § 276 Satz 2 InsO findet die Norm des § 160 Abs. 2 InsO Anwendung, welche Regelbeispiele für zustimmungsbedürftige Rechtshandlungen benennt. Die Zustimmung ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO bei bedeutsamen Veräußerungen, bspw. bei der Veräußerung des Unternehmens oder eines Betriebes, von Grundstücken aus freier Hand oder von Unternehmensbeteiligungen erforderlich. Bei der Eigenverwaltung können damit insbesondere Maßnahmen der Restrukturierung zustimmungsbedürftig sein, die eine Veräußerung von Betriebsteilen oder Beteiligungen vorsehen. 41 Zustimmungsbedürftig ist weiterhin gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Aufnahme von Darlehen, wenn sie die Insolvenzmasse erheblich belasten. Eine solche Erheblichkeit ist gegeben, wenn das Darlehen keinen kurzfristigen Überbrückungskredit darstellt und die Rückführung nicht innerhalb weniger Wochen möglich ist.71) 42 Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, die Aufnahme von Rechtsstreiten bzw. die Ablehnung der Aufnahme sowie der Abschluss von Vergleichen und Schiedsverträgen sind gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO zustimmungsbedürftig, soweit es sich um eine Sache mit erheblichem Streitwert handelt. Die Erheblichkeit des Streitwerts bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Verfahrens. Maßgeblich ist insoweit das Verhältnis der freien Masse zum Kostenrisiko.72) 43 Praxistipp: Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, bietet es sich für den Schuldner an, sich die Zustimmung zur Aufnahme bestimmter Darlehen und zur Führung von Rechtsstreiten bis zu einer bestimmten Streitwerthöhe im Voraus erteilen zu lassen,73) etwa zur Durchsetzung von Kundenforderungen bis 10.000 EUR. ___________ Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 1; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 1. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 6. Wie hier: Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 10. Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 35. Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 21; Wegener, in: Wimmer, InsO, § 160 Rz. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 26. 72) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 27. 73) Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 22. 67) 68) 69) 70) 71)
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§ 14
Mitwirkung des Gläubigerausschusses 3.
Prüfungsmaßstab des Gläubigerausschusses
In der Literatur – auch i. R. des § 160 InsO – nur rudimentär diskutiert wird die Frage, 44 welchen Prüfungsmaßstab der Gläubigerausschuss bei der Beurteilung der besonders bedeutsamen Rechthandlungen anzulegen hat, oder – spiegelbildlich – wann ihm eine Pflichtverletzung wegen mangelnder Prüfung vorzuwerfen ist. Bei § 160 InsO muss aber für den Gläubigerausschuss der gleiche Maßstab wie für den Insolvenzverwalter herangezogen werden, d. h. der Ausschuss hat selbstständig zu prüfen, ob die Maßnahme zur Schädigung der Masse führt.74) Dies folgt aus der allgemeinen massebezogenen Überwachungspflicht gemäß § 69 InsO. Für § 276 InsO gilt nichts anderes, mit der Folge, dass der Gläubigerausschuss in besonderem Maße eine Prüfung der Masseschädlichkeit vorzunehmen hat, weil durch den Schuldner selbst – anders als beim Insolvenzverwalter – diese Prüfung bisher möglicherweise nicht in gebotenem Umfang vorgenommen wurde und auch keine Haftung des Schuldners bei Masseschädigung durchgreift. Praxistipp: Zur eigenen Absicherung ist es für die Ausschussmitglieder unverzichtbar, 45 neben der getroffenen Entscheidung auch die Entscheidungsgrundlagen vom Schuldner einzufordern und eingehend zu dokumentieren. 4.
Zustimmung des Gläubigerausschusses
Die Zustimmung des Gläubigerausschusses kann sowohl durch vorherige Einwilligung 46 als auch durch nachträgliche Genehmigung erfolgen.75) Soweit teilweise vertreten wird, dass nur die Einwilligung zulässig sei,76) ist dem nicht zu folgen. Der entsprechenden Ansicht ist zwar zuzugeben, dass nur die vorherige Überprüfung der Handlung durch den Ausschuss dem Mitwirkungsrecht Geltung verschafft, weil mit ihrer Vornahme im Außenverhältnis Wirksamkeit eintritt. Andererseits ist nicht ersichtlich, warum dem Ausschuss nicht nachträglich die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, der Handlung zuzustimmen.77) Der Schuldner hat in diesem Fall zwei Risiken: Der Gläubigerausschuss kann ihm die spätere Genehmigung versagen und darüber hinaus einen Antrag auf Einberufung der Gläubigerversammlung stellen, um einen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 277 InsO oder die Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO zu beantragen. In der Praxis wird der Schuldner schon aus taktischem Kalkül den Gläubigerausschuss 47 vor der besonders bedeutsamen Rechtshandlung einbinden, um dem Eindruck vorzubeugen, er missachte die Rechte des Ausschusses. Zudem empfiehlt sich für den Schuldner, dass er – bei Rechtshandlungen ohne vorherige Zustimmung – i. R. des Vertrages ein Rücktrittsrecht aufnimmt, für den Fall, dass der Ausschuss nicht zustimmt. Der Gläubigerausschuss entscheidet durch Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen 48 Stimmen gemäß § 72 InsO. Eine abstrakte vorherige Zustimmung für Geschäfte bestimmter Art ist möglich.78) Unzulässig ist es hingegen, wenn der Ausschuss seine generelle Zustimmung für alle besonders bedeutsamen Rechtshandlungen erklärt. Eine solche Einwilligung steht im Widerspruch zur allgemeinen Pflicht des Ausschusses, den Schuldner
___________ 74) Schmitt, in: Wimmer, InsO, § 71 Rz. 6; Ganter, in: FS Fischer, 2008, S. 121, 123: Prüfung der Unbedenklichkeit der Maßnahme; in diese Richtung auch BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 54/07, ZIP 2008, 1243, 1244. 75) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 9; Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 26. 76) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 5. 77) Wie hier: Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 9. 78) Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
zu unterstützen und zu überwachen.79) Bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts kann der Gläubigerausschuss seine Zustimmung – auch in Teilbereichen – widerrufen.80) 5.
Vorläufige Untersagung einer vom Gläubigerausschuss gebilligten Rechtshandlung
49 Genehmigt der Gläubigerausschuss eine Rechtshandlung, kann das Insolvenzgericht gemäß § 276 Satz 2 i. V. m. § 161 Satz 2 InsO auf Antrag einer in § 75 Abs. 1 Nr. 3 InsO bezeichneten Mehrzahl von Gläubigern die Vornahme der Rechtshandlung vorläufig untersagen und eine Gläubigerversammlung zur Entscheidung einberufen. 6.
Rechtsfolgen fehlender Zustimmung des Gläubigerausschusses
50 Eine vom Schuldner ohne die erforderliche Zustimmung vorgenommene Rechtshandlung ist im Außenverhältnis gemäß § 276 Satz 2, § 164 InsO wirksam. Diese Regelung ist erforderlich zum Schutz des Vertrauens der Geschäftspartner des eigenverwaltenden Schuldners in dessen Verfügungsbefugnis.81) Diese Regelung birgt aber im Falle der Eigenverwaltung erhebliche Risiken für die Gläubiger, weil es an dem notwendigen Gegengewicht der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters fehlt. Im Ausnahmefall kann sich eine Unwirksamkeit ergeben bei kollusivem Zusammenwirken von Schuldner und Geschäftspartner bei einer insolvenzzweckwidrigen Handlung.82) 51 Im Innenverhältnis zum Schuldner kann der Gläubigerausschuss bei Missachtung der Zustimmungspflicht gemäß § 276 InsO oder eines Votums des Ausschusses einen Antrag gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Einberufung einer Gläubigerversammlung stellen.83) Auf Antrag der Gläubigerversammlung kann das Insolvenzgericht sodann gemäß § 277 Abs. 1 InsO einen Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters anordnen. Als schärferes Mittel kann die Gläubigerversammlung beantragen, dass die Eigenverwaltung aufgehoben wird, § 272 InsO. 52 Stellt der Sachwalter fest, dass der Schuldner besonders bedeutsame Rechtshandlungen ohne die Zustimmung des Gläubigerausschusses vornimmt, hat er dies dem Ausschuss gemäß § 274 Abs. 3 InsO in jedem Fall anzuzeigen, um dessen verfahrensmäßige Rechte zu wahren.84) Der Ausschuss kann dann die Handlung nachträglich genehmigen oder die allgemeinen Konsequenzen beim Eingang einer Anzeige ziehen. VI.
Haftungsfragen
53 Die Ausschussmitglieder85) sind den absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie schuldhaft die ihnen nach der InsO obliegenden Pflichten verletzen, § 270 Abs. 1 Satz 2, § 71 InsO. ___________ 79) Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31; Balthasar, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 160 Rz. 18. 80) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 9; Webel, in: KPB, InsO, § 160 Rz. 7a. 81) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 6. 82) BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093 ff., dazu EWiR 2003, 125 (Tintelnot); Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 13. 83) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 14; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 22. 84) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 16; Pape, in: KPB, InsO, § 276 Rz. 22. 85) Passivlegitimation mit der ausdrücklichen oder konkludenten Amtsannahme: BGH v. 27.4.1978 – VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 256; OLG Rostock v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814, 815; Ganter, in: FS Fischer, 2008, S. 121, 127. Ausf. zu möglichen Problemen auch Bank, in: Steinwachs/Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, Rz. 465 ff.
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Mitwirkung des Gläubigerausschusses
Voraussetzung der Haftung ist damit zunächst eine Pflichtverletzung. Es kommen ins- 54 besondere in Betracht:86) Unterlassen der Überwachung des Schuldners, etwa Gestattung einer verlustbringenden Unternehmensfortführung,
Unterlassen der Überwachung des Sachwalters,
Unterlassen der Kassenprüfung beim Schuldner(!),
Unterlassen der Einberufung einer Gläubigerversammlung nach Anzeige gemäß § 274 Abs. 3 InsO; aber auch fehlende eigene Prüfung, ob die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt,
Zustimmung zu masseschädigenden Rechtshandlungen gemäß § 276 InsO.
Die Pflichtverletzung muss schuldhaft erfolgt sein, wobei leichte Fahrlässigkeit ausrei- 55 chend ist.87) Der Sorgfaltsmaßstab orientiert sich an einem gewissenhaften und ordentlichen Gläubigerausschussmitglied, wobei auf die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen abzustellen ist.88) Unkenntnis der Pflichten und Amtsannahme trotz Unfähigkeit hindert ein Verschulden aber nicht.89) Durch die Pflichtverletzung muss ein kausaler Schaden verursacht worden sein. Gerade 56 bei einer unterlassenen Kassenprüfung stellt sich dabei die Frage, ob der Schaden – in Form der veruntreuten Gelder – bei pflichtgemäßem Verhalten vermieden worden wäre. Das OLG Celle90) – bestätigt durch den BGH91) – hat diesbezüglich den Beweis des ersten Anscheins angenommen, dass bei ordentlicher Kontrolle eine erste Entnahme aufgefallen wäre und dadurch weitere Entnahmen unterblieben wären. Weitergehend nimmt der BGH einen Anscheinsbeweis auch dahingehend an, dass ein Insolvenzverwalter es bei sorgfältiger Überwachung nicht wagt, sich durch strafbare Handlungen an den ihm anvertrauten Werten zu vergreifen,92) wodurch bereits durch die erste Veruntreuung – bei mangelhafter Überwachung – ein kausaler Schaden entstehen kann. Bei der Eigenverwaltung mit Kassenführung durch den Schuldner stellt dies ein enormes Haftungsrisiko dar. Jedes Mitglied haftet persönlich auf Ersatz des gesamten Schadens. Bei gemeinschaftli- 57 cher Pflichtverletzung haften die Mitglieder als Gesamtschuldner. Aktivlegitimiert sind die absonderungsberechtigten Gläubiger und die Insolvenzgläubiger. 58 Liegt – wie regelmäßig – ein Gesamtschaden vor, hat ihn gemäß §§ 280, 92 InsO der Sachwalter durchzusetzen. Soweit allerdings die Pflichtverletzung gleichermaßen den Gläubigerausschuss wie den Sachwalter betrifft – etwa bei unterlassener Kassenprüfung –, ist nach allgemeinen Grundsätzen ein Sondersachwalter einzusetzen.93) Die Ansprüche verjähren gemäß §§ 71, 62 InsO, § 195 BGB in drei Jahren. Die Verjäh- 59 rungsfrist beginnt erst ab der möglichen Kenntnisnahme des zur Durchsetzung des Scha-
___________ Vgl. dazu Frind, ZIP 2012, 1380, 1384 ff.; Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1152; Ehlers, BB 2013, 263. Vortmann, ZInsO 2006, 310, 312; Frind, in: HambKomm-InsO, § 71 Rz. 4. Zimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 49 Rz. 1. Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 71 Rz. 8; Vortmann, ZInsO 2006, 310, 313 f. OLG Celle v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, ZIP 2010, 1862, dazu EWiR 2010, 723 (Höpfner); zu weiteren Konstellationen Ganter, in: FS Fischer, 2008, S. 121, 130 ff. 91) BGH v. 21.3.2013 – IX R 109/10, ZIP 2013, 1235. 92) BGH v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, ZIP 2015, 553, dazu EWiR 2014, 781 (Krüger). 93) Gundlach, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Rz. 1482.
86) 87) 88) 89) 90)
Ampferl
505
§ 14
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
densersatzanspruchs berufenen Sondersachwalters vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen.94) 60 In der Praxis wird zur Absicherung der Haftungsrisiken eine VermögensschadensHaftpflichtversicherung für die Mitglieder des Gläubigerausschusses abgeschlossen. Dagegen hat sich Hirte ausgesprochen mit dem Argument, dass sich die Insolvenzmasse auf eigene Kosten gegen die eigene Fehlverteilung absichert.95) Dies ist aber Strukturprinzip von Versicherungen von Organen.96) Die Versicherung ist nicht nur zulässig, sondern ihr Fehlen stellt für das Mitglied einen wichtigen Grund dar, seine Entlassung zu beantragen.97) Die Prämien stellen Auslagen des Gläubigerausschusses gemäß § 8 InsVV dar.
___________ 94) Für den Sonderinsolvenzverwalter BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 54/07, ZIP 2008, 1243 ff.; Bank, in: Steinwachs/Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, Rz. 531. 95) Hirte, ZInsO 2012, 820. 96) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1158. 97) BGH v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, ZIP 2012, 876.
506
Ampferl
§ 15 Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung M. Hofmann
I.
Funktionen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens ............ 1 II. Entgegennahme von Forderungsanmeldungen durch den Sachwalter............. 3 1. Zustellung des Eröffnungsbeschlusses und Gläubigerinformation........................... 4 2. Entgegennahme der Forderungsanmeldungen .................................................... 6 III. Tabellenführung durch den Sachwalter...... 7 1. Aufnahme der Forderungen in die Tabelle........................................................... 8 2. Formales Vorprüfungsrecht des Sachwalters ................................................... 9 3. Niederlegung der Tabelle........................... 10 IV. Forderungsprüfung .................................. 12 1. Prüfung der Forderungen in Terminen oder im schriftlichen Verfahren ................ 13 1.1 Ablauf des Prüfungstermins ......... 17 1.2 Durchführung der Prüfung im schriftlichen Verfahren ................. 18 2. Widerspruchsrecht i. R. der Forderungsprüfung .............................................. 19 3. Beseitigung von Widersprüchen und Feststellungsrechtsstreite .......................... 21
I.
3.1
Verhandlungen über Rücknahme des Widerspruchs .............. 22 3.2 Feststellungsrechtsstreit ............... 25 3.2.1 Vorfragen des Feststellungsrechtsstreits.................................... 27 3.2.2 Führung des Rechtsstreits ............ 28 3.2.3 Kosten des Feststellungsrechtsstreits.............................................. 30 3.3 Rücknahme des Widerspruchs...... 32 V. Verteilung der Insolvenzmasse ............... 33 1. Aufgabenzuweisung an Schuldner (§ 283 Abs. 2 Satz 1 InsO) ........................ 35 2. Verteilungsverzeichnis des Schuldners ..... 37 3. Stellungnahme des Sachwalters zum Verteilungsverzeichnis (§ 283 Abs. 2 Satz 2 InsO) ............................................... 41 4. Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis und Berichtigung des Verteilungsverzeichnisses .......................... 43 5. Durchführung der Verteilung ................... 46 VI. Abstimmung zwischen Sachwalter und Schuldner bei Forderungsprüfung und Verteilung........................... 49 VII. Besonderheiten in Verfahren mit großer Gläubigerzahl ............................... 53
Funktionen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens
Wesentliches formales Instrument auf dem Weg zur Erreichung der von § 1 InsO gefor- 1 derten gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung ist das in §§ 174 ff. InsO geregelte Verfahren der Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung der Insolvenzmasse in Abschlags- und Schlussverteilungen. In der Eigenverwaltung werden diese verfahrensleitenden Bestimmungen durch Regelungen in § 270c Satz 2 und § 283 InsO ergänzt. Die Vorschriften über die Forderungsanmeldung und Forderungsprüfung sind – selbst 2 bei Einverständnis der Mehrheit der Gläubiger – nicht dispositiv; Abweichungen sind daher auch in einem (verfahrensleitenden) Insolvenzplan nach § 217 Satz 1 InsO nicht möglich.1) Demgegenüber ermöglicht der Insolvenzplan Regelungen, welche die Verteilung der Insolvenzmasse und die Befriedigung der Gläubiger abweichend von den insoweit vorgesehenen Regelungen der InsO regeln. II.
Entgegennahme von Forderungsanmeldungen durch den Sachwalter
Nach § 270c Satz 2 InsO sind die Forderungen der Insolvenzgläubiger beim Sachwalter 3 anzumelden. Auch die nicht ausdrücklich von der InsO geregelte Frage, wer in der Eigenverwaltung die Insolvenztabelle zu führen hat, wird hierdurch zugunsten des Sachwalters beantwortet.2) Der Sachwalter nimmt im Zusammenhang mit der Entgegennahme der ___________ 1) BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480, dazu EWiR 2009, 251 (Landry); Begr. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. § 217 InsO, BT-Drucks. 17/7511, S. 48. 2) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 5.
M. Hofmann
507
§ 15
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Forderungsanmeldungen diejenigen Aufgaben wahr, die im Regelinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter hat. In praxi macht dies bereits deswegen Sinn, weil der Sachwalter die technische und personelle Ausstattung zur Führung der Tabelle vorhalten wird. Unabhängig hiervon handelt es sich bei der Führung der Insolvenztabelle um eine derjenigen Aufgaben, die die InsO mit Blick auf die nötige absolute Neutralität und Gläubigerorientierung zu Recht bewusst dem Sachwalter überträgt.3) 1.
Zustellung des Eröffnungsbeschlusses und Gläubigerinformation
4 Der Forderungsanmeldung durch die Gläubiger geht von Gesetzes wegen deren Information mittels Zustellung des Eröffnungsbeschlusses voraus. Durch die in § 30 Abs. 2 InsO vorgesehene Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger sollen diese von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangen und über die entsprechenden Fristen informiert werden. Mit der Durchführung der Zustellungen gemäß § 30 Abs. 2 InsO kann das Insolvenzgericht im Verfahren der Eigenverwaltung analog § 8 Abs. 3 InsO den Sachwalter beauftragen.4) Eine Übertragung der Zustellungen auf den Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren ist indes von § 8 Abs. 3 InsO nicht zugelassen; insbesondere verlangt der Zweck der Zustellungen, dass diese – letztlich unter Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse – von einer unabhängigen Amtsperson vorgenommen werden. Die Bewirkung von Zustellungen durch den Schuldner genügt diesen Anforderungen an die Unabhängigkeit der zustellenden Behörde freilich nicht. Aus Gründen der Praktikabilität und der erforderlichen technischen und personellen Ressourcen wird der Auftrag zur Durchführung der Zustellungen an den Sachwalter der Regelfall sein. 5 Mit der Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger wird i. d. R. eine geordnete Information der Gläubiger betreffend die vorgesehene Art und Weise der Forderungsanmeldung erfolgen. Hierbei weist der Sachwalter insbesondere darauf hin, ob er Forderungsanmeldungen in mehrfacher Ausfertigung wünscht, welche Unterlagen beizufügen sind und ob die Möglichkeit besteht, Forderungen i. R. eines Online-Gläubigerinformationssystem zu erfassen. Letztlich handelt es sich bei den entsprechenden Hinweisen freilich nur um unverbindliche Hinweise des Sachwalters, da die Form der Forderungsanmeldung abschließend in § 174 InsO geregelt ist. Einzig die Frage, ob der Sachwalter auch bloße Online-Anmeldungen zulässt, denen keine unterzeichnete Anmeldung oder Fax-Anmeldung folgt, unterliegt nach § 174 Abs. 4 InsO allein seiner Entscheidung, so dass einem ausdrücklichen Hinweis auf die Zulassung elektronischer Forderungsanmeldungen entsprechende regelnde Wirkung zukommt. 2.
Entgegennahme der Forderungsanmeldungen
6 Die Forderungen der Gläubiger sind ab Verfahrenseröffnung beim Sachwalter anzumelden und von diesem entgegenzunehmen. Vor Verfahrenseröffnung eingehende Forderungsanmeldungen sind demgegenüber unwirksam. Die Zuständigkeit zur Entgegennahme der Forderungsanmeldungen liegt gemäß § 270c Satz 2 InsO ausschließlich beim Sachwalter. § 270c Satz 2 InsO regelt insoweit einen der Fälle, in denen der Sachwalter die besonderen Aufgaben wahrnimmt, die dem Insolvenzverwalter im Interesse der Gläubiger übertragen sind.5) ___________ 3) So bereits die Gesetzesbegründung der Vorgängernorm des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO a. F.: Begr. RegE z. § 331 InsO (= § 270 InsO), abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 528. 4) Ebenso Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 35. 5) Begr. RegE z. § 331 InsO (= § 270 InsO), abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 528.
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M. Hofmann
Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung III.
§ 15
Tabellenführung durch den Sachwalter
Nicht ausdrücklich von § 270c Satz 2 InsO geregelt ist hingegen die Frage, wer die Tabelle 7 der angemeldeten Forderungen gemäß § 175 InsO zu führen hat. Die Zuständigkeit des Sachwalters für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen setzt allerdings die Führung der Forderungstabelle durch diesen voraus.6) Zudem dient die Tabellenführung durch den Sachwalter dem Schutz der Gläubiger und dem Ausschluss von Missbrauchsmöglichkeiten. Zuletzt erscheint auch unter Praktikabilitätsgesichtspunkten eine Tabellenführung durch den Sachwalter angezeigt, der in seiner Kanzlei die entsprechenden technischen Einrichtungen und personellen Ressourcen für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen und die Tabellenführung vorhalten wird. 1.
Aufnahme der Forderungen in die Tabelle
Für die Tabellenführung gelten über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch bei angeordneter Ei- 8 genverwaltung die Regelungen des § 175 InsO. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Sachwalter daher jede angemeldete Forderung einschließlich der Angaben gemäß § 174 Abs. 2 und 3 InsO in eine Tabelle aufzunehmen. 2.
Formales Vorprüfungsrecht des Sachwalters
Wie der Insolvenzverwalter im Regelverfahren nach zutreffender h. M.7) ein Vorprüfungs- 9 und Zurückweisungsrecht hat, so steht auch dem Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren ein Vorprüfungs- und Zurückweisungsrecht zu. Das Vorprüfungsrecht beschränkt sich dabei auf formale Mängel der Forderungsanmeldung; lediglich sofern Anmeldungen die formalen Mindestanforderungen des § 174 Abs. 2 und 3 InsO nicht wahren, kann der Sachwalter bzw. der Insolvenzverwalter diese zurückweisen und die Eintragung in die Tabelle verweigern.8) 3.
Niederlegung der Tabelle
Die vollständige Tabelle hat der Sachwalter innerhalb des in § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO ge- 10 nannten Zeitraums mit den Forderungsanmeldungen und den beigefügten Urkunden zur Niederlegung in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zwecks Einsicht der Beteiligten bei Gericht einzureichen.9) Auch in Großverfahren bzw. in Verfahren mit einer großen Zahl an Forderungsanmel- 11 dungen verpflichtet § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO den Sachwalter und das Gericht dazu, die Anmeldungen an der Gerichtsstelle niederzulegen. Indes ist die zusätzliche Niederlegung an einem anderen Ort, z. B. im schuldnerischen Unternehmen oder in der Kanzlei des Sachwalters, zulässig.10) Hierdurch kann im Einzelfall die bezweckte Möglichkeit der Einsichtnahme der Beteiligten effektiver durchgesetzt werden, so dass sich eine derartige zusätzliche Niederlegung – auch zur Entlastung der Gerichte – in entsprechenden Verfahren durchaus empfehlen kann. ___________ Pape, in: KPB, InsO, § 283 Rz. 12. Vgl. hierzu nur Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 9 f., auch m. w. N. zum Streitstand. Vgl. hierzu i. E. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 10 f. Es empfiehlt sich, die Praxis der Tabellenniederlegung des jeweils zuständigen Insolvenzgerichts zu beachten. Viele Insolvenzgerichte haben insoweit eigene Anforderungen an Art und Umfang der niederzulegenden Unterlagen, wobei diese teils nennenswert vom gesetzlichen Leitbild des § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO abweichen. 10) Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 21. 6) 7) 8) 9)
M. Hofmann
509
§ 15 IV.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Forderungsprüfung
12 Die Klärung, welche Forderung an der Verteilung der Insolvenzmasse teilhaben, regelt das Forderungsprüfungs- und -feststellungsverfahren gemäß §§ 176 ff. InsO. Eine Forderung, der kein widerspruchsberechtigter Beteiligter widersprochen hat, gilt dabei gemäß § 178 Abs. 1 InsO als festgestellt, was gemäß § 189 InsO Voraussetzung für die Berücksichtigung i. R. der Verteilung der Insolvenzmasse im ordentlichen Verteilungsverfahren ist. 1.
Prüfung der Forderungen in Terminen oder im schriftlichen Verfahren
13 Die Prüfung der angemeldeten Forderungen findet auch bei angeordneter Eigenverwaltung entweder in Prüfungsterminen gemäß § 176 InsO bzw. § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO oder im schriftlichen Verfahren statt. 14 Der erste Prüfungstermin ist vom Insolvenzgericht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmen; er soll demnach mindestens eine Woche und höchstens zwei Monate nach Ablauf der Forderungsanmeldungsfrist stattfinden. Der Prüfungstermin kann gemäß § 29 Abs. 2 InsO mit dem Berichtstermin verbunden werden. Bei der Terminierung durch das Gericht bzw. bei der Abstimmung der Forderungsanmeldungsfrist und des ersten Prüfungstermins sollte in der Praxis darauf geachtet werden, dass die Zeit zwischen Ablauf der Anmeldungsfrist und dem Prüfungstermin gerade in Verfahren mit mittlerer und hoher Gläubigerzahl nicht zu kurz bemessen ist.11) 15 Die Prüfung der Forderungen im schriftlichen Verfahren anstelle einer Prüfung i. R. eines ersten Prüfungstermins ist von der InsO nur in Fällen überschaubarer Vermögensverhältnisse des Schuldners gemäß § 5 Abs. 2 InsO zugelassen. 16 Die Prüfung nachträglich angemeldeter Forderungen kann gemäß § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO hingegen – unabhängig von den Vermögensverhältnissen des Schuldners – entweder i. R. eines oder mehrerer nachträglicher Prüfungstermine oder aber im schriftlichen Verfahren erfolgen. 1.1
Ablauf des Prüfungstermins
17 Im Prüfungstermin sind die angemeldeten bzw. im Fall des § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO die nachträglich angemeldeten Forderungen gemäß § 176 Satz 1 InsO ihrem Betrag und ihrem Rang nach zu prüfen. Da die Widerspruchsberechtigten bereits zuvor die Möglichkeit hatten, die Tabelle der angemeldeten Forderungen und die Forderungsanmeldungen i. R. der Niederlegung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO einzusehen, ist ein Einzelaufruf jeder angemeldeten Forderung nicht erforderlich. Vielmehr genügt i. d. R. der pauschale Aufruf der angemeldeten Forderungen, wobei hierfür auf die zuvor bereits niedergelegte Tabelle Bezug genommen werden kann.12) Der pauschale Aufruf der Forderungen ist mit der Aufforderung des Gerichts an die Anwesenden zu verbinden, sich zu melden, falls Forderungen bestritten werden sollen.13) Im Sinne der Beschleunigung des Verfahrens findet gemäß § 176 Satz 2 InsO eine Einzelerörterung nur hinsichtlich derjenigen Forde___________ 11) Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO die Niederlegung der Tabelle, die letztlich jedenfalls die Erfassung und Aufnahme sämtlicher angemeldeter Forderungen erfordert, innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums zwischen dem Ablauf der Anmeldungsfrist und dem Prüfungstermin zu erfolgen hat. Liegt zwischen dem Ablauf der Forderungsanmeldungsfrist und dem Prüfungstermin nur der Mindestzeitraum von einer Woche, so verbleibt dem Sachwalter lediglich ein Zeitraum von zwei Tagen, um innerhalb des ersten Drittels dieser Woche die betreffenden Unterlagen an der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Niederlegung zur Verfügung zu stellen. 12) Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 176 Rz. 6, 7 m. w. N.; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 176 Rz. 8. 13) Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 176 Rz. 7.
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M. Hofmann
Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung
§ 15
rungen statt, die bestritten werden.14) In der insolvenzgerichtlichen Praxis hat es sich zudem bewährt, im Einverständnis aller anwesenden Teilnehmer des Prüfungstermins, ggf. lediglich die Forderungen der anwesenden bzw. im Termin vertretenen Gläubiger oder bestimmte einzelne andere Forderungen, an deren Erörterung Interesse besteht, zu erörtern. 1.2
Durchführung der Prüfung im schriftlichen Verfahren
Die gemäß § 5 Abs. 2 InsO oder gemäß § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO zulässige Prüfung der 18 (nachträglich) angemeldeten Forderungen im schriftlichen Verfahren hat im Hinblick auf das hierbei einzuhaltende Verfahren keine weitergehende Regelung in der InsO erfahren. Die Möglichkeit der schriftlichen Forderungsprüfung dient maßgeblich der Verfahrensvereinfachung, indes ist die hinreichende Wahrung der Rechte der teilnehmenden Gläubiger durch die konkrete Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen.15) Ausgangspunkt der Gläubigerbeteiligung muss daher auch im schriftlichen Verfahren die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Tabelle i. R. der Niederlegung der Tabelle bzw. auch der nachträglich angemeldeten Forderungen gemäß bzw. analog § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO sein.16) Das Insolvenzgericht hat zudem eine Ausschlussfrist zu bestimmen und öffentlich bekannt zu machen, innerhalb derer die widerspruchsberechtigten Beteiligten Widerspruch gegen angemeldete Forderungen erheben können.17) Innerhalb der gerichtlich gesetzten Frist können die Beteiligten schriftlich Widerspruch erheben. Das Insolvenzgericht hat die Widersprüche in die Tabelle aufzunehmen.18) Nach Ablauf der Frist eingehende Widersprüche sind unzulässig bzw. ausgeschlossen.19) 2.
Widerspruchsrecht i. R. der Forderungsprüfung
Ein Widerspruchsrecht, d. h. das Recht, gegen angemeldete Forderungen mit Wirkung auf 19 die Verteilung im Insolvenzverfahren Widerspruch zu erheben bzw. Forderungen zu bestreiten, steht neben jedem Insolvenzgläubiger20) (vgl. § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO) in der Eigenverwaltung sowohl dem Schuldner als auch dem Sachwalter zu (§ 283 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Widerspruch des Schuldners hat dabei gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 InsO – anders als im Regelinsolvenzverfahren – dieselbe Wirkung wie ein Widerspruch eines Gläubigers oder des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren: Bleibt die Forderung von einem der widerspruchsberechtigten Beteiligten widersprochen, so nimmt sie nicht an Verteilungen teil. Eine Ausnahme gilt nur für titulierte Forderungen, da insoweit gemäß § 179 Abs. 2 InsO der Bestreitende seinen Widerspruch (gerichtlich) verfolgen muss. Die in der Literatur vereinzelt geäußerte Kritik21) am vollwertigen Widerspruchsrecht 20 des Schuldners in der Eigenverwaltung vermag letztlich nicht zu überzeugen. Konstellationen, in denen der Schuldner seine verfahrensrechtliche Stellung aufgrund der Eigenverwaltung missbraucht, sind letztlich von vornherein durch Gläubiger und Gericht mit ___________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)
21)
Riedel, in: MünchKomm-InsO, § 176 Rz. 17. Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 177 Rz. 17. Specovius, in: Braun, InsO, § 177 Rz. 14; Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 177 Rz. 18. Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 177 Rz. 18 (auch zu weiteren Einzelheiten des einzuhaltenden Verfahrens). Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 177 Rz. 18. Specovius, in: Braun, InsO, § 177 Rz. 15. Widerspruchsberechtigt sind nur Insolvenzgläubiger, die selbst wirksam eine Forderung angemeldet haben, sodass Gläubiger, deren Forderungsanmeldungen zurückgewiesen wurden oder die – ggf. noch – keine Forderung angemeldet haben, nicht Widerspruch erheben können; vgl. z. B. Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 176 Rz. 25 (auch zu weiteren Einzelfragen). Vgl. Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 90 Rz. 12.
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§ 15
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
einer Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung zu „ahnden“. Den Gläubigern der vom Schuldner bestrittenen Forderungen entsteht insoweit letztlich auch kein Nachteil, da konsequenterweise nach einer Aufhebung der Eigenverwaltung der dann zu bestellende Insolvenzverwalter das Recht hat, den Widerspruch des Schuldners – mit Wirkung für das Insolvenzverfahren, nicht hingegen mit Wirkung für eine etwaige Vollstreckung nach Verfahrensabschluss – zurückzunehmen. Der Insolvenzverwalter rückt in diesem Fall in die Stellung des eigenverwaltenden Schuldners ein. Andernfalls würde die Anordnung der Eigenverwaltung den Schuldner auch über die Aufhebung hinaus in eine Rechtsposition bringen, welche in keiner Weise dogmatisch zu begründen wäre. Die hiermit einhergehende Schlechterstellung der Gläubiger im Vergleich zur bereits von Anfang an erfolgten Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens hätte ebenfalls keine Grundlage. Demgegenüber ist vielmehr zu betonen, dass das Widerspruchsrecht des Schuldners in der Praxis der Eigenverwaltung gerade mit Blick auf das Zusammenspiel von Eigenverwaltung und Insolvenzplan von erheblicher Bedeutung sein kann: Gläubiger von Forderungen, welchen der Schuldner nicht widersprochen hat, können insoweit gemäß § 257 Abs. 1 Satz 1 InsO die Vollstreckung aus dem Insolvenzplan gegen den Schuldner betreiben, wenn ihre Forderung auch i. Ü. zur Tabelle festgestellt ist, d. h. wenn auch keine Widersprüche anderer Gläubiger oder des Sachwalters vorliegen.22) 3.
Beseitigung von Widersprüchen und Feststellungsrechtsstreite
21 Ist eine Forderung bestritten, so kann der Bestreitende seinen Widerspruch – ggf. nach Vorlage weiterer Unterlagen durch den Gläubiger oder nach Verhandlungen über die Berechtigung der Forderung – gegenüber dem Insolvenzgericht zurücknehmen. Je nachdem, ob für die bestrittene Forderung bereits ein Vollstreckungstitel vorliegt, ist es gemäß § 179 Abs. 1 InsO am Gläubiger, den Widerspruch des Bestreitenden zu beseitigen, oder gemäß § 179 Abs. 2 InsO am Bestreitenden, seinen Widerspruch zu verfolgen. 3.1
Verhandlungen über Rücknahme des Widerspruchs
22 In der Praxis liegt dem Widerspruch des Insolvenzverwalters oder im Fall der Eigenverwaltung des Sachwalters bzw. des Schuldners oftmals eine der folgenden Fallkonstellationen zugrunde:
das Fehlen hinreichender Nachweise bzw. Belege für eine Forderung,
die noch nicht abschließende Klärbarkeit der Höhe einer zunächst auf Schätzungen beruhenden Forderung oder
abweichende Rechtsauffassungen zur Berechtigung einer streitigen Forderung zwischen Schuldner bzw. Sachwalter einerseits und Gläubiger andererseits.
23 Im ersten Fall – Fehlen hinreichender Nachweise – empfiehlt es sich für den Gläubiger, vor der gerichtlichen Klärung der Berechtigung der Forderung weitere Unterlagen vorzulegen und dem bzw. den Bestreitenden eine angemessene Frist zur Rücknahme des Widerspruchs zu setzen. Schuldner und Sachwalter sind gehalten, derartige Anfragen zeitnah zu bearbeiten, um eine andernfalls drohende und mit einem entsprechenden Kostenrisiko für die Insolvenzmasse verbundene Feststellungsklage nach Möglichkeit zu vermeiden. Wird demgegenüber unmittelbar Feststellungsklage eingereicht, obwohl die Forderung wegen fehlender Nachweise bestritten wurde, läuft der Gläubiger Gefahr eines sofortigen Anerkenntnisses i. S. von § 93 ZPO mit der Rechtsfolge der Kostentragung.23) ___________ 22) Huber, in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 18. 23) Vgl. hierzu auch Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 179 Rz. 8.
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M. Hofmann
Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung
§ 15
Auch bei Forderungen auf Grundlage von Schätzungen oder im Fall abweichender 24 Rechtsauffassungen über die Berechtigung einer angemeldeten Forderung – z. B. auch zur Frage des (Nach-)Rangs von Forderungen – empfiehlt es sich für alle Beteiligten, Verhandlungen über die Berechtigung der Forderung aufzunehmen und ggf. eine Einigung zu erzielen. Hierbei sollten sowohl der Schuldner und der Sachwalter wie auch der Gläubiger beachten, dass ein Feststellungsrechtsstreit mit Kosten verbunden sein wird, die letztlich sogar zulasten der Quotenerwartung aller Gläubiger gehen können. Eine einvernehmliche Regelung entsprechender Fragen i. R. von Vergleichen kann diese Kosten vermeiden und damit letztlich zu einer Erhöhung der Quotenerwartung beitragen. 3.2
Feststellungsrechtsstreit
Kommt eine einvernehmliche Klärung der Berechtigung einer bestrittenen Forderung 25 zwischen dem Gläubiger einerseits und dem oder den Bestreitenden nicht zustande, so hat der Gläubiger die Möglichkeit, gegen den Bestreitenden Feststellungsklage gemäß § 179 Abs. 1, § 180 InsO zu erheben. Liegt für die bestrittene Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so obliegt es demgegenüber gemäß § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden, seinen Widerspruch im hierfür vorgesehenen Verfahren zu verfolgen. Eine Teilhabe an der Insolvenzmasse, d. h. die Teilnahme an Verteilungen, kommt – trotz 26 des insoweit leicht widersprüchlichen Wortlauts des § 183 Abs. 1 InsO – nur dann in Betracht, wenn sämtliche Widersprüche beseitigt sind.24) 3.2.1 Vorfragen des Feststellungsrechtsstreits Sowohl der Gläubiger einer bestrittenen Forderung als auch der bestreitende Schuldner 27 oder Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren bzw. der bestreitende Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren sollten im Vorfeld eines Feststellungsrechtsstreits neben den rechtlichen Prozessrisiken v. a. auch den wirtschaftlichen Sinn eines Rechtsstreits abwägen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Quotenerwartung von vornherein nur gering ist und letztlich die Kosten des Feststellungsrechtsstreits – auch unter Berücksichtigung nötiger Zeugeneinvernahmen oder Sachverständigengutachten – die für den Gläubiger zu erwartende Quote bzw. die Auswirkung auf die Höhe der Quote für die übrigen Gläubiger deutlich übersteigen. 3.2.2 Führung des Rechtsstreits Abgesehen davon, dass der Gläubiger einer bestrittenen Forderung – anders als im Regel- 28 insolvenzverfahren – auch einen etwaigen Widerspruch des Schuldners beseitigen muss, um an einer künftigen Verteilung teilzunehmen, ergeben sich letztlich hinsichtlich der Führung von Feststellungsrechtsstreiten keine Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren. Damit gelten für die Zuständigkeit § 180 InsO und für den Streitwert insbesondere § 182 InsO. Das doppelte Widerspruchsrecht von Schuldner und Sachwalter kann in der Praxis für die 29 Gläubiger zu erhöhtem Aufwand führen, da zur Erlangung der Teilhabe an der Verteilung der Insolvenzmasse letztlich ggf. die Widersprüche mehrerer Personen zu beseitigen sind.25) ___________ 24) Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 183 Rz. 2; Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 183 Rz. 11 m. w. N. 25) Pape, in: Kölner Schrift, S. 767 Rz. 46, kann gerade vor diesem Hintergrund das vollwertige Widerspruchsrecht des Schuldners gemäß § 283 Abs. 1 InsO nicht nachvollziehen. Die Kritik von Pape geht indes m. E. zu weit, da verkannt wird, dass natürlich im Eigenverwaltungsverfahren die Federführung beim Schuldner liegen muss, der auch im Bereich der Anerkennung der gegen ihn gerichteten Forderungen nicht durch den Sachwalter verdrängt werden darf.
M. Hofmann
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§ 15
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
In der Praxis sollten die Beteiligten hier versuchen, an einer für alle sinnvollen Klärung mitzuwirken, so dass insbesondere eine streitige Klärung der Berechtigung einer Forderung letztendlich Wirkung gegen alle Bestreitenden entfaltet. Dies kann sowohl durch Prozessführung gegen alle Bestreitenden als auch im Wege entsprechender vertraglicher Erweiterung des Prozessausgangs in einem Feststellungsrechtsstreit auf weitere Bestreitende geschehen. Wird Feststellungsklage gegen den Schuldner und den Sachwalter in einem Rechtsstreit geführt, so sind die beklagten Bestreitenden notwendige Streitgenossen i. S. von § 62 ZPO, so dass eine Entscheidung letztlich nur einheitlich ergehen kann.26) 3.2.3 Kosten des Feststellungsrechtsstreits 30 Über die Kosten des Feststellungsrechtsstreits entscheidet das Prozessgericht nach den maßgebenden Normen des jeweiligen Verfahrensrechts, im Zivilprozess nach §§ 91 ff. ZPO.27) Demnach ist im Bereich des arbeitsgerichtlichen Verfahrens insbesondere § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG zu beachten, wonach gerade in erstinstanzlichen Feststellungsrechtsstreiten vor den Arbeitsgerichten ein prozessualer Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten nicht besteht. 31 Nimmt der Bestreitende seinen Widerspruch nach Erhebung der Feststellungsklage zurück, so liegt regelmäßig ein Fall der Erledigung des Rechtsstreits vor, so dass das Gericht über die Kosten nach § 91a ZPO zu entscheiden hat. Hat der bestreitende Schuldner oder Sachwalter – insbesondere in Fällen des Bestreitens wegen fehlender Nachweisunterlagen – keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben, so kommt auch ein sofortiges Anerkenntnis i. S. von § 93 ZPO durch den Bestreitenden in Betracht.28) Demgegenüber ist im Fall der Aufnahme eines bereits anhängigen Rechtsstreits ein sofortiges Anerkenntnis nur in den seltensten Fällen möglich, da nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein vorangegangenes Verhandeln des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren fortwirkt und auch eine Aufteilung der Kosten analog § 105 InsO für nicht zulässig erachtet wird.29) Werden im Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner oder dem Sachwalter die Kosten eines Feststellungsrechtsstreits auferlegt, so handelt es sich hierbei um Masseverbindlichkeiten analog § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 3.3
Rücknahme des Widerspruchs
32 Der Bestreitende kann seinen Widerspruch – insbesondere in den soeben erläuterten Fällen – durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Insolvenzgericht zurücknehmen. Im Fall einer erfolgreichen Feststellungsklage gilt die entsprechende Erklärung letztlich mit Eintritt der Rechtskraft gemäß § 894 Satz 1 ZPO als erteilt. V.
Verteilung der Insolvenzmasse
33 Die Verteilung der Insolvenzmasse findet gemäß §§ 187 ff. InsO in Abschlags- oder Schlussverteilungen statt, sofern nicht in einem Insolvenzplan eine hiervon abweichende Regelung getroffen wird. In Eigenverwaltungsverfahren weist § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO die Aufgaben i. R. der Verteilung im Wesentlichen dem Schuldner zu. Der Sachwalter ist letztlich auf eine Prüfungs- und Stellungnahmepflicht beschränkt. ___________ 26) 27) 28) 29)
514
Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 179 Rz. 9; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 17. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 181 Rz. 19. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 181 Rz. 21 m. w. N.; Pape/Schaltke, in: KPB, InsO, § 179 Rz. 8. BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132, dazu krit. EWiR 2007, 85 (Hofmann); ebenfalls krit. Schumacher, in: MünchKomm-InsO, § 180 Rz. 32.
M. Hofmann
Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung
§ 15
Da die Eigenverwaltung in vielen Fällen – gerade, aber nicht nur im Fall eines vorgeschal- 34 teten Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO – auf eine Sanierung mittels Insolvenzplan abzielt, dürften Verteilungen i. S. von §§ 187 ff., 283 Abs. 2 InsO im Eigenverwaltungsinsolvenzverfahren eher die Ausnahme darstellen. Das förmliche Verteilungsverfahren der InsO wird in der Praxis der Eigenverwaltung insbesondere in folgenden Fällen zur Anwendung kommen:
Durchführung von Abschlagsverteilungen vor der Bestätigung eines Insolvenzplans oder
Durchführung von Abschlags- und/oder Schlussverteilungen in Verfahren, in denen bei angeordneter Eigenverwaltung gleichwohl kein Insolvenzplan beschlossen wird.
1.
Aufgabenzuweisung an Schuldner (§ 283 Abs. 2 Satz 1 InsO)
Gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO nimmt die Verteilungen der Schuldner vor. Demnach 35 obliegen die Aufstellung des Verteilungsverzeichnisses, dessen Niederlegung auf der Geschäftsstelle und die Anzeige der Summe der Forderungen sowie des zur Verteilung verfügbaren Betrags aus der Insolvenzmasse gegenüber dem Gericht zwecks öffentlicher Bekanntmachung bei angeordneter Eigenverwaltung ausschließlich dem Schuldner. Diese Aufgabenzuweisung trägt der Tatsache Rechnung, dass im Fall der Eigenverwaltung im Regelfall der Schuldner in die Pflichtenstellung des sonst zu bestellenden Insolvenzverwalters einrückt.30) Wurde das gesamte Insolvenzverfahren bis zur Aufhebung nach der Schlussverteilung in Eigenverwaltung durchgeführt, so obliegt auch die Durchführung einer Nachtragsverteilung gemäß §§ 203 ff. InsO dem Schuldner.31) Verteilungen bedürfen gemäß § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO auch im Eigenverwaltungsverfahren 36 der Zustimmung eines Gläubigerausschusses. Die Schlussverteilung setzt gemäß § 196 Abs. 2 InsO zudem die Zustimmung des Insolvenzgerichts voraus. Darüber hinaus kann das Insolvenzgericht unter den entsprechenden Voraussetzungen des § 277 InsO auch anordnen, dass Verteilungen der Zustimmung des Sachwalters bedürfen.32) 2.
Verteilungsverzeichnis des Schuldners
Da die Verteilungen gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO vom Schuldner vorzunehmen sind, 37 hat der Schuldner auch die gemäß §§ 188, 193 InsO erforderlichen Verzeichnisse aufzustellen, die sowohl vor Abschlags- wie auch vor einer Schlussverteilung vorgesehen sind. Das Verteilungsverzeichnis hat sämtliche gemäß §§ 189 bis 191 InsO zu berücksichti- 38 genden Forderungen zu enthalten, namentlich
alle festgestellten Forderungen, d. h. alle Forderungen, gegen die kein Widerspruch eines anderen Insolvenzgläubigers, des Schuldners oder des Sachwalters erhoben ist,
gemäß § 189 InsO bestrittene Forderungen, hinsichtlich derer ein Feststellungsrechtsstreit geführt wird, wobei der auf die Forderung entfallende Betrag gemäß § 189 Abs. 2 InsO zunächst zurückzubehalten ist,
gemäß § 190 InsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigende Forderungen, soweit der Gläubiger nachweist, dass und in welcher Höhe er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet, bei der Verwertung ausgefallen ist oder voraussichtlich ausfallen wird, und
___________ 30) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 5. 31) Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 10. 32) Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 24; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 12.
M. Hofmann
515
§ 15
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
gemäß § 191 InsO aufschiebend bedingte Forderungen, wobei der auf diese Forderungen entfallende Betrag i. R. von Abschlagsverteilungen zurückzubehalten ist.
39 Die inhaltlichen Anforderungen an das Verteilungsverzeichnis decken sich damit im eigenverwalteten Insolvenzverfahren mit denjenigen an das Verteilungsverzeichnis eines Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren. Mindestinhalt des Verteilungsverzeichnisses sind die Bezeichnung des jeweiligen Gläubigers und die Höhe des bei der Verteilung zu berücksichtigenden, d. h. festgestellten Forderungsbetrags.33) 40 Der Schuldner hat für die Niederlegung des Verteilungsverzeichnisses in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsichtnahme der Beteiligten entsprechend § 188 Satz 2 InsO Sorge zu tragen, indem er das Verzeichnis rechtzeitig zum Zwecke der Niederlegung bei Gericht einreicht. Zudem hat der Schuldner entsprechend § 188 Satz 3 InsO dem Gericht die Summe der zu berücksichtigenden Forderungen und den für die Verteilung verfügbaren Betrag mitzuteilen. Das Gericht hat diese Daten öffentlich bekannt zu machen, wobei die Bekanntmachung gemäß § 9 InsO durch Veröffentlichung auf der zentralen und länderübergreifenden Internetseite www.insolvenzbekanntmachungen.de erfolgt. 3.
Stellungnahme des Sachwalters zum Verteilungsverzeichnis (§ 283 Abs. 2 Satz 2 InsO)
41 Unabhängig von der Zustimmung des Gläubigerausschusses, des Insolvenzgerichts oder einer etwaig gemäß § 277 InsO erforderlichen Zustimmung des Sachwalters obliegt dem Sachwalter in jedem Fall gemäß § 283 Abs. 2 Satz 2 InsO die Prüfung des vom Schuldner vorgelegten Verteilungsverzeichnisses. Zugleich hat der Sachwalter zu dem Verzeichnis eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Er ist dabei gehalten, denselben Sorgfaltsmaßstab wie an die Aufstellung eines Verteilungsverzeichnisses selbst anzulegen.34) Die Stellungnahme des Sachwalters hat sich insoweit an das Insolvenzgericht zu richten, das die Stellungnahme analog § 188 Satz 2 InsO gemeinsam mit dem Verteilungsverzeichnis zur Einsicht der Beteiligten auf der Geschäftsstelle niederlegt.35) 42 Ein Recht, inhaltlich gegen das Verteilungsverzeichnis vorzugehen, steht dem Sachwalter jedoch von vornherein nicht vor. Vielmehr dient seine Stellungnahme dazu, entsprechende Einwendungen einzelner Gläubiger gemäß § 194 InsO zu ermöglichen bzw. vorzubereiten.36) 4.
Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis und Berichtigung des Verteilungsverzeichnisses
43 Gläubiger nicht berücksichtigter Forderungen, deren Forderungen nicht als tituliert zu berücksichtigen sind, haben die Möglichkeit, gegen eine Nichtberücksichtigung i. R. einer Verteilung gemäß §§ 189 ff. InsO vorzugehen, insbesondere Feststellungsklage zu führen bzw. einen zuvor unterbrochenen Rechtsstreit wieder aufzunehmen (vgl. § 189 Abs. 1 InsO). Die Beseitigung des Widerspruchs muss hierbei gegen jeden Widersprechenden betrieben werden. Die Berücksichtigung einer bestrittenen Forderung setzt letztlich voraus, dass der Gläubiger der im Verteilungsverzeichnis noch unberücksichtigten Forderung binnen zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung die Einleitung des Feststellungsrechtsstreits nachweist. In der Eigenverwaltung hat der in §§ 189, 190 InsO vorgesehene ___________ 33) 34) 35) 36)
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Castrup, in: Graf-Schlicker, InsO, § 188 Rz. 2. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 22. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 22; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6.
M. Hofmann
Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung
§ 15
Nachweis gegenüber dem Schuldner zu erfolgen, da der Schuldner im Zuge der ihm übertragenen Verteilung gerade auch die Verzeichnisse aufstellen und ggf. berichtigen muss. Sind Änderungen des Verteilungsverzeichnisses gemäß §§ 189 bis 192 InsO erforderlich, 44 so hat der Schuldner diese entsprechend § 193 InsO binnen drei Tagen nach Ablauf der Frist des § 189 Abs. 1 InsO vorzunehmen und sodann dem Gericht ein aktualisiertes Verteilungsverzeichnis vorzulegen. Bis zum Ablauf einer Woche nach dem Ende der Ausschlussfrist gemäß § 189 Abs. 1 InsO 45 steht Gläubigern im Fall von Abschlagsverteilungen das Recht zu, Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis zu erheben (§ 194 Abs. 1 InsO). Über Einwendungen entscheidet gemäß § 194 Abs. 2 und 3 InsO das Insolvenzgericht, das die Einwendungen entweder zurückweisen oder eine Berichtigung des Verzeichnisses anordnen kann. Gegen die entsprechenden Entscheidungen sieht § 194 Abs. 2, Abs. 3 InsO jeweils die sofortige Beschwerde der belasteten Partei, d. h. des Gläubigers bzw. – anstelle des Insolvenzverwalters – des Schuldners, vor. 5.
Durchführung der Verteilung
Nach Vorliegen der ggf. erforderlichen Zustimmungen, der Stellungnahme des Sachwalters 46 und nach ggf. erforderlicher Berichtigung des Verteilungsverzeichnisses nimmt der Schuldner gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO die Verteilung vor. Im Fall einer Abschlagsverteilung haben gemäß § 195 Abs. 1 InsO der Gläubigeraus- 47 schuss auf Vorschlag des Schuldners oder – falls kein Gläubigerausschuss bestellt ist – der Schuldner selbst den zu zahlenden Bruchteil zu bestimmen; dies kann denknotwendig erst nach Berücksichtigung der gegen das Verteilungsverzeichnis ggf. erhobenen Einwendungen erfolgen. Der Schuldner hat den berücksichtigten Gläubigern den Bruchteil gemäß § 195 Abs. 2 InsO mitzuteilen. Die Mitteilung kann schriftlich, mündlich oder im Wege der öffentlichen Bekanntmachung erfolgen;37) ebenfalls ausreichend ist die Mitteilung i. R. des Verwendungszwecks der Überweisung der entsprechenden Auszahlung.38) Soweit der Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO übernommen hat, 48 obliegt die Verteilung gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO gleichwohl dem Schuldner. Da der Sachwalter im Bereich der Kassen- bzw. Kontenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO den Schuldner nicht verdrängt, verbleibt es auch bei übernommener Kassenführung bei der Aufgabenverteilung gemäß § 283 Abs. 2 InsO. Der Sachwalter hat daher nach der entsprechenden Entscheidung des Schuldners, eine Verteilung durchzuführen, und nach Einhaltung der Formalien auf Grundlage der vom Schuldner zu erstellenden Verzeichnisse die Auszahlungen an die Gläubiger vorzunehmen. VI.
Abstimmung zwischen Sachwalter und Schuldner bei Forderungsprüfung und Verteilung
Im Bereich der Tabellenführung, der Forderungsprüfung und der Verteilung ist – wie 49 auch in sonstigen Bereichen der Verfahrensabwicklung – aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Aufgabenverteilung eine enge Abstimmung zwischen Schuldner und Sachwalter empfehlenswert. Dies gilt insbesondere in folgenden Bereichen: Bereits die Vorbereitung der Forderungsprüfung sollte – soweit zeitlich möglich – zwi- 50 schen Schuldner und Sachwalter abgestimmt werden, um möglichst einheitliche Prüfungsergebnisse zu erhalten. Beabsichtigt der Sachwalter, Forderungen zu widersprechen, die ___________ 37) Holzer, in: KPB, InsO, § 195 Rz. 10; Pehl, in: Braun, InsO, § 195 Rz. 6. 38) Pehl, in: Braun, InsO, § 195 Rz. 6.
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§ 15
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
aus seiner Sicht nicht hinreichend nachgewiesen sind, kann der Schuldner die entsprechenden Einwände ggf. anhand ihm vorliegender Unterlagen entkräften und so bereits frühzeitig ein einheitliches Prüfungsergebnis bewirken. 51 Widersprechen sowohl Schuldner als auch Sachwalter einer Forderung und kann über die Berechtigung der Forderung mit dem Gläubiger kein Einvernehmen erzielt werden, so sollte die Durchführung des Feststellungsrechtsstreits zwischen Schuldner und Sachwalter abgestimmt werden, um insbesondere zusätzliche Kosten, welche im Unterliegensfall die Masse belasten, zu vermeiden. Insbesondere sollten Schuldner und Sachwalter möglichst die gemeinsame Mandatierung eines Prozessbevollmächtigten anstreben.39) 52 Da Verteilungsverzeichnis und Verteilung auf der vom Sachwalter geführten Tabelle aufsetzen, empfiehlt sich eine Vorbereitung der entsprechenden Unterlagen bzw. Zahlungsverkehrsdateien in der Kanzlei des Sachwalters. VII. Besonderheiten in Verfahren mit großer Gläubigerzahl 53 In Verfahren mit großer Gläubigerzahl stellen die Information der Gläubiger, die Führung der Tabelle der angemeldeten Forderungen und insbesondere die Prüfung der Forderungen oftmals eine erhebliche logistische Herausforderung dar. Nach Verfahrenseröffnung müssen oftmals mehrere 1.000, mehrere 10.000 oder gar mehrere 100.000 Gläubiger40) zur Forderungsanmeldung aufgefordert, deren Forderungsanmeldungen entgegengenommen und bearbeitet werden. Dies ist natürlich mit erheblichem personellen Aufwand in der Kanzlei des Sachwalters und – im Hinblick auf die Forderungsprüfung – auch beim Schuldnerunternehmen verbunden. 54 Die Praxis sucht in derartigen Fällen verständlicherweise nach Möglichkeiten, den Prüfungsaufwand so gering wie möglich zu halten. Insbesondere in Fällen, in denen die Buchhaltung des Schuldnerunternehmens verlässlich erscheint, sind derartige Vereinfachungen wie folgt möglich: 55 Bereits im Vorfeld der Verfahrenseröffnung sollten Schuldner und (vorläufiger) Sachwalter möglichst mit dem Gericht die gemäß § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 2 InsO nötige Bestimmung der Anmeldefrist und des ersten Prüfungstermins abstimmen. Hierbei wird insbesondere zu berücksichtigen sein, wie viel Zeit zur Aufnahme der erwarteten Zahl an Forderungsanmeldungen in die Tabelle und zur (Vor-)Prüfung der entsprechenden Forderungen erforderlich ist. Ein erhebliches Überschreiten der in § 28 Abs. 1 bzw. § 29 Abs. 2 InsO genannten Zeiträume ist hierbei – auch im Fall des nicht als Soll-Vorschrift ausgestalteten § 28 Abs. 1 Satz 2 InsO – im Einzelfall durchaus möglich.41) 56 Die Gläubiger erhalten i. R. der Aufforderung zur Forderungsanmeldung bereits ein mit den Daten aus der Buchhaltung des Schuldnerunternehmens – sowohl zu den Kontaktdaten des Gläubigers wie auch insbesondere zur Höhe der betreffenden Forderung – ausgefülltes Forderungsanmeldungsformular übermittelt. Zugleich stellen der Insolvenzverwalter oder im Fall der Eigenverwaltung der Sachwalter und der Schuldner in Aussicht, die Forderung anzuerkennen, wenn eine Anmeldung ohne Änderung des übermittelten Vor___________ 39) Vgl. hierzu auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 308. 40) In den Insolvenzverfahren der TelDaFax-Gruppe musste der Insolvenzverwalter nach entsprechenden Presseberichten letztlich über 750.000 Gläubiger informieren und zur Forderungsanmeldung auffordern. 41) Vgl. auch AG Bonn v. 1.9.2011 – 98 IN 162/11 (TelDaFax Holding AG); das Gericht hat im dortigen Fall die Anmeldefrist auf fünf Monate festgesetzt und anstelle eines Prüfungstermins – im Widerspruch zum Wortlaut des § 5 InsO – die schriftliche Forderungsprüfung angeordnet und die anstelle eines Prüfungstermins zu setzende Widerspruchsfrist auf rund zehn Monate und damit etwa fünf Monate nach Ablauf der Anmeldefrist angesetzt.
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M. Hofmann
Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung
§ 15
drucks erfolgt, d. h. insbesondere keine weitergehenden (Neben-)Forderungen geltend gemacht werden. Da die Daten in diesem Fall vollständig aus der Buchhaltung des Schuldnerunternehmens 57 in die Tabellenverwaltungssoftware des Sachwalters übernommen werden können, sind – für die Gläubiger, welche die Forderung ohne Änderung anmelden – sowohl die Aufnahme des bereits vorhandenen Datensatzes in die Tabelle als auch die Prüfung der Berechtigung der Forderung deutlich erleichtert. Bedenken begegnet eine entsprechende Vorgehensweise jedoch immer dann, wenn die Kre- 58 ditorenbuchhaltung des Schuldnerunternehmens nicht vollständig verlässlich erscheint.
M. Hofmann
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§ 16 Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung M. Hofmann
I.
Rechtsstellung der Gläubigerversammlung .................................................... 1 1. Gläubigerautonomie .................................... 3 2. Wesentliche Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung................................ 5 II. Einberufung................................................. 6 1. Antragsrecht und Einberufung von Amts wegen.................................................. 7 2. Einberufung durch das Insolvenzgericht ......................................................... 11 3. Öffentliche Bekanntmachung ................... 13 III. Vorbereitung ............................................ 14 1. Herbeiführen angemessener Gläubigerbeteiligung............................................. 15 2. Zusätzliche Vorbereitung in Großverfahren..................................................... 21 3. Kosten......................................................... 25 IV. Durchführung .......................................... 27 1. Leitung durch das Insolvenzgericht.......... 28
I.
2.
Teilnahmeberechtigung ............................. 31 2.1 Kreis der Teilnahmeberechtigten....................................... 32 2.2 Vertretung von Gläubigern........... 35 2.3 Teilnahme von Dritten, insbesondere Pressevertretern........... 38 3. Zulässigkeit von Online- und VideoGläubigerversammlungen.......................... 41 V. Beschlussfassung ....................................... 42 1. Mehrheitserfordernis ................................. 43 2. Feststellung der Stimmrechte ................... 44 3. Stimmrechtsausschluss .............................. 52 4. Durchführung der Abstimmung in der Praxis................................................ 53 5. Aufhebung von Beschlüssen nach § 78 InsO.................................................... 56 6. Umsetzung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung...................................... 62
Rechtsstellung der Gläubigerversammlung
1 Die Gläubigerversammlung ist das oberste Organ der Gläubigergemeinschaft. Durch die in der InsO vorgesehenen Entscheidungsbefugnisse der Gläubigerversammlung1) haben die Gläubiger als Gemeinschaft die Möglichkeit, auf wesentliche Entscheidungen, insbesondere auf verfahrensleitende und strategische Entscheidungen, Einfluss zu nehmen. Hierbei ist die Gläubigerversammlung indes ausschließlich internes Organ der insolvenzrechtlichen Selbstverwaltung, so dass ihre Beschlüsse nicht im Außenverhältnis wirken, sondern ausschließlich im Innenverhältnis bindende Wirkung entfalten.2) Soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht eine Umsetzung durch das Insolvenzgericht erfordern, binden sie im eigenverwalteten Insolvenzverfahren damit insbesondere den Schuldner und dessen Organe bzw. i. R. seiner Befugnisse auch den Sachwalter. 2 Neben der Gläubigerversammlung als Versammlung aller Gläubiger sieht das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) in seinem Anwendungsbereich die Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger vor, welche im Insolvenzverfahren ebenfalls vom Insolvenzgericht einberufen und geleitet wird.3) 1.
Gläubigerautonomie
3 Die Gläubigerversammlung dient der Verwirklichung der Gläubigerautonomie, die eines der Verfahrensprinzipien der InsO darstellt. Die Gläubiger, deren Befriedigung das Verfahren dient (vgl. § 1 Satz 1 InsO), sollen Herren des Verfahrens sein und autonom über Form und Art der Verwertung des Schuldnervermögens sowie über den Gang des Verfahrens entscheiden.4) ___________ 1) 2) 3) 4)
520
S. hierzu Rz. 5. Kübler, in: KPB, InsO, § 74 Rz. 3 f. Eingehender Kübler, in: KPB, InsO, § 74 Rz. 16, § 75 Rz. 22 ff. und § 76 Rz. 25 ff. Kübler, in: KPB, InsO, § 74 Rz. 3 – 6.
M. Hofmann
Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung
§ 16
Nach der Konzeption der InsO dient die Gläubigerversammlung nicht nur der Verwirk- 4 lichung der Autonomie der (unbesicherten) Insolvenzgläubiger, sondern auch der absonderungsberechtigten Gläubiger, was sich insbesondere am Teilnahme- und Stimmrecht absonderungsberechtigter Gläubiger zeigt. Demgegenüber sieht die InsO keine Beteiligung von Aussonderungsberechtigten oder – selbst im Fall der Masseunzulänglichkeit – von Massegläubigern vor. 2.
Wesentliche Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung
Die Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung sind in der InsO abschließend geregelt.5) 5 Die wesentlichen Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung im eigenverwalteten Insolvenzverfahren sind demnach:
Entscheidung über Betriebsfortführung, Betriebseinstellung bzw. Betriebsveräußerung (§ 157 InsO),
Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung (§ 271 InsO),
Entscheidung über die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO),
Wahl eines neuen Sachwalters in der ersten Gläubigerversammlung (§ 57 Satz 1 i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO),
Antrag auf Entlassung des Sachwalters (§ 59 i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO),
Entscheidung über die Einsetzung oder Beibehaltung eines Gläubigerausschusses, Wahl der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 68 InsO),
Entgegennahme von Auskünften und Berichten des Schuldners und des Sachwalters (§§ 79, 156, 281 Abs. 2 InsO),
Zustimmung zu bedeutsamen Rechtshandlungen (§§ 160, 162, 276 InsO),
Beschlussfassung über Insolvenzplan.
II.
Einberufung
Die ordnungsgemäße Einberufung der Gläubigerversammlung ist Grundvoraussetzung 6 einer formal ordnungsgemäß durchgeführten Gläubigerversammlung. Um allen Gläubigern gleichermaßen eine Teilnahme an der Gläubigerversammlung zu ermöglichen und den Zugang zu Informationen im Insolvenzverfahren einheitlich zu gewährleisten, muss die Einberufung strengen Formalien genügen.6) Da Entscheidungen der Gläubigerversammlung oftmals zeitnah einzuholen sind und zudem – gerade bei großer Gläubigerzahl – die Durchführung jeder Gläubigerversammlung auch mit nennenswerten Kosten verbunden sein kann, ist bei der ordnungsgemäßen Vorbereitung seitens aller Beteiligten hohe Sorgfalt erforderlich. 1.
Antragsrecht und Einberufung von Amts wegen
Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO wird die Gläubigerversammlung vom Insolvenzgericht 7 einberufen. Die Einberufung erfolgt entweder von Amts wegen7) oder auf Antrag einer der in § 75 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 InsO genannten Personen bzw. Personengruppen. In der Regelinsolvenz ist demnach insbesondere der Insolvenzverwalter gemäß § 75 8 Abs. 1 Nr. 1 InsO berechtigt, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu beantragen. ___________ 5) Eingehend z. B. die ausf. Darstellung bei Kübler, in: KPB, InsO, § 74 Rz. 5 f. 6) Castrup, in: Graf-Schlicker, InsO, § 74 Rz. 1. 7) Castrup, in: Graf-Schlicker, InsO, § 74 Rz. 2.
M. Hofmann
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§ 16
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Nach allgemeiner Ansicht ist § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO – unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter – im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung i. S. eines Einberufungsantragsrechts des Schuldners zu lesen.8) Der Schuldner soll hierdurch insbesondere in die Lage versetzt werden, gemäß §§ 276, 160 InsO erforderliche Zustimmungen einzuholen oder anderweitig die Gläubiger an verfahrensleitenden Entscheidungen zu beteiligen. 9 Demgegenüber besteht nach überwiegender und zutreffender Auffassung kein allgemeines Antragsrecht des Sachwalters.9) Jedoch ist im eigenen Kompetenzbereich des Sachwalters, namentlich i. R. der ihm gemäß § 280 InsO obliegenden Anfechtungs- und Haftungsdurchsetzung, ein – inhaltlich beschränktes – Antragsrecht des Sachwalters anzuerkennen;10) hierfür spricht, dass auch der Sachwalter verfahrensrechtlich in die Lage versetzt werden muss, eine Entscheidung der Gläubigerversammlung herbeizuführen, sofern er bei fehlender Bestellung eines Gläubigerausschusses der Zustimmung der Gläubigerversammlung gemäß § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO zu einer besonders bedeutsamen Rechtshandlung bedarf, z. B. zum Abschluss eines Vergleichs. In der Praxis wird zudem in begründeten Fällen auf Anregung des Sachwalters eine Einberufung der Gläubigerversammlung von Amts wegen in Betracht kommen. Zudem wird sich der Sachwalter – insbesondere in Fällen, in denen es um zu besorgende Nachteile der Eigenverwaltung geht – als ultima ratio seines Informationsrechts gemäß § 274 Abs. 3 InsO zu bedienen haben. In Fällen offensichtlicher Nachteile einer Fortsetzung der Eigenverwaltung dürfte hierbei sogar eine Pflicht des Insolvenzgerichts im Raum stehen, von Amts wegen eine Gläubigerversammlung einzuberufen, um eine Entscheidung der Gläubigerversammlung über die Fortdauer der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO herbeizuführen. 10 Die weiteren Antragsrechte gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 InsO zugunsten des Gläubigerausschusses bzw. der genannten Gläubigerquoren gelten auch im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung. 2.
Einberufung durch das Insolvenzgericht
11 Der Einberufung der Gläubigerversammlung geht – gerade bei einem Einberufungsantrag gemäß § 75 InsO – regelmäßig eine entsprechende Terminabsprache mit dem Insolvenzverwalter voraus. Bei angeordneter Eigenverwaltung sollte das Gericht nach Möglichkeit die Termine sowohl mit dem Schuldner bzw. dessen Beratern wie auch mit dem Sachwalter abstimmen, wobei die interne Abstimmung zwischen Schuldner und Sachwalter sicherlich einem von beiden überlassen werden kann. 12 Die Einberufung der Gläubigerversammlung erfolgt durch Beschluss des Insolvenzgerichts. Rechtsmittel gegen die Einberufung der Gläubigerversammlung sind nicht gegeben. Allerdings sind – wie im Fall sämtlicher insolvenzgerichtlichen Termine11) – Terminverlegungsanträge gemäß § 4 InsO, § 227 ZPO möglich, über die das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.12) ___________ 8) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 90; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 90 ff. m. w. N. 9) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 90; Kübler, in: KPB, InsO, § 75 Rz. 5; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 90 ff. m. w. N. 10) Ebenso Kübler, in: KPB, InsO, § 75 Rz. 5. 11) Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 49. 12) Da sich die verfahrensbeteiligten Gläubiger ohne weiteres durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen können, wird eine Terminverlegung auf Antrag eines Gläubigers in der Regel nicht stattfinden, da dies – gerade bei großer Gläubigerzahl – völlig unpraktikabel wäre.
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M. Hofmann
Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung 3.
§ 16
Öffentliche Bekanntmachung
Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 InsO sind Zeit, Ort und Tagesordnung jeder Gläubigerver- 13 sammlung gemäß § 9 InsO13) öffentlich bekannt zu machen. Eine Ladung der einzelnen Gläubiger ist indes nicht vorgesehen. III.
Vorbereitung
Die Vorbereitung von Gläubigerversammlungen wird in der Praxis oftmals vernachlässigt, 14 ist aber – nicht nur in großen Verfahren – ein zweckmäßiges und wesentliches Mittel, um eine an den Gläubigerinteressen ausgerichtete Abwicklung des gesamten Insolvenzverfahrens zu erreichen. Abgesehen von der rein formalen Vorbereitung durch das Insolvenzgericht wird vielfach eine Vorbereitung durch den Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren bzw. durch den Schuldner und den Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren angezeigt sein. 1.
Herbeiführen angemessener Gläubigerbeteiligung
Die Praxis der Gläubigerversammlung ist gerade in Verfahren kleiner und sogar mittlerer 15 Größe letztlich vom Teilnahmeverzicht auf Seiten der Gläubiger geprägt. Gläubigerversammlungen – auch im Berichtstermin gemäß §§ 156, 157 InsO – finden oftmals sogar ohne jegliche Gläubigerbeteiligung statt. Um gleichwohl Entscheidungen i. S. von § 160 InsO zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber letztlich die Zustimmungsfiktion gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO geschaffen. Die oftmals mangelnde Wahrnehmung der Gläubigerrechte birgt die Gefahr, dass ein- 16 zelne Gläubiger oder Gläubigergruppen – teils wider die Interessen der Gläubigergemeinschaft – die Rechte der Gläubigerversammlung zur Verfolgung ihrer eigenen Ziele nutzen bzw. missbrauchen. Hintergrund können insbesondere Probleme auf der persönlichen Ebene zum Schuldner, Wettbewerbsinteressen oder auch Probleme in der Kommunikation des Insolvenzverwalters bzw. des eigenverwaltenden Schuldners oder des Sachwalters im Verhältnis zu den Gläubigern sein. Besonders „gefährlich“ sind derartige Einflussnahmen in Fällen, in denen Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht i. R. eines Aufhebungsantrags gemäß § 78 Abs. 1 InsO wieder beseitigt werden können, insbesondere im Fall der Wahl eines neuen Insolvenzverwalters oder Sachwalters gemäß § 57 InsO oder im Zusammenhang mit der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung bzw. Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß §§ 271, 272 InsO (siehe hierzu unten Rz. 57). Die insolvenzrechtliche Praxis bedient sich daher zur Herbeiführung angemessener Gläu- 17 bigerbeteiligung verschiedener Instrumente, die auch in Fällen angeordneter Eigenverwaltung zum Einsatz kommen können. In Fällen, in denen die Befürchtung besteht, dass einzelne Gläubiger ihre Interessen gegen 18 die Interessen einer abwesenden Gläubigermehrheit durchsetzen, hat sich eine schriftliche oder telefonische Einladung der wesentlichen Gläubiger, deren Abwesenheit zu besorgen ist, als praktikabel bewährt. Dies gilt insbesondere für Vertreter institutioneller Gläubiger, wie z. B. Finanzämter, Sozialversicherungsträger oder auch Banken. Soweit die Mehrheitsverhältnisse in einer Gläubigerversammlung – gerade in Fällen ver- 19 fahrensleitender Entscheidungen, die mit Kopf- und Summenmehrheit zu treffen sind (vgl. §§ 57, 271, 272 InsO) – völlig offen sind, erscheint es ggf. angebracht, eine größere ___________ 13) Öffentliche Bekanntmachungen erfolgen im Insolvenzverfahren gemäß § 9 InsO ausschließlich durch eine zentrale und bundesländerübergreifende Veröffentlichung im Internet (www.insolvenzbekanntmachungen.de).
M. Hofmann
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§ 16
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Zahl von Gläubigern anzusprechen, wobei der Aufwand der Information und Koordination einer größeren Zahl von Gläubigern bedacht werden sollte. Im Sinne einer transparenten und fairen Verfahrensabwicklung sollten in derartigen Fällen alle Gläubiger eingeladen werden. Die Einladung sollte zudem einen Hinweis darauf enthalten, dass eine Vertretung in der Gläubigerversammlung nur durch die in § 79 Abs. 2 ZPO genannten Personen zugelassen ist (siehe i. E. noch Rz. 35 f.). 20 Als sinnvolles Instrument zur Steigerung der Gläubigerbeteiligung, insbesondere seitens Lieferanten und anderer kleinerer Gläubiger, hat sich in der Praxis der Einsatz eines Stimmrechtsvertreters erwiesen. Um den Anforderungen von § 79 Abs. 2 ZPO gerecht zu werden, sollte als Stimmrechtsvertreter stets ein Rechtsanwalt fungieren. Die teils übliche Vorgehensweise, dass als Stimmrechtsvertreter ein Rechtsanwalt aus der Kanzlei des Insolvenzverwalters – bzw. im Fall der Eigenverwaltung aus der Kanzlei des Sachwalters oder ggf. des juristischen Beraters des Schuldners – fungiert, erscheint indes aus Sicht des Verfassers fragwürdig. Zum einen kann hierbei das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten sowohl in die Unabhängigkeit des Stimmrechtsvertreters wie auch in die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters leiden. Zum anderen bestehen berufsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Verbot der anwaltlichen Berufsausübung gegen den Träger des unter eigener Insolvenzverwaltung stehenden Vermögens gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO, das gemäß § 45 Abs. 3 BRAO auch kanzleiangehörige Anwälte bindet.14) Es empfiehlt sich daher, einen sonst nicht mit dem Fall betrauten Rechtsanwalt mit dieser Funktion zu betrauen. Zudem empfiehlt sich die vorherige Abstimmung der Einschaltung eines Stimmrechtsvertreters mit dem Insolvenzgericht. Wenn eine unentgeltliche Stimmrechtsvertretung – z. B. angesichts der Bedeutung der Sache oder eines etwaigen Haftungsrisikos – nicht möglich erscheint, kommt auch eine entgeltliche Mandatierung in Betracht. Soweit nicht ein oder mehrere Gläubiger die entsprechenden Kosten übernehmen, erscheint im Grundsatz auch eine Mandatierung durch den eigenverwaltenden Schuldner bzw. den Insolvenzverwalter i. R. eines Mandats zu Gunsten Dritter zulässig.15) In diesem Fall handelt es sich bei der Vergütung des Stimmrechtsvertreters um Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 2.
Zusätzliche Vorbereitung in Großverfahren
21 In Verfahren mit großer Gläubigerzahl und insbesondere in Verfahren mit hohem Interesse der Gläubigerschaft am Verfahrensverlauf stellt die Vorbereitung der Gläubigerversammlung Insolvenzgericht einerseits und – im Fall der Eigenverwaltung – Schuldner und Sachwalter andererseits vor erhebliche logistische Herausforderungen. ___________ 14) Zwar handelt es sich bei der Ausübung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung nicht im engeren Sinne um ein Vorgehen „gegen den Träger“ des unter Insolvenzverwaltung stehenden Vermögens, allerdings können einzelne Entscheidungen der Gläubigerversammlung gleichwohl die Grenze zu einem Vorgehen gegen den Schuldner überschreiten; zu denken ist insoweit v. a. an die Entscheidung, das Unternehmen des Schuldners einzustellen oder zu veräußern (§ 157 InsO) oder die Entscheidung über die Aufhebung der Anordnung der Insolvenzverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Derartige Entscheidungen der Gläubigerversammlung greifen (mittelbar) erheblich in die Rechte bzw. die Position des Schuldners ein, so dass zweifelsohne ein Vorgehen „gegen“ den Schuldner vorliegt. 15) Eine Mandatierung auf Kosten der Insolvenzmasse kommt m. E. jedoch nur dann in Betracht, wenn andernfalls zu besorgen steht, dass die Gläubigerversammlung nicht entscheidungsfähig ist oder Entscheidungen trifft, die sich zum Nachteil der Gläubigergemeinschaft auswirken. Insoweit steht dem eigenverwaltenden Schuldner bzw. dem Insolvenzverwalter ein weiter Einschätzungsspielraum zu, in dessen Rahmen er ggf. auch die Möglichkeit eines Aufhebungsantrags gemäß § 78 InsO zu berücksichtigen hat. Zudem sollte die Mandatierung eines Stimmrechtsvertreters auf Kosten der Insolvenzmasse mit dem Insolvenzgericht und – soweit vorhanden – mit dem Gläubigerausschuss abgestimmt werden. In der Eigenverwaltung ist insoweit in jedem Fall auch der Sachwalter gemäß § 275 Abs. 1 InsO einzubinden.
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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung
§ 16
So sind insbesondere geeignete Räumlichkeiten anzumieten, sofern das Insolvenzgericht 22 nicht über geeignete und insbesondere größenmäßig geeignete Sitzungssäle verfügt. Zudem sind Maßnahmen zur Überprüfung der Teilnahmeberechtigung und zur Überwachung der Stimmabgabe unter Berücksichtigung der in der Gläubigerversammlung gewährten Stimmrechte vorzubereiten. Hierzu bietet sich insbesondere die Ausgabe von Stimmkarten an die teilnahmeberechtigten Gläubiger an.16) Hinsichtlich der organisatorischen Vorbereitung und Begleitung von Gläubigerversamm- 23 lungen in Großverfahren bieten verschiedene Unternehmen inzwischen auch entsprechende Dienstleistungen an, die insbesondere eine Unterstützung bei der Einladung der Gläubiger, der Ausgabe von Stimmkarten und der Überwachung der Zutrittsberechtigung wie auch der Stimmabgaben zum Gegenstand haben. Da die Einberufung und auch die Versammlungsleitung dem Insolvenzgericht obliegen, 24 sind sämtliche vorbereitenden Maßnahmen in Großverfahren – soweit diese nicht durch das Gericht selbst, sondern durch den Schuldner oder den Sachwalter vorgenommen werden – eng mit dem Gericht abzustimmen. 3.
Kosten
Die Einberufung und die Durchführung von Gläubigerversammlungen verursachen im 25 Normalfall keine nennenswerten Kosten, da die Gläubigerversammlung in Räumlichkeiten des Insolvenzgerichts durchgeführt wird und etwaige ordnungspolizeiliche Maßnahmen durch Justizbedienstete ausgeführt werden. Die hierbei anfallenden Kosten sind letztlich in den gemäß § 54 Nr. 1 InsO aus der Insolvenzmasse zu berichtigenden Gerichtskosten enthalten. Anders verhält es sich hingegen in Großverfahren, da insoweit Raumkosten und Kosten 26 für die organisatorische Unterstützung bei der Überwachung von Teilnahme- und Stimmberechtigung anfallen können. Werden entsprechende vorbereitende bzw. unterstützende Maßnahmen in Abstimmung mit dem Gericht vom Schuldner, vom Sachwalter oder – im Regelinsolvenzverfahren – vom Insolvenzverwalter koordiniert, sollte in diesem Zusammenhang auch mit dem Gericht abgestimmt werden, ob entsprechende Verträge auf Kosten der Justizkasse oder der Insolvenzmasse geschlossen werden.17) Beides, d. h. die Verauslagung durch das Gericht gemäß § 54 Nr. 1 InsO oder die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Insolvenzverwalter bzw. den eigenverwaltenden Schuldner gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, ist grundsätzlich zulässig.18) Im letzteren Falle sollten der eigenverwaltende Schuldner bzw. in der Regelinsolvenz der Insolvenzverwalter indes die ausdrückliche Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Begründung der Masseverbindlichkeiten einholen.19) IV.
Durchführung
Die Durchführung von Gläubigersammlungen ist gesetzlich nur rudimentär geregelt, was 27 zum einen die im Insolvenzverfahren angesichts einer Vielzahl an möglichen Konstellationen nötige Flexibilität bietet, zum anderen aber auch streitigen Fragen – z. B. nach der Anwesenheit von nicht teilnahmeberechtigten Dritten – Tür und Tor öffnet. ___________ 16) Kübler, in: KPB, InsO, § 76 Rz. 8. 17) Von Gesetzes wegen handelt es sich bei etwaigen externen Kosten der Gläubigerversammlung nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich um Auslagen des Gerichts, die gemäß §§ 53, 54 Nr. 1 InsO aus der Masse zu begleichen sind, wobei die unmittelbare Belastung zunächst bei der Justizkasse eintritt. 18) Kübler, in: KPB, InsO, § 76 Rz. 22. 19) Die Begründung von Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 InsO erweist sich in praxi insbesondere auch mit Blick auf den insoweit möglichen Vorsteuerabzug als vorzugswürdig, welcher im Fall einer Verauslagung der Kosten durch die – nicht vorsteuerabzugsberechtigte – Justizkasse verlorenginge.
M. Hofmann
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§ 16 1.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Leitung durch das Insolvenzgericht
28 Die Gläubigerversammlung unterliegt gemäß § 76 Abs. 1 InsO der Versammlungsleitung durch das Insolvenzgericht. Das Gericht hat in seiner neutralen Funktion insbesondere den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung sicherzustellen.20) Eine inhaltliche Einflussnahme auf Entscheidungen der Gläubigerversammlung ist nach zutreffender Auffassung nicht Gegenstand der Versammlungsleitung;21) indes darf das Gericht – mit dem Ziel eines Ausgleichs zwischen den verschiedenen Gläubigerinteressen – durchaus moderieren.22) 29 Die funktionelle Zuständigkeit für die Versammlungsleitung liegt in der Regel beim Rechtspfleger, der nach § 3 Nr. 2 lit. e RPflG grundsätzlich für das eröffnete Insolvenzverfahren zuständig ist, soweit es sich der Richter nicht gemäß § 18 Abs. 2 RPflG vorbehalten hat. 30 Aufgrund des gesetzlichen Richtervorbehalts in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG für das Verfahren über einen Insolvenzplan sind demgegenüber Gläubigerversammlungen zur Erörterung bzw. Beschlussfassung über einen Insolvenzplan in jedem Fall vom Richter, nicht hingegen vom Rechtspfleger zu leiten. 2.
Teilnahmeberechtigung
31 Zu Beginn der Gläubigerversammlung wird zunächst die Teilnahmeberechtigung der anwesenden Personen überprüft. In Großverfahren – insbesondere bei großer Gläubigerzahl – kann das Gericht auf die Vorbereitung und Unterstützung durch die Kanzlei des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters bzw. durch spezialisierte Dienstleister zurückgreifen (siehe auch Rz. 23). Die Entscheidung über die Teilnahmeberechtigung muss jedoch in jedem Fall bei dem Insolvenzgericht verbleiben, da dies Teil der ausschließlich dem Gericht zufallenden Versammlungsleitung ist. 2.1
Kreis der Teilnahmeberechtigten
32 Zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung sind gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO folgende Personen berechtigt:
absonderungsberechtigte Gläubiger,
Insolvenzgläubiger,
der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren,
die Mitglieder des Gläubigerausschusses und
der Schuldner.
33 Ein Teilnahmerecht des Sachwalters ist in der InsO nicht ausdrücklich geregelt, allerdings denknotwendigerweise anzuerkennen, da ansonsten eine zielführende Ausübung der Aufgaben des Sachwalters nicht möglich wäre.23) Das Teilnahmerecht des Sachwalters wird zudem in der InsO vorausgesetzt, z. B. in § 281 Abs. 2 Satz 2 InsO. 34 Demgegenüber besteht kein Teilnahmerecht
der Aussonderungsberechtigten,
der Massegläubiger sowie
sonstiger Dritter.
___________ 20) 21) 22) 23)
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Preß, in: HambKomm-InsO, § 76 Rz. 2; Kübler, in: KPB, InsO, § 76 Rz. 3. Kübler, in: KPB, InsO, § 76 Rz. 10 f. Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 3; Preß, in: HambKomm-InsO, § 76 Rz. 2. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 91; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 132 f. f.
M. Hofmann
Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung 2.2
§ 16
Vertretung von Gläubigern
Das Teilnahmerecht der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger 35 ist kein höchstpersönliches, so dass eine Vertretung durch Dritte naturgemäß zugelassen ist. Indes schränkt die über § 4 InsO auch im Insolvenzverfahren anwendbare24) Vorschrift des § 79 Abs. 2 ZPO den Kreis der als Vertreter zulässigen Personen stark ein. Demnach ist eine Vertretung des Gläubigers in der Gläubigerversammlung nur zugelassen 36 durch Rechtsanwälte (§ 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und insbesondere durch Beschäftigte des Gläubigers oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Eine Vertretung durch andere Gläubiger erscheint im Grundsatz nicht zulässig;25) jedoch kommt in entsprechend gelagerten Ausnahmefällen gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine Vertretung durch einen anderen Gläubiger in Betracht, sofern die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft i. S. von §§ 59, 60 ZPO vorliegen und die Vertretung unentgeltlich erfolgt.26) Nicht zugelassen ist zuletzt eine Vertretung in der Gläubigerversammlung durch Inkassounternehmen. Nicht vertretungsbefugte Vertreter hat das Gericht i. R. der Versammlungsleitung gemäß 37 § 4 InsO, § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch unanfechtbaren Beschluss zurückzuweisen. Bis zur Zurückweisung des nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten sind von diesem vorgenommene Handlungen oder Mitteilungen an diesen wirksam (vgl. § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO). 2.3
Teilnahme von Dritten, insbesondere Pressevertretern
Nicht teilnahmeberechtigten Dritten kann das Insolvenzgericht gemäß § 4 InsO, § 175 38 Abs. 2 Satz 1 GVG im Einzelfall die Anwesenheit gestatten.27) Entsprechende Entscheidungen i. R. der Versammlungsleitung können insoweit sogar ohne Anhörung der Beteiligten, d. h. der anwesenden Teilnahmeberechtigten, ergehen. Eine Teilnahme wird in Einzelfällen insbesondere für folgende Personen bzw. Personen- 39 gruppen in Betracht kommen:
Personen i. R. von Ausbildungen in der Justiz (Studenten, Auszubildende, Rechtsreferendare, Rechtspflegeranwärter),
Pressevertreter,
Massegläubiger bzw. deren Vertreter, insbesondere im Fall der Masseunzulänglichkeit,
gemäß § 4 InsO, § 79 ZPO ausgeschlossene Vertreter.
Der Zulassung von Pressevertretern steht insbesondere in kleineren und mittleren Ver- 40 fahren regelmäßig das Geheimhaltungsinteresse der Verfahrensbeteiligten entgegen. In Großverfahren, in denen u. U. ein Informationsbedürfnis einer breiten Öffentlichkeit besteht, kommt indes eine Zulassung von Pressevertretern in der Regel in Betracht; die Entscheidung liegt insoweit im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts. Nach Einschätzung des Verfassers ist gerade in Großverfahren auch zu berücksichtigen, dass Pressevertreter sich aufgrund einer bereits bestehenden oder erworbenen Gläubigerstellung Zugang zur Gläubigerversammlung verschaffen können bzw. sich die entsprechenden Infor___________ 24) Vgl. zur Anwendbarkeit von § 79 Abs. 2 ZPO im Insolvenzverfahren auch AG Ludwigshafen v. 9.12.2011 – 3e IN 458/11, juris (insbesondere zur Frage der Vertretung bei der Insolvenzantragstellung). 25) Anders noch die 2. Aufl., § 16 Rz. 36, wonach wegen sehr weiter Bejahung einer Streitgenossenschaft eine Vertretung durch andere Gläubiger zugelassen wurde. 26) Für Gläubiger, welche von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen, empfiehlt es sich, die Teilnahmeberechtigung ggf. bereits vorab mit dem zuständigen Insolvenzgericht zu klären. Der sicherere Weg dürfte insoweit in der Mandatierung eines Rechtsanwalts bestehen. 27) Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 5 m. w. N.
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§ 16
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
mationen ggf. von teilnehmenden Gläubigern – sozusagen „aus zweiter Hand“ – beschaffen, so dass insoweit das Interesse an einer transparenten Information aus erster Hand in der Regel das Geheimhaltungsinteresse überwiegen dürfte.28) 3.
Zulässigkeit von Online- und Video-Gläubigerversammlungen
41 Neue Kommunikationsformen, insbesondere Telefon- und Videokonferenzen, sind im (Wirtschafts-)Alltag nicht mehr wegzudenken. Daher stellt sich auch die Frage nach der Zulässigkeit von Online- bzw. Video-Gläubigerversammlungen. Nach zutreffender Auffassung lässt § 76 InsO im Grundsatz auch die Durchführung von Gläubigerversammlungen mittels moderner Kommunikationsmittel zu.29) Allerdings wurde von dieser Möglichkeit nach Kenntnis des Verfassers bislang noch nicht Gebrauch gemacht, was letztlich damit zusammenhängen dürfte, dass die insoweit bislang zur Verfügung stehenden Systeme noch nicht geeignet erscheinen, um die gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gläubigerversammlung zu erfüllen; dies gilt insbesondere für die nicht durchführbare Prüfung der Identität der Teilnehmer einer Online-Gläubigerversammlung. Inwieweit zukünftig entsprechende Systeme entwickelt werden und zum Einsatz kommen, bleibt daher zunächst der Entwicklung in der technischen und insolvenzrechtlichen Praxis vorbehalten. V.
Beschlussfassung
42 Beschlüsse der Gläubigerversammlung kommen nach § 76 Abs. 2 InsO grundsätzlich mit der einfachen Mehrheit der nach Forderungsbeträgen bemessenen Stimmrechte der abstimmenden Gläubiger zustande. Lediglich in besonders normierten Fällen ist zusätzlich auch die Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger erforderlich; dies betrifft insbesondere die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters (vgl. § 57 InsO, ggf. i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO) und die Entscheidung der Gläubigerversammlung über die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung (§ 271 Satz 1 InsO) bzw. über die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 1.
Mehrheitserfordernis
43 Beschlüsse der Gläubigerversammlung erfordern demnach jeweils eine absolute Mehrheit bezogen auf die abstimmenden Gläubiger. Die Stimmabgabe muss persönlich oder durch zugelassene (siehe bereits Rz. 35 f.) Vertreter erfolgen. Die Stimmrechte nicht anwesender Gläubiger und Stimmenthaltungen spielen demnach für die Mehrheitsbildung keine Rolle.30) Dies gilt sowohl für die in § 76 Abs. 2 InsO vorgesehene Forderungsmehrheit wie auch für die in einzelnen Vorschriften vorgesehene Kopfmehrheit. 2.
Feststellung der Stimmrechte
44 Maßgebliche Bedeutung für das Ergebnis der Abstimmung hat die Vorfrage der in § 77 InsO geregelten Feststellung der Stimmrechte. 45 Ein Stimmrecht gewähren gemäß § 77 Abs. 1 InsO angemeldete und unbestrittene Forderungen nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger. Das in § 177 Abs. 1 InsO genannte Erfordernis der Anmeldung der Forderung stellt nach h. M. nicht auf die förmliche Forderungsanmeldung i. S. von §§ 174 ff. InsO ab. Insoweit ist insbesondere auch ausreichend, ___________ 28) Ebenso Kübler, in: KPB, InsO, § 76 Rz. 13 m. w. N.; demgegenüber für eine äußerst restriktive Handhabung der Zulassung von Pressevertretern Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 5. 29) Ebenso Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 13. 30) Kübler, in: KPB, InsO, § 76 Rz. 20a m. w. N.
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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung
§ 16
wenn sich ein Gläubiger in der Gläubigerversammlung einer entsprechenden Forderung gegen den Schuldner berühmt.31) Soweit Forderungen nicht bestritten sind, ist ein Stimmrecht zu gewähren. Im Falle bestrittener Forderungen findet die Feststellung der Stimmrechte im Verfahren 46 gemäß § 77 Abs. 2 InsO statt. Gleiches gilt gemäß § 77 Abs. 3 InsO für Stimmrechte absonderungsberechtigter Gläubiger und für Stimmrechte der Gläubiger aufschiebend bedingter Forderungen. Insoweit sieht § 77 Abs. 2 InsO ein zweistufiges Verfahren der Stimmrechtsfeststellung vor: In einem ersten Schritt soll eine Einigung über das Stimmrecht zwischen dem Insol- 47 venzverwalter und den anwesenden stimmberechtigten Gläubigern über das jeweilige Stimmrecht gefunden werden (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO). Soweit eine Einigung zustande kommt, hat das Gericht ein entsprechendes Stimmrecht zu gewähren.32) Bei angeordneter Eigenverwaltung ist nach hier vertretener Auffassung anstelle des Insolvenzverwalters der Sachwalter in die Einigung einzubeziehen, so dass sich der Sachwalter und die stimmberechtigten Gläubigern zu einigen haben.33) Wenngleich die Kompetenzverteilung in der Eigenverwaltung die Aufgaben und verfahrensrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters grundsätzlich dem Schuldner überträgt und die Rechtsstellung des Sachwalters maßgeblich von der Aufsicht über den Schuldner geprägt ist, so ist hinsichtlich der Mitwirkung an der Einigung über das Stimmrecht letztlich die jüngere Rechtsprechung des BGH zum Antragsrecht nach § 78 InsO zu beachten.34) Demnach hat der Sachwalter – neben der Aufsicht über den Schuldner – diejenigen Aufgaben des Insolvenzverwalters wahrzunehmen, die dem Verwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind.35) Da die in § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO ausdrücklich vorgesehene Mitwirkung des Insolvenzverwalters an der Einigung über das Stimmrecht gerade auf die Wahrung der Interessen der (nicht vollständig anwesenden) Gläubigergemeinschaft abzielt, kann letztlich nur der Sachwalter sachgerecht an der Einigung mitwirken. Eine Einbeziehung (auch) des Schuldners in die Einigung erscheint demgegenüber auf Grundlage der Rechtsprechung des BGH36) nicht nötig. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO das 48 Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang ein Stimmrecht gewährt wird. Im Rahmen der Ermessensausübung ist an Hand der vom Gläubiger vorgelegten Unterlagen bzw. gemachten Angaben zu berücksichtigen, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad bzw. in welchem Umfang die geltend gemachte Forderung besteht.37) Die gerichtliche Entscheidung über die Festsetzung eines Stimmrechts gemäß § 77 Abs. 2 49 Satz 2 InsO ist unanfechtbar. Mangels gesetzlicher Zulassung findet gemäß § 6 InsO insbesondere keine Anfechtung i. R. einer sofortigen Beschwerde statt. Sofern der Rechtspfleger in der Gläubigerversammlung die Stimmrechtsentscheidung trifft, ist auch die sonst gegen Entscheidungen des Rechtspflegers gegebene Erinnerung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 RPflG ausnahmsweise ausgeschlossen; hierdurch soll insbesondere die Handlungsfähig-
___________ Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 32 m. w. N.; a. A. z. B. Preß, in: HambKomm-InsO, § 77 Rz. 6. Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 16. Anders noch die 2. Aufl., § 16 Rz. 47. BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614, dazu EWiR 2017, 501 (Buchalik/ Hiebert). 35) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614. 36) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614. 37) Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 18 f.
31) 32) 33) 34)
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§ 16
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
keit der Gläubigerversammlung sichergestellt werden, da andernfalls das Zustandekommen von Beschlüssen von Entscheidungen des Richters oder des Beschwerdegerichts abhinge. 50 Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO ist indes die Abänderung einer Stimmrechtsentscheidung auf Antrag zulässig;38) antragsberechtigt ist jeder anwesende Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter. Das Antragsrecht des Insolvenzverwalters steht bei angeordneter Eigenverwaltung dem Schuldner zu. 51 In Fällen, in denen sich eine Stimmrechtsentscheidung des Rechtspflegers auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat, ist zudem ein Antrag auf Neufestsetzung des Stimmrechts durch den Richter gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 RPflG zulässig. Antragsberechtigt ist wiederum jeder anwesende Gläubiger bzw. – im Fall der Eigenverwaltung – der eigenverwaltende Schuldner. In der Praxis ist zur Vermeidung übermäßigen Zeitverlusts – gerade wenn streitige Abstimmungen in der Gläubigerversammlung zu erwarten sind – darauf zu achten, dass im Fall der Versammlungsleitung durch den Rechtspfleger auch ein zuständiger Insolvenzrichter kurzfristig zur Verfügung steht, damit die entsprechenden Entscheidungen gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 RPflG zeitnah getroffen werden können. 3.
Stimmrechtsausschluss
52 Das aus allgemeinen Grundsätzen entlehnte Verbot der Abstimmung in eigenen Angelegenheiten gilt auch in der Gläubigerversammlung.39) In Fällen der Kollision eines bestimmten Abstimmungsgegenstands mit eigenen Interessen eines stimmberechtigten Gläubigers ist dieser daher von der Abstimmung ausgeschlossen.40) Die Feststellung eines Stimmrechtsausschlusses erfolgt analog § 77 Abs. 2 InsO, § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG durch gerichtlichen Beschluss.41) Ein Stimmrechtsausschluss kommt bspw. in folgenden Fällen in Betracht:
Abstimmung über die Zustimmung gemäß §§ 276, 160 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Anhängigmachung eines Rechtsstreits gegen einen Gläubiger bzw. zum Abschluss eines Vergleichs mit einem Gläubiger,
Abstimmung über den Verkauf des schuldnerischen Unternehmens oder eines Betriebs an einen Gläubiger gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
4.
Durchführung der Abstimmung in der Praxis
53 Da das Verfahren der Stimmrechtsfeststellung gemäß § 77 Abs. 2 InsO im Einzelfall mit erheblichem zeitlichen Aufwand einhergeht, hat sich in der Praxis als sinnvoll erwiesen, dass – gerade im Fall nur einzelner Abstimmungsgegenstände – vor einer Stimmrechtseinigung bzw. -entscheidung geklärt wird, ob die festzustellenden Stimmrechte überhaupt entscheidungserheblich sind. In Fällen erforderlicher Kopf- und Summenmehrheit hat dies jeweils für beide erforderlichen Mehrheiten zu erfolgen. 54 Sofern sich aus einer entsprechenden unverbindlichen „Probeabstimmung“ ergibt, dass die Stimmrechte von Bedeutung sind, ist für jeden einzelnen Gläubiger das Verfahren gemäß § 77 Abs. 2 InsO durchzuführen. Sodann erfolgt die eigentliche Abstimmung, wobei das Gericht die Stimmrechtseinigungen, Stimmrechtsfestsetzungen und den Gang der Abstimmung entsprechend zu protokollieren hat. Im Nachgang kommen zudem noch Neu___________ 38) 39) 40) 41)
530
Vgl. i. E. Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 27. Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 22. Zu Einzelfällen Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 23. Ebenso Kübler, in: KPB, InsO, § 77 Rz. 24.
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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung
§ 16
festsetzungsanträge gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG in Betracht, welche zu einer Wiederholung der Abstimmung führen können. Erst nach Durchführung dieses Verfahrens ist die Abstimmung abgeschlossen und steht 55 das Abstimmungsergebnis endgültig fest. 5.
Aufhebung von Beschlüssen nach § 78 InsO
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass einzelne Gläubiger Individualinteressen gegen 56 die Interessen der (nicht anwesenden) Gläubigergesamtheit in der Gläubigerversammlung durchzusetzen versuchen. Führt dies zu inhaltlich nicht sachgerechten Entscheidungen der Gläubigerversammlung, so steht den Beteiligten als mögliches Mittel, entsprechenden Beschlüssen in der insolvenzrechtlichen Praxis zu entgegnen, der Aufhebungsantrag nach § 78 InsO zur Verfügung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass indes nicht jeder Beschluss der Gläubigerversamm- 57 lung einer Aufhebung gemäß § 78 InsO zugänglich ist. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung können insbesondere die Neuwahl des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters gemäß § 57 InsO42) sowie die Entscheidung der Gläubigerversammlung über nachträgliche Anordnung oder Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß §§ 271, 272 InsO43) nicht gemäß § 78 InsO aufgehoben werden. Sonstige Beschlüsse der Gläubigerversammlung – insbesondere solche gemäß § 157 oder § 160 InsO – können indes Gegenstand eines Aufhebungsantrags gemäß § 78 InsO sein. Der Aufhebungsantrag muss gemäß § 78 Abs. 1 InsO zwingend noch in der jeweils be- 58 schließenden Gläubigerversammlung gestellt werden. Anträge nach formaler Schließung der Gläubigerversammlung sind verfristet und damit unzulässig. Der nicht formgebundene Antrag wird in der Regel mündlich gestellt und ist vom Gericht zu Protokoll zu nehmen.44) Da das Gericht über Anträge nach § 78 Abs. 1 InsO regelmäßig im Büroweg und nicht unmittelbar in der Gläubigerversammlung entscheidet, genügt bei Antragstellung eine kurze mündliche Begründung des Antrags, da eine schriftliche Begründung auch nach Beendigung der Gläubigerversammlung nachgereicht werden kann. Antragsberechtigt sind bei angeordneter Eigenverwaltung der Sachwalter, der insoweit 59 das von der Wahrung der Gläubigerinteressen getragene Antragsrecht des Insolvenzverwalters ausübt,45) und jeder an der Gläubigerversammlung teilnehmende absonderungsberechtigte Gläubiger oder nicht nachrangige Insolvenzgläubiger. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht demgegenüber kein Antragsrecht des Schuldners, da ein solches nicht ausdrücklich in der InsO geregelt ist und in der Eigenverwaltung solche Kompetenzen des Insolvenzverwalters, die diesem in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind, dem Sachwalter zustehen.46) Im Fall eines zulässigen Aufhebungsantrags hat das Gericht – unter Berücksichtigung der 60 Antragsbegründungen und etwaiger Stellungnahmen zustimmender Gläubiger sowie des Insolvenzverwalters bzw. des Schuldners und des Sachwalters – zu prüfen, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Ein solcher Widerspruch zum gemeinsamen Gläubigerinteresse liegt insbesondere dann vor, wenn ein ___________ 42) 43) 44) 45)
BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, ZIP 2003, 1613. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr). Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 78 Rz. 9; Preß, in: HambKomm-InsO, § 78 Rz. 4. So letztlich BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614; ebenso Kübler, in: KPB, InsO, § 78 Rz. 18; anders noch Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 95 ff., und 2. Aufl., § 16 Rz. 59; ebenfalls anders: Ehricke, in: MünchKomm-InsO, § 78 Rz. 9. 46) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614.
M. Hofmann
531
§ 16
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Beschluss einseitig den Sonderinteressen einzelner Gläubiger dient und dies auf Kosten der Befriedigungsaussichten der (übrigen) Insolvenzgläubiger geschieht.47) Kern des gemeinsamen Interesses der Gläubiger ist damit insbesondere die zumindest mittelfristig erreichbare Vergrößerung der Haftungsmasse, wobei Maßstab der gerichtlichen Entscheidung allein die objektive Lage im Zeitpunkt der Entscheidung der Gläubigerversammlung, nicht hingegen der Informations- und Kenntnisstand der Gläubiger im Zeitpunkt ihrer Entscheidung ist.48) 61 Die gerichtliche Entscheidung über einen Aufhebungsantrag nach § 78 Abs. 1 InsO unterliegt gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 InsO der sofortigen Beschwerde. Beschwerdeberechtigt ist im Fall der Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung jeder absonderungsberechtigte Gläubiger oder Insolvenzgläubiger und im Fall der Ablehnung des Aufhebungsantrags der Antragsteller. Ein Beschwerderecht des Schuldners kommt somit – auch bei angeordneter Eigenverwaltung – mangels Antragsrechts von vornherein nicht in Betracht.49) 6.
Umsetzung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung
62 Die Umsetzung der von der Gläubigerversammlung getroffenen Entscheidungen ist ausschließlich Aufgabe des Insolvenzverwalters bzw. – im Verfahren der Eigenverwaltung – des Schuldners oder in seinem Zuständigkeitsbereich des Sachwalters. 63 Setzt der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren bzw. der Schuldner oder der Sachwalter bei angeordneter Eigenverwaltung Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht um, so stellt dies eine Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten dar. An der Wirksamkeit der entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen ändert dies indes – sofern nicht ein Fall offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit vorliegt – nichts.50)
___________ 47) 48) 49) 50)
532
Vgl. i. E. Kübler, in: KPB, InsO, § 78 Rz. 9 – 11. BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377, 1378 = ZInsO 2017, 1614. So auch BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614. Webel, in: KPB, InsO, § 164 Rz. 2 – für Verstöße gegen §§ 160 ff. InsO.
M. Hofmann
§ 17 Aufhebung der Eigenverwaltung Flöther
I. 1. 2. 3.
Aufhebung der Anordnung (§ 272 InsO) ................................................. 1 Allgemeines ................................................. 1 Aufhebung auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 271 Abs. 1 Nr. 1 InsO)....... 5 Aufhebung auf Antrag eines Gläubigers (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ................... 9
4.
Aufhebung auf Antrag des Schuldners (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO) ......................... 17 5. Beschluss..................................................... 21 6. Rechtsfolgen............................................... 24 7. Rechtsmittel ............................................... 29 II. Aufhebung durch Beendigung des Insolvenzverfahrens ................................. 30
I.
Aufhebung der Anordnung (§ 272 InsO)
1.
Allgemeines
Die Situation im Insolvenzverfahren über das Vermögen des eigenverwaltenden Schuld- 1 ners kann sich durchaus so verändern, dass eine Aufhebung der Eigenverwaltung insbesondere zum Schutz der Gläubiger notwendig erscheint. Deshalb gibt § 272 InsO Schuldner und Gläubigern die Möglichkeit, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen und somit eine entsprechende Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeizuführen.1) Auch dies ist Ausdruck der Gläubigerautonomie. Genauso wie die gerichtliche Ablehnung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung durch die Gläubigermehrheit nachträglich korrigiert werden kann (§ 271 InsO), ist es im umgekehrten Fall möglich, die Entscheidung des Gerichts über die Anordnung der Eigenverwaltung nachträglich zu ändern. Das Gericht hebt die Eigenverwaltung durch einen förmlichen Beschluss auf. Zuständig 2 ist grundsätzlich der Rechtspfleger (§ 18 RPflG). Für den Fall, dass das Eigenverwaltungsverfahren mit einem Planverfahren verbunden wird, liegt die Zuständigkeit beim Insolvenzrichter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG). Eine Zuständigkeit des Rechtspflegers nur für diese eine Entscheidung über die Aufhebung der Eigenverwaltung anzunehmen, wäre mit den Grundsätzen der Prozessökonomie nicht vereinbar. Darüber hinaus lassen auch die Gesetzgebungsmaterialien den Schluss zu, dass der Gesetzgeber eine vollständige Übertragung des Planverfahrens mit allen gerichtlichen Entscheidungen wollte.2) In den übrigen Fällen, in denen kein Insolvenzplan vorgelegt wurde, könnte es ebenfalls sinnvoll sein, dass der Insolvenzrichter die Entscheidung über die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 18 Abs. 2 InsO an sich zieht. Denn der Insolvenzrichter hat bereits mit Verfahrenseröffnung bzw. im Insolvenzeröffnungsverfahren das Vorliegen der Voraussetzungen der Eigenverwaltung geprüft. Sofern die Voraussetzungen des § 272 InsO vorliegen, besteht kein gerichtliches Ermessen. 3 Eine Zustellung des Beschlusses an den Schuldner ist zwingend notwendig, weil er durch die Aufhebung der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verliert.3) Das Gericht ist nicht berechtigt, die Aufhebung des Eigenverwaltungsverfahrens ohne Antrag von Amts wegen zu beschließen.4) Mit dem Beschluss über die Aufhebung der Eigenverwaltung, muss ein Insolvenzverwalter 4 bestellt werden.
___________ 1) 2) 3) 4)
Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 1. BT-Drucks. 17/5712, S. 44. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 6; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 53. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 44.
Flöther
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§ 17 2.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Aufhebung auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 271 Abs. 1 Nr. 1 InsO)
5 Die Möglichkeit der Gläubigerversammlung, auf Antrag die Anordnung der Eigenverwaltung aufheben zu lassen, ist Ausdruck der verstärkten Gläubigerautonomie in der InsO.5) Wie sich aus dem Wortlaut des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt, ist jede Gläubigerversammlung und nicht nur die auf die Verfahrenseröffnung folgende erste Gläubigerversammlung zur Antragstellung berechtigt. Als besondere Ausprägung der Gläubigerautonomie bedarf es für einen entsprechenden Beschluss keinerlei Verfehlungen oder Unregelmäßigkeiten des Schuldners und auch keiner Begründung. Es ist also Sache der Gläubiger, ob sie dem Schuldner ihr Misstrauen aussprechen, indem sie die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Ein tatsächlicher Grund dafür ist nicht notwendig. Insbesondere muss die Gläubigerversammlung nicht warten, bis es zu Handlungen des Schuldners kommt, welche die Gläubigergesamtheit schädigen.6) 6 Die Gläubigerversammlung entscheidet mit der Mehrheit nach § 76 Abs. 2 InsO und der Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger.7) 7 Minderheitenschutz ist allein über § 78 InsO denkbar. Teile der Literatur und die Rechtsprechung vertreten, dass sich eine Anwendung des § 78 InsO verbiete, wenn der Beschluss zur Aufhebung der Eigenverwaltung von der Gläubigerversammlung getroffen wurde.8) Es bestehe in diesem Fall kein Bedürfnis für den Minderheitenschutz, weil es kein Nachteil i. S. des § 78 InsO sei, wenn durch die Aufhebung der Eigenverwaltung und den Übergang in das Regelinsolvenzverfahren höhere Kosten anfallen.9) Vielmehr könne es nicht gegen die Interessen der einzelnen Gläubiger verstoßen, wenn das gesetzlich vorgesehene Verfahren eingeleitet und ein neutraler Insolvenzverwalter bestellt wird.10) Darüber hinaus sehe § 272 InsO keine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit des richterlichen Beschlusses zur Aufhebung der Eigenverwaltung aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung vor.11) Durch eine Anwendung des § 78 InsO würde diese Unanfechtbarkeit ausgehebelt, was dem Grundsatz der Gläubigerautonomie zuwiderliefe.12) Diesem Prinzip sei aber der unbedingte Vorrang zu gewähren.13) Zudem verbietet sich nach Auffassung des BGH eine Anwendung des § 78 InsO auch deshalb, weil dies dazu führe, dass die Gläubigerversammlung ihre Entscheidung begründen müsste, was vom Gesetz aber ausdrücklich nicht vorgesehen sei.14) Zipperer hält eine Anwendung des § 78 InsO im Fall eines Beschlusses der Gläubigerversammlung nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO für möglich, aber gleichzeitig für entbehrlich, weil der Eintritt in das Regelverfahren im Normalfall keinen Nachteil für die Gläubigerinteressen darstelle.15) 8 Zu beachten ist bei dieser Diskussion, dass seit Einführung des ESUG neben einer Summenmehrheit der Gläubiger gemäß § 76 Abs. 2 InsO auch die Kopfmehrheit erforderlich ist, damit ein Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung Erfolg hat. Somit wird be___________ 5) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 1; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 272 InsO Rz. 4; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 1. 6) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 272 Rz. 5; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 15. 7) Vor Inkrafttreten des ESUG bedurfte es für den Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung lediglich der Summenmehrheit der Gläubiger nach § 76 Abs. 2 InsO. 8) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, dazu EWiR 2001, 651 (Bähr); Tetzlaff, in: MünchKommInsO, § 272 Rz. 16; ebenfalls für ein Antragsrecht Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 3. 9) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 9. 10) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 16. 11) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 3. 12) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1623; vgl. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 3. 13) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 3. 14) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624. 15) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 3.
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Flöther
§ 17
Aufhebung der Eigenverwaltung
reits durch die Vorschrift des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO selbst ein gewisses Maß an Minderheitenschutz gewährleistet. Darüber hinaus gefährdet eine Anwendung der Norm die Gläubigerautonomie, weil sie die Möglichkeit gibt, einen von der Mehrheit – auch der Kopfmehrheit – getroffenen Beschluss der Gläubigerversammlung durch die Hintertür wieder aufzuheben. Allerdings ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der Gläubiger (insbesondere Großgläubiger) kollusiv zusammenwirkt und dadurch gegen den Willen der übrigen Gläubiger entscheidet bzw. eine eigentlich erfolgversprechende, ggf. sogar objektiv erforderliche Eigenverwaltung zu Fall bringt. Für solche Fälle erscheint die Anwendbarkeit des § 78 InsO gerade nicht entbehrlich.16) Nicht überzeugend ist das Argument von Ringstmeier, dem einzelnen Gläubiger stehe als Minderheitenschutz der Aufhebungsantrag nach Nr. 2 zur Verfügung.17) Schließlich begehrt der einzelne Gläubiger nicht die Aufhebung des Eigenverwaltungsverfahrens, sondern möchte gerade gegen diese vorgehen und die Fortsetzung der Eigenverwaltung erreichen. Wie ihm dadurch mit einem Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung geholfen werden soll, ist nicht ersichtlich. 3.
Aufhebung auf Antrag eines Gläubigers (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO)
Mit § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO hat der Gesetzgeber den Gläubigern eine schnellere Reak- 9 tionsmöglichkeit auf Fehlverhalten des Schuldners an die Hand gegeben. Der einzelne Gläubiger soll in der Lage sein, auf drohende Gefährdungen der Gläubigerinteressen möglichst kurzfristig zu reagieren.18) Zur Stellung des Antrags sind nur absonderungsberechtigte Gläubiger oder nicht nachrangige Insolvenzgläubiger19) berechtigt (§ 39 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 39 Abs. 2 InsO). Der Antrag ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen.20) Zudem müssen die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO weggefallen sein, und 10 dem Antragsteller müssen durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen (§ 272 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Vor der Gesetzesänderung durch das ESUG musste der Gläubiger keinen ihm selbst drohenden Nachteil geltend machen; es genügte ein drohender Nachteil der anderen Gläubiger. Somit waren auch altruistische Anträge zulässig. In diesen Fällen hatte das Gericht besonders genau zu prüfen, weil uneigennützige Anträge eher selten sind und somit die Befürchtung bestand, dass die Gläubiger die Möglichkeit zur Stellung missbräuchlicher Anträge nutzten.21) Dem hat der Gesetzgeber mit dem ESUG entgegengewirkt. Nunmehr müssen auch dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen. Diese Voraussetzung wird regelmäßig vorliegen, wenn sich der Schuldner masseschädigend verhält oder solches Verhalten zu erwarten ist. Dabei genügt aber das bloße Für-möglich-Halten nicht. Vielmehr wird man konkrete Anhaltspunkte verlangen müssen, aus denen sich ergibt, dass dem Antragsteller erhebliche Nachteile drohen. Bei absonderungsberechtigten Gläubigern ist dies bspw. der Fall, wenn droht, dass der Schuldner die Gegenstände, an denen das Absonderungsrecht besteht, unberechtigt veräußert, da der Gläubiger dann auf die Ersatzabsonderung analog § 48 InsO angewiesen ist. Für Insolvenzgläubiger drohen Nachteile i. d. R. schon mit jeder Verkürzung ___________ 16) So ähnl. auch Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 3; a. A. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624. 17) Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 272 InsO Rz. 7. 18) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. 19) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 18; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker-InsO, § 272 Rz. 5; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 22; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 4; a. A. Ellers, in: BeckOK-InsO, § 272 Rz. 9; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 20) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 19. 21) Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 272 Rz. 18.
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§ 17
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
oder Gefährdung der Masse durch schuldhaftes Verhalten des eigenverwaltenden Schuldners, weil dadurch eine Verringerung der Quote zu befürchten ist. Allerdings wird die Erheblichkeitsschwelle bei einer lediglich geringfügigen, und aus wirtschaftlicher Sicht zu vernachlässigenden Verschlechterung der Befriedigungsaussichten noch nicht überschritten sein.22) Liegen die voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung erheblich über den Kosten eines Regelinsolvenzverfahrens, ist dies regelmäßig als erheblicher Nachteil für die Gläubiger zu werten.23) Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Eigenverwaltung zu solchen enormen Vorteilen im Gläubigerinteresse führt, dass etwaige Mehrkosten im Verhältnis zum Regelinsolvenzverfahren kompensiert werden. 11 Der Antrag des Gläubigers ist nur zulässig, wenn der Wegfall der Voraussetzungen von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO und das Drohen erheblicher Nachteile glaubhaft gemacht werden (§ 272 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dabei müssen die Nachteile dem Antragsteller persönlich drohen. Dies soll missbräuchliche Anträge verhindern.24) Für die Glaubhaftmachung gilt § 294 ZPO über § 4 InsO, so dass sich der Gläubiger aller Beweismittel bedienen kann und auch die Versicherung an Eides statt zulässig ist.25) Dabei genügt es, dass der Gläubiger allein auf eine mögliche Verfahrensverzögerung hinweist.26) Bei Zweifeln, ob dem Antragsteller tatsächlich Nachteile drohen, liegt die Beweislast beim Antragsteller.27) 12 § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist analog anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO von Anfang an nicht vorgelegen haben.28) Denn das Gericht hat nur zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO im Zeitpunkt der Antragstellung nicht gegeben sind. Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Wegfalls der Voraussetzungen kommt es indes nicht an.29) Entscheidend ist, dass das Gericht bei Anordnung der Eigenverwaltung keine Kenntnis von den Umständen hatte. Waren dem Gericht die Tatsachen bekannt, würde eine Aufhebungsmöglichkeit zu erheblicher Rechtsunsicherheit für den Schuldner führen.30) Auf die Kenntnis der Gläubigerversammlung kann es indes nicht ankommen.31) 13 Umstritten ist, ob ein einzelner Gläubiger den Antrag auch während einer Gläubigerversammlung stellen kann. Ein Teil der Literatur lehnt dies ab, weil es dem Sinn und Zweck des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO zuwiderliefe.32) Die Norm solle lediglich eine schnelle Reaktionsmöglichkeit auf drohende Gefährdungen der Gläubigerinteressen bieten, wenn in der Kürze der Zeit keine Entscheidung der Gläubigerversammlung herbeigeführt werden kann. Findet aber eine Versammlung der Gläubiger statt, so fehle einem Antrag der Zweck.33) Dies ___________ 22) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5. 23) AG Aachen v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, NZI 2018, 272; AG Freiburg v. 11.5.2015 – 58 IN 37/15, NZI 2015, 605 (m. Anm. Madaus); wohl auch Siemon, NZI 2018, 189, 190; dagegen wohl Haarmeyer, NZI 2018, 273 f. 24) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. 25) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 31. 26) LG Potsdam v. 16.5.2001 – 5 T 239/00, ZIP 2001, 1689, 1690; a. A. wohl AG Köln v. 15.12.2014 – 74 IN 152/12, ZIP 2015, 440; a. A. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5. 27) Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 272 InsO Rz. 11. 28) So auch Graf-Schlicker, in: Graf Schlicker, InsO, § 272 Rz. 4; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 29; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, § 272 Rz. 4. 29) Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 272 Rz. 3; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 29. 30) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 272 Rz. 12; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, § 272 Rz. 4. 31) Ellers, in: BeckOK-InsO, § 272 Rz. 12.1; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, § 272 Rz. 4. 32) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 19. 33) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 19.
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Flöther
§ 17
Aufhebung der Eigenverwaltung
würde bedeuten, dass § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO Vorrang gegenüber § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO hätte. Schon der Wortlaut sieht aber eine solche nicht vor.34) Auch die Gesetzesbegründung lässt nicht erkennen, dass der Gesetzgeber die Antragstellung während der Gläubigerversammlung ausschließen wollte. Die Antragstellung ist folglich während einer Versammlung der Gläubiger durchaus möglich und kann auch erfolgen, wenn zeitnah eine solche herbeigeführt werden kann.35) In der Praxis wird sich dieses Problem aber selten stellen, weil bei Gefährdung der Gläubigerinteressen die Gläubigerversammlung i. d. R. selbst einen Antrag stellen wird. Überdies wird das Insolvenzgericht nur bei offenkundigen, schwerwiegenden Verfehlungen des Schuldners die Eigenverwaltung unverzüglich aufheben. In allen übrigen Fällen wird es eine Gläubigerversammlung einberufen, um sich einen Überblick über das Stimmungsbild der Gläubiger zu verschaffen. Vor einer Entscheidung über den Antrag hat das Gericht gemäß § 272 Abs. 2 Satz 2 InsO 14 den Schuldner anzuhören. Dabei findet die Vorschrift des § 10 InsO Anwendung.36) Es empfiehlt sich, stets auch den Sachwalter anzuhören, da er den von Schuldner und Gläubiger geschilderten Sachverhalt in den meisten Fällen neutral beurteilen kann. Schließlich wird es häufig so sein, dass der Schuldner auf die Glaubhaftmachung des antragstellenden Gläubigers mit einer Gegendarstellung bzw. Gegenglaubhaftmachung reagiert.37) Darüber hinaus dürfte es oft empfehlenswert sein, den Gläubigerausschuss anzuhören, um dem Wunsch des Gesetzgebers nach stärkerer Gläubigerbeteiligung gerecht zu werden. Allerdings vermag auch der Gläubigerausschuss selbst mit einer einstimmigen Entscheidung das Ermessen des Gerichts nicht zu reduzieren. Die Anhörung des Gläubigerausschusses wird aber regelmäßig zur Sachverhaltsermittlung beitragen. Das Gericht ermittelt von Amts wegen, ob die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 15 InsO tatsächlich weggefallen sind oder von vornherein nicht vorlagen. Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Dieser ist zu begründen und dem Antragsteller zuzustellen, weil gegen ihn gemäß § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde statthaft ist.38) Während der Dauer des Rechtsmittelverfahrens bleibt die Anordnung der Eigenverwaltung nach der h. A. bestehen.39) Dies sei notwendig, weil eine vorzeitige Aufhebung der Eigenverwaltung praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung sei nur auf Antrag der ersten Gläubigerversammlung möglich. Eine angeordnete Eigenverwaltung würde also schon vor der rechtskräftigen Entscheidung unumkehrbar aufgehoben. Bei Bedarf habe das Gericht jedoch die Möglichkeit, die Handlungsfreiheit des Schuldners entsprechend §§ 21, 22 InsO einzuschränken.40) Dies kann jedoch nicht überzeugen, da der sofortigen Beschwerde nach § 4 InsO i. V. m. § 570 Abs. 1 ZPO keine aufschiebende Wirkung zukommt. Damit muss die Eigenverwaltung sofort aufgehoben werden, wenn aus Sicht des Gerichts die Voraussetzungen des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegen. Eine spätere Anordnung aufgrund der Entscheidung im Verfahren über die sofortige Beschwerde ist weiterhin möglich. Denn genau dies ist Gegenstand der Beschwerdeentscheidung. Zudem wäre schwierig feststellbar, wer zu welchem ___________ 34) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 21. 35) So im Ergebnis auch Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 21; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 4; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 14. 36) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 33; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5. 37) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 38) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 26. 39) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 35; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7. 40) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 36; Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7.
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§ 17
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
Zeitpunkt die Verfügungsbefugnis innehatte, wenn eine aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde angenommen würde. Allerdings sollte das Gericht mit Blick auf eine erfolgreiche Sanierung die Möglichkeit in Betracht ziehen, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde anzuordnen (§ 4 InsO i. V. m. § 570 Abs. 3 ZPO), wenn die Erfolgschancen des Rechtsbehelfs besonders hoch sind, sodass die Aufhebung der Eigenverwaltung erst mit dem auf den Eintritt der Rechtskraft folgenden Tag wirksam wird. Fest steht aber, dass eine Aufhebung der Eigenverwaltung und eine nachträglich erfolgende (Wieder-)Anordnung der Eigenverwaltung einer Sanierung nicht zuträglich sind. Vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber erwägen, in diesem besonderen Fall die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde ausnahmsweise gesetzlich anzuordnen. 16 Schließlich stellt sich die Frage, ob die Gläubigerversammlung mehrheitlich bestimmen kann, dass die Eigenverwaltung nur durch Beschluss derselben wieder aufgehoben werden kann. Durch einen solchen Beschluss bestünde die Möglichkeit, einzelne Gläubiger von der Stellung eines Antrags nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO auszuschließen. Ein Ausschluss des Antrags eines einzelnen Gläubigers auf Aufhebung der Eigenverwaltung erscheint fragwürdig, weil die Antragsmöglichkeit die Gläubigerinteressen schützen soll, indem den Gläubigern eine Reaktionsmöglichkeit an die Hand gegeben wurde, um auf massegefährdendes Verhalten des Schuldners rasch zu reagieren.41) Dennoch ist es denkbar, dass die Gläubigermehrheit am Eigenverwaltungsverfahren festhalten möchte, obwohl die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO weggefallen sind. In diesem Fall könnte ein einzelner Gläubiger entgegen den Interessen der Gläubigermehrheit die Eigenverwaltung zu Fall bringen, sofern nach der Prognose des Gerichts eine Verzögerung des Verfahrens oder eine andere Benachteiligung der Gläubiger nach den Umständen zu erwarten ist, so dass dem betreffenden Gläubiger auch persönlich erhebliche Nachteile drohen. Auch wenn diese Konstellation in der Praxis eher selten auftreten wird, ist es durchaus denkbar, dass die Mehrheit der Gläubiger ein höheres Risiko durch die Eigenverwaltung bewusst hinnehmen möchte. Vor diesem Hintergrund erscheint in Ausnahmefällen ein Beschluss zur Verhinderung von missbräuchlichen Anträgen einzelner Gläubiger sinnvoll. Es ist jedoch zu beachten, dass man damit den Minderheitenschutz verkürzt. Zwar könnte die Minderheit den ersten Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 78 InsO angreifen. Dies genügt aber nicht, um ein ausreichendes Maß an Minderheitenschutz zu gewährleisten. Denn dem einzelnen Gläubiger kann durchaus erst später bewusst werden, dass seine Interessen nicht den Interessen der übrigen Gläubiger entsprechen, und dann kann es u. U. zu spät sein, gegen den Beschluss vorzugehen und die Aufhebung der Eigenverwaltung durchzusetzen. Zudem ist ein Antrag nach § 78 InsO nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich, so dass dadurch der Minderheitenschutz stark beeinträchtigt wäre. Deshalb kann auch ein Beschluss der Gläubigerversammlung den einzelnen Gläubiger nicht daran hindern, einen Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung zu stellen. Die Gläubigerversammlung kann somit nicht unterbinden, dass das Insolvenzgericht über den Antrag des einzelnen Gläubigers unmittelbar entscheidet, ohne zuvor – auch wenn sich das häufig anbieten wird – eine weitere Gläubigerversammlung einzuberufen. 4.
Aufhebung auf Antrag des Schuldners (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO)
17 Als dritte Möglichkeit zur Beendigung des Eigenverwaltungsverfahrens sieht die InsO die Stellung des Antrags auf Aufhebung der Eigenverwaltung durch den Schuldner vor. Sinn und Zweck der Norm ist, dass der Schuldner nicht zur Eigenverwaltung gezwungen werden soll. Häufig wird ein Schuldner einen solchen Antrag stellen, wenn er mit der Eigenver___________ 41) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224.
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§ 17
Aufhebung der Eigenverwaltung
waltung überfordert, mit den Weisungen des Gläubigerausschusses nach § 276 InsO bzw. mit Beschränkungen der Verfügungsmacht nach § 277 InsO nicht einverstanden ist oder die Eigenverwaltung nicht mehr als probates Mittel zur Sanierung ansieht.42) Einem Schuldner der mit dieser Motivation einen Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung stellt, wird i. d. R. nichts daran liegen, die Gläubigerinteressen zu befriedigen, so dass ein erzwungenes Eigenverwaltungsverfahren keinen Sinn machen würde.43) Deshalb soll dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden, die Eigenverwaltung auf eigenes Betreiben aufheben zu lassen. Dabei soll seine Entscheidung zwingend zur Aufhebung führen. Dem Gericht steht kein Ermessen zu. Bei juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ist zu beachten, 18 dass die Antragsberechtigung bei dem allein vertretungsberechtigten Organ oder dessen gemeinsam vertretungsberechtigten Mitgliedern liegt.44) Es genügt nicht die Antragstellung durch irgendeinen Vertretungsberechtigten. Vielmehr bedarf es einer wirksamen Vertretung durch die Organe, so dass bei kollektiver Vertretungsbefugnis der Antrag gemeinsam gestellt werden muss.45) Ob eine Berechtigung zur Antragstellung im Innenverhältnis besteht, kann dagegen dahinstehen.46) Fordern die Anteilseigner dazu auf, die Eigenverwaltung zu beenden, so ist der Geschäfts- 19 führer an diese Aufforderung wegen § 276a InsO nicht gebunden.47) Umgehungsversuche, etwa die Einsetzung eines neuen Geschäftsführers, der die Eigenverwaltung beenden soll, sind gemäß § 276a Satz 2 InsO unwirksam, sofern der Sachwalter der Änderung der Geschäftsführung nicht zustimmt. Eine Anhörung der Gläubiger in einer gesonderten Gläubigerversammlung oder eine 20 Anhörung des Gläubigerausschusses hat regelmäßig zu unterbleiben, weil dem Gericht ohnehin kein Ermessen bei seiner Entscheidung zusteht.48) Zudem ist die Einberufung einer Gläubigerversammlung regelmäßig mit nicht unerheblichem Zeitaufwand verbunden. In dieser Zeit bliebe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin beim Schuldner, der aber i. d. R. kein Interesse mehr hat, die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen, so dass masseschädigende Handlungen zu befürchten sind, während eine Anhörung der Gläubiger keine Änderung der Situation herbeiführen kann. 5.
Beschluss
Sowohl für den Beschluss über die Aufhebung der Eigenverwaltung als auch für die Be- 21 stellung des Insolvenzverwalters ist nach § 18 RPflG grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig. Allerdings wird aufgrund der häufigen Verbindung des Eigenverwaltungsverfahrens mit einem Planverfahren regelmäßig der Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG) zuständig sein. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, wenn der Richter auch in den übrigen Fällen die Entscheidung an sich zieht (siehe oben Rz. 2). Sofern die Voraussetzungen des § 272 InsO vorliegen, besteht kein Ermessen.49) ___________ 42) 43) 44) 45) 46)
Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 5. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 39. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 10; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 28; vgl. zu dieser Problematik auch: OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/Hoffmann). 47) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 40. 48) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 272 Rz. 29. 49) Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 43.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
22 Der Beschluss sollte Datum und Stunde enthalten, damit der Zeitpunkt des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter feststeht und so die Wirksamkeit einzelner Rechtshandlungen eindeutig festgestellt werden kann.50) Außerdem empfiehlt sich eine Zustellung an den Schuldner und die Gläubiger. Im Falle des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist zwingend an den antragstellenden Gläubiger zuzustellen, damit der Lauf der Rechtsbehelfsfrist beginnt.51) 23 Die Aufhebung der Eigenverwaltung ist gemäß § 273 InsO öffentlich bekannt zu machen. Das Insolvenzgericht hat die nach §§ 31 bis 33 InsO notwendigen Grundbuch- und Registereintragungen zu veranlassen.52) 6.
Rechtsfolgen
24 Folge der Aufhebung der Eigenverwaltung ist der Übergang in das Regelinsolvenzverfahren unter Einsetzung eines Insolvenzverwalters. 25 Aufgrund der besseren Kenntnis der Verhältnisse des Schuldners erscheint es sinnvoll, den bisherigen Sachwalter als Insolvenzverwalter einzusetzen.53) Diese Möglichkeit ist auch in § 272 Abs. 3 InsO vorgesehen. Es besteht zwar grundsätzlich keine Verpflichtung des Gerichts, eine bestimmte Person zum Insolvenzverwalter zu bestellen.54) Aber auch hier ist § 56a Abs. 2 InsO anzuwenden, so dass das Gericht an einen einstimmigen Vorschlag des Gläubigerausschusses gebunden ist. 26 Problematisch ist, ob darüber hinaus auch ein Vorschlag der Gläubigerversammlung das Gericht bindet. Zwar findet, außer bei einer Aufhebung nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO, nicht wie bei der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung stets eine Gläubigerversammlung statt. Es erscheint aber durchaus sinnvoll, einen bereits existenten Vorschlag der Gläubigerversammlung als bindend anzusehen, sofern dieser mit der Stimmen- und Summenmehrheit bezogen auf sämtliche Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, oder gar einstimmig durch alle beteiligten Gläubiger getroffen wurde und an der Geeignetheit des vorgeschlagenen Verwalters keine Zweifel bestehen. Schließlich ist durch die Bindung an den Vorschlag keine Verfahrensverzögerung zu erwarten, weil die den Vorschlag unterbreitende Gläubigerversammlung bereits stattgefunden hat. Darüber hinaus wäre es unzweckmäßig und weder einer Sanierung noch einer Unternehmensfortführung förderlich, wenn das Gericht gegen den Willen der Mehrheit der Gläubiger einen Insolvenzverwalter einsetzen kann, der aller Voraussicht nach von der darauf folgenden Gläubigerversammlung nach § 57 Satz 1 InsO wieder abgewählt wird. Im Übrigen greifen hier die gleichen Argumente wie bei der Einsetzung des Sachwalters, siehe § 10 Rz. 92 f. 27 Bereits begründete Masseverbindlichkeiten bleiben bestehen und sind durch den Insolvenzverwalter zu begleichen. Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für diese Verbindlichkeiten gemäß § 61 InsO ist jedoch ausgeschlossen. Der Insolvenzverwalter soll nach der wohl h. M. in bereits bestehende Prozesse ohne Verfahrensunterbrechung eintreten.55) Diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen, weil dem Insolvenzverwalter vor seinem Eintritt in einen Rechtsstreit auch die Möglichkeit gegeben werden muss, sich über die Lage des Verfahrens zu informieren.56) Dies ist nicht nur im Interesse des Insol___________ 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56)
Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 33; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 6. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 54. Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 273 Rz. 1. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 37. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 11; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 8. Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 39; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 68. Vgl. Stackmann, in: MünchKomm-ZPO, § 240 Rz. 1.
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Aufhebung der Eigenverwaltung
venzverwalters als Partei kraft Amtes notwendig. Auch die Gläubigergesamtheit hat ein Interesse daran, dass der Insolvenzverwalter den Prozess zum Schutz der Masse möglichst effektiv weiterführt oder zur Vermeidung unnötiger Kosten aussichtslose Verfahren bzw. Rechtsstreite mit erheblichem Prozessrisiko durch eine Klagerücknahme oder einen Vergleich beendet. Dies wird i. d. R. aber nur möglich sein, wenn der Insolvenzverwalter ausreichend Zeit hatte, sich in den Sachverhalt und die Lage des Verfahrens einzuarbeiten, um sein weiteres prozessuales Vorgehen zu durchdenken. Da dies mit der Interessenlage bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vergleichbar ist,57) muss in analoger Anwendung von § 240 ZPO zur Herstellung der prozessualen Waffengleichheit eine Verfahrensunterbrechung erfolgen.58) Das Bedürfnis der Verfahrensunterbrechung entfällt indes beim praktischen Regelfall – der Personenidentität von Sachwalter und Insolvenzverwalter. In diesem Fall liegt auch ohne eine Verfahrensunterbrechung kein Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit der Parteien vor. Eine Unterbrechung wäre in diesen Fällen mit dem Beschleunigungsgebot nicht vereinbar. Sind Rechtsstreite noch unterbrochen, weil sie der Schuldner nicht wieder aufgenommen 28 hatte, geht auch das Aufnahmerecht auf den Insolvenzverwalter über.59) 7.
Rechtsmittel
Gerichtliche Entscheidungen nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 InsO sind nicht anfecht- 29 bar. Gegen den Beschluss des Gerichts ist auch die Rechtspflegererinnerung nicht statthaft.60) Einzige Möglichkeit, gegen den Beschluss nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 vorzugehen, ist § 78 InsO (siehe zu dieser i. E. äußerst strittigen Frage oben Rz. 7). Allein bei einem Beschluss nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO sieht § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde vor. Berechtigt zur Einlegung der Beschwerde sind allein der Schuldner und der antragstellende Gläubiger.61) II.
Aufhebung durch Beendigung des Insolvenzverfahrens
In der Regel erfolgt die Aufhebung der Eigenverwaltung nicht durch einen Antrag nach 30 § 272 InsO, sondern durch die Beendigung des Insolvenzverfahrens. Weil es sich bei der Eigenverwaltung um einen Sonderfall des Insolvenzverfahrens handelt,62) gelten dieselben Aufhebungsgründe wie im Regelinsolvenzverfahren. Die Eigenverwaltung wird deshalb mit der Schlussverteilung gemäß § 200 Abs. 1 InsO oder der Verfahrenseinstellung nach §§ 207, 211, 212 InsO aufgehoben, ohne dass es eines separaten Beschlusses bedarf. Zudem wird die Eigenverwaltung häufig mit einem Insolvenzplanverfahren verbunden 31 sein.63) In diesem Fall werden das Verfahren und damit auch die Eigenverwaltung aufgehoben, sobald der Insolvenzplan nach § 258 InsO bestätigt und rechtskräftig ist.64) ___________ 57) Zur Interessenlage bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Stackmann, in: MünchKomm-ZPO, § 240 Rz. 1. 58) Vgl. Wehdeking, in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 124; zur Bedeutung des § 240 ZPO zur Herstellung der Waffengleichheit Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 8 Rz. 22. 59) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 39; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 68. 60) Pape, in: KPB, InsO, § 272 Rz. 34; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7. 61) Riggert, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 272 Rz. 6. 62) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 62. 63) Zum Junktim zwischen Insolvenzplan und Eigenverwaltung Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 61; Smid, in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 1 Rz. 3. 64) Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg, S. 56; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.11.
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§ 18 Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit Flöther
I. 1.
Haftung des Schuldners............................. 1 Haftung gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 und § 61 InsO........................... 2 2. Haftung analog § 60 Abs. 1, § 61 InsO...................................................... 8 3. Haftung nach sonstigen Normen ............. 11 3.1 Aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger........................ 12 3.2 Insolvenzgläubiger ........................ 14 4. Vertragliche Haftung................................. 17 5. Steuerrechtliche Haftung .......................... 18 6. Persönliche Haftung der Organe des Schuldners .................................................. 19 7. Geltendmachung ........................................ 35 II. Haftung des Sachwalters.......................... 39 1. Allgemeines ................................................ 39
2.
Haftung für die Erfüllung von Masseverbindlichkeiten ............................. 40 3. Haftung für die Verletzung der Pflichten als Sachwalter ............................. 47 4. Haftung gemäß § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO.................................................... 51 5. Haftung gemäß § 280 InsO für Handlungen nach §§ 92, 93 InsO als Sonderfall .............................................. 52 6. Haftung bei Übernahme der Kassenführung ....................................................... 53 7. Haftung bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben................ 54 8. Geltendmachung........................................ 55 III. Liquiditätsplanung ................................... 59 IV. Masseunzulänglichkeit............................. 61
Literatur: Brinkmann, Haftungsrisiken im Schutzschirmverfahren und in der Eigenverwaltung (Teil 2), DB 2012, 1369; Jungmann, Die Business Judgement Rule im Gesellschaftsinsolvenzverfahren, NZI 2009, 80; Marotzke, Gläubigerautonomie – ein modernes Missverständnis, in: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, 2003, S. 321; Marotzke, Das deutsche Insolvenzverfahren: ein Hort der Unverantwortlichkeiten?, KTS 2014, 113; Schmidt, A./Poertzgen, Die Geschäftsführerhaftung (§ 64 S. 1 GmbHG) in Zeiten des ESUG, NZI 2013, 369; Schmidt, K., Aktienrecht und Insolvenzrecht – Organisationsprobleme bei insolventen Aktiengesellschaften –, AG 2006, 597; Siemon/Klein, Haftung des (Sanierungs-)Geschäftsführers gem. § 64 GmbHG im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, ZInsO 2012, 2009; Thole/Brünkmans, Die Haftung des Eigenverwalters und seiner Organe, ZIP 2013, 1097.
I.
Haftung des Schuldners
1 Die Beantwortung der Frage nach der Haftung von Schuldner (bzw. seiner Organe) und Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren ist nicht unproblematisch, da der Gesetzgeber insoweit keine gesonderten Regelungen getroffen hat. Während das Gesetz bezüglich der Sachwalterhaftung zumindest auf die im Regelinsolvenzverfahren geltenden Haftungsvorschriften für den Insolvenzverwalter verweist, schweigt es zur Haftung des Schuldners vollständig. Es ist daher zu klären, ob bzw. in welchem Umfang die allgemeinen Haftungsregeln i. R. des Eigenverwaltungsverfahrens auf den Schuldner, dessen Organe und den Sachwalter Anwendung finden können. 1.
Haftung gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 und § 61 InsO
2 Zunächst stellt sich die Frage, ob die Vorschrift des § 60 Abs. 1 InsO über die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch auf den Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren anwendbar ist.1)
___________ 1)
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Für die Anwendbarkeit BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, dazu EWiR 2018, 339 (Thole); Claas, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 4 Rz. 127; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 ff.; gegen die Anwendbarkeit u. a. Bachmann, ZIP 2015, 101 ff., 109; Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 15 ff., zusammenfassend S. 73; Schaal, Haftung der eigenverwaltenden Geschäftsführungsorgane, S. 28 ff.; Silcher, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 11 Rz. 179; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 18.
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
Dabei ist schon zweifelhaft, auf welches Vermögen i. R. einer solchen Haftung des Schuld- 3 ners zurückgegriffen werden soll.2) Schließlich besteht für den Schuldner wegen § 35 InsO nicht die Möglichkeit sich neues, von der übrigen Haftungsmasse losgelöstes Vermögen zu schaffen.3) Fraglich ist daher, welchen Sinn eine zusätzliche insolvenzspezifische Haftung erfüllt, wenn den Gläubigern letztlich doch nur dieselbe Haftungsmasse zur Verfügung steht, auf die sie schon zuvor Zugriff hatten. Eine Haftung nach § 60 Abs. 1 InsO erscheint nur dann zweckmäßig, wenn dafür eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet würde.4) Denn im Regelverfahren haftet der Insolvenzverwalter mit seinem persönlichen Vermögen. Um eine annähernd vergleichbare Haftung zu erreichen, müssten die Forderungen also zumindest zu Masseverbindlichkeiten umqualifiziert werden. Grundsätzlich würde die ganze Forderung umgestuft. Bei einem Quotenschaden würde dieser entsprechend zur Masseverbindlichkeit. Da § 92 InsO auf Massegläubiger nur dann Anwendung findet, wenn nicht alle Masseverbindlichkeiten bedient werden können,5) wäre eine Umgehung von § 92 InsO denkbar. Dem könnte man u. U. noch mit einer analogen Anwendung von § 92 InsO entgegenwirken.6) Mit Blick auf die besondere Situation der Eigenverwaltung ist es aber fraglich, ob eine vergleichbare Interessenlage gegeben ist. Bei Eintritt eines Schadens für eine Vielzahl von Gläubigern würden wohl praktisch ohnehin nicht sämtliche Masseverbindlichkeiten beglichen werden können. In diesen Fällen wäre dann zwar § 92 InsO anwendbar. Allerdings würden die Masseverbindlichkeiten in solch einem Fall der Masseunzulänglichkeit nicht mehr durch die Masse beglichen werden können, so dass lediglich eine Haftung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens denkbar wäre.7) Den Gläubigern bliebe also kein tatsächlicher Vorteil. Aber auch bei der Verletzung von Individualinteressen erscheint eine Anwendung von 4 § 60 und § 61 InsO auf den eigenverwaltenden Schuldner problematisch.8) Dem Schuldner verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aufgrund der Anordnung des Gerichts. Seine Befugnisse ergeben sich damit wie beim Insolvenzverwalter aus einem Hoheitsakt,9) so dass der Schuldner als Amtswalter in eigenen Angelegenheiten handelt.10) Auch der Insolvenzverwalter handelt als Amtswalter.11) Im Grunde kann also von einer vergleichbaren Position von Schuldner und Insolvenzverwalter, nämlich der eines Amtswalters ausgegangen werden. Folglich könnte es sich bei den §§ 60 f. InsO durchaus um allgemeine Vorschriften i. S. des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO handeln, die im Eigenverwaltungsverfahren Anwendung finden.12) Dies trifft aber nicht zu, weil die Positionen von eigenverwaltendem Schuldner und Insolvenzverwalter nicht derart vergleichbar sind.13) Zwar handeln tatsächlich beide als Amtswalter. Ein Unterschied besteht jedoch schon ___________ 2) Vgl. ausf. zur Frage des Sinns einer derartigen Haftung Bachmann, ZIP 2015, 101, 103. 3) Marotzke, in: FS Kirchhof, 2003, S. 321, 349; Marotzke, KTS 2014, 113, 117; Schlegel, Eigenverwaltung, S. 180. 4) Schlegel, Eigenverwaltung, S. 180; ähnl. auch Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334. 5) K. Schmidt, in: K. Schmidt, InsO, § 92 Rz. 20. 6) Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1102, ohne nähere Erläuterung der Voraussetzungen einer analogen Anwendung. 7) Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1102. 8) Anders Schlegel, Eigenverwaltung, S. 180 ff. 9) Schlegel, Eigenverwaltung, S. 181. 10) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.14; Wehdeking, in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 115; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 141. 11) Vgl. zur Amtstheorie Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 57 ff. 12) So Claas, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 4 Rz. 127; Gulde, Die Anordnung der Eigenverwaltung, S. 37. 13) A. A. wohl Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334.
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§ 18
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
darin, dass keine Abwahl des Schuldners entsprechend § 57 InsO möglich ist, sondern allenfalls die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragt werden kann. Zudem erhält der Schuldner für seine Tätigkeit i. R. der Eigenverwaltung keinerlei Vergütung.14) Er handelt außerdem als Amtswalter nur in eigenen Angelegenheiten und nicht, wie der Insolvenzverwalter, für eine andere Person. Er haftet daher den Gläubigern ohnehin als persönlicher Schuldner.15) 5 Darüber hinaus ist festzustellen, dass das Gesetz in § 274 InsO die Anwendung der §§ 60, 62 bis 65 InsO auf den Sachwalter ausdrücklich anordnet. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren durchaus bedacht hat und ausdrücklich nur für den Sachwalter bejahen wollte.16) Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass das Gesetz gemäß § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO als „Ersatz“ für den Insolvenzverwalter eher den Sachwalter ansieht und der Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren nur stärkere Befugnisse als im Regelinsolvenzverfahren haben soll, auch wenn er einen Großteil der Aufgaben des Insolvenzverwalters übernimmt.17) Ziel ist aber gerade nicht die Ersetzung des Insolvenzverwalters durch den Schuldner. Vielmehr führt die Anordnung der Eigenverwaltung dazu, dass die Aufgaben, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen, zwischen Schuldner und Sachwalter aufgeteilt werden.18) Die Positionen von eigenverwaltendem Schuldner und Insolvenzverwalter sind daher so verschieden, dass keine Gleichbehandlung zu erfolgen hat und sich die Haftung des Schuldners auch nicht nach den für den Insolvenzverwalter geltenden Vorschriften richten kann.19) 6 Vor allem aber scheidet eine Anwendung von § 60 Abs. 1 InsO i. R. der Eigenverwaltung auf den Schuldner aus, weil Zweck der Norm der Schutz des Vermögens der Gläubiger ist.20) Dies kann aber nicht durch eine erneute Zugriffsmöglichkeit auf die insuffiziente Masse erreicht werden. Vielmehr soll eine weitere haftende Masse, nämlich das Privatvermögen des Insolvenzverwalters zur Verfügung gestellt werden.21) Genau dies ist jedoch im Eigenverwaltungsverfahren nicht möglich, da der Schuldner, wie bereits dargestellt, gemäß § 35 InsO nur über ein einheitliches Vermögen, die Insolvenzmasse, verfügt.22) Häsemeyer versucht dieses Problem zu lösen, indem er eine Haftung des eigenverwaltenden Schuldners mit seinem nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögen annimmt.23) Er räumt aber selbst ein, dass dies kaum praktikabel ist, weil die Schuldner i. d. R. nicht über beschlagfreies Vermögen verfügen, welches der Vollstreckung unterliegt.24) Damit zeigt sich einmal mehr, dass die Position eines eigenverwaltenden Schuldners nicht mit der eines Insolvenzverwalters vergleichbar ist. Deshalb sind die Haftungsvorschriften des Insolvenzverwalters keine allgemeinen Vorschriften i. S. des § 270 Satz 2 InsO.
___________ 14) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 101. 15) Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1103. 16) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 101; a. A. Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334. 17) Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 4. 18) Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 4; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 140. 19) So aber Schlegel, Eigenverwaltung, S. 177; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1102. 20) Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 4. 21) Vgl. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 101; wohl auch gegen eine Anwendung der §§ 60, 61 InsO auf den Schuldner Marotzke, in: FS Kirchhof, 2003, S. 321, 332. 22) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 102; Marotzke, in: FS Kirchhof, 2003, S. 321, 349. 23) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.14. 24) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.14, Fn. 60.
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
Aus denselben Gründen kommt auch eine Anwendung des § 61 InsO nebst der dort ge- 7 nannten Beweislastumkehr nicht in Betracht.25) 2.
Haftung analog § 60 Abs. 1, § 61 InsO
In Betracht käme auch eine analoge Anwendung des § 60 Abs. 1 InsO.26) Eine Regelungs- 8 lücke dürfte gegeben sein, weil das Gesetz zur Haftung des Schuldners in der Eigenverwaltung schweigt. Dennoch würde eine solche Haftung ebenfalls nicht zu einer weiteren Haftungsmasse führen, sondern lediglich zu einer Qualifizierung der Forderung als Masseverbindlichkeit (siehe oben Rz. 3). Überdies soll die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 InsO ein gewisses Druckmittel gegenüber 9 dem Insolvenzverwalter darstellen, um ihn zu pflichtgemäßem Verhalten zu bewegen.27) Dieses Ziel wird beim Schuldner aber kaum erreichbar sein, wenn bezüglich der Haftungsmasse nur eine Umschichtung stattfindet.28) Lediglich ein Schuldner, der die Restschuldbefreiung beantragt hat, wird fürchten, dass Forderungen entstehen, für die keine Restschuldbefreiung erteilt werden kann, weil es sich um Ansprüche i. S. des § 302 InsO handelt oder weil die Schadensersatzforderungen als Neuverbindlichkeiten, die nach der Verfahrenseröffnung begründet wurden, nicht von der Restschuldbefreiung erfasst sind. Zudem besteht bei nicht ordnungsgemäßem Verhalten immer die Gefahr, dass die Restschuldbefreiung als solche nach den §§ 296 ff. InsO versagt wird. Auch dies könnte für den Schuldner, sofern es sich um eine natürliche Person handelt, ein Druckmittel zu pflichtgemäßem Verhalten sein. Auch nach Inkrafttreten des ESUG ist es jedoch die absolute Ausnahme, dass eine natürliche Person das Eigenverwaltungsverfahren durchläuft.29) Ein probates Mittel, den Schuldner zu pflichtgemäßem Verhalten zu bewegen, würde die Anwendung von § 60 Abs. 1 InsO im Eigenverwaltungsverfahren jedenfalls nicht darstellen. Juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit können zu einem ordnungsmäßen Verhalten im Eigenverwaltungsverfahren jedoch durch die sonst drohende Haftung ihrer Organe angehalten werden (siehe unten Rz. 19 ff.). Eine analoge Anwendung von § 60 Abs. 1 InsO und § 61 InsO auf den Schuldner ist aus 10 den genannten Gründen abzulehnen.30) 3.
Haftung nach sonstigen Normen
Fraglich ist, ob und inwieweit der Schuldner nach sonstigen materiell-rechtlichen Vor- 11 schriften, insbesondere den §§ 823 ff. BGB oder weiteren Vorschriften der InsO gegenüber den Beteiligten haftet. Dabei ist zwischen den aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern, sowie den übrigen Insolvenzgläubigern zu unterscheiden. ___________ 25) Für die Anwendbarkeit BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977; Claas, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 4 Rz. 127; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 ff.; gegen die Anwendbarkeit u. a. Bachmann, ZIP 2015, 101 ff., 109; Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 15 ff., zusammenfassend S. 73; Schaal, Haftung der eigenverwaltenden Geschäftsführungsorgane, S. 28 ff.; Silcher, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 11 Rz. 179; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 18. 26) Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334; abl. u. a. Bachmann, ZIP 2015, 100, 104; Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 15 ff., zusammenfassend S. 73; König, Haftung bei der Eigenverwaltung, S. 130; Schaal, Haftung der eigenverwaltenden Geschäftsführungsorgane, S. 28 ff.; Silcher, in: Silcher/ Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 11 Rz. 179; Undritz, BB 2012, 1551, 1554; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 18. 27) Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 60 Rz. 11. 28) Vgl. Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., Vor §§ 279 – 285 Rz. 79. 29) Vgl. Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., Vor §§ 279 – 285 Rz. 79. 30) A. A. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.14; Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334 ff.; auch abl. gegenüber § 61 InsO Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 270 Rz. 73a.
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§ 18 3.1
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger
12 Bei allen dinglichen Rechten kommt bei Beschädigung oder Vernichtung des Gegenstands, an dem ein solches Recht besteht, zunächst § 823 Abs. 1 BGB als Haftungsnorm in Betracht, sofern den Schuldner ein Verschulden trifft.31) Aber auch eine Verletzung anderer absoluter Rechte führt zu einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB.32) Erfolgt die Beschädigung oder Vernichtung durch einen Verrichtungsgehilfen kommt als deliktische Haftungsgrundlage § 831 BGB in Betracht.33) 13 Für den Fall, dass der eigenverwaltende Schuldner Gegenstände, an denen ein Aussonderungsrecht besteht, unberechtigt veräußert, sind die Gläubiger darüber hinaus über § 48 InsO durch die Ersatzaussonderung geschützt. Auch für Absonderungsberechtigte ist der Schutz über § 48 InsO analog allgemein anerkannt.34) Durch die Ersatzaussonderung bzw. -absonderung erlangt der Gläubiger einen Anspruch auf die Gegenleistung. Er kann entweder die Abtretung des Anspruchs auf die Gegenleistung fordern, wenn der Drittschuldner die Leistung noch nicht erbracht hat, oder die Gegenleistung aus der Insolvenzmasse verlangen, sofern diese noch unterscheidbar vorhanden ist. Ist dies nicht der Fall, entsteht, falls der Schuldner erneut über die erhaltene Gegenleistung verfügt hat und wiederum eine unterscheidbare Gegenleistung vorliegt, ein Anspruch auf eine zweite Ersatzaussonderung bzw. Ersatzabsonderung.35) Ist die Gegenleistung nicht mehr unterscheidbar in der Masse vorhanden, so entsteht ein Bereicherungsanspruch gegen die Masse mit der Qualifizierung als Masseforderung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO.36) 3.2
Insolvenzgläubiger
14 Gegenüber den übrigen Gläubigern kommt eine Haftung des Schuldners nach § 823 Abs. 2 und § 826 BGB in Betracht. § 826 BGB ist jedoch nur bei vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung einschlägig, bspw. bei einem gezielten Verstoß des Schuldners gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung.37) Für Verrichtungsgehilfen findet § 831 BGB auch insoweit Anwendung. 15 Für fahrlässige Verletzungen der insolvenzspezifischen Pflichten bleibt lediglich § 823 Abs. 2 BGB. Diese Haftung greift aber nur, wenn die insolvenzspezifischen Pflichten Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Das heißt, die betreffenden Normen müssten gerade den Schutz eines anderen bezwecken.38) Als solche kämen die insolvenzspezifischen Pflichten des Schuldners, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter übertragen sind (vgl. § 60 Abs. 1 InsO), aber im Sonderfall der Eigenverwaltung dem Schuldner obliegen, in Betracht. Hofmann stellt fest, dass diese Pflichten durchaus dem Schutz eines anderen zu dienen bestimmt sind, lehnt aber eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB ab.39) Grund dafür soll sein, dass der Schutz des Vermögens vor fahrlässigen Schäden eine Ausnahme im Deliktsrecht sei und diese Ausnahmestellung bei der Auslegung Beachtung finden müsse. Eine grundsätzliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB bei ___________ 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39)
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Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rz. 102 ff., 146 ff. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rz. 65 ff. Thole, in: K. Schmidt, InsO, § 60 Rz. 51. Zur analogen Anwendbarkeit i. Allg.: BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326, 328, dazu EWiR 2004, 349 (Pape); Lohmann, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 48 Rz. 17. Vgl. Ganter, in: MünchKomm-InsO, § 48 Rz. 74 ff. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 55 Rz. 90. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 107. Sprau, in: Palandt, BGB, § 823 Rz. 56. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 109.
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
einer Verletzung der insolvenzspezifischen Pflichten i. S. des § 60 Abs. 1 InsO entspräche dieser Sonderstellung nicht. Die Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners seien im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Eine Verletzung einer bloß aus dem Gesetz hergeleiteten Pflicht dürfe aber nicht zu einer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB führen. Vielmehr müsse eine ausdrücklich vom Gesetzgeber geregelte Pflicht verletzt werden.40) Gegen diese Auffassung spricht aber, dass der Gesetzgeber einzelne Pflichten des Schuldners ausdrücklich anordnet. So ist bspw. die Vorschrift des § 160 InsO über § 276 Satz 2 InsO anwendbar. Dies ist eine Norm, die eine Pflicht statuiert, die auch dem Schutz von Individualinteressen dient. Es sind also durchaus Fälle denkbar, in denen eine fahrlässige Pflichtverletzung zu einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB führt. Demnach kann eine solche Haftung nicht generell abgelehnt werden.41) Macht jedoch ein Gläubiger Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB geltend, wird das Gericht im Einzelfall genau prüfen müssen, ob eine Haftung für fahrlässige Pflichtverletzungen tragbar und sachlich geboten ist und somit die Verletzung einer Schutznorm vorliegt, da das BGB grundsätzlich eine allgemeine Haftung für fahrlässig herbeigeführte Vermögensschäden nicht vorsieht.42) Bei einer vergleichbaren Schädigung durch einen Verrichtungsgehilfen kommt ebenfalls 16 § 831 BGB in Betracht.43) 4.
Vertragliche Haftung
Bei Vertragsverhältnissen gilt für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten grundsätz- 17 lich das oben Gesagte, so dass wie beim Regelinsolvenzverfahren gemäß § 55 Abs. 1 InsO die Masse für die Verletzung sonstiger Vertragspflichten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens haftet.44) Problematisch ist aber, dass im Regelinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter bei der Übernahme besonderer vertraglicher Pflichten oder bei der Schaffung eines besonderen Vertrauenstatbestands über §§ 60 f. InsO persönlich haftet.45) Würde nun im Eigenverwaltungsverfahren die gleiche Regelung angewendet, haftete zwar der Schuldner, damit aber wiederum die Masse. Diese haftet aber ohnehin für persönlich durch den eigenverwaltenden Schuldner begründete Verbindlichkeiten, und zwar über § 270 Abs. 1 Satz 2, § 55 InsO.46) Eine persönliche Haftung des Schuldners für die Erfüllung von Vertragsverpflichtungen erscheint damit entbehrlich. Vor Verfahrenseröffnung begründete Verpflichtungen aus einem Vertrag sind indes Insolvenzforderungen. 5.
Steuerrechtliche Haftung
Zur steuerrechtlichen Haftung siehe unten § 57 Rz. 225 ff. 6.
18
Persönliche Haftung der Organe des Schuldners
Sofern es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Personengesell- 19 schaft handelt, sollte auch eine persönliche Haftung seiner Organe gegenüber den Gläubigern in Betracht gezogen werden. Grund dafür ist, dass beim eigenverwaltenden Schuldner selbst, wie oben dargestellt, lediglich auf das Vermögen zugegriffen werden kann, das ohnehin dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Die Haftung einer weiteren Vermögensmasse, wie ___________ 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46)
Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 110. Vgl. Götker, Geschäftsführer, Rz. 1004. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rz. 329. Thole, in: K. Schmidt, InsO, § 60 Rz. 51. Vgl. zum Regelinsolvenzverfahren Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 60 Rz. 156. Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 60 Rz. 109. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 160.
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§ 18
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
beim Regelinsolvenzverfahren jene des Insolvenzverwalters, fehlt. Dies erscheint aber insoweit unbillig, als die eigentlichen Akteure dann i. R. einer Eigenverwaltung keine insolvenzspezifische Haftung trifft.47) 20 Während eine Haftung der Aufsichtsorgane weniger praxisrelevant ist, da diese ihren Einfluss durch § 276a InsO weitestgehend verlieren,48) erscheint eine Haftung der geschäftsführenden Organe äußerst bedeutsam. Zwar steht zur Kontrolle der Organe der Sachwalter zur Verfügung. Dessen Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten sind jedoch im Vergleich zu den Rechten des Insolvenzverwalters beschränkt, so dass das Eigenverwaltungsverfahren verglichen mit dem Regelinsolvenzverfahren mit einer erheblich gesteigerten Gefährdung der Gläubigerinteressen einhergeht. 21 Ausdrücklich sieht die InsO eine Organhaftung nicht vor. Es fragt sich also, ob sie nach anderen Vorschriften in Betracht kommt. 22 Zunächst kann auch im Insolvenzverfahren auf die allgemeine Haftung der geschäftsführenden Organe zurückgegriffen werden,49) die sich nach den jeweiligen Sondervorschriften richtet. So haften die Vorstandsmitglieder einer AG, sofern sie schuldhaft Pflichten verletzen, nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gegenüber der Gesellschaft für einen ihr entstandenen Schaden. Eine ähnliche Vorschrift findet sich in § 43 Abs. 2 GmbHG für die Geschäftsführer der GmbH. Diese Normen führen aber zu einer reinen Innenhaftung.50) Darüber hinaus besteht auch die Haftungsmöglichkeit nach § 64 GmbHG für Zahlungen vor Verfahrenseröffnung. Nach Verfahrenseröffnung kann diese Norm nach h. M.51) schon vom Sinn und Zweck her keine Anwendung finden, denn sie soll nur den Übergang in das eröffnete Verfahren und damit die zukünftige Masse sichern.52) 23 Es besteht darüber hinaus das Bedürfnis, dass die geschädigten Gläubiger die handelnden Organe selbst im Wege einer Außenhaftung in Anspruch nehmen können, sofern diese schuldhaft eine Pflicht im Insolvenzverfahren verletzt haben.53) Dabei ist zu beachten, dass grundsätzlich sowohl die GmbH (§ 13 Abs. 2 GmbHG) als auch die AG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG) lediglich mit dem Gesellschaftsvermögen haften. Dieser Grundsatz gilt auch innerhalb des Insolvenzverfahrens. Er gilt aber außerhalb eines Insolvenzverfahrens nur insoweit, als keine allgemeinen Haftungsnormen, wie bspw. § 311 Abs. 3 BGB i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB oder §§ 823 ff. BGB gegenüber den Organen greifen. Ein Rückgriff auf diese allgemeinen Vorschriften ist außerhalb des Insolvenzverfahrens sowohl bei der AG als auch bei der GmbH zulässig.54) Aber auch im Insolvenzverfahren sind diese Haftungsnormen anzuwenden, da nicht ersichtlich ist, warum die Organe trotz ihrer Verantwortung nicht nach den allgemeinen Vorschriften haften sollen.
___________ Marotzke, KTS 2014, 113, 118. Vgl. ausf. zu § 276a InsO Klöhn, NZG 2013, 81. Gulde, Die Anordnung der Eigenverwaltung, S. 43. Lücke/Simon, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 43 Rz. 1. A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 377; Brinkmann, DB 2012, 1369; Jacoby, in: FS Vallender, 2015, S. 261, 276; Silcher, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 11 Rz. 185; für eine teleologische Reduktion der Norm: Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1101; a. A. Klinck, DB 2014, 938, 942. 52) A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369, 377; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1100; für eine Geltung bis zur ersten Gläubigerversammlung: Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 22. 53) Zum Teil wird eine derartige Haftung für überflüssig erachtet, weil man den Umweg über die gesellschaftsrechtliche Innenhaftung nehmen und eine insolvenzrechtliche Haftung nur für den Schuldner als solchen annehmen könne: Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334 ff., insbesondere S. 342. 54) Lücke/Simon, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 43 Rz. 76.
47) 48) 49) 50) 51)
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
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So ist es denkbar, dass die geschäftsführenden Organe auch während des Insolvenzverfah- 24 rens besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen oder im eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln und dann gemäß § 311 Abs. 3 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB im Verfahren der Eigenverwaltung haften. Diese Haftung greift aber nur in seltenen Fällen, weil die Geschäftsführer dafür über ihre normale Funktion hinaus Vertrauen in Anspruch nehmen müssten, bspw. durch eine Garantievereinbarung.55) Auch auf die deliktische Haftung nach §§ 823 ff. BGB kann im Eigenverwaltungsverfahren 25 zurückgegriffen werden, wenn die geschäftsführenden Organe bei der Ausübung der Leitungs- und Führungsaufgaben eine unerlaubte Handlung begehen.56) Voraussetzung ist allerdings, dass die geschäftsführende Person alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Haftungsnorm erfüllt.57) Problematisch ist dabei, dass es sich i. d. R. um Vermögensschäden handelt, so dass § 823 Abs. 1 BGB, der nur bei der Verletzung absoluter Rechte Dritter durch die Geschäftsführung greift, nicht einschlägig ist. Jedoch kommen als Schutznormen i. S. des § 823 Abs. 2 BGB die §§ 263, 265b, 266, 266a, 283 ff. StGB in Frage, die u. U. auch i. V. m. § 14 StGB zu einer persönlichen Haftung führen können.58) Zudem haften die geschäftsführenden Organe nach § 826 BGB, sofern dessen Tatbestand erfüllt ist. Eine sittenwidrige Schädigung kann u. a. dann angenommen werden, wenn die geschäftsführenden Organe eine Aufklärung ihrer Geschäftspartner über die Vermögenslage des Unternehmens unterlassen, obwohl eine Offenbarungspflicht bestand.59) Eine solche Pflicht kann gegeben sein, wenn dem Vertragspartner Umstände unbekannt geblieben sind, die ihm nach Treu und Glauben aber bekannt sein müssten, weil die Vertragsverhandlungen und auch die Entscheidung über den Abschluss des Vertrags im Wesentlichen davon abhingen.60) Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Organ, welches die Vertragsverhandlungen führt, weiß oder wissen muss, dass die Erfüllung der Verbindlichkeiten wegen Massearmut voraussichtlich nicht möglich sein wird.61) Eine darüber hinausgehende Haftung ist im Gesetz nicht vorgesehen.62) Fraglich ist deshalb, 26 ob die handelnden Organe des eigenverwaltenden Schuldners analog § 60 Abs. 1 und § 61 InsO haften.63) Eine Organhaftung i. R. der Eigenverwaltung erscheint notwendig, da sonst die Gefahr 27 besteht, dass die tatsächlich Handelnden für ihr Fehlverhalten nicht einstehen müssen und die geschädigten Gläubiger lediglich auf die insuffiziente Masse des Schuldners zugreifen können.64) So ist es möglich, dass die Geschäftsführung einer im Eigenverwaltungsverfahren befindlichen Gesellschaft die Erfüllung von vor Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Verträgen verlangt und im gleichen Atemzug darauf hinweist, dass sie persönlich für ___________ So auch Bitter, ZIP 2018, 986, 988; vgl. auch Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 311 Rz. 65. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rz. 321. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rz. 321. Saenger, Gesellschaftsrecht, Rz. 593. Lücke/Simon, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 43 Rz. 116. BGH v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1144 f., dazu EWiR 1992, 161 (Medicus). BGH v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, ZIP 1983, 428; BGH v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140. Für eine Haftung analog §§ 60, 61 InsO Marotzke, in: FS Kirchhof, 2003, S. 321, 332, Fn. 39. Gegen eine Organhaftung analog §§ 60, 61 InsO: OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – I-16 U 33/17, NZI 2018, 65, 68 = ZIP 2017, 2211, dazu EWiR 2018, 53 (Krüger); Jacoby, in: FS Vallender, 2015, S. 261, 273; Wittig/Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 270 Rz. 73a; für eine solche Haftung BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 m. w. N.; AG Duisburg v. 4.10.2005 – 60 IN 136/02, ZIP 2005, 2335; Marotzke, KTS 2014, 113, 118; nun auch Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 172; für eine Anwendung de lege ferenda Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 334 ff. 64) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, Rz. 35; vgl. Marotzke, in: FS Kirchhof, 2003, S. 321, 332, Fn. 39.
55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63)
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
die Erfüllung oder die Nichterfüllung nicht haftet.65) Dies kann der Gesetzgeber im Interesse der Gläubiger aber nicht gewollt haben. Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke liegt insbesondere auch deshalb nahe, weil der eigenverwaltende Schuldner bzw. dessen Organe von Gesetzes wegen mit Aufgaben eines Insolvenzverwalters betraut sind und ihre Haftung nicht an diesen erweiterten Aufgabenkreis angepasst ist.66) 28 Es liegt auch eine vergleichbare Interessenlage vor. Durch eine Organhaftung analog §§ 60, 61 InsO wird eine weitere Haftungsmasse für die Ansprüche der Gläubiger bereitgestellt, so dass deren Schutz verbessert wird, was auch Ziel der Normen im Regelinsolvenzverfahren ist. Ferner kann durch eine persönliche Haftung erreicht werden, dass die handelnden Organe zu einer pflichtgemäßen und gewissenhaften Geschäftsführung gezwungen werden. Die Disziplinierung der Geschäftsführung ist insbesondere im Eigenverwaltungsverfahren notwendig, weil aufgrund der höheren Verantwortung des Schuldners eine größere Sorgfalt und besondere insolvenzrechtliche Kenntnisse der geschäftsführenden Organe notwendig sind. Ansonsten wäre gerade im Lichte des ESUG zu befürchten, dass sich unerfahrene Geschäftsführer in die Eigenverwaltung stürzen und diese somit schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist. Zweck der Haftung ist also im Eigenverwaltungsverfahren, die Handelnden (im Regelinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter) zu pflichtgemäßem Verhalten zu bewegen.67) Dies ist auch im Regelinsolvenzverfahren Ziel der §§ 60, 61 InsO,68) so dass eine vergleichbare Interessenlage angenommen werden kann, welche eine analoge Anwendung der Haftungsvorschriften rechtfertigt. Dem steht auch die Gläubigerautonomie nicht entgegen. Zwar sind die Gläubiger in der Lage, das Verfahren zu beeinflussen, einzugreifen und ggf. sogar die Eigenverwaltung zu beenden. Allerdings bietet dies lediglich eine nachträgliche Reaktionsmöglichkeit. Präventiv sind die Gläubiger über den Weg der Haftung zu schützen. Nur so kann ein umfassender Schutz der Gläubigerinteressen gewährleistet werden. Sollten die geschäftsführenden Organe, die das Ziel der Restrukturierung des Schuldners über das Eigenverwaltungsverfahren verfolgen, aufgrund mangelnder persönlicher Fähigkeiten und Kenntnisse nicht in der Lage sein, ihre Führungsrolle im Eigenverwaltungsverfahren ordnungsgemäß auszufüllen, können sie durch eine solche Haftung dazu animiert werden, professionelle und im Insolvenzrecht erfahrene Berater hinzuzuziehen und sich im Verfahren durch diese begleiten zu lassen, damit das Eigenverwaltungsverfahren dennoch erfolgreich durchlaufen werden kann. Gegebenenfalls können auch, wie in der Vergangenheit schon häufig praktiziert, einem Sanierungsexperten Geschäftsführungsaufgaben zugewiesen werden. 29 Darüber hinaus zeigt der Telos der Haftungsvorschriften des § 311 Abs. 3 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB und § 14 StGB, dass die geschäftsführenden Vertreter u. U. auch persönlich haften sollen, weil sie besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nehmen und erheblichen Einfluss auf die Geschäfte haben.69) Gerade im Eigenverwaltungsverfahren ist der Einfluss der Geschäftsleiter besonders hoch, weil sie einen Großteil der Aufgaben des Insolvenzverwalters als Organe des Schuldners wahrnehmen. Es ist nicht ersichtlich, warum die geschäftsführenden Organe bei einer solchen Verantwortung nicht entsprechend ihren Aufgaben nach §§ 60, 61 InsO haften sollten. Deshalb sind die für den Insolvenzverwalter ___________ 65) Marotzke, in: FS Kirchhof, 2003, S. 321, 349. 66) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, Rz. 21 ff., 52 ff; ESUG-Thesenpapier des Gravenbrucher Kreises, ZInsO 2014, 1267, 1268. 67) Thole/Brünkmans wollen dies über eine Innenhaftung der Organe und eine Haftung des Schuldners nach §§ 60, 61 InsO erreichen, ZIP 2013, 1097, 1107. 68) Vgl. Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 60 Rz. 11. 69) Vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 311 Rz. 60.
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
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geltenden Haftungsnormen auf die Organe des Schuldners im Eigenverwaltungsverfahren analog anzuwenden. Entgegen der hier vertretenen Ansicht genügt nach einer Ansicht eine reine Innenhaf- 30 tung über § 43 GmbHG oder § 93 AktG, weil der Schuldner (GmbH oder AG) nach § 270 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 InsO hafte und ihm dadurch ein Schaden entstehe, den er vom Geschäftsleiter nach den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ersetzt verlangen könne.70) Für das Unternehmen müsse dieser Anspruch durch den Sachwalter geltend gemacht werden, damit er zugunsten der Masse realisiert werden kann. Dadurch käme er wiederum den Gläubigern zugute, so dass diese keinen Ausfall zu erwarten hätten.71) Dem ist insoweit zuzustimmen, als auch so eine Disziplinierung der Geschäftsführer aufgrund der Furcht vor einer persönlichen Haftung erreicht werden kann.72) Mit Blick auf die Interessen der Gläubiger kann die Ansicht jedoch nicht überzeugen, weil ein Anspruch nach § 270 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 InsO, sofern man eine Haftung des eigenverwaltenden Schuldners nach diesen Vorschriften überhaupt zulässt, lediglich zu einem Anspruch gegen die Masse oder das beschlagfreie Vermögen des Schuldners führen kann (siehe Rz. 3). Zwar würde durch die Schadensersatzverpflichtung ein Anspruch der Masse gegen den Geschäftsführer entstehen, der vom Sachwalter geltend gemacht werden kann. Dies garantiert bei Einzelschäden aber nicht, dass der Schadensersatz dem oder den geschädigten Gläubigern auch tatsächlich ungekürzt zugute kommt. Denn im Fall der Masseunzulänglichkeit wird der Anspruch des Gläubigers allenfalls zu einem gewissen Anteil erfüllt. Hinzu kommt, dass nicht jede Pflichtwidrigkeit von Geschäftsleitern zum Nachteil von Beteiligten des Insolvenzverfahrens einen gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG oder § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ersatzfähigen Schaden begründet.73) Zudem sind auch bei Gesamtschäden Fälle denkbar, in denen eine Haftung allein aus § 43 31 GmbHG nicht genügt. So ist es möglich, dass die Geschäftsführer mit der GmbH einen Haftungsausschluss vereinbaren, durch welchen § 43 GmbHG im Fall einer Pflichtverletzung keine Anwendung finden kann. Ob und wann das zulässig ist, ist äußerst umstritten. Zumindest für einfache Fahrlässigkeit stimmt ein Großteil der Literatur aber der Möglichkeit eines Haftungsausschlusses zu, sofern ein solcher nicht nach § 43 Abs. 3 GmbHG ausgeschlossen ist. Im Rahmen der Insolvenz könnte dies dazu führen, dass die Masse geschmälert wird und deshalb nicht mehr zur Befriedigung der Gläubiger ausreicht, während der Geschäftsführer für sein Verhalten nicht haftet. Dies ist aber aus Gläubigerschutzgesichtspunkten im Insolvenzverfahren nicht tragbar. Aus diesem Grund muss in solchen Fällen § 60 InsO zum Schutz der Masse Anwendung finden. Neben der Frage der Organhaftung im Außenverhältnis ist zu klären, ob lediglich das 32 einzelne Organmitglied, das die Rechtsverletzung begangen hat, oder alle Mitglieder solidarisch haften sollen. Für eine Haftung des gesamten Organs spricht, dass die Ansprüche der Gläubiger noch umfassender geschützt würden, weil die Gläubiger so Zugriff auf das Vermögen aller Organmitglieder hätten. Andererseits erscheint es äußerst problematisch, da die übrigen Organmitglieder für das Fehlverhalten einer anderen Person einstehen müssten, obwohl im Grunde eine Sanktionierung bestimmter insolvenzspezifischer Pflichtverletzungen erfolgen soll, so dass eine Haftung des gesamten Organs abzulehnen ___________ 70) Gulde, Die Anordnung der Eigenverwaltung, S. 43; Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1107. 71) Gulde, Die Anordnung der Eigenverwaltung, S. 43. 72) Laut Thole/Brünkmans genügt dies, um einen ausreichenden Schutz der Gläubigerinteressen zu gewährleisten ZIP 2013, 1097, 1107. 73) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, Rz. 32.
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§ 18
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
ist. Dies entspricht auch der Systematik des Gesellschaftsrechts, weil sowohl § 43 GmbHG als auch § 93 AktG eine Haftung der einzelnen, ihre Pflichten verletzenden Person vorsehen. 33 Bei einem so hohen Haftungsrisiko des einzelnen Geschäftsführers bzw. Vorstands, der die Aufgaben des eigenverwaltenden Schuldners wahrnimmt, wird es notwendig sein, dass dieser eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abschließt, die auch solche Schäden abdeckt. Gegebenenfalls sind solche Schäden aber schon vom Versicherungsumfang einer D&O-Versicherung abgedeckt.74) Schließlich wird im Regelinsolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter auch der Abschluss einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung in ausreichender Höhe verlangt, damit dieser gemäß § 56 InsO als geeignet für seine Einsetzung angesehen wird.75) Von den Personen, die im schuldnerischen Unternehmen die Geschäfte i. R. des Eigenverwaltungsverfahrens führen, ist vor diesem Hintergrund eine entsprechende Versicherung zu verlangen. Sonst dürfte i. d. R. ein Nachteil für die Gläubigerinteressen i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu erwarten sein, was eine Anordnung der Eigenverwaltung verbieten würde. 34 Fraglich ist auch, ob die Haftungserleichterung nach § 60 Abs. 2 InsO Anwendung finden kann. Da der zweite Absatz eingeführt wurde, weil dem Insolvenzverwalter im Normalfall die genauen Verhältnisse beim Schuldner unbekannt sind,76) gibt es wohl keinen Bedarf, die Haftungserleichterung auf den Schuldner anzuwenden.77) Ob die Business Judgment Rule in der Eigenverwaltung Anwendung findet, ist umstritten, nach der h. A. aber zu bejahen.78) 34a Höchstrichterlich bisher nicht entschieden ist die Frage, ob die §§ 60, 61 InsO entsprechend anzuwenden sind, wenn eine Person als Prokurist oder Generalhandlungsbevollmächtigter handelt.79) Aus systematischen Gründen wird man eine solche Haftung aber nicht bejahen können. Zum einen trifft auch im Insolvenzrecht allein den Insolvenzverwalter die Haftung nach §§ 60, 61 InsO und nicht in seiner Kanzlei tätige leitende Angestellte. Darüber hinaus ist auch die gesellschaftsrechtliche Haftung für solche Personen nicht vorgesehen. Bitter ist daher zuzustimmen, dass allenfalls eine Haftung über die Konstruktion des faktischen Geschäftsführers in Frage kommt. Allerdings wurde diese Rechtsprechung lediglich zu §§ 43, 64 GmbHG entwickelt.80) 7.
Geltendmachung
35 Der Umfang des Schadensersatzanspruchs richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.81) Gesamtschäden sind wegen § 92 InsO nur vom Sachwalter geltend zu machen. Zwar könnte man meinen, der Schuldner trete auch insoweit an die Stelle des Insolvenzverwalters. Dies würde aber dazu führen, dass der eigenverwaltende Schuldner die Haftung gegen sich selbst geltend machen müsste. Im Fall der Organhaftung würde sonst der Schuldner, vertreten durch das Organ, gegenüber derselben Person als Organ die Schadensersatzansprüche verfolgen. Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter können jedoch auch im Regelinsolvenzverfahren nur durch einen Dritten, nämlich einen Sonderverwalter oder einen neuen ___________ Vgl. Gulde, Die Anordnung der Eigenverwaltung, S. 43. Jahntz, in: Wimmer, InsO, § 60 Rz. 37; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 61. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 129. So auch Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 107. Jungmann, NZI 2009, 80, 86; K. Schmidt, AG 2006, 597 ff.; vgl. hierzu sehr ausf. Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 103 ff. m. w. N. 79) Bitter, ZIP 2018, 986, 988. 80) BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork); ZIP 2005, 1414; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, ZIP 1988, 771. 81) Gerhardt, in: Jaeger, InsO, § 60 Rz. 125. 74) 75) 76) 77) 78)
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.82) Die Bestellung eines Sondersachwalters erscheint aber überflüssig, wenn bereits ein neutraler Sachwalter eingesetzt wurde, der in der Lage ist, die Ansprüche gegen den Schuldner bzw. dessen Organe geltend zu machen. Allerdings scheidet die Bestellung eines Sonderverwalters im Eigenverwaltungsverfahren deshalb nicht aus, sondern bleibt möglich, sofern der Sachwalter an der Wahrnehmung seiner Aufgabe gehindert ist.83) Dies kann sich bspw. auch daraus ergeben, dass der Sachwalter auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung angewiesen ist und für ihn ein Konflikt entsteht, wenn er gleichzeitig Ansprüche gegen sie verfolgt.84) Die Möglichkeit, Einzelschäden durchzusetzen, besteht während des gesamten Verfahrens, 36 weil § 92 InsO insoweit keinen Ausschluss vorsieht.85) Im Regelinsolvenzverfahren sind sie gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen, im Eigenverwaltungsverfahren also gegenüber dem Schuldner. Da es sich um die Durchsetzung von Forderungen der Gläubiger gegen die Masse oder 37 die Organe handelt, sind nicht die Insolvenzgerichte, sondern die allgemeinen Prozessgerichte zuständig.86) Neben der Geltendmachung der Haftung sollten die Gläubiger stets einen Antrag auf 38 Aufhebung des Eigenverwaltungsverfahrens in Betracht ziehen, weil u. U. eine Gefährdung der Gläubigerinteressen droht, mit der Folge, dass ein Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO möglich wäre, da die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO weggefallen sind und einem Gläubiger erhebliche Nachteile drohen. Liegt eine Aufhebung des Verfahrens nicht im Interesse der Gläubiger oder des einzelnen Gläubigers, kann zumindest die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte nach § 277 InsO als Sanktion und Schutz für die Interessen der Gläubiger angeordnet werden. II.
Haftung des Sachwalters
1.
Allgemeines
Gemäß § 274 Abs. 1 InsO gelten für die Haftung des Sachwalters die § 60 und § 62 39 InsO entsprechend. Zu beachten ist aber, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme des Sachwalters auf die Geschäftsführung bei einer Unternehmensfortführung nicht identisch mit denen des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren sind (zu den Pflichten des Sachwalters siehe oben § 12). So ist der Sachwalter lediglich zur Überwachung und Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners berechtigt. Auch die Verwertung soll gemäß § 282 Abs. 2 InsO im Einvernehmen mit dem Sachwalter erfolgen, während beim Regelinsolvenzverfahren gemäß § 159 InsO die Aufgabe der Verwertung beim Insolvenzverwalter liegt und dieser auch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hat (§ 80 Abs. 1 InsO).87) Deshalb sollte sich auch die Haftung an den zum Regelinsolvenzverfahren verschiedenen Aufgaben und Befugnissen und damit reduzierten Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten des Sachwalters orientieren.88) ___________ 82) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 120. 83) LG Stendal v. 17.6.2013 – 25 T 23/13 (Dailycer), ZIP 2013, 1389; AG Stendal v. 19.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2171, dazu Harbeck, jurisPR-InsR 9/2013, Anm. 3; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 119. 84) LG Stendal v. 17.6.2013 – 25 T 23/13, ZIP 2013, 1389; AG Stendal v. 19.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2171, dazu Harbeck, jurisPR-InsR 9/2013, Anm. 3. 85) Vgl. zum Regelinsolvenzverfahren Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 122. 86) Vgl. Lohmann, in: Wimmer, InsO, § 2 Rz. 6; Rüther, in: HambKomm-InsO, § 2 Rz. 3. 87) Zur Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter, Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 7 ff.; s. hierzu auch oben § 13. 88) Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 13 f.; Wehdeking, in: Flöther/Smid/ Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 178.
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§ 18 2.
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Haftung für die Erfüllung von Masseverbindlichkeiten
40 Aufgrund der Besonderheit der Eigenverwaltung hat der Gesetzgeber in der Verweisung des § 274 Abs. 1 InsO auf eine Haftung des Sachwalters gemäß § 61 InsO verzichtet, weil der Sachwalter mangels Verfügungsbefugnis i. d. R. gar nicht in der Lage ist, Masseverbindlichkeiten zu begründen.89) 41 Einzige Ausnahme ist nach dem Gesetzeswortlaut die Anwendbarkeit des § 61 InsO über § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO, welche das Gesetz ausdrücklich anordnet. Stimmt der Sachwalter aufgrund eines Zustimmungsvorbehalts der Begründung von Masseverbindlichkeiten zu, so haftet er gemäß § 61 InsO. Damit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass durch die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit die Kompetenzen des Sachwalters erweitert werden und er somit eine stärkere Verantwortung übernimmt.90) 42 Es stellt sich aber die Frage, ob nicht in einzelnen Situationen die Anwendung des § 61 InsO analog erforderlich ist. Dies scheint v. a. in Fällen denkbar, in denen der Sachwalter aufgrund seiner Kompetenzen unabhängig davon, ob sie ihm durch Gesetz oder durch gerichtliche Anordnung zukommen, Masseverbindlichkeiten begründet.91) Dagegen spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Zudem hat der Gesetzgeber in § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO ausdrücklich die Haftung nach § 61 InsO für bestimmte Fälle angeordnet, so dass man annehmen könnte, der Gesetzgeber habe bewusst auf eine weitere Anwendbarkeit des § 61 InsO verzichtet. Dennoch ist der Sachwalter bspw. bei einer Pflichtverletzung in Bezug auf § 280 InsO mit gleichen Kompetenzen ausgestattet wie ein Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren und sollte daher auch nach § 61 InsO analog haften.92) Da der Sachwalter berechtigt ist, Anfechtungsansprüche geltend zu machen, kann er für die streitige Durchsetzung der Rückgewährforderungen einen Rechtsanwalt beauftragen, wodurch Masseforderungen entstehen. Für diese Fälle ist eine Anwendung von § 61 InsO unentbehrlich, um den Sachwalter zu pflichtgemäßem Verhalten bei der Beauftragung Externer anzuhalten.93) 43 Für die übrigen Fälle der Masseunzulänglichkeit, in denen den Sachwalter keine besondere Haftung gemäß § 61 oder § 61 InsO analog trifft, kommt lediglich die Haftung nach § 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO in Betracht. Das betrifft die Fälle, in denen der Schuldner Masseverbindlichkeiten ohne Zustimmung des Sachwalters eingegangen ist, die er aber nur begründen konnte, weil der Sachwalter seinen Überwachungs- bzw. Anzeigepflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Zwar verweist § 274 Abs. 1 InsO ausdrücklich nicht auf § 61 InsO. Dies hindert aber eine Haftung für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den Sachwalter nicht, so dass die Anwendung von § 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO keine Umgehung der Nichtverweisung des § 274 InsO auf § 61 InsO darstellt. Vielmehr ist die Anwendung dieser Vorschriften notwendig, weil sonst ein Großteil der Aufgaben des Sachwalters, namentlich die Überwachung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und seiner Geschäfte von der Haftung des Sachwalters ausgenommen wäre.94) Allerdings ist problematisch, dass vom Sachwalter keine Liquiditätsplanung erwartet werden kann, weil diese Aufgabe in der Eigenverwaltung dem Schuldner obliegt.95) Dennoch ist er i. R. seiner Prüfungs- und Überwachungspflicht dafür verantwort___________ Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 9. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7. Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 9. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 14; Brünkmans, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 9. Ähnl. auch Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 274 Rz. 6; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 49; a. A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 9. 94) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 30. 95) Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 10.
89) 90) 91) 92) 93)
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
lich, die Planrechnung und die Liquiditätsplanung des eigenverwaltenden Schuldners zu überprüfen.96) Dabei genügen keine bloßen stichprobenartigen Kontrollen oder Schlüssigkeitsprüfun- 44 gen. Vielmehr bedarf es eines tatsächlichen Überblicks des Sachwalters über die wirtschaftliche Lage des Schuldners.97) Bezüglich der Kontrolle der Geschäftsleitung genügt es, dass der Schuldner (bei juristischen Personen oder Personengesellschaften die Geschäftsführung) den Sachwalter regelmäßig informiert.98) Dem Sachwalter muss also ein entsprechender Verstoß gegen die Prüfungs-, Überwachungs- oder Anzeigepflichten nachgewiesen werden, der dazu geführt hat, dass eine Begründung von Masseverbindlichkeit durch den Schuldner nicht verhindert wurde. So haftet der Sachwalter bspw. persönlich, wenn bereits Masseunzulänglichkeit eingetreten ist, der Schuldner aber weiterhin Masseverbindlichkeiten begründet und auch begründen kann, weil es der Sachwalter schuldhaft versäumt hat, die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, bzw. diese mangels Überprüfung der finanziellen Lage des Schuldners gar nicht bemerkt hat.99) Allerdings wird eine Haftung des Sachwalters in Fällen der Masseunzulänglichkeit äußerst selten sein, da, von Ausnahmen abgesehen (siehe Rz. 40), nur der Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten berechtigt ist und den Sachwalter i. d. R. gerade keine Mitverantwortlichkeit trifft. Insbesondere hat der Sachwalter keine Verpflichtung, Neugläubiger vor Geschäften mit dem Schuldner zu warnen.100) Hinzu kommt, dass die Nichtanzeige bzw. die fehlende Überwachung ursächlich für den Schaden sein muss. Dafür ist es erforderlich, dass der Schuldner bei ordnungsgemäßer Überwachung oder entsprechender Anzeige an der Begründung der Masseverbindlichkeiten gehindert worden wäre (z. B. durch die Übernahme der Kassenführung, § 275 Abs. 2 InsO).101) Insoweit ist die Haftung des Sachwalters mit der Haftung eines Aufsichtsrats bei Verletzung seiner Überwachungspflichten vergleichbar.102) Allerdings haften die Aufsichtsratsmitglieder allein gegenüber der Gesellschaft,103) während eine Haftung des Sachwalters gemäß § 60 InsO, sofern es sich nicht um Gesamtschäden i. S. des § 92 InsO handelt, zu einer Haftung des Sachwalters gegenüber dem betroffenen Dritten führt.104) Problematisch ist es, wenn der Schuldner seinen Informationspflichten bspw. aufgrund 45 einer unsachgemäßen bzw. den insolvenzrechtlichen Besonderheiten nicht genügenden Buchführung nicht oder nicht ausreichend nachkommt. In solchen Fällen wäre es für den Sachwalter von Vorteil, einen zuverlässigen Dritten mit der Buchführung zu beauftragen, bei dem eine sorgfältige Aufgabenerfüllung zu erwarten ist. Das sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Vielmehr bleibt dem Sachwalter allein die Möglichkeit nach § 274 Abs. 3 InsO, den Gläubigerausschuss und das Insolvenzgericht zu informieren.105) In der Regel bietet es sich aber an, dass Schuldner und Sachwalter sich darauf einigen, einen zuverlässigen Dritten mit der Buchführung zu beauftragen. Schließlich werden beide nach einer einvernehmlichen Lösung suchen, weil eine gute Verständigung zwischen Schuldner und Sach___________ 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105)
Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 49. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 50. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 53. So wohl im Ergebnis auch Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 46. Wehdeking, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 274 Rz. 9; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 72. Ausf. hierzu Frind, NZI 2014, 977, 978. Vgl. zu Pflichten und Haftung des Aufsichtsrats Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rz. 3 ff. Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rz. 42. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 6.38; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 13. Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 7; Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 79.
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2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
walter unerlässliche Grundvoraussetzung für das Gelingen des Eigenverwaltungsverfahrens ist.106) Sollte eine einvernehmliche Lösung scheitern, kann der Sachwalter darauf hinwirken, dass das Gericht ihn dazu ermächtigt, zulasten der Masse eine andere Person mit der Buchführung zu beauftragen. Konnte der Sachwalter nicht erkennen, dass die mit der Buchführung beauftragte Person ungeeignet ist, haftet er nicht für von dieser Person verursachte Schäden, sofern ihn nicht ein Überwachungsverschulden trifft.107) Grund dafür ist, dass der Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 60 Abs. 2 InsO grundsätzlich nicht für vom Schuldner eingesetzte Erfüllungsgehilfen haftet. 46 Eine über die dargestellten Ausnahmen hinaus gehende Haftung, wie nach § 61 InsO, kommt nicht in Betracht, da der Sachwalter kein Garant für pflichtgemäßes Handeln des Schuldners ist, ihm also nicht die Haftung für jegliche Fehler des Schuldners aufgebürdet werden soll.108) Zudem ist die Haftungslücke von den Gläubigern hinzunehmen, weil sie trotz des Bewusstseins von der Eigenverwaltung und des damit verbundenen höheren Risikos bereit waren, Geschäfte mit dem Schuldner einzugehen bzw. bereits bestehende Verträge fortzuführen. Es ist nicht ersichtlich, warum der Sachwalter dieses Risiko tragen sollte. 3.
Haftung für die Verletzung der Pflichten als Sachwalter
47 Der Sachwalter haftet gemäß § 274 Abs. 1, § 60 InsO für die Verletzung aller in der InsO genannten insolvenzspezifischen Pflichten. Darunter sind alle für das Amt des Sachwalters gesetzlich vorgesehenen Verpflichtungen zu verstehen. Dazu zählen u. a. die Überwachung des Schuldners und die Anzeigepflicht bei Masseunzulänglichkeit gemäß § 274 Abs. 3 InsO (umfassende Darstellung der Rechtsstellung, Aufgaben und Pflichten des Sachwalters siehe oben § 12). Für den Eintritt der Haftung bedarf es einer schuldhaften Pflichtverletzung durch den Sachwalter.109) 48 Für eigene Erfüllungsgehilfen haftet er gemäß § 278 BGB,110) während er für vom Schuldner eingesetzte Angestellte nicht nach § 278 BGB, sondern nur nach § 60 InsO haftet, sofern er diese zur Erfüllung seiner Aufgaben einsetzen musste (§ 60 Abs. 2 InsO). Bezüglich der Mitarbeiter des Schuldners trifft ihn gemäß § 60 Abs. 2 InsO aber lediglich ein Überwachungsverschulden sowie eine Haftung für besonders bedeutsame Entscheidungen, sofern die eingesetzte Person für die Aufgabenerfüllung nicht offensichtlich ungeeignet erscheint.111) Sorgfaltsmaßstab ist nach § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO der ordentliche und gewissenhafte Sachwalter. 49 Der Sachwalter haftet gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO gegenüber allen Beteiligten. Dies sind all jene, gegenüber denen er insolvenzspezifische Pflichten zu erfüllen hat: Aus- oder Absonderungsberechtigte, Insolvenzgläubiger, Massegläubiger oder der Schuldner. 50 Ebenso wie der Insolvenzverwalter hat auch der Sachwalter gegenüber Neugläubigern, also Personen die ihre Gläubigerstellung erst durch Geschäfte mit der Masse erlangen, keine insolvenzspezifischen Pflichten, so dass eine Haftung gegenüber diesen grundsätz___________ Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 77. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 28. Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 31. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 134. Zur Frage der Anwendbarkeit von § 278 BGB i. R. von § 60 InsO: Thole, in: K. Schmidt, InsO, § 60 Rz. 49 f. 111) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 28; Hess, InsR, § 274 InsO Rz. 20; Tetzlaff/Kern, in: MünchKommInsO, § 274 Rz. 70.
106) 107) 108) 109) 110)
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
lich nicht in Betracht kommt (Ausnahme § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO).112) Zudem ist er nicht verpflichtet, Dritte vor Geschäften mit dem Schuldner zu warnen.113) 4.
Haftung gemäß § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO
Nach dem Wortlaut des § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO haftet der Sachwalter bei der Zustim- 51 mung zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 61 InsO, wenn das Gericht die Zustimmungsbedürftigkeit für das betreffende Rechtsgeschäft angeordnet hat. Dies ist durchaus gerechtfertigt, weil der Sachwalter durch die ihm nun obliegende Prüfungspflicht größere Verantwortung übernimmt.114) Er kann jedoch einen Entlastungsbeweis bezüglich einer Pflichtverletzung gemäß § 61 Satz 2 InsO führen.115) Problematisch ist dabei allein die Bestimmung der Pflichtverletzung. Schließlich trifft den Sachwalter im Gegensatz zum Insolvenzverwalter nicht die Pflicht, dauerhaft eine Liquiditätsprognose zu treffen.116) Würde aber § 61 InsO beim Sachwalter im selben Umfang wie beim Insolvenzverwalter angewendet, zwänge man diesen im Ergebnis zur ständigen eigenen Liquiditätsplanung.117) Diese Aufgabe obliegt im Eigenverwaltungsverfahren aber i. d. R. dem Schuldner, während den Sachwalter lediglich Pflichten zur Überwachung der Liquiditätsprognose treffen.118) Es ist daher erforderlich, beim Sachwalter eine erleichterte Form des Entlastungsbeweises zuzulassen, indem es genügt, wenn der Sachwalter nachweisen kann, dass er die Liquiditätsplanung des Schuldners auf Plausibilität überprüft hat, wobei eine reine Schlüssigkeitsprüfung oder lediglich stichprobenartige Kontrollen nicht ausreichen.119) 5.
Haftung gemäß § 280 InsO für Handlungen nach §§ 92, 93 InsO als Sonderfall
Die Befugnisse des Sachwalters entsprechen in § 280 InsO denen des Insolvenzverwalters, so 52 dass er als „Quasi-Insolvenzverwalter“ gemäß §§ 60 f. InsO analog haftet (siehe Rz. 42).120) Dies ist gerechtfertigt, weil der Sachwalter aufgrund seiner erweiterten Kompetenzen nicht mehr bloßes Aufsichtsorgan wie in den übrigen Bereichen des Eigenverwaltungsverfahrens ist, sondern in diesen Fällen wie ein Insolvenzverwalter als Ausführungsorgan handelt.121) 6.
Haftung bei Übernahme der Kassenführung
Fraglich ist auch, ob der Sachwalter haftet, wenn er die Kassenführung übernommen hat 53 und offensichtlich pflichtwidrige Zahlungen auf Forderungen leistet, die durch den Schuldner begründet wurden. Zu denken ist bspw. an die Begleichung von Ansprüchen, die keine Masseverbindlichkeiten darstellen, sondern lediglich den Rang von Insolvenzforderungen aufweisen. Nach der überwiegenden Ansicht der Literatur hat der Sachwalter ___________ 112) Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 12. 113) Landfermann, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 9; Pape, in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 12. 114) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 6; Wehdeking, in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 175 f. 115) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 135. 116) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 36. 117) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 36. 118) Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 36. 119) Vgl. Pape, in: KPB, InsO, § 274 Rz. 36. 120) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 280 Rz. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 5; a. A. für eine lediglich analoge Anwendung Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 137; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 73. 121) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 5.
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§ 18
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
grundsätzlich keine Prüfungskompetenz und muss die Zahlung anweisen.122) Selbst Verbindlichkeiten, die nach Übertragung des Kassenführungsrechts auf den Sachwalter gegen dessen Widerspruch im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb oder ohne dessen Zustimmung bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen begründet worden sind, muss der Sachwalter nach der h. M. erfüllen (siehe hierzu § 7 Rz. 68).123) Schließlich handelt es sich bei der Übernahme des Kassenführungsrechts um eine rein interne Maßnahme.124) Allerdings gilt eine solche Verpflichtung wohl nicht, wenn der Sachwalter sonst wissentlich verfahrenswidrige oder gar insolvenzzweckwidrige Zahlungen vornehmen würde.125) Tut er dies dennoch, haftet er zwar nicht nach § 61 InsO,126) aber wegen der Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gemäß § 60 InsO.127) Zur Frage der Masseunzulänglichkeit bei Übernahme des Kassenführungsrechts siehe Rz. 63. 7.
Haftung bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben
54 In der Praxis kann es dazu kommen, dass der Schuldner in Insolvenzsachen unerfahren ist, kein Berater mit der nötigen insolvenzrechtlichen Expertise beauftragt wird und dennoch die Eigenverwaltung angeordnet wird. In diesen Fällen wird häufig eine Überschreitung der Pflichten des vorläufigen Sachwalters notwendig, um einen reibungslosen Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens zu ermöglichen. Auch bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben kommt allerdings eine Haftung nach § 61 InsO wegen einer fehlenden Verweisung des Gesetzes grundsätzlich nicht in Betracht. Jedoch ist durchaus eine Haftung nach § 60 InsO denkbar. Schließlich sollte der Sachwalter zumindest zu ordnungsgemäßem Verhalten angehalten werden, wenn er die im Gesetz vorgeschriebenen Kompetenzen überschreitet. Daneben wird ein Überschreiten der Grenzen der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben auch zur Haftung nach allgemeinen Vorschriften über das Insolvenzrecht hinaus führen.128) Dann würde auch die Haftungserleichterung aus § 60 Abs. 2 InsO nicht mehr greifen. Zudem ist es denkbar, dass Haftpflichtversicherungen im Fall einer Schadensverursachung bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben nicht bereit sind, den Schaden zu begleichen.129) Der Sachwalter sollte also äußerst sorgfältig prüfen, ob er diese Risiken tatsächlich in Kauf nimmt, um einem schuldnerischen Unternehmen mit fehlender Expertise unter die Arme zu greifen. 8.
Geltendmachung
55 Für die Geltendmachung der Haftung des Sachwalters hat der Gesetzgeber keine besonderen Regelungen getroffen, so dass über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden. Somit ist die Haftung des Sachwalters wie beim Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren geltend zu machen. Die Zuständigkeit des Gerichts richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, weil sich die Klage nicht auf die Insolvenzmasse bezieht.130)
___________ 122) 123) 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130)
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Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 7; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 20. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 7; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 20. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 7; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 20. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 7. So auch Sinz, in: Uhlenbruck, § 61 Rz. 36. Vgl. Pape, in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Frind, NZI 2014, 977, 978; Zimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, S. 1771. Zimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, S. 1771. Lohmann, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 60 Rz. 52.
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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit
§ 18
Die Geltendmachung von Gesamtschäden i. S. des § 92 InsO, die durch Pflichtverletzungen 56 des Sachwalters entstanden sind, kann nur durch einen neu bestellten Sachwalter oder einen Sondersachwalter erfolgen.131) Einzelschäden sind wie im Regelinsolvenzverfahren direkt gegenüber dem Sachwalter geltend zu machen.132) Die Verjährungsfrist beträgt wie bei Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter (§ 62 57 InsO) drei Jahre.133) Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB in dem Jahr, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder erlangen musste. Der Anspruch verjährt gemäß § 62 Satz 2 InsO aber spätestens drei Jahre nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder drei Jahre nach Rechtskraft der Einstellung des Insolvenzverfahrens. Sofern den Sachwalter ein Verschulden und damit die insolvenzrechtliche Haftung trifft, 58 sollte stets auch die Frage gestellt werden, ob er noch den Anforderungen an die Person eines gewissenhaften Sachwalters entspricht oder ob es nicht notwendig ist, einen neuen Sachwalter einzusetzen. III.
Liquiditätsplanung
Unternehmen sind auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens zur (Liquiditäts-)Planung 59 verpflichtet. Für die AG ergibt sich dies aus § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wonach der Vorstand dem Aufsichtsrat über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung zu berichten hat, wobei insbesondere Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen darzustellen sind. Für die Geschäftsführung einer GmbH ist die Pflicht nicht ausdrücklich geregelt, mit Blick auf die unternehmerische Sorgfaltspflicht (§ 43 GmbHG) aber ratsam.134) Mit zunehmender Krise steigern sich auch die Anforderungen, die an die jeweilige Planung zu stellen sind.135) Es gibt aber keine allgemeinen Vorschriften, wie eine solche Planung zu erfolgen hat.136) Im eröffneten Insolvenzverfahren sollte der Insolvenzverwalter zu seiner eigenen Absicherung eine Liquiditätsplanung vorlegen.137) Zur Haftungsvermeidung sollten deshalb im Eigenverwaltungsverfahren die Organe des schuldnerischen Unternehmens eine Liquiditätsplanung erstellen und Sachwalter und Gläubigerausschuss vorlegen. Die Liquiditätsplanung obliegt grundsätzlich dem Schuldner. Verletzt er diese Pflicht, so 59a haftet er nach den allgemeinen Vorschriften. Allerdings werden die Voraussetzungen dieser Haftungstatbestände selten gegeben sein (siehe hierzu Rz. 12 ff.). Bei juristischen Personen bleibt darüber hinaus die Möglichkeit der Haftung der Organe des eigenverwaltenden Schuldners nach § 60 InsO (siehe hierzu Rz. 19 ff.). Dabei hat der Schuldner dem Sachwalter die Liquiditätsplanung regelmäßig vorzulegen. Verletzt er diese Pflicht, kann es ___________ Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 71. Vgl. zum Regelinsolvenzverfahren Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 122. Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 71. Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, § 49 Rz. 55. Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 9 Rz. 1308. Allerdings gibt es zahlreiche praktische Hinweise zur Erstellung und zu den Anforderungen an eine Liquidtätsplanung: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 9 Rz. 1308; Ertl, BC 2003, 17. 137) Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 26; Zimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 47 Rz. 134. Der BGH (BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, NZI 2004, 435, 438 = ZIP 2004, 1107, dazu EWiR 2004, 765 (Vallender)) fordert für eine Entlastung von der Haftung nach § 61 InsO vom Insolvenzverwalter, dass er vorträgt, dass voraussichtlich ausreichend Masse vorhanden oder nicht ersichtlich war, dass die Masse nicht reichen wird. Sodann statuiert der BGH, dass dies regelmäßig nur mit einer ausreichend plausiblen Liquiditätsrechnung möglich sein wird.
131) 132) 133) 134) 135) 136)
Flöther
559
§ 18
2. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren
sich um einen für die Gläubiger nachteiligen Umstand i. S. von § 272 InsO handeln.138) Auch eine Finanzierung durch Massekredite oder andere Finanzierungsmittel (siehe ausführlich oben § 4) wird der Schuldner nur erreichen können, wenn er eine ausreichend belastbare Liquiditätsplanung mit Soll-/Ist-Vergleich vorlegt. Zudem ist eine ausreichende Liquiditätsplanung im eröffneten Verfahren mit Blick auf eine etwaige übertragende Sanierung unerlässlich, da sie für mögliche Investoren eine wichtige Grundlage für ihre Entscheidung bietet. 60 Eine dauerhafte eigenständige Liquiditätsrechnung muss der Sachwalter nicht durchführen.139) Allerdings ist er zur durchgängigen Auswertung und Überprüfung der Liquiditätsplanung verpflichtet (siehe § 12 Rz. 29).140) Verletzt er diese Pflichten, kommt für ihn ebenfalls eine Haftung nach § 60 InsO in Betracht. IV.
Masseunzulänglichkeit
61 Die Anzeigepflicht hinsichtlich der Masseunzulänglichkeit liegt beim Sachwalter (§ 285 InsO). Danach richtet sich auch seine Haftung. Verletzt der Sachwalter diese Pflicht, indem er die rechtzeitige Anzeige der Masseunzulänglichkeit unterlässt, ist er gemäß § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet. Als Pflichtverletzung ist es jedoch nicht schon anzusehen, wenn der Sachwalter die Vertragspartner nicht vor der Gefahr der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten warnt.141) Im Fall der Verletzung der Anzeigepflicht ist i. R. des Verschuldens zu berücksichtigen, dass der Sachwalter selbst nicht zur Liquiditätsplanung verpflichtet ist. Problematisch wird dies v. a. dann, wenn der Schuldner seiner Verpflichtung zur Liquiditätsplanung nicht oder nicht ausreichend nachkommt (siehe Rz. 43). Allerdings wird der Sachwalter in diesen Fällen zumindest seine Berichtspflichten erfüllen müssen, um nicht einer Haftung nach § 60 InsO ausgesetzt zu sein. 62 Darüber hinaus kommt bei der Zustimmung zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten eine Haftung des Sachwalters gemäß § 61 InsO in Betracht (siehe Rz. 51). 63 Im Fall der Übernahme des Kassenführungsrechts hat der Sachwalter zwar grundsätzlich kein Recht die Erfüllung von Masseverbindlichkeiten zu verweigern (siehe auch Rz. 53). Anders liegt es aber, wenn absehbar ist, dass nicht alle Verbindlichkeiten befriedigt werden können. Dann hat der Sachwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die vom Schuldner zuvor ausgelösten Masseverbindlichkeiten unbezahlt zu lassen (siehe § 12 Rz. 51).
___________ 138) 139) 140) 141)
560
AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210, Rz. 5. Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 274 Rz. 6. AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237, dazu EWiR 2014, 155 (Hofmann). Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 274 Rz. 5.
Flöther
C. Konzern § 19 Eigenverwaltung im nationalen Konzern Kübler
I. Allgemeines ................................................. 1 II. Voraussetzungen der Eigenverwaltung im Konzern................................... 6 1. Antrag ........................................................... 7 2. Zustimmung der Gläubiger ....................... 11 3. Keine Gläubigerbenachteiligung ............... 12 III. Rechtsfolgen der Anordnung der Eigenverwaltung im Konzern ................. 19 1. Die Rechtsstellung der Konzerngesellschaft in der Eigenverwaltung.............. 21 2. Folgen für die Überwachungsorgane nach Anordnung der Eigenverwaltung ..... 27 IV. Koordinierung der Verfahren über mehrere Konzerngesellschaften .............. 30 1. Zuständigkeitskonzentration am Gruppen-Gerichtsstand ............................. 30 2. Bestellung eines Insolvenzverwalters/Sachwalters für alle gruppenangehörigen Schuldner............................... 36
3.
Koordination und Kooperation i. R. der Eigenverwaltung gemäß § 270d InsO................................................ 39 3.1 Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter/Sachwalter ............. 44 3.2 Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte ................................... 50 3.3 Koordinationsverfahren ................ 51 3.4 Verfahrenskoordination durch Aufrechterhaltung der Konzernleitungsmacht............ 55 3.5 Gläubiger........................................ 59 3.6 Gesellschafter ................................ 64 4. Forderungsanmeldung ............................... 67 5. Insolvenzanfechtung.................................. 68 V. Haftung...................................................... 71 1. Haftung des (vorläufigen) Sachwalters..... 71 2. Haftung der Gesellschaftsorgane in der Eigenverwaltung .................................. 73
Literatur: Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, 2012; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen nach deutschem und europäischem Insolvenzrecht, 2009; Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998; Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen, ZHR 169 (2005), 528; Frind, Gefahren und Probleme bei der insolvenzrechtlichen Regelung der Insolvenz der „Unternehmensgruppe“, ZInsO 2014, 927; Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008; Kübler, Inhalt und Grenzen der Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter in der Konzerninsolvenz, in: Festschrift für Heinz Vallender, 2015, S. 291; Laroche, Das neue Konzerninsolvenzrecht nach InsO und EuInsVO – Probleme und Fragen aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2017, 2585; Madaus, Koordination ohne Koordinationsverfahren? – Reformvorschläge aus Berlin und Brüssel zu Konzerninsolvenzen, ZRP 2014, 192; Mock, Das neue Konzerninsolvenzrecht nach dem Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, DB 2017, 951; Pleister/Sturm, Die Herausforderungen des neuen Konzerninsolvenzrechts, ZIP 2017, 2329; Rotstegge, Konzerninsolvenz: Die verfahrensrechtliche Behandlung von verbundenen Unternehmen nach der Insolvenzordnung, 2007; Schmidt, Jessica, Die Konzerninsolvenz im Rahmen der EuInsVO 2015, KTS 2018, 1; Siemon/Frind, Der Konzern in der Insolvenz – Zur Überwindung des Dominoeffekts in der (internationalen) Konzerninsolvenz, NZI 2013, 1; Vallender, Einführung eines Gruppen-Gerichtsstands – ein sachgerechter Ansatz zur Bewältigung von Konzerninsolvenzen, Der Konzern 2013, 162; Vallender, Plädoyer für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand, in: Festschrift für Hans P. Runkel, 2009, S. 373; Verhoeven, Die Konzerninsolvenz: Eine Lanze für ein modernes Insolvenzrecht, 2011.
I.
Allgemeines1)
Ausgangspunkt und Vorbild für die Vorschriften zur Eigenverwaltung sind Regelungen 1 des US-amerikanischen Insolvenzrechts über den „debtor in possession“.2) Allerdings stellte sich der deutsche Gesetzgeber die Eigenverwaltung bei Inkrafttreten der InsO eher als ___________ 1) 2)
Zu den Voraussetzungen der Eigenverwaltung i. E. s. § 6 Rz. 1 ff. U.S.C. Chapter 11 §§ 1104, 1107; Kommission für Insolvenzrecht, Erster Bericht (RWS-Verlag), Begr. zu Leitsatz 1.3.1.1., S. 125.
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§ 19
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
Ausnahme zum Regelinsolvenzverfahren vor.3) Die Eigenverwaltung soll – so die Intention des Gesetzgebers – u. a. Kosteneinsparungen, die bessere Nutzung der Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung und einen Anreiz zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung bringen (siehe § 2 Rz. 15). Dementsprechend hat die Eigenverwaltung in einer Reihe von Konzerninsolvenzen – wie z. B. Babcock Borsig AG, KirchMedia GmbH & Co. KG, Herlitz AG, Ihr Platz AG, Sinn Leffers GmbH, Friedr. Gustav Theis Kaltwalzwerke GmbH bzw. nach Inkrafttreten des ESUG Unternehmensgruppe Leiser, centrotherm photovoltaics AG, Pfleiderer AG, IVG Immobilien AG – an Bedeutung gewonnen. In den meisten Fällen wird zur Verfahrensgestaltung in der Konzerninsolvenz ein insolvenzrechtliches Planverfahren (siehe § 2 Rz. 17 ff.) mit angeordneter Eigenverwaltung präferiert.4) 2 Im Rahmen der dritten Reformstufe mit dem Schwerpunkt auf Konzerninsolvenzen hat der Bundestag am 13.4.2017 das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz beschlossen.5) Das Konzerninsolvenzrecht bildet keinen eigenständigen von der InsO abgekoppelten Regelungsbereich, sondern das geltende Recht wird auf die Besonderheiten einer Unternehmensgruppeninsolvenz abgestimmt.6) So greifen die Regelungen auch nicht grundlegend in das Gesellschaftsrecht ein und tasten die Unabhängigkeit der einzelnen Gesellschaften im Insolvenzkontext nicht an. Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt auf dem Erhalt der Konzernstrukturen und einer Harmonisierung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der einzelnen Gesellschaften einer Unternehmensgruppe. 3 Das Gesetz definiert die „Unternehmensgruppe“ in § 3e Abs. 1 InsO als rechtlich selbstständige Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland haben und mittelbar oder unmittelbar miteinander durch die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder durch eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung verbunden sind. Die Regelung stützt sich nicht auf §§ 17 f. AktG, sondern ist an § 290 HGB angelehnt und ermöglicht durch ihre Weite eine sachgerechte Anwendung der Vorschriften auf alle Konzerntypen,7) in denen Koordinations- und Kooperationsmittel im Insolvenzverfahren vorteilhaft sein können. Das Gericht wird aufgrund der unwiderleglichen Vermutung des § 290 Abs. 2 HGB8) von einer aufwändigen Feststellung des beherrschenden Einflusses zwischen den Konzernunternehmen entlastet.9) Da im Insolvenzfall bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, an denen auch mittelbar keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt ist (z. B. GmbH & Co. KG), die organisatorische und haftungsrechtliche Verflechtung zwischen Gesellschaft und persönlich haftenden Gesellschaftern ähnliche Probleme aufwerfen kann wie die Insolvenz einer Unternehmensgruppe, fingiert § 3e Abs. 2 InsO das Bestehen einer Unternehmensgruppe i. S. des Absatzes 1. Die Fiktion soll sicherstellen, dass der Anwendungsbereich der konzern___________ 3) 4)
5) 6) 7) 8) 9)
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Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 35; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 9; Pleister, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 33 ff.; Specovius, in: Braun, InsO, § 270d Rz. 1; bereits auch: Jaffé, ZHR 175 (2011), 38 ff.; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 326; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 543; nicht verallgemeinerungsfähig nach Siemon/Frind, NZI 2013, 1, 11. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 865; das Gesetz ist gemäß Art. 10 am 21.4.2018 in Kraft getreten. Flöther, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 1 Rz. 4. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 18/ 11436, S. 21 f.; krit. Frind, ZInsO 2014, 927, 928 f. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 290 Rz. 9 ff.; ausf. K. Schmidt, in: FS Kübler, 2015, S. 633 ff. Berner/Bartelheimer/Schiebe, ZInsO 2013, 434, 435.
Kübler
§ 19
Eigenverwaltung im nationalen Konzern
rechtlichen Regelungen und Instrumentarien auch für diese Fälle eröffnet ist.10) Gerichtstands- und Verweisungsregelungen sollen es den Schuldnern und Insolvenzverwaltern zudem erlauben, die Verfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften an einem Insolvenzgericht zu konzentrieren, § 3d InsO. Darüber hinaus regelt das Gesetz ein besonderes Koordinationsverfahren (siehe Rz. 51 ff.), 4 das die Sanierung einer Unternehmensgruppe fördern soll, wenn es keinen GruppenGerichtsstand und damit keinen einheitlichen Insolvenzverwalter oder Sachwalter gibt. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Verfahrenskoordinator, dem die Aufgabe zukommt, mögliche Reibungsverluste zwischen den parallel anhängigen Insolvenzverfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften zu minimieren. Mit den neuen Regelungen soll das Ziel einer angemessenen Bewältigung von Unternehmensinsolvenzen erreicht und die Umsetzung solcher Insolvenzbewältigungsstrategien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zur Einzelabwicklung verbessern, ohne Gläubiger der einzelnen Gesellschaften schlechterzustellen.11) In § 270d InsO wird festgelegt, dass die Grundstrukturen des Eigenverwaltungsverfahrens 5 auch i. R. eines Konzerninsolvenzverfahrens gelten.12) Das Hauptproblem ist die individuelle Anordnung der Eigenverwaltung in jedem Verfahren. Durch die Vorlage aufeinander abgestimmter Insolvenzpläne in allen Einzelverfahren kann eine koordinierte Verfahrensabwicklung unter der Voraussetzung, dass sich die Verfahrensbeteiligten an das zentral ausgehandelte Konzept halten, gelingen.13) Aufgrund der auch bei Anordnung der Eigenverwaltung im herrschenden Unternehmen und/oder in dessen insolventen Tochtergesellschaften aufrechterhaltenen Leitungsstrukturen bleiben die Einflussmöglichkeiten des Leitungsorgans bestehen. Die Umsetzung der in einem Insolvenzplan niedergelegten Sanierungsmaßnahmen hat damit mehr Aussicht auf Erfolg.14) II.
Voraussetzungen der Eigenverwaltung im Konzern15)
Die Sanierung eines Konzerns im Wege der Eigenverwaltung und eines führenden Insol- 6 venzplans setzt voraus, dass der Konzernverbund fortbesteht.16) Dafür schafft das Konzerninsolvenzrecht im Wege einer verstärkten Verfahrenskonzentration, -kooperation und -koordination bessere Voraussetzungen.17) Damit eine Eigenverwaltung in der Konzerninsolvenz in den einzelnen Verfahren angeordnet werden kann, müssen die Voraussetzungen der §§ 270 ff. InsO für jede insolvente Gesellschaft des Konzerns vorliegen.18) Dabei gibt es unterschiedliche Konstellationen. Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen regelt, dass die konzerninsolvenzrechtlichen Instrumentarien (siehe Rz. 30 ff.) auch dann Anwendung finden, wenn in Bezug auf einen oder mehrere gruppenangehörige Schuldner eine Eigenverwaltung angeordnet wird, § 270d InsO.19) ___________ 10) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 18/ 11436, S. 22. 11) Flöther, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 1 Rz. 4. 12) Specovius/Kuske, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 95 Rz. 67. 13) Pleister, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 3. 14) Flöther, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 1. 15) Zu den Voraussetzungen der Eigenverwaltung i. E. s. § 6 Rz. 1 ff. 16) Frege/Nicht, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 228; so bereits Ehricke, ZInsO 2002, 393, 395 f. 17) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329. 18) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 274. 19) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 41.
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§ 19
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
Für diesen Fall tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters der eigenverwaltende Schuldner und der diesen überwachende Sachwalter. Der eigenverwaltende Schuldner hat dann die Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters, d. h. ihm steht bspw. das mit Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter übergehende Antragsrecht zur Errichtung des Gruppen-Gerichtsstands, § 3a Abs. 1 und 3 i. V. m. § 270d Satz 2 InsO oder zur Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand zu, § 3d Abs. 1 i. V. m. § 270d Satz 2 InsO.20) Nach der Intention des Gesetzgebers soll der eigenverwaltende Schuldner auch den Kooperationspflichten des § 269a InsO unterliegen, § 270d Satz 1 InsO (siehe Rz. 48). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich aus der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen die Zulässigkeit der Bestellung eines einheitlichen Sachwalters für die Konstellationen ergibt, in denen in mehreren gruppenangehörigen Unternehmen die Eigenverwaltung angeordnet wird. Die einheitliche Sachwalterbestellung soll insbesondere dann erfolgen, wenn sämtliche Verfahren an einem Gericht anhängig sind.21) Insgesamt wird der in der Praxis der Unternehmensinsolvenz inzwischen häufiger anzutreffenden Eigenverwaltung mit den neuen Vorschriften allerdings nur ein geringer Stellenwert eingeräumt.22) 1.
Antrag
7 Gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO muss der Schuldner den Antrag auf Eigenverwaltung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. 8 Die Antragsberechtigung ist für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens – aber nicht für den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung – in §§ 15, 18 Abs. 3 InsO geregelt. Bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ist jedes Mitglied des Vertretungsorgans, bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit jeder persönlich haftende Gesellschafter und bei Führungslosigkeit jeder Gesellschafter unabhängig davon, welche Vertretungsregelungen innerhalb des Vertretungsorgans bestehen, antragsberechtigt, § 15 Abs. 1 InsO.23) Ist Insolvenzgrund drohende Zahlungsunfähigkeit, so muss der Antrag entweder von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans oder von einem berechtigten Vertreter gestellt werden, § 18 InsO. Die Antragsberechtigung bei Beantragung der Anordnung der Eigenverwaltung lässt sich nach überwiegender Auffassung nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 15, 18 InsO ableiten.24) Begründet wird das damit, dass die Sachlage bei Insolvenzantragstellung nach §§ 15, 18 InsO eine andere ist als bei Antragstellung auf Eigenverwaltung. Die Antragsberechtigung aus § 15 InsO hängt unmittelbar mit den gesellschaftsrechtlichen Antragspflichten zusammen, die Antragsberechtigung bei Eigenverwaltung nicht.25) Das Antragsrecht i. S. des § 270 Abs. 2 Satz 1 InsO richtet sich deshalb nach den jeweiligen konkreten gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregelungen.26) Streitig ist, ob der Geschäftsführer in der Krisensituation vor der Antragstellung die Genehmigung der Gesellschafterversammlung einholen muss27) und ob er an Weisungen der ___________ 20) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 21) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 22) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329. 23) Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 11. 24) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 84; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 87 Rz. 12; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276. 25) Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 37 ff.; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276. 26) Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 84; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276. 27) So BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, ZIP 1982, 568; LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1831, dazu EWiR 2013, 589 (Hölzle); Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 75; diff. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 f.; dagegen bisher Meyer-Löwy/Pickerill, GmbHR 2013, 1065, 1068 ff.
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Kübler
§ 19
Eigenverwaltung im nationalen Konzern
Gesellschafter, den Insolvenzantrag/Antrag auf Eigenverwaltung nicht zu stellen, gebunden ist.28) Ein den Geschäftsführer zur Antragstellung ermächtigender Gesellschafterbeschluss ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn sich die Krise trotz positiver Fortbestehensprognose derart verdichtet hat, dass das Interesse der Gläubiger an der Vermögenssicherung Vorrang gegenüber den Gesellschafterinteressen hat.29) Unabhängig davon bleibt der Insolvenzantrag im Außenverhältnis zulässig,30) kann jedoch im Innenverhältnis Schadenersatzansprüche begründen.31) Adressat der Antragspflicht bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, wie der 9 GmbH & Co. KG, sind der oder die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH in ihrer Eigenschaft als deren organschaftliche Vertreter, § 130a Abs. 1 Satz 2, § 177a HGB, bei Fehlen eines organschaftlichen Vertreters auf der Ebene der Komplementär-GmbH sind auch die in § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgeführten Gesellschafter antragsberechtigt.32) Kommanditisten sind nicht antragsberechtigt.33) Es ist – unabhängig davon, dass die Insolvenz der KG wegen der persönlichen Haftung für die Gesellschaftsschulden, § 128 HGB, fast nie ohne Konsequenzen für die Überschuldungssituation ihrer Komplementär-GmbH bleibt34) – strikt zwischen der Insolvenz der KG und ihrer Komplementär-GmbH zu differenzieren. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH ist grundsätzlich verpflichtet, vor Antragstellung bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit eine Entscheidung der Kommanditisten herbeizuführen.35) Ergibt die Prüfung, dass beide Gesellschaften insolvenzreif sind, bedarf es zur Einleitung der Insolvenzverfahren gesonderter Insolvenzanträge. Die sich daran anschließenden Insolvenzverfahren können dann koordiniert abgewickelt werden (siehe dazu § 52 Musterinsolvenzplan). Die Organe des schuldnerischen Unternehmens sind verpflichtet, den Antrag auf Anord- 10 nung der Eigenverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu stellen. Durch Ausübung der Leitungsmacht können Konzerngesellschaften ihre Organe dazu anhalten, Eigenverwaltung zu beantragen, um einen Sanierungsverbund zu erreichen.36) Der Antrag sollte mit dem Eigeninsolvenzantrag verbunden werden und bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung und Planung. Bei Konzerninsolvenzen kann unter der Voraussetzung, dass die Tochtergesellschaften nicht materiell insolvent sind, ein Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag nur für die Konzernmutter gestellt werden. Befinden sich Mutter- und sämtliche Tochtergesellschaften in Deutschland, war es auch bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen für das Gesamtkonzept der Konzernsanierung sinnvoll, dass die Tochtergesellschaften bei Insolvenzantragstellung gleichzeitig den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung einreichen und bspw. den Insolvenzplan
___________ 28) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; diff. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 ff. 29) Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1851; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955. 30) Str.: Eine Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen den Antrag stellenden Gesellschaftergeschäftsführer, um das (Eröffnungs-)Verfahren zu beeinflussen oder gar zum Stillstand zu bringen, ist abzulehnen. So Thole, ZIP 2013, 1937, 1941; dem zust. Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 957; a. A. Fölsing, ZInsO 2013, 1325, 1328; zur Frage des rechtsmissbräuchlichen Insolvenzantrags ausf. Brinkmann, ZIP 2014, 197. 31) Fölsing, ZInsO 2013, 1325, 1331. 32) Salger, in: Reichert, GmbH & Co. KG, § 49 Rz. 34. 33) Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15 Rz. 2. 34) Ehricke, in: Jaeger, InsO, § 11 Rz. 45; Ott, in: MünchKomm-InsO, § 11 Rz. 26. 35) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/ Hoffmann); diff. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 ff. 36) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 394.
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§ 19
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
der Muttergesellschaft als führenden Insolvenzplan vorlegen.37) In diesem Fall wurde auch bislang die Bestellung eines Sachwalters für alle Verfahren angestrebt, was sich mangels entsprechender Vorschriften nicht immer durchsetzen ließ. Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen für Konzerninsolvenzen Abhilfe geschaffen, da über § 270d InsO die konzernrechtlichen Instrumentarien zur einheitlichen und koordinierten Verfahrensbearbeitung auch Anwendung finden, wenn für einen oder mehrere gruppenangehörige Schuldner die Eigenverwaltung angeordnet worden ist.38) 2.
Zustimmung der Gläubiger
11 Mit den Regelungen des ESUG wurde das Mitwirkungsrecht der Gläubiger bezüglich der Entscheidung über die Eigenverwaltung vorverlagert und dem vorläufigen Gläubigerausschuss – der bei Konzernsachverhalten nahezu immer zwingend einzusetzen ist – die Einflussnahme auf die Anordnung der Eigenverwaltung ermöglicht.39) Vor der Anordnung der Eigenverwaltung hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Gläubigerausschuss anzuhören, § 270 Abs. 3 InsO. Ein einstimmiger Beschluss der anwesenden Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses,40) dass keine Gläubigerbenachteiligung vorliegt (siehe Rz. 12 ff.), ist für das Insolvenzgericht bindend.41) Besteht kein vorläufiger Gläubigerausschuss, sollte das Gericht die wichtigsten Gläubiger anhören.42) Allerdings sollte bei der Auswahl der Gläubiger darauf geachtet werden, dass nicht aufgrund der Beschränkung nur die Interessen der Großgläubiger zum Tragen kommen. Daher sollten die anzuhörenden Gläubiger verschiedenen Gläubigergruppen angehören.43) 3.
Keine Gläubigerbenachteiligung
12 Gemäß § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO dürfen durch die Anordnung der Eigenverwaltung keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sein. Unterstützt eine Gläubigermehrheit den Antrag auf Eigenverwaltung, so wird nach der Regelung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO vermutet, dass sich die Eigenverwaltung nicht nachteilig für die Gläubiger auswirkt. 13 Erfolgreiche Eigenverwaltungen der letzten Jahre zeigen, dass bei richtiger Handhabung vielfach erwartete Nachteile weitgehend ausgeschlossen werden können.44) Es ist zunächst eine Prognose anzustellen, inwieweit das Verfahren i. R. der Eigenverwaltung im Vergleich zum Insolvenzverfahren Nachteile für die Gläubiger mit sich bringt.45) Die Anordnung der Eigenverwaltung bei der Muttergesellschaft bei Vorliegen eines Insolvenzplans kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Anordnung der Eigenverwaltung bei den Tochtergesellschaften nicht nachteilig für die Gläubiger i. S. des § 270 Nr. 2 InsO sein wird.46) 14 Mit der Einführung des Gruppen-Gerichtsstands (siehe Rz. 30 ff.) wurde in der Literatur teilweise kritisiert, dass die Durchsetzung der Interessen für Kleingläubiger erschwert ___________ 37) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 210; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 326; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 395; Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 43. 38) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 39) Begr. RegE ESUG z. § 270 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 57 f. 40) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 58. 41) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 58. 42) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 57. 43) Hofmann, NZI 2010, 798, 799. 44) Erfolgreiche Sanierungen in Eigenverwaltung der letzten Jahre u. a.: centrotherm photovoltaics AG, Pfleiderer AG, IVG Immobilien AG. 45) Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 22. 46) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 208.
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Eigenverwaltung im nationalen Konzern
sein könnte, wenn der Konzerngerichtsstand sehr weit vom Sitz des betroffenen Gruppenunternehmens entfernt liegt, und darin ein Nachteil für die Gläubiger zu sehen sei.47) Dem ist entgegenzuhalten, dass erstens ein beträchtlicher Teil des Verfahrens schriftlich durchgeführt wird und zweitens erfahrungsgemäß die Gläubiger unabhängig von der Nähe des Gerichts eher selten an Gläubigerversammlungen teilnehmen. Ohnehin räumen viele Insolvenzverwalter den Gläubigern den elektronischen Zugang zu Verfahrensunterlagen ein. Diese Entwicklung dürfte durch unionsrechtliche Vorgaben weiter beschleunigt werden.48) Ausweislich der Gesetzesbegründung sieht der Gesetzgeber ein Interesse der Gläubiger an Verfahrenskonzentration immer dann gegeben, wenn sich mittels koordinierter Abwicklung der Einzelverfahren Koordinationsgewinne erzielen lassen, die einigen Insolvenzmassen zugutekommen, ohne die übrigen Massen zu benachteiligen.49) Als wesentlicher allgemeiner Benachteiligungsaspekt wird bei Konzerninsolvenzen, aber 15 auch bei einfachen Gesellschaftsinsolvenzen, der Zeitfaktor angegeben. Die Gläubiger befürchten häufig, dass die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren zu einer zeitlichen Verschleppung des Verfahrens führt. In der Tat kann sich i. R. einer Sanierung die Verzögerung aufgrund von Kompetenzkonflikten als Nachteil ergeben.50) Eine pauschale Behauptung reicht hierfür jedoch nicht, vielmehr bedarf es hinsichtlich etwaiger Zuständigkeitskonflikte konkreter Anhaltspunkte. Des Weiteren können Gründe für eine Verfahrensverzögerung in der Struktur der schuldne- 16 rischen Gesellschaft und im Verhalten der Anteilseigner und der Geschäftsleitung liegen, weil diese maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsabläufe des Schuldners haben.51) Auch hier verbietet sich eine generalisierende Betrachtungsweise. Würde die Leitungsstruktur des Schuldners von vornherein als nachteilig bewertet, schiede die Eigenverwaltung bei Unternehmensgesellschaften stets aus. Da die Vergütungspflicht der Gesellschaftsorgane entsprechend dem Anstellungsvertrag 17 nach Anordnung der Eigenverwaltung als Masseschuld fortbesteht, wird hierin ein weiterer Nachteil i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gesehen.52) Dem kann abgeholfen werden, indem eine Änderungskündigung des Anstellungsvertrages oder eine Vertragsanpassung in Gestalt der Vereinbarung einer entsprechend geringeren Gehaltszahlung vorgenommen wird.53) Die Herabsetzung der Vergütung kann ein Weg sein, das Vertrauen der Gläubiger in den Schuldner zu festigen. Ob die Personenkontinuität in der Geschäftsleitung des Konzerns ein Nachteil für die 18 Gläubiger sein kann, hängt vom Einzelfall ab. Einerseits verfügt die bestehende Geschäftsleitung über die besten Kenntnisse und Erfahrungen, wodurch Kosten und Zeit gespart werden. Deshalb kann die schuldnerseits beabsichtigte Beibehaltung der Geschäftsleitung nicht generell als nachteilig angesehen werden. Andererseits kann im Gläubigerinteresse ein personeller Wechsel in der Geschäftsleitung geboten sein. Die h. A. geht daher davon aus, dass für eine erfolgreiche Durchführung der Eigenverwaltung die Geschäftsleitung zumindest dann ausgetauscht werden muss, wenn sie nicht schuldlos an der wirtschaftlichen Entwicklung des ___________ 47) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2334. 48) So auch Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2334. 49) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 3a InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 27. 50) Krämer, NZI 2017, 960, 962; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 278, 309; Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 629. 51) Uhlenbruck, in: FS Kirchhof, 2003, S. 479, 505; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 279. 52) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 207, Fn. 952. 53) Pape, in: KPB, InsO, § 278 Rz. 13 ff.; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 611; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 278 Rz. 2.
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
Schuldners ist.54) Gerade in einem solchen Fall kann das Vertrauen der Gläubiger durch einen Wechsel in der Geschäftsleitung gestärkt werden, insbesondere wenn – wie es inzwischen bei Eigenverwaltung in Konzerninsolvenzen üblich ist – die Positionen von Vorstand bzw. Geschäftsführung von Sanierungs- und Insolvenzrechtsexperten – in der Praxis hat sich für diese Geschäftsleiter die Bezeichnung „CRO“ (Chief Restructuring Officer) eingebürgert – übernommen werden.55) Nachteile können sich aber u. U. dann ergeben, wenn infolge der Auswechslung der Geschäftsleitung erhebliche weitere Kosten56) entstehen und/oder eine zügige Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht mehr gesichert ist.57) III.
Rechtsfolgen der Anordnung der Eigenverwaltung im Konzern
19 Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Schuldner, Gläubigern und Sachwalter ist in §§ 274 bis 285 InsO geregelt. 20 Der Vorteil der Eigenverwaltung i. R. einer Konzerninsolvenz liegt darin, dass die gesellschafts- und konzernrechtlichen Bindungen der eigenverwalteten Gesellschaften bestehen bleiben. Wird z. B. für die abhängige Konzerngesellschaft die Eigenverwaltung angeordnet, kann die Mutter- oder Obergesellschaft mithilfe der weiter bestehenden Konzernleitungsmacht unter Überwachung und Kontrolle des Sachwalters und des Gläubigerausschusses das Schicksal der Gesellschaft auch künftig beeinflussen.58) Dadurch können Synergieeffekte genutzt und eine kooperative Sanierungsausrichtung erreicht werden.59) Allerdings setzt dies eine entsprechende Kooperationsbereitschaft bei Gläubigern und Schuldner bzw. dessen Gesellschaftern voraus (siehe Rz. 59 ff., 48, 64 ff.). Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen sieht sowohl eine verstärkte Kooperation der Gläubiger i. R. der (vorläufigen) Gläubigerausschüsse zwecks Antrag auf Bildung eines Gruppen-Gläubigerausschusses, § 269c Abs. 1 InsO (siehe Rz. 61), als auch Kooperationspflichten des eigenverwaltenden Schuldners vor, § 270d Satz 1 InsO (siehe Rz. 48). Über eine planmäßige Zusammenarbeit der (vorläufigen) Gläubigerausschüsse können die Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende Schuldner und Sachwalter dazu veranlasst werden, geeignete abgestimmte Vorgehensweisen zu verfolgen. Der Gruppen-Gläubigerausschuss, § 269c Abs. 2 InsO, vertritt dabei die Interessen aller Gläubiger von gruppenangehörigen Schuldnern der Unternehmensgruppe.60) 1.
Die Rechtsstellung der Konzerngesellschaft in der Eigenverwaltung61)
21 Bei einer Unternehmensinsolvenz bleibt die Gesellschaft als eigenverwaltende Schuldnerin verwaltungs- und verfügungsbefugt und wird durch ihre Organe vertreten.62) Ausnahmen davon, dass der Schuldner i. R. der Eigenverwaltung verwaltungs- und verfügungsberechtigt ist, regelt § 280 InsO, wonach es dem Sachwalter vorbehalten bleibt, die ___________ 54) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 283 f. 55) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 214, § 5 Rz. 7; Specovius/ Uffmann, ZIP 2016, 295 ff. 56) AG Köln, Beschl. v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210; dazu Siemon, NZI 2018, 189; AG Freiburg, Beschl. v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238; Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295, 297. 57) Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 22. 58) Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 279 f. 59) Frege/Nicht, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 228; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 287. 60) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 34. 61) Zur Rechtsstellung des Schuldners i. Allg. während der Eigenverwaltung s. § 11 Rz. 1 ff. 62) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 285; Gutsche, Die Organkompetenzen im Insolvenzverfahren, Rz. 316; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 333.
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Ansprüche nach §§ 92, 93 InsO und Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO durchzusetzen (siehe dazu ausführlich § 12 Rz. 1 ff.). Der Sachwalter verfolgt darüber hinaus auch die Ansprüche aus § 93 Abs. 5 Satz 4, § 117 Abs. 5 Satz 3 AktG. Nach den Regelungen der §§ 270 ff. InsO bleibt die Geschäftsleitung grundsätzlich be- 22 stehen und hat die dem Schuldner durch die Eigenverwaltung zugewiesenen Aufgaben zu übernehmen. Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 108 Abs. 1 InsO bleiben die Anstellungsverhältnisse der Vertretungsorgane bestehen. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Vergütung der Mitglieder der Gesellschaftsorgane. Sie kann gerade in Konzerngesellschaften sehr hoch sein, so dass dieser Umstand bei der Nachteilsprognose vor der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung zu berücksichtigen ist (siehe Rz. 17).63) Es ist jedoch nicht Voraussetzung, dass die alte Geschäftsleitung beibehalten wird, damit die Eigenverwaltung angeordnet werden kann.64) Vielmehr ist es bei Konzerninsolvenzen üblich, die Geschäftsleitung mit Restrukturierungs- und/oder Insolvenzrechtsspezialisten zu besetzen. Die Geschäftsleitung unterliegt den gesellschaftsrechtlichen Bindungen nur so weit, wie auch ein Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren durch diese gebunden wäre.65) Das bedeutet, dass insolvenzverfahrenszweckwidrige Weisungen im Innenverhältnis unbeachtlich sind.66) Die Eigenverwaltung im Konzern kann sich auf einzelne Konzerngesellschaften beschränken 23 oder sämtliche Konzernglieder umfassen. Im letzteren Fall wird nicht nur die Binnenstruktur der einzelnen Gesellschaft, sondern des gesamten Konzerns aufrechterhalten.67) Die Konzernleitungsmacht besteht zunächst durch die alle Konzernglieder erfassende Eigenverwaltung fort.68) Die Ausübung der Konzernleitungsmacht hat allerdings unter Beachtung der Funktion des Insolvenzverfahrens zu geschehen.69) Das bedeutet, dass insolvenzrechtliche Regelungen, die die Leitungsmacht beschränken, Vorrang gegenüber gesellschaftsrechtlichen Regelungen haben, da die Wahrung der Gläubigerinteressen im Vordergrund steht. Das gilt aufgrund der engen Verflechtung auch für die Eigenverwaltung in der GmbH & Co. KG, wenngleich diese nicht dem klassischen Konzernmodell entspricht. Gemäß § 291 Abs. 1 AktG kann sich eine AG oder eine KGaA durch einen Beherrschungs- 24 vertrag der Leitung eines anderen Unternehmens unterwerfen (Vertragskonzern). Für eine Gesellschaft in der Rechtsform der GmbH gilt das entsprechend.70) Der Beherrschungsvertrag berechtigt die Muttergesellschaft, der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft Weisungen zu erteilen (§ 308 AktG), so dass die Muttergesellschaft die Konzernleitungsmacht innehat. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Beherrschungsvertrag in die Struktur der abhängigen Gesellschaft eingreift und die innergesellschaftliche Kompetenzzuweisung modifiziert.71) In der Konzerninsolvenz steht der Ober- sowie der Untergesell___________ 63) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 207, Fn. 952. 64) So aber AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636, 1639; a. A. Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 44 ff. 65) Görg/Stockhausen, in: FS Metzeler, 2003, S. 105, 107; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 782. 66) Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 307. 67) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 304 ff., 318 ff., 324 ff.; a. A. Flöther, in: FS Kübler, 2015, S. 147, 148. 68) Ausf. zu den Folgen für die Konzernleitungsmacht Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 ff., 321; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 395; a. A. Brünkmans, in: MünchKomm-InsO, Konzerninsolvenzrecht Rz. 5, 83; a. A. Flöther, in: FS Kübler, 2015, S. 147, 148. 69) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 320; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 250. 70) Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rz. 6. 71) BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 331 = ZIP 1989, 29, 31, dazu EWiR 1989, 59 (Schulze-Osterloh); Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 398.
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
schaft grundsätzlich ein außerordentliches Kündigungsrecht, § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG, zu.72) Besteht ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, ist umstritten, ob dieser trotz Anordnung der Eigenverwaltung erhalten bleibt.73) Soweit vertreten wird, dass ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht endet, wird dieser jedenfalls durch die insolvenzrechtlichen Beschränkungen überlagert. Der praktische Wert besteht darin, dass im Sanierungsfall mit dem Fortsetzungsbeschluss die Wirkungen des Unternehmensvertrages wiederhergestellt werden.74) Ein Weisungsrecht der Mutter- oder Obergesellschaft bleibt erhalten, sofern es nicht dem Insolvenzzweck aus § 1 InsO zuwiderläuft und ein ggf. bestehendes Ausgleichssystem auch während der Eigenverwaltung vollzogen wird.75) Die Verlustausgleichspflicht, § 302 Abs. 1 AktG, dient als Gegenstück für die Möglichkeit der Obergesellschaft, nachteilige Weisungen erteilen zu können. Hier können sich Schwierigkeiten ergeben, wenn z. B. eine aus dem Vertrag folgende Verlustausgleichspflicht nicht mehr erfüllt werden kann, weil sowohl die ausgleichspflichtige Konzerngesellschaft als auch die der Leitungsmacht unterworfene Gesellschaft insolvent sind.76) 25 Lösen ließe sich dieses Problem im Fall der Insolvenz beider Vertragspartner dadurch, dass der Sachwalter mögliche aus der Konzerneinbindung erwachsende Nachteile für die Gläubiger gemäß § 274 Abs. 3 InsO anzeigt. Als äußerstes Mittel können die Gläubiger die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen.77) Sofern die Beteiligten zur Kooperation bereit sind, besteht die – im Einzelfall zu bestimmende – bessere Lösung darin, für einen Nachteilsausgleich entsprechende Sondervereinbarungen zugunsten der Gläubiger im Insolvenzplan zu treffen (siehe dazu § 50 Rz. 90 ff.).78) 26 Ein Unternehmensverbund kann auch auf faktische Weise durch Mehrheitsbeteiligung des herrschenden Unternehmens an einer abhängigen Gesellschaft entstehen (faktischer Konzern). Zusätzlich zu der Abhängigkeit durch die Möglichkeit zur Leitungsausübung durch das die Mehrheit besitzende Unternehmen bedarf es der einheitlichen Leitung durch die Muttergesellschaft. Das bedeutet, dass sich die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Lenkung auf dem gesellschaftsrechtlichen Gefüge gründet.79) Besteht ein faktischer Konzern, gibt es kein ausdrücklich gesetzlich geregeltes Weisungsrecht der Konzernmutter.80) Für den faktischen Konzern im Aktienrecht gelten §§ 311 ff. AktG. Wird ein Nachteil nicht nach § 311 AktG von dem herrschenden Unternehmen ausgeglichen, macht es sich schadenersatzpflichtig, § 317 AktG. Bei Anordnung der Eigenverwaltung in einem faktischen Konzern wird überwiegend ebenfalls vom Fortbestand der Konzernleitungsmacht ausgegangen.81) Gesetzliche Regelungen dazu, welche Folgen die Insolvenz des faktisch herrschenden oder beherrschten Unternehmens auf die Rechte und Pflichten der ___________ 72) Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, Rz. 124 f. 73) Ausf. Darstellung des Streitstands bei Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 472, 473 ff., 483 ff. m. w. N. 74) Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, Rz. 125. 75) Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 402; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 321; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 274 f.; Böcker, GmbHR 2004, 1257, 1258. 76) Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 403; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 315. 77) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 319. 78) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 319; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 243. 79) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 f. 80) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 488; Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, Rz. 130. 81) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 501; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 f.; a. A. Brünkmans, in: MünchKomm-InsO, Konzerninsolvenzrecht Rz. 5, 83.
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Eigenverwaltung im nationalen Konzern
beteiligten Gesellschaften und ihrer Organe hat, gibt es nicht. Auch Rechtsprechung existiert hierzu – soweit ersichtlich – nicht.82) 2.
Folgen für die Überwachungsorgane nach Anordnung der Eigenverwaltung
Der Umfang gesellschaftsrechtlicher Bindungen und die Rolle der Aufsichtsorgane bei 27 angeordneter Eigenverwaltung waren lange Zeit streitig.83) Die gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Vorschriften haben eine jeweils unterschiedliche Schutzrichtung. Doch spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem die Eigenverwaltung angeordnet wird und die Verfügungsbefugnis des Schuldners erhalten bleibt, hat er sich allein an den Interessen der Gläubiger zu orientieren.84) Das Regelungskonzept der §§ 270 ff. InsO sieht eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Kompetenzverteilung vor. So wie das Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO keinen Beschränkungen unterliegt, steht auch dem Geschäftsleitungsorgan des Schuldners bei Anordnung der Eigenverwaltung das Verfügungsrecht ohne gesellschaftsrechtliche Beschränkungen zu.85) Es ergibt sich bereits aus §§ 275 ff. InsO, dass die Gesellschaftsorgane in den meisten Fällen an einer günstigen Verwertung interessiert sein sollten. Die Folge eines Blockadeverhaltens wäre die Aufhebung der Eigenverwaltung – ggf. auf Antrag der Gläubigerversammlung – und die Überleitung ins Regelinsolvenzverfahren, in dem die gesellschaftsrechtlichen Bindungen endgültig wegfallen.86) Im Fall der Eigenverwaltung einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechts- 28 persönlichkeit haben die Gesellschaftsorgane keinen Einfluss auf die Geschäftsführung87) des Schuldners, § 276a InsO. Grundgedanke der Regelung ist, dass die Überwachungsorgane88) keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben sollen, als wenn ein Insolvenzverwalter bestellt worden wäre. Der Begriff der „Geschäftsführung“ in § 276a InsO ist im insolvenzrechtlichen Sinn unter dem Aspekt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des § 80 InsO zu verstehen.89) Die Führung der Geschäfte hat sich in der Eigenverwaltung an den Interessen der Gläubiger zu orientieren.90) Allein Sachwalter und Gläubigerausschuss überwachen nun die Tätigkeit der Geschäftsführung.91) Im insolvenzfreien Bereich des Schuldners – z. B. Wahrnehmung der Verfahrensrechte des Schuldners – bleibt es bei der gesellschaftsrechtlichen Aufgabenverteilung.92) Auch hier ist jeder Einzelfall zu prüfen, denn gerade in der Phase der Sanierung bedarf es 29 häufig der Einbeziehung der Gesellschaftsorgane, da diese maßgeblich auf den weiteren Verlauf der Sanierung Einfluss nehmen können (zu den Kooperationspflichten der Gesellschaftsorgane siehe Rz. 48, 64 ff.).93) Es ist daher nicht notwendig, den Gesellschaftsor___________ 82) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 491. 83) Überblick zum Streitstand bei Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 299 ff.; vgl. auch Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777. 84) Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 778. 85) Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 780. 86) Görg/Stockhausen, in: FS Metzeler, 2003, S. 105, 107; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 778. 87) Zum Begriff der Geschäftsführung Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 208 f. 88) Teilweise wird das Verbot der Einflussnahme in der Literatur mit der Begründung, dass sachwidrige Einflussnahme durch Gesellschafter häufiger sei als durch Organe, auch auf Gesellschafter ausgedehnt, so Klöhn, NZG 2013, 81, 85. 89) Pleister, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 15; Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209. 90) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 63. 91) Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f. 92) Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209. 93) Vgl. auch Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f.
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
ganen zusätzlich die Befugnis zur Abberufung oder zum Austausch von Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern zu nehmen, da Wechsel in der Geschäftsleitung während des Verfahrens mitunter sinnvoll oder erforderlich sind.94) Um Rechtsmissbrauch vorzubeugen, hat der Sachwalter bei Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern jeweils seine Zustimmung zu erteilen. Die Zustimmung darf nur dann verweigert werden, wenn Nachteile für die Gläubiger zu befürchten sind, § 276a Satz 3 InsO. IV.
Koordinierung der Verfahren über mehrere Konzerngesellschaften
1.
Zuständigkeitskonzentration am Gruppen-Gerichtsstand
30 Basis für die Koordination von Konzerninsolvenzen ist der in den §§ 3a ff. InsO normierte Gruppen-Gerichtsstand. § 3a InsO enthält Gerichtsstandsregelungen, die es ermöglichen, die Insolvenzverfahren über das Vermögen von Unternehmen einer Unternehmensgruppe i. S. des § 3e InsO an demselben Insolvenzgericht zu führen,95) um damit eine zentralisierte und einheitliche Bearbeitung aller betroffenen Insolvenzverfahren zu bewirken. Dieser Gerichtsstand zur Verfahrenskonzentration gilt zusätzlich zu dem auch weiter für alle Schuldner bestehenden allgemeinen Gerichtsstand des § 3 Abs. 1 InsO. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Wahlmöglichkeit allen Fällen, d. h. auch solchen, in denen ein besonderer Koordinierungsbedarf nicht gegeben ist, gerecht werden.96) 31 Der Gruppen-Gerichtsstand kann bei dem Insolvenzgericht begründet werden, bei dem aus dem Kreis der gruppenangehörigen Schuldner der erste zulässige Insolvenzantrag gestellt wird, wobei der antragstellende Schuldner nicht von untergeordneter Bedeutung sein darf. Diese Vorgabe soll sich nach den Umständen des Einzelfalles bemessen.97) Die nicht abschließende Aufzählung in § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO bietet diesbezüglich eine Orientierungshilfe, d. h. der Schuldner ist dann nicht von untergeordneter Bedeutung, wenn die Zahl der von ihm im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer nicht unter 15 % liegt und entweder die Bilanzsumme mehr als 15 % der zusammengefassten Bilanzsummen der Unternehmensgruppe betrug oder die Umsatzerlöse des Schuldners mehr als 15 % der zusammengefassten Umsatzerlöse betrugen. Wird der Antrag von mehreren Schuldnern gestellt oder ist unklar, welcher Antrag zuerst gestellt wurde, ist nur derjenige zulässig, der von dem Schuldner gestellt wurde, bei dem die meisten Arbeitnehmer beschäftigt sind, § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO. Für den Gruppen-Gerichtsstand ist somit die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner maßgebend.98) Die inhaltlichen Anforderungen an den Antrag zur Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands bestimmt § 13a Abs. 1 InsO.99) 32 Gemäß § 3a Abs. 2 InsO dürfen keine Zweifel am gemeinsamen Interesse der Gläubiger an einer Verfahrenskonzentration bestehen. Maßgeblich sind hier die Interessen der jeweiligen Gläubiger der gruppenzugehörigen Unternehmen,100) da die Rechte der Gläubiger eines bestimmten Rechtsträgers nicht durch Mischung der Insolvenzmassen oder Wertverschiebungen beeinträchtigt werden dürfen.101) ___________ 94) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 63 f.; Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209 ff. 95) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 26 ff. 96) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 20. 97) v. Wilcken, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 57. 98) Mock, DB 2017, 951, 952; Mückl/Götte, ZInsO 2017, 623, 624. 99) Ausf. Holzer, in: KPB, InsO, § 13a Rz. 5 ff. 100) Brünkmans, ZIP 2013, 193; Grell/Splittgerber, DB 2017, 1497, 1500. 101) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2331 f.
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Eigenverwaltung im nationalen Konzern
Wird von einer Konzerngesellschaft bei einem anderen Gericht als dem des Gruppen- 33 Gerichtsstands die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, regelt § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO, dass das angerufene Gericht das Verfahren an das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands verweisen kann. Das verweisende Gericht muss prüfen, ob die Verweisung im Interesse der Gläubiger ist, wobei der Verfahrensstand zu berücksichtigen ist.102) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Antragsrecht hinsichtlich des Gruppen- 34 Gerichtsstands auf den Insolvenzverwalter, § 3a Abs. 3 InsO, bzw. den eigenverwaltenden Schuldner, § 3a Abs. 3 i. V. m. § 270d Satz 2 InsO, über.103) Dem Sachwalter steht kein Antragsrecht zu, da dieser lediglich die Aufgabe hat, die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen. Ebenso wenig steht der Antrag des Schuldners auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Sachwalters.104) Für die Gruppen-Folgeverfahren ist dann auch derselbe Insolvenzrichter zuständig, § 3c 35 InsO, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden.105) 2.
Bestellung eines Insolvenzverwalters/Sachwalters für alle gruppenangehörigen Schuldner
Sind Insolvenzverfahren über gruppenangehörige Unternehmen bei mehreren Insolvenz- 36 gerichten anhängig, regelt § 56b Abs. 1 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO die Pflicht zur Abstimmung der Insolvenzgerichte über die Einsetzung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters, wenn dies im Interesse der Gläubiger liegt. Die Insolvenzgerichte haben insbesondere zu erörtern, ob die ausgewählte Person ihr Amt in allen Verfahren über die gruppenangehörigen Schuldner mit der notwendigen Unabhängigkeit ausüben kann und ob sich ergebende Interessenkonflikte durch Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters gelöst werden können, § 56b Abs. 1 Satz 2 InsO. Eine genauere Definition der Anforderungen an die Person des Gruppen-Insolvenzverwalters enthält § 56b InsO nicht. Ist allerdings ein Gruppen-Gerichtsstand etabliert, folgt daraus in aller Regel die Notwendigkeit eines einheitlichen Insolvenzverwalters. Es ist zu erwarten, dass sich dessen Arbeitsaufwand und demzufolge die Vergütung reduzieren, was sich in einer Quotenerhöhung für die Gläubiger niederschlägt.106) Ist in einem Verfahren über einen gruppenangehörigen Schuldner ein vorläufiger Gläubi- 37 gerausschuss bestellt, sind die Gläubiger dieses Schuldners gemäß § 56a InsO, der in den einzelnen Verfahren gilt, an der Verwalterbestellung zu beteiligen. Die Vorschrift wird durch § 56b Abs. 2 InsO modifiziert. So sieht § 56b Abs. 2 InsO vor, dass das Gericht von dem Vorschlag des eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschusses abweichen kann, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss eines anderen gruppenangehörigen Schuldners einstimmig eine geeignete andere Person als Verwalter bestimmt. Die in § 56a InsO vorgeschriebene Beteiligung der Gläubiger wird dadurch nur insoweit eingeschränkt, als es in Bezug auf die Konzernbindung notwendig ist.107) Aus der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen ergibt sich auch die Zulässigkeit der 38 Bestellung eines einheitlichen Sachwalters in den Fällen, in denen bei mehreren Unter___________ 102) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 20. 103) Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 7 ff. 104) Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 7 ff. 105) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 27 f.; so angeregt von Vallender, Der Konzern 2013, 162, 166. 106) Mock, DB 2017, 951, 952. 107) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 56b InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 31.
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
nehmen die Eigenverwaltung angeordnet wird, denn gemäß § 274 i. V. m. § 56b InsO haben sich die Gerichte auch über diese Frage abzustimmen.108) Die einheitliche Sachwalterbestellung109) empfiehlt sich v. a. bei der Eigenverwaltung in der GmbH & Co. KG, auch wenn diese nicht dem klassischen Konzern entspricht. Ferner ist die einheitliche Sachwalterbestellung geboten, wenn alle Eigenverwaltungsverfahren einer Konzerninsolvenz an demselben Gericht anhängig sind.110) 3.
Koordination und Kooperation i. R. der Eigenverwaltung gemäß § 270d InsO
39 Auch ohne Verfahrensparallelität ist die Zusammenarbeit von Schuldner, Gläubigern und Sachwalter(n) für ein erfolgreiches Eigenverwaltungsverfahren unbedingt notwendig,111) zumal die Eigenverwaltung Ansätze für Koordinierung und Kooperation bereits in sich trägt.112) 40 Bei einer beabsichtigten Sanierung, die der Schuldner im Vorfeld sorgsam vorbereitet hat, ist von einer Kooperationsbereitschaft auszugehen, wenn das tragfähige Sanierungskonzept auf Zustimmung der Gläubiger aller Konzernglieder stößt.113) 41 Der Nutzen der Verfahrenskoordination besteht in der Möglichkeit, die Haftungsmasse aller beteiligten Konzerngesellschaften zu steigern,114) da in einem koordinierten Verfahren u. a. Verwertungsentscheidungen an diesem Ziel ausgerichtet und optimiert werden können.115) Durch die Verfahrenskoordination darf sich die Haftungsmasse in keiner der beteiligten Gesellschaften vermindern und muss sich bei mindestens einer Konzerngesellschaft erhöht haben (sog. Pareto-Prinzip)116).117) 42 Um aufeinander abgestimmte Verfahren zu erreichen, bedarf es – wenn die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands nicht möglich oder sinnvoll ist und nicht derselbe Insolvenzverwalter/Sachwalter eingesetzt wird – der Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter und im Fall der Eigenverwaltung aller Beteiligten, d. h. der Gläubiger, des Schuldners und seiner Gesellschafter sowie der Sachwalter und der Insolvenzgerichte. Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung der Konzerninsolvenzen regelt in einem nach § 269 InsO eingefügten Siebten Teil Vorschriften über die Koordinierung der Verfahren von Schuldnern, die derselben Unternehmensgruppe angehören. Die Zusammenarbeit soll auf drei Ebenen stattfinden: Die Insolvenzverwalter, die Insolvenzgerichte und die (vorläufigen) Gläubigerausschüsse sollen miteinander weitgehend kooperieren. Darüber hinaus wird die Möglichkeit eines Koordinationsverfahrens mit einem Verfahrenskoordinator eingeräumt, §§ 269d ff. InsO.118) ___________ 108) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 41. 109) Gummert, in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 2, § 55 Rz. 3. 110) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 41. 111) Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 649. 112) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 102. 113) Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 281. 114) Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 533. 115) Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 533. 116) Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269a Rz. 17; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 551. 117) Kübler, ZGR 1984, 560, 589. 118) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 35; das Modell des Verfahrenskoordinators wurde auch in die Neuregelungen der EuInsVO aufgenommen (Art. 71 ff.).
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Eigenverwaltung im nationalen Konzern
Bleibt der Schuldner in allen Verfahren verfügungsbefugt, wird vermieden, dass in den 43 parallelen Verfahren unterschiedliche Abwicklungsstrategien durchgesetzt werden und es zu unnötigen Verfahrensverzögerungen zulasten der Gläubiger kommt.119) Mit der Eigenverwaltung und der Aufrechterhaltung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Schuldners geht auch ein nicht zu vernachlässigender psychologischer Aspekt für die Gläubiger und Lieferanten einher. Daraus ergeben sich u. U. bessere Sanierungs- und Verwertungschancen und die Möglichkeit, die Insolvenzmasse zu erhöhen. 3.1
Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter/Sachwalter
Die Einführung von Kooperationspflichten folgt aus Erfahrungen in internationalen In- 44 solvenzverfahren120) und aufgrund des Einflusses der EuInsVO.121) Hier wird v. a. die Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Verwalter im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren geregelt. Auch auf europäischer Ebene hat man erkannt, dass es zur besseren Bewältigung von Konzerninsolvenzen weiterer Regelungen bedarf, und diese in die EuInsVO aufgenommen.122) Der Ansatz, Verträge oder Vereinbarungen zwischen den Verfahrensbeteiligten zu schließen bzw. im Fall der Eigenverwaltung solche Vereinbarungen zu überwachen, bringt zahlreiche Vorteile und war bislang mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen nicht erzwingbar. Eine Kooperationspflicht der Insolvenzverwalter in Parallelverfahren konnte bisher in Be- 45 tracht kommen, wenn die Gläubiger im Insolvenzplan eine solche Verpflichtung der Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter der einzelnen Verfahren festgelegt hatten. Die Kooperation im Wege gesellschaftsrechtlicher Einflussnahme wird grundsätzlich abgelehnt, da Insolvenzverwalter unabhängig sind. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn im Parallelverfahren die Eigenverwaltung angeordnet worden ist und die ursprüngliche Organzuständigkeit bestehen bleibt (siehe dazu Rz. 20, 22, 55 ff.).123) Die Pflicht zur Zusammenarbeit gilt unabhängig von der Einleitung eines Koordinations- 46 verfahrens gemäß §§ 269d ff. InsO. Die Regelungen in § 269f und § 269h InsO bieten eine Orientierung dafür, welchen Inhalt die Zusammenarbeit der Verwalter unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten haben kann.124) Die Kooperationspflicht besteht nur in dem Umfang, wie Interessen der Beteiligten im „eigenen“ Verfahren nicht betroffen sind,125) d. h. der Verwalter ist nicht vorrangig dem Gesamtgläubigerinteresse, sondern seinem Verfahren dergestalt verpflichtet, dass der Bezug zu den anderen gruppenangehörigen Verfahren zum Vorteil für die eigene Masse hergestellt wird.126) Die Kooperationspflicht ist eine echte Rechtspflicht der Einzelverwalter,127) auch wenn 47 die Formulierung in § 269a InsO sehr allgemein gehalten ist.128) Da die Fallgestaltungen vielfältig sind, ist es indessen kaum möglich, vorab konkrete Kooperationspflichten ab___________ 119) 120) 121) 122)
123) 124) 125) 126) 127) 128)
Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 103. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269a Rz. 4. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269a Rz. 4; Fendel, in: Braun, InsO, § 269a Rz. 2. Art. 56 (Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter) der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung), ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015; s. dazu nachfolgend § 20 Rz. 23 ff. Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 232. Kübler, in: FS Vallender, 2015, S. 291, 295. Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2331; ausf. zu den Grenzen der Kooperationspflicht Kübler, in: FS Vallender, 2015, S. 291, 297. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269a Rz. 18 f.; Thole, in: KPB, InsO, § 269a Rz. 3. Ausf. Kübler, in: FS Vallender, 2015, S. 291. Kübler, in: FS Vallender, 2015, S. 291, 294.
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schließend gesetzlich zu regeln.129) § 269a InsO verpflichtet die Verwalter der gruppenangehörigen Schuldner zur Unterrichtung und Zusammenarbeit und zur unverzüglichen Mitteilung der Informationen, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können. Die Unterrichtung und die Mitteilung von Informationen stellen dabei nur einen Unterfall der Zusammenarbeit dar.130) So kann es darüber hinaus um die Mitwirkung bei der Herausgabe von Dokumenten, der Mitteilung wichtiger Termine, der Vornahme bestimmter Verwertungshandlungen, um die Vorlage und die Abstimmung über den Inhalt eines Insolvenzplans oder um verfahrensleitende Maßnahmen gehen.131) 48 In der Eigenverwaltung trifft den Schuldner, d. h. seine handelnden Organe,132) die Kooperationsobliegenheit, § 270d Satz 1 InsO. Das bedeutet, dass die Organe des eigenverwaltenden Schuldners mit den anderen beteiligten Verwaltern, Sachwaltern und ggf. weiteren eigenverwaltenden Schuldnern zusammenarbeiten müssen.133) Gegebenenfalls umfasst dies auch die Pflicht zum Abschluss eines Kooperationsvertrages („protocol“) gemäß §§ 270d, 269h Abs. 2 Nr. 3 InsO im Einvernehmen mit dem Sachwalter und unter Zustimmung des Gläubigerausschusses.134) Ob die Geschäftsführung einer insolventen Gesellschaft in der Lage ist, den Pflichten i. S. des § 269a InsO zu entsprechen, wird die Praxis zeigen. Zuweilen wird bislang so vorgegangen, dass der Sachwalter einen Kooperationsrahmen vorgibt.135) 49 Der Gesetzgeber hat versäumt, die Kooperationspflichten der (vorläufigen) Sachwalter zu regeln, da § 274 InsO keine Bezugnahme auf § 269a InsO enthält. Würde man die Inbezugnahme in § 274 InsO und in § 270d InsO jedoch als abschließend erachten, wäre das mit dem Ziel der Sanierungsförderung in der Konzerninsolvenz nicht zu vereinbaren.136) Bis zu einer gesetzlichen Klarstellung wird § 270d InsO in dem Sinne auszulegen sein, dass zum Zweck der Sanierung in der Eigenverwaltung im Fall, dass entgegen § 56b InsO mehrere (vorläufige) Sachwalter bestellt werden, diese nach § 269a i. V. m. § 270d InsO hinsichtlich der speziell dem Sachwalter obliegenden Aufgaben untereinander zur Unterrichtung und Zusammenarbeit verpflichtet sind.137) 3.2
Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte
50 Auch die Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte – über die in § 56b InsO geregelte Abstimmung bei der Insolvenzverwalter-/Sachwalterbestellung hinaus – ist für die effektive Koordinierung von Insolvenzverfahren gruppenangehöriger Unternehmen unverzichtbar, sofern kein Gruppen-Gerichtsstand begründet wurde,138) § 269b InsO. Die Koordinierung der einzelnen Verfahren soll Entscheidungen der Insolvenzgerichte verhindern, die eine Entscheidung eines anderen Gerichts beeinträchtigen, und die Verbesserung des Gesamtergebnisses der Verfahrensabwicklung fördern.139) Die Vorschrift sieht insbesondere ___________ 129) 130) 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138)
139)
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Kübler, in: FS Vallender, 2015, S. 291, 294. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 32. Ausf. Kübler, in: FS Vallender, 2015, S. 291, 298 f. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269a Rz. 22; Thole, KTS 2014, 351, 370. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 2; Specovius, in: Braun, InsO, § 270d Rz. 7; Thole, in: KPB, InsO, § 269a Rz. 14 f. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 542. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269a Rz. 22. Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 3; Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2335. Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2335; Flöther, in: FS Kübler, 2015, S. 147, 156; vermittelnde Auffassung Thole, in: KPB, InsO, § 269a Rz. 16; abl. Fendel, in: Braun, InsO, § 269a Rz. 14. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269b InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 33; auf europäischer Ebene regelt Art. 57 EuInsVO die Zusammenarbeit und Kommunikation der Gerichte, s. hierzu nachfolgend § 20 Rz. 23 ff. Thole, in: KPB, InsO, § 269b Rz. 3.
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Eigenverwaltung im nationalen Konzern
den Austausch von Informationen im Hinblick auf angeordnete Sicherungsmaßnahmen, Verfahrenseröffnung, Bestellung des Insolvenzverwalters, wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen, den Umfang der Insolvenzmasse, die Vorlage von Insolvenzplänen und sonstige Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens vor. Angesichts der Vielfalt möglicher Verfahrenskonstellationen und relevanter Informationen hat der Gesetzgeber auch hier keine abschließenden Vorgaben gemacht.140) Umfang und Ausgestaltung der Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte hängen vom konkreten Verfahren ab.141) So kommen i. R. der Kooperationspflichten der Insolvenzgerichte ebenso Informationspflichten bei angeordneter Eigenverwaltung in Betracht, auch wenn ein solcher Verweis in § 270d InsO fehlt, da die konzerninsolvenzrechtlichen Instrumentarien auch dann Anwendung finden, wenn in Bezug auf einen oder mehrere gruppenangehörige Schuldner eine Eigenverwaltung angeordnet worden ist.142) 3.3
Koordinationsverfahren
Das Koordinationsverfahren wird auf Antrag eines jeden gruppenangehörigen Schuldners 51 bzw. eines (starken vorläufigen) Insolvenzverwalters oder eines einstimmig handelnden (vorläufigen) Gläubigerausschusses von dem Koordinationsgericht, dem Gericht, das gemäß § 3a InsO für Gruppen-Folgeverfahren zuständig ist, eingeleitet, § 269d Abs. 1 InsO. Es bedarf daher zunächst der Beantragung eines Gruppen-Gerichtsstands, doch können beide Anträge gleichzeitig gestellt werden.143) Antragsberechtigt sind die Organe der gruppenangehörigen Schuldner, sofern über deren Vermögen noch kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Anderenfalls tritt der (starke vorläufige) Insolvenzverwalter sowie der jeweils eingesetzte (vorläufige) Gläubigerausschuss auf Grundlage eines einstimmigen Beschlusses an die Stelle des Organs des jeweiligen Unternehmens. Dem eigenverwaltenden Schuldner steht nach Verfahrenseröffnung das Antragsrecht zu, § 270d Satz 2 InsO. Der Antrag auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens unterliegt zwar keinen besonderen Anforderungen, doch wird das zuständige Insolvenzgericht ein Koordinationsverfahren nur dann einleiten, wenn ein solches für die einzelnen Insolvenzverfahren und die Gläubiger vorteilhaft ist, § 269d i. V. m. § 3a Abs. 2 InsO. Die Entscheidung hierüber liegt im Ermessen des Gerichts. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll kein Koordinationsverfahren angeordnet werden, wenn keine Vorteile zu erwarten sind, die in einem angemessenen Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten stehen würden.144) Weitere Erläuterungen dazu enthält die Gesetzesbegründung nicht, sodass diese Voraussetzung u. a. im Wege des Richterrechts zu entwickeln sein wird.145) Im Zentrum des Koordinationsverfahrens steht der Verfahrenskoordinator, den gemäß 52 § 269e Abs. 1 Satz 1 das Koordinationsgericht bestellt. Der Verfahrenskoordinator muss eine von den gruppenangehörigen Schuldnern und von den Gläubigern unabhängige Person sein, § 269e Abs. 1 Satz 1 InsO. Dieses Erfordernis ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen der Insolvenzverwalterbestellung, § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO. Darüber hinaus soll der Verfahrenskoordinator auch nicht aus dem Kreis der Insolvenz- und Sachwalter ___________ 140) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269b InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 33; Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269b Rz. 4 a. E.; Specovius/Kuske, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 95 Rz. 55. 141) Thole, in: KPB, InsO, § 269b Rz. 17. 142) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 41. 143) So Mock, DB 2017, 951, 955. 144) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 35. 145) Verhoeven, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 21 D. Rz. 91.
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
der gruppenangehörigen Schuldner stammen, § 269e Abs. 1 Satz 2 InsO. Daraus folgt, dass das Koordinationsverfahren auch für Konzerngesellschaften in Eigenverwaltung gilt. Vor seiner Bestellung muss der Gruppen-Gläubigerausschuss die Möglichkeit erhalten, sich zur Person des Verfahrenskoordinators zu äußern und zu den an ihn zu stellenden Anforderungen Stellung zu nehmen, § 269e Abs. 2 InsO. In Anlehnung an § 56a Abs. 2 InsO ist das Koordinationsgericht grundsätzlich an einen einstimmigen Vorschlag des Gruppen-Gläubigerausschusses gebunden.146) 53 Der Verfahrenskoordinator fungiert als zentrale Verfahrensperson und ist für eine abgestimmte Verfahrensabwicklung im Interesse der Gläubiger verantwortlich, § 269f Abs. 1 Satz 1 InsO. In Erfüllung dieses Amtes hat er die Aufgabe, Empfehlungen für eine abgestimmte Insolvenzabwicklung zu erarbeiten, und kann insbesondere einen Koordinationsplan vorlegen, § 269f Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 269h Abs. 1 Satz 1 InsO, dem jedoch keine rechtsgestaltende Funktion mit Auswirkungen auf die materielle Rechtslage zukommt und der allenfalls Empfehlungen für ggf. zu erstellende Insolvenzpläne oder das weitere Vorgehen in der Eigenverwaltung enthält. Für dieses Amt sind dementsprechend v. a. Personen geeignet, die nachweislich über insolvenzrechtliche und betriebswirtschaftliche Expertise verfügen. Ist kein Verfahrenskoordinator bestellt, können auch die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner gemeinsam dem Gericht den Koordinationsplan vorlegen, § 269h Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO. 54 Neben der Vorbereitung eines Koordinationsplans, § 269h InsO, kommen weitere Koordinationsmaßnahmen, die einer abgestimmten Verfahrensabwicklung förderlich sind, in Betracht. So kann der Verfahrenskoordinator ein Gremium bilden, in dem Probleme, die sich in allen Verfahren stellen – bspw. hinsichtlich der Bewertung und Behandlung von konzerninternen Transaktionen und Forderungssalden –, erörtert und einer einheitlichen Lösung zugeführt werden.147) Um die Kompetenzen des Verfahrenskoordinators zu sichern, sind die Insolvenzverwalter verpflichtet, mit diesem zusammenzuarbeiten und ihm insbesondere die für seine Tätigkeit maßgeblichen Informationen zu erteilen, § 269f Abs. 2 InsO. Ob auch die Sachwalter und/oder den eigenverwaltenden Schuldner diese Pflicht trifft, ist nicht ausdrücklich geregelt, wird aber aus der Anwendung der allgemeinen Vorschriften hergeleitet werden können, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO.148) Da ein Koordinationsverfahren zusätzlichen Abstimmungsaufwand erfordert, wird die Praxis zeigen, inwieweit es der Stärkung der Eigenverwaltung zuträglich ist.149) In Konzernstrukturen bedarf es erfahrungsgemäß v. a. einer Kombination aus Konzerngerichtsstand mit der Anordnung der Eigenverwaltung und dem Insolvenzplanverfahren, um eine Sanierung erfolgreich zu realisieren.150) 3.4
Verfahrenskoordination durch Aufrechterhaltung der Konzernleitungsmacht
55 Bei angeordneter Eigenverwaltung bleibt der Schuldner prinzipiell verwaltungs- und verfügungsbefugt, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO. Ist er eine Kapitalgesellschaft, handelt er durch seine Organe. Zu den Pflichten der Geschäftsleitung im Allgemeinen gehören insbesondere die ständige Kontrolle der Umsetzbarkeit des Sanierungsziels, die Liquiditätsplanung, ___________ 146) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 36; so auch Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2336. 147) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 35. 148) Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 270d Rz. 4; Thole, in: KPB, InsO, § 269f Rz. 17. 149) Krit. Stahlschmidt/Bartelheimer, ZInsO 2017, 1010, 1016; ebenso Frind, ZInsO 2014, 927, 936 f., der den Koordinationsverwalter als zusätzliche, kostenträchtige Belastung der Massen einschätzt; Madaus, ZRP 2014, 192, 194 ff. 150) Specovius, in: Braun, InsO, § 270d Rz. 1; ähnl. Leithaus/Schäfer, KSzW 2012, 272, 277; Schneider/ Höpfner, BB 2012, 87, 88.
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§ 19
Eigenverwaltung im nationalen Konzern
das Controlling, die Ertragsplanung sowie die Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht dem Sachwalter zugewiesen sind (siehe zu den Aufgaben des Schuldners bei Anordnung der Eigenverwaltung § 11 Rz. 12 ff.). Die gesellschaftsrechtlichen Geschäftsleiterpflichten nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, 56 § 43 Abs. 1 GmbHG werden durch die insolvenzrechtliche Verpflichtung zur Maximierung der vorhandenen Haftungsmasse beeinflusst. Das bedeutet, dass den Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Konzerngesellschaft dieselben Koordinationspflichten treffen wie den Insolvenzverwalter bei Fremdverwaltung. Es bestehen zum einen Informations- und Konsultationspflichten und zum anderen Pflichten bezüglich der Vertragsbeziehungen zwischen den Konzerngesellschaften, der Vorlage entsprechender Insolvenzpläne oder des Abschlusses von Kooperationsverträgen.151) Der Kooperationsvertrag ist im Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen nicht ausdrücklich geregelt. Aus § 269h Abs. 2 Nr. 3 InsO ergibt sich jedoch, dass solche Verträge möglich und zulässig sind.152) Bei der Vorlage des Insolvenzplans werden §§ 157, 218 InsO durch § 284 InsO ergänzt. Zum Abschluss eines Kooperationsvertrages ist im Fall der Eigenverwaltung,153) wie sich aus § 270d InsO ergibt, nur der Schuldner befugt (siehe Rz. 48). Die Aufrechterhaltung der Konzernleitungsmacht ist für ein sanierungsfreundliches 57 Konzerninsolvenzrecht wichtig (siehe Rz. 23 ff.).154) Zumindest sollten Leitungsmacht und die damit einhergehenden Eingriffsmöglichkeiten in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften faktisch bestehen bleiben,155) um die Verfahrenskoordination zu unterstützen.156) Die faktische Beherrschungsmöglichkeit hat sich dann an § 1 Satz 1 InsO zu orientieren. Im Rahmen der Eigenverwaltung kann dies zur Erzielung eines Mehrwerts für die Masse(n) führen.157) Die Aufrechterhaltung der Leitungsmacht bei der Eigenverwaltung in der GmbH & Co. 58 KG ist dagegen nicht ohne weiteres möglich, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementär-GmbH – sofern nicht etwas Abweichendes vertraglich bestimmt wurde – nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB zu ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft führt.158) Die bisherigen oder ggf. neu eingesetzten Geschäftsführer können folglich keinen weiteren Einfluss auf das Eigenverwaltungsverfahren der KG nehmen, was zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Daher wird in der Literatur angeregt, § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB im Fall der „Simultaninsolvenz“159) teleologisch zu reduzieren. Die Insolvenz der persönlich haftenden Gesellschafterin (Komplementär-GmbH) soll dann gerade nicht zu deren Ausscheiden aus der KG, insbesondere nicht zum Erlöschen einer zweigliedrigen GmbH & Co. KG führen, um eine koordinierte Verfahrensabwicklung zu ermöglichen.160) ___________ 151) Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 554. 152) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 40. 153) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 41. 154) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 205; Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 483 ff. m. w. N., Rz. 501; ausf. Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 ff.; so auch Verhoeven, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 21 C. Rz. 44; a. A. Brünkmans, in: MünchKomm-InsO, Konzerninsolvenzrecht Rz. 83. 155) Pleister/Theusinger, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 205. 156) Verhoeven, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 21 C. Rz. 45. 157) Pleister, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 205. 158) Vgl. ausf. Liebs, ZIP 2002, 1716. 159) K. Schmidt, in: MünchKomm-HGB, § 131 Rz. 76, 76a. 160) K. Schmidt, in: MünchKomm-HGB, Anh. § 158 Rz. 67.
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§ 19 3.5
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern Gläubiger
59 Da es im Insolvenzverfahren vorrangig um die Interessen der Gläubiger geht, stellen diese – auch für die Kooperation – eine wichtige Gruppe dar. Aufgrund der vielfältigen Einfluss- und Blockademöglichkeiten besitzen sie eine Schlüsselposition im Hinblick auf die Umsetzung oder das Fehlschlagen effizienter Koordinationsstrategien. Eine Pflichtenbindung rechtlich zu begründen, ist jedoch schwierig. 60 Die Vorschrift des § 276 InsO überträgt den Gläubigern durch die Verweisung auf § 160 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 161 Satz 2 und § 164 InsO ähnliche Rechte wie im Regelverfahren. Auch in der Eigenverwaltung sind Gläubigerversammlung und (vorläufiger) Gläubigerausschuss als Organe der Insolvenzgläubiger vorgesehen. Die Wandlung der Stellung vom Gläubiger zum Insolvenzgläubiger hat zur Folge, dass die Eigeninteressen nur als Gruppe verfolgt werden können und der Einzelne Rücksicht auf die Interessen der Mitgläubiger nehmen muss.161) Im Fall der Insolvenz kann die wechselseitige Einwirkungsmöglichkeit Grundlage für eine Treuepflicht sein, aus der sich die Pflicht zur Kooperation oder zum Unterlassen unkooperativen Verhaltens unter den Beteiligten ergibt.162) Mit der Anordnung der Eigenverwaltung und der Entscheidung, einen Insolvenzplan aufzustellen, kommen den Insolvenzgläubigern ein größeres Mitspracherecht und damit verbunden stärkere Einwirkungsmöglichkeiten zu. Daraus leitet sich auch eine Pflicht zur Kooperation ab.163) Sind es mehrere Konzerngesellschaften, so besteht die Treuepflicht zwischen den Gläubigern aller betroffenen Gesellschaften, da ein gemeinsames Interesse an der Abwicklung besteht.164) Diese Pflicht kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn das als Insolvenzgläubiger auftretende Unternehmen besondere Kenntnisse über Konzerninterna hat.165) 61 Im Rahmen der Festschreibung von Kooperationspflichten regelt § 269c InsO, der über die allgemeinen Vorschriften auch bei Anordnung der Eigenverwaltung gilt, die Zusammenarbeit der (vorläufigen) Gläubigerausschüsse. Zur besseren Koordinierung kann auf Antrag eines in einem Insolvenzverfahren eines gruppenangehörigen Schuldners bestellten Gläubigerausschusses ein sog. Gruppen-Gläubigerausschuss etabliert werden, der die Interessen aller Gläubiger von Schuldnern der Unternehmensgruppe – z. B. bei der Bestellung des Verfahrenskoordinators, § 269e Abs. 2 InsO und bei der Zustimmung zum Koordinationsplan, § 269h Abs. 1 Satz 2 InsO – wahrnimmt. Das Antragsrecht steht dem Gläubigerausschuss als Organ zu und kann nicht von einem einzelnen Gläubigerausschussmitglied allein ausgeübt werden.166) Der Antrag kann bereits im Eröffnungsverfahren von einem vorläufigen Gläubigerausschuss gestellt werden, § 269c Abs. 1, 3 InsO. Vor der Einsetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses sind die anderen Gläubigerausschüsse anzuhören, § 269c Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Entscheidung über die Einsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses steht im Ermessen des Gerichts des Gruppen-Gerichtsstands. Die Einsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses von Amts wegen167) bzw. einen Pflicht(-Gruppen)Gläubigerausschuss i. S. des § 22a Abs. 1 InsO sieht das Gesetz nicht vor.168) Auch wenn eine ausdrückliche Vorgabe zur Auswahl der Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses ___________ 161) 162) 163) 164) 165) 166) 167) 168)
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Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, 2003, Rz. 118. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, 2003, Rz. 290. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, 2003, Rz. 328. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 555. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, 2003, Rz. 528. Kübler, in: KPB, InsO, § 69 Rz. 16. Hoffmann, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 80. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 34; Fendel, in: Braun, InsO, § 269c Rz. 3.
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fehlt, ist davon auszugehen, dass jeweils eine Person aus den einzelnen Gläubigerausschüssen in den Gruppen-Gläubigerausschuss entsandt wird.169) Gegen die Entscheidung des Gerichts über Einsetzung oder Nichteinsetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses sowie die konkrete Besetzung gibt es kein Rechtsmittel.170) Ausweislich der Gesetzesbegründung statuiert § 269c InsO allerdings keine Pflicht der 62 Gläubiger oder Gläubigerorgane zur Zusammenarbeit. Der Gesetzgeber hat bewusst von einer Regelung der Frage, ob sich ggf. Kooperationspflichten der Gläubiger unterschiedlicher Konzerngesellschaften aus § 242 BGB oder gesellschaftsähnlicher Beziehung ableiten lassen, abgesehen und überlässt die Klärung dieser Frage weiterhin Rechtsprechung und Wissenschaft.171) Koordination kann nur verlangt werden, wenn sie den Gläubigern offensichtliche Vorteile 63 bringt. Für diesen Fall wird sich die Mehrheit der Gläubiger ohnehin entsprechend verhalten; falls nicht, weil ggf. noch höhere Sondervorteile172) zulasten der anderen Gläubiger erwartet werden, ist ein entgegenstehender Beschluss regelmäßig rechtsmissbräuchlich. Es geht z. B. um die Kooperationspflicht, den bestellten Insolvenzverwalter nicht abzuwählen, einem Kooperationsvertrag zuzustimmen oder eine angeordnete Eigenverwaltung nicht zu torpedieren.173) Das ESUG hat den Einfluss der Großgläubiger insoweit beschränkt, als es für die Bestimmung der Gläubigermehrheit nicht mehr allein auf die Summenmehrheit, sondern zusätzlich auf die Kopfmehrheit ankommt, § 272 Abs. 1 InsO.174) 3.6
Gesellschafter
Gesellschafter und Gesellschaftsorgane der gruppenangehörigen Schuldner werden in den 64 §§ 269a ff. InsO nicht ausdrücklich genannt. Doch auch die Gesellschafter der insolventen Konzerngesellschaften sind zur Kooperation und Koordination verpflichtet. Sofern auch die Gläubiger i. R. eines Sanierungsvorhabens Verzichte leisten oder andere mit rechtlichen und wirtschaftlichen Einbußen verbundene Maßnahmen hinnehmen müssen, wird eine entsprechende Mitwirkung der Gesellschafter erwartet.175) Ohne Frage kommt diesen insbesondere in Sanierungssituationen häufig eine wesentliche Rolle zu. Früher wirkten sich die gesetzlichen Regelungen zur Position der Gesellschafter eher ungünstig auf ein Sanierungsverfahren aus. Sie führten zu Blockaden, die die Sanierung verhinderten.176) Ein Gesamtsanierungskonzept für den Konzern durch abgestimmte Insolvenzpläne konnte von den Gesellschaftern zu Fall gebracht werden, indem sie erforderliche Beiträge – etwa bestimmte Kapitalmaßnahmen oder die Übertragung von Anteilen auf den Investor – verweigerten. Das ESUG sieht zumindest für das Insolvenzplanverfahren durch die Einführung des § 225a InsO die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, insbesondere durch die Möglichkeit, i. R. von Sanierungsmaßnahmen Forderungen der Gläubi___________ 169) Hoffmann, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 94; a. A. Fendel, in: Braun, InsO, § 269c Rz. 9; Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269c Rz. 16, wonach nur die Gläubigerausschüsse von Unternehmen, die nicht lediglich offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe sind, beteiligt werden sollen. 170) Hoffmann, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 103. 171) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269c InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 22; Wimmer, in: Wimmer, InsO, § 269c Rz. 42. 172) Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, 2003, Rz. 532, 576. 173) Gegen einen entsprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung zur Aufhebung der Eigenverwaltung steht dem überstimmten Gläubiger kein Rechtsmittel zu: BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622 (m. Anm. Flöther/Gelbrich, S. 1624), dazu EWiR 2011, 651 (Bähr); Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 556. 174) S. a. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622. 175) Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 557. 176) Eidenmüller, NZI 2010, 545, 549; Brinkmann, WM 2011, 97.
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ger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umzuwandeln, vor (siehe § 31 Rz. 56 ff.). Nach § 225a Abs. 3 InsO kann der Insolvenzplan jede gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung treffen.177) Diese sanierungsfreundliche Regelung ermöglicht weitgehende Einschnitte in die Rechte der Anteilseigner.178) Ihr wird beim Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung allerdings vereinzelt Missbrauchspotenzial zugesprochen.179) Hiergegen ist einzuwenden, dass auch für die Anteilseigner das in § 245 InsO geregelte Obstruktionsverbot gilt. Als Planbetroffene steht ihnen das Recht zu, die Versagung der Planbestätigung zu beantragen (§ 251 InsO) und Rechtsmittel gegen die Bestätigung einzulegen (§ 253 InsO).180) 65 Die Frage, ob ein Gesellschafter zur Mitwirkung an der Sanierung verpflichtet ist, kann nur durch Würdigung der Einzelfallumstände beantwortet werden.181) Die gesellschaftsvertragliche Treuepflicht kann u. U. als Grundlage für Koordinationspflichten angesehen werden.182) Ihre Zielrichtung ist die Förderung der Gesellschaftsinteressen und des Gesellschaftszwecks. Der Gesellschaftszweck ändert sich mit Stellung des Insolvenzantrags/ des Antrags auf Eigenverwaltung. Dem sollte auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht Rechnung tragen.183) Ihre Intensität folgt bei der Sanierung von Kapitalgesellschaften dem Maß der Einflussmöglichkeiten, die ein Gesellschafter besitzt.184) Insbesondere für die gebräuchlichste Form der personen- und beteiligungsgleichen GmbH & Co. KG, bei der die Gesellschafter der Komplementär-GmbH und die Kommanditisten der KG identisch sind und dieselben oder ähnliche Beteiligungsquoten in der GmbH und KG bestehen, gelten weiterreichende Treuepflichten der Gesellschafter bzw. Kommanditisten. Je stärker die persönliche Bindung und je kleiner der Gesellschafterkreis ist, umso höher sind die Anforderungen an die Treuepflicht.185) Aus der Treuepflicht kann sich eine Zustimmungs___________ 177) Insbesondere auch Maßnahmen nach dem UmwG (Suhrkamp GmbH & Co. KG); so auch Lang/ Muschalle, NZI 2013, 953, 955. 178) Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121; diff. Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2242. 179) Ausf. und diff. Brinkmann, ZIP 2014, 197; LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1720, dazu EWiR 2013, 581 (v. Falkenhausen), wonach weder das Obstruktionsverbot des § 245 InsO noch die Regelungen über das Stimmrecht der Anteilseigner in § 238a InsO ausschließen, einem Anteilseigner-Gruppenmitglied, das seine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verletzt hat, die Abstimmung über den Insolvenzplan zu untersagen; a. A. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz), wonach dem Minderheitsgesellschafter einer insolventen KG das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, dem Mehrheitsgesellschafter im Wege der einstweiligen Verfügung ein bestimmtes Stimmverhalten in der Gläubigerversammlung des Insolvenzverfahrens zu untersagen. 180) OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2018, 2019. 181) Ausf. Thole, ZIP 2013, 1937, 1938; keine Suspendierung der Treuepflicht im Insolvenzverfahren, wenn Mehrheit ihre Treubindung gegenüber der Minderheit verletzt: Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2240, 2243; LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1720, wonach die Fälligstellung eines Gewinnauszahlungsanspruchs und Begründung eines Antrags auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens mit diesem Anspruch in der Krise rechtsmissbräuchlich und treuwidrig ist, wenn der andere Gesellschafter diesbezüglich eine Rangrücktrittserklärung abgegeben hat. Der Auszahlung der Gewinnanteile an die Gesellschafter einer GmbH & Co. KG steht die gesellschaftsvertragliche Treuepflicht entgegen, wenn durch die Gewinnauszahlung die KG insolvent würde (vgl. OLG Bamberg v. 17.6.2005 – 6 U 56/04, ZIP 2006, 525 = NZG 2005, 808); a. A. OLG Frankfurt/M. v. 7.10.2013 – 5 U 135/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2022; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768, dazu EWiR 2011, 417, 418 (Binkowski). 182) Thole, ZIP 2013, 1937, 1939; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 819, 827 ff., dazu EWiR 1995, 525 (Rittner). 183) Thole, ZIP 2013, 1937, 1943. 184) BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 819, 821; Bitter, ZGR 2010, 147, 166. 185) LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1720, 1722; a. A. OLG Frankfurt/M. v. 7.10.2013 – 5 U 135/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2022; Grunewald, in: MünchKomm-HGB, § 161 Rz. 131; Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2240.
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pflicht zu Sanierungsmaßnahmen im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zumindest dann ergeben, wenn ein zum Ausscheiden gedrängter Gesellschafter infolge seiner Zustimmung nicht schlechterstünde als bei sofortiger Liquidation.186) Der BGH begründet das damit, dass es den sanierungs- und damit risikobereiten Gesellschaftern, die aktiv zur Sanierung beitragen, nicht zuzumuten sei, die Gesellschaft mit „Trittbettfahrern“ fortzuführen.187) Vielmehr ist dem Gesellschafter eine Zustimmung umso eher zumutbar, als sein Gesellschaftsanteil ohnehin entwertet ist.188) Allerdings bezieht sich diese Entscheidung auf die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander. Eine Treuepflicht Dritten gegenüber lässt sich nicht ohne weiteres daraus ableiten,189) wäre aber naheliegend. Zu beachten ist dabei nicht zuletzt auch der Umstand, ob und, wenn ja, in welchem Umfang der betreffende Gesellschafter die Krise mit verschuldet hat, d. h. das Maß des Verschuldens entspricht dem Maß der Anstrengung zur Bewältigung der Krise.190) Bei Gesellschaftern verschiedener Konzerngesellschaften gibt es zwar keine gesellschafts- 66 vertragliche Treuepflicht, Kooperations- und Koordinationspflichten sind aber deshalb nicht ausgeschlossen. Was für die Gläubiger verschiedener Konzerngesellschaften gilt, sollte erst recht für die Gesellschafter gelten, insbesondere dann, wenn sich durch die Mitwirkung die eigene Position verbessert.191) 4.
Forderungsanmeldung192)
Konzerngesellschaften sind typischerweise durch vielfältige Leistungsbeziehungen vertikal 67 und horizontal miteinander verbunden. Daraus folgt eine Vielzahl von Ansprüchen und insolvenzspezifischen Forderungen nach Insolvenzeröffnung. Diese Forderungen sind gemäß § 174 i. V. m. § 270 Abs. 1 InsO beim Schuldner anzumelden. Der Sachwalter hat das Recht, die angemeldete Forderung zu bestreiten, § 283 Abs. 1 Satz 1 InsO. Vereinfachte Anmeldeverfahren bei Konzernsachverhalten können hilfreich sein.193) In den Vorschriften zur Konzerninsolvenz gibt es dazu keine Regelung; das liegt jedoch in der Konsequenz der Entscheidung für eine Verfahrenskoordination und gegen eine Konsolidierungslösung.194) Der Sachwalter hat hier konsequenterweise eine höhere Prüfungspflicht, da im Bereich der Konzerngesellschaften die Handhabung gegenseitiger Forderungen und Verbindlichkeiten nicht immer den rechtlichen Voraussetzungen entspricht. Ist nur ein Sachwalter für alle Konzerngesellschaften eingesetzt, kann es zu Interessen___________ 186) BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, ZIP 2015, 1626, 1627, dazu EWiR 2015, 597 (Armbrüster); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289, 2291 f., dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster); in Abgrenzung dazu BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768, wonach ein Gesellschafter einer Personengesellschaft i. A. nicht verpflichtet ist, einer seine Gesellschafterstellung aufhebenden Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen, wenn er zwar an den Sanierungsbemühungen nicht teilnehmen, aber in der Gesellschaft verbleiben will; zur Anwendbarkeit im Recht der GmbH Priester, ZIP 2010, 497, 499 ff.; zur Übertragbarkeit auf die AG Brand, KTS 2011, 481, 485 ff. 187) BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289, 2292. 188) BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, ZIP 2015, 1626, 1628; Bitter, ZGR 2010, 147, 167 m. w. N. 189) Anders LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1831, dazu EWiR 2013, 589 (Hölzle): Da bereits die Einleitung des Schutzschirmverfahrens treuwidrig gewesen ist, stelle auch die Abstimmung für einen Insolvenzplan eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht dar; dagegen: OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2018, 2020; so auch Thole, ZIP 2013, 1937, 1939 f.; Brinkmann, WM 2011, 97, 99. 190) Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 558. 191) Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 524, 558. 192) Zur Forderungsanmeldung bei Eigenverwaltung i. E. s. § 15 Rz. 3 ff. 193) Hirte, ZIP 2008, 444; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1319 f. 194) Lienau, Der Konzern 2013, 157, 159.
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kollisionen bei der Forderungsprüfung und -anerkennung kommen, die durch den Einsatz eines Sondersachwalters vermieden werden können.195) 5.
Insolvenzanfechtung196)
68 Bestimmte Angelegenheiten des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren hat der Gesetzgeber bei dem Sachwalter belassen, § 280 InsO. Hierzu zählen insolvenzspezifische Befugnisse wie die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO. Konzernstrukturen zeichnen sich naturgemäß durch umfassende Austauschverhältnisse aus, die regelmäßig bis zur Verfahrenseröffnung andauern und damit im anfechtungsrelevanten Zeitraum liegen.197) Ein eigenständiges Konzernanfechtungsrecht gibt es bisher nicht. Konzerninterne Anfechtungsansprüche haben jedoch eine besondere Tragweite und sind potenzieller Störfaktor für die Sanierung eines Unternehmensverbunds, denn häufig wird Beteiligungsbesitz nicht von der Konzernmutter, sondern von Tochter- und Enkelgesellschaften gehalten. Bei der Konzernmutter handelt es sich nicht selten um eine Holdinggesellschaft, die den Beteiligungsbesitz des Konzerns verwaltet. 69 Anfechtungsansprüche fallen in die Insolvenzmasse jedes einzelnen Rechtsträgers. Sie sind grundsätzlich von jedem Verwalter/Sachwalter für jede einzelne Gesellschaft geltend zu machen. Sie können aufgrund der Verteilung des Vermögens im Konzern oder durch verschiedene konzerninterne Rechtsgeschäfte Auswirkungen auf das Vorgehen mehrerer Sachwalter bei der Anfechtung haben. Denn einerseits ist die Anfechtung eine Möglichkeit, die Masse zu steigern, andererseits führt die enge Verflechtung im Konzern dazu, dass der Nutzen für das eine Verfahren zu einem direkten Minus für das andere Verfahren führt. Die Anreicherung der Masse der anfechtenden Gesellschaft hat die Verringerung der potenziellen Masse der Gesellschaft, der gegenüber angefochten wird, zur Folge, so dass sich die Gläubiger der letzteren schlechterstehen.198) Hieraus ergeben sich Probleme mit dem insolvenzrechtlichen Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und mit der Erhaltung der Synergieeffekte des Konzerns in der Insolvenz.199) Die Anfechtung aller gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlungen kann dann dazu führen, dass einzelne für die Fortführung wichtige Konzerngesellschaften nicht mehr agieren können. 70 Bei der Insolvenzanfechtung zeigt sich erneut die Schwierigkeit, Konzerninsolvenzen zu koordinieren. Das liegt u. a. auch daran, dass die InsO in den anfechtungsrechtlichen Vorschriften vordergründig die natürliche Person als Schuldner sieht. Die Konstellationen, die sich daraus ergeben, dass der Schuldner einer Unternehmensgruppe angehört, werden dagegen nur in wenigen Vorschriften geregelt.200) Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen enthält – wie auch zur Forderungsanmeldung – keine besonderen Regelungen zur Anfechtung. Anfechtungsansprüche der anderen insolventen Unternehmensgruppen um jeden Preis durchzusetzen, stehe zum Koordinierungsgedanken in einem unvereinbaren Widerspruch. Vor diesem Hintergrund ist es empfehlenswert, im Koordinationsplan Vorschläge201) zu entwickeln, wie die gruppeninterne Geltendma___________ 195) Foltis, in: Wimmer, InsO, § 274 Rz. 11a; Landfermann, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 4; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 10; Frege, Der Sonderinsolvenzverwalter, Rz. 402. 196) Zur Anfechtung bei Eigenverwaltung i. E. s. § 12 Rz. 95 ff. 197) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 40; vgl. auch Thole, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 402 ff. 198) Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, S. 86 ff. 199) Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, S. 87 f. 200) Hirte, ZInsO 2004, 1161, 1166. 201) Zur Dispositionsbefugnis des Verwalters über den Anfechtungsanspruch vgl. Thole, ZIP 2014, 1653 ff.; zu den Regelungsgrenzen im Koordinationsplan Thole, in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 458 ff.
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chung von Anfechtungsansprüchen möglichst vermieden werden kann, ohne dass hierdurch die Insolvenzgläubiger des Unternehmens, dessen Verwalter einen solchen Rückgewähranspruch durchsetzen könnte, beeinträchtigt werden.202) Die Beteiligten sind sicher eher willig, sich um ein koordiniertes und kooperatives Vorgehen zu bemühen, wenn nicht ständig der Verlust eigener Haftungsmasse droht.203) Für das Koordinationsverfahren sieht § 269h Abs. 2 Nr. 2 InsO vor, dass der Koordinationsplan auch Vorschläge zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten enthalten kann. Diese Verfahrensweise ist an bestimmte Anforderungen gebunden. So darf die Disposivität von Anfechtungsansprüchen nicht dazu führen, dass von vornherein auf die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen verzichtet wird.204) Des Weiteren ist darzustellen, wie der Anfechtungsanspruch zu bewerten ist, wobei notfalls Schätzwerte angegeben werden können.205) Schließlich sind Grund und Umstände des Anfechtungsanspruchs sowie die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Durchsetzung zu erläutern.206) Der Gesetzgeber schlägt in der Begründung bspw. vor, eine Kompensationszahlung des Anfechtungsgegners zugunsten des Anfechtungsberechtigten, der dafür auf sein Anfechtungsrecht verzichtet, in den Plan aufzunehmen.207) Eine vergleichsweise Einigung über Anfechtungsansprüche kommt nur in Betracht, wenn sich diese Variante vorteilhafter erweist als die tatsächliche Durchsetzung des Anspruchs, wobei alle Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Prozessrisiken angemessen zu berücksichtigen sind.208) V.
Haftung209)
1.
Haftung des (vorläufigen) Sachwalters
Bei Verletzung der insolvenzspezifischen Pflichten und bei Nichterfüllung von Massever- 71 bindlichkeiten haftet der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung persönlich, §§ 60, 61 InsO. Das Gleiche gilt für den vorläufigen schwachen Verwalter und den Verwalter, der mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet ist, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO. Die Haftung des Sachwalters richtet sich nach § 274 Abs. 1 i. V. m. § 60 InsO und im Fall 72 des § 277 Abs. 1 InsO nach § 61 InsO. Auf den vorläufigen Sachwalter sind die §§ 274, 275 InsO entsprechend anzuwenden. Da sich der Aufgabenkreis des (vorläufigen) Sachwalters auf Prüfungs- und Überwachungstätigkeiten beschränkt, ist gleichzeitig die Verantwortlichkeit begrenzt.210) Die Haftung des (vorläufigen) Sachwalters ist denkbar bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige drohender Nachteile für die Gläubiger gemäß § 274 Abs. 3 InsO, bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Prüfung und Überwachung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 InsO sowie bei mangelhafter Mitwirkung bei der Begründung von Verbindlichkeiten, § 275 InsO. Gemäß § 275 Abs. 1 InsO sollen Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters begründet werden. So darf der (vorläufige) Sachwalter Beraterdienstleistungen, die für eine ordnungsgemäße Durchführung der (vorläufigen) ___________ 202) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 40. 203) Berner/Bartelheimer/Schiebe, ZInsO 2013, 434, 436. 204) Thole, ZIP 2014, 1653, 1659 f. 205) Thole, ZIP 2014, 1653, 1660. 206) Thole, ZIP 2014, 1653, 1660. 207) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO-E, BTDrucks. 18/407, S. 40. 208) Thole, ZIP 2014, 1653, 1661. 209) Zur Haftung bei Eigenverwaltung i. E. s. § 18 Rz. 1 ff., 39 ff. 210) Bachmann, ZIP 2015, 101, 102.
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§ 19
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
Eigenverwaltung nicht mehr von Nutzen sind, nicht zustimmen bzw. muss ihrer Inanspruchnahme widersprechen.211) 2.
Haftung der Gesellschaftsorgane in der Eigenverwaltung212)
73 Außerhalb der Insolvenz haften die Organe der Gesellschaft für die schuldhafte Verletzung ihrer Organpflichten. Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organmitglieds ist Haftungsmaßstab. Bei Anordnung der Eigenverwaltung in einer Konzerngesellschaft fallen Schuldner und die für ihn auch in der Eigenverwaltung handelnden Organe auseinander. Die organschaftlichen Vertreter nehmen die Schuldnerrechte wahr (siehe Rz. 21 ff.) und haben damit weitgehend die Befugnisse, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Eine Haftung der von den organschaftlichen Vertretern eigenverwalteten Gesellschaft für die Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten besteht nicht. Diese ließe sich allenfalls aus § 60 InsO analog herleiten, doch regelmäßig wird es an einer entsprechenden Haftungsmasse fehlen. 74 Die Geschäftsleitung ist in der Eigenverwaltung eng an den Insolvenzzweck und damit an die Gläubigerinteressen gebunden. Besonders in Eigenverwaltungsverfahren von Unternehmensgruppen ist es üblich, in den Vorstand oder in die Geschäftsführung wenigstens einen Insolvenzverwalter oder einen insolvenzrechtlichen Berater einzubinden (siehe Rz. 18). Der eigenverwaltende Schuldner bzw. seine handelnden Organe werden von Sachwalter und Gläubigerausschuss überwacht. Droht die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubigerschaft zu führen, hat der Sachwalter dies dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Der Gläubigerausschuss kann die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Die Aufhebung der Eigenverwaltung wird jedoch regelmäßig keine ausreichende Präventionswirkung haben, zumal bis zur Aufhebung schon Schäden zulasten der Gläubiger eingetreten sein können.213) 75 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum ESUG wurde eine Anpassung der gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestände bzw. die Schaffung eines eigenen insolvenzrechtlichen Haftungstatbestands für Mitglieder von Schuldnerorganen im Regelungssystem der Eigenverwaltung angeregt,214) jedoch nicht in das Gesetz übernommen. Drei Jahre nach Inkrafttreten des ESUG hatte der Gravenbrucher Kreis in einem Thesenpapier215) einen Vorschlag zu einer gesetzlichen Regelung der insolvenzrechtlichen Haftung der Gesellschaftsorgane analog §§ 60, 61 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgelegt. Für eine Gesetzesänderung – so die Begründung des Vorschlags – sprechen Rechtssicherheit und ein einheitliches in sich stimmiges Haftungssystem,216) denn jedes Organ einer Kapitalgesellschaft ist zwingend eine natürliche Person und diese ist – wie ein Insolvenzverwalter im Regelverfahren – bei Anordnung der Eigenverwaltung in das Haftungssystem der InsO einbezogen, wenn sie die ihr zugewiesenen insolvenzrechtlichen Aufgaben verletzt.217) 76 Mit seinem Urteil vom 26.4.2018 hat sich der BGH zur Haftung der Geschäftsleitung in Eigenverwaltung positioniert.218) Ist im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Ge___________ 211) Krämer, NZI 2017, 960, 965; Flöther, ZInsO 2014, 465, 471. 212) Ausf. Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 331 ff.; Jacoby, in: FS Vallender, 2015, S. 261 ff.; Bachmann, ZIP 2015, 101 ff. 213) Wimmer-Amend, in: FS Beck, 2016, S. 571, 579. 214) Hill, ZInsO 2010, 1825, 1829; Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f. 215) Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262, 1263 f. 216) Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 331, 340. 217) Wimmer-Amend, in: FS Beck, 2016, S. 571, 582. 218) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter, ZIP 2018, 986); s. a. Thole, EWiR 2018, 399 (Urteilsanm.), sowie eingehend Hofmann, ZIP 2018, 1429 ff.
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Kübler
§ 19
Eigenverwaltung im nationalen Konzern
sellschaft Eigenverwaltung angeordnet, haftet der Geschäftsleiter den Beteiligten analog §§ 60, 61 InsO.219) Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass der Schuldner, soweit seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der Eigenverwaltung unangetastet bleibt, auch in der Insolvenz nach den allgemeinen Vorschriften für von ihm zu verantwortende Pflichtwidrigkeiten haftet.220) Der Gesetzgeber – so der BGH – war sich seinerzeit nicht darüber im Klaren, wie sich die Verweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO bei Anordnung der Eigenverwaltung über das Vermögen einer Gesellschaft, die durch ihre Organe vertreten wird, gestaltet. Das Gesetz enthält somit bezüglich der Haftung der Geschäftsleiter in dieser Konstellation eine unbeabsichtigte Regelungslücke.221) Diese kann nicht durch gesellschaftsrechtliche Haftungsnormen geschlossen werden. Die sich insbesondere aus § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ergebende Schadensersatzpflicht ist als Binnenhaftung nicht geeignet, die Interessen der Beteiligten wirksam zu schützen, die durch Pflichtwidrigkeiten der Vertretungsorgane einer in Eigenverwaltung geführten Gesellschaft geschädigt werden. Es ist anerkannt, dass weder die Überwachung durch den Gläubigerausschuss noch die 77 Aufsicht durch das Insolvenzgericht einen hinreichenden Schutz zugunsten der Beteiligten eines Insolvenzverfahrens gegen Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters gewährleisten. Auch die Überwachung der Geschäftsführung einer eigenverwalteten Gesellschaft durch einen Sachwalter kann Schädigungen von Verfahrensbeteiligten durch den Geschäftsleiter mitunter nicht verhindern. Der Schutz der Beteiligten gebietet daher, die Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft entsprechend einem Insolvenzverwalter der Haftung nach §§ 60, 61 InsO zu unterwerfen.222) Wenn bereits der Sachwalter für fehlerhafte Überwachung des Geschäftsleiters im Falle einer Pflichtverletzung haftet, erscheint es systemwidrig, den von ihm kontrollierten Geschäftsleiter als Entscheidungsträger in der Eigenverwaltung von einer insolvenzrechtlichen Haftung zu entlasten.223) Zudem sind für eine haftungsrechtliche Besserstellung der Vertretungsorgane im Eigenverwaltungsverfahren einer Gesellschaft im Vergleich zur Haftung eines Insolvenzverwalters im Regelverfahren keine tragfähigen Gründe ersichtlich.224) Es ist davon auszugehen, dass diese Grundsätze auch für die Organe in der vorläufigen Ei- 78 genverwaltung gelten, da die Interessenlage dort nicht anders zu beurteilen ist.225) Die Entscheidung des BGH verstärkt die erforderliche Signalwirkung bezüglich des Haftungsrisikos der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung und wirkt so einer „Sanierung um jeden Preis“ entgegen.226) Ungeklärt – da für den BGH nicht entscheidungserheblich – ist die Frage, ob die Entscheidungsgrundsätze für den „Geschäftsleiter“ auch auf den nicht in die Organstellung eintretenden „CRO“ oder „Generalbevollmächtigten“ anwendbar sind, wenn dieser faktisch an die Stelle des nur formal weiter bestellten Geschäftsleiters tritt. Auch wenn dies im Streitfall schwer nachweisbar ist, dürfte die grundsätzliche Übertragbarkeit der BGHEntscheidung vom 26.4.2018 naheliegen und sollten die Berater, die die „offizielle“ Organstellung vermeiden, aber faktisch wie ein Organ auftreten, sich rechtzeitig um ausreichenden eigenen Versicherungsschutz bemühen. ___________ 219) 220) 221) 222) 223) 224) 225)
BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 978 Rz. 17. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 978 Rz. 15. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 984 Rz. 55. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 984 Rz. 56. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 985 Rz. 62. Bitter, ZIP 2018, 977 (Urteilsanm. z. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17); s. a. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430 f. 226) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, 985 Rz. 60; so bereits Kebekus/Zenker, in: FS Kübler, 2015, S. 331, 341.
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§ 20 Eigenverwaltung im internationalen Konzern Kübler
I.
Europäisches und internationales Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Konzerninsolvenzrechts...................... 1 1. Internationales Insolvenzrecht ................... 1 2. Europäisches Insolvenzrecht....................... 6 II. Allgemeine Grundfragen der europäischen und internationalen Konzerninsolvenz .............................................. 8 1. Erweiterung des Anwendungsbereichs der EuInsVO.............................................. 10 2. Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens................................... 14 3. Sekundärinsolvenzverfahren ..................... 20
4.
Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe................................ 23 III. Eigenverwaltung im Konzern nach der EuInsVO ............................................. 25 1. Eigenverwaltung in parallelen Insolvenzverfahren .................................... 25 2. Eigenverwaltung im Konzern in Sekundärinsolvenzverfahren ..................... 38 2.1 Allgemeines ................................... 38 2.2 Antragstellung ............................... 45 2.3 Zusicherung zwecks Vermeidung ......................................... 47 2.4 Kooperationspflicht ...................... 51
Literatur: Deyda, Der Fall NIKI Luftfahrt – Bruchlandung des neuen europäischen Insolvenzrechts?, ZInsO 2018, 221; Holzer, Die Empfehlungen der UNCITRAL zum nationalen und internationalen Konzerninsolvenzrecht, ZIP 2011, 1894; Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008; Kindler/Sakka, die Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung, EuZW 2015, 460; Kübler, Grundsätzliche Überlegungen zu grenzüberschreitenden Insolvenzen – im Anschluss an Erfahrungen in einem deutsch-tschechischen Insolvenzfall –, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 795; Prager/ Keller, Der Entwicklungsstand des Europäischen Insolvenzrechts, WM 2015, 805; Rotstegge, Konzerninsolvenz: Die verfahrensrechtliche Behandlung von verbundenen Unternehmen nach der Insolvenzordnung, 2007; Schmidt, Jessica, Das Prinzip „eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz“ und seine Durchbrechungen vor dem Hintergrund der aktuellen Reformen im europäischen und deutschen Recht, KTS 2015, 19; Thole/Swierczok, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EuInsVO, ZIP 2013, 550; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, S. 32.
I.
Europäisches und internationales Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Konzerninsolvenzrechts
1.
Internationales Insolvenzrecht
1 Die Aufgabe des internationalen Insolvenzrechts ist v. a. die Regelung der Zuständigkeiten, des anwendbaren Rechts und der Anerkennung ausländischer Verfahren im Inland.1) In der deutschen Rechtsprechung ist das Universalitätsprinzip anerkannt und seit 2003 in der InsO gesetzlich verankert. Es gelten seit dem 31.5.2002 in Deutschland die EuInsVO, die mit Verordnung (EU) 2015/848 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 neu gefasst wurde, und seit dem 20.3.2003 die §§ 335 ff. InsO. Bei Inlandsverfahren gehört auch das im Ausland belegene Schuldnervermögen zur Insolvenzmasse, § 335 InsO i. V. m. § 35 InsO. Ob die Auslandswirkungen des deutschen Verfahrens im Ausland auch anerkannt werden, richtet sich nach dem internationalen Insolvenzrecht des jeweiligen ausländischen Staats, bei EU-Mitgliedstaaten nach Art. 19, 20 EuInsVO. Umgekehrt werden die Wirkungen eines Auslandsverfahrens im Inland anerkannt. Soweit die EuInsVO Anwendung findet, gehen deren Vorschriften den Regelungen der §§ 335 ff. InsO vor. 2 Die EuInsVO ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (centre of main interests, COMI) des Schuldners nicht in einem Mitgliedstaat liegt, Erwägungsgrund 25 zur EuInsVO. Es gibt allerdings immer wieder Fälle, in denen innerhalb ___________ 1)
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Kindler, in: Kindler/Nachmann, Hdb. Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rz. 1.
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
§ 20
Europas neben dem COMI Niederlassungen bestehen und außerdem in Drittstaaten die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegeben sind. Die Grundsatzkollisionsnorm bildet § 335 InsO, der das Recht des Eröffnungsstaats (lex 3 fori concursus) zur Anwendung beruft. Ausnahmen regeln die Sonderkollisionsnormen und Sachnormen, §§ 338, 340 InsO. Ausländische Verfahren werden grundsätzlich anerkannt, § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Wirkungen richten sich nach der lex fori concursus des Eröffnungsstaats. Anerkennungshindernisse enthält § 343 Abs. 1 Satz 2 InsO. Der ausländische Insolvenzverwalter ist nach § 344 InsO befugt, im Inland vorläufige Maßnahmen nach deutschem Recht, §§ 21 f. InsO, zu beantragen. Im Gegensatz zu Art. 3 EuInsVO gibt es in der InsO keine Vorgabe zur internationalen 4 Zuständigkeit, sodass der für das „nationale“ COMI einschlägige § 3 InsO ergänzend heranzuziehen ist.2) Es ist danach das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob eine internationale Zuständigkeit vorliegt. Auch wenn die InsO nunmehr Regelungen für ein Konzerninsolvenzrecht enthält (siehe § 19 Rz. 2 ff.), ist zunächst für jede Konzerngesellschaft die Zuständigkeit gesondert zu prüfen. Bei der Zuständigkeitsfeststellung kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Auch auf internationaler Ebene drängt sich die Frage der Koordinierung der Verfahren 5 auf. Der Verwalter des Verfahrens im Drittstaat wird die Verfahren innerhalb der EU als eigenständige Verfahren ansehen. Sind die Verwalter bereit zusammenzuarbeiten, sollte die Kooperation im Wege von Koordinationsvereinbarungen erfolgen (siehe Rz. 33). In den internationalen, außereuropäischen Fällen wird auf das allgemeine internationale Insolvenzrecht verwiesen, um so zu einer einheitlichen Rechtsanwendung zu gelangen. Es zeigt sich, dass das internationale Insolvenzrecht mit seinen kollisionsrechtlichen Vorschriften wegen der unterschiedlichen Gestaltung in den verschiedenen Ländern nicht tauglich ist, die Anwendungsbereiche der verschiedenen Rechtsordnungen gegeneinander abzugrenzen. Eine einheitliche gesetzliche Regelung zur Verfahrensweise bei grenzüberschreitenden internationalen Insolvenzen gibt es nicht. Lediglich das UNCITRAL-Modellgesetz3) gibt erste Empfehlungen4), allerdings ohne verbindliche Wirkung zu entfalten. Im Bereich des internationalen Insolvenzrechts außerhalb der EU kann es daher nur darum gehen, Möglichkeiten für eine effektive Zusammenarbeit zu formulieren. 2.
Europäisches Insolvenzrecht
Die EuInsVO 2000 wurde seit ihrem Inkrafttreten mehrfach geändert. Mit der Verord- 6 nung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren vom 20.5.20155) gibt es die Neufassung der EuInsVO. Diese ist 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft getreten, Art. 92 EuInsVO, und ist auf alle Verfahren anzuwenden, die nach dem 26.6.2017 eröffnet werden, Art. 84 Abs. 1 EuInsVO. Die EuInsVO 2000 gilt weiter für alle Verfahren, die in ihren Geltungsbereich fallen und vor dem 26.6.2017 eröffnet wurden, Art. 84 Abs. 2 EuInsVO.
___________ 2) 3) 4) 5)
Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 629. www.uncitral.org; vgl. auch UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, Treatment of enterprise groups in insolvency; Holzer, ZIP 2011, 1894, 1900. Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 1474 ff. Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren v. 20.5.2015, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015.
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§ 20
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
7 Die EuInsVO erkennt in Erwägungsgrund 22 an, dass aufgrund der Unterschiede im materiellen Recht ein Insolvenzverfahren mit universaler Geltung auf Unionsebene nicht realisierbar ist. Der Anwendungsbereich des europäischen Insolvenzrechts wurde mit der EuInsVO 2015 dergestalt erweitert, dass nun auch Verfahren einbezogen werden, die die Rettung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, fördern, Erwägungsgrund 10. Verfahren nach dem Vorbild des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO sind nicht vorgesehen. Dagegen ist die Eigenverwaltung erfasst, da die EuInsVO Verfahren einbezieht, in denen der Schuldner ganz oder teilweise die Kontrolle über sein Vermögen behält, Art. 2 Nr. 3, Art. 6 EuInsVO (siehe dazu ausführlich § 21 Rz. 48 ff.). II.
Allgemeine Grundfragen der europäischen und internationalen Konzerninsolvenz
8 Die Behandlung grenzüberschreitender Konzerninsolvenzen ist wegen der Anwendbarkeit unterschiedlichen Rechts auf die Verfahren der einzelnen Rechtsträger kompliziert. In den einzelnen Staaten ist das Insolvenzrecht hinsichtlich des Ziels und der Mittel sowie der Kompetenzen der Verfahrensbeteiligten uneinheitlich. Es besteht in den verschiedenen Staaten ein abweichendes Verständnis von der rechtlichen Erfassung des Konzerns.6) In vielen Mitgliedstaaten der EU gibt es keine Regelungen für eine Konzerninsolvenz. Der italienische Gesetzgeber hat die außerordentliche Verwaltung von Großunternehmen bereits in der GVO Nr. 270 vom 8.7.1999 geregelt. Die GVO enthält in Art. 80 bis 91 eine ausführliche Regelung der Konzerninsolvenz. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Lücke in der InsO inzwischen geschlossen.7) Und auch der kroatische Gesetzgeber hat durch Art. 391 des neuen Konkursgesetzes 2015 Regeln über Konzerninsolvenzen in das kroatische Konkursrecht eingeführt.8) 9 Verfahren, in denen ausländisches Recht als lex fori concursus Anwendung findet und dieses eine Insolvenzerstreckung – d. h. die Zusammenfassung von Massen mehrerer Unternehmen desselben Konzerns oder die Zusammenfassung von Verfahren verschiedener insolventer Unternehmen eines Konzerns – kennt und dabei ein deutsches Verfahren betroffen ist, werden nach derzeit geltenden Regelungen in Deutschland nicht anerkannt.9) Denn in dem Fall, in dem es um die Zusammenfassung der Massen verschiedener eigenständiger Personen geht, verstößt eine derartige Erstreckung gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Insolvenzrechts.10) 1.
Erweiterung des Anwendungsbereichs der EuInsVO
10 Art. 1 Abs. 1 EuInsVO nennt die Kriterien, die nationale Verfahren einhalten müssen, um in den Anwendungsbereich der Verordnung zu fallen. Ein wesentliches Ziel des Verordnungsgebers bei der Reform der EuInsVO war es, die EuInsVO für Verfahren zu öffnen, die die Rettung wirtschaftlich angeschlagener, aber sanierungsfähiger Unternehmen bezwecken.11) ___________ 6) Ehricke, in: Kölner Schrift, Kap. 32 Rz. 6; Kirchhof/Lwowski/Stürner, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. Konzerninsolvenzrecht Rz. 2, 6. 7) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 866; das Gesetz ist gemäß Art. 10 am 21.4.2018 in Kraft getreten. 8) Garasic, in: MünchKomm-InsO, Länderberichte Kroatien Rz. 79. 9) Kirchhof/Lwowski/Stürner, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. Konzerninsolvenzrecht, Rz. 6. 10) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 28 f. m. w. N. 11) Vallender, in: Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rz. 1.
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
§ 20
Der Anwendungsbereich wurde auf sog. hybride Sanierungsverfahren und vorinsolvenz- 11 liche Verfahren ausgedehnt. Ausreichend ist nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO, dass sich das Verfahren „auf eine gesetzliche Regelung zur Insolvenz stützt“. In Art. 2 Nr. 3 EuInsVO ist der Schuldner in Eigenverwaltung definiert. Die Definition 12 erfasst sowohl Schuldner, die unter der Aufsicht eines Sachwalters, als auch solche, die lediglich unter der Kontrolle des Gerichts stehen. Der Verordnungsgeber hat zudem mit der Einfügung des vorläufigen Sachwalters in Anhang B deutlich gemacht, dass auch die vorläufige Eigenverwaltung tendenziell zu erfassen ist. Zudem ist Erwägungsgrund 15 zu entnehmen, dass vorläufige Verfahren erfasst werden. Ob zugleich die vorläufige Eigenverwaltung i. S. des § 270a InsO vom Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst sein soll, ist nicht eindeutig, liegt aber nahe.12) Der Begriff der Unternehmensgruppe, Art. 2 Nr. 13 EuInsVO, öffnet den Anwendungs- 13 bereich für die in Kapitel V, Art. 56 ff. EuInsVO aufgenommenen Vorschriften über die Kooperation und Kommunikation bei Insolvenzverfahren über das Vermögen von Konzernunternehmen. 2.
Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Das in Praxis und Wissenschaft umstrittene Thema der EuInsVO 2015 war und ist die 14 Festlegung der internationalen Zuständigkeit für das Hauptverfahren gemäß Art. 3 EuInsVO.13) Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 und 3 EuInsVO sieht vor, dass hinsichtlich eines Schuldners im Geltungsbereich der Verordnung nur ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden kann. Für das Hauptinsolvenzverfahren richtet sich die Zuständigkeit nach dem COMI des Schuldners. Das Hauptinsolvenzverfahren mit unionsweiter direkter Anerkennung entfaltet Sperrwirkung für die Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens, Art. 3 Abs. 3 EuInsVO.14) Grundsätzlich unterscheiden sich die Bestimmungen zum COMI von Gesellschaften in der Neufassung der EuInsVO nicht von der alten Fassung, sie greifen allerdings die zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen Eurofood15) und Interedil16) auf.17) Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 15 EuInsVO das Gericht des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner sein COMI hat („Hauptinsolvenzverfahren“). „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“ ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interes___________ 12) Vgl. dazu Thole, in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 5. 13) Insbesondere bei Konzerninsolvenzen: vgl. AG Berlin-Charlottenburg v. 13.12.2017 – 36n IN 6433/17 (NIKI), ZIP 2018, 41. Auf die sofortige Beschwerde einer Gläubigerin hat das AG Berlin-Charlottenburg an seiner Entscheidung festgehalten und die Sache mit Beschl. v. 4.1.2018 dem LG Berlin zur Entscheidung vorgelegt, ZInsO 2018, 111. Mit Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140, dazu EWiR 2018, 85 (Jessica Schmidt) hat das LG Berlin den angefochtenen Beschl. aufgehoben, da es das COMI ausgehend von der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 EuInsVO in Österreich sieht. Die Gläubigerin hat zeitgleich mit der sofortigen Beschwerde beim Landesgericht Korneuburg (Österreich) Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens, die Schuldnerin ihrerseits einen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beim Landesgericht Korneuburg gestellt; das Landesgericht Korneuburg hat mit Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d-3, ZInsO 2018, 164, den Konkurs als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet und den Antrag der Schuldnerin auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens abgewiesen; dazu Deyda, ZInsO 2018, 221; für die Rechtslage vor der Neufassung der EuInsVO: Reinhart, NZI 2012, 304. 14) Zu „NIKI“ Deyda, ZInsO 2018, 221 ff. 15) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907 (m. Anm. Knof/Mock, S. 911), dazu EWiR 2005, 725 (Pannen). 16) EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153, dazu EWiR 2011, 745 (Paulus). 17) Vallender/Zipperer, in: Vallender, EuInsVO, Art. 3 Rz. 8; krit. Wenner, ZIP 2017, 1137.
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§ 20
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
sen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 EuInsVO bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort des Sitzes ist. 16 In seiner Eurofood-Entscheidung und auch in der Interedil-Entscheidung hatte sich der EuGH in Anlehnung an Erwägungsgrund 13 EuInsVO 2000 im Wesentlichen auf objektive Kriterien gestützt – ohne konkrete Kriterien zur Ermittlung des COMI zu benennen – und ausgeführt, dass das COMI aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit anhand objektiver und zugleich für Dritte feststellbarer Anhaltspunkte zu bestimmen ist.18) Gerade bei konzernverbundenen Gesellschaften werden die hauptsächlichen Interessen des Schuldners je nach Unternehmen unterschiedlich ausfallen. Es muss daher für den Einzelfall entschieden werden, welche Kriterien für den Schuldner und seine Tätigkeit ausschlaggebend sind.19) Einer „blinden“ Annahme eines Konzerninsolvenzgerichtsstands am Sitz der Muttergesellschaft ist der EuGH entgegengetreten.20) Eine solche Verortung kommt nur dann in Betracht, wenn für Dritte erkennbar und damit offensichtlich ist, dass die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft geführt wird, und eine aktive Marktteilnahme deutlich wird.21) Dabei ist das Kriterium der Erkennbarkeit für Dritte unumgänglich. Im Zusammenhang mit der Erkennbarkeit ist im Zweifel auf die unternehmensfremden Gläubiger abzustellen und nicht auf diejenigen, die bereits wegen gesellschaftsvertraglicher oder anderer Bindungen Kenntnis von der wirtschaftlichen Tätigkeit haben.22) 17 Die Vermutung, dass Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort des Sitzes ist, gilt jedoch nur, wenn der Anknüpfungsort nicht innerhalb von drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2, Unterabs. 3 Satz 2 und Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO. Das mit einem Insolvenzantrag befasste Gericht muss von Amts wegen prüfen, ob es nach Art. 3 EuInsVO zuständig ist, Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, und ob das tatsächliche COMI vom (satzungsmäßigen) Sitz abweicht. 18 Die Zuständigkeit für Konzerngesellschaften ist nach wie vor gesondert zu ermitteln und für jeden Rechtsträger ist ein gesondertes (Haupt-)Insolvenzverfahren zu eröffnen.23) Allerdings weist Erwägungsgrund 53 EuInsVO darauf hin, dass diese Vorschriften nicht die Möglichkeit einschränken sollen, Insolvenzverfahren über verschiedene Gesellschaften eines Konzerns in einem einzigen Mitgliedstaat zu eröffnen, sofern feststeht, dass das COMI dieser Gesellschaften in diesem Mitgliedstaat liegt. Für diesen Fall sollte auch die Möglichkeit bestehen, für alle Verfahren denselben Verwalter zu bestellen. 19 Zu einem einheitlichen Konzerngerichtsstand am Sitz der Muttergesellschaft gelangt man folglich nach wie vor nur dann, wenn alle Tochtergesellschaften dort ihr COMI haben (siehe Rz. 23).24) Dies hätte zwar den verfahrenstechnischen Vorzug, dass hierdurch die Sanierung des Gesamtkonzerns wesentlich erleichtert würde, doch ist das Vertrauen der Gläubiger der einzelnen Tochtergesellschaften in ihre Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten an deren Sitz höher zu veranschlagen. ___________ 18) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, 908 (m. Anm. Knof/Mock, S. 911); vgl. weiter Jessica Schmidt, ZIP 2007, 405; EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153, 2156, Rz. 49. 19) Rotstegge, ZIP 2008, 955, 960. 20) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, 908. 21) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, 908. 22) AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08 (PIN-Holding), ZIP 2008, 423, 425, dazu EWiR 2008, 531 (Paulus). 23) Deyda, ZInsO 2018, 221, 222. 24) Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 46.
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Sekundärinsolvenzverfahren25)
Da Sekundärinsolvenzverfahren in der Praxis häufig als Hindernis für eine effektive Ver- 20 fahrensbearbeitung galten, wurden die diesbezüglichen Vorschriften durch die EuInsVO grundlegend neu gefasst. Erstens kann in Konstellationen, in denen bspw. der Insolvenzverwalter des Hauptverfah- 21 rens den Gläubigern am Ort der Niederlassung zusichert, dass sie im Hauptverfahren so behandelt werden, als sei das Sekundärverfahren eröffnet worden, Erwägungsgrund 42 Satz 1 und 2 i. V. m. Art. 36 Abs. 1 EuInsVO, auf die Einleitung eines Sekundärverfahrens verzichtet werden, Art. 38 Abs. 2 EuInsVO (sog. synthetisches Sekundärverfahren). Ähnlich ist bereits früher in einer Reihe grenzüberschreitender Insolvenzen vorgegangen worden, bei denen das Hauptinsolvenzverfahren im Vereinigten Königreich eröffnet wurde.26) Zweitens ist in der EuInsVO geregelt, dass das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht auf Antrag des im Hauptverfahren bestellten Insolvenzverwalters die Eröffnung aussetzen oder die Entscheidung vertagen kann, wenn die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zum Schutz der Interessen der einheimischen Gläubiger nicht notwendig ist, Erwägungsgrund 45 i. V. m. Art. 38 Abs. 3 EuInsVO. Die bislang nur für die Verwalter geltenden Kooperationspflichten, die in Art. 41 EuInsVO 22 im Verhältnis zur Vorgängerregelung ausgeweitet und konkretisiert wurden, werden auf die Gerichte der Haupt- und Sekundärverfahren ausgedehnt, Art. 42 EuInsVO. 4.
Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe
Da viele grenzübergreifende Insolvenzen Unternehmensgruppen27) betreffen, enthält die 23 EuInsVO in Kapitel V in den Art. 56 bis 77 für solche Insolvenzverfahren spezielle Regeln. Sie beschränken sich allerdings auf umfassende Kooperations- und Unterrichtungspflichten zwischen beteiligten Verwaltern und Gerichten – sofern Insolvenzverfahren über das Vermögen verschiedener Konzerngesellschaften in mehr als einem Mitgliedstaat anhängig sind –, wie sie bereits für das Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärverfahren angewandt werden. Nach wie vor gilt der Grundsatz der Einzelinsolvenz. Ein Konzern-COMI gibt es nicht und eine materiell-rechtliche Konsolidierung ist ebenso wenig vorgesehen. Möglich ist, dass das COMI der konzernierten Gesellschaften in demselben Mitgliedstaat liegt und sich dadurch faktisch ein internationaler Konzerngerichtsstand ergibt, Erwägungsgrund 53 EuInsVO.28) In dieser Konstellation sollte das Gericht auch dieselbe Person als Verwalter bestellen. Der Verordnungsgeber definiert den Begriff der Unternehmensgruppe, Art. 2 Nr. 13, 14 24 EuInsVO. Die Unternehmensgruppe i. S. der EuInsVO besteht aus dem Mutterunter___________ 25) S. dazu auch § 21 Rz. 70 ff. 26) High Court of Justice London (Chancery Division Companies Court) v. 9.6.2006 – No. 4697, 4698, 4700, 4705, 4711, 4717-19, 4721, 4722/05, [2006] EWHC 1343 (Ch) (Collins & Aikman), ZIP 2006, 2093, dazu EWiR 2006, 623 (Mankowski); High Court of Justice Birmingham v. 30.3.2006 – No. 2377/2006, NZI 2006, 416 (MG Rover); High Court of Justice London v. 11.2.2009 – [2009] EWHC 206 (Ch) (Nortel Group), ZIP 2009, 578, dazu EWiR 2009, 177 (Paulus). 27) Z. B. High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003 – No. 861–876/03 (ISA I), ZIP 2003, 1362; AG Düsseldorf v. 6.6.2003 – 502 IN 126/03 (ISA II), ZIP 2003, 1363, dazu EWiR 2003, 767 (Mankowski); Cour d’appel Versailles v. 4.9.2003 – 05038/03 (ISA III), ZIP 2004, 377, dazu EWiR 2003, 1239 (Mankowski); AG Köln v. 10.8.2005 – 71 IN 416/05 (Collins & Aikmann), ZIP 2005, 1566; EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907; AG Siegen v. 1.7.2004 – 25 IN 154/04 (Zenith), NZI 2004, 673, dazu EWiR 2005, 175 (Mankowski); weitere Beispiele bei Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 46 ff. m. w. N. 28) Bornemann, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Teil K Rz. 520; Kindler/ Sakka, EuZW 2015, 460, 465.
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§ 20
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
nehmen und all seinen Tochterunternehmen. Entscheidend geprägt ist das Mutter-TochterVerhältnis durch eine unmittelbare oder mittelbare Kontrollbeziehung, die unwiderleglich29) vermutet wird, wenn ein das Tochterunternehmen einbeziehender konsolidierter Abschluss erstellt wurde. Für die Definition des Mutter- und damit zwangsläufig auch des Tochterunternehmens verweist Art. 2 Abs. 2 Nr. 14 EuInsVO auf die Bilanzrichtlinie,30) sodass das europäische Insolvenzrecht tatbestandlich auf dem europäischen Konzernbilanzrecht aufbaut.31) Aus dieser Legaldefinition der „Unternehmensgruppe“ und den Anforderungen an den Abschluss nach der Bilanzrichtlinie ergeben sich etliche dogmatische und rechtspolitische Fragen.32) Inwiefern dieser Ansatz konsequent ist, kann derzeit noch nicht eingeschätzt werden. Die Anknüpfung an den Konsolidierungskreis nach der Bilanzrichtlinie wird insoweit als Vorteil gewertet, als damit auf einem bereits seit Jahrzehnten bewährten unionsrechtlichen Konzept aufgebaut wird.33) III.
Eigenverwaltung im Konzern nach der EuInsVO
1.
Eigenverwaltung in parallelen Insolvenzverfahren
25 Mit der EuInsVO soll vorrangig sichergestellt werden, dass Entscheidungen über die Eröffnung von Insolvenzverfahren und deren Wirkungen unionsweit anerkannt werden. Die Kriterien, die nationale Verfahren einhalten müssen, um in den Anwendungsbereich der Verordnung zu fallen, orientierten sich früher am traditionellen Verständnis von Insolvenzverfahren, das die Insolvenz des Schuldners, den Vermögensbeschlag und die Einsetzung eines Verwalters erfordert. 26 Viele nationale Insolvenzgesetze sehen die Möglichkeit von Verfahren im Vorfeld einer Insolvenz oder von kombinierten Verfahren, zu denen auch die Eigenverwaltung zählt, vor. Infolgedessen ist jetzt in Art. 2 Nr. 3 EuInsVO der Schuldner in Eigenverwaltung definiert. Zwar wird die Eigenverwaltung nicht ausdrücklich in Art. 1 EuInsVO erwähnt, lässt sich aber unter Art. 1 Abs. 1 lit. a EuInsVO subsumieren, da mit der Anordnung der Eigenverwaltung regelmäßig eine zumindest teilweise Entziehung der Verfügungsgewalt verbunden ist und eine „Überwachungsperson“ bestellt wird. Diese Überwachungsperson, die in Deutschland der Sachwalter ist, ist gemäß Art. 2 Nr. 5 Ziff. v EuInsVO i. V. m. Anhang B ein Insolvenzverwalter i. S. der Verordnung.34) 27 In der Verordnung wird allerdings nicht konsequent zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner in Eigenverwaltung unterschieden. So kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, inwieweit Fälle der Eigenverwaltung unter Art. 21 EuInsVO fallen.35) Da die Definition des Verwalters den eigenverwaltenden Schuldner nicht erfasst, ist mit Art. 21 EuInsVO keine Aussage über die Anerkennung des eigenverwaltenden Schuldners getroffen. Nur in ___________ 29) Sutschet, in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 65; ebenso Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/ Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 79. 30) Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. (EU) L 182/ 19 v. 29.6.2013. 31) Ausf. Eble, NZI 2016, 115. 32) Krit. Mock, in: BeckOK-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 36 f.; zust. Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/ Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 74. 33) Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 74. 34) Thole, in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 5. 35) Zum Meinungsstand Hänel, in: Vallender, EuInsVO, Art. 21 Rz. 11 ff. m. w. N., Art. 22 Rz. 16 ff.; Thole, in: MünchKomm-InsO, Art. 21 EuInsVO Rz. 2; von einem Redaktionsversehen ausgehend Tashiro, in: Braun, InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 9; vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Art. 41 EuInsVO Rz. 29.
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
§ 20
ausgewählten Artikeln ist der Schuldner in Eigenverwaltung den gleichen Regelungen wie der Insolvenzverwalter unterworfen, vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2, Art. 28 Abs. 1 und 2, Art. 29, Art. 38, Art. 55 Abs. 5 und 7 EuInsVO sowie alle einschlägigen für den Verwalter geltenden Bestimmungen in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Unternehmensgruppe, Art. 76 EuInsVO. Erfasst ist aber der Sachwalter, da dieser unter die Definition des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO 28 fällt und in Anhang B genannt ist. Diese gesetzgeberische Ungenauigkeit kann zu Schwierigkeiten führen, wenn und weil nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung der eigenverwaltende Schuldner die in Art. 21 EuInsVO angesprochenen grenzüberschreitenden Befugnisse zu erfüllen hat und der Sachwalter reine Überwachungsaufgaben wahrnimmt.36) Hier wird vorgeschlagen, das Fehlen der konkreten Regelung über das Kollisionsrecht zu lösen, weil sich die Ausgestaltung der Befugnisse des Schuldners in Eigenverwaltung grundsätzlich aus dem Recht des Eröffnungsstaats, Art. 7 Abs. 2 lit. c EuInsVO, und den Sachnormen der EuInsVO ergibt.37) Als Ansatz für ein Konzerninsolvenzrecht auf europäischer Ebene ist es daher möglich, 29 eine einheitlich koordinierte Verwertung des Vermögens einer Konzerngruppe oder eine Konzernsanierung im Wege der Anordnung der Eigenverwaltung zu erreichen.38) Die Eigenverwaltung ist zwar keine europäische Verfahrensweise, sondern ein Regelungsinstrument der deutschen InsO; allerdings enthalten die insolvenzrechtlichen Regelwerke der EU-Mitgliedstaaten teilweise vergleichbare Vorschriften (siehe auch § 21 Rz. 15 ff.).39) Nach dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 5 Ziff. v EuInsVO werden ausdrücklich Verfahren berücksichtigt, in denen ein Verwalter bestellt wird, dessen Aufgabe es ist, die Geschäftstätigkeit des Schuldners zu überwachen. Demzufolge fällt die Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO explizit in den Anwendungsbereich der EuInsVO.40) Unter den Voraussetzungen der Zuständigkeit eines deutschen Insolvenzgerichts und der Anwendung deutschen Rechts auf alle beteiligten Insolvenzverfahren ist die Konzernsanierung mittels Anordnung von Eigenverwaltung i. V. m. Insolvenzplänen möglich. Auf diesem Weg kann die Sanierung eines internationalen Konzerns aber nur erfolgen, wenn die im Ausland gelegenen Gesellschaften von dem Sanierungskonzept nicht betroffen sind.41) Für den Fall, dass nur das herrschende Unternehmen mit Sitz in Deutschland insolvent ist, die Eigenverwaltung angeordnet und ein Insolvenzplan erstellt wird, könnte das herrschende Unternehmen aufgrund der (fortbestehenden) Leitungsmacht auch die Sanierung von Tochterunternehmen vornehmen.42) Die Verfahrensweise kann so gestaltet werden, dass ein Verfahren zum Führungsverfahren wird, das die Gesamtstruktur überblickt – i. d. R. ist es das Hauptinsolvenzverfahren und bei mehreren Schuldnern das Verfahren der Konzernmutter.43) Entweder wird in allen parallelen Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung unter Herausbildung eines Leitverfahrens angeordnet oder es gibt ein Leitverfahren mit Insolvenzverwalter und die Anordnung der Eigenverwaltung in den Sekundärverfahren (siehe Rz. 44). ___________ Thole, in: MünchKomm-InsO, Art. 21 EuInsVO Rz. 2. Tashiro, in: Braun, InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 8; Thole, in: MünchKomm-InsO, Art. 21 EuInsVO Rz. 2. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 233 ff. Flessner, ZEuP 2004, 887, 904. Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 1 Rz. 17. Kirchhof/Lwowski/Stürner, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. Konzerninsolvenzrecht, Rz. 29. 42) Kirchhof/Lwowski/Stürner, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. Konzerninsolvenzrecht, Rz. 29. 43) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 102 f.
36) 37) 38) 39) 40) 41)
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
30 Ist bereits ein Hauptverfahren eröffnet und beantragt dessen Insolvenzverwalter oder der Schuldnervertreter für eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat die Insolvenz mit Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung, bereitet diese Konstellation nach den Regelungen der EuInsVO voraussichtlich weniger Schwierigkeiten.44) 31 Der Verordnungsgeber setzt auf eine stärkere Koordinierung der Insolvenzverfahren über das Vermögen einzelner Konzerngesellschaften, die zu einer besseren Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den beteiligten Gerichten, Art. 56 EuInsVO, den Verwaltern, Art. 57 EuInsVO, und zwischen Gerichten und Verwaltern, Art. 58 EuInsVO, führen soll. 32 Die jeweiligen Insolvenzverwalter und Insolvenzgerichte sollen wie bei einem Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren45) zusammenarbeiten müssen, Art. 56 bis 60 EuInsVO. Es soll v. a. vermieden werden, dass die Insolvenz einer Gesellschaft der Unternehmensgruppe die Fortführung des Betriebs der anderen Gesellschaften gefährdet. Eine Koordinierung mit Verfahren in Drittstaaten ist ausdrücklich nicht gewollt.46) Die Zusammenarbeit der Beteiligten steht unter der Prämisse, dass sie die Abwicklung der Verfahren erleichtern kann, mit den für die einzelnen Verfahren geltenden Normen zu vereinbaren ist und keine Interessenkonflikte verursacht, Art. 56 Abs. 1 Satz 1, Art. 57 Abs. 1 Satz 1, Art. 58 a. E. EuInsVO. 33 Die Zusammenarbeit kann je nach Konstellation des Verfahrens gestaltet werden. Die Insolvenzverwalter sollten v. a. relevante Informationen austauschen und bei Bedarf bei der Konzeption eines Sanierungs- oder Reorganisationsplans zusammenarbeiten. Explizit nennt die EuInsVO die Zusammenarbeit in Gestalt sog. Protokolle, Art. 56 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO. Damit soll die Bedeutung dieses Instruments in der internationalen Praxis hervorgehoben und dessen weitere Verbreitung gefördert werden.47) Die Kooperation der Gerichte sollte hauptsächlich durch Informationsaustausch, ggf. Abstimmung bei der Bestellung der Verwalter und Genehmigung der ihnen von den Verwaltern vorgelegten „Protokolle“ erfolgen, Art. 57 Abs. 3 Satz 2 lit. e EuInsVO. Die Verwalter können vereinbaren, einem Verwalter aus ihrer Mitte zusätzliche Befugnisse zu übertragen, wenn eine solche Vereinbarung nach den für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften zulässig ist, Art. 56 Abs. 2 Satz 2, 3 EuInsVO. 34 Dem Verwalter eines Verfahrens über das Vermögen eines Mitglieds einer Unternehmensgruppe werden verschiedene Rechte in Insolvenzverfahren anderer Mitglieder derselben Unternehmensgruppe zugestanden, soweit deren Ausübung die effektive Verfahrensabwicklung erleichtert, Art. 60 EuInsVO. Dazu zählen Anhörungs-, Antrags- und Vorschlagsrechte. So hat der Verwalter auch das Recht, ein Gruppen-Koordinationsverfahren zu beantragen, Art. 60 Abs. 1 lit. c EuInsVO. Hintergrund der Regelung ist der Gedanke, den Verwalter, der das größte Interesse an der Restrukturierung der Unternehmensgruppe hat, zu stärken.48) Haftungsregelungen für den Fall, dass Kooperationspflichten verletzt werden, enthält die EuInsVO nicht. Die Haftung der Verwalter richtet sich nach mitgliedstaatlichem Recht.49) ___________ 44) Krit. jedoch: Wenner, ZIP 2017, 1137, 1141; Fehrenbach, GPR 2017, 38, 43, 46 ff. 45) Jessica Schmidt, KTS 2015, 19, 37; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 465. 46) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743, 9. 47) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744, 10. 48) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744, 10; sehr krit. Thole/ Swierczok, ZIP 2013, 550, 557. 49) Prager/Keller, WM 2015, 805, 809.
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
§ 20
In den Art. 61 bis 77 EuInsVO wird das Gruppen-Koordinationsverfahren geregelt. Die 35 Regelungen ähneln denen des Koordinationsverfahrens im deutschen Recht (siehe § 19 Rz. 51 ff.). Das Koordinationsverfahren wird auf Antrag eines Verwalters, der in einem Verfahren über das Vermögen eines Mitglieds der Unternehmensgruppe bestellt worden ist, eröffnet. Der Antrag kann bei jedem Gericht gestellt werden, das für ein Insolvenzverfahren eines Gruppenmitglieds zuständig ist, Art. 61 Abs. 1 EuInsVO. Bei Stellung mehrerer Anträge bei verschiedenen Gerichten gilt das Prioritätsprinzip, Art. 62 EuInsVO; allerdings können die Verwalter mit Zweidrittelmehrheit eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen und so ein für das Koordinationsverfahren zuständiges Gericht festlegen, Art. 66 EuInsVO. Das angerufene Gericht informiert die anderen Verwalter über den Antrag, über die Person des Koordinators und darüber, dass zur Überzeugung des Gerichts ein Gruppen-Koordinationsverfahren keine Nachteile für die Gläubiger der Gruppenmitglieder bringt, Art. 61 Abs. 1 EuInsVO. Die beteiligten Verwalter haben hierzu ein Recht zur Äußerung und können ihre Einwände gegen die Einbeziehung in das Koordinationsverfahren und die Person des Koordinators erheben, Art. 64 Abs. 1 EuInsVO. Damit entscheiden die Verwalter über ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme am Koordinationsverfahren, Art. 65 Abs. 1 EuInsVO („opt-out“), wobei eine nachträgliche Einbeziehung in das Koordinationsverfahren später beim Gruppenkoordinator beantragt werden kann, Art. 69 EuInsVO („opt-in“). Der Gruppenkoordinator muss nach dem Recht eines Mitgliedstaats als Verwalter geeignet, Art. 71 Abs. 1 EuInsVO, und unabhängig sein, Art. 71 Abs. 2 EuInsVO. Der Koordinator legt Empfehlungen für die koordinierte Verfahrensabwicklung fest und stellt einen Gruppen-Koordinationsplan auf, Art. 72 Abs. 1 EuInsVO. Die einzelnen Verwalter müssen den Koordinationsplan und die Empfehlungen zwar berücksichtigen, sind aber nicht verpflichtet, sie zu befolgen. In diesem Fall müssen sie ihre Entscheidung für die Nichtbefolgung darlegen und begründen, Art. 70 Abs. 1, 2 EuInsVO. Zwar lässt sich bereits aus Erwägungsgrund 10 darauf schließen, dass die Verordnung ins- 36 gesamt auch für Verfahren in Eigenverwaltung gelten soll. Doch dient Art. 76 EuInsVO der Klarstellung, dass insbesondere die Vorschriften zu Koordination und Kooperation des Verwalters in Insolvenzverfahren mit Konzernbezug gemäß Art. 56 ff. EuInsVO für den Schuldner in Eigenverwaltung entsprechend anzuwenden sind, soweit dies mit Regelungsgehalt der Norm und Zielsetzung vereinbar ist.50) Die in den Art. 57–77 EuInsVO geregelten Rechte und Pflichten der Verwalter finden daher sinngemäß Anwendung auf die gesetzlichen Vertretungsorgane des Schuldners in Eigenverwaltung. Adressat der Rechte und Pflichten, die im Koordinationsverfahren den Verwalter treffen, ist somit das schuldnerische Unternehmen. Damit soll z. B. sichergestellt werden, dass auch bei einem oder mehreren Schuldnern in Eigenverwaltung ein Gruppen-Koordinationsverfahren nicht verhindert wird.51) Gleichwohl ist nach nationalem Recht zu prüfen, ob die Aufgaben dem Schuldner oder einem Sachwalter oder vergleichbaren Amtsträger zukommen oder seiner Zustimmung bedürfen.52) Demzufolge steht dem Schuldner in Eigenverwaltung (gemäß §§ 270 ff. InsO) und nicht dem Sachwalter das Antragsrecht auf Eröffnung eines GruppenKoordinationsverfahrens zu.53) Ein konzernangehöriger Schuldner in Eigenverwaltung kann jedoch nicht das Amt des Koordinators nach Art. 71 EuInsVO wahrnehmen.54) ___________ Cülter, in: Braun, InsO, Art. 76 EuInsVO Rz. 2; Fritz, in: Vallender, EuInsVO, Art. 76 Rz. 3. Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 76 Rz. 2. Fritz, in: Vallender, EuInsVO, Art. 76 Rz. 4. Madaus, in: Vallender, EuInsVO, Art. 61 Rz. 8; Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 61 Rz. 18. 54) Fritz, in: Vallender, EuInsVO, Art. 76 Rz. 3.
50) 51) 52) 53)
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2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
37 Die Pflichten zur Zusammenarbeit sind eng an die Kooperationspflichten im Sekundärverfahren gemäß Art. 41 EuInsVO angelehnt.55) Offen ist bisher, ob auch der Sachwalter zum Kreis der Kooperationspartner gehören soll. Dagegen spricht, dass diesem im Wesentlichen Überwachungsaufgaben zukommen.56) Andererseits ist der Sachwalter in Anhang C ausdrücklich als Verwalter aufgeführt, sodass einiges für seine Mitwirkungspflicht spricht.57) Ob die Einführung des Kapitels V zu einer besseren Koordinierung der Verfahren über das Vermögen einer Unternehmensgruppe führt, wird v. a. von der Einstellung der damit befassten Beteiligten abhängen.58) 2.
Eigenverwaltung im Konzern in Sekundärinsolvenzverfahren59)
2.1
Allgemeines
38 Dem Hauptinsolvenzverfahren sollen sich etwaige andere Verfahren unterordnen. Aus diesem Grund ist die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens an enge Voraussetzungen geknüpft.60) 39 Gibt es im Mitgliedstaat der Antragstellung eine selbstständige Tochter eines Konzerns, wird kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet, da eine Tochtergesellschaft grundsätzlich nicht die Voraussetzungen einer Niederlassung nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO erfüllt61) und eine erweiternde Auslegung des Begriffs Niederlassung in dem Sinne, dass bei einem Konzern bereits das Anteilsrecht an der ausländischen Tochter als Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat zur Annahme einer Niederlassung ausreicht,62) gegen den Wortlaut des Art. 2 Nr. 10 EuInsVO und die Intention des Verordnungsgebers verstoßen würde.63) In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Unternehmensgruppe gelten Konstellationen, in denen die Geschäfte nicht über eigenständige nationale Tochtergesellschaften abgewickelt werden, sondern über Niederlassungen, in denen sich häufig auch wesentliche Vermögenswerte befinden – z. B. zur Auslieferung vorgesehene Waren –, als typische Fälle für Sekundärverfahren.64) 40 Infolge einer jüngeren Entscheidung des EuGH65) wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass auch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens am satzungsmäßigen Gesellschaftssitz und dementsprechend die vereinfachte Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren möglich ist.66) Nach überwiegender Auffassung darf jedoch die gesellschaftsrechtliche Selbstständigkeit eines Rechtsträgers insolvenzrechtlich nicht ignoriert werden. Vielmehr ist bei einer Insolvenz der in einen Konzern eingegliederten Gesellschaft daran festzuhalten, dass eine Gesellschaft, die ihr COMI in einem Mitgliedstaat hat, nicht zu___________ 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66)
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Hermann, in: Vallender, EuInsVO, Art. 56 Rz. 40 ff. So jedenfalls Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 76 Rz. 5. Hermann, in: Vallender, EuInsVO, Art. 56 Rz. 16. So auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1514. S. ausf. zur Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren § 21 Rz. 70 ff. Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 8. Ausf. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Art. 2 EuInsVO Rz. 27 f.; Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 6; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 2 Rz. 60. Paulus, ZIP 2002, 729, 730. Virgós/Schmit, in: Stoll, S. 58 f., Nr. 70, 71; Sutschet, in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 41. Schuster, NZI 2017, 873, 877. EuGH v. 4.9.2014 – Rs. C-327/13 (Burgo Group SpA ./. Illochroma SA in Liquidation), ZIP 2014, 2513 = EuZW 2015, 34, dazu EWiR 2015, 81 (Undritz). Baumert, LMK 2014, 362606 (Anm. zu EuGH v. 4.9.2014 – Rs. C-327/13 (Burgo Group SpA ./. Illochroma SA in Liquidation), ZIP 2014, 2513 = EuZW 2015, 34); ebenso Jessica Schmidt, in: Mankowski/ Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 56; a. A. Sutschet, in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 50.
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
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gleich eine Niederlassung der in einem anderen Mitgliedstaat residierenden Gesellschaft sein kann.67) Überdies hat sich der Verordnungsgeber mit der EuInsVO 2015 zum Ziel gesetzt, die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren einzudämmen. Würde aus der Entscheidung des EuGH die einfachere Eröffnung von Sekundärverfahren geschlussfolgert, stünde das im Widerspruch zur Intention des Verordnungsgebers. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO sieht zusätzlich vor, dass eine nicht mehr bestehende Niederlas- 41 sung noch drei Monate lang „nachwirkt“. Diese dreimonatige Retrospektivfrist korrespondiert mit den Fristen in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 EuInsVO und soll ebenso missbräuchliches forum shopping verhindern.68) Der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens kann natürlich die Eröffnung eines Sekun- 42 därinsolvenzverfahrens beantragen, wenn sich komplexe Verfahren dadurch besser bearbeiten lassen. Das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht hat den Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens vor der Entscheidung anzuhören, Art. 38 Abs. 1 EuInsVO. Diese Regelung soll sicherstellen, dass dieses Gericht umfassend über alle Sanierungsoptionen, denen der Verwalter nachgeht, informiert und in die Lage versetzt wird, die Folgen der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu beurteilen.69) Die Feststellung des Insolvenzgrunds im Sekundärinsolvenzverfahren ist entbehrlich, 43 wenn das Hauptinsolvenzverfahren voraussetzt, dass der Schuldner insolvent ist, Art. 34 Satz 2 EuInsVO. Daraus folgt, dass die Gerichte aber dann eine Prüfung vornehmen müssen, wenn das Hauptverfahren ohne Eintritt der materiellen Insolvenz eröffnet wurde oder der Eintritt der Insolvenz nur wahrscheinlich ist.70) Das bedeutet, dass das Gericht den Insolvenzgrund jedenfalls dann prüfen muss, wenn es sich bei dem Hauptverfahren um ein Sanierungsverfahren handelt.71) Bei einem Sekundärinsolvenzverfahren muss es sich nicht mehr um ein Liquidationsver- 44 fahren handeln (siehe auch unten § 21 Rz. 72 ff.).72) Diese frühere Voraussetzung wurde als sanierungsfeindlich eingeschätzt und in der EuInsVO 2015 gestrichen. Mit dieser Änderung ist gewährleistet, dass die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht schon per se der Sanierung oder Restrukturierung des Schuldnerunternehmens als Einheit entgegensteht, Erwägungsgrund 48 EuInsVO. Das bedeutet auch, dass nunmehr ein Sekundärverfahren in Eigenverwaltung zum Zwecke der Sanierung der schuldnerischen Gesellschaft der Unternehmensgruppe geführt werden kann, womit sich grundsätzlich neue Gestaltungsspielräume für die Verfahrensabwicklung der Insolvenz der Gesellschaften einer Unternehmensgruppe ergeben können. Voraussetzung ist, dass das Verfahren in Anhang A oder Anhang B der EuInsVO aufgeführt ist. In diesem Zusammenhang regelt Art. 102c § 15 Satz 1 EGInsO, dass ein Insolvenzplan in einem in Deutschland eröffneten Sekundärverfahren, der eine Stundung, einen Erlass oder sonstige Einschränkungen der Gläubiger___________ 67) Sutschet, in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 50 m. w. N. 68) Jessica Schmidt, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 48. 69) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744, 8. 70) Vallender/Zipperer, in: Vallender, EuInsVO, Art. 3 Rz. 39. 71) EuGH, Schlussanträge (GA Kokott) v. 24.5.2012 – Rs. C-116/11 (Sad Rejonowy Poznan Stare Miasto w Poznan [Handlowy]), ZIP 2012, 1133, 1140; ebenso Vallender/Zipperer, in: Vallender, EuInsVO, Art. 3 Rz. 39. 72) Keller, in: Vallender, EuInsVO, Art. 34 Rz. 26; Schmidt, KTS 2015, 19, 30; vgl. auch AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); Kübler, in: FS Gerhardt, 2004, S. 527, 538; Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 566 ff.; Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 12.
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§ 20
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
rechte enthält, vom Insolvenzgericht nur bestätigt werden darf, wenn alle betroffenen Gläubiger diesem Plan zugestimmt haben. 2.2
Antragstellung73)
45 Das Sekundärinsolvenzverfahren kann neben dem Schutz der Interessen der lokalen Gläubiger auch der Unterstützung des Hauptverfahrens dienen, wenn es die effiziente Verwaltung fördert. Das wird darin deutlich, dass auch der Hauptinsolvenzverwalter das Recht hat, ein Sekundärverfahren zu beantragen (siehe auch unten § 21 Rz. 94).74) Das verordnungsautonome Antragsrecht aus Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO steht nur dem Hauptinsolvenzverwalter, nicht hingegen den Verwaltern aus anderen Sekundärinsolvenzverfahren zu. 46 Der Sachwalter im Hauptverfahren soll nach h. M. grundsätzlich nicht zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Sekundärverfahrens befugt sein.75) Er kann allerdings zur Antragstellung berechtigt sein, wenn das Insolvenzrecht des Niederlassungsstaats ein solches Antragsrecht vorsieht. Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO. Auch der Schuldner in Eigenverwaltung im Hauptverfahren, der – z. B. gemäß §§ 270 ff. InsO – die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen behält, ist zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens berechtigt.76) Allerdings würde sich der Schuldner bei Eigenverwaltung, wenn er einen Sekundärinsolvenzantrag stellt, die ihm als Eigen(haupt)verwalter zustehende Verfügungsbefugnis über die Gegenstände der Sekundärinsolvenzmasse selber entziehen und einem Sekundärinsolvenzverwalter zuweisen. Aus dieser Interessenlage heraus wird ein eigenverwaltender Schuldner, selbst wenn er antragsbefugt ist, kaum je einen Sekundärinsolvenzantrag stellen.77) 2.3
Zusicherung zwecks Vermeidung78)
47 Die Bestimmungen zur Ermöglichung sog. synthetischer Sekundärverfahren sind zwar nicht im Abschnitt über die konzernspezifischen Bestimmungen geregelt, aber auf konzernrechtliche Anwendungskontexte zugeschnitten.79) In diesen Fällen, in denen Geschäfte über eigenständige Niederlassungen, in denen sich substantielle Vermögenswerte befinden, abgewickelt werden, kann auch die Anzahl der von der Zusicherung potenziell betroffenen Gläubiger besonders hoch sein. 48 Zur Vermeidung des Sekundärinsolvenzverfahrens kann der Verwalter des Hauptverfahrens eine Zusicherung gemäß Art. 36 EuInsVO abgeben (siehe unten § 21 Rz. 77 ff., 84).80) Der Begriff „Verwalter“ ist autonom auszulegen und wird in Art. 2 Nr. 5 EuInsVO definiert; auch der vorläufige Insolvenzverwalter ist damit umfasst. ___________ 73) S. auch unten § 21 Rz. 83 ff., 91 ff. 74) Keller, in: Vallender, EuInsVO, Art. 34 Rz. 5. 75) Keller, in: Vallender, EuInsVO, Art. 37 Rz. 3; anders entschieden im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Küpper-Gruppe, AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17, Erfahrungsbericht INDatReport 1/2018, S. 38 ff. 76) Delzant, in: Braun, InsO, Art. 37 EuInsVO Rz. 10; a. A. Mankowski, in: Mankowski/Müller/ Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 37 Rz. 6 f., die Mitgliedstaaten haben insoweit die Prärogative. Indem sie die Entscheidung treffen, welchen Personenkreis sie als Insolvenzverwalter im Anhang C melden und damit im normativen Teil der EuInsVO verankern, beantworten sie jene Frage abschließend und für den Rechtsanwender bindend. Vgl. auch Wenner/Schuster, in: Wimmer, InsO, Art. 37 EuInsVO Rz. 11 f. 77) Mankowski, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 37 Rz. 7. 78) S. unten § 21 Rz. 77 ff., 84, 118. 79) Bornemann, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Teil K Rz. 522. 80) Ausf. auch Schuster, NZI 2017, 873.
600
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
§ 20
Wird in Deutschland ein Hauptinsolvenzverfahren in Eigenverwaltung angeordnet, stellt 49 sich die Frage, ob der Schuldner in Eigenverwaltung oder aber der Sachwalter zur Abgabe der Zusicherung befugt ist. Bei wörtlicher Auslegung des Art. 36 Abs. 1 EuInsVO würde dieses Recht nur dem Sachwalter zustehen, da dort nur der Verwalter genannt wird. Diese wörtliche Auslegung würde jedoch zu Widersprüchen mit der nach deutschem Insolvenzrecht geltenden Kompetenzverteilung zwischen dem Schuldner in Eigenverwaltung und dem Sachwalter führen. Da der Sachwalter nicht die Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen innehat, soll er zur Abgabe der Zusicherung, in der er sich gegenüber lokalen Gläubigern zu zukünftigen Verfügungen und Vermögensverteilungen verpflichten würde, nach deutschem Insolvenzrecht nicht berechtigt sein.81) Ein Fall aus der jüngsten Praxis zeigt allerdings, dass auch anders verfahren werden kann.82) Hier konnte – offensichtlich erstmalig seit der Neuregelung der EuInsVO – ein Sekundärverfahren in Ungarn vermieden werden. Der Sachwalter über vier deutsche Gesellschaften einer Unternehmensgruppe und gleichzeitig Insolvenzverwalter der ungarischen Gesellschaft erhielt für seine Zusicherung einstimmig die Zustimmung der lokalen Gläubiger.83) Gibt der Schuldner in Eigenverwaltung die Zusicherung ab, sollte er sich jedoch gemäß 50 § 275 InsO die Zustimmung des Sachwalters zur Abgabe der Zusicherung einholen.84) Hat das Insolvenzgericht gemäß § 277 InsO auf Antrag der Gläubigerversammlung angeordnet, dass die Abgabe einer Zusicherung durch den Schuldner der Zustimmung des Sachwalters bedarf, ist deren Erteilung für die Wirksamkeit der Zusicherung konstitutiv.85) Die Zusicherung ist allerdings nur verbindlich und nicht vollstreckbar. Das bedeutet, dass im Falle der Weigerung des Verwalters, die Zusicherung zu erfüllen, die Rechte aus der Zusicherung klageweise durchgesetzt werden müssen.86) 2.4
Kooperationspflicht87)
Die für die Verwalter geltende Kooperationspflicht gilt gleichfalls für den Schuldner in 51 Eigenverwaltung, Art. 41 Abs. 3 EuInsVO, und mittelbar auch für den Sachwalter.88) Dabei ist es unerheblich, ob die Eigenverwaltung in der Hauptinsolvenz, in der Sekundärinsolvenz oder in beiden angeordnet ist. Grundsätzlich tritt der eigenverwaltende Schuldner an die Stelle des Verwalters. Allerdings ist auf Besonderheiten und Abweichungen in der Ausgestaltung seiner Stellung gegenüber der eines Fremdverwalters zu achten.89) Je nach Ausgestaltung der einzelnen lex fori können dem eigenverwaltenden Schuldner Sachwalter oder sonstige institutionalisierte Überwacher zur Seite gestellt sein. Sinngemäß sollte über Art. 41 Abs. 3 EuInsVO auch eine Kooperationspflicht zwischen etwaigen Sachwaltern untereinander und zwischen Sachwaltern und Verwaltern anderer Verfahren bestehen.90) ___________ 81) Str.: Delzant, in: Braun, InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 5; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Art. 36 EuInsVO Rz. 24; a. A. Reinhart, in: MünchKomm-InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 18; ebenso Schuster, NZI 2017, 873, 874. 82) Insolvenzverfahren über das Vermögen der Küpper-Gruppe, AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17, Erfahrungsbericht INDat-Report 1/2018, S. 38 ff. 83) Insolvenzverfahren über das Vermögen der Küpper-Gruppe, AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17, Erfahrungsbericht INDat-Report 1/2018, S. 38 ff. 84) Delzant, in: Braun, InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 5. 85) Delzant, in: Braun, InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 5. 86) Mankowski, NZI 2015, 961, 965; Prager/Keller, WM 2015, 805, 808. 87) S. ausf. unten § 21 Rz. 78, 113 ff. 88) Hermann, in: Vallender, EuInsVO, Art. 41 Rz. 8; Mankowski, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 41 Rz. 99. 89) Mankowski, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 41 Rz. 99. 90) Mankowski, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 41 Rz. 100.
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§ 20
2. Teil Eigenverwaltung – Konzern
52 Auch wenn die EuInsVO von der engen Zusammenarbeit von Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter ausgeht, wäre eine Personenidentität in beiden Verfahren wohl nicht von der Intention des EU-Gesetzgebers gedeckt, da die Interessenlage der Verwalter der beiden Verfahren zu unterschiedlich ist.91) Die Praxis wird zeigen, ob die Reform der EuInsVO diesbezüglich Änderungen bringt, wenn in Insolvenzverfahren mehrerer Mitglieder einer Unternehmensgruppe die Eigenverwaltung angeordnet wird und es zu Sekundärinsolvenzverfahren kommt.92) 53 Die Verfahrensweise kann so gestaltet werden, dass es z. B. ein Leitverfahren mit Insolvenzverwalter gibt und die Eigenverwaltung in den Sekundärverfahren angeordnet wird. Die Besonderheit eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Eigenverwaltung besteht darin, dass der Hauptinsolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch für die im Sekundärverfahren befindliche Niederlassung behalten kann und lediglich von einem Sachwalter überwacht wird.93) 54 Die Konzentration der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in einer Hand im Hauptverfahren als Leitverfahren ermöglicht, dass die Koordination der Sekundärverfahren zentral vom Hauptverfahren aus erfolgen kann.94) Erstmals hatte das AG Köln eine Verfahrenskoordination im Wege der Anordnung der Eigenverwaltung zu erreichen versucht.95) In diesem Fall war über das Vermögen einer deutschen GmbH mit Sitz in Deutschland, die 100 %ige Tochter einer englischen Limited war (über deren Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden war), ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet worden. Hintergrund war, dass die Position des Hauptverwalters hinsichtlich der Entscheidung über den weiteren Ablauf des Verfahrens zunächst unsicher erschien. Da es für den Hauptverwalter nicht absehbar war, ob und wann ein Gläubiger einen Antrag auf ein Sekundärverfahren stellen würde, wählte er den Weg der eigenen Antragstellung auf ein Sekundärinsolvenzverfahren mit Anordnung der Eigenverwaltung, um die Verwaltungsbefugnis nicht zu verlieren, Art. 29a EuInsVO a. F.96) 55 Es bestehen allerdings – nach wie vor – Zweifel, ob eine Personenidentität im Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren der Vorstellung des Europäischen Gesetzgebers und dem Konzept der Parallelverfahren entspricht.97) Ein Großteil der Vorschriften für das Sekundärinsolvenzverfahren, wie insbesondere Art. 41 EuInsVO mit seiner Statuierung einer Kooperations- und Informationspflicht, wären im Fall der Personalunion überflüssig. Da sich aus der Doppelrolle des Verwalters (bzw. des eigenverwaltenden Schuldners) im Hauptinsolvenzverfahren der Interessenkonflikt ergibt, sowohl im Haupt- als auch im Sekundärinsolvenzverfahren verwaltungs- und verfügungsbefugt zu sein, kann hierin ein Nachteil i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu sehen sein (siehe auch unten § 21 Rz. 96 ff.).98) Es bleibt damit die Hürde, dass die Gläubiger einen Aufhebungsantrag stellen, um die Möglichkeit der Eigenverwaltung zu verhindern. Diesem Einwand kann jedoch ___________ 91) Keller, in: Vallender, EuInsVO, Art. 34 Rz. 25. 92) Befürwortend Mankowski, in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 34 Rz. 29 f. 93) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 233, 236. 94) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 106. 95) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471. 96) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 107 f.; Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 573. 97) Brinkmann, in: K. Schmidt, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 28; Kübler, in: FS Wellensiek, 2011, S. 795, 808 m. w. N.; anders AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17 (Küpper-Gruppe), das die etwaige Interessenkollision des Verwalters in seiner Eigenschaft als Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter der verschiedenen Gesellschaften durch Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern gelöst hat, INDat Report 1/2018, S. 38 ff. 98) Herchen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 27 Rz. 92.
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Eigenverwaltung im internationalen Konzern
§ 20
Sinn und Zweck der Regelung der Eigenverwaltung entgegengehalten werden, der gerade auch darin besteht, dass der Betrieb aufgrund der besonderen Kenntnisse und der Fähigkeiten des Schuldners besser durch diesen als durch einen Verwalter aufrechterhalten werden kann. Im Fall, den das AG Köln zu entscheiden hatte, war es allerdings der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens, der die Betriebsfortführung am besten gewährleisten konnte, da er bereits eingearbeitet war und gerade keine Nachteile i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu befürchten waren.99) Die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ist gerade angesichts 56 der Neuregelungen in der EuInsVO keineswegs ausgeschlossen. Gefordert wird eine einzelfallbezogene Prognoseentscheidung des Gerichts, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht nur nicht zu Nachteilen für die Gläubiger, sondern zu einer schnelleren Verfahrensbeendigung und einer besseren Quote führt.100) Die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren, bei der das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das (gesamte) schuldnerische Vermögen beim Hauptinsolvenzverwalter oder beim im Hauptverfahren eigenverwaltenden Schuldner verbleibt, kann in besonderem Maße dazu beitragen, Abstimmungsschwierigkeiten zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Dies kann sich wiederum vorteilhaft auf die Befriedigungschancen der Gläubiger auswirken. Ob der zuständige Richter der Eigenverwaltung gegenüber grundsätzlich und speziell in 57 einer derartigen Konstellation aufgeschlossen ist oder doch zur Wahrung der Interessen der nationalen Gläubiger die Bestellung eines zusätzlichen Insolvenzverwalters für erforderlich hält, ist von der jeweiligen Fallkonstellation abhängig. Die tätigen Verwalter sollten ein ähnliches Verständnis von Sanierung haben.101) Möglicherweise ist eine solche Handlungsoption bereits deshalb ausgeschlossen, weil die betreffende Rechtsordnung die Eigenverwaltung als Rechtsinstitut nicht kennt.102) Der für die Zulässigkeit der Eigenverwaltung im Sekundärverfahren häufig genannte Vorteil einer einheitlichen Verfahrensabwicklung wird wohl auch zukünftig vorrangig durch die Kooperations- und Koordinationspflichten der Art. 41 ff. EuInsVO verwirklicht werden.
___________ 99) 100) 101) 102)
AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471, 474. AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471, 475. Vgl. INDat-Report 1/2018, S. 38 ff. Kübler, in: FS Wellensiek, 2011, S. 795, 807 m. w. N.
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D. Eigenverwaltung und EuInsVO § 21 Grenzüberschreitende Eigenverwaltung Dreschers
I.
Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im internationalen Vergleich........... 1 1. Ausgangssituation........................................ 1 2. Modelle der Eigenverwaltung im internationalen Umfeld ....................................... 5 2.1 Der „Debtor in Possession“ nach US-amerikanischem Recht....... 5 2.1.1 Die gesetzliche Ausgangslage ......... 5 2.1.2 Die “Secured Party in Possession” .................................... 12 2.2 Die Eigenverwaltung in England und Wales........................ 15 2.3 Die Eigenverwaltung in Frankreich...................................... 26 2.4 Die Eigenverwaltung in Österreich ...................................... 37 II. Die Eigenverwaltung unter dem Regime der EuInsVO ............................... 48 1. Die Eigenverwaltung im Hauptinsolvenzverfahren ............................................. 52 2. Die Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ........................................ 70 2.1 Die Intention des Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO........................................ 79 2.2 Die Antragsbefugnis der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ........................... 83
2.2.1
Antragsbefugnis des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens ..... 83 2.2.2 Antragsbefugnis des Schuldners bzw. der organschaftlichen Vertreter des Schuldners..................... 91 2.2.3 Antragsbefugnis der Gläubiger des Schuldners ............................... 94 2.3 Die Position des „Schuldners“ im Sekundärinsolvenzverfahren ... 95 2.3.1 Der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens............................ 95 2.3.2 Die Geschäftsleitung bzw. Organe des Insolvenzschuldners .................................... 106 2.3.3 Die organschaftliche Bestellung eines externen Insolvenzexperten ....................................... 107 2.4 Die Funktion des „Sachwalters“ ........................................ 108 2.5 Kooperationspflichten zwischen den Verwaltern von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren .............................. 113 III. Ausblick: Die Eigenverwaltung im präventiven Restrukturierungsverfahren.................................................. 121
Literatur: Dammann, Die Erfolgsrezepte französischer vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren, NZI 2009, 502; Dammann, Die Schlüssel des Erfolgs der französischen Vorverfahren und der neuen procedure de sauvegarde, NZI 2008, 420; Jacobi, Das präventive Restrukturierungsverfahren, ZInsO 2017, 1; Kindler, Hauptfragen der Reform des Europäischen und internationalen Insolvenzrechts, KTS 2014, 25; Meyer-Löwy/Poertzgen, Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) löst Kompetenzkonflikt nach der EuInsVO, ZInsO 2004, 195; Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, Eigenverwaltung in Österreich – ein Erfahrungs- und Entwicklungsbericht von 2010 bis heute, ZInsO 2016, 413; NunnerKrautgasser, Aktuelle Insolvenzreform in Österreich: Erleichterung der Restschuldbefreiung für natürliche Personen, ZInsO 2017, 2525; Priebe, Chapter 11 & Co. Eine Einführung in das US-Insolvenzrecht und ein erster Rückblick auf die Jahre 2007 – 2010 der Weltwirtschaftskrise, ZInsO 2011, 1676; Riel, Die Eigenverwaltung im neuen österreichischen Sanierungsverfahren, ZInsO 2011, 1400; Sax/Swierczok, Die Anerkennung des englischen Scheme of Arrangement in Deutschland post Brexit, ZIP 2017, 601; Vallender, Aktuelle und künftige Herausforderungen für Insolvenzrichter und -Rechtspfleger, ZInsO 2017, 2464; Zipperer, Der präventive Restrukturierungsrahmen – ein flankierendes Projekt der Kommission zur Effektivierung der EuInsVO, ZInsO 2016, 831.
I.
Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im internationalen Vergleich
1.
Ausgangssituation
1 Die erstmalige Einführung der Möglichkeit einer Eigenverwaltung mit der zum 1.1.1999 in Kraft getretenen InsO stellte seinerzeit einen der Eckpfeiler der umfassenden Neurege-
604
Dreschers
§ 21
Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
lung des deutschen Insolvenzrechts dar. Im Rahmen der Entwicklung dieses Rechtsinstituts standen seit jeher die Erfahrungen anderer Länder mit verwalterlosen Sanierungsverfahren – am prominentesten wohl das US-amerikanische Chapter 11-Verfahren (Chapter 11-Verfahren) – Pate. In der Praxis spielt eine Anordnung – von wenigen in der Presse bekannt gewordenen Ausnahmen wie Babcock Borsig, Kirch Media oder Air Berlin einmal abgesehen – gegenüber der „klassischen“ Regelinsolvenz statistisch gesehen bislang immer noch eine untergeordnete Rolle.1) Einstweilen frei.
2
In Anbetracht der zunehmenden Globalisierung muss sich das deutsche Recht der Eigen- 3 verwaltung dem ständigen internationalen Wettbewerb der Restrukturierungsrechte stellen und sich die Frage gefallen lassen, ob die bislang bestehende fehlende Akzeptanz der in Deutschland gültigen Rechtsregeln für das verwalterlose Verfahren (auch) auf Defizite gegenüber vergleichbaren Rechtsinstituten auf internationaler Ebene zurückzuführen ist.2) Dies wirft automatisch die Frage auf, wie konkurrierende Rechtsordnungen mit verwal- 4 terlosen Verfahren umgehen. 2.
Modelle der Eigenverwaltung im internationalen Umfeld
2.1
Der „Debtor in Possession“ nach US-amerikanischem Recht
2.1.1 Die gesetzliche Ausgangslage Das US-Insolvenzrecht ist in Gestalt des 1978 eingeführten Bankruptcy Code überwiegend 5 in Titel 11 des United States Code (U.S.C.) niedergelegt. Er enthält insgesamt neun Abschnitte („Chapter“), die sich mit dem internationalen Insolvenzrecht (Chapter 15) und allgemeinen Vorschriften (Chapter 1, 3, 5), mit einem allgemeinen Liquidationsverfahren (Chapter 7) sowie insgesamt vier Reorganisations- bzw. Schuldenregulierungsverfahren (Chapter 9, 11, 12, 13) befassen, deren jeweiliger Anwendungsbereich sich in erster Linie nach der Identität des Schuldners richtet. Für Unternehmen bzw. juristische Personen stehen demnach im Wesentlichen das allgemeine Liquidationsverfahren gemäß Chapter 7 sowie das Restrukturierungsverfahren gemäß Chapter 11 zur Verfügung.3) Das Chapter 11-Verfahren4) stellt dabei nicht zuletzt in Anbetracht der in den USA be- 6 stehenden langjährigen Erfahrung auf internationaler Ebene quasi die Urform des verwal___________ 1)
2)
3)
4)
Das Statistische Bundesamt vermeldete für den Zeitraum 2005–2010 bezogen auf Regelinsolvenzverfahren (IN) einen Anteil der angeordneten Eigenverwaltungen zwischen 0,44 % (2005) und 0,67 % (2010); zur statistischen Auswertung auch Kranzusch, ZInsO 2008, 1346. Die Ergebnisse der Evaluierung des ESUG wurden im November 2018 veröffentlicht; eine Zusammenfassung enthält § 58. Eine statistische Auswertung der Boston Consulting Group BCG München hat gezeigt, dass innerhalb des Zeitraums 3/2012– 1/2017 insgesamt 1.236 und damit 2,6 % der Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt wurden; 41 % davon scheiterten jedoch und kehrten zur Regelabwicklung zurück; abrufbar unter https:// www.bcg.com/de-de/d/press/13mar2017-fuenf-jahre-einfuehrung-insolvenzrecht-esug-erfolg-149333 (Abrufdatum: 31.8.2018). An der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde 2009 i. R. einer Forschungsprofessur zum Thema „Wettbewerb der Gesellschaftsrechte und der Insolvenzrechte in Europa“ eine empirische Untersuchung zum Reformbedarf im Restrukturierungsrecht durchgeführt. Als Ergebnis der insgesamt 51 Interviews mit in- und ausländischen Restrukturierungspraktikern stellt das Recht der Eigenverwaltung im Rechtswettbewerb einen wichtigen Faktor dar, der in seiner Bedeutsamkeit allerdings von der Vorhersehbarkeit des Verfahrens, der Möglichkeit der Verwalterauswahl sowie der Möglichkeit, auf Gesellschafterrechte Zugriff zu nehmen, übertroffen wird. Zur Auswertung der Ergebnisse i. E. Eidenmüller/ Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545. Hierzu i. E. Meyer-Löwy/Poertzgen/Eckhoff, ZInsO 2005, 735; Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 361 ff. Zum Ablauf des Chapter 11-Verfahrens auch Gräwe, ZInsO 2012, 158 ff. Vgl. hierzu auch die ausf. Gesamtdarstellung bei Grauke/Harwitz, in: MünchKomm-InsO, Länderbericht USA, S. 1523 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
terlosen Sanierungsverfahrens dar. In jüngerer Zeit wurde es dabei auch in Deutschland der Allgemeinheit bekannt durch prominente Beispielsfälle wie etwa Lehman Brothers Holdings, General Motors, Chrysler, American Airlines oder Toys’R’Us. 7 Ein Verfahren nach Chapter 11 ist gemäß Chapter 11 U.S.C. §§ 1104, 1107 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen primär als verwalterloses Verfahren ausgestaltet,5) um dem Schuldner als „debtor in possession“ (DIP) eine Motivation für eine frühzeitige Verfahrenseinleitung zu eröffnen,6) sein vorhandenes branchenspezifisches Know-how im Bereich des Managements weiterhin zu verwenden und letztlich auch die Kosten des Restrukturierungsverfahrens zu minimieren.7) Im Bedarfsfall besteht für das US-amerikanische Insolvenzgericht die Möglichkeit, die Kompetenzen des Schuldners zu beschneiden und einen externen trustee oder auch einen examiner zu benennen. Der trustee übernimmt als Treuhänder eine einem Insolvenzverwalter vergleichbare Funktion, dem examiner kommt demgegenüber die Rolle eines die Geschäftstätigkeit des Schuldners überwachenden Sachwalters zu.8) 8 Dem als DIP fungierenden Schuldner obliegt neben seiner Funktion als Verfahrensschuldner im Regelfall die Aufgabe eines trustee mit der entsprechenden verwaltenden Rechtskompetenz9) bis hin zur Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen.10) In dieser Position ist ihm gegenüber seinen Gläubigern eine besondere Pflichtenstellung (duty of care und duty of loyalty) auferlegt; umstritten ist im Übrigen, ob und inwieweit er sich entlastend auf die Business Judgment Rule berufen kann.11) Der Schuldner bzw. das Management des DIP hat nach Eröffnung des Reorganisationsverfahrens 120 Tage Zeit, beim zuständigen Insolvenzgericht einen Reorganisationsplan vorzulegen (im Bedarfsfall kann diese Frist um 60 Tage verlängert werden12)). 9 Substanzielle Vermögensveräußerungen unterliegen dabei einer Zustimmungspflicht des Insolvenzgerichts.13) 10 Prägend für die Stellung des „debtor in possession“ im Chapter 11-Verfahren ist mithin eine Doppelrolle des Schuldners, der auf der einen Seite die Geschäfte seines Unterneh___________ 5) S. hierzu auch die vergleichende Betrachtung zwischen dem „verwalterlosen“ Chapter 11-Verfahren und dem deutschen Sachwalter bei Korch, ZIP 2018, 109; Simon/Harder, NZI 2016, 434. 6) Dabei kennt das US-amerikanische Insolvenzecht keine strafbewehrte Insolvenzantragspflicht; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338, Fn. 9. 7) Gesamtdarstellung bei Tabb, The Law of Bankruptcy, 3. Aufl., 2013, S. 777; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 18; Flessner, Sanierung und Reorganisation – Insolvenzverfahren für Großunternehmen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Untersuchung, 1982, S. 223 ff.; vgl. zum Verfahrensablauf i. E. auch die Darstellungen von Gräwe, ZInsO 2012, 158, und Priebe, ZInsO 2011, 1676; zu aktuellen Reformbestrebungen des US-amerikanischen Gesetzgebers und Auswirkungen der Erkenntnisse auf das deutsche Insolvenzrecht vgl. ausf. Siemon, ZInsO 2013, 1861. 8) In der Praxis ist die Bestellung eines „trustee“ oder „examiner“ auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen eine strafrechtlich relevante Insolvenzverursachung naheliegt; vgl. Tabb, The Law of Bankruptcy, 3. Aufl., 2013, S. 780–782; McCormack, Corporate Rescue Law, 2008, S. 82. 9) Flessner, Sanierung und Reorganisation – Insolvenzverfahren für Großunternehmen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Untersuchung, 1982, S. 225; Tabb, The Law of Bankruptcy, 3. Aufl., 2013, S. 770 – 773; hierzu zählt u. a. auch die Berechtigung, in einem auf eine in Deutschland befindliche Niederlassung bezogenen Arbeitsverhältnis in entsprechender Anwendung des § 113 InsO eine Kündigung auszusprechen, vgl. dazu BAG v. 24.9.2015 – 6 AZR 492/14, ZIP 2015, 2387, dazu EWiR 2016, 121 (Paulus). 10) U.S.C. § 1106 (a) i. V. m. 11 U.S.C. § 1107 (a); hierzu Tabb, The Law of Bankruptcy, 3. Aufl., 2013, S. 772. 11) Zum Streitstand Bogart, 68 (1994) Am. Bankr. L.J., 155, 178; hierzu auch Eidenmüller, ZHR 175, (2011), 11, 19. 12) Chapter 11 U.S.C. § 1121; hierzu auch Gräwe, ZInsO 2012, 158, 161. 13) Chapter 11 U.S.C. § 363; hierzu McCormack, Corporate Rescue Law, 2008, S. 80.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
mens weiterhin eigenverantwortlich leitet, auf der anderen Seite als trustee einer strengen fiduziarischen Pflichtenbindung gegenüber allen Beteiligten unterworfen ist. Ein durch einen Antrag des Schuldners eingeleitetes Restrukturierungsverfahren nach 11 Chapter 11 wird auch in Deutschland i. S. von § 352 Abs. 1, § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 InsO, § 240 ZPO als Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens anerkannt.14) 2.1.2 Die “Secured Party in Possession” Die vorstehend beschriebene gesetzliche Ausgangslage des Chapter 11-Verfahrens war in 12 der amerikanischen Insolvenzpraxis innerhalb der letzten Jahrzehnte einer stetigen Wandlung unterzogen. Seit Beginn der 90er Jahre zeichnet sich zunehmend ab, dass die Kontrolle des Verfahrens jenseits des mit dem Schuldner identischen debtor in possession von finanzierenden Großgläubigern, sog. „secured party in possession“ (SPIP) übernommen wird.15) Damit ist der auch in den USA für das verwalterlose Verfahren gehegten Befürchtung, das Chapter 11-Verfahren werde vom weiterhin mit der Geschäftsleitung betrauten Schuldner im ausschließlichen Eigeninteresse zulasten der Gläubigerschaft missbraucht,16) der Boden entzogen. Auch im Übrigen ist in der US-amerikanischen Insolvenzpraxis zunehmend zu beobachten, 13 dass es in einer Vielzahl von „debtor-in-possession“-Verfahren nach Chapter 11 vor Verfahrensbeginn zu einer Auswechslung des Managements kommt, so dass hier tatsächlich eine Fremdverwaltung im Gewand der Eigenverwaltung umgesetzt wird.17) Dies zeigt, dass auch in den USA im verwalterlosen Verfahren die Notwendigkeit gesehen wird, die Sanierung eines Unternehmens keinesfalls den Personen anzuvertrauen, die sich für deren wirtschaftliches Scheitern verantwortlich zeichnen. Bemerkenswert im Bereich des US-amerikanischen Restrukturierungsrechts nach Chapter 11 14 ist ferner, dass es sich bei der überwiegenden Zahl der Verfahren nicht um Restrukturierungen i. S. einer Reorganisation des schuldnerischen Unternehmens handelt, sondern tatsächlich – sofern überhaupt eine Sanierung stattfindet – Gesamtveräußerungen i. S. übertragender Sanierungen (Asset Deals oder Asset Sales) vollzogen werden.18) Bei einem Großteil der Chapter 11-Verfahren handelt es sich demgegenüber heute um reine Liquidationen.19) 2.2
Die Eigenverwaltung in England und Wales
Das Insolvenzrecht von England und Wales zeichnet sich nicht zuletzt auch aufgrund der 15 Landesgeschichte20) durch eine erhebliche Zersplitterung aus.21) So finden sich materiellrechtliche, auch für den Fall einer Insolvenz anwendbare Rechtsbestimmungen in verschie___________ 14) Vgl. BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06 (Schnellverschlusskappe), ZIP 2009, 2217 = NZI 2009, 859, dazu EWiR 2009, 781 (Rendels/Körner). 15) Zum Ganzen Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 19; Baird/Rasmussen, 56 (2003) Stan. L. Rev., 673, 699; Adler/Capkun/Weiss, Destruction of Value in the New Era of Chapter 11, 2013, S. 2, 10. 16) So etwa Bradley/Rosenzweig, 101 (1992) Yale L.J., 1043, 1045, 1047; hierzu auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 19. 17) Vgl. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339. Empirische Forschungen belegen, dass etwa 70 % der Vorstandsvorsitzenden notleidender US-amerikanischer Kapitalgesellschaften innerhalb von zwei Jahren vor Stellung des Insolvenzantrags auf Druck der Banken ausgetauscht werden; vgl. Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 21 unter Berufung auf Ayotte/Morrison, 1 (2009) JLA, 511, 513. 18) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 22. 19) Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 22; Baird/Rasmussen, 56 (2003) Stan. L. Rev., 673, 675 ff. 20) Hierzu auch Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert, Formular-Kommentar Insolvenzrecht, B. Länderberichte und Muster zum internationalen Insolvenzrecht im Anwendungsbereich der EuInsVO, Ziff. 7 „Großbritannien“. 21) Vgl. hierzu auch die ausf. Gesamtdarstellung bei Schlegel, in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 675 ff.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
denen Gesetzen mit insolvenzrechtlichem und gesellschaftsrechtlichem Gegenstand. Die insoweit maßgeblichen Bestimmungen sind dabei enthalten in den „Companies Acts“ der Jahre 1985 und 2006, im nach wie vor gültigen „Insolvency Act 1986“ sowie in den zum 6.4.2017 in Kraft getretenen ergänzenden „Insolvency Rules 2016“. Letzteres Regelwerk ersetzt die überkommenen „Insolvency Rules 1986“ nebst ihren 28 Ergänzungen („amendments“) und enthält insbesondere formale Vorschriften u. a. betreffend die verstärkte und erleichterte elektronische Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten. Weitere, insbesondere die Stellung von Geschäftsleitern („directors“) insolventer Gesellschaften behandelnde Vorschriften befinden sich im „Company Directors Disqualification Act“, der ebenfalls aus dem Jahre 1986 stammt. Wesentliche Änderungen dieser Regelungen finden sich u. a. im Enterprise Act 2002.22) 16 Diese insolvenzrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Regelwerke bieten den in einer Krise befindlichen Gesellschaften verschiedene Möglichkeiten an:23) Insoweit kennt das englische Recht v. a. die Administrative Receivership, das Administration-Verfahren, das Winding-Up- oder auch Compulsory/Voluntary-Liquidation-Verfahren sowie das „Company Voluntary Arrangement“ (CVA). Eine einer Eigenverwaltung vergleichbare Abwicklungsform findet sich dabei im Wesentlichen im letztgenannten CVA, dessen Voraussetzungen in Part I des Insolvency Act 1986 sowie dessen verfahrensrechtliche Umsetzung in Part II der Insolvency Rules 2016 niedergelegt sind.24) 17 In der Praxis gewinnen darüberhinaus in der jüngeren Vergangenheit die „Schemes of Arrangement“ auf der Grundlage der Sections 895 – 901 des Companies Act 200625) immer stärker an Bedeutung.26) Sowohl CVA als auch die Schemes of Arrangement setzen dabei als grundsätzlich verwalterlose (Sanierungs-)Verfahren nicht die Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens voraus und können mithin bereits zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt auch präventiv als Strukturierungsinstrument eingesetzt werden.27) Ein von einem ausländischen Unternehmen im Vereinigten Königreich durchgeführtes Scheme of Arrangement kann dabei selbst dann von einem englischen Gericht bestätigt werden, wenn die Mehrzahl der beteiligten Gläubiger dort nicht ansässig ist.28) ___________ 22) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 385 ff., 386, zum englischen Insolvenzrecht ergänzend auch Ehricke/Köster/Müller-Seils, NZI 2003, 409. 23) Dazu ausf. auch Bork/Wiese, Die Rechtsstellung des Insolvency Practitioners, 2011; Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, 2011, Rz. 6.2 ff., 7.15 ff.; hierzu auch Kindler, KTS 2014, 25, 27. 24) Vgl. zur Vorgängerversion auf Grundlage der Insolvency Rules 1986 Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 385 ff., 386, Rz. 1651 ff.; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 26. 25) Diese Vorschriften ersetzen die bereits auf der Grundlage der Sections 425 ff. des Companies Act 1985 eingeführten Vorgängervorschriften zum Scheme of Arrangement. 26) Vgl. hier insbesondere die internationales Aufsehen erregenden Fälle Tele Columbus [2010] EWHC 1944 (Chancery Division), Rodenstock [2011] EWHC 1104 (Chancery Division), ZIP 2011, 1017, dazu EWiR 2011, 379 (Tschentscher), sowie Paulus, ZIP 2011, 1077; Primacom [2012] EWHC 164 (Chancery Division), ZIP 2012, 440; hierzu auch Carli/Weissinger, DB 2014, 1474; APCOA Parking Group [2014] EWHC 3849 (Chancery Division), speziell zu APCOA vgl. auch Schulz, ZIP 2015, 1912 ff. 27) Die Wahl eines Scheme of Arrangement außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens (sog. „Solventer Vergleichsplan“ – „Solvent Scheme of Arrangement“; vgl. zur Begriffsbestimmung Labes, in: Liber amicorum Winter, 2011, S. 645 ff.) birgt allerdings die Gefahr, dass dieses im Falle des Fehlens einer gemeinschaftlichen Befriedigung sämtlicher beteiligten Gläubiger im Zuge eines Gesamtverfahrens bereits aus diesem Grunde nicht als Insolvenzverfahren angesehen und ihm daher die Anerkennung nach Maßgabe der §§ 343 ff. InsO versagt wird; dazu etwa BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09 (Equitable Life), ZIP 2012, 740, dazu EWiR 2012, 313 (Mankowski); zur Problematik auch Paulus, ZIP 2011, 1077, 1080; Mankowski, WM 2011, 1201, sowie Schulz, ZIP 2015, 1912, 1913; insoweit ist auch die EuInsVO mangels Vorliegen eines Insolvenzgrundes nicht anwendbar. Zur Auswirkung des Brexit vgl. auch Sax/Swierczok, ZIP 2017, 601 ff. 28) High Court of Justice (Chancery Division) London v. 20.1.2012 – Primacom [2012] EWHC 164 (Ch), ZIP 2012, 440; vgl. zum Ganzen auch Lüke/Scherz, ZIP 2012, 1101.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
Ein Scheme of Arrangement auf der Grundlage des Companies Act 2006 kann allerdings 18 auch i. R. eines Administration- oder Winding-up-Verfahrens durchgeführt werden, wobei in dieser Konstellation sodann dem bestellten administrator ein entsprechendes Antragsrecht zukommt.29) Auch wenn diese Verfahrensart dem Grunde nach ein Insolvenzverfahren begrifflich nicht voraussetzt, sondern (auch) auf ein noch solventes Unternehmen angewendet werden kann, führt sie in diesem Fall zu einer Konstellation, die derjenigen der deutschen Eigenverwaltung am ähnlichsten erscheint, da es hier nicht zu einer Entmachtung der Direktoren kommt, jedoch eine Aufsichtsperson bestellt wird.30) Die Vereinbarung eines Scheme of Arrangement erfolgt nach Maßgabe der part 26 19 Sec. 895 ff. des Companies Act 2006 in drei Schritten:31)
Im ersten Schritt beruft das Gericht gemäß Sec. 896 (1) Companies Act 2006 auf Antrag eine oder mehrere Versammlungen der Gläubiger bzw. Gläubigerklassen ein, deren Forderungen durch das Scheme geregelt werden sollen.
In einem zweiten Schritt stimmen die Gläubiger sodann in Gruppen über das Scheme ab. Erforderlich für eine Akzeptanz des Scheme ist dabei nach Sec. 899 (1) Companies Act 2006 eine Mehrheit der vertretenen und abstimmenden Gläubiger sowie eine 3/4Mehrheit der Forderungsbeträge in jeder gebildeten Gruppe.
Liegt eine Akzeptanz des Scheme durch die Mehrheit der Gläubiger vor, bedarf es zu einer Wirksamkeit in einem dritten Schritt nach Sec. 899 (1), (4) Companies Act 2006 noch einer Bestätigung durch das Gericht und der Anmeldung beim Register.32)
Im Rahmen seiner Kontrollbefugnis prüft das Gericht zum einen die Fairness des Ver- 20 fahrens. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob eine Gruppe in der Abstimmungsversammlung angemessen repräsentiert wurde. Ferner ist durch das Gericht zu prüfen, ob der i. R. des Scheme unterbreitete Vorschlag auch inhaltlich fair und annehmbar („fair and reasonable“) ist. Insoweit kommt es – effektiv – auf die Perspektive eines einsichtigen und vernünftigen Beobachters („intelligent and reasonable bystander“) an. So wird eine Bestätigung verweigert, wenn die abstimmende Mehrheit nicht bona fide handelt, sondern die Minderheit unangemessen übervorteilt (sog. „coercion“).33) Ist ein Scheme of Arrangement vom zuständigen Gericht gerichtlich bestätigt worden, 21 werden alle von seinen Regelungen erfassten Gläubiger daran gebunden, auch wenn sie i. R. der Abstimmung nicht anwesend waren oder den Vorschlag abgelehnt haben. Demgegenüber gibt es innerhalb des Scheme keine Überstimmung ganzer Gruppen: Im Gegensatz zum deutschen Insolvenzplanverfahren (§ 245 InsO) oder dem US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren (11 U.S.C. § 1129 (b)) gibt es keinen „cram-down“ einer ganzen Gruppe. Mithin ist ein Scheme of Arrangement bereits dann zum Scheitern verurteilt, wenn es an der Zustimmung (nur) einer Gruppe mangelt.34) In der Praxis bleibt dabei allerdings festzustellen, dass diese an sich verwalterlosen Ver- 22 fahren in einer Vielzahl von Fällen mit einer administration nach Schedule B A 1 des In___________ 29) Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1211. 30) Das Scheme of Arrangement ist in dieser Konstellation mangels vorausgesetztem Insolvenztatbestand nicht als Gesamtverfahren i. S. des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO anzusehen und unterfällt mithin nicht deren Anwendungsbereich, so BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09 (Equitable Life), ZIP 2012, 740. 31) Hierzu ausf. Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1211 ff.; Paulus, ZIP 2011, 1077. 32) Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212. 33) High Court of Justice (Chancery Division) London v. 6.5.2011, Re Rodenstock [2011], EWHC 1104 (Ch), ZIP 2011, 1017, Rz. 70; dazu auch Paulus, ZIP 2011, 1077; Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212. 34) Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
solvency Act 1986 verbunden werden. Dies ist im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass nur bei Benennung eines administrator bereits mit Antragstellung ein Moratorium möglich ist.35) Ein administrator kann insoweit ohne Einbeziehung des Gerichts sowohl von einem sog. „qualifying floating charge holder“ als auch vom schuldnerischen Unternehmen selbst bestellt werden. Sofern hinsichtlich der Bestimmung der konkreten Person Uneinigkeit herrscht, setzt sich Ersterer durch.36) An der Durchsetzungskraft der qualifying floating charge holder zeigt sich die im englischen Recht besonders ausgeprägte Vormachtstellung der gesicherten Gläubiger.37) 23 An der in der Praxis überwiegenden Inanspruchnahme des Rechts zur Bestellung eines administrator lässt sich (auch) in England eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einem reinen verwalterlosen Sanierungsverfahren ablesen.38) Zum administrator kann dabei lediglich ein besonders qualifizierter und einschlägigen berufsrechtlichen Regelungen unterliegender Insolvenzpraktiker („licensed insolvency practitioner“) berufen werden. 24 Diese Zurückhaltung zeigt sich auch darin, dass das englische Recht – im Gegensatz zum Recht der Vereinigten Staaten – weniger auf die Eigenverwaltung als positiven Anreiz für die Geschäftsleitung für die rechtzeitige Insolvenzauslösung setzt. Die englische Rechtsordnung versucht demgegenüber, dieses Ziel durch eine Vielzahl von Sanktionen zu erreichen. Insoweit dominieren Haftungsbestimmungen bspw. in Gestalt der „wrongful trading-Haftung“39) sowie in Form der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, die Geschäftsleitung von einer zukünftigen Geschäftstätigkeit auszuschließen, sofern dieser in der Vergangenheit ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist („disqualification of directors“).40) Hieraus lässt sich ableiten, dass im Vereinigten Königreich die wirtschaftliche Fehlentwicklung eines Unternehmens mit der Folge der sich hieran anschließenden Insolvenz primär als Konsequenz eines Fehlverhaltens der amtierenden Geschäftsleitung angesehen wird. 25 Die Haftung wegen eines wrongful trading übernimmt dabei im englischen Recht die Funktion, die der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung entspricht. Sie trifft nicht nur den ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer (director), sondern auch einen „shadow director“.41) 2.3
Die Eigenverwaltung in Frankreich
26 Das französische Insolvenzrecht der vergangenen Jahre setzt i. R. der Sanierung schwerpunktmäßig auf präventive Vorverfahren.42) Hierzu zählte in der Vergangenheit u. a. die „règlement amiable“, eine Art Vergleichsverfahren, dem in der Praxis ein auf richterlicher Rechtsschöpfung beruhendes sog. „mandat ad hoc-Verfahren“ vorausging. Die Praxis der ___________ Vgl. Finch, Corporate Insolvency Law: Perspectives and Principles, 2009, S. 384. IA 1986, Sch B 1, para 36 (2); hierzu auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 27. Hierzu auch Davydenko/Franks, Do Bankruptcy Codes Matter?, 2006, S. 13, 15. Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 27, 28. IA 1986, Sec. 214; hierzu Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 177 ff.; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 28. 40) Company Directors Disqualification Act 1986 (CDDA). 41) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 385 ff., 397; zum wrongful trading auch ausf. Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174. 42) Darstellung des französischen Insolvenzrechts der Eigenverwaltung etwa bei Dammann, NZI 2008, 420; Dammann, NZI 2009, 502; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 28; Dammann/Undritz, NZI 2005, 198; Hente/Valenzuela/App, KSI 2006, 220; Hente/App, KSI 2010, 116; vgl. dazu auch insgesamt die Monografie von Robbe-Grillet, Planmäßige Sanierung nach französischem und nach deutschem Insolvenzrecht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung der französischen Insolvenzrechtsreform von 2005, 2007; s. hierzu auch die ausf. Gesamtdarstellung bei Niggemann, in: MünchKomm-InsO, Länderbericht Frankreich, S. 731 ff.
35) 36) 37) 38) 39)
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
vergangenen Jahre zeigt, dass in mehr als zwei Dritteln der Fälle unter der Aufsicht des zuständigen Handelsgerichts (tribunal de commerce) ein Vergleich mit den maßgeblichen Gläubigern vereinbart und auf diese Weise die Eröffnung eines ansonsten erforderlich werdenden ordentlichen Insolvenzverfahrens abgewendet werden konnte.43) Dieses Vergleichsverfahren wurde i. R. der Reform des französischen Insolvenzrechts 27 vom 26.7.2005 durch ein spezielles Schlichtungsverfahren, die „procédure de conciliation“ abgelöst.44) Gemäß Art. L 611-4 Code de commerce kann der Schuldner die Eröffnung eines Schlichtungsverfahrens beantragen, wenn rechtliche, wirtschaftliche oder finanzielle Schwierigkeiten bestehen, sich abzeichnen oder der Schuldner seit höchstens 45 Tagen zahlungsunfähig ist. Damit setzt der französische Gesetzgeber auf die Möglichkeit einer frühzeitigen Beantragung eines Sanierungsverfahrens. Andererseits verbleibt die Möglichkeit der Beantragung eines derartigen Schlichtungsverfahrens nach französischem Recht auch noch dann, wenn das Unternehmen des Schuldners bereits tatsächlich zahlungsunfähig ist. Zuständig für die Verfahrensdurchführung ist das Handelsgericht, wobei der Schuldner i. R. seines Antrags dem Gericht die Person des Schlichters („conciliateur“) vorschlagen kann.45) Vom Verhandlungsgeschick dieses Schlichters hängt es in der Folgezeit im Wesentlichen 28 ab, ob mit den beteiligten Gläubigern ein Vergleich geschlossen werden kann. Die Dauer des Verfahrens ist zunächst für einen Zeitraum von vier Monaten vorgesehen, der auf fünf Monate verlängert werden kann. Der vom conciliateur auszuhandelnde Vergleich ist vollkommen freiwillig; weder für ihn noch für das Handelsgericht bestehen Möglichkeiten, Zugeständnisse der Gläubiger zu erzwingen. Zwar ist während der Periode der Aushandlung des Vergleichs eine gerichtliche Aussetzung von Rechtsverfolgungs- und Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger bis zur gerichtlichen Vergleichsbestätigung nicht vorgesehen, allerdings kann das Gericht zugunsten des Schuldners gegenüber sich nicht an der Verhandlung beteiligenden Gläubigern gemäß Art. 1244-1 Code Civil Zahlungsfristen von bis zu zwei Jahren festlegen. Weiterhin sind die Gläubiger während des laufenden Schlichtungsverfahrens daran gehindert, einen Antrag auf Eröffnung eines regulären Insolvenzverfahrens zu stellen. Der vom Präsidenten des Handelsgerichts bestellte conciliateur wird üblicherweise als 29 erste Maßnahme ein Moratorium mit den Gläubigern vereinbaren. Auf diesem Wege wird eine eventuell bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit korrigiert und dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, die laufenden Geschäfte fortzuführen und nunmehr unter Mitwirkung des Schlichters ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Liegt der Vergleich vor, wird er zum Ende der Vier- bzw. Fünf-Monatsperiode dem Ge- 30 richt entweder zur einfachen Bestätigung („constatation“) oder – auf speziellen Antrag des Schuldners – zur offiziellen „homologation“ vorgelegt. Die erstgenannte Bestätigung wird nicht veröffentlicht und bleibt vertraulich; i. R. der offiziellen Bestätigung stellt das Gericht nach eingehender Prüfung46) fest, dass der Schuldner nicht (mehr) zahlungsunfähig und unter Wahrung der Interessen der übrigen Gläubiger ein dauerhaftes Fortbestehen
___________ 43) Vgl. Dammann, NZI 2008, 420; Dammann, NZI 2009, 502. 44) Vgl. hierzu auch Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert, Formular-Kommentar Insolvenzrecht, B. Länderberichte und Muster zum internationalen Insolvenzrecht im Anwendungsbereich der EuInsVO, Ziff. 5 „Frankreich“. 45) Dammann, NZI 2008, 420; Dammann, NZI 2009, 502, 504. 46) In der Praxis wird hier üblicherweise das Gutachten eines externen Wirtschaftsprüfers eingeholt, Dammann, NZI 2009, 502, 505.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
des Unternehmens in Zukunft gesichert ist. Es handelt sich hierbei um eine gerichtliche Entscheidung, gegen die ein Rechtsmittel eingelegt werden kann.47) 31 Parallel wurde durch Gesetz vom 26.7.2005 in Frankreich auch die „procédure de sauvegarde“ eingeführt. Weitergehende Modifikationen erfolgten durch die ordonnance vom 18.12.2008.48) Bei der procédure de sauvegarde handelt es sich um ein vorgezogenes Insolvenzverfahren, welches bei drohender Zahlungsunfähigkeit nur auf Antrag des Schuldners eröffnet werden kann. Dieses Verfahren wird in Eigenverwaltung unter Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters49) geführt. Im Gegensatz zur conciliation war hier im Gesetz vom 26.7.2005 zunächst eine ausdrückliche Einflussnahme des Schuldners auf die Person des Sachwalters nicht vorgesehen. Um den Schuldner zu motivieren, möglichst frühzeitig bei Gericht einen Antrag auf Eröffnung eines präventiven Insolvenzverfahrens zu stellen, hat der französische Gesetzgeber i. R. der ordonnance vom 18.12.2008 auch für die procédure de sauvegarde dem Schuldner das Recht eingeräumt, seinerseits wie im Schlichtungsverfahren den administrateur vorzuschlagen.50) 32 Über die Grenzen Frankreich hinaus bekannt geworden ist dieses neue präventive Verfahren der procédure de sauvegarde durch den Eurotunnel-Fall sowie in Anbetracht der drohenden Insolvenz betreffend das Vermögen der Thomson SA. Während in der Ursprungsfassung des Gesetzes vom 26.7.2005 eine Antragstellung noch das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit voraussetzte, muss der Schuldner nunmehr vor dem Hintergrund der ordonnance 2008 nach Art. L 620-1 Code de commerce lediglich Schwierigkeiten darlegen, die er „nicht meistern kann“ („difficultés qu’il n’est pas en mesure de surmonter“).51) 33 Nach Beantragung der procédure de sauvegarde beginnt eine Beobachtungsphase, die sich auf einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten erstreckt und einmal – in Ausnahmefällen auch zweimal – auf mithin maximal 18 Monate – verlängert werden kann. Ähnlich wie in der deutschen Eigenverwaltung bleibt die Geschäftsleitung des Unternehmens im Amt und wird vom gerichtlich bestellten Sachwalter unterstützt und überwacht. Während dieser Beobachtungsphase erarbeitet die Schuldnerin mit Unterstützung des Sachwalters einen Sanierungs- oder Schutzplan. Sofern – wie bei größeren Unternehmen üblich – ein Gläubigerausschuss eingerichtet ist, hat der Schuldner den Sanierungsplan dem Gläubigerausschuss zur Abstimmung vorzulegen. Zwar können die Mitglieder des Gläubigerausschusses dem Schuldner und dem Verwalter Gegenvorschläge unterbreiten, eine Verpflichtung zur Abstimmung hierüber ist jedoch gesetzlich nicht vorgesehen.52) Mithin bleibt i. R. dieser Konstellation der procédure de sauvegarde der Schuldner Herr des Sanierungsverfahrens. ___________ 47) Vgl. i. E. Dammann, NZI 2008, 420, 421. 48) Dammann, NZI 2009, 502, 503. 49) Im Rahmen der „procédure de sauvegarde“ kann das Gericht dann davon absehen, einen Insolvenzverwalter zu bestellen, wenn der Schuldner im letzten Geschäftsjahr einen Nettoumsatz von weniger als 3 Mio. EUR erwirtschaftet hatte und bei Stellung des Eröffnungsantrags weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigte; vgl. Art. L. 621-4 Abs. 4 C.Com., dazu auch Degenhardt, NZI 2013, 830, 832. 50) Allerdings steht nach Art. L 621-4 C.Com. auch dem Staatsanwalt das Recht zu, einen Vorschlag zu unterbreiten; Dammann, NZI 2009, 502, 506, Fn. 30. 51) Auch im Falle der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Gestalt eines französischen SauvegardeVerfahrens bleibt es den Beteiligten im Übrigen unbenommen, in einem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner eine Niederlassung betreibt, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen. Das für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht hat unter Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der EuInsVO Rechnung zu tragen; vgl. dazu EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403, dazu EWiR 2013, 173 (Jopen); vgl. auch EuGH GA (Kokott) v. 24.5.2012 – Rs. C116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 1133. 52) Art. R 627-57 C.Com.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
Durch das „beschleunigte finanzielle Sanierungsverfahren“ (sauvegarde financière accélérée, 34 kurz „SFA“ genannt)53) hat der französische Gesetzgeber durch Gesetz vom 22.10.2010 ein spezielles Sanierungsverfahren in das Handelsgesetzbuch eingefügt, an dem ausschließlich die Finanzgläubiger beteiligt werden. Voraussetzung für die Verfahrenseröffnung ist es, dass sich der Schuldner noch in einem zuvor eröffneten Schlichtungsverfahren (procédure de conciliation, siehe oben Rz. 27 ff.) befindet, bestimmte Größenkriterien erfüllt54) und nachweist, dass er einen Insolvenzplan entworfen hat, der den Fortbestand des Unternehmens sicherstellen soll und geeignet ist, eine ausreichende Zustimmung seitens der betroffenen Gläubiger zu erhalten, um seine Annahme innerhalb einer Frist von einem Monat (die auf max. zwei Monate verlängert werden kann) als wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Durch die Verordnung Nr. 2014 – 326 vom 12.3.201455) wurde die Sauvegarde accélérée eingeführt, die die Rechtswirkungen der SFA auch auf die Beteiligung sonstiger Gläubiger erstreckt.56) Bei der „redressement judiciaire“ handelt es sich demgegenüber um eine gerichtlich über- 35 wachte Restrukturierung unter Bestellung eines Verwalters i. R. eines herkömmlichen Insolvenzverfahrens, in der ebenfalls die Vorlage eines Sanierungsplans möglich ist. Hier verliert jedoch der Schuldner die Kontrolle über das Planverfahren, da die insoweit maßgeblichen Kompetenzen dem gerichtlich bestellten Verwalter und den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zugeordnet sind. Darüber hinaus steht i. R. des letztgenannten Insolvenzverfahrens das Unternehmen insgesamt zum Verkauf.57) Insgesamt zeigen die französischen Modelle mit der conciliation sowie der procédure de 36 sauvegarde erfolgversprechende Ansätze einer Restrukturierung von in einer wirtschaftlichen Krise befindlichen Unternehmen i. R. präventiver Vorverfahren. In der Praxis der vergangenen Jahre konnten in mehr als zwei Drittel aller beantragten Fälle Sanierungspläne vereinbart und die Eröffnung eines ordentlichen Insolvenzverfahrens verhindert werden. 2.4
Die Eigenverwaltung in Österreich
Der gesetzliche und praktische Regelfall einer Insolvenzabwicklung stellt nach österrei- 37 chischem Recht – wie in Deutschland – die völlige Entmachtung des Schuldners und die Bestellung eines „Masseverwalters“ dar. Allerdings kannte das österreichische Recht in der Vergangenheit innerhalb des Zeitraums 1914 – 2010 mit der Ausgleichsordnung (AO) ein Verfahren, welches sich von der klassischen Regelabwicklung im Zuge eines Konkurs___________ 53) Gesetz Nr. 2010 – 1249 v. 22.10.2010 (Loi de la régulation bancaire et financière), vgl. dazu ausf. Degenhardt, NZI 2013, 830 ff.; Kindler, KTS 2014, 25, 27; Zipperer, ZInsO 2016, 831. 54) Nach dem anfänglichen Willen des französischen Gesetzgebers sollte die SFA nur solchen Unternehmen vorbehalten bleiben, die mindestens 150 Arbeitnehmer beschäftigten und mindestens 20 Mio. EUR Umsatz im Jahr erzielten. Damit war diese spezielle Verfahrensart auf reine Finanzierungsholdings ohne operatives Geschäft nicht anwendbar. Da jedoch gerade für derartige Unternehmen die SFA besonders attraktiv erschien, wurden die Größenkriterien mit Dekret vom 20.9.2012 dahingehend angepasst, dass die SFA nunmehr auch reinen Holdinggesellschaften offensteht, die eine Bilanzsumme von mindestens 25 Mio. EUR ausweisen. Alternativ genügt eine Bilanzsumme von 10 Mio. EUR, wenn der Schuldner eine Gesellschaft mit mindestens 150 Arbeitnehmern oder 20 Mio. EUR Umsatz oder mindestens 25 Mio. EUR Bilanzsumme kontrolliert, vgl. dazu i. E. Degenhardt, NZI 2013, 830, 831. 55) „Ordonnance portant réforme de la prévention de difficultés des entreprises et des procédures collectives”. 56) Hierzu Degenhardt, NZI 2014, 433, 435. 57) Dammann, NZI 2009, 502, 506; vgl. hierzu auch die ausf. Darstellung bei Niggemann, in: MünchKommInsO, Länderbericht Frankreich, S. 731 ff. Durch die Gesetzesänderung Nr. 2015-990 vom 6.8.2015 betreffend die “croissance, activité et égalité des chances économiques“ – bekannt geworden auch als „Loi Macron“ – wurden neben Bestimmungen über die Einrichtung spezieller Insolvenzgerichte für Großverfahren auch Vorschriften zum Cramdown der Rechte von Anteilseignern eingeführt, die Regelungen zur „redressement judiciaire“ i. Ü. blieben jedoch unangetastet.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
verfahrens dadurch unterschied, dass von der Beschlagnahme des Vermögens des Schuldners abgesehen wurde und man ihm soweit möglich eine beschränkte Verfügungsfähigkeit überließ.58) 38 Mit dem zum 1.7.2010 in Kraft getretenen Insolvenzrechtsänderungsgesetz (IRÄG 2010) hat der österreichische Gesetzgeber das Konzept der Ausgleichsordnung i. S. eines Verfahrens mit beschränkter Verfügungsfähigkeit wieder aufgegriffen und in Form einer Eigenverwaltung des Schuldners unter Aufsicht eines Verwalters in die nunmehr gültige österreichische Insolvenzordnung (öIO) integriert.59) 39 Entgegen dem in England vorherrschenden Konzept einer Sanktionierung mittels Haftungsvorschriften soll nach dem Willen des österreichischen Gesetzgebers ähnlich wie in Frankreich der Geschäftsleitung ein Anreiz zur rechtzeitigen Beantragung eines Insolvenzverfahrens geboten werden.60) Der Anreiz liegt hierbei im Wesentlichen darin, dass der Unternehmer in dieser Konstellation nicht entmachtet wird. Insoweit werden die Alternativen „Sanierungsverfahren mit und ohne Eigenverwaltung“ angeboten. Dieses steht sowohl juristischen Personen als auch natürlichen Personen, die ein Unternehmen betreiben, offen.61) 40 Das i. R. der §§ 169 ff. öIO geregelte Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Verwalters setzt ein vorbereitendes Eröffnungsverfahren voraus, welches bei einem Eigenantrag des Schuldners i. d. R. nur ein bis zwei Tage dauert. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass das vom antragstellenden Schuldner vorgelegte Sanierungskonzept überprüfbar ist. Darüber hinaus soll durch dieses vorbereitende Verfahren zumindest eine kritische Selbstreflexion des Schuldners über seine wirtschaftliche Situation und die verbleibenden Handlungsalternativen erzwungen werden.62) Im Rahmen dieses vorbereitenden Verfahrens muss dem Gericht mit dem Antrag ein Sanierungsplan vorgelegt werden, der für die beteiligten Gläubiger die Ausschüttung einer Mindestquote von 30 % innerhalb eines Zeitraums von längstens zwei Jahren vorsieht. Ferner bedarf es der Vorlage eines ins Einzelne gehenden Vermögensverzeichnisses (Status) sowie eines Finanzplans i. S. einer Gegenüberstellung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des schuldnerischen Unternehmens für die folgenden 90 Tage, aus dem sich ergibt, wie die für die Fortführung des Unternehmens nach Insolvenzeröffnung und die Bezahlung der Masseforderungen notwendigen finanziellen Mittel aufgebracht und verwendet werden sollen. 41 Im Eröffnungsverfahren ist sodann durch das Insolvenzgericht lediglich eine formelle Prüfung innerhalb des gegebenen knappen zeitlichen Rahmens möglich. Eine materielle Prüfung erfolgt erst im eröffneten Insolvenzverfahren durch den Sanierungsverwalter (§ 178 Abs. 2 öIO). Verläuft die summarische Prüfung des Gerichts positiv, wird das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet und ein Sanierungsverwalter als Aufsicht bestimmt. 42 Neben einer allgemeinen Aufsicht über den eigenverwaltenden Schuldner obliegt dem Sanierungsverwalter die Anfechtung bestimmter Rechtshandlungen (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 öIO), die Prüfung der angemeldeten Forderungen (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 öIO) sowie die Verwertungs___________ 58) Riel, ZInsO 2011, 1400; hierzu auch Nunner-Krautgasser, ZInsO 2011, 117 ff.; Nunner-Krautgasser/ Pateter, ZInsO 2011, 2068 ff. 59) Hierzu ausf. Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, ZInsO 2016, 413 ff.; vgl. auch Rost, Die Eigenverwaltung in Österreich und Deutschland – Eine rechtsvergleichende Analyse, 2015. 60) Riel, ZInsO 2011, 1400; ErläutRV z. IRÄG 2010, 612 BlgNr 24, GP 4. 61) Vgl. dazu auch Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert, Formular-Kommentar Insolvenzrecht, B. Länderberichte und Muster zum internationalen Insolvenzrecht im Anwendungsbereich der EuInsVO, Ziff. 14 „Österreich“. 62) Riel, ZInsO 2011, 1400, 1401.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
handlungen nach Maßgabe des Sanierungsplans (§ 172 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 öIO). Allerdings bedarf der Sanierungsverwalter in diesem Rahmen der Zustimmung des Schuldners (§ 172 Abs. 3 Satz 2 öIO). Der Schuldner ist seinerseits gemäß § 171 öIO grundsätzlich berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, für die das Gesetz keine Einschränkungen vorsieht. Der Genehmigung durch den Sachwalter unterliegen danach insbesondere Vertragsbeendigungen sowie diejenigen Handlungen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören. Die Rechtshandlungen des Schuldners begründen im eröffneten Sanierungsverfahren nach § 174 öIO Masseforderungen. Insgesamt ist diese Eigenverwaltung zeitlich auf 90 Tage ab der Eröffnung begrenzt. Sie 43 ist wieder zu entziehen, wenn der Sanierungsplan nicht innerhalb dieser 90 Tage nach Verfahrenseröffnung angenommen wurde (§ 170 Abs. 1 Nr. 3 öIO). Hiermit ist nicht nur eine Beschleunigung des Verfahrens beabsichtigt; sichergestellt durch diese Bestimmung wird auch, dass ein derartiges Verfahren ausschließlich der Sanierung eines Unternehmens dienen kann; eine Liquidation im Zuge der Eigenverwaltung ist nach österreichischem Recht nicht vorgesehen.63) Ein gänzlich „verwalterloses“ Verfahren ist im Anwendungsbereich des Sanierungsverfahrens 44 nach der österreichischen Insolvenzordnung nicht vorgesehen; es wird daher auch im Zuge der Eigenverwaltung stets ein Insolvenz- oder Sanierungsverwalter bestellt, dessen Kompetenzen allerdings auf die vorstehend beschriebenen Bereiche beschränkt sind. Parallel zum Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung des Schuldners i. S. der §§ 169 ff. öIO 45 kennt das österreichische Recht noch ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung, welches sich inhaltlich weitestgehend am klassischen Konkursverfahren orientiert. Eine Modifikation erfolgt dahin gehend, dass i. R. dieses Sanierungsverfahrens der Schuldner einen Sanierungsplan mit einer Mindestquote von 20 %, zahlbar innerhalb von zwei Jahren, anbietet. Dieser Sanierungsplan muss nicht bereits zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags vorliegen, sondern kann auch noch nach Verfahrenseröffnung vorgelegt werden. Lediglich das „Schuldenregulierungsverfahren“ nach Maßgabe der mit der am 1.1.1995 46 in Kraft getretenen „Privatkonkursnovelle“ eingeführten §§ 181 ff. öIO kommt – jedenfalls zunächst – gänzlich ohne die Bestellung eines Sachwalters aus. Hierbei handelt es sich um ein dem deutschen Verbraucherinsolvenzverfahren ähnliches Schuldenregulierungsverfahren für natürliche Personen, die zum Zeitpunkt der Beantragung des Verfahrens keine Unternehmer sind. Dem Grunde nach handelt es sich hierbei allerdings um ein klassisches Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren mit dem Ziel, eine Entschuldung von Privatpersonen zu erreichen. Zu diesem Zweck muss der Schuldner mit seinem Antrag gemäß § 183 öIO ein Vermögensverzeichnis sowie einen Zahlungsplan vorlegen, eine Mindestquote für den Zahlungsplan ist gesetzlich nicht vorgesehen. Sofern der Zahlungsplan nicht die Zustimmung der Gläubiger findet, kann der Schuldner als letztes Mittel nach § 199 öIO die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens mit Restschuldbefreiung beantragen. In diesem Fall tritt er den pfändbaren Teil seiner Einkünfte für einen Zeitraum von fünf Jahren(bis zum 31.10.2017: sieben Jahren)64) an einen vom Gericht zu bestellenden Treuhänder ab. ___________ 63) In der Praxis wird von der Möglichkeit eines Sanierungsverfahrens als Alternative zum klassischen Konkursverfahren in Österreich offensichtlich häufig Gebrauch gemacht, wobei sich allerdings die Mehrzahl der Fälle auf Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung bezieht; vgl. dazu die Veröffentlichungen des Österreichischen Kreditschutzverbandes von 1870, abrufbar unter www.ksv.at/insolvenzfaelle (Abrufdatum: 25.7.2018). 64) Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 (IRÄG 2017), öBGBl. I 2017, 122, dazu ausf. auch NunnerKrautgasser, ZInsO 2017, 2525 ff.; dazu auch Würdinger, KTS 2017, 445, 464.
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47 Zur Bestellung eines Insolvenzverwalters kommt es in dieser Verfahrensart lediglich dann, wenn dies in Anbetracht der Umsetzung mit besonderen Schwierigkeiten verbundenen Tätigkeiten erforderlich erscheint (§ 190 Abs. 2 öIO). Im Übrigen werden die üblicherweise dem Insolvenzverwalter zugewiesenen Obliegenheiten nach § 190 Abs. 3 öIO vom Gericht – dort in erster Linie von einem Rechtspfleger – wahrgenommen.65) II.
Die Eigenverwaltung unter dem Regime der EuInsVO
48 Bereits unter dem Regime der zum 31.5.2002 in Kraft getretenen (ersten) EuInsVO66) handelte es sich nach allgemeiner Ansicht auch bei einem in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren um ein Gesamtverfahren i. S. von Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2000, welches entsprechend der dortigen Definition „die Insolvenz des Schuldners voraussetzt und einen vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat“ und in dem – in der Person des Sachwalters – auch ein gemäß der Legaldefinition des Art. 2 lit. b i. V. m. Anhang C EuInsVO 2000 geforderter Verwalter bestellt wird.67) Dass daher auch Insolvenzverfahren, in denen eine Eigenverwaltung des Schuldners angeordnet worden ist, in grenzüberschreitenden Fällen dem Anwendungsbereich der EuInsVO unterfallen, war und ist in Rechtsprechung und Literatur seither unstreitig.68) Die seit dem 26.6.2017 anzuwendende Neufassung der EuInsVO69) trägt dem Rechnung, indem sie in ihrem überarbeiteten Art. 1 Abs. 1 klarstellend die Eigenverwaltung nunmehr als „[…] Verfahren, die auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz stattfinden und in denen zu Zwecken der Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation […]b) das Vermögen und die Geschäfte des Schuldners der Kontrolle oder Aufsicht durch ein Gericht gestellt werden […]“, ausdrücklich einbezieht.70) 48a Die Erstreckung des Anwendungsbereichs der EuInsVO auf die Eigenverwaltung ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass der „Schuldner in Eigenverwaltung“ nunmehr mit Art. 2 Nr. 3 EuInsVO ausdrücklich in den Kreis der Legaldefinitionen aufgenommen worden ist. Weiterhin eröffnet der neugeschaffene Art. 38 Abs. 3 EuInsVO (auch) dem Schuldner in Eigenverwaltung die Befugnis, im Falle der vorübergehenden Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zusätzlich einen Antrag auf befristete Aussetzung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen. 49 Sofern es mangels einer Niederlassung des schuldnerischen Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat ausschließlich zur Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens kommt, ist die Rechtslage i. Ü. vergleichsweise übersichtlich. Hier ist in Sachverhalten mit Auslandsbezug typischerweise die Klärung zweier Fragenkomplexe wesentlich: 50 In Anbetracht der automatischen europäisch-internationalen Anerkennung des (Haupt-)Insolvenzverfahrens in anderen europäischen Mitgliedstaaten gemäß Art. 19 Abs. 1 EuInsVO ___________ 65) Vgl. dazu auch Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, ZInsO 2016, 413. 66) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 160/1 v. 30.6.2000, zuletzt geändert durch Art. 2 Durchführungsverordnung (EU) 583/2011 v. 9.6.2011, ABl. (EU) L 160/52 v. 18.6.2011. 67) Statt vieler Reinhart, in: MünchKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO 2000 Rz. 2 u. Art. 1 EuInsVO 2015 Rz. 2; AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). 68) So etwa Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, S. 234; DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 1 a. F. Rz. 29; Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 125; dazu auch Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 122, Rz. 1; AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471. 69) Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015; vgl. hierzu instruktiv Vallender, ZIP 2015, 1513; Vallender, ZInsO 2017, 2464. 70) Vgl. hierzu auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1514; Wenner, ZIP 2017, 1137, 1139; Albrecht, ZInsO 2015, 1077.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
bedarf es zunächst einer Bestimmung der Person, die im Falle einer Eigenverwaltung legitimiert ist, in einem anderen europäischen Mitgliedstaat Rechtshandlungen für und gegen die Insolvenzmasse vorzunehmen. Ferner bedarf es regelmäßig einer Bestimmung des Rechts, das im Falle einer Auslands- 51 berührung auf andere Mitgliedstaaten berührende Rechtsverhältnisse anzuwenden ist. 1.
Die Eigenverwaltung im Hauptinsolvenzverfahren
Gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröff- 52 nung (lex fori concursus), wie das Verfahren durchzuführen und zu beenden71) ist. Nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO regelt die lex fori concursus insbesondere auch die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters. Diese Bestimmung des anwendbaren Rechts steht dabei gemäß Art. 7 Abs. 1 EuInsVO unter dem Vorbehalt, „soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt“. Eine solche ergänzende Bestimmung findet sich in Art. 21 Abs. 1 EuInsVO. Nach dieser Vorschrift darf ein Verwalter, der durch ein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO infolge des COMI zuständigen Gerichts bestellt worden ist, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen, solange in dem anderen Staat nicht ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet oder eine gegenteilige Sicherungsmaßnahme auf einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hin ergriffen worden ist. Er kann insbesondere vorbehaltlich der Art. 8 und 10 EuInsVO die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des (anderen) Mitgliedstaates entfernen, in dem sich die Gegenstände befinden. Adressat dieser Befugnisse ist ausweislich des Normtextes der „Verwalter“, mithin unter Berücksichtigung der Legaldefinition nach Art. 2 Nr. 5 i. V. m. Anhang B EuInsVO auch der Sachwalter im Falle der angeordneten Eigenverwaltung.72) Hier haben sich im Zuge der Neufassung der EuInsVO gegenüber ihrer Ursprungsversion keine Änderungen ergeben. Im Übrigen bestehen in Fällen einer Eigenverwaltung mit Auslandsberührung ohne Sekun- 53 där- oder Partikularverfahren gegenüber einem herkömmlichen grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren keine grundlegenden Besonderheiten. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts gelten hier angesichts einer uneingeschränkten Anwendbarkeit der EuInsVO jenseits der Grundnorm des Art. 7, die Sonderanknüpfungsbestimmungen der Art. 8 ff. EuInsVO. Mithin bestimmt sich die Befugnis eines Gläubigers zur Aufrechnung nach Art. 9, die Rechtswirkungen eines vereinbarten Eigentumsvorbehalts bestimmen sich nach Art. 10, die Wirkungen des eröffneten Insolvenzverfahrens auf einen Vertrag zum Erwerb oder zur Nutzung eines unbeweglichen Gegenstands richtet sich nach dem Belegenheitsstatut des Art. 11 EuInsVO etc. Insoweit erfahren auch in der Eigenverwaltung das in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO niedergelegte materiell-rechtliche Universalitätsprinzip und die in den Art. 8 ff. EuInsVO niedergelegten Sonderanknüpfungen („Sachstatuten“) eine Einschränkung der in Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 EuInsVO festgelegten lex fori concursus. Nach allgemeinem Verständnis handelt es sich bei dem grundsätzlichen Verweis in Art. 7 54 Abs. 1 EuInsVO auf die lex fori concursus um eine Sachnormverweisung, die im Gegen___________ 71) In seiner Handlowy-Entscheidung hat der EuGH anlässlich eines französischen Sauvegarde-Verfahrens ausdrücklich klargestellt, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 lit. j EuInsVO 2000 dahingehend auszulegen sind, dass alleine das innerstaatliche Recht (lex fori concursus) darüber entscheidet, wann die „Beendigung des Insolvenzverfahrens“ eintritt; vgl. EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403; dazu auch EuGH GA (Kokott) v. 24.5.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 1133. 72) So bereits zur alten EuInsVO Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 122, Rz. 2.
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satz zu einer Gesamtverweisung die Anwendung des nationalen Kollisionsrechts und damit etwaige Rück- und/oder Weiterverweisungen ausschließt.73) 55 Eine von Art. 7 EuInsVO abweichende Sonderbestimmung findet sich etwa für dingliche Rechte in Art. 8 EuInsVO. Unter Zugrundelegung dieser Vorschrift bleiben dingliche Rechte an Gegenständen, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat unberührt. Die Vorfrage, ob überhaupt ein dingliches Recht an einem Gegenstand i. S. des Art. 8 EuInsVO besteht, ist nach h. M. über das allgemeine internationale Privatrecht des Staates der Verfahrenseröffnung zu klären. Nach h. M. bestimmt danach die lex rei sitae die Begründung, Tragweite und Gültigkeit des dinglichen Rechts.74) Liegen die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des Art. 8 EuInsVO vor, so werden die vor der Verfahrenseröffnung entstandenen dinglichen Rechte an Gegenständen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, „von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“. Die Auswirkungen dieser Negativformulierung sind im Bereich des Schrifttums umstritten. Insoweit ergeben sich speziell für die Eigenverwaltung in der Praxis allerdings keinerlei Besonderheiten. 56 Die Existenz einer eigenen gesonderten Anknüpfung für den Eigentumsvorbehalt in Art. 10 EuInsVO ist der Tatsache geschuldet, dass die Verfasser der EuInsVO den Eigentumsvorbehalt nicht als dingliches Recht i. S. von Art. 8 EuInsVO, sondern dogmatisch als Annex zum Kaufvertrag betrachtet haben.75) In der Rechtsfolge differenziert Art. 10 EuInsVO auch im Falle einer grenzüberschreitenden Eigenverwaltung danach, ob der Vorbehaltskäufer oder der vormalige Verkäufer insolvent wird. 57 Im Falle einer Insolvenz des Käufers gewährt Art. 10 Abs. 1 EuInsVO dem Vorbehaltsverkäufer Vertrauensschutz. Mithin bleiben in dieser Konstellation die Rechte des Verkäufers aus einem Eigentumsvorbehalt unberührt, wenn sich die Sache zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als dem der Verfahrenseröffnung befindet. Auch insoweit handelt es sich bei Art. 10 Abs. 1 EuInsVO nach h. M. wie im Falle der Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO um eine Sachnormverweisung; deshalb können bereits bestehende Eigentumsrechte durch die Insolvenz nicht (auch nicht im Wege der Anwendung des Insolvenzrechts des Belegenheitsstaates) eingeschränkt werden.76) Mithin wird durch diese Vorschrift gewährleistet, dass der Vorbehaltsverkäufer ungeachtet einer Insolvenzeröffnung in grenzüberschreitenden Fällen alle seine Ansprüche auf das Vorbehaltsgut behält. Er ist also berechtigt, sein Recht auf Aus- bzw. Absonderung des unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstands geltend zu machen, ohne hierbei durch die lex fori concursus gehindert zu sein.77) 58 Im Falle der Insolvenz des Verkäufers bestimmt Art. 10 Abs. 2 EuInsVO, dass die Wirkungen des Insolvenzverfahrens nicht zur Auflösung oder Beendigung des Kaufvertrags führen dürfen, sofern eine Lieferung der Sache zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates bereits erfolgt ist. Hierdurch wird das Anwartschaftsrecht des Käufers, der vereinbarungsgemäß die Raten zahlt und das Eigentum an der verkauften Sache erwerben will, umfassend geschützt.78) ___________ 73) So zur Ursprungsfassung der EuInsVO bereits Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 83, Rz. 314; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 4 a. F. Rz. 2. 74) Vgl. zur alten Fassung der EuInsVO etwa Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 335 ff.; Westpfahl/Goetker/ Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 89, Rz. 341; im Zuge der Neufassung der EuInsVO im Jahre 2015 hat sich hieran nichts geändert. 75) So bereits zur EuInsVO 2000 Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 342 ff. 76) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 96, Rz. 376 – zur EuInsVO 2000. 77) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 97, Rz. 377. 78) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 97, Rz. 380.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
In Erweiterung der dingliche Rechte betreffenden Sonderanknüpfung des Art. 8 EuInsVO 59 bestimmt Art. 11 EuInsVO für Verträge über unbewegliche Gegenstände, dass nicht nur dingliche, sondern auch obligatorische Rechte nach dem Recht der lex rei sitae zu beurteilen sind, sofern sie sich auf unbewegliche Gegenstände beziehen. Diese Norm enthält als Sachnormverweisung eine Ausnahmeregelung zur Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. e EuInsVO, nach der sich die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge grundsätzlich nach der lex fori concursus richten. Mithin kommt es nach Maßgabe des Art. 11 EuInsVO auf das Kollisionsrecht des Belegenheitsstaates nicht an; die Wirkungen des Insolvenzverfahrens richten sich ausschließlich nach dem Recht des Belegenheitstaates (lex rei sitae).79) Auch für den Fall der Eigenverwaltung in grenzüberschreitenden Fällen regelt die Grund- 60 satznorm des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. d EuInsVO, dass die lex fori concursus die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung bestimmt. Eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz der Aufrechnungsanknüpfung an das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates beinhaltet Art. 9 EuInsVO. Diese Vorschrift kommt dann zur Anwendung, wenn eine Aufrechnung nach der lex fori concursus in der Insolvenz nicht möglich ist. In diesem Fall bleibt zu klären, ob nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners (Hauptforderung) maßgeblichen Recht (= Aufrechnungsstatut) eine Aufrechnung zulässig wäre. Weiterhin muss die Aufrechnungslage bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestanden haben. Im Ergebnis setzt sich mithin im Falle einer Divergenz zwischen Insolvenzstatut und Aufrechnungsstatut das für den Aufrechnenden günstigere materielle Recht durch.80) Die Bestimmung des auf die Forderung des insolventen Schuldners (Hauptforderung) anzuwendenden Rechts obliegt i. R. der Sonderregelung des Art. 9 EuInsVO wiederum dem außerhalb der Insolvenz geltenden Kollisionsrecht, mithin dem internationalen Privatrecht. Für auf Verträgen basierende Ansprüche richtet sich dies im innereuropäischen Bereich (mit Ausnahme Dänemarks) seit dem 17.12.2009 mithin nach der Rom I-Verordnung.81) Unbeschadet der Sonderanknüpfung gemäß Art. 8 EuInsVO und abweichend vom uni- 61 versellen Geltungsanspruch des Insolvenzstatuts in Art. 7 EuInsVO bestimmt Art. 12 Abs. 1 EuInsVO, dass für die Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf die Rechte und Pflichten der Mitglieder eines Zahlungs- oder Abwicklungssystems oder eines Finanzmarkts ausschließlich das für das betreffende System oder den betreffenden Markt maßgebliche Recht anzuwenden ist. Eine Anwendung dieser Sonderanknüpfung ist auf diejenigen Fälle begrenzt, in denen das Recht eines anderen EU-Mitgliedstaates als dem der Verfahrenseröffnung zur Anwendung kommt und die vorrangige Regelung des Art. 8 EuInsVO nicht anwendbar ist. Mithin ist Art. 12 EuInsVO unanwendbar, soweit dingliche Rechte i. S. des Art. 8 EuInsVO betroffen sind.82) Auch für den Fall einer Eigenverwaltung in grenzüberschreitenden Fällen ordnet Art. 13 62 EuInsVO an, dass hinsichtlich der Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf ein Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht anzuwenden ist, das auch für den Arbeitsvertrag maßgeblich ist. Hierbei handelt es sich nach h. M. um eine kollisi___________ 79) Huber, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Bd. II, Stand: 2011, Art. 8 EuInsVO a. F. Rz. 7; Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 99, Rz. 390. 80) I. E. Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 102, Rz. 398. 81) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) v. 17.6.2008, ABl. (EU) L 177/6 v. 4.7.2008. 82) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 104, Rz. 407; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 9 EuInsVO a. F. Rz. 1.
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onsrechtliche Gesamtverweisung; abzustellen ist ausschließlich auf das nach dem allgemeinen Kollisionsrecht des Eröffnungsstaates für den Arbeitsvertrag geltende Recht einschließlich des Insolvenzrechts.83) Für einen Arbeitsvertrag bedeutet dies, dass sich das anzuwendende Recht für die EU-Mitgliedstaaten jedenfalls seit dem 17.12.2009 ebenfalls nach der Rom I-Verordnung bestimmt.84) 63 Art. 14 EuInsVO schützt die Verlässlichkeit der öffentlichen Register. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift setzt dabei allein die Eintragung von Rechten des Schuldners an beweglichen Gegenständen, Schiffen oder Luftfahrzeugen in einem öffentlichen Register eines vom Eröffnungsstaat abweichenden Mitgliedstaates voraus. Rechte des Schuldners an derartigen eintragungsfähigen Rechten richten sich mithin nach dem Recht des Mitgliedstaates, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird. Für die Rechte der Gläubiger ist, soweit es sich um dingliche Rechte handelt, ausschließlich Art. 8 EuInsVO maßgebend.85) 64 Sofern die Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 15 EuInsVO vorliegen und ein Hauptinsolvenzverfahren unter Zugrundelegung einer Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet wurde, können die in dieser Norm genannten Europäischen Patente mit einheitlicher Wirkung, Gemeinschaftsmarken oder jedes andere durch Unionsvorschriften begründete ähnliche Recht nur i. R. dieses Hauptverfahrens einbezogen werden. Mithin ist in einem Partikular- oder Sekundärverfahren eine Verwertung des für die gesamte Gemeinschaft geltenden Rechts ausgeschlossen.86) 65 Nach Art. 7 lit. m EuInsVO ist für die Beurteilung der Frage, welche Rechtshandlungen wegen Benachteiligung der Gläubigergesamtheit nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, grundsätzlich die lex fori concursus maßgebend. Führt die Anwendung dieses Insolvenzstatuts zu einer Angreifbarkeit, so kann die angegriffene Partei gemäß Art. 16 EuInsVO angesichts des durch diese Norm begründeten Vertrauensschutzes im Wege der Einrede das für die Rechtshandlung maßgebliche Recht des anderen Mitgliedstaates nach Maßgabe der dortigen lex causae entgegenhalten. Mithin handelt es sich um einen Einredetatbestand, der i. R. des Verfahrens nach der lex fori concursus i. S. von Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. m EuInsVO geltend zu machen ist.87) 66 Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geht die Verfügungsbefugnis des Schuldners bezüglich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens auf den Insolvenzverwalter über; in der Folge kann der Schuldner nach Verfahrenseröffnung im Regelfall nicht mehr wirksam über einen Massegegenstand verfügen. Zum Schutz des Geschäftsverkehrs und des Vertrauens in dieses System der öffentlichen Bekanntmachung dinglicher Rechte sollen nach Maßgabe des Art. 17 EuInsVO gutgläubige Dritte in einem Insolvenzverfahren, das in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wurde, nicht anders gestellt werden als im Falle einer Insolvenzeröffnung im eigenen Lande. Art. 17 EuInsVO enthält mithin eine Ausnahmeregelung zur Grundsatznorm des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO, der zufolge sich die Befugnisse des Schuldners ausschließlich nach der lex fori concursus richten. Auch hierbei handelt es sich um eine Sachnormverweisung auf die lex rei sitae, bei der Rück-
___________ 83) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 10 a. F. Rz. 1; Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 107, Rz. 424. 84) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 107, Rz. 425. 85) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 108, Rz. 433. 86) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 110 ff., Rz. 441. 87) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 113, Rz. 453; vgl. hierzu auch EuGH v. 15.10.2015 – Rs. C-310/14 (Nike European Operations Netherlands), ZIP 2015, 2379.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
bzw. Weiterverweisungen nach dem allgemeinen internationalen Privatrecht des betreffenden Staates ausgeschlossen sind.88) Die EuInsVO enthält eine auch für den Fall der grenzüberschreitenden Eigenverwaltung 67 gültige Unterscheidung zwischen den Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auf der einen sowie der Wirkung der Verfahrenseröffnung auf anhängige Rechtsstreitigkeiten auf der anderen Seite. Für die Wirkung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen der Gläubiger, insbesondere die Durchführung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen ist nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. f EuInsVO das Insolvenzstatut, die lex fori concursus maßgebend. Eine Verhinderung derartiger Vollstreckungsmaßnahmen ist mithin nach dem Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates zu beurteilen. Für zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung anhängige Rechtsstreitigkeiten über Ge- 68 genstände der Masse oder Rechte an der Masse ist hingegen gemäß Art. 18 EuInsVO das Recht des Mitgliedstaates anzuwenden, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. Insgesamt gesehen ergeben sich hier im Falle einer grenzüberschreitenden Eigenverwaltung 69 ohne paralleles Sekundärinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat gegenüber einer Regelabwicklung keine wesentlichen Besonderheiten. 2.
Die Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren
Stellte sich auch im Anwendungsbereich der Ursprungsfassung der EuInsVO des Jahres 70 2000 die Rechtslage im Falle einer grenzüberschreitenden Eigenverwaltung ohne Partikularverfahren angesichts der weitgehenden Anwendbarkeit der (auch) für die Regelverwaltung vorgesehenen Grundsätze, Kollisionsregeln und Anknüpfungen noch übersichtlich dar, kam es spätestens dann, wenn in Anbetracht einer Niederlassung des Schuldners i. S. von Art. 2 lit. h EuInsVO 2000 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 3 EuInsVO in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wurde, zu Zuständigkeitsfragen und Kompetenzkonflikten. Im Rahmen der Neufassung der EuInsVO im Jahr 2015 wurden die hier bestehenden Unklarheiten nur zum Teil ausgeräumt. Probleme ergeben sich hier insbesondere im Zusammenhang mit einer randscharfen Be- 71 stimmung des Personenkreises, dem die Befugnis zur Stellung eines Antrags auf Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren zugewiesen werden soll und – im Zusammenhang mit dieser Fragestellung – einer Klärung der Frage, wem letztlich die Position des antragsbefugten „Schuldners“ in diesem Sekundärinsolvenzverfahren zukommt. Weitergehende strukturelle Probleme, die sich bei der alten Fassung aus der dortigen aus- 72 drücklichen Anordnung des Verordnungsgebers, das Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bzw. Art. 27 Satz 2 EuInsVO 2000 ausschließlich als Liquidationsverfahren zuzulassen ergaben, konnten i. R. der Überarbeitung in der Neufassung durch den Wegfall dieser Beschränkung in den Parallelvorschriften Art. 3 Abs. 3, Art. 34 EuInsVO nunmehr ausgeräumt werden.89) Die Ursprungsfassung der EuInsVO sah dabei in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 noch ausdrücklich 72a vor, dass ein Sekundärinsolvenzverfahren ausschließlich als Liquidationsverfahren zu führen sei. Dies stand zwar der Anordnung einer Eigenverwaltung prinzipiell nicht entgegen, führte jedoch zu erheblichen Beschränkungen. Für das deutsche Insolvenzrecht wurde hieraus in der Vergangenheit teilweise der Schluss gezogen, das vor dem Hintergrund dieser ___________ 88) Zum Ganzen Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 114, 116, Rz. 456 ff. 89) Hierzu etwa Vallender, ZIP 2015, 1513; Wenner, ZIP 2017, 1137, 1140; dazu auch Brinkmann, KTS 2014, 381 ff.; Albrecht, ZInsO 2015, 1077.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
gesetzlichen Beschränkung auf den Liquidationszweck das Verfahren der Eigenverwaltung keine sinnvolle Alternative darstelle, da diese üblicherweise eine Umstrukturierung, Reorganisation und Fortsetzung der operativen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin mit dem Ziel einer Sanierung des Unternehmensträgers bezwecke.90) In der Tat mochte diese gesetzliche Schranke die Attraktivität der Eigenverwaltung im ausländischen Sekundärinsolvenzverfahren schmälern, einen absoluten Ausschlussgrund stellte sie nach deutscher lex fori concursus jedenfalls nicht dar. Nach überwiegender Ansicht handelte es sich beim Verfahren der Eigenverwaltung bereits zur Zeit der Geltung der alten EuInsVO um ein zieloffenes Verfahren,91) das ohne weiteres auch in Gestalt eines Liquidationsverfahrens umgesetzt werden kann.92) Die Zieloffenheit der deutschen lex fori concursus fand ihren Niederschlag auch darin, dass der deutsche Gesetzgeber die Anordnung der Eigenverwaltung bewusst von der Vorlage eines Organisationsplans gelöst hatte.93) 72b Mithin stellte der in der Ursprungsfassung der EuInsVO postulierte Liquidationszweck des Sekundärverfahrens zwar keine grundsätzliche strukturelle Hürde dar, dies führte allerdings in der Praxis dazu, dass jedenfalls im deutschen Sekundärinsolvenzverfahren eine Reorganisation des schuldnerischen Unternehmens im Wege eines Insolvenzplans bis zur 2017 in Kraft getretenen Neufassung nicht in Betracht kam.94) Eine übertragende Sanierung über einen Asset Deal war demgegenüber nicht ausgeschlossen, da in dieser Konstellation der schuldnerische Rechtsträger nicht saniert, sondern in Form eines Verkaufs der Vermögenswerte endgültig abgewickelt und mithin liquidiert wurde.95) 72c In der insolvenzrechtlichen Praxis hat dies unter dem Regime der alten Fassung der EuInsVO soweit ersichtlich kaum zu Schwierigkeiten geführt. Insoweit hat allerdings der Fall Handlowy für Aufmerksamkeit gesorgt, in dem innerhalb eines in Frankreich eröffneten Sauvegarde-Verfahrens noch vor gerichtlicher Bestätigung des dortigen Schutzplans in Polen die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (als Liquidationsverfahren) beantragt wurde. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat das mit dem Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht den Insolvenzgrund jedenfalls dann nicht zu prüfen, wenn das Hauptverfahren einem Schutzzweck dient; für dieses ist vielmehr die Beurteilung der Insolvenz des Schuldners durch das für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständige Gericht bindend.96) Diese Rechtsprechung hat nunmehr in der ausdrücklichen Regelung in Art. 34 Satz 2 EuInsVO ihren Einzug in die Neufassung der Verordnung gefunden. Ist mit dem Wegfall des in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO 2000 festgelegten Liquidationszwecks ab dem 26.6.2017 nunmehr jegliche Beschränkung der Verfahrensart (auch) im Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich entfallen, stellt sich die Frage nach der konkreten Verfahrensweise bei einer Beantragung: 73 Nach Maßgabe des am 12.12.2012 vorgelegten Vorschlags der EU-Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung ___________ 90) Zitat bei Beck, NZI 2006, 609, 616; Pape, in: KPB, InsO, § 270 Rz. 6. 91) Beck, NZI 2006, 609, 616; Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 2. Auf., § 270 Rz. 51, sowie Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 270 Rz. 100 ff., 104. 92) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 8; AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473; Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 166, 169. 93) So Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 8. 94) Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 196. 95) Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 196. 96) Vgl. EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403, in teilweiser Abweichung von den Schlussanträgen der Generalanwältin Juliane Kokott, EuGH GA, ZIP 2012, 1133. Die dort (auch) zu behandelnde Frage, wie sich die Beendigung eines Hauptinsolvenzverfahrens auf ein Sekundärinsolvenzverfahren auswirkt, wurde nunmehr – entsprechend dem Kommissionsvorschlag vom 12.12.2012 – in Art. 48 EuInsVO geregelt.
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(EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren97) sollte ursprünglich das eröffnende Gericht die unter Berücksichtigung der Interessen der einheimischen Gläubiger am besten geeignete Verfahrensart von sich aus auswählen dürfen.98) Damit oblag die Wahl der Verfahrensart – und damit auch die Entscheidung der Frage, ob dieses als Regel- oder Eigenverwaltungsverfahren zu eröffnen ist – weitgehend dem Ermessen des für die Eröffnung des Sekundärverfahrens zuständigen Gerichts. Dieses freie Auswahlermessen des Gerichts hat seinen Weg jedoch nicht in die Endfassung der neuen EuInsVO gefunden; die Wahl der geeigneten Verfahrensart obliegt nach der dortigen Konzeption allein dem jeweiligen Antragsteller. In der endgültigen Fassung der EuInsVO sieht Art. 38 Abs. 4 allerdings auch die Mög- 74 lichkeit vor, auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens „abweichend von der ursprünglich beantragten Art des Insolvenzverfahrens ein anderes in Anhang A aufgeführtes Insolvenzverfahren zu eröffnen, sofern die Voraussetzungen für die Eröffnung dieses anderen Verfahrens nach nationalem Recht erfüllt sind und dieses Verfahren im Hinblick auf die Interessen der lokalen Gläubiger und die Kohärenz zwischen Hauptund Sekundärinsolvenzverfahren am geeignetsten ist.“ Dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift zufolge kann ein derartiger Antrag weder vom Schuldner in Eigenverwaltung, noch von seinen Gläubigern gestellt werden.99) Art. 34 Satz 2 EuInsVO stellt im Übrigen nunmehr klar, dass das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahren befasste Gericht die Insolvenzgründe nicht zu prüfen hat. Die grundsätzliche Akzeptanz der Eigenverwaltung i. R. der neugefassten EuInsVO er- 75 gibt sich auch daraus, dass nunmehr in Art. 38 Abs. 3 Satz 1 EuInsVO dem Schuldner in Eigenverwaltung (des bereits eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens) das Recht eingeräumt wird, eine Aussetzung der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens für einen Zeitraum von maximal drei Monaten zu beantragen, um – flankiert von der parallel angeordneten Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen – Verhandlungen mit seinen Gläubigern zu ermöglichen. Umgekehrt wurde in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO ausdrücklich als vorläufige Sicherungsmaßnahme auch das an den Schuldner in Eigenverwaltung gerichtete Verbot, „Gegenstände der Masse, die in dem Staat belegen sind, in dem sich seine Niederlassung befindet, zu entfernen oder zu veräußern, es sei denn, dies erfolgt i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs“ aufgenommen. In ihrem der Neufassung der EuInsVO vorausgegangenen Vorschlag zur Änderung der 76 EuInsVO vom 12.12.2012 hatte die EU-Kommission Probleme i. R. der Bewältigung von Sekundärinsolvenzverfahren festgestellt. Dieses Verfahren könne die effiziente Verwaltung der Schuldenmasse behindern. Insbesondere habe der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens bei Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens nicht länger die Kontrolle über das in einem anderen Mitgliedstaat belegene Vermögen. Dies erschwere den Verkauf eines noch aktiven Unternehmens.100) Der Wegfall der Beschränkung auf reine Liquidations___________ 97) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012), 744 final; abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/ com/com_com(2012)0744_/com_com(2012)0744_de.pdf (Abrufdatum: 25.7.2018); dazu i. E. auch Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 554; Smid, ZInsO 2013, 953, 968. 98) Vgl. hierzu Art. 29a Abs. 3 EuInsVO-E bzw. die diesbezüglichen Ausführungen unter Rz. 73 der 2. Aufl. 99) Wenner/Schuster, in: Wimmer, InsO, Art. 38 EuInsVO 2017 Rz. 25. 100) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012), 744 final, vgl. hierzu insbesondere auch Erwägungsgrund 41 der neuen EuInsVO, dazu auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1517.
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verfahren und die vorstehend beschriebenen Aussetzungsmöglichkeiten sind vor diesem Hintergrund zu sehen.101) 77 Neu in die EuInsVO aufgenommen wurde daher noch eine weitere Möglichkeit, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens sogar gänzlich zu verhindern: Der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens kann nach Art. 36 Abs. 1 EuInsVO in Bezug auf das Vermögen, das in dem Mitgliedstaat, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, belegen ist, eine Zusicherung des Inhalts abgeben, dass er bei der Verteilung dieses Vermögens oder des bei seiner Verwertung erzielten Erlöses die Verteilungs- und Vorzugsrechte nach nationalem Recht wahrt, die Gläubiger hätten, wenn ein Sekundärinsolvenzverfahren in diesem Mitgliedstaat eröffnet worden wäre. Eine solche Zusicherung unterliegt gemäß Art. 36 Abs. 4 EuInsVO den ggf. im Staat der Eröffnung des Hauptsacheverfahrens bestehenden Form- und Zustimmungserfordernissen hinsichtlich der Verteilung. Sie ist in Bezug auf die Insolvenzmasse verbindlich (vgl. Art. 36 Abs. 6 EuInsVO) und vollstreckbar,102) indem gemäß Art. 36 Abs. 8 EuInsVO den lokalen Gläubigern das Recht eröffnet wird, das Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens anzurufen, um mit den nach dem dortigen Recht zur Verfügung stehenden Aufsichts- und (Zwangs-)Mitteln eine Einhaltung des Inhalts der Zusicherung sicherzustellen. 78 Soweit verschiedene Verwalter unterschiedlicher Nationalität in Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren bestellt werden, ergibt sich weiterhin die Notwendigkeit einer allgemeinen Verfahrenskoordinierung mit wechselseitigen Informations- und Kooperationspflichten, in deren Rahmen nicht nur Sprachbarrieren zu überwinden sind. Auch insoweit sieht die Neufassung der EuInsVO in den Art. 41 ff. Ergänzungsregelungen vor (siehe dazu unten Rz. 113 ff.). 2.1
Die Intention des Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO
79 Die EuInsVO geht in ihrem Anwendungsbereich vom Grundsatz der eingeschränkten Universalität aus. Das Hauptinsolvenzverfahren soll prinzipiell seine Wirkungen auf alle diejenigen Mitgliedstaaten erstrecken, in denen dem Schuldner zuzuordnendes Vermögen vorhanden ist. Diese Universalität erhält nach dem Willen des Verordnungsgebers dort eine Einschränkung, wo schutzbedürftige nationale Interessen zu berücksichtigen sind. Demzufolge dient das Sekundärinsolvenzverfahren vorrangig dem Schutz der Interessen der auf seinem Staatsgebiet ansässigen nationalen Gläubiger: Diese sollen mit der Beantragung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens insbesondere vor den aus den Rechtsvorschriften der anderen Staaten resultierenden Folgen geschützt werden.103) Auf diesem Wege können die an sich universellen Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens in Gestalt der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens ausgesetzt werden.104) Dies ist insbesondere dann nicht erforderlich, wenn auf der Grundlage einer Zusicherung sichergestellt wird, dass eine Benachteiligung gegenüber den Verteilungsregeln des potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrens nicht stattfindet. 80 Der europäische Verordnungsgeber sieht jedoch grundsätzlich ein rechtspolitisches Bedürfnis zur Durchführung solcher Sekundärinsolvenzverfahren insbesondere im Hinblick darauf, dass aufgrund der großen Unterschiede im materiellen Recht insbesondere in Anbetracht der unterschiedlichen Vorrechte einzelner Gläubiger nach den jeweiligen natio___________ 101) So auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1517. 102) Zu dogmatischen Bedenken des hier gewählten Ansatzes vgl. etwa Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 555. 103) Erwägungsgrund 11; Nr. 32 des Erläuternden Berichts, S. 32, 44; hierzu Wenner/Schuster, in: Wimmer, InsO, Art. 34 EuInsVO 2017 Rz. 2; krit. zu dieser Intention Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1106. 104) Wenner/Schuster, in: Wimmer, InsO, Art. 34 EuInsVO 2017 Rz. 3.
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nalen Rechtsordnungen ein einziges Insolvenzverfahren mit universaler Geltung für die gesamte Gemeinschaft nicht realisierbar sei.105) Daneben kommt dem Sekundärinsolvenzverfahren auch eine Hilfsfunktion gegenüber dem Hauptinsolvenzverfahren zu; es soll insbesondere in solchen Fällen gewählt werden können, in denen die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu verschachtelt sind, um effizient in einem einzigen Insolvenzverfahren erfasst zu werden.106) Auf diesem Wege soll eine effektive Verwertung der Insolvenzmasse erzielt werden.107) Nach der Konzeption des Verordnungsgebers soll dabei allerdings dem Hauptinsolvenzverfahren die dominierende Rolle zukommen, indem der dortige Verwalter bestimmte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Durchführung des Sekundärinsolvenzverfahrens erhält. Diese gesetzgeberische Zwecksetzung steht (auch) der Anordnung einer Eigenverwaltung 81 im Sekundärinsolvenzverfahren prinzipiell nicht entgegen. Einstweilen frei. 2.2
82
Die Antragsbefugnis der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren
2.2.1 Antragsbefugnis des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens Das Recht zur Beantragung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist in Art. 37 EuInsVO 83 geregelt. Nach Maßgabe dieser Norm kann sowohl der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens (Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO) sowie jede andere Person oder Stelle, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaates zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll (Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO), die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen. Zu unterscheiden ist insoweit grundsätzlich zwischen zwei Konstellationen: Soweit bereits das Hauptinsolvenzverfahren als Eigenverwaltung durchgeführt wird, steht 84 der eigenverwaltende Insolvenzschuldner typischerweise unter der Aufsicht des dortigen (Haupt-)Sachwalters. Nach der Konzeption des Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO ist grundsätzlich auch ein Sachwalter in Anbetracht der Bestimmungen der Art. 2 Nr. 5 i. V. m. Anhang B EuInsVO als „Verwalter“ des Hauptinsolvenzverfahrens antragsbefugt, sofern die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zumindest teilweise auf ihn übergegangen ist. Ihm steht umgekehrt auch das Recht zu, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch Abgabe einer Zusicherung gemäß Art. 36 Abs. 1 EuInsVO zu verhindern.108) Soweit im Hauptinsolvenzverfahren keine Eigenverwaltung angeordnet wurde, kommt 85 dem dortigen (Haupt-)Insolvenzverwalter die Funktion eines Verwalters i. S. von Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO zu.109) Wäre damit dem Grunde nach die Antragsbefugnis zur Eröffnung eines Sekundärinsol- 86 venzverfahrens geklärt, stellt sich die ergänzende Frage, wie sich dies mit den Anforderungen an die Antragsbefugnis der lex fori concursus des Sekundärinsolvenzverfahrens verträgt. Für ein in Deutschland zu eröffnendes Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung weist die InsO in § 270 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ausdrücklich die Antragsbefugnis dem Insolvenzschuldner selbst zu. Hieran hat sich auch durch das ESUG nichts geändert. Fraglich ___________ So zur alten Fassung der EuInsVO schon Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 27 EuInsVO a. F. Rz. 1. Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 27 EuInsVO a. F. Rz. 1. Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 27 EuInsVO a. F. Rz. 1. Angesichts der Eindeutigkeit des Wortlauts der EuInsVO wird dieses Recht dem Schuldner in Eigenverwaltung abgesprochen, vgl. hierzu nur Wenner, in: Wimmer, InsO, Art. 36 EuInsVO 2017 Rz. 12, ebenso Reinhart, in: MünchKomm-InsO, Art. 36 EuInsVO 2015 Rz. 18; a. A. Wimmer/Bornemann/ Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rz. 436. 109) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4.
105) 106) 107) 108)
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ist mithin, in welcher Eigenschaft der im ausländischen Hauptinsolvenzverfahren eingesetzte Verwalter den Antrag gemäß § 270 InsO zu stellen vermag.110) Eine Beantragung der Eigenverwaltung durch den ausländischen Hauptinsolvenzverwalter kommt nur in Betracht, wenn dieser als „Schuldner“ bzw. organschaftlicher Vertreter des schuldnerischen Unternehmens anzusehen ist.111) Das bemisst sich entsprechend der Anknüpfungsvorschrift des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO nach der lex fori concursus. Mithin ist in diesem Fall das für das Sekundärverfahren international zuständige deutsche Insolvenzgericht gehalten, zur Beurteilung der Antragsbefugnis unter Beachtung des § 270 InsO die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem jeweiligen ausländischen Insolvenzrecht zu prüfen.112) 87 In seiner Entscheidung vom 23.1.2004 ist das AG Köln für ein in Deutschland im Wege der Eigenverwaltung durchzuführendes Sekundärinsolvenzverfahren auf der Grundlage der alten EuInsVO davon ausgegangen, dass die englischen Joint Administrators infolge der gemäß Abschnitt 14 und Schedule (1) des Insolvency Act von 1986 i. V. m. Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2, Art. 17 und 19 Abs. 1 EuInsVO 2000 übergegangenen Verwaltungsund Verfügungsbefugnis (auch) befugt sind, als „Schuldner“ i. S. des § 270 Abs. 1 InsO in Deutschland ein Sekundärinsolvenzverfahren in Form einer Eigenverwaltung zu beantragen.113) Diese Entscheidung würde mangels Änderung der maßgeblichen Bestimmungen unter dem Regime der neuen EuInsVO genauso ausfallen. 88 In dieser Konstellation wird mithin jedenfalls bezogen auf ein deutsches Sekundärverfahren der (ausländische) Hauptverwalter als Schuldner dieses Verfahrens mit dessen Verwaltung betraut und durch einen (deutschen) Sachwalter gemäß §§ 274, 275, 270c InsO überwacht. 89 Sofern es sich bei dem ausländischen Hauptinsolvenzverfahren bereits um eine Eigenverwaltung handelt, in der lediglich ein Sachwalter bestellt wurde, stellt sich die Frage, ob diesem i. S. von Art. 37 EuInsVO eine eigene Antragsbefugnis i. R. eines Sekundärverfahrens auf Eigenverwaltung zukommt. Zwar ist nach Maßgabe der gesetzlichen Legaldefinition des Art. 2 Nr. 5 i. V. m. Anhang B EuInsVO auch ein Sachwalter als Verwalter i. S. von Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO anzusehen, doch kommt diesem lediglich dann eine Schuldnerfunktion i. S. der einschlägigen nationalen Antragsvorschriften zu, sofern auf ihn nach Maßgabe der lex fori concursus die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis – zumindest teilweise – übergegangen ist. Ist dies nicht der Fall, fehlt dem (Haupt-)Sachwalter regelmäßig die Antragsbefugnis. 90 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 356 Abs. 2 InsO, der für das deutsche internationale Insolvenzrecht die Rechtskompetenz zur Beantragung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (auch) dem ausländischen Insolvenzverwalter zuschreibt. Diese Vorschrift wiederholt für das deutsche internationale Insolvenzrecht lediglich die Regelung des Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO. Aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften ist nicht abzuleiten, dass hierdurch gegenüber der Vorschrift des § 270 InsO für das deutsche internationale Insolvenzrecht eine gesonderte Antragskompetenz für die Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren geschaffen werden sollte. Ganz offensichtlich hatte der deutsche Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschriften des (deutschen) internationalen Insolvenzrechts der §§ 335 ff. InsO eine Regelung betreffend die grenzüberschreitende Eigenverwaltung i. R. eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht im Sinn. ___________ 110) 111) 112) 113)
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Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. So Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu auch Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung 2.2.2 Antragsbefugnis des Schuldners bzw. der organschaftlichen Vertreter des Schuldners
Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO weist die Antragskompetenz zur Eröffnung eines Sekun- 91 därinsolvenzverfahrens neben dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens jeder anderen Person und Stelle zu, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaates zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll. Hinsichtlich einer (fortdauernden) Antragsbefugnis eines bereits im Hauptinsolvenzver- 92 fahren befindlichen schuldnerischen Unternehmens herrscht ein Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum. Stellt Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO bzw. seine Vorgängervorschrift bei der Bestimmung der Antragsbefugnis auf die lex fori concursus des Gebiets des Sekundärinsolvenzverfahrens ab, stünde damit – rein formal – in Deutschland nach Maßgabe von § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 InsO das Antragsrecht auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens (auch) dem Insolvenzschuldner selbst zu. Für die besondere Verfahrensart der Eigenverwaltung folgt dies ergänzend aus § 270 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO. Nach einer Auffassung im Schrifttum steht dieser formalen Betrachtungsweise entgegen, dass zum Zeitpunkt der Beantragung des Sekundärinsolvenzverfahrens bereits ein zeitlich vorrangiges Hauptinsolvenzverfahren existiert, in dessen Folge die Befugnis des Schuldners, über das insolvenzbefangene Vermögen zu verfügen, typischerweise auf einen dortigen Verwalter i. S. von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO übergegangen ist.114) Das AG Köln hat in der mit Beschluss vom 23.1.2004 entschiedenen Fallkonstellation zur 93 Klärung der Antragsbefugnis des Insolvenzschuldners differenziert zwischen der – ggf. auf einen ausländischen Verwalter übergegangenen – Befugnis, über das Vermögen der Schuldnerin zu verfügen, und der Befugnis, i. R. einer verfahrensrechtlichen Mitwirkung Verfahrensanträge zu stellen.115) Erst wenn nach dem insoweit maßgeblichen ausländischen Recht mit der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens (auch) sämtliche Antragsbefugnisse der organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin auf den ausländischen Verwalter übergegangen sind, verliert der Schuldner seine Befugnis, einen eigenen Antrag auf Eigenverwaltung i. R. des Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen.116) Nach Eidenmüller117) soll dem Insolvenzschuldner im Zuge der beabsichtigten Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren zwar kein eigenes Antragsrecht zukommen, jedoch soll im Falle der Beantragung durch einen insoweit befugten ausländischen Verwalter der Schuldner bei einer
___________ 114) So zur Rechtslage unter der alten EuInsVO Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 29 a. F. Rz. 8; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; Sabel, NZI 2004, 126, 128. Zur EuInsVO 2017 so auch Wenner/Schuster, in: Wimmer, InsO, Art. 37 EuInsVO 2017 Rz. 11, 12; zum alten Recht bereits Reinhart, in: Wimmer, InsO, Art. 29 EuInsVO 2000 Rz. 9. In seiner Entscheidung v. 23.1.2018 i. R. der NIKI-Insolvenz über die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Deutschland konnte das AG Charlottenburg eine Beantwortung dieser Frage dahingestellt sein lassen, da es den – vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in Österreich ursprünglich in Berlin gestellten – ersten Insolvenzantrag durch Auslegung als Antrag (auch) auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens deutete, vgl. AG Charlottenburg v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240. Vgl. zur internationalen Zuständigkeit i. R. der NIKI-Insolvenz auch Deyda, ZInsO 2018, 221 ff. 115) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473; dazu Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 830; so auch Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 29 EuInsVO a. F. Rz. 3; vgl. auch Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 5; die Möglichkeit, (auch) im Sekundärinsolvenzverfahren Verfahrensanträge zu stellen, wird dem Schuldner in Eigenverwaltung in Art. 38 Abs. 3 EuInsVO nunmehr ausdrücklich eingeräumt. 116) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473; so auch Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Art. 29 EuInsVO a. F. Rz. 3. 117) Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458.
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2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
Eröffnung i. S. von § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerlangen.118) 2.2.3 Antragsbefugnis der Gläubiger des Schuldners 94 Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO eröffnet ein Antragsrecht jeder anderen Person und Stelle, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaates zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll. Ist hier mithin das Insolvenzstatut des Staatsgebiets des Sekundärinsolvenzverfahrens maßgeblich, hängt die Antragsbefugnis der Gläubigerschaft maßgeblich davon ab, ob das jeweilige nationale Insolvenzrecht dies für den Fall einer Eigenverwaltung vorsieht. Nach Maßgabe der deutschen InsO war dies unter Beachtung der Sondervorschrift des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. dann der Fall, wenn der Gläubiger dem Antrag auf Eigenverwaltung des Schuldners zustimmte. Insoweit bedurfte es regelmäßig noch eines parallelen Antrags auf Eigenverwaltung des Insolvenzschuldners.119) Im Zuge der Insolvenzrechtsreform durch das ESUG wurde die Vorschrift des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO ersatzlos aufgehoben; in Deutschland setzt die Eigenverwaltung seit dem 1.3.2012 mithin zwingend einen Antrag des Schuldners voraus.120) 2.3
Die Position des „Schuldners“ im Sekundärinsolvenzverfahren
2.3.1 Der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens 95 Von der Antragsbefugnis i. S. des Art. 37 EuInsVO zu unterscheiden ist die Frage, welche Institution im Falle des erfolgreichen Antrags auf Eigenverwaltung im sodann eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren die Funktion des eigenverwaltenden Schuldners und welche Institution die Funktion des Sekundärverwalters i. S. der EuInsVO übernimmt. 96 In konsequenter Übernahme der vom AG Köln in seinem Beschluss vom 23.1.2004 herausgearbeiteten Grundsätze schlägt der Übergang der Verfügungsbefugnis im Hauptinsolvenzverfahren automatisch auch auf das Sekundärverfahren durch, sofern die lex fori concursus keine eigenständige Anordnung hierüber trifft.121) Dem Hauptverwalter kommt damit grundsätzlich die Aufgabe einer Verwaltung auch im Sekundärverfahren zu; kraft Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis führt dies konkret zur Übertragung der Selbstverwaltungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners auf den (ausländischen) Hauptinsolvenzverwalter.122) Diese rechtliche Konsequenz setzt rein begrifflich voraus, dass der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus dem Hauptverfahren automatisch auch im Sekundärverfahren zu beachten ist. 97 Hier wird im Schrifttum teilweise danach differenziert, ob der Insolvenzschuldner nach der lex fori concursus im Falle der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kraft seiner privatautonomen oder einer neuen, mit Insolvenzeröffnung entstehenden verfahrensbezogenen Verfügungskompetenz ausübt.123) ___________ 118) Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; nach Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 6, soll die Beantragung der Eigenverwaltung durch den Schuldner dann zulässig sein, wenn parallel der gemäß Art. 29 lit. a EuInsVO a. F. zuständige Verwalter oder ein Gläubiger gemäß Art. 29 lit. b EuInsVO a. F. dem Eigenverwaltungsantrag zustimmt. 119) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 6. 120) Dazu etwa Römermann, NJW 2012, 645, 649. 121) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474; dazu auch Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 234 oben. 122) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235; Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 197. 123) So etwa Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 113 ff.
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Unter Zugrundelegung einer Auffassung – im Folgenden als „Überlagerungstheorie“ be- 98 zeichnet – legt das Sekundärverfahren nur einen besonderen Beschlag über jenen des Hauptverfahrens124) und erkennt dem Sekundärinsolvenzverfahren nur spezielle Wirkungen gegenüber dem Hauptinsolvenzverfahren zu. Fehlen derartige spezielle Regelungen für das Sekundärinsolvenzverfahren, sollen die Bestimmungen des Hauptinsolvenzverfahrens ergänzend eingreifen.125) Um diesem Ergebnis Rechnung zu tragen, müssen auch die nationalen Bestimmungen, auf deren Grundlage die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Falle einer Anordnung der Eigenverwaltung beim „Schuldner“ liegt (vgl. etwa § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 186 Abs. 1 öIO) dahin gehend ausgelegt werden, dass mit „Schuldner“ nicht das ursprüngliche Organ, sondern der tatsächliche rechtliche Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemeint ist.126) Dieser Auffassung bleibt entgegenzuhalten, dass die jedenfalls mit Einführung der Eigen- 99 verwaltung in Deutschland verfolgte gesetzgeberische Intention, die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung weiterhin zu nutzen, eine Einarbeitungszeit des Insolvenzverwalters zu vermeiden, Aufwand und Kosten zu sparen und dem Schuldner einen Anreiz zu bieten, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen,127) hier insgesamt keine ausreichende Berücksichtigung findet.128) Zwar mag der Auffassung des AG Köln beizupflichten sein, dass der Verwalter des Hauptverfahrens den schuldnerischen Betrieb u. U. besser führen kann als ein neu hinzukommender (deutscher) Sekundärverwalter, da ersterer durch die bisherige Betriebsfortführung schon eingearbeitet ist und für die Kontinuität der Betriebsfortführung Sorge trägt.129) Im Regelfall kann allerdings nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass der im europäischen Ausland im Hauptverfahren bestellte Insolvenzverwalter über die gleichen Sprach- und Rechtskenntnisse des Sekundärverfahrensstaates verfügt wie die anderen zur Auswahl stehenden (nationalen) Insolvenzverwalter.130) Insgesamt gesehen widerspricht die Bestellung des externen Hauptinsolvenzverwalters jedenfalls der klar formulierten Vorstellung des Gesetzgebers der Eigenverwaltung, dem Schuldner selbst die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu belassen.131) Die Überlagerungstheorie führt im Ergebnis dazu, dass der Hauptverwalter i. R. der Eigen- 100 verwaltung des Sekundärinsolvenzverfahrens als Schuldner und nicht als Sekundärverwalter i. S. der EuInsVO anzusehen ist.132) Letztere Funktion kommt – etwa nach deutschem Recht – dem Sachwalter i. S. von § 274 InsO oder – etwa nach österreichischem Recht – dem Konkursgericht gemäß § 187 Abs. 1 Nr. 3, 4 öIO zu.133) ___________ 124) So wohl AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474; a. A. Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000, Fn. 1. 125) So offensichtlich AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 20004, 471, 474; krit. hierzu Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000, Fn. 1. 126) So Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235. 127) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12, S. 2443 (Vorb. § 331), S. 223; Beck, NZI 2006, 609, 617. 128) Krit. auch Beck, NZI 2006, 609, 617. 129) So AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474. Vallender, KTS 2005, 283, 312, Fn. 140, stellt jedoch im Nachhinein fest, dass ohne die umfassende Unterstützung durch den (nationalen) Sachwalter eine ordnungsgemäße Abwicklung des Sekundärinsolvenzverfahrens durch den (ausländischen) Hauptinsolvenzverwalter mangels einschlägiger Rechts- und Sprachkenntnisse wohl kaum möglich gewesen wäre. 130) Beck, NZI 2006, 609, 617, der hier für deutsche Sekundärinsolvenzverfahren über den Umweg des § 270 Abs. 2 Nr. 3 a. F., jetzt § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO auch die Auswahlvorschrift des § 56 InsO heranziehen will. 131) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235, 236, befürwortet eine Rückübertragung der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis auf den Schuldner, so wohl auch Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 114; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 132) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235, krit. Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000, Fn. 1. 133) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235.
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101 Dies kann insoweit zu Wertungswidersprüchen führen, da bei formaler Betrachtung den vorbezeichneten Organen gesetzlich nicht nur die allgemeine Aufsichtspflicht des Sekundärverwalters, sondern ergänzend auch die Kooperationspflichten gegenüber dem Hauptinsolvenzverwalter gemäß Art. 41 ff. EuInsVO auferlegt sind. Die ausdrückliche Einbeziehung der Eigenverwaltung im Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren in Art. 41 Abs. 3 EuInsVO hat hieran nichts geändert. Dies hat zur Folge, dass der Sekundärverwalter (in Person des Sachwalters oder Konkursrichters) zumindest bezogen auf die Sekundärverfahrensmasse über den Hauptverwalter wacht und ihm gegenüber im Einzelfall auch weisungsbefugt ist.134) Diesem obliegt einerseits die Funktion des Hauptverwalters, in deren Ausübung er nicht zuletzt aufgrund des dortigen universellen Charakters wesentlichen Einfluss auf das Sekundärinsolvenzverfahren nimmt. Andererseits ist er als „Schuldner“ wiederum den Weisungen und der Aufsicht des Sekundärverwalters unterworfen. Verstärkt wird die Problematik durch die Tatsache, dass nach Maßgabe bestimmter europäischer Rechtsordnungen das Gericht die Funktion des Sekundärverwalters i. S. von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO übernimmt135) und folglich keine neutrale Instanz mehr existiert, an die sich der eigenverwaltende Hauptverwalter im Konfliktfall wenden kann. 102 Nicht zu vernachlässigen ist auch die potenzielle Interessenkollision in Person des gleichzeitig als Schuldner des Sekundärinsolvenzverfahrens agierenden Hauptinsolvenzverwalters.136) 103 Im Ergebnis sprechen gewichtige Gründe gegen die Betrauung des Insolvenzverwalters des Hauptverfahrens mit der Eigenverwaltung im Sekundärverfahren. Ergänzt wird dies noch durch die Erwägungen des Gesetzgebers, der mittels der Eigenverwaltung das Knowhow der ursprünglichen Organe des Schuldners sichern und einen Restrukturierungsanreiz schaffen wollte. Durch die Überantwortung der Eigenverwaltung an den Hauptinsolvenzverwalter wird dies verhindert.137) 104 Teilweise wurde hieraus generell eine fehlende Zweckdienlichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens unter Anordnung der Eigenverwaltung überhaupt geschlussfolgert.138) Andere Stimmen sprechen sich für die Rückübertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzschuldner aus.139) 105 Der EuGH hat in seiner Handlowy-Entscheidung140) lediglich allgemein ausgeführt, dass das für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht unter Berücksichtigung der Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der Verordnung Rechnung zu tragen hat. Durch die ausdrückliche Aufnahme der Eigenverwaltung auch in das Sekundärinsolvenzverfahren durch die EuInsVO 2017 dürfte sich dieses formale Problem ohnehin weitestgehend erledigt haben.
___________ 134) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 236, spricht in diesem Zusammenhang von einem „janusköpfigen Hauptverwalter“. 135) Anders als in Deutschland oder Frankreich ist bspw. das österreichische Insolvenz- und Konkursgericht als potenzieller „Verwalter“ im Anhang B zur EuInsVO ausdrücklich aufgeführt. 136) Beck, NZI 2006, 609, 618; Kemper, in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000 Rz. 12. 137) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 237. 138) So etwa Beck, NZI 2006, 609, 618. 139) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 236; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 140) Vgl. EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403.
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung 2.3.2 Die Geschäftsleitung bzw. Organe des Insolvenzschuldners
Im insolvenzrechtlichen Schrifttum wird daher die Lösung vertreten, unabhängig von 106 einer etwaigen Antragsbefugnis des Hauptinsolvenzverwalters im Falle der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Schuldner zurück zu übertragen.141) Die Gegner dieser „Rückübertragungstheorie“ berufen sich im Wesentlichen auf das deutsche nationale Recht, insbesondere die Begründung des Gesetzentwurfs zur Eigenverwaltung. Dort heißt es i. R. des Einleitungskapitels zur Eigenverwaltung in der Tat, dem Schuldner sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis „zu lassen“.142) Auch die Kooperationsvorschrift des Art. 41 Abs. 3 EuInsVO spricht von einem Schuldner, der im Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren die Verfügungsgewalt über sein Vermögen „behält.“ Ergänzt wird diese Sichtweise durch einen Hinweis auf das frühere Verfahren nach der VerglO, in deren Rahmen der Schuldner aufgrund seiner eigenen originären Rechtsmacht handelte.143) Als weiteres Argument gegen die Rückübertragungstheorie wird ein Verweis auf die Vorschriften des Rechts der Zwangsverwaltung herangezogen. Gemäß § 150b ZVG kann im Zwangsverwaltungsverfahren der Schuldner zum Verwalter bestellt werden und mithin eine entsprechende Rechtsmacht originär verliehen bekommen. Wäre dies für das Recht der Eigenverwaltung i. S. einer originären Rückübertragung gewollt gewesen, hätte sich eine entsprechende Gesetzesformulierung angeboten. Da der Insolvenzschuldner diese ursprünglich vorhandene Rechtsmacht in Anbetracht des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den ausländischen Hauptinsolvenzverwalter verliert, passt mithin nach dieser Auffassung die Rückübertragung nicht in das gesetzgeberische Konzept der Eigenverwaltung.144) 2.3.3 Die organschaftliche Bestellung eines externen Insolvenzexperten Unter Beachtung der vorstehend genannten Grundsätze stellt auch der teilweise unter- 107 breitete Lösungsvorschlag, im Verfahren einen inländischen Insolvenzexperten zum Zwecke der Eigenverwaltung zu bestellen,145) keine echte Alternative dar. Der Einsatz eines Insolvenzexperten führt lediglich zu einem Personentausch im Bereich der organschaftlichen Vertretung der Insolvenzschuldnerin. In konsequenter Anwendung der beschriebenen Rechtsgrundsätze, denen zufolge das Sekundärinsolvenzverfahren keinen Anspruch auf Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erhebt, sondern diese dort belässt, wo es sie vorfindet, wird mithin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem englischen (ausländischen) Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens und nicht den Organen der deutschen Gesellschaft (rück-)übertragen. Allein die Bestellung eines Insolvenzexperten führt naturgemäß nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn etwa der deutsche Insolvenzexperte im englischen Hauptinsolvenzverfahren zum Joint Administrator des Hauptinsolvenzverfahrens berufen würde.146) In der Folge könnte er sodann kraft Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wiederum als Hauptinsolvenzverwalter die Funktion des „Schuldners“ im (deutschen) Sekundärinsolvenzverfahren in Form der Eigenverwaltung übernehmen. Hierdurch würden zwar Sinn und Zweck der Eigenverwaltung angesichts der internationalen Kompetenz nicht ___________ 141) Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 236; Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 114. 142) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12, S. 2443, zit. in AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 475. 143) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 475. 144) Zit. nach AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 475. 145) So etwa Beck, NZI 2006, 609, 618; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 238, Fn. 77. 146) So der Vorschlag von Beck, NZI 2006, 609, 618.
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konterkariert, hinsichtlich der Kompetenz- und Interessenkonflikte gilt im Übrigen jedoch das bereits Ausgeführte (siehe Rz. 101 ff.). 2.4
Die Funktion des „Sachwalters“
108 Unabhängig davon, ob der externe Hauptinsolvenzverwalter kraft Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis formal die Position des eigenverwaltenden Insolvenzschuldners übernimmt oder diese Funktion bei der (ursprünglichen) Geschäftsleitung verbleibt bzw. an diese zurück übertragen wird, kommt jedenfalls der Person des Sachwalters im eigenverwalteten Sekundärinsolvenzverfahren eine maßgebliche Bedeutung zu.147) 109 Seine Kompetenzen und Befugnisse richten sich gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO (auch) hinsichtlich des Sekundärverfahrens nach der für dieses geltenden lex fori concursus, im Falle eines in Deutschland im Wege der Eigenverwaltung abzuwickelnden Sekundärinsolvenzverfahrens mithin nach Maßgabe der §§ 274, 275 InsO. 110 Gerade in denjenigen Fällen, in denen der (ausländische) Hauptinsolvenzverwalter zum eigenverwaltenden Schuldner des Sekundärverfahrens berufen wird, besteht die Gefahr, dass dieser den Geschäftsbetrieb der Niederlassung faktisch aus einem anderen Mitgliedstaat heraus verwaltet und die Interessen der am Sekundärinsolvenzverfahren Beteiligten nicht in dem gleichen Maße schützt wie ein nationaler Sekundärverfahrensverwalter.148) Nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund kommt der Person des Sachwalters im Sekundärinsolvenzverfahren als Korrektiv und Gegengewicht maßgebliche Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund einer Wahrung der (nationalen) Interessen des Sekundärinsolvenzverfahrens, sondern auch in Anbetracht der dem ausländischen Hauptinsolvenzverwalter regelmäßig fehlenden Kenntnisse des auf dieses Verfahren anzuwendenden nationalen Rechts.149) Deshalb wird als Alternative vorgeschlagen, eine Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren abzulehnen und stattdessen für dieses nach klassischem Modell einen (deutschen) Insolvenzverwalter i. S. einer Regelabwicklung zu stellen.150) Im Übrigen richtet sich die rechtliche Kompetenz des Sachwalters nach den nach Maßgabe des Insolvenzstatuts einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen. 111 Ebenfalls bezogen auf das deutsche Insolvenzrecht ist i. R. der Auswahlentscheidung betreffend die Person des Sachwalters aufgrund des Verweises in § 274 Abs. 1 InsO die Vorschrift des § 56 InsO zu berücksichtigen.151) Insoweit ist bei der Beurteilung seiner für den jeweiligen Fall geforderten Eignung und Geschäftskunde (auch) darauf zu achten, dass er in grenzüberschreitenden Verfahren über die notwendige Rechts- und Sprachkompetenz verfügt.152) 112 Unbestritten ist es im Übrigen grundsätzlich auch zulässig, einem Gericht die Funktion eines Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters i. S. von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO zukommen zu lassen, sofern es in dem in Bezug genommenen Anhang B aufgeführt ist. Anders als in Deutschland oder Frankreich ist bspw. das österreichische Konkursgericht als poten___________ 147) Vgl. zur Funktion des Sachwalters die rechtsvergleichende Betrachtung bei Korch, ZIP 2018, 109 ff. 148) Undritz, in: HambKomm-InsO, 4. Aufl., Art. 27 EuInsVO a. F. Rz. 13; Beck, NZI 2006, 609, 616. 149) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 237, 238; zur Kompetenz des ausländischen Hauptverwalters auch Vallender, KTS 2005, 283, 312, Fn. 140. 150) Vallender, KTS 2005, 283, 312, Fn. 140. 151) Dazu ausf. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 2 ff. 152) Beck, NZI 2006, 609, 617, der wiederum § 56 InsO über den Umweg des § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO a. F. auch i. R. der Auswahlentscheidung hinsichtlich der mit der Eigenverwaltung zu betrauenden Personen heranziehen will und in diesem Falle die Eignung und Geschäftskonten eines ausländischen Hauptinsolvenzverwalters infrage stellt.
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zieller „Verwalter“ im Anhang B ausdrücklich aufgeführt;153) damit sollen die sich aus der Eigenverwaltung im Privatkonkurs (Schuldenregulierungsverfahren) ergebenden Schwierigkeiten gelöst werden. In der Praxis ist dies insbesondere für die komplexeren Fälle eines österreichischen Schuldenregulierungsverfahrens vorgesehen, in denen – nicht zuletzt in Anbetracht eines grenzüberschreitenden Sachverhalts – die Kompetenz des eigenverwaltenden Schuldners überschritten wird.154) 2.5
Kooperationspflichten zwischen den Verwaltern von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren
Zwar sind Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren in Anbetracht der zwischen ihnen be- 113 stehenden wechselseitigen Beziehungen nicht grundsätzlich als „Gegenpole“155) anzusehen, jedoch führen gerade diese Wechselbeziehungen zu einem erheblichen Kooperationsund Abstimmungsbedarf, um den Interessen des grundsätzlich dominierenden und universell geltenden Hauptinsolvenzverfahrens und den Partikularinteressen der nationalen Gläubiger auf der Ebene des Sekundärinsolvenzverfahrens in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Insoweit ergeben sich für die Eigenverwaltung im Haupt- und/oder Sekundärinsolvenzverfahren keine wesentlichen Besonderheiten. Im Wesentlichen sind die Kooperations- und Unterrichtungspflichten der maßgeblichen 114 Beteiligten von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren in den Art. 41 ff. EuInsVO niedergelegt. Diese Normen unterscheiden i. R. der Kooperation zwischen einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter untereinander (Art. 41 EuInsVO), der beteiligten Gerichte (Art. 42 EuInsVO) sowie der Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Verwaltern und Gerichten (Art. 43 EuInsVO). Die Vorschrift des Art. 41 EuInsVO richtet sich dabei an die „Verwalter“ des Hauptinsolvenzverfahrens sowie des Sekundärinsolvenzverfahrens und postuliert insbesondere die Verpflichtung zur gegenseitigen Unterrichtung. Beide Verwalter haben einander unverzüglich alle Informationen mitzuteilen, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere den Stand der Anmeldung und der Prüfung der Forderungen sowie alle Maßnahmen zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens. Nach Maßgabe des Art. 41 Abs. 3 EuInsVO gilt dies sinngemäß in Fällen, in denen der Schuldner im Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren die Verfügungsgewalt über sein Vermögen behält. Durch diese Regelung sollen das „Sekundieren“156) des Sekundärinsolvenzverfahrens in seiner Eigenschaft als Partikularinsolvenzverfahren sichergestellt und die wechselseitigen Wirkungen harmonisiert werden. Zu der allgemein formulierten Unterrichtungspflicht gehört im Einzelfall z. B. eine In- 115 formation über den Stand und Umfang der Soll-Masse im jeweiligen Verfahren, in Aussicht genommene oder rechtshängig gemachte Streitigkeiten zur Wiederherstellung der Soll-Masse (Anfechtungsprozesse, Klagen auf Ersatz von Schäden) sowie die im jeweiligen Verfahren angemeldeten Forderungen, das Ergebnis der Forderungsberechnung und der Stand von Feststellungsprozessen oder vergleichbaren Verfahren, die Rangfolge der Gläubiger, in Aussicht genommene Organisations- und Sanierungsmaßnahmen oder auch die voraussichtlich zu erzielenden Quoten.157)
___________ Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 401. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 401. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 233. Potthast, Probleme eines Europäischen Konkursübereinkommens, 1995, S. 60, Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 125, Rz. 9; Ehricke, ZInsO 2004, 633. 157) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126, Rz. 11. 153) 154) 155) 156)
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116 Speziell für den Fall der angeordneten Eigenverwaltung zählt hierzu auch die Verpflichtung, dass in denjenigen Fällen, in denen der Insolvenzschuldner noch wirksam massebezogene Rechtshandlungen vornehmen kann, der aufsichtsführende Sachwalter seinen Kollegen als Hauptinsolvenzverwalter davon in Kenntnis zu setzen hat.158) 116a Neu hinzugekommen gegenüber der Altfassung sind insbesondere die ausdrückliche Informationsverpflichtung über Maßnahmen zur Restrukturierung oder Sanierung des Schuldners in Art. 41 Abs. 2 lit. a EuInsVO sowie die in lit. b erstmals niedergelegte Möglichkeit der Kooperation i. R. der Ausarbeitung und Umsetzung eines Restrukturierungsplans. 117 Adressat dieser Kooperations- und Unterrichtungsverpflichtung ist auf der Ebene des Sekundär- oder Partikularverfahrens jeweils der dortige Verwalter. (Auch) Für den Fall der dort angeordneten Eigenverwaltung ergibt sich nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO i. V. m. Anhang B, dass Adressat der Verpflichtungen aus Art. 41 EuInsVO ein dort genannter Amtsträger, namentlich für die deutsche InsO der dortige Sachwalter sein kann.159) Auf diesem Wege ist auch für den Fall einer Eigenverwaltung sichergestellt, dass die besondere Fachkompetenz, die zur Erfüllung der Kooperationspflichten nach Maßgabe der EuInsVO gefordert ist, tatsächlich von einem professionellen Verwalter erfüllt wird.160) 118 Die Dominanz des Hauptinsolvenzverfahrens wird weiterhin dadurch sichergestellt, dass der Sachwalter des eigenverwalteten Sekundärinsolvenzverfahrens dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zu gegebener Zeit Gelegenheit zu geben hat, Vorschläge für die Verwertung oder jede Art der Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens zu unterbreiten (Art. 41 Abs. 2 lit. c EuInsVO). Ferner ergeben sich die Vormachtstellung und die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens aus Art. 38 Abs. 4 EuInsVO, demzufolge dem Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens neben dem Recht, durch eine Zusicherung nach Art. 36, 38 Abs. 2 EuInsVO die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ganz bzw. gemäß Art. 46 EuInsVO zumindest die Verwertung der Masse im Sekundärinsolvenzverfahren auf Antrag zu verhindern weiterhin das Recht eingeräumt wird, die Eröffnung des Verfahrens in einer anderen in Anhang A aufgeführte Verfahrensart zu beantragen. Sind die in Deutschland hier gegebenen Alternativen mit den dort lediglich aufgeführten Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren naturgemäß begrenzt, eröffnet sich hier bspw. angesichts der Vielzahl der Verfahrensarten in Frankreich (Sauvegarde, Sauvegarde accélérée, Sauvegarde financière accélérée, Redressement judiciaire, Liquidation judiciaire) eine ganze Reihe von Möglichkeiten. 119 Ferner hat der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens gemäß Art. 47 Abs. 1 EuInsVO das Recht, eine Verfahrensbeendigung des Sekundärinsolvenzverfahrens durch Sanierungsplan, Vergleich oder sonstige Maßnahmen vorzuschlagen. 120 Soweit die Kooperations- und Unterrichtungsverpflichtungen der Art. 41 ff. EuInsVO auf Verwalterebene und mithin auf Augenhöhe der Fachkompetenz stattfinden, ergeben sich auch im Falle einer Eigenverwaltung ansonsten lediglich die üblichen Sprachbarrieren.161) Sie können jedoch notfalls durch geeignetes Hilfspersonal unschwer überwunden ___________ 158) So auch Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 265. 159) Vgl. dazu Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126, Rz. 13; nach Wenner/ Schuster in: Wimmer, InsO, Art. 41 EuInsVO 2017 Rz. 33, bezieht sich die Verpflichtung zur Kooperation bei Eigenverwaltung (auch) auf den Schuldner. 160) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126, Rz. 14. 161) Der nachstehend beschriebene Kommissionsvorschlag einer Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren greift diese Problematik auf und postuliert in den dortigen Art. 25, 26 Vorgaben für die Verwalterqualifikation und Fortbildung.
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werden. Im Übrigen gibt es insoweit gegenüber den Kooperations- und Unterrichtungspflichten im Falle einer grenzüberschreitenden Regelabwicklung zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter keine Besonderheiten.162) III.
Ausblick: Die Eigenverwaltung im präventiven Restrukturierungsverfahren
Hatte schon das ESUG vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs und der 121 positiven Erfahrungen der nationalen Insolvenzrechte in den USA und den europäischen Nachbarländern das Institut der Eigenverwaltung insbesondere durch die Einführung des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO zu fördern versucht,163) wurde dieses Instrument i. R. der (neuen) EuInsVO vom 20.5.2015 auf europäischer Ebene u. a. durch die ausdrückliche Aufnahme dieser Verfahrensart in seinen Anwendungsbereich in Art. 1 Abs. 1, seine Aufnahme in den Katalog der Begriffsbestimmungen gemäß Art. 2 Nr. 3 sowie die Abschaffung der Beschränkung eines Sekundärinsolvenzverfahrens auf bloße Liquidationsverfahren noch weiter gestärkt. Die im Insolvenzrecht bereits seit Jahren zu beobachtende allgemeine Tendenz, in wirt- 122 schaftliche Schwierigkeiten geratene Firmen möglichst außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens unter weitestgehender Aufrechterhaltung eigenverantwortlicher Unternehmensstrukturen und Autonomie zu sanieren, hat damit jedoch noch nicht ihr Ende gefunden. So sprach die EU-Kommission per 12.3.2014 weitere Empfehlungen aus mit dem erklärten Ziel, „[…] zu gewährleisten, dass in finanziellen Schwierigkeiten befindliche wirtschaftlich bestandsfähige Unternehmen […] Zugang zu nationalen Insolvenzrahmen haben, die ihnen ermöglichen, frühzeitig eine Restrukturierung vorzunehmen, um eine Insolvenz zu verhindern und dadurch für Gläubiger, Beschäftigte, Anteilseigner und die Wirtschaft insgesamt ein Höchstmaß an Wert sicherzustellen. Darüber hinaus soll mit der Empfehlung redlichen Unternehmen, die von einem Konkurs betroffen sind, eine zweite Chance in der Union gegeben werden.“164) Als Anlass dieser erneuten Initiative werden benannt u. a. nach wie vor bestehende zum 123 Teil erhebliche Unterschiede der „nationalen Restrukturierungsrahmen“, mithin der Insolvenzverfahren und der vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren als Manko innerhalb der EU.165) Durch die weitgehende Vereinheitlichung der Restrukturierungsrahmen soll zukünftig ein in allen Mitgliedstaaten möglichst homogenes vorinsolvenzliches präventives Verfahren geschaffen werden.166) Die gut ein Jahr später verabschiedete Neufassung der EuInsVO ging mit der Ausdehnung ihres Anwendungsbereichs gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. c (auch) auf Verfahren, in denen die „vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren von einem Gericht oder kraft Gesetzes gewährt wird, um Ver___________ 162) Zum Ganzen ausf. und instruktiv Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 117 ff.; zur Kooperation und Abstimmung im Bereich der Gerichtsbarkeit auch Vallender, KTS 2008, 59; Busch/Remmert/Rüntz/ Vallender, NZI 2010, 417. 163) Inwieweit dieses Vorhaben in seine Umsetzung bislang von Erfolg gekrönt war, ist Gegenstand einer Evaluierung, zu deren Durchführung der deutsche Gesetzgeber die Bundesregierung mit Einführung des ESUG per Gesetz vom 7.12.2011 verpflichtet hatte. Fünf Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelungen per 1.3.2012 sollte i. R. dieser Evaluierung eine Bestandsaufnahme der Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes erfolgen. Die Ergebnisse liegen inzwischen dem Bundestag vor und wurden im November 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt; s. dazu nutzen § 58. 164) Empfehlungen der Kommission v. 12.3.2014, Erwägungsgrund 1, dazu auch Jacobi, ZInsO 2017, 1 ff.; Zipperer, ZInsO 2016, 831. 165) Empfehlungen der Kommission v. 12.3.2014, Erwägungsgründe 2 – 4; hierzu auch Jacobi, ZInsO 2017, 1 ff.; Zipperer, ZInsO 2016, 831. 166) Empfehlungen der Kommission v. 12.3.2014, Erwägungsgründe 1 – 20.
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§ 21
2. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO
handlungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zu ermöglichen“, noch nicht weit genug.167) 124 Mit Datum vom 22.11.2016 hat die EU-Kommission nunmehr ihre Empfehlungen vom 12.3.2014 aufgearbeitet und den Vorschlag für eine „Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierung-, Insolvenz-, und Entschuldungsverfahren“168) – kurz über ein „präventives Restrukturierungsverfahren“ – vorgelegt. Als spezielle Form des Eigenverwaltungsverfahrens zeichnet sich dieses im Wesentlichen durch folgende Merkmale aus:
die Einführung eines „Frühwarnsystems“ v. a. für kleine und mittlere Unternehmen (KMU);169)
die Entbehrlichkeit eines generell vorgeschriebenen gerichtlichen Eröffnungsbeschlusses zur Einleitung des Verfahrens; im Interesse der Aufrechterhaltung größtmöglicher Autonomie des Unternehmens erfolgt ein Mindestmaß an gerichtlicher Kontrolle, sofern die Interessen der Gläubiger/Dritter es erfordern, v. a. bei
der Anordnung von Aussetzungsmaßnahmen,
der Bestätigung des Restrukturierungsplans, dem nicht alle Gläubiger zustimmen (sog. „klassenübergreifender Cram-down“);170)
der Dauer des Restrukturierungsrahmens, die grundsätzlich vier Monate betragen soll; maximal soll eine Ausdehnung auf zwölf Monate möglich sein, wenn eine hohe Aussicht auf Planannahme besteht und die Ursache der Verzögerung in den Verhandlungen des Plans zu finden ist;171)
Gesellschaftern bzw. Anteilseignern, die in den Plan miteinbezogen werden können und diesen nicht behindern sollen,172)
der Präzisierung der „safe harbours“ in Gestalt von der Anfechtbarkeit/Nichtigkeit in ggf. später dennoch eröffneten Insolvenzverfahren entzogenen Restrukturierungshandlungen;173)
der besonderen Berücksichtigung der Arbeitnehmerschutzrechte;174)
den Qualifikationsanforderungen für Restrukturierungsgerichte und Anforderungen hinsichtlich der Qualifikation, Auswahl, Aufsicht, Haftung und Vergütung der Praktiker (v. a. des für den Fall der Anordnung von Aussetzungsmaßnahmen bzw. eines Cram-downs zu bestellenden Restrukturierungsverwalters).175)
___________ 167) Hierzu Zipperer, ZInsO 2016, 831. 168) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, vgl. hierzu etwa Jacobi, ZInsO 2017, 1 ff.; Vallender, ZInsO 2017, 2464, 2470; Zipperer, ZInsO 2016, 831. 169) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgründe 13, 16, Art. 3. 170) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgründe 17, 18, der dortige Art. 5 spricht ausdrücklich von einem „Schuldner in Eigenverwaltung“; zum klassenübergreifenden „Cram-down“ vgl. auch Art. 11 des Richtlinienentwurfs. 171) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgrund 19, Art. 6. 172) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgründe 26, 29, Art. 12. 173) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgründe 31, 33. 174) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgründe 34 – 35, dort Art. 6 Abs. 3. 175) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, Erwägungsgrund 40, dort Art. 13 Abs. 3.
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§ 21
Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
Bemerkenswert ist i. Ü. auch eine offensichtlich gewollte Standardisierung der Restruktu- 125 rierungspläne; so enthält der Richtlinienentwurf diesbezüglich inhaltliche Vorgaben; auch ist es vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten jeweils ein Muster für Restrukturierungspläne online verfügbar machen.176) Insgesamt ist das gewollte Restrukturierungsverfahren geprägt von dem Bestreben, euro- 126 paweit eine vom „Stigma des Konkurses“ befreite zügige Unternehmenssanierung mit so wenig gerichtlicher Beteiligung wie möglich und so viel gerichtlicher Beteiligung wie nötig177) zu eröffnen. Das Vorhaben tangiert neben diversen insolvenzrechtlichen Themen auch verfassungsrechtliche Aspekte bis hin zu politischen und volkswirtschaftlichen Fragestellungen.178) Im Schrifttum war es bislang Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen.179) Aktuell (Herbst 2018) dauern die Verhandlungen im Rat der Europäischen Union weiterhin an. Nach bereits vorliegenden Teileinigungen im Bereich der Regelungen der „zweiten Chance“ (Restschuldbefreiung) sowie der Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren werden nach Vorlage des Ergebnisses die Abstimmungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission fortgesetzt. Die Präsentation der Endfassung der Richtlinie wird Ende Frühjahr 2019 erwartet. Die sich hieran anschliessende Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten wird voraussichtlich noch Jahre in Anspruch nehmen.
§ 22 frei
___________ 176) Vgl. hierzu Art. 8 des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final. 177) So zusammenfassend Vallender, ZInsO 2017, 2464, 2470. 178) So wirft u. a. Jacobi, ZInsO 2017, 1, 13, die Frage auf, wie sich eine erleichterte Entschuldung ohne das Risiko einer Anfechtung/Geschäftsführerhaftung auf die unternehmerische Verantwortung und auf das Vertrauen der Kreditwirtschaft als Grundvoraussetzung einer Kreditvergabe auswirken könnte. 179) Vgl. statt vieler etwa Bork, ZIP 2017, 1441; Jacobi, ZInsO 2017, 1 ff.; Kayser, in: FS Pannen, 2017, S. 273 ff.; Thole, ZIP 2017, 101; Vallender, in: FS Pannen, 2017, S. 303. Der VID hat in seiner Stellungnahme v. 1.3.2017 (abrufbar unter https://www.vid.de/unsere-stellungnahme-zum-rl-vorschlagcom-2016-723-final/ [Abrufdatum: 31.8.2018]) u. a. eine stärkere Einbindung von Gerichten und Verwaltern, stärkere Anforderungen an Moratorien, Restrukturierungspläne, den klassenübergreifenden Cram-down sowie eine Verschärfung der Entschuldungsfrist für redliche Unternehmer gefordert. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat diese Punkte in seinen Änderungsanträgen zum Richtlinienentwurf gemäß Bericht v. 21.8.2018 aufgegriffen und berücksichtigt (abrufbar unter http:// www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bREPORT%2bA82018-0269%2b0%2bDOC%2bXML%2bV0%2f%2fDE&language=DE [Abrufdatum: 31.8.2018]).
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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung
Bemerkenswert ist i. Ü. auch eine offensichtlich gewollte Standardisierung der Restruktu- 125 rierungspläne; so enthält der Richtlinienentwurf diesbezüglich inhaltliche Vorgaben; auch ist es vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten jeweils ein Muster für Restrukturierungspläne online verfügbar machen.176) Insgesamt ist das gewollte Restrukturierungsverfahren geprägt von dem Bestreben, euro- 126 paweit eine vom „Stigma des Konkurses“ befreite zügige Unternehmenssanierung mit so wenig gerichtlicher Beteiligung wie möglich und so viel gerichtlicher Beteiligung wie nötig177) zu eröffnen. Das Vorhaben tangiert neben diversen insolvenzrechtlichen Themen auch verfassungsrechtliche Aspekte bis hin zu politischen und volkswirtschaftlichen Fragestellungen.178) Im Schrifttum war es bislang Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen.179) Aktuell (Herbst 2018) dauern die Verhandlungen im Rat der Europäischen Union weiterhin an. Nach bereits vorliegenden Teileinigungen im Bereich der Regelungen der „zweiten Chance“ (Restschuldbefreiung) sowie der Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren werden nach Vorlage des Ergebnisses die Abstimmungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission fortgesetzt. Die Präsentation der Endfassung der Richtlinie wird Ende Frühjahr 2019 erwartet. Die sich hieran anschliessende Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten wird voraussichtlich noch Jahre in Anspruch nehmen.
§ 22 frei
___________ 176) Vgl. hierzu Art. 8 des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final. 177) So zusammenfassend Vallender, ZInsO 2017, 2464, 2470. 178) So wirft u. a. Jacobi, ZInsO 2017, 1, 13, die Frage auf, wie sich eine erleichterte Entschuldung ohne das Risiko einer Anfechtung/Geschäftsführerhaftung auf die unternehmerische Verantwortung und auf das Vertrauen der Kreditwirtschaft als Grundvoraussetzung einer Kreditvergabe auswirken könnte. 179) Vgl. statt vieler etwa Bork, ZIP 2017, 1441; Jacobi, ZInsO 2017, 1 ff.; Kayser, in: FS Pannen, 2017, S. 273 ff.; Thole, ZIP 2017, 101; Vallender, in: FS Pannen, 2017, S. 303. Der VID hat in seiner Stellungnahme v. 1.3.2017 (abrufbar unter https://www.vid.de/unsere-stellungnahme-zum-rl-vorschlagcom-2016-723-final/ [Abrufdatum: 31.8.2018]) u. a. eine stärkere Einbindung von Gerichten und Verwaltern, stärkere Anforderungen an Moratorien, Restrukturierungspläne, den klassenübergreifenden Cram-down sowie eine Verschärfung der Entschuldungsfrist für redliche Unternehmer gefordert. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat diese Punkte in seinen Änderungsanträgen zum Richtlinienentwurf gemäß Bericht v. 21.8.2018 aufgegriffen und berücksichtigt (abrufbar unter http:// www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bREPORT%2bA82018-0269%2b0%2bDOC%2bXML%2bV0%2f%2fDE&language=DE [Abrufdatum: 31.8.2018]).
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3. Teil Insolvenzplan A. Planvorbereitung und Planinitiative § 23 Planvorbereitung Rendels
I.
Fehlschlagsfaktoren außergerichtlicher Restrukturierung ............................. 1 1. § 613a BGB; Hürden beim Personalabbau .............................................. 2 2. Pensionslasten/Pensions-SicherungsVerein............................................................ 4 3. § 75 AO und Steuerhaftung einer Auffanggesellschaft...................................... 5 4. Rechtsscheinhaftung nach § 25 HGB......... 6 5. Insolvenzanfechtung.................................... 8 5.1 Gläubigerberatung........................... 8 5.2 Zahlungen im Konzern ................. 13 6. Beraterhaftung, Drittschutz ...................... 17 7. Investorensicht: Risiken eines insolvenznahen Kaufs ........................................ 21 8. Mandatsinhalte bei Schuldnerberatung.....................................................22a II. Taktisches Herangehen an den Insolvenzplan ............................................ 23 1. Beratung des zu sanierenden Rechtsträgers ......................................................... 24
1.1
Frühzeitig Insolvenzplan als „Plan B“.......................................... 24 1.2 Verbündete unter Gläubigern und Arbeitnehmern....................... 29 1.3 Sicherheitenstruktur; Liquidität und Wertgutachten .................. 33 1.4 Liquiditätsplanung und („unechter“) Massekredit ............. 38 1.5 Mandant/einzelne Geschäftsführungsorgane als Sanierungshindernis? ............................. 41 1.6 Hoffnung Investor ........................ 42 1.7 Drittzuschuss, Quotengarantie oder Ertragsplan ............................ 46 1.8 Ertragssicherheit und erneutes Insolvenzrisiko .............................. 47 2. Beratung eines Gläubigers ......................... 48 2.1 Gesicherte Gläubiger .................... 48 2.2 Ungesicherte Gläubiger ................ 54 3. Beratung eines Investors ........................... 55 III. Checklisten zur Planvorbereitung.......... 62
Literatur: Gehrlein, Insolvenzrechtliche Überschuldung trotz Bilanzierung zu Fortführungswerten? – Zur Unterscheidung von Fortführungsprognose und Fortbestehensprognose, WM 2018, 1; Grunewald, Die Rechtsstellung des Kommanditisten als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, GmbHR 2018, 63; Rendels, Eigenverwaltung: Schutz der Masse durch Honorarkriterien, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 577; Wagner, M., Update Steuerberaterhaftung für Insolvenzschäden, ZInsO 2018, 1005; Wagner, M., Praktische Konsequenzen der Hinweise der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) zur Haftungsvermeidung von Insolvenzschäden, ZInsO 2018, 1492; Zabel, Die handelsrechtliche Fortführungsprognose – Ein Indikator zur Krisenfrüherkennung, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 825; Zabel/Pütz, Beurteilung der Insolvenzgründe nach IDW S 11, ZIP 2015, 912.
I.
Fehlschlagsfaktoren außergerichtlicher Restrukturierung
1 Die nachfolgenden Ausführungen richten sich eher an Berater, die weniger Erfahrung in der Sanierung unter Insolvenzbedingungen haben, sich aber (ggf. erstmals) mit einem Mandat befassen, welches in der Insolvenz enden könnte. Auch Rechtsabteilungen von Unternehmen, deren „Kerngeschäft“ nicht die Krise des eigenen Unternehmens oder des Kunden ist, mögen die nachfolgenden Ausführungen als ersten Einstiegs-Leitfaden heranziehen. Es gibt immer wieder typische „Hoffnungswerte“, die eine Restrukturierung vor der Insolvenz hätten tragen sollen, die sich dann aber nicht erfüllen. Im anschließenden Insolvenzplanverfahren können sich Fehler in der vorinsolvenzlichen Beratung als „fortwirkendes“ Hindernis erweisen, z. B. weil Sachwalter oder Insolvenzverwalter Haftungstatbestände prüfen müssen und/oder Gläubiger – ggf. auch im Gläubigerausschuss – Haftungstatbeständen nachgehen. Fehler im Vorfeld des Insolvenzantrags führen oft zu einem 638
Rendels
§ 23
Planvorbereitung
sinnlosen Verlust von Liquidität und Insolvenzmasse.1) Sie können die Anordnung der Eigenverwaltung in Frage stellen. Darauf soll zunächst eingegangen werden. In Abschnitt II (siehe Rz. 23 ff.) geht es dann um Fragen des zielgerichteten Herangehens an die Erstellung eines Insolvenzplanentwurfs und die Vorbereitungen hierzu.2) Beide Abschnitte werden dann durch eine Checkliste abgeschlossen und teilweise zusammengefasst (siehe Rz. 62 ff.). 1.
§ 613a BGB; Hürden beim Personalabbau
Die außergerichtliche Restrukturierung ist häufig dadurch gekennzeichnet, dass Auffang- 2 gesellschaften gegründet werden sollen, auf die Teilbetriebe des bisherigen Krisenbetriebs übertragen werden. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber, z. B. auf eine Auffanggesellschaft, über, so tritt der Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zum Arbeitsrecht Bezug genommen (siehe unten § 55 Rz. 149 ff.).3) Es soll aber bereits an dieser Stelle betont werden, dass so manche vorinsolvenzliche Auffanggesellschaft und verfolgte Auffanglösung an den Risiken des § 613a BGB scheitert. Leider gilt zwar § 613a BGB auch für die rechtsgeschäftliche Übertragung durch den Insolvenzverwalter (vgl. § 128 Abs. 2 InsO).4) Dennoch lassen sich in der Insolvenz die arbeitsrechtlichen Risiken aus § 613a BGB oft schon rein faktisch minimieren: Arbeitnehmern und deren Vertretern wird durch die Insolvenzsituation der Ernst der Lage häufig deutlicher, so dass sich die Begehrlichkeiten im Vergleich zur Phase vor der Insolvenz reduzieren (zu den rechtlichen Möglichkeiten der Eingrenzung arbeitsrechtlicher Risiken in der Insolvenz siehe unten § 55 Rz. 160 ff.). Auch mittels Insolvenzplan in Kombination mit Eigenverwaltung können Übertragungen auf eine Übernahmegesellschaft vorgenommen werden (vgl. § 260 Abs. 3 InsO).5) Weitere Bereiche des Arbeitsrechts sind in der Insolvenz sanierungsfreundlicher als außer- 3 halb der Insolvenz. So gelingt es außerhalb der Insolvenz gerade bei einer Vielzahl langjährig beschäftigter Mitarbeiter häufig nicht, mit dem Betriebsrat ein Sozialplanvolumen auszuhandeln, das außerinsolvenzlich vom Krisenbetrieb finanziert werden kann. In der Insolvenz ist die Verhandlungsposition des Arbeitgebers schon faktisch besser und das Sozialplanvolumen wird sich i. d. R. deutlich reduzieren.6) Zudem enthält die InsO zusätzlich zu diesen faktischen Verhandlungsvorteilen grundsätzlich Sozialplanobergrenzen (vgl. § 123 Abs. 1 InsO: bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten und § 123 Abs. 2 InsO: maximal ein Drittel der Insolvenzmasse als Sozialplanvolumen, d. h. faktisch nachrangige Masseverbindlichkeiten). Insgesamt werden – wie alle Erfahrung zeigt – die Kosten für einen Personalabbau und die Risiken aus § 613a BGB bei einer Restrukturierung außerhalb der Insolvenz oft deutlich unterschätzt. Besonders riskant ist, falls sich die Kosten des Personalabbaus erst während des Personalabbaus nach ersten Teilzahlungen (z. B. anlässlich erster Vergleiche in Kündigungsschutzprozessen) als so hoch erweisen, dass die Insolvenz doch nicht vermieden werden kann. Dann stellt sich verschärft die Frage nach der Beraterhaftung u. a. wegen falscher arbeitsrechtlicher Beratung.7) ___________ 1) Zur oft unsinnig betriebenen „freien Sanierung“ vgl. Bauer, Die GmbH in der Krise, S. 111 ff. 2) Vgl. dazu Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 1 ff. 3) Vgl. auch Überblick bei Preis, in: ErfK, § 613a BGB Rz. 1 ff.; Denkhaus/Ziegenhagen, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, S. 124 ff. 4) Vgl. Preis, in: ErfK, § 613a BGB Rz. 146; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 613a Rz. 8. 5) S. auch Denkhaus/Ziegenhagen, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, S. 247 ff. 6) Vgl. zu Sozialplanansprüchen speziell im Insolvenzplanverfahren Niering, NZI 2010, 285. 7) Vgl. Bauer, Die GmbH in der Krise, S. 114, 115.
Rendels
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§ 23 2.
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Pensionslasten/Pensions-Sicherungs-Verein
4 Oft sind Bilanzen krisengeschüttelter Betriebe durch hohe Pensionsverbindlichkeiten gekennzeichnet. Der Pensions-Sicherungs-Verein VVaG mit Sitz in Köln ist zwar in Insolvenzplanverfahren (auch in Kombination mit Eigenverwaltung) bei frühzeitiger Einbindung ein grundsätzlich kooperativer Ansprechpartner. Jedenfalls nach den Erfahrungen des Verfassers dieses Abschnitts ist eine Pensionslastensenkung zur Insolvenzvermeidung – vor der Insolvenz – aber weitgehend ausgeschlossen.8) Bei erheblichen Pensionslasten bleibt deshalb oft nur die Insolvenz, um die Passivseite der Bilanz ausreichend zu entlasten. In diesem Zusammenhang ist zu empfehlen, in jeder Phase einer Restrukturierung, auch ggf. noch vor einer etwaigen Insolvenz, möglichst schon bei Ausarbeitung des ersten Sanierungskonzepts oder Insolvenzplan-Entwurfs mit dem Pensions-Sicherungs-Verein Kontakt aufzunehmen, um nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.9) 3.
§ 75 AO und Steuerhaftung einer Auffanggesellschaft
5 Bei der Übertragung von Unternehmen oder von Unternehmensteilen i. R. von außerinsolvenzlichen Auffanglösungen haftet der Betriebserwerber für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des übertragenen Unternehmens gründet (§ 75 Abs. 1 AO). Es muss sich weiter um Steuern handeln, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übertragung liegenden Kalenderjahres entstanden sind und die bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden. Bei einer Übertragung während einer Krise werden diese Haftungsfristen häufig erfüllt sein. Zwar beschränkt sich die Haftung auf den Bestand des übernommenen Vermögens, was aber gleichwohl einer Sanierung entgegenstehen kann.10) 4.
Rechtsscheinhaftung nach § 25 HGB
6 Da insbesondere Auffanggesellschaften häufig ein erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma (dem Namen des Unternehmens im Handelsverkehr) mit oder ohne Beifügung eines Nachfolgezusatzes fortführen, haftet die Auffanggesellschaft bei Firmenfortführung für die Verbindlichkeiten des früheren Inhabers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB.11) Die Norm kreiert eine Art Rechtsscheinhaftung. Die in dem Betrieb begründeten Forderungen gelten den Schuldnern gegenüber als auf den Erwerber übergegangen, falls der bisherige Inhaber oder seine Erben in die Fortführung der Firma eingewilligt haben (§ 25 Abs. 1 Satz 2 HGB). Eine abweichende Vereinbarung ist gegenüber Dritten nur wirksam, wenn die fehlende Haftungskontinuität im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht wurde oder von dem Erwerber oder dem Veräußerer den Dritten mitgeteilt worden ist (§ 25 Abs. 2 HGB). Da bei einer Sanierung i. R. einer Auffanglösung eine Haftungsbeschränkung gerade häufig nicht kommuniziert werden soll, haftet die Auffanggesellschaft i. d. R. auch unter dem Aspekt des § 25 Abs. 1 HGB.
___________ 8) S. auch Denkhaus/Ziegenhagen, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, S. 162 ff. 9) Zur Stellung der PSVaG im Insolvenzplanverfahren vgl. Bremer, in: Silcher/Brandt, Hdb. Insolvenzplan in Eigenverwaltung, Kap. 23 Rz. 1 ff.; Krings, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 79 ff. 10) Zu § 75 AO vgl. Thiessen, in: MünchKomm-HGB, § 25 Rz. 112–115; Denkhaus/Ziegenhagen, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, S. 225 ff. 11) Vgl. BGH v. 23.10.2013 – VIII ZR 423/12, ZIP 2014, 29 = NZI 2014, 81 (Unternehmensfortführung ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters unterfällt § 25 HGB), dazu EWiR 2014, 213 (Keil); Thiessen, in: MünchKomm-HGB, § 25 Rz. 11 ff.
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Rendels
§ 23
Planvorbereitung
Der Erwerb eines Handelsgewerbes vom Insolvenzverwalter fällt dagegen nicht unter die 7 Vorschrift des § 25 Abs. 1 HGB.12) Dies gilt dann auch für die etwaige Übertragung i. R. einer Eigenverwaltung mit oder ohne Kombination mit einem Insolvenzplan. 5.
Insolvenzanfechtung
5.1
Gläubigerberatung
Auch aus Gläubigersicht kann eine im Ergebnis erfolglose Begleitung einer außergericht- 8 lichen Restrukturierung in der Kundeninsolvenz zu unerwarteten finanziellen Einbußen führen. Viele Gläubiger, die vor der Insolvenz ihres Kunden oder sonstigen Vertragspartners noch z. B. durch Druckausübung (z. B. Liefersperren) Forderungen realisiert haben, wissen nicht um die Risiken der Insolvenzanfechtung im Falle einer späteren Insolvenz des Zahlenden. In der Regel erhält ein Gläubiger i. R. des Forderungseinzugs Kenntnis von Krisenindikatoren, z. B. weil Zahlungen des Kunden schleppend erfolgen. Es finden dann oft Verhandlungen zwischen Gläubiger und dessen Krisenkunden zur Schuldentilgung statt. Allein schon deshalb, weil die Gläubiger unterschiedlich intensiv verhandeln, befriedigen die meisten Schuldner in der Krise ihre Gläubiger ungleichmäßig. Der Gläubiger, der hart verhandelt, erhält eine höhere Zahlung als der Gläubiger, der schlecht verhandelt. Schon diese Ungleichbehandlung führt dann in einer Folgeinsolvenz des Zahlenden i. d. R. dazu, dass eine Gläubigerbenachteiligung i. S. der Insolvenzanfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO vorliegt. Das Merkmal „Rechtshandlungen, die […] die Insolvenzgläubiger benachteiligen“ in § 129 Abs. 1 InsO wird deshalb bei einer späteren Insolvenz nach dem Zahlungsvorgang nahezu immer erfüllt sein. Es sei darauf hingewiesen, dass häufiger – je nach den Einzelfallumständen – sogar die Voraussetzungen des § 133 InsO (Vorsatzanfechtung) erfüllt sind. Im für die Gläubiger ungünstigsten Fall kann sich die Vorsatzanfechtung auf Zeiträume bis zu zehn Jahre vor der Stellung des Insolvenzantrags erstrecken. Daran hat im Grundsatz auch die Insolvenzanfechtungsreform, die zum 5.4.2017 in Kraft getreten ist, nichts geändert.13) Da viele gut gemeinte außergerichtliche Sanierungsversuche – für die Gläubiger oft nicht erkennbar und nicht kalkulierbar – später dann doch scheitern und in einer Insolvenz enden, müssen die Gläubiger und ihre Berater oft damit rechnen, dass sie mit einer erhaltenen Leistung oder Zahlung nur einen vorläufigen Erfolg erzielt haben, den der Insolvenzverwalter später wieder im Wege der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO rückgängig macht. Hätte der Gläubiger von der Anfechtung gewusst, hätte er auch nicht – oft über Jahre – „umsonst“ Leistungen erbracht.14) Der BGH hat in zwei wichtigen Entscheidungen vom 12.5.2016 und vom 14.6.2018 geur- 9 teilt, dass der Gläubiger, der die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kennt, sich mit dem Sanierungskonzept seines Krisenkunden befassen muss. Erlangt der Gläubiger von seinem Krisenkunden Zahlungen ohne die Überprüfung, dass die Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen Sanierungskonzepts erfolgt sind, unterliegen diese Zahlungen im Zweifel der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO.15) In den vorbezeichneten Entscheidungen – die die Gesetzeslage vor der Reform des Insolvenzanfech___________ 12) Zusammenfassend Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 25 Rz. 4; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151 = ZIP 1988, 727, dazu EWiR 1988, 811 (Joost); BAG v. 29.4.1966 – 3 AZR 208/65, NJW 1966, 1984, jew. m. w. N. 13) Vgl. Neufassung des § 133 Abs. 2 und Abs. 3 InsO durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, v. 29.3.2017, BGBl. I 2017, 654. 14) Zur Vorsatzanfechtung und Eingrenzungsansätzen vgl. Kayser, NJW 2014, 422 ff., und Kayser, WM 2013, 293; zur Anfechtungsreform Bork, in: KPB, InsO, § 133 Rz. 1, 63 ff. 15) BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235, dazu EWiR 2016, 403 (Jacoby); bestätigt durch BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, ZIP 2018, 1794 = DB 2018, 2175.
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§ 23
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
tungsrechts zum 5.4.2017 betreffen – hat der BGH mithin klar verlangt, dass ein Gläubiger, der die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Krisenkunden erkannt hat, sich mit der Schlüssigkeit des Sanierungskonzepts des Zahlenden – sogar intensiv – befassen muss. Abgesehen davon, dass dies tendenziell zumindest viele Kleingläubiger (z. B. „kleinere“ Handwerker) überfordert, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Anfechtungsreform insbesondere des § 133 Abs. 3 InsO etwas an der Anwendbarkeit dieser Entscheidung geändert hat. Insoweit bleibt m. E. auch unter Geltung der Anfechtungsreform eine Rechtsunsicherheit, solange der BGH nicht erneut konkretisierend zu den Prüfungspflichten in Bezug auf das Sanierungskonzept beim Krisenkunden Stellung nimmt. Zahlreiche erfolglose Mahnungen, „geplatzte“ Lastschriften, Vollstreckungsversuche oder sonstige Druckausübungen des Gläubigers (z. B. Liefersperren) können auch nach der Anfechtungsreform stark auf die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners hindeuten. Für die Insolvenzanfechtung ist es nicht erforderlich, dass der Schuldner im Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung noch andere Gläubiger hatte.16) 10 Häufig schließen Gläubiger gerade mit krisenbedrohten Kunden sog. Teilzahlungsvergleiche. Bisherige Rückstände des Schuldners werden in Abstimmung mit dem Gläubiger oft in ein Darlehen umgewandelt. Zum Darlehen werden bestimmte Rückzahlungszeitpunkte vereinbart. Gerät dann der Schuldner trotz der Teilzahlungsabrede mit seinen Rückständen wieder in Rückstand, kann dies im Einzelfall trotz der Neuregelung in § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO ebenfalls ein Indiz für einen nicht ordnungsgemäßen Sanierungsversuch und damit für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des späteren Anfechtungsgegners hiervon sein. 11 Zudem ist die Begleitung einer Kundensanierung durch Gläubiger oft dadurch gekennzeichnet, dass der Gläubiger nach Abschluss eines Teilzahlungsvergleichs nur noch gegen Vorkasse i. R. des § 142 InsO – also eines sog. Bargeschäfts – weiter liefert. Die juristisch korrekte Abwicklung, um einen Austausch Ware/Leistung gegen Geld als Bargeschäft zu qualifizieren, ist oft recht schwer! Hier sollte darauf geachtet werden, dass der Schuldner die richtigen Tilgungsbestimmungen trifft. Gibt es nämlich mehrere Rechtsgründe – also z. B. Rückstände aufgrund eines früheren Teilzahlungsvergleichs und Verpflichtungen des Schuldners aus aktuellen Lieferungen –, besteht immerhin das Risiko, dass ohne ausreichende Tilgungsbestimmungen nach § 366 Abs. 2 BGB die älteste Schuld getilgt wird. Mangels klarer Tilgungsbestimmung liegt dann – alles je nach Einzelfall – das intendierte Bargeschäft vielleicht gar nicht vor und die Zahlungen werden auf Darlehensrückstände verrechnet, mit der Folge der Anfechtung in der Insolvenz. So kann die Weiterbelieferung zu einer Vertiefung des Schadens des Gläubigers führen. Zudem ist ein Bargeschäft dann nicht gegeben, wenn eine sog. inkongruente Deckung vorliegt.17) Zahlung vor Fälligkeit (z. B. bei einem falschen Rechnungsdatum) kann deshalb genauso der Annahme eines Bargeschäfts entgegenstehen wie irgendwelche undurchsichtigen Dreiecksverhältnisse im Konzern (die Buchhaltung verkennt z. B., dass sie es mit mehreren Vertragspartnern auf Kundenseite zu tun hat, mit anschließender Inkongruenz, ohne Bargeschäft!). Zudem: Liefert der Gläubiger – weiterhin – mit verlängertem und erweitertem Eigentumsvorbehalt, kann es wegen der Eigentumsvorbehaltsklauseln an einem Eigentumsübergang in Bezug auf die „Vorkasse-Ware“ fehlen. Ein Bargeschäft ist dann ausgeschlossen.18) Insge___________ 16) Vgl. BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966, 1967, Rz. 5, dazu EWiR 2010, 25 (Heublein); BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841, 843, Rz. 14, dazu EWiR 2010, 655 (Junghans). 17) Vgl. dazu Thole, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 141 Rz. 12 ff. 18) Vgl. BGH v. 2.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585, dazu EWiR 2015, 251 (Cranshaw); vgl. auch zur Anfechtung trotz angestrebten Bargeschäfts in einer Verlustsituation BGH v. 4.5.2017 – IX ZR 285/16, ZIP 2017, 1232, dazu EWiR 2017, 433 (Huber).
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§ 23
Planvorbereitung
samt: Im Zweifel ist ein Gläubiger ohne gute juristische Beratung nicht in der Lage, das angedachte „Vorkasse-Geschäft“ wirklich als Bargeschäft i. S. des § 142 InsO anfechtungsfest abzuwickeln. In jedem Fall sollte der Berater des Gläubigers diesen bei Weiterbelieferung des Krisenkun- 12 den auf die Risiken einer etwaigen Insolvenzanfechtung frühzeitig hinweisen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der vorinsolvenzliche Berater im Falle einer erfolgreichen, späteren Insolvenzanfechtung Vorwürfen seines Gläubiger-Mandanten ausgesetzt ist. Der Leistungsaustausch mit einem dauerhaft und wiederholt schleppend zahlenden Krisenkunden sollte grundsätzlich von der – zeitnahen! – Vorlage eines kompletten Sanierungsgutachtens z. B. entsprechend IDW S 6 abhängig gemacht werden.19) Insgesamt ist es manchmal besser, speziell bei fehlendem vollständigen Sanierungskonzept, entweder den Geschäftskontakt zum Schuldner abzubrechen und/oder einen Insolvenzantrag gegen den eigenen Kunden zu stellen, anstatt eine nicht tragfähige außergerichtliche Kundensanierung zu begleiten. Die Eigenverwaltung in Kombination mit einem Insolvenzplan kann den Kunden dauerhafter erhalten als nutzlose Sanierungsversuche zur vermeintlichen Insolvenzvermeidung.20) 5.2
Zahlungen im Konzern
Auch für den Schuldnerberater kann bei einer späteren Insolvenz des Mandanten das Thema 13 „Insolvenzanfechtung“ zu schwierigen Folgeproblemen führen. Dies betrifft insbesondere Konzernlagen. Beispiel: Der Berater A berät die Tochtergesellschaft (TG) der Konzernmutter A-AG. Wäh- 14 rend der vorinsolvenzlichen Beratung der TG tätigt diese zahlreiche Zahlungen an die A-AG und an weitere Konzerngesellschaften. Nach einigen Monaten scheitert jede Restrukturierung der TG. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der TG erhebt in erheblichem Umfang Anfechtungsansprüche gegen die A-AG und die weiteren Konzerngesellschaften, die sich (noch?) nicht in Insolvenz befinden. Diese Konstellation ist insbesondere typisch für einen Cash-Pool. Da im Konzern – schon 15 um eine ordnungsgemäße Konzernliquiditätssteuerung zu ermöglichen – i. d. R. die Vertretungsorgane aller Konzerngesellschaften über Krisenanzeichen und Liquiditätsengpässe bei Konzerngesellschaften informiert sind, können Zahlungsbewegungen im Vorfeld der Insolvenz zu erheblichen Anfechtungsansprüchen gegen am Cash-Pool angeschlossene Gesellschaften führen.21) Da im Beispielsfall der Berater der TG auch enge Kontakte zur Muttergesellschaft A-AG 16 und weiteren Konzerngesellschaften unterhielt, sieht sich der Berater der TG nunmehr unangenehmen Fragen der weiteren, noch nicht in Insolvenz befindlichen Konzerngesellschaften wegen der geltend gemachten Insolvenzanfechtung ausgesetzt. In solchen Fallkonstellationen ist durchaus auch zu erwägen, ob wegen der Nähe der weiteren Konzerngesellschaften zum Beratungsverhältnis Berater/TG die weiteren Konzerngesellschaften in den Schutzbereich des Beratungsvertrags einbezogen sind.22)
___________ 19) BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, Rz. 10, ZIP 2018, 1784 = DB 2018, 2175, verlangt nicht die Erfüllung bestimmter „formaler Anforderungen … [wie] IDW S 6“. 20) Instruktiv zu Fragen der Eigenverwaltung: Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 1 ff. 21) Zu strafrechtlichen Risiken eines faktischen Cash-Pools vgl. BGH v. 29.11.2017 – 5 StR 352/17, wistra 2018, 169. 22) Vgl. Grunewald, GmbHR 2018, 63 (Drittschutz des Anstellungsvertrags bei der Komplementär-GmbH zugunsten der KG).
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§ 23 6.
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Beraterhaftung, Drittschutz
17 Nicht selten ist insbesondere bei kleineren und/oder mittelständischen Unternehmen festzustellen, dass die Organe dieser Gesellschaften und/oder deren Berater den Eintritt der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO und die Insolvenzgründe nicht einschätzen können.23) Folge: Vertretungsorgane und/oder Berater verschleppen oft unbewusst die Insolvenz mangels exakter Kenntnis zu den Tatbeständen „Zahlungsunfähigkeit“ und/oder „Überschuldung“. Erfolgt dann zu einem späteren Zeitpunkt die Ermittlung der Insolvenzgründe durch einen neuen Berater, „sitzen“ Schuldner und/oder bisherige Berater wegen der Verschleppung „in der Falle“ und setzen oft lieber wieder – weiter – auf das Prinzip „Hoffnung“, anstatt den rechtlich gebotenen Insolvenzantrag zu stellen.24) Die Folge ist, dass die Insolvenz dann weiter verschleppt wird, bis die Kasse endgültig völlig leer ist. In dieser Situation ist erstens – wie oft – festzustellen, dass die für die Sanierung notwendige Liquidität sinnlos verbraucht wurde. Zweitens stellen sich brisante Fragen der Beraterhaftung. Mit seinem Urteil vom 26.1.2017 hat der BGH seine Rechtsprechung zur Haftung von Steuerberatern verschärft.25) Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine juristische Person beauftragte Steuerberater ist verpflichtet zu prüfen, ob sich aufgrund der Umstände tatsächlich oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen (vgl. 2. Leitsatz des BGH). Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfenden Prüfungspflichten ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn Anhaltspunkte für eine Insolvenzreife der Mandantin bestehen und der Steuerberater annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist (vgl. 4. Leitsatz des BGH). Damit hat der BGH frühere Entscheidungen, die insbesondere bei Dauermandaten günstiger für Steuerberater waren (Hinweispflichten nur bei entsprechendem ausdrücklichen Mandatsinhalt oder wenn der Steuerberater von sich aus auf Insolvenzgründe einging) aufgegeben.26) Zudem müssen nicht nur Steuerberater, sondern auch andere Berufe, die sich mit der insolvenznahen Krisenberatung befassen, überprüfen und im Auge behalten, ob der Mandatsvertrag mit der Krisengesellschaft Schutzwirkung zugunsten von Gesellschaftern, Organen und/oder sonstigen Dritten entfaltet. Der BGH hat mit Urt. v. 14.6.2012 entschieden, dass Gesellschafter und Geschäftsführer in den Schutzbereich eines zwischen einer GmbH und einem Steuerberater geschlossenen Vertrags einbezogen sein können, wenn dieser Vertrag die Prüfung einer möglichen Insolvenzreife zum Gegenstand hat.27) 18 Weiter sind in der Prozesspraxis des Verfassers nicht selten folgende Fehler bei Beratern festgestellt worden: So wird manchmal bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit übersehen, dass auch der zweite Insolvenzgrund, die Überschuldung nach § 19 InsO, thematisiert werden muss. Eine Prüfung, die die Zahlungsunfähigkeit verneint, aber „vergisst“, die objektiv vorliegende Überschuldung festzustellen, ist möglicherweise auch als Hinweispflichtverletzung des Beraters einzustufen. Zudem sind manche Berater nicht in der ___________ 23) Vgl. Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912 ff. (zu den Insolvenzgründen). 24) Zur (bedingt) vorsätzlichen Unterstützung von Insolvenzverschleppungen und der Haftung von (Steuer-)Beratern M. Wagner, ZInsO 2018, 1005, 1015; M. Wagner, ZInsO 2018, 1492, 1495; vgl. auch Froehner, ZInsO 2011, 1617; zu „typischen“ Straftaten in der Krise vgl. Bauer, Die GmbH in der Krise, Rz. 822 ff., und zur Geschäftsführerhaftung, Rz. 832 ff. und 847 ff. 25) BGH v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 427, dazu EWiR 2017, 173 (Wagner); M. Wagner, ZInsO 2018, 1005 ff.; M. Wagner, ZInsO 2018, 1492 ff. 26) Überholt daher BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert) M. Wagner, ZInsO 2018, 1005, 1006. 27) BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
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§ 23
Planvorbereitung
Lage, zwischen Fortführungsprognose und Fortbestehensprognose zu differenzieren.28) Manchmal ist zudem festzustellen, dass der Prognosezeitraum – das laufende und das kommende Geschäftsjahr – für die Überprüfung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose versehentlich zu kurz gefasst wurde. Insbesondere die Ausräumung der Überschuldung setzt eine positive Fortbestehensprognose im laufenden und kommenden Geschäftsjahr voraus. Wird ein zu kurzer Prognosezeitraum gewählt und dadurch die insolvenzrechtliche Überschuldung verkannt, kann das dazu führen, dass die Geschäftsführung nach § 64 GmbHG in die Haftung gerät (mit der häufigen prozessualen Folge, dass dem Berater vom Geschäftsführer der Streit verkündet wird). Zum Schaden der Gesellschaft bei fehlerhafter Einschätzung des Beraters in Bezug auf 19 die Insolvenzgründe hat sich der BGH ebenfalls geäußert.29) Der Schaden der Gesellschaft besteht nach der zuvor bezeichneten Entscheidung in der Vertiefung der Überschuldung (Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags, vgl. 2. Leitsatz des BGH). Der Schaden des – ggf. in den Schutzbereich einbezogenen – Dritten, z. B. des Gesellschafters und/oder Geschäftsführers (siehe vorstehende Ausführungen), bemisst sich nach der Höhe der persönlichen Inanspruchnahme des Dritten durch den Insolvenzverwalter. Alle Berater, die ein Mandat mit der Gesellschaft mit „Berührung“ zu potenziellen Insolvenzgründen haben, müssen deshalb das Risiko sehen, nicht nur gegenüber der Gesellschaft (und damit später dem Insolvenzverwalter als Anspruchsinhaber) zu haften, sondern unter dem Aspekt der Schutzwirkung zugunsten Dritter30) auch gegenüber Organen und Gesellschaftern. Insolvenzverwalter lassen sich dann diese Ansprüche der Organe gegen den Berater in der Insolvenz oft mehr oder weniger „freiwillig“ von dem Organ, welches sie persönlich in Anspruch nehmen, abtreten. Ein weiterer Weg ist, zunächst als Insolvenzverwalter den Anspruch gegen das Organ zu titulieren und dann in die Regressansprüche des Organs gegen den Berater zu vollstrecken. Insgesamt sollte deshalb bei der außergerichtlichen Sanierung nicht aus dem Blick gera- 20 ten, wie ein etwaiger späterer Insolvenzverwalter die Fehlschlagsfaktoren „auswertet“. Die Chancen durch das ESUG – früher/tiefgreifender sanieren, mehr Eigenverwaltung und ein optimiertes Insolvenzplanverfahren – sollten deshalb für Schuldner und dessen Berater Anlass sein, die Insolvenz rechtzeitig zu beantragen. 7.
Investorensicht: Risiken eines insolvenznahen Kaufs
Ein Investor,31) der in einer insolvenznahen Situation ein Unternehmen übernehmen 21 will, muss sämtliche vorstehenden Risiken beachten, sofern ein Insolvenzrisiko des Verkäufers gegeben ist. Insbesondere beim Asset Deal sind nochmals die Insolvenzanfechtungsrisiken hervorzuheben (siehe Rz. 8 ff.). Weiter ist darauf hinzuweisen, dass der Insolvenzverwalter, sofern es beim Verkäufer zu einer Insolvenz kommt, bei einem beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrag nach §§ 103 ff. InsO die Erfüllung eines „hängengebliebenen“ Unternehmenskaufvertrags ablehnen kann.32) ___________ 28) Vgl. dazu Gehrlein, WM 2018, 1 ff.; Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825 ff. 29) BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe). 30) Zu einem Fall abgelehnter Schutzwirkung vgl. BGH v. 7.12.2017 – IX ZR 45/16, ZIP 2018, 692; M. Wagner, ZInsO 2018, 1005, 1011, bejaht i. d. R. eine Schutzwirkung des Steuerberatervertrags für Geschäftsführer. 31) Zur Investorensicht und zum M&A-Prozess vgl. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 27, 33, 145 ff. 32) Zu Risiken beim Kauf im insolvenznahen Bereich vgl. Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rz. 2320 ff.; Becker/Voß, in: Knott, Unternehmenskauf, Rz. 134 ff.
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22 Gerade auch aus Investorensicht bietet deshalb das ESUG – durch die optimierte Eigenverwaltung und das verbesserte Insolvenzplanverfahren – die Chance, vorstehende Risiken durch ein Insolvenzplanverfahren auszuschließen und mit Hilfe der Insolvenz das zu erwerbende Unternehmen durchgreifend zu restrukturieren. 8.
Mandatsinhalte bei Schuldnerberatung
22a In der Eigenverwaltung und im Vorfeld einer „greifbaren“ Insolvenz besteht gelegentlich die Gefahr, dass durch zu viele Zuständigkeiten und (ggf. vermeintliche) Mandatseingrenzungen kein sinnvoller „Gesamtprozess“ in Gang gesetzt wird. Die vorstehenden Ausführungen zu den vielfältigen Fehlschlagsfaktoren und auch die nachstehenden Ausführungen zu Notwendigkeiten betreffend das taktische Herangehen an den Insolvenzplan und die Eigenverwaltung (siehe nachfolgend Rz. 24 ff.) zeigen: Schuldnerberatung in der Eigenverwaltung oder kurz vor einer potenziellen Insolvenz stellt hohe Anforderungen! Breites betriebswirtschaftliches Know-how muss abgedeckt sein: u. a. Einrichtung einer integrierten Unternehmensplanung, Überprüfung/Kontrolle der operativen Führung, ggf. durch einen ergänzenden CRO, in diesem Rahmen Liquiditätsplanung, Gewinn- und Verlustrechnung, Einnahmen-/Ausgabenrechnung für die Vergangenheit. Zudem sind die unterschiedlichsten juristischen Felder abzudecken: u. a. Arbeitsrecht, Steuerrecht, Einschätzung z. B. des D&O-Versicherungsschutzes, Handelsrecht und selbstverständlich alle Facetten des Insolvenzrechts. Gerade in der Eigenverwaltung kann ein kritischer Gläubigerausschuss (sofern sich dann die Gläubiger im Einzelfall tatsächlich engagieren) dazu führen, dass Gläubiger und Sachwalter auf die gesamten Notwendigkeiten, die vorstehend und nachfolgend zumindest angeschnitten wurden und werden, besonders intensiv achten. Dies hat den positiven Effekt, dass – bei richtiger Handhabung – in der Eigenverwaltung viel schneller, tiefgreifender und nachhaltiger saniert wird als manchmal bei der Regelinsolvenz. Das ESUG hat zu mehr Betriebswirtschaft geführt, als es vielleicht früher im klassischen Regelinsolvenzverfahren oft der Fall war. 22b Andererseits zeigt eine Vielzahl gescheiterter Eigenverwaltungen, dass manchmal die Eigenverwaltung in Kombination mit einem Insolvenzplan nicht richtig gehandhabt wird. Wegen der Notwendigkeit der Abdeckung verschiedensten Know-hows ist es oft nicht möglich, dass nur ein Berater oder eine Beratungsgesellschaft dieses Know-how einbringt. So bilden sich oft Teams mehrerer Berater, was aber dazu führen kann, dass sich diese Teams (wenn sie nicht eingespielt sind) verzetteln. Das alles führt dazu, dass die Mandatsinhalte und die Abgrenzung der Zuständigkeiten untereinander besonders klar im Beratungsvertrag zu regeln sind.33) Erkennt man weiter (selbstverständlich einzelfallabhängig), dass grundsätzlich neben einer finanzwirtschaftlichen Sanierung eine leistungswirtschaftliche Sanierung34) notwendig sein wird, so ist mit diesen Sanierungen spätestens mit Insolvenzantragstellung (besser vorher) vehement und nachdrücklich zu beginnen. Bei schlechten Beratungen war i. R. der Eigenverwaltung in der Praxis aus Gläubigersicht häufiger zu beobachten, dass die notwendigen Einzeltätigkeiten entweder nicht an Profis vergeben waren und/oder es an der Koordination dieser Einzeltätigkeiten – letztlich resultierend in einem ordnungsgemäßen Sanierungskonzept gemäß IDW S 6 – fehlte. So haben wir in einem Fall, den wir aus Gläubigersicht begleiteten, wegen fortlaufender Verluste einen Verbrauch von Liquidität feststellen müssen. Der juristische Berater, der das ___________ 33) Zum Schutz der Masse in der Eigenverwaltung durch Sanierungskriterien, die eingehalten werden müssen, vgl. Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577 ff. 34) Zur Notwendigkeit zeitnaher leistungswirtschaftlicher Sanierung nebst Einrichtung von Überwachungstools durch eine integrierte Unternehmensplanung deutlich und zutreffend: Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 52 ff.
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§ 23
Planvorbereitung
Mandat akquiriert hatte, wandte ein, mit der Unternehmensplanung habe er nichts zu tun gehabt. In seinem Beratervertrag stehe nur „rechtliche Beratung“. Damit es in der Eigenverwaltung nicht zu sinnlosem „Verbrauch“ der Masse kommt, ist 22c für eine ordnungsgemäße Eigenverwaltung (und damit auch für einen notwendigen Mandatsinhalt) zu verlangen, dass bei mehreren Beratern/„Verantwortlichen“ einer der Berater eine „Koordinationspflicht“ hat, die sicherstellt, dass die juristischen und betriebswirtschaftlichen „Notwendigkeiten“ zu einem sinnvollen Gesamtprozess zusammengeführt werden. Sonst droht, dass mit irgendwelchen Einzelmaßnahmen argumentiert wird („Wir haben alles gut gemacht, da wir einzelne Filialen der vielen Filialen geschlossen haben.“). Die Mitglieder eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses, der (vorläufige) Sachwalter und/oder das Insolvenzgericht sollten deshalb darauf drängen, dass es einen (im Zweifel juristisch orientierten) „Mandatsführer“ gibt, der überwachen muss, dass zumindest alle „Überwachungstools“ erstens sofort eingerichtet werden und zweitens mit leistungsfähigen Fachleuten besetzt sind (also insbesondere keine unqualifizierte Unternehmensplanung durch unqualifizierte Mitarbeiter, die das Unternehmen „in den Sand gesetzt“ haben). Diese „Tools“ müssen drittens zeitnah fortgeschrieben werden. Zwar ist die Überwachung der „Steuerungstools“ auch Aufgabe des Sachwalters (vgl. zur Nachteilsanzeigepflicht gemäß § 274 Abs. 3 InsO). Aber: Zunächst muss der Schuldnerberater in der Eigenverwaltung alle „Steuerungstools“ koordiniert auf die „richtige Schiene setzen“! Dieser „Koordinator“ oder „Mandatsführer“ kann sich dann nicht damit rausreden, er hätte nur einen partiellen Auftrag gehabt, weshalb er z. B. für die fehlerhafte Unternehmensplanung o. Ä. nicht einstehen müsse. Zudem muss (allerdings einzelfallabhängig) geklärt werden, ob und wann (sofern noch 22d nicht vorhanden) nach Insolvenzantragstellung zeitnah ein vollständiges IDW S 6-Gutachten entwickelt wird (oder ggf. verschoben wird). Jedenfalls bei einem Insolvenzplan, der die Quote (ggf. auch) aus Erträgen der Zukunft verspricht, dürfte das IDW S 6Gutachten spätestens nach § 220 Abs. 2 InsO in den darstellenden Teil des Insolvenzplans gehören.35) Dabei sind jedoch auch einzelfallabhängig Kosten und Nutzen abzuwägen sowie die Tatsache, dass das „Leitbild“ des zu sanierenden Unternehmens oft nur mit den Vorstellungen eines Investors zusammen entwickelt werden kann.36) Dies mag dazu führen, dass im Einzelfall die endgültige Fertigstellung eines IDW S 6-Gutachtens verschoben werden kann. Im Zweifel sollte mit dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss und (insbesondere wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt ist) mit dem (vorläufigen) Sachwalter abgestimmt werden, ob und wie schnell ein IDW S 6-Gutachten vorgelegt wird. Der Mandatsinhalt muss so abgefasst sein, dass entsprechend vorstehender Ausführungen in Koordination aller Fachrichtungen eine zeitnahe und durchgreifende Sanierung möglich ist und insbesondere keine Verluste dazu führen, dass Liquidität sinnlos „verbraten“ wird, ggf. sogar in Kombination mit hohen, letztlich nutzlosen Beraterkosten. Insgesamt: Jedenfalls ein Berater, der Mandatsführer, muss die Pflicht haben, auch mit Blick auf betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten alle notwendigen Steuerungstools zumindest auf Plausibilität und zeitnahe Umsetzung zu kontrollieren. Ist der Jurist Mandatsführer, kann er im Zweifel nicht einwenden, mit der (ggf. im Einzelfall nicht vorgenommenen) leistungswirtschaftlichen Sanierung oder einer fehlerhaften Unternehmensplanung habe er nichts zu tun.
___________ 35) Vgl. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 123 ff. 36) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 126.
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§ 23 II.
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Taktisches Herangehen an den Insolvenzplan
23 Scheitert die außergerichtliche Sanierung oder bestehen während ihrer Durchführung erhebliche Fehlschlagsrisiken (siehe Rz. 1 ff.), ist frühzeitig an eine Restrukturierung des Rechtsträgers durch einen Insolvenzplan (i. d. R. in Kombination mit einer Eigenverwaltung) zu denken. Bevor der potenzielle Planverfasser aufwändig in zahlreiche Details der Insolvenzplanerstellung einsteigt, sind – auch bereits zeitlich parallel i. R. einer außergerichtlichen Sanierung – einige Grundüberlegungen zur Vorbereitung eines Planentwurfs anzustellen. Mit den nachfolgenden Hinweisen soll erreicht werden, dass bei der Vorbereitung des Insolvenzplans möglichst frühzeitig an den richtigen Problemfeldern gearbeitet und unnötiger Aufwand bei der Planerstellung vermieden wird. 1.
Beratung des zu sanierenden Rechtsträgers
1.1
Frühzeitig Insolvenzplan als „Plan B“
24 Bei jeder außergerichtlichen Restrukturierung sollte frühzeitig selbstkritisch eingeschätzt werden, ob eine Insolvenz hinreichend sicher vermieden werden kann und welche Fehlschlagsrisiken im konkreten Fall bestehen37) (siehe oben Rz. 1 ff.). Besteht ein Insolvenzrisiko, sollte die außergerichtliche Sanierung möglichst frühzeitig so strukturiert werden, dass notfalls die für die nachhaltige Sanierung notwendigen Sanierungsbeiträge mit Hilfe eines gerichtlichen Insolvenzplanverfahrens erzielt werden können. Jeder Sanierungsberater, der ein Scheitern der außergerichtlichen Sanierung nicht ausschließen kann, sollte in der Lage sein, notfalls die außergerichtliche Sanierung nahtlos und sofort in eine vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) oder in ein „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO zu überführen (siehe oben §§ 7, 8). Hierzu empfiehlt es sich, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zunächst ein Sanierungsgrobkonzept auszuarbeiten, das zumindest eine für jedermann verständliche Auflistung der Krisenursachen und der angedachten Sanierungsmaßnahmen enthält nebst einer Einschätzung zu etwaigen Schwierigkeiten und zum Zeitbedarf bei der Umsetzung der notwendigen Sanierungsmaßnahmen.38) Selbstverständlich ist, dass diese anfänglichen Überlegungen dann zeitnah in ein vollständiges – i. d. R. zunächst außergerichtliches – Sanierungskonzept entsprechend dem Standard IDW S 6 überführt werden müssen.39) Zu betriebswirtschaftlichen Aspekten und zur Sanierungsfähigkeit siehe oben § 3. 25 Oft ist es taktisch i. R. des außergerichtlichen Sanierungsversuchs sinnvoll, die Verhandlungen zu Sanierungsbeiträgen mit Arbeitnehmern und Gläubigern mit einem ersten Vorentwurf eines Insolvenzplans zu flankieren. Die potenziellen Strukturen des gestaltenden Teils (Gruppenbildung, etwaige Eingriffe in Sicherheiten, Forderungsverzichtsbeträge der Gläubiger, zur Quotenzahlung angedachter Gesamtausschüttungsbetrag etc.) können z. B. in einem kurzen ersten Vermerk festgehalten werden. Diese erste schriftliche Skizze des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans wird i. d. R. einen Umfang von drei bis zehn DIN A4-Seiten nicht überschreiten. Ein solcher Vorentwurf dient dazu, rechtzeitig in ___________ 37) Zu Planziel und strategischen Vorüberlegungen vgl. Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 3 ff. 38) Zum Inhalt des Sanierungskonzepts und der Bescheinigung nach § 270b InsO vgl. Buchalik, ZInsO 2012, 349, 351 ff.; Rendels/Zabel, INDat-Report 2/2012, S. 54 ff.; vgl. weiter IDW S 9 zu den Erfordernissen eines Sanierungsgrobkonzepts, speziell nach § 270b InsO; vgl. auch den Leitfaden des BDU e. V., Struktur eines Grobkonzepts i. R. der Bescheinigung nach § 270b InsO, Stand: 8/2013, abrufbar unter https://www.bdu.de/fachthemenportal/restrukturierung/leitfaden-struktur-eines-grobkonzeptes-imrahmen-der-bescheinigung-nach-270-b-inso/ (Abrufdatum: 30.7.2018). 39) Zur Vermeidung einer Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO verlangt der BGH in std. Rspr. „ein geschlossenes Konzept“, vgl. BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, ZIP 2018, 1784 = DB 2018, 2175; bestimmte Anforderungen, wie IDW S 6, müssen nach dem BGH (a. a. O.) nicht erfüllt sein.
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§ 23
Planvorbereitung
Verhandlungen mit Gläubigern und Arbeitnehmervertretern zu klären, mit welchen Hürden ein Insolvenzplan ggf. umsetzbar ist. Zudem kann mit einer Insolvenzplan-Skizze in vorinsolvenzlichen Verhandlungen zu Sanierungsbeiträgen in Einzelfällen „widerspenstigen“ Gläubigern und sonstigen Beteiligten verdeutlicht werden, dass die außergerichtlich angedachten Sanierungsbeiträge auch mit Hilfe eines Insolvenzplans erreichbar sind. Selbstverständlich und einzelfallabhängig ist, dass oft Geheimhaltungsinteressen (z. B. die Verhinderung der Kündigung wichtiger Kredite oder Lieferbeziehungen) einem zu frühen Außenkontakt entgegenstehen können. Manchmal kommt dieser Außenkontakt erst kurz vor Insolvenzantragstellung zustande, insbesondere um i. R. der Eigenverwaltung die wichtigsten Gläubiger einzubeziehen. Die außergerichtlich gewonnenen Erkenntnisse sind im Notfall – wenn ein Sanierungsver- 26 fahren unter gerichtlichen Insolvenzbedingungen vorbereitet werden muss – eine wichtige Grundlage zur Einleitung des Insolvenzverfahrens, speziell nach §§ 270a, 270b InsO. Häufig wird bei Einleitung eines gerichtlich begleiteten Insolvenzverfahrens noch kein vollständiges Restrukturierungskonzept entsprechend dem Standard IDW S 6 vorliegen. Zumindest können aber vorstehende Vorbereitungen hilfreich sein, den Antrag nach §§ 270a, 270b InsO fundiert zu stellen, etwa zur Darstellung greifbarer Sanierungsaussichten, damit das Gericht zur Anordnung der „Schutzschirm“-Maßnahmen schreitet. Zudem ist die Planvorlagefrist des § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO von maximal drei Monaten zumindest in Fällen komplexer Unternehmensstrukturen regelmäßig zu kurz, so dass ohne Vorbereitung die Planvorlagefrist oft nicht eingehalten werden kann. Schließlich kann die Abfassung außergerichtlicher Restrukturierungsabreden in Anleh- 27 nung an einen Insolvenzplanentwurf geeignet sein, die Struktur außergerichtlicher Vereinbarungen zwischen dem zu restrukturierenden Unternehmen und den Gläubigern zu optimieren. Solange und soweit nach der aktuellen Gesetzeslage vorinsolvenzlich noch nicht die Gerichte eingeschaltet werden können (oder müssen), schadet es nicht, sich bei einem außergerichtlichen Sanierungsversuch an den Grundstrukturen des Restrukturierungsverfahrens nach dem EU-Richtlinienentwurf40) zumindest zu orientieren, d. h. insbesondere eine Art Restrukturierungsplan mit Gruppen auszuarbeiten. Beispiel: Das Autohaus A hat zwei Auto-Banken als Hauptgläubiger. 90 % der Verbindlich- 28 keiten dieses Autohauses werden durch die beiden Auto-Banken repräsentiert. Zudem hat das Autohaus noch einige wichtige Betriebsvorrichtungen geleast. In diesem Fall wäre es denkbar, in einem außergerichtlichen Vertragsentwurf – in einer einheitlichen Vertragsabrede mit den genannten Gläubigern – in Anlehnung an die Formulierungen des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans die Gruppe der Finanzierungsbanken und die Gruppe der Leasinggesellschaften zu bilden, wobei beide Gruppen in einem Vertrag außergerichtliche Sanierungsabreden mit dem zu restrukturierenden Autohaus treffen. Selbstverständlich sollte sein, dass die an einer außergerichtlichen Sanierungsvereinbarung nicht beteiligten Gläubiger bei einer außergerichtlichen Restrukturierung zu 100 % befriedigt werden müssen. Wird die vollständige Befriedigung der nicht an der Sanierungsabrede beteiligten Gläubiger nicht erreicht, bleibt nur die Insolvenzantragstellung. In diesem Rahmen kann dann aber ggf. die Fortschreibung des vorinsolvenzlichen Vertragsentwurfs zu einem vollständigen Insolvenzplan zügig erfolgen, letztlich, indem die bisherigen Entwürfe zu einem Insolvenzplan fortentwickelt werden. ___________ 40) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723, zum angedachten vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren; dazu Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments v. 21.8.2018 mit Änderungsvorschlägen zur Richtlinie, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bREPORT %2bA8-2018-0269%2b0%2bDOC%2bXML%2bV0%2f%2fDE&language=DE (Abrufdatum: 31.8.2018).
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3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Verbündete unter Gläubigern und Arbeitnehmern
29 Zeichnet sich die Notwendigkeit der Einreichung eines Insolvenzplans ab, sollte immer bedacht werden, dass der Insolvenzplan letztlich auch auf Konsens beruht. Abhängig von der angedachten Gruppenbildung im Insolvenzplan – und abhängig von Strukturdiskussionen mit Gläubigern zum Planinhalt im Vorfeld der Planeinreichung (siehe oben Rz. 24 ff.) – wird die Zustimmung bestimmter Gläubiger zum Insolvenzplan zum Gelingen der Restrukturierung oft unumgänglich sein. Diese „Schlüssel-Gläubiger“ sollten möglichst frühzeitig in die Diskussion und die Fortschreibung des Plankonzepts einbezogen werden. Je weiter das Sanierungskonzept und die integrierte Planung41) für die Restrukturierung unter Insolvenzplanbedingungen bereits bei Insolvenzantragstellung ausgearbeitet sind, umso eher wird man die Gläubiger von der Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen i. R. einer Insolvenzplanlösung überzeugen können. 30 Während der klassische Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren nach Insolvenzantragstellung ein für ihn unbekanntes Verfahren „in den Griff bekommen“ muss, hat der Berater mit „seinem“ Schuldner die Möglichkeit, im Vorfeld der Insolvenzantragstellung betriebswirtschaftlich zum Sanierungskonzept und zur Restrukturierungsplanung „tief einzusteigen“. Dieser Wissens- und Zeitvorsprung der Berater gegenüber einem Insolvenzverwalter sollte dazu genutzt werden, schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Unterstützung wichtiger Gläubiger und der Arbeitnehmer – z. B. i. R. der Vorlage eines Plan-Grobkonzeptes – zu erhalten. 31 Beispiel: Eine Druckerei muss sich wegen Umsatzrückgangs und gesunkener Margen von einem Drittel des langjährig beschäftigten Personals trennen. In der Handelsbilanz finden sich zudem auf der Passivseite erhebliche Pensionslasten. Die Hausbank ist mit ihren Forderungen unstrittig durch Sicherungsübereignungen an zwei Druckmaschinen in voller Höhe gesichert. Hier zeichnen sich schon drei potenzielle Plangruppen ab: die Hausbank als Absonderungsberechtigte, die Arbeitnehmer und der Pensions-Sicherungs-Verein. Es empfiehlt sich, zu allen drei potenziellen Gläubigergruppen schon vor Insolvenzantragstellung – unter Darstellung der Einzelheiten des betriebswirtschaftlichen Restrukturierungskonzepts und der Sanierungsmaßnahmen – Kontakt aufzunehmen. Gelingt es so, drei potenzielle Plangruppen „hinter sich zu bringen“, kann darüber nachgedacht werden, z. B. „widerspenstigere“ Gläubiger in die Gruppen 4 oder 5 einzugruppieren. Außerdem ist eine Vorfeld-Abstimmung bei der Einleitung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens von Vorteil, wenn der Insolvenzantragsteller die Unterstützung durch wichtige Hauptgläubiger belegen kann. Falls möglich, sollten dem Insolvenzantrag Unterstützungserklärungen der wichtigsten Gläubiger zur Planstruktur beigefügt werden. 32 Überzeugte Gläubiger und Arbeitnehmervertreter eignen sich dann als potenzielle Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a InsO. Mit dem beschriebenen Vorgehen sollte der Schuldner darauf hinwirken, dass das Gericht einen dem Schuldner wohlgesonnenen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzt. 1.3
Sicherheitenstruktur; Liquidität und Wertgutachten
33 Oft sind angedachte Insolvenzplanüberlegungen deshalb nicht umsetzbar, weil die Liquidität zur (zeitnahen, vgl. unten Rz. 40) Befriedigung der – ggf. bei Beginn der Beratung zum Teil nicht leicht erkennbaren – Absonderungsberechtigten fehlt.42) Kernbestandteil ___________ 41) Zur Notwendigkeit einer integrierten Unternehmensplanung vgl. IDW S 6 i. d. F. v. 18.7.2018, Rz. 72 u. a. 42) Vgl. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 66 ff.; Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 42 ff.
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Planvorbereitung
des Insolvenzplans ist die sog. Vergleichsrechnung zur Regelabwicklung. Können die Sicherungsgläubiger bei der Regelabwicklung – i. R. einer übertragenden Sanierung oder durch sonstige Veräußerungen eines Insolvenzverwalters – zeitnah mit einer Bedienung ihrer Absonderungsrechte rechnen, hat der Planverfasser zwei Möglichkeiten: Entweder er beschafft zumindest in gleicher Höhe ausreichend Liquidität, oder er kann versuchen, die Absonderungsberechtigten entweder auf freiwilliger Basis oder mittels Insolvenzplans zur Stundung der Sicherungsrechte zu bewegen. Beispiel: Der Getränkehandel G befindet sich in einer finanziellen Schieflage. Das Betriebs- 34 grundstück liegt an günstiger Stelle in einer deutschen Großstadt und ist am Markt heiß begehrt. Die Umwidmung der Gebäude zu anderen gewerblichen Zwecken oder auch zu Wohnzwecken ist mit relativ geringem finanziellen Aufwand möglich. Hier wird deutlich, dass ein Grundpfandrechtsgläubiger, der durch ein Grundpfandrecht am genannten Grundstück gesichert ist, entweder durch Zwangsversteigerung oder i. R. einer freihändigen Veräußerung durch den Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren zügig eine Befriedigung erhalten wird. Der Planverfasser, der eine Insolvenzplanlösung anstrebt, wird deshalb Wege finden müssen, ebenfalls zeitnah eine Befriedigung des Grundpfandrechtsgläubigers sicherzustellen. Die Alternative besteht darin, dass der Grundpfandrechtsgläubiger dazu bewegt werden kann, den Insolvenzplan – durch ein Stehenlassen des Grundpfandrechts – mitzufinanzieren. In diesem Zusammenhang sollten frühzeitig Gutachten zum Wert der Sicherheiten einge- 35 holt werden. Weiter ist zu empfehlen, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mit den Sicherungsgläubigern eine Übereinkunft zum für den Insolvenzplan maßgeblichen Wert ihrer Sicherheiten zu erzielen. Anderenfalls drohen nämlich Wertstreitigkeiten, z. B. zur Ermittlung des relevanten Forderungsausfalls eines absonderungsberechtigten Gläubigers (vgl. § 190 Abs. 1, § 256 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ohne Konsens zum maßgeblichen Sicherheitenwert wird der Gläubiger dem Insolvenzplan nicht zustimmen, und es kommt – im Streitfall – möglicherweise zu „Sachverständigenschlachten“ auf irgendeiner Stufe des Insolvenzplanverfahrens. Ohne frühzeitige Klarheit zum Wert der zu bedienenden Sicherheiten lässt sich die Planquote nicht berechnen. Da in Aussonderungsrechte durch den Insolvenzplan nicht eingegriffen werden kann 36 (vgl. § 223 InsO), sollte vor einer Intensivierung der Planüberlegungen Klarheit dazu herrschen, welche Übereinkunft mit den Aussonderungsberechtigten getroffen wird. Insoweit ist der Planersteller auf bilaterale Abreden außerhalb des Insolvenzplans angewiesen, deren Machbarkeit frühzeitig eingeschätzt werden muss.43) Beispiel: Die Getränke GmbH hat zahlreiche Betriebsmittel (Produktionsstraßen) geleast. 37 Die Leasinggesellschaften sind grundsätzlich aussonderungsberechtigt. Sofern und soweit i. R. eines Insolvenzverfahrens die Leasingverträge mangels Liquidität nicht erfüllt werden können, wird i. R. der Eigenverwaltung Nichterfüllung der Leasingverträge gewählt werden (§§ 103 ff. InsO). Sind die Leasinggesellschaften zu keinen Kompromissen bereit, weil sie Herausgabe der Leasinggegenstände verlangen, hilft das Planverfahren nichts. Hier muss im Wege zweiseitiger Verhandlungen mit den Leasinggesellschaften in jedem Einzelfall eine Verhandlungslösung – oft bevor die Insolvenzplanüberlegungen verdichtet werden – ausgehandelt werden. Zu erwägen wäre etwa, die Vertragsabreden mit den Leasinggesellschaften unter die auflösende oder aufschiebende Bedingung der Rechtskraft eines Insolvenzplans zu stellen, um so eine Verzahnung mit dem Insolvenzplanverfahren herbeizuführen. Enden nämlich Sanierungsabreden im Falle des Scheiterns des Insolvenzplans, sind zugleich Argumente dafür gefunden, dass das Insolvenzplanverfahren im Vergleich zur Regelabwicklung für die Gläubiger von Vorteil ist (Stichwort „Vergleichsrechnung“). ___________ 43) Zutreffend Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 50.
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§ 23 1.4
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Liquiditätsplanung und („unechter“) Massekredit
38 Die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens, ggf. auch i. R. der §§ 270a, 270b InsO, wird fast immer zu einer Liquiditätsbelastung führen. Für die Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung verlangen viele Gerichte i. R. der Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO die Vorlage einer detaillierten Liquiditätsplanung, ggf. in Kombination mit einer Gewinnund Verlustplanung für die nächsten drei oder sechs Monate auf Wochenbasis. Nur so (ggf. in Kombination mit der Vorlage eines Sanierungsgrobkonzepts) kann aus Sicht vieler Insolvenzgerichte belegt werden, dass die (vorläufige) Eigenverwaltung nicht zu (offensichtlichen) Nachteilen führt. Zahlreiche Vertragspartner werden – sofern im Vorfeld keine Verhandlungslösung gefunden wurde – bis zur Rückgewinnung des Vertrauens nach Insolvenzantragstellung zumindest für eine Übergangszeit Vorkasse verlangen. Diese Phase muss der Rechtsträger, der mittels Insolvenzplan saniert werden soll, überstehen. Anders formuliert: Das Bekanntwerden von Restrukturierungs- und Insolvenzszenarien muss vor Insolvenzantragstellung antizipiert werden, wobei zur Liquidität dringend Sicherheitspolster gebildet werden sollten. 39 Beispiel: Die Warenhauskette W erwägt, in den Sommerferien einen Insolvenzantrag zu stellen. Sofern dies ohne Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 1 InsO) möglich ist, könnte sich empfehlen, die Insolvenzantragstellung bis zur Weihnachtszeit zu verschieben. Das Weihnachtsgeschäft ist bekanntlich für Kaufhäuser besonders lukrativ, so dass zu befürchtende Liquiditätsengpässe in einem Saisongeschäft in Zeiten starker Nachfrage besser abgefedert werden können als in anderen Zeiten. 40 Zur Liquiditätsbelastung führt i. d. R. auch die Verpflichtung, Sicherungserlöse zu separieren.44) Insbesondere sofern vor Insolvenzantragstellung nicht alle Sicherungsrechte, die im Antragsverfahren befriedigt werden müssen, richtig eingeplant sind, besteht die Gefahr, dass die Absonderungsberechtigten die Liquidität im Antragsverfahren zu stark belasten. Eventuell – sofern im Einzelfall legal – empfiehlt sich ein Forderungseinzug im Vorfeld einer möglichen Insolvenz auf Konten, die nur auf Guthabenbasis geführt werden und nicht dem Gläubigerzugriff unterliegen. Ist der Rechtsträger nicht alleine in der Lage, vor Insolvenzantragstellung einen notwendigen Liquiditätspuffer zu bilden, muss – vor Insolvenzantragstellung – die Liquidität durch Gesellschafter und/oder Hauptgläubiger und/oder Investoren sichergestellt werden. 1.5
Mandant/einzelne Geschäftsführungsorgane als Sanierungshindernis?
41 Der Berater des zu restrukturierenden Rechtsträgers wird kritisch zu prüfen haben, ob und inwieweit der Schuldner oder dessen Organe für einzelne oder mehrere Krisenursachen verantwortlich sind. Eine Mitverantwortung des bisherigen Managements für die Krise – oft auch wegen Überforderung in bestimmten Bereichen – wird nahezu ausnahmslos vorliegen. Da zudem im Grundsatz das Vertrauen der Gläubiger gewonnen werden muss, wird in einer Vielzahl von Fällen der Berater nicht umhinkommen, dem Schuldner oder dessen bisherigen Organen spätestens bei Insolvenzantragstellung neues Know-how an die Seite zu stellen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang auch an unvorbelastete – branchenerfahrene – Interimsmanager (sog. CRO). Da in der Eigenverwaltung der Mandant (oder das beauftragende Geschäftsführungsorgan) oft faktisch das Sanierungshindernis ist, der Berater aber gegenüber seinem Auftragnehmer ebenso fakti___________ 44) Nach BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339, dazu EWiR 2010, 395 (Knof), ist der vorläufige Insolvenzverwalter nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Erlösauskehr auch im Antragsverfahren verpflichtet; das gilt dann in der Eigenverwaltung „analog“ für den Schuldner und dessen Berater, sofern es nicht im Einzelfall zur Vereinbarung eines sog. „unechten“ Massekredits kommt oder das Insolvenzgericht nicht durch eine Sicherungsanordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO hilft.
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Planvorbereitung
sche Rücksichtnahmepflichten hat, können manchmal Sanierungsmaßnahmen in diesem Bereich effektiv nur mit Hilfe eines neutralen und sanierungsaktiven Sachwalters umgesetzt werden.45) 1.6
Hoffnung Investor
Nach einer gescheiterten außergerichtlichen Sanierung findet der Insolvenzverwalter oft 42 folgende Argumentation vor: Man habe, so die Schuldnervertreter, den Insolvenzantrag nach § 15a Abs. 1 InsO deshalb nicht stellen müssen, weil eine konkrete Aussicht bestanden hätte, dass ein Investor die Gesellschaftsanteile abkaufen und Mittel zur Befriedigung der Gläubiger einschießen würde. Man habe über viele Monate gute Verhandlungen geführt. Leider – völlig unerwartet – seien dann die Investorenverhandlungen gescheitert, was zum Insolvenzantrag geführt habe. In der Phase der sich oft über Monate oder über noch längere Zeiträume hinziehenden 43 Verhandlungen mit potenziellen Investoren wird sehr häufig die Restrukturierung des Rechtsträgers nicht ausreichend vorangetrieben. Weil der potenzielle Schuldner und dessen Berater ausschließlich auf den Investor hoffen, wird ein Restrukturierungskonzept manchmal nicht einmal in Ansätzen entworfen und die Begleichung von Verbindlichkeiten wird geschoben. Springen dann die angedachten Investoren ab, wird ein etwaig eingesetzter Insolvenzverwalter intensiv prüfen, ob eine negative oder positive Fortbestehensprognose während der Phase der Investorenverhandlungen gegeben war. Häufig wird er mit guten Gründen vertreten können, dass bereits in der Phase der Investorenverhandlungen eine negative Fortbestehensprognose und deshalb eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vorlagen. Zudem wird ein Investor in einen maroden Betrieb – ohne Sanierungskonzept – nicht so 44 ohne weiteres investieren. Dies spricht dafür, dass Investorenverhandlungen im Vorfeld einer möglichen Insolvenz unbedingt – ggf. in Abstimmung mit dem Investor – mit einem dokumentierten Sanierungskonzept begleitet werden sollten. Scheitert die außergerichtliche Sanierung, kann – sofern das Sanierungskonzept „verdichtet“ ist – in einem anschließenden Insolvenzplanverfahren mit Eigenverwaltung schneller ein sog. Exit in Kombination mit einem Share Deal gefunden werden als in Fällen fehlender Vorbereitung. Eine gute vorinsolvenzliche Beratung muss im Insolvenzfall noch nützliche Fortwirkungen zeigen, wozu durchaus auch die Investorenkontakte zählen können. Auch dies spricht oft dafür, schwierige außergerichtliche Investorenverhandlungen mit 45 einem Insolvenzplanentwurf als „Plan B“ zu begleiten (siehe Rz. 24). 1.7
Drittzuschuss, Quotengarantie oder Ertragsplan
Aus Erfahrung sei darauf hingewiesen, dass sich Insolvenzpläne sehr häufig nicht aus- 46 schließlich aus Unternehmenserträgen finanzieren lassen. Um die notwendige Sicherheit für eine Quotenausschüttung zu erlangen und einen ausreichenden Gläubigerkonsens herbeizuführen, sind deshalb oft Drittzuschüsse (durch Investoren46) und/oder Gesellschafter oder finanzierende Banken) oder Quotengarantien für einen annehmbaren Insolvenzplan unerlässlich. ___________ 45) Zum Bild des nur beratenden, auch präventiv Nachteile vermeidenden Sachwalters vgl. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels); dabei wird bei dem obigen Vorschlag für einen neutralen und sanierungsaktiven Sachwalter nicht verkannt, dass tendenziell im Vergleich zur BGH-Rspr. hierdurch die Kompetenzen des Sachwalters „ausgebaut“ würden. 46) Zum sog. Dual Track s. oben § 30 Rz. 48 ff. sowie unten § 34 Rz. 132 ff.
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3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Ertragssicherheit und erneutes Insolvenzrisiko
47 Bei jedem Insolvenzplan, der eine Rechtsträgersanierung vorsieht, müssen die Krisenursachen klar und vollständig erkannt und beseitigungsfähig sein. Anderenfalls besteht nämlich die Gefahr, dass bloße finanzwirtschaftliche Maßnahmen, z. B. Verzichtsbeiträge der Gläubiger, nicht ausreichen und sich die Insolvenzursachen nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens wiederholen. Es wird dann zu einer erneuten Insolvenz kommen. 2.
Beratung eines Gläubigers
2.1
Gesicherte Gläubiger
48 Ein Insolvenzplanverfahren in Kombination mit Eigenverwaltung kann – um es offen zu sagen – für Sicherungsgläubiger, die Sicherheiten mit Anfechtungsrisiken erworben haben, eine Chance sein, die Anfechtungsrisiken zu minimieren. 49 Zudem bieten die Neuerungen des ESUG partiell eine echte Alternative zur bisher häufig praktizierten sog. Doppeltreuhand.47) 50 Beispiel: Die F-AG stellt Spezialfahrzeuge her. Die C-Bank und die D-Bank sind im Insolvenzfall an dem der F-AG gehörenden Grundstück mit ihren Forderungen voraussichtlich in voller Höhe gesichert. Es handelt sich um eine Familien AG. Die F-AG ist in eine finanzielle Schieflage geraten. Die beiden Banken bedrängen die Aktionäre, ihre Aktien vollständig auf einen sog. Treuhänder zu übertragen. Diese Treuhand ist i. d. R. oft so ausgestattet, dass vordergründig die Alt-Gesellschafter Treugeber sind, mit Regelungen nach §§ 328 ff. BGB zugunsten der betroffenen Banken. Die beiden Banken versprechen den Alt-Eigentümern, dass so die Insolvenz voraussichtlich vermieden werden kann. Sobald sich ein Investor zur Übernahme der Gesellschaftsanteile findet, so die Banken, würden die Alt-Eigentümer vom erzielten Veräußerungserlös auch etwas „abbekommen“. 51 In der bisherigen Praxis haben Kreditinstitute häufig erfolgreich mit Hilfe der sog. Doppeltreuhand versucht, das Stigma der Insolvenz zu vermeiden. Da auch nach dem früheren Recht kaum planbar war, wer Insolvenzverwalter wird, hat dieses Kreditinstitute häufig dazu bewogen, eine Doppeltreuhand gegenüber den Alt-Gesellschaftern „durchzudrücken“. Da das ESUG die Planbarkeit des Insolvenzverfahrens zumindest stark verbessert hat – aus Gläubigersicht insbesondere durch Einsetzung eines sog. vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a InsO –, ist dies eine Chance, auf die Doppeltreuhand zu verzichten. Da bei der Doppeltreuhand unbedingt die Insolvenz vermieden werden soll, müssen die außenstehenden – an der Konstruktion der Treuhand und der Restrukturierung nicht beteiligten – Gläubiger zu 100 % befriedigt werden. Die Restrukturierung i. R. der Insolvenz hat gegenüber einer Sanierung i. R. einer Doppeltreuhand den Vorteil, dass insbesondere im Personalbereich und im Bereich der Pensionslasten die Passivseite der Bilanz durch die Insolvenz leichter entlastet werden kann. Dies spricht dafür, dass nach den Reformen durch das ESUG das Insolvenzplanverfahren in Kombination mit einer Eigenverwaltung eine echte Alternative zur sog. Doppeltreuhand darstellt. Kreditinstitute werden jedoch tendenziell die Doppeltreuhand einer Eigenverwaltung vorziehen! Insbesondere wenn ein Kreditinstitut nach der Struktur des Falles im Einzelfall die Neigung haben könnte, mit Hilfe einer Doppeltreuhand das Unternehmen mehr oder weniger „an sich zu ziehen“, wird diese Perspektive zum Widerstand von Kreditinstituten gegen die Eigenverwaltung führen können. Hier ist es dann wichtig zu versuchen, Kreditinstitute ___________ 47) Vgl. Budde, ZInsO 2011, 1369; Achsnick, Die doppelnützige Treuhand in der Sanierung, insbesondere ab Rz. 463 ff.; Braun/Riggert, in: FS Görg, 2010, S. 95 ff.; zu den durch das ESUG gestärkten Chancen der Insolvenz aus Gläubigersicht Obermüller, ZInsO 2011, 1809.
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Planvorbereitung
im Vorfeld der Beantragung der Eigenverwaltung davon zu überzeugen, dass auch ohne die Doppeltreuhand die Interessen der Kreditinstitute einbezogen werden. Weiter haben i. d. R. die gesicherten Gläubiger in der Planerstellungsphase ein Interesse dar- 52 an, dass frühzeitig Wertgutachten mit einer möglichst optimistischen Wertschätzung zu den Sicherheiten vorliegen. Gesicherte Gläubiger sollten zu einem frühen Zeitpunkt – möglichst im Insolvenzantragsverfahren – Einsicht in die Inventuren und Wertgutachten nehmen und sich schriftlich bestätigen lassen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner (i. R. eines Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO) inventarisiert hat. Sobald Vermögensgegenstände inventarisiert und bewertet wurden, sollten gesicherte Gläubiger sich zeitnah mit diesen Wertgutachten befassen, ggf. Kritik üben und/oder eventuell einen Gegengutachter beauftragen. Da letztlich alle Beteiligten ein Interesse an einer gelungenen Restrukturierung haben, sollten sich abzeichnende Wertstreitigkeiten – auch aus Sicht der Gläubiger (zum Schuldner und zu Liquiditätsfragen siehe Rz. 33 ff.) – früh gesehen und vor Beschreitung des formellen Verfahrens zur Einreichung eines Insolvenzplans gelöst werden. Im Rahmen eines Fortführungsplans werden die Gläubiger verlangen können, dass ihre 53 Sicherheiten zu Fortführungswerten bewertet werden.48) 2.2
Ungesicherte Gläubiger
Insbesondere ungesicherte Gläubiger interessieren sich häufig gar nicht oder zumindest 54 nicht zeitnah für eine anstehende oder eingeleitete Insolvenz. Mangelndes Interesse führt aber zu einem Einflussvorsprung der gesicherten Insolvenzgläubiger des Schuldners oder anderer Verfahrensbeteiligter. Ob dies zur Konsequenz haben sollte, sich entsprechenden Gläubiger-Interessenverbänden anzuschließen, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Kompetente Berater – vorausgesetzt, sie verfügen über ausreichende Kenntnisse des Insolvenzplanverfahrens und der Eigenverwaltung – können oft eine gezieltere Interessenwahrnehmung zugunsten des beratenen Gläubigers bieten als eine „Sammelvertretung“. Dies gilt zumindest für Gläubiger, die hohe Forderungen anmelden und so schon für sich gesehen in der Gläubigerversammlung einiges Gewicht haben. 3.
Beratung eines Investors
Jeder Interessent, der Gesellschaftsanteile in Kombination mit einem Insolvenzplan- 55 verfahren erwerben will, sollte frühzeitig bedenken, dass sich alle Risiken des Rechtsträgers, die der Insolvenzplan mittels gestaltenden Teils nicht „abschneiden“ kann oder die der Planverfasser übersieht zu regeln, nach der Insolvenz als unangenehme Überraschung offenbaren können.49) Beispiel: Die A-AG ist ein weltweit aufgestellter Konzern. Ein früherer Geschäftsführer der 56 A-AG hat vermutlich – Einzelheiten dazu sind nicht mehr recherchierbar – zugunsten zahlreicher Gläubiger von Tochtergesellschaften „harte“ Patronatserklärungen abgegeben. Hier muss zumindest das Risiko gesehen werden, dass nach einer Insolvenzplansanierung Begünstigte aus den „harten“ Patronatserklärungen auftauchen und vom Rechtsträger A-AG – nach Beendigung der Insolvenz durch Insolvenzplan – Einlösung der „harten“ Patronatserklärungen verlangen (zur sog. Nachzügler-Problematik vgl. §§ 259a, 259b InsO). ___________ 48) Vgl. BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04 (Konsum), ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein); Kindler, Grundpfandrechte im Insolvenzverfahren, S. 197 oben, S. 237 unten. 49) Für die Due Diligence des Erwerbsinteressenten/des Investors, gelten deshalb grundsätzlich die auch außerhalb der Insolvenz greifenden Sorgfaltsanforderungen, vgl. Becker/Voß, in: Knott, Unternehmenskauf, Rz. 32 ff.; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, S. 685 ff.
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§ 23
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
57 Einem Investor ist deshalb dringend – wie bei jedem Share Deal außerhalb der Insolvenz – eine frühzeitige intensive Due Diligence zu empfehlen. Die Ergebnisse können Auswirkungen auf den notwendigen Inhalt des gestaltenden Teils des Insolvenzplans haben. 58 Zudem muss der Investor einschätzen, ob und inwieweit Alt-Gesellschafter noch Störpotenzial entfalten können. Zwar kann aufgrund der Gesetzesänderungen durch das ESUG nunmehr mittels Insolvenzplans in die Gesellschaftsanteile des oder der bisherigen Anteilseigner eingegriffen werden (§ 217 Satz 2, § 225a InsO). Da die verdrängten AltGesellschafter aber eine zwingende Plangruppe bilden (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO), ist es immerhin möglich, dass sie im Erörterungs- und Abstimmungstermin zu einem Risiko werden. Einbindung und Umgang mit den Alt-Gesellschaftern sollten deshalb zumindest früh thematisiert werden. 59 Außerdem müssen sowohl der Investor als auch die anderen Verfahrensbeteiligten prüfen, ob alle für die Sanierung erforderlichen Maßnahmen überhaupt mittels Insolvenzplans umgesetzt werden können. Beispielhaft sei hier erwähnt, dass in den Fällen einer Betriebsaufspaltung die für die Betriebsfortführung notwendige Immobilie u. U. nicht zum Vermögen des Schuldners gehört, da sie oft Eigentum der Gesellschafter ist. Dann kann insoweit auch keine Insolvenzplanlösung mittels gestaltenden Teils herbeigeführt werden. Alle potenziellen Gläubiger, die in der Insolvenz nach § 47 InsO aussondern können, müssen über bilaterale Sanierungsvereinbarungen – außerhalb des Insolvenzplanverfahrens – eingebunden werden, und zwar zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Dies gilt auch für die Gestaltung aller Dauerschuldverhältnisse für die Zeit nach der Insolvenz (z. B. Konditionen von Mietverträgen). 60 Insbesondere ist hervorzuheben, dass sämtliche Sanierungsbeiträge aus dem ArbeitnehmerBereich nicht durch den gestaltenden Teil des Insolvenzplans herbeigeführt werden können. Je nach Einzelfall sollte der Investor – zeitnah! – kompetente arbeitsrechtliche Auskünfte zur Einschätzung etwaiger Sanierungsrisiken aus dem arbeitsrechtlichen Bereich zu Beginn der Sanierungsüberlegungen einholen. 61 Im Übrigen gelten für den Investor, der sich in Kombination mit einem Insolvenzplan beteiligen will, auch sämtliche vorstehenden Hinweise zu den Risiken, die die Insolvenzplan-Restrukturierung und damit die Ziele des Investors blockieren können. Auf die betreffenden Ausführungen wird deshalb verwiesen (siehe Rz. 23 ff. und Rz. 33 ff.). III.
Checklisten zur Planvorbereitung
62 Unternehmensstrukturen
Aktuelles Organigramm zu den einzelnen Abteilungen, Leitern und Mitarbeitern?
Im Konzern: Aktuelles Schaubild/Übersicht zu allen Beteiligungen/Verflechtungen?
Ggf. Aktualisierungen veranlassen!
Geschäftsführung/Leitungs-Ebene: ausreichende Kompetenz? Muss Berater in die Organstellung oder genügt Begleitung mit Beratungsvertrag?
Zum vor Mandatsübernahme zu prüfenden Versicherungsschutz siehe unten Rz. 77 ff.
63 Sicherungsrechte
Inventarisierung u. a. aller mit Sicherungsrechten belasteten Sachen und Rechte und rechtliche Einordnung in Aus-/Absonderungsrechte (eigene Verwertungsbefugnis nach § 166 Abs. 1 InsO nur im Bereich der Absonderung)?
„unechter“ Massekredit im Insolvenzantragsverfahren erforderlich/erreichbar (siehe Rz. 38)?
656
Rendels
§ 23
Planvorbereitung
Gutachterliche Bewertung der Sicherheiten? Streitpotenzial zur Höhe des abzulösenden Sicherheitenwerts? Wert mit Sicherungsgläubiger einvernehmlich abgestimmt?
Welchen Betrag würde der Sicherungsgläubiger im Regelinsolvenzverfahren voraussichtlich zu welchem Zeitpunkt erhalten? Kann der Insolvenzplan hier mithalten? Vergleichsrechnung mit/ohne Plan zur Bedienung von Sicherungsrechten?
Gegebenenfalls in der vorläufigen Eigenverwaltung zu hohe Liquiditätsbelastungen wegen Sicherheitenbedienung (siehe oben Rz. 33 ff., 38 ff.)?
Anfechtungsrisiken und „Rückwirkungen“ zur Gruppenbildung/Bedienung im Plan?
Stundung von Sicherungsrechten mittels Plan nötig/zulässig oder individuelle Abrede zur Stundung mit Sicherungsgläubigern erforderlich (siehe oben Rz. 36, 38 „unechter“ Massekredit)?
Herausgabeansprüche Aussonderungsberechtigter durch Individualvereinbarung abgewendet (insbesondere Bereiche Miete, Leasing, ggf. sonstige Dauerschuldverhältnisse)?
Krisenursachen und deren Beseitigung
64
Sind die oft (zahlreichen und verdeckten) Krisenursachen vollständig ermittelt und grundsätzlich beseitigungsfähig? Liegt zumindest in Ansätzen ein Sanierungskonzept oder ein vollständiges Konzept entsprechend dem Standard IDW S 6 vor? Wann kann/muss das IDW S 6-Konzept vorliegen (siehe oben Rz. 8 f.)? Noch zu erstellendes Sanierungskonzept: Wie lange wird die voraussichtliche Erstellung eines vollständigen Sanierungskonzepts dauern? Zeitplan? Kostendeckung? Welches branchenspezifische Know-how ist für die Ausarbeitung der Sanierungsmaßnahmen einzubeziehen? Welche Risiken sind bei der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen, die zum Fehlschlag des Insolvenzplans führen können, zu erwarten? Besondere Risikobereiche: Betriebsrat (Namensliste und Interessenausgleich?), Gewerkschaft (Sanierungstarifvertrag?) und Einschätzung/Analyse zur Gefahr der Wiederholung von Insolvenzgründen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Abbildung angestrebter Sanierungsbeiträge in der integrierten Sanierungsplanung und ggf. in alternativen Planungen alternative Sanierungsbeiträge simulieren?
Insolvenzplanstruktur mit wichtigen Gläubigern abstimmen
65
Entwurf einer Grobstruktur zunächst nur des gestaltenden Teils (mit u. a. Gruppenbildung, Forderungsverzichtsbeträgen, Stundungen und Zahlungszeitpunkten zur Insolvenzquote); Angaben zur Bedienung der Sicherungsrechte, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt? Grobstruktur vor Insolvenzantragstellung mit wesentlichen Hauptgläubigern/Sicherungsgläubigern durchdiskutiert? Richtiger Zeitpunkt ggf. kurz vor Insolvenzantragstellung? Geheimhaltungsinteressen bis wann? Unterstützungserklärungen von Schlüsselgläubigern vor Insolvenzantragstellung zum Konzept erhaltbar? Soll ein vorläufiger Gläubigerausschuss u. a. nach § 22a Abs. 2 InsO angeregt werden? Besetzungsvorschläge und Erklärungen zur Übernahme des Amtes als Gläubigerausschussmitglied bei Insolvenzantragstellung vorhanden?
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§ 23
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
66 Verträge, §§ 103 ff. InsO
Welche Verträge wird der Vertragspartner bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens voraussichtlich – wirksam – kündigen? Von welchen Verträgen will sich der Schuldner lösen und sind solche Vertragslösungen ohne Gefährdung des Geschäftsbetriebs möglich? Ggf. rechtzeitige Individualverhandlungen zu Vertragsfortsetzungen bei einer angedachten Vertragsbeendigung nach §§ 103 ff. InsO eingeleitet?
67 Gesellschafter
Sollen die Alt-Gesellschafter ganz oder teilweise zum Zwecke der Sanierung aus der Gesellschaft herausgedrängt werden? Betriebsnotwendige Eigentümerpositionen, Knowhow und Störpotenzial im Bereich der Alt-Gesellschafter? Ist die aktuelle Satzung restrukturierungstauglich? Insbesondere: Können Minderheitsgesellschafter nach Aufnahme eines Investors als neuen Mehrheitsgesellschafter blockieren? Welche Satzungsänderungen sind erforderlich? Insolvenzrisiken einzelner Gesellschafter? Kann die Insolvenz der Schuldnerin auf Gesellschafter durchschlagen und zur Konzerninsolvenz führen? Insolvenzanfechtungsansprüche gegen Gesellschafter? Bereitschaft der Alt-Gesellschafter, einen Planzuschuss oder einen sonstigen Beitrag zum Gelingen der Sanierung zu leisten, und/oder Erforderlichkeit eines solchen Sanierungsbeitrags?
68 Geschäftsführung
Bisherige Geschäftsführung tragfähig? Managementfehler der Vergangenheit abgestellt? Notwendigkeit der Ergänzung der bisherigen Geschäftsführung durch einen branchenerfahrenen Interimsmanager? Ergänzende Beauftragung einer branchenspezialisierten Unternehmensberatung zur operativen Restrukturierung? D&O-Versicherung, speziell im Antragsverfahren abgeschlossen und inhaltlich ausreichend?
69 Liquiditätsplanung/Massekredit
Antizipation möglicher Wirkungen einer Insolvenzantragstellung? Umschalten von Lieferanten auf Vorkasse? Abfindung von Sicherungsrechten (siehe oben Rz. 38 ff. „unechter Massekredit“)
Erstellung einer vorsichtigen Liquiditätsplanung für die Zeit ab Insolvenzantragstellung/ Stellung eines Antrags nach §§ 270a, 270b InsO?
Massekredit – wenn ja, in welcher Höhe? – erforderlich?
Ist die Bedienung der Masseverbindlichkeiten sichergestellt? Insbesondere bei Insolvenzplänen aus Erträgen: Oft Drittgarantiegeber (Alt-Gesellschafter, Banken oder Investoren) erforderlich!
Finanzierung der Schuldnerin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens mittels Factoring? Kontakt zu Factoringgesellschaften/sonstigen Finanzierern für die Phase der Betriebsfortführung während des Insolvenzverfahrens und für die Zeit danach?
Vorrangkredit (ggf. bisher finanzierender Kreditinstitute) gemäß §§ 264 – 266 InsO erforderlich/vorteilhaft?
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§ 23
Planvorbereitung Investorenlösungen mittels Share Deal
70
Komplette rechtliche und wirtschaftliche Due Diligence durchgeführt? Insbesondere nachfolgende Punkte geprüft? Satzungsmäßiges Kapital auf Gesellschaftsanteile wirksam voll eingezahlt? Insbesondere bei Kettenabtretungen von Gesellschaftsanteilen an die Schuldnerin als letzte Inhaberin: Ist die Schuldnerin wirklich Inhaber gehaltener Gesellschaftsanteile? Lastenfreiheit einzelner von der Schuldnerin gehaltener Gesellschaftsanteile? Konzern: Risiko von Folgeinsolvenzen derzeit noch nicht insolventer Konzerngesellschaften? Risiken aus ausländischem Recht bei ausländischen Tochtergesellschaften? Umweltlasten? Risiko unbekannter Insolvenzforderungen? Risikobegrenzung betreffend Nachzügler im Plan durch Ausschlussfristen oder nach §§ 259a, 259b InsO ausreichend? Risiko unbekannter Dauerschuldverhältnisse/sonstiger Verbindlichkeiten mit nach Verfahrensaufhebung entstehenden Verbindlichkeiten der Schuldnerin? Kompletter arbeitsrechtlicher Bereich (Individualabreden, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge) durchgeprüft? Steuerrecht (siehe unten Rz. 72).50)
Mandatsinhalt bei Schuldnerberatung
71
Ausreichend klarer Mandatsinhalt? Gefahr von Interessenkollisionen bei gleichzeitiger Beratung des Rechtsträgers und/oder der Gesellschafter und/oder Gesellschaftsorganen und/oder sonstiger Konzerngesellschaften: Deshalb frühzeitig geklärt, in wessen Lager beraten wird? Späterer Wechsel von Schuldnerberatung auf Gesellschafterberatung und umgekehrt oft wegen Interessenkollisionen nicht möglich!
Klare Abgrenzung der Beratungsinhalte zu weiteren Beratern, insbesondere Abgrenzung juristischer Beratungsinhalte zu den Beratungsinhalten mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt (siehe Rz. 22a)? Gesonderter Versicherungsschutz erforderlich (siehe unten Rz. 77)? Beratungskosten nach Insolvenzantragstellung: Einigung mit (vorläufigem) Sachwalter/ (vorläufigem) Insolvenzverwalter erforderlich und erzielbar? Drittbezug von Beratungsleistungen (z. B. Auskünfte an Gläubiger und/oder Investoren): Gefahren aus dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter? Haftungsbegrenzungsabrede? Drittwirkung der Haftungsbegrenzung?
Steuerrecht/Sanierungsgewinn
72 51)
Bei Redaktionsschluss lag der Comfort Letter der EU-Kommission zur Vereinbarkeit der (Nicht-)Besteuerung der Sanierungsgewinne mit Europarecht vor; die gesetzliche Umsetzung stand bevor. In jedem Fall ist anzuraten, zunächst die aktuelle Entwicklung zu recherchieren (nachfolgende Checkliste deshalb nur unter „Vorbehalt“)
___________ 50) I. Ü. wird zur Due Diligence beim Share Deal, der ggf. mit einem Insolvenzplan kombiniert werden kann, auf die Bücher zum Unternehmenskauf verwiesen: Becker/Voß, in: Knott, Unternehmenskauf, Rz. 32 ff., und Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rz. 12 ff., 685; die Inhaltsverzeichnisse beider Werke ergeben eine gute Checkliste für Investoren/Kaufinteressenten. 51) Medienbericht der FAZ v. 13.8.2018; das BMF hat den Eingang eines informellen „Comfort Letters“ bestätigt.
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659
§ 23
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
Gespräche in der Plan-Erstellungsphase – unter Einbindung eines Investors? – mit dem/ den zuständigen Finanzamt/Finanzämtern zum Thema Sanierungsgewinn?
Im Anschluss ggf. Gespräche mit Stadtverwaltung zu Gewerbesteuer/Sanierungsgewinn?
Insbesondere bei einer KG oder sonstigen Personengesellschaft: Steuerliche Rückwirkungen einer geplanten Share Deal-Lösung auf die Gesellschafter? Gegebenenfalls Erbschaftsteuer-/steuerliche Nachteile bei Änderungen in der Gesellschaftsstruktur?
Letzte Betriebsprüfung? Ergebnisse und noch offene Risiken?
IHK: Keine Beitragserhebung auf Sanierungsgewinn schriftlich bestätigt?
73 Kaufmännischer Bereich/Unternehmensplanung
Existiert eine Deckungskostenbeitragsrechnung? Mit welchen Produkten/Leistungen wird Gewinn erzielt und wo liegen die Verlustquellen (Spartenrechnung; siehe auch oben Rz. 66 zu §§ 103 ff. InsO)?
Liegt eine integrierte Unternehmensplanung (in Anlehnung an IDW S 6) vor? Mit welchem Zeitaufwand kann sie nachträglich aufgesetzt werden?
Letzter (festgestellter und/oder geprüfter?) Jahresabschluss der Schuldnerin? Konsolidierte Bilanz/Konzernbilanz?
Liegt eine zutreffende Einschätzung zu etwaigen Überbewertungen in den Bilanzen insbesondere im Bereich von Forderungen und Vorräten vor? Sonstiger Wertberichtigungsbedarf?
Ausreichende Rückstellungen in der Handelsbilanz eingestellt?
Liegt eine ordnungsgemäße Buchhaltung mit lückenlosen und zeitnahen Buchungen vor?
Bild der Handelsbilanz nach Beendigung der Insolvenz mittels Insolvenzplans? Zeitabläufe zur Erstellung und ggf. Prüfung der erforderlichen Bilanzen vor/nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens?
Durchsicht buchhaltungsnaher Korrespondenz: Hat es gegen die Schuldnerin Mahnungen/Vollstreckungen gegeben? Buchhaltungsvorgänge – insbesondere zu Fälligkeit von Verbindlichkeiten und Forderungen – ausreichend durch juristische Stichproben (Einsicht in die Verträge) überprüft?
Software (u. a. im Bereich Buchhaltung/Kalkulation) aktuell? Gegebenenfalls Kosten der Pflege und Fortentwicklung?
74 Einkauf
Im günstigen Einkauf liegt oft die Gewinnmarge: Beauftragung (bei komplexen Vorgängen) einer auf Einkaufs-Optimierung spezialisierten Beratungsgesellschaft oft sinnvoll.
Abhängigkeiten zu Vorlieferanten und wie wirkt sich das Insolvenzereignis insoweit aus? Wurde frühzeitig – i. d. R. vor Insolvenzantragstellung mit zumindest einem Grobkonzept – zu Vorlieferanten Kontakt aufgenommen?
Wie wird das Preisrisiko/die Abhängigkeit von Rohstoffkostenentwicklungen im allgemeinen Marktumfeld und insbesondere in Bezug auf die Insolvenzsituation eingeschätzt? Risiko kurzfristiger Preiserhöhungen?
Sind die rechtlichen Konditionen der Verträge in Ordnung? Insbesondere: Laufzeiten und Ausstiegsmöglichkeiten für Vorlieferanten? Einflussnahmemöglichkeiten von Lieferanten insbesondere auf die Preisgestaltung im Absatzbereich?
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§ 23
Planvorbereitung Verkauf
75
Sind Vertrieb (Verkauf) und Einkauf z. B. EDV-technisch so miteinander verknüpft, dass entsprechend den Absatzmöglichkeiten eingekauft wird? Insbesondere in Insolvenzlagen: Gefahr hohen Lageraufbaus mit nicht mehr absetzbaren Vorprodukten? Liegt eine spartenmäßige Umsatzaufgliederung vor nebst Aufgliederung zu einzelnen Gewinn- und Verlustbereichen?
Kalkulation und Nachkalkulation ausreichend? Wie wird im Betrieb genau kalkuliert (Fehlkalkulationen und Intransparenz als häufige Insolvenzursache!)? Schätzt die Unternehmensleitung die zukünftige Umsatzentwicklung zu positiv ein?
Abhängigkeit von Abnehmern und Reaktion dieser Abnehmer auf eine etwaige Insolvenzantragstellung? Frühzeitig – i. d. R. durch Vorlage eines Grobkonzepts – mit den Abnehmern vor Insolvenzantragstellung Kontakt aufgenommen? Abnehmer von der fortbestehenden Lieferfähigkeit rechtzeitig überzeugt? Einflussnahmemöglichkeiten der Abnehmer auf Preisgestaltung?
Saisoneinflüsse und taktisch richtiger Zeitpunkt für eine etwaige Insolvenzantragstellung, insbesondere unter Liquiditätsgesichtspunkten?
Wie ist das Rechnungs- und Mahnwesen organisiert? Zeitnaher Ausgang von Rechnungen und Nachhaltigkeit der Überprüfung von Zahlungseingängen?
Ggf. in der Insolvenz – zur Verbesserung der Liquidität – Verkürzung von Debitorenzielen möglich?
Technischer Bereich
76
Sind die Betriebsräume/Produktionsanlagen effektiv organisiert (z. B. zu lange Anfahrts- und Abtransportwege betreffend Rohware/fertiges Produkt)?
Investitionsplan? Liegt ein Investitionsstau in Bezug auf Gebäude und Produktionsanlagen vor? Kosteneinschätzung der „Aufholung“ in der Vergangenheit unterlassener Investitionen?
Welche betriebsnotwendigen Maschinen etc. sind geleast (Nichterfüllungswahl nach §§ 103 ff. InsO)? Welche Neuabreden sind erforderlich (siehe oben Rz. 66)?
Nach welchem Inventursystem wurden im Rohstoffbereich oder im Bereich der Halbund Fertigwaren die letzten Inventuren aufgenommen?
Ausreichende Lagerhalterprogramme/Warenwirtschaftssysteme und Absicherung des Lagers gegen unkontrollierte Abgänge unter Insolvenzbedingungen?
Versicherungsschutz
77
Sind Gebäude, Produktionsanlagen, technische Einrichtungen, Vorräte und sonstige Vermögensgegenstände gegen Feuer versichert? Besteht eine Betriebsunterbrechungsversicherung für eine Betriebsunterbrechung nach Brand?
Betriebshaftpflicht und Produkthaftpflicht ausreichend abgesichert? Potenzial zur Kostensenkung? Sofortige Analyse aller Risiken und ihres Versicherungsschutzes sowie der Kosten durch einen Versicherungsfachmann beauftragt? Besteht eine ausreichende D&O-Versicherung für die Zeit vor/während/nach der Insolvenz in Bezug auf die Unternehmensorgane (im Bereich Eigenverwaltung, insbesondere: Versicherungsschutz des CRO vor/nach Antragstellung ggf. durch Spezialisten begutachten lassen!)?
Rendels
661
§ 23
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
D&O-Versicherung: Etwaige Nachhaltungsfristen – z. B. Erlöschen des Versicherungsschutzes in ein oder zwei Jahren nach Beendigung des Versicherungsvertrags bei unterbliebener Inanspruchnahme von Vertretungsorganen – notiert/rechtzeitige und zutreffende Inanspruchnahme?
Versicherungsschutz des Beraters, des Insolvenzverwalters/Sachwalters und des Gläubigerausschusses? Sonderdeckungen für Einzelfallrisiken/Höher-Deckungen? Trägt die zu restrukturierende Schuldnerin die vorgenannten Versicherungskosten? Vorläufiger Sachwalter/vorläufiger Insolvenzverwalter mit Kostentragung durch Masse einverstanden und Regelung hierzu herbeigeführt?
78 Patent- und Urheberrechte
Welche Patente und sonstigen Urheberrechte sind für die Produktion/die Leistungen des zu sanierenden Rechtsträgers von besonderer Bedeutung? Welche Lizenzverträge als Lizenzgeber oder Lizenznehmer hat der zu sanierende Rechtsträger geschlossen und wie werden die Auswirkungen einer etwaigen Insolvenzantragstellung auf notwendige Lizenzverträge eingeschätzt? Rechtliche Absicherungsmöglichkeiten? Bei hoher Bedeutung von Patent- und Urheberrechten für die Produktion/die Schuldnerleistung: Frühzeitig einen Patent- und Urheberrechtsspezialisten mit einer rechtlichen und spezifisch urheberrechtlichen Due Diligence beauftragt? Gegebenenfalls ergänzend: Technisch ausgebildete Patentanwälte flankierend beauftragt? Gefahr der Inhaberschaft wesentlicher Patente/Urheberrechte bei natürlichen Personen, außerhalb der Insolvenzmasse z. B. im Bereich der Gesellschafter und/oder Mitarbeiter oder Erfinder?
79 Schnittstelle Beschäftigte/Optimierung der Betriebsabläufe
662
Gab es in der Vergangenheit eine hohe Personalfluktuation und Ursachen hierfür? Ursachen ggf. behoben? In jüngerer Zeit zügiger Aufbau von Personal (z. B. während Hochkonjunkturphasen), bei mangelnder Integration einiger Kräfte in Betriebsabläufe? Sind die entscheidenden Positionen im Betrieb – insbesondere Einkauf, Vertrieb, Rechnungswesen, technischer Bereich u. a. – mit ausreichend kompetenten Leitungskräften besetzt? Ist sichergestellt, dass diese Leitungskräfte trotz einer etwaigen Insolvenzsituation dem Betrieb treu bleiben? Altersstruktur der Beschäftigten im Betrieb und insbesondere auf den Leitungspositionen? Zu befürchtende Abgänge wegen Erreichung des Pensionsalters? Sprachkenntnisse in Leitungspositionen, insbesondere bei notwendiger Integration von Auslandsgesellschaften/Kontakten zum Ausland? Motivation und Stimmung in der Belegschaft und Möglichkeiten zur Motivationsverbesserung? Pro-Kopf-Umsatz pro Mitarbeiter und wie stellt sich dieser Umsatz im Branchenvergleich dar? Bei Analyse der Krisenursachen und der Beseitigungsmöglichkeiten und Ausarbeitung der Sanierungsmaßnahmen ausreichend mit Mitarbeitern auf zweiter und dritter Ebene gesprochen und sämtliches Wissen der Arbeitnehmerschaft im Betrieb gehoben? Mangelnde Leistungsbereitschaft wegen fehlender bzw. nicht ausreichender individueller Kontrolle individueller Leistungen? Leistungsanreize? Rendels
§ 23
Planvorbereitung
Werden Mitarbeiter im Betrieb beschäftigt, die zusätzlich mit betriebsfremden Aufgaben – z. B. im persönlichen Interesse von Gesellschaftern und/oder Geschäftsführern – befasst sind? Möglichkeit, mit dem Betriebsrat in offener Kommunikation Sanierungsmaßnahmen zu erarbeiten und/oder Mitarbeitermotivation zu erhöhen? Beteiligung des Betriebsrats an einem regelmäßigen jour fixe zur Fortschreibung der Sanierungsmaßnahmen und deren Umsetzung mit den Leitungsorganen und/oder den Beratern unter Einschluss des (vorläufigen) Sachwalters? Sonstige Mitarbeiterbeteiligung bei betrieblichen Abläufen? Gegebenenfalls Prämierung von Verbesserungsvorschlägen als Ansporn?
Vorbereitung der Aufhebung des Insolvenzverfahrens
80
Belastbare Liquiditätsplanung zur Begleichung der Masseverbindlichkeiten (vgl. § 258 InsO)? Steuerverbindlichkeit als Masseverbindlichkeit? Wird auf einen gesonderten Schlussbericht, eine Schlussrechnung und ggf. eine weitere Gläubigerversammlung verzichtet (Planregelung)? Fragen frühzeitig, d. h. vor Planeinreichung, mit Insolvenzgericht abgestimmt? Wann wird der Vergütungsantrag gestellt und ist die Vergütungshöhe (ggf.) mit dem Insolvenzgericht abgestimmt (Liquiditätsfrage)? Welche gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse sind – sofern nicht schon im Insolvenzplan geregelt – unmittelbar vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens angezeigt? (Beschluss zur Fortsetzung der Gesellschaft? Bestellung eines neuen/weiteren Geschäftsführers? Satzungsänderungen?) Informationsschreiben an Kunden/Lieferanten zur Vorbereitung der Aufhebung des Insolvenzverfahrens in Abstimmung mit dem Sachwalter? Neue Kreditlinien für die Zeit nach Verfahrensaufhebung vorhanden? Factoring-Linie? Warenkreditversicherung: Ist es möglich (ggf. zu welchem Zeitpunkt?), dass für gegen den Schuldner gerichtete Forderungen wieder Versicherungsschutz gewährt wird? Sollen neue Kontoverbindungen eingerichtet werden und sind ggf. die Vertragspartner rechtzeitig über die beabsichtigte Kontoänderung informiert worden? Sind für die Planausschüttungen (nach den Insolvenzplanregelungen durch Schuldner oder Planüberwacher?) Fristen mit ausreichenden Vorfristen notiert? Technische Vorbereitung der Ausschüttungen? Fristnotierungen/Wiedervorlagen für Zwischenberichte der Planüberwacher (je nach Regelung des Insolvenzplans)? Wann wird die Aufhebung einer Planüberwachung erfolgen und kann sie (z. B. durch vorgezogene Quotenausschüttungen) beschleunigt werden? Nachteile durch fortdauernde Planüberwachung? Nachtragsverteilungen nach Insolvenzplan und Regelungen hierzu möglich? Treuhandabtretungen noch zu verfolgender Ansprüche an den vormaligen Sachwalter/Insolvenzverwalter zum Zwecke der nachträglichen Ausschüttung? Sind vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch Rechtsstreitigkeiten anhängig zu machen (vgl. § 259, insbesondere Abs. 3 InsO betr. Insolvenzanfechtung)? Aufhebungsprozedere insgesamt mit Insolvenzgericht, Sachwalter und wesentlichen Kunden und Lieferanten abgestimmt? Zeitplan? Muss aus taktischen Gründen wegen offener Fragen in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens verschoben werden? Rendels
663
§ 24 Planinitiativrecht Rendels
I.
Überblick; Verhältnis von Schuldnerund Gläubigerschutz .................................. 1 1. Taktisches Druckmittel ............................... 1 2. Konkurrierende (Schuldner-)Pläne?........... 4 II. Zeitpunkt der Planvorlage, Unternehmensplanung ...................................... 12 III. Initiativrecht des Schuldners .................. 18 1. Planvorlagepflicht? .................................... 18 2. Informationsrechte .................................... 19 3. Kostentragung............................................ 20 4. Mitwirkung Dritter.................................... 23
5.
Verzahnung des Insolvenzplans mit Investorenlösung?...................................... 24 6. Vertretungsverhältnisse; Gesellschafter-Rechte? ........................................ 29 IV. Initiativrecht des Insolvenzverwalters ........................................................ 33 V. Auftrag der Gläubigerversammlung (§ 157 Satz 2 InsO) ................................... 35 VI. Arbeitnehmer/Betriebsrat ....................... 41 VII. Wirkungen der Planvorlage ................... 44 VIII. Planrücknahme ...................................... 46
I.
Überblick; Verhältnis von Schuldner- und Gläubigerschutz
1.
Taktisches Druckmittel
1 In der Eigenverwaltung ist das Planinitiativrecht des Schuldners (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) ein für den Schuldner wichtiges, taktisches Druckmittel. Dazu das nachfolgende Beispiel aus der Praxis (nicht erfunden). 2 Beispiel: Der Schuldner legte einen Entwurf eines in Teilen recht eindeutig rechtswidrigen Insolvenzplans vor. Nach dem Planentwurf sollte bei Zahlungsrückständen betr. die Quote das Wiederaufleben von Forderungen (§ 255 Abs. 1 InsO) ebenso ausgeschlossen sein wie die Titelfunktion des Insolvenzplans (§ 257 Abs. 1 InsO). Nach einigen inhaltlichen Diskussionen überstand der Plan sogar das Vorprüfungsverfahren bei Gericht nach § 231 InsO (kleines Gericht; Richter war nur partiell als Insolvenzrichter tätig). In der Diskussion (der Verf. begleitete den Fall aus Gläubigersicht) bemerkte der Schuldnerberater recht selbstbewusst: „Einen Anspruch auf ganz bestimmte Plan-Inhalte haben die Gläubiger nicht. Wenn das Gericht damit einhergeht, bleibt das so. Sie wissen ja: Die Rechtsmittel sind auch recht stark begrenzt.“ Der hier nur rudimentär wiedergegebene Fall zeigt, dass der Schuldner aufgrund seines Planinitiativrechts in der Lage ist, durch einzelne Formulierungen die Gläubiger „zu ärgern“. Damit stellt das Planinitiativrecht eine Verhandlungsdruckposition dar, die der Schuldner i. R. der Fortschreibung des Insolvenzplans in der Entwurfsphase, d. h. während der Verhandlungen mit Gläubigern, durchaus aus seiner Sicht „druckvoll“ einbringen kann. 3 Da der Insolvenzplan in der praktischen Umsetzung in der Entwurfsphase – in dem Bestreben von Gläubigern und Schuldnern, einen Konsens zu finden – oft diskutiert wird, erlaubt es das Planinitiativrecht, dem Schuldner durch seine „Formulierungshoheit“ diese Verhandlungen recht effektiv zu begleiten. So sind manchmal die Formulierungen des Schuldners ähnlich wie bei Koalitionsverhandlungen im politischen Bereich eine Art Verhandlungspfand („wenn Du, Schuldner, an der Stelle x nachgibst, kommen wir, Gläubiger, Dir an der Stelle y entgegen“). Vor diesem Hintergrund ist das Planinitiativrecht durchaus von praktischer Relevanz. Zu beachten ist dabei das Zusammenspiel der Qualität des Gläubigerausschusses, des Insolvenzgerichts und die recht starke Rechtsmittelbegrenzung nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Insbesondere wenn Gläubigervertreter, (vorläufiger) Sachwalter und/oder Gericht wenig kritisch sind, gibt das Planinitiativrecht dem Schuldner viel Verhandlungsmacht. Da die Formulierung am Anfang des Insolvenzplans steht und viele Formulierungen in praktischer Hinsicht später nicht mehr „gedreht“ werden können, ist aus Gläubigersicht zu empfehlen, sich sehr frühzeitig – möglichst in der Entwurfsphase – mit dem Insolvenzplan zu befassen. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für den (vorläufi-
664
Rendels
§ 24
Planinitiativrecht
gen) Gläubigerausschuss, sondern auch für den (vorläufigen) Sachwalter und möglichst auch für das Insolvenzgericht. 2.
Konkurrierende (Schuldner-)Pläne?
§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter oder der Schuldner zur 4 Vorlage eines Insolvenzplans berechtigt sind. Während des Gesetzgebungsverfahrens zur „Ur-Fassung“ der InsO wurde stark diskutiert, ob und in welchem Umfang konkurrierende Insolvenzpläne zugelassen werden sollten.1) Der Gesetzgeber der „Ur-InsO“ hat dann im Ergebnis zutreffend davon abgesehen, eine Vielzahl konkurrierender Insolvenzpläne zu fördern. Das Insolvenzplanverfahren ist i. d. R. nur dann ein sinnvolles und taugliches Instrument der Restrukturierung, wenn das Verfahren zügig durchgeführt wird. Konkurrierende Pläne hätten zu einer sanierungsfeindlichen Blockade des Verfahrens geführt. Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 7.5.20152) auch die Vorlage eines 5 zweiten Schuldner-Plans nach Art einer bedingten Prozesshandlung „für den Fall der rechtskräftigen Zurückweisung des ersten Plans“ (vgl. Rz. 42 der BGH-Entscheidung) zugelassen. Die bezeichnete Passage der BGH-Entscheidung vom 7.5.2015 dürfte so zu verstehen sein, dass nach Vorstellung des BGH ein (zweiter) Planentwurf – als bedingte Prozesshandlung – für den Fall eingereicht werden kann, dass das Gericht den ersten Plan zurückweist. Theoretisch, so jedenfalls eine mögliche Interpretation der BGH-Entscheidung an der angegebenen Stelle, könnte so eine ganze „Staffel“ von Insolvenzplänen eingereicht werden (wenn nicht Plan 1, dann Plan 2, falls auch nicht Plan 2, dann Plan 3 usw.). Dies wäre, wollte man den BGH so interpretieren, skeptisch zu sehen. Wie die Vorschrift des § 240 InsO zeigt, soll der Schuldner den einen Plan, den er eingereicht hat, bei Fehlern oder sonstigem Anpassungsbedarf ändern. Dies führt m. E. dazu, dass solche zweiten, bedingten Planentwürfe (für den Fall der Zurückweisung des ersten Plans) unzulässig sind, da „Planketten“ entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers und entgegen der Wertung des § 240 InsO die Arbeitsabläufe u. a. des Insolvenzgerichts zu stark belasten würden. Selbst wenn man solche bedingten Zweitpläne (in Form eines Planentwurfs) für zulässig hält, wird man im Zweifel das Schuldnerverhalten dahingehend auslegen müssen, dass der Schuldner nur an dem ersten Plan (gemäß § 240 InsO) arbeitet, keinen zweiten, bedingten Plan vorlegen will. Nach dem Wortlaut des Gesetzes „kann“ der Schuldnerplan mit dem Antrag auf Insol- 6 venzeröffnung verbunden werden (sog. Prepackaged-Plan, vgl. § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO). Eine solche Verbindung ist grundsätzlich sehr zu empfehlen, schon um keine unnötige Zeit zur Restrukturierung zu verlieren. Ein in der Eigenverwaltung eingesetzter Sachwalter hat kein eigenes Planinitiativrecht. 7 Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO kann die Gläubigerversammlung einen „Auftrag“ zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans an den Sachwalter „richten“. Ein eigenes Planinitiativrecht des Sachwalters würde die Zwecke der Eigenverwaltung unterlaufen. Da es bei der Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger kommen darf (vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) und grundsätzlich damit davon auszugehen ist, dass der Schuldner erfahrene und erprobte Berater hat, wird es in den meisten Fällen nicht zu einem Auftrag an den Sachwalter zur Planausarbeitung kommen. Gleichwohl, insbesondere bei kleineren Fällen, sind häufig „gutmütige“ Sachwalter zu beobachten, die dem mehr oder weniger schlecht beratenen Schuldner bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans intensiv helfen (die weniger ___________ 1) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 92; Überblick zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens bei Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 1 ff. 2) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt).
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§ 24
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
gutmütigen Sachwalter versuchen, die Eigenverwaltung durch Nachteilsanzeige gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO zu beenden3)). 8 In der Praxis kann es sinnvoll sein, dass sich der Sachwalter durchaus aktiv in die Entwurfsgestaltung des Insolvenzplans einbringt. In diesem Zusammenhang ist auf die Entscheidung des BGH vom 22.9.2016 zu den Kompetenzen des (vorläufigen) Sachwalters zu verweisen.4) Der BGH hat in der Entscheidung die entsprechende Anwendung des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO im Eröffnungsverfahren bejaht. Damit kann bei beantragter Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren der vorläufige Sachwalter vom vorläufigen Gläubigerausschuss – allerdings nur mit Zustimmung des Schuldners – beauftragt werden, einen Insolvenzplan auszuarbeiten (vgl. LS 2 der BGH-Entscheidung). 9 Einzelne Gläubiger haben kein Planinitiativrecht. Die Gläubigerversammlung kann aber nach § 157 Satz 2 InsO den Insolvenzverwalter beauftragen, einen Insolvenzplan vorzulegen. Dabei kann die Gläubigerversammlung dem Insolvenzverwalter das Ziel des Plans vorgeben (§ 157 Satz 2 InsO; siehe unten Rz. 35 ff.). Liegt ein Auftrag der Gläubigerversammlung vor, hat der Verwalter die Pflicht, „binnen angemessener Frist“ dem Gericht den Insolvenzplan vorzulegen (§ 218 Abs. 2 InsO). 10 Nach US-amerikanischem Recht hat der Schuldner für einen Zeitraum von 120 Tagen ab Antragstellung, der auf Antrag verlängert werden kann, ein exklusives Planinitiativrecht. Diese Überlegungen hat der Gesetzgeber der Ur-Fassung der InsO nicht übernommen. Das US-amerikanische Recht ist stärker vom Gedanken des Schuldnerschutzes geprägt als das deutsche Recht. Dennoch zeigt die Einräumung eines Planinitiativrechts zugunsten des Schuldners, dass schon die Ur-Fassung der InsO den Schuldnerschutz im Vergleich zur Konkursordnung stärken wollte. 11 Die Vorlage des Insolvenzplans hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf den weiteren Ablauf des Insolvenzverfahrens. So müssen wie im Regelinsolvenzverfahren auch bei Planvorlage die Insolvenzforderungen angemeldet und festgestellt werden. Grundsätzlich gelten mit Insolvenzeröffnung auch bei angestrebter oder auch bereits erfolgter Planvorlage alle sonstigen Vorschriften der InsO, z. B. §§ 103 ff. InsO. Zudem wird auch grundsätzlich im Insolvenzplanverfahren in Kombination mit Eigenverwaltung Insolvenzausfallgeld gewährt, was zur Liquiditätsverbesserung beiträgt. II.
Zeitpunkt der Planvorlage, Unternehmensplanung
12 Der Insolvenzplan kann vom Schuldner frühestens zugleich mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegt werden (§ 218 Abs. 1 Satz 2 InsO). 13 Der Insolvenzverwalter kann den Insolvenzplan frühestens mit seiner Amtseinsetzung, d. h. also mit Insolvenzeröffnung vorlegen5) (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO). 14 Trotz (vorläufiger) Eigenverwaltung kann sich aus Sicht des Insolvenzverwalters (Sachwalters) und/oder des Insolvenzgerichts einzelfallabhängig empfehlen, zunächst dem Schuldner eine gewisse „Testphase“ aufzuerlegen. Bei einer frühen Planvorlage ist in der Praxis – auch in der Eigenverwaltung – manchmal festzustellen, dass die Umsatz- und Gewinnerwartungen zunächst zu optimistisch waren. Müssen die Planzahlen, die zu Beginn des Insolvenzplanverfahrens vorgelegt wurden, im Laufe des Erörterungsprozesses zum Insolvenzplan nach unten korrigiert werden, kann dies die Akzeptanz des Insolvenz___________ 3) Zur eher geringen Praxisbedeutung und zu praktischen Schwierigkeiten bei der Nachteilsanzeige vgl. Hedaiat-Rad, Der Sachwalter in der Eigenverwaltung, 2018, Rz. 181 ff. 4) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). 5) Zur Vorbereitung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 218 Rz. 30, 31.
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plans bei den Beteiligten stark beeinträchtigen. Eine gewisse „Testphase“ vor Planeinreichung führt häufig zu realistischeren Planungsprämissen oder zu einem besseren „Gefühl“ für die Standfestigkeit der Unternehmensplanung als die ersten Überlegungen zu Beginn eines Insolvenzverfahrens. Gerade bei beantragter und/oder bewilligter Eigenverwaltung werden die Gläubiger, der 15 Sachwalter und das Insolvenzgericht die dem Insolvenzplan zugrunde liegenden Unternehmensplanungen kritisch prüfen. Ergibt sich während des Verfahrensablaufs, dass die Umsatz- und Gewinnplanung zum Zeitpunkt der Planvorlage später nach unten korrigiert werden muss, kann dies gegen die Annahmefähigkeit des Insolvenzplans oder gar gegen die Eigenverwaltung sprechen. Dies bedeutet, dass bei einer frühen Planvorlage dem Planinitiator grundsätzlich geraten werden kann, konservativ und vorsichtig zu planen. Sind die späteren Ist-Zahlen besser als die ursprünglichen Planzahlen, lässt sich dies leichter „verkaufen“ als eine Korrektur der Planzahlen nach unten (Praktiker-Redewendung „Ist frisst Soll“). Der Grundsatz der vorsichtigen Planung im Zeitpunkt der Einreichung eines Insol- 16 venzplans kann mit dem Ziel kollidieren, bei der Investorensuche möglichst positive Unternehmenszahlen ausweisen zu wollen, um von den Investoren einen hohen Betrag für die Insolvenzmasse zu erhalten. Dieser Zielkonflikt sollte offen mit dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss und/oder wesentlichen Haupt-Gläubigern (auf deren Zustimmung der Planinitiator in der Gläubigerversammlung zur Planabstimmung angewiesen ist) abgestimmt werden. Ist die zu einem frühen Zeitpunkt vorgelegte Planung aus Sicht eines laufenden Investorenprozesses sehr konservativ, droht der Vorwurf der Gläubiger, i. R. eines M&A-Prozesses6) seien vom Schuldner gegenüber den Investoren „die Preise verdorben“ worden. Ist umgekehrt die Umsatz- und Gewinnplanung sehr optimistisch, droht im Abstimmungsprozess zum Insolvenzplan der Einwand, der Plan sei nach der Insolvenz so nicht umsetzbar. Eine gute Planung ist nach Möglichkeit eine „Punktlandung“. Während i. d. R. eine Planvorlage nach Beendigung des Schlusstermins nicht mehr mög- 17 lich ist (§ 218 Abs. 1 Satz 3 InsO), soll für die Genossenschaft gemäß § 116 Nr. 1 GenG nach verbreiteter Literaturmeinung ein abweichender Zeitpunkt gelten.7) Das genossenschaftliche Nachschussverfahren kann nach dem Schlusstermin ablaufen. III.
Initiativrecht des Schuldners
1.
Planvorlagepflicht?
Nach einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung tritt neben die Insolvenzan- 18 tragspflicht möglicherweise auch die Pflicht der Vertretungsorgane der Gesellschaft zur Vorlage eines Insolvenzplans.8) Die Diskussion um diesen Punkt dürfte durch die Neuerungen des ESUG wieder aufleben. Die Diskussion wird weiter auch durch das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren gemäß dem Entwurf der EU-Richtlinie9) zum vorinsol___________ 6) Vgl. dazu unten § 34 Rz. 121 ff., 132 ff. 7) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 14; Terbrack, ZInsO 2001, 1027, 1028 – Besonderheiten wegen des genossenschaftlichen Nachschussverfahrens; vgl. auch Terbrack, Die Insolvenz der eingetragenen Genossenschaft, 1999, S. 123 ff. 8) Vgl. Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375, 380; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 10 m. w. N.; vgl. auch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 12 ff. 9) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM(2016) 723; dazu Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments v. 21.8.2018 mit Änderungsvorschlägen zur Richtlinie, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do? pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bREPORT%2bA8-2018-0269%2b0%2bDOC%2bXML%2b V0%2f%2fDE&language=DE (Abrufdatum: 31.8.2018).
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venzlichen Sanierungsverfahren beeinflusst. Es ist naheliegend, in die Pflichten einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG auch hineinzulesen, dass die verbesserten Chancen nach dem ESUG auf Vorlage eines Insolvenzplans in Kombination mit der Eigenverwaltung auch genutzt werden müssen. Aber selbst wenn man im Einzelfall eine Pflichtverletzung wegen unterlassener Nutzung von Sanierungschancen durch Aufstellung eines Plankonzepts annehmen wollte, wird es schwierig nachzuweisen, welcher Schaden hierdurch verursacht wurde. Immerhin kommt eine Schadenskausalität zumindest dann in Betracht, wenn wesentliche Hauptgläubiger im anschließenden Regressprozess gegen den Geschäftsführer bekunden und bestätigen, mit einem bestimmten Insolvenzplankonzept einverstanden gewesen zu sein. Auch vor diesem Hintergrund kann einem Geschäftsführer oder einem Vorstand nur dringend geraten werden, bei drohender Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig die Perspektiven eines Insolvenzplans in Kombination mit der Eigenverwaltung auszuloten und zumindest vorsorglich eine Planstruktur zu entwerfen (siehe oben § 23 Rz. 28 ff.). 2.
Informationsrechte
19 Die Ausarbeitung und Vorlage eines Insolvenzplans hängt entscheidend davon ab, dass der Schuldner stets und einschränkungslos zu allen Informationen, die für eine Planabfassung notwendig sind, Zugang hat. Im Rahmen der Eigenverwaltung ist dies aus Schuldnersicht kein Problem. Will der Schuldner bei der Regelabwicklung einen Insolvenzplan vorlegen, ist in der Praxis in Einzelfällen zu beobachten gewesen, dass der Schuldner nicht immer die notwendige Unterstützung des Insolvenzverwalters erhält. Grundsätzlich wird man dem Schuldner in der Regelinsolvenz einen Informationsanspruch gegen den Insolvenzverwalter zubilligen müssen, da anderenfalls das Planinitiativrecht nicht ausgeübt werden könnte. Es sollte selbstverständlich sein, dass der Schuldner und seine Berater im Regelinsolvenzverfahren bei einer beabsichtigten Insolvenzplanvorlage einschränkungslos Zugang zu allen Unternehmensdaten und sonstigen Sachverhalten erhalten. In Fällen einer vom Insolvenzgericht abgelehnten oder beendeten (vorläufigen) Eigenverwaltung ist es dem Schuldner i. d. R. – aus faktischen Gründen – wegen Informationssperren und/oder Kostentragungsfragen oft nicht mehr möglich, einen Insolvenzplan effektiv auszuarbeiten und vorzulegen. Aus Gläubigersicht bestehen in der Eigenverwaltung oft Informationsdefizite, insbesondere zur Verprobung der Plan-Vergleichsrechnung.10) 3.
Kostentragung
20 Der ESUG-Gesetzgeber wollte bekanntlich die Eigenverwaltung und damit die Schuldnerposition stärken. Jedenfalls soweit eine vorläufige Eigenverwaltung nach §§ 270a, 270b InsO angeordnet wird, wird man dem Schuldner einen Anspruch auf Ersatz und „Selbstbewilligung“ angemessener Beratungskosten zur Vorbereitung und Durchführung der Sanierung – auch für die Zeit nach Insolvenzantragsstellung – zuerkennen müssen. Daraus folgt, dass der vorläufige Sachwalter, jedenfalls solange die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, der Entnahme angemessener Beratungskosten für die Schuldnerberatung grundsätzlich i. R. von § 270b Abs. 2 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 275 Abs. 1 InsO – ohne die spätere Möglichkeit zur Insolvenzanfechtung – zustimmen muss.11) Anderenfalls würden Sinn und Zweck der §§ 270a, 270b InsO ebenso unterlaufen wie der grundsätzlich gegebene „Anspruch“ auf eine Eigenverwaltung (vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO, wonach die Anordnung der Eigenverwaltung voraussetzt, dass keine Umstände bekannt ___________ 10) Vgl. dazu Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 697, 699, und Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1372 ff. 11) Nach Hölzle, ZIP 2012, 855, 856, liegt betr. die Planerstellungskosten schon kein Fall eines außergewöhnlichen Geschäfts i. S. des § 275 Abs. 1 InsO vor, was auf das gleiche Ergebnis hinausläuft.
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sind, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen). Allerdings hat die Praxis seit Inkrafttreten des ESUG gezeigt, dass es oft Fälle gibt, in denen i. R. einer sinnlosen Eigenverwaltung – bei fehlenden Sanierungsaussichten – nur Geld „verbraten“ wird. In Anlehnung an Standards ortsgemäßer Sanierung muss deshalb vom (vorläufigen) Sachwalter und/oder dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss überwacht werden, dass die Berater des Schuldners i. R. der Eigenverwaltung planvoll vorgehen (siehe zu Mandatsinhalt und Organisationspflichten betr. Arbeitsteilung auch oben § 23 Rz. 22a ff.)12) Um etwaige Insolvenzanfechtungsrisiken für das Beraterhonorar auszuschließen, sei dem 21 Berater vor Insolvenzeröffnung auch im Bereich von §§ 270a, 270b InsO empfohlen, nur i. R. eines Bargeschäfts i. S. des § 142 InsO tätig zu werden.13) Für das Regelinsolvenzverfahren hat der BGH entschieden, dass der Schuldner keinen 22 gesetzlichen Anspruch auf Erstattung der durch die Planerstellung entstehenden Kosten hat.14) Für die Eigenverwaltung oder das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach §§ 270a, 270b InsO kann diese Rechtsprechung schon aus dogmatischen Gründen nicht gelten, da in den genannten Fällen der Schuldner – auch im vorläufigen Verfahren – weiter verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt. Aber auch im Regelinsolvenzverfahren wird man dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter ein Ermessen einräumen müssen,15) dem Schuldner die Erstattung von Beratungskosten zuzubilligen, sofern konkrete Aussichten für eine Insolvenzplanlösung bestehen, die eine höhere Gläubigerbefriedigung als im Regelinsolvenzverfahren erwarten lässt. Da die Bewilligung von Beratungskosten grundsätzlich eine Geschäftsführungsmaßnahme des Insolvenzverwalters darstellt, dürfte jedenfalls grundsätzlich auch kein Fall des § 160 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 InsO gegeben sein.16) Teilweise wird i. R. der Regelinsolvenz hierzu vertreten, der (vorläufige) Insolvenzverwalter dürfe keine Kostenerstattung für die Schuldnerberatung zubilligen, sondern müsse selbst einen Insolvenzplan vorlegen.17) Da aber auch die Planerstellung durch den Insolvenzverwalter Zuschlagsfaktoren nach der InsVV auslöst, ist die Auffassung vorzuziehen, wonach im Regelinsolvenzverfahren die Bewilligung der Kostenerstattung zugunsten des Schuldners im Ermessen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters liegt. 4.
Mitwirkung Dritter
§ 218 Abs. 3 InsO regelt zwar grundsätzlich, dass – nur – bei der Aufstellung eines Insol- 23 venzplans durch den Insolvenzverwalter der Gläubigerausschuss und der Betriebsrat beratend mitwirken. Faktisch muss aber auch der Schuldner vor Einreichung des von ihm abgefassten Insolvenzplans berücksichtigen, dass spätestens das Insolvenzgericht nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 – 3 und § 232 Abs. 2 InsO einen nach § 231 InsO zugelassenen Insolvenzplan weiteren Verfahrensbeteiligten zur Stellungnahme zuleitet. Dazu gehört ein etwaig bestellter Gläubigerausschuss oder, sofern vorhanden, der Betriebsrat. Weiter ist nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Schuldnerplan dem Insolvenzverwalter (oder ggf. dem Sachwalter) zur Stellungnahme zuzuleiten.18) Der Schuldner, der von seinem Planinitiativ___________ 12) Zum Schutz der Insolvenzmasse bei der Eigenverwaltung durch Honorarkriterien vgl. Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577. 13) Zur 30-Tage-Grenze vgl. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232, dort auch Rz. 24, 25: kein Bargeschäft bei nutzloser Beratungsleistung (!); dazu EWiR 2008, 409 (Freudenberg). 14) BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232, Rz. 21; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 22 ff.; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 218 Rz. 15; Otte, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 63. 15) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 26. 16) Einschränkender als hier zu den Beratungskosten Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 599 ff., 614. 17) Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 4a. 18) Zu den Pflichten des (vorläufigen) Sachwalters in Bezug auf den Schuldner-Insolvenzplan vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 525 ff.
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recht Gebrauch machen will, ist deshalb grundsätzlich gut beraten, wenn er zu einem frühen Zeitpunkt die genannten weiteren Beteiligten i. S. des § 232 Abs. 1 Nr. 1, 3 InsO in die Abfassung des Insolvenzplans einbezieht. Im Einzelfall – dies sollte vorab mit dem Insolvenzgericht abgestimmt werden – kann auch das Verfahren nach § 232 InsO zur Einholung von Stellungnahmen abgekürzt werden, wenn der Schuldner zugleich mit der Vorlage des Insolvenzplans die Stellungnahmen der in § 232 Abs. 1 und Abs. 2 InsO genannten Stellen beifügt. Die Beifügung solcher wohlwollenden Stellungnahmen kann zudem die Vorprüfung nach § 231 InsO abkürzen oder erleichtern.19) 5.
Verzahnung des Insolvenzplans mit Investorenlösung?
24 In taktischer Hinsicht, auch zum richtigen Zeitpunkt der Vorlage des Insolvenzplans, ist zu beachten, dass eine etwaig angestrebte Investorenlösung und der Inhalt des Insolvenzplans grundsätzlich in vielen Bereichen deckungsgleich sein müssen. Das gilt jedenfalls, wenn der Investor die Plan-Lösung nicht ersetzen soll, sondern die Findung eines Investors der Plan-Umsetzung dient.20) 25 Beispiel: Im Insolvenzplankonzept (zur Vorbereitung und Aufstellung vgl. oben § 23 Rz. 28 ff.) ist vorgesehen, dass die Quote von ca. 12 % durch einen Investorendrittzuschuss gespeist werden soll. Der Investorenprozess zur Vorbereitung der Abtretung von 90 % der Gesellschaftsanteile an den Investor i. R. eines Insolvenzplans ist noch nicht abgeschlossen. Der Investor A will den Drittzuschuss mittels eines nur während der Planüberwachungsphase zins- und tilgungsfreien nachrangigen Darlehens leisten. Hier droht, dass sich der Schuldner durch spätere Darlehensrückzahlung zulasten der Stabilität des Geschäftsbetriebs „selbst bezahlt“! Der Investor B will den Drittzuschuss in die freie Rücklage leisten. Die Verhandlungen mit beiden Investoren sind nicht abgeschlossen. Beide Investoren haben noch Fragen zu Kundenkontakten und Probleme mit ihrer jeweiligen Refinanzierung. 26 Im Beispielsfall kann es (je nach Einzelfall) gemäß § 220 Abs. 2 InsO für die Formulierung des darstellenden Teils zur Finanzierung und Aufbringung der Planquote von Bedeutung sein, den weiteren Ablauf des Investorenprozesses abzuwarten. Der Planverfasser wird im o. g. Beispielsfall im darstellenden Teil gemäß § 220 Abs. 2 InsO genauer darlegen müssen, ob die Planquote durch eine Darlehensgewährung oder durch einen Zuschuss in das Eigenkapital sichergestellt wird. Die angesprochenen Fragen zur Refinanzierung und der Bonität der Investoren sind eventuell für die Planannahme so wichtig, dass der Plan insoweit noch nicht endgültig abgefasst werden kann21). Im Zweifel sind die Unterschiede der beiden Investorenkonzepte für die Gläubiger von erheblicher Bedeutung und der Planverfasser muss im darstellenden Teil Erläuterungen hierzu geben. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die förmliche Einreichung des Insolvenzplans so lange zurückgestellt werden sollte, bis der Investorenprozess abgeschlossen ist. Manchmal ist in der Praxis als Taktik der Eigenverwaltung zu beobachten, dass „ganz schnell“ ein bedingter Plan (§ 249 InsO) eingereicht werden soll. „Einzige“ Bedingung: Spätere Findung eines Investors. Diese Reihenfolge – erst Planannahme, dann Investorensuche – hat aus Schuldnersicht oft nur den Zweck, „hinter den Kulissen“, nach erfolgter Planannahme, mög___________ 19) Nach BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, Rz. 7 = NZI 2017, 751, hat der BGH diese Frage nicht insgesamt entschieden. Der BGH hat aber immerhin zugelassen, im Zusammenhang mit einem zu erwartenden Minderheitenschutzantrag, dass das Insolvenzgericht vor der Entscheidung nach § 231 InsO eine „Anhörung […] ausschließlich zur Vorbereitung […] der Entscheidung nach § 231 InsO“ durchführen darf; vgl. dazu Madaus, NZI 2017, 752. 20) Zum sog. Dual-Track ggf. als Rückfallposition anstelle des Insolvenzplans vgl. unten § 34 Rz. 132 ff.; vgl. auch Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1371, und Nerlich, in: FS Prütting, 2018, S. 717 ff. 21) Zu Anforderungen an den darstellenden Teil vgl. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 33.
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lichst zum eigenen Vorteil die Investorenlösung zu „stricken“. Aus Gläubigersicht gilt also, dass sich die Gläubiger die verbindlichen Inhalte der Investorenlösung exakt ansehen sollten, bevor sie dem Plan zustimmen.22) Häufig machen Investoren die Übernahme der Gesellschaftsanteile und die Leistung eines 27 Planzuschusses von bestimmten Erklärungen der Steuerbehörden abhängig. Weiter kann es im Einzelfall so sein, dass die Investorenleistungen nur fließen, wenn bestimmte Sanierungsmaßnahmen (z. B. ein Sanierungstarifvertrag oder eine Einigung mit einer Leasinggesellschaft) rechtswirksam abgeschlossen sind. Gelingt die rechtswirksame Herbeiführung der Sanierungsmaßnahmen im Vorfeld der Insolvenzplaneinreichung nicht, ist es denkbar, dass der gestaltende Teil Bedingungen definiert, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans erfüllt sein müssen (vgl. § 249 InsO). Diese Bedingungen des gestaltenden Teils müssen im Zweifel deckungsgleich mit den ausverhandelten Forderungen des Investors sein, damit es nicht zu einer „Lücke“ zwischen Planinhalt und Investorenkonzept kommt. Mithin kann es im Einzelfall erforderlich sein, die Planeinreichung zurückzustellen, bis die Investorenlösung durch alle erforderlichen Sanierungsmaßnahmen abgesichert ist. Dabei ist in taktischer Hinsicht davor zu warnen, zu viele offene Punkte des Restruktu- 28 rierungskonzepts und des Insolvenzplans in Planbedingungen nach § 249 InsO zu transportieren. Letztlich müssen die Planbedingungen ohnehin erfüllt werden, so dass zahlreiche Insolvenzplanbedingungen nur ein Signal dafür sind, dass drängende Probleme noch nicht abgearbeitet sind. Dies kann dafür sprechen, vor Ausnutzung des Planinitiativrechts zunächst offene Sanierungsmaßnahmen abzuarbeiten und die Investorenlösung zu konkretisieren. Es nutzt nichts, wenn der Insolvenzplan schnell eingereicht wird, dann aber bei der Abarbeitung der Planbedingungen die Sanierung scheitert. 6.
Vertretungsverhältnisse; Gesellschafter-Rechte?
Ist der Schuldner eine juristische Person, so gelten grundsätzlich die allgemeinen Vertre- 29 tungsgrundsätze des Handels- und Gesellschaftsrechts für die Planvorlage.23) Der Insolvenzplan muss deshalb – sofern mehrere Geschäftsführer nur gesamtvertretungsbefugt sind – von allen Geschäftsführern unterschrieben werden. Die Sonderregelungen des § 15 Abs. 1 – 3 InsO zur Insolvenzantragstellung, wonach für das Insolvenzantragsrecht zum Teil von den allgemeinen Vertretungsregeln abweichende Grundsätze greifen, gelten für das Planinitiativrecht nicht. Bei mehreren alleinvertretungsbefugten Mitgliedern des Vertretungsorgans ist zu beachten, dass der Schuldner nur einmal nach § 218 Abs. 1 InsO zur Planvorlage berechtigt ist.24) Zum Teil wird deshalb vertreten, die Mitglieder des Vertretungsorgans seien trotz grundsätzlicher Einzelvertretungsbefugnis nur gemeinschaftlich vorlageberechtigt.25) Dem wird man aber entgegnen müssen, dass es i. R. des § 218 InsO zwar bei den allgemeinen Vertretungsregeln des Handelsrechts, d. h. der Einzelvertretungsbefugnis, verbleibt. Mit erster Planvorlage ist aber das Vorlagerecht des Schuldners verbraucht. Die erste Vorlage eines Plans durch ein alleinvertretungsbefugtes Organmitglied schließt weitere Planvorlagen der anderen Organmitglieder aus. Ist die Schuldnerin eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit bzw. eine Personenge- 30 sellschaft (also z. B. OHG, KG, GbR), entfällt mit der Insolvenzeröffnung die bisherige Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafter (vgl. § 145 Abs. 1 HGB, § 730 ___________ 22) Großzügiger unten § 34 Rz. 128 ff., wonach ggf. indikatives Angebot genügt; vgl. auch Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1373. 23) Zu den Vertretungsverhältnissen und der Abgrenzung von Gesellschafterkompetenzen vgl. Beck/ Pechartscheck, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 7 ff. 24) Vgl. Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 4. 25) Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 4.
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3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
Abs. 2 Satz 2 BGB). In diesem Fall können deshalb bei den genannten Gesellschaften nur noch alle Gesellschafter gemeinschaftlich einen von ihnen unterzeichneten Insolvenzplan vorlegen.26) 31 Gerade während der Phase der Abstimmung etwaiger Planänderungen mit dem Insolvenzgericht (z. B. nach Einreichung der ersten Planversion) sollte immer gewährleistet sein, dass vertretungsbefugte Personen des Planinitiators zur Unterzeichnung eines geänderten Plans greifbar sind. Dementsprechend ist eine ausreichende Schuldnervertretung im Erörterungs- und Abstimmungstermin sicherzustellen, damit der Plan ggf. im Termin gemäß § 240 InsO geändert werden kann. Der Berater, der im Abstimmungs- und Erörterungstermin auftritt, muss eine entsprechende Vollmacht vorlegen können. 32 Wie insbesondere der Fall „Suhrkamp“ gezeigt hat, kann die Abgrenzung der Rechte der Geschäftsführung zu den Rechten der Gesellschafter – speziell der Gesellschafterversammlung – im Zusammenhang mit dem Planinitiativrecht schwierig werden. Wird der Insolvenzplan zum „Herauswurf-Instrument“ zugunsten des Mehrheitsgesellschafters und zulasten des Minderheitsgesellschafters? Jedenfalls in dem Moment, in dem eine Insolvenzantragspflicht besteht, fällt die Stellung des Insolvenzantrags grundsätzlich in die Kompetenz der Geschäftsführung. Schließlich ist die Insolvenzverschleppung strafrechtlich sanktioniert, so dass es die eigene Entscheidungsbefugnis – ab eingetretener Insolvenzreife – der Geschäftsführung sein muss, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird oder nicht. Gleichwohl ist zu beachten, dass vor Insolvenzantragstellung, sofern auch nur der „Hauch“ einer Sanierungschance besteht, die Gesellschafterversammlung einberufen werden sollte.27) Die Gesellschafter sollten vor Insolvenzantragstellung über die notwendige Insolvenzantragstellung informiert werden und die Gelegenheit haben, einen Insolvenzgrund gegenzuprüfen und die Insolvenzgründe ggf. – z. B. durch finanzielle Zuwendungen – auszuräumen. Auch bei Insolvenzreife muss sich deshalb die Geschäftsführung – ggf. durch Einberufung der Gesellschafterversammlung – mit den Gesellschaftern abstimmen, sofern Reaktionsmöglichkeiten der Gesellschafter zur Beseitigung der Insolvenzreife theoretisch denkbar sind. Bei Publikumsgesellschaften mit einer Vielzahl von Anteilseignern wird – abhängig von der Rechtsform im Einzelfall und der Satzung der Gesellschaft – eine solche Einberufung der Gesellschafterversammlung bei Insolvenzreife ggf. unmöglich sein. IV.
Initiativrecht des Insolvenzverwalters
33 Neben dem Schuldner hat nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO der Insolvenzverwalter28) ein weiteres, originäres Planinitiativrecht. Auch aus Schuldnersicht kann im Einzelfall – bei guter Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter – die Planvorlage durch den Insolvenzverwalter sinnvoll sein. Der Insolvenzverwalter kann oft Sanierungsmaßnahmen mit geringeren Rücksichtnahmepflichten als der Schuldner aushandeln (siehe auch unten Rz. 42, 43). Der Insolvenzverwalter kann einen Plan vorlegen, sobald er bestellt ist. Zu einem Abwarten bis zum Berichtstermin ist er nicht verpflichtet. In vielen Fällen wird es naheliegen, einen Planvorschlag vor dem Berichtstermin vorzulegen und mit wesentlichen Gläubigern vorher abzustimmen. Im Einzelfall, wenn konkrete Sanierungschancen nur durch zügige Vorlage eines Insolvenzplans bestehen, mag es denkbar sein, dass der Insolvenzverwalter die Pflicht hat, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und zeitnah (vor der ___________ 26) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 9. 27) Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 4. 28) Zur Vorbereitung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 218 Rz. 30, 31.
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Gläubigerversammlung und ohne Vorliegen einer Weisung nach § 157 Satz 2 InsO) vorzulegen.29) Allerdings dürfte es – wie auch bei einer Verletzung einer etwaigen Sanierungspflicht durch die Geschäftsführung (siehe Rz. 18) – im Einzelfall schwierig sein, einen kausalen Schaden wegen dieser Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen. In einem (deutschen) Sekundärinsolvenzverfahren hat der (aus deutscher Sicht auslän- 34 dische) Hauptinsolvenzverwalter nach Art. 47 Abs. 1 EuInsVO ein Planinitiativrecht.30) Er kann ferner im aus deutscher Sicht inländischen Sekundärinsolvenzverfahren an Gläubigerversammlungen teilnehmen und so auf einen Planauftrag an den Sekundärverwalter hinwirken. V.
Auftrag der Gläubigerversammlung (§ 157 Satz 2 InsO)
Anders als im Gesetzgebungsverfahren zur „Ur“-InsO diskutiert, haben – richtigerweise – 35 einzelne Gläubigergruppen, einzelne Gläubiger oder Gesellschafter kein eigenes Planinitiativrecht. Konkurrierende Insolvenzpläne würden das Verfahren stark blockieren und damit die Sanierungschancen erheblich beeinträchtigen. Allerdings hat die Gläubigerversammlung nach § 157 Satz 2 InsO die Möglichkeit, dem 36 Insolvenzverwalter aufzuerlegen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und vorzulegen. Dabei können auch Planziele vorgegeben werden. § 157 Satz 2 InsO enthält damit einen der seltenen Fälle eines Weisungsrechts der Gläubigerversammlung gegenüber dem Insolvenzverwalter. Unter einer solchen Zielvorgabe wird man sich grundsätzlich nur ungefähre Vorgaben, wie etwa die Aufgabe, einen Stilllegungsplan oder einen Fortführungsplan auszuarbeiten, vorstellen können. Einzelheiten der Ausarbeitung eines Plans wird eine Gläubigerversammlung schon deshalb kaum vorgeben können, weil diese Einzelheiten häufig erst i. R. der Kommunikation mit einzelnen Gläubigergruppen oder sonstigen Entscheidungsträgern (insbesondere der Belegschaft) weiter verdichtet werden können. Unter der Zielvorgabe i. S. des § 157 Satz 2 InsO ist deshalb nur die Vorgabe eines vorläufigen Rahmens zu verstehen.31) Speziell die Vorschrift des § 22a InsO zum vorläufigen Gläubigerausschuss eröffnet den 37 Gläubigern neue strategische Optionen auch mit Blick auf die Inhalte eines Insolvenzplans. Durch diese Neuregelung des ESUG haben die Gläubiger die Möglichkeit, sich sehr frühzeitig zu den Planinhalten einzubringen. Theoretisch sind drei konkurrierende Pläne denkbar:
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Ein Plan des Insolvenzverwalters, der von seinem originären Initiativrecht Gebrauch macht,
ein vom Schuldner vorgelegter Plan und
ein Plan, den die Gläubigerversammlung dem Insolvenzverwalter vorgegeben hat.
Da grundsätzlich nur ein Insolvenzplan sinnvoll ist, der in einer Gläubigerversammlung 39 mehrheitsfähig ist, wird man bei konkurrierenden Plänen oder Planabsichten grundsätzlich den Zielen der Gläubigerversammlung Vorrang einräumen müssen. Sind Schuldner und/oder Insolvenzverwalter mit den Vorgaben einer Gläubigerversammlung nicht einverstanden, muss evtl. versucht werden, eine erneute Gläubigerversammlung einzuberufen, die die Entscheidung nach § 157 Satz 3 InsO korrigiert. Kommt weiter in Betracht, dass ___________ 29) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 36 f.; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 12. 30) Weiterführend Commandeur, in: Nerlich/Römermann, InsO, Art. 47 EuInsVO. 31) Vgl. Wegener, in: Wimmer, InsO, § 157 Rz. 2 ff.; str., vgl. dazu Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 14 – genaue Zielvorgabe hiernach zulässig, ggf. Änderung der Zielvorgabe durch erneute Gläubigerversammlung.
Rendels
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§ 24
3. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative
durch eine Gruppenbildung im Abstimmungstermin über den Insolvenzplan andere Mehrheiten entscheiden als i. R. des § 157 Satz 2 InsO, ist das Recht anzuerkennen, die konkurrierenden Insolvenzpläne weiterzuverfolgen. Haben sich in einer Gläubigerversammlung zufällig Mehrheiten gebildet, die ein unsinniges Ziel nach § 157 Satz 2 InsO vorgeben, kommt auch eine Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht nach § 78 InsO in Betracht. Ergibt sich bei dem Versuch, das Ziel der Gläubigerversammlung umzusetzen, ein neuer Sachverhalt, sollte in jedem Fall eine neue Gläubigerversammlung einberufen werden, um eine Änderung nach § 157 Satz 3 InsO herbeizuführen. 40 Wegen des Weisungsrechts der Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 2 InsO dürfte die Befugnis der Gläubigerversammlung anzuerkennen sein, den Verwalter anzuweisen, von der Vorlage eines konkurrierenden eigenen Insolvenzplans Abstand zu nehmen.32) VI.
Arbeitnehmer/Betriebsrat
41 Den Arbeitnehmern oder Arbeitnehmervertretern steht kein eigenes Planinitiativrecht zu. Jedoch muss jeder Planinitiator berücksichtigen, dass der Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem Betriebsrat zur Stellungnahme zugeleitet werden muss. In einer Vielzahl von Fällen werden die Sanierungsmaßnahmen mit Personaleinschnitten einhergehen. Es dürfte sich deshalb grundsätzlich empfehlen, frühzeitig die Insolvenzplanstruktur und insbesondere die Personalmaßnahmen mit dem Betriebsrat und/oder Arbeitnehmervertretern auf der Grundlage eines Planentwurfs abzustimmen. 42 Insbesondere kann ein koordiniertes Vorgehen von Schuldner und Arbeitnehmervertretern dazu führen, dass ein Insolvenzplankonzept auch ohne Zustimmung ggf. die Eigenverwaltung/den Plan ablehnender einzelner Großgläubiger umgesetzt werden kann oder andere, zunächst skeptische Gläubiger sich dann doch von der Planlösung überzeugen lassen. Nur bei enger Abstimmung mit der Belegschaft wird im Regelfall ein hinreichend rechtlich abgesichertes Sanierungskonzept vorliegen, sofern (wie regelmäßig) Personalmaßnahmen zur Sanierung erforderlich sind. Ist die Belegschaft bereit, einzelne arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen nur im Falle einer Insolvenzplanlösung zu akzeptieren, kann i. R. der Vergleichsrechnung dargelegt werden, dass das Insolvenzplanverfahren gegenüber der Regelabwicklung zu einer höheren Gläubigerbefriedigung führt. So könnten z. B. Schuldner und Arbeitnehmerschaft erwägen, einzelne arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen unter die auflösende Bedingung des Scheiterns der Planrechtskraft zu stellen. Der Schulterschluss zwischen Schuldner und Arbeitnehmern kann deshalb in der Eigenverwaltung von gegenseitigem Vorteil sein: Der Schuldner stärkt sein Planinitiativrecht und die Arbeitnehmer können – evtl. im Einzelfall auch schmerzhafte – Personalmaßnahmen besser mitbestimmen und kalkulieren als im Fall einer Betriebsschließung oder einer übertragenden Sanierung im Regelinsolvenzverfahren. Oft lässt sich – aus Arbeitnehmersicht – der Personalabbau in Abstimmung mit dem bisherigen Rechtsträger, dem Schuldner, besser steuern als mit einem unbekannten Investor i. R. eines Regelinsolvenzverfahrens. 43 Der hiermit empfohlene Schulterschluss zwischen Belegschaft und Planinitiator darf aber nicht dazu führen, dass die Personalmaßnahmen für eine nachhaltige Sanierung unzureichend sind. Gerade die Eigenverwaltung birgt die latente Gefahr, dass aus Rücksichtnahme die Personaleinschnitte zu knapp bemessen werden.
___________ 32) Vgl. zum Streitstand Decker, in: HambKomm-InsO, § 157 Rz. 11.
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§ 24
Planinitiativrecht VII. Wirkungen der Planvorlage
Grundsätzlich besteht die einzige Wirkung der Planvorlage darin, dass die Prüfungs- und 44 Verfahrenspflichten des Gerichts ausgelöst werden (§§ 231, 232, 234, 235 – 253 InsO). In Einzelfällen – in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht – ist zu empfehlen, zunächst nur einen Planentwurf einzureichen, um den Entwurf mit dem Gericht ohne Fristendruck zu diskutieren. Die frühzeitige Kommunikation auch mit dem Gericht auf der Grundlage eines Planentwurfs – vor Einleitung des förmlichen Verfahrens – vermeidet Missverständnisse, ggf. sogar eine Zurückweisung nach § 231 InsO und schafft eine freundliche Atmosphäre (zur Kommunikation siehe Rz. 23). Nach § 233 Satz 1 InsO ordnet das Gericht auf Antrag des Planinitiators die Aussetzung 45 der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse an, soweit dadurch die Durchführung des vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde. Nach § 30d Abs. 2 ZVG kann der Schuldner, der einen Insolvenzplan vorgelegt hat, der nicht nach § 231 InsO zurückgewiesen wurde, die Einstellung der Zwangsversteigerung beantragen. Nach § 30d Abs. 4 ZVG ist im Insolvenzantragsverfahren zur Einstellung der Zwangsversteigerung grundsätzlich der vorläufige Insolvenzverwalter antragsberechtigt, im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung der Schuldner.33) VIII. Planrücknahme Das Recht zur Planrücknahme ist Ausfluss des Planinitiativrechts und steht deshalb dem 46 Planinitiator zu. Eine Planrücknahme kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Planänderungen nach § 240 InsO zur Behebung von Plandefiziten nicht mehr ausreichen, die Planbestätigung nicht zu erwarten ist oder verzögernde Rechtsbehelfe drohen. Denkbar ist weiter, dass sich vereinzelt vor Eintritt der Rechtskraft erhebliche Durchführungsprobleme ergeben, die der Planinitiator mit der Planrücknahme vermeiden will. Umstritten ist, bis zu welchem Zeitpunkt der Insolvenzplan zurückgenommen werden 47 kann.34) Teilweise wird auf eine Zulässigkeit der Rücknahme bis zum Beginn des Abstimmungstermins abgestellt.35) Andere lassen die Rücknahme bis zum Ende der Abstimmung zu.36) Richtig dürfte sein, die Rücknahme – auch nach Bestätigung des Insolvenzplans – bis vor Eintritt der Rechtskraft zuzulassen.37) Solange der Bestätigungsbeschluss zum Insolvenzplan nicht rechtskräftig ist, entfaltet der gestaltende Teil des Insolvenzplans keinerlei Wirkung. Als Ausfluss des Planinitiativrechts ist deshalb bis zu diesem Zeitpunkt ein Rücknahmerecht des Plan-Einreichers anzuerkennen. Die Gläubigergemeinschaft hat keinen Anspruch darauf, dass ein Insolvenzplan, über den abgestimmt wurde, der aber noch nicht rechtskräftig ist und deshalb keine Wirkungen entfaltet, vom Planinitiator aufrechterhalten wird. Infolge der starken Eingrenzung der Rechtsmittel durch das ESUG dürfte eine taktische Rücknahme, um einem Rechtsmittel zuvorzukommen, jedoch an Bedeutung verlieren.
___________ 33) Zum Spannungsverhältnis Insolvenzplan/Immobiliarvollstreckung instruktiv Cranshaw, ZfIR 2017, 690 ff. 34) Zusammenfassend Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 12; nach BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, ZInsO 2007, 713, ist zumindest die Rücknahme nach Abstimmung vor Planbestätigung zum Zwecke erneuter Abstimmung über einen neuen Plan zulässig; in diesem Fall ist die erneute Ladung zu einem neuen Erörterungs- und Abstimmungstermin nach Rücknahme erforderlich. 35) Vgl. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 12. 36) Vgl. Pleister, in: KPB, InsO, § 235 Rz. 9. 37) Beck/Pechartscheck, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 32.
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B. Inhalt des Insolvenzplans § 25 Darstellender Teil des Insolvenzplans Geiwitz/Schneider
I. Aufbau des Insolvenzplans ........................ 1 II. Grundsätzliche Ziele, Art und Regelungsstruktur des Insolvenzplans ........... 10 III. Gruppenbildung ....................................... 13 1. Allgemeines ................................................ 13 2. Befriedigungsaussicht der Beteiligten....... 16 3. Berechnung der Quoten bei Regelabwicklung ..................................................... 18 3.1 Insolvenzgläubiger ........................ 18 3.2 Überschusszahlungen an die Gesellschafter ................................ 23 3.3 Zahlungen bei Planbestätigung .... 24 3.3.1 Insolvenzgläubiger ........................ 24 3.3.2 Gesellschafter ................................ 25 IV. Umgestaltungskonzept ............................ 26 1. Unternehmensdaten .................................. 26 1.1 Organisatorische und rechtliche Verhältnisse........................... 27 1.2 Aktuelle Arbeitnehmersituation ......................................... 33 1.3 Wirtschaftliche Verhältnisse......... 39 1.3.1 Ertragslage ..................................... 39 1.3.2 Vermögens- und Finanzlage ......... 40 2. Insolvenzursache........................................ 45 3. Sanierungsmaßnahmen .............................. 48
3.1 3.1.1
Organisatorische Maßnahmen ..... 52 Maßnahmen in der Aufbauorganisation ................................... 54 3.1.2 Maßnahmen in der Ablauforganisation ................................... 57 3.2 Leistungswirtschaftliche Maßnahmen........................................... 60 3.2.1 Verwaltung..................................... 63 3.2.2 Produktion..................................... 64 3.2.3 Einkauf........................................... 68 3.2.4 Vertrieb .......................................... 74 3.3 Finanzwirtschaftliche Maßnahmen........................................... 80 3.3.1 Sanierungseffekte aus dem Insolvenzrecht........................................ 82 3.3.2 Eigenkapitalerhöhung ................... 85 3.3.3 Fremdkapitalerhöhung ................. 90 4. Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (§ 229 InsO) ........................... 94 V. Steuerrechtliche Verhältnisse ................. 97 1. Forderungsverzicht.................................... 99 2. Kapitalerhöhung....................................... 105 VI. Geheimhaltungserfordernisse und Auswirkung auf den Insolvenzplan ..... 108
Literatur: Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen (ISU), Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte – MaS, 2. Aufl., 2012; Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 2012.
I.
Aufbau des Insolvenzplans
1 Ein Insolvenzplan besteht zwingend aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil (§ 219 InsO). Um den Beteiligten den benötigten wirtschaftlichen Freiraum zu gewähren, hat sich der Gesetzgeber in den §§ 217 ff. InsO darauf beschränkt, nur die Rahmenbedingungen festzulegen. 2 Im darstellenden Teil (§ 220 InsO) sollen das Gericht und die Beteiligten über das Ziel und die Regelungsstruktur des Planverfahrens informiert werden. Gleichzeitig soll offengelegt werden, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Somit müssen alle für die Entscheidungsfindung der Gläubiger relevanten Informationen vollständig und richtig in diesem Bestandteil des Insolvenzplans wiedergegeben werden.1) Unzureichende oder fehlerhafte Informationen im darstellenden Teil können zu einer Versagung des Insolvenzplans führen.2) Der gestaltende Teil (§ 221 InsO) legt die Änderungen der Rechtsstellung der Beteiligten dar und somit den vollstreckbaren Inhalt des Plans fest. ___________ 1) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 219 Rz. 6. 2) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/Körner).
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
§ 25
Eine weitere Gliederung des Plans fordert das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber hat bewusst 3 davon Abstand genommen, bereits diesen Teil des Planverfahrens an hohe formale Anforderungen zu koppeln. Adressaten sind das Insolvenzgericht, die Gläubiger, der Schuldner, die Gesellschafter, ein möglicherweise vorhandener Betriebsrat (§ 235 Abs. 3 InsO), ein Sprecherausschuss der leitenden Angestellten sowie amtliche Berufsvertreter.3) Für diese sollte der darstellende Teil klar, verständlich und auf die wesentlichen Informationen beschränkt verfasst werden. Von juristischen und betriebswirtschaftlichen Fachbegriffen sollte Abstand genommen werden. Betreffend den Aufbau des darstellenden Teils empfiehlt es sich, den Gliederungsvor- 4 schlag nach IDW S 24) zu verwenden. Diese Grundgliederung wird von der Praxis regelmäßig verwendet und eröffnet somit bei den insolvenzrechtsbewanderten Adressaten des Plans einen Wiedererkennungswert, wodurch eine erhöhte Chance auf Akzeptanz des Plans gegeben ist.5) Die Gliederung nach IDW S 2 erfolgt dabei in fünf Abschnitten. Die ersten drei Abschnitte stellen das Kernstück des darstellenden Teils des Insolvenzplans dar: Die grundsätzlichen Ziele, die Art und die Regelungsstruktur des Insolvenzplans leiten 5 den darstellenden Teil ein und geben einen ersten Überblick über die mit dem Plan beabsichtigten Regelungen, die Besserstellung der Gläubiger durch den Insolvenzplan sowie die Art des Planverfahrens.6) Der Abschnitt Gruppenbildung dient der Festlegung der Rechte der Gläubiger. § 222 6 Abs. 1 InsO sieht die Darstellung der Gruppenbildung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vor. Aufgrund der Zugehörigkeit der sachgerechten Abgrenzung sowie der Beschreibung der Gläubigergruppen zum darstellenden Teil, ist die vorweggenommene Erläuterung der Gruppenbildung im darstellenden Teil wichtiger Bestandteil.7) Das Umgestaltungskonzept umfasst Angaben über den Ist-Zustand des Unternehmens, 7 Insolvenzursachen, durchgeführte und geplante Sanierungsmaßnahmen sowie die nach § 229 InsO beizufügende Vermögensübersicht und den Ergebnis- und Finanzplan. Der vierte Abschnitt stellt nach IDW S 2 eine Zusammenfassung der Ergebnisse für die 8 Gläubiger bei Annahme des Insolvenzplans dar. Es soll den Gläubigern zusammenfassend Auskunft über die von ihnen zu erbringenden Leistungen sowie ihre mögliche Besserstellung durch den Insolvenzplan gegeben werden. In der Praxis wird auf eine separate Darstellung dieses Abschnitts – genau wie in diesem Beitrag – häufig aufgrund der Integration in die Ausführungen zur Gruppenbildung verzichtet. Ein Antrag für den Abstimmungstermin zur Beschlussfassung der Gläubiger über eine 9 abweichende Regelung zum Erhalt des Unternehmens stellt den letzten Bestandteil des darstellenden Teils dar. Aufgrund der Abweichung von den gesetzlichen Regelungen durch den Insolvenzplan ist nach § 1 Satz 1 InsO i. V. m. §§ 217 ff. InsO ein Gläubigerbeschluss notwendig. Dieser wird i. R. des Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermins gefasst (siehe hierzu § 38 Rz. 2 ff.).
___________ 3) 4) 5) 6) 7)
Thies, in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 8. IDW S 2, Stand: 10.2.2000, WPg 2000, 285 ff. = FN IDW 3/2000, S. 81 ff. Vgl. Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 67 Rz. 66. Linkert, in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 8 Rz. 44. IDW S 2, Stand: 10.2.2000, WPg 2000, 285, 4.2 Rz. 17; Linkert, in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 8 Rz. 56.
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§ 25 II.
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Grundsätzliche Ziele, Art und Regelungsstruktur des Insolvenzplans
10 In einem Leitabschnitt sollte der Verfasser des Insolvenzplans zu Beginn das grundlegende Ziel, die Ausgestaltungsart sowie einen Überblick über die Regelungsstruktur hinsichtlich der Besserstellung im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren geben.8) 11 Ein Insolvenzplan stellt ein Unternehmenskonzept dar.9) Nach dem Willen des Gesetzgebers kann der Insolvenzplan die Fortführung des Insolvenzschuldners nach leistungswirtschaftlicher und finanzieller Sanierung des Unternehmens, die Übertragung des Unternehmens auf einen neuen Rechtsträger (übertragende Sanierung) oder die Liquidation als Ziel haben. Somit kann ein Fortführungsplan, Übertragungsplan oder Liquidationsplan vorgelegt werden. 12 Hinsichtlich der Ausgestaltungsart ist der Insolvenzplan nicht zwingend auf die Erhaltung des schuldnerischen Unternehmens ausgelegt. Allerdings ist er als Sanierungsinstrument von besonderer Bedeutung. Ist der Insolvenzplan primär leistungswirtschaftlich orientiert, so sollte sich der Aufbau an den Anforderungen von Sanierungskonzepten (IDW S 6) orientieren. Ist der Fokus des Insolvenzplans auf rein finanzwirtschaftliche Ziele ausgelegt (z. B. Stundungsplan), ist eine entsprechende Verlagerung des Schwerpunkts und eine Anpassung des Insolvenzplans vorzunehmen. Die vorliegenden Ausführungen legen den Schwerpunkt auf einen leistungswirtschaftlich orientierten Insolvenzplan. III.
Gruppenbildung
1.
Allgemeines
13 Die Gruppenbildung ist wesentlicher Inhalt des Insolvenzplans. Sie ist von zentraler Bedeutung, da in Gruppen abgestimmt wird. In Abweichung zur Gläubigerversammlung und der dort für eine Beschlussannahme notwendigen Summenmehrheit (§ 76 Abs. 2 InsO) erfolgt bei Planabstimmungen eine Gruppenabstimmung (§ 243 InsO). Die Gruppenbildung hat zunächst Auswirkungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans. Der Gesetzgeber sieht nach § 222 InsO nur die Gruppe der Insolvenzgläubiger zwingend für die Abstimmung über den Insolvenzplan vor. Für die Arbeitnehmer soll grundsätzlich eine Gruppe gebildet werden (§ 222 Abs. 3 Satz 1 InsO) und für die absonderungsberechtigten Gläubiger dann, wenn in ihre Rechte eingegriffen wird. Der Plan kann auch weitere Gruppen vorgeben. Dabei ist zu beachten, dass Gläubiger mit unterschiedlicher Rechtsstellung in verschiedene Gruppen einzuteilen sind. Sind Gläubiger mit gleichen Rechten vorhanden, können unterschiedliche Gruppen dann gebildet werden, wenn unterschiedliche wirtschaftliche Interessen gegeben sind.10) Werden fakultative Gruppen gebildet, ist darzustellen nach welchen gleichartigen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen die Gruppenbildung durchgeführt wurde und nach welchen Kriterien die Beteiligten diesen Gruppen zugeordnet wurden.11) Einzelheiten zur Gruppenbildung siehe unten § 28. 14 Werden im Insolvenzplan Kapitalmaßnahmen geregelt, haben die Anteilsinhaber i. R. des Insolvenzverfahrens mitzuentscheiden. Sie werden als eigene Abstimmungsgruppe in das Verfahren über den Insolvenzplan einbezogen. Zur Abwehr von Störerstrategien gilt auch für sie ein Obstruktionsverbot. Sollten Anteilsinhaber überstimmt werden, greift ein Minderheitenschutz. Wegen Einzelheiten siehe unten § 41 und § 43. ___________ 8) Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 220 InsO Rz. 3; Linkert, in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 8 Rz. 44; IDW S 2, Stand: 10.2.2000, WPg 2000, 285, 4.1 Rz. 16. 9) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 2. 10) Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, § 2 Rz. 494. 11) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt).
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
§ 25
Im darstellenden Teil sind die gebildeten Gruppen aufzuzeigen. Die Abgrenzungskrite- 15 rien sind so zu benennen, dass das Insolvenzgericht und jeder Beteiligte die Gruppenbildung nachvollziehen kann. Bei der Gruppenbildung hat der Planersteller einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Grenzen sind dort zu ziehen, wo offensichtlich manipulativ auf die Gruppenbildung Einfluss genommen wird, um gezielt Abstimmungsergebnisse zu erhalten. 2.
Befriedigungsaussicht der Beteiligten
Der Gesetzgeber legt fest, dass durch das Insolvenzplanverfahren kein Beteiligter schlech- 16 tergestellt werden soll als ohne den Plan. Gleichzeitig soll schädliches Verhalten des Schuldners oder eines Gläubigers, das die Durchführung des Plans verzögern oder verhindern könnte, ausgeschlossen werden. Aufgrund dessen kann das Insolvenzgericht eine fehlende Zustimmung einer Gläubigergruppe durch Beschluss ersetzen (§ 245 InsO) bzw. den Widerspruch des Schuldners (§ 247 InsO) oder eines Gläubigers (§ 251 InsO) zurückweisen. Voraussetzung für den Beschluss ist jedoch, dass der Betroffene durch den Plan nicht schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde.12) Der darstellende Teil muss daher eine Vergleichsrechnung beinhalten (Einzelheiten siehe unten § 34). Diese dient dem Insolvenzgericht als Grundlage für einen möglicherweise nötigen Ersetzungsbeschluss. Somit muss aus der Vergleichsrechnung das je nach Planalternative unterschiedliche wirtschaftliche Ergebnis des Insolvenzverfahrens ersichtlich sein.13) Zur Bestätigung eines Plans ist es aber nicht notwendig, dass er für die zustimmenden Be- 17 teiligten aus dem Schuldnervermögen mindestens die gleichen Zahlungen sicherstellt, wie bei einer Zwangsverwertung zu erwarten wären.14) 3.
Berechnung der Quoten bei Regelabwicklung
3.1
Insolvenzgläubiger
Bei der Berechnung der Quote bei Regelabwicklung sind die Grundsätze anzuwenden, die 18 bei der Erstellung des Schlussverzeichnisses im Fall der Regelabwicklung gelten. Hierzu ist die fiktive Verteilungsmasse zu ermitteln. Sie ergibt sich nach Abzug der Masseverbindlichkeiten und der Absonderungsrechte sowie der ausgeübten Aufrechnungsbefugnisse. Zur Ermittlung der möglichen Quote im Regelverfahren ist zunächst auf einen fiktiven Zeitpunkt abzustellen, zu dem im Fall der Regelabwicklung mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens gerechnet wird. Um diesen Zeitpunkt zu ermitteln, hat der Planersteller schlüssig vorzutragen, wann die Verwertung des schuldnerischen Vermögens voraussichtlich abgeschlossen sein wird. Nach Ermittlung des voraussichtlichen Zeitpunkts des Verfahrensabschlusses im Fall der 19 Regelabwicklung sind die zu diesem Zeitpunkt erwarteten liquiden Mittel zu berechnen. Diese bestehen aus den aktuellen Bankguthaben sowie aus den durch die Verwertung erwarteten weiteren Einnahmen und sind um mögliche Absonderungsansprüche bereinigt. Von der ermittelten Insolvenzmasse zum Abschluss des Insolvenzverfahrens sind die er- 20 warteten Massekosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten abzuziehen. Die Massekosten – und hier insbesondere die Vergütung des Insolvenzverwalters und der Gläubigerausschussmitglieder – sind unter Berücksichtigung der InsVV durch den Planersteller zu ermitteln. Die bereits begründeten und noch nicht erfüllten Masseverbindlichkeiten sind ___________ 12) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4. 13) Thies, in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 220 Rz. 4. 14) Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 220 Rz. 5.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
mit ihrem Nominalwert anzusetzen. Die noch zu erwartenden Masseverbindlichkeiten sind fiktiv zu berechnen. 21 Um die fiktive Teilungsmasse im Fall der Regelabwicklung zu ermitteln, bedient man sich regelmäßig einer Planungsrechnung, die die verschiedenen Szenarien (übertragende Sanierung außerhalb des Planverfahrens, Ausproduktion etc.) nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit berücksichtigen. 22 Ist die erwartete Verteilungsmasse ermittelt, wird diese ins Verhältnis zu den erwarteten anerkannten Insolvenzforderungen gesetzt. Der dadurch ermittelte Prozentsatz stellt die fiktive Insolvenzquote der Beteiligten dar. 3.2
Überschusszahlungen an die Gesellschafter
23 Neben der Quotenberechnung für die Insolvenzgläubiger ist auch eine Berechnung hinsichtlich des Werts der Gesellschaftsanteile im Fall der Regelabwicklung zu erstellen. Insbesondere wenn der Insolvenzplan eine Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital vorsieht, muss der darstellende Teil entsprechende Berechnungen beinhalten. Dies wird im Fall der Regelabwicklung jedoch eine vergleichsweise einfache Berechnung sein. Die Gesellschaftsanteile sind meist als wertlos einzustufen, da Zahlungen auf die Gesellschaftsanteile nach § 199 InsO bei der Regelabwicklung eher die Ausnahme darstellen werden. 3.3
Zahlungen bei Planbestätigung
3.3.1 Insolvenzgläubiger 24 Die Berechnung der Quote bei Planbestätigung stellt eine wesentliche Berechnung des Planverfahrens dar. Es ist dabei zu unterscheiden, ob nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus den laufenden Einnahmen Zahlungen an die Insolvenzgläubiger erfolgen sollen oder ob vor Beendigung des Insolvenzverfahrens die Insolvenzgläubiger eine Einmalzahlung erhalten sollen. Sollen die Insolvenzgläubiger nach Aufhebung des Verfahrens Zahlungen erhalten, basiert die Berechnung auf dem Sanierungskonzept und der dortigen Vermögenslage nach Wirksamkeit des Plans. 3.3.2 Gesellschafter 25 Bei der Wertermittlung der Gesellschaftsanteile nach Bestätigung des Insolvenzplans sind entsprechende, im Plan festgelegte Kapitalmaßnahmen zu berücksichtigen. Werden Anteilsrechte in einen Insolvenzplan einbezogen, so muss im Falle ihrer Einziehung eine finanzielle Kompensation vorgesehen werden, jedoch nur dann, wenn die Anteile noch werthaltig sind. Hierfür hat der Plan nach § 251 Abs. 3 InsO ggf. die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist im Insolvenzverfahren regelmäßig von einer Wertlosigkeit der Anteile auszugehen.15) IV.
Umgestaltungskonzept
1.
Unternehmensdaten
26 Im darstellenden Teil sind die wesentlichen Unternehmensdaten zu nennen. Den Beteiligten soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, sich mit dem schuldnerischen Unternehmen vertraut zu machen. 1.1
Organisatorische und rechtliche Verhältnisse
27 Ausgangspunkt für das Verständnis der Beteiligten ist eine Beschreibung der organisatorischen und rechtlichen Verhältnisse des Unternehmens. ___________ 15) Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 127/11, S. 45.
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
§ 25
Zunächst sollten Ausführungen zu den wesentlichen Entwicklungsstufen der Schuldne- 28 rin seit ihrer Gründung gemacht werden. Darauf aufbauend wird die Organisationsstruktur der Schuldnerin dargestellt. Dazu gehört u. a. die Beschreibung der verschiedenen Unternehmensstandorte und der dort betriebenen Geschäftsaktivitäten. Handelt es sich um eine Konzerninsolvenz, sind die bestehenden Beteiligungsverhältnisse 29 mit den anderen Konzerngesellschaften zu benennen. Gleichzeitig sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Verknüpfungen sowie die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse aufzuzeigen. Diese können in Form von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen, Cash-Poolverträgen, Haftungsverhältnissen oder anderweitigen konzerninternen Vertragsverhältnissen bestehen. Weitergehend sollten die wesentlichen Aspekte des Geschäftsumfelds erläutert werden. 30 Hierunter können Ausführungen zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, zu Produktsortimenten, zu Produktionsabläufen, Vertriebskanälen oder anderen wesentlichen unternehmensspezifischen Daten erfolgen. Die Darstellung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse umfasst im Wesentlichen die 31 historische Entwicklung des Unternehmens, der Kapitalverhältnisse, der Gesellschafterstruktur und der Unternehmensführung. Die benötigten Daten werden überwiegend den Handelsregisterakten, den vorgelegten Jahresabschlüssen und den durch Sanierungsberater oder M&A Gesellschaften erstellten „factbooks“ entnommen. Befinden sich weitere Konzerngesellschaften in einem Insolvenzverfahren, sind die 32 einzelnen Verfahrensstadien zu schildern und die geplante Abwicklung, insbesondere auch deren Auswirkung auf das Planverfahren der Schuldnerin. Dabei ist zu beachten, dass das deutsche Insolvenzrecht keine Konzerninsolvenz kennt. Die daraus resultierende Folge besteht darin, dass jede einzelne Konzerngesellschaft isoliert behandelt werden muss. Im Plan sind daher die Auswirkungen zu schildern. 1.2
Aktuelle Arbeitnehmersituation
Die Arbeitnehmer sind von einer Insolvenz und einem Insolvenzplanverfahren regelmäßig 33 am unmittelbarsten betroffen. Neben dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes haben sie auch finanzielle Einschnitte hinzunehmen (z. B. Verzicht auf Gratifikationen, Arbeitszeiterhöhung etc.). Im darstellenden Teil ist daher ein besonderes Augenmerk auf die Mitarbeiter zu legen. Zunächst ist der Ist-Zustand zu benennen, gegliedert nach Anzahl und Altersstruktur des 34 Managements und der Mitarbeiter. Beim Management sollten die Zuständigkeiten und die Bindung an das schuldnerische Unternehmen aufgezeigt werden. Bestehen Sonderzahlungsvereinbarungen, sind diese in der Regel offenzulegen. Sind Verfehlungen in der Vergangenheit erkennbar, sollten diese dargestellt werden. Bei der Darstellung der Mitarbeiterstruktur empfiehlt es sich, nach Angestellten, Arbeit- 35 nehmern und Auszubildenden zu unterscheiden. Es sollte eine Aufteilung nach den einzelnen Zweigniederlassungen, Betriebsstätten und Fertigungsbereichen erfolgen. Sofern Arbeitnehmervertretungen (z. B. Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat etc.), Tarifvertragsbindungen oder sonstige arbeitnehmerspezifische Sachverhalte bestehen, sind diese aufzuzeigen. Besteht eine betriebliche Altersversorgung, sind die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter, der Umfang der finanziellen Verpflichtung, die Beitragspflicht und die Auswirkung auf den Pensionssicherungsverein (PSVaG) zu benennen. Hat eine Insolvenzgeldvorfinanzierung stattgefunden, sollte dies unter Nennung des fi- 36 nanzierenden Kreditinstituts und der Summe der Gesamtvorfinanzierung erfolgen. Auch sind Sonderzahlungen über die Bemessungsgrundlage zu benennen.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
37 Werden im Zusammenhang mit der Sanierung Personalanpassungen vorgenommen, sind diese zu benennen. Vereinbarte Sozialpläne und Interessensausgleiche sind zu erwähnen, deren wirtschaftliches Ergebnis und Auswirkung sowie deren Zustandekommen. Die verwendeten Auswahlkriterien sind offenzulegen. Als Plananlage sind die Sozialpläne und Interessensausgleiche nur dann anzufügen, wenn sie anonymisiert werden. Sie beinhalten personenbezogene Daten und dürfen daher nicht ohne die Zustimmung der Betroffenen nach außen gegeben werden. 38 Werden Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften eingesetzt, sind entsprechende Ausführungen zu machen. Es sind die Dauer der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die gegenwärtige und zukünftige finanzielle Belastung der Schuldnerin darzustellen. Zur Wahrung der Transparenz ist aufzuzeigen, wer Gesellschafter der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften ist und welche Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. 1.3
Wirtschaftliche Verhältnisse
1.3.1 Ertragslage 39 Eine detaillierte Analyse aller Ertrags- und Aufwandspositionen über die vergangenen Jahre ist nicht gefordert. Vielmehr sind die wesentlichen Ursachen für die Negativentwicklung des Schuldnerunternehmens zu beschreiben und festzustellen, inwieweit diese Ursachen aktuell noch bestehen oder bereits beseitigt wurden. Die zwischenzeitliche Beseitigung von Krisenursachen kann sich dadurch ergeben, dass die Geschäftsführung bereits vor Insolvenz bestimmte Sanierungsmaßnahmen umgesetzt hat. Beispiele hierfür sind Verkäufe nicht betriebsnotwendigen Vermögens oder eingeleitete Kosten- und Standortoptimierungen. 1.3.2 Vermögens- und Finanzlage 40 Bei der Darstellung der Vermögenslage wird eine zeitnah erstellte Bilanz der Schuldnerin zugrunde gelegt. Sofern es sich um ein Konzernunternehmen handelt, ist die Bilanzdarstellung der Schuldnerin um die Vermögenswerte und Schuldpositionen der Tochterunternehmen zu ergänzen. Den Buchwerten der Vermögenspositionen und Schulden werden sinnvollerweise die Fortführungs- und Zerschlagungswerte gegenübergestellt. Die Zeitwerte im Fortführungs- oder Liquidationsfall werden aus Sachverständigengutachten abgeleitet oder vom Insolvenzplanersteller in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung und den Beratern des Schuldners bestmöglich geschätzt. Sie dienen den Gläubigergruppen bei der Abschätzung der finanziellen Konsequenzen aus einer Fortführung einerseits und einer Zerschlagung des Schuldnerunternehmens andererseits. 41 Die Erläuterung der Verbindlichkeiten wird grundsätzlich nach Gläubigergruppen getrennt vorgenommen. Bei den Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten ist z. B. eine Darstellung der bestehenden Kreditlinien und deren aktuelle Inanspruchnahme bei den jeweiligen Finanzinstituten sinnvoll. Sofern die Finanzierung durch ein Bankenkonsortium erfolgt, werden die Anteile der beteiligten Banken am Konsortium sowie Inhalt und Ausgestaltung des Sicherheitenpools näher erläutert. In diesem Zusammenhang spielt auch die Darstellung bestehender Konkurrenzverhältnisse von Kreditsicherheiten zwischen verschiedenen Gläubigergruppen eine wichtige Rolle. Im Insolvenzplan ist darzulegen, welchen Sanierungsbeitrag die Gläubigergruppen erbringen sollen. Der Sanierungsbeitrag kann neben einem teilweisen Forderungs- oder Sicherheitenverzicht auch in der NichtGeltendmachung von Absonderungsrechten bestehen, da andernfalls die Fortführung des Schuldnerunternehmens gefährdet sein könnte.
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
§ 25
Neben Kreditinstituten sind oftmals Leasinggesellschaften und Factoringunternehmen 42 weitere, wichtige Finanzierungspartner des Schuldners. Hier gilt es, bestehende Tilgungspläne sowie erforderliche Factoringvolumen unter Berücksichtigung der geänderten Rahmenbedingungen und der Sicherheitensituation so zu definieren, dass eine Fortführung des Schuldnerunternehmens ermöglicht wird. Auch hier sind die erforderlichen Sanierungsbeiträge der einzelnen Gläubigergruppen zu definieren. Die Neustrukturierung der Kreditverhältnisse (incl. Sicherheiten und Haftungsverhältnisse) ist regelmäßig ein zentraler Bestandteil für die bilanzielle und finanzwirtschaftliche Sanierung des Schuldners. Ein weitere, wichtige Gläubigergruppe sind regelmäßig die Lieferanten des Schuldners. In 43 Abhängigkeit der Bedeutung und Größenordnung der Lieferanten kann eine Gruppenbildung auch hier sinnvoll sein. Konkurrenzverhältnisse hinsichtlich der gewährten Sicherheiten zwischen verschiedenen 44 Gläubigergruppen (verlängerter Eigentumsvorbehalt vs. Globalzession) sind darzustellen. 2.
Insolvenzursache
Ist die Sanierung des Unternehmens durch ein Insolvenzplanverfahren beabsichtigt, sind 45 die Lage des Unternehmens und die Ursachen seiner Insolvenz zu ermitteln. Zur effektiven Analyse der Ursachen sollte auf interdisziplinäre Teams zurückgegriffen werden. In Anlehnung an die im Sanierungsbereich festgelegten Krisenursachen wird bei der Insolvenzursachenermittlung unter endogenen und exogenen Ursachen unterschieden. Endogene Ursachen sind solche, die in dem jeweiligen Unternehmen selbst entstanden 46 sind oder von Anfang an vorhanden waren. Sie können regelmäßig als Insolvenzursache ausgemacht werden.16) Es zeigt sich, dass der zwischenbetriebliche Bereich einschließlich der Beschaffung und Verwaltung regelmäßig nicht ausschlaggebend ist. Dagegen wird dem Bereich der Finanzierung und des Absatzes sowie der Unternehmensführung eine große Rolle zugeschrieben. Auch kann die Insolvenzursache in der Wahl des falschen Produktionsstandorts, der Produktpalette sowie in der zu geringen Ausstattung mit Eigenkapital oder dem Mangel an Fachkenntnissen liegen. Fehler in der Unternehmensführung wirken sich häufig auch auf die interne Organisationsstruktur des Unternehmens aus (z. B. Vernachlässigung des Rechnungswesens oder das Fehlen von Frühwarnsystemen).17) Unter exogenen Insolvenzursachen sind von außen her einwirkende Einflüsse zu verste- 47 hen. Sie können vom Unternehmen nicht unmittelbar beeinflusst werden. Es kann lediglich – i. R. des Möglichen – reagiert werden. Die klassischen exogenen Ursachen sind Veränderung des Kaufverhaltens der Endkunden, eine hohes Zinsniveau, sinkende Kaufkraft, Wechselkursveränderung, bei der Preiskalkulation nicht berücksichtigte Forderungsausfälle durch eigene Schlechtleistung und Zahlungsverzug der Kunden, Streiks der Arbeitnehmer, Unterbrechung der Versorgung mit Rohstoffen durch Streiks in anderen Betrieben oder im Transportgewerbe.18) Auch zählen staatliche und überstaatliche Strukturkrisen, konjunkturelle Veränderungen, Belastungen aus dem Bereich der Tarif- und der Sozialpolitik, die Rahmenbedingungen in der Form von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren, Umweltschutzauflagen sowie allgemein die Steuer- und Abgabenbelastung zu den exogenen Krisen.19) ___________ 16) Steffan, in: Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl., 2011, § 37 Rz. 24. 17) Holzer, NZI 2005, 308 ff., 310. 18) Holzer, NZI 2005, 308 ff., 310; Steffan, in: Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl., 2011, § 37 Rz. 35 f. 19) Geiwitz, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 29 Rz. 22.
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§ 25 3.
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Sanierungsmaßnahmen
48 Im darstellenden Teil des Insolvenzplans ist zu beschreiben, welche Maßnahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind und in der Folge noch ergriffen werden müssen, um den angestrebten Plan, eine Sanierung, Übertragung oder geordnete Abwicklung des Insolvenzschuldners erfolgreich durchführen zu können. Die Ausführungen sollten alle wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Insolvenzplan erheblich sind. Im Folgenden beschränken sich die Ausführungen auf Maßnahmen zur Sanierung eines Insolvenzschuldners. 49 Grundlage jeder nachvollziehbaren, schlüssigen Darstellung der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens ist die Erarbeitung eines Sanierungskonzepts. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat in der aktuellen Fassung seines Standards “Anforderungen an Sanierungskonzepte“ (IDW S 6) in der Praxis allgemein anerkannte Richtlinien für die Erstellung von Sanierungskonzepten festgelegt (siehe auch unten § 3 Rz. 59 ff.).20) 50 In einem Sanierungskonzept werden, basierend auf einer Analyse von Krisenstadium und -ursachen, ein Leitbild mit dem Geschäftsmodell des sanierten Unternehmens entwickelt und die zur Erreichung des Leitbilds erforderlichen Maßnahmen beschrieben und quantifiziert. Auf dieser Grundlage wird eine integrierte Unternehmensplanung, bestehend aus Ergebnis-, Finanz- und Vermögensplan, erstellt. Dies ist Voraussetzung dafür, eine qualifizierte Aussage über die Fortführungsfähigkeit des Schuldnerunternehmens treffen zu können.21) 51 Die Sanierungsmaßnahmen lassen sich grundsätzlich in organisatorische, leistungswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Maßnahmen unterscheiden. 3.1
Organisatorische Maßnahmen
52 Oberstes Ziel einer Organisation ist neben der Erzielung von Einnahmen die Effizienz und die damit verbundene Kostenersparnis. Sie bildet mit der vom Markt geforderten Qualität und der dafür notwendigen Produktionszeit ein Spannungsdreieck, in dem nicht alle Ziele gleichwertig erreicht werden können. Dieses Dreieck gilt es bei einem in Schieflage geratenen Unternehmen schnellstmöglich so auszurichten, dass die geforderte Qualität bedient werden kann, bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten. 53 Ansatzpunkte für grundsätzliche Sanierungsmaßnahmen liegen hierbei in der Unternehmensorganisation, d. h. im Aufbau und im Ablauf und damit in der Effizienz und Flexibilität einer Organisation als Ganzes. Im Ergebnis sind auf dieser Ebene Portfoliozusammensetzung, Kerngeschäft, Kernfähigkeiten oder auch Alleinstellungsmerkmale sowie angestrebte Marktpositionen und Wettbewerbsvorteile strategiekonform zu definieren. Über den Markterfolg und damit die Wettbewerbsfähigkeit entscheidet allerdings letztlich immer die Sicht des Kunden. Ziel dabei ist es, für das Unternehmen eine solche Marktstellung zu erlangen, die mittel- bis langfristig eine nachhaltige und branchenübliche Rendite sowie eine angemessene Eigenkapitalausstattung ermöglicht.22) 3.1.1 Maßnahmen in der Aufbauorganisation 54 Bei der Aufbauorganisation lässt sich zwischen funktionaler und divisionaler Aufbauorganisation differenzieren. Im Fall der funktionalen Organisation sind die Abteilungen ___________ 20) IDW S 6, IDW Life 8/2018. 21) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 2.1 Rz. 10. 22) IDW S 6, IDW Life 8/2018, 2.1 Rz. 16.
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
§ 25
auf der obersten Ebene nach Verrichtungen oder Funktionen, d. h. Einkauf, Produktion, Vertrieb, Entwicklung etc. gegliedert. Bei der divisionalen Organisation erfolgt eine Aufteilung auf der obersten Ebene nach Produkten oder Geschäften (Geschäftsbereiche, Divisionen, Sparten). Die einzelnen Bereiche haben dabei ihre eigenen funktionalen Abteilungen, die durch Zentralabteilungen wie Controlling, Service, Public Relations etc. ergänzt werden. Der divisionalen Organisation wird eine höhere Markteffizienz, Prozesseffizienz sowie eine höhere Motivation bei den Mitarbeitern aufgrund der größeren Eigenständigkeit der einzelnen Geschäftsbereiche unterstellt. Dagegen wird bei der divisionalen Organisation allein aufgrund der höheren Anzahl an Abteilungen eine weniger optimale Ressourceneffizienz gesehen. Im Rahmen von Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der finanziellen Schwierigkeiten 55 kann es notwendig sein, insbesondere bei einer divisionalen Organisation, zu analysieren, wo Synergieeffekte erzielt werden können. Essentiell ist in diesem Stadium ein schnelles Reagieren, z. B. in Gestalt einer beschleunigten Rechnungsstellung bzw. einer allgemeinen Kontaktaufnahme mit Lieferanten und Kunden. Für ein effektives Handeln kann es sinnvoll sein, weniger effiziente Abteilungen intern oder extern zu unterstützen oder unter eine einheitliche Leitung zu stellen. Mittelfristig kann i. R. der Abtrennung von defizitären Geschäftsbereichen eine Still- oder 56 Zusammenlegung von Abteilungen bzw. der Übergang zu einer funktionalen Organisation notwendig werden, um dadurch v. a. die erfolgsträchtigen Kernbereiche mit effizienten Abteilungen auszustatten. Auch ein Gesundschrumpfen i. S. einer Bündelung von personellen und fachlichen Kompetenzen in den betreffenden Funktionsbereichen kann einen wesentlichen Beitrag für einen effizienten Neuaufbau einer Unternehmensorganisation leisten. 3.1.2 Maßnahmen in der Ablauforganisation Grundsätzlich geht es hierbei unabhängig davon, ob es sich um ein Produktions-, Han- 57 dels- oder Dienstleistungsunternehmen handelt, um die Effizienzsteigerung bei der Auftragsabwicklung, d. h. die Optimierung des Durchlaufs und evtl. auch daran anknüpfender Serviceleistungen, unter gleichzeitiger Einhaltung von geforderten Qualitätsstandards. Maßnahmen, die zur Optimierung beitragen sollen, müssen an der Reihenfolge als auch der Koordination mehrerer (Arbeits-)Abläufe in ihrer zeitlichen und räumlichen Anordnung ansetzen. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Leistungsabstimmung, d. h. Leistungen einzelner Ar- 58 beitsträger müssen zeitlich und mengenmäßig synchronisiert werden. Auf der obersten Ebene gilt es hierbei, die Schnittstellen zwischen den einzelnen Funktionsbereichen, d. h. z. B. zwischen Einkauf, Produktion und Verkauf richtig einzustellen. Hierbei spielen ITSysteme allgemein und im Bereich des Rechnungswesens, z. B. ERP-Systeme, heute eine entscheidende Rolle. Tiefergehend gilt es, die Prozesse innerhalb der einzelnen Funktionen zu optimieren. Konkrete Maßnahmen können hier von der Anordnung eines Maschinenparks, der Ver- 59 kürzung von Umrüstzeiten von Maschinen über den flexiblen Einsatz von Leiharbeitskräften bis hin zur Abarbeitung von Kundenreklamationen reichen. 3.2
Leistungswirtschaftliche Maßnahmen
Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen setzen an den Funktionen des Schuldnerun- 60 ternehmens und deren Prozessabläufen entlang der operativen Wertschöpfungskette an. Die Funktionsbereiche wie Forschung und Entwicklung, Einkauf und Beschaffung, Produktion
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
und Logistik, Vertrieb und Marketing sowie Finanzen und Controlling, Personalwirtschaft und IT können um Kategorien wie Standort und Management erweitert werden. 61 Die nachhaltige operative Sanierung eines Unternehmens beschränkt sich in der Regel nicht primär auf die Restrukturierung der Passivseite und ist eine komplexe Aufgabe, die alle Unternehmensaktivitäten und -funktionen einbeziehen muss.23) Bei der Planung und Umsetzung leistungswirtschaftlicher Sanierungsmaßnahmen ist darauf zu achten, dass diese mit dem Sanierungskonzept und dem Leitbild des sanierten Unternehmens inhaltlich abgestimmt sind.24) Zielsetzung ist die Herbeiführung des Turnarounds. 62 Die grundsätzlichen Stellschrauben zur Überwindung der Erfolgskrise sind in der Steigerung der Umsatzerlöse und/oder der Verbesserung der Kostenstruktur zu sehen. Die Gewichtung fällt dabei abhängig vom betreffenden Funktionsbereich unterschiedlich aus. Nachfolgend werden exemplarische Maßnahmen innerhalb der grundsätzlichen Funktionsbereiche eines Unternehmens beschrieben. 3.2.1 Verwaltung 63 Im Bereich der Verwaltung wird die Gewichtung der Maßnahmen in der Regel an einer schlanken Kostenstruktur ausgerichtet sein. Weniger verwaltungskopflastige Organisationen ermöglichen daneben ein schnelleres Durch- und Umsetzen von Maßnahmen und schaffen Handlungsspielräume. Neben der Erhaltung der für den operativen Betrieb notwendigen Verwaltungseinrichtungen können insbesondere auch in diesem Bereich Kosteneinsparungen durch Outsourcing z. B. an Shared Service Center realisiert werden. Konkret kann hierbei an die Vergabe der Lohnbuchhaltung, des Bilanz-, Finanz- und Rechnungswesens, des Kreditoren- und Debitorenmanagements oder auch an die Einrichtung eines externen Helpdesks oder der Serveradministration und -wartung im Bereich der IT gedacht werden. Dabei gilt es abzuwägen, inwieweit betriebsinternes Know-how, verbunden mit dem Risiko eines Qualitätsverlusts, nach außen vergeben werden soll und wie die Kontrolle und der Zugriff auf den betreffenden Dienstleister ausgestaltet werden kann. 3.2.2 Produktion 64 Zielsetzung ist eine Fertigung, die Produkte zu wettbewerbsfähigen Kosten und Qualitäten hervorbringt.25) Die Gewichtung der Maßnahmen kann hier unterschiedlich auf die Stellschrauben Umsatzerlöse und Kostenstruktur verlagert sein. Neben den kostengetriebenen Fragen wo und wie produziert werden soll, kann hier auch die nicht ausschließlich kosteninduzierte Frage gestellt werden, was künftig produziert werden soll und was nicht mehr. Die moderne Kosten- und Leistungsrechnung stellt hierzu mit dem Target-Costing ein Instrument zur Verfügung, das ausgehend von den durch Marktforschung herausgefilterten Kundenbedürfnissen und dem erzielbaren Preis für ein Produkt die daraus resultierenden Zielkosten definiert. 65 Die Maßnahmen können in diesem Funktionsbereich auch massiv ausfallen, indem z. B. einzelne defizitäre Fertigungsstätten i. R. einer Re- oder Neustrukturierung stillgelegt werden müssen, um dadurch die anderen Unternehmensbereiche zu erhalten. 66 Beispielhafte Maßnahmen zur Verbesserung der Kostenstruktur:
Reduzierung der Fertigungstiefe;
Optimierung der Verbrauchsmengen;
___________ 23) Werner/Balzer, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 129. 24) Peppmeier/Schuppener, in: ISU, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte – MaS, S. 101. 25) Peppmeier/Schuppener, in: ISU, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte – MaS, S. 102.
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
Verminderung der Ausschussquote;
Senkung der Lager- und Kapitalbindungskosten;
Abbau von Leerkosten/Senkung von Stückkosten;
Veränderung und Bereinigung der Artikelvielfalt;
Stilllegung einzelner Fertigungsstätten.
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Beispielhafte Maßnahmen zur Steigerung der Umsatzerlöse:
Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse;
Verbesserung des Liefer- und Leistungsprogramms;
Stärkere Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse;
Ausweitung der Produktion/Erhöhung der Mengen;
Verbesserung der Qualität/Steigerung der Preise.
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3.2.3 Einkauf Der Einkauf hat im Zusammenspiel mit der Logistik dafür zu sorgen, dass die richtigen 68 Waren/Rohstoffe in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, in der richtigen Qualität, zum günstigsten Preis und am richtigen Ort zur Verfügung stehen.26) Im produzierenden Gewerbe spielen die Materialkosten und damit der Einkauf eine entscheidende Rolle für den Gesamterfolg des Unternehmens. Ein wesentlicher Kernpunkt für die Fortführung des Schuldnerunternehmens ist die Si- 69 cherstellung der Lieferbereitschaft. Dazu kann es erforderlich sein, dass die wichtigsten Lieferanten eine bestimmte Quote ihrer Forderungen sofort abgelöst bekommen und im Gegenzug auf ihre verbleibenden Forderungen verzichten oder diese zumindest längerfristig stunden. Hierdurch wird nicht nur ein unmittelbarer Sanierungsbeitrag für den Schuldner geleistet, sondern es werden auch wieder Spielräume bei den bestehenden Kreditlimits der Lieferanten geschaffen. Die Einbeziehung vorhandener Kreditversicherer in den Insolvenzplan ist in diesem Zusammenhang essentiell. Deren Sanierungsbeitrag kann in einer Aufrechterhaltung der bestehenden Kreditlimits trotz verschlechterter Bonität des Schuldners bestehen, ohne dass hierfür umfangreiche zusätzliche Sicherheiten oder Bürgschaften bereitgestellt werden müssen. Weitere Sanierungsmaßnahmen in diesem Bereich werden v. a. darauf gerichtet sein, die 70 Materialaufwandsquote bei gleichzeitiger Sicherstellung eines geforderten Qualitätsstandards zu senken bzw. auf konstantem Niveau zu halten.27) In der heutigen Praxis gängige Maßnahmen in diesem Funktionsbereich sind u. a. die fol- 71 genden:
Senkung der Bezugspreise;
Volumenbündelung und Reduktion der Anzahl an Lieferanten;
Erhöhung des Beschaffungsvolumens aus Niedriglohnländern;
Einsatz günstigerer Substitutionsmaterialien;
Outsourcing.
Eine Senkung der Bezugspreise ist z. B. durch das Aufsetzen von Rahmenverträgen denk- 72 bar. Zur Stärkung der Einkaufsmacht werden häufig auch Kooperationen in Form von Einkaufsverbänden oder -genossenschaften eingegangen. ___________ 26) Peppmeier/Schuppener, in: ISU, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte – MaS, S. 102. 27) Werner/Balzer, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 132.
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§ 25
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
73 Durch die Bündelung von Einkaufsvolumina können Skaleneffekte beim Lieferanten geschaffen werden (bessere Maschinen- und Betriebsmittelauslastung, bessere Einkaufspreise etc.), wodurch wiederum selbst günstigere Preise erzielt werden können. Die Kehrseite ist, dass der Grad der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten steigt. 3.2.4 Vertrieb 74 Der Bereich Vertrieb im Zusammenspiel mit dem Marketing ist in der Sanierung von zentraler Bedeutung, da keine Sanierung ohne eine Stärkung der Kunden- und Marktorientierung und einer Verbesserung des Marktauftritts Erfolg hat.28) Die Zwickmühle in der sich der Vertrieb in der Krise befindet, ist, dass er, möglichst unter Verursachung geringerer Kosten, die Vertriebsleistung und damit den Umsatz steigern soll, wobei das Kundenvertrauen bzw. die Kundenbindung bei Krisenunternehmen bereits häufig gelitten haben. 75 Die Steigerung der Umsätze sollte dabei stets mit Blick auf die bei den Kunden erzielbaren Preise und die erwirtschafteten Deckungsbeiträge erfolgen. Eine in der Praxis, insbesondere bei in der Krise befindlichen Unternehmen, zu beobachtende Umsatzgetriebenheit, in Gestalt eines Annehmens von Aufträgen um jeden Preis, ohne nachhaltiges Wachstum und die spätere Möglichkeit der Durchsetzung von Preiserhöhungen, verschärft die Krise unweigerlich. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist neben einem operativen Controlling auch eine entsprechend eingerichtete Kosten- und Leistungsrechnung auf Segment- oder Produktebene. 76 Im Vertriebsbereich können folgende, wesentliche Maßnahmen unterschieden werden:29)
Verbesserung der Kundenkommunikation und Wiederherstellung des Kundenvertrauens;
Erschließung von Liquiditätspotenzialen;
Verhandlung von Sanierungsbeiträgen seitens der Kunden.
77 Ohne das Mitwirken der Kunden kann eine Sanierung nicht gelingen, weshalb spätestens in der Krise eine proaktive Kommunikation gegenüber den Kunden betrieben werden muss, um Vertrauen und Perspektiven für die weitere Geschäftsgrundlage zu schaffen. 78 Ein wichtiger Beitrag der Kunden zur Sanierung, auf den der Vertrieb durch entsprechende Maßnahmen mit hinwirken muss, ist die Verbesserung der Liquidität, d. h. die Optimierung des Working Capitals, z. B. durch die Verkürzung von Zahlungszielen, die Vereinbarung von Anzahlungen bzw. Vorauskasse, flankiert durch eine beschleunigte Fakturierung und ein konsequentes Mahnwesen. Dadurch wird das Unternehmen unabhängiger von Lieferantenkrediten bzw. kann diese schneller bedienen, was wiederum den Effekt hat, dass die für den operativen Betrieb überlebensnotwendige Lieferbereitschaft und -treue gesichert werden können. Im Optimalfall kann ein Finanzierungseffekt generiert werden, indem die Kundenziele kürzer ausfallen als die auf Lieferantenseite, was aber abhängig von der Geschäftstätigkeit ist und z. B. bei großen Handelsunternehmen der Fall ist. 79 Je größer die kurzfristige Abhängigkeit der einzelnen Kunden von dem Krisenunternehmen, desto höher wird die Bereitschaft sein, einen Sanierungsbeitrag zu leisten. Des Weiteren wird hiervon der Grad des Sanierungsbeitrags abhängen. Liquiditätsverschaffende Maßnahmen, wie die Verkürzung von Zahlungszielen, die Leistung von Anzahlungen oder liquiditätsentlastende Maßnahmen wie Materialbeistellungen oder die Übernahme von Drittverbindlichkeiten von Lieferanten im Zusammenhang mit erteilten Aufträgen sind quasi kostenneutral für den Kunden. Preiserhöhungen oder der Verzicht auf vereinbarte Rabatte wirken sich beim Kunden allerdings auch ergebniswirksam aus und werden sich daher entsprechend schwieriger durchsetzen lassen. ___________ 28) Werner/Balzer, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 148. 29) Werner/Balzer, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 149.
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Darstellender Teil des Insolvenzplans 3.3
§ 25
Finanzwirtschaftliche Maßnahmen
Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen haben in erster Linie die Liquiditätssiche- 80 rung als Grundlage für die Fortführung der Unternehmenstätigkeit zum Ziel. Im Kern geht es hier um die Restrukturierung der Passivseite, um kurz- und mittelfristig Handlungsspielräume für leistungswirtschaftliche Maßnahmen und damit für die nachhaltige Sanierung des Schuldnerunternehmens zu schaffen. Dringlichstes Gebot i. R. von Sofortmaßnahmen ist die Verhinderung der Zahlungsun- 81 fähigkeit. Mit Blick auf die Passivseite der Bilanz gilt es also in einem ersten Schritt, die Möglichkeiten einer Eigen- und/oder Fremdfinanzierung zur Liquiditätsbeschaffung auszuloten. In beiden Fällen verbleibt in der Liquiditätskrise nur die Außenfinanzierung als kurzfristige Option, da der Innenfinanzierungsspielraum aus dem operativen Cashflow in der Situation des Schuldnerunternehmens regelmäßig nicht ausreichen wird. In einem zweiten Schritt geht es dann i. R. bilanzieller Maßnahmen um den Abbau einer evtl. bestehenden bilanziellen Überschuldung bzw. an den Aufbau einer für eine nachhaltige Finanzierung geforderten Eigenkapitalquote. 3.3.1 Sanierungseffekte aus dem Insolvenzrecht Das Insolvenzrecht sieht Regelungen vor, welche die Liquidität des Schuldnerunternehmens 82 kurzfristig entlasten und eine Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter bis zur Realisierung einer längerfristigen Lösung, wie z. B. die Umsetzung eines beschlossenen Insolvenzplans, sicherstellen sollen. Das Insolvenzgeld stellt ein sehr wichtiges Instrument dar, um dem Insolvenzverwalter 83 die erforderliche Zeit für einen Überblick über den genauen Finanzstatus, die tatsächlichen Vermögens- und Schuldverhältnisse sowie über die in Betracht kommenden Realoptionen zu geben. Durch das Insolvenzgeld wird das Schuldnerunternehmen von Lohn- und Gehaltszahlungen entlastet. Das Insolvenzgeld wird maximal für die letzten drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt (§§ 165 ff. SGB III) und regelmäßig von einer Bank oder einem Bankenkonsortium vorfinanziert. Beim Bestehen von Betriebsrentensystemen spielt der Pensionssicherungsverein (PSVaG) 84 eine wichtige Rolle. Der PSVaG übernimmt die Finanzierung der laufenden Renten und unverfallbaren Rentenanwartschaften nach Insolvenzeröffnung (§§ 7 ff. BetrAVG). Ein Insolvenzplan soll jedoch vorsehen, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers die vom PSVaG zu erbringenden Leistungen ganz oder zum Teil vom Arbeitgeber oder sonstigen Versorgungsträgern wieder übernommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG). Bestimmt der Insolvenzplan, dass der Arbeitgeber einen Teil der betrieblichen Altersversorgungsleistungen selbst zu erbringen hat, mindert sich die Leistungspflicht des PSVaG entsprechend (§ 7 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG). 3.3.2 Eigenkapitalerhöhung Eine Erhöhung der Eigenkapitalquote kann direkt durch Zufuhr von Eigenmitteln oder 85 indirekt durch den entlastenden Abbau von Verbindlichkeiten erfolgen. Primäre Adressaten sowohl bei den direkten als auch bei den indirekten Maßnahmen werden in der Regel die bisherigen Gesellschafter und Eigner sein, gefolgt von Investoren, Gläubigern oder auch dem Management i. R. eines Management Buy-Outs. Direkte Sanierungsmaßnahmen i. R. der Außenfinanzierung durch die Gesellschafter sind 86 abhängig von den ihnen verbliebenen, finanziellen Handlungsspielräumen und je nach gesellschaftsrechtlicher Gestaltung von deren Bereitschaft, weiterhin Kapital und Liquidität in das Unternehmen einzubringen. Fallen die Signale seitens der bisherigen Gesellschafter negativ aus, gilt es, Investoren anzusprechen. Geiwitz/Schneider
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
87 Besonders in umstrukturierungs- bzw. sanierungsgeprägten Situationen dominieren zunehmend Finanzierungen mit Eigenkapitalcharakter. Dieses Mischkapital wird häufig auch als Mezzanine- oder Hybridkapital bezeichnet.30) Hierunter fallen z. B. Wandelschuldverschreibungen oder Genussrechte. 88 Gläubiger tragen durch Forderungsverzichte (mit oder ohne Besserungsschein) indirekt zur Erhöhung des Eigenkapitals und zur Entlastung der Liquiditätssituation bei. 89 § 225a InsO sieht die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) als Sanierungsmaßnahme vor. Bei dieser Sanierungsmaßnahme besteht für die Gläubiger die Möglichkeit auf zukünftige Mitbestimmung sowie die Aussicht, im Gegensatz zu Fremdkapitalgebern, an einer zukünftigen Wertsteigerung des sanierten Unternehmens zu partizipieren. 3.3.3 Fremdkapitalerhöhung 90 Bei der Außenfinanzierung durch Fremdkapitalerhöhung ist die Kreditwürdigkeit oder Bonität von maßgebender Bedeutung. Die Bonität wiederum wird durch ein Rating des Unternehmens bestimmt. In dieses fließen neben harten, quantitativen Faktoren (EK-Quote, Ergebniszahlen, operativer Cashflow etc.) auch weiche, qualitative Faktoren und damit u. a. eine Beurteilung der Produkte, der Marktstellung und des Managements und somit nicht zuletzt auch das Vertrauen in die leistungswirtschaftliche Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens mit ein. 91 Klassischerweise erfolgt die Fremdfinanzierung bei in der Krise befindlichen Unternehmen durch Banken, die, wenn sie bereits Gläubiger des Unternehmens sind, zudem ein gesteigertes Interesse am Fortbestehen des Unternehmens haben. Unternehmensanleihen dürften aufgrund der gegebenen Krisensituation ausscheiden. 92 Für die Prolongation von Kreditlinien oder die Vergabe von Darlehen sind Sicherheiten notwendig. Dabei gilt es zu klären, welche unternehmenseigenen Vermögensgegenstände zur Sicherungsgewährung noch verfügbar sind. Vermögenswerte, die bereits als Sicherheit begeben sind, scheiden aus. 93 Sofern unternehmenseigene Sicherheiten fehlen oder nicht ausreichen, sind wiederum die Möglichkeiten und die Bereitschaft der bisherigen Gesellschafter, durch Bürgschaften oder durch die Abgabe von harten Patronatserklärungen einzuspringen, abzuklären. Sollte dies nicht darstellbar sein, ist zu prüfen, ob ggf. die öffentliche Hand als Kredit- oder Bürgschaftsgeber in Frage kommt. 4.
Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (§ 229 InsO)
94 Der darstellende Teil des Insolvenzplans muss neben den angeführten organisatorischen, leistungs- und finanzwirtschaftlichen Maßnahmen alle sonstigen Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Die quantitativen Grundlagen, die dem Insolvenzplan als Anlagen beizufügen sind, bilden dabei die nach § 229 InsO geforderte Vermögensübersicht (Bilanz), der Ergebnisplan (GuV) und der Finanzplan (Kapitalflussrechnung). 95 In der Vermögensübersicht sind die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, die sich bei einem Wirksamwerden des Insolvenzplans gegenüberstehen würden, aufzuführen. Ergänzend ist darzustellen, welche Erträge und Aufwendungen für den Zeitraum, in dem die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und durch welche Abfolge ___________ 30) Ringelspacher, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 324.
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Darstellender Teil des Insolvenzplans
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von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens in diesem Zeitraum gewährleistet werden soll. Die Vermögensübersicht sowie der Ergebnis- und Finanzplan bilden in die Zukunft ge- 96 richtet zusammen eine in sich verzahnte, integrierte Unternehmensplanung, wie sie auch im IDW S 6 für Sanierungskonzepte gefordert wird. Ausgehend von betrieblichen Teilplänen in Gestalt einer Absatz-, Investitions- oder Personalkostenplanung werden dabei eine Plan-Gewinn- und -Verlustrechnung und darauf aufbauend ein Finanzplan (Kapitalflussrechnung) und eine Plan-Bilanz entwickelt.31) Ausgangspunkt ist im Fall eines Insolvenzplanverfahrens der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans. V.
Steuerrechtliche Verhältnisse
Aus den geplanten Sanierungsmaßnahmen ergeben sich oftmals steuerliche Implikationen, 97 die zwingend zu beachten sind, um den Sanierungserfolg des Insolvenzplans nicht zu gefährden. Die beiden wesentlichen Erscheinungsformen steuerrelevanter Sanierungsmaßnahmen, der 98 Gläubigerverzicht und die Kapitalerhöhung, werden im Folgenden dargestellt. Siehe im Übrigen unter § 57. 1.
Forderungsverzicht
Im Rahmen eines Insolvenzplans wird mit den Gläubigern oftmals ein (teilweiser) Forderungsverzicht als Sanierungsbeitrag vereinbart. Der Verzicht auf bestehende Forderungen kann dabei endgültig sein oder mit einem Besserungsschein versehen werden. Ein Forderungsverzicht gegen Besserungsschein eröffnet dem Gläubiger die Chance, dass seine Forderungen bei einer wirtschaftlichen Erholung des Insolvenzschuldners wieder aufleben und werthaltig werden. Bei einem Forderungsverzicht (mit oder ohne Besserungsschein) müssen die Forderungen ertragswirksam aus der Bilanz ausgebucht werden. Dadurch entsteht ein sog. Sanierungsgewinn, der zu einer Steuerbelastung beim Unternehmen führen kann. Diese Folge tritt regelmäßig dann ein, wenn das Unternehmen zwar ausreichende Verlustvorträge besitzt, der Sanierungsgewinn jedoch 1 Mio. EUR übersteigt und somit die Regelungen der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG zur Anwendung kommen. Danach unterliegen 40 % des 1 Mio. EUR übersteigenden Gewinnes der Besteuerung. Der sog. Sanierungserlass,32) der die Steuerfreistellung des Sanierungsertrags regelte, wurde durch den Großen Senat des BFH am 28.11.201633) für unwirksam erklärt. In seiner Begründung führt das Gericht an, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt und keine Rechtsgrundlage für dieses BMFSchreiben besteht. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass auch künftig steuerliche Billigkeitsmaßnahmen im Allgemeinen zulässig sein können, wobei diese neuerdings einer Einzelfallprüfung unterliegen müssen. Aufgrund dieser BFH-Entscheidung wurden die Sanierungsmöglichkeiten mittels Insolvenzplan faktisch eingeschränkt, da seither keine Rechtssicherheit besteht, ob die Forderungsverzichte der Gläubiger zu einer untragbaren Steuerlast für das Unternehmen führen und somit der Sanierungserfolg maßgeblich gefährdet ist.
___________ 31) Crone, in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 97. 32) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 – Sanierungserlass. 33) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = ZIP 2017, 338, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp).
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§ 25
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
103 Mit BMF-Schreiben vom 27.4.201734) wurde der Sanierungserlass für Altfälle bis einschließlich 8.2.2017 für uneingeschränkt wirksam erklärt, jedoch hat der BFH mit Entscheidung vom 23.8.201735) diese Regelung für nicht rechtmäßig erklärt. Siehe dazu § 57 Rz. 103 ff. 104 Im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens wurde schließlich der Entwurf eines aktualisierten § 3a EStG eingebracht, auf dessen Basis unternehmensbezogene Sanierungsgewinne steuerfrei gestellt werden. Nachdem der Bundesrat diesem Gesetz am 2.6.201736) zugestimmt hat, hängt das Inkrafttreten der Norm nun noch von der Entscheidung der EU-Kommission ab, die allerdings statt durch förmliche Feststellung lediglich mittels eines Comfort Letter mitgeteilt hat, dass sie davon ausgeht, dass die beabsichtigte gesetzliche Regelung des sog. Sanierungserlasses nicht gegen europäisches Beihilferecht verstößt. Zu den Konsequenzen und für Einzelheiten siehe unten § 57 Rz. 117. 2.
Kapitalerhöhung
105 Bei einer Kapitalerhöhung werden dem Krisenunternehmen frische Mittel in Form von Bar- oder Sacheinlagen zugeführt. 106 Aus steuerlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang § 8c KStG zu beachten. Danach können steuerliche Verlustvorträge bei Anteilserwerben ganz oder teilweise untergehen. Gleiches gilt für Kapitalerhöhungen, soweit sie zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Gesellschaft führen. Beträgt die Veränderung der Beteiligungsquoten nach Kapitalerhöhung mehr als 25 %, gehen die Verlustvorträge quotal unter; bei mehr als 50 % gehen die bestehenden Verlustvorträge vollständig unter. Diese Regelung findet gemäß § 10a Satz 10 GewStG auch für die Gewerbesteuer Anwendung. Siehe dazu unten § 57 Rz. 95 ff. 107 Zu beachten ist die Vorschrift des § 8c KStG auch beim sog. Debt-Equity-Swap. Dabei beteiligt sich ein Gläubiger zum Zwecke der Sanierung an der Gesellschaft und bringt als Gegenleistung seine Forderung gegen die Gesellschaft ein. Sollte es in diesem Zusammenhang zu Veränderungen bei den Beteiligungsquoten von mehr als 25 % kommen, droht auch hier ein (anteiliger) Verlustuntergang. Hinsichtlich der Auswirkungen eines Sanierungsgewinns aus einem Debt-Equity-Swap siehe unten § 57 Rz. 193 f. VI.
Geheimhaltungserfordernisse und Auswirkung auf den Insolvenzplan
108 Der Planersteller wird sich regelmäßig damit auseinandersetzen müssen, welche Informationen er im Plan offenlegen darf und welche der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht werden dürfen oder sollen, sei es aufgrund vertraglicher Geheimhaltungserklärungen oder aufgrund strategischer Interessen. Zwar ist das Insolvenzverfahren nicht öffentlich, doch kann insbesondere bei Großverfahren mit mehreren tausend Gläubigern in der Praxis nicht davon ausgegangen werden, dass über den Planinhalt nur die verfahrensrechtlich Beteiligten Kenntnis erlangen. Um den Beteiligten dennoch die Möglichkeit zu geben, auch gesellschaftsinterne Sachverhalte zur Kenntnis zu nehmen, kann es im Einzelfall sachgerecht sein, im darstellenden Teil des Plans nur rudimentäre Ausführungen zu machen und die wesentlichen Passagen zur Einsicht auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts auszulegen. Das den Betroffenen dann möglicherweise zustehende Einsichtsrecht kann folglich durch das Insolvenzgericht kontrolliert werden – wobei hinsichtlich der Einsichtsgewährung enge Maßstäbe anzulegen sind.37) ___________ 34) BMF-Schreiben v. 27.4.2017 – IV C 6-S 2140/13/10003, BStBl. I 2017, 741. 35) BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, DStR 2017, 2322 = ZIP 2017, 2158, dazu EWiR 2017, 761 (Anzinger). 36) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses z. RegE Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen, BT-Drucks. 18/12128, S. 12 f. 37) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 234 Rz. 4; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 234 Rz. 5; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 234 Rz. 12.
692
Geiwitz/Schneider
§ 26 Gestaltender Teil des Insolvenzplans Balthasar
I. II. 1. 2. III. 1. 2.
Überblick...................................................... 1 Funktionen des Insolvenzplans ................ 9 Rechtliche Funktion .................................. 10 Wirtschaftliche Funktion .......................... 11 Beteiligte .................................................... 12 Begriff der Beteiligten................................ 13 Zwangsweise Beteiligte .............................. 15 2.1 Insolvenzgläubiger......................... 16 2.2 Nachrangige Insolvenzgläubiger......................................... 19 2.3 Absonderungsberechtigte Gläubiger........................................ 24 2.4 Schuldner ....................................... 28 2.5 Gesellschafter................................. 32 3. Freiwillig Beteiligte .................................... 34 3.1 Massegläubiger............................... 35 3.2 Aussonderungsberechtigte Gläubiger........................................ 40 3.3 Konzernverbundene Gesellschaften .......................................... 43 3.4 Auffang- bzw. Übernahmegesellschaften ................................. 44 3.5 Insolvenzverwalter ........................ 45 3.6 Sonstige Dritte............................... 46 4. Faktische Einbeziehung von Bürgen und sonstiger Drittsicherungsgeber.......... 47 IV. Gruppenbildung ....................................... 51 1. Obligatorische Gruppen ............................ 53 2. Fakultative Gruppen .................................. 56 3. Taktische Erwägungen............................... 59 V. Verfügungen.............................................. 62 1. Dingliche Rechte........................................ 67 1.1 Verwertung der Massegegenstände ............................................. 68 1.2 Einbeziehung von Drittrechten.... 71 1.3 Insolvenzfreies Vermögen und Vermögen Dritter.......................... 75 1.4 Betriebsnotwendiges vs. nicht betriebsnotwendiges Vermögen............................................. 76 2. Vertragsverhältnisse ................................... 78 2.1 Bestehende Vertragsverhältnisse.... 79 2.2 Neue Vertragsverhältnisse ............ 82 2.3 Kollektivrechtliche Vertragsverhältnisse..................................... 84 3. Anfechtungsrechte und sonstige Rechte ......................................................... 89 3.1 Anfechtungsrechte ........................ 90 3.1.1 Prozessführungsbefugnis nach Verfahrensaufhebung .................... 91 3.1.2 Regelung im Plan........................... 94
Änderungsbedarf des § 259 Abs. 3 InsO.................................... 98 3.1.4 Abtretbarkeit ................................ 99 3.2 Schadensersatzansprüche ............ 111 3.2.1 Schadensersatzansprüche gegenüber Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern.................. 112 3.2.2 Schadensersatzansprüche gegenüber Dritten ....................... 118 3.3 Sonstige gesellschafts- und zivilrechtliche Ansprüche ........... 119 3.3.1 Fehlerhafte Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals und fehlerhafte Kapitalerhöhung ....... 119 3.3.2 Nachschusspflicht des Mitglieds einer Genossenschaft........ 121 3.4 Geltendmachung der Ansprüche und Erlösverteilung ....... 122 4. Haftung des Schuldners und der Gesellschafter ........................................... 124 4.1 Haftung von natürlichen Personen als Schuldner................ 125 4.2 Haftung von juristischen Personen als Schuldner................ 127 4.3 Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter............. 130 VI. Gesellschafterleistungen und Leistungen Dritter .................................. 136 VII. Gestaltung der Insolvenzquote ............ 139 1. Rechtliche Grundlagen ............................ 140 2. Grundformen ........................................... 153 2.1 Cash-Out-Pläne........................... 154 2.2 Earn-Out-Pläne ........................... 157 2.3 Mischformen................................ 158 2.4 Leistung „an Quote Statt“ .......... 159 3. Sonderformen und Einzelfragen ............. 160 3.1 Verfahrensleitende bzw. verfahrensbegleitende Insolvenzpläne...................................... 161 3.2 Masselose bzw. massearme Insolvenzpläne ............................. 163 3.3 Besserungsscheine ....................... 166 3.4 Leistungen an Quote statt .......... 171 3.4.1 Übertragung einzelner Vermögenswerte................................ 175 3.4.2 Gewährung von Unternehmensanteilen ........................................ 179 3.4.3 Vereinbarung schuldrechtlicher Verpflichtungen........................... 181 VIII. Bedingungen und Befristungen ......... 192 1. Umfang und Grenzen .............................. 194
Balthasar
3.1.3
693
§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
1.1
2.
I.
Ausdrückliche Regelung im Plan............................................... 195 1.2 Aufschiebende und auflösende Bedingungen ................................ 196 1.3 Nachfristsetzung durch das Insolvenzgericht (§ 249 Satz 2 InsO)............................................ 198 1.4 Rechtsmittel................................. 203 1.5 Ähnliche Regelungen .................. 207 1.5.1 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 228 InsO) .......... 208 1.5.2 Schuldrechtliche Verpflichtung eines Dritten (§ 230 Abs. 3 InsO)............................................ 209 1.5.3 Echte Bedingung (§ 158 BGB) ... 210 1.5.4 Wiederauflebensklausel (§ 255 InsO) ................................ 211 Typische Ausgestaltungen....................... 214 2.1 Erbringung bestimmter Leistungen ................................... 215 2.1.1 Bestellung neuer Sicherheiten .... 216 2.1.2 Gewährung neuer Kredite........... 218 2.1.3 Sonstige Leistungen .................... 219 2.2 Verwirklichung anderer Maßnahmen......................................... 220 2.2.1 Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ................................. 221 2.2.2 Gründung einer Auffang- bzw. Übernahmegesellschaft............... 224 2.2.3 Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen ...................................... 225
2.2.4
Sanierungs- und Fortführungstarifverträge sowie Personalanpassungen..................................... 230 2.2.5 Sonstige Maßnahmen.................. 233 IX. Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen.............................................. 236 1. Befriedigung der Massegläubiger (§ 258 Abs. 2 InsO) ................................. 237 2. Kreditrahmen (§ 264 InsO) .................... 243 2.1 Normzweck und praktische Bedeutung.................................... 244 2.2 Voraussetzungen ......................... 247 2.3 Rechtsfolgen................................ 252 3. Salvatorische Klauseln ............................. 258 4. Präklusionsregelungen............................. 265 4.1 Materiell-rechtliche Wirkungen des Insolvenzplans ...................... 266 4.2 Wirkungen für und gegen sog. Nachzügler (§§ 254b, 254 Abs. 1 InsO)................................ 269 4.3 Ausschlussklauseln im Insolvenzplan ....................................... 273 4.4 Vollstreckungsschutz gemäß § 259a InsO ................................. 275 4.5 Verjährung gemäß § 259b Abs. 1 InsO ................................. 279 5. Planüberwachung..................................... 280 X. Exkurs: Haftung des Insolvenzverwalters bei Scheitern des Plans ........ 285
Überblick
1 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans ist rechtlich der Kern des Insolvenzplans. Er regelt, welche Rechtsfolgen der Insolvenzplan für die Beteiligten bewirkt. (§ 221 InsO). Die potentiellen Regelungsinhalte des gestaltenden Teils des Insolvenzplans kombinieren persönliche Elemente (Wessen Rechtstellung kann durch den Plan geregelt werden? Siehe Rz. 12 ff.) mit sachlichen Elementen (Welche Art von Regelungen sind zulässig? Siehe Rz. 62 ff.).1) 2 Ein wesentliches Merkmal der gestaltenden Wirkung des Insolvenzplans ist die Möglichkeit, in gesetzlich definiertem Umfang durch Mehrheitsentscheidungen bestimmte Gruppen von Gläubigern sowie den Schuldner und dessen Anteilseigner zwangsweise den Regelungen des gestaltenden Teils zu unterwerfen (siehe Rz. 15). Weitere Gruppen von Gläubigern und sonstige Dritte können hingegen nur freiwillig am Plan beteiligt werden (siehe Rz. 34 ff.). 3 Wesentliches Element des Abstimmungsverfahrens über einen Insolvenzplan ist die Bildung einzelner Gruppen von Beteiligten (siehe Rz. 51 ff.). 4 Der gestaltende Teil eines Insolvenzplans greift in bestehende Rechte ein und kann neue Rechte schaffen (siehe Rz. 62 ff.). Die Einwirkung auf bestehende Rechte kann neben dinglichen und schuldrechtlichen Ansprüchen des Schuldners auch insolvenzspezifische ___________ 1)
694
Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 58.
Balthasar
§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
Rechte (z. B. die Anfechtungsrechte der §§ 129 ff. InsO) und insolvenztypische Rechte (z. B. Schadensersatzansprüche gegenüber den Geschäftsleitern wegen verzögerter Insolvenzantragstellung) betreffen. Eine Schlechterstellung der Gläubiger im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren ist i. R. 5 des Insolvenzplanverfahrens unzulässig. Das wirtschaftliche Konzept des Plans und damit insbesondere die Gestaltung der Insolvenzquote (siehe Rz. 139 ff.) stellen daher einen erheblichen Teil des Aufwands der Erstellung des Plans dar. Ein wichtiges Instrument zur Gestaltung eines Insolvenzplans stellen Bedingungen und 6 Befristungen des Plans dar (siehe Rz. 192 ff.). Hierdurch kann insbesondere die Regelung insolvenzplanfremder Sachverhalte mit dem Plan verzahnt wird. Schließlich bietet das Insolvenzplanverfahren einige Verfahrensregelungen und sonstige 7 Regelungen, durch die das Procedere weiter vereinfacht und beschleunigt werden kann (siehe Rz. 236 ff.). Ursprünglich für Unternehmensinsolvenzen geschaffen, ist der Insolvenzplan heut auch 8 in Verbraucherinsolvenzverfahren anwendbar.2) Die nachfolgende Darstellung orientiert sich gleichwohl an der Unternehmensinsolvenz. II.
Funktionen des Insolvenzplans
Das deutsche Insolvenzrecht ist geprägt von dem Gedanken der Gläubigerautonomie. 9 Geleitet von diesem Gedanken gewährte der Gesetzgeber der InsO folgerichtig den Gläubigern mit dem Insolvenzplanverfahren eine Option auf eine Privatisierung der Insolvenzabwicklung.3) 1.
Rechtliche Funktion
Der gestaltende Teil des Insolvenzplans stellt die rechtliche Realisierung der Motiva- 10 tionen des darstellenden Teils des Insolvenzplans dar. So treten mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein, § 254 Abs. 1 InsO. In ihm werden die für eine Realisierung des Planziels erforderlichen Rechtsänderungen sowohl schuldrechtlich als auch dinglich vollzogen.4) Neben diesen materiell-rechtlichen Auswirkungen besteht die Möglichkeit, i. R. eines Insolvenzplans teilweise auch auf die verfahrensrechtlichen Vorschriften der InsO Einfluss zu nehmen. Während der Inhalt des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans den vertragsrechtlichen Beschränkungen des allgemeinen Zivilrechts unterliegt, ergeben sich die formalen Voraussetzungen des Plans als spezifisches insolvenzrechtliches Instrument aus der InsO. 2.
Wirtschaftliche Funktion
Die wirtschaftliche Funktion erklärt v. a. aus einem Vergleich der typische Arten von Plänen 11 mit dem Regelinsolvenzverfahren. Denn Letzteres bietet als Weg zur Erreichung des Verfahrensziels der Gläubigerbefriedigung lediglich die reine Verwertungs- und Zerschlagungsmaxime der Gesamtvollstreckung an.5) Zwar kann auch i. R. eines Regelinsolvenzverfah___________ 2)
3) 4) 5)
Art. 1 Nr. 38, Art. 9 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2379 ff. Zu Einzelheiten vgl. Beyer, ZVI 2013, 334 ff.; Heyer, ZVI 2012, 321 ff.; Rugullis, NZI 2013, 869, 871 ff.; Schmerbach, NZI 2012, 689 ff. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 1. Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 2. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 15.
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695
§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
rens durch eine übertragende Sanierung der Erhalt (eines Teils) des schuldnerischen Unternehmens erreicht werden. Weitergehende Optionen – insbesondere die Fortführung des Unternehmens durch den bisherigen Rechtsträger, die sog. Eigensanierung, oder die Verwirklichung von Schadensvermeidungs- oder Schadensminimierungskonzepten – sind hingegen nur möglich, sofern anstatt des Regelinsolvenzverfahrens der Weg eines Insolvenzplanverfahrens beschritten wird. III.
Beteiligte
12 Wirtschaftlich sind an einem Insolvenzverfahren neben dem Schuldner eine Vielzahl unterschiedlicher Gläubigertypen beteiligt. Dass innerhalb eines Insolvenzverfahrens bspw. die Rechtsposition der Anteilseigner eines Unternehmens weniger schützenswert ist als die dingliche Rechtsposition eines Eigentumsvorbehaltsverkäufers, ist selbsterklärend. Aufgrund derartiger Unterschiede variieren die Möglichkeiten eines Eingriffs in bestehende Rechtspositionen erheblich. 1.
Begriff der Beteiligten
13 Im Hinblick auf die Personen, deren Rechtsstellung durch einen Insolvenzplan beeinflusst werden kann, werden in § 217 Satz 1 InsO die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger und der Schuldner erwähnt.6) Die §§ 217 ff. InsO enthalten jedoch an verschiedenen Stellen den Begriff der „Beteiligten“, ohne dass das Gesetz diesen definiert. Der Sprachgebrauch im Regierungsentwurf InsO ist uneinheitlich, die Begründungen zu den einzelnen Vorschriften tragen zur Klärung nicht bei.7) Der für die personelle Reichweite eines Insolvenzplans maßgebliche Beteiligtenbegriff weist also erhebliche Unklarheiten auf.8) 14 Die daher erforderliche Auslegung des Begriffs in der juristischen Literatur ist ebenfalls uneinheitlich. So sehen Teile der Literatur als Beteiligte nur diejenigen an, deren Rechte und Pflichten durch einen Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden können.9) Andere Teile der Literatur sehen hingegen auch diejenigen als Beteiligte an, welche sich freiwillig an dem Plan beteiligen.10) Die letztgenannte weite Auslegung überzeugt. Denn gerade die freiwillige Beteiligung Dritter, wie etwa eines Investors oder eines Gesellschafters, ist ein in der Praxis häufig anzutreffender Weg zur Gestaltung der Planquote. Nachfolgend soll daher – ohne sich weiter i. E. der Begrifflichkeitsdiskussion hinzugeben – unterschieden werden zwischen möglichen zwangsweise Planbeteiligten und möglichen freiwillig Planbeteiligten.11)
___________ Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 59. So auch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 20. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 59. U. a. Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 26. Haas, in: Kayser/Thole, HKInsO, § 221 Rz. 2.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 284. 10) So Thies, in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 5 f.; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 60; unklar Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 221 Rz. 7, die als Beteiligte diejenigen Rechtsträger ansehen, die „planunterworfene Rechtspositionen halten“. 11) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 60, der den Begriff der Beteiligten funktional in zwei Gruppen unterteilt, nämlich „zwangsweise Planunterworfene“ und „nicht zwangsweise Planunterworfene“. Insbesondere die Bezeichnung „zwangsweise Planunterworfene“ stellt jedoch nicht hinreichend klar, dass außer den Insolvenzgläubigern sämtliche weiteren Zugehörigen dieser Gruppe nicht zwingend an jedem Insolvenzplan beteiligt sind, sondern nur insoweit, als ihre Rechte von dem Plan betroffen sind, vgl. §§ 217, 223 Abs. 1 Satz 1, § 225 Abs. 1, § 225a Abs. 1 InsO. 6) 7) 8) 9)
696
Balthasar
§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans 2.
Zwangsweise Beteiligte
Die zwangsweise Beteiligten sind sämtliche Beteiligte, in deren zivilrechtliche Rechtsposi- 15 tion durch Mehrheitsentscheidungen gemäß §§ 244 f. InsO auch gegen ihren Willen eingegriffen werden kann. Diese Möglichkeit zum Eingriff in Rechte begründet zugleich die Notwendigkeit eines numerus clausus der zwangsweise Beteiligten und der gestaltbaren Rechtspositionen. Dieser numerus clausus12) des zwangsweisen Eingriffs umreißt einerseits die subjektive Rechtskraft des Insolvenzplans (in wessen Rechtsposition kann zwangsweise eingegriffen werden), als auch die objektive Rechtskraft (in welche Rechtsstellung kann eingegriffen werden?).13) Zu dem numerus clausus der möglichen zwangsweise Planbeteiligten gehören u. a. gemäß § 217 Satz 1 InsO die absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 223 InsO) und die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 224 InsO). Aber auch die nachrangigen Gläubiger (§ 225 InsO) und der Schuldner (§ 227 InsO) können zwangsweise den Regelungen eines Insolvenzplans unterworfen werden.14) Der Reformgesetzgeber des ESUG erweiterte die Gruppe der möglichen zwangsweise Planbeteiligten durch eine Ergänzung des § 217 InsO. Nach § 217 Satz 2 InsO können nunmehr die am Schuldner beteiligten Personen in den Plan mit einbezogen werden. Nach der Regelung des § 225a InsO kann dies auch gegen den Willen der betroffenen Anteilseigner und damit zwangsweise geschehen. 2.1
Insolvenzgläubiger
Zu den Beteiligten, deren Rechtsstellung gegen ihren Willen durch einen Plan geändert 16 werden kann, gehören in erster Linie die Insolvenzgläubiger.15) Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO diejenigen persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten, auf Geld gerichteten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Mit dem Begriff der Insolvenzgläubiger sind im Folgenden jedoch nur die einfachen, also die nicht gesicherten und auch nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gemeint. Wegen ihrer ausdrücklichen Nennung in § 217 InsO sind sie als mögliche zwangsweise Planbeteiligte einzuordnen.16) Regelmäßig bildet die Regelung ihrer Rechte den Hauptgegenstand des gestaltenden Teils des Insolvenzplans.17) In einem Insolvenzplan können Änderungen der Rechtsstellung der beteiligten Insolvenz- 17 gläubiger getroffen werden. Nach dem Gesetz haben die Insolvenzgläubiger einen Anspruch auf Quote, vgl. §§ 187 ff. InsO. Hiervon kann im gestaltenden Teil des Insolvenzplans abgewichen werden.18) Diese Abweichung kann in einer Kürzung (bis hin zum vollständigen Erlass), einer Stundung oder einer Besicherung der Insolvenzforderung sowie jeder sonstigen Regelung liegen.19) Soll eine Sicherheit gegeben werden, so kann das Sicherungsgeschäft selbst zum Teil des Insolvenzplans gemacht werden.20) Als sonstige Regelungen kommen insbesondere Forderungsverzicht mit Besserungsschein, Rangrücktritt sowie die Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) in Betracht.21) ___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)
Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 33. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 284 f. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 221 Rz. 3. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 61. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 10; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 61. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 224 Rz. 1; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 224 Rz. 1. Vgl. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 224 Rz. 4. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 82 ff.; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 7. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 224 Rz. 3. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 224 Rz. 13 ff.
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§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
18 Hinsichtlich eines Debt-Equity-Swaps besteht die Möglichkeit, diesen ohne Zustimmung der (bisherigen) Anteilsinhaber durchzuführen, vgl. § 217 Satz 2 InsO.22) Die Zustimmung des betreffenden Gläubigers hingegen muss vorliegen, ohne diese können dessen Forderungen gemäß § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO nicht in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am schuldnerischen Unternehmen umgewandelt werden (zum Debt-Equity-Swap siehe unten § 31). 2.2
Nachrangige Insolvenzgläubiger
19 Mögliche zwangsweise Planbeteiligten sind auch die nachrangigen Insolvenzgläubiger.23) Nachrangige Insolvenzgläubiger i. S. des § 39 InsO sind solche Gläubiger, deren Forderungen erst nach Berichtigung der übrigen Forderungen der (einfachen) Insolvenzgläubiger berichtigt werden. Weitere Nachrangregelungen enthalten die § 327 InsO und § 51 Abs. 1 VAG sowie Art. 108 Abs. 1 EGInsO. Die Nachrangregelung der §§ 264, 265 InsO betrifft den Sonderfall einer Folgeinsolvenz, wenn in der vorangegangenen Insolvenz ein Kreditrahmen nach §§ 264 ff. InsO vereinbart wurde. 20 In der Praxis sind insbesondere die Gläubiger nachrangiger Gesellschafterdarlehen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) sowie die Gläubiger von Forderungen, für die im Wege eines Rangrücktritts der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart wurde (§ 39 Abs. 2 InsO), vom Nachrang ihrer Forderungen gegenüber den Forderungen der übrigen (einfachen) Insolvenzgläubiger betroffen. 21 Begründung für die Planbeteiligung: Mit dem Begriff der Insolvenzgläubiger in § 217 InsO wollte der Gesetzgeber auch die nachrangigen Insolvenzgläubiger erfassen. Dies zeigen die Regelungen der §§ 222 und 225 InsO über die Einteilung der nachrangigen Insolvenzgläubiger in unterschiedliche Gruppen (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO) sowie die Effekte des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans für die nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 225 InsO).24) 22 Regelungen durch den Plan: Gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 InsO sind die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger bereits außerhalb eines Insolvenzplanverfahrens nur anzumelden, wenn das Insolvenzgericht gesondert zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert. Ein solcher Beschluss ist in der Praxis eher die Ausnahme. Denn bereits die nicht nachrangigen, also einfachen Insolvenzgläubiger können i. d. R. nicht mit einer vollständigen Befriedigung rechnen. Deshalb gelten im Insolvenzplanverfahren die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger gemäß § 225 Abs. 1 InsO grundsätzlich bereits kraft Gesetzes als erlassen, ohne dass es einer dahingehenden Regelung im Insolvenzplan bedarf.25) 23 Ausnahmsweise kann eine abweichende Regelung im Insolvenzplan i. S. des § 225 Abs. 2 InsO dann in Betracht kommen, wenn eine besonders effektive Abwicklung der Insolvenz auf Grundlage des Plans mit vollständiger Befriedigung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger i. S. des § 38 InsO erwartet wird. Denn dann kann ein Überschuss für die Nachranggläubiger möglich sein.26) In der Praxis ist dieser Fall jedoch eher die Ausnahme. Die Bildung einer Gruppe der nachrangigen Gläubiger nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO zur Beteiligung an Quotenzahlungen kommt daher eher selten in Betracht. ___________ 22) 23) 24) 25) 26)
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Vgl. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 13; Willemsen/Rechel, ESUG, § 225a Rz. 15. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 63. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 63. Vgl. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 13. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 14; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 225 Rz. 2.
Balthasar
§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans 2.3
Absonderungsberechtigte Gläubiger
Zu den möglichen zwangsweise Planbeteiligten gehören darüber hinaus absonderungsbe- 24 rechtigte Gläubiger.27) Absonderungsberechtigte sind solche Gläubiger, die Inhaber eines Absonderungsrechts nach den §§ 49–51 InsO sind. Ein Absonderungsberechtigter ist nicht zwingend gleichzeitig Insolvenzgläubiger, vgl. § 52 InsO.28) Dies ist bspw. dann der Fall, wenn das Absonderungsrecht an einem Massegegenstand für eine Forderung des Absonderungsberechtigten gegen einen Dritten besteht. Obwohl die InsO das Absonderungsrecht unabhängig von der sonstigen Gläubigereigenschaft behandelt, kann bei der Aufstellung eines Insolvenzplans zu berücksichtigen sein, ob der absonderungsberechtigte Gläubiger auch Insolvenzgläubiger ist.29) Begründung für die Planbeteiligung: Bereits § 217 Satz 1 InsO nennt die „Befriedigung 25 der absonderungsberechtigten Gläubiger“ als möglichen Regelungsgegenstand eines Insolvenzplans. Die § 222 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 223 InsO regeln sodann Details. Regelungen durch den Plan: Die Absonderungsrechte werden durch den Plan grund- 26 sätzlich nicht berührt.30) Soll das Schicksal der Absonderungsrechte hingegen im Plan von der gesetzlichen Regelung abweichend geregelt werden, so muss dies ausdrücklich und hinreichend bestimmt geschehen.31) Hierbei kann auf unterschiedliche Weise von den §§ 165 bis 173 InsO abgewichen werden.32) Eine solche Abweichung i. S. des § 223 InsO kann den Inhalt oder die Ausübung des Absonderungsrechts, aber auch den von dem Absonderungsrecht erfassten Vermögensgegenstand selbst betreffen.33) Eine abweichende Regelung liegt auch vor, wenn der mit dem Absonderungsrecht belastete Vermögensgegenstand durch einen anderen Vermögensgegenstand ausgetauscht wird. Ein solcher Austausch ist schon im Grundsatz nur denkbar, wenn der tauschhalber gewährte Vermögensgegenstand gegenüber dem ursprünglichen zumindest gleichwertig ist.34) Mittelbare Beeinträchtigungen des Absonderungsrechts durch eine Bestimmung, die allein die dem Absonderungsrecht zugrunde liegende Insolvenzforderung regelt, stellen ebenfalls Abweichungen vom Gesetz dar.35) In einem Insolvenzplan nicht vereinbart werden können abweichende Bestimmungen hin- 27 sichtlich der Absonderungsrechte aus Finanzsicherheiten i. S. von § 1 Abs. 17 KWG sowie der Sicherheiten, die dem Betreiber oder dem Teilnehmer eines Systems nach § 1 Abs. 16 KWG wegen seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines Mitgliedstaats der EU oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden, § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO. Finanzsicherheiten sind solche, die einem Unternehmen des Finanzsektors zur Sicherung von Forderungen aus dem Erwerb von Finanztiteln gestellt werden, die im KWG und in den Richtlinien näher bezeichnet sind.36)
___________ 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)
Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 64. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 2. Hass, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 2. Thies, in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 3; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 4. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 1. Thies, in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 5. Thies, in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 5. Thies, in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 6. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 4. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 7; ausf. Obermüller, ZInsO 2004, 187; Meyer/Rein, NZI 2004, 367 m. w. N.
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§ 26 2.4
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Schuldner
28 Der Schuldner selbst ist möglicher zwangsweise Planbeteiligter.37) Der Begriff des Schuldners i. S. des Insolvenzplanverfahrens ist verfahrensrechtlich zu verstehen: Schuldner ist derjenige, über dessen Vermögen gemäß § 11 und § 12 InsO das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.38) 29 Begründung für die Planbeteiligung: Der Schuldner wird zunächst ausdrücklich in § 217 Satz 1 InsO genannt. Zudem kann für den Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch eine Überwachung der Planerfüllung zulasten des Schuldners vereinbart werden, § 259 Abs. 2, § 260 Abs. 1 InsO. 30 Regelungen durch den Plan: Die im Insolvenzplan aufgestellten Regelungen können insbesondere unmittelbaren Einfluss auf die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens haben, vgl. § 217 Satz 1 InsO. 31 Zugunsten des Schuldners erfolgt gemäß § 227 Abs. 1 InsO im Regelfall durch den Insolvenzplan eine Befreiung von sämtlichen restlichen Insolvenzverbindlichkeiten. Denn der Schuldner soll im Insolvenzplanverfahren nicht schlechtergestellt sein als in einem Regelinsolvenzverfahren. Bei einer natürlichen Person als Schuldner stünde am Ende des Verfahrens die Restschuldbefreiung.39) Die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung dient hierbei u. a. der Motivation des Schuldners zur Mitwirkung bei der Realisierung des Plans.40) Aber auch wenn der Schuldner keine natürliche Person ist, sollen dessen Organe i. R. des Insolvenzplanverfahrens durch die Regelung des § 227 Abs. 1 InsO zur Mitwirkung motiviert werden. 2.5
Gesellschafter
32 Die Gesellschafter eines insolventen Unternehmens waren nach Ansicht der ganz h. L. ursprünglich nicht mögliche zwangsweise Planbeteiligte.41) Denn ihre Rechtsstellung konnte nicht allein durch einen Insolvenzplan zu ihrem Nachteil verändert werden. Ob sie ohne einen Plan wegen Überschuldung keinen Verwertungserlös beanspruchen konnten, hatte hierbei keinerlei Bedeutung.42) Ein Insolvenzplan, der die Fortführung des Unternehmens unter dem bisherigen Rechtsträger vorsah oder der neue Kapitalgeber an diesem beteiligen sollte, war daher nach alter Rechtslage nicht durchführbar, wenn die Gesellschafter sich weigerten, Insolvenzgläubiger als neue Gesellschafter aufzunehmen.43) Die Gesellschafter konnten damit die Sanierungsbemühungen des Insolvenzverwalters und der Gläubiger konterkarieren, indem sie sich weigerten, ihre wertlosen Anteile ohne Gegenleistung abzutreten. Diese Art der gesetzlichen Regelung wurde von der h. M. als äußerst unzureichend empfunden, da insbesondere ein Debt-Equity-Swap oftmals als einziger Weg zur Erhaltung des Unternehmens angesehen wurde.44) ___________ Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 66. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 66. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 227 Rz. 1 f. Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 227 Rz. 7 ff. Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 67; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 682 ff.; Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 8.7; Noack, Gesellschaftsrecht, 1999, Rz. 7, 105, 114; Noack/ Bunke, KTS 2005, 129, 130 f.; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1518; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 217 Rz. 35; Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 217 Rz. 11; Kluth, ZInsO 2002, 258, 263; Haas/ Hossfeld, in: Gottwald, InsR-Hdb., 4. Aufl., 2010, § 92 Rz. 300. 42) Jaffé, in: Wimmer, InsO, 7. Aufl., 2013, § 221 Rz. 5; Flessner, in: HK-InsO, 7. Aufl., 2013, § 221 Rz. 3. 43) Flessner, in: HK-InsO, 7. Aufl., 2013, § 221 Rz. 3. 44) Hierzu ausf. Dahl, NJW-Spezial 2012, 21.
37) 38) 39) 40) 41)
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§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
Der Reformgesetzgeber des ESUG hat nunmehr auch die Inhaber von „Anteils- und Mit- 33 gliedschaftsrechten“ in die Gruppe der möglichen zwangsweise Planbeteiligten aufgenommen.45) 3.
Freiwillig Beteiligte
Zu den möglichen freiwillig Planbeteiligten gehören u. a. die Massegläubiger, die Sozial- 34 plangläubiger und die Aussonderungsberechtigten.46) Aber auch konzernverbundene Gesellschaften, eventuelle Auffang- oder Übernahmegesellschaften sowie sonstige Dritte können als mögliche freiwillig Planbeteiligte in Betracht kommen. Dazu bedarf es der Zustimmung jedes Einzelnen.47) 3.1
Massegläubiger
Zu den grundsätzlich freiwillig Beteiligten eines Insolvenzplans gehören die Massegläubi- 35 ger.48) Massegläubiger sind solche Gläubiger, deren Ansprüche nach § 53 InsO vor den Ansprüchen der Insolvenzgläubiger zu berichtigen sind. Regelungen durch den Plan: Eine Änderung der Rechtsposition von Massegläubigern 36 kommt nur durch deren freiwillige vertragliche Bindung in Betracht. Auch im Insolvenzplanverfahren werden sie nicht als Gläubigergemeinschaft zusammengefasst, sondern vielmehr individuell vorweg befriedigt.49) Die h. L. geht richtigerweise davon aus, dass Inhaber von Sozialplanansprüchen gemäß 37 § 123 Abs. 1 InsO ebenfalls nicht gegen ihren Willen an einen Insolvenzplan gebunden werden können und daher lediglich als freiwillig Planbeteiligte in Betracht kommen.50) Dies liegt daran, dass Sozialplanverbindlichkeiten gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeiten einzuordnen sind. Die Gegenansicht51) vermag letztlich nicht zu überzeugen, verkennt sie doch die Frage des Zeitpunkts der Aufstellung eines eventuellen Sozialplans. Denn wurde dieser nach Insolvenzeröffnung und außerhalb eines Insolvenzplans bereits wirksam vereinbart, so können die hieraus resultierenden Ansprüche der Sozialplangläubiger nicht mehr gekürzt werden.52) Etwas anderes mag freilich gelten, wenn die Sozialplanansprüche erst in einem Insolvenzplan begründet werden.53) Verzichten Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans auf Teile ihrer Forderungen, so führt dies 38 handels- und steuerbilanziell zu einem Sanierungsertrag. Bis zu einer Entscheidung des Großen Senats des BFH54) Ende 2016 konnten der aus einem solchen Sanierungsertrag resultierende Sanierungsgewinn aufgrund des sog. Sanierungserlasses des BMF55) unter bestimmten Voraussetzungen von der Steuer befreit werden. Nachdem dieser Erlass durch den BFH Ende 2016 mangels gesetzlicher Grundlage als Verstoß gegen den Grundsatz ___________ 45) 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55)
Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 13; Willemsen/Rechel, ESUG, § 225a Rz. 1 f. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 20. Thies, in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 5; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 73. Allg. M.; stellvertretend für viele vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 74; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 217 Rz. 30 f. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 11. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 76; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 11. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 217 Rz. 34. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 76; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 8. Vgl. zur Zulässigkeit eines solchen Vorgehens Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 77 und § 221 Rz. 101. BFH v. 28.11.2016 – Grs 1/15, ZIP 2017, 338. BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 8/03, BStBl. I 2003, 240, und BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung qualifiziert wurde, bedurfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Diese schuf der Gesetzgeber bereits Mitte 2017 durch eine Neuregelung in § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG.56) Hiernach ist nunmehr der Sanierungsertrag, der durch einen Forderungsverzicht entsteht, steuerfrei. Dies gilt aufgrund der gesetzlichen Regelung sowohl für die Ertrags- bzw. Körperschaftsteuer als auch für die Gewerbesteuer (siehe ausführlich unten § 57 Rz. 103 ff.). 39 Nach § 210a InsO ist auch bei Masseunzulänglichkeit ein Insolvenzplanverfahren zulässig. Da ggf. die Forderungen der Massegläubiger nur noch quotal und die Forderungen der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger überhaupt nicht mehr befriedigt werden können, treten nach der genannten Norm die Massegläubiger an die Stelle der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, § 210a Nr. 1 InsO. Damit kann die Befriedigung der Massegläubiger bei Masseunzulänglichkeit ebenfalls Gegenstand eines Insolvenzplans sein, § 210a Nr. 1 i. V. m. § 217 InsO. Die Massegläubiger sind dann ausnahmsweise zwangsweise Planbeteiligte. 3.2
Aussonderungsberechtigte Gläubiger
40 Anders als Massegläubiger sind aussonderungsberechtigte Gläubiger nie mögliche zwangsweise Planunterworfene.57) Wer aussonderungsberechtigter Gläubiger ist, ergibt sich aus den §§ 47 f. InsO. Nach § 47 Satz 1 InsO sind dies solche Gläubiger, die aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen können, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. 41 Regelungen durch den Plan: Die Rechte der aussonderungsberechtigten Gläubiger können nur mittels vertraglicher Abrede geändert werden, eine Rechtsänderung kann also lediglich auf freiwilliger Basis stattfinden.58) 42 Solche freiwilligen Abreden werden in der Praxis etwa zum Zweck einer optimalen Gläubigerbefriedigung getroffen. Ergibt sich durch den Plan bspw. für den betreffenden Gläubiger eine schnellere Realisierung seines Aussonderungsrechts, so wird er dem Plan üblicherweise zustimmen. Im Gegenzug kann der aussonderungsberechtigte Gläubiger bspw. Zugeständnisse im Hinblick auf eine finanzielle Beteiligung der Insolvenzmasse machen. 3.3
Konzernverbundene Gesellschaften
43 Mit dem schuldnerischen Unternehmen konzernverbundene Unternehmen (Tochter-, Mutter- oder Schwesterunternehmen) sind allein aus ihrer Konzernverbundenheit heraus nicht am Insolvenzverfahren beteiligt. Nichts anderes gilt bei einer vom Regelinsolvenzverfahren abweichenden Regelung durch einen Insolvenzplan. 3.4
Auffang- bzw. Übernahmegesellschaften
44 Gleiches gilt für eventuelle Auffang- bzw. Übernahmegesellschaften, die im Wege der übertragenden Sanierung einen Teil oder den gesamten operativen Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens erworben haben. Soll im Plan bspw. festgelegt werden, dass den Gläubigern des Schuldners gegen eine Auffang- bzw. Übernahmegesellschaft
___________ 56) Art. 2 ff. des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken, v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 57) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 81; Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 8.9; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 217 Rz. 530 f. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 217 Rz. 63. 58) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 81.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans
ein bestimmter Anspruch zustehen soll, so kann dies nicht ohne Mitwirkung der Auffang- und Übernahmegesellschaft geschehen.59) 3.5
Insolvenzverwalter
Durch einen Insolvenzplan bleiben Rechte des Insolvenzverwalters unberührt. Er kann 45 mit diesen – bspw. seinem Vergütungsanspruch – nicht zwangsweise an einem Plan beteiligt werden. Nach Auffassung der Rechtsprechung kann die Vergütung des Insolvenzverwalters auch nicht freiwillig zum Gegenstand eines Insolvenzplans gemacht werden, um so die Entscheidung des Insolvenzgerichts vorwegzunehmen.60) 3.6
Sonstige Dritte
Sonstige Dritte – wie z. B. ein Investor oder neuer Kreditgeber – sind grundsätzlich keine 46 Planbeteiligten. Geht jedoch ein Dritter i. R. eines Insolvenzplans gegenüber den Gläubigern Verpflichtungen ein (vgl. § 230 Abs. 3 InsO), so entfaltet der Plan auch diesem einzelnen Dritten gegenüber Wirkung nach Maßgabe des § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO.61) 4.
Faktische Einbeziehung von Bürgen und sonstiger Drittsicherungsgeber
Der numerus clausus der zwangsweise am Plan Beteiligten schließt es grundsätzlich aus, 47 Bürgen und andere Drittsicherungsgeber in die Rechtskraft des Insolvenzplans einzubeziehen. Dies ist insbesondere dann misslich, wenn es darum geht, eine Unternehmensgruppe zu sanieren, bei der sich neben der eigentlichen Schuldnerin eine Reihe weiterer Gruppenunternehmen durch Bürgschaft oder Stellung dinglicher Sicherungsrechte an den eigenen Aktiva für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin mit verpflichtet hat. Der numerus clausus der zwangsweise am Plan Beteiligten verbietet es, solche Mithafter in die Rechtskraft des Plans mitaufzunehmen und sie aus der Haftung zu entlassen.62) Oft ist es aber möglich, eine wirtschaftlich äquivalente Gestaltung des Insolvenzplans zu wählen, die zu einer faktischen Einbeziehung der Bürgen oder Sicherungsgeber führt: In der Ausgangslage ist es häufig so, dass die Kreditfinanzierung der Gruppe über deren Kopfgesellschaft (oder eine spezielle Finanzierungsgesellschaft) erfolgt und diese dann die notwendigen Kreditmittel an die operativen Gruppengesellschaften durchreicht. Im Gegenzug verpflichten sich die Gruppengesellschaften gegenüber den externen Kreditgebern mit. Um die Lebensfähigkeit der Gruppe zu erhalten, besteht meist das Bestreben, die operativen Gesellschaften insolvenzfrei zu halten und die Insolvenz und den Insolvenzplan auf die Gruppengesellschaft zu beschränken. Dies ist so lange unproblematisch, wie die Mithaftung der Töchter nur gegenüber einzel- 48 nen oder einer homogenen Gruppe von Kreditgebern besteht. Diesen kann dann im Plan eine Insolvenzquote angeboten werden, die sich an dem Wert der Gesamtposition – also der Befriedungserwartung aus der Insolvenz der Kopfgesellschaft plus der Erlöserwartung einer hypothetischen Insolvenz der Mithafter – orientiert. Zugleich wird die Aufgabe des Sicherungsrechts als Bedingung für die Auszahlung der Insolvenzplanquote gemacht. Da die Freigabe der Sicherungsrechte wirtschaftlich zu einer Mehrung des Vermögens der Kopfgesellschaft führt, denn die Anteile an den Gruppengesellschaften erwachsen inso___________ 59) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 91. 60) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = DZWIR 2017, 334 (m. Anm. Skauradszun), dazu EWiR 1017, 179 (Madaus). 61) Spahlinger, in: KPB, InsO, § 221 Rz. 5. 62) Vgl. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 287.
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weit wieder in Wert, ist dies aus der Sicht der Kopfgesellschaft wirtschaftlich vernünftig und rechtlich zulässig. 49 Problematisch wird die Situation aber dann, wenn damit zu rechnen ist, dass nicht alle Gläubiger ihre gesamte Sicherungsposition aufgeben und die Summe der Sicherungsrechte nicht so bemessen ist, dass alle besicherten Gläubiger vollständige Befriedigung erwarten können. Denn in dem Maße, wie ein Teil der Gläubiger Sicherungsrechte aufgibt, findet wirtschaftlich eine Vermögensverschiebung innerhalb der Gläubiger statt. Durch Aufgabe der Sicherungsrechte durch einzelne Gläubiger wächst deren Sicherungswert bei den sich verweigernden Gläubigern an. 50 Dieser Verschiebungseffekt lässt sich beherrschen. Denn die Vermögensverschiebung setzt das Erlöschen des Sicherungsrechts voraus. Dies lässt sich durch Zwischenschaltung einer Zweckgesellschaft im Insolvenzplan einfach vermeiden: Den besicherten Gläubigern wird im Insolvenzplan die Wahl zwischen zwei Planquoten angeboten: Einer „kleinen Planquote“, die sich allein an der Erlöserwartung aus der insolventen Kopfgesellschaft orientiert, und einer „großen Planquote“ die den Wert der Sicherungsrechte miteinbezieht. Die Gläubiger, die die kleine Planquote wählen, behalten ihre Sicherungsrechte. Die Gläubiger, die die große Planquote wählen, verpflichten sich, im Gegenzug zur Planquote ihre Forderung und die daran hängenden Sicherungsrechte auf die Zweckgesellschaft zu übertragen.63) Diese wiederum verpflichtet sich, eventuelle Erlöse aus den Sicherheiten an die insolvente Kopfgesellschaft auszukehren. Damit wird der wirtschaftliche Wert der freigegebenen Sicherungsrechte in der Zweckgesellschaft „gefangen“ und eine Vermögensverschiebung verhindert. Besonders effektiv ist eine solche Konstruktion dann, wenn die besicherten Gläubiger von vornherein – wie etwa bei Anleihen oder bei Konsortialkrediten – oder aufgrund nachträglicher Vereinbarungen in der Krise (Sicherheitenpoolvereinbarungen) vertraglich in einer GbR zusammengeschlossen sind und die Sicherungsrechte nur gemeinsam ausüben können. Ist für eine Verwertung ein Mehrheitsbeschluss erforderlich, so kann die Zweckgesellschaft bei Übertragung einer hinreichenden Anzahl von besicherten Forderungen die Verwertung so lange blockieren, bis die GbR aufgelöst ist.64) Der Anreiz für eine Minderheit besicherter Gläubiger, sich zulasten der übrigen Gläubiger und der insolventen Gesellschaft der „großen Planquote“ zu verweigern, ist dann sehr gering. IV.
Gruppenbildung
51 Ein wesentliches Element eines jeden Insolvenzplans ist die Bildung von gesondert über den Insolvenzplan abstimmenden Gruppen von Beteiligten. Hierbei sollen die jeweiligen Gläubigertypen zu Interessengemeinschaften zusammengefasst werden, um dann kraft dieses Kollektivs zu einer gemeinschaftlichen Entscheidung über den Insolvenzplan zu kommen, vgl. § 244 InsO. Der Plan ist angenommen, wenn in jeder Gruppe die Kopfmehrheit der Gläubiger und die Summenmehrheit der festgestellten Forderungen gegeben ist, § 244 InsO.65) 52 Der Zweck der Gruppenbildung besteht darin, den unterschiedlichen Interessen der Gläubiger Rechnung zu tragen.66) Mit der Homogenität der Interessen innerhalb einer ___________ 63) Da die gesicherte Forderung als Naturalobligation fortbesteht (ausf. Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1303 f.), lässt die Erfüllung der großen Planquote die der Sicherheit zugrunde liegenden Forderung bei der Zweckgesellschaft nicht untergehen. 64) Oder von den übrigen Gläubigern eine Zustimmung zur Verwertung gerichtlich erzwungen wird, wenn die Verweigerung rechtsmissbräuchlich ist. 65) Rattunde, GmbHR 2012, 455, 457. 66) Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 67 Rz. 33.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans
Gruppe geht die Gleichbehandlung innerhalb des Plans einher. Zwischen den einzelnen Gruppen hingegen sollte eine Heterogenität der Interessen bestehen. Diese ist jedoch nicht zwingend, so dass durchaus verschiedene Gruppen mit im Grunde gleichen Interessen gebildet werden können. Bei der Gruppenbildung ist zwischen obligatorischen und fakultativen Gruppen zu unterscheiden. 1.
Obligatorische Gruppen
§ 222 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht die Bildung obligatorischer Gruppen vor, soweit Gläubiger 53 mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO nennt sodann exemplarisch vier Fälle, in denen in jedem Fall eine entsprechende Gruppe im Insolvenzplan zu bilden ist:
Absonderungsberechtigte Gläubiger, wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird;
nicht nachrangige Insolvenzgläubiger;
einzelne Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten;
am Schuldner beteiligte Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden.
Nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO sollen zudem die Arbeitnehmer eine besondere Gruppe 54 bilden, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Die Erheblichkeit des Forderungsvolumens wird hierbei nicht am Gesamtvolumen der Insolvenzforderungen gemessen, sondern es ist vielmehr auf die subjektive Betroffenheit der Arbeitnehmer abzustellen.67) Vernünftig erscheint es, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Arbeitnehmer zum Maßstab der Erheblichkeit zu machen.68) Sollte eine der vorgenannten Gläubigerklassen am Insolvenzverfahren überhaupt nicht 55 beteiligt sein, so ist auch in einem Insolvenzplan keine entsprechende Gruppe zu bilden. Es besteht damit letztlich die Möglichkeit, dass ein Plan nur die Gruppe der nicht nachrangigen und unbesicherten Insolvenzgläubiger vorsieht.69) 2.
Fakultative Gruppen
Gemäß § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO besteht die Möglichkeit zur Bildung fakultativer Gruppen. 56 Voraussetzung hierfür ist, dass Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen vorhanden sind. Die Gruppen müssen gemäß § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO sachgerecht voneinander abgegrenzt werden und die Kriterien für die Abgrenzung sind gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO im Plan anzugeben. Von einer Erfüllung dieser Voraussetzungen geht das Gesetz nach § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO 57 aus, sofern es sich um Kleingläubiger handelt. Auch für den Träger der Insolvenzsicherung, den Pensions-Sicherungs-Verein a. G., 58 kann gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG in einem Insolvenzplan eine eigene Gruppe gebildet werden. Üblicherweise wird von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht, sofern der PSVaG aufgrund gesetzlichen Forderungsübergangs Insolvenzgläubiger im Verfahren ___________ 67) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 93. 68) So auch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129, der bei Insolvenzforderungen i. H. von mehr als 10 % des Jahreseinkommens von nicht unerheblichen Forderungen i. S. des § 222 Abs. 3 InsO ausgeht; a. A. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 93, der zur Gänze gegen einkommensbezogene Mindestbeträge ist. 69) Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 67 Rz. 35 f.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
ist. Denn hinsichtlich der Befriedigung des PSVaG ist stets die Sollvorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG zu beachten. Danach soll in einem Insolvenzplan vorgesehen werden, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners die vom PSVaG zu erbringenden Leistungen ganz oder zum Teil vom Schuldner (oder sonstigen Träger der Versorgung) wieder übernommen werden. Fehlt eine derartige Besserungsklausel in einem Insolvenzplan, hat das Insolvenzgericht grundsätzlich den Plan von Amts wegen zurückzuweisen, vgl. § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO.70) Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, von der Sollvorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG abzuweichen. Dies wurde in der Praxis etwa angenommen, wenn ein Großgläubiger am Plan nur unter der Bedingung mitwirkt, dass der PSVaG keine höhere Quotenzahlung erhält als die sonstigen (einfachen) Insolvenzgläubiger.71) 3.
Taktische Erwägungen
59 In der Praxis bietet es sich wegen der Mehrheitserfordernisse i. R. der Annahme des Plans an, im Plan eine ungerade Anzahl von Gruppen aufzunehmen. 60 Soweit rechtlich möglich, sollten zudem opponierende Gläubiger in Gruppen einbezogen werden, in denen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Planinitiator wohlgesonnenen Gläubigern überstimmt werden. 61 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zur Gruppenbildung innerhalb des Plans wird auf § 28 und § 29 verwiesen. V.
Verfügungen
62 Nach der allgemeinen Regelung des § 221 InsO wird im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll. Die spezielleren Regelungen der §§ 222 bis 228 InsO bieten gewissermaßen das Handwerkszeug für diese Änderungen. Die Änderung der Rechtsstellung eines Beteiligten ist letztlich als Verfügung über ein Recht zu verstehen. In Betracht kommen insoweit die Begründung, Aufhebung, Übertragung oder Veränderung des Rechts. 63 Die Rechte, über die i. R. eines Insolvenzplans verfügt werden kann, können sowohl dinglicher als auch schuldrechtlicher Natur sein. Da dingliche und obligatorische Rechte typischerweise unterschiedliche Behandlung erfahren und hierfür auch unterschiedliche insolvenzrechtliche Instrumentarien zur Verfügung stehen – man denke nur an die Vorschriften zur Behandlung von Sicherungsvermögen in den §§ 166 ff. InsO einerseits und an die Vorschriften zur Behandlung von Dauerschuldverhältnissen in den §§ 103 ff. InsO andererseits –, werden Verfügungen über dingliche und obligatorische Rechte im Plan typischerweise in eigenen Abschnitten behandelt. 64 Des Weiteren sollten die Gestaltungsregelungen frei von Begründungen oder Erläuterungen gehalten werden. Der gestaltende Teil des Insolvenzplans hat letztlich eine ähnliche Funktion wie der Tenor eines Urteils und sollte sich in der Abfassung an diesem orientieren. Erläuterungen und Begründungen gehören in den darstellenden Teil. Die häufig anzufindende Doppelung der Erläuterungen und Begründung im gestaltenden und darstellenden Teil ist unnötig, im Extremfall geht dabei sogar die notwendige Bestimmtheit und damit Vollstreckbarkeit der Regelungen verloren.72) ___________ 70) Rolfs, in: Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, § 7 Rz. 278; Steinmeyer, in: ErfK, § 7 BetrAVG Rz. 48. 71) Ebenso Rieger, NZI 2013, 671, 674. 72) Vgl. Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 30, 126 ff.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans
Daneben tritt in einem Insolvenzplan oft die Notwendigkeit, Regelungen zu insolvenz- 65 spezifischen Ansprüchen (insbesondere Insolvenzanfechtungsrechte, Organhaftungsansprüche) sowie insolvenztypischen Ansprüchen (insbesondere gesellschaftsrechtlicher Natur, wie etwa Ansprüche aus fehlerhafter Kapitalerhöhung) aufzunehmen. Auch für diese findet sich üblicherweise wegen ihrer besonderen Natur ein eigener Abschnitt. Je nachdem, auf welchem Wege durch den Insolvenzplan eine gegenüber der Liquidation 66 im Regelverfahren verbesserte Befriedigung der Gläubiger erreicht werden soll, variieren die Verfügungen über die Rechte der Beteiligten. Die vier gängigsten Arten von Insolvenzplänen sind:
die Fortführung des reorganisierten Unternehmens durch den bisherigen Rechtsträger (Eigensanierung),
die Veräußerung sämtlicher zum operativen Geschäftsbetrieb gehörenden Vermögensgegenstände an eine Auffanggesellschaft (übertragende Sanierung),
die vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Liquidation des schuldnerischen Unternehmens sowie
die vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Schuldenregulierung.
1.
Dingliche Rechte
Die Verwertung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände stellt in 67 einem Regelinsolvenzverfahren einen der wesentlichen Bestandteile der Aufgaben des Insolvenzverwalters dar. Innerhalb eines Insolvenzplanverfahrens kann die Bandbreite der erfassten Vermögensgegenstände aufgrund der getroffenen Vereinbarungen ebenso variieren wie die Art der Verwertung. 1.1
Verwertung der Massegegenstände
Nach der allgemeinen Regelung des § 217 InsO kann u. a. die Verwertung der Insolvenz- 68 masse in einem Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden. Eine genaue Bezeichnung derjenigen Vorschriften, von denen abgewichen werden darf, ist der Regelung jedoch nicht zu entnehmen. Betrachtet man die Systematik der InsO, so sind die plandispositiven Regelungen zur Verwertung der Insolvenzmasse, nämlich die §§ 159 bis 164 InsO, in wenigen Schritten identifizierbar.73) Von diesen plandispositiven Regelungen weicht nahezu jeder Insolvenzplan zumindest 69 teilweise ab.74) Soll etwa der Unternehmensträger nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens zumindest teilweise mit seinem operativen Geschäftsbetrieb erhalten bleiben und die Gläubiger im Wege eines Earn-Out-Plans (siehe hierzu Rz. 157) aus den künftigen Erträgen des reorganisierten Unternehmens befriedigt werden, so wäre eine solche Regelung schon mit dem gesetzlichen Auftrag des § 159 InsO unvereinbar. Auch die in einem Insolvenzplan geregelte übertragende Sanierung, also der Verkauf des operativen Geschäftsbetriebs als Sachgesamtheit an einen Dritten, würde von den Vorschriften der §§ 160 bis 163 InsO abweichen. Nicht dispositiv sind hingegen die §§ 103 bis 128 InsO mit ihren Regelungen zur „Erfüllung 70 der Rechtsgeschäfte“ und zur „Mitwirkung des Betriebsrats“.75) Denn §§ 103 ff. InsO ___________ 73) Zugänglich dargestellt durch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 116. 74) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 117. 75) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 9; Braun/Frank, in: Braun, InsO, Vor § 217 Rz. 8; Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, Vor § 217 Rz. 5; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 121.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
werden von § 217 InsO, der die zulässigen Planregelungen abschließend bestimmt, nicht erfasst (Einzelheiten siehe Rz. 79 ff.). 1.2
Einbeziehung von Drittrechten
71 Die Einbeziehung von Drittrechten in den Insolvenzplan regelt § 223 InsO. Ist im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt, so wird gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO das Recht der absonderungsberechtigten Gläubiger zur Befriedigung aus den Gegenständen, an denen Absonderungsrechte bestehen, vom Plan nicht berührt. 72 Soweit hingegen im Insolvenzplan eine abweichende Regelung getroffen wird, ist gemäß § 223 Abs. 2 InsO im gestaltenden Teil des Insolvenzplans für die absonderungsberechtigten Gläubiger anzugeben, um welchen Bruchteil die Rechte gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet oder welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Die gesetzliche Regelung nennt damit bereits exemplarisch zwei Regelungsvarianten, denen absonderungsberechtigte Gläubiger unter Beachtung der Mehrheitserfordernisse des Insolvenzplanverfahrens zwangsweise unterworfen werden können. Die betroffenen Gläubiger können sich dann nur noch mit den dem Insolvenzplanverfahren immanenten Möglichkeiten gegen derartige Regelungen wehren. Hierbei sind die Beschwerdemöglichkeiten der InsO, insbesondere aber der Minderheitenschutz nach § 251 InsO zu nennen. 73 Absonderungsberechtigte Gläubiger können sich ohne einen Plan grundsätzlich nach Abzug von Feststellungs- und ggf. auch Verwertungskosten der Insolvenzmasse voll aus dem betreffenden Vermögensgegenstand befriedigen (vgl. §§ 49, 50 InsO). Zudem darf kein Gläubiger, der dem Insolvenzplan widerspricht, durch diesen schlechtergestellt werden, als er ohne den Insolvenzplan stünde (vgl. § 245 und § 251 InsO). Es fragt sich daher, wann ein Eingriff in ein Absonderungsrecht i. R. eines Insolvenzplans überhaupt denkbar ist. Der häufigste Anwendungsfall dürfte derjenige sein, in dem der Fortführungswert eines Vermögensgegenstands deutlich über dessen Liquidationswert liegt. Soweit der jeweilige absonderungsberechtigte Gläubiger in einer Liquidation nicht mit voller oder sogar nur geringer Befriedigung rechnen kann, genügt für seine Besserstellung i. R. des Insolvenzplans bereits eine geringfügig höhere Quote. 74 Der Insolvenzplan kann im Hinblick auf Absonderungsrechte vielfältige Regelungen vorsehen. So ist zum einen denkbar, dass das materielle Sicherungsrecht durch eine Regelung des Insolvenzplans beeinträchtigt wird. In Betracht kommt etwa, dass ein an sich der Verwertung zuzuführender Vermögensgegenstand zur Ermöglichung der Unternehmensfortführung im Schuldnervermögen verbleibt. Zum anderen ist denkbar, dass mittelbar die gesicherte persönliche Forderung des absonderungsberechtigten Gläubigers über den Wert des Absonderungsrechts hinaus beeinträchtigt wird. Üblicherweise wird der absonderungsberechtigte Gläubiger für denjenigen Teil seiner persönlichen Forderung, der den Wert seines Sicherungsrechts übersteigt, lediglich das an Insolvenzquote oder sonstiger Befriedigung bekommen, was alle ungesicherten Insolvenzgläubiger erhalten. 1.3
Insolvenzfreies Vermögen und Vermögen Dritter
75 Die Verwertung von eventuellem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners76) sowie von Vermögen Dritter kann nicht zwangsweise in einem Insolvenzplan geregelt werden, denn es gehört schon begrifflich nicht zur Insolvenzmasse. Eine Ausnahme besteht selbstverständlich, wenn der Schuldner oder der Dritte der Verwertung i. R. des Insolvenzplans zustimmen. ___________ 76) Zum Umfang des insolvenzfreien Vermögens vgl. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 69 ff.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans 1.4
Betriebsnotwendiges vs. nicht betriebsnotwendiges Vermögen
Sinnvoll ist eine Unterteilung der gesondert zu verwertenden Vermögensgegenstände an- 76 hand deren Bedeutung im Falle einer Unternehmensfortführung. Während das betriebsnotwendige Vermögen für die Fortführung im Unternehmen belassen wird, kann sämtliches nicht betriebsnotwendige Vermögen dazu genutzt werden, die Quotenerwartung für die Gläubiger aufzubessern. In der Praxis geschieht die Verwertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens häufig 77 i. R. von sog. Besserungsscheinen (siehe hierzu Rz. 166 ff.). Dadurch kann gewährleistet werden, dass das Insolvenzplanverfahren zügig zu einem erfolgreichen Ende geführt werden kann und die nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände dennoch einer bestmöglichen Verwertung zugunsten der Gläubiger, etwa i. R. einer Treuhandkonstruktion,77) zugeführt werden. Das betriebsnotwendige Vermögen hingegen verbleibt entweder im Vermögen des Unternehmensträgers oder wird als Sachgesamtheit i. R. einer übertragenden Sanierung auf einen Dritten übertragen. 2.
Vertragsverhältnisse
Hinsichtlich der Vertragsverhältnisse ist zwischen den bei Insolvenzeröffnung bereits be- 78 stehenden Vertragsverhältnissen und eventuell während des eröffneten Insolvenzverfahrens neu begründeten Vertragsverhältnissen zu unterscheiden. Zudem lohnt die Differenzierung zwischen individualrechtlichen und kollektivrechtlichen Vereinbarungen. 2.1
Bestehende Vertragsverhältnisse
Die Behandlung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehender Vertragsver- 79 hältnisse des Insolvenzschuldners ist in den §§ 103 ff. InsO geregelt. Für das gewöhnliche Insolvenzverfahren gilt § 103 InsO. Nach dieser Norm hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung von Altverträgen des Schuldners verweigert. Die Verweigerung hat zur Folge, dass der jeweilige Vertragspartner seinen Anspruch wegen Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann (vgl. § 103 Abs. 2 InsO). Erfüllt der Insolvenzverwalter hingegen den bisher vom Schuldner nicht (vollständig) erfüllten Altvertrag, bleibt der Vertragspartner ebenfalls zur Erfüllung verpflichtet (vgl. § 103 Abs. 1 InsO).78) Dann fallen die Ansprüche des Schuldners gegenüber dem jeweiligen rechtsgeschäftlichen Partner auf Erfüllung schlicht in die Insolvenzmasse.79) Die Regelungen der §§ 103 ff. InsO sind nicht dispositiv und bleiben vom Insolvenzplan 80 unberührt.80) Denn § 217 InsO regelt die möglichen Dispositionen in einem Insolvenzplan abschließend.81) Nach der genannten Norm kann zwar „die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung“ in einem Insolvenzplan abweichend vom Regelinsolvenzverfahren geregelt werden. Zur Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse oder zur Verfahrensabwicklung zählt jedoch nicht die Ausübung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO.82) Nur die ___________ 77) Die Zulässigkeit der Vereinbarung einer solchen Treuhandkonstruktion sah § 253 Abs. 2 Nr. 2 RegE InsO ausdrücklich vor, vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 49. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde § 253 Abs. 2 RegE InsO lediglich zur „redaktionellen Verkürzung des Gesetzes“ gestrichen, vgl. BTDrucks. 12/7302, S. 181. 78) Für nähere Ausführungen s. Marotzke, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 103 Rz. 4 ff. 79) Wegener, in: Wimmer, InsO, § 103 Rz. 2. 80) Vgl. auch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 9. 81) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 102. 82) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 121.
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von dem Wahlrecht erfassten und in die Insolvenzmasse fallenden Ansprüche können Regelungsgegenstand eines Insolvenzplans sein. Denn diese Ansprüche des Schuldners haben Einfluss auf den Bestand der verwertbaren Insolvenzmasse. 81 Ansprüche des jeweiligen Vertragspartners: Weiterhin kann von der Ausübung des Wahlrechts abhängig sein, ob der jeweilige Vertragspartner – bei Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter – als Massegläubiger volle Befriedigung für einen nach Insolvenzeröffnung erbrachten Teil der Leistung erhält (vgl. hinsichtlich teilbarer Leistungen insbesondere § 105 InsO) oder ob er – bei Ablehnung der Erfüllung durch den Insolvenzverwalter – nur mit einer anteiligen Quote als Insolvenzgläubiger einzuordnen ist. Dies kann auch für die Gruppeneinordnung nach § 222 InsO von Bedeutung sein. Damit ist zumindest eine Regelung über das Schicksal der sich aus diesen Verträgen ergebenden Forderungen im Insolvenzplan sinnvoll. 2.2
Neue Vertragsverhältnisse
82 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann nur der Insolvenzverwalter neue vertragliche Verpflichtungen zulasten der Insolvenzmasse eingehen, § 80 Abs. 1 InsO.83) Die Verpflichtungen aus solchen Verträgen sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Masseverbindlichkeiten. Das heißt, die Vertragspartner sind gemäß § 53 InsO vorab, insbesondere also vor den Insolvenzgläubigern zu befriedigen. 83 Zur freiwilligen Beteiligung von Massegläubigern am Insolvenzplan siehe bereits oben Rz. 35 ff. 2.3
Kollektivrechtliche Vertragsverhältnisse
84 Im Rahmen der Erstellung eines Insolvenzplans ist weiterhin zu berücksichtigen, inwieweit eine Gestaltung kollektiver Vertragsverhältnisse möglich ist. Hierbei soll wegen der praktischen Bedeutung insbesondere auf die arbeitsrechtlichen Regelungen im gestaltenden Teil eingegangen werden. 85 Im Allgemeinen gilt für Arbeitnehmer dasselbe wie für sonstige Gläubiger. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung sind i. d. R. nur Insolvenzforderungen i. S. des § 38 InsO, wie § 108 Abs. 3 InsO klarstellend bestimmt.84) Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Arbeitnehmer von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis von der Arbeit freigestellt werden.85) Nimmt ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis die Arbeitsleistung hingegen in Anspruch, so gilt § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die dann entstehenden Entgeltansprüche der Arbeitnehmer sind als Masseverbindlichkeiten einzuordnen. Gleiches gilt für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 86 Hingegen können im Insolvenzplan zwangsweise keine Änderungen der Arbeitsbedingungen (wie z. B. Lohnkürzungen, Verkürzung von Kündigungsfristen etc.) für die Zukunft erfolgen. Denn solche Änderungen sind nicht in § 217 InsO vorgesehen. Sie sind folglich nur möglich, wenn die betroffenen Arbeitnehmer zustimmen, das Ziel einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung i. S. des Insolvenzplans verfolgt wird und die jeweilige, auf Arbeitsbedingungen bezogene Regelung aus Sicht der Erklärenden individual___________ 83) In der Eigenverwaltung werden durch den Schuldner begründete Verbindlichkeiten zu privilegierten Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 142; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 33. 84) Ries, in: Uhlenbruck, InsO, § 108 Rz. 56. 85) Ries, in: Uhlenbruck, InsO, § 108 Rz. 55.
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vertraglich disponibel ist.86) Letzteres ist insbesondere deshalb erforderlich, da der Insolvenzplan grundsätzlich nicht die normative Kraft von bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellten Tarifverträgen unterlaufen kann.87) Besonderes gilt für Sozialpläne. Hierbei handelt es sich gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 87 BetrVG um eine Einigung zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Solche Sozialpläne können zum einen außerhalb des Insolvenzplans aufgestellt werden und sodann mittels aufschiebender Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) oder Planbedingung (§ 249 InsO) mit diesem verbunden werden.88) Zum anderen wird überwiegend auch angenommen, dass eine unmittelbare Aufnahme des Sozialplans in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans möglich ist. Dafür spricht, dass grundsätzliche Regelungen im gestaltenden Teil eines Insolvenzplans auf freiwilliger Basis immer zulässig sind. Voraussetzung ist jedoch stets, dass sie einen Bezug zu dem eigentlichen Ziel des Insolvenzplanverfahrens – einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung – herbeiführen.89) Derselbe Grundsatz ist auch auf sonstige kollektivrechtliche Vereinbarungen anwend- 88 bar. Das bedeutet, dass bspw. der Abschluss oder die Aufhebung eines Tarifvertrags i. R. eines Insolvenzplanverfahrens auf freiwilliger Basis möglich ist, sofern und soweit dies dem Ziel einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung dient.90) 3.
Anfechtungsrechte und sonstige Rechte
Neben den gewöhnlichen dinglichen und schuldrechtlichen Ansprüchen finden sich in 89 der Insolvenzmasse meist auch insolvenzspezifische sowie insolvenztypische Ansprüche. Hierzu gehören neben Anfechtungsrechten auch Schadensersatzansprüche sowie sonstige gesellschafts- und zivilrechtliche Ansprüche. 3.1
Anfechtungsrechte
Anfechtungsrechte sind in nahezu jedem Insolvenzverfahren vorzufinden. Sie bedürfen 90 daher besonderer Beachtung i. R. der Gestaltung eines Insolvenzplans. 3.1.1 Prozessführungsbefugnis nach Verfahrensaufhebung Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens geht die Prozessführungsbefugnis für einen 91 vom Insolvenzverwalter geführten anhängigen Prozess grundsätzlich wieder auf den Schuldner über.91) Eine Unterbrechung des Rechtsstreits tritt nur ein, wenn der Insolvenzverwalter nicht anwaltlich vertreten wurde. Ansonsten bleibt die Prozessvollmacht bestehen, so dass die Unterbrechung des Verfahrens nur in Form der Aussetzung auf Antrag erreicht werden kann. Das entspricht der Rechtslage des § 246 ZPO.92) Eine Ausnahme sieht § 259 Abs. 3 InsO im Insolvenzplanverfahren für Anfechtungsan- 92 sprüche vor. Der Insolvenzverwalter kann auch nach der Aufhebung des Verfahrens einen anhängigen Rechtsstreit fortführen, wenn dies im gestaltenden Teil des Insolvenzplans ___________ Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 99; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 8.30. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 221 Rz. 13. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 100. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 101; a. A. Maus, in: Graf-Schlicker/Maus/Uhlenbruck, Die Unternehmensinsolvenz nach der InsO, 1997, S. 229, 238. 90) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 83; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 221 Rz. 13. 91) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7. 92) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 25.
86) 87) 88) 89)
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vorgesehen ist. Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelung besteht darin zu verhindern, dass der Anfechtungsgegner den Prozess in der Hoffnung auf Erledigung durch die Aufhebung verschleppt.93) 93 Des Weiteren ermöglicht die Norm, Anfechtungsansprüche noch bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens, d. h. auch nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans, anhängig zu machen, ohne dass das Risiko einer vorzeitigen Beendigung des Anfechtungsprozesses bei Verfahrensaufhebung besteht.94) Damit ist für die Berechtigung zur Fortführung des Rechtsstreits der Zeitpunkt der Aufhebung des Verfahrens maßgeblich. Unerheblich ist, ob der Anfechtungsanspruch zum Zeitpunkt der Abstimmung über diesen Plan bereits bekannt war oder ein Anfechtungsrechtsstreit zu diesem Zeitpunkt bereits anhängig war.95) Das Abstellen auf diesen Zeitpunkt erscheint sachgerecht, weil der Insolvenzverwalter oftmals insbesondere bei Prepackaged-Plänen zeitlich nicht in der Lage sein wird, allen anfechtungsrechtlich relevanten Sachverhalten in der Anfangsphase des Verfahrens nachzugehen.96) Schließlich mag es für den Insolvenzverwalter vorzugswürdig sein, mit der Geltendmachung der Ansprüche bis zur rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans zu warten, damit Gläubiger aufgrund bereits erhobener Anfechtungsklagen nicht gegen den Plan opponieren und die Plandurchführung maßgeblich bereits im Vorfeld erschweren.97) Insbesondere könnten gerade die nicht ad hoc ersetzbaren Lieferanten die Betriebsfortführung in der Insolvenz gefährden, wenn Anfechtungsklagen zu früh erhoben werden.98) Diese Regelung wird auch hinreichend dem Gläubigerschutz gerecht, weil Gläubiger, die etwas in anfechtbarer Weise erlangt haben, nicht vor dem Insolvenzanfechtungsverfahren geschützt werden, selbst wenn sie dem Insolvenzplanverfahren zugestimmt haben.99) 3.1.2 Regelung im Plan 94 Damit der Insolvenzverwalter anhängige Anfechtungsrechtsstreitigkeiten nach der Aufhebung des Verfahrens fortführen kann, muss eine entsprechende Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans enthalten sein. Dafür ist die Klausel: „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“ ausreichend.100) 95 Des Weiteren muss der Anfechtungsrechtsstreit bereits vor der Aufhebung des Verfahrens anhängig sein. Nach der Aufhebung kann die Anfechtungsklage nicht mehr erhoben werden, weil der Insolvenzverwalter dann nicht mehr prozessführungsbefugt ist.101) Die Prozessführungsbefugnis kann dem Insolvenzverwalter auch nicht durch die Entscheidung eines Insolvenzgerichts eingeräumt werden.102) 96 Auf andere anhängige Prozesse ist die Vorschrift nicht entsprechend anwendbar, d. h. durch den Insolvenzplan darf dem Insolvenzverwalter eine Fortführung anderer Prozesse nicht erlaubt werden.103) ___________ 93) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 214; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 17. 94) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7. 95) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 20. 96) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 20. 97) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 21; Michels, EWiR 2002, 293, 294. 98) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 21; Michels, EWiR 2002, 293, 294. 99) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 18. 100) BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39, dazu EWiR 2006, 87 (Bähr/Landry). 101) BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner). 102) BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102. 103) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 23.
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Gemäß § 259 Abs. 3 Satz 2 InsO wird der Rechtsstreit grundsätzlich für Rechnung des 97 Schuldners geführt. Etwas anderes kann abweichend im Insolvenzplan geregelt werden.104) Empfehlenswert ist deshalb, die Wirkung des Insolvenzplans auf Anfechtungsprozesse explizit zu regeln, damit nicht nur aufgrund der Möglichkeit der Fortführung an sich, sondern auch weitergehend die Kostentragung und die Erlösverteilung geregelt sind.105) Ebenso sollte im Insolvenzplan bestimmt werden, was mit dem Erlös aus dem Anfechtungsrechtsstreit i. R. der Planerfüllung zu geschehen hat.106) So kann etwa im Plan geregelt werden, dass die Erlöse i. R. eines Besserungsscheins an die Insolvenzgläubiger verteilt werden. 3.1.3 Änderungsbedarf des § 259 Abs. 3 InsO § 259 Abs. 3 InsO zur Fortsetzung bereits bei Verfahrensaufhebung „anhängiger“ (richtig: 98 „rechtshängiger“)107) Insolvenzanfechtungsklagen greift oft zeitlich zu kurz. Denn auf der Grundlage des Insolvenzplans darf der Insolvenzverwalter nur einen bei Aufhebung des Verfahrens bereits rechtshängigen Anfechtungsprozess fortsetzen.108) Dem Insolvenzverwalter wird es oftmals zeitlich nicht möglich sein, vor Aufhebung des Verfahrens die Insolvenzanfechtungsansprüche zu prüfen und entsprechende Klagen anhängig zu machen. Um die Ansprüche jedoch nicht zu verlieren, müsste er sie trotz unvollständiger Prüfung anhängig machen, um so zumindest die Chance der Klagezustellung beim Anfechtungsgegner (Rechtshängigkeit) vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu wahren. Dies könnte zu ungerechtfertigten Klagen führen. Bedauerlicherweise wurde i. R. des ESUG keine Abhilfe geschafft. Wünschenswert wäre eine Regelung, die ausdrücklich die Erhebung von Haftungsklagen nach Insolvenzverfahrensaufhebung durch Planüberwacher ermöglicht. Ebenfalls sollte im gestaltenden Teil ausdrücklich die Nachtragsverteilung durch Planüberwacher angeordnet werden dürfen. Durch die Einsetzung von Planüberwachern wäre auch gewährleistet, dass kein Missbrauch einer solchen Regelung erfolgt. 3.1.4 Abtretbarkeit Problematisch ist die Anwendung des § 259 Abs. 3 InsO auf Anfechtungsansprüche, die 99 an einen Dritten abgetreten wurden. Ob Anfechtungsansprüche überhaupt abtretbar sind, war lange umstritten. Eckardt109) hat jedoch nachgewiesen, dass weder die haftungsrechtliche Zuordnung des anfechtbar weggegebenen Gegenstands noch ein Ausübungsmonopol des Insolvenzverwalters oder der Zweck von Insolvenzverfahren und Anfechtung einer Abtretung des Anfechtungsrechts entgegenstehen. Dies hat der BGH110) bestätigt. Dabei hat er insbesondere dargestellt, dass ein anfechtbar veräußerter, weggegebener oder aufgegebener Vermögensgegenstand ohne Veränderung des Anspruchsinhalts (§ 399 Halbs. 1 BGB) an einen anderen Gläubiger als die Insolvenzmasse „zurückgewährt“ werden kann. Die „Rückgewähr“ an einen Dritten widerspreche nicht dem Anfechtungsrecht, weil auch durch die Verwertung des Rückgewähranspruchs der Zweck der Insolvenzanfechtung gewahrt wird. Bereits zuvor ist der II. Zivilsenat des BGH in einer Entscheidung vom 10.12.2009 davon ausgegangen, dass der Insolvenzverwalter nach Be___________ Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 R7. 19. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 259 Rz. 18; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 259 Rz. 18. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 259 Rz. 19. Vgl. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZIP 2013, 998, Rz. 11 = NZI 2013, 489, dazu EWiR 2013, 557 (Ruhe-Schweigel). 108) BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZIP 2013, 998 = NZI 2013, 489. 109) Eckardt, KTS 1993, 585 ff. 110) BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114, dazu EWiR 2011, 433 (M. Huber).
104) 105) 106) 107)
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stätigung eines Insolvenzplans und vorbehaltsloser Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Anfechtungsrechtsstreit als Treuhandzessionar fortsetzen könne.111) 100 Auch werden die schutzwürdigen Interessen des Anfechtungsgegners hinreichend berücksichtigt. Es gelten die allgemeinen Regeln des Abtretungsrechts, so dass der Anfechtungsschuldner gemäß § 404 BGB dem neuen Gläubiger diejenigen Einwendungen entgegensetzen kann, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren.112) 101 Es besteht auch kein Widerspruch zu § 18 AnfG, nach dem Anfechtungsansprüche, die während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens von den einzelnen Gläubiger geltend gemacht werden können. Mit der Rückgewähr des fraglichen Vermögensgegenstands zur Insolvenzmasse erlischt zugleich jeder Einzelanfechtungsanspruch. Der Insolvenzverwalter verfügt über ein eigenes Recht der Insolvenzmasse und nicht über ein fremdes Recht des zur Einzelanfechtung berechtigten Gläubigers.113) 102 Die Abtretung kann allerdings nur erfolgen, wenn eine hinreichende Gegenleistung zur Masse gelangt. Ansonsten würde eine „Verschlechterung“ des Anspruchs zu einem in Anbetracht aller Umstände unangemessenen niedrigen Preis zu einer Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO führen. Dabei wirken sich die Erfolgsaussicht und Prozesskosten auf die Preisgestaltung aus.114) Ebenfalls kann vereinbart werden, dass die durch den Rechtsstreit erlangten Erlöse den Gläubigern in Form eines Besserungsscheins zugutekommen (siehe hierzu Rz. 166 ff.). 103 Der Insolvenzverwalter kann daher durch eine entgeltliche Veräußerung des Anfechtungsanspruchs dessen Wert zur Masse ziehen, statt den je nach Lage des Falles teuren und langwierigen Anfechtungsprozess selbst zu führen.115) Dadurch kann die Verwertung der Masse und damit die Abwicklung des Verfahrens beschleunigt werden.116) 104 Daran schließt sich die Frage an, ob der Anfechtungsanspruch auch nach einer Abtretung von der Fortdauer des Insolvenzverfahrens abhängig ist. Für eine Abhängigkeit wird angeführt, dass die Gegenleistung des Abtretungsempfängers endgültig erst geschuldet wird, wenn der Anfechtungsprozess abgeschlossen ist.117) Dies ist insbesondere der Fall, wenn die endgültige Zahlung der Gegenleistung für den Abtretungsanspruch von der rechtskräftigen Entscheidung über den Anfechtungsprozess abhängig gemacht oder auch ein Besserungsschein ausgestellt wird. Solange darf dann auch ein vom Abtretungsempfänger etwa gezahlter „Vorschuss“ nicht abschließend verteilt werden, sondern er ist für eine Nachtragsverteilung zurückzubehalten.118) Im Insolvenzverfahren findet jedoch eine Nachtragsverteilung nicht statt. 105 Des Weiteren wird für eine Abhängigkeit angeführt, dass ansonsten die Rechtsstellung des Abtretungsempfängers nicht sichergestellt werden könne.119) Würde das Insolvenzverfahren aufgehoben, könnten die Rechte des Anfechtungsgegners aus § 144 InsO nicht gewahrt werden. Sofern der Anfechtungsgegner etwas Erlangtes zurückgewähren muss, ___________ 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119)
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BGH v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86, Rz. 10 = ZIP 2008, 546. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Kayser, in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 221. Kayser, in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 221. So wohl Kayser, in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 221.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans
lebt seine Forderung wieder auf. Er kann mit seiner Forderung jedoch nicht mehr am Insolvenzverfahren teilnehmen, wenn dieses aufgehoben worden ist. Dies kann – je nach Quote – einen Nachteil darstellen.120) Allerdings treten gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Rechtskraft der Bestätigung des In- 106 solvenzplans die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein. Gemäß § 254b InsO gilt dies auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, und für Beteiligte, die dem Insolvenzplan widersprochen haben. Gläubiger, die bisher nicht am Verfahren teilgenommen haben, können die rechtskräftigen Planregelungen für ihre Forderungen erlangen.121) Dies gilt auch für den Anfechtungsgegner, dessen Forderung nach erfolgreicher Anfechtung wieder auflebt. Dieses Recht besteht allerdings nur, solange der Anspruch nicht verjährt war. Nach § 259b Abs. 1 InsO verjährt die Forderung eines Insolvenzgläubigers, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden ist, in einem Jahr. Die Verjährung beginnt gemäß § 259b Abs. 2 InsO, wenn die Forderung fällig und der Beschluss rechtskräftig geworden ist, durch den der Insolvenzplan bestätigt wurde. Sollte nun ein Anfechtungsrechtsstreit mehrere Jahre dauern, ist eine Geltendmachung im Insolvenzverfahren nicht möglich. Dies gilt insbesondere, weil der Anspruch nicht erst mit dem Vollzug der Rückgewähr nach erfolgreicher Anfechtung neu entsteht, sondern die Forderung mit dem Vollzug der Rückgewähr nach § 143 InsO von Gesetzes wegen rückwirkend wieder auflebt und zwar in der Gestalt und in dem Bestand, die bzw. den sie vor der Erfüllung hatte.122) Damit der Anfechtungsgegner seinen Anspruch nicht verliert, müsste er diesen vor der 107 Verjährung zur Insolvenztabelle anmelden. Ansonsten könnte er sich lediglich mit seiner Forderung an den Zessionar halten. Denkbar wäre auch, für diesen Fall § 259b InsO teleologisch zu reduzieren. Dann bestünde aber die Gefahr, dass auch noch Jahre nach Bestätigung des Insolvenzplans der Anfechtungsgegner mit seinem wiederauflebenden Anspruch am Insolvenzplan teilnehmen kann. Der Insolvenzverwalter müsste dies bereits bei Abtretung des Anspruchs, insbesondere bei der Höhe der Gegenleistung, berücksichtigen. Um diese Rechtsunsicherheit zu vermeiden, ist es ratsam, in der Abtretungserklärung eine entsprechende Regelung zu treffen. Schließlich ist der Anfechtungsgegner auch insoweit nicht schutzlos gestellt, weil er ge- 108 genüber dem Zessionar, der den Anfechtungsanspruch nach Aufhebung des „Ausgangsinsolvenzverfahrens“ durchsetzen will, seine Rechte aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO geltend machen kann. Der Schuldner einer abgetretenen Forderung kann dem neuen Gläubiger nach § 404 BGB diejenigen Einreden entgegensetzen, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren. Ein Anspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO auf Erstattung der Gegenleistung oder des die Masse bereichernden Wertes begründet grundsätzlich ein Zurückbehaltungsrecht i. S. des § 273 BGB. Eine Ausnahme besteht, wenn es sich um eine Insolvenzforderung handelt. Diese begründet kein Zurückbehaltungsrecht gegenüber der Masse. Diesen Nachteil hat der Anfechtungsgegner hinzunehmen.123) Demnach lässt sich festhalten, dass der Anfechtungsanspruch auch nach einer Abtre- 109 tung von der Fortdauer des Insolvenzverfahrens unabhängig ist.124) Um Rechtsunsi___________ 120) 121) 122) 123) 124)
Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 230. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 254b Rz. 1. Thole, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 144 Rz. 3. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 230. Lohmann, in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 230; Henckel, in: Jaeger, InsO, § 129 Rz. 221; ähnl. Eckardt, KTS 1993, 585; Hirte/Ede, in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 24.
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cherheiten jedoch vorzubeugen, ist es ratsam, im Plan sicherzustellen, dass die weitere Verfolgung der Anfechtungsrechte durch den Zessionar gegenüber dem Anfechtungsgegner möglich ist.125) 110 Schließlich stellt sich in diesem Zusammenhang noch die Frage, ob der Abtretungsempfänger den Anspruch erst nach Aufhebung des Verfahrens anhängig machen kann. Dies ist im Ergebnis zu bejahen. Immerhin wird es, sofern die Durchsetzung lange dauert, für alle Insolvenzgläubiger günstiger sein, wenn der Verwalter den Anspruch durch Verkauf zu einem angemessenen Preis – insbesondere nach Art des Factoring – verwertet und alsbald das Insolvenzverfahren abschließt.126) Auf diese Weise ist der Anfechtungsanspruch aus der Insolvenzmasse ausgeschieden. Dem Zessionar muss es deshalb freistehen, den Anspruch auch noch nach Aufhebung des Verfahrens, auf die er keinen Einfluss hat, geltend zu machen. 3.2
Schadensersatzansprüche
111 Auch sämtliche Schadensersatzansprüche des schuldnerischen Unternehmens gegenüber Dritten können Gegenstand des gestaltenden Teils des Insolvenzplans sein. Damit fallen insbesondere Ansprüche gegen die insolvenzantragspflichtigen Organvertreter wegen verspäteter Insolvenzantragstellung in den potentiellen Regelungsbereich des gestaltenden Teils.127) Bei juristischen Personen kommen darüber hinaus Schadensersatzansprüche aus Verstößen gegen Gründungsvorschriften, aus Pflichtverletzung der Leitung, aus der Überwachung der Geschäftsführung und Regeln über die Kapitalerhaltung in Betracht. 3.2.1 Schadensersatzansprüche gegenüber Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern 112 Verzögerte Insolvenzantragstellung: Die verzögerte Insolvenzantragstellung durch den Geschäftsleiter kann zu einer Schadensersatzhaftung gegenüber der Gesellschaft führen. Der Anspruch ergibt sich rechtsformübergreifend für alle Gesellschaften aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO, nachdem § 15a Abs. 1 InsO als Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert wird.128) Im Mittelpunkt steht dabei von den Insolvenzantragsgründen die Überschuldung.129) 113 Masseschmälerung: § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG, § 64 Satz 1 und 2 GmbHG, § 130a Abs. 2 HGB und § 99 GenG statuieren zudem eine besondere Ersatzverpflichtung des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft für diejenigen Zahlungen, die nach dem Zeitpunkt geleistet wurden, in dem Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen.130) 114 Insolvenzverursachung: Diese Verpflichtung wird erweitert durch die Haftung nach § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG und § 64 Satz 3 GmbHG.131) Nach den genannten Regelungen trifft die Geschäftsleiter die gleiche Verpflichtung für Zahlungen an die Aktionäre bzw. Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht erkennbar. ___________ 125) 126) 127) 128) 129) 130) 131)
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Thole, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 129 Rz. 111. Kayser, in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 216. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 119. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 823 Rz. 93 f. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 31. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 20. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 26.
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Aus einer fehlerhaften Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals und fehlerhaften Ka- 115 pitalerhöhungen können sich ebenfalls Haftungsansprüche gegenüber den Geschäftsleitern ergeben (siehe hierzu sogleich Rz. 119 ff.). Sonstige nicht insolvenztypische Schäden: Die sonstige, nicht insolvenztypische Haf- 116 tung der Geschäftsleiter richtet sich grundsätzlich nach § 93 AktG sowie § 43 Abs. 2 GmbHG. Ersatzansprüche können aber auch durch die Nicht- oder Schlechterfüllung anderer Verfahrensrechte begründet werden, die der Geschäftsleiter als Vertreter der Gesellschafter hätte wahrnehmen müssen.132) Regelungen im Plan: Sämtliche vorgenannten Ansprüche können grundsätzlich zum 117 Gegenstand eines Insolvenzplans gemacht werden. Hierbei muss der Insolvenzverwalter insbesondere nicht die in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG und § 64 Satz 4 i. V. m. § 43 Abs. 3 Satz 2, § 9b Abs. 1 GmbHG geregelten Einschränkungen hinsichtlich eines Verzichts auf oder Vergleichs über die Ansprüche der Gesellschaft wegen Masseschmälerung oder Insolvenzverursachung beachten.133) 3.2.2 Schadensersatzansprüche gegenüber Dritten Des Weiteren kommen Schadenersatzansprüche gegenüber Dritten in Betracht, die unter 118 Ausnutzung ihres Einflusses der rechtlichen oder tatsächlichen Machtstellung auf die Gesellschaft dieser vorsätzlich Schaden zugefügt haben. 3.3
Sonstige gesellschafts- und zivilrechtliche Ansprüche
3.3.1 Fehlerhafte Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals und fehlerhafte Kapitalerhöhung Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Unterneh- 119 mens, so findet der Insolvenzverwalter nicht selten Ansprüche des Unternehmens gegen dessen Aktionäre bzw. Gesellschafter sowie dessen Geschäftsleiter aus fehlerhafter Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals oder fehlerhaften Kapitalerhöhungen vor. Für den Fall der fehlerhaften Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals resultiert ein solcher Anspruch aus § 46 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG und § 9a Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG. Für den Fall fehlerhafter Kapitalerhöhung gilt Entsprechendes, vgl. § 188 Abs. 2 AktG und § 57 Abs. 4 GmbHG. Wurde in einem Konzernverbund zur Minimierung der Fremdkapitalkosten ein Cash- 120 Pool eingerichtet, so finden sich besonders häufig derartige Ansprüche der am Cash-Pool teilnehmenden einzelnen Konzerngesellschaften. Denn nicht selten werden die zur Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals oder der Kapitalerhöhung der jeweiligen Gesellschaft zugeführten liquiden Mittel taggleich oder zumindest in engem zeitlichem Zusammenhang wieder auf das Konto der Cash-Pool-Führerin ausgekehrt. Zwar führt ein solches Hin- und Herzahlen nach MoMiG und ARUG unter bestimmten Voraussetzungen dennoch zu einer wirksamen Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals oder der Kapitalerhöhung (vgl. § 27 Abs. 4 AktG und § 19 GmbHG). Diese Voraussetzungen werden jedoch in der Praxis meist nicht erfüllt sein, da oft die jeweilige Anmeldung zum Handelsregister fehlerhaft ist, vgl. § 27 Abs. 4 Satz 2 AktG und § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG.
___________ 132) Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 324. 133) Für die AG vgl. Spindler, in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 254 f. m. w. N., und für die GmbH vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 31 m. w. N.
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3.3.2 Nachschusspflicht des Mitglieds einer Genossenschaft 121 Die Nachschusspflicht der Mitglieder einer eingetragenen Genossenschaft ist planregelbar. So kann im Plan vorgesehen werden, dass die Mitglieder überhaupt keine Nachschüsse zu leisten haben oder eine Nachschusspflicht in einer bestimmten Höhe besteht. Ein Plan darf jedoch nicht bestätigt werden, wenn er einem Mitglied höhere Nachschüsse zumutet, als dies gemäß § 6 Nr. 3 GenG im Regelinsolvenzverfahren der Fall wäre, und dieses Mitglied dem Plan widersprochen hat. Dem Mitglied steht dann das Beschwerderecht analog § 253 InsO zu.134) 3.4
Geltendmachung der Ansprüche und Erlösverteilung
122 Sofern der II. Zivilsenat des BGH bereits in einer Entscheidung vom 10.12.2009 davon ausgegangen ist, dass der Insolvenzverwalter nach Bestätigung eines Insolvenzplans und vorbehaltsloser Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Anfechtungsrechtsstreit als Treuhandzessionar fortsetzen kann,135) wird der Insolvenzverwalter auch die Haftungsansprüche als Treuhandzessionar geltend machen können. 123 In dem Insolvenzplan sollte die Verteilung der Erlöse festgelegt werden. Hierfür bestehen verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel kann der Erlös an die Fortführungsgesellschaft fließen oder mit Hilfe von Besserungsscheinen an die Gläubiger ausgeschüttet werden. 4.
Haftung des Schuldners und der Gesellschafter
124 Auch die Haftung des Schuldners, gleich ob natürliche oder juristische Person, kann in einem Insolvenzplan abweichend zu den Bestimmungen des Regelinsolvenzverfahrens geregelt werden. 4.1
Haftung von natürlichen Personen als Schuldner
125 Die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Verfahrens als natürliche Person richtet sich grundsätzlich nach § 201 und § 202 InsO sowie nach den Vorschriften über die Restschuldbefreiung (§§ 286 bis 303a InsO).136) Für das Insolvenzplanverfahren sieht § 227 Abs. 1 InsO hingegen vor, dass mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger der Schuldner von seinen rechtlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit wird. Eine anschließende Haftung scheidet somit grundsätzlich aus. 126 Allerdings handelt es sich bei §§ 201, 286 bis 303a InsO um dispositive Vorschriften.137) Damit wird zum einen Flexibilität gewährleistet. Zum anderen steht der Insolvenzplan auch für eine Liquidation zur Verfügung.138) Somit kann die Weiterhaftung des Schuldners im Insolvenzplan abweichend von § 201 InsO geregelt werden, so dass die Möglichkeit der Restschuldbefreiung ausgeschlossen oder ihre materielle Wirkung modifiziert werden kann.139) Ebenfalls können Regelungen getroffen werden, die über § 227 Abs. 1 InsO hi___________ 134) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 145. 135) BGH v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86, Rz. 10 = ZIP 2008, 546. 136) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 129; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6. 137) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 130; Thies, in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6; a. A. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 6, der lediglich die Vorschriften für dispositiv hält, die die Forderung und deren Geltendmachung betreffen (§§ 201, 286, 301 InsO). 138) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 2. 139) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6.
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nausgehen, bspw. indem auf die Wiederauflebensklausel verzichtet wird.140) Der Schuldner bleibt durch die Planvorschriften (§§ 231, 247 und 251 InsO) ausreichend geschützt.141) Durch § 247 InsO wird ihm ein Widerspruchsrecht gegen den Plan eingeräumt, wenn er durch den Plan schlechtergestellt würde, als er ohne Plan stünde. Macht der Schuldner von diesem Recht Gebrauch, kann der Plan gemäß §§ 248, 250 Nr. 1 InsO nicht bestätigt werden.142) 4.2
Haftung von juristischen Personen als Schuldner
Ist der Schuldner keine natürliche Person, kann ebenfalls im Plan das Fortbestehen der 127 Haftung vereinbart werden. Dies wird allerdings nur relevant, wenn ein Fortsetzungsbeschluss gefasst wird, weil die Gesellschaft ansonsten aufgelöst bleibt.143) Gemäß § 225a Abs. 3 InsO kann der Fortsetzungsbeschluss bereits im Insolvenzplan gefasst werden. Die nach Verfahrensaufhebung fortbestehende Haftung wird in der Praxis häufig bei 128 Kreditverbindlichkeiten vereinbart. Diese bilden in den meisten Fällen einer Unternehmensinsolvenz einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtpassiva. Durch Vereinbarung des Fortbestands (eines Teils) der Kreditverbindlichkeiten wird die im Fall der Fortführung wichtige Liquidität geschont. Denn auf die fortbestehenden Teile der Verbindlichkeiten muss keine Quote gezahlt werden. Zudem kann man durch die Vereinbarung des Fortbestands eines Teils der Kreditverbind- 129 lichkeiten eine ansonsten drohende Verwertung von Sicherheiten verhindern. Da die als Sicherheit dienenden Vermögensgegenstände oftmals für eine Fortführung des Unternehmens essentiell sind, ist die Verhinderung ihrer Verwertung für den Planinitiator oftmals alternativlos. Der Neuerwerb von Produktionsmitteln ist für ein gerade aus einem Insolvenzverfahren entlassenes Unternehmen meist nicht zu bewältigen. Der Zugriff auf die vorhandenen Produktionsmittel muss daher sichergestellt sein. Erhält der betreffende Gläubiger für den fortbestehenden Teil seiner Forderungen weiterhin die gleiche oder eine bessere Besicherung, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er dem Plan zustimmt. 4.3
Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter
Gemäß § 227 Abs. 2 InsO findet § 227 Abs. 1 InsO entsprechend Anwendung für die 130 persönliche Haftung der Gesellschafter. Damit wirkt ein Erlass von Forderungen gegenüber dem Schuldner auch im Verhältnis zu dessen persönlich haftenden Gesellschaftern. Dies gilt allerdings nur für die akzessorische Gesellschafterhaftung. Damit sind vom Gesellschafter wegen eines besonderen Schuldverhältnisses begründete Verbindlichkeiten, etwa durch Abschluss eines Bürgschaftsvertrags für Verbindlichkeiten des Schuldners, nicht erfasst.144) In § 227 Abs. 2 InsO sind die Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlich- 131 keit oder einer KGaA genannt, so dass nach dem Wortlaut auch nur diese von dieser Norm erfasst sind. Darüber hinaus wird jedoch die Anwendung für eine Vorgründungs-
___________ 140) 141) 142) 143) 144)
Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 7. Thies, in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 7. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 132. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 13; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 227 Rz. 7; Thies, in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 10; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 10.
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gesellschaft in Form einer GbR oder OHG bejaht.145) Eine Anwendung für die VorGmbH und Vor-AG wird jedoch abgelehnt, weil keine Außenhaftung besteht.146) 132 Umstritten ist, ob ausgeschiedene Gesellschafter von dieser Norm erfasst werden.147) Gegen die Anwendung der Erlassfiktion spricht, dass die ausgeschiedenen Gesellschafter das gesetzgeberische Ziel der Unternehmenserhaltung nicht mehr beeinflussen können.148) Die Vorschrift soll jedoch Anwendung finden, wenn eine Haftung des Kommanditisten nach § 176 HGB vorliegt oder der persönlich haftende Gesellschafter erst nach Bestätigung des Insolvenzplans ausscheidet.149) Dafür spricht, dass kein sachlich gerechtfertigter Grund besteht, die noch aktiven Gesellschafter anders zu behandeln als die bereits ausgeschieden.150) 133 Zustimmung der Gesellschafter bei abweichender Regelung: Sofern von der Befreiung abgewichen wird, bedarf es der Zustimmungen der Gesellschafter.151) Seit dem ESUG können auch die Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten gemäß § 225a InsO als mögliche zwangsweise Planbeteiligte in Betracht kommen152) und alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen im Insolvenzplan vereinbart werden. Damit ist ein Zugriff auf die Rechte der Anteilsinhaber als Beteiligte möglich.153) 134 Umstritten ist, ob Forderungen gegen die Gesellschaft als Schuldnerin erlassen werden können, die persönliche Haftung der Gesellschafter jedoch aufrechterhalten werden kann. Das RG hatte dies mit einer Entscheidung vom 31.1.1936154) für einen Zwangsvergleich nach § 211 KO für zulässig erklärt. Allerdings steht diese Auslegung in einem unauflösbaren Widerspruch zur Akzessorietät, weshalb eine solche Regelung als unzulässig angesehen wird.155) Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 20.4.1967 klargestellt.156) Zulässig dürfte eine solche Vereinbarung nur sein, wenn die Gesellschafter der Aufrechterhaltung der persönlichen Haftung zustimmen.157) 135 Weiter ist fraglich, ob durch den Plan auf die persönliche Haftung der Gesellschafter verzichtet bzw. diese weitergehend eingeschränkt werden kann. Dafür spricht, dass die Gläubiger nach § 93 InsO während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Gesellschafter nicht in Anspruch nehmen können. Die spätere Durchsetzungsmöglichkeit der Gläubiger wird jedoch nicht beeinträchtigt, wenn im Insolvenzplan über die erlassenen Teilbeträge hinaus auf die persönliche Haftung der Gesellschafter verzichtet werden soll und die Gläubiger dieser Regelung nicht zugestimmt haben. Daher ist ein Verzicht auf die persönliche Haftung der Gesellschafter im Insolvenzplan vollumfänglich möglich.158) ___________ 145) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 137. 146) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 12; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 8. 147) Für eine Anwendung Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 11; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 684; Müller, KTS 2002, 209, 260; gegen eine Anwendung Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 15; offengelassen Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 227 Rz. 7. 148) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 15; Thies, in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 8. 149) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 15. 150) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 138, vgl. dazu ausf. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 11. 151) Thies, in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 9. 152) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2. 153) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 225a Rz. 5. 154) RG v. 31.1.1936 – II 209/35, RGZ 150, 163, 173 f. 155) So Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 11. 156) BGH v. 20.4.1967 – II ZR 220/65, BGHZ 47, 376 = NJW 1967, 2155 ff. 157) So auch BGH v. 20.4.1967 – II ZR 220/65, BGHZ 47, 376, 378 = NJW 1967, 2155, 2156; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 12. 158) So bereits Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 12.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans VI.
Gesellschafterleistungen und Leistungen Dritter
Häufig muss in Sanierungsfällen frisches Geld zur Verfügung gestellt werden, damit ein 136 Unternehmen überhaupt eine realistische Überlebenschance nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens haben kann. Üblicherweise geschieht dies durch eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung. Eine Kapitalerhöhung nach der Insolvenzeröffnung ist grundsätzlich zulässig, § 225a InsO. 137 Es bietet sich an, diese in einen Insolvenzplan, der auch einen (Teil-)Verzicht der Gläubiger vorsieht, aufzunehmen.159) Möglich ist auch ein Debt-Equity-Swap, bei dem der betreffende Gläubiger seine Forde- 138 rung gegen den Schuldner im Wege einer Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung als Sacheinlage einbringt.160) Die praktische Relevanz des Debt-Equity-Swaps ist signifikant.161) Weitere Details betreffend die Rechte der Anteilsinhaber sowie insbesondere den Debt-Equity-Swap siehe unten § 31. VII. Gestaltung der Insolvenzquote Die Gestaltung der Insolvenzquote erfordert in der Praxis oft die meiste Schaffenskraft 139 des Planinitiators, nachdem im Insolvenzverfahren die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger erreicht werden muss.162) Die Herkunft der für eine Quotenzahlung erforderlichen Mittel stellt daher eine der wesentlichen Fragen eines jeden Insolvenzplanverfahrens dar. 1.
Rechtliche Grundlagen
Die par conditio creditorum ist einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Grund- 140 satz des deutschen Insolvenzrechts.163) Sie besagt, dass innerhalb des Insolvenzverfahrens sämtliche Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden.164) Trotz aller Bekenntnisse hierzu ist jedoch in der InsO keine völlige Gleichbehandlung der Gläubiger gegeben.165) Zwar wird auf der einen Seite innerhalb der InsO durch eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen sichergestellt, dass der Grundsatz der par conditio creditorum in ausreichendem Maße Berücksichtigung findet. Lediglich beispielhaft genannt seien hier die in den §§ 129 bis 147 InsO enthaltenen Anfechtungsregelungen. Durch sie sollen nachteilige vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden können, um so eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger aus den betroffenen Vermögenswerten zu gewährleisten.166) Auf der anderen Seite finden sich aber auch etliche Abweichungen vom Grundsatz der par conditio creditorum. Hierzu gehört bspw. die in § 39 InsO geregelte Verweisung mancher Gläubiger in den Nachrang.167) Aber auch das Fiskusvorrecht in § 55 Abs. 4 InsO stellt ebenso einen Bruch des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung dar168) wie die ___________ Apfelbacher/Niggemann, in: Hölters, AktG, § 182 Rz. 78. Dahl, NJW-Spezial 2012, 21. Kremers/Hoffmann, ZInsO 2013, 289, 290; Römermann, GmbHR 2013, 337, 343. Ganter/Lohmann, in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 20. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 226 Rz. 1; Stürner, in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62. Stürner, in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62; Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 66 Rz. 13. Beispiele der Ungleichbehandlung nennt Stürner, in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62. BGH v. 15.3.1972 – VIII ZR 159/70, NJW 1972, 870, 871; BGH v. 25.9.1972 – VIII ZR 216/71, NJW 1972, 2084; BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, ZIP 1993, 1653, dazu EWiR 1994, 373 (Henckel); Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 130 Rz. 1; Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, § 129 Rz. 2. 167) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 1 f. 168) Leithaus, in: Andres/Leithaus, InsO, § 55 Rz. 20.
159) 160) 161) 162) 163) 164) 165) 166)
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§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
– zumindest formelle – Besserstellung von Sozialplanansprüchen nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO.169) 141 Durch die Regelung des § 226 InsO erfährt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzplanverfahren eine erhebliche Modifikation.170) Die größere Relativierung dieses Grundsatzes für den Fall von Sanierungen erscheint auch durchaus wünschenswert mit der Folge, dass nach sachlichen Kriterien unterschiedliche Regelungen für die Gläubiger geboten sein können.171) Geschieht dies mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger, ist gegen eine solche Modifikation des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes ohnehin nichts einzuwenden.172) 142 Im Rahmen des § 226 InsO wird der allgemeine Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger transformiert in einen speziellen Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung innerhalb der einzelnen Gruppen des Insolvenzplans. Dieser spezielle Grundsatz wird flankiert von dem das Insolvenzplanverfahren beherrschenden Schlechterstellungsverbot, das insbesondere in den § 245 Abs. 1 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO geregelt ist. Es besagt letztlich, dass kein Gläubiger durch den Insolvenzplan schlechtergestellt werden darf, als er ohne den Insolvenzplan und damit in einem Regelinsolvenzverfahren stünde. 143 § 226 Abs. 1 InsO legt i. S. einer Gläubigergleichbehandlung innerhalb der einzelnen Gruppe zunächst fest, dass Angehörigen der gleichen im Insolvenzplan gebildeten Gruppe gleiche Rechte anzubieten sind. Erscheinen die Auswirkungen dieser Regelung aufgrund der Wortwahl („Rechte“) auf den ersten Blick recht umfangreich, so findet sie letztlich ihren deutlichsten Ausdruck in der Höhe der i. R. des Insolvenzplans angebotenen Quotenzahlung. Diese muss grundsätzlich für die Beteiligten ein und derselben Gruppe die gleiche prozentuale Höhe haben. 144 Von dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung innerhalb der einzelnen Gruppe sind Abweichungen nur im engen Rahmen des § 226 Abs. 2 InsO zulässig. § 226 Abs. 2 Satz 1 InsO besagt, dass eine unterschiedliche Behandlung der Beteiligten einer Gruppe nur mit Zustimmung aller betroffenen Beteiligten zulässig ist. Unter den Begriff des „betroffenen Beteiligten“ ist im Grundsatz jeder Beteiligte der Gruppe zu subsumieren.173) Nur bei eindeutiger Besserstellung eines Beteiligten im Vergleich zu sämtlichen anderen Beteiligten der Gruppe wird man davon absehen können, die Zustimmung dieses Beteiligten zur unterschiedlichen Behandlung einzuholen.174) Den hohen Stellenwert des Gleichbehandlungsgrundsatzes innerhalb der jeweiligen Gruppe unterstreicht auch die formelle Regelung des § 226 Abs. 2 Satz 2 InsO, nach der sämtliche zustimmenden Erklärungen der betroffenen Beteiligten dem Insolvenzplan als Anlage beizufügen sind. 145 Wird trotz des Verbots des § 226 Abs. 2 InsO abseits der Regelungen des Insolvenzplans einem einzelnen Beteiligten ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil für sein Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter, dem Schuldner oder einer anderen Personen gewährt, so ist das entsprechende einzelvertragliche Abkommen nach § 226 Abs. 3 InsO nichtig. Aufgrund eines solchen Abkommens bereits geleistete Zahlungen oder sonstige Verfügungen sind i. R. des Bereicherungsrechts rückabzuwickeln. ___________ 169) 170) 171) 172) 173) 174)
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Hamacher, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 37; Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 226 Rz. 1; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 2 und 7. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 226 Rz. 2. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 226 Rz. 2. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 202. So auch schon der Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 202.
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§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
Innerhalb der einzelnen Gruppe erscheint der Grundsatz der Gläubigergleichbehand- 146 lung auf den ersten Blick ohne Schwierigkeiten umsetzbar. Betrachtet man etwa die Gruppe der Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO, so mögen zwar die Ansprüche der jeweiligen Gläubiger aus den unterschiedlichsten Rechtsverhältnissen herrühren. Hinsichtlich ihrer Situation bei Verfahrenseröffnung eint die Gläubiger jedoch, dass sie allesamt unbesicherte Ansprüche gegen das schuldnerische Unternehmen haben. Eine quotale Befriedigung in gleicher Höhe scheint daher zumindest prima facie angemessen zu sein. Gleiches gilt für die einzelnen Rangklassen der nachrangigen Gläubiger nach § 39 InsO. In den meisten Fällen werden jedoch deren Forderungen i. R. des Insolvenzplanverfahrens so oder so gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen gelten. Denn meist wird die Insolvenzmasse nicht den Umfang haben, der für eine zumindest anteilige Befriedigung der nachrangigen Gläubiger erforderlich wäre. Betrachtet man hingegen andere Gruppen von Gläubigern, so zeigen sich teils erheb- 147 liche Schwierigkeiten. Bei der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger etwa wird man meist eine differenzierte Sicherheitenlage vorfinden. Lieferanten sind üblicherweise durch verlängerte Eigentumsvorbehalte am Waren- und Forderungsbestand des schuldnerischen Unternehmens besichert. Kreditgebende Banken hingegen können meist auf weitere Sicherungsrechte wie etwa Grundpfandrechte oder Pfandrechte an Geschäftsanteilen verbundener Unternehmen zurückgreifen. Stellt man einen Vergleich zwischen den beiden beispielhaft genannten Gläubigergruppen und deren üblichen Sicherheiten an, so gelten bereits unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Beteiligung der Insolvenzmasse an den Erlösen aus der Verwertung der als Sicherheit dienenden Vermögensgegenstände. Denn i. R. der Verwertung von beweglichen Sachen und Forderungen sind gemäß §§ 170, 171 InsO zugunsten der Insolvenzmasse die Feststellungskosten pauschal mit 4 % und die Verwertungskosten grundsätzlich pauschal mit 5 % der Verwertungserlöse zu ersetzen. Bei der Verwertung von Grundstücken im Wege der Zwangsversteigerung fallen hingegen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG zugunsten der Insolvenzmasse lediglich pauschal 4 % als Ersatz der entstandenen Feststellungskosten an. Ein Ersatz von Verwertungskosten ist nicht vorgesehen, da der Insolvenzverwalter bei einer Verwertung von Grundstücken im Wege der Zwangsversteigerung nicht in das entsprechende Verfahren eingebunden ist. Allein diese unterschiedliche prozentuale Beteiligung der Insolvenzmasse an den erzielten Verwertungserlösen führt dazu, dass die betreffenden absonderungsberechtigten Gläubiger meist nicht gleichbehandelt werden können. Denn dies würde bereits zu Verzerrungen führen, die oft sogar eine Schlechterstellung einzelner Gläubiger im Vergleich zu einer Regelinsolvenz des schuldnerischen Unternehmens bedeuten würden. Um den aufgezeigten Schwierigkeiten begegnen zu können, gibt das Gesetz dem Planer- 148 steller folgerichtig mit dem § 222 Abs. 2 InsO die Möglichkeit der Bildung weiterer Gruppen. Gläubiger mit formal der gleichen Rechtsstellung können erheblich voneinander abweichende Interessen haben. § 222 Abs. 2 InsO besagt folgerichtig, dass aus den Gläubigern mit gleicher Rechtsstellung einzelne Gruppen gebildet werden können, in denen Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden. Diese Gruppenbildung kann letztlich auch Auswirkungen auf die Höhe der gewährten Quote haben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass innerhalb des Insolvenzplanverfahrens die 149 Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe gewährleistet ist, nicht aber die Gleichbehandlung der Gruppen untereinander. Bis zu einem gewissen Maße müssen dies die Gläubiger auch hinnehmen. Die Grenze des Hinzunehmenden ist nach § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO erst dann erreicht, wenn die Gläubiger einer Gruppe nicht angemessen an dem wirtschaftlichen Wert partizipieren, welcher der Gesamtheit der Gläubiger auf der Grundlage des
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§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Insolvenzplans zufließen soll. Gemäß § 245 Abs. 2 InsO liegt eine solche angemessene Beteiligung aber vor, wenn
kein anderer Gläubiger eine Befriedigungsquote von 100 % erreicht,
weder einem nachrangigen Gläubiger, dem Schuldner oder einer an dem schuldnerischen Unternehmen beteiligten Person ein wirtschaftlicher Wert zufließt und
kein Gläubiger, der ohne Insolvenzplan gleichrangig mit dem betreffenden Gläubiger wäre, bessergestellt wird.
150 Insbesondere die letzte Voraussetzung stellt sicher, dass es nicht zu Ungleichbehandlungen zwischen gleichrangigen Gläubigern kommt. Andernfalls wäre der Willkür der Planinitiatoren Tür und Tor geöffnet und allein die Zuordnung eines Gläubigers zu einer bestimmten Gruppe könnte Unterschiede in der relativen Höhe der Quotenzahlung im Vergleich zu gleichrangigen Gläubigern bedeuten. 151 Schon im Jahr 1992 erkannte der Reformgesetzgeber der InsO die Gefahren einer eventuellen Ungleichbehandlung der Gläubiger im Hinblick auf das Wirksamwerden des Insolvenzplans.175) Er hat sich jedoch bei der gesetzlichen Regelung von der Überzeugung leiten lassen, die Planinitiatoren seien in der Lage, diese Risiken zu kontrollieren. Er erkannte, dass mit dem Widerspruchsrecht des § 251 InsO „[…] ein nicht immer leicht zu kalkulierendes Risiko für das Zustandekommen der einvernehmlichen Regelung verbunden“ ist. Es sei „möglich, dass ein Plan, der nach langwierigen Verhandlungen ausformuliert worden ist und anschließend die erforderlichen Zustimmungen der Mehrheiten in den Gläubigergruppen erhalten hat, dennoch nicht bestätigt wird, weil nach der Auffassung des Gerichts die für einzelne widersprechende Beteiligte vorgesehenen Leistungen dem Mindeststandard nicht entsprechen“. Dieses Risiko könne „jedoch dadurch ausgeschlossen oder vermindert werden, dass im Plan zusätzliche Leistungen an solche Beteiligte vorgesehen werden, die dem Plan widersprechen und den Nachweis führen, dass sie ohne solche Zusatzleistungen durch den Plan schlechter gestellt werden als ohne einen Plan“. Enthält „der Plan eine solche Bestimmung, [ist] die Finanzierung der Leistungen gesichert, und [ist] eindeutig, dass im Falle der zusätzlichen Leistungen der Mindeststandard erreicht [wird], so [steht] der Minderheitenschutz der Bestätigung des Plans nicht entgegen“. Ob die zusätzlichen Leistungen zu erbringen sind, könne „dann außerhalb des Insolvenzverfahrens geklärt werden“. 152 Aus Sicht des Gesetzgebers war daher bereits vor dem ESUG die Aufnahme salvatorischer Klauseln in einen Insolvenzplan angezeigt, um so eventuelle Anträge nach § 251 InsO bereits auf der Zulässigkeitsebene scheitern zu lassen. Die Frage der Anwendbarkeit derartiger salvatorischer Klauseln wurde in der Rechtsprechung und in großen Teilen der Literatur bejaht,176) Teile der Literatur hielten sie aber zumindest für bedenklich.177) Der Reformgesetzgeber des ESUG verhalf den salvatorischen Klauseln nunmehr mit der Aufnahme des § 251 Abs. 3 InsO zu einer gesetzlichen Grundlage. Zu salvatorischen Klauseln siehe unten Rz. 258 ff. 2.
Grundformen
153 Eine Gruppierung typischer Gestaltungsformen von Insolvenzplänen kann insbesondere anhand der Herkunft der Mittel vorgenommen werden, aus denen die im Insolvenzplan gewährten Quotenzahlungen generiert werden. Hierbei differenziert man zwischen CashOut-Plänen auf der einen Seite und Earn-Out-Plänen auf der anderen Seite. ___________ 175) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 176) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 23. 177) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.5 ff.
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§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans 2.1
Cash-Out-Pläne
Die Quotengestaltung i. R. von Cash-Out-Plänen greift letztlich auf bei Planerstellung 154 bereits vorhandene Vermögenswerte zurück. Hierbei kommt eine weitere Untergliederung in originäre Cash-Out-Pläne sowie derivative Cash-Out-Pläne in Betracht. Die Gruppe der originären Cash-Out-Pläne greift bei der Quotengenerierung aus- 155 schließlich auf Mittel zurück, die im schuldnerischen Unternehmen im Zeitpunkt der Planerstellung bereits vorhanden sind. Dies können bspw. für eine Fortführung nicht erforderliche liquide Mittel sein. Zum anderen kommt in Betracht, i. R. des Insolvenzverfahrens nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte zu liquidieren und so die für eine angemessene Quote erforderlichen liquiden Mittel zu beschaffen. Derivative Cash-Out-Pläne hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass die für Quoten- 156 zahlungen verwandten Mittel nicht aus dem schuldnerischen Unternehmen selbst stammen, sondern vielmehr außerhalb des Unternehmens generiert werden. Der häufigste Fall dürfte der Verkauf des schuldnerischen Unternehmens im Ganzen sein. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens werden hierbei die ersten groben Schnitte im Hinblick auf eine Sanierung des Unternehmens vorgenommen. Sodann wird i. R. eines Unternehmenskaufvertrags der verbleibende Nukleus des schuldnerischen Unternehmens an einen Investor verkauft. Die aus dem Verkauf resultierenden Werte werden sodann zur Befriedigung der Gläubiger aufgewandt. Alternative derivative Cash-Out-Pläne generieren die Mittel zur Quotenzahlung aus sonstigen Beiträgen Dritter. Hier kommt insbesondere in Betracht, dass die bisherigen Eigentümer des schuldnerischen Unternehmens Kapital nachschießen. Üblicherweise müssen Gläubiger in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres Schuldners teilweise erhebliche Verluste hinnehmen. Vor diesem Hintergrund wird häufig die Forderung erhoben, der bisherige Eigentümer oder aber ein neu hinzutretender Investor solle, etwa i. R. einer Kapitalerhöhung, Mittel zur Verfügung stellen, um somit zumindest eine Aufbesserung der Quotenzahlungen zu erreichen. Vor dem Hintergrund, dass dem Alteigentümer, aber auch einem neu hinzutretenden Investor mit Wirksamwerden des Insolvenzplans ein finanziell größtenteils saniertes Unternehmen übergeben wird, erscheint dies durchaus angemessen. Schließlich kommen auch Beiträge solcher sonstigen Dritten in Betracht, die in irgendeiner Weise von der Fortführung des Unternehmens profitieren. Zu denken wäre etwa an die Vertragspartner langlaufender Dauerschuldverhältnisse. 2.2
Earn-Out-Pläne
Die Gruppe der Earn-Out-Pläne wiederum verfolgt einen zeitraumbezogenen Weg der 157 Generierung der Quotenzahlungen. Ähnlich den Earn-Out-Klauseln bei Unternehmenskaufverträgen soll den Gläubigern im Grundsatz dasjenige zufließen, was innerhalb eines bestimmten Zeitraums während und/oder nach erfolgreicher Beendigung des Insolvenzverfahrens i. R. der Unternehmensfortführung generiert wird. Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang für den Zeitraum des Earn-Out zur Absicherung der Gläubiger auf das Institut der Planüberwachung (vgl. § 260 InsO) zurückgegriffen. Die Gestaltungsmöglichkeit des Earn-Out-Plans war im Regierungsentwurf ausdrücklich genannt, vgl. § 253 Abs. 2 Nr. 1 RegE InsO.178) Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde § 253 Abs. 2 RegE InsO jedoch lediglich zur „redaktionellen Verkürzung des Gesetzes“ gestrichen.179) Zulässig bleibt die Gestaltung eines Earn-Out-Plans trotz dieser verkürzenden Streichung.
___________ 178) RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 49. 179) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 181.
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§ 26 2.3
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Mischformen
158 Freilich kann in der Praxis keine trennscharfe Linie zwischen Cash-Out-Plänen und EarnOut-Plänen gezogen werden. So liegt es bspw. nahe, trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu einem Earn-Out-Plan nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu liquidieren. Auch wird auf Druck der Gläubiger hin in dem schuldnerischen Unternehmen nur das Maß an Liquidität verbleiben können, welches zur Fortführung erforderlich ist. Die zur Fortführung nicht erforderliche Liquidität kann dann ebenso an die Gläubiger ausgeschüttet werden wie die aus der Verwertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens generierte Liquidität. 2.4
Leistung „an Quote Statt“
159 Denkbar sind auch Fälle, in denen statt einer Insolvenzquote an Gläubiger Naturalleistungen erbracht werden. Praktisch relevant sind solche Fälle v. a. dann, wenn sich im Unternehmen Vermögenswerte befinden, die keinen Marktwert haben oder deren Marktwert schwer zu realisieren ist, diese Vermögenswerte aber für einzelne Gläubiger einen spezifischen Wert haben, etwa Vorräte, die der Gläubiger benötigte und weiterverarbeiten kann, oder aufzugebende Betriebsteile, die zum Unternehmen des Gläubigers passen. Hier drängt sich dann der Gedanke auf, diese Vermögensgegenstände eben jenen Gläubigern zu überlassen, die damit etwas anzufangen wissen. Umgekehrt können solche Fälle dann aber auch erhebliche Probleme mit sich bringen, denn die Naturalleistung kann gerade wegen der schweren Bewertbarkeit auch Gefahr laufen, ein gegen § 226 Abs. 3 InsO verstoßender Sondervorteil zu sein.180) 3.
Sonderformen und Einzelfragen
160 Über die reinen Cash-Out-Pläne und Earn-Out-Pläne sowie deren Mischformen tauchen in der Praxis einige Sonderformen von Insolvenzplänen auf, auf die in der Folge eingegangen werden soll. 3.1
Verfahrensleitende bzw. verfahrensbegleitende Insolvenzpläne
161 Einerseits können nach der allgemeinen Meinung in einem Insolvenzplan alle Regelungen getroffen werden, die auf dem Gebiet des Privatrechts rechtsgeschäftlich vereinbart werden können und zulässig sind.181) Andererseits ist es ebenso allgemeine Meinung, dass § 217 InsO abschließenden Charakter hat.182) Die vier gängigsten Arten von Insolvenzplänen zielen auf eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Liquidation, eine übertragende Sanierung, eine Eigensanierung oder eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Schuldenregulierung ab. 162 Über diese vier Grundrichtungen (sowie deren Mischformen) hinaus ist aber die Verfolgung weiterer Planziele in der Praxis wünschenswert. So ist denkbar, dass in hochkomplexen Insolvenzverfahren durch einen Insolvenzplan lediglich Vorfragen zur Beseitigung tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse geklärt werden. Die weitere Sanierung oder auch Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens würde sodann i. R. des Regelinsolvenzverfahrens erfolgen. Bereits vor Inkrafttreten des ESUG wurden unter dem Stichwort des „verfahrensleitenden“ bzw. „verfahrensbegleitenden“ Insolvenzplans solche ___________ 180) Vgl. hierzu insbes. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 327; weiter Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 43. 181) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, Vor §§ 217 ff. Rz. 10, § 217 Rz. 15. 182) BR-Drucks. 127/1/11, S. 12; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 12; Eidenmüller, in: MünchKommInsO, § 217 Rz. 96.
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§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
Pläne diskutiert, die lediglich Teilbereiche der Verfahrensabwicklung betreffen. Die Beendigung des Insolvenzverfahrens hingegen war durch derartige Pläne nicht angestrebt. § 217 Abs. 1 InsO erklärt nunmehr ausdrücklich „die Verfahrensabwicklung“ zu einem potentiellen Regelungsgegenstand eines Insolvenzplans. 3.2
Masselose bzw. massearme Insolvenzpläne
Schon vor Aufnahme des § 210a InsO sprach einiges für die Zulässigkeit des Insolvenz- 163 planverfahrens bei Masseunzulänglichkeit. Denn auch bei Masseunzulänglichkeit kann der Fortführungswert des schuldnerischen Unternehmens größer sein als der Liquidationswert.183) Ob die Masseunzulänglichkeit wegen eines gescheiterten Geschäftsmodells und einer eventuell anfänglichen Fehleinschätzung des Insolvenzverwalters im Hinblick auf die Fortführungsfähigkeit eintritt, oder nur externe Faktoren der Grund für die Masseunzulänglichkeit sind, spielt eine erhebliche Rolle. Die Aufnahme des § 210a InsO ist daher vollumfänglich zu begrüßen.184) Masselose bzw. massearme Insolvenzpläne müssen in jedem Fall mindestens eine weitere 164 Gruppe für nachrangige Massegläubiger (vgl. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) vorsehen. Naturgemäß bietet sich jedoch die Bildung mehrerer Gruppen entsprechend der Regelung des § 222 Abs. 2 InsO an, der eine Differenzierung anhand unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen ermöglicht. Die Zustimmung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gilt als erteilt, sofern 165 diese nicht an der Planabstimmung teilnehmen (vgl. § 210a Nr. 2 i. V. m. § 246 Nr. 2 InsO). Nachdem diese nach dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit keine Befriedigungsaussichten mehr haben, ist die entsprechende Anwendung des § 246 Nr. 2 InsO nur folgerichtig. 3.3
Besserungsscheine
Eine häufig verwandte Komponente zur Gestaltung der Quote sind sog. Besserungs- 166 scheine. Durch sie sollen die begünstigten Gläubiger an potentiellen zukünftig erst entstehenden oder zufließenden Werten partizipieren. Rechtlich wird die mögliche Verbesserung der Quote meist durch die Konstruktion einer auflösenden Bedingung erreicht. Dem Schuldner werden zwar grundsätzlich die Schulden erlassen; sollte jedoch ein bestimmtes Ereignis eintreten, so ist der gewährte Schuldenerlass (zumindest in Teilen) hinfällig. Der Einsatz von Besserungsscheinen muss auch unter taktischen Erwägungen gesehen 167 werden. Denn möglicherweise entsteht durch die Teilnahme an einem Besserungsschein bei manchen Gläubigern eine höhere Bereitschaft zur Erteilung der Zustimmung zum Insolvenzplan.185) Auch kann zwischen einzelnen Gläubigergruppen dahingehend differenziert werden, ob und in welchem Umfang diese an einem oder mehreren Besserungsscheinen teilnehmen. Beispielsweise wird es Gläubigergruppen geben, die durch zukünftige Verzichte die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wieder herstellen. Zu denken ist hierbei insbesondere an Arbeitnehmer oder Vertragspartner langlaufender Dauerschuldverhältnisse wie Vermieter oder bestimmte Lieferanten. Demgegenüber wird es andere Gläubigergruppen geben, die durch ihre Zustimmung zum Insolvenzplan lediglich auf den die Quote übersteigenden Teil ihrer Forderungen verzichten, darüber hinaus aber keine weiteren Zugeständnisse machen. Dies ist insbesondere die Auffanggruppe der sonstigen ___________ 183) Ebenso Vallender, MDR 2012, 125, 127; Willemsen/Rechel, ESUG, § 210 Rz. 1. 184) Im Ergebnis wohl auch Rattunde, GmbHR, 2012, 455, 458. 185) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 326.
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§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Insolvenzgläubiger. Wenn nun ein Besserungsschein bspw. aus dem noch nicht vertraglich fixierten Kaufpreis für den verbliebenen Nukleus des schuldnerischen Unternehmens besteht, erscheint es angemessen, an diesem nur diejenigen Gläubiger partizipieren zu lassen, die auch Verzichte für die Zukunft erklärt haben. 168 Praxisrelevant sind Besserungsscheine insbesondere bei anhängigen Rechtsstreiten, aus denen der Insolvenzmasse potentiell Werte zufließen. Da das Wirksamwerden des Insolvenzplans und damit die Aufhebung des Insolvenzverfahrens meist nicht warten kann, bis laufende Prozesse womöglich durch mehrere Instanzen zu Ende geführt wurden, werden hieraus dem schuldnerischen Unternehmen zufließende Werte i. R. eines Besserungsscheins den Gläubigern zugeführt. 169 In den meisten Fällen wird es sich um Anfechtungsrechtsstreite oder die Durchsetzung sonstiger insolvenzverfahrenstypischer Ansprüche wie etwa solcher aus Geschäftsführerhaftung oder nicht wirksam geleisteten Gesellschafterleistungen handeln. Die bereits oben ausführlich behandelten Besonderheiten hinsichtlich Anfechtungsansprüchen sind hierbei zu beachten (siehe Rz. 89 ff.). 170 Aber auch die bereits angesprochene Verwertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens kann i. R. eines Besserungsscheins geregelt werden. Insbesondere bei Vermögensgegenständen, die keinen Marktpreis haben und bei denen umfangreiche Bewertungen vorgenommen und langwierige Verkaufsverhandlungen geführt werden müssen, macht eine Herauslösung der Gegenstände durch einen Besserungsschein Sinn. Hierbei kann die Verwertung auch auf einen Dritten übertragen werden, der den nach Abzug der entstandenen Verwertungskosten sowie einer angemessenen Vergütung verbleibenden Restbetrag an die unter dem Besserungsschein berechtigten Gläubiger auskehrt. 3.4
Leistungen an Quote statt
171 Häufig treten an die Stelle der Auskehr liquider Mittel auch zugunsten der Gläubiger Leistungen an Quote statt. Der hauptsächliche Zweck solcher Regelungen besteht in der Entlastung der quotenberechtigten Passivseite des Unternehmens. Leistungen an Quote statt führen damit zur Reduzierung der für Quotenzahlungen erforderlichen Liquidität. Gerade aber das Vorhandensein ausreichender liquider Mittel ist bei einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von besonderer Bedeutung. Denn im deutschen Rechtsraum sind durch Insolvenzpläne sanierte Unternehmen nicht per se kreditwürdig. Die Bandbreite der denkbaren Leistungen an Quote statt ist immens und wird letztlich lediglich durch die Gegebenheiten des jeweiligen Insolvenzverfahrens und die vorgefundene Insolvenzmasse begrenzt. In der Sache handelt es sich um schuld- oder sachenrechtliche Regelungen, durch die an die Stelle der Quote andere – meist vermögenswerte – Rechte treten. 172 Leistungen an Quote statt sind aus einer Vielzahl von Gründen jedoch komplexer in der Gestaltung, als eine reine Quotenzahlung dies überhaupt sein kann. Bei vielen Leistungen an Quote statt ergeben sich bereits Probleme, deren materiellen Gegenwert zu bestimmen. Dies ist aber bis zu einem gewissen Grade erforderlich, da nur so ein Vergleich zur Quotenerwartung in einem Regelinsolvenzverfahren angestellt werden kann. Dieser Vergleich ist erforderlich, damit der vorgelegte Insolvenzplan die erforderlichen Zustimmungen überhaupt erst erlangen kann. Auch die Regelungen zum Obstruktionsverbot (vgl. § 245 InsO) und zum Minderheitenschutz (vgl. § 251 InsO) gehen zu Recht davon aus, dass grundsätzlich jeder Gläubiger durch den vorgelegten Insolvenzplan bessergestellt werden muss, als er ohne Insolvenzplan und damit in einem Regelinsolvenzverfahren stünde. 173 Bei der Übertragung von dinglichen Rechten wird die Bestimmung des materiellen Gegenwerts des übertragenen Rechts regelmäßig noch vergleichsweise einfach sein. Dies gilt 728
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insbesondere dann, wenn das übertragene Recht einen Marktpreis hat. Aber auch ohne einen solchen wird in vielen Fällen durch die Einholung von Wertgutachten die Bestimmung des materiellen Gegenwerts möglich sein. Insbesondere bei der Gewährung schuldrechtlicher Leistungen an Quote statt wird es 174 sich in den meisten Fällen anbieten, diese als Optionsrechte außerhalb des Insolvenzplans auszugestalten. Dem betreffenden Gläubiger wird hierbei in einer separaten Vereinbarung das Recht eingeräumt, von der Option Gebrauch zu machen. Im Gegenzug wird er meist (zumindest teilweise) auf seine Forderungen gegenüber dem Schuldner verzichten. In dem Insolvenzplan selbst wird die Konstruktion der Option lediglich beschrieben. Darüber hinaus kann in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans eine aufschiebende Bedingung vorsehen, dass der Insolvenzplan erst wirksam wird, wenn von dem Optionsrecht Gebrauch gemacht wird. Wird mehreren Gläubigern die gleiche Option angeboten, so kann die aufschiebende Bedingung vorsehen, dass ein bestimmtes Quorum erreicht wird. Die Festlegung der Höhe dieses Quorums stellt die Planinitiatoren nicht selten vor schwierige taktische Überlegungen. Üblicherweise wird das Quorum nahe 100 % angesetzt, um den Druck auf die Optionsinhaber hoch zu halten. Auf der anderen Seite gibt einem eine Quote unter 100 % die Möglichkeit, den Plan nicht wegen einzelner, die Option nicht annehmender Gläubiger scheitern lassen zu müssen. Diejenigen Gläubiger, welche die Option nicht annehmen, müssen sodann auch unter dem Insolvenzplan einen Wertzufluss in der Höhe erhalten, der ohne Insolvenzplan bei Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens erreicht worden wäre. 3.4.1 Übertragung einzelner Vermögenswerte Bei den Fallgruppen der Leistungen an Quote statt kommen zunächst Vermögensüber- 175 tragungen an Quote statt in Betracht. Denkbar sind hierbei die Übertragung eines Grundstücks oder aber die Gewährung von Lizenzen. Rein tatsächliche Voraussetzung für das Zustandekommen derartiger Leistungen an Quote statt wird selbstverständlich immer der Nutzen der jeweiligen Leistung für den betreffenden Gläubiger sein. Wenn also einzelne Gläubiger an bestimmten Vermögensgegenständen der Insolvenzmasse ein besonderes wirtschaftliches oder sonstiges Interesse haben, wird deren Wille zur Zustimmung erheblich sein. Dieses Interesse kann letztlich durchaus nur darin bestehen, dass sich der Gläubiger bessere 176 Verwertungsmöglichkeiten erhofft, als der Insolvenzverwalter sie sieht. Oft spielen aber weitergehende Interessen eine Rolle. So kann für Lieferanten oder Kunden des schuldnerischen Unternehmens die Gewährung von Lizenzen für Produkte des schuldnerischen Unternehmens interessant sein. Im Sinne einer vertikalen Diversifikation bietet sich dem einzelnen Gläubiger hierdurch die Möglichkeit, seine eigenen Erträge durch Ausweitung des Produktionsprogramms um Produkte aus vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen entlang der Wertschöpfungskette zu steigern. Auch die Übertragung ganzer Produktionsstandorte kann für einzelne Gläubiger inte- 177 ressant sein. Vielfach herrscht in der produzierenden Industrie eine starke Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern oder Abnehmern. Hat der Zulieferer oder Abnehmer aus langlaufenden Dauerschuldverhältnissen hohe Insolvenzforderungen gegen den Schuldner, so kann eine Übertragung des für diesen einzelnen Gläubiger wichtigen Produktionsstandorts gegen Verzicht auf die Forderungen eine interessante Gestaltungsvariante sein. Eine Alternative kann die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens unter Abschluss neuer oder Bestätigung der alten Lieferverträge mit dem Zulieferer oder Abnehmer sein. Wird der (wesentliche) operative Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens 178 auf eine Auffanggesellschaft übertragen, so besteht für den Planinitiator die Möglichkeit, Balthasar
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einzelne Gläubiger an der Auffanggesellschaft zu beteiligen. Da die Gläubiger nicht an der insolventen Gesellschaft, sondern vielmehr an der Auffanggesellschaft beteiligt werden, handelt es sich hierbei nicht um den Fall eines Debt-Equity-Swaps. 3.4.2 Gewährung von Unternehmensanteilen 179 Lieferanten und Kunden wählen häufig auch den Weg, durch einen Forderungs- und Quotenverzicht i. R. eines Debt-Equity-Swaps Anteile am schuldnerischen Unternehmen zu erwerben. Hierbei spielen zum einen wiederum Diversifikationspläne des Gläubigers eine Rolle. Aber auch die schlichte Alternativlosigkeit aufgrund starker Abhängigkeiten vom schuldnerischen Unternehmen kann der Grund für den Debt-Equity-Swap sein. Kreditgeber rechnen sich durch einen Tausch von Forderungen in Gesellschaftsanteile häufig höhere Wertzuflüsse zu einem späteren Zeitpunkt aus.186) Wenn sich an die grobe finanzielle Sanierung des Unternehmens durch das Insolvenzplanverfahren eine feingliedrigere finanzielle, v. a. aber auch eine operative Sanierung anschließt, können sich diese Vorstellungen durchaus als zutreffend erweisen. 180 Der Reformgesetzgeber des ESUG hat mit der Aufnahme des § 225a Abs. 2 InsO eine wesentliche Erleichterung im Hinblick auf die Vornahme eines Debt-Equity-Swaps geschaffen. Da § 225a Abs. 3 InsO i. R. eines Insolvenzplans darüber hinaus sämtliche Regelungen für aufnahmefähig erklärt, die gesellschaftsrechtlich zulässig sind, sind den Regelungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Geschäftsanteile am schuldnerischen Unternehmen keine zusätzlichen insolvenzrechtlichen Grenzen mehr gesetzt. Durch § 254 Abs. 4 und § 254a InsO wird darüber hinaus sichergestellt, dass die in einem Insolvenzplan aufgenommenen gesellschaftsrechtlichen Regelungen nicht nach Wirksamwerden des Insolvenzplans wegen formeller oder materieller Mängel angegriffen werden können. 3.4.3 Vereinbarung schuldrechtlicher Verpflichtungen 181 Schließlich ergibt sich eine weitere Quotengestaltungsmöglichkeit aus dem Interesse von Lieferanten und Kunden sowie weiteren Vertragspartnern langlaufender Dauerschuldverhältnisse, auch zukünftig mit ihrem Vertragspartner Geschäfte machen zu können. Die Planinitiatoren können das schuldnerische Unternehmen zum einen bestehende Vertragsverhältnisse fortsetzen lassen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die bestehenden Vertragsverhältnisse in Teilbereichen (meist der Vergütungsstruktur) zu modifizieren. Zum anderen können die Planinitiatoren aber auch im oder außerhalb des Insolvenzplans neue vertragliche Verpflichtungen des schuldnerischen Unternehmens begründen. 182 Häufig wird dies aber außerhalb des Insolvenzplans i. R. von Einzelvereinbarungen geschehen, damit die Details der Vereinbarung nicht offengelegt werden müssen. Die Einzelvereinbarung ist dann Anlage zum Insolvenzplan, wird aber nicht mit diesem ausgelegt. Im Insolvenzplan selbst werden nur die Eckpunkte der jeweiligen Vereinbarung genannt. Denn sowohl das schuldnerische Unternehmen als auch der jeweilige Vertragspartner wollen derartige in der Krise einer Partei getroffene Vereinbarungen nicht mit Signalwirkung ausstatten. Bei Marktteilnehmern könnte der Eindruck entstehen, der ihnen gewährte Tarif beinhalte im Vergleich zu hohe Margen des jeweiligen Vertragspartners. Hierbei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass derartige Krisenvereinbarungen oft nur zur Vermeidung weiterer Schäden getroffen werden. Einen Gewinn für die Vertragschließenden bedeuten die Vereinbarungen hingegen oft nicht. 183 Die Grenze derartiger Einzelvereinbarungen bildet zum einen die Regelung des § 226 Abs. 3 InsO. Sie besagt, dass jedes Abkommen des Insolvenzverwalters, des Schuldners ___________ 186) Dazu auch Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 433.
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oder anderer Personen mit einzelnen Beteiligten, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, nichtig ist. Letztlich darf man daher nicht dem Irrglauben erliegen, man könne durch eine Einzelvereinbarung Sondervorteile gewähren, die bei Aufnahme in den Text des Plans zu dessen Scheitern führen würden. Zum anderen wird die Möglichkeit des Abschlusses von Einzelvereinbarungen dadurch 184 begrenzt, dass trotz fehlender Kenntnis des Inhalts dieser Einzelvereinbarungen der Insolvenzplan in sich noch verständlich, also hinreichend bestimmt und klar sein muss. Die wesentlichen Eckpunkte müssen für den einzelnen Gläubiger insbesondere erkennbar machen, welche Zugeständnisse dem jeweiligen Vertragspartner einer solchen Einzelvereinbarung gemacht wurden. Beispiele: Wenn etwa zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Gläubiger die betrags- 185 mäßige Höhe der quotenberechtigten Forderungen streitig ist, kann ein Vergleich hierüber Gegenstand einer solchen Einzelvereinbarung sein. Eventuelle Berechnungen zur Forderungshöhe, Verzichte des Gläubigers auf Teilforderungen oder Ähnliches gehören dann lediglich in den Text der bilateralen Vereinbarung. Die vereinbarte Höhe der Forderungen hingegen muss im Insolvenzplan genannt werden. Die Veröffentlichung der Einzelvereinbarungen könnte darüber hinaus die Gefahr bergen, 186 dass der Insolvenzplan möglicherweise nicht beizeiten wirksam werden kann. Denn die vollumfängliche Kenntnis der jeweiligen Einzelvereinbarung würde obstruierenden Gläubigern zusätzliches Material in die Hand geben, um gegen den Insolvenzplan vorgehen zu können. Hierbei hilft es wenig, wenn sich die Planinitiatoren sicher sind, dass die abgeschlossene Einzelvereinbarung den Regelungen des Obstruktionsverbots (vgl. § 245 InsO) und des Minderheitenschutzes (vgl. § 251 InsO) standhalten werden. Denn die Kenntnis des Inhalts eröffnet bereits neue Diskussionsfelder, die Folge kann eine vermeidbare Auseinandersetzung an mehreren Fronten sein. Die Erscheinungsformen schuldrechtlicher Verpflichtungen an Quote statt sind vielfältig. 187 Zu denken ist hier zunächst an den Abschluss von Lieferverträgen. Diese können zum einen mit bisherigen Lieferanten abgeschlossen werden und diesen den Abnehmer erhalten. Aber auch der Abschluss von Lieferverträgen mit Kunden kommt in Betracht. Haben diese aus Garantieversprechen oder Mängelgewährleistung des Schuldners hohe Insolvenzforderungen gegen diesen (die vielleicht sogar insolvenzauslösend waren), kann die Fortsetzung bestehender oder die Begründung neuer Lieferverträge ein geldwerter Ersatz für alternative Quotenzahlungen sein. Eine weitere Gruppe stellen Mietverträge dar. Meist gegen Verzicht auf rückständige und 188 Absenkung der zukünftigen Mietzinsen durch die Vermieter können Planinitiatoren oft erhebliche Reduzierungen sowohl bei der quotenberechtigten Passivseite als auch den zukünftigen Kosten des schuldnerischen Unternehmens erreichen. Gleiches gilt selbstredend für viele weitere langlaufende Dauerschuldverhältnisse. Der Fortbestand oder Neuabschluss von Darlehensverträgen macht unter mehreren 189 Gesichtspunkten Sinn. Denn zum einen wird auch hierbei der Abfluss von Liquidität verhindert, die für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens dringend erforderlich ist. Zum anderen wird durch den Fortbestand oder Neuabschluss der Darlehensverträge die Verwertung der vorinsolvenzlich ausgereichten Sicherheiten verhindert. Die betreffenden Vermögensgegenstände (Grundstücke mit Produktionsimmobilien, Geschäftsanteile an ebenfalls operativen verbundenen Unternehmen, der Bestand an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, usw.) werden für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht selten dringend benötigt. Der Fortbestand der Darlehensforderungen kann möglicherweise auch in nachrangiger Form vereinbart werden, um so eine sonst potentiell Balthasar
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bald erneut eintretende Überschuldung des schuldnerischen Unternehmens zu verhindern. Freilich werden einer solchen Nachrangigkeit nur solche Darlehensgläubiger zustimmen, die vorher unbesichert waren. 190 Eine Regelung zum eventuellen Fortbestand entsprechender Verpflichtungen bietet sich ebenfalls an, wenn dem schuldnerischen Unternehmen vorinsolvenzlich Investitionszulagen gewährt wurden. Denn bei Fortbestand der Investitionsverpflichtungen aus öffentlicher Förderung an Quote statt wird auch hier der Abfluss von Liquidität verhindert. 191 Einen Sonderfall bilden schließlich arbeitsrechtliche Vereinbarungen: Denn bei diesen findet durch die Beteiligung von Gewerkschaften und Betriebsräten meist ein Geben und Nehmen statt, während in den vorgenannten Fällen die Position der Planinitiatoren meist die stärkere ist. Auf Arbeitnehmerseite muss meist mit Gehaltsverzichten gerechnet werden. Denn oft sind es die hohen Personalkosten, die viele Unternehmen in die Knie zwingen. Das deutsche Arbeitsrecht ist an dieser Stelle zu wenig flexibel, um die Personalkosten innerhalb eines vernünftigen zeitlichen und finanziellen Rahmens einer schwankenden Auftragslage anzupassen. Ist mit einer zeitnahen Sanierung des schuldnerischen Unternehmens zu rechnen, können die Gehaltsverzichte selbstverständlich auch auflösend bedingt erklärt werden (Stichwort „Sanierungstarifverträge/Fortführungstarifverträge“). Wenn innerhalb eines festgelegten zeitlichen Rahmens bestimmte Ertrags- oder sonstige Ziele erreicht werden, besteht die Verpflichtung des schuldnerischen Unternehmens, die zunächst nicht gezahlten Gehaltsbestandteile doch noch zur Auszahlung zu bringen. Üblich ist zudem, die Gehaltsverzichte nur für einen bestimmten Zeitraum zu erklären. Die Bestandteile des Verzichts sind meist eventuelles Urlaubs- und Weihnachtsgeld, können aber auch quotale Kürzungen des monatlichen Salärs sein. Auf Arbeitgeberseite muss damit gerechnet werden, dass für einen bestimmten Zeitraum im Gegenzug betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen ausgeschlossen werden. Da die arbeitsrechtlich getroffenen Vereinbarungen häufig auch im Nachgang zu deren Abschluss recht emotionsgeladen abgewickelt werden, bietet sich an dieser Stelle die Nutzung des Instituts der Planüberwachung (vgl. § 260 InsO) an. VIII. Bedingungen und Befristungen 192 Namentlich bei auf Fortführung gerichteten Insolvenzplänen können neben den im Insolvenzplan enthaltenen Sanierungsbeiträgen der Gläubiger Beiträge oder die Mitwirkung von Gesellschaftern oder Dritten erforderlich sein.187) Vor Inkrafttreten des ESUG konnte hierüber sowohl im Hinblick auf Gesellschafter als auch auf Dritte im Plan keine zwangsweise Regelung geschaffen werden.188) Hinsichtlich einer eventuellen Beteiligung von Gesellschaftern hat der Gesetzgeber mit dem ESUG durch die Einführung zahlreicher Vorschriften, die sich mit den Mitglieds- und Anteilsrechten der am Schuldner beteiligten Personen beschäftigen (vgl. insbesondere die zentrale Norm des § 225a InsO), weitestgehend Abhilfe geschaffen. 193 Soll aber ein Dritter am Plan beteiligt werden, so kann dies oftmals nur über die Aufnahme einer Planbedingung nach § 249 InsO erreicht werden. Neben ihrer Funktion als verfahrensrechtliche Vorschrift kommt der genannten Norm auch eine wesentliche materiell-rechtliche Rolle zu.189) Denn sie eröffnet auf der einen Seite die Möglichkeit, die Wirksamkeit des Plans von der Erbringung bestimmter Leistungen oder der Durchfüh___________ 187) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 1. 188) Zum Stand der InsO vor Inkrafttreten des ESUG vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 1. 189) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz 1.
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rung anderer Maßnahmen abhängig zu machen.190) Auf der anderen Seite brauchen die vereinbarten Leistungen erst erbracht zu werden, wenn es zu einer Annahme des Plans durch die Gläubiger kommt.191) Die Bedingung kann – muss jedoch nicht – in beide Richtungen wirken192) und ermöglicht daher eine Abwicklung Zug-um-Zug.193) 1.
Umfang und Grenzen
Die gesetzliche Regelung des § 249 InsO bleibt in vielen Teilen rudimentär. 1.1
194
Ausdrückliche Regelung im Plan
§ 249 InsO setzt eine ausdrückliche Regelung im Insolvenzplan voraus. Denn nur dann 195 ist die Regelung für das Insolvenzgericht hinreichend erkennbar.194) Im Insolvenzplan muss daher bestimmt sein, dass die vorzunehmende Handlung vor der Bestätigung des Insolvenzplans erfolgen muss.195) In der Praxis bietet es sich an, eventuelle Bedingungen eines Insolvenzplans nach § 249 InsO im Plan in einem eigenen Abschnitt zu behandeln. Hierdurch werden diese hinreichend transparent. 1.2
Aufschiebende und auflösende Bedingungen
§ 249 Satz 1 InsO spricht davon, dass vor der Bestätigung des Insolvenzplans bestimmte 196 Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen. Der bloße Wortlaut erweckt den Anschein, dass daher lediglich die Aufnahme aufschiebender Bedingungen möglich sein soll. Dies würde jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des § 249 InsO als auch dem Sinn und Zweck des Insolvenzplanverfahrens zuwiderlaufen. Denn Ziel der Regelungen des Insolvenzplanverfahrens ist die Erreichung eines größtmöglichen Maßes an Flexibilität bei der Abwicklung von Insolvenzverfahren196) und eine Stärkung der Gläubigerautonomie.197) Letztlich ist daher anerkannt, dass auch eine auflösende Bedingung Planbedingung i. S. des § 249 InsO sein kann.198) Eintritt aufschiebender sowie Ausbleiben auflösender Bedingungen vs. Erfüllung der 197 Voraussetzungen des Plans: Der Gesetzeswortlaut des § 249 InsO spricht nicht vom Bedingungseintritt (bei aufschiebenden Bedingungen) oder dem Ausbleiben des Bedingungseintritts (bei auflösenden Bedingungen). Vielmehr lautet die Vorgabe des § 249 InsO, dass der Plan nur bestätigt werden darf, wenn die im Plan vorgesehenen „Voraussetzungen erfüllt sind“. Bei strenger Auslegung des Wortlauts könnte man fordern, dass sämtliche im Plan vorgesehenen aufschiebenden Bedingungen eingetreten sein müssen199) und es zudem als sicher gelten muss, dass sämtliche auflösenden Bedingungen nicht mehr eintreten können. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 249 InsO ist indes ein anderer. Vielmehr wollte der Gesetzgeber durch die Aufnahme der Norm sicherstellen, dass bestimmte ___________ Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 1; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 2. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 3. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 3. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 1. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 2. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 249 Rz. 4. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 78. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90 f. Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 85; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 4; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 2; im Ergebnis wohl auch Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 371, und Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 14 f., die einer Anwendbarkeit des § 249 InsO auf auflösende Bedingungen zumindest nicht widersprechen. 199) So Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 3.
190) 191) 192) 193) 194) 195) 196) 197) 198)
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Maßnahmen, die im darstellenden Teil des Plans als Grundlage für die durch den Plan vorgesehenen Rechtsänderungen aufgeführt sind, selbst aber nicht Bestandteil des Plans sein können, sinnvoll mit dem Plan verzahnt werden können.200) Daher steht auch die Aufnahme einer auflösenden Bedingung verbunden mit einer angemessenen Fristsetzung, bis wann die jeweilige Maßnahme getroffen sein muss, der rechtskräftigen Bestätigung des Plans nicht entgegen.201) Der betroffene Dritte wird damit faktisch gezwungen, die jeweilige Maßnahme vorzunehmen, will er nicht das Folgeinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners verursachen. Den Zielen der größtmöglichen Flexibilität des Verfahrens sowie der größtmöglichen Gläubigerautonomie dient ein derartiges Vorgehen allemal. 1.3
Nachfristsetzung durch das Insolvenzgericht (§ 249 Satz 2 InsO)
198 Die Nachfristsetzung durch das Insolvenzgericht nach § 249 Satz 2 InsO dient dazu, eine längere Ungewissheit über die Bestätigung des Plans zu vermeiden.202) Nach der genannten Norm ist das Insolvenzgericht verpflichtet, nach Ablauf einer in dem Plan genannten Frist für den Bedingungseintritt eine erneute Frist zu setzen; hierdurch soll dem Planinitiator eine letzte Chance gegeben werden, seinen Plan doch noch zu verwirklichen.203) 199 Die nach § 249 Satz 2 InsO vom Insolvenzgericht gesetzte Frist muss bereits nach dem gesetzlichen Wortlaut angemessen sein. Welche Dauer jeweils angemessen ist, bleibt letztlich eine Frage des Einzelfalls.204) Die Fristsetzung hat sich insbesondere an der Art der vorzunehmenden Handlung zu orientieren.205) Eine durch das Insolvenzgericht gesetzte Frist ist angemessen, wenn sie die Art der Bedingung sowie den Zeitraum berücksichtigt, der realistischerweise für deren Umsetzung benötigt wird.206) Es muss jedoch bei jeder Fristsetzung berücksichtigt werden, dass es nicht zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung des Verfahrens kommt.207) 200 Eine Verlängerung der Frist durch das Insolvenzgericht ist grundsätzlich möglich.208) Ein Anspruch hierauf, insbesondere des Planinitiators oder des Schuldners, besteht indes nicht. Die Verlängerung einer einmal gesetzten Frist ist nur dann angezeigt, wenn realistischerweise noch mit dem Eintritt der Bedingung gerechnet werden kann. 201 Auch die mehrmalige Verlängerung der Frist ist möglich. So ist eine Planbedingung dahingehend denkbar, dass bis zu einem bestimmten Stichtag ein Kaufvertrag über das schuldnerische Unternehmen – sei es i. R. eines Asset Deals oder sei es i. R. eines Share Deals – abgeschlossen sein muss. Macht nun der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht bei dessen Entscheidung über eine Nachfristsetzung deutlich, dass die Verhandlungen über einen solchen Unternehmenskaufvertrag immer weiter fortschreiten, so kann das Gericht auch bei ständigem Fortschritt der Verhandlungen eine mehrmalige Fristverlängerung erwägen. Geschieht dies mit Zustimmung eines Gläubigerausschusses, stehen einer mehrmaligen Fristverlängerung erst recht keine Bedenken mehr entgegen. Gleiches gilt, wenn bei erforderlichen Stundungen von oder Verzichten auf Gewerbesteuerforderungen ___________ 200) 201) 202) 203) 204) 205) 206) 207)
Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 5 f. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 24. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 249 Rz. 5; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 25. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 3. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 25. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 26; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 249 Rz. 5, die fälschlicherweise eine zeitliche Verzögerung über vier Wochen hinaus nicht hinnehmen wollen. 208) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 28.
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eine Vielzahl von Städten und Gemeinden angesprochen werden muss (siehe Rz. 225 ff.). Auch hier kann sich der anfangs gesetzte Zeitrahmen als zu kurz erweisen und eine mehrmalige Fristverlängerung erforderlich werden. Steigt über den Zeitverlauf die Zahl der den Plan unterstützenden Städte und Gemeinden nachweisbar an, so wird das Insolvenzgericht nur schwer eine erneute Fristverlängerung verweigern können. Bleibt der Eintritt einer aufschiebenden Bedingung aus bzw. ist eine auflösende Bedin- 202 gung eingetreten oder macht die Verlängerung der Frist etwa aufgrund des Scheiterns von für den Bedingungseintritt erforderlichen Verhandlungen keinen Sinn mehr, hat das Insolvenzgericht die Bestätigung des vorgelegten Insolvenzplans von Amts wegen zu versagen.209) Dem Gericht ist hierbei kein Ermessensspielraum eingeräumt, weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht.210) 1.4
Rechtsmittel
Kein Rechtsmittel gegen Versagung einer Nachfrist: Gegen die Entscheidung über die 203 Gewährung einer Nachfrist gibt es kein statthaftes Rechtsmittel.211) Dies ergibt sich aus dem in § 6 Abs. 1 InsO niedergelegten Grundsatz, gemäß dem nur bei ausdrücklicher Gewährung eines Beschwerderechts die sofortige Beschwerde statthaft ist.212) Es bleibt aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur sofortigen Beschwerde selbstverständlich die Möglichkeit zur sofortigen Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG.213) Sofortige Beschwerde gegen Versagung der Planbestätigung: Wird der Plan wegen Fehlens 204 des Bedingungseintritts vom Insolvenzgericht nicht bestätigt, so ist die sofortige Beschwerde nach § 253 InsO zwar statthaft.214) Das Rechtsmittel wird in der Sache aber ohne Erfolg bleiben, sofern die im Plan festgeschriebene aufschiebende Bedingung tatsächlich nicht eingetreten bzw. eine auflösende Bedingung eingetreten ist.215) Hat das Insolvenzgericht hingegen den Bedingungseintritt verkannt oder zu Unrecht verneint bzw. bejaht, wird die sofortige Beschwerde Erfolg haben.216) Gleiches gilt, wenn das Insolvenzgericht den Bedingungseintritt durch Verweigerung einer Nachfrist vereitelt hat.217) Sofortige Beschwerde gegen Planbestätigung nach vorheriger Fristverlängerung: Hat das 205 Insolvenzgericht eine Nachfrist verlängert und ist die Bedingung innerhalb dieser Nachfrist tatsächlich eingetreten, so kann eine sofortige Beschwerde gegen den planbestätigenden Beschluss nicht auf eine zu Unrecht gewährte Verlängerung der Nachfrist gestützt werden.218) Vorlage eines neuen Planentwurfs nach Versagung der Planbestätigung: Nachdem das 206 Insolvenzgericht die Bestätigung eines vorgelegten Plans wegen fehlenden Eintritts einer im Plan festgeschriebenen aufschiebenden Bedingung abgelehnt hat, kann der Planinitiator erneut einen Planentwurf vorlegen.219) Dies wird jedoch selbstverständlich nur dann sinnvoll sein, wenn in dem neuen Planentwurf auf die jeweilige Bedingung verzichtet oder eine grundlegend andere Planstrategie verfolgt werden kann. ___________ 209) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 31; Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 3. 210) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 31; Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 3. 211) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32. 212) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4. 213) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32. 214) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33. 215) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33. 216) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33. 217) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 34. 218) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 35. 219) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33.
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§ 26 1.5
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Ähnliche Regelungen
207 Es existieren mehrere Regelungen, die ähnliche Wirkung entfalten wie eine Planbedingung nach § 249 InsO. 1.5.1 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 228 InsO) 208 Nach § 228 InsO können bestimmte Willenserklärungen in den Plan aufgenommen werden, deren Wirkungen nach der allgemeinen Regelung des § 254 Abs. 1 InsO erst mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten sollen.220) 1.5.2 Schuldrechtliche Verpflichtung eines Dritten (§ 230 Abs. 3 InsO) 209 Darüber hinaus kann der Insolvenzplan eine bloße schuldrechtliche Verpflichtung eines Dritten gegenüber den Gläubigern zur Vornahme einer Handlung enthalten.221) In diesem Fall ist die jeweilige Erklärung des Dritten dem Plan als Anlage beizufügen, § 230 Abs. 3 InsO. Möglich ist auch eine Regelung dergestalt, dass der Dritte die Verpflichtung nur Zug um Zug gegen eine Leistung oder andere Maßnahme des Schuldners oder eines weiteren Dritten erfüllen muss.222) 1.5.3 Echte Bedingung (§ 158 BGB) 210 Der Insolvenzplan kann auch zur Gänze unter eine aufschiebende oder auflösende Bedingung nach § 158 BGB gestellt werden.223) Durch die Bestätigung des Insolvenzplans ist dann zwar gesichert, dass das gerichtliche Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Der Insolvenzplan hängt in seiner Wirksamkeit aber noch vom Eintritt oder dem Ausbleiben der Bedingung ab. Sofern der Insolvenzplan eine auflösende Bedingung enthält und das Insolvenzverfahren bereits aufgehoben wurde, wird freilich meist ein Folgeinsolvenzverfahren die unmittelbare Konsequenz sein. 1.5.4 Wiederauflebensklausel (§ 255 InsO) 211 Erfüllungsrückstand: Gerät der Schuldner gegenüber einem oder mehreren Gläubigern mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand, so wird eine in dem Insolvenzplan erklärte Stundung oder ein erklärter Erlass des jeweiligen Gläubigers hinfällig, § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO. 212 Folgeinsolvenzverfahren: Gleiches gilt, sofern vor vollständiger Erfüllung des Plans über das Vermögen des Schuldners ein neues Insolvenzverfahren eröffnet wird, § 255 Abs. 2 InsO. 213 Abweichende Regelung im Plan: Im Insolvenzplan kann von beiden vorgenannten Regelungen abgewichen werden, von der den einzelnen Gläubiger schützenden Regelung des § 255 Abs. 1 InsO jedoch nicht zum Nachteil des Schuldners, § 255 Abs. 3 InsO. 2.
Typische Ausgestaltungen
214 Nicht selten wird ein Bedürfnis dafür bestehen, das Wirksamwerden von Rechtsänderungen, die im gestaltenden Teil des Plans vorgesehen sind, davon abhängig zu machen, dass ___________ 220) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 4. 221) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 6. 222) Als Alternative zur Aufnahme einer Planbedingung nach § 249 InsO schlug schon die Gesetzesbegründung vor, den Verzicht auf ein Pfandrecht bei gleichzeitiger Bestellung eines neuen Pfandrechts über eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Leistung Zug um Zug zu regeln, Begr. RegE InsO, BTDrucks. 12/2443, S. 211. 223) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 5.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans
bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden.224) Aufgrund der hohen Praxisrelevanz von Planbedingungen soll daher auf einzelne Beispiele eingegangen werden. 2.1
Erbringung bestimmter Leistungen
Zum einen kann die Planbedingung vorsehen, dass bestimmte Leistungen zu erbringen sind. 215 2.1.1 Bestellung neuer Sicherheiten In Betracht kommt zunächst die Bestellung neuer Sicherheiten.225) Sicherheitenbestel- 216 lungen durch den Schuldner können insbesondere dann Bestandteil einer Planbedingung werden, wenn auch der jeweils Besicherte seinerseits eine Leistung zu erbringen hat. Soll dieser etwa ein Pfandrecht an einem bestimmten Vermögensgegenstand aufgeben, dies aber erst dann, wenn ihm an einem anderen Vermögensgegenstand ein neues Pfandrecht eingeräumt wurde, kann diese Zug-um-Zug-Abwicklung durch Aufnahme einer entsprechenden Planbedingung erreicht werden.226) Eine Alternative bildet freilich die Aufnahme einer nur Zug-um-Zug zu erfüllenden schuldrechtlichen Verpflichtung des Dritten nach § 230 Abs. 3 InsO (siehe hierzu bereits Rz. 209). Unter die praxisrelevanten Drittsicherheiten fallen sowohl Bürgschaften als auch Grund- 217 schulden. Die dingliche Wirkung Letzterer tritt wegen der Beurkundungspflicht nicht schon mit Inkrafttreten des Plans ein, sondern lediglich die erforderlichen Erklärungen der Beteiligten gelten als (in der vorgeschriebenen Form, § 254a Abs. 1 InsO) abgegeben.227) 2.1.2 Gewährung neuer Kredite Die Gewährung neuer Kredite stellt ein weiteres Beispiel für einen nach § 249 InsO be- 218 dingten Plan dar,228) sie wird vereinzelt gar als der Hauptanwendungsfall des § 249 InsO angesehen.229) Sofern die i. R. einer Sanierung meist dringend erforderliche Liquidität nicht auf andere Weise (etwa durch eine Kapitalerhöhung) sichergestellt werden kann, ist der Schuldner richtigerweise auf neue Kredite angewiesen. Durch die lediglich bedingte Bereitstellung der Gelder können die Kreditgeber erreichen, dass sie die Kredite auch tatsächlich nur für den vereinbarten Zweck der Unternehmensfortführung und nicht etwa für sonstige Zwecke zur Verfügung stellen.230) In einer derartigen Konstellation sollte stets an die Regelung des § 264 InsO und die Festlegung eines Kreditrahmens gedacht werden (siehe Rz. 243 ff.). 2.1.3 Sonstige Leistungen Letztlich kann jede hinsichtlich Umfang, Dauer und Kreis der Verpflichteten hinreichend 219 bestimmte Leistung als Planbedingung i. S. des § 249 InsO aufgenommen werden.231) Insbesondere auf Seiten der Kunden und Lieferanten ist es für den Schuldner hilfreich, ___________ 224) So schon die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. 225) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 2; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 8. 226) So schon die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211, der allerdings als Alternative die Aufnahme einer schuldrechtlichen Verpflichtung nennt, die aufgrund ausdrücklicher Regelung nur Zugum-Zug zu erfüllen ist. 227) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 8. 228) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 2. 229) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 9. 230) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 9. 231) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
wenn diese beiden Gläubigergruppen faktisch durch Aufnahme entsprechender Bedingungen in den Plan zu bestimmten Vertragskonditionen gezwungen werden können. 2.2
Verwirklichung anderer Maßnahmen
220 Zum anderen kommt in Betracht, dass i. R. einer Planbedingung die Verwirklichung anderer Maßnahmen geregelt wird. 2.2.1 Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen 221 Einer der in der Literatur am häufigsten genannten Anwendungsfälle des bedingten Plans nach § 249 InsO waren früher gesellschaftsrechtliche Maßnahmen.232) Hierunter fielen Gesellschafterbeschlüsse aller Art, insbesondere Kapitalherabsetzungen oder Kapitalerhöhungen, der Austausch von Organvertretern oder die Änderung des Gesellschaftsvertrags. Schon der Gesetzgeber der InsO erklärte, dass durch § 249 InsO gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Beschlussfassungen sinnvoll miteinander verzahnt werden können.233) 222 Am plastischsten wird dieser Gedanke am Beispiel des Fortsetzungsbeschlusses. Rechtsformübergreifend sind juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB, § 101 GenG). Soll die Gesellschaft auf der Grundlage eines Insolvenzplans fortgeführt werden, so bedarf es hierfür eines entsprechenden Fortsetzungsbeschlusses der Gesellschafter (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 144 Abs. 1 HGB, § 117 Abs. 1 GenG). Durch die Aufnahme einer entsprechenden Planbedingung nach § 249 InsO sollte erreicht werden, dass die Gesellschafter faktisch gezwungen waren, zumindest nach einer rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans den Fortsetzungsbeschluss zu fassen. 223 Es zeigten sich jedoch in der Praxis häufig erhebliche Schwächen dieser Gestaltungsart. Denn nicht selten machten Gesellschafter die Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses von weiteren Zugeständnissen der Gläubiger (wie etwa dem Verzicht auf sämtliche Schadensersatzansprüche gegenüber den bisherigen Organvertretern oder Gesellschaftern) abhängig.234) Die Reformbedürftigkeit235) erkennend entschloss sich der Gesetzgeber mit dem ESUG zu einer umfassenden Neuregelung in Bezug auf gesellschaftsrechtliche Beschlüsse. So können nunmehr im Plan alle Regelungen getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig sind, insbesondere kann die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft beschlossen werden, § 225a Abs. 3 InsO. 2.2.2 Gründung einer Auffang- bzw. Übernahmegesellschaft 224 Ein weiterer Anwendungsfall des bedingten Plans nach § 249 InsO ist es, die Wirkungen des Plans davon abhängig zu machen, dass eine Auffanggesellschaft gegründet und das schuldnerische Unternehmen durch diese im Wege der übertragenden Sanierung weitergeführt wird.236) So können insbesondere diejenigen Gläubiger, die das schuldnerische Unternehmen als Vertragspartner erhalten wollen (z. B. Arbeitnehmer, Lieferanten oder Kunden), sicherstellen, dass ihre Verzichte nicht ohne Fortführung des Unternehmens Geltung entfalten. ___________ 232) 233) 234) 235) 236)
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So auch die Einschätzung von Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 13. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 15. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 2. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 18.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans 2.2.3 Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen
Durch die Verzichte der Gläubiger entsteht handelsbilanziell fast unvermeidbar ein ent- 225 sprechender Sanierungsgewinn des Schuldners. Dieser wird unter Anpassungen auch steuerrechtlich zur Ermittlung der Ertragsteuern (Körperschaftsteuer bzw. Einkommensteuer und Gewerbesteuer) herangezogen. Man käme zu dem widersinnigen Ergebnis, dass der Fiskus zulasten der sonstigen Gläubiger, die meist auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen verzichten, einen guten Schnitt machen würde. Grundlage für die ertragsteuerliche Behandlung derartiger Sanierungsgewinne ist nun- 226 mehr § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG,237) der gemäß § 8 Abs. 1 KStG auch im Körperschaftsteuerrecht gilt. Hiernach sind Sanierungsgewinne, die aufgrund von Forderungsverzichten entstehen nunmehr steuerfrei, wenn sie der Unternehmenssanierung dienen (siehe ausführlich unten § 57 Rz. 107 ff.). Diese Regelung gilt aufgrund des Verweises in § 7 Abs. 1 GewStG nunmehr auch für die 227 Gewerbesteuer. Das während der Geltungsdauer des sog. Sanierungserlasses238) v. a. bei Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten auftretende Problem, dass es für eine vollkommene Steuerfreiheit der Sanierungsgewinne noch des Erlasses der Gewerbesteuer durch die zuständigen Gemeinden bedurfte, ist damit weggefallen. Der Erlass auch der Gewerbesteuer wurde üblicherweise als Planbedingung nach § 249 InsO aufgenommen. Insoweit hat die Neuregelung zu einer klareren Rechtslage und Vereinfachung der Pläne geführt. Allerdings birgt auch die neue Regelung noch Rechtsunsicherheiten. Denn der Gesetzge- 228 ber hat deren Inkrafttreten davon abhängig gemacht, dass die EU-Kommission durch Beschluss die Vereinbarkeit der Neuregelung mit dem Beihilferecht feststellt.239) Dem ist die EU-Kommission bisher aber nicht nachgekommen, sondern hat nur informell in einem sog. Comfort Letter festgestellt, dass die Neuregelung nicht gegen EU-Recht verstößt (siehe dazu ausführlich unten § 57 Rz. 17). Da ein solcher Comfort Letter im EU-Recht nicht geregelt ist, stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen für ein Wirksamwerden der Neuregelung tatsächlich eingetreten sind. Der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit kann dadurch Rechnung getragen werden, 229 indem im Insolvenzplan die Erteilung einer verbindlichen Auskunft durch das zuständige Finanzamt als eine Planbedingung nach § 249 InsO aufgenommen wird. 2.2.4 Sanierungs- und Fortführungstarifverträge sowie Personalanpassungen Zwar haben die Arbeitnehmer meist bereits im Vorfeld einer Insolvenz erhebliche Ein- 230 schnitte hinnehmen müssen. Es ist mittlerweile nahezu üblich geworden, dass Arbeitnehmer zur Vermeidung einer ansonsten drohenden Insolvenz ihres Arbeitgebers auf Lohn- und Gehaltsbestandteile verzichten oder diese zumindest stunden. Der Verzicht auf Urlaubsund Weihnachtsgeld, aber auch ein prozentualer Verzicht auf einen Teil der Gesamtzahlungen kommt hier als mögliche Regelung in Betracht. Im Rahmen eines Insolvenzplans werden aber häufig weitere Einschnitte bei den Lohn- 231 und Gehaltszahlungen oder etwa der betrieblichen Altersvorsorge erforderlich werden. Insbesondere wenn die Bereitwilligkeit zu solchen Zugeständnissen auf Arbeitnehmer- bzw. Gewerkschaftsseite nicht besonders groß ist, bietet es sich an, den Abschluss entspre___________ 237) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 8/03, BStBl. I 2003, 240, und BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 238) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 8/03, BStBl. I 2003, 240, und BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 239) Art. 6 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken, v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074.
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chender arbeitsrechtlicher Vereinbarungen, insbesondere den von sog. Sanierungs- bzw. Fortführungstarifverträgen, als Planbedingung i. S. des § 249 InsO in den Plan aufzunehmen. Hierdurch wird der Druck auf Gewerkschaften und Arbeitnehmer erhöht, denn ohne ihr Zutun und ihre Verzichte kann eine Sanierung des Unternehmens meist nicht mehr gelingen. 232 Auch Maßnahmen der Personalanpassung können über eine Planbedingung nach § 249 InsO Teil des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans werden. So kann bspw. zur Bedingung gemacht werden, dass die verantwortlichen Organvertreter ausscheiden und durch neue, aus Sicht der Gläubiger kompetentere Personen ersetzt werden.240) Auch der Abbau von Personal kann zur Planbedingung gemacht werden, wobei stets (insolvenz-)arbeitsrechtliche Beschränkungen beachtet werden müssen.241) 2.2.5 Sonstige Maßnahmen 233 Die Bandbreite der sonstigen Maßnahmen, die durch Aufnahme als verfahrensrechtliche Planbedingung auch materiell-rechtliche Auswirkungen herbeiführen können, ist immens. 234 Preisreduzierungen bei Lieferanten/Preiserhöhungen bei Kunden: Sofern bspw. zur Kostensenkung den Lieferanten zukünftig grundsätzlich niedrigere Preise bezahlt werden sollen, kann eine Bedingung lauten, dass eine bestimmte Prozentzahl der Lieferanten diesem neuen Preisgefüge zustimmt. Sofern es bei den Kunden des schuldnerischen Unternehmens langlaufende Vertragsbeziehungen gibt, funktioniert dort Gleiches in Form einer Preiserhöhung. 235 Optionsrecht an Quote statt: Soll einzelnen Gläubigern zur Liquiditätsschonung statt einer Quotenzahlung angeboten werden, dass der Schuldner bestimmte Verpflichtungen gegenüber diesen Gläubigern eingeht, so kann dieses Angebot als Optionsrecht neben dem Insolvenzplan ausgestaltet werden. Planbedingung i. S. des § 249 InsO kann dann das Erreichen eines bestimmten Quorums derjenigen sein, die dieses Optionsrecht wahrnehmen. IX.
Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen
236 Schließlich existieren einige – in ihrem hauptsächlichen Sinn und Zweck – verfahrensrechtliche Vorschriften, die darüber hinaus materiell-rechtliche Komponenten aufweisen. 1.
Befriedigung der Massegläubiger (§ 258 Abs. 2 InsO)
237 Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans242) findet das Planverfahren seinen Abschluss; soweit im Plan nicht anders geregelt,243) folgt der gerichtliche Aufhebungsbeschluss, mit welchem das Insolvenzverfahren endet (§ 258 Abs. 1 InsO). Vor dem Inkrafttreten des ESUG schrieb § 258 Abs. 2 InsO a. F. vor, dass die Aufhebung erst erfolgen darf, nachdem der Verwalter die unstreitigen Masseansprüche berichtigt und für die streitigen Masseansprüche Sicherheit geleistet hat. Anders der durch das ESUG eingeführte § 210a InsO: Danach ist ein Planverfahren auch im Fall der Masseunzulänglichkeit zulässig. Dem Gesetzgeber zufolge liegt der Fortführungswert eines Unternehmens u. U. auch in einer solchen Situation über dem Zerschlagungswert, weshalb die Erhaltung des Unternehmens auf Basis eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit durchaus wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Masseunzulänglichkeit könne demnach auf den verschiedensten Ursa___________ 240) 241) 242) 243)
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Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 20. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 21. Vgl. §§ 248, 253 InsO. Zum Hintergrund dieser in § 258 Abs. 1 InsO vorgenommenen Ergänzung, welche im Zusammenhang mit der Neufassung des § 217 InsO zu sehen ist, vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58.
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chen beruhen und müsse nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine Sanierung des Unternehmens(kerns) aussichtslos wäre.244) Zuzugeben ist dieser Argumentation, dass es durchaus Konstellationen geben kann, in wel- 238 chen eine Gestaltung mittels Insolvenzplans den Gläubigern auch im Falle der Masseunzulänglichkeit einen Vorteil gegenüber einer Verwertung im Regelverfahren bietet. So nennt die Gesetzesbegründung beispielhaft den während des Verfahrens verursachten Umweltschaden, der die im Zweifel entscheidungserheblichen Ertragsaussichten nicht zwangsläufig beeinflussen müsse.245) Insgesamt aber erscheint eher zweifelhaft, dass es zukünftig zu einer signifikanten Anzahl derartiger Pläne kommen wird;246) dies nicht zuletzt, weil der Gesetzgeber bei der Abfassung des § 210a InsO offenbar v. a. die Insolvenzpläne vor Augen hatte, die bereits in Kenntnis der Masseunzulänglichkeit vorgelegt werden.247) Umfang der zu berichtigenden Masseverbindlichkeiten: Auch die weitere – ungleich 239 praxisrelevantere – Kontroverse im Zusammenhang mit § 258 Abs. 2 InsO a. F. betraf die Frage, wie umfassend das in der Norm statuierte Berichtigungsgebot verstanden werden musste: Nach einer verbreiteten Ansicht sollte sich die entsprechende Verpflichtung des Verwalters tatsächlich auf sämtliche denkbaren Masseansprüche beziehen; neben den Ansprüchen aus § 54 InsO also auch auf jene, die vom Verwalter selbst nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Fortführung des Unternehmens begründet worden sind, einschließlich der nach Planbestätigung entstandenen.248) Diesem wortgetreuen Ansatz ist zu Recht entgegengehalten worden, dass er eine Fortführungslösung erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.249) Auch der Lösung dieser umstrittenen Problematik im praktischen Umgang mit § 258 240 Abs. 2 InsO a. F. hat sich der ESUG-Gesetzgeber angenommen: Nach der Neufassung der Norm ist es nunmehr ausdrücklich ausreichend, wenn der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche begleicht;250) für die streitigen oder noch nicht fälligen Masseansprüche hingegen genügt eine Sicherheitsleistung. Für die nicht fälligen Masseansprüche reicht es darüber hinaus gemäß § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO ebenfalls aus, wenn die Berichtigung der Verbindlichkeiten zum Fälligkeitszeitpunkt durch eine belastbare Liquiditätsrechnung gesichert ist. Durch diese – nicht zuletzt mit Blick auf § 60 InsO251) – begrüßenswerte Klarstellung252) dürften sich die früheren praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit § 258 Abs. 2 InsO weitestgehend erledigt haben. Zwar findet sich auch in der Neufassung keine Unterscheidung zwischen Masseansprüchen nach § 54 InsO und § 55 InsO, weshalb der Verwalter die bis zur Aufhebung des Verfahrens fällig werdenden Masseansprüche nach wie vor sämtlich zu begleichen hat, auch wenn sie aus der Betriebsfort___________ 244) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 29; ebenso Bähr/Landry, EWiR 2005, 831, 832. 245) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 29; krit. zu dieser Begr. Frind, ZInsO 2011, 656, 657; Frind, ZInsO 2010, 1524, 1525; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 313. 246) Ebenso Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513; Frind, ZInsO 2010, 1524, 1525; Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162; nach Zimmer, ZInsO 2012, 390 ff., begegnet der Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit sogar nach wie vor rechtlichen Bedenken. 247) Zutreffend Frind, ZInsO 2011, 656, 657, unter Verweis auf die entsprechende Gesetzesbegründung (Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 29). 248) Huber, in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 11; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 6; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 258 Rz. 14. 249) Zu den weiteren Argumenten s. die 2. Aufl., § 26 Rz. 237. 250) Dies hat aus den liquiden Mitteln der Insolvenzmasse zu erfolgen; sind sie nicht ausreichend, muss der Verwalter entsprechende Verwertungsmaßnahmen vornehmen, Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 6. 251) Dazu Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 258 Rz. 3. 252) Zust. ebenfalls Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513; Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162; Rattunde, AnwBl. 2012, 144, 147; Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2026; krit. hingegen Stapper, ZInsO 2010, 1735, 1736, der für eine ersatzlose Streichung des § 258 Abs. 2 InsO plädiert.
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führung resultieren. Das aber war schon früher gelebte Praxis und nicht Kern der Anwendungsprobleme. Entscheidend ist, dass der Verwalter sich angesichts der gesetzlichen Regelung sicher sein kann, jedenfalls die nicht fälligen Masseansprüche nicht vor Verfahrensaufhebung befriedigen zu müssen. 241 Wenig nachvollziehbar ist allerdings die unterschiedliche Behandlung der nicht fälligen und der streitigen Masseansprüche. Ob Letztere später überhaupt befriedigt werden müssen, steht im Gegensatz zu den noch nicht fälligen Masseansprüchen schließlich nicht fest. Hier wäre eine Gleichbehandlung (Vorlage eines Finanzplans in beiden Fällen ausreichend) gemäß einem argumentum a maiori ad minus fraglos sachgerechter gewesen.253) 242 Da nähere Einzelheiten zur Art und Weise der Sicherheitsleistung in der InsO nicht geregelt sind, ist insoweit auf die §§ 232 ff. BGB zurückzugreifen.254) Erforderlich ist die gesonderte Sicherstellung jeder Forderung, um den einzelnen Massegläubigern die Möglichkeit einer unabhängigen Durchsetzung ihrer Ansprüche zu gewährleisten.255) Als Konsequenz der in § 259 Abs. 1 InsO festgelegten Wirkungen und mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung haben die Gläubiger Streitigkeiten betreffend das Bestehen ihrer sichergestellten Masseansprüche nach Verfahrensaufhebung nicht mit dem Insolvenzverwalter, sondern mit dem Schuldner selbst zu führen.256) 2.
Kreditrahmen (§ 264 InsO)
243 § 264 InsO ermöglicht die besondere Form der Gewährung neuer Kredite innerhalb und nach Aufhebung eines Insolvenzverfahrens. 2.1
Normzweck und praktische Bedeutung
244 Die Phase nach rechtskräftiger Planbestätigung durch das Gericht und Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist für das in der Sanierung befindliche Unternehmen regelmäßig kritisch. Einerseits wird sein Fortbestand nach der Entlassung aus der Insolvenz in den Wettbewerb der freien Marktwirtschaft häufig auch davon abhängen, ob es neues Kapital, namentlich Kredite zugeführt bekommt. Andererseits werden potentielle Kreditgeber mit der Vergabe von (weiteren) Krediten zögern, solange sie sich der erfolgreichen Planumsetzung und damit der Fortführung des Unternehmens nicht sicher sein können:257) Schließlich laufen sie im Falle eines Fehlschlagens der Sanierung Gefahr, mit ihren Rückzahlungsforderungen in der sich anschließenden zweiten Insolvenz – bei der es sich nahezu ausnahmslos um ein Liquidationsverfahren handeln wird258) – auszufallen. Überdies fehlt es in dieser Situation naturgemäß an (unbelastetem) Vermögen des Schuldners, welches als Sicherheit zur Verfügung stehen könnte. 245 Mit dem in §§ 264 – 266 InsO niedergelegten Konzept einer Finanzierungserleichterung unternimmt der Gesetzgeber den Versuch einer Auflösung dieses Dilemmas. So eröffnet § 264 Abs. 1 InsO die Möglichkeit, durch eine Regelung im Plan solche Darlehen oder sonstige Kredite gegenüber den Forderungen der Insolvenzgläubiger zu privilegieren, die der Schuldner oder die Übernahmegesellschaft259) während der Planüberwachung erhalten soll oder die ein Massegläubiger in diesen Zeitraum hinein stehen lässt.260) ___________ 253) 254) 255) 256) 257) 258) 259) 260)
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Zutreffend Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162; die Gesetzesbegründung schweigt in dieser Frage. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 258 Rz. 15. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 258 Rz. 4. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 258 Rz. 7. So auch Dinstühler, ZInsO 1998, 243. Ähnl. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 264 Rz. 3. Zum Begriff vgl. § 260 Abs. 3 InsO. Die Berechtigung dieser Gleichbehandlung von Kreditforderung und stehengelassener Masseforderung folgt letztlich bereits aus §§ 53, 258 Abs. 2 InsO, vgl. dazu auch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 3 ff.
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Bewertung der gesetzlichen Regelung: So unstreitig die besondere Bedeutung der „Kern- 246 aufgabe“ Finanzierung für die erfolgreiche Fortführung des Unternehmens nach Planbestätigung ist, so einhellig wird im Grundsatz der Ansatz des Gesetzgebers begrüßt, hier in dem genannten Sinne unterstützend tätig zu werden.261) Die konkrete Umsetzung der Finanzierungserleichterung in den §§ 264 ff. InsO hat indes Anlass zu verbreiteter Kritik gegeben (ausführlich zu den i. E. vorgebrachten Kritikpunkten siehe unten § 32 Rz. 9 ff.); die tatsächliche praktische Bedeutung der Kreditrahmenregelung wird denn auch als gering eingestuft.262) Der Gesetzgeber zeigt sich hiervon bisher unbeeindruckt, die in Rede stehenden Normen haben durch das ESUG keinerlei Änderung erfahren. Zu den durch das ESUG geschaffenen Neuerungen, die zumindest eine mittelbare Begünstigung einer Fortführungsfinanzierung bedeuten, siehe unten § 32 Rz. 14 ff. 2.2
Voraussetzungen
Voraussetzung für die rangmäßige Begünstigung ist zum einen, dass die Insolvenzgläubiger 247 im gestaltenden Teil des Plans ausdrücklich einen entsprechenden Rangrücktritt erklärt haben, § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO. Bereits aus der ausdrücklichen Berücksichtigung der Übernahmegesellschaft folgt, dass 248 der Begriff der Insolvenzgläubiger in § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO weiter gefasst ist als in § 38 InsO; erfasst werden soll nach dem Telos der Norm augenscheinlich jeder Gläubiger, für den im Plan ein Anspruch gegen den Schuldner oder die Übernahmegesellschaft vorgesehen ist.263) Daneben sind gemäß § 265 InsO auch diejenigen Gläubiger nachrangig, deren vertragliche Ansprüche erst während der Zeit der Überwachung begründet werden. Aus der gesetzgeberischen Unterscheidung zwischen „Darlehen oder sonstige[n] Kredi- 249 te[n]“ wiederum ergibt sich, dass der Kreditbegriff deutlich weiter zu verstehen ist als noch in der Vorgängernorm des § 106 VerglO: Erfasst sind insoweit neben Bar-, Avalund Diskontkrediten264) auch Stundungen von Forderungen, allen voran Lieferantenkredite.265) Ausdrücklich ausgeschlossen ist gemäß § 264 Abs. 3 i. V. m. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hingegen die Privilegierung nachrangiger Darlehen und ihnen gleichgestellter Geschäfte, da dies nicht mit dem Ziel einer ordnungsgemäßen Kapitalausstattung der sanierten bzw. zu sanierenden Gesellschaft zu vereinbaren wäre.266) Zum anderen bedarf es für die in § 264 Abs. 1 InsO vorgesehene Rangwirkung der explizi- 250 ten Festlegung eines sog. Kreditrahmens (§ 264 Abs. 1 Satz 2 InsO) im gestaltenden Teil, dessen Grenze die für die Privilegierung vorgesehenen Kredite nicht überschreiten dürfen. Der Kreditrahmen seinerseits darf gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO den Wert des in der Vermögensübersicht des Plans nach § 229 Satz 1 InsO aufgeführten Aktivvermögens267) ___________ 261) Vgl. etwa Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 71 Rz. 1. 262) Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1, 3: „[…] finden […] in der Praxis selten Anwendung“; Tetzlaff/ Kern, in: MünchKomm-InsO, § 266 Rz. 4: „nur äußerst selten zum Einsatz gekommen“; pessimistisch insoweit auch Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 19 ff. In der Rspr. hat sich, soweit ersichtlich, bisher einzig das AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f., mit dem Kreditrahmen i. S. des § 264 InsO zu befassen gehabt. 263) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 4. 264) Ausf. zu den insoweit denkbaren Kreditarten Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 3 – 11. 265) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. 266) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. Krit. zur Regelung des § 264 Abs. 3 Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 19 f. 267) Diese Bemessungsgrenze hat im Schrifttum erhebliche Kritik erfahren, vgl. ausf. Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 71 Rz. 6; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 15; Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5.
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nicht überschreiten.268) Hierdurch sollen die Beteiligten, allen voran die Neugläubiger i. S. von § 265 InsO, die auf Zustandekommen und Inhalt des Plans ohne Einfluss sind, vor einer übermäßigen Kreditaufnahme geschützt werden.269) Die exakte Höhe des Kreditrahmens ist gemäß § 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO bekannt zu machen und zudem nach § 267 Abs. 3 i. V. m. § 31 InsO in das Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister einzutragen, soweit dort eine entsprechende Eintragung des Schuldners oder der Übernahmegesellschaft vorliegt. 251 Schließlich verlangt § 264 Abs. 2 InsO, dass Schuldner oder Übernahmegesellschaft mit dem jeweiligen Kreditgeber genau vereinbaren, ob und inwieweit der von diesem gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten dem Kreditrahmen unterfallen und damit in einer Anschlussinsolvenz privilegiert sein soll. Diese Vereinbarung ist zudem vom Insolvenzverwalter270) schriftlich (§ 126 BGB) zu bestätigen.271) Er hat dabei allein zu prüfen, ob sie einen eindeutigen Inhalt hat und der gewährte Kredit tatsächlich vom Kreditrahmen gedeckt ist; eine Zweckmäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Kreditaufnahme selbst steht ihm hingegen nicht zu.272) 2.3
Rechtsfolgen
252 Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, werden die in den Kreditrahmen eingestellten Kredite in einer etwaigen Folgeinsolvenz im Rang gegenüber den Insolvenzgläubigern aus dem ersten Verfahren bevorrechtigt, längstens allerdings für einen Zeitraum von drei Jahren, vgl. § 266 i. V. m. § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO.273) 253 Anders als noch in der Vorgängernorm des § 106 VerglO erfolgt jedoch keine Einordnung als Masseforderung,274) so dass der in § 53 InsO geregelte Vorrang auch gegenüber den nach § 264 Abs. 1 InsO privilegierten Forderungen fortbesteht. 254 Ohne Einfluss bleibt die Kreditrahmenregelung überdies auf die durch Aus- und Absonderungsrechte gesicherten Gläubiger; ein Nachrang nach § 264 Abs. 1 InsO kann sich insoweit allein hinsichtlich des Teils der Forderung ergeben, mit welchem der Absonderungsberechtigte bei der Sicherheitenverwertung ausgefallen (§ 52 InsO) ist. Nicht zuletzt dieser fehlende gesetzliche Vorrang gegenüber den absonderungsberechtigten Gläubigern wird vielfach als Hemmschuh für eine durch § 264 Abs. 1 InsO motivierte Kredit___________ 268) Zu den (teils streitigen) Rechtsfolgen im Falle der Verletzung dieser Höchstgrenze Andres, in: Andres/ Leithaus, InsO, § 264 Rz. 11; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 7 f.; Haas, in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 6; Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 14 ff. 269) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. 270) Eine Bestätigung durch einen abweichend von § 261 Abs. 1 Satz 1 InsO für die Planüberwachung eingesetzten Sachwalter ist nicht ausreichend; die Anwendung des § 264 InsO scheidet in diesem Fall folglich aus, vgl. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 264 Rz. 8. 271) Dies kann auch nachträglich geschehen, Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 264 Rz. 9; dort m. w. N. auch zur Frage der Widerruflichkeit der Bestätigung. 272) So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 12/2443, S. 216; anders wohl nur, wenn die Grenze des § 262 InsO erreicht oder im Plan ein Zustimmungsvorbehalt nach § 263 InsO vorgesehen ist. Krit. zu dieser Beschränkung Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 15 f., sowie Smid/Rattunde/ Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 6.82. 273) Dies gilt nach AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447, 448, selbst dann, wenn der Zeitraum der Überwachung im Plan abweichend von § 268 InsO auf mehr als drei Jahre festgesetzt worden ist, da § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Bezug auf die §§ 264 – 266 InsO zwingenden Charakter habe; krit. Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004, der diese Frist gemessen an dem weiten zeitlichen Horizont einer Sanierung für zu kurz hält. 274) Ganz h. M., vgl. nur Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 264 Rz. 10; Hess, in: Hess/Weis/Wienberg, InsO, § 264 Rz. 8.
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vergabe nach Planbestätigung angesehen.275) Schließlich steht insoweit stets zu befürchten, dass nach der Befriedigung der aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger und der Massegläubiger kein signifikantes Schuldnervermögen mehr verbleibt und der Vorrang des § 264 Abs. 1 InsO somit ins Leere läuft.276) Einen Ausweg bietet hier allein die Möglichkeit, die Rechte der absonderungsberechtig- 255 ten Gläubiger im Plan zu beschneiden bzw. dort zumindest aufschiebend bedingte Eingriffsrechte277) vorzusehen. Das aber setzt die Bildung einer eigenen Gruppe absonderungsberechtigter Gläubiger und damit – vorbehaltlich der Zustimmungsfiktion des § 245 InsO – deren Zustimmung voraus. Will der Planverfasser der gesetzlichen Kreditrahmenregelung durch eine derartige flankierende Plangestaltung zu einem stärkeren Anreiz verhelfen, wird er somit zweifelsohne „erhebliche Kreativität und Überzeugungskraft“278) aufzubieten haben, um die betroffenen Gläubiger tatsächlich zu entsprechenden Beitragsleistungen zu bewegen.279) Bei der konkreten Umsetzung im gestaltenden Teil des Plans hat er schließlich die Vor- 256 gaben des § 223 Abs. 2 InsO zu beachten, d. h. es ist i. E. anzugeben, welche Modifikationen in der rechtlichen Behandlung die Absonderungsrechte erfahren sollen. Aufgrund der Vielzahl rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten ist zwecks Vermeidung späterer Auslegungsschwierigkeiten dringend anzuraten, hier so eindeutige Regelungen wie möglich zu schaffen.280) Anfechtungen i. R. einer etwaigen Anschlussinsolvenz, die die Beseitigung der aus § 264 257 Abs. 1 InsO resultierenden Vorrangstellungen von Kreditgebern zum Ziel haben, sind nach h. M. ausgeschlossen.281) 3.
Salvatorische Klauseln
Korrelierend zum Obstruktionsverbot des § 245 InsO normiert § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO 258 das Verbot der Schlechterstellung:282) Gläubiger und Anteilseigner müssen nicht hinnehmen, wenn sie durch die Regelungen des Insolvenzplans schlechtergestellt werden, als sie im Regelinsolvenzverfahren stünden.283) Vielmehr haben sie folgende Möglichkeiten, gegen den Insolvenzplan einzuschreiten: Zunächst können sie dem Insolvenzplan widersprechen284) und gemäß § 251 InsO beantragen, die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen. Diese Antragsmöglichkeit ist eröffnet, wenn der Gläubiger voraussichtlich schlechtergestellt wird. Ferner können sie gemäß § 253 InsO im Wege der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans vorgehen. Hierfür verlangt das ___________ 275) Krit. etwa Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 14; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 20 f.; Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004. 276) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 14. 277) Dazu Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809, 822. 278) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 20. 279) Denkbare Argumentationsansätze und konkrete Gestaltungsvorschläge finden sich bei Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809, 822 f. 280) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 223 Rz. 7 sowie § 264 Rz. 30. 281) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 264 Rz. 12; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 264 Rz. 11; Lüer/ Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 32; a. A. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 12. 282) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 251 Rz. 6. 283) Die Schlechterstellung ist anhand einer Vergleichsberechnung zu ermitteln, in der die hypothetische Regelinsolvenzquote der Planquote gegenübergestellt wird, Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 1. S. hierzu auch unten § 43. 284) Der Widerspruch muss dabei spätestens im Abstimmungstermin erfolgen. Das Widerspruchsrecht steht auch dem nicht stimmberechtigten Gläubiger zu; eine Teilnahme an der Abstimmung (§ 235 InsO) ist nicht erforderlich, Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 251 Rz. 4 f.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Gesetz eine wesentliche Schlechterstellung durch den Plan (Einzelheiten zu den Rechtsmitteln siehe unten § 43 Rz. 114 ff.). 259 Das Vorgehen nach §§ 251, 253 InsO birgt erhebliches Störpotential. Durch das Antragsverfahren kommt es zu Verzögerungen bei der Planbestätigung. Zudem wirkt die sofortige Beschwerde suspensiv, so dass die Wirkungen des Plans gemäß § 254 Abs. 1 InsO erst mit Rechtskraft des Beschlusses eintreten. Dadurch kann es zu erheblichen Verzögerungen kommen, die den Insolvenzplan und damit das Sanierungsvorhaben insgesamt in Frage stellen.285) 260 Wie kann der Planersteller diesem Risiko begegnen? In der Praxis haben sich sog. salvatorische Klauseln286) bewährt, mittels derer der Schlechterstellung von Gläubigern durch das Inaussichtstellen von Kompensationen vorgebeugt wird.287) In diesem Zusammenhang hatte der Gesetzgeber bereits zum Regierungsentwurf der InsO ausgeführt, dass den geschilderten Gefahren dadurch Rechnung getragen werden könne, dass im Insolvenzplan für die vermeintlich schlechtergestellten, dem Plan widersprechenden Beteiligten zusätzliche Leistungen vorgesehen werden. Einer Bestätigung des Plans stehe der Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO dann nicht mehr entgegen, wenn die zusätzlichen Leistungen zur Beseitigung der Schlechterstellung ausreichen und ihre Finanzierung gesichert ist.288) 261 Mit dem ESUG hat dieses Instrument Einzug in die InsO erhalten: So bestimmt § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO, dass der Versagungsantrag gemäß § 251 Abs. 1 InsO abzuweisen ist, wenn im gestaltenden Teil des Insolvenzplans Mittel für den Fall der Schlechterstellung bereitgestellt werden. Der Streit darüber, ob der Gläubiger oder Anteilseigner einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, wird gemäß § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO vom Insolvenzplanverfahren abgekoppelt und ist im Wege der Leistungsklage vor den ordentlichen Gerichten auszutragen; das Störpotential wird damit beseitigt.289) 262 Sinngleich zu § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO hat die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO nur dann Erfolg, wenn der Beschwerdeführer glaubhaft macht,290) dass der aus der Schlechterstellung resultierende Nachteil nicht durch die gemäß § 251 Abs. 3 InsO bereitgestellten Mittel gedeckt ist. Schließlich fehlt es i. d. R. an der erforderlichen Beschwer des Beschwerdeführers, wenn der Insolvenzplan für den Fall der Schlechterstellung in Gestalt einer salvatorischen Klausel einen finanziellen Ausgleich vorsieht.291) 263 Bei der Ausgestaltung der salvatorischen Klausel ist zu beachten, dass es nicht um Abreden außerhalb des Insolvenzplans geht mit dem Ziel, die Zustimmung einzelner Gläubiger zu erreichen.292) Vielmehr soll allein ein Ausgleich einer möglichen Schlechterstellung ___________ Wutzke, ZInsO 1999, 1, 3; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 13 ff. Auch salvatorische Erhöhungsklauseln genannt, vgl. Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4. Mit einem Formulierungsbeispiel Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 251 Rz. 27. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 41. Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.7, kritisieren, dass die Feststellung von Leistungen im Insolvenzplan, ohne dem Berechtigten damit einen Titel zu verschaffen, einen groben Systembruch darstelle. 290) An die Stelle des Vollbeweises tritt bei der Glaubhaftmachung eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung, Prütting, in: MünchKomm-ZPO, § 249 Rz. 2. 291) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 36. 292) Der Einwand, es liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, greift wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen zur salvatorischen Klauseln nicht mehr, vgl. Begr. RegE ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 35; noch zur alten Rechtslage krit. wegen § 226 InsO Sinz, in: MünchKommInsO, § 251 Rz. 25.
285) 286) 287) 288) 289)
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erreicht werden, ohne jedoch bestimmte Gläubiger zu bevorzugen.293) Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum teilweise empfohlen, eine allgemeingültige salvatorische Klausel in den Insolvenzplan aufzunehmen, auch wenn keine Widersprüche drohen.294) Eine Gegenauffassung sieht in der salvatorischen Klausel kein Universalinstrument, sondern will diese nur dann in den Plan aufnehmen, wenn sich i. R. der Planerörterung abzeichnet, dass Gläubiger dem Plan wegen Schlechterstellung tatsächlich widersprechen werden.295) Schließlich wird vorgeschlagen, in der salvatorischen Klausel nur Leistungen an gemäß § 251 InsO widersprechende Beteiligte vorzusehen.296) In den Grenzen des § 222 InsO werden salvatorische Klauseln auch für Ein-Gläubiger-Gruppen für zulässig erachtet.297) Neben der Regelung im Insolvenzplan müssen auch die entsprechenden Rückstellungen 264 zur Kompensation der Schlechtergestellten gebildet werden,298) wobei sich insoweit freilich die Frage der Quantifizierbarkeit stellt.299) In diesem Zusammenhang wird diskutiert, in die salvatorische Klausel eine Frist aufzunehmen, binnen derer die Gläubiger die Ausgleichszahlung gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen müssen. Dadurch kann Rechtssicherheit erreicht werden; nicht abgerufene Mittel können nach Fristablauf unter den Gläubigern aufgeteilt werden.300) 4.
Präklusionsregelungen
Durch verschiedene Präklusionsregelungen soll sichergestellt werden, dass die durch einen 265 Insolvenzplan erreichte Regelung Bestand haben kann. 4.1
Materiell-rechtliche Wirkungen des Insolvenzplans
Während im Regelinsolvenzverfahren die Insolvenzgläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO ihre 266 verbleibenden Forderungen nach Verfahrensaufhebung unbeschränkt gegen den Schuldner geltend machen können,301) wird der Schuldner im Insolvenzplanverfahren mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen rechtlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit, § 227 Abs. 1 InsO.302) Erlass und Stundung von Forderungen i. R. des Insolvenzplans führen jedoch weder zu einer Änderung des Rechtsgrunds der Forderung (Novation)303) noch zu einer Aufhebung der Forderung hinsichtlich des erlassenen Teils. Vielmehr besteht die Restforderung als unvollkommene Verbindlichkeit bzw. Naturalobligation fort, die zwar nicht durchsetzbar, aber jederzeit erfüllbar ist.304) Unter den Voraussetzungen des § 255 InsO kann es auch zu einem Wiederaufleben der Forderung kommen. Forderungen nachrangiger Gläubiger ___________ 293) 294) 295) 296) 297) 298) 299) 300) 301)
302) 303) 304)
Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 23. Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 23. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 5. Kaltmeyer, ZInsO 1999, 316, 320. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.12. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 17. Ebenso kommen Rücklagen in Form von Bankbürgschaften in Betracht, vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. So zutreffend Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 49. Etwas anderes gilt freilich bei erteilter Restschuldbefreiung, § 201 Abs. 3, § 301 Abs. 1 InsO. Bei Kapitalgesellschaften läuft diese Haftung nach insolvenzbedingter Auflösung und Beendigung bzw. Erlöschen der juristischen Person naturgemäß ins Leere. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 227 Rz. 1. Huber, in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 12; Wutzke, in: PK-HWF, InsO, § 254 Rz. 9. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 4.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
gelten bereits gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen, wenn nicht der Insolvenzplan etwas Abweichendes regelt.305) 267 Die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzplans, mit dessen Hilfe die Beteiligten auf Grundlage der Gläubigerautonomie die vermögens- und haftungsrechtlichen Verhältnisse des Schuldners abweichend von den plandispositiven306) gesetzlichen Vorschriften regeln, folgen aus § 254 InsO.307) Mit Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses treten die Wirkungen des gestaltenden Teils des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligte des Planverfahrens ein, § 254 Abs. 1 InsO. 268 Beteiligte i. S. dieser Vorschrift sind alle Personen, die an dem Insolvenzplanverfahren unmittelbar teilgenommen haben. Dies sind neben dem Schuldner die nicht nachrangigen (§ 38 InsO) und die nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO), die absonderungsberechtigten Gläubiger und ggf. auch die Anteilsinhaber.308) Die Wirkungen des Plans treten als Konsequenz des Obstruktionsverbots (§ 245 InsO) gemäß § 254b InsO309) auch für und gegen jene Beteiligte ein, die in Ausübung ihres Stimmrechts gegen den Plan votiert haben.310) 4.2
Wirkungen für und gegen sog. Nachzügler (§§ 254b, 254 Abs. 1 InsO)
269 Die Gestaltungswirkung des § 254 InsO – dies stellt § 254b InsO311) explizit klar – erfasst auch die Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben und damit de facto am Insolvenzplanverfahren gerade nicht beteiligt waren. Dies betrifft sowohl jene Gläubiger, die (unverschuldet) keine Kenntnis von dem Insolvenzverfahren hatten,312) als auch jene, die wissentlich ihre Forderungen nicht geltend gemacht haben.313) Für die sog. Nachzügler ergeben sich daraus zwei Konsequenzen: 270 Zum einen werden nicht angemeldete Forderungen durch die Rechtskraft des Insolvenzplans gemäß § 254b InsO nicht präkludiert; der Schuldner haftet auch den Nachzüglern gegenüber. Letztere können ihre Forderungen nach Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens folglich weiterhin gegen den Schuldner geltend machen.314) Dies gilt auch ___________ 305) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 8; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 5 f. Dies gilt jedoch nicht für Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO – die Haftung des Schuldners für Geldstrafen kann gemäß § 225 Abs. 3 InsO im Insolvenzplan nicht eingeschränkt werden. 306) Im Gegensatz zu sog. planfesten Vorschriften, die auch im Insolvenzplanverfahren zwingend zu beachten sind, vgl. BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480, Rz. 25, dazu EWiR 2009, 251 (Landry). 307) Huber, in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 1. 308) OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577, 1579, dazu EWiR 2011, 717 (Freudenberg); Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 5; Huber, in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 14; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 254 Rz. 9. 309) Mit identischem Wortlaut bereits § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. 310) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 254b Rz. 1. 311) Mit identischem Wortlaut bereits § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. 312) Zu Recht weist die TMA Deutschland, InsVZ 2010, 476, 478, in ihrer Stellungnahme zum ESUGDiskE darauf hin, dass sich in Anbetracht der heutigen Publizitätspraxis jeder Gläubiger im Internet über die Insolvenzeröffnung informieren und die Forderungen rechtzeitig zur Insolvenztabelle anmelden kann. 313) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 254 Rz. 10. 314) OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577, 1579; Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176. Gleichwohl können sie nicht gemäß § 257 InsO aus dem Plan vollstrecken; ebenso wenig wird die Verjährung ihrer Forderung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gehemmt, vgl. Eidenmüller, in: MünchKommInsO, § 221 Rz. 54; a. A. LAG Chemnitz v. 22.11.2007 – 1 Sa 364/03, das entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes Ansprüche von Nachzüglern für ausgeschlossen hält, wenn diese erst nach Verfahrensaufhebung geltend gemacht werden.
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Gestaltender Teil des Insolvenzplans
für die dem Schuldner unbekannten Insolvenzgläubiger. Für die Planverwirklichung und die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens können solche unerwarteten, bei der Planerstellung nicht berücksichtigten Forderungen sehr gefährlich sein, insbesondere wenn die liquiden Mittel – wie dies regelmäßig der Fall ist – knapp bemessen sind.315) Vorbeugend ist in § 229 Satz 3 InsO vorgesehen, dass der dem Insolvenzplan zugrunde gelegte Finanzplan alle bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans bekannten Gläubiger zu berücksichtigen hat, auch wenn diese ihre Forderungen nicht angemeldet haben.316) Dabei ist auf die Kenntnis des Planerstellers abzustellen.317) Der Gesetzgeber hat sich in der Begründung zum ESUG jedoch explizit gegen eine mate- 271 rielle Ausschlusswirkung des Insolvenzplans ausgesprochen. Für einen solchen Ausschluss hätte es aus verfassungsrechtlichen Gründen bei unverschuldeter Fristversäumung der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bedurft. Die diesbezügliche Regelung in § 14 GesO sah sich noch genau diesem Risiko zahlreicher und langwieriger Streitigkeiten über eine Wiedereinsetzung und der damit verbundenen Unsicherheit für die Planrealisierung ausgesetzt.318) Mit dem ESUG hat sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die aufgezeigte Plangefährdung durch Nachzügler daher vielmehr zu einem besonderen Vollstreckungsschutz, flankiert von einer verkürzten Verjährung der Forderung (siehe dazu Rz. 279), durchgerungen.319) Die vor dem ESUG in der insolvenzrechtlichen Literatur diskutierte Lösung, über eine analoge Anwendung von § 301 InsO320) einen Ausschluss der Nachzügler zu erreichen, dürfte damit obsolet sein. Zum anderen erstreckt § 254b InsO auch den (Teil-)Erlass von Forderungen auf die In- 272 solvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet und damit am Insolvenzplanverfahren nicht mitgewirkt haben. Auch sie müssen die im Insolvenzplan festgeschriebenen Kürzungen ihrer Forderungen hinnehmen.321) Nachzügler teilen das Schicksal der Gläubigergruppe im Insolvenzplan, der sie zuzuordnen sind; sie können nur i. H. der für diese Gläubigergruppe vorgesehenen Insolvenzquote Zahlung verlangen.322) 4.3
Ausschlussklauseln im Insolvenzplan
Ein erhebliches praktisches Problem bereitet bei der Umsetzung von Insolvenzplänen die 273 Tatsache, dass Forderungen nur zögerlich und oft erst nach der Beschlussfassung über den Insolvenzplan angemeldet werden. Es ist daher oft nicht klar, wieviel Liquidität zur ___________ 315) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. 316) Frind, ZInsO 2011, 656, 657. 317) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. Es ist daher dringend zu empfehlen, dass der Planverfasser die Insolvenztabelle mit der Kreditoren-Buchhaltung des schuldnerischen Unternehmens abgleicht, vgl. hierzu Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176. 318) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 319) Dies hatte bereits die Kommission für Insolvenzrecht in Leitsatz 2.2.30 und 2.2.31 vorgeschlagen, s. 1. Kommissionsbericht, S. 202 ff. Die neue gesetzliche Regelung wird in der insolvenzrechtlichen Literatur überwiegend begrüßt, vgl. Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. Für eine Ausschlussfrist für Forderungsanmeldungen hatte u. a. der DAV plädiert, vgl. Stellungahme Nr. 13/10 v. 10.3.2010, S. 5, ebenso der DIHK, Positionspapier v. 18.11.2009 zum Thema „Zehn Vorschläge zur Unternehmenssanierung in der Insolvenz“, S. 5. 320) Vor Einführung der §§ 259a, 259b InsO sprachen sich u. a. Breutigam/Kahlert, ZInsO 2002, 469, 472, für eine Restschuldbefreiung analog § 301 InsO aus. Wenn die Gläubiger von ihrem Recht, die Verteilung und Haftung abweichend von dem gesetzlichen Regelinsolvenzverfahren zu bestimmen, nur in Form von unzureichenden Verteilungsregelungen Gebrauch machen und Nachzügler ihre Gläubigerrechte im Planverfahren nicht wahrnehmen, solle dies nicht zulasten des Schuldners gehen. 321) OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577, 1579; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 54. 322) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 5; Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Erfüllung der Planquote benötigt wird oder – umgekehrt, bei einem festen zur Verfügung stehenden Betrag – welche Planquote zu erwarten ist. Die Praxis hat sich lange Zeit damit beholfen, im Insolvenzplan einen Topf für Nachzügler vorzusehen und i. Ü. die Fristen zur Nachmeldung von Forderungen im Plan zu verkürzen.323) 274 Dabei ging die Praxis lange Zeit aufgrund einiger obergerichtlicher Entscheidungen324) und einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010325) davon aus, dass solche Ausschlussklauseln zulässig sind.326) Der verbreiteten Praxis solcher Ausschlussklauseln wurde durch eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2015327) die Grundlage entzogen. Hiernach darf der Insolvenzplan keine Ausschlussklausel enthalten, die den Insolvenzgläubigern, die sich am Plan nicht beteiligt haben, nach Ablauf einer kürzeren Frist als in § 259b InsO von der Planquote ausschließt. Damit mag es zwar noch möglich sein, die Nachmeldung von Forderungen solcher Gläubiger auszuschließen, die bereits Forderungen angemeldet haben, der eigentliche Anwendungsbereich von Ausschlussklauseln ist aber entfallen. 4.4
Vollstreckungsschutz gemäß § 259a InsO
275 § 259a InsO gewährt Vollstreckungsschutz gegenüber Insolvenzgläubigern, die ihre Forderungen nicht bis zum Abstimmungstermin zur Tabelle angemeldet haben. Flankiert von der Verjährungsvorschrift des § 259b InsO soll damit der Gefahr entgegengewirkt werden, dass unbekannte Gläubiger mit nachträglichen Forderungen die dem Plan zugrunde liegende Finanzplanung zu Fall bringen und damit insgesamt die Realisierung des Insolvenzplans torpedieren. Siehe hierzu auch unten § 45. 276 Ablauf und Voraussetzungen des Vollstreckungsschutzverfahrens: Auf Antrag des Schuldners kann die Vollstreckungsmaßnahme eines sog. Nachzüglers einstweilig eingestellt, ganz oder teilweise aufgehoben oder für bis zu drei Jahre untersagt werden. Zuständig ist das Insolvenzgericht.328) Voraussetzung ist, dass der Schuldner glaubhaft macht, die Durchführung des Insolvenzplans sei gefährdet.329) Von einer solchen Gefährdung wird man in jedem Fall sprechen können, wenn die Ansprüche, die den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil des Plans gegen den Schuldner zustehen, wegen der Vollstreckungsmaßnahme des Nachzüglers nicht erfüllt werden können. Auch nach erfolgreicher Planerfüllung gemäß § 260 Abs. 2 InsO kann ein vollstreckender Nachzügler jedoch sehr wohl noch den Erfolg der ebenfalls mit dem Insolvenzplan bezweckten Sanierung des Schuldnerunternehmens gefährden. Fraglich ist, ob die „Durchführung“ des Insolvenzplans neben der Planerfüllung auch – soweit im Plan vorgesehen – den Erhalt des schuldnerischen Unternehmens meint. Um die Umsetzung des Plans nicht zu erschweren oder unmöglich zu machen, wird man den Begriff der Durchführung wohl weit auszulegen haben. So ist auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass das Vollstreckungsverbot dem Scheitern der Unternehmenssanierung entgegenwirken soll. So wird bspw. eine Gefährdung ___________ 323) Vgl. auch Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 344 f. 324) Insbesondere LAG Düsseldorf v. 15.9.2011 – 11 Sa 591/11, ZIP 2011, 2487, dazu EWiR 2012, 151 (Bähr/Höpker), OLG Hamm v. 3.12.2010 – I-30 U 98/10. 325) Vgl. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (M. Huber). 326) Vgl. etwa Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 60, 56; Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 23; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 115; Braun/Franke, in: Braun, InsO, § 222 Rz. 13. Otte/Wiester, NZI 2005, 70, 77. 327) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346 = NJW 2015, 2660, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). 328) Krit. zur Zuständigkeit des Insolvenzgerichts Frind, ZInsO 2011, 656, 658. 329) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. Die Rechte des Schuldners aus der Parallelvorschrift des § 765a ZPO bleiben unberührt.
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§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
bejaht, wenn dem Unternehmen durch die Zwangsvollstreckung die zur Fortsetzung seiner Tätigkeit benötigten Gegenstände entzogen würden.330) Wenngleich dies aus dem Wortlaut des § 259a InsO so nicht hervorgeht, ist in der Gesetzes- 277 begründung in diesem Zusammenhang stets von einer Gefährdung wegen „beträchtlicher“ Forderungen die Rede, ohne dass allerdings ein Schwellenwert definiert wird.331) Des Weiteren ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass ein Vollstreckungsschutz nur dann zu gewähren ist, wenn die begründete Aussicht besteht, dass das sanierte Unternehmen die nachträglich geltend gemachte Forderung – wenn auch in Raten – aus den (künftig) erwirtschafteten Erträgen wird begleichen können.332) Aufhebung oder Änderung des gerichtlichen Beschlusses: Bei Änderung der Sachlage 278 hebt das Insolvenzgericht auf Antrag und soweit geboten den Beschluss gemäß § 259a Abs. 3 InsO auf oder ändert ihn ab.333) 4.5
Verjährung gemäß § 259b Abs. 1 InsO
Neben dem Vollstreckungsschutz des § 259a InsO statuiert § 259b Abs. 1 InsO eine be- 279 sondere Verjährungsfrist für Forderungen, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sind: Diese verjähren nunmehr innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses.334) Damit soll für das zu sanierende Unternehmen binnen angemessener Zeit Rechtssicherheit über noch nachträglich geltend gemachte Forderungen erreicht werden. Die kurze Verjährung des § 259b InsO gilt deshalb für alle Forderungen, auch für bereits titulierte Ansprüche.335) Der Fristlauf beginnt mit der Rechtkraft des Beschlusses gemäß § 248 Abs. 1 InsO,336) jedoch nicht vor Fälligkeit der Forderung. Verjähren die Forderungen nach den sonstigen Verjährungsvorschriften früher, so bleibt es bei der Geltung dieser Fristen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Verjährung nicht zur Insolvenztabelle angemeldeter Forderungen nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gehemmt ist.337) Eine Verjährungshemmung tritt jedoch gemäß § 259b InsO ein, wenn der Vollstreckungsschutz gemäß § 259a InsO gerichtlich angeordnet wurde; sie endet drei Monate nach Beendigung des Vollstreckungsschutzes. Siehe hierzu auch unten § 45. 5.
Planüberwachung
Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann geregelt werden, dass die Planerfüllung 280 nach Aufhebung des Verfahrens überwacht werden soll, § 260 Abs. 1 InsO. Die Anordnung der Planüberwachung ist fakultativ und dient in erster Linie dem Gläubigerschutz.338) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers obliegt die Planüberwachung grundsätzlich dem ___________ 330) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37; in diesem Sinne auch Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 694. Vgl. hierzu auch § 1 InsO, der den Erhalt des Unternehmens im Planverfahren ausdrücklich als Ziel des Insolvenzverfahrens festschreibt. 331) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 332) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 333) Vgl. hierzu auch die Parallelvorschrift des § 765a Abs. 4 ZPO. 334) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 694. 335) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 38, zu Nr. 41. 336) Gegen den Bestätigungsbeschluss ist gemäß §§ 6, 253 Abs. 1 InsO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet. Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen, Bußhardt, in: Braun, InsO, § 6 Rz. 14. 337) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 54. 338) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 260 Rz. 2 f. Die Kosten trägt gemäß § 269 InsO der Schuldner bzw. die Übernahmegesellschaft.
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§ 26
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Insolvenzverwalter, § 261 Abs. 1 Satz 1 InsO; dies ist jedoch nicht zwingend, so dass eine Aufgabenübertragung auf andere Personen möglich ist.339) 281 Soweit der Insolvenzplan keine anderweitigen Vorgaben macht, beschränkt sich die Aufgabe des Insolvenzverwalters auf reine Informationsbeschaffungs- und Kontrolltätigkeiten sowie jährliche Berichtspflichten gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss, § 261 Abs. 2 InsO. Gegenstand der Überwachung sind einzig die Erfüllung und Erfüllbarkeit der Ansprüche, die den Gläubigern aus dem Insolvenzplan gegenüber dem Schuldner (§ 260 Abs. 2 InsO) oder gegenüber der Übernahmegesellschaft (§ 261 Abs. 3 InsO)340) zustehen.341) Stellt der Verwalter fest, dass die Erfüllung bzw. Erfüllbarkeit342) der im Plan geregelten Ansprüche nicht gewährleistet ist, ist er gemäß § 262 Satz 1 InsO zur unverzüglichen Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss verpflichtet. Falls ein solcher nicht bestellt ist, sind sämtliche Gläubiger zu informieren, denen nach den Regelungen des gestaltenden Teils noch Forderungen gegen den Schuldner oder die Übernahmegesellschaft zustehen, § 262 Satz 2 InsO. Die Anzeige selbst löst keine unmittelbaren Rechtsfolgen aus; vielmehr bleibt es den Gläubigern überlassen, hieraus Konsequenzen zu ziehen, namentlich also über das Ob und Wie ihrer weiteren Rechtsdurchsetzung zu entscheiden.343) Ansprüche gegen Dritte sind nicht Gegenstand der Planüberwachung, erst recht nicht deren prozessuale Durchsetzung.344) 282 Bei Anordnung der Planüberwachung besteht das Amt des Insolvenzverwalters nach Aufhebung des Verfahrens insoweit fort, ohne dass es hierzu einer gerichtlichen Anordnung bedarf; die Bekanntmachung im Aufhebungsbeschlusses reicht aus, § 261 Abs. 1 Satz 2, § 267 Abs. 1 InsO.345) Der Gläubigerausschuss – soweit bestellt – bleibt ebenfalls im Amt, um den Verwalter zu überwachen. Schließlich beaufsichtigt das Insolvenzgericht den Verwalter und den Gläubigerausschuss, § 261 Abs. 1 InsO. Dem Insolvenzverwalter stehen die Befugnisse gemäß § 261 Abs. 1, § 22 Abs. 3, §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO zu.346) Kommt der Schuldner seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht analog § 98 InsO Zwangsmittel anordnen.347) 283 Zwar geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Verfahrensaufhebung zurück an den Schuldner; gemäß § 263 InsO kann im Insolvenzplan jedoch festgelegt werden, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners oder der Übernahmegesellschaft während der Planüberwachung zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Insolvenzverwalters bedürfen.348) Zu denken ist hier v. a. an wirtschaftlich bedeutsame ___________ 339) Thies, in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 5. 340) Streitig ist insoweit, wann eine Übernahmegesellschaft i. S. von § 260 Abs. 3 InsO vorliegt. Zum einen wird – strikt am Wortlaut orientiert – vertreten, dass darunter nur solche Gesellschaften zu verstehen sind, die nach Insolvenzeröffnung auch mit dem Zweck gegründet wurden, das schuldnerische Unternehmen zu übernehmen und weiterzuführen, so Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 260 Rz. 6. Nach a. A. soll die Norm darüber hinaus auch solche Gesellschaften erfassen, die als Mantel- oder Vorratsgesellschaften bereits vor Insolvenzeröffnung existierten, so Thies, in: HambKomm-InsO, § 260 Rz. 5. 341) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 260 Rz. 3. 342) Hieraus ergibt sich letztlich eine prognostische Überwachungspflicht des Verwalters, Haas, in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 262 Rz. 1. 343) Zu den sich insoweit bietenden Möglichkeiten Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 262 Rz. 2. 344) BGH v. 7.7.2008 – II ZR 26/07, ZIP 2008, 2094, 2095; Thies, in: HambKomm-InsO, § 260 Rz. 6. 345) Thies, in: HambKomm-InsO, § 260 Rz. 2 f. Der Insolvenzverwalter haftet für Pflichtverletzungen gemäß § 60 InsO analog, Thies, in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 4. 346) Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten treffen auch die Übernahmegesellschaft, vgl. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 261 Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 261 Rz. 4; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 15. 347) Thies, in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 7. 348) Vertiefend Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 263 Rz. 2 f.
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§ 26
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
oder risikoreiche Geschäfte.349) Voraussetzung ist jedoch, dass die vom Zustimmungsvorbehalt erfassten Geschäfte hinreichend klar bestimmt sind;350) auch ein Universalvorbehalt ist nach h. M. unzulässig.351) Die Planüberwachung endet durch Aufhebungsbeschluss des Insolvenzgerichts. Die Auf- 284 hebung erfolgt gemäß 268 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, befriedigt oder für sie Sicherheit geleistet wurde. Daneben tritt die Aufhebung wegen Zeitablaufs: Nach § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO soll die Planüberwachung nicht länger als drei Jahre seit Aufhebung des Insolvenzverfahrens dauern, es sei denn, es liegt ein neuer Insolvenzantrag vor.352) Mit der Aufhebung der Planüberwachung entfallen die insolvenzrechtlichen Beschränkungen.353) Siehe zur Planüberwachung auch unten § 47. X.
Exkurs: Haftung des Insolvenzverwalters bei Scheitern des Plans
Der Insolvenzverwalter haftet grundsätzlich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO bei schuld- 285 hafter Pflichtverletzung allen Beteiligten auf Schadensersatz. Problematisch ist bei einem Insolvenzplan, dass dieser hauptsächlich auf Prognoseentscheidungen beruht. Damit beinhaltet jeder Plan zwangsläufig die Gefahr des Scheiterns. Des Weiteren steht dem Insolvenzverwalter oftmals nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung, in dem er ein möglichst fehlerfreies Konzept für ein Unternehmen einer für ihn oft fremden Branche erstellen muss. Verlässliche Zahlen der Finanzbuchhaltung und des betrieblichen Rechnungswesens werden oftmals nicht vorhanden sein, so dass der Insolvenzverwalter auf die Unterstützung der Arbeitnehmer des Unternehmens angewiesen ist, deren Qualifikation er zu testen kaum Gelegenheit hatte.354) Das bloße Fehlschlagen eines Plans für sich allein kann die Haftung des Insolvenzver- 286 walters nicht auslösen, da es sich um die Verwirklichung eines dem unternehmerischen Handeln immanenten Risikos handelt.355) Der Insolvenzverwalter sollte jedoch, um einer Haftung vorzubeugen, die Beteiligten im 287 darstellenden Teil des Plans über die Risiken des Plans so vollständig wie nur möglich informieren. Dies ist auch dann, wenn dadurch die Gläubiger in Anbetracht der aufgezeigten Risiken von einem Fortführungsplan Abstand nehmen, um sich stattdessen für ein Regelinsolvenzverfahren und die sich hieraus ergebende Insolvenzquote zu entscheiden.356)
___________ 349) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. 350) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 263 Rz. 2. 351) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 263 Rz. 5; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 263 Rz. 2; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 263 Rz. 2; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 263 Rz. 2. 352) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 268 Rz. 3 f. 353) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 268 Rz. 7; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 268 Rz. 5. 354) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 220 Rz. 86; Warrikoff, KTS 1996, 489, 502. 355) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 220 Rz. 81; Warrikoff, KTS 1996, 489, 502. 356) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 220 Rz. 83, 85; Warrikoff, KTS 1996, 489, 502.
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§ 27 Plananlagen Zabel
I. Vorbemerkungen........................................ 1 II. Allgemeine Plananlagen ............................ 6 1. Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen................................................ 8 2. Unterlagen zu den rechtlichen Verhältnissen................................................ 9 III. Verzeichnis der Gläubiger ....................... 10 1. Begriff ......................................................... 10 2. Inhalt........................................................... 12 2.1 Gläubigergruppe............................ 13 2.2 Laufende Nummer ........................ 17 2.3 Bezeichnung des Gläubigers......... 19 2.4 Betrag und Grund der Forderung ...................................... 20 2.5 Ergebnis der Forderungsprüfung........................................... 22 2.6 Quotenzahlung.............................. 23 3. Beispiel........................................................ 24 IV. Plananlagen nach §§ 153, 229 InsO ....... 37 1. Plananlagen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens................... 37 1.1 Vermögensübersicht (§ 153 InsO) .................................. 38 1.1.1 Begriff ............................................ 38 1.1.2 Funktionen .................................... 41 1.1.3 Grundsätze .................................... 45 1.1.4 Rechenwerke der Vermögensübersicht ........................................ 52 1.1.4.1 Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO) .................................. 53 1.1.4.1.1 Begriff ........................................ 53 1.1.4.1.2 Inventur ..................................... 54 1.1.4.1.3 Bewertung.................................. 59 1.1.4.1.4 Form .......................................... 63 1.1.4.2 Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) .. 65 1.1.4.2.1 Begriff ........................................ 65 1.1.4.2.2 Inhalt.......................................... 67 1.1.4.2.3 Bewertung.................................. 71 1.1.4.2.4 Form .......................................... 72 1.1.5 Mustervorlage................................ 74 1.2 Handelsbilanz (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO)................................... 75 1.2.1 Neues Geschäftsjahr ..................... 75 1.2.2 Schlussbilanz.................................. 76 1.2.3 Eröffnungsbilanz........................... 82 1.2.4 Exkurs: Schlussbilanz bei Aufhebung............................................ 84 1.2.5 Exkurs: Prüfung der handelsrechtlichen Abschlüsse.................. 87 2. Plananlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans............. 91
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Vorbemerkungen........................... 91 Zweck der Regelung...................... 93 Integrierte Unternehmensplanung........................................... 97 2.3.1 Begriff ............................................ 97 2.3.2 Vorgehensweise ........................... 100 2.3.2.1 Gewinn- und Verlustrechnung... 102 2.3.2.1.1 Schritt 1: Operative Planung der Gewinn- und Verlustrechnung .................................. 103 2.3.2.1.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan........................................... 112 2.3.2.2 Bilanz ........................................... 119 2.3.2.2.1 Schritt 1: Operative Planung der Bilanz................................. 123 2.3.2.2.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan .......................... 136 2.3.2.3 Kapitalflussrechnung (Finanzplan) ............................................. 140 2.3.3 Praxishinweise ............................. 143 2.4 Überleitungsrechnungen ............ 148 2.5 Vergleichsrechnung..................... 149 2.5.1 Alternative 1: Zerschlagung........ 153 2.5.2 Alternative 2: Asset Deal ............ 160 2.5.3 Alternative 3: Share Deal ............ 163 V. Plananlagen nach § 226 InsO ................ 164 1. Grundsatz................................................. 164 2. Inhalt der Erklärung ................................ 167 3. Fehlende oder fehlerhafte Erklärung...... 170 VI. Plananlagen nach § 230 InsO ................ 171 1. Erklärungen des Schuldners (§ 230 Abs. 1 InsO) ............................................ 172 1.1 Natürliche Personen ................... 175 1.1.1 Personenkreis .............................. 175 1.1.2 Inhalt der Erklärung.................... 177 1.1.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 182 1.2 Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, KGaA ................. 183 1.2.1 Personenkreis .............................. 183 1.2.2 Inhalt der Erklärung.................... 186 1.2.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 192 2. Erklärungen der Gläubiger (§ 230 Abs. 2 InsO) ................................. 193 2.1 Personenkreis .............................. 194 2.2 Inhalt der Erklärung.................... 196 2.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 199
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2.1 2.2 2.3
§ 27
Plananlagen 3.
Erklärungen Dritter (§ 230 Abs. 3 InsO)............................................. 200 3.1 Personenkreis............................... 201 3.2 Inhalt der Erklärung ................... 202 3.3 Exkurs: Erklärung der Finanzverwaltung.................................... 208 3.4 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 214
VII. Stellungnahmen zum Insolvenzplan (§ 232 InsO)............................................. 215 1. Gläubigerausschuss (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) .............................................. 217 2. Betriebsrat (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) .... 219 3. Schuldner (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO)...... 221 4. Insolvenzverwalter (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO) .............................................. 223
Literatur: Heni, Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, WPg 1990, 93; IDW, IDW Prüfungsstandard: Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Abschlussprüfung (IDW PS 270 n. F.) v. 11.7.2018, IDW Life 8/2018, 752; IDW, IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Auswirkungen einer Abkehr von der Going-Concern-Prämisse auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss (IDW RS HFA 17) v. 11.7.2018, IDW Life 8/2018, 777; IDW, IDW Standard: Anforderungen an Sanierungskonzepte (IDW S 6) v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, 813; IDW, WP-Handbuch, 15. Aufl., 2017; IDW, WPH Edition, Sanierung und Insolvenz, 2017; IDW, IDW Praxishinweis: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierung, Due Diligence und Fairness Opinion (IDW Praxishinweis 2/2017) v. 2.1.2017, IDW Life 3/2017, 343; IDW, IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), IDW Life 3/2017, 332; IDW, IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008) v. 4.7.2016, IDW Life 8/2016, 731; IDW, IDW Rechnungslegungshinweis: Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012) v. 11.9.2015, IDW Life 11/2015, 610; IDW, WP-Handbuch 2014, Bd. II, 14. Aufl., 2013; IDW, IDW Rechnungslegungshinweis: Insolvenzspezifische Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.011) v. 13.6.2008, WPg Supplement 3/2008, 49; IDW, IDW Rechnungslegungshinweis: Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010) v. 13.6.2008, WPg Supplement 3/2008, 37; IDW, IDW Standard: Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2) vom 10.2.2000, WPg 2000, 285; Klein, Handelsrechtliche Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, 2004; Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl., 2002; Plagens/Brunow, Integrierte Planungsrechnung – Bestandteil des betrieblichen Rechnungswesens (Teil I), DStR 2004, 102; Staufenbiel, Der Liquiditätsplan im Insolvenzverfahren, ZInsO 2010, 2059.
I.
Vorbemerkungen
Neben dem darstellenden und gestaltenden Teil bilden die Plananlagen eine weitere wichtige 1 Säule des Insolvenzplans. Die Plananlagen haben in erster Linie den Zweck, die für die Entscheidung der Gläubiger über den Insolvenzplan erforderlichen Informationen zusammenzustellen, um damit die Nachvollziehbarkeit des Insolvenzplans sicherzustellen. Darüber hinaus dienen die Plananlagen dem Insolvenzgericht i. R. der Entscheidungen nach § 231 InsO über die Zurückweisung des Insolvenzplans als Entscheidungsgrundlage.1) Der Umfang der Plananlagen kann anhand der nachfolgenden Übersicht wie folgt zu- 2 sammengefasst werden:2) Allgemeine Plananlagen, Verzeichnis der Gläubiger, Plananlagen nach §§ 153, 155, 229 InsO, Plananlagen zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, Vermögensübersicht (§ 153 InsO), Handelsbilanz (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO), Plananlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans, Vermögensübersicht (§ 229 InsO), ___________
1) 2)
So z. B. hat das Insolvenzgericht nach § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO den Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen, wenn die Ansprüche, die den Beteiligten nach dem gestaltenden Teil eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans zustehen, offensichtlich nicht erfüllt werden können. Zur Systematisierung, vgl. auch IDW S 2, WPg 2000, 285, Rz. 48 ff. Der Standard wird derzeit vom Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des IDW überarbeitet.
Zabel
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Plan-Bilanzen,
Plan-Gewinn- und Verlustrechnung,
Plan-Liquiditätsrechnung.
Ergänzende Plananlagen nach §§ 226, 230 InsO,
zustimmende Erklärungen der Gläubiger (§ 226 InsO),
Erklärung des Schuldners (§ 230 Abs. 1 InsO),
Erklärung der Gläubiger (§ 230 Abs. 2 InsO),
Erklärung Dritter (§ 230 Abs. 3 InsO).
3 In den nachfolgenden Ausführungen werden die Plananlagen i. E. dargestellt und anhand von Praxisbeispielen erläutert. Die Reihenfolge der Plananlagen erfolgt dabei einem in der Praxis bewährten Gliederungsschema. 4 Praxishinweis: Nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO ist den Gläubigern mit der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin eine Ausfertigung des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden. Sofern lediglich eine Zusammenfassung des Insolvenzplans den Gläubigern zur Verfügung gestellt wird, sollte der Umfang der beizufügenden Plananlagen im Vorfeld mit dem Insolvenzgericht abgestimmt werden, da die Handhabung seitens der Insolvenzgerichte teilweise sehr unterschiedlich ist. Für börsennotierte Gesellschaften ist dabei nach § 121 Abs. 4a AktG zu beachten, dass eines Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Insolvenzplans über ihre Internetseite zugänglich zu machen ist (vgl. § 235 Abs. 3 Satz 4 InsO). 5 In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass in der Zusammenfassung des Insolvenzplans mindestens eine Vermögensübersicht, eine Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Liquiditätsplanung enthalten sein sollten, um den Gläubigern die Möglichkeit der Beurteilung zu geben, ob die Planvorschläge realistisch sind und insgesamt von nachvollziehbaren Planprämissen ausgegangen wurde.3) Es ist zu beachten, dass eine Zusammenfassung des Insolvenzplans stets das Risiko birgt, dass die Zusammenfassung unvollständig ist und einzelne Beteiligte den Inhalt wegen dieses Mangels rügen.4) II.
Allgemeine Plananlagen
6 Mit den allgemeinen Plananlagen sollen das Insolvenzgericht und die Gläubiger über die Ausführungen im darstellenden und gestaltenden Teil hinaus informiert werden, um den Insolvenzplan wirtschaftlich und rechtlich würdigen zu können. Insofern haben die allgemeinen Plananlagen eine Erläuterungs-, Ergänzungs- und Entlastungsfunktion. 7 Praxishinweis: Die allgemeinen Plananlagen sollten beim Insolvenzgericht hinterlegt werden, so dass die Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO Einsicht nehmen können. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Vertraulichkeit sollte vermieden werden, dass die vollständigen Unterlagen zu den allgemeinen Plananlagen allen Gläubigern zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus werden dadurch auch erhebliche Kosten (z. B. Kopierkosten) vermieden.5)
___________ 3) 4) 5)
756
Vgl. u. a. Pleister, in: KPB, InsO, § 235 Rz. 20; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 12. Vgl. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 17. Vgl. auch Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 12.
Zabel
§ 27
Plananlagen 1.
Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen
Zur wirtschaftlichen Beurteilung des Insolvenzplans und des zugrunde liegenden Sanie- 8 rungskonzepts sollten dem Insolvenzplan die (geprüften) Jahresabschlüsse der letzten drei (vorzugsweise fünf) Geschäftsjahre beigefügt werden. Bei Konzerninsolvenzen sollte der Insolvenzplan zusätzlich die (geprüften) Konzernabschlüsse der letzten drei (vorzugsweise fünf) Geschäftsjahre enthalten.6) Bei großen Filialunternehmen bietet es sich zudem an, aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen der einzelnen Filialen dem Insolvenzplan als gesonderte Anlage beizufügen. Darüber hinaus sollten die letzten Steuerbescheide und ggf. Berichte über Betriebsprüfungen als allgemeine Plananlagen aufgenommen werden, sofern diese Informationen für die Gläubiger entscheidungsrelevant sind. 2.
Unterlagen zu den rechtlichen Verhältnissen
Für die rechtliche Beurteilung des Insolvenzplans sollten dem Insolvenzplan wichtige 9 Vertragsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens beigefügt werden (z. B. Gesellschaftsvertrag, Ergebnisabführungsverträge, Mietverträge, Darlehensverträge, Sanierungstarifverträge, Betriebsvereinbarungen etc.). Darüber hinaus kann es im Einzelfall sinnvoll sein, wichtige Verträge im Zusammenhang mit dem Insolvenzplan (z. B. Darlehensvertrag mit einem Investor zur Sicherstellung der Gläubigerbefriedigung) als Plananlage in den Insolvenzplan aufzunehmen. III.
Verzeichnis der Gläubiger
1.
Begriff
Um eine eindeutige Zuordnung des einzelnen Gläubigers zu der im darstellenden und 10 gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehenen Gläubigergruppe zu gewährleisten, sollte der Insolvenzplan für jede Gläubigergruppe ein Verzeichnis aller in der Gruppe vorgesehenen Gläubiger enthalten.7) Das Verzeichnis der Gläubiger sollte auf der Grundlage der Insolvenztabelle erstellt 11 werden, da die Insolvenztabelle insofern ebenfalls für die Erstellung des Verteilungsverzeichnisses nach § 188 InsO verwendet wird.8) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter jede angemeldete Forderung mit Grund, Betrag und ggf. Rang der Forderung in eine Tabelle einzutragen. Bis zum Prüfungstermin obliegt die Führung der Insolvenztabelle dem Insolvenzverwalter.9) Im Fall der Eigenverwaltung wird die Insolvenztabelle vom Sachwalter geführt.10) Nach dem Prüfungstermin geht die Führung der Insolvenztabelle auf das Insolvenzgericht über, wobei der Insolvenzverwalter bzw. der Sachwalter die Insolvenztabelle grundsätzlich weiter pflegen.11) 2.
Inhalt
Das dem Insolvenzplan für jede Gläubigergruppe als Anlage beizufügende Verzeichnis 12 der Gläubiger sollte den nachfolgenden Mindestinhalt enthalten:12)
Gläubigergruppe,
___________ 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12)
Vgl. IDW S 2, WPg 2000, 285, Rz. 49. Vgl. IDW S 2, WPg 2000, 285, Rz. 56. Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 3. Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 2. Vgl. Becker, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 175 Rz. 1. Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 3. In Anlehnung an die Mindestanforderungen an die Insolvenztabelle i. S. des § 175 InsO vgl. u. a. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 5; Riedel, in: MünchKomm-InsO, § 175 Rz. 5 ff.
Zabel
757
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
laufende Nummer,
Bezeichnung des Gläubigers,
Betrag und Grund der Forderung,
Ergebnis der Forderungsprüfung,
Quotenzahlung.
2.1
Gläubigergruppe
13 Für jede einzelne im Insolvenzplan festgelegte Gläubigergruppe13) sollte ein gesondertes Verzeichnis der Gläubiger erstellt werden. Grundsätzlich wird zwischen Pflicht-, Wahl- und Sollgruppen unterschieden.14) 14 Nach § 222 Abs. 1 InsO sind im Insolvenzplan bei der Festlegung der Rechte der Beteiligten mindestens die folgenden vier Gruppen (Pflichtgruppen) zu bilden, soweit Beteiligte mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind:
absonderungsberechtigte Gläubiger, wenn durch den Insolvenzplan in deren Rechte eingegriffen wird (Nr. 1),
nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (Nr. 2),
nachrangige Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten sollen (Nr. 3),
beteiligte Personen (Anteilsinhaber)15), wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Insolvenzplan einbezogen werden (Nr. 4).
15 Aus den Beteiligten mit gleicher Rechtsstellung können nach § 222 Abs. 2 InsO weitere Gruppen (Wahlgruppen) gebildet werden, in denen Beteiligte mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden, wobei die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden müssen. Vor diesem Hintergrund kann auch nach § 7 Abs. 4, § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG für den Pensionssicherungsverein eine eigene Gruppe gebildet werden.16) Es kann ebenfalls sachgerecht erscheinen, für die Bundesagentur für Arbeit17) und die Finanzverwaltung18) gesonderte Gruppen zu bilden. 16 Nach § 222 Abs. 3 InsO sollen die Arbeitnehmer eine besondere Gruppe (Sollgruppe) bilden, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Ferner können für Kleingläubiger und geringfügig beteiligte Anteilsinhaber mit einer Beteiligung am Haftkapital von weniger als 1 % oder weniger als 1.000 EUR besondere Gruppen gebildet werden. 2.2
Laufende Nummer
17 Für jede im Verzeichnis der Gläubiger erfasste Forderung sollte eine fortlaufende Nummer vergeben werden. Zum Zwecke der besseren Identifizierbarkeit der Forderungen bietet es sich an, die laufende Nummer der angemeldeten Forderung in der Insolvenztabelle (§ 175 InsO) zu verwenden. In der Insolvenztabelle sind die angemeldeten Forderungen unter einer fortlaufenden Nummer in der Reihenfolge der Anmeldung einzutragen.19) Sofern mehrere Forderungen eines einzelnen Gläubigers gleichzeitig angemel___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)
758
Zu weiteren Einzelheiten der Gruppenbildung vgl. unten § 28 und § 29. Zur Systematisierung vgl. Braun/Frank, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 5 ff. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 18. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 32. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 33. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 34. Vgl. Riedel, in: MünchKomm-InsO, § 175 Rz. 4.
Zabel
§ 27
Plananlagen
det werden, ist jede einzelne Forderung grundsätzlich unter einer gesonderten Nummer zu erfassen. Für Forderungsanmeldungen von Finanzämtern und Krankenkassen empfiehlt sich die Erfassung unter einer laufenden Nummer, da sich die Forderungen meist aus einer Vielzahl von Einzelforderungen zusammensetzen und diese im Laufe des Verfahrens geändert werden können.20) Praxishinweis: Sofern die Forderung eines Gläubigers auf zwei Gläubigergruppen aufzu- 18 teilen ist, muss die Forderung in dem Verzeichnis der Gläubiger abweichend von der Insolvenztabelle nach § 175 InsO aufgeteilt werden. In diesem Fall sollte die Forderung gesondert gekennzeichnet werden, damit die Zuordnung zu der jeweiligen Gläubigergruppe seitens der Gläubiger nachvollzogen werden kann. 2.3
Bezeichnung des Gläubigers
Für sämtliche im Verzeichnis der Gläubiger erfasste Forderungen sind die Gläubiger mit 19 Namen und Vornamen (natürliche Personen) bzw. mit Firmierung und Rechtsform (juristische Personen) zu bezeichnen. Darüber hinaus sollte auch die zustellungsfähige Anschrift angegeben werden. Sofern ein Vertreter des Gläubigers bestellt wurde, sollte auch dieser in dem Verzeichnis der Gläubiger aufgenommen werden. 2.4
Betrag und Grund der Forderung
In dem Verzeichnis der Gläubiger ist jede einzelne angemeldete Forderung zu erfassen, 20 wobei jeweils zwischen Haupt- und Nebenforderungen (d. h. Zinsen und Kosten) unterschieden wird. Daneben ist in einem Begleittext der Grund der Forderung anzugeben, z. B. Gehaltsforderung, Warenlieferung, Mietforderung, Darlehen etc. Praxishinweis: Zwischen dem Verzeichnis der Gläubiger gemäß Insolvenzplan und der 21 Insolvenztabelle sollten nach Möglichkeit keine betragsmäßigen Differenzen bestehen. Da die Insolvenztabelle in der Praxis häufig erst unmittelbar vor dem Abstimmungstermin finalisiert wird, sollten die Planverfasser das Verzeichnis der Gläubiger fortlaufend aktualisieren. 2.5
Ergebnis der Forderungsprüfung
Neben dem Betrag und dem Grund der Forderung sollte in dem Verzeichnis der Gläubiger 22 auch das Ergebnis der Forderungsprüfung angegeben werden, so dass für den Gläubiger erkennbar ist, ob und inwieweit seine Forderung als festgestellt gilt oder nicht. Grundsätzlich nehmen nur im Prüfungstermin festgestellte Forderungen an der Verteilung in einem Insolvenzplan teil. Für bestrittene Insolvenzforderungen werden in Insolvenzplänen häufig Ausschüttungsrückbehalte i. H. des möglichen Quotenanspruchs des Gläubigers gebildet. Die Ausschüttungsrückbehalte werden dabei z. B. nur im Fall eines Obsiegens des Gläubigers i. R. eines Feststellungsrechtsstreits ausgezahlt. 2.6
Quotenzahlung
Aus dem Verzeichnis der Gläubiger sollte für jeden einzelnen Gläubiger die ihm nach 23 dem Insolvenzplan zustehende Quotenzahlung ersichtlich sein. Sofern im Insolvenzplan vorgesehen ist, dass die Quotenzahlung in mehreren Raten erfolgt, sollten die Einzelbeträge mit Angabe des jeweiligen Zahlungstermins angegeben werden. Obwohl nicht festgestellte Forderungen an der Verteilung in einem Insolvenzplan grundsätzlich nicht teilnehmen, sollten i. H. des möglichen Quotenanspruchs des Gläubigers Ausschüttungsrückbehalte berücksichtigt werden. ___________ 20) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 5.
Zabel
759
§ 27 3.
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Beispiel
24 In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mustermann GmbH wurden Forderungen i. H. von 2.600.000 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Insolvenzplan der Mustermann GmbH sieht die Bildung von fünf Gläubigergruppen vor und wurde vor der Einreichung mit den wichtigsten Gläubigern erörtert. Die Gläubigerbefriedigung soll nach dem Insolvenzplan wie folgt erfolgen:
Die absonderungsberechtigten Gläubiger der Gruppe 1 erhalten als Tilgung insgesamt einen Betrag von 410.000 EUR über einen Zeitraum von drei Jahren, zahlbar jeweils am 31.12. eines Jahres.
Die ungesicherten Gläubiger der Gruppen 2 bis 5 erhalten insgesamt eine Quote von 5,0 % auf ihre festgestellte Forderung über einen Zeitraum von zwei Jahren, zahlbar jeweils am 31.12. eines Jahres.
25 Die Befriedigung der Gläubigergruppen ist i. E. im darstellenden und gestaltenden Teil des Insolvenzplans wie folgt geregelt: 26 Gruppe 1: In die Gruppe 1 werden sämtliche Kreditinstitute eingruppiert, soweit sie bei rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung dinglich gesichert sind. Es handelt sich um die Bank A und die Bank B. Soweit Kreditinstitute bei wirtschaftlicher oder rechtlicher Betrachtung ganz oder teilweise ungesichert sind, erfolgt eine Eingruppierung in die Gruppe 5.21) Soweit Absonderungsrechte der Mitglieder der Gruppe 1 bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht werthaltig sind, sind diese Gläubiger mit den ungesicherten Forderungsanteilen (Ausfallforderung) in die Gruppe 5 einzugruppieren. Die betroffenen Gläubiger mit der Höhe ihrer jeweils gesicherten Forderung einschließlich der Bestimmung der Höhe des Ausfalls bei der abgesonderten Befriedigung ergeben sich aus den Anlagen 1 und 2. Anlage 1: Gesicherte Forderungen der Grundpfandrechtsgläubiger (Gruppe 1)
27
Angemeldete Forderung
Nennbetrag EUR
Bank A
a)
(Forderungs-Nr. 5)
Investitionsdarlehen Nr. 01
Wert der Sicherheit (Gruppe 1)
Ausfallforderungen (Gruppe 5)
EUR
EUR
100.000,00
vom 28.9.2014 b)
Investitionsdarlehen Nr. 02
100.000,00
vom 01.12.2016 d)
Kontokorrentkredit
30.000,00 230.000,00
Bank B
a)
(Forderungs-Nr. 6)
Investitionsdarlehen Nr. 01
210.000,00
20.000,00
630.000,00
200.000,00
430.000,00
860.000,00
410.000,00
450.000,00
500.000,00
vom 15.7.2015 b)
Kontokorrentkredit
130.000,00
___________ 21) Es ist das sog. Mischgruppenverbot, BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein), zu beachten, wonach i. R. einer Gruppe Gläubiger mit werthaltigen und nicht werthaltigen Absonderungsrechten nicht zusammengefasst werden dürfen.
760
Zabel
§ 27
Plananlagen Hinweise:
– Die Bank A hat Forderungen i. H. von insgesamt 230.000 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Forderungen betreffen mit 30.000 EUR eine Kontokorrentlinie sowie mit jeweils 100.000 EUR zwei Investitionsdarlehen. Die Bankverbindlichkeiten wurden durch die Sicherungsübereignung von zwei Maschinen gesichert. Der Fortführungswert der Maschinen wurde durch ein sachverständiges Gutachten mit 210.000 EUR bewertet. Die Gesamtforderung ist auf die Gruppe 1 i. H. von 210.000 EUR und auf die Gruppe 5 i. H. von 20.000 EUR aufzuteilen. – Die Bank B hat Forderungen i. H. von insgesamt 630.000 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Forderungen betreffen mit 130.000 EUR eine ungesicherte Kontokorrentlinie sowie mit 500.000 EUR ein Investitionsdarlehen, das durch eine Hypothek auf eine Lagerhalle gesichert ist. Der Fortführungswert der Lagerhalle wurde in einem Sachverständigengutachten mit 200.000 EUR bewertet. Die Gesamtforderung ist auf die Gruppe 1 i. H. von 200.000 EUR und auf die Gruppe 5 i. H. von 430.000 EUR aufzuteilen.
Anlage 2: Verzeichnis der Gläubiger nebst Tilgungsplan der Gruppe 1 Gruppe
Nr.
Gläubiger
1
5
Bank A Musterstraße 1 99999 Musterort
1
6
Bank B Musterstraße 1 99999 Musterort
Forderung EUR
28
Grund der Forderung
Prüfungsergebnis
Zahlung EUR
31.12.2018 EUR
31.12.2019 EUR
31.12.2020 EUR
210.000,00
Darlehensforderung Wert der Sicherungsrechte: EUR 210.000,00 (ungesicherter Teil, Gruppe 5 – Nr. 5)
Festgestellt
210.000,00
70.000,00
70.000,00
70.000,00
200.000,00
Darlehensforderung Wert der Sicherungsrechte: EUR 200.000,00 (ungesicherter Teil, Gruppe 5 – Nr. 6)
Festgestellt
200.000,00
66.666,67
66.666,67
66.666,66
410.000,00
136.666,67
136.666,67
136.666,66
410.000,00
Hinweise: – Die Bank A erhält als Tilgung einen Betrag i. H. von insgesamt 210.000 EUR (Wert der Sicherheit), der in drei gleichen Raten am 31.12.2018, 31.12.2019 und 31.12.2020 ausgezahlt wird. – Die Bank B erhält als Tilgung einen Betrag i. H. von insgesamt 200.000 EUR (Wert der Sicherheit), der in drei gleichen Raten am 31.12.2018, 31.12.2019 und 31.12.2020 ausgezahlt wird.
Gruppe 2:
29
In die Gruppe 2 werden sämtliche Vorbehaltslieferanten und sonstige Lieferanten eingruppiert. Da in die Aus- oder Absonderungsrechte von Vorbehaltslieferanten nicht durch den Insolvenzplan eingegriffen wird (sämtliche dinglichen Rechte der Lieferanten wurden durch außerhalb des Insolvenzplans getroffene Vereinbarungen abgefunden), sind in dieser Gruppe alle ungesicherten (Ausfall-)Forderungen von Vorbehaltslieferanten und/oder sonstigen Lieferanten erfasst. Die Lieferanten haben ein besonderes Interesse an dem Fortbestand der Kundenbeziehung. Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen können nach § 222 Abs. 2 InsO in einer Gruppe zusammengefasst werden. Die betroffenen Gläubiger ergeben sich mit ihren angemeldeten Forderungen aus Anlage 3.
Zabel
761
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Anlage 3: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 2
30 Gruppe
Nr.
Gläubiger
Forderung EUR
Grund der Forderung
Prüfungsergebnis
2
1
Lieferant A Musterstraße 1 99999 Musterort
120.000,00
Warenlieferung
Festgestellt
2
2
Lieferant B Musterstraße 1 99999 Musterort
27.000,00
Warenlieferung
Bestritten in voller Höhe
2
3
Lieferant C Musterstraße 1 99999 Musterort
9.000,00
Warenlieferung
2
7
Lieferant D Musterstraße 1 99999 Musterort
86.000,00
Warenlieferung
31.12.2018 EUR
31.12.2019 EUR
31.12.2020 EUR
6.000,00
3.000,00
3.000,00
0,00
1.350,00
675,00
675,00
0,00
Festgestellt
450,00
225,00
225,00
0,00
Festgestellt
4.300,00
2.150,00
2.150,00
0,00
12.100,00
6.050,00
6.050,00
0,00
242.000,00
Zahlung EUR
Hinweise: – Der Lieferant A erhält eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 6.000 EUR, d. h. 5 % auf die festgestellte Forderung von 120.000 EUR, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2018 und 31.12.2019 ausgezahlt wird. – Die Forderung des Lieferanten B wurde vom Insolvenzverwalter bestritten. Da nur festgestellte Forderungen an einer Quotenzahlung teilnehmen, ist i. H. des möglichen Quotenanspruchs des Gläubigers ein Ausschüttungsrückbehalt zu berücksichtigen. Dieser beträgt 1.350 EUR, d. h. 5 % auf die bestrittene Forderung von 27.000 EUR. In dem Verzeichnis der Gläubiger wurde dieser Betrag in zwei gleichen Raten am 31.12.2018 und 31.12.2019 als mögliche Auszahlung berücksichtigt.
31 Gruppe 3: In die Gruppe 3 wird nur der Pensionssicherungsverein eingruppiert. Der betroffene Gläubiger ergibt sich mit seiner angemeldeten Forderung aus Anlage 4. 32
Anlage 4: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 3 Gruppe
Nr.
3
4
Gläubiger
Forderung EUR
Grund der Forderung
Prüfungsergebnis
Zahlung EUR
31.12.2018 EUR
31.12.2019 EUR
31.12.2020 EUR
PensionsSicherungs-Verein Bahnstraße 6 50996 Köln
800.000,00
Pensionszusagen
Festgestellt
40.000,00
20.000,00
20.000,00
0,00
40.000,00
20.000,00
20.000,00
0,00
800.000,00
Hinweis: Der Pensionssicherungsverein erhält eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 40.000 EUR, d. h. von 5 % auf die festgestellte Forderung von 800.000 EUR, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2018 und 31.12.2019 ausgezahlt wird. Ein etwaiger im darstellenden und gestaltenden Teil des Insolvenzplans geregelter Besserungsschein ist nicht in dem Verzeichnis der Gläubiger zu berücksichtigen, da dieser über die Quotenzahlung hinaus gewährt wird.
762
Zabel
§ 27
Plananlagen Gruppe 4:
33
In die Gruppe 4 werden alle Arbeitnehmerforderungen sowie Behörden, auf die Arbeitnehmerforderungen übergegangen sind, eingruppiert. Für Arbeitnehmer soll nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO eine gesonderte Gruppe gebildet werden. Auch soweit Arbeitnehmerforderungen auf eine Behörde übergegangen sind, liegt ein sachgerechtes wirtschaftliches Abgrenzungskriterium (§ 222 Abs. 2 InsO) vor. Die betroffenen Gläubiger ergeben sich mit ihren angemeldeten Forderungen aus Anlage 5. Anlage 5: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 4 Gruppe
Nr.
Gläubiger
4
8
Arbeitnehmer A Musterstraße 1 99999 Musterort
4
9
4
Forderung EUR
Grund der Forderung
Prüfungsergebnis
600,00
Reisekosten
Festgestellt
Arbeitnehmer B Musterstraße 1 99999 Musterort
500,00
Reisekosten
10
Arbeitnehmer C Musterstraße 1 99999 Musterort
100,00
4
11
Arbeitnehmer D Musterstraße 1 99999 Musterort
4
12
4
13
31.12.2018 EUR
31.12.2019 EUR
31.12.2020 EUR
30,00
15,00
15,00
0,00
Festgestellt
25,00
12,50
12,50
0,00
Reisekosten
Festgestellt
5,00
2,50
2,50
0,00
150,00
Reisekosten
Festgestellt
7,50
3,75
3,75
0,00
Arbeitnehmer E Musterstraße 1 99999 Musterort
220,00
Reisekosten
Festgestellt
11,00
5,50
5,50
0,00
Bundesagentur für Arbeit Musterstraße 1 99999 Musterort
553.000,00
Insolvenzgeld
Festgestellt
27.650,00
13.825,00
13.825,00
0,00
27.728,50
13.864,25
13.864,25
0,00
554.570,00
Zahlung EUR
Gruppe 5:
34
In diese Gruppe werden alle sonstigen Insolvenzgläubiger eingruppiert. Auch die Kreditinstitute (vgl. Gruppe 1) gehören in diese Gruppe, soweit ihnen entweder bei rechtlicher Betrachtung aufgrund z. B. enger Sicherungszweckabreden oder sonstiger Gründe keine Sicherungsrechte zustehen oder bei wirtschaftlicher Betrachtung von einem Ausfall bei der abgesonderten Befriedigung auszugehen ist. Der maßgebliche Wert der Absonderungsrechte wurde mit den Kreditinstituten im Vorfeld der Einreichung des Insolvenzplans mit 410.000 EUR abgestimmt. Die Abgrenzung aller übrigen Gläubiger ergibt sich daraus, ob es sich um ungesicherte Insolvenzforderungen handelt, soweit keine Eingruppierung in eine der Gruppen 1 bis 4 erfolgt. Die betroffenen Gläubiger ergeben sich mit ihren angemeldeten Forderungen aus Anlage 6.
Zabel
763
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Anlage 6: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 5
35 Gruppe
Nr.
Gläubiger
5
5
Bank A Musterstraße 1 99999 Musterort
5
6
5
Forderung EUR
Grund der Forderung
Prüfungsergebnis
20.000,00
Darlehensforderung ungesicherter Teil (gesicherter Teil, Gruppe 1 – Nr. 5)
Festgestellt
Bank B Musterstraße 1 99999 Musterort
430.000,00
Darlehensforderung ungesicherter Teil (gesicherter Teil, Gruppe 1 – Nr. 6)
14
Krankenkasse A Musterstraße 1 99999 Musterort
25.000,00
5
15
Krankenkasse B Musterstraße 1 99999 Musterort
5
16
Finanzamt Musterort Musterstraße 1 99999 Musterort
31.12.2018 EUR
31.12.2019 EUR
31.12.2020 EUR
1.000,00
500,00
500,00
0,00
Festgestellt
21.500,00
10.750,00
10.750,00
0,00
Beiträge zur Sozialversicherung
Festgestellt
1.250,00
625,00
625,00
0,00
48.430,00
Beiträge zur Sozialversicherung
Festgestellt
2.421,50
1.210,75
1.210,75
0,00
70.000,00
Umsatzsteuer 2016
Bestritten in voller Höhe
3.500,00
1.750,00
1.750,00
0,00
29.671,50
14.835,75
14.835,75
0,00
593.430,00
Zahlung EUR
Hinweise: – Die Bank A erhält für den ungesicherten Teil der Forderung eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 1.000 EUR, d. h. 5 % auf die festgestellte ungesicherte Forderung von 20.000 EUR, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2018 und 31.12.2019 ausgezahlt wird. – Die Bank B erhält für den ungesicherten Teil der Forderung eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 21.500 EUR, d. h. 5 % auf die festgestellte ungesicherte Forderung von 430.000 EUR, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2018 und 31.12.2019 ausgezahlt wird.
36 Neben den einzelnen Verzeichnissen der Gläubiger sollte die Gläubigerbefriedigung auch zusammenfassend in einer Übersicht dargestellt werden. Diese Übersicht kann als gesonderte Plananlage oder auch in den darstellenden Teil übernommen werden (siehe nächste Seite).
764
Zabel
Gruppe 1
Zabel 100,0 100,0
593.430,00
2.600.000,00
Gruppe 5
Übrige Gläubiger
100,0
100,0
100,0
100,0
554.570,00
800.000,00
242.000,00
410.000,00
%
Arbeitnehmerforderungen Bundesagentur für Arbeit
Gruppe 4
Pensions-SicherungsVerein
Gruppe 3
Lieferanten
Gruppe 2
Absonderungsberechtigte K r e d i t i ns t i t u t e
EUR
(laut Insolvenztabelle)
Angemeldete Forderungen
2.080.500,00
563.758,50
526.841,50
760.000,00
229.900,00
0,00
EUR
Erlass
80,0
95,0
95,0
95,0
519.500,00
29.671,50
27.728,50
40.000,00
12.100,00
410.000,00
0,0
95,0
EUR
%
gesamt
20,0
5,0
5,0
5,0
5,0
100,0
%
514.650,00
26.171,50
27.728,50
40.000,00
10.750,00
410.000,00
EUR
99,1
88,2
100,0
100,0
88,8
100,0
%
davon Tilgungs- bzw. Quotenzahlung
Tilgungs- bzw. Quotenzahlung
4.850,00
3.500,00
0,00
0,00
1.350,00
0,00
EUR
0,0
%
0,9
11,8
0,0
0,0
11,2
davon Ausschüttungsrückbehalt
Plananlagen
§ 27
765
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
IV.
Plananlagen nach §§ 153, 229 InsO
1.
Plananlagen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
37 Der Insolvenzverwalter hat nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), ein Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) sowie eine Vermögensübersicht (§ 153 InsO) zu erstellen. Darüber hinaus hat der Insolvenzverwalter auf den Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Handelsbilanz (§ 155 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 InsO) aufzustellen. Nach § 281 Abs. 1 und 3 InsO gehen im Fall der Eigenverwaltung diese Pflichten auf den Schuldner über. Zum Zwecke der Information der Gläubiger sollten zumindest die Vermögensübersicht und die Handelsbilanz dem Insolvenzplan als gesonderte Anlagen beigefügt werden. 1.1
Vermögensübersicht (§ 153 InsO)
1.1.1 Begriff 38 Nach § 153 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine geordnete Übersicht aufzustellen, in der die Gegenstände der Insolvenzmasse und die Verbindlichkeiten des Schuldners aufgeführt und gegenübergestellt werden.22) Die Vermögensübersicht dient der übersichtlichen Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden. 39 Das Insolvenzgericht kann auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers dem Schuldner nach § 153 Abs. 2 InsO aufgeben, die Vollständigkeit der Vermögensübersicht eidesstattlich zu versichern.23) Hieraus wird die besondere Bedeutung der Vermögensübersicht für das Insolvenzverfahren deutlich.24) 40 Die handels- und steuerrechtlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften sind für die Aufstellung der Vermögensübersicht ohne Bedeutung,25) so dass die Handelsbilanz zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verwendet werden kann.26) In der Praxis wird allerdings die handelsrechtliche Buchführung für die Prüfung der Vollständigkeit der Vermögensübersicht herangezogen.27) 1.1.2 Funktionen 41 Die Vermögensübersicht soll insbesondere über das vorhandene Vermögen und die zu erwartenden Verwertungserlöse informieren, so dass sie für die Verfahrensbeteiligten die nachfolgenden Funktionen erfüllt:28) 42 Planungsfunktion, d. h. anhand der Vermögensübersicht sollen i. R. einer Prognoserechnung die zu erwartenden Verwertungsergebnisse der Gegenstände der Insolvenzmasse sowie die voraussichtliche Gläubigerbefriedigung (Quote) prognostiziert werden. 43 Vergleichsfunktion, d. h. anhand der Vermögensübersicht sollen i. R. einer Vergleichsrechnung die voraussichtlichen Verwertungsergebnisse der Gegenstände der Insolvenz___________ 22) In Teilen der Literatur wird die Vermögensübersicht in Anlehnung an die Terminologie der KO als Insolvenzeröffnungsbilanz bezeichnet, vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 439; Wipperfürth, in: KPB, InsO, § 153 Rz. 1 spricht von einer besonderen Insolvenzbilanz; krit. dazu u. a. Wegener, in: Wimmer, InsO, § 153 Rz. 2; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 1. 23) Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 3 ff.; Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 13 ff. 24) Vgl. Wegener, in: Wimmer, InsO, § 153 Rz. 1. 25) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 1. 26) Vgl. IDW RH HFA 1.011, WPg Supplement 3/2008, 49, Rz. 16; ebenso: Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 1. 27) Vgl. Pink, ZIP 1997, 183. 28) In Anlehnung an IDW RH HFA 1.011, WPg Supplement 3/2008, 49, Rz. 13.
766
Zabel
§ 27
Plananlagen
masse sowie die voraussichtliche Gläubigerbefriedigung (Quote) für den Fall der Fortführung und Liquidation gegenübergestellt werden. Kontrollfunktion, d. h. anhand der Vermögensübersicht sollen i. R. einer Schlussrech- 44 nung die tatsächlichen Verwertungsergebnisse der Gegenstände der Insolvenzmasse sowie die tatsächliche Gläubigerbefriedigung (Quote) den prognostizierten Werten gegenübergestellt werden. 1.1.3 Grundsätze Bei der Vermögensübersicht handelt es sich um ein mit der Handelsbilanz vergleichbares 45 Rechenwerk,29) für das die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung (GoB) zu beachten sind.30) Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Rahmengrundsätze i. E. zu berücksichtigen:31) Richtigkeit und Willkürfreiheit, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Posi- 46 tionen sind den Tatbeständen entsprechend zu bezeichnen und richtig und willkürfrei zu bewerten. Da es sich bei der Bewertung um Schätzungen und Prognosen handelt, ist der Grundsatz in diesem Sinne auch als Grundsatz der sorgfältigen Prognose32) zu verstehen. Vollständigkeit, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen sind voll- 47 ständig unter Berücksichtigung etwaiger Drittrechte zu erfassen. Um die Vollständigkeit sicherzustellen, ist die Durchführung einer Inventur erforderlich. Der Grundsatz der Vollständigkeit bezieht sich auf die Gegenstände der Insolvenzmasse und die Verbindlichkeiten des Schuldners. Wesentlichkeit, d. h. in der Vermögensübersicht sind nur solche Sachverhalte zu berück- 48 sichtigen, bei denen der Aufwand für die Informationsgewinnung in einem vertretbaren Verhältnis zum Mehrwert der erlangten Informationen für die Beteiligten steht. Insofern sind nur solche Sachverhalte zu berücksichtigen, die sich auf die voraussichtliche Gläubigerbefriedigung (Quote) auswirken.33) Klarheit, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen sind so zu ordnen, 49 dass ein Dritter das Zahlenmaterial nachprüfen kann. Der Grundsatz der Klarheit bezieht sich somit auf die Qualität der äußeren Gestaltung, d. h. die Form der Aufzeichnungen der in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen.34) Neutrale Wertermittlung, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen 50 sind von einer neutralen Bezugsbasis aus zu bewerten.35) Somit ist weder die günstigste noch ungünstige Verwertungsalternative zu unterstellen.36) Stichtagsprinzip, d. h. die Vermögensübersicht ist nach § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO auf den 51 Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzustellen, wobei wertaufhellende und wertbegründende Tatsachen zu berücksichtigen sind.37) ___________ 29) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 1. 30) Vgl. IDW RH HFA 1.011, WPg Supplement 3/2008, 49, Rz. 19. 31) In Anlehnung an Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 473 ff.; Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 2 ff. 32) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 474. 33) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 5. 34) Zwei besondere Ausprägungen des Grundsatzes der Klarheit sind das grundsätzliche Saldierungsverbot i. S. des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB und der gesonderte Ausweis von Drittrechten auf der Aktivseite der Vermögensübersicht, vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 6. 35) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 479. 36) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 4. 37) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 1.
Zabel
767
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
1.1.4 Rechenwerke der Vermögensübersicht 52 Die Vermögensübersicht wird aus dem Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO) und dem Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) abgeleitet, wobei auf die Darstellung von Einzelpositionen und Mengenangaben regelmäßig verzichtet wird. Insofern handelt es sich bei der Vermögensübersicht um ein dreiteiliges Rechenwerk. Vermögensübersicht Vermögen
Verbindlichkeiten
Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO)
1.1.4.1
Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO)
Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO)
1.1.4.1.1 Begriff 53 Nach § 151 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse aufzustellen.38) Bei der Eigenverwaltung ist das Verzeichnis der Massegegenstände nach § 281 Abs. 1 InsO durch den Schuldner aufzustellen. Mit dem Verzeichnis der Massegegenstände werden sämtliche zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände erfasst, so dass es sich um eine Einzelaufstellung der durch den Insolvenzverwalter nach § 148 Abs. 1 InsO in Besitz und Verwaltung genommenen Gegenstände handelt. 1.1.4.1.2 Inventur 54 Die in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmenden Gegenstände sind grundsätzlich durch eine körperliche Bestandsaufnahme i. S. der §§ 240 ff. HGB durch Messen, Zählen oder Wiegen zu erfassen und aufzuzeichnen.39) Dabei sind die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur unter Berücksichtigung der insolvenzspezifischen Besonderheiten zu beachten:40)
Klarheit, Nachprüfbarkeit und Dokumentation,
Vollständigkeit,
Wahrheit, Richtigkeit und Willkürfreiheit sowie
Einzelerfassung der Bestände.
55 Bei der Durchführung der Inventur können die handelsrechtlichen Inventurvereinfachungsverfahren i. S. des § 241 HGB (Stichprobenverfahren, permanente Inventur, vor___________ 38) Der Zeitpunkt der Aufstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände ergibt sich nicht aus der Vorschrift des § 151 InsO. Aufgrund der Funktion des Verzeichnisses als Teil-Rechenwerk der Vermögensübersicht ist vielmehr auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzustellen, vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 2; Wegener, in: Wimmer, InsO, § 151 Rz. 13. 39) Vgl. Wegener, in: Wimmer, InsO, § 151 Rz. 10; Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 2. 40) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 1 mit Verweis auf IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 7 m. w. N.
768
Zabel
§ 27
Plananlagen
bzw. nachverlagerte Stichtagsinventur) grundsätzlich angewendet werden.41) Die Anwendung solcher Vereinfachungsverfahren sollte aber nur in Ausnahmefällen erfolgen.42) Es ist nicht zu beanstanden, wenn i. R. der Durchführung der körperlichen Bestandsauf- 56 nahme Unterlagen des handelsrechtlichen Jahresabschlusses (z. B. Inventarlisten) als Orientierungshilfe verwendet werden.43) Hierbei ist jedoch zu beachten, dass derartige Unterlagen nicht ungeprüft verwendet werden dürfen.44) Sofern einzelne Massegegenstände nicht durch körperliche Bestandsaufnahme aufgenom- 57 men werden können (z. B. Patente, Forderungen etc.), erfolgt die Bestandsaufnahme durch Urkunden, Verträge oder Saldenbestätigungen.45) In das Verzeichnis der Massegegenstände sind sämtliche zur Insolvenzmasse gehörende 58 Gegenstände aufzunehmen. Hierzu gehören auch Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen. Insolvenzspezifische Rechte (z. B. Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO), die erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden, sind ebenfalls in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmen.46) Gegenstände, an denen Aussonderungsrechte bestehen, sind grundsätzlich nicht in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmen.47) 1.1.4.1.3 Bewertung Nach § 151 Abs. 2 InsO ist für jeden Gegenstand der Insolvenzmasse grundsätzlich der Fort- 59 führungs- und Liquidationswert48) anzugeben. Mit den alternativen Wertangaben soll die Vorteilhaftigkeit der Fortführung bzw. der Liquidation des Unternehmens dokumentiert werden.49) Auf die Angabe des Fortführungswerts kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn eine Unternehmensfortführung aus objektiven Gründen nicht in Betracht kommt.50) Der Fortführungswert eines Gegenstands entspricht dem i. R. einer Gesamtveräußerung 60 voraussichtlich auf den einzelnen Gegenstand entfallenden Anteil des erzielbaren Gesamtkaufpreises des Unternehmens, wobei stille Reserven grundsätzlich zu berücksichtigen sind.51) Sofern Kaufpreisangebote nicht vorliegen, ist der Unternehmenswert52) anzusetzen. Der Liquidationswert eines Gegenstands entspricht dem i. R. einer Einzelveräußerung vor- 61 aussichtlich erzielbaren Verwertungserlös abzüglich noch zu erwartender Aufwendungen für die Veräußerung.53) Dabei ist der zu bewertende Gegenstand anhand seiner Art, techni___________ 41) Vgl. Füchsl/Weishäupl, in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 3; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 4; Wegener, in: Wimmer, InsO, § 151 Rz. 12. 42) Vgl. IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 27 f. 43) Vgl. Wegener, in: Wimmer, InsO, § 151 Rz. 7. 44) Vgl. IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 11. 45) Vgl. IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 8. 46) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, 151 Rz. 7; Wegener, in: Wimmer, InsO, § 151 Rz. 8. 47) Sofern Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt erworben wurden und der Insolvenzverwalter die Erfüllung nach § 107 Abs. 2 InsO noch nicht abgelehnt hat, sollten die Gegenstände in das Verzeichnis der Massegegenstände aufgenommen werden, da noch nicht feststeht, ob ein Aussonderungsrecht besteht, vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 6. 48) In der Literatur werden u. a. auch die Begriffe „Zerschlagungswert“ oder „Realisationswert“ verwendet. 49) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 519; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 6 ff. 50) Vgl. IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 32. 51) Vgl. IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 37. 52) Zu den Verfahren der Unternehmensbewertung vgl. vertiefend IDW S 1 i. d. F. 2008, IDW Life 8/2016, 731. 53) Vgl. Förschle/Hoffmann, in: Winkeljohann/Förschle/Deubert, Sonderbilanzen, Kap. P, Rz. 100; a. A. IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 34, wonach die Kosten der Verwertung unter den Masseverbindlichkeiten zu erfassen sind.
Zabel
769
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
schen Qualität, wirtschaftlichen und rechtlichen Beschaffenheit sowie der vorhandenen Menge zu beurteilen und unter Berücksichtigung der Verwertungsstrategie des Insolvenzverwalters und den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens zu bewerten.54) 62 Die Bewertung der Gegenstände der Insolvenzmasse führt in der Praxis häufig zu erheblichen Problemen.55) Neben zahlreichen Einzelfragen der Wertermittlung56) besteht bei der Ermittlung der Fortführungswerte insbesondere die Schwierigkeit der Aufteilung eines Unternehmenswerts auf die einzelnen zu bewertenden Gegenstände.57) In der Literatur werden in diesem Zusammenhang zahlreiche Bewertungsansätze diskutiert, die in der Praxis regelmäßig keine Anwendung finden. Dies führt dazu, dass in der Praxis die Bewertung häufig i. R. von Schätzungen durchgeführt wird.58) 1.1.4.1.4 Form 63 Für das Verzeichnis der Massegegenstände enthält das Gesetz keine gesonderten Gliederungsvorschriften, sondern lediglich den Hinweis auf die Angabe von Fortführungs- und Liquidationswerten. Für die vertikale Gliederung hat sich in der Praxis die Verwendung des Bilanzgliederungsschemas nach § 266 HGB bewährt, da dieses grundsätzlich der Gliederung der Aktivseite als Vermögensübersicht entspricht.59) Bei der horizontalen Gliederung sind die Fortführungs- und Liquidationswerte sowie informativ die Buchwerte aufzuführen. Beispiel Buchwert (informativ)
Fortführungswert
Liquidationswert
EUR
EUR
EUR
Anmerkungen
A. Anlagevermögen I. Immat. Vermögensgegenstände 1. Selbst geschaffene Schutzrechte etc. …
…
…
…
vgl. Anlage 1
…
…
…
…
vgl. Anlage 2
…
…
…
…
…
…
…
vgl. Anlage 3
…
…
…
…
vgl. Anlage 4
…
…
…
…
…
…
2. Entgeltlich erworbene Schutzrechte etc.
…
… …
___________ 54) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 495 ff. 55) Vgl. Haffa/Leichtle, in: Braun, InsO, § 151 Rz. 10; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 6. 56) Zu Einzelfragen der Wertermittlung vgl. u. a. Förschle/Hoffmann, in: Winkeljohann/Förschle/Deubert, Sonderbilanzen, Kap. P, Rz. 110 ff.; IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 39 ff. 57) Vgl. Heni, WPg 1990, 93, 96. 58) Die Bewertung des beweglichen Anlagevermögens wird in der Praxis regelmäßig durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen durchgeführt. Andres, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 151 Rz. 24 schlägt vor, die Ermittlung der Fortführungswerte auf einen Wirtschaftsprüfer zu übertragen. 59) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 8.
770
Zabel
§ 27
Plananlagen
Die für das Verzeichnis der Massegegenstände verwendeten Unterlagen (z. B. Aufnahme- 64 belege, Saldenlisten, Bestätigungen Dritter etc.) sowie ergänzende Erläuterungen sollten zur Dokumentation gesondert aufbewahrt werden. 1.1.4.2
Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO)
1.1.4.2.1 Begriff Nach § 152 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Eröffnung des In- 65 solvenzverfahrens ein Verzeichnis aller Gläubiger des Schuldners (Gläubigerverzeichnis) aufzustellen, die ihm aus den Büchern und Geschäftspapieren des Schuldners, durch sonstige Angaben des Schuldners, durch die Anmeldung ihrer Forderungen oder auf andere Weise bekannt geworden sind. Bei der Eigenverwaltung ist das Gläubigerverzeichnis nach § 281 Abs. 1 InsO durch den Schuldner aufzustellen. Das Gläubigerverzeichnis unterscheidet sich von dem als Anlage zum Insolvenzplan bei- 66 gefügten Verzeichnis der Gläubiger dadurch, dass in das Gläubigerverzeichnis sämtliche bekannten Gläubiger mit ihren Forderungen aufzunehmen sind, in das Verzeichnis der Gläubiger hingegen nur Gläubiger, die eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet haben und demnach an der Verteilung teilnehmen.60) 1.1.4.2.2 Inhalt In dem Gläubigerverzeichnis sind für jeden Gläubiger unter Angabe der ladungsfähigen 67 Anschrift der Grund und die Höhe der Forderung nach den folgenden vier Kategorien aufzunehmen:61)
Massegläubiger,
absonderungsberechtigte Gläubiger,
nicht nachrangige Insolvenzgläubiger sowie
nachrangige Insolvenzgläubiger.
Mit der Aufnahme der Massegläubiger in das Gläubigerverzeichnis wird das Stichtags- 68 prinzip durchbrochen, da künftige Aufwendungen zum Zwecke der Quotenschätzung antizipiert werden.62) Es handelt sich um Verfahrenskosten nach § 54 InsO und sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO. Für absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 ff. InsO) sind nach § 152 Abs. 2 Satz 3 69 InsO zusätzlich der Gegenstand, an dem das Absonderungsrecht besteht, und die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls (§ 52 InsO) zu bezeichnen, wobei bei der Bewertung Fortführungs- und Liquidationswerte zu berücksichtigen sind. Aussonderungsberechtigte Gläubiger (§ 47 InsO) sind grundsätzlich nicht in das Gläubigerverzeichnis aufzunehmen.63) Die Aufnahme in das Gläubigerverzeichnis sollte aber im Einzelfall davon abhängig gemacht werden, ob der aussonderungsberechtigte Gegenstand in das Verzeichnis der Massegegenstände aufgenommen wurde.64) ___________ 60) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 3; Wegener, in: Wimmer, InsO, § 152 Rz. 7. 61) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 152 Rz. 4. 62) IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 71. 63) Vgl. Wipperfürth, in: KPB, InsO, § 152 Rz. 13. 64) Sofern Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt erworben wurden und der Insolvenzverwalter die Erfüllung nach § 107 Abs. 2 InsO noch nicht abgelehnt hat, sollten die Gegenstände in das Verzeichnis der Massegegenstände und der aussonderungsberechtigte Gläubiger in das Gläubigerverzeichnis aufgenommen werden, vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 6.
Zabel
771
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
70 Aus Gründen der Transparenz sollten aufrechnungsberechtigte Gläubiger im Gläubigerverzeichnis aufgenommen und die Aufrechnungsmöglichkeit gesondert dargestellt werden.65) 1.1.4.2.3 Bewertung 71 Hinsichtlich der Bewertung der Verbindlichkeiten im Gläubigerverzeichnis verweist § 152 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 3 InsO auf § 151 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach sind die in das Gläubigerverzeichnis aufzunehmenden Positionen zu Fortführungs- und Liquidationswerten zu bewerten (zu weiteren Einzelheiten siehe Rz. 59 ff.). Die Verbindlichkeiten sind unabhängig von einer Fortführung oder Zerschlagung mit dem Rückzahlungsbetrag anzusetzen. Folglich können sich unterschiedliche Bewertungsalternativen aus der Bewertung der Absonderungsrechte ergeben.66) Darüber hinaus wirken sich die unterschiedlichen Bewertungsalternativen auf die Höhe der Masseverbindlichkeiten aus. 1.1.4.2.4 Form 72 Für das Gläubigerverzeichnis enthält das Gesetz keine gesonderten Gliederungsvorschriften, sondern lediglich den Hinweis auf die aufzunehmenden Gläubiger sowie die Angabe von Fortführungs- und Liquidationswerten.67) Für die vertikale Gliederung hat sich in der Praxis eine Differenzierung nach den aufzunehmenden Gläubigern (Massegläubiger, absonderungsberechtigte Gläubiger, nicht nachrangige Insolvenzgläubiger und nachrangige Insolvenzgläubiger) bewährt.68) Bei der horizontalen Gliederung sind Name und Anschrift, Forderungsgrund, Betrag der Forderung sowie Drittrechte aufzuführen. Bei der Darstellung der Drittrechte sind alternativ Fortführung- und Liquidationswerte anzugeben. Beispiel Drittrechte Name, ForderungsBetrag Absonde- Aufrech- Anmerkungen Anschrift grund rung nung EUR A.
EUR
EUR
Massegläubiger I.
Kosten des Insolvenzverfahrens 1. Kosten nach § 54 Nr. 1 InsO
…
…
…
…
…
vgl. Anlage 1
2. Kosten nach § 54 Nr. 2 InsO
…
…
…
…
…
vgl. Anlage 2
…
…
…
II. Sonstige Masseverbindlichkeiten 1. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
…
…
…
…
…
vgl. Anlage 3
2. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO
…
…
…
…
…
vgl. Anlage 4
3. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO
…
…
…
…
…
…
4. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO
…
…
…
…
…
…
5. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 3 InsO
…
…
…
…
…
…
6. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO
…
…
…
…
…
…
…
…
…
___________ 65) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 20. 66) Vgl. Wegener, in: Wimmer, InsO, § 152 Rz. 14. 67) Zum Aufbau eines Gläubigerverzeichnisses vgl. auch IDW RH HFA 1.010, WPg Supplement 3/2008, 37, Rz. 57 ff.; Heyn, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, 2. Aufl., 2010, S. 229 ff., 947 ff. 68) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 21.
772
Zabel
§ 27
Plananlagen
Drittrechte Name, ForderungsBetrag Absonde- Aufrech- Anmerkungen Anschrift grund rung nung B.
C.
Insolvenzgläubiger
…
1.
Absonderungsberechtigte Gläubiger
…
…
2.
Aufrechnungsberechtigte Gläubiger
…
…
3.
Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger
…
…
… …
…
… …
…
…
…
…
Nachrangige Insolvenzgläubiger
…
1.
Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO
…
…
…
…
…
2.
Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO
…
…
…
…
…
3.
Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO
…
…
…
…
…
4.
Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO
…
…
…
…
…
5.
Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO
…
…
…
…
…
6.
Forderungen nach § 39 Abs. 2 InsO
…
…
…
…
…
…
…
Die für das Gläubigerverzeichnis verwendeten Unterlagen (z. B. Saldenlisten, Bestäti- 73 gungen Dritter etc.) sowie ergänzende Erläuterungen sollten zur Dokumentation gesondert aufbewahrt werden. 1.1.5 Mustervorlage In der Literatur wurde vereinzelt die Auffassung vertreten, dass Fortführungs- und Liquida- 74 tionswerte in der Vermögensübersicht dargestellt werden sollten. Zum Zwecke einer übersichtlichen Darstellung hat sich in der Praxis jedoch bewährt, die Vermögensübersicht alternativ mit Fortführungs- und Liquidationswerten in jeweils gesonderter Form zu erstellen.69) (Beispiel für eine Vermögensübersicht siehe unten § 52 Musterplan, Anlage 2.1.2.) 1.2
Handelsbilanz (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO)
1.2.1 Neues Geschäftsjahr Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt nach § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein 75 neues Geschäftsjahr.70) Nach § 240 Abs. 2 Satz 2 InsO umfasst das neue Geschäftsjahr beginnend mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens höchstens zwölf Monate, es kann aber wie in der Praxis allgemein üblich auch zu einem weiteren Rumpfgeschäftsjahr verkürzt werden, um wieder zum gewöhnlichen Geschäftsjahresrhythmus zurückzukehren.71)
___________ 69) Vgl. Wipperfürth, in: KPB, InsO, § 153 Rz. 14. 70) Die Vorschrift des § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt nur für schuldnerische Unternehmen, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur handelsrechtlichen Buchführung verpflichtet waren, vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 6. 71) Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 10. Bei Kapitalgesellschaften ist eine Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister oder innerhalb von zwölf Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine sonstige Mitteilung an das Registergericht erforderlich (vgl. BGH v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, DStR 2015, 178, Rz. 13, 22 f. = ZIP 2015, 88, dazu EWiR 2015, 223 (Wachter); BGH v. 21.2.2017 – II ZB 16/15, ZIP 2017, 732, dazu EWiR 2017, 341 (Nordholtz/Kubik)).
Zabel
773
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
1.2.2 Schlussbilanz 76 Da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr beginnt, ist nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB auf den Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens72) eine Schlussbilanz und nach § 242 Abs. 2 HGB eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen.73) Die Schlussbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung bilden den (Rumpfgeschäftsjahres-)Abschluss nach § 242 Abs. 3 HGB. Dieser Zwischenabschluss umfasst folglich den Zeitraum zwischen dem Schluss des letzten regulären Geschäftsjahres und dem Tag vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.74) 77 Nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB ist für Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB dieser Zwischenabschluss um einen Anhang (§§ 284 ff. HGB) zu erweitern. Zudem haben mittelgroße und große Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB einen Lagebericht (§§ 289 f. HGB) aufzustellen.75) 78 Sofern das Unternehmen i. R. eines Insolvenzplanverfahrens saniert wird, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Unternehmen über den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Schlussbilanz nach den allgemeinen (handelsrechtlichen) Bilanzierungsvorschriften des HGB aufzustellen,76) wobei i. R. der Bewertung von der Going-Concern-Prämisse nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB auszugehen ist.77) Grundlage für die Anwendung der Going-Concern-Prämisse ist jedoch das für den Insolvenzplan verfolgte Unternehmenskonzept,78) aus dem sich die Fortführung der Unternehmenstätigkeit ergibt. 79 Es ist darauf hinzuweisen, dass insolvenzspezifische Ansprüche (z. B. Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO) und Verpflichtungen (z. B. Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 63 InsO) bei der Aufstellung der Schlussbilanz nicht zu erfassen sind.79) 80 Die Verpflichtung zur Aufstellung der handelsrechtlichen Schlussbilanz auf den Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter.80) Bei der Eigenverwaltung ist die Schlussbilanz nach § 281 Abs. 3 InsO durch den Schuldner aufzustellen. 81 Im Rahmen eines Insolvenzplans sollte der vollständige (Rumpfgeschäftsjahres-)Abschluss nach § 242 Abs. 3 HGB als gesonderte Anlage beigefügt werden. ___________ 72) Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 12. Nach Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 44 i. V. m. Rz. 27 ist die Schlussbilanz auf den Zeitpunkt (Datum und Uhrzeit) der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzustellen. 73) Vgl. Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 44. 74) Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 12. 75) Die Verpflichtung zur Aufstellung der Schlussbilanz sowie für alle weiteren noch nicht aufgestellten Jahresabschlüsse und ggf. Lageberichte bzw. Konzernabschlüsse und -lageberichte liegt beim Insolvenzverwalter, vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 14. 76) Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 6, die darauf hinweisen, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO keine Auswirkungen auf die Schlussbilanz hat, sondern allenfalls nur eine Betriebseinstellung. 77) Zur Beurteilung der Going-Concern-Prämisse vgl. IDW PS 270, n. F., IDW Life 8/2018, 752. Zu den handelsrechtlichen Folgen einer Abkehr von der Going-Concern-Prämisse vgl. IDW RS HFA 17, IDW Life 8/2018, 777; Zabel, in: FS Kübler, 2015, S. 825. Zu weiteren Einzelheiten s. a. oben § 3 Rz. 47 ff. 78) Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 15. Zu weiteren Einzelheiten s. a. oben § 3 Rz. 59 ff. 79) Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 14. 80) Vgl. Haffa/Leichtle, in: Braun, InsO, § 155 Rz. 1; Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 45.
774
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§ 27
Plananlagen 1.2.3 Eröffnungsbilanz
In der Literatur wird bisweilen kontrovers diskutiert, ob mit dem durch § 155 Abs. 2 82 Satz 1 InsO angeordneten Beginn eines neuen Geschäftsjahres eine handelsrechtliche Eröffnungsbilanz aufzustellen ist. Nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB ist die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz nur für den Beginn eines Handelsgewerbes vorgeschrieben, d. h. zum Beginn der Geschäftstätigkeit,81) nicht jedoch für den Beginn eines neuen Geschäftsjahres.82) Die gesonderte Aufstellung einer Eröffnungsbilanz kann auch nicht unmittelbar aus § 155 Abs. 2 Satz 2 InsO abgeleitet werden, weil dort die Aufstellung des Jahresabschlusses geregelt ist.83) Eine Aufstellungspflicht kann sich allenfalls aus einer analogen Anwendung der Vorschriften zur Liquidationsrechnungslegung ergeben,84) von der bei einem Insolvenzplan aber grundsätzlich nicht auszugehen ist. Im Übrigen ist nach § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB (Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität)85) im Fall der Unternehmensfortführung die Eröffnungsbilanz mit der Schlussbilanz identisch.86) Hiervon abweichend wird vom IDW und teilweise in der Literatur87) die Auffassung ver- 83 treten, dass der Insolvenzverwalter auf den Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine handelsrechtliche Eröffnungsbilanz mit einem erläuternden Bericht auf der Grundlage einer umfassenden Stichtagsinventur aufzustellen hat.88) In diesem Zusammenhang sind insolvenzspezifische Ansprüche (z. B. Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO) und Verpflichtungen (z. B. Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 63 InsO) bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz zu erfassen.89) Der Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität nach § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB wird damit durchbrochen. 1.2.4 Exkurs: Schlussbilanz bei Aufhebung Sofern das Insolvenzverfahren aufgrund eines bestätigten Insolvenzplans nach § 200 InsO 84 aufgehoben wird, ist nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB auf den Tag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens90) eine Schlussbilanz und nach § 242 Abs. 2 HGB eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen.91) Dieser „Zwischenabschluss“ umfasst folglich den Zeit___________ 81) 82) 83) 84)
85)
86) 87)
88) 89) 90)
91)
Vgl. Winkeljohann/Philipps, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 242 Rz. 3. Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Nach der Begr. RegE des § 155 InsO hat der Insolvenzverwalter in entsprechender Anwendung der Regelungen für die gesellschaftliche Liquidation von § 154 HGB, § 270 Abs. 1 AktG und § 71 Abs. 1 GmbHG auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Eröffnungsbilanz aufzustellen, vgl. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 377. Der Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität verlangt die Übereinstimmung der Wertansätze der Eröffnungsbilanz mit den Wertansätzen in der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres, vgl. Winkeljohann/Büssow, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rz. 3. Im Ergebnis ebenso IDW S 2, WPg 2000, 285, Rz. 51. Vgl. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Vgl. u. a. Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 42, der die entsprechende Anwendung von § 270 Abs. 1 AktG und § 71 Abs. 1 GmbHG (für die Liquidation) auch für die externe Rechnungslegung in der Insolvenz vertritt. Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 17 ff. Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 19. Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 28; a. A. Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 50, der als Stichtag grundsätzlich den Zeitpunkt des Vollzugs der Schlussverteilung (§ 200 InsO) und der Verteilung der Masse (§ 209 InsO) vorschlägt. Bei Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes oder bei Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger wird als Stichtag der Zeitpunkt vorgeschlagen, an dem der Insolvenzverwalter die letzte unstreitige Masseverbindlichkeit berichtigt oder für eine streitige Masseverbindlichkeit Sicherheit geleistet hat. Vgl. Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 49.
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775
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
raum zwischen dem Schluss des letzten regulären Geschäftsjahres und dem Tag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. 85 Nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB ist für Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB dieser Zwischenabschluss um einen Anhang (§§ 284 ff. HGB) zu erweitern. Zudem haben mittelgroße und große Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB einen Lagebericht (§§ 289 f. HGB) aufzustellen.92) 86 Die Verpflichtung zur Aufstellung der Schlussbilanz auf den Tag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter.93) Bei der Eigenverwaltung ist die Schlussbilanz nach § 281 Abs. 3 InsO durch den Schuldner aufzustellen. Sofern das Unternehmen nach Beendigung des Insolvenzverfahrens fortgeführt wird, sind die zuständigen Organe zur Aufstellung der Schlussbilanz verpflichtet.94) 1.2.5 Exkurs: Prüfung der handelsrechtlichen Abschlüsse 87 Nach § 316 Abs. 1 HGB sind der Jahresabschluss (bestehend aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang) und der Lagebericht von mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften i. S. des § 264a HGB durch einen Abschlussprüfer zu prüfen. Das Gleiche gilt auch nach § 316 Abs. 2 HGB für den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht. Die Prüfungspflicht besteht grundsätzlich auch während des Insolvenzverfahrens nach § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO fort.95) 88 Bei analoger Anwendung der Vorschriften von § 270 Abs. 3 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG kann das Registergericht auf Antrag des Insolvenzverwalters die Gesellschaft von der Prüfungspflicht befreien, wenn die Verhältnisse so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger nicht geboten ist.96) Hiervon ist i. d. R. bei fortgeschrittener Verwertung der Insolvenzmasse und nach Einstellung des Geschäftsbetriebs auszugehen.97) Im Rahmen der Sanierung eines Unternehmens mit Hilfe eines Insolvenzplans dürfte eine Befreiung von der Prüfungspflicht grundsätzlich nicht in Betracht kommen.98) 89 Sofern sich eine Prüfungspflicht ergibt, sind die Schlussbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung der werbenden Gesellschaft zusammen mit Anhang und Lagebericht, sämtliche Zwischen-Jahresabschlüsse einschließlich Anhang und Lagebericht sowie die Schlussbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung einschließlich Anhang und Lagebericht zu prüfen.99) 90 Die Bestellung des Abschlussprüfers erfolgt nach § 318 Abs. 1 HGB grundsätzlich durch die Gesellschafter. Nach § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO gilt für die Bestellung des Abschlussprüfers während des Insolvenzverfahrens § 318 HGB mit der Maßgabe, dass der Abschlussprüfer auf Antrag des Insolvenzverwalters durch das Registergericht bestellt wird. Bei der Eigenverwaltung erfolgt die Bestellung des Abschlussprüfers grundsätzlich nach § 318 Abs. 1 HGB unverändert durch die Gesellschafter. Sofern für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein Abschlussprüfer bestellt wurde, wird ___________ 92) 93) 94) 95) 96) 97) 98) 99)
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Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 26. Vgl. Boochs/Nickel, in: Wimmer, InsO, § 155 Rz. 238. Vgl. IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 28. Vgl. u. a. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 21; Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 63. Die Notwendigkeit einer Abschlussprüfung ergibt sich zudem aus § 155 Abs. 3 InsO. Vgl. u. a. Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 21, die darauf hinweisen, dass nur der Insolvenzverwalter von der Prüfungspflicht befreit werden kann, nicht jedoch der Schuldner. Vgl. Kübler, in: KPB, InsO, § 155 Rz. 64. Im Ergebnis ebenso für die Unternehmensfortführung IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 44. Nach IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 40, soll die Prüfungspflicht auch für die Eröffnungsbilanz und den erläuternden Bericht zur Eröffnungsbilanz gelten.
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§ 27
Plananlagen
nach § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO die Wirksamkeit dieser Bestellung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. 2.
Plananlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans
2.1
Vorbemerkungen
Zwischen dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Zeitpunkt des 91 Inkrafttretens eines Insolvenzplans liegen regelmäßig zahlreiche Monate, oftmals auch Jahre. Vor diesem Hintergrund ist den Gläubigern als Grundlage für die Abstimmung über einen Insolvenzplan ein aktuelles Bild von der wirtschaftlichen Lage des schuldnerischen Unternehmens zu vermitteln. Sofern das schuldnerische Unternehmen ganz oder in Teilen fortgeführt und die Gläubiger 92 aus zukünftigen Erträgen befriedigt werden sollen, sind dem Insolvenzplan nach § 229 InsO Planrechnungen beizufügen. Hierbei handelt es sich um eine integrierte Planrechnung, bestehend aus einer Vermögensübersicht (Plan-Bilanz), einem Ergebnisplan (Plan-Gewinnund Verlustrechnung) und einem Finanzplan (Plan-Liquiditätsplanung).100) Die Planrechnungen i. S. des § 229 InsO stellen ergänzende Unterlagen des darstellenden Teils des Insolvenzplans dar.101) 2.2
Zweck der Regelung
Mit den Planrechnungen sollen die Gläubiger und das Insolvenzgericht umfassend infor- 93 miert werden, um eine Beurteilung der Durchführbarkeit des Insolvenzplans und damit des Risikos der Gläubigerbefriedigung zu ermöglichen.102) Gleichzeitig soll mit Hilfe der Planrechnungen sichergestellt werden, dass die Gläubiger die Chancen und Risiken anhand einer Plausibilitätsbeurteilung einschätzen können.103) Die Notwendigkeit dieser Beurteilung entfällt, wenn das Unternehmen auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird (übertragende Sanierung) und die Gläubiger aus dem Verwertungserlös abzüglich der Masseverbindlichkeiten bedient werden.104) Sofern mit dem Insolvenzplan die Sanierung und Fortführung eines Unternehmens er- 94 reicht werden soll, muss die Durchführbarkeit und Finanzierbarkeit durch nachvollziehbare betriebswirtschaftliche Daten auf der Grundlage der Annahmen des darstellenden Teils des Insolvenzplans belegt werden.105) Insofern handelt es sich bei den Planrechnungen um Planverprobungsrechnungen, da in zusammengefasster Form die zahlenmäßige Planung des Sanierungsablaufs abgebildet wird.106) Somit können die Gläubiger die in den Planrechnungen unterstellten Planungsprämissen 95 insbesondere unter Berücksichtigung der im darstellenden Teil des Insolvenzplans enthaltenen vergangenheitsbezogenen finanz- und leistungswirtschaftlichen Daten des Unternehmens beurteilen.107) ___________ Zu den verwendeten Begriffen Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 229 Rz. 1. Vgl. u. a. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 229 Rz. 1.; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 229 Rz. 1. Vgl. Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 3. Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 229 Rz. 3. Vgl. Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 4.; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 229 Rz. 2.; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 229 Rz. 1. In Einzelfällen kann es aber nach hier vertretener Auffassung sinnvoll sein, die wirtschaftlichen Auswirkungen der übertragenden Sanierung für die Gläubiger anhand von integrierten Planungsrechnungen darzustellen. 105) Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 229 Rz. 2. 106) Vgl. auch IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 Rz. 72. 107) Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 229 Rz. 4. 100) 101) 102) 103) 104)
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
96 Beispiele: (1) Die in dem Insolvenzplan der Mustermann GmbH enthaltene Planung der Gewinnund Verlustrechnung enthält im Vergleich zum Geschäftsjahr vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens um 25 % gestiegene Umsatzerlöse. Sofern im darstellenden Teil keine entsprechende Erläuterung hierzu enthalten ist, erscheint diese Planungsprämisse unplausibel.108) (2) Die in dem Insolvenzplan der Mustermann GmbH enthaltene Planung der Gewinnund Verlustrechnung enthält eine im Vergleich zum Geschäftsjahr vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens um 5 %-Punkte verbesserte Materialeinsatzquote.109) Sofern im darstellenden Teil keine entsprechende Erläuterung hierzu enthalten ist, erscheint diese Planungsprämisse unplausibel.110) 2.3
Integrierte Unternehmensplanung
2.3.1 Begriff 97 Im Rahmen der Unternehmensführung ist es üblich und auch erforderlich,111) eine Unternehmensplanung nach einem integrierten Modell, d. h. aus einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, einer Plan-Bilanz und darauf aufbauend einer Plan-Kapitalflussrechnung zu erstellen.112) Der Ansatz einer integrierten Unternehmensplanung wird dabei in der betriebswirtschaftlichen Literatur und vom IDW insbesondere bei der Erstellung von Unternehmensbewertungen und Sanierungskonzepten gefordert: 98 Für die Unternehmensbewertung bildet die Unternehmensplanung auf der Basis einer eingehenden Analyse des Unternehmens und seiner Umwelt eine notwendige Voraussetzung. Das IDW betont dabei insbesondere, dass eine ordnungsgemäße Unternehmensbewertung aufeinander abgestimmte Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie Finanzplanungen (Kapitalflussrechnungen) voraussetzt.113) Hierzu wird i. d. R. in einem ersten Schritt die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Plan-Bilanz aufgestellt und in einem zweiten Schritt daraus die Plan-Kapitalflussrechnung abgeleitet.114) Zwischen der Planung der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz bestehen Verknüpfungen, die erforderlich sind, um eine konsistente Cashflow- und Jahresabschlussplanung zu erstellen.115) Das Ergebnis dieser Verknüpfungen stellt eine integrierte und konsistente Unternehmensplanung dar.116) Die in der betriebswirtschaftlichen Literatur in diesem Zusammenhang dargestellten Beispiele gehen regelmäßig von einem integrierten Planungsansatz aus, in dem aus der Kapitalflussrechnung die zukünftige Liquiditätsentwicklung abgeleitet wird. ___________ 108) Eine plausible Erklärung könnte z. B. sein, dass es dem Unternehmen während der Insolvenz gelungen ist, einen Neukunden zu gewinnen, der bereits entsprechende Aufträge an das schuldnerische Unternehmen vergeben hat. 109) Die Materialeinsatzquote stellt vereinfacht das prozentuale Verhältnis der Materialaufwendungen bezogen auf die Gesamtleistung des Unternehmens dar. 110) Eine plausible Erklärung könnte z. B. sein, dass i. R. der Sanierung des Unternehmens ein defizitärer Produktbereich geschlossen wurde und sich dementsprechend die Materialeinsatzquote bezogen auf die verbleibenden Produktbereiche verbessert. 111) Nach Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 103, kann eine Unternehmensführung ohne eine integrierte Unternehmensplanung nur eingeschränkt erfolgreich sein. 112) Zu den Anforderungen an eine integrierte Unternehmensplanung wird nach Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 103, in der Literatur nur vereinzelt Stellung bezogen. In der Literatur finden sich neben der Finanzplanung vorwiegend diverse Planungsverfahren der Kostenrechnung. 113) Vgl. IDW S 1 i. d. F. 2008, IDW Life 8/2016, 731, Rz. 81. 114) Vgl. Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, 4. Aufl., 2010, S. 17. 115) Vgl. Peemüller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 5. Aufl., 2012, S. 142 f. 116) Vgl. IDW, WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kap. A, Rz. 240.
778
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§ 27
Plananlagen
Für die Erstellung von Sanierungskonzepten ist der sog. integrierte Sanierungsplan (Er- 99 gebnis-, Finanz- und Vermögensplan) unabdingbarer Bestandteil.117) Das IDW fordert dabei insbesondere, dass der im Sanierungskonzept verankerte Sanierungsplan integriert als Ergebnis-, Finanz- und Vermögensplan zu erstellen ist.118) Dabei ist, ausgehend von den betrieblichen Teilplänen (Absatzplanung, Investitionsplanung, Personalplanung usw.), eine Plan-Gewinn- und Verlustrechnung und darauf aufbauend ein Finanzplan und eine PlanBilanz zu entwickeln. 2.3.2 Vorgehensweise Eine integrierte Unternehmensplanung ist dadurch gekennzeichnet, dass auf der Basis ei- 100 nes Unternehmenskonzepts (bzw. Sanierungskonzepts) ein wirtschaftlicher Zusammenhang und ein laufender Datenaustausch zwischen der Gewinn- und Verlustrechnung (leistungswirtschaftlicher Bereich) einerseits und der Bilanz sowie der Liquiditätsplanung in Form der Kapitalflussrechnung (finanzwirtschaftlicher Bereich) andererseits erfolgt.119) Integrierte Unternehmensplanung Absatzplanung
Produktionsplanung
Personalplanung
Investitionsplanung
...
Plan-Gewinn- und Verlustrechnung
Plan-Bilanz
Finanzplanung
Die integrierte Unternehmensplanung muss in ihrem Aufbau konsistent sein und bis zur 101 plangemäß vorgesehenen Gläubigerbefriedigung durchgeführt werden, wobei die PlanGewinn- und Verlustrechnung (Ergebnisplan) und der aus den Plan-Bilanzen abgeleitete Finanzplan nach einem identischen phasenorientierten Zeitraster aufbereitet werden.120)
___________ 117) Vgl. IDW, WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L, Rz. 565. 118) Vgl. IDW S 6, IDW Life 8/2018, 813 Rz. 78. 119) Zu der Differenzierung zwischen dem leistungs- und finanzwirtschaftlichen Bereich vgl. Plagens/ Brunow, DStR 2004, 102, 107. 120) Vgl. IDW S 2, WPg 2000, 285, Rz. 52.
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779
§ 27 2.3.2.1
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Gewinn- und Verlustrechnung
102 Nach § 229 Satz 2 InsO (Fall 1) ist im Insolvenzplan in Form einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung darzustellen, welche Aufwendungen und Erträge während der Laufzeit des Insolvenzplans zu erwarten sind.121) Als Laufzeit des Insolvenzplans gilt dabei der Zeitraum zwischen dem Wirksamwerden des Insolvenzplans bis zur Beendigung der Gläubigerbefriedigung.122) Die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung ist als Prognoserechnung unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten zu erstellen.123) Der Aufbau sollte dabei nach dem Gesamtkostenverfahren (§ 275 Abs. 2 HGB) oder dem Umsatzkostenverfahren (§ 275 Abs. 3 HGB) auf Monatsbasis erfolgen.124) Die Planung der Gewinn- und Verlustrechnung sollte grundsätzlich unter vorsichtigen und konservativen Gesichtspunkten erfolgen, um die Durchführbarkeit des Insolvenzplans sicherzustellen.125) 2.3.2.1.1 Schritt 1: Operative Planung der Gewinn- und Verlustrechnung 103 In einem ersten Schritt ist die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung auf der Basis betrieblicher Teilplanungen (z. B. Absatz-, Produktions- und Personalplanung)126) ohne Berücksichtigung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan aufzustellen (operative Planung der Gewinn- und Verlustrechnung). Dabei werden in der Praxis die wesentlichen Einzelpositionen der Gewinn- und Verlustrechnung wie folgt geplant: 104 Die Umsatzerlöse werden anhand der von der Vertriebsabteilung prognostizierten Absatzplanung unter Berücksichtigung der Marktaussichten ermittelt.127) Dabei sind die prognostizierten Absatzmengen unter Berücksichtigung der zukünftigen Preisentwicklung zu bewerten. Die Absatz- und Umsatzplanung sollte nach Produktbereichen oder nach Kundenkategorien durchgeführt werden. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die zukünftigen Ist-Daten mit den prognostizierten Plan-Daten verglichen und etwaige Planabweichungen analysiert werden können. 105 Die sonstigen betrieblichen Erträge betreffen z. B. Mieterträge, Auflösung von Rückstellungen oder Erträge aus dem Verkauf von Gegenständen des Anlagevermögens. Bei der Planung dieser Erträge sollte zwischen wiederkehrenden und einmaligen Erträgen unterschieden werden. 106 Bei den Materialaufwendungen handelt es sich bezogen auf die Umsatzerlöse grundsätzlich um variable Aufwendungen, so dass die prognostizierten Umsatzerlöse als Bezugsgröße für die Planung der Materialaufwendungen herangezogen werden sollten. Die zu___________ 121) In der Literatur wird dieser Zeitraum auch als Sanierungszeitraum bezeichnet, vgl. Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 11. 122) Vgl. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6. 123) Vgl. u. a. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 229 Rz. 4. 124) Vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 151. Die Vergleichbarkeit mit den Werten aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung wird insbesondere dadurch gefördert, wenn die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung auf der gleichen Grundlage aufbaut wie die Darstellung und Ermittlung der periodischen Unternehmensergebnisse aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung. 125) Sofern zu optimistische Planansätze verwendet werden, birgt dies die Gefahr, dass die Vorgaben des Insolvenzplans nicht erreicht werden und die vorgesehene Gläubigerbefriedigung nicht gewährleistet werden kann. 126) Vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 107. 127) Da in der Praxis häufig festzustellen ist, dass die Absatz- und Umsatzplanung optimistisch erstellt wird, sollten hier entsprechende Risikoabschläge berücksichtigt werden. Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 12, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Beauftragung eines Sachverständigen unumgänglich ist. Nach hier vertretener Auffassung dürften aber geeignete Plausibilitätsprüfungen ausreichen; ebenso Plagens/Brunow, DStR 2004, 151, 152.
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§ 27
Plananlagen
künftige Materialeinsatzquote sollte sich dabei grundsätzlich an dem Verhältnis der Vorperioden orientieren.128) Die Personalaufwendungen werden regelmäßig anhand einer gesonderten Personalkosten- 107 planung ermittelt. Dabei sollte auf der Basis aktueller Lohn- und Gehaltsjournale eine mitarbeiterbezogene Personalbedarfsplanung erfolgen. In diesem Zusammenhang sind auch voraussichtliche Sonderzahlungen aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, Lohn- und Gehaltsanpassungen (z. B. aufgrund von Tariferhöhungen) und zukünftige Veränderungen in der Personalstruktur zu berücksichtigen. Die Abschreibungen werden auf der Grundlage der in der Planung der Bilanz unterstellten 108 Prämissen für das Anlagevermögen berechnet. In diesem Zusammenhang werden üblicherweise Abschreibungssimulationen mit Hilfe der eingesetzten Anlagenbuchhaltungs-Software durchgeführt. Im Bereich der sonstigen betrieblichen Aufwendungen ist zwischen fixen und variablen 109 Aufwendungen zu unterscheiden. Während die fixen Aufwendungen anhand der Werte der Vergangenheit unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen fortgeschrieben werden, sind die variablen Aufwendungen anhand geeigneter Bezugsgrößen zu planen (z. B. sollten Ausgangsfrachten anhand der voraussichtlichen Absatzmengen geplant werden). Die Zinserträge und Zinsaufwendungen werden anhand der in der Planung der Bilanz 110 prognostizierten Finanzmittelbestände, Inanspruchnahmen von Kontokorrentlinien und Darlehensbeträge anhand geschätzter bzw. vereinbarter Zinssätze berechnet. Auf der Grundlage der prognostizierten Jahresergebnisse werden die Steuern vom Ein- 111 kommen und Ertrag unter Berücksichtigung der aktuellen Steuergesetze berechnet, wobei steuerliche Verlustvorträge entsprechend zu berücksichtigen sind. 2.3.2.1.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan Auf der Grundlage der operativen Planung der Gewinn- und Verlustrechnung sind in 112 einem zweiten Schritt die ertragswirksamen Besonderheiten des Insolvenzplans zu berücksichtigen.129) Dazu gehören insbesondere die folgenden Sachverhalte: Die i. R. des Insolvenzplans umzusetzenden Maßnahmen zur Reduzierung der Auf- 113 wendungen sind bei den jeweiligen Aufwandspositionen in Abzug zu bringen. Hierzu gehören z. B. die Berücksichtigung der ertragswirksamen Auswirkungen eines Sanierungstarifvertrags (z. B. Reduzierung von Weihnachts- oder Urlaubsgeld) oder die mit den Leasinggesellschaften vereinbarten Reduzierungen von Leasingaufwendungen. Die i. R. des Insolvenzplans beabsichtigten Gläubigerverzichte (Erlasse) sind unter Be- 114 rücksichtigung der Gläubigerverzeichnisse und des gestaltenden Teils des Insolvenzplans zu berechnen und unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.130) Für bestimmte Gläubigergruppen kann der gestaltende Teil des Insolvenzplans eine Besse- 115 rungsklausel vorsehen, wonach das schuldnerische Unternehmen auf die erlassene Verbindlichkeit Nachzahlungen zu leisten hat, falls und soweit sich die wirtschaftlichen Ver___________ 128) Die Bestimmung der Materialeinsatzquote kann in der Praxis insbesondere bei unterschiedlichen Produktbereichen zu Problemen führen. 129) Vgl. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6. 130) Durch das Bilanzrichlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) ist ein gesonderter Ausweis als außerordentliche Erträge nicht mehr möglich.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
hältnisse verbessern.131) Der (auflösend bedingte) Erlass führt zunächst zu einer Ausbuchung der Verbindlichkeit und damit zu einem Ertrag. Sofern die Bedingungen in der Besserungsklausel zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sind, ist die hieraus resultierende Verbindlichkeit ertragswirksam zu berücksichtigen.132) Der Ausweis erfolgt in diesem Fall unter der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 8 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 7 HGB (Umsatzkostenverfahren). 116 Sofern der gestaltende Teil des Insolvenzplans für einzelne Gläubigergruppen eine Verzinsung der Quotenzahlungen vorsieht (z. B. bei den absonderungsberechtigten Gläubigern), sind die daraus resultierenden Zinsaufwendungen unter Berücksichtigung des vereinbarten Zinssatzes zu berechnen und unter der Position „Zinsen und ähnliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 13 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 12 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen. 117 Die Verfahrenskosten (Kosten des Insolvenzverwalters, Kosten des Sachwalters bei angeordneter Eigenverwaltung, Kosten des Gläubigerausschusses und Gerichtskosten) sind unter der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 8 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 7 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.133) Hierzu gehören auch die voraussichtlichen Kosten im Zusammenhang mit der Überwachung des Insolvenzplans. Sofern externe Berater mit der Erstellung des Insolvenzplans beauftragt wurden, sind auch diese Aufwendungen zu berücksichtigen. 118 Bei der Berechnung der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag sind die Besonderheiten der Besteuerung des Sanierungsgewinns zu berücksichtigen (siehe hierzu i. E. § 57 Rz. 80 ff., 103 ff.). (Beispiel für eine Entwicklung der Gewinn- und Verlustrechnung siehe unten § 52 Musterplan, Anlage 2.2.2.) 2.3.2.2
Bilanz
119 Sofern die Gläubiger aus den Erträgen des vom Schuldner oder von einem Dritten fortgeführten Unternehmens befriedigt werden sollen, ist dem Insolvenzplan nach § 229 Satz 1 InsO eine (aktualisierte) Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten aufgeführt sind, die sich im Fall des Wirksamwerdens des Insolvenzplans gegenüberstünden. Dabei sind die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten mit den beizulegenden Werten zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans zu bewerten.134) 120 Inhaltlich entspricht die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO der Vermögensübersicht nach § 153 InsO. Die beiden Vermögensübersichten unterscheiden sich jedoch durch die unterschiedlichen Erstellungszeitpunkte. Die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO ist auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Insolvenzplans zu erstellen, während die Vermögensübersicht nach § 153 InsO auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erstellen ist.135) ___________ 131) Die Vereinbarung von Besserungsklauseln i. R. eines Insolvenzplans kann in der Praxis zu Auslegungsproblemen führen, da durch zulässige bilanzpolitische Maßnahmen die Bemessungsgrundlage durch das schuldnerische Unternehmen maßgeblich beeinflusst werden kann. 132) Vgl. Schubert, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 Rz. 233 ff. 133) Durch das Bilanzrichlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) ist ein gesonderter Ausweis als außerordentliche Aufwendungen nicht mehr möglich. 134) Vgl. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 229 Rz. 3. 135) Vgl. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 4; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 229 Rz. 4.
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Plananlagen
Die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO sollte um Plan-Bilanzen ergänzt werden,136) 121 die die gesamte Laufzeit des Insolvenzplans umfassen. Als Laufzeit des Insolvenzplans gilt dabei der Zeitraum zwischen dem Wirksamwerden des Insolvenzplans bis zur Beendigung der Gläubigerbefriedigung.137) Die Plan-Bilanzen sind als Prognoserechnungen unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten zu erstellen.138) Der Aufbau sollte dabei nach dem Bilanzgliederungsschema (§ 266 HGB) auf Monatsbasis erfolgen. Die Planung der Bilanzen sollte zudem grundsätzlich unter vorsichtigen und konservativen Gesichtspunkten erfolgen, um die Durchführbarkeit des Insolvenzplans sicherzustellen.139) In einem ersten Schritt ist die Plan-Bilanz auf der Grundlage der letzten verfügbaren Bi- 122 lanz140) ohne Berücksichtigung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan zu erstellen (operative Planung der Bilanz). 2.3.2.2.1 Schritt 1: Operative Planung der Bilanz Aktivseite: Die wesentlichen Einzelpositionen werden in der Praxis grundsätzlich wie 123 folgt geplant: Im Bereich des Anlagevermögens ist nach § 266 Abs. 2 lit. A HGB zwischen immateriellen 124 Vermögensgegenständen,141) Sachanlagen142) und Finanzanlagen143) zu unterscheiden. Für jede Kategorie sind die Zugänge und Abgänge anhand eines Investitionsplans sowie die Abschreibungen zu planen. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Verknüpfungen zur Plan-Gewinn- und Verlustrechnung zu berücksichtigen:
Die Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen sind ergebniswirksam in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung unter der Position „Abschreibungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 7 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 4 und 5 HGB (Umsatzkostenverfahren) zu erfassen.
Sofern aus den geplanten Anlagenabgängen Gewinne entstehen, sind die entsprechenden Beträge unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen. ___________
136) Vgl. Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 6. 137) Vgl. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 229 Rz. 31. Die Autoren weisen zutreffend darauf hin, dass das Gesetz zwar keine Plan-Vermögensübersichten bzw. Plan-Bilanzen verlangt, diese jedoch im Interesse einer höheren Transparenz i. S. der Gläubiger erstellt werden sollten. 138) Vgl. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 5. 139) Sofern zu optimistische Planansätze verwendet werden, birgt dies die Gefahr, dass die Vorgaben des Insolvenzplans nicht erreicht werden und die vorgesehene Gläubigerbefriedigung nicht geleistet werden kann. 140) Zur Eröffnungsbilanz als Ausgangsbasis vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 151. 141) Unter den immateriellen Vermögensgegenstände i. S. des § 266 Abs. 2 lit. A, Ziff. I. HGB werden selbst geschaffene sowie entgeltlich erworbene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten, Geschäfts- oder Firmenwerte sowie geleistete Anzahlungen ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Schubert/Waubke/F. Huber, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 59 ff. 142) Unter den Sachanlagen i. S. des § 266 Abs. 2 lit. A Ziff. II. HGB werden Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken, technische Anlagen und Maschinen, andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Schubert/F. Huber, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 65 ff. 143) Unter den Finanzanlagen i. S. des § 266 Abs. 2 lit. A Ziff. III. HGB werden Anteile an verbundene Unternehmen, Ausleihungen an verbundene Unternehmen, Beteiligungen, Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Wertpapiere des Anlagevermögens sowie sonstige Ausleihungen ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Schubert/Kreher, in: Beck’scher BilanzKommentar, § 266 Rz. 69 ff.
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Sofern aus den geplanten Anlagenabgängen Verluste entstehen, sind die entsprechenden Beträge unter der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 8 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 7 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.
125 Bei den Vorräten ist entsprechend dem Leistungsfortschritt nach § 266 Abs. 2 lit. B. Ziff. I HGB zwischen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, unfertigen Erzeugnissen und Leistungen, fertigen Erzeugnissen und Leistungen sowie geleisteten Anzahlungen zu unterscheiden. Für jede Kategorie ist die voraussichtliche Entwicklung anhand eines Mengen-/Preisgerüstes zu planen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Erhöhungen oder Verminderungen der unfertigen Erzeugnisse und Leistungen sowie der fertigen Erzeugnisse und Leistungen in der Gewinnund Verlustrechnung unter der Position „Erhöhung oder Verminderung des Bestands an fertigen und unfertigen Erzeugnissen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 2 HGB (Gesamtkostenverfahren) zu berücksichtigen sind. Bei Anwendung des Umsatzkostenverfahrens entfällt diese Verknüpfung grundsätzlich. Unabhängig von den Bestandsveränderungen ist zu berücksichtigen, dass es unmittelbar nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verstärkt zu geleisteten Anzahlungen kommen kann, da die Lieferanten ggf. aufgrund fehlender Warenkreditversicherungen nicht bereit sind, ohne Vorkasse an das schuldnerische Unternehmen zu liefern. 126 Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen144) werden unter Zugrundelegung der in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung geplanten Umsatzerlöse unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Kunden145) geplant. Vor dem Hintergrund umsatzsteuerlicher Effekte sollte hierbei zwischen Inlands- und Auslandsforderungen differenziert werden. 127 Unter den sonstigen Vermögensgegenständen werden alle Posten des Umlaufvermögens zusammengefasst, die nicht gesondert ausgewiesen werden. Es handelt sich um sonstige Forderungen und andere Vermögensgegenstände, die nicht zum Anlagevermögen oder zu den Vorräten gehören, z. B. Steuererstattungsansprüche, Reisekostenvorschüsse, Mitarbeiterdarlehen etc.146) Die Entwicklung der sonstigen Vermögensgegenstände sollte für die wesentlichen Einzelposten mit ihren jeweiligen Zugängen und Abgängen geplant werden. 128 Die Entwicklung der Liquidität kann nicht i. R. der Fortschreibung der Aktivseite der Bilanz gesondert geplant werden. Hierfür ist vielmehr eine gesonderte Liquiditätsrechnung in Form einer Kapitalflussrechnung erforderlich (zu weiteren Einzelheiten siehe Rz. 140). 129 Passivseite: Die wesentlichen Einzelpositionen werden in der Praxis grundsätzlich wie folgt geplant. 130 Im Bereich der Darstellung des Eigenkapitals ist grundsätzlich zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften147) wie folgt zu unterscheiden:
Nach § 266 Abs. 3 lit. A HGB setzt sich das Eigenkapital bei Kapitalgesellschaften aus dem gezeichneten Kapital, der Kapitalrücklage, den Gewinnrücklagen,148) dem Gewinnoder Verlustvortrag sowie dem Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag zusammen.
___________ 144) Unter den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen auszuweisen, die aus Verträgen i. R. der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit resultieren. Es handelt sich somit um Vorgänge, die in der Gewinn- und Verlustrechnung als Umsatzerlöse ausgewiesen werden, vgl. Adler/ Düring/Schmalz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., 1998, § 266 HGB Rz. 120. 145) Bei der Festlegung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Kunden sollte die Entwicklung der letzten zwölf Monate Berücksichtigung finden. 146) Vgl. Schubert/Waubke, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 Rz. 128 ff. 147) Gemeint sind hierbei Personengesellschaften i. S. des § 264a HGB. 148) Im Bereich der Gewinnrücklagen wird zwischen der gesetzlichen Rücklage, der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen, satzungsmäßige Rücklagen und andere Gewinnrücklagen unterschieden. I. E. vgl. Schubert/Waubke, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 177 ff.
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§ 27
Plananlagen
Nach § 264c Abs. 2 HGB setzt sich das Eigenkapital bei Personengesellschaften grundsätzlich aus den Kapitalanteilen, den Rücklagen, dem Gewinn- oder Verlustvortrag sowie dem Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag zusammen.
Veränderungen des Eigenkapitals resultieren u. a. aus den in der Gewinn- und Verlust- 131 rechnung geplanten Periodenergebnissen. Darüber hinaus sind sonstige Änderungen des Eigenkapitals (z. B. Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Einzahlungen in die Kapitalrücklagen etc.) gesondert zu berücksichtigen. Die Rückstellungen betreffen nach § 266 Abs. 3 lit. B HGB die Rückstellungen für Pen- 132 sionen und ähnlichen Verpflichtungen, die Steuerrückstellungen und sonstigen Rückstellungen. Für jede Kategorie sind die Zuführungen, Verbräuche und Auflösungen gesondert zu planen. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Verknüpfungen zur PlanGewinn- und Verlustrechnung zu berücksichtigen:
Sofern Rückstellungen zugeführt werden (z. B. ratierliche Zuführung zur Rückstellung für Altersteilzeit), sind die entsprechenden Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung ertragswirksam zu erfassen.
Sofern Rückstellungen aufgelöst werden (z. B. wenn der Grund der Rückstellung entfällt), sind die entsprechenden Erträge unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.
Sofern unter den Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten Darlehen ausgewiesen 133 werden, sind die entsprechenden Zuführungen und Tilgungsleistungen in der Planung zu berücksichtigen. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Zinsen sind in der Gewinnund Verlustrechnung unter der Position „Zinsen und ähnliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 13 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 12 HGB (Umsatzkostenverfahren) zu erfassen. Die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen149) werden unter Zugrunde- 134 legung der in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigten Aufwendungen (insbesondere Materialaufwendungen und sonstige betriebliche Aufwendungen) unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Lieferanten150) geplant. Bei der Planung der zukünftigen Zahlungsziele ist zu beachten, dass es unmittelbar nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verstärkt zu einer Verkürzung von Zahlungszielen kommen kann, da die Lieferantenforderungen ggf. nicht umfassend über Warenkreditversicherungen gesichert sind. Unter den sonstigen Verbindlichkeiten werden alle Verbindlichkeiten zusammengefasst, 135 die nicht einem gesonderten Posten i. S. des § 266 Abs. 3 lit. C HGB zuzuordnen sind. Es handelt sich z. B. um einbehaltene und abzuführende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, rückständige Löhne und Gehälter etc.151) Die Entwicklung der sonstigen Verbindlichkeiten sollte für die wesentlichen Einzelposten mit ihren jeweiligen Zugängen und Abgängen geplant werden.
___________ 149) Unter den Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sind sämtliche Verpflichtungen aus vom Vertragspartner bereits erfüllten Umsatzgeschäften auszuweisen, bei denen die eigene Gegenleistung noch aussteht, vgl. Schubert, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 228 f. 150) Bei der Festlegung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Lieferanten sollte die Entwicklung der letzten zwölf Monate Berücksichtigung finden. 151) Vgl. Schubert, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 246.
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
2.3.2.2.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan 136 Auf der Grundlage der operativen Planung der Aktivseite und Passivseite der Bilanz sind in einem zweiten Schritt die bilanziellen Besonderheiten des Insolvenzplans zu berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere die folgenden Sachverhalte: 137 Entsprechend den Vorgaben des gestaltenden Teils des Insolvenzplans sind die Gläubigerverzichte und die Zahlungen an die Gläubiger in der Bilanzplanung bei den Rückstellungen und Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist sicherzustellen, dass die Rückstellungen und Verbindlichkeiten in der handelsrechtlichen Buchführung dem Grunde und der Höhe nach mit dem Gläubigerverzeichnis übereinstimmen.152)
Die Gläubigerverzichte sind als Inanspruchnahmen respektive Verringerungen der Rückstellungen und Verbindlichkeiten sowie zusätzlich in der Gewinn- und Verlustrechnung unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen. Auf die Zahlungsmittelbestände haben die Gläubigerverzichte keine Auswirkungen.
Die Zahlungen an die Gläubiger sind als Inanspruchnahmen respektive Verringerungen der Rückstellungen und Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass mit § 229 Satz 3 InsO sichergestellt wird, dass auch die Gläubiger zu berücksichtigen sind, die zwar ihre Forderungen nicht angemeldet haben, jedoch bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans bekannt sind.
138 Sofern der gestaltende Teil des Insolvenzplans Gesellschafter- oder Investorenbeiträge vorsieht, sind die bilanziellen Auswirkungen in der Bilanzplanung zu erfassen. Idealtypisch handelt es sich hierbei um Eigenkapitalerhöhungen respektive Einzahlungen in die Kapitalrücklage, die unter der Position „Eigenkapital“ zu berücksichtigen sind, oder um nachrangige Gesellschafterdarlehen, die unter den Verbindlichkeiten auszuweisen sind. 139 Der Insolvenzplan kann eine neue Finanzierungsstruktur des schuldnerischen Unternehmens vorsehen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger die zugrunde liegenden Darlehen dem schuldnerischen Unternehmen weiterhin langfristig zur Verfügung stellen oder ein Kreditinstitut ein (langfristiges) Darlehen zur Verfügung stellt. In diesen Fällen sind die Auswirkungen in der Bilanzplanung entsprechend zu berücksichtigen. (Beispiel für die Aktivseite und Passivseite der Bilanz siehe unten § 52 Musterplan, Anlage 2.2.1.) 2.3.2.3
Kapitalflussrechnung (Finanzplan)
140 Nach § 229 Satz 2 InsO (Fall 2) ist im Insolvenzplan in Form eines Finanzplans darzustellen, welche Einnahmen und Ausgaben153) für den Zeitraum der Gläubigerbefriedigung zu erwarten sind, um die Zahlungsfähigkeit154) des Unternehmens zu gewährleisten.155) Es ___________ 152) Die Anpassung der handelsrechtlichen Verbindlichkeiten an die Verbindlichkeiten laut Gläubigerverzeichnis erfolgt i. d. R. im Zwischenabschluss zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vgl. insbesondere IDW RH HFA 1.012, IDW Life 12/2015, 610, Rz. 19. 153) Anstelle von Einnahmen und Ausgaben sind Einzahlungen und Auszahlungen gemeint, vgl. Flöther/ Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 9. Unter Einnahmen und Ausgaben fallen unter betriebswirtschaftlicher Betrachtung auch nicht zahlungswirksame Sachverhalte, wie z. B. Veränderung von Forderungen oder Verbindlichkeiten, während Einzahlungen und Auszahlungen lediglich zahlungswirksame Veränderungen des Finanzmittelbestands umfassen, vgl. Braun, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 229 Rz. 29. 154) Zur Prüfung der Zahlungsfähigkeit vgl. IDW S 11, IDW Life 3/2017, 332, Rz. 1; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 913. 155) Vgl. Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 9 f.
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§ 27
Plananlagen
handelt sich um eine Plan-Liquiditätsrechnung (Kapitalflussrechnung),156) die aus der Plan-Bilanz und Plan-Gewinn-und Verlustrechnung in der Weise entwickelt wird, dass sämtliche Aufwendungen und Erträge auf ihre Auswirkungen auf die Liquidität überprüft werden und als Einzahlungen oder Auszahlungen berücksichtigt werden.157) Darstellung und Umfang einer Kapitalflussrechnung sind gesetzlich nicht geregelt. Das 141 Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee e. V. hat in dem Deutschen Rechnungslegungs-Standard Nr. 21 (DRS 21) Darstellung und Umfang einer Kapitalflussrechnung festgelegt, der für Konzernabschlüsse zwingend anzuwenden ist. Danach sind die Zahlungsströme getrennt nach dem Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit, aus der Investitionstätigkeit und aus der Finanzierungstätigkeit darzustellen. Die Summe der Cashflows aus diesen drei Tätigkeitsbereichen entspricht der Veränderung des Finanzmittelfonds in der Berichtsperiode, soweit diese nicht auf Wechselkurs- oder sonstigen Wertänderungen beruht. Der Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit kann dabei nach der direkten oder indirekten Methode dargestellt werden (vgl. DRS 21, Tz. 24), wobei beide Methoden zum identischen Ergebnis führen. Exkurs: Das deutsche Handelsrecht hat sich in den letzten Jahren der internationalen Ent- 142 wicklung der externen Rechnungslegung angeschlossen und die Kapitalflussrechnung zu einem zentralen Pflichtbestandteil der externen Rechnungslegung gemacht. Mit dem Bilanzrechtsreformgesetz vom 4.12.2004 (BilReG) wurde die Vorschrift des § 297 Abs. 1 HGB dahin gehend geändert, dass für alle Konzernabschlüsse ab dem 1.1.2005 die Kapitalflussrechnung einen Pflichtbestandteil des Konzernabschlusses darstellt. Zuvor galt dies nur für börsennotierte Mutterunternehmen. Bezogen auf den Einzelabschluss wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25.5.2009 (BilMoG) zudem die Vorschrift des § 264 Abs. 1 HGB dahin gehend ergänzt, dass die gesetzlichen Vertreter einer kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft, die nicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet sind, den Jahresabschluss u. a. um eine Kapitalflussrechnung zu erweitern haben, die mit der Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang eine Einheit bilden. (Beispiel für eine Kapitalflussrechnung siehe unten § 52 Musterplan, Anlage 2.2.3.) 2.3.3 Praxishinweise Die Aufbereitung der Plananlagen nach § 229 InsO führt in der Praxis insbesondere im 143 Zusammenhang mit der Erstellung von sog. „Prepackaged Plans“158) zu erheblichen Schwierigkeiten:159) Für die Aufstellung der (aktualisierten) Vermögensübersicht, der Plan-Bilanz, der Plan- 144 Gewinn- und Verlustrechnung und der Plan-Kapitalflussrechnung ist der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans vorsichtig zu schätzen, wobei der Zeitraum zwischen den beiden Zeitpunkten160) nicht zu kurz gewählt werden sollte.161) ___________ 156) Vgl. auch Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 22, im Zusammenhang mit der strukturellen Liquiditätsentwicklung durch den Einsatz von Kapitalbindungsplänen. 157) Vgl. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 229 Rz. 13. 158) Unter einem „Prepackaged Plan“ versteht man einen Insolvenzplan, der vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erstellt wird, vgl. IDW S 2, WPg 2000, 285, Rz. 7. 159) Nach Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 229 Rz. 14, sind die Plananlagen nach § 229 InsO konzeptionell eine hervorragende gesetzgeberische Idee, praktisch aber nicht ganz einfach zu realisieren. 160) In einem von dem Verfasser erstellten Insolvenzplan für eine große Kapitalgesellschaft betrug der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans nahezu drei Jahre. 161) Vgl. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 229 Rz. 10.
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
145 Die Basis für die Erstellung der Plan-Bilanz, der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung und der Plan-Kapitalflussrechnung stellen die aktuellen Daten der Finanzbuchhaltung dar, aus denen die handelsrechtlichen Monatsabschlüsse abgeleitet werden. Sofern die Daten der Finanzbuchhaltung einen erheblichen Buchungsrückstand aufweisen, ist die zeitnahe Erstellung von Planungsrechnungen nicht möglich. 146 Sofern der Insolvenzplan mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner eingereicht werden soll, sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Insolvenzverfahrens (z. B. Schadensersatzansprüche, Insolvenzgeld, Kundenverluste etc.) in den Planungsrechnungen zu antizipieren. 147 Die Planungsrechnungen sollten auf Monatsbasis erstellt werden und laufend mit den IstDaten der Finanzbuchhaltung abgeglichen werden. Sofern sich bei dem Vergleich wesentliche Abweichungen ergeben, sind die Prämissen der Planungsrechnungen laufend zu prüfen und ggf. anzupassen. 2.4
Überleitungsrechnungen
148 In dem Zeitraum zwischen Insolvenzeröffnung und Wirksamwerden des Insolvenzplans können sich erhebliche wirtschaftliche Veränderungen ergeben, die durch nachvollziehbare Überleitungsrechnungen als gesonderte Anlagen zum Insolvenzplan dokumentiert werden sollten. 2.5
Vergleichsrechnung
149 Nach § 217 InsO kann in einem Insolvenzplan die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens abweichend von den allgemeinen Vorschriften der InsO geregelt werden. 150 Es ist davon auszugehen, dass die Gläubiger einem Insolvenzplan nur zustimmen, wenn die im Insolvenzplan vorgesehene Gläubigerbefriedigung zu einem höheren Ergebnis als im Falle der Regelabwicklung führt. Vor diesem Hintergrund sind die Gläubiger über die verschiedenen Alternativen zum Insolvenzplan umfassend zu informieren. In der Praxis erfolgt dies mit sog. Vergleichsrechnungen (siehe hierzu § 34), in denen die verschiedenen Alternativen gegenübergestellt werden. Neben einem Insolvenzplan kommen grundsätzlich die Einstellung des Geschäftsbetriebs (Alternative 1), die Veräußerung der Vermögensgegenstände des schuldnerischen Unternehmens i. R. eines Asset Deals (Alternative 2) sowie die Übernahme von Geschäftsanteilen an dem zu erhaltenden Rechtsträger durch einen Investor (Alternative 3) in Betracht. 151 Um den Gläubigern eine Entscheidungsgrundlage zu geben, sollten für die in Betracht kommenden Alternativen fiktive Gläubigerbefriedigungen ermittelt werden. Dabei ist die Höhe der fiktiven Gläubigerbefriedigung allein nicht ausreichend. Es sollten vielmehr darüber hinausgehende Vor- und Nachteile für die Gläubiger sowie für das schuldnerische Unternehmen gegenübergestellt werden, wie z. B.
die Sicherheit der Gläubigerbefriedigung,162)
der Zeitpunkt der Gläubigerbefriedigung,163)
___________ 162) Die Sicherheit der Gläubigerbefriedigung erhöht sich z. B. durch den Eintritt eines neuen Investors, der den Insolvenzplan mit Hilfe einer Eigenkapitalerhöhung finanziert. 163) Bei der Gegenüberstellung der Alternativen zum Insolvenzplan sollte stets auf die Barwerte der Zahlungszuflüsse aus der Gläubigerbefriedigung abgestellt werden.
788
Zabel
§ 27
Plananlagen
die Eigenkapitalausstattung des schuldnerischen Unternehmens sowie
Synergieeffekte durch den Eintritt eines Investors.
Praxishinweis: Die verschiedenen Alternativen sollten in Form von integrierten Planungs- 152 rechnungen, bestehend aus Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, Plan-Bilanz und PlanKapitalflussrechnung simuliert werden. Anhand der integrierten Planungsrechnungen können insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen für das schuldnerische Unternehmen (z. B. Ergebnis- und Liquiditätsentwicklung) und für die Gläubiger (z. B. Höhe und Zeitpunkte der Zahlungszuflüsse) dargestellt werden. 2.5.1 Alternative 1: Zerschlagung Im Fall der Einstellung des Geschäftsbetriebs (Zerschlagung) sollte eine gesonderte in- 153 tegrierte Unternehmensplanung erstellt werden. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Besonderheiten zu berücksichtigen: Die Umsatzerlöse sind anhand eines Auslaufszenarios zu prognostizieren, wobei zu be- 154 achten ist, dass die vorhandenen Aufträge über einen befristeten Zeitraum abgewickelt werden. Unter Berücksichtigung des unterstellten Auslaufszenarios sind die Materialaufwendungen 155 zu planen. Dabei werden die Materialaufwendungen i. d. R. im Verhältnis zu den Umsatzerlösen ermittelt. Die Personalaufwendungen sind unter Beachtung der Kündigungsfristen der Mitarbeiter 156 zu planen. Hierbei sind ggf. die Aufwendungen aus einem Sozialplan und weitere damit im Zusammenhang stehende Aufwendungen (z. B. aus einem Sanierungstarifvertrag) zu berücksichtigen. Im Bereich der sonstigen betrieblichen Aufwendungen sind die fixen Aufwendungen 157 (z. B. Miet- und Leasingaufwendungen) unter Berücksichtigung der bestehenden Kündigungsfristen zu planen. Darüber hinaus sind etwaige zusätzliche Verpflichtungen aus der Einstellung des Geschäftsbetriebs (z. B. Schadensersatzansprüche) vorsichtig zu schätzen. Mit Hilfe der Integration der Gewinn- und Verlustrechnung mit der Plan-Bilanz und der 158 Plan-Kapitalflussrechnung können die bilanziellen und liquiditätswirksamen Auswirkungen der oben dargestellten Sondereffekte ermittelt werden. Darauf aufbauend können ebenfalls die Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung prognostiziert werden. Häufig führt die Einstellung des Geschäftsbetriebs zur Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO. Die i. R. der Vergleichsrechnung unterstellte Alternative (Einstellung des Geschäftsbetriebs) sollte im darstellenden Teil ausführlich beschrieben und deren Auswirkungen dargestellt werden. Musterformulierung: Alternativen zum Insolvenzplan – Szenario Zerschlagung
159
(darstellender Teil) Ohne die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens ist davon auszugehen, dass wegen fehlender potenter Erwerbsinteressenten für einen Asset Deal die Einstellung des Geschäftsbetriebs konkret droht. Eine weitere Fortführung innerhalb der Insolvenz würde bei Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern einen erheblichen Vertrauensverlust auslösen. Einer der Hauptkunden der Schuldnerin macht die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen von einer kurzfristigen Insolvenzplanlösung abhängig. Einige Schlüsselkunden haben inzwischen den Aufbau von Vertragsbeziehungen zu Wettbewerbern angekündigt, sofern das Insolvenzverfahren nicht kurzfristig beendet würde. Sollte eine Insolvenzplanlösung nicht kurzfristig zustande kommen, drohen zahlreiche Kunden mit dem Abzug aller Aufträge, was zu einer nachhaltigen Umsatzund Ergebnisverschlechterung führen würde. Dies wiederum hätte eine kurzfristige Einstellung des Geschäftsbetriebs zur Folge.
Zabel
789
§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
Die Einstellung des Geschäftsbetriebs des schuldnerischen Unternehmens würde zu erheblichen Auslaufkosten führen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügt die Schuldnerin auf der Beschaffungsseite über ein offenes Bestellvolumen von ca. 10 Mio. EUR, das im Wesentlichen aus rechtsverbindlich abgeschlossenen Kaufverträgen für Rohmaterialien für die Herstellung der Produkte der Schuldnerin resultiert. Die Reichweite für diese Bestellungen liegt bei bis zu einem halben Jahr. Eine Rückabwicklung dieser Bestellungen würde zu erheblichen Schadenersatzansprüchen führen. Gleichzeitig hat die Schuldnerin auf der Absatzseite in erheblichem Umfang Kaufverträge mit Kunden abgeschlossen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beträgt der Auftragsbestand ca. 29 Mio. EUR und hat ebenfalls eine Reichweite von bis zu einem halben Jahr. Auch hier würde eine Rückabwicklung der Aufträge zu erheblichen Schadenersatzansprüche führen. Unabhängig hiervon würde die Einstellung des Geschäftsbetriebs erhebliche weitere Auslaufkosten zur Folge haben (z. B. Kosten für den Personalabbau in Höhe von mindestens 4 Mio. EUR oder Abbaukosten für die Produktion in Höhe von 5 Mio. EUR bis 6 Mio. EUR). Eine detaillierte Vergleichsrechnung für den Fall der Liquidation ist in der Anlage dargestellt. 2.5.2 Alternative 2: Asset Deal 160 Im Fall eines Asset Deals164) sollte ebenfalls eine gesonderte integrierte Unternehmensplanung erstellt werden. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Besonderheiten zu berücksichtigen:
Da der (laufende) Geschäftsbetrieb zu einem bestimmten Stichtag auf den Erwerber entgeltlich übertragen wird, sind die operativen Auswirkungen in der Plan-Gewinnund Verlustrechnung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund entfallen die Umsatzerlöse, die Materialaufwendungen, die Personalaufwendungen und ein Großteil der sonstigen betrieblichen Aufwendungen grundsätzlich ab dem Übertragungsstichtag.
In der Plan-Bilanz sind die Verkäufe der Vermögensgegenstände des Geschäftsbetriebs darzustellen. Gegenläufig wirkt sich der in dem Unternehmenskaufvertrag vereinbarte Kaufpreis aus. Die Ergebnisse aus dem Verkauf der Vermögensgegenstände sind in der Gewinn- und Verlustrechnung zu berücksichtigen.
161 Auf der Grundlage der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, der Plan-Bilanz und der PlanKapitalflussrechnung können die bilanziellen und damit liquidätswirksamen Auswirkungen des Asset Deals ermittelt werden. Darauf aufbauend können ebenfalls die Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung prognostiziert werden. Die i. R. der Vergleichsrechnung unterstellte Alternative (Asset Deal) sollte im darstellenden Teil ausführlich beschrieben und deren Auswirkungen dargestellt werden. 162 Musterformulierung: Alternativen zum Insolvenzplan – Szenario Asset Deal (darstellender Teil) Die Schuldnerin hat auf Wunsch der Gläubigerbanken und in Abstimmung mit dem Sachwalter sowie dem Gläubigerausschuss einen Investorenprozess eingeleitet, der durch die M&A GmbH geführt wurde. Nach gegenwärtigem Stand liegen keine detaillierten und belastbaren Angebote für den Kauf der Vermögensgegenstände des schuldnerischen Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals vor. Die Schuldnerin ist ein weltweit agierendes Konzernunternehmen mit zahlreichen in- und ausländischen Tochtergesellschaften. Im Rahmen eines Asset Deals müssten die ausländischen Beteiligungen nach ausländischem Recht übertragen werden. Darüber hinaus sind zahlreiche Sanierungsbeiträge unter der auflösenden Bedingung verein___________ 164) Bei einem Asset Deal werden sämtliche Vermögensgegenstände des Geschäftsbetriebs auf einen Erwerber entgeltlich übertragen. In diesem Zusammenhang gehen regelmäßig auch die bestehenden Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB (Betriebsübergang) auf den Erwerber über.
790
Zabel
§ 27
Plananlagen
bart worden, dass ein von der Schuldnerin vorgelegter Insolvenzplan rechtskräftig wird. Zudem ist davon auszugehen, dass ein potenzieller Investor i. R. eines Asset Deal-Angebots erheblich mehr Liquidität als i. R. des vorliegenden Insolvenzplans aufwenden müsste. Neben einem angemessenen Kaufpreis für die Assets (Sachanlagevermögen, Finanzanlagen und Vorratsbestände) müsste ein Investor die durch den Insolvenzverwalter ausgelösten Masseverbindlichkeiten (Bestellobligo) in einer Größenordnung von ca. 10 Mio. EUR ablösen und daneben die laufende Liquidität für die Fortführung des Geschäftsbetriebs sicherstellen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass kurzfristig ein potenzieller Investor bereit wäre, im Rahmen eines Asset Deals einen Kaufpreis zu zahlen, der zu einer höheren Gläubigerbefriedigung führen würde. 2.5.3 Alternative 3: Share Deal In besonders gelagerten Fällen (z. B. Filialbetriebe) kann es vorkommen, dass Investoren 163 ein besonderes Interesse an dem Erhalt des Rechtsträgers des schuldnerischen Unternehmens haben und daher einen Asset Deals ausschließen. Dabei kann es in der Praxis durchaus vorkommen, dass Investoren einen erheblichen Einfluss auf die Struktur des Insolvenzplans (z. B. Struktur der Gläubigerbefriedigung) nehmen und damit die Gläubiger überzeugen. In diesem Fall sollten durch die Planverfasser gesonderte integrierte Unternehmensplanungen erstellt werden, in der die ergebniswirksamen und bilanziellen Besonderheiten des Insolvenzplans berücksichtigt werden (siehe hierzu i. E. Rz. 102 ff. und Rz. 119 ff.). V.
Plananlagen nach § 226 InsO
1.
Grundsatz
Nach § 226 Abs. 1 InsO sind innerhalb einer Gläubigergruppe grundsätzlich allen Betei- 164 ligten die gleichen Rechte anzubieten. Sofern in einem Insolvenzplan Beteiligte mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zu einer Gläubigergruppe nach § 222 InsO zusammengefasst werden, hat jeder Beteiligte einen Anspruch auf Gleichbehandlung165) mit den Beteiligten der Gruppe.166) Mit der Vorschrift soll nicht die Gleichbehandlung der Gruppen untereinander gewährleistet werden. Ausnahmsweise ist nach § 226 Abs. 2 InsO eine unterschiedliche Behandlung der Betei- 165 ligten einer Gläubigergruppe zulässig. In diesem Fall sind dem Insolvenzplan die zustimmenden Erklärungen der schlechter behandelten Beteiligten beizufügen.167) Die Ausnahme der unterschiedlichen Behandlung gilt nicht, wenn gesicherte und ungesicherte Gläubiger in einer Gruppe zusammengefasst werden.168) Praxishinweis: Bei der Bildung der Gläubigergruppen sollte eine Ungleichbehandlung der 166 Gläubiger innerhalb einer Gruppe vermieden werden, da dies zu einem erheblichen Mehraufwand bei der Durchsetzung des Insolvenzplans führen kann. ___________ 165) Die Gleichbehandlung i. S. des § 226 InsO erfordert eine wirtschaftliche Gleichbehandlung, d. h. eine gleichmäßige Verteilung des Verwertungserlöses an die Gruppenmitglieder, vgl. Breuer, in: MünchKommInsO, § 226 Rz. 8; a. A. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 226 Rz. 2, der von einer lediglich rechtlichen Gleichbehandlung ausgeht, da eine wirtschaftliche Gleichbehandlung vom Insolvenzgericht und den über den Insolvenzplan abstimmenden Insolvenzgläubigern nur schwerlich beurteilt werden kann und so zu Rechtsunsicherheiten führen würde. 166) Vgl. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 7, der von einem gruppenimmanenten Gleichbehandlungsgebot spricht. 167) Vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 226 Rz. 4. 168) Vgl. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 226 Rz. 3.
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§ 27 2.
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt Inhalt der Erklärung
167 Nach § 226 Abs. 2 InsO hat jeder schlechter behandelte Beteiligte der Gruppe zu erklären, dass er mit der unterschiedlichen Behandlung innerhalb der Gruppe einverstanden ist. 168 Beispiel: Der Insolvenzplan der Mustermann GmbH sieht die Bildung von fünf Gläubigergruppen vor. In der Gruppe 2 werden alle ungesicherten Lieferanten eingruppiert. Der Insolvenzplan sieht vor, dass alle Gläubiger der Gruppe 2 eine Quote von 5 % auf ihre festgestellte Forderung über einen Zeitraum von drei Jahren erhalten. Davon abweichend soll der Hauptgläubiger der Gruppe 2, der zugleich Hauptlieferant der Mustermann GmbH und für die weitere Fortführung des Geschäftsbetriebs wichtig ist, lediglich eine einmalige Quotenzahlung in Höhe von 5 % auf die festgestellte Forderung erhalten. 169 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines Insolvenzgläubigers nach § 226 Abs. 2 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Meier GmbH, Bahnhofstraße 5 in Entenhausen, als nicht nachrangige Insolvenzgläubigerin der Gruppe 5 der Mustermann GmbH, dass wir mit einer Schlechterstellung auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2018 eingereichten Insolvenzplans einverstanden sind. [Ort, Datum, Unterschrift] 3.
Fehlende oder fehlerhafte Erklärung
170 Sofern ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt und der Insolvenzplan nicht die nach § 226 Abs. 2 InsO erforderliche Zustimmungserklärung der betroffenen Beteiligten enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern er nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird.169) VI.
Plananlagen nach § 230 InsO
171 Nach § 230 InsO sind dem Insolvenzplan sachverhaltsbezogene Erklärungen als weitere Anlagen beizufügen. Es handelt sich um Zustimmungserklärungen zum Insolvenzplan, die von unterschiedlichen Personengruppen (Schuldner, Gläubiger oder Dritte) abzugeben sind. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen Erklärungen im Zusammenhang mit
der Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner (Abs. 1),
der Fortführung des Unternehmens durch eine Auffanggesellschaft (Abs. 2) und
der Übernahme von Verpflichtungen durch einen Dritten (Abs. 3).
1.
Erklärungen des Schuldners (§ 230 Abs. 1 InsO)
172 Sofern der Insolvenzplan eine Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner vorsieht, ist dem Insolvenzplan eine Erklärung des Schuldners beizufügen, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist. Es handelt sich um eine Fortführungserklärung170) des Schuldners, mit der sichergestellt wird, dass die Bereitschaft des Schuldners besteht, auf Basis des Insolvenzplans die Fortführung des Unternehmens zu gewährleisten. Somit kann die Fortführung des Unternehmens nicht ___________ 169) Vgl. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 12. 170) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 4.
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§ 27
Plananlagen
gegen den Willen des Schuldners mit Hilfe eines Insolvenzplans durch die Gläubiger durchgesetzt werden.171) Mit der Fortführungserklärung soll zudem sichergestellt werden, dass der Schuldner die 173 sich aus der Fortführung des Unternehmens ergebenden persönlichen und unbeschränkten Haftungsrisiken weiterhin übernimmt. Insofern handelt es sich auch um eine Haftungserklärung des Schuldners.172) § 230 Abs. 1 InsO unterscheidet nach der Person des Schuldners zwischen natürlichen 174 Personen einerseits und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit sowie KGaA andererseits. Eine Erklärung der Gesellschafter einer Gesellschaft, die durch die Insolvenz aufgelöst und mit Hilfe des Insolvenzplans fortgeführt werden soll, wird vom Gesetzgeber nicht verlangt.173) 1.1
Natürliche Personen
1.1.1 Personenkreis Für den Fall, dass die im Insolvenzplan vorgesehene Fortführung des Unternehmens 175 durch eine natürliche Person als Schuldner erfolgt, ist dem Insolvenzplan nach § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO eine persönliche Erklärung des Schuldners beizufügen, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist. Als typische Anwendungsfälle kommen Unternehmen in Betracht, die als Einzelunternehmen fortgeführt werden. Die Fortführungserklärung ist jeweils von dem Einzelunternehmer abzugeben. Sofern der Insolvenzplan durch den Schuldner selbst vorgelegt wird, ist nach § 230 176 Abs. 1 Satz 3 InsO die Fortführungserklärung nicht erforderlich. In diesem Fall gilt die Erklärung des Schuldners mit der Vorlage des Insolvenzplans an das Insolvenzgericht als konkludent abgegeben.174) Dies gilt jedoch nicht, wenn der Insolvenzplan vom Insolvenzverwalter oder vom Sachwalter im Fall der Eigenverwaltung im Auftrag der Gläubigerversammlung eingereicht wird.175) 1.1.2 Inhalt der Erklärung Nach § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Schuldner verbindlich zu erklären, dass er zur 177 Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist. Es handelt sich insofern um eine materiell-rechtliche Willenserklärung,176) mit der die Fortführungsbereitschaft erklärt wird. In diesem Zusammenhang ist die Aufnahme von Bedingungen (§ 158 BGB) oder Befristungen (§ 163 BGB) grundsätzlich möglich. Beispiel: Der Insolvenzplan des Einzelunternehmers Max Muster sieht vor, dass für den Fall 178 der Rechtskraft des Insolvenzplans der Einzelunternehmer einen Sanierungsbeitrag in Höhe ___________ 171) Vgl. u. a. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 2. und Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 230 Rz. 3. 172) Vgl. Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 2; vgl. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 468. 173) In der Begr. RegE zu § 230 InsO wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein derartiger Beschluss der Gesellschafter nicht erforderlich ist vgl. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 468. Krit. hierzu Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 3, der in diesem Zusammenhang von einer erforderlichen sog. Fortsetzungserklärung spricht. Ein solcher Beschluss kann seit Inkrafttreten des ESUG, d. h. in Verfahren aufgrund Insolvenzantragstellung ab dem 1.3.2012, gemäß § 225a Abs. 3 InsO in den Insolvenzplan aufgenommen werden und entfaltet dann über § 254a Abs. 2 InsO Wirkung, ohne dass es einer zusätzlichen Erklärung nach § 230 InsO bedarf. 174) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 8. 175) Nach Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 7, wird in den genannten Fällen der Insolvenzplan nicht aus eigenem Recht des Schuldners nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO, sondern nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO im Gläubigerauftrag eingereicht. 176) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 10.
Zabel
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
von 20.000 EUR zur Befriedigung der Gläubiger leistet. In der dem Insolvenzplan beigefügten Fortführungserklärung erklärt der Einzelunternehmer verbindlich, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist und den Sanierungsbeitrag unter der aufschiebenden Bedingung leisten wird, dass der Insolvenzplan bis zum 30.6.2018 rechtskräftig wird. Der Insolvenzplan wird von den Gläubigern am 15.2.2018 im Abstimmungstermin angenommen und am 31.3.2018 vom Insolvenzgericht bestätigt. Die Rechtskraft des Insolvenzplans tritt am 15.4.2018 ein. 179 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung des Einzelunternehmers nach § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich, Max Muster, geboren am 29.3.1968, wohnhaft in Köln, Rheinstraße 5, dass ich zur Fortführung meines Einzelunternehmens auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2018 eingereichten Insolvenzplans bereit bin. Zudem erkläre ich, dass ich unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft des Insolvenzplans bis zum 30.6.2018 den im Insolvenzplan auf Seite 10 beschriebenen Sanierungsbeitrag in Höhe von 20.000 EUR fünf Tage nach Rechtskraft des Insolvenzplans auf das Anderkonto des Insolvenzverwalters zur Befriedigung der Gläubiger einzahlen werde. [Ort, Datum, Unterschrift] 180 Praxishinweis: Sofern die Fortführungserklärung von dem Schuldner unter eine Bedingung gestellt wird, die nicht Bestandteil des Insolvenzplans ist (z. B. Darlehensgewährung an den Schuldner), und diese Bedingung nicht eintritt, liegt keine wirksam abgegebene Fortführungserklärung vor.177) 181 Beispiel: Der Insolvenzplan eines Einzelunternehmers sieht vor, dass für den Fall der Rechtskraft des Insolvenzplans der Einzelunternehmer einen Sanierungsbeitrag in Höhe von 20.000 EUR an das schuldnerische Unternehmen zur Befriedigung der Gläubiger leistet. In der dem Insolvenzplan beigefügten Fortführungserklärung erklärt der Einzelunternehmer verbindlich, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist und den Sanierungsbeitrag unter der Bedingung leisten wird, dass seine Hausbank ihm ein Darlehen in Höhe von 20.000 EUR gewährt. Der Insolvenzplan wird von den Gläubigern am 15.2.2018 im Abstimmungstermin angenommen und am 31.3.2018 vom Insolvenzgericht bestätigt. Die Rechtskraft des Insolvenzplans tritt am 15.4.2018 ein. Am 20.4.2018 lehnt die Hausbank den Darlehensantrag des Einzelunternehmers ab. 1.1.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung 182 Sofern ein Insolvenzplan die nach § 231 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderliche Fortführungserklärung des Schuldners nicht oder nicht mit dem vorgeschriebenen Inhalt enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. 1.2
Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, KGaA
1.2.1 Personenkreis 183 Für den Fall, dass die im Insolvenzplan vorgesehene Fortführung des Unternehmens durch eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i. S. des § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO oder eine KGaA erfolgt, ist dem Insolvenzplan nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Fortführungser___________ 177) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 15.
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§ 27
Plananlagen
klärung der Personen beizufügen, die nach dem Insolvenzplan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen. Die Fortführungserklärung ist von allen persönlich haftenden Gesellschaftern des Unternehmens abzugeben. Als typische Anwendungsfälle kommen Unternehmen in Betracht, die als OHG, KG, KGaA, Partnerschaftsgesellschaft oder Gesellschaft des bürgerlichen Rechts fortgeführt werden. Die Fortführungserklärung ist jeweils von den persönlich haftenden Gesellschaftern abzugeben. § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO findet keine Anwendung bei juristischen Personen, wie z. B. 184 AG, GmbH, rechtsfähige Vereine178) und eingetragene Genossenschaften. Daneben gilt die Vorschrift nicht für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit oder KGaA, wenn deren persönlich haftende Gesellschafter keine natürlichen Personen sind (z. B. GmbH & Co. KG).179) Auch für den Fall, dass der Insolvenzplan durch den Schuldner selbst vorgelegt wird, 185 ist die Fortführungserklärung der persönlich haftenden Gesellschafter erforderlich. Die Ausnahmeregelung des § 230 Abs. 1 Satz 3 InsO ist nach der h. M. im Schrifttum nicht anwendbar.180) 1.2.2 Inhalt der Erklärung Nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO haben die Personen, die nach dem Insolvenzplan persön- 186 lich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, verbindlich zu erklären, dass sie zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit sind. Es handelt sich insofern um eine materiell-rechtliche Willenserklärung,181) mit der die Fortführungsbereitschaft erklärt wird. Im Hinblick auf die Aufnahme von Bedingungen (§ 158 BGB) oder Befristungen (§ 163 BGB) wird auf die obigen Ausführungen und Beispiele verwiesen (siehe Rz. 180 f.). Die Fortführungserklärung der persönlich haftenden Gesellschafter ist von dem gesell- 187 schaftsrechtlichen Fortsetzungsbeschluss der Gesellschafter abzugrenzen. Der Fortsetzungsbeschluss kann nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen gefasst werden, wenn das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, aufgehoben wurde. Beispiel: Über das Vermögen der Max & Moritz OHG wurde am 15.1.2018 das Insolvenz- 188 verfahren eröffnet. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Max & Moritz OHG nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB aufgelöst. Am 31.3.2018 wird das Insolvenzverfahren nach der Rechtskraft eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans aufgehoben. Nach § 144 Abs. 1 HGB können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen. Musterformulierung: Gesellschafterbeschluss
189
Unter Verzicht auf Form und Frist beschließen die bisherigen Gesellschafter der Max & Moritz OHG die Fortführung der Gesellschaft. [Ort, Datum, Unterschrift] ___________ 178) Nach Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 23, ist die Rechtslage bei nicht rechtsfähigen Vereinen zweifelhaft. Grundsätzlich ist der nicht rechtsfähige Verein nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO im Hinblick auf die Insolvenzfähigkeit und das gesamte Insolvenzverfahren einschließlich des Insolvenzplanverfahrens wie eine juristische Person zu behandeln, was aber nicht für die Haftung i. S. des § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten kann. 179) Zu den Besonderheiten bei der Vorgründungsgesellschaft und Vorgesellschaft vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 25. 180) Hierzu krit. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 26. Eine Klarstellung durch das ESUG ist nicht erfolgt. 181) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 28.
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
190 Mit der Verpflichtung der persönlich haftenden Gesellschafter zur Abgabe einer Fortführungserklärung soll erreicht werden, dass sich die Gesellschafter verbindlich bereit erklären, auf die Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses hinzuwirken.182) Die Fortführungserklärung ist von dem erforderlichen Gesellschafterbeschluss zur Fortführung der Gesellschaft zu unterscheiden. 191 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines persönlich haftenden Gesellschafters nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich, Max Muster, geboren am 29.3.1968, wohnhaft in Köln, Rheinstraße 5, in meiner Eigenschaft als persönlich haftender Gesellschafter der Meyer & Muster OHG, dass ich zur Fortführung der Meyer & Muster OHG auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2018 eingereichten Insolvenzplans bereit bin. [Ort, Datum, Unterschrift] 1.2.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung 192 Sofern ein Insolvenzplan die nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO erforderlichen Fortführungserklärungen der Personen, die nach dem Insolvenzplan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, nicht oder nicht mit dem vorgeschriebenen Inhalt enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. 2.
Erklärungen der Gläubiger (§ 230 Abs. 2 InsO)
193 Sofern der Insolvenzplan vorsieht, dass Gläubiger Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit übernehmen, ist dem Insolvenzplan eine zustimmende Erklärung eines jeden Gläubiger beizufügen. Es handelt sich um eine Zustimmungserklärung183) des Gläubigers mit der sichergestellt wird, dass „keinem Gläubiger […] gegen seinen Willen Anteils- oder Mitgliedsrechte oder eine Beteiligung anstelle einer Befriedigung in Geld aufgedrängt werden“.184) Es handelt sich insofern um eine Ausprägung des Verbots von Verträgen zulasten Dritter.185) In der Praxis findet § 230 Abs. 2 InsO insbesondere bei Insolvenzplanverfahren Anwendung, bei denen Großgläubiger (z. B. Banken) Anteile oder Beteiligungen i. R. eines Debt-Equity-Swaps186) übernehmen. 2.1
Personenkreis
194 Als Gläubiger i. S. des § 230 Abs. 2 InsO kommen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO), nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) oder absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 bis 51 InsO) in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffenen Gläubiger i. R. des Insolvenzplans Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen übernehmen. Dabei ist ___________ 182) 183) 184) 185) 186)
796
Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 30. Vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 230 Rz. 12. Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 203. Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 230 Rz. 10. Unter einem Debt-Equity-Swap versteht man eine Transaktion, bei der eine Forderung eines Gläubigers gegenüber einem Schuldnerunternehmen zugunsten einer entsprechenden Beteiligung an diesem erlischt. So z. B. wurde bei der Sanierung der Ihr Platz GmbH & Co. KG im Jahr 2006 das Sanierungsinstrument des Debt-Equity-Swaps i. R. eines Insolvenzplanverfahrens angewendet, vgl. Carli/Rieder/ Mückl, ZIP 2010, 1737.
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§ 27
Plananlagen
unerheblich, ob die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an dem Rechtsträger des schuldnerischen Unternehmens oder an einer im Insolvenzplan vorgesehenen Übernahme- und Auffanggesellschaft bestehen.187) Als typische Anwendungsfälle kommen unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen an einer GmbH oder AG in Betracht. § 230 Abs. 2 InsO findet keine Anwendung bei Einräumung von Optionsrechten (z. B. 195 Optionsschuldverschreibungen) und erfolgsabhängigen schuldrechtlichen Ansprüchen (z. B. Genussrechte).188) 2.2
Inhalt der Erklärung
Nach § 230 Abs. 2 InsO haben Gläubiger, die nach dem Insolvenzplan Anteils- oder Mit- 196 gliedschaftsrechte oder Beteiligungen übernehmen, verbindlich zu erklären, dass sie zu der Übernahme bereit sind. Es handelt sich insofern um eine materiell-rechtliche Willenserklärung.189) In diesem Fall muss jedoch der gestaltende Teil des Insolvenzplans eine gesellschaftsrechtlich erforderliche Willenserklärung enthalten (Beitrittserklärung), die nach § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans als abgegeben gilt. Insofern handelt es sich bei der Zustimmungserklärung um eine Tatbestandsvoraussetzung des § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO. Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Rechtskraft des 197 Insolvenzplans die Volksbank Entenhausen eG auf ihre Forderung in Höhe von 100.000 EUR verzichtet und stattdessen eine Beteiligung von 10 % an der Muster GmbH übernimmt. In dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans wurde eine entsprechende gesellschaftsrechtlich erforderliche Willenserklärung aufgenommen. Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines Insolvenzgläubigers nach § 230 Abs. 2 198 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Volksbank Entenhausen eG, Bahnhofstraße 5 in Entenhausen, als nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger der Gruppe 2 der Muster GmbH, dass wir zu der Übernahme einer unmittelbaren Beteiligung in Höhe von 10 % anstelle einer Befriedigung in Geld auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2018 eingereichten Insolvenzplans bereit sind. [Ort, Datum, Unterschrift] 2.3
Fehlende oder fehlerhafte Erklärung
Sofern ein Insolvenzplan die nach § 230 Abs. 2 InsO erforderliche Zustimmungserklärung 199 eines Gläubigers, der nach dem Insolvenzplan Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen übernehmen soll, nicht oder nicht mit dem vorgeschriebenen Inhalt enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. 3.
Erklärungen Dritter (§ 230 Abs. 3 InsO)
Sofern der Insolvenzplan vorsieht, dass ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Insol- 200 venzplans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen hat, ist dem Insol___________ 187) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 53. 188) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 57 f. 189) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 59.
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§ 27
3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
venzplan eine Erklärung des Dritten beizufügen. Die Erklärung ist dem Insolvenzplan jedoch nur beizufügen, wenn sie vor Einreichung des Insolvenzplans vorliegt und der Insolvenzplan hierauf Bezug nimmt.190) Während die Fortführungserklärung (§ 230 Abs. 1 InsO) und die Zustimmungserklärung (§ 230 Abs. 2 InsO) eigenständige Willenserklärungen i. R. des Insolvenzplanverfahrens darstellen, dient die Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO grundsätzlich der Information der Gläubiger. Als typische Anwendungsfälle kommen Erklärungen von Investoren in Betracht, die das schuldnerische Unternehmen fortführen und sich verpflichten, die Gläubigerbefriedigung teilweise oder vollständig zu übernehmen, oder das Finanzamt oder die Gemeinden, die auf die Erhebung von Steuern auf den Sanierungsgewinn verzichten. 3.1
Personenkreis
201 Als Dritte i. S. des § 230 Abs. 3 InsO kommen grundsätzlich alle natürlichen und juristischen Personen in Betracht, die nicht Schuldner und nicht Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO), nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) oder absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 bis 51 InsO) sind. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffenen Personen i. R. des Insolvenzplans Verpflichtungen übernehmen. Als typische Anwendungsfälle kommen Bürgschaftserklärungen, Schuldübernahmeerklärungen, Garantieerklärungen, Erklärungen von Investoren über den Eintritt in das Unternehmen und die Bereitstellung von Barmitteln in Betracht.191) 3.2
Inhalt der Erklärung
202 Nach § 230 Abs. 3 InsO haben Dritte, die für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans Verpflichtungen übernehmen, verbindlich zu erklären, dass sie zu der Übernahme bereit sind. Es handelt sich insofern um eine Verpflichtungserklärung, die unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) der Bestätigung des Insolvenzplans steht.192) Sofern ein vorgelegter Insolvenzplan zurückgenommen wird, tritt die aufschiebende Bedingung nicht ein. 203 Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans die Investor AG die Gläubigerbefriedigung in Höhe von 100.000 EUR an die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger der Gruppen 2 bis 5 innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens leistet. 204 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung des Investors nach § 230 Abs. 3 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Investor AG, Bahnhofstraße 5 in München, vertreten durch den alleinvertretungsberechtigten Vorstand Dr. Max Kohle, das wir die Gläubigerbefriedigung für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger der Gruppen 2 bis 5 in Höhe von insgesamt 100.000 EUR auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2018 eingereichten Insolvenzplans innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an die entsprechenden Gläubiger leisten werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 205 Nach dem Wortlaut des § 230 Abs. 3 InsO ist die Vorschrift grundsätzlich nur auf Verpflichtungserklärungen gegenüber Gläubigern anzuwenden. Die Vorschrift ist jedoch ___________ 190) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 203. 191) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 76 m. w. N. und Beispielen. 192) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 79.
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§ 27
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auch auf Verpflichtungserklärungen gegenüber der Schuldnerin analog anzuwenden, sofern diese für die Erfüllung des Insolvenzplans maßgeblich sind.193) Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Bestätigung 206 des Insolvenzplans die Investor AG der Muster GmbH ein nachrangiges Darlehen in Höhe von 100.000 EUR gewährt. Das Darlehen soll innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an die Muster GmbH ausgezahlt werden. Musterformulierung: Verbindliche Erklärung des Investors nach § 230 Abs. 3 InsO
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(Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Investor AG, Bahnhofstraße 5 in Entenhausen, vertreten durch den alleinvertretungsberechtigten Vorstand Dr. Max Kohle, dass wir der Muster GmbH innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ein nachrangiges Darlehen in Höhe von 100.000 EUR gewähren. [Ort, Datum, Unterschrift] 3.3
Exkurs: Erklärung der Finanzverwaltung
Im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens wird der Rechtsträger neben operativen leis- 208 tungswirtschaftlichen Maßnahmen v. a. durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen saniert. Die finanzwirtschaftliche Sanierung wird dabei insbesondere durch Forderungsverzichte der Gläubiger erreicht. Diese führen zu einem Sanierungsgewinn, da die Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern zum Zeitpunkt der Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht (§ 248 InsO) in der Handels- und Steuerbilanz der Schuldnerin i. H. des Verzichts ertragswirksam auszubuchen sind.194) Aufgrund gegenwärtig fehlender gesetzlicher Vorschriften ist der durch einen Insolvenzplan entstehende Sanierungsgewinn grundsätzlich in voller Höhe der Besteuerung zu unterwerfen.195) Das BMF stellt in seinem BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Sanierungserlass)196) fest, dass 209 die Besteuerung des Sanierungsgewinns mit den Zielen der InsO in Konflikt stehe, da die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Härte darstelle. Voraussetzungen für einen steuerbegünstigten Sanierungsgewinn i. S. des Sanierungserlasses sind die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Schuldners, die Sanierungseignung des Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger (siehe hierzu § 57 Rz. 103 ff.). Der BFH hat mit Beschluss vom 28.11.2016197) jedoch entschieden, dass der in dem BMF-Schreiben v. 27.3.2003 vorgesehene Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuern gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich die steuerlichen Voraussetzungen einer unterneh- 210 mensbezogenen Sanierung in § 3a Abs. 2 EStG n. F. neu geregelt. Bislang ist die Vorschrift jedoch nicht in Kraft getreten, da das Inkrafttreten des Gesetzes von der Zustimmung der EU-Kommission abhängig gemacht wurde. Von der EU-Kommission war ins___________ 193) Vgl. Thies, in: HambKomm-InsO, § 230 Rz. 9. 194) Der Zeitpunkt der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses oder die vollständige Erfüllung des Insolvenzplans ist für die Entstehung des Sanierungsgewinns unerheblich, vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rz. 430. 195) Nach der bis zum 31.12.1997 geltenden Vorschrift des § 3 Nr. 66 EStG a. F. waren „Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden“, in voller Höhe steuerfrei. 196) BStBl. I 2003, 240 = ZIP 2003, 690. 197) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338 = BB 2017, 481, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp).
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
besondere die Frage zu beurteilen, ob die in § 3a EStG n. F. vorgesehene Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen gegen das EU-Beihilferecht verstößt. Die EU-Kommission hat im August 2018 in einem sog. Comfort Letter festgestellt, dass die neuen steuerlichen Regelungen des § 3a EStG n. F. mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sind. Da die EUKommission jedoch keinen Beschluss erlassen hat, muss der Gesetzgeber noch einmal tätig werden, um die neuen Vorschriften zum Sanierungsgewinn wirksam werden zu lassen. Vor diesem Hintergrund werden derzeit von der Finanzverwaltung keine verbindlichen Auskünfte in Bezug auf die Besteuerung von Sanierungsgewinnen erteilt. 211–213 Einstweilen frei. 3.4
Fehlende oder fehlerhafte Erklärung
214 Sofern ein Insolvenzplan eine wirksam abgegebene Verpflichtungserklärung entgegen § 230 Abs. 3 InsO nicht enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird.198) VII. Stellungnahmen zum Insolvenzplan (§ 232 InsO) 215 Das Insolvenzplanverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass mit allen Beteiligten wirtschaftlich vertretbare Lösungen erarbeitet werden, die den Erhalt des Rechtsträgers ermöglichen. Dabei sind neben den Gläubigern auch die sonstigen Beteiligten (z. B. Mitglieder des Gläubigerausschusses, Betriebsrat etc.) von dem Insolvenzplan zu überzeugen. Dieses geschieht in der Praxis durch zahlreiche formelle und informelle Gespräche und Informationsveranstaltungen. Sofern einzelne Beteiligte dem Insolvenzplan positiv gegenüberstehen und ihn unterstützen, sollte dies auch im Insolvenzplan zum Ausdruck kommen und den Gläubigern mitgeteilt werden. Dies erhöht auf allen Ebenen die Bereitschaft, den Insolvenzplan zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, etwaige Erklärungen von den Beteiligten einzuholen und dem Insolvenzplan als obligatorische Anlage beizufügen. 216 Sofern das Insolvenzgericht den Insolvenzplan nicht nach § 231 InsO zurückgewiesen hat, holt es Stellungnahmen ein. Im Hinblick auf eine Beschleunigung des Verfahrens kann es vorteilhaft sein, derartige Stellungnahmen im Vorfeld einzuholen und dem Insolvenzplan beizufügen.199) 1.
Gläubigerausschuss (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO)
217 Nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist von dem Gläubigerausschuss, sofern ein solcher bestellt ist, durch das Insolvenzgericht eine Stellungnahme einzuholen. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses unterstützen und überwachen den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung (vgl. § 69 InsO) und sollten auch bei der Erstellung eines Insolvenzplans regelmäßig einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, die dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beizufügen ist.
___________ 198) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 95 ff. 199) Sofern die Stellungnahme bereits mit dem Insolvenzplan vorgelegt wird, kann von der Einholung einer weiteren Stellungnahme dann abgesehen werden, wenn seitens des Gerichts keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen, vgl. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 8.
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Musterformulierung: Stellungnahme eines Gläubigerausschussmitglieds zum Insol- 218 venzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich, Hans Meyer, wohnhaft in Köln, Uferstaße 3, in meiner Eigenschaft als Mitglied des Gläubigerausschusses die Zustimmung zu dem mir mit Schreiben vom 5.2.2018 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan. Der vorliegende Entwurf des Insolvenzplans wurde mir am 10.2.2018 durch die Geschäftsführung und dem Sachwalter ausführlich erläutert. Etwaige Fragen zur Unternehmensfortführung wurden vollständig von der Geschäftsführung beantwortet. Der mir vorliegende Entwurf des Insolvenzplans soll nach Rücksprache mit dem Sachwalter in unveränderter Form am 15.2.2018 beim Insolvenzgericht Köln eingereicht werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 2.
Betriebsrat (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO)
Nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist von Betriebsrat und Sprecherausschuss der leitenden Ange- 219 stellten durch das Insolvenzgericht eine Stellungnahme einzuholen. Die Arbeitnehmer sind i. d. R. maßgeblich an der leistungswirtschaftlichen Sanierung eines Unternehmens mit häufig einschneidenden Maßnahmen (z. B. Lohn- und Gehaltsverzichte) beteiligt. Diese Maßnahmen sind i. d. R. nur durchsetzbar, wenn die Verhandlungen auf Augenhöhe mit hoher Transparenz geführt werden. Dazu gehört auch, dass der Betriebsrat i. R. der Erstellung eines Insolvenzplans regelmäßig informiert und angehört werden sollte. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, die dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beizufügen ist. Musterformulierung: Stellungnahme des Betriebsrats zum Insolvenzplan nach § 232 220 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir die Zustimmung zu dem uns mit Schreiben vom 5.2.2018 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan. Der vorliegende Entwurf des Insolvenzplans wurde uns am 11.2.2018 durch die Geschäftsführung und dem Sachwalter ausführlich erläutert. Darüber hinaus wurden wir regelmäßig von der Geschäftsführung und dem Sachwalter über die Maßnahmen des Insolvenzplans informiert. Die in dem Insolvenzplan im darstellenden Teil genannte Betriebsvereinbarung hinsichtlich der geänderten Arbeitszeitregelung während der Dauer der Laufzeit des Insolvenzplans wurde zwischenzeitlich von Betriebsrat und Geschäftsführung unterschrieben. Der uns vorliegende Entwurf des Insolvenzplans soll nach Rücksprache mit dem Sachwalter in unveränderter Form am 15.2.2018 beim Insolvenzgericht Köln eingereicht werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 3.
Schuldner (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO)
Nach § 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist von dem Schuldner eine Stellungnahme durch das In- 221 solvenzgericht einzuholen, sofern der Insolvenzplan von dem Insolvenzverwalter vorgelegt wurde. Durch einen Insolvenzplan soll der Rechtsträger erhalten bleiben. Es ist in der Praxis davon auszugehen, dass ein vom Insolvenzverwalter eingereichter Insolvenzplan regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Schuldner erstellt, zumindest aber abgestimmt wurde. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, die dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beizufügen ist. Zabel
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3. Teil Insolvenzplan – Inhalt
222 Musterformulierung: Stellungnahme des Schuldners zum Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich als Allein-Gesellschafter der Meyer GmbH meine Zustimmung zu dem mir mit Schreiben vom 5.2.2018 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan. Der mir vorliegende Entwurf des Insolvenzplans soll nach Rücksprache mit dem Sachwalter in unveränderter Form am 15.2.2018 beim Insolvenzgericht Köln eingereicht werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 4.
Insolvenzverwalter (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO)
223 Nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist von dem Insolvenzverwalter eine Stellungnahme durch das Insolvenzgericht einzuholen, sofern der Insolvenzplan von dem Schuldner vorgelegt wurde. Die Vorschrift ist im Fall der Eigenverwaltung analog auf den Sachwalter anzuwenden. Durch einen Insolvenzplan soll der Rechtsträger erhalten bleiben. Es ist in der Praxis davon auszugehen, dass ein vom Schuldner eingereichter Insolvenzplan regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter erstellt, zumindest aber abgestimmt wurde. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, so dass diese dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beigefügt werden sollte. 224 Musterformulierung: Stellungnahme des Insolvenzverwalters/Sachwalters zum Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Meyer GmbH meine Zustimmung zu dem mir mit Schreiben vom 5.2.2018 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Vergleichsrechnung in Anlage [Nr. …]. Nach dem vorliegenden Insolvenzplan erhalten die ungesicherten Gläubiger 14 Tage nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine Quote von 10 % auf die festgestellten Forderungen. Sofern der vorliegende Insolvenzplan nicht von den Gläubigern angenommen wird, ist der Geschäftsbetrieb einzustellen. In diesem Fall ist mit einer Quotenzahlung für die Gläubiger nicht zu rechnen. [Ort, Datum, Unterschrift]
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C. Einzelaspekte des darstellenden und gestaltenden Teils § 28 Gruppenbildung Bierbach
I.
Einführung in die Grundsätze der Gruppenbildung ......................................... 1 1. Einleitung ..................................................... 1 2. Modus der Einteilung und Zweck der Gruppenbildung ........................................... 3 3. Standort der Gruppenbildung im Insolvenzplan ............................................. 13 4. Darstellung der Gruppenbildung im Plan.............................................................. 14 5. Gefahren für den Plan im Zusammenhang mit den Gruppenbildungsregeln ...... 16 5.1 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (§ 231 InsO).............. 17 5.2 Ablehnung durch die Gläubiger im Abstimmungstermin.......... 23 5.3 Versagung der gerichtlichen Bestätigung i. R. von § 248 InsO......... 24 5.4 Rechtsmittel................................... 27 6. Einflussnahmemöglichkeiten der Gläubiger auf die Gruppenbildung ........... 29 6.1 Im Planerstellungsauftrag an den Insolvenzverwalter ................. 30 6.2 Durch den Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung .................. 32 6.3 Informelle Einflussnahmemöglichkeiten ................................ 33 II. Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 InsO: Obligatorische Gruppen ............... 35 1. Allgemeines ................................................ 35 2. Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO) .............. 40 3. Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) .............. 47 3.1 Ungesicherte persönliche Forderungen .................................. 47 3.2 Gesicherte persönliche Forderungen .................................. 50 4. Einzelne Rangklassen nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO).............................................. 56 4.1 Regelfall: Erlasswirkung................ 56 4.2 Zinsen und Säumniszuschläge gesicherter Gläubiger .................... 60
4.3
Gesellschafterdarlehen bei Debt-Equity-Swaps ....................... 62 5. Anteilseigner (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO) ................................................ 63 III. Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO: Fakultative Gruppen ..................... 64 1. Differenzierungskriterien .......................... 65 1.1 Insolvenzrechtliche Maßgaben ..... 65 1.2 Spezialgesetzliche Gruppenbildungsmöglichkeiten .................. 72 2. Pflicht zur Bildung fakultativer Gruppen? .................................................... 77 3. Taktisches Verhalten bei der Gruppenbildung ......................................... 79 4. Dokumentationspflicht gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO ..................................... 84 5. Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Gruppen (§ 226 InsO) ........................ 85 6. Beispiele für typische fakultative Untergruppen innerhalb der verschiedenen obligatorischen Gruppen .................... 86 IV. Sonderfälle der Gruppenbildung ............ 88 1. Obligatorische Gruppen im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit ............. (§§ 208 f. InsO) ......................................... 88 1.1 Zulässigkeit eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit.................................................. 88 1.2 Schicksal der Gruppen des Regelinsolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit .................. 90 1.3 Behandlung der Massegläubiger......................................... 96 1.3.1 Kostengläubiger............................. 97 1.3.2 Übrige Massegläubiger.................. 99 2. Obligatorische Gruppen im Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 ff. InsO.............. 104 2.1 Situation der Kreditrahmenregelung........................................ 105 2.2 Gruppenbildung im Folgeinsolvenzplan .................................. 106 3. Ein-Gruppen-Plan.................................... 112
Literatur: Kaltmeyer, Der Insolvenzplan als Sanierungsmittel des Schuldners – Unter Berücksichtigung des EGInsOÄndG v. 19.12.1998 (Teil 1), ZInsO 1999, 255; Smid, Kontrolle der sachgerechten Abgrenzung von Gläubigergruppen im Insolvenzplanverfahren, InVo 1997, 169.
Bierbach
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§ 28
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
I.
Einführung in die Grundsätze der Gruppenbildung
1.
Einleitung
1 § 222 InsO regelt „bei der Festlegung der Rechte der Beteiligten im Insolvenzplan“ die Bildung bestimmter Gläubigergruppen (§ 222 Abs. 1 InsO, sog. obligatorische Gruppenbildung) und ermöglicht darüber hinaus die Bildung weiterer Gruppen (§ 222 Abs. 2 InsO, sog. fakultative Gruppenbildung). Die Gruppenbildung ist eine der Hauptaufgaben bei der Erstellung eines Insolvenzplans. Sie bildet die Grundlage für die Akzeptanz des Insolvenzplans, da § 243 InsO eine Abstimmung über den Insolvenzplan in Gruppen vorsieht, durch die der Plan von den Gläubigern angenommen oder abgelehnt wird. 2 Dabei steht der Vorgang der Gruppenbildung, wie das gesamte Instrument des Insolvenzplans, in einem gewissen Spannungsverhältnis: Zum einen soll der Insolvenzplan eine günstigere Alternative zu dem normalen Fall der Regelinsolvenz darstellen und damit vorrangig der in der Regel besseren Gläubigerbefriedigung dienen. Zum anderen wird in der Durchführung eines Insolvenzplans oftmals auch die Chance zur Eigensanierung des Schuldners liegen1) und ihm damit neue Perspektiven eröffnen. Es kollidieren also mitunter die Interessen der Gläubiger mit denen des Schuldners. Intention auch des § 222 InsO ist es, zur sachgerechten Auflösung dieses Spannungsverhältnisses beizutragen. 2.
Modus der Einteilung und Zweck der Gruppenbildung
3 In die verschiedenen (obligatorischen und fakultativen) Gruppen werden – anders als der Wortlaut des § 222 InsO es vermuten lässt – nicht die Gläubiger, sondern vielmehr deren Forderungen eingeteilt.2) 4 Grundlage für die obligatorische Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 InsO ist die unterschiedliche Rechtsstellung von Gläubigern (korrekt: von Forderungen mit unterschiedlicher Rechtsstellung, d. h. konkret mit unterschiedlichem Befriedigungsrang)3). 5 Innerhalb der obligatorischen Gruppen gestattet § 222 Abs. 2 InsO eine weitere, fakultative (Unter-)Gruppenbildung, wenn dabei gewisse Vorgaben beachtet werden: Es können zum einen nur Gläubiger mit gleichem wirtschaftlichen Interesse zusammengefasst werden; zum anderen muss die Abgrenzung anhand unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen sachgerecht erfolgen (siehe dazu eingehend Rz. 65 ff.). Bezüglich der Kriterien der Differenzierung in fakultative Gruppen besteht im Plan eine Dokumentationspflicht, vgl. § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO. 6 Hintergrund für die Gruppenbildung im Ganzen ist, dass damit eine Bündelung gleichartiger Gläubigerinteressen erreicht wird, welche wiederum dazu führen soll, die Legitimität und damit die Annahmewahrscheinlichkeit des Plans zu erhöhen.4) Diese Homo___________ 1) Nachweise bei Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 217 bis 269 Rz. 67, Fn. 144; vgl. außerdem § 262 RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443. 2) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 28. Die Kritik von Eidenmüller ebenda Rz. 29 an BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein), ist nicht gerechtfertigt, da auch der BGH in dieser Entscheidung ausdrücklich feststellt, dass ein Gläubiger mit einer teilweise gesicherten und teilweise ungesicherten Forderung in unterschiedliche Gruppen einzuordnen ist und dass diese Situation in dem konkreten Fall nur nicht vorliege. A. A. ist der BGH wohl nur hinsichtlich des Umfangs, in dem der gesicherte Gläubiger auch in die Gruppen der Insolvenzgläubiger eingeordnet wird. Die Kritik ist vielleicht zu verstehen, wenn man bedenkt, dass Eidenmüller im Gegensatz zu der vom BGH in dieser Entscheidung vertretenen Meinung richtigerweise der Ansicht ist, dass absonderungsberechtigte Gläubiger in voller Höhe ihrer persönlichen Forderung auch in die Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger einzuordnen sind. 3) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 49. 4) So auch die Begr. RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 92.
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§ 28
Gruppenbildung
genität der Interessen wird dadurch erreicht, dass einerseits in einer Gruppe nur Gläubiger gleicher Rechtsstellung zusammengefasst sein können (§ 222 Abs. 1 InsO)5) und dass andererseits eine mögliche Differenzierung in Untergruppen gemäß § 222 Abs. 2 InsO an den Kriterien der Gleichartigkeit bzw. Unterschiedlichkeit wirtschaftlicher Interessen zu messen ist. Bei der Gruppenbildung ist auch die Regelung des § 226 InsO im Blick zu behalten: Nach 7 dieser Vorschrift sind den einer Gruppe zugeteilten Gläubigern grundsätzlich gleiche Rechte anzubieten, wenn nicht die betroffenen Gläubiger einer Ungleichbehandlung einzeln zustimmen. Wenn also in die Rechte von Gläubigern mit gleicher Rechtsstellung in unterschiedlicher Art oder Intensität eingegriffen werden soll, so ist dies nur dann möglich, wenn diese auch anhand eines unterschiedlichen wirtschaftlichen Interesses gemäß § 222 Abs. 2 InsO voneinander abgegrenzt und in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden können. Beispiel: Gesicherte Lieferanten könnten sich u. U. – im Vergleich zu gesicherten Darlehensge- 8 bern – mit weitreichenderen Eingriffen in ihr jeweiliges Absonderungsrecht durch den Insolvenzplan abfinden, da sie sich von der Sanierung des Schuldners vielleicht eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen und damit einen langfristigen Vorteil erhoffen. Ein unterschiedliches wirtschaftliches Interesse von gesicherten Lieferanten und Darlehensgebern lässt sich aus eben diesem Grund feststellen und eine gruppenmäßige Differenzierung rechtfertigen (siehe dazu auch Rz. 87 f.). Insbesondere aus der Zusammenwirkung mit § 226 InsO wird die Wahrung der Gläubi- 9 gerinteressen als Zweck der Gruppenbildung offenbar. Dadurch, dass die Gläubiger einer Gruppe notwendigerweise in gleicher Art und Intensität in ihren Rechten beeinträchtigt werden, können und werden sie sich gegen einen übermäßigen Eingriff in ihre Rechtspositionen in der Abstimmung über den Insolvenzplan gemäß §§ 244, 245 InsO wirksam zur Wehr setzen. Eine Aufteilung stärker beeinträchtigter Gläubiger auf verschiedene Gruppen zum Zwecke der Überstimmung durch weniger beeinträchtigte Gläubiger und eine damit einhergehende Entwertung ihrer Stimmrechte ist somit erschwert. Diese Schutzwirkung tritt neben die des § 251 InsO. Ein weiterer Aspekt der Gruppenbildung ist im Lichte des Interesses (des Schuldners, aber 10 auch der Gläubigermehrheit) zu sehen, einen günstigen Plan durchzusetzen.6) Dabei geht es keinesfalls darum, dass einzelne Gläubiger durch einen Plan übermäßig benachteiligt werden sollen, was schon wegen der Regelungen zum Minderheitenschutz nach § 251 InsO kaum erreichbar wäre. Es geht vielmehr darum, den auch dem Interesse der Gläubigermehrheit widersprechenden Widerstand einzelner Planopponenten gegen einen sachgerechten und mehrheitlich akzeptierten Plan zu überwinden. Beispiel: Ein Konkurrent könnte sich zunächst eine Gläubigerstellung durch Forderungskauf 11 und Abtretung verschaffen, um dann die Zerschlagung des Schuldners durch Verhinderung eines sanierenden Insolvenzplans erreichen zu können. Um diesen Widerstand zu entkräften, muss und darf ggf. eine geschickte Gruppenbildung 12 vorgenommen werden. Die Legitimität taktischen Verhaltens ergibt sich also schon aus dem berechtigten Interesse des Planerstellers, seinen Insolvenzplan auch zur Annahme zu bringen (weiterführend zur Legitimität taktischen Verhaltens siehe Rz. 80 ff.). Die Gruppenbildung im Insolvenzplan muss daher für jedes Verfahren stark einzelfallabhängig erfolgen. Schematische Lösungen sind schon in einfacheren Fallgestaltungen untunlich, denn ___________ 5) Weshalb Gläubiger grundsätzlich nur von anderen Gläubigern mit wenigstens gleichem rechtlichen Interesse überstimmt werden können. 6) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 53.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
die Besonderheiten des konkreten Insolvenzplans erfordern individuelle Regelungen und Gruppeneinteilungen. 3.
Standort der Gruppenbildung im Insolvenzplan
13 Die Gruppenbildung wird im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgenommen, denn sie erfolgt ausweislich des Wortlauts des § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO „bei der Festlegung der Rechte der Beteiligten“ (siehe dazu auch den Musterinsolvenzplan unten § 52). Im gestaltenden Teil sind sinnvoller Weise auch die Abgrenzungskriterien für die fakultative Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO anzugeben, weil dies die Lesbarkeit des Plans deutlich erhöht.7) Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht steht dies auch nicht in Widerspruch zu § 220 Abs. 2 InsO, wonach grundsätzlich alle Angaben zu den Grundlagen des Plans im darstellenden Teil gemacht werden sollen. Mit diesen Grundlagen sind v. a. die Beschreibungen und Darlegungen zur wirtschaftlichen Ausgangssituation gemeint, in der sich der Schuldner befindet.8) Dass damit nicht die Dokumentation gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO gemeint ist, ergibt sich schon daraus, dass diese Dokumentation zwingend ist, die Inhalte nach § 220 Abs. 2 InsO aber gerade nicht zwingend angegeben werden müssen. Außerdem würde es die Lesbarkeit eines Plans enorm beeinträchtigen und eine irreführende Strukturierung zur Folge haben, wenn zuerst im darstellenden Teil die Kriterien der Gruppenbildung dokumentiert werden müssten, bevor dann im gestaltenden Teil die Gruppenbildung als solche vorgenommen wird. 4.
Darstellung der Gruppenbildung im Plan
14 Im Plan empfiehlt es sich, die Gruppenbildung folgendermaßen darzustellen:
Zunächst ist abstrakt darzulegen, dass und aus welchem Grund die konkrete Gruppe in diesem Verfahren gebildet wird.
Sodann erfolgt die Zuteilung der passenden Gläubiger zu dieser Gruppe.
Zuletzt ist die Zuteilung der einzelnen Gläubiger zu der Gruppe zu begründen.
15 Die Darstellung kann je nach Planumfang und Komplexität kurz oder umfangreich erfolgen. In ganz einfachen Fällen kann die Zuteilung der Gläubiger zu den gebildeten Gruppen und die Begründung dieser Zuteilung auch in einem einzigen Darstellungsschritt vorgenommen werden. Die saubere Zuordnung und Abgrenzung samt Begründung ist jedoch unerlässlich. 5.
Gefahren für den Plan im Zusammenhang mit den Gruppenbildungsregeln
16 Ein Insolvenzplan kann auf seinem Weg zur Rechtskraft mit vielfältigen Hürden und Hindernissen konfrontiert sein. An dieser Stelle wird nachfolgend nur darauf eingegangen, inwieweit diese Hindernisse gerade im Zusammenhang mit der Gruppenbildung auftreten können. 5.1
Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (§ 231 InsO)
17 Gemäß § 231 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht schon vor der Behandlung des Insolvenzplans durch die Gläubiger den Plan von Amts wegen zurückzuweisen, sofern die in der Vorschrift genannten Vorgaben nicht eingehalten wurden. Im Zusammenhang mit der Gruppenbildung ist hier § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO relevant, wonach eine Zurückweisung erfolgt, „wenn die Vorschriften über […] den Inhalt des Plans nicht beachtet sind und der ___________ 7) A. A. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 22; Thies, in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 4. 8) Vgl. Thies, in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 5.
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§ 28
Gruppenbildung
Vorlegende den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen, vom Gericht gesetzten Frist nicht behebt“. Zu den Vorschriften über den Inhalt des Plans zählen insbesondere die Regeln über die Gruppenbildung gemäß § 222 InsO. Problematisch ist dabei insbesondere die Reichweite des Prüfungsrechts des Insolvenz- 18 gerichts i. R. des § 231 InsO (siehe auch § 35 Rz. 7 ff.). Unzweifelhaft überprüft werden kann und muss, ob die Regeln des § 222 InsO verletzt sind. Das Insolvenzgericht prüft daher, ob alle notwenigen obligatorischen Gruppen gebildet sind und ob bei eventueller fakultativer Gruppenbildung die Vorgaben des § 222 Abs. 2 InsO, also die Erfordernisse der Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Interessen und der Sachgerechtigkeit der Abgrenzung, gewahrt sind. Ob aber darüber hinaus vom Insolvenzgericht auch überprüft werden kann, ob der Pla- 19 nersteller die Gruppenbildung „manipulativ“ ausgestaltet hat, ist umstritten.9) Es wurde bereits angedeutet, dass eine taktisch motivierte Gruppenbildung, die die Annahme des Plans wahrscheinlich machen soll, durch das Gesetz nicht verboten ist, solange sie sachgerecht ist (siehe oben Rz. 10 ff.). Darüber hinaus ist schon kaum abgrenzbar, ab wann von einer verbotenen, „manipulativen“ Vorgehensweise gesprochen werden kann. Wegen der sich daraus ergebenden Unsicherheiten ist ein zu weitgehendes Prüfungsrecht 20 des Insolvenzgerichts abzulehnen und die Entscheidung darüber, ob die Gruppeneinteilung den Rahmen des Erlaubten sprengt, in Zweifelsfällen den Gläubigern zu überlassen. Sollten einzelne Gläubiger durch die Gruppenbildung in ihren Rechten verletzt werden, haben sie – neben der Wahrnehmung ihres Stimmrechts – ggf. die Möglichkeit, Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO für sich in Anspruch zu nehmen und sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans einzulegen, § 253 InsO. Sie sind zur Wahrung ihrer Rechte daher nicht auf eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Vorprüfung durch das Insolvenzgericht angewiesen. Zu beachten ist hierbei, dass § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Nachbesserungsmöglichkeit 21 für den Planersteller vorsieht, mit deren Hilfe die Vorprüfung ggf. noch bestanden werden kann. Ab Vorlage des Plans, also auch schon i. R. der Vorprüfung, gelten jedoch für Nachbesserungen die Beschränkungen des § 240 InsO. Nachträgliche Änderungen sind demnach nicht in beliebigem Umfang möglich, sondern nur bezüglich „einzelner Regelungen des Insolvenzplans“. Der Plan darf durch die Nachbesserung nicht in seinem Kern, d. h. seinen prägenden Gestaltungen, verändert werden. Kriterium dafür wiederum ist, dass die abstimmenden Gläubiger durch die Neuerungen nicht die Übersicht über die Wirkungen, die der Plan für sie haben wird, verlieren dürfen.10) Für die Praxis bedeuten diese indes wenig griffigen Formulierungen, dass die Zulässigkeit von Gruppenänderungen nach Planvorlage nicht abstrakt beurteilt werden kann, sondern Ergebnis einer konkreten Einzelfallprüfung ist11) (siehe zur Planänderung auch unten § 39). Beispiel: Als zulässig angesehene Änderungen der Gruppenbildung sind: die Unterteilung 22 einzelner gebildeter Gruppen in Untergruppen; die Zusammenfassung mehrerer Gruppen zu ___________ 9) Gegen eine weitreichende Prüfungskompetenz die wohl h. M.: Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 12; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 24; Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 10 ff.; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 231 Rz. 3; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 263; a. A. und für eine weitreichende Prüfungskompetenz Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 231 Rz. 15; Smid, InVo 1997, 169, 176 f. Die Entscheidungen BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt), und AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240, fordern zu Recht die Angabe nachprüfbarer und belastbarer Differenzierungskriterien im Insolvenzplan. 10) So auch Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 5 m. w. N. 11) A. A. Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 12, der eine nachträgliche Änderung der Gruppeneinteilung generell ablehnt.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
einer Gruppe; der Austausch einzelner Gläubiger von der einen in die andere Gruppe sowie Korrekturen fehlerhafter Gruppenbildungen.12) 5.2
Ablehnung durch die Gläubiger im Abstimmungstermin
23 Der Gefahr der Ablehnung des Insolvenzplans im Abstimmungstermin gemäß § 244 InsO (siehe § 38 Rz. 24 ff.) kann der Planersteller entscheidend durch eine sinnvolle Gruppenbildung unter Beachtung der gesetzlichen Regeln des § 222 InsO entgegenwirken. Planfeindliche Gläubiger können beispielsweise dergestalt auf die verschiedenen Gruppen verteilt werden, dass innerhalb einer jeden Gruppe trotzdem noch die erforderliche Kopf- und Summenmehrheit gemäß § 244 Abs. 1 InsO erreicht werden kann. Alternativ dazu können planfeindlich eingestellte Gläubiger in einer Gruppe zusammengefasst werden. Dies offenbart die Möglichkeit, dass, falls nur diese eine Gruppe den Plan ablehnt, ihr Widerstand über das Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO überwunden werden kann. Die Regelungen zum Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO sind bei der Gruppenbildung daher immer im Auge zu behalten und sinnvoll in die Überlegungen einzubeziehen. 5.3
Versagung der gerichtlichen Bestätigung i. R. von § 248 InsO
24 Nach einer positiven Abstimmung der Gläubiger über den und der Zustimmung des Schuldners zu dem Plan bedarf dieser, um in Rechtskraft zu erwachsen und seine im gestaltenden Teil vorgesehenen Wirkungen zu entfalten, noch der Bestätigung durch das Insolvenzgericht gemäß § 248 InsO. Diese Bestätigung kann in den Fällen der §§ 249 f. InsO, insbesondere gemäß § 250 InsO bei Verstößen gegen Verfahrensvorschriften, versagt werden (siehe unten § 42). Für Fehler bei der Gruppenbildung relevant ist der Fall des § 250 Nr. 1 InsO, nach dem die Bestätigung des Plans von Amts wegen zu versagen ist, „wenn die Vorschriften über den Inhalt […] des Insolvenzplans […] in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Mangel nicht behoben werden kann“. Auch hier gilt wieder, dass die Gruppenbildungsvorschriften des § 222 InsO Vorschriften über den Inhalt des Plans in diesem Sinne sind (siehe dazu oben Rz. 17). Da es sich um zwingende Vorschriften handelt, ist bei einem Verstoß immer „ein wesentlicher Punkt nicht beachtet“.13) 25 Da die hier vorzunehmende Prüfung vom Umfang her deckungsgleich ist mit derjenigen der Vorprüfung gemäß § 231 InsO, sollten fehlerhafte Pläne in diesem Stadium eigentlich schon aussortiert sein. Etwas anderes kann natürlich insbesondere dann gelten, wenn der Inhalt des Plans zwischenzeitlich gemäß § 240 InsO geändert wurde. Der Prüfungsumfang bezüglich der Gruppenbildung ist auch i. R. der §§ 248 ff. InsO auf die Einhaltung der Regeln des § 222 InsO beschränkt und erstreckt sich wie auch die Prüfung nach § 231 InsO nicht auch auf etwaige „Manipulationen“ des Abstimmungsergebnisses durch die Gruppenbildung (mit derselben Begründung wie oben, siehe Rz. 18 ff.). 26 Zu beachten ist, dass auch i. R. der §§ 248 ff. InsO noch eine Nachbesserungsmöglichkeit für den Planersteller besteht.14) Dabei gelten wiederum die im Zusammenhang mit § 231 InsO dargestellten Einschränkungen des § 240 InsO (siehe Rz. 21). Einzelheiten siehe unten § 38 Rz. 31 ff. ___________ 12) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9, und Eidenmüller, in MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 44 m. w. N.; nur für die Zulässigkeit der letztgenannten Änderung Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 9. 13) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 10. 14) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 19.
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Gruppenbildung 5.4
Rechtsmittel
Wird die Bestätigung trotz Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften erteilt, steht den 27 Gläubigern sowie dem Schuldner gemäß § 253 InsO hiergegen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu, soweit diese beschwert sind (siehe auch unten § 43).15) Die sofortige Beschwerde kann sich auf alle Verletzungen von Vorschriften über das gerichtliche Bestätigungsverfahren, also wegen § 250 Nr. 1 InsO auch auf eine Verletzung der Gruppenbildungsregeln, stützen.16) Diese Rechtsschutzmöglichkeit ist jedoch nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat, gegen den Plan gestimmt hat und glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 genannten Mitteln ausgeglichen werden kann. Einstweilen frei. 6.
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Einflussnahmemöglichkeiten der Gläubiger auf die Gruppenbildung
Nach der Darstellung der Hürden und Gefahren für den Plan wird deutlich, dass diese 29 zum großen Teil auch von Seiten der beteiligten Gläubiger drohen. Eine möglichst frühzeitige Gläubigerbeteiligung und Einbindung gebietet daher nicht nur die Fairness, sondern sie liegt auch im Interesse des Planerstellers. Abgesehen davon gibt es jedoch auch Möglichkeiten für die Gläubiger, aus eigener Initiative Einfluss auf die Gestaltungen des Insolvenzplans zu nehmen. 6.1
Im Planerstellungsauftrag an den Insolvenzverwalter
Gemäß § 157 Satz 2 InsO kann die Gläubigerversammlung den Insolvenzverwalter mit 30 der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen. Dabei kann sie ihm das Ziel des Plans vorgeben. Demgegenüber kann sie dem Verwalter nicht den von den Planzielen streng zu unterscheidenden Planinhalt – etwa mit bestimmten Anweisungen für die Gruppenbildung – vorgeben oder gar die Vorlage eines schon ausgearbeiteten Plans verlangen.17) Beispiel: Verschiedene Planziele können sein: die Sanierung, die Übertragung oder auch die 31 Liquidation zu anderen Bedingungen als in der Regelinsolvenz. Hingegen gehört die Vornahme der Gruppenbildung i. E. zum Planinhalt, nicht zum Planziel. 6.2
Durch den Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung
Gemäß § 218 Abs. 3 InsO wirkt der Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung mit. Er 32 kann in diesem Zusammenhang jedenfalls Stellungnahmen an den Insolvenzverwalter abgeben. Es besteht jedoch seitens des Verwalters keine rechtliche Pflicht, diese Stellungnahmen im Plan umzusetzen. Ihn trifft lediglich die im darstellenden Teil des Plans zu tragende Argumentationslast, wenn er den Stellungnahmen des Gläubigerausschusses nicht folgt,18) insbesondere um eine Ablehnung des Plans durch die Gläubiger in der Abstimmung zu verhindern. ___________ 15) Nur für den planvorlegenden Schuldner reicht eine formelle Beschwer. Sonst bedarf es formeller und materieller Beschwer; das Erfordernis der auch formellen Beschwer für Gläubiger schreibt § 253 Abs. 2 Nr. 2 InsO vor. Vgl. zur alten Rechtslage Thies, in: HambKomm-InsO, 3. Aufl., § 253 Rz. 7. 16) Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 253 Rz. 1. 17) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 16 und 18 ff. jew. m. w. N.; diff. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 12. 18) Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 218 Rz. 10; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 36; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 53.
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§ 28 6.3
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Informelle Einflussnahmemöglichkeiten
33 Auch wenn den planerstellenden Insolvenzverwalter oder Schuldner keine rechtliche Pflicht trifft, konkrete Vorstellungen der Gläubiger insbesondere in Bezug auf die Gruppenbildung zu berücksichtigen, so haben die Gläubiger doch ein entscheidendes Argument auf ihrer Seite, wenn sie ihre Vorstellungen – i. R. der gesetzlichen Vorgaben, auch derjenigen zur Gruppenbildung – in den Plan einbringen möchten. Denn letztendlich müssen sie dem Plan zustimmen und ihm so zur Rechtskraft und damit zur Wirksamkeit verhelfen. Der Planersteller, dem grundsätzlich daran gelegen sein muss, einen Plan aufzustellen, der Aussicht auf die Bestätigung durch die Gläubiger hat, kann sich dem Willen der Gläubiger deshalb nicht ohne Weiteres, sondern wohl nur mit guten Argumenten widersetzen. Entscheidend ist, dass die Gläubiger in allen Teilen des Plans objektiv und transparent informiert und fair behandelt werden. Dies gilt insbesondere für die Gruppenbildung, bei der die Gläubiger nicht den Eindruck einer aus ihrer Sicht manipulativen oder gar missbräuchlichen Gruppenbildung bekommen dürfen. Denn auch wenn dies gesetzlich nicht sanktioniert werden kann, könnten die Gläubiger so zu einer Ablehnung des Plans in der Abstimmung oder dem Einlegen von Rechtsmitteln bewegt werden. Der Planersteller muss die Gruppenbildung und die Gruppenzuteilung gut begründen und sollte schon frühzeitig die beabsichtigte Gruppenbildung gegenüber den Planbetroffenen kommunizieren, um nachträglichem Ablehnungsverhalten vorzubeugen oder es einzudämmen. 34 Zu beachten ist auch in diesem Zusammenhang für den Fall nachträglicher Korrekturen die Vorschrift des § 240 InsO, die ab der Vorlage des Plans an das Insolvenzgericht Änderungen von Regelungen in dem Plan nicht mehr in beliebigem Umfang zulässt. Korrekturen insbesondere im Bereich der Gruppenbildung sind demgemäß nur zulässig, soweit sie noch als Änderung „einzelner Regelungen“ aufzufassen sind (siehe oben Rz. 21 f.). II. Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 InsO: Obligatorische Gruppen 1. Allgemeines 35 Gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO sind Gruppen zu bilden, soweit Gläubiger mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind (siehe Rz. 4). § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO zählt hierzu vier Fälle besonders auf, in denen das in jedem Fall gegeben ist und daher eine entsprechende Gruppe obligatorisch im Insolvenzplan zu bilden ist: „Es ist zu unterscheiden zwischen 1. den absonderungsberechtigten Gläubigern, wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird; 2. den nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern; 3. den einzelnen Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 als erlassen gelten sollen; 4. den am Schuldner beteiligten Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden.“ 36 Die unterschiedliche Rechtsstellung der aufgezählten Gläubigergruppen begründet sich dabei aus der unterschiedlichen wirtschaftlichen Werthaltigkeit der Forderungen in der Insolvenz infolge der Rangfolge der Befriedigungsrechte bzw. der Art der Befriedigungsrechte.19) Die „unterschiedliche Rechtsstellung“ ist demnach eine spezifisch insolvenzrechtliche.20) ___________ 19) Denn die Absonderungsrechte sind den übrigen Forderungen nicht vorrangig, sondern werden nur auf andere Art befriedigt, vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 22 und Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 24 m. w. N. 20) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 49.
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Gruppenbildung
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung21) ist die Aufzählung des § 222 37 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht abschließend,22) zählt also nicht alle möglichen obligatorischen Gläubigergruppen auf. Abschließend ist die Aufzählung allenfalls für den Regelinsolvenzplan, da in diesem Fall keine Gläubiger mit einer anderen als den aufgezählten Rechtsstellungen im oben definierten Sinne denkbar sind. Es sind jedoch Insolvenzpläne in Sondersituationen vorstellbar, an denen aufgrund der Sondersituation, in der sie gelten, auch Gläubiger mit anderen Rechtsstellungen als den in § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgezählten beteiligt sein können. Dies sind namentlich der Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit sowie der Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 f. InsO im ersten Insolvenzplan: Für den Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit ergeben sich die unterschiedlichen 38 Rechtsstellungen der Gläubiger nicht aus § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO, sondern wegen der anderen Zielsetzung eines solchen Plans vielmehr aus § 209 Abs. 1 InsO.23) Siehe dazu i. E. Rz. 89 ff. Für den Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 f. InsO ergibt 39 sich aus diesen Vorschriften, dass die in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO vorgesehene einheitliche Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger in einem solchen Insolvenzplan in zwei Gruppen aufgespaltet werden muss: Denn für einige nicht nachrangige Insolvenzgläubiger wird in §§ 265 f. InsO ein Vorrang vor anderen Gläubigern dieser Kategorie begründet. Aus diesem „Befriedigungsvorrang“ ergibt sich eine unterschiedliche Rechtsstellung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO, so dass ggf. entsprechende obligatorische Gruppen gebildet werden müssen.24) Siehe dazu i. E. Rz. 105 ff. 2.
Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO)
§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO schreibt die Bildung einer Gruppe der absonderungsbe- 40 rechtigten Gläubiger vor, „wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird“. Wer absonderungsberechtigter Gläubiger ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 49 ff. InsO. Zu beachten ist hier aber insbesondere, dass die Gruppeneinteilung nicht die Gläubiger als solche, sondern nur deren Forderungen erfasst (siehe oben Rz. 3 ff.). In die Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger sind Gläubiger also nur insoweit einzuordnen, als auch ihr Absonderungsrecht reicht. Besteht auch eine schuldrechtliche Forderung gegen den Insolvenzschuldner, was nur in absoluten Ausnahmefällen nicht der Fall sein wird, so ist der absonderungsberechtigte Gläubiger ggf. zusätzlich auch in der Gruppe der nicht nachrangigen bzw. nachrangigen Gläubiger einzuordnen (zu dieser Problematik siehe unten Rz. 50 ff.). Eine Gruppe für die absonderungsberechtigten Gläubiger ist jedoch nach dem eindeuti- 41 gen Wortlaut des § 222 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nur dann zu bilden, wenn in deren Absonderungsrechte durch den Insolvenzplan eingegriffen wird, und auch nur für diejenigen Gläubiger, in deren Rechte tatsächlich eingegriffen wird. Dies geschieht durch ausdrückliche Regelungen im Plan, § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO. Aus § 223 Abs. 2 InsO ergeben sich einige denkbare Möglichkeiten, wie in Absonde- 42 rungsrechte eingegriffen werden kann, also insbesondere in Form einer teilweisen Kür___________ 21) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 7. 22) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 50. 23) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 5 a. E.; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 78. 24) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 74 ff.; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 5 a. E.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
zung oder Stundung der Rechte. Daneben kommt beispielsweise oftmals auch eine Pauschalabfindung in Betracht. 43 Beispiel: Insbesondere Vermieterpfandrechte oder Eigentumsvorbehalte können auf diese Weise oft mit einem Bruchteil der bestehenden Forderung abgelöst werden, weil deren Gläubiger in vielen Fällen ein Interesse an der Fortsetzung der Geschäftsbeziehung haben werden und von dieser noch in Zukunft profitieren wollen. 44 Darüber hinaus sind der Kreativität des Planerstellers hinsichtlich der Eingriffe in Absonderungsrechte grundsätzlich keine gesetzlichen Grenzen gesetzt, soweit nicht gegen die insolvenzrechtlichen Gruppenbildungs- und -behandlungsregeln verstoßen wird. Als tatsächliche, weitere Begrenzung ist jedoch in der Regel die Schlechterstellung der Gläubiger gegenüber dem Regelverfahren zu beachten: Hat ein Eingriff eine Schlechterstellung zur Folge, so ist immer mit Minderheitenschutzanträgen gemäß § 251 InsO oder Rechtsmitteln gemäß § 253 InsO zu rechnen. Außerdem ist die Möglichkeit einer Ausschaltung des oder der betroffenen Gläubiger über das Obstruktionsverbot nicht mehr möglich, § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 45 Beispiel: Denkbar wäre z. B. auch die Festlegung einer Ausschlussfrist vor Auszahlung eines im Insolvenzplan festgelegten Fixums an die Gläubiger, innerhalb derer absonderungsberechtigte Gläubiger einen Ausfall oder Verzicht nachzuweisen haben, wenn sie berücksichtigt werden wollen (entsprechend § 190 Abs. 1, § 189 Abs. 1 und 3 InsO). Dies empfiehlt sich insbesondere bei Absonderungsrechten an Immobilien, deren Verwertung oft nicht vor Abschluss des Insolvenzplanverfahrens zu erwarten ist. 46 Es besteht prinzipiell auch die Möglichkeit, einige Absonderungsrechte im Vergleich zu anderen anders zu behandeln, indem nicht in alle Rechte (gleichermaßen) eingegriffen wird. Dies bedarf entweder der Zustimmung der betroffenen Gläubiger, § 226 Abs. 2 InsO, oder es müssen fakultative (Unter-)Gruppen gebildet werden. Allerdings kann in letzterem Fall das Obstruktionsverbot wegen § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht mehr greifen. Die Wahrscheinlichkeit einer ablehnenden Entscheidung wird zudem umso höher liegen, je niedriger die Legitimationswirkung der Gruppenbildung wegen einer Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Sicherungsrechten ist. 3.
Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO)
3.1
Ungesicherte persönliche Forderungen
47 In die Gruppe des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sind die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO einzuordnen. Es sind hierbei also die persönlichen Forderungen von Gläubigern des Schuldners aufzuführen, die nicht gemäß § 39 InsO als nachrangige Forderungen gelten. 48 Dazu zählen v. a. alle vertraglichen (gegenüber Lieferanten, Dienstleistern, Darlehensgebern, Vermietern, Kleingläubigern, Arbeitnehmern), aber auch öffentlich-rechtlichen (gegenüber Finanzamt, Sozialversicherungsträgern) und sonstigen gesetzlichen (gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, dem PSVaG; im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person ggf. auch private Unterhaltspflichten) Verpflichtungen des Schuldners. 49 Für die Bildung der Gruppe nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO besteht keine Beschränkung der Art, dass sie nur erfolgen soll, wenn in die Rechte der betreffenden Gläubiger eingegriffen wird, wie das bei § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO der Fall ist. Eine Gruppe für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger ist deshalb in jedem Insolvenzplan zwingend zu bilden.25) Etwas anderes gilt möglicherweise nur in wenigen Ausnahmefällen (zu einem solchen Ein-Gruppen-Plan siehe unten Rz. 113). ___________ 25) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 16.
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Gruppenbildung 3.2
Gesicherte persönliche Forderungen
Wegen der Rechtebezogenheit der Gruppeneinteilung sind absonderungsberechtigte Gläu- 50 biger nicht nur in der Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO, sondern mit einer ggf. bestehenden persönlichen Forderung auch in der Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger einzuordnen. Streitig ist allerdings, in welcher Höhe die jeweilige Zuordnung in die beiden Gruppen erfolgt: Nach einer Auffassung kann eine Zuordnung zur Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO nur insoweit erfolgen, als das Absonderungsrecht, also die zur Verfügung stehende Sicherheit, auch werthaltig ist, und zur Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO nur insoweit, als der absonderungsberechtigte Gläubiger mit seinem Absonderungsrecht ausfällt.26) Nach a. A. ist der absonderungsberechtigte Gläubiger in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO mit seiner vollen persönlichen Forderung einzuordnen,27) was konsequenter Weise bedeutet, dass er in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO mit dem nominellen Wert seiner Sicherheit und nicht nur mit dem wirtschaftlichen Wert dieser Sicherheit einzuordnen ist. Nach letztgenannter Ansicht spielt die Frage des Ausfalls erst eine Rolle bei der Bemessung des Stimmrechts des jeweiligen Gläubigers. In der Praxis werden die Gläubiger in diese Gruppe oft einfach „mit ihrer Ausfallforde- 51 rung“ eingeordnet, ohne die konkrete Höhe schon zu benennen. Im Stadium der Gruppenbildung mag diese Unbestimmtheit noch unproblematisch sein; spätestens bei der Abstimmung über den Plan bedarf es aber eine Festlegung des Stimmrechts, sodass die unbezifferte Zuordnung einer Forderung zu einer Gruppe das Problem lediglich verschiebt. Richtig ist die Ansicht, die den absonderungsberechtigten Gläubiger in die Gruppe gemäß 52 § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO mit seiner vollen persönlichen Forderung und in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO mit dem nominellen Wert seiner Sicherheit und nicht nur mit dem wirtschaftlichen Wert dieser Sicherheit einordnet. Es gilt zwischen den verschiedenen Stadien, nämlich der Gruppenbildung, der Stimmrechtsermittlung und der Befriedigung, zu unterscheiden.28) Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sind nicht nachrangige Insolvenzgläubiger ohne Ausnahme, insbesondere ohne Ausnahme hinsichtlich irgendeines Ausfalls, in die Gruppe(n) gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO einzuordnen. Für eine Einordnung in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO i. H. der vollen 53 persönlichen Forderung spricht zum anderen die Existenz des § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO: Danach sind absonderungsberechtigte Gläubiger als Insolvenzgläubiger nur insoweit zur Abstimmung berechtigt, als ihnen der Schuldner auch persönlich haftet und sie mit ihrer Sicherheit ausgefallen sind, auf sie verzichtet haben oder mit ihrer Sicherheit mutmaßlich ausfallen werden.29) Diese Vorschrift verlöre ihren Sinn, wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger schon nur i. H. ihres Ausfalls in die Gruppe der nicht nachrangigen bzw. nachrangigen Gläubiger eingeordnet wären. Der Gesetzgeber hat eben erst auf der Stufe der Stimmrechtsermittlung die Berücksichtigung des konkreten Ausfalls vorgesehen. Da § 237 InsO ausweislich der Gesetzesbegründung auch hinsichtlich des Stimmrechts der absonderungsberechtigten Gläubiger in deren Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO gelten soll,30) spricht dies auch für die Einordnung der absonderungsberechtigten ___________ Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 15. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 57. So auch die Forderung von Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 57. Der Ausfall kann dabei gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO geschätzt werden. Empfehlenswert ist aber eine Einigung über das Stimmrecht im Abstimmungstermin; dazu kann schon im Plan ein Vorschlag gemacht werden. 30) Begr. RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. 26) 27) 28) 29)
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§ 28
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Gläubiger in diese Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO in voller Höhe des Absonderungsrechts. 53a Gegen die hier vertretene Ansicht spricht auch nicht das Urteil des BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04.31) Denn dieses Urteil konstatiert lediglich, dass die Einordnung in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO jedenfalls durch den nominellen Wert der Sicherheit zzgl. dinglicher Zinsen im Fortführungsfalle beschränkt ist und eine Einordnung in diese Gruppe mit einer den nominellen Wert der Sicherheit zzgl. dinglicher Zinsen im Fortführungsfalle überschießenden, also formell ungesicherten persönlichen Forderung ausscheidet. Allerdings sagt die zitierte Entscheidung des BGH nicht, dass auch eine ggf. geringere Verwertungsaussicht der Sicherheit (also ein nach unten abweichender „wirtschaftlicher Wert“ der Sicherheit) schon bei der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO zu berücksichtigen wäre, indem die absonderungsberechtigten Gläubiger nur mit dem wirtschaftlichen Wert ihres Absonderungsrechts in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO einzuordnen wären; im Gegenteil diskutiert auch die vom BGH selbst herangezogene Gesetzesbegründung das Problem des (mutmaßlichen) Ausfalls erst bei der Frage der Stimmrechte der absonderungsberechtigten Gläubiger in den beiden Gruppen,32) nicht jedoch schon bei der Gruppenbildung. Gegen die vom BGH vermeintlich identifizierte Gefahr, dass „der Verwertungserlös [innerhalb der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger] gleichmäßig an die Gruppenmitglieder zu verteilen“ sei und dadurch die fehlende Werthaltigkeit einzelner Absonderungsrechte unberücksichtigt bleiben könnte, bietet der BGH im gleichen Absatz die sachgerechte Lösung an: nämlich die Bildung von Untergruppen, in die die absonderungsberechtigten Gläubiger je nach Werthaltigkeit ihres Sicherungsrechtes eingeordnet werden. 54 Beispiel: Angenommen eine Bank hat dem Schuldner ein Darlehen über 1 Mio. EUR ausbezahlt und nun einen fälligen Rückzahlungsanspruch in dieser Höhe. Die dafür bestellte Sicherheit wird nur einen Verwertungserlös von 400.000 EUR bringen, i. H. der restlichen 600.000 EUR wird die Bank mit der Sicherheit ausfallen. Die Bank ist der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger mit einem Absonderungsrecht über 1 Mio. EUR zuzuteilen. In dieser hat sie jedoch nur ein Stimmrecht entsprechend dem Wert ihres Absonderungsrechts, also i. H. von 400.000 EUR. Sie ist aber zugleich auch in die Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger mit einer Forderung über 1 Mio. EUR einzuordnen. Dort hat sie dann ein Stimmrecht i. H. von 600.000 EUR gemäß § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO.33) 55 Letztendlich führen aber beide Ansichten zum gleichen Ergebnis. Wichtig ist nur, dass die Stimmrechtverteilung im Ergebnis richtig vorgenommen wird. 4.
Einzelne Rangklassen nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO)
4.1
Regelfall: Erlasswirkung
56 Gemäß § 225 Abs. 1 InsO gelten die Forderungen der gemäß § 39 Abs. 1 InsO nachrangigen Gläubiger durch den Insolvenzplan grundsätzlich als erlassen, wenn nicht der Insolvenzplan etwas anderes bestimmt. Gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO sind Gruppen für die nachrangigen Insolvenzgläubiger konsequenterweise auch nur dann zu bilden, wenn und soweit deren Forderungen nicht gemäß § 225 InsO als erlassen gelten sollen. Werden Gläubiger aus verschiedenen Rangklassen des § 39 Abs. 1 InsO in den Insolvenzplan einbezogen, ist für jede Rangklasse (mindestens) eine Gruppe zu bilden. ___________ 31) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. 32) Begr. RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. 33) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 238 Rz. 15 ff.
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§ 28
Gruppenbildung
Gemäß § 225 Abs. 3 InsO ist die Erlasswirkung des § 225 Abs. 1 InsO für Geldstrafen 57 und Forderungen i. S. von § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO ausgeschlossen. Es ist für diese Forderungen aber entgegen dem Wortlaut von § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nicht notwendig, eine Gruppe zu bilden,34) da sie gemäß § 225 Abs. 3 InsO von den Planwirkungen nicht betroffen werden können und daher auch nicht an den Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Plan beteiligt werden müssen. Bei der Erlasswirkung des § 225 Abs. 1 InsO ist aber zu beachten, dass auch die dadurch 58 nicht am Zustandekommen des Insolvenzplans beteiligten nachrangigen Gläubiger die Möglichkeit haben, Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 InsO zu stellen.35) Eine dafür erforderliche Schlechterstellung durch den Plan im Vergleich zur Regelinsolvenz ist aber nur in Fällen denkbar, in denen die nachrangigen Gläubiger im Regelinsolvenzverfahren überhaupt mit einer Quote rechnen können, was die seltene Ausnahme bleiben dürfte. In der Regel besteht kein Anlass, von der Erlasswirkung des § 225 InsO im Insolvenz- 59 plan abzuweichen, es sei denn, man erwartet, mithilfe des Plans ein ganz außerordentlich gutes Ergebnis zu erzielen. Zwei Ausnahmen von dieser Regel sind jedoch zu beachten und machen ggf. eine entsprechende Gruppenbildung für nachrangige Insolvenzgläubiger notwendig: 4.2
Zinsen und Säumniszuschläge gesicherter Gläubiger
Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind die seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden 60 Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger nachrangig. Bedeutung kann diese Zuordnung in besonderem Maße für absonderungsberechtigte Gläubiger erlangen. Oftmals werden allerdings durch Sicherungsrechte nicht nur die ursprünglichen Forderungen, sondern auch die laufenden Zinsen auf diese Forderungen gesichert. Damit besteht ein Absonderungsrecht eines gesicherten Gläubigers ggf. auch für die – insbesondere ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens – laufenden Zinsen. Wenn nun die gestellte Sicherheit akzessorischer Natur ist, wie bspw. Hypotheken oder das Pfandrecht an beweglichen Sachen, oder wenn – wie meist – bei fiduziarischen Sicherheiten entsprechende vertragliche Regelungen bestehen, ergibt sich ein Problem: Würde man der Erlasswirkung des § 225 Abs. 1 InsO für die eigentlich nachrangige Zinsforderung nicht durch „abweichende Regelung“ im Plan entgegenwirken, könnte der Gläubiger sich hinsichtlich dieser Zinsen auch nicht mehr aus seinem Absonderungsrecht befriedigen.36) So könnte sich, vom Planersteller unbemerkt und ungewollt, eine Schlechterstellung des absonderungsberechtigten Gläubigers im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren ergeben, das eine Erlasswirkung ähnlich der des § 225 Abs. 1 InsO nicht kennt, und quasi durch die Hintertür die Gefahr eines Minderheitenschutzantrags nach § 251 InsO bzw. einer sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO entstehen. Der Gesetzgeber hat den Konflikt zwischen dem Nachrang von ab Eröffnung des Insol- 61 venzverfahrens laufenden Zinsen und der besonderen Durchsetzungskraft eines Absonderungsrechts offenbar übersehen.37) Diesem Umstand ist daher bei der Plangestaltung zu begegnen. Es ist für die seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen zu be___________ 34) 35) 36) 37)
Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 62. Pleister, in: KPB, InsO, § 251 Rz. 4. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 225 Rz. 4; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 225 Rz. 4. Vgl. Begr. RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 201, die zwar auf einige Fälle eingeht, in denen eine von § 225 Abs. 1 InsO abweichende Regelung sinnvoll erscheine, den hier aufgeworfenen Problemfall aber nicht erwähnt.
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stimmen, dass diese nicht als erlassen gelten, und für die Forderungen in Form von laufenden Zinsen eine eigene Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO zu bilden.38) Diese Gruppe ist jedoch wegen des Zwecks dieser Gruppenbildung nicht an der Verteilung der Insolvenzmasse durch den Plan zu beteiligen, da sie ja nur aus dem Grunde gebildet wird, damit die absonderungsberechtigten Gläubiger nicht ihrer mitgesicherten Zinsansprüche verlustig gehen. Durch den Ausschluss von der Verteilung wird insbesondere ein Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO vermieden. 4.3
Gesellschafterdarlehen bei Debt-Equity-Swaps
62 Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind auch Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und ähnliche Forderungen nachrangig. Wenn man im Plan von der Möglichkeit des Debt-Equity-Swaps Gebrauch machen will, kann es zur Durchsetzung des Plans erforderlich sein, die Gesellschafter hinsichtlich der von ihnen gewährten Darlehen nicht ganz leer ausgehen zu lassen. Dann sind sie evtl. eher bereit, einen Eingriff in ihre Gesellschaftsanteile hinzunehmen. Gerade bei inhabergeführten Unternehmen dürfte zumindest eine geringe Beteiligung dieser Forderungen an der Verteilung der Insolvenzmasse auch die Bereitschaft zur ordentlichen Übergabe oder weiteren Mitarbeit erheblich erhöhen. In solchen Fällen kann wegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO freilich das Instrument des Obstruktionsverbots nicht mehr greifen. 5.
Anteilseigner (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO)
63 § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO schreibt vor, dass auch für die am Schuldner beteiligten Personen, soweit deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden, eine Gruppe zu bilden ist. Dies ist insbesondere in Fällen eines Debt-Equity-Swaps erforderlich, bei dem auch gegen den Willen der am Schuldner beteiligten Personen in deren Rechte eingegriffen werden kann (siehe dazu vertiefend § 31). III.
Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO: Fakultative Gruppen
64 Neben der obligatorischen Gruppenbildung kommt gemäß § 222 Abs. 2 InsO auch eine sog. fakultative Gruppenbildung in Betracht, bei der die obligatorischen Gruppen in weitere Untergruppen mit jeweils gleichen wirtschaftlichen Interessen eingeteilt werden. Dadurch kann die Legitimität des Plans weiter erhöht werden (siehe dazu oben Rz. 6). Außerdem ermöglicht die Untergruppenbildung dem Planersteller, hinsichtlich der Befriedigung der Gläubiger unter Beachtung von § 226 InsO differenziertere Regelungen zu treffen. Daneben können auch taktische Erwägungen hier eine Rolle spielen, um den Insolvenzplan einem Abstimmungserfolg zuzuführen. 1.
Differenzierungskriterien
1.1
Insolvenzrechtliche Maßgaben
65 § 222 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO stellen die Kriterien für eine zulässige fakultative Gruppenbildung auf: Zum einen müssen die Gläubiger, die in eine Gruppe eingeteilt werden, gleichartige wirtschaftliche Interessen haben und zum anderen müssen die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Kriterien und die Art und Weise des Zusammenwirkens sind nicht immer ganz klar erkennbar.39) ___________ 38) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 225 Rz. 4; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 225 Rz. 4. 39) Vgl. dazu auch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 81.
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Gruppenbildung
Vor allem ist fraglich, ob eines der beiden Elemente dominantes oder gar alleiniges Ab- 66 grenzungskriterium ist oder ob beide gleichgewichtig nebeneinander stehen. Im Ergebnis sind beide Kriterien kumulativ anzuwenden,40) was sich schon aus ihrer unterschiedlichen Zielrichtung ergibt. Denn das Erfordernis von gleichartigen wirtschaftlichen Interessen stellt die Voraussetzung dar, mit deren Hilfe die Zusammenfassung bestimmter Gläubiger zu einer gesonderten Gruppe gerechtfertigt wird, ist also gleichsam ein positives Kriterium bei der Untergruppenbildung. Dahingegen rechtfertigt die Sachgerechtigkeit der Abgrenzung den Ausschluss bestimmter Gläubiger aus einer fakultativ gebildeten Gruppe, sodass sie als negatives Abgrenzungskriterium bezeichnet werden könnte. Die Ausfüllung des Kriteriums der gleichartigen wirtschaftlichen Interessen ist in dem 67 insolvenzrechtlichen Kontext zu sehen, in dem es i. R. der Regelung des § 222 Abs. 2 InsO steht. Das wirtschaftliche Interesse eines Gläubigers bestimmt sich in diesem Rahmen danach, in welchem wirtschaftlichen Verhältnis er zu dem Insolvenzschuldner steht und in welcher Art und Weise dieses individuelle Verhältnis gerade durch die Insolvenz beeinflusst wird. Beispiel: Ein Lieferant, der (fast) ausschließlich an das insolvente Unternehmen zuliefert, ist 68 in ganz anderer Weise von der Insolvenz betroffen als ein Lieferant mit vielen verschiedenen Kunden. Auf seine Belange kann daher bei der Planerstellung in ganz anderem Maße Rücksicht genommen werden oder aber ihm können andere Sanierungsbeiträge abverlangt werden. Er kann im Einzelfall anders zu behandeln und daher ggf. in eine eigene Gruppe einzuordnen sein. Ferner sind Einflüsse auf das wirtschaftliche Interesse durch die spezifischen Sanierungs- 69 maßnahmen im Zuge der Insolvenz, durch die im Plan vorgesehenen Regelungen oder durch persönliche Beziehungen zu berücksichtigen. Dieses wirtschaftliche Interesse liegt bspw. bei einem Geschäftspartner des Schuldners, der eher an der Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen interessiert sein wird, anders als bei einem absonderungsberechtigten Gläubiger, dessen Forderung im Fall einer Fortführung und einer Zerschlagung in unterschiedlichem Maße von der Sicherheit gedeckt sein kann.41) Beispiel: Bei der Plansanierung einer Einzelhandelskette kann es z. B. geboten sein, zwischen 70 verschiedenen Vermietern von Ladenlokalen zu differenzieren. In Kategorie A werden solche Räumlichkeiten eingeordnet, die aufgrund ihrer guten Lage unbedingt gehalten werden sollen. In Kategorie B werden Objekte eingeteilt, die nur bei deutlicher Anpassung der Mietkonditionen gehalten werden sollen. Zuletzt werden in Kategorie C solche Ladenlokale zusammengefasst, bei denen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht in Betracht kommt. Die Vermieter dieser unterschiedlichen Kategorien haben jeweils andere wirtschaftliche Interessen, welche auch Gestaltungsspielraum zur unterschiedlichen Befriedigung hinsichtlich Vermieterpfandrechten oder aus der Quote bieten, so dass eine Untergruppenbildung erfolgen kann und ggf. auch sollte. Die Sachgerechtigkeit erfordert im Wesentlichen, dass für die vorgenommene Differen- 71 zierung ein sachlicher Grund besteht. Es dürfen also insbesondere nicht Gläubiger mit im Wesentlichen gleichartigen wirtschaftlichen Interessen in unterschiedliche fakultative Gruppen eingeteilt werden, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestünde. Durch diese Anforderung soll einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Möglichkeit der fakultativen Gruppenbildung entgegengewirkt werden.
___________ 40) So auch Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 18; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 82. 41) Weitere Beispiele dazu in Begr. RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 199.
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§ 28 1.2
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Spezialgesetzliche Gruppenbildungsmöglichkeiten
72 Neben diesen insolvenzrechtlichen Gruppenbildungsvorschriften finden sich auch in einigen Spezialgesetzen Vorschriften, die auf eine besondere Differenzierungsmöglichkeit oder ein besonderes Differenzierungshindernis hinweisen. 73 Zu beachten ist in letzterem Zusammenhang die Regelung des § 19 Abs. 4 SchVG, die festlegt, dass in einem Insolvenzplan sämtlichen Schuldverschreibungsgläubigern einer Schuldverschreibungsgattung gleiche Rechte anzubieten sind. Das bedeutet zwar weder, dass diese Gläubiger in einer Gruppe zusammengefasst werden müssten, da auch unterschiedlichen Gruppen gleiche Rechte angeboten werden können,42) noch, dass für diese Gläubiger zwingend eine eigene Gruppe gebildet werden müsste. In der Praxis wird man der Anforderung des § 19 Abs. 4 SchVG aber durch Bildung einer eigenen, einzigen Gruppe für Gläubiger einer Schuldverschreibungsgattung am ehesten gerecht werden. 74 Im Hinblick auf spezialgesetzlich vorgesehene Differenzierungsmöglichkeiten ist auch § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG zu berücksichtigen. Dieser sieht vor, dass für den Träger der Insolvenzsicherung für die betriebliche Altersvorsorge, den Pensionssicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG), im Insolvenzplan eine besondere Gruppe gebildet werden kann. 75 Für den Fall eines Insolvenzplans in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft erlaubt § 116 Nr. 3 GenG, dass zwischen den Gläubigern, die zugleich Mitglieder der Genossenschaft sind, und den übrigen Gläubigern unterschieden werden kann. 76 In den beiden zuletzt genannten Fällen ist davon auszugehen, dass die insolvenzrechtlichen Anforderungen an eine zulässige Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 2 InsO jedenfalls gewahrt sind. 2.
Pflicht zur Bildung fakultativer Gruppen?
77 Grundsätzlich ist die Vorschrift des § 222 Abs. 2 InsO eine Kann-Vorschrift. Es besteht also i. d. R., anders als bei der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 InsO, keine Pflicht zur Bildung fakultativer Gruppen. Von diesem Grundsatz sollen aber nach einer Mindermeinung in besonderen Fällen Ausnahmen erforderlich sein.43) § 222 Abs. 2 InsO ist, wie jede andere Rechtsnorm auch, verfassungskonform auszulegen. Die hier maßgeblich zu berücksichtigende Verfassungsnorm ist Art. 3 Abs. 1 GG, die hinter den Gruppenbildungsregeln des § 222 InsO steht. Von der Vorgabe der Verfassung, Ungleiches auch ungleich zu behandeln, weichen diese Vorschriften dadurch ab, dass sie eine Differenzierung nach wirtschaftlichen Interessen zwar zulassen, aber eben nicht erzwingen. Durch das Unterlassen der Bildung von Untergruppen i. S. von § 222 Abs. 2 InsO werden damit im Ergebnis ungleiche wirtschaftliche Interessen gleichbehandelt. Das negative Gruppenbildungsermessen des Planerstellers soll dann nach der Mindermeinung auf null reduziert sein mit der Folge, dass er zur Bildung fakultativer Gruppen gemäß § 222 Abs. 2 InsO verpflichtet sei, wenn sich nach der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 InsO in einer Gruppe Gläubiger befinden, „deren wichtigste insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen offensichtlich divergieren“.44) ___________ 42) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 162. 43) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 119; zur gegenteiligen h. M. vgl. die Nachweise bei Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 115, Fn. 148. 44) So Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 119.
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Gruppenbildung
Dieser Auslegung, die dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft,45) kann 78 jedoch nicht gefolgt werden. Denn eine Notwendigkeit für eine Verpflichtung zur Bildung fakultativer Gruppen ist schon nicht dargetan. Selbst wenn u. U. ein Gläubiger von anderen Gläubigern mit wesentlich unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen in einer gemeinsamen Gläubigergruppe überstimmt wird, ist er doch keineswegs völlig schutzlos dem angenommenen Insolvenzplan ausgeliefert. Er hat, wie jeder andere Gläubiger auch, die Möglichkeit, gegen den Plan mit Hilfe der §§ 251, 253 InsO vorzugehen. 3.
Taktisches Verhalten bei der Gruppenbildung
Oberstes Gebot bei der Erstellung eines Insolvenzplans und insbesondere bei der Gruppen- 79 bildung ist eine objektive und faire Behandlung der Insolvenzgläubiger. Das erfordert besonders ein nachvollziehbares Vorgehen bei der Gruppenbildung und ihre transparente Darstellung. Wie bereits oben angedeutet, kann und ggf. muss sich der Planersteller bei der Bildung von Gruppen aber auch von taktischen Erwägungen leiten lassen. Vor allem der Schuldner selbst, aber auch der planerstellende Insolvenzverwalter hat naturgemäß ein Interesse daran, dass der Plan letztendlich von den Gläubigern auch angenommen wird. Da nicht immer alle Gläubiger mit einem Insolvenzplan in vollem Umfang einverstanden sein werden, kann in solchen Fällen eine geschickte Gruppenbildung dem Plan zur Annahme verhelfen. Wenn es auch vorzuziehen wäre, die Gläubigergesamtheit von den Vorzügen des vorgelegten Plans zu überzeugen, wird es immer wieder Fälle geben, in denen dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Der Widerstand einzelner Gläubiger ist in der Praxis teilweise überraschend und beruht mitunter auf Gründen, die nicht im wirtschaftlichen, sondern vielmehr im persönlichen Bereich liegen.46) Die denkbaren Fallgestaltungen sind mannigfaltig. Die erfolgreiche Plan- und dort insbe- 80 sondere die Gruppengestaltung setzt daher auch Überlegungen über das schuldnerische Unternehmen, das Marktumfeld und die beteiligten Gläubiger voraus, um auf denkbare Opposition vorbereitet zu sein. So könnten sich beispielsweise Konkurrenten durch Forderungskauf eine Gläubigerstellung „beschafft“ haben, um so eine Sanierung des Schuldners durch einen Insolvenzplan zu torpedieren. Denkbar ist auch, dass ein Darlehensgeber zwei in einem kriselnden Markt miteinander konkurrierende Unternehmen kreditiert hat und nun daran interessiert ist, dass nur eines von beiden den Markt in Zukunft gewinnbringend abschöpfen kann. Technisch kann die Durchsetzung eines Plans gegen den Widerstand einzelner Gläubiger 81 auf zwei Wegen erreicht werden: Der Planersteller kann entweder mutmaßlich opponierende Gläubiger auf verschiedene Gruppen verteilen und darauf setzen, dass diese innerhalb ihrer Gruppen jeweils durch eine Kopf- und Summenmehrheit überstimmt werden (§ 244 Abs. 1 InsO). Dieser Weg ist allerdings nur dann gangbar, wenn genügend Gruppen vorhanden sind, auf die die opponierenden Gläubiger unter Beachtung der Gruppenbildungsregeln so verteilt werden können, dass in den einzelnen Gruppen noch eine Annahme des Plans möglich erscheint. Eine alternative Möglichkeit zu versuchen, opponierende Gläubiger zu überstimmen, be- 82 steht darin, diese opponierenden Gläubiger in einer oder mehreren Gruppen zusammenzufassen und die ablehnende Entscheidung dieser Gruppe(n) über das Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO zu überwinden. Auch dieser Weg ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen umsetzbar. Zum einen müssen natürlich die Gruppenbildungsregeln be___________ 45) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 182, Nr. 140. 46) Z. B. wenn es mit einem dem Schuldner nahestehenden Gläubiger zum Zerwürfnis gekommen ist, „ExSchwiegermutter-Gruppe“.
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achtet werden. Außerdem müssen die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO gewahrt sein, insbesondere muss immer noch eine Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zugestimmt haben. Deshalb sollte bei dieser Vorgehensweise, wenn nur eine geringe Anzahl an Gruppen gebildet wird, eine ungerade Gruppenzahl aufgestellt werden, um das Erfordernis der Mehrheit erfüllen zu können 83 Solch taktisches Verhalten ist, wenn es die gesetzlichen Anforderungen an die Gruppenbildung erfüllt, grundsätzlich legitim und kann von den Planbeteiligten nicht ohne weiteres verhindert werden. Vereinzelt wird vorgeschlagen, taktisches Verhalten durch ein ungeschriebenes Missbrauchsverbot in Form einer korrigierenden Auslegung des § 222 InsO weiter einzuschränken,47) was aber die Ausgewogenheit und Zielsetzung der gesetzlichen Regelungen stören würde und daher abzulehnen ist.48) Denn mit den – wenn auch unbestimmten – Begriffen der „gleichartigen wirtschaftlichen Interessen“ und der „Sachgerechtigkeit“ zieht das Gesetz selbst der Untergruppenbildung ausreichende Grenzen. Darüber hinaus stellt das Gesetz dem überstimmten Gläubiger ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung, um sich gegen eine eventuelle Benachteiligung zu wehren: Er kann einen Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 InsO stellen oder sofortige Beschwerde gemäß § 253 InsO gegen die Planbestätigung einlegen, wenn er durch den Plan schlechtergestellt wird als im Regelinsolvenzverfahren. Wird er aber durch den Plan nicht schlechtergestellt, muss er gegen den Plan auch nicht geschützt werden. Wird durch taktisches Verhalten mit Hilfe des Obstruktionsverbots eine ganze Gläubigergruppe überstimmt, so genießt sie sogar den noch weitergehenden Schutzmechanismus des § 245 InsO, nach dem sie nicht nur nicht schlechtergestellt werden darf, sondern auch angemessen an dem wirtschaftlichen Wert gemäß § 245 Abs. 2 InsO zu beteiligen ist. 4.
Dokumentationspflicht gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO
84 Gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO sind die Kriterien, anhand derer die Abgrenzung der fakultativen Gruppen voneinander vorgenommen wurde, sowie die Subsumtion unter die unbestimmten Rechtsbegriffe der gleichartigen wirtschaftlichen Interessen und der Sachgerechtigkeit im Plan anzugeben. Diese Angaben erfolgen im gestaltenden Teil, obwohl sie nicht direkt die Änderung der Rechtsstellung der Beteiligten zum Ziel und zur Folge haben (siehe auch Rz. 13). Sie sind Grundlage für die Überprüfung durch das Insolvenzgericht, ob der Planersteller die Vorgaben des § 222 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO bei der Gruppenbildung eingehalten hat. Denn das Insolvenzgericht hat dabei nicht etwa eigene Überlegungen anzustellen, ob und wie eine bestimmte Gruppenbildung gerechtfertigt werden könnte, sondern es hat sich bei dieser Prüfung nur auf die im Plan angegebenen Kriterien zu stützen.49) 5.
Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Gruppen (§ 226 InsO)
85 Die Pflicht zur Gleichbehandlung innerhalb der Gruppen gemäß § 226 InsO ist zwar eigentlich erst Folge der Gruppenbildung, da nach dem Wortlaut innerhalb der gebildeten Gruppen allen Beteiligten gleiche Rechte anzubieten sind. Für den Planersteller ist diese Regelung aber schon bei der Gruppenbildung stets im Blick zu behalten. Bei den taktischen Überlegungen zur Gruppenbildung ist nämlich immer zu beachten, dass die beste Taktik im Hinblick auf die Abstimmung über den Plan nichts wert ist, wenn wegen § 226 ___________ 47) Smid, InVo 1997, 169, 175 ff., dem folgend Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 231 Rz. 15. 48) So auch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 110 ff. 49) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 109.
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Gruppenbildung
InsO die geplante Zuteilung von Masseanteilen an die einzelnen Gläubiger nicht aufrechterhalten werden kann. 6.
Beispiele für typische fakultative Untergruppen innerhalb der verschiedenen obligatorischen Gruppen
Zunächst einige abstrakte Kriterien, anhand derer sich eine Gruppendifferenzierung an- 86 bieten kann:
Größenordnung der Forderung,
Rechtsgrund der Forderung bzw. des Absonderungsrechts,
Art der Forderung bzw. des Absonderungsrechts,
Laufzeit/Fälligkeit der Forderung bzw. des Absonderungsrechts,
Gegenleistung,
spezifische Leistungsrisiken, insbesondere Rang von Absonderungsrechten und Werthaltigkeit von Forderungen und Absonderungsrechten,
wirtschaftliche Bedeutung für den einzelnen Gläubiger.
Im Folgenden sollen beispielhaft einige Typen von Insolvenzgläubigern aufgezählt wer- 87 den, für die in der Praxis eigene Gruppen mit guten Gründen gebildet werden können:
Geschäftspartner des Insolvenzschuldners (Lieferanten u. Ä.), weil sie u. U. ein besonderes Interesse an einer Sanierung des Schuldners haben, um ihre Geschäftsbeziehungen fortzusetzen;
Absonderungsberechtigte, deren Sicherheit im Falle einer späteren Verwertung umfangreichere Forderungen sichert als im Falle einer früheren Verwertung;50)
Forderungen, die durch Sicherheiten an Nichtmassevermögen oder an Vermögen eines Dritten (z. B. Gesellschafters) gesichert sind;
Absonderungsberechtigte, die sich hinsichtlich des Rangs, des Typus oder des Entstehungsgrunds ihrer Sicherheit unterscheiden;
Unterscheidung zwischen Mobiliar- und Immobiliarsicherheiten;
Gläubiger, die gleichzeitig Gesellschafter des Schuldners sind;
Gläubiger, die mit dem Schuldner konzernrechtlich verbunden sind;
Gläubiger, deren Forderungen einen unterschiedlichen Entstehungsgrund haben (Vertragstypen);
Gläubiger bzw. Absonderungsberechtigte, deren Rechte unterschiedlich werthaltig bzw. durchsetzbar sind;
fällige und nicht fällige Forderungen, da die Gläubiger der letzteren Kategorie regelmäßig nicht an einer ganz so schnellen Befriedigung interessiert sind wie die Gläubiger schon fälliger Forderungen;
Unterscheidung innerhalb der nicht nachrangigen und der nachrangigen Forderungen, ob diese Forderungen zusätzlich noch dinglich gesichert sind oder nicht bzw. durch welche Art von Vermögen sie dinglich gesichert sind (Massevermögen, Nichtmassevermögen, Vermögen Dritter);
___________ 50) So wie in dem Fall, der der Entscheidung des BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, zugrunde liegt.
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Unterscheidung der Forderungen danach, ob ihre Gläubiger persönliche oder familiäre Beziehungen zum Insolvenzschuldner aufweisen;
Forderungen aus unerlaubter Handlung, v. a. im Hinblick auf die Privilegierung bei der Restschuldbefreiung in der Regelinsolvenz (nicht zu beachten ist aber das persönliche Genugtuungsinteresse, denn es zählen nur wirtschaftliche Interessen);
bei der Genossenschaft Unterscheidung zwischen Gläubigern, die zugleich Mitglieder der Genossenschaft sind, und den übrigen Gläubigern (§ 116 Nr. 3 GenG);
Dauerschuldverhältnisse: Unterteilung in zu beendende und fortzuführende Dauerschuldverhältnisse;
die verschiedenen Rangklassen von Schuldverschreibungsgläubigern gemäß § 19 Abs. 4 SchVG;
der PSVaG.
IV.
Sonderfälle der Gruppenbildung
1.
Obligatorische Gruppen im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit (§§ 208 f. InsO)
1.1
Zulässigkeit eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit
88 Auch im Falle einer angezeigten Masseunzulänglichkeit i. S. von § 208 Abs. 1 InsO ist ein Insolvenzplan zulässig, § 210a InsO. Von einem Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit muss immer dann gesprochen werden, wenn die Masseunzulänglichkeit bei Einreichung des Insolvenzplans angezeigt ist. Nicht zulässig sein soll ein Insolvenzplan allerdings bei Neumasseunzulänglichkeit, wenn also noch nicht einmal die Neumasseverbindlichkeiten befriedigt werden können.51) Allerdings finden sich dafür keine Anhaltspunkte, insbesondere schließt § 210a InsO nach seinem Wortlaut einen solchen Insolvenzplan nicht aus.52) Ob ein solcher Insolvenzplan Sinn ergäbe kann pauschal nicht beurteilt werden, wenngleich zuzugeben ist, dass in der Situation der Neumasseunzulänglichkeit ein Insolvenzplan ausgesprochen unrealistisch sein dürfte. 89 Es stellt sich nebenbei noch die Frage, was mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit geschieht, wenn die Masse durch die Regelungen des Insolvenzplans wieder zulänglich wird. Grundsätzlich ist ein Widerruf der Anzeige der Unzulänglichkeit zulässig.53) Da die Anzeige der Masseunzulänglichkeit aber die Grundlage dafür bildet, dass die Massegläubiger überhaupt in den Plan einbezogen werden und dass die Regelung des § 210a InsO gilt,54) ist ein Widerruf im Falle eines Insolvenzplans erst möglich, wenn der Plan bestätigt worden ist. 1.2
Schicksal der Gruppen des Regelinsolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit
90 § 210a InsO gibt in seiner Nr. 1 nur für die sog. Altmassegläubiger eine Regelung für die Gruppenbildung im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit vor; weitere Gruppenbildungsregeln sind den allgemeinen Regelungen zu entnehmen, aus denen sich für die ___________ 51) Ries, in: Uhlenbruck, InsO, § 210a Rz. 6 m. w. N.; Pape, in: KPB, InsO, § 210a Rz. 15. 52) Westphal, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 210a Rz. 7. Weiterhin unzulässig bleibt ein Insolvenzplan bei Massearmut, d. h. wenn noch nicht einmal die Verfahrenskosten aus der Insolvenzmasse beglichen werden können, Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 2; Thies, in: HambKomm-InsO, Vor § 217 Rz. 13. 53) Hefermehl, in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 55. 54) Vgl. den Wortlaut des § 210a InsO: „Bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit […]“.
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§ 28
Gruppenbildung
Gruppenbildung relevante „unterschiedliche Rechtsstellungen“ i. S. von § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO ergeben. Wegen des – auch für den Fall des Insolvenzplans geltenden – absoluten Befriedigungs- 91 vorrangs der Masseverbindlichkeiten gemäß § 53 InsO ergeben sich im Hinblick auf die Gruppenbildung im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit einige Besonderheiten. Fraglich ist insbesondere, inwieweit für die verschiedenen Insolvenzgläubiger mit Ausnahme der Massegläubiger im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit Gruppen gebildet werden müssen. In einem Insolvenzplan bei angezeigter und bestehender Masseunzulänglichkeit bedarf es 92 einer Gruppenbildung für die nachrangigen Insolvenzgläubiger wie im Falle eines Regelinsolvenzplans nur dann, wenn ihre Forderungen nicht gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen gelten. Da im Falle der angezeigten Masseunzulänglichkeit auch durch einen Plan die vollständige Befriedigung selbst der Massegläubiger nur in den seltensten Fällen erreicht werden wird, wird eine Abweichung von der Erlassfiktion des § 225 Abs. 1 InsO im Falle der Masseunzulänglichkeit in der Regel nicht in Betracht kommen. Wegen des Vorrangs der Masseverbindlichkeiten und der zur Befriedigung derselben nicht 93 ausreichenden Masse kommt auch eine Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO zumeist nicht in Betracht. § 210a Nr. 2 InsO sieht vor, dass § 246 Nr. 2 InsO für die Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO entsprechend gilt. Ihre Zustimmung zum Plan soll demgemäß als erteilt gelten, wenn sich kein Gläubiger der Gruppe an der Abstimmung beteiligt. Das setzt aber zwingend voraus, dass eine Gruppe für die Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO überhaupt gebildet wird.55) Einstweilen frei.
94
Für die absonderungsberechtigten Gläubiger und Anteilsinhaber bleibt es auch im Falle 95 eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit bei den Regelungen des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 4 InsO, nach denen für sie nur dann eine eigene Gruppe zu bilden ist, wenn in ihre Rechte eingegriffen oder ihre Rechte in den Plan einbezogen werden. 1.3
Behandlung der Massegläubiger
Beim Insolvenzplan im Insolvenzverfahren mit angezeigter Masseunzulänglichkeit ist au- 96 ßerdem nach allgemeinen Grundsätzen die Zustimmung der Massegläubiger erforderlich, wenn in ihre Rechte eingegriffen wird. 1.3.1 Kostengläubiger Die Zustimmung der Kostengläubiger des Insolvenzverfahrens gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 1 97 InsO ist nicht erforderlich, da ihre Rechtsstellung durch den Plan in keiner Weise berührt werden kann; können sie nicht voll befriedigt werden, ist ein Insolvenzverfahren und damit ein Insolvenzplan nicht möglich,56) § 26 Abs. 1, § 207 Abs. 1 InsO. Denn durch die Zweckrichtung des Gesetzes, die auch in der Unzulässigkeit eines Insolvenzverfahrens bei Massearmut zutage tritt, sind sie gegen einen möglichen Forderungsverlust absolut geschützt, so dass ein Eingriff in ihre Rechte durch einen Insolvenzplan dem gesetzlichen Gesamtkonzept widersprechen würde. Einstweilen frei.
98
___________ 55) A. A. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 79. 56) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 2; Thies, in: HambKomm-InsO, Vor § 217 Rz. 13.
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§ 28
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
1.3.2 Übrige Massegläubiger 99 Einem Eingriff in die Rechte der übrigen (Alt- und Neu-)Massegläubiger steht grundsätzlich nichts entgegen.57) Sie sind, anders als die Kostengläubiger, nicht grundsätzlich gegen eine Verschlechterung ihrer Gläubigerstellung durch ein Insolvenzverfahren geschützt. Daher ist kein Grund ersichtlich, warum nicht auch für den Fall der Massearmut mit Hilfe eines Insolvenzplans eine Lösung für die Gläubiger gefunden werden soll, die eine Verbesserung im Vergleich zur Regelinsolvenz darstellt. Zu diesem Zwecke muss auch ein Eingriff in die Rechtspositionen der Massegläubiger – mit Ausnahme der Kostengläubiger – möglich sein. 100 Die Alt- und Neumassegläubiger sind in unterschiedliche Gruppen einzuordnen. Aus den in § 209 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO festgeschriebenen unterschiedlichen Rängen dieser Gläubiger ergibt sich deren insolvenzrechtlich unterschiedliche Rechtsstellung i. S. von § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO, weshalb für sie zwingend unterschiedliche Gruppen zu bilden sind. 101 Eidenmüller erwägt, dass § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO für die einzelnen Rangklassen der Massegläubiger entsprechend gelten könne, insoweit also jeweils nur dann Gruppen zu bilden sind, wenn durch den Plan voraussichtlich in die Rechte der jeweiligen Massegläubiger eingegriffen wird, sie mithin nicht voll befriedigt werden.58) Dem kann für die Gruppe der Neumassegläubiger zugestimmt werden, da eine Beteiligung voll befriedigter Gläubiger in der Abstimmung wenig sinnvoll erscheint. 102 Gemäß § 210a Nr. 1 InsO treten allerdings an die Stelle der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger die Massegläubiger mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO; für sie ist also jedenfalls immer eine eigene Gruppe zu bilden. 103 Bei der Frage der Schlechterstellung von Gläubigern i. R. von § 245 Abs. 1 Nr. 1 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO und der angemessenen Beteiligung am wirtschaftlichen Wert i. R. von § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die von § 209 Abs. 1 InsO vorgegebene Rangfolge jedenfalls zwingend im Blick zu behalten. 2.
Obligatorische Gruppen im Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 ff. InsO
104 In einer weiteren Sondersituation wird deutlich, dass die Aufzählung in § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht für alle Fälle abschließend sein kann (siehe oben Rz. 37 ff.). Dies offenbart sich im Fall eines sog. Folgeinsolvenzplans nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 ff. InsO. 2.1
Situation der Kreditrahmenregelung
105 Die Regelungen zu Kreditrahmen gemäß §§ 264 ff. InsO lassen es zu, dass in einem ersten Insolvenzplan solchen (Kredit-)Gläubigern ein Vorrang vor den übrigen Insolvenzgläubigern für eine mögliche Folgeinsolvenz eingeräumt wird, die ihre Kredite oder vertraglichen Leistungen im Zeitraum der Planüberwachung gewähren, falls die zweite Insolvenz vor Aufhebung der Planüberwachung eintritt, vgl. § 266 InsO. Diese Handhabung soll i. R. des ersten Insolvenzplans eine weitere Kreditierung des Schuldners v. a. zur Fortführung des Unternehmens ermöglichen, indem für potenzielle Kreditgläubiger auch dann, wenn eine dingliche Sicherung der Ansprüche aufgrund der schlechten Lage des Unternehmens nicht mehr möglich oder sinnvoll ist, eine gewisse Sicherheit hergestellt wird. ___________ 57) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 19. 58) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 79.
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§ 28
Gruppenbildung 2.2
Gruppenbildung im Folgeinsolvenzplan
In einer solchen Situation einer Kreditrahmenregelung ist es grundsätzlich denkbar, dass 106 auch die zweite Insolvenz mit Hilfe eines Insolvenzplans abgewickelt wird.59) Dann muss das von §§ 264 f. InsO festgeschriebene besondere Vor- und Nachrangverhältnis auch bei der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO im zweiten Insolvenzplan beachtet werden. Die obligatorische Gruppenbildung in einem Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung ist dabei folgendermaßen vorzunehmen: Die Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger wird durch §§ 264 ff. InsO nicht 107 berührt. Für sie ändert sich daher hinsichtlich der obligatorischen Gruppenbildung nichts, für sie ist weiterhin zumindest dann eine Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO zu bilden, wenn in ihre Rechte eingegriffen wird. Auch bezüglich der einzelnen Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger er- 108 geben sich keine Änderungen zum Normalfall der Regelinsolvenz, so dass für sie gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nur Gruppen zu bilden sind, soweit ihre Forderungen nicht gemäß § 225 InsO als erlassen gelten. Nicht berührt wird außerdem die Gruppenbildungsregel für Anteilseigner, für die des- 109 halb gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO auch im Folgeinsolvenzplan eine Gruppe zu bilden ist, wenn ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden. Zu beachten sind die Regelungen der §§ 264 ff. InsO aber bei den nicht nachrangigen 110 Insolvenzgläubigern. Denn diese werden durch §§ 264 ff. InsO in ein Rangverhältnis gesetzt, welches auch bei der Gruppenbildung Beachtung finden muss, weil sich daraus ein unterschiedlicher Befriedigungsrang und damit eine unterschiedliche Rechtsstellung i. S. von § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt. Nach den entsprechenden Regelungen gehen Kreditrahmengläubiger, Neugläubiger auf gesetzlicher Grundlage60) und Altgläubiger, die in dem ersten Insolvenzplan ausdrücklich von der Zurücksetzung ausgenommen sind,61) den übrigen Insolvenzgläubigern vor. Es ist daraus folgend also mindestens eine Gruppe für die vorrangigen und eine Gruppe für die zurückgesetzten Gläubiger zu bilden. Die Tatsache, dass §§ 264 ff. InsO für einige Gläubiger in der Folgeinsolvenz nach Kre- 111 ditrahmenregelung einen Nachrang gegenüber anderen Insolvenzgläubigern vorsieht, bedingt aber nicht, dass diese zurückgesetzten Gläubiger nun den gleichen Rang wie die nachrangigen Insolvenzgläubiger i. S. von § 39 InsO einnehmen. Sie sind diesen nach wie vor vorrangig. Deshalb ist auch bei der Gruppenbildung im Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenreglung zwischen den aufgrund §§ 264 ff. InsO zurückgesetzten und den gemäß § 39 InsO von Haus aus nachrangigen Gläubigern gruppenmäßig zu differenzieren. Für die gemäß §§ 264 ff. InsO zurückgesetzten Gläubiger gilt – weil sie keine per se nachrangigen Gläubiger sind – § 225 InsO nicht, so dass für sie in jedem Fall eine eigene Gruppe zu bilden ist.
___________ 59) Wenn dies in der Praxis auch eher selten der Fall sein wird, da sich das Instrument des Insolvenzplans in dem ersten Verfahren ja schon nicht bewährt hat. Da aber unterschiedliche Arten von Insolvenzplänen vorgelegt werden können (neben Sanierungsplänen eben auch reine Liquidationspläne oder Übertragungspläne), ist eine solche Situation nicht von vornherein völlig auszuschließen. 60) Letzteres gründet sich auf ein argumentum e contrario aus § 265 InsO. 61) So auch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 75.
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§ 28 3.
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Ein-Gruppen-Plan
112 Ein Plan mit nur einer Gruppe ist grundsätzlich zulässig,62) wobei die Gruppenbildung dann u. U. auch ganz unterbleiben kann.63) Eine Begründung, warum nur eine Gruppe gebildet wird bzw. warum die Gruppenbildung unterbleibt, ist aber auf jeden Fall erforderlich. 113 Der Vorteil eines Ein-Gruppen-Plans kann darin bestehen, dass sich der Planersteller die mitunter aufwendige Arbeit der Gruppenbildung spart. Er hat dabei jedoch zu beachten, dass er in diesem Fall allen Gläubigern des Insolvenzverfahrens gemäß § 226 Abs. 1 InsO gleiche Rechte anzubieten hat, wenn sich nicht alle betroffenen Gläubiger mit einer Ungleichbehandlung einverstanden erklären, § 226 Abs. 2 InsO. Dadurch ist der Gestaltungsspielraum des Planerstellers hinsichtlich der Planregelungen stark eingeschränkt. 114 In folgenden Fällen ist ein Ein-Gruppen-Plan denkbar:
Es gibt nur einen Gläubiger.
Es sind nur Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung betroffen (weil in die Rechte absonderungsberechtigter Gläubiger nicht eingegriffen wird und von der Erlasswirkung des § 225 InsO für die nachrangigen Gläubiger nicht abgewichen wird), und auch § 222 Abs. 3 Satz 1 greift nicht, es gibt also keine Arbeitnehmer mit erheblichen Forderungen.
___________ 62) Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 4. 63) So Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 37 ff. Ob nun eine Gruppe gebildet wird oder die Gruppenbildung unterbleibt, ist lediglich eine Frage der Sichtweise, die aber keine Auswirkung auf das Ergebnis hat.
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§ 29 Fakultative Gläubigergruppen Schöne
I. 1.
2.
Arbeitnehmer .............................................. 2 Voraussetzungen .......................................... 3 1.1 Arbeitnehmereigenschaft................ 3 1.2 Insolvenzgläubiger........................... 6 1.3 Nicht unerhebliche Forderungen .............................................. 7 1.4 Mehrheit von betroffenen Arbeitnehmern ................................... 10 Pflicht zur Gruppenbildung ...................... 11
3. Untergruppenbildung ................................ 12 II. Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) ..................................................... 15 III. Kleingläubiger und geringfügig Beteiligte .................................................... 19 1. Kleingläubiger ............................................ 19 2. Geringfügig Beteiligte................................ 23 IV. Ein-Gläubiger-Gruppe............................. 26
Literatur: Hingerl, Gruppenbildung im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2007, 1337; Kaltmeyer, Der Insolvenzplan als Sanierungsmittel des Schuldners – Unter Berücksichtigung des EGInsOÄndG v. 19.12.1998 (Teil I), ZInsO 1999, 255; Krings, Arbeitsrecht im Insolvenzplanverfahren – so geht das (nicht), ZInsO 2017, 577.
§ 222 Abs. 2 InsO lässt es zu, dass unter den Gläubigern gleicher Rechtsstellung weitere 1 Gruppen gebildet werden, wenn hier gleichartige wirtschaftliche Interessen bestehen. Aus Sicht des Planerstellers ist zu beachten, dass er eine sachgerechte Abgrenzung vornimmt (§ 222 Abs. 2 Satz 2 InsO). § 222 Abs. 3 InsO enthält wiederum Sonderregelungen für die Gruppenbildung der Arbeitnehmer und der Kleingläubiger. I.
Arbeitnehmer
Arbeitnehmer sollen eine besondere Gruppe bilden, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit 2 nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind (§ 222 Abs. 3 Satz 1 InsO). Der Gesetzgeber verfolgt bei dieser Regelung die Vorstellung, dass die Interessenlage der Arbeitnehmer des Schuldners i. d. R. von der Interessenlage sonstiger Insolvenzgläubiger abweicht, weil die Arbeitsverhältnisse über den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung fortbestehen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO) und im Verfahren über den Erhalt der Arbeitsplätze entschieden wird.1) 1.
Voraussetzungen
1.1
Arbeitnehmereigenschaft
Die Aufnahme in die besondere Gläubigergruppe der Arbeitnehmer setzt zunächst vor- 3 aus, dass es sich bei dem Gläubiger um einen Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne handelt. Nicht erfasst werden also die arbeitnehmerähnlichen Personen, Dienstnehmer (z. B. Geschäftsführer) oder freie Mitarbeiter.2) Die Gegenmeinung, die neben den Arbeitnehmern auch freie Mitarbeiter und arbeitnehmerähnliche Personen mit einbeziehen will,3) übersieht, dass sich bei diesen Personengruppen der gesetzliche Schutzzweck – nämlich die Berücksichtigung des Arbeitsplatzerhaltungsinteresses – nicht verwirklichen kann. Es mag zwar – jedenfalls bei arbeitnehmerähnlichen Personen – eine wirtschaftliche Abhängigkeit bestehen, welche aber hier nicht maßgeblich ist. Denn der Gesetzeswortlaut erfasst eindeutig nur den „Arbeitnehmer“. Will der Gesetzgeber auch arbeitnehmerähnliche ___________ 1) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 200, li. Sp. 2) Ebenso: Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 222 Rz. 6; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 21; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 222 Rz. 16. 3) So z. B. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 88.
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§ 29
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Personen in den Schutzbereich einer arbeitnehmerschützenden Norm einbeziehen, regelt er dies besonders, wie z. B. § 12a TVG zeigt. Wo eine solche Regelung fehlt, ist also davon auszugehen, dass hier keine Berücksichtigung von „Nicht-Arbeitnehmern“ erfolgen soll. 4 Allerdings sollte zumindest bei „freien“ Mitarbeiterverträgen stets kritisch geprüft werden, ob nicht in Wirklichkeit ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Dies beurteilt sich nicht nach der Vertragsbezeichnung, sondern nach der tatsächlichen Durchführung des Vertrags (vgl. § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB). Erfahrungsgemäß ist eine Reihe „freier“ Mitarbeiter in Wirklichkeit Arbeitnehmer. 5 § 611a Abs. 1 BGB bestimmt die Kriterien, wann ein Vertragsverhältnis ein Arbeitsvertrag ist. Kernelement ist, dass eine Person zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit für einen anderen verpflichtet ist. Ein Mitarbeiter, der zeitlich, örtlich oder inhaltlich in Bezug auf den Auftragsgegenstand klare Vorgaben vom Auftraggeber bekommt, ist nicht selbstständig i. S. von § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB und in Wahrheit Arbeitnehmer. 1.2
Insolvenzgläubiger
6 Weitere Bedingung ist, dass die Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. In Betracht kommen hier nur solche Forderungen, die nicht durch das Insolvenzgeld abgedeckt sind.4) Forderungen, die das Insolvenzgeld abdeckt, gehen gemäß § 169 Satz 1 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit über, die dementsprechend als Insolvenzgläubiger am Verfahren zu beteiligen ist. Nicht einzubeziehen – da Masseverbindlichkeiten – sind Ansprüche der Arbeitnehmer aus einem Insolvenzsozialplan nach § 123 InsO5) und solche, die ein vorläufiger starker Insolvenzverwalter begründet hat (§ 55 Abs. 2 InsO).6) 1.3
Nicht unerhebliche Forderungen
7 Schwierig zu bestimmen ist, wann die Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Das Gesetz ist an dieser Stelle unbestimmt, auch die Gesetzesbegründung schweigt. Eine konkrete Zahlenangabe ist auch nicht möglich, entscheidend sind die Verhältnisse des Einzelfalls. 8 Da hierbei das Arbeitsplatzerhaltungsinteresse in die Beurteilung mit einzubeziehen ist, ist demzufolge auch kein objektiver Maßstab in Relation zu den Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners insgesamt anzulegen.7) Die Erheblichkeit der Forderung beurteilt sich vielmehr nach der subjektiven Betroffenheit der Arbeitnehmer.8) Entscheidend sind also die Einkommensverhältnisse der Arbeitnehmer.9) Dass eine Forderung bereits dann erheblich sein soll, wenn sie ein Monatsgehalt beträgt,10) ist zu weitgehend, da hiernach in den meisten Fällen, in denen Lohnrückstände über den Insolvenzgeldzeitraum hinaus bestehen, erhebliche Forderungen im Rechtssinne vorlägen. Das widerspricht aber der gesetzlichen Intention, die ein Ausscheiden unerheblicher Forderungen verlangt.11) ___________ Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 128; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 222 Rz. 45. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 222 Rz. 16. Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 222 Rz. 6. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 222 Rz. 10; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 93. LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 222 Rz. 6; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 93. 9) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 23. 10) So wohl LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724. 11) Nicht zu folgen ist daher dem LAG Düsseldorf v. 15.9.2011 – 11 Sa 591/11, ZIP 2011, 2487, dazu EWiR 2012, 151 (Bäher/Höpker), das schon einen Betrag von über 500 EUR ausreichen lässt. 4) 5) 6) 7) 8)
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§ 29
Fakultative Gläubigergruppen
Erheblich ist eine Forderung damit erst dann, wenn sie ein Monatsgehalt überschreitet.12) 9 Ein solcher Lohnausfall ist schon außerhalb eines Insolvenzverfahrens als beachtlich anzusehen und trifft i. d. R. den Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Einkommenssituation erheblich, da die Liquidität zur Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers aus dem Bezug eines regelmäßigen Einkommens generiert wird. Fehlt das Einkommen über mehr als einen Monat, besteht damit die ernste Gefahr einer Liquiditätskrise des Arbeitnehmers und der Notwendigkeit, staatliche Hilfen in Anspruch nehmen zu müssen. Damit ist es gerechtfertigt, einen Lohnausfall von mehr als einem Monatsgehalt als nicht mehr unerheblich im insolvenzrechtlichen Sinne anzusehen. 1.4
Mehrheit von betroffenen Arbeitnehmern
Voraussetzung ist, dass eine Mehrheit – also über 50 % – der Arbeitnehmer nicht uner- 10 hebliche Forderungen gegen den Insolvenzschuldner hat.13) Nicht notwendig ist, dass alle Arbeitnehmer über erhebliche Forderungen verfügen. 2.
Pflicht zur Gruppenbildung
Liegen die Voraussetzungen des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO vor, soll für die Arbeitnehmer 11 eine besondere Gruppe gebildet werden. Allgemeinen Rechtsprinzipien folgend, muss die Gruppe also gebildet werden, soweit nicht wegen der Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise von einer Gruppenbildung abgesehen werden kann.14) 3.
Untergruppenbildung
Auch wenn der Gesetzeswortlaut davon spricht, dass für die Arbeitnehmer „eine“ Gruppe 12 gebildet werden soll, bedeutet dies nicht, dass der Planverfasser zahlenmäßig auf die Bildung einer Gruppe beschränkt ist. Er kann vielmehr innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer weitere Untergruppen bilden, soweit es hierfür hinreichende sachliche Kriterien gibt.15) Zweifelhaft ist, ob es schon ausreicht, dass die Insolvenzforderung auf verschiedenartigen Gründen (Lohnforderung, vorinsolvenzlich abgeschlossener Sozialplan, Forderung aus Arbeitszeitguthaben) beruht.16) Diese Trennung wäre ohne das Hinzutreten weiterer Umstände sachlich schwer begründbar, sind es doch alles Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis oder jedenfalls im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Notwendig sind weitere Kriterien für eine Aufspaltung der Arbeitnehmergruppe. Eine 13 Untergruppenbildung ist also dann möglich, wenn die Interessenlage in der Arbeitnehmerschaft verschiedenartig ist; z. B. kann nach den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll bzw. beendet worden ist, und den Arbeitnehmern, die fortbeschäftigt werden, unterschieden werden.17) Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis fortbesteht, die also auch in Zukunft die Vergütung erhalten, dürfen anders behandelt werden als Arbeit___________ 12) Anders: Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 222 Rz. 21 (ab zwei Monatsgehältern Rückstand bei mindestens einem Drittel der Arbeitnehmer). 13) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 94a; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 222 Rz. 46, setzt die Grenze bei einem Drittel; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 24, halten 25 % für die unterste Grenze; unklar: Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129 („einige“ Arbeitnehmer). 14) LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 725; Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 222 Rz. 12; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 124; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 20. 15) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 95; Krings, ZInsO, 2017, 577, 579; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 25. 16) So aber z. B. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 25. 17) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 96.
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§ 29
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
nehmer, deren Arbeitsverhältnis beendet ist bzw. wird und die keinen zukünftigen wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten haben und bei denen ein höheres Interesse an der (teilweisen) Erfüllung ihrer Insolvenzforderungen besteht.18) 14 Das LAG Niedersachsen19) hat es gebilligt, dass innerhalb der Arbeitnehmergruppe Untergruppen für Arbeitnehmer, die einen Sanierungsbeitrag für den Fortbestand des Unternehmens geleistet haben, und solchen, die diesen Sanierungsbeitrag nicht geleistet haben, gebildet worden sind. II.
Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG)
15 Für den PSVaG sieht § 9 Abs. 4 BetrAVG die Möglichkeit einer eigenen Gruppenbildung vor, wenn das Unternehmen oder ein Betrieb des Unternehmens fortgeführt wird. Dem Planverfasser steht daher ein Ermessensspielraum zu. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah demgegenüber noch eine Pflicht zur Gruppenbildung für den PSVaG vor,20) was letztlich aber nicht umgesetzt wurde. Unterbleibt eine eigene Gruppenbildung für den PSVaG, ist dies demnach sanktionslos.21) 16 § 9 Abs. 4 BetrAVG ist stets im Zusammenspiel mit § 7 Abs. 4 BetrAVG zu sehen. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG gewidmet werden. Danach soll im Insolvenzplan zugunsten des PSVaG ein Besserungsschein vereinbart werden, d. h. der Arbeitgeber verpflichtet sich, bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bzw. die entsprechenden Anwartschaften wieder zu übernehmen. Fehlt dies in einem Insolvenzplan, führt dies von Amts wegen zur Zurückweisung des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn nicht wegen der Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise ein Übergehen des gesetzlichen Besserungsscheins gerechtfertigt ist.22) Letzteres ist im Insolvenzplan zu begründen. 17 Das BetrAVG geht davon aus, dass im Insolvenzplan vorgesehen werden kann, dass der Arbeitgeber bzw. der sonstige Träger der betrieblichen Altersversorgung einen Teil der Leistungen aus der Betriebsrentenzusage wieder selbst übernimmt (§ 7 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG). Dies wird auch als vertikale Verteilung bezeichnet.23) Der PSVaG haftet hier nur für die Ausfallquote. Möglich ist nach Satz 3 dieser Norm aber auch, dass der Arbeitgeber bzw. der sonstige Träger der betrieblichen Altersversorgung ab einem bestimmten Stichtag die Leistungen aus der Betriebsrentenzusage vollständig wieder übernimmt und der PSVaG ab diesem Zeitpunkt von der Pflicht zur Erbringung der Leistung freigestellt ist (sog. horizontale Verteilung).24) Die horizontale Verteilung hat mehrere Vorteile: Erstens erhält das Unternehmen durch die zeitlich begrenzte Befreiung von der Leistungspflicht einen Liquiditätsvorteil und zweitens wird durch die klare Trennung der Leistungserbringungspflicht in die Zeitabschnitte vor und nach dem Stichtag die Administration der betrieblichen Altersvorsorge für den PSVaG und den Arbeitgeber deutlich vereinfacht. 18 Der Insolvenzplan kann die vorgenannten gesetzlichen Regelungen ausgestalten. Wird der Plan angenommen, so bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des PSVaG zu einer solchen Planregelung.25) ___________ Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 25. LAG Niedersachsen v. 1.6.2010 – 11 Sa 1658/09, NZI 2011, 156. BT-Drucks. 12/3803, S. 49, re. Sp. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 231 Rz. 12. Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, § 7 Rz. 278; Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 857; Steinmeyer, in: ErfK, § 7 BetrAVG Rz. 48; unentschieden Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 20. 23) Hierzu: Hermann, in: Göpfert, HAI, § 14 Rz. 55. 24) Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 853. 25) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 32.
18) 19) 20) 21) 22)
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§ 29
Fakultative Gläubigergruppen III.
Kleingläubiger und geringfügig Beteiligte
1.
Kleingläubiger
Ausdrücklich gesetzlich erwähnt ist die Möglichkeit der Gruppenbildung für Kleingläubiger 19 (§ 222 Abs. 3 Satz 2 InsO). Der Begriff des Kleingläubigers ist nicht legal definiert, was eine gewisse Rechtsunsicherheit begründet. Eine trennscharfe Definition ist allerdings schwer möglich, generelle absolute Zahlen verbieten sich hier, weil es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.26) Daher muss auf die – allerdings unbefriedigende – Definition zurückgegriffen werden, 20 wonach Kleingläubiger solche Gläubiger sind, die im Verhältnis zur Gläubigergesamtheit relativ geringe Forderungen haben. Die Literatur behilft sich zunächst damit, eine unterste Grenze einzuziehen, deren Unterschreitung jedenfalls die Stellung eines Kleingläubigers begründet. Diese Grenze soll bei etwa 500 EUR liegen.27) Das ist – trotz der Bedenken gegen absolute Beträge – zu akzeptieren, weil jedenfalls ein solcher Betrag auch bei Kleininsolvenzverfahren mit Insolvenzplan als Mindestgrenze einer Forderung anzusehen ist. Neben dieser konsensfähigen Untergrenze wird alternativ zur Bestimmung der Eigenschaft 21 als Kleingläubiger vorgeschlagen, dass durch die Bildung dieser Gruppe die Zahl der in die Abstimmung einbezogenen Gläubiger so verringert wird, dass von einer Verfahrensvereinfachung gesprochen werden kann.28) Dies soll bei einer Reduktion um 10 % der Fall sein.29) Da Sinn und Zweck der Kleingläubigergruppe die Möglichkeit der Verfahrensvereinfachung ist, ist es im Regelfall berechtigt, eine Gruppe von Gläubigern (Kleingläubigern) zu bilden, wenn dies zu einer signifikanten Entlastung führt. Sinkt die Zahl der abstimmenden Gläubiger um 10 %, ist der Zweck des Gesetzes regelmäßig erreicht. Eine Verfahrensvereinfachung lässt sich allerdings nur erreichen, indem den Gläubigern in 22 der Kleingläubigergruppe eine volle Befriedigung gewährt wird, da sie dann das Stimmrecht verlieren (§ 237 Abs. 2 InsO).30) Wird der gesetzgeberische Wille ernst genommen, muss also den Kleingläubigern in der Tat eine vollständige Befriedigung gewährt werden.31) Die Gegenmeinung,32) wonach auch eine nur teilweise Befriedigung ausreichen soll, ist abzulehnen, da hier gerade keine Verfahrensvereinfachung mehr erreicht wird. Ist eine nur teilweise Befriedigung der „Kleingläubiger“ beabsichtigt, kommt eine Gruppenbildung nur unter den in § 222 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO bestimmten Voraussetzungen in Frage.33) 2.
Geringfügig Beteiligte
Nach § 222 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 InsO kann auch für geringfügig beteiligte Anteilsinhaber 23 eine besondere Gruppe gebildet werden. Der Gesetzgeber hat sich nach der Begründung zum Gesetzentwurf34) zur Bestimmung der „geringfügigen Beteiligung“ an das Aktienrecht ___________ 26) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 139; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 222 Rz. 7; Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 26. 27) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 87; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 259, will sich dagegen an § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO orientieren und zieht die Grenze bei 600 EUR. 28) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 30. 29) Braun, in: Nerlich/Römermann, § 222 Rz. 87; ähnl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 139, wonach Kleingläubiger alle Gläubiger bis zum summenmäßigen Erreichen von 10 % des insgesamt gegen den Schuldner gerichteten Forderungsvolumens sind. 30) So die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 200. 31) Ebenso Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 140. 32) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 30, der wohl eine Quote von 80 % für ausreichend hält; gegen eine vollständige Befriedigung auch Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 27. 33) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 140. 34) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31, li. Sp.
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§ 29
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
angelehnt, wonach geringfügig beteiligt ist, wer mit weniger als 1 % am Haftkapital beteiligt ist oder eine Beteiligung von weniger als 1.000 EUR hält. Die Gruppe der geringfügig Beteiligten tritt als weitere Gläubigergruppe neben die Kleingläubiger. Wer weniger als 1 % am Haftkapital hält oder mit weniger als 1.000 EUR hieran beteiligt ist, hat keinen unternehmerischen Einfluss und soll daher auch im Insolvenzplan anders behandelt werden können. Zutreffend wird vom Gesetzgeber die Höhe der Beteiligung als zulässiges Differenzierungskriterium in der Gruppenbildung angesehen.35) 24 Dem Planverfasser steht es frei, auf eines der beiden alternativen Abgrenzungskriterien zurückzugreifen. Je nach den Besonderheiten des Einzelfalls kann es sich also anbieten, entweder auf die prozentuale Beteiligung oder auf den Nennbetrag der Beteiligung abzustellen. 25 Keine Anwendung findet § 222 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 InsO dagegen auf Mitgliedschaftsrechte, da es hier keine „Hauptanteilsinhaber“ gibt. Die Gruppe der geringfügig Beteiligten kann daher nur für Anteilsrechte, nicht aber für Mitgliedschaftsrechte gebildet werden.36) IV.
Ein-Gläubiger-Gruppe
26 Ob Gruppen mit nur einem Gläubiger überhaupt gebildet werden dürfen, ist umstritten. Die Rechtsprechung37) und ein Teil der Literatur38) lässt sie zu, ein Teil des Schrifttums lehnt sie ab.39) Wie sich aus der Sonderregelung des § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG ergibt, billigt der Gesetzgeber die Bildung einer Gruppe mit nur einem Gläubiger. Dass es sich bei der Regelung im BetrAVG nur um eine Ausnahme handele und ansonsten ein Verbot von Ein-Gläubiger-Gruppen bestehe,40) lässt sich mit den Gesetzesmaterialien nicht in Einklang bringen. Weder Gesetzeswortlaut noch Gesetzgebungshistorie enthalten Hinweise darauf, dass es ein prinzipielles Verbot einer Gruppenbildung mit nur einem Gläubiger gibt. § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO verlangt nur, dass die Gläubiger mit den gleichartigen wirtschaftlichen Interessen in der Gruppe zusammengefasst werden. Dass es sich stets um eine Vielzahl von Gläubigern handeln muss, besagt der Gesetzeswortlaut nicht. 27 Der Sinn und Zweck der Gruppenbildung spricht für die Möglichkeit der Bildung von Ein-Gläubiger-Gruppen. Es ist gerade das Grundprinzip des § 222 InsO, solche Rechte bzw. Gläubiger zusammenzufassen, bei denen aufgrund der Gleichartigkeit der Rechtsstellung bzw. der wirtschaftlichen Interessenlage Mehrheitsentscheidungen auch im Interesse der überstimmten Minderheit liegen.41) Dass kann dann auch bei nur einem Gläubiger der Fall sein und insoweit eine Gruppenbildung rechtfertigen. Es ist daher grundsätzlich von der Zulässigkeit der Bildung von Ein-Gläubiger-Gruppen auszugehen. 28 Vom PSVaG als besondere Ausgestaltung einer Ein-Gläubiger-Gruppe abgesehen, gibt es allerdings nur wenige Fallgestaltungen, bei denen die Bildung von Gruppen mit nur einem Gläubiger praxisrelevant werden kann. In Betracht kommt dies aber z. B. für den Fiskus. ___________ 35) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31, li. Sp. 36) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31, li. Sp. 37) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 (Bildung der Gruppe der „Stadt W.“ wurde nicht beanstandet); AG München v. 17.7.2006 – 1504 IN 1997/04 (drei Ein-Gläubiger-Gruppen: FA, StB und RA), zit. nach: Hingerl, ZInsO 2007, 1337. 38) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 222 Rz. 9; Hingerl, ZInsO 2007, 1337, 1338; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 10b; Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 4; Spahlinger, in: KPB, InsO, 222 Rz. 56. 39) Insbesondere Smid, ZInsO 1998, 347, 350 ff., der neben dem PSVaG nur einen absonderungsberechtigten Gläubiger oder einen nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger als Gruppe zulassen will. 40) So Smid, ZInsO 1998, 347, 352. 41) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31.
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§ 29
Fakultative Gläubigergruppen
Steuern entstehen auf gesetzlicher Grundlage, werden öffentlich-rechtlich verfolgt und können daher wirtschaftlich von anderen Gläubigerforderungen unterschieden werden. Eine Differenzierung der Fiskalgläubiger nach Art der geschuldeten Steuer im Insolvenzplan ist zulässig,42) was dann im Endergebnis auch zu einer oder mehreren Ein-GläubigerGruppe(n) führt. Ebenfalls möglich ist die Zuordnung der Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit in 29 einer eigenen Gruppe.43) Vordergründig sind zwar die i. R. der Insolvenzgeldleistung nach § 169 Satz 1 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche ebenso wie in der Hand der Arbeitnehmer reine Entgeltforderungen und wirtschaftlich somit grundsätzlich nicht besonders einzuordnen. Die eigenständige Regelung der Forderungen der Bundesagentur für Arbeit rechtfertigt sich aber daraus, dass diese Körperschaft des öffentlichen Rechts als Ziel ihrer Tätigkeit den Erhalt der Arbeitsplätze verfolgen soll.44) Dies ist gesetzlich i. R. der Zustimmungspflicht für die Insolvenzgeldvorfinanzierung in § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III anerkannt. Das Interesse am Erhalt von Arbeitsplätzen ist anders zu qualifizieren als das bloße Interesse an einer Erfüllung von Ansprüchen, das jeder Gläubiger verfolgt.
___________ 42) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 98. 43) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 33. 44) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 99.
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§ 30 Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe Hölzle
I.
Grundsätzliche Bedeutung von Absonderungsrechten im Insolvenzplanverfahren .............................................. 1 II. Eingriffe in Absonderungsrechte und Zustimmungserfordernisse ..................... 12 1. Grundsatz: Nur konsensualer Eingriff (§§ 217, 223 InsO)..................................... 12 2. Grundlagen der Mehrheitsentscheidung und des Obstruktionsverbots in Bezug auf Absonderungsberechtigte.................................................. 17 2.1 Obstruktionsverbot als Widerstreit zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung............... 17 2.2 Grenze der Wertbeanspruchung durch absonderungsberechtigte Gläubiger........................ 19 2.3 Niederringen widerstreitender Interessen absonderungsberechtigter Gläubiger („cram down“)............................... 21
2.3.1
III.
IV.
V.
VI.
Die Anwendung des „best interest test“ (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine Schlechterstellung) ............ 21 2.3.2 Die Anwendung der „absolute priority rule“ (§ 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine vorrangige Befriedigung gleichrangiger Gläubiger)...................................... 30 Rangverhältnis zwischen absonderungsberechtigten und ungesicherten Gläubigern? ............................................... 37 Präklusion von für den Ausfall festgestellten Forderungen im Insolvenzplan..................................................... 42 Das Verhältnis von absonderungserechtigten Gläubigern zu Gesellschaftern des Schuldners im Fortführungsplan ..................................... 44 Drittsicherheiten ...................................... 57
Literatur: Eidenmüller, Obstruktionsverbot, Vorrangregel und Absonderungsrechte, in: Festschrift Drukarczyk, 2003, S. 187; Eidenmüller, Gesellschafterstellung und Insolvenzplan, ZGR 2001, 680; Grub, Die angemessene Zahlungsquote im Insolvenzplan, in: Festschrift Uhlenbruck, 2001, S. 501; Henckel, Deregulierung im Insolvenzverfahren?, KTS 1989, 477; Hölzle, Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht und die Schlechterstellungsprüfung zu Lasten des (Minderheits-)Gesellschafters, ZIP 2014, 1819; Wittig, Obstruktionsverbot und Cram Down, ZInsO 1999, 373.
I.
Grundsätzliche Bedeutung von Absonderungsrechten im Insolvenzplanverfahren
1 Anders als aussonderungsberechtigte Gläubiger sind absonderungsberechtigte Gläubiger nach § 52 InsO am Insolvenzverfahren beteiligt. Der Katalog der Absonderungsrechte ist abschließend in den §§ 49 bis 51 InsO geregelt. Darüber hinausgehende Absonderungsrechte können nur durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht geschaffen werden. Die Vorschriften zur Begründung von Absonderungsrechten sind demgegenüber aber nicht dispositiv, weshalb zwar ein Verzicht auf begründete Absonderungsrechte möglich ist, nicht aber eine parteiautonome Erweiterung des Katalogs der Absonderungsrechte.1) Wegen der Verfahrensbeteiligung von absonderungsberechtigten Gläubigern nach § 52 InsO sind diese Gläubiger auch am Insolvenzplanverfahren zu beteiligen. 2 Daraus folgt, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger bei der Gruppenbildung nach § 222 InsO zu berücksichtigen sind (siehe oben § 28 Rz. 40 ff.). Dabei müssen sie nicht alle in einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden. Es gilt vielmehr die allgemeine Regel des § 222 Abs. 2 InsO, wonach bei sachgerechten Differenzierungskriterien auch mehrere Gruppen gleichen Rangs gebildet werden können. Insbesondere für Absonderungsberechtigte hat der BGH2) dies für die Differenzierung nach absonderungsberechtigten Gläu___________ 1) Büchler, in: HambKomm-InsO, Vor §§ 49 – 51 Rz. 1. 2) BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, NZI 2007, 521.
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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe
§ 30
bigern im Fortführungsbereich des Schuldners und außerhalb dieses Fortführungsbereichs zugelassen. Keine weitere Differenzierung rechtfertigen indes Drittsicherheiten eines Gläubigers, z. B. von einem Gesellschafter oder Geschäftsführer gegebene Bürgschaften. Auch wenn der Gläubiger bereit ist, im Interesse des Gelingens des Plans einstweilen auf die Durchsetzung solcher Drittsicherheiten zu verzichten, rechtfertigt dies keine gesonderte Gruppenbildung, die ihrerseits dazu dienen kann, das gruppenbezogene Gleichbehandlungsgebot des § 226 Abs. 1 InsO zu unterlaufen. Nach § 254 Abs. 2 InsO bleiben Drittsicherheiten von den Regelungen des Plans unbeeinflusst (siehe unten Rz. 54). Worauf aber im Plan kein Einfluss genommen werden kann und was zudem keine Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung hat, kann wegen der weitreichenden Folgen und des Einflusses insbesondere auf das durch eine differenzierte Gruppenbildung aufgeweichte Gleichbehandlungsprinzip nicht als taugliches Differenzierungskriterium für die Gruppenbildung herangezogen werden. Unterstrichen wird dies durch § 44a InsO, wonach eine Beteiligung als Insolvenzgläubiger erst nach Inanspruchnahme der Drittsicherheit möglich ist; dann kann nicht zugleich die Tatsache des Bestehens oder der Nichtinanspruchnahme der Drittsicherheit zu einer differenzierten Behandlung im Insolvenzplan führen. Bereits in diesem speziellen Problemkreis kommt das allgemeine Problem zum Ausdruck, dass nach wie vor nicht letztverbindlich geklärt ist, wie die Gruppenbildung vorzunehmen ist, wenn – wie im absoluten Regelfall – die Absonderungsberechtigten zugleich Inhaber einer persönlichen Forderung gegen den Schuldner sind.3) In diesem Fall entsteht nämlich die Besonderheit, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger zweifach auf das Abstimmungsergebnis Einfluss nehmen, weil sie einmal mit ihren Sicherungsrechten in einer eigenen Gläubigergruppe erfasst und ggf. darüber hinaus auch als Gläubiger mit ihrer schuldrechtlichen Forderung an der Abstimmung beteiligt werden (siehe dazu schon oben § 28 Rz. 50 ff.). Zunächst gilt i. R. des § 52 InsO unstreitig das Ausfallprinzip. Der absonderungsberechtigte Gläubiger nimmt deshalb, soweit er aus seinem Sicherungsrecht keine vollständige Befriedigung erlangen kann oder auf die Sicherheit verzichtet hat, als einfacher Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO am Insolvenzverfahren teil. Daraus könnte abgeleitet werden, dass die Absonderungsberechtigten mit dem der Sicherheit im Insolvenzplan beigemessenen Wert in der Gruppe der Absonderungsberechtigten am Insolvenzplan teilnehmen und i. H. des Ausfallbetrags in der Gruppe der einfachen, ungesicherten Insolvenzgläubiger nochmals Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nehmen.4) Entgegen der noch in der Vorauflage vertretenen Auffassung ist dem auch zuzustimmen. Bereits in der Vorauflage habe ich vertreten, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger (ausschließlich) mit ihrem Ausfall in der Gruppe der einfachen, ungesicherten und nicht nachrangigen Gläubiger nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berücksichtigen sind, soweit in ihre Absonderungsrechte durch den Plan nicht eingegriffen wird (vgl. § 223 InsO) und sie aus dem Sicherungsgut ohne insolvenzplanbedingten Verzicht (anteilig) befriedigt werden. Die Ausfallforderung ist dann der nach Befriedigung verbleibende Restbetrag, der wie eine einfache Insolvenzforderung im Rang des § 38 InsO behandelt wird. Hiergegen gibt es nichts zu erinnern. Wird durch den Insolvenzplan allerdings gemäß § 223 Abs. 2 InsO in die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger eingegriffen, war in der Vorauflage noch die Auffassung vertreten worden, dass die dann zwingend zu bildende Gruppe für die absonderungsberechtigten Gläubiger gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine abschließende Re___________ 3) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 7.13. 4) In diesem Sinne Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 222 Rz. 6; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 222 Rz. 6; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 12 a. E.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
gelung beinhalten und die Rechte der Absonderungsberechtigten in dieser Gruppe vollständig, nämlich nach ihrem besicherten und ihrem unbesicherten Anteil behandelt und erledigt werden sollten. Das Sachargument, dass vor dem Hintergrund des § 245 InsO (Obstruktionsverbot, siehe ausführlich unten § 41) eine Beteiligung der Gläubiger in nur einer Gläubigergruppe als vorzugswürdiger Weg erscheine, um eine doppelte mittelbare Einflussnahmemöglichkeit zu vermeiden, greift zwar nach wie vor. Auch gilt nach wie vor, dass bei akzessorischen Sicherheiten durch den Eingriff sowohl über die Sicherheit als auch über die persönliche Forderung entschieden wird.5) Allerdings würde sich eine solche Gruppenbildung, in welcher der absonderungsberechtigte Gläubiger mit seinem Absonderungsrecht und seiner verbleibenden Ausfallforderung in nur einer Gruppe erfasst würde, dem Vorwurf der Bildung einer unzulässigen Mischgruppe auszusetzen haben.6) Unzulässig ist die Bildung einer solchen Mischgruppe jedenfalls dann, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger auch mit einer von der Sicherungsvereinbarung (rechtlich) nicht erfassten Forderung in der Gruppe der Absonderungsberechtigten erfasst würde. Das ist unstreitig, weil dann ein Gläubiger mit Forderungen unterschiedlicher Rechtsstellung in einer Gruppe erfasst würde. Dies gilt z. B. bei beschränkten Zweckerklärungen für Grundpfandrechte. Die von der Zweckerklärung nicht erfassten Forderungen dürfen unzweifelhaft nicht auch in der Gruppe der Absonderungsberechtigten auftauchen. 7 Problematischer stellt sich der Sachverhalt dar, wie er vom BGH zu entscheiden war,7) in dem die Sicherheit nominell den Wert der Forderung nicht erreicht, das eingetragene Grundpfandrecht also hinter der Forderung zurückbleibt. Der Plan sah vor, dass der Gläubiger auch mit dem Differenzbetrag von rund 200 TEUR, um den die Forderung die nominelle Grundschuldhöhe überstieg, in der Gruppe der Absonderungsberechtigten einzuordnen war. Hiergegen richtete sich die Rüge, welcher die Vorinstanz wegen der Annahme eines Verstoßes gegen §§ 250, 222 InsO stattgegeben hat. Der BGH pflichtete zwar der Vorinstanz im Grundsatz bei, dass die Bildung von Mischgruppe unzulässig sei, stellte im vorliegenden Fall jedoch nicht auf den Nominalbetrag der Grundschuld, sondern auf den Fortführungswert des Grundstücks ab, der unter Berücksichtigung der dinglichen Zinsen, auf die sich das Absonderungsrecht ebenfalls erstrecke, eine vollständige Sicherung des Gläubigers erlaube, weshalb eine Mischgruppe im konkreten Fall nicht anzunehmen sei. 8 Die Bildung einer einheitlichen Gruppe für absonderungsberechtigte Gläubiger ist daher mit dem erheblichen Planvollzugsrisiko behaftet, dass es zu der Bildung einer unzulässigen Mischgruppe kommt, wenn und soweit ein Beschwerdeführer nachweist, dass der Wert der Sicherheit die Höhe der erfassten Forderung nicht deckt. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich nicht zuletzt aus dem Gesichtspunkt der Vollzugssicherheit des Plans, in der Gruppe der Absonderungsberechtigten nur den durch den nachgewiesenen Wert der Sicherheiten gedeckten Teil der Forderung zu erfassen und für die Ausfallforderung entweder eine eigene Gläubigergruppe nicht nachrangiger, ungesicherter Gläubiger zu bilden, soweit hierfür Differenzierungskriterien greifen, oder aber diesen Teil der Forderung in die allgemeine Gruppe der einfachen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) einzuordnen. 9 Dem steht auch nicht entgegen, dass bei der Berechnung des Ausfalls stets davon auszugehen ist, dass Zahlungen des Insolvenzverwalters (oder auch des Schuldners bei Eigenverwaltung) zunächst auf das Absonderungsrecht anzurechnen sind. Bei Bestehen von Absonderungsrechten darf der Insolvenzverwalter Zahlungen auf die persönliche Schuld nicht leisten. Entsprechende Anrechnungsklauseln und z. B. formularvertragliche Tilgungsbestim___________ 5) Vgl. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 7.14 m. Hinweis auf Flessner, in: HK-InsO, 3. Aufl., § 222 Rz. 8. 6) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein). 7) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.
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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe
§ 30
mungen sind nicht insolvenzfest und insoweit unwirksam. Sollte irrtümlich auf die persönliche Schuld bzw. die gesicherte Forderung geleistet werden, so sind solche Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu kondizieren.8) Dieser Vorrang der Zahlung auf das Sicherungsrecht findet seine rechtliche Grundlage in 10 § 190 Abs. 1 InsO, wonach die absonderungsberechtigten Gläubiger nur nach erfolgtem Nachweis des Verzichts auf die Befriedigung aus dem Absonderungsgut oder des Ausfalls mit ihrer Forderung berücksichtigt werden. Nicht zuletzt durch diese Klausel kommt es auch bei rechtsdogmatisch nicht akzessorischen Sicherheiten zu einer insolvenzrechtlichen Akzessorietät von Forderung und Sicherungsrecht. Daraus folgt aber nicht, dass der Absonderungsgläubiger auch mit dem nicht gesicherten 11 Teil seiner persönlichen Forderung die rechtliche Qualität des Absonderungsrechts teilt. Zwar folgt aus der insolvenzrechtlichen Akzessorietät ein Rangverhältnis der Forderungen zueinander und eine Vorherigkeit des Absonderungsrechts. Das spricht aber noch viel mehr dafür, dass der Gläubiger mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung gerade keinerlei Bezug mehr zu der dinglichen Sicherheit hat und sich deshalb mit diesem Teil der Forderung im Grundsatz nicht von den übrigen ungesicherten Gläubigern unterscheidet, was im Grundsatz die Anwendung des gruppenbezogenen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 226 Abs. 1 InsO) nach sich ziehen muss, gibt es keine sonstigen Differenzierungskriterien. II.
Eingriffe in Absonderungsrechte und Zustimmungserfordernisse
1.
Grundsatz: Nur konsensualer Eingriff (§§ 217, 223 InsO)
Nach § 217 InsO kann durch den Insolvenzplan auch die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger abweichend von der Regelabwicklung des Insolvenzverfahrens geregelt werden. § 223 Abs. 1 InsO bestimmt dabei jedoch, dass Absonderungsrechte in ihrem Bestand von dem Insolvenzplanverfahren grundsätzlich unberührt bleiben, solange nicht der Plan etwas anderes ausdrücklich vorsieht. Soweit eine abweichende Regelung, nämlich ein Eingriff in die Rechte vorgesehen ist, ist dieser nach § 223 Abs. 2 InsO in Tatbestand, Rechtsfolgen und Auswirkungen genau zu beschreiben. Wird in die Absonderungsrechte nicht eingegriffen und erhalten die absonderungsberechtigten Gläubiger Befriedigung aus dem Gegenstand, an dem das Absonderungsrecht besteht, steht den absonderungsberechtigten Gläubigern kein Stimmrecht zu, wenn vollständige Tilgung eingetreten ist, § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO, ist durch die uneingeschränkte Verwertung wegen unzureichender Besicherung nur eine anteilige Tilgung eingetreten, nehmen die absonderungsberechtigten Gläubiger nur wie nicht nachrangige Gläubiger in der Gruppe nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 InsO an der Abstimmung über den Plan teil. Wird den absonderungsberechtigten Gläubigern nach dem Insolvenzplan der Erlös unter Abzug der Feststellungs- und Verwertungskosten nach §§ 170, 171 InsO zugewiesen, so greift der Plan in die Rechte der Gläubiger nicht ein, weshalb ihnen ein Stimmrecht nicht zusteht, §§ 238 Abs. 2, 237 Abs. 2 InsO. Wird in die Rechte zwar eingegriffen, z. B. durch Verwertungsstopp, erhalten die Gläubiger aber den Erlösanteil zugewiesen, der dem Verwertungserlös abzüglich Feststellungs- und Verwertungskosten entspricht, so stehen sie durch den Plan nicht schlechter und eine fehlende Zustimmung könnte nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ersetzt werden.9) Wegen der ihnen zustehenden Absonderungsrechte und der in § 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO angeordneten Bildung einer eigenen Gläubigergruppe für die absonderungsberechtigten Gläubiger nehmen diese im Verfahren eine bedeutende und starke Stellung ein. Zugeständ___________ 8) Büchler, in: HambKomm-InsO, Vor §§ 49–51 Rz. 21; Hess, Sanierungshandbuch, Rz. 20.159. 9) AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, dazu EWiR 2002, 877 (Otte).
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§ 30
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
nisse und Verzichte sind beinahe ausschließlich mit deren Zustimmung und kaum je gegen deren Willen durchsetzbar. Aus diesem Grund ist es verständlich, nach Rechtsgrundlagen für eine Verpflichtung der Gläubiger zur Zustimmung zu einem Insolvenzplan unter bestimmten Voraussetzungen zu suchen. Eine Übertragung der für Gesellschafter geltenden Girmes-Rechtsprechung des BGH10) (siehe dazu ausführlich unten § 31 Rz. 1 ff.) auch auf einfache und/oder absonderungsberechtigte Gläubiger ist jedoch nicht möglich. Zweifelhaft ist aus einer methodischen Perspektive nämlich bereits, ob nicht die Regelungen des Insolvenzplanverfahrens über die Annahme und Bestätigung eines Plans als lückenloses Gefüge anzusehen sind, das für eine entsprechende Pflicht von vornherein keinerlei Raum mehr lässt, dass also die vom Gesetzgeber gelegten systematischen Grundlagen ein absichtsvolles Unterlassen begründen, das jede Erweiterung um eine Zustimmungspflicht verbietet.11) Jedenfalls aber besteht für eine solche Verpflichtung kein Bedürfnis, da die Abstimmungsregeln des Insolvenzplanverfahrens mit dem Obstruktionsverbot des § 245 InsO bereits Institutionen vorsehen, um gegen den Willen einzelner „renitenter“ Gläubiger und u. U. sogar gegen den Willen ganzer Gläubigergruppen Planergebnisse durchzusetzen.12) Für die Herleitung und Annahme von darüber hinausgehenden Zustimmungspflichten besteht daher grundsätzlich kein Raum (siehe aber unten Rz. 44 ff., 53 ff.). 16 Ist ein echter Eingriff in die Absonderungsrechte daher grundsätzlich nur mit Zustimmung der absonderungsberechtigten Gläubiger möglich, so erweist sich die Anwendung des Obstruktionsverbots (§ 245 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger als besonders problematisch, was die Übertragung der unten (siehe § 41) ausführlich dargestellten Grundsätze auf Absonderungsberechtigte in einem besonderen Licht erscheinen lässt und deshalb eine genauere Betrachtung rechtfertigt. 2.
Grundlagen der Mehrheitsentscheidung und des Obstruktionsverbots in Bezug auf Absonderungsberechtigte
2.1
Obstruktionsverbot als Widerstreit zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung
17 Die Vorschriften über das Insolvenzplanverfahren verlangen für die Annahme und die anschließende gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans keinen 100 %igen Konsens. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber aus Gründen der Transaktionskosteneffizienz13) für ein zweistufiges System entschieden, welches im ersten Schritt eine Mehrheitsentscheidung zulässt, nämlich in jeder Gläubigergruppe die Kopf- und die Summenmehrheit genügen lässt (§ 244 Abs. 1 InsO), und auf der zweiten Stufe mit dem Obstruktionsverbot (§ 245 InsO) die Zustimmung einer negativ abstimmenden Gläubigergruppe unter bestimmten Voraussetzungen fingiert. In der Gesetzesbegründung zur InsO14) stellt der Gesetzgeber deshalb auch ausdrücklich klar, dass es sich bei der Verankerung einer Mehrheitsregel im Insolvenzverfahren nicht um ein Instrument politischer oder verbandsrechtlicher Demokratie handelt, sondern dass hier ein technischer Behelf zur Erleichterung der Entscheidungsfindung einer unkoordinierten Vielzahl von Beteiligten geschaffen worden ist. Dies gilt in derselben Weise für die Ersetzung der Zustimmung auch der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger, wodurch das mit § 223 Abs. 1 InsO grundsätzlich angelegte konsensuale Element relativiert wird. ___________ 10) BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); vgl. auch nachfolgend BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289, dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster). 11) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 885. 12) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 885. 13) Vgl. dazu ausf. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 77 ff. 14) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 79.
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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe
§ 30
Das Obstruktionsverbot lässt sich dabei am besten als Antwort auf das Spannungsverhältnis 18 zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung begreifen: Verteilungskämpfe zwischen einzelnen Gläubigergruppen werden von der InsO nur bis zur Grenze der Angemessenheit toleriert. Eine Gläubigergruppe, die angemessen an dem durch einen Plan geschaffenen wirtschaftlichen Wert beteiligt wird, soll durch ihr obstruktives Verhalten den Plan nicht zu Fall bringen können.15) Dies gilt in besonderem Maße für die ohnehin im Insolvenzverfahren bevorzugt zu behandelnde Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger. 2.2
Grenze der Wertbeanspruchung durch absonderungsberechtigte Gläubiger
Wann allerdings die Grenzen der Wertbeanspruchung nach diesem institutionellen Rahmen 19 des § 245 InsO für Absonderungsberechtigte erreicht sind, ist häufig schwer zu bestimmen. Berühmtheit hat in diesem Zusammenhang eine Beschwerdeentscheidung des LG Traunstein16) erlangt. Dort hat das Insolvenzgericht einen Insolvenzplan bestätigt, der vorsah, dass die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) eine Quote erhielten, während die kreditgebende und mit diesem Kredit grundpfandrechtlich besicherte und damit absonderungsberechtigte Bank verpflichtet wurde, den Kredit stehen zu lassen und auf die Verwertung des Absonderungsguts (Grundstücke) zu verzichten, weil Verwertungsreife wegen der Fortgewährung des Kredits nicht eingetreten sei. Das LG Traunstein folgte der Vorinstanz darin, dass eine Schlechterstellung der absonderungsberechtigten Gläubiger nicht gegeben sei, weil die Forderungen dieser Gläubiger nach dem Insolvenzplan nicht gekürzt und auch vertragsgemäß verzinst werden sollten. In der Aussetzung der Tilgung sei wirtschaftlich keine Schlechterstellung zu sehen, da auch die Sicherheitenverwertung im Falle der zerschlagenden Regelabwicklung der Insolvenz einen erheblichen Zeitraum in Anspruch genommen hätte, in dem eine Befriedigung der Gläubiger nicht verwirklicht werde. Die Entscheidung des LG Traunstein hat in der Literatur erhebliche Kritik erfahren.17) Diese nach dem US-amerikanischen Vorbild sog. cram down-Entscheidungen machen jedoch 20 den Spielraum deutlich, der möglicherweise für einen Eingriff in Absonderungsrechte unter Heranziehung des Obstruktionsverbots nach § 245 InsO verbleibt. Neuere, ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Problemkreis existiert demgegenüber nicht.18) 2.3
Niederringen widerstreitender Interessen absonderungsberechtigter Gläubiger („cram down“)
2.3.1 Die Anwendung des „best interest test“ (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine Schlechterstellung) Die Verweigerung der Zustimmung der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger 21 (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist nur dann obstruktiv und kann über § 245 InsO durch Fiktion eines positiven Votums umgangen werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. § 245 InsO folgt dabei dem US-amerikanischen Vorbild des Chapter 11-Verfahrens und dort insbesondere des § 1129 BC (Bankruptcy Code). Die hierzu ergangene Literatur stellt deshalb vielfach auf die US-amerikanische Rechtsprechung und die hierzu
___________ 15) So wörtlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 79. 16) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, im Nachgang zu AG Mühldorf/Inn v. 27.7.1999 – 1 IN 26/99, NZI 1999, 422. 17) Vgl. ausf. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.53, 13.88. 18) Zur Vergleichsberechnung und zu den Voraussetzungen, unter denen von einer Schlechterstellung ausgegangen werden kann, vgl. in der causa Suhrkamp BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus); Hölzle, ZIP 2014, 1819.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
diskutierten Grundlagen ab. Weitgehend wird versucht, diese auch in das deutsche Recht zu übertragen.19) 22 § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO folgt dabei dem US-amerikanischen Institut des „best interest test“. Danach soll die obstruierende Haltung der Gläubigergruppe unbeachtlich sein, wenn sie durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt wird, als sie ohne den Plan stünde. Das Tatbestandsmerkmal der voraussichtlichen Schlechterstellung ist erst in letzter Sekunde des Gesetzgebungsverfahrens in den Tatbestand eingefügt worden. Eine solche soll vorliegen, wenn die Schlechterstellung wahrscheinlicher ist als die Nichtschlechterstellung.20) Die „cram down“-Entscheidung des LG Traunstein21) befasste sich im Wesentlichen mit dem Tatbestand des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 23 Der „best interest test“ scheint in der Sache auf ein relativ simples Rechenexempel abzustellen. Es ist eine Vergleichsrechnung (siehe ausführlich unten § 34 und § 41 Rz. 11 ff.) zwischen der Befriedigungssituation der die Zustimmung zum Plan verweigernden Gläubiger mit und ohne den Insolvenzplan anzustellen. Bei der Bildung des Vergleichspaars darf demgegenüber z. B. nicht auf ein alternatives Planszenario abgestellt werden, das aus Sicht des Gläubigers ggf. vorzugswürdig erschiene.22) Die Schwierigkeit hierbei besteht freilich darin, das zugrunde zu legende Alternativszenario zu bestimmen.23) Darüber hinaus bestehen Unsicherheiten in Bezug auf die i. R. des Reorganisationsverfahrens, also i. R. des Insolvenzplans zu realisierenden Erlöse, da auch hier nur Prognosen zugrunde gelegt werden.24) 24 Im Ergebnis besteht die Intention des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO darin, dass in das zeit- und kostenaufwändige Insolvenzplanverfahren nur eingetreten und dann die Zustimmung einer obstruierenden Gläubigergruppe nur ersetzt werden soll, wenn die begründete Aussicht besteht, durch die Realisierung des Insolvenzplans einen Mehrwert in Bezug auf die beste Alternative zu erzielen.25) Durch den Insolvenzplan sollen daher Quasi-Renten realisiert werden, womit ökonomisch derjenige Mehrwert der besten gegenüber der zweitbesten Allokationsmöglichkeit wirtschaftlicher Ressourcen betitelt wird.26) 25 Sollen durch den Insolvenzplan aber Quasi-Renten realisiert werden, so ist die Vornahme einer Bewertung des reorganisierten Unternehmens nahezu unerlässlich. Die so ermittelte Zielgröße ist dann der besten Verwertungsalternative gegenüberzustellen.27) Das Gesetz erteilt dem Insolvenzgericht mit dem in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO angelegten „best interest test“ den Auftrag einer möglichst präzisen Nachprüfung der Wertverhältnisse.28) Der vom Gesetz verlangte exakte Maßstab ist dabei jedoch nicht zu erfüllen, weil es einen solchen nicht gibt.29) ___________ 19) Vgl. z. B. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 47 ff.; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.51 ff. 20) M. w. N. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 50. 21) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461. 22) Dazu ausf. Hölzle, ZIP 2014, 1819. 23) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.52; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 54 ff. 24) Ausf. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 85 f. 25) So zutreffend Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 49. 26) Hierzu ausf. Hölzle, Verstrickung durch Desinformation, 2012, S. 175 ff. 27) Vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 87. 28) Henckel, KTS 1989, 477, 492; Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch: Analysen und Alternativen, 1991, S. 41, 46 ff. Ausf. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 87 ff. 29) Henckel, KTS 1989, 477 f.
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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe
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Um das breite Obstruktionspotential, das der große Bewertungs- und Ermessensspielraum, 26 den die Vergleichsrechnung auf beiden Seiten mit sich bringt, zu begrenzen, hat der Gesetzgeber den Forderungen der Literatur30) folgend eine Erheblichkeitsschwelle für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen den Bestätigungsbeschluss aufgenommen. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde seit Inkrafttreten des ESUG zum 1.3.2012 davon abhängig, dass der Beschwerdeführer glaubhaft macht, er werde durch den Plan wesentlich schlechtergestellt, als er ohne einen Plan stünde, und dieser Nachteil könne nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden. In der Gesetzesbegründung31) geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine erhebliche Schlechterstellung i. S. des Tatbestands bei Überschreiten einer Schwelle von 10 % gegeben sei.32) Mit dieser Wesentlichkeitsschwelle ist der Gesetzgeber einer Forderung gefolgt, die Eidenmüller33) schon 1999 formuliert hat. Mit Beschluss vom 18.5.2016 hat das LG Wuppertal34) die sich aus § 253 Abs. 2 InsO er- 27 gebenden Anforderungen mit der Folge einer noch zügigeren Plandurchführung konkretisiert und verschärft. Zum einen entschied es, dass sich die Glaubhaftmachung des obstruierenden Gläubigers auch auf eine Prognose in die Zukunft zu erstrecken habe, wolle dieser eine wesentliche Schlechterstellung behaupten. Darüber hinaus nahm es neben dem Erfordernis der relativen Erheblichkeit auch eine absolute Geringwertigkeitsschwelle an. Danach könne vom Beschwerdeführer verlangt werden, dass dieser einen wesentlichen Nachteil auch in seiner absoluten Höhe glaubhaft macht, sodass Beträge im vierstelligen Eurobereich allenfalls in Kleinverfahren ausreichten. Eine solche absolute Grenze ist im Gesetzeswortlaut nicht angelegt.35) Gleichwohl entspricht diese Anforderung der herrschenden Lehre und ist uneingeschränkt zu begrüßen.36) Denn durch die Wesentlichkeitsschwelle sollen nach der Gesetzesbegründung Beschwerden solcher Personen ausgeschlossen werden, die kleine Forderungen nur zu dem Zweck erworben haben, um gegen den Plan zu opponieren und sich ihr Obstruktionspotential ggf. abkaufen zu lassen.37) Dies kann nur durch eine Kombination von absoluter und relativer Erheblichkeitsschwelle erreicht werden.38) Die mit der Vergleichsrechnung verbundenen Unwägbarkeiten belasten daher heute mehr 28 den obstruierenden Gläubiger, da dieser die erhebliche Schlechterstellung im Beschwerdeverfahren glaubhaft machen muss, soll seine Beschwerde nicht als unzulässig zurückgewiesen werden. Betreffend die absonderungsberechtigten Gläubiger sollte allerdings ungeachtet der bereits zu verlangenden absoluten Erheblichkeit nicht allein eine quantitative Betrachtung vorgenommen werden, sondern sollten ergänzend auch qualitative Gesichtspunkte eine Rolle spielen,39) die eine „wesentliche Schlechterstellung“ trotz rechnerisch wesentlicher Differenz ausschließen. Denn ihre Rechte gehen der Befriedigung einfacher, ungesicherter Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO bezogen auf den absonderungs___________ Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 91 f. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 54. Vgl. auch BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, Rz. 10, dazu Hölzle, ZIP 2014, 1819. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 91 f. LG Wuppertal v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164. Vgl. Martini, jurisPR-InsR 17/2017 Anm. 6. Vgl. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31; Thies, in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 19; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 8; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 510; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 21.18; ähnl. auch Fischer, NZI 2013, 513, 514. 37) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35 f. 38) Vgl. zur Bestimmung der Höhe dieser absoluten Grenze Martini, jurisPR-InsR 17/2017 Anm. 6; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 8; aber auch Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31; Thies, in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 19. 39) Vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 91 f. 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
belasteten Gegenstand vor, sodass sich Eingriffe in Absonderungsrechte in aller Regel nur als Eingriffe in zeitlicher Hinsicht, nämlich als Aufschub in der Verwertungsbefugnis oder aber als betragsmäßig fixierte Ablösung von Absonderungsrechten darstellen. Von den Verwertungsrisiken werden die absonderungsberechtigten Gläubiger in solch einem Fall regelmäßig zugunsten einer eindeutigen Anrechnungs-, Verzinsungs- oder Ablöseregelung befreit, was bei allen quantitativen Unwägbarkeiten einer qualitativen Besserstellung gleichkommen und deshalb einer eindeutigen Schlechterstellung i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstehen kann. 29 Die – auch verfassungsrechtliche – Rechtfertigung des Obstruktionsverbots auf Grundlage des „best interest test“ nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO beruht auf dem Gedanken des Verbots eines Rechtsmissbrauchs, das vor diesem Hintergrund nur gerechtfertigt ist, wenn es verhältnismäßig ist. Die Verhältnismäßigkeit setzt allerdings voraus, dass auch die berechtigten Interessen des Betroffenen Berücksichtigung finden. Dies wiederum ist nur dann der Fall, wenn die betroffenen absonderungsberechtigten Gläubiger eine i. S. des Insolvenzplanverfahrens vollwertige wirtschaftliche Entschädigung erhalten.40) Auf Grundlage des vorstehend erarbeiteten Maßstabs einer qualitativ und quantitativ eindeutigen Schlechterstellung, die nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu verlangen ist, war der Gesetzgeber gehalten, die Verfassungsmäßigkeit dieses den Gläubigern oktroyierten Vertragsschlusses zu gewährleisten. Dies hat er getan, indem er einen auf Eidenmüller41) zurückgehenden Vorschlag der Einführung einer „salvatorischen Klausel“ aufgegriffen und die Möglichkeit eines Fonds für Ausgleichszahlungen in § 251 Abs. 3 InsO geschaffen hat.42) Der Insolvenzplan sollte daher vorsehen, dass etwaige, aus Prognoseunsicherheiten resultierende Schlechterstellungen über den Ausgleichsfonds nach § 251 Abs. 3 InsO ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich findet außerhalb des Insolvenzplanverfahrens statt, weshalb die Bestätigung des Plans unter Anwendung des Obstruktionsverbots nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO in diesem Fall nicht scheitert. 2.3.2 Die Anwendung der „absolute priority rule“ (§ 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine vorrangige Befriedigung gleichrangiger Gläubiger) 30 Grundsätzlich ist die Fiktion der Zustimmung einer obstruierenden Gläubigergruppe nur dann möglich, wenn kumulativ neben dem positiven „best interest test“ nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch eine angemessene Beteiligung für die obstruierende Gruppe der Gläubiger vorgesehen ist, § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO (siehe ausführlich unten § 41 Rz. 43 ff.). Eine „angemessene Beteiligung“ liegt für eine Gläubigergruppe unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO und für die Anteilsinhaber unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 3 Nr. 1 und 2 InsO vor. Das ist tatrichterliche Frage, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt nachgeprüft werden kann.43) 31 Die angemessene Beteiligung der Gläubiger nach § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO folgt dabei ebenfalls dem US-amerikanischen Vorbild aus dem Chapter 11-Verfahren, nämlich der sog. „absolute priority rule“. Danach darf im Vergleich der Rangstruktur der Gläubiger zueinander ein nachrangiger Gläubiger erst dann Befriedigung aus dem Insolvenzplan erhalten, wenn alle vorrangigen Gläubiger aus den ihnen zustehenden Rechten vollständig befriedigt sind. Dazu gehört auch, dass die Anteilseigner keine wirtschaftlichen ___________ 40) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 279 ff. 41) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 92. 42) Vgl. nochmals Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 92; unter Gesichtspunkten der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zust. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 285. 43) BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, NZI 2007, 521.
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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe
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Werte aus dem Plan erhalten dürfen, bevor nicht die Gläubiger Befriedigung erlangt haben (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Darüber hinaus darf kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (§ 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO), und es darf kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der obstruierenden Gruppe zu befriedigen wäre, besser gestellt werden als diese (§ 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Die Überprüfung, ob kein gleichrangiger Gläubiger besser gestellt ist als die den Plan ab- 32 lehnende Gruppe, wirft dieselben Bewertungsprobleme auf, wie soeben unter Rz. 25 erläutert. Hierauf kann verwiesen werden.44) Grundsätzlich ist einfach zu ermitteln, ob nachrangige Insolvenzgläubiger etwas erhalten 33 haben, bevor eine vorrangige Gläubigergruppe befriedigt worden ist. Der Sinn und Zweck der Angemessenheitsprüfung des § 245 Abs. 2 InsO besteht in einem Schutz des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes, weil der Insolvenzplan nicht zuletzt der Gewährleistung der Solidarität der in einer Schicksalsgemeinschaft verbundenen Gläubiger eines Insolvenzschuldners dient. Jedes Vorzugsabkommen45) verletzt den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz und ist deshalb nur bei vollständigem Konsens – freilich unter Wahrung des Mehrheitsprinzips (§ 244 InsO) – zu tolerieren.46) Als besonders problematisch erweist sich dies im Verhältnis der absonderungsberechtigten Gläubiger zu den einfachen, ungesicherten Gläubigern im Rang des § 38 InsO und im Verhältnis zu den Gesellschaftern des Insolvenzschuldners, weil hier jeweils unterschiedliche Interessenlagen vorherrschen, die bereits die Begründung einer gemeinsamen Solidar- i. S. einer Schicksalsgemeinschaft fraglich erscheinen lassen. Die Frage der Befriedigung einer nachrangigen Gruppe vor vollständigem Ausgleich der 34 Rechte von etwaig vorrangigen Gläubigern war dementsprechend auch einer der wesentlichen Gegenstände der „cram down“-Entscheidung des LG Traunstein. Dort wurde die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger gegen Fortzahlung der vertraglich vereinbarten Zinsen ausgesetzt, während die einfachen Insolvenzgläubiger Quotenzahlungen erhielten. Das LG Traunstein hat sich als Beschwerdeinstanz darauf zurückgezogen, dass der Insolvenzgesetzgeber mit der InsO von der noch in der KO enthaltenen Rangordnung von Gläubigern untereinander Abstand genommen und das Rangverhältnis nunmehr (ausschließlich) in § 39 InsO geregelt habe. Dieses Rangverhältnis jedoch sei im Verhältnis der absonderungsberechtigten zu den ungesicherten Gläubigern nicht betroffen. Zwischen diesen beiden Gläubigergruppen handele es sich nicht um ein Verhältnis der Vor- und Nachrangigkeit, sondern vielmehr um ein rechtliches Aliud (so auch unten, siehe § 41 Rz. 56). Aus diesem Grund sei die „absolute priority rule“ nicht verletzt, weshalb der Fiktion der Zustimmung der Gläubigergruppe vor dem Hintergrund des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO nichts entgegenstehe.47) Zunächst ist klarzustellen, dass es für die Anwendung der „absolute priority rule“ des § 245 35 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO ausschließlich auf den werthaltigen Teil der valutierenden Sicherheit ankommt, dass also nicht die Höhe der schuldrechtlichen und gesicherten Forderung den Ausschlag gibt, sondern der im Falle der Liquidation realisierbare Wert der Sicherheit. Nur der realisierbare Wert der Sicherheit repräsentiert nämlich einen tatsächlichen wirtschaftlichen Vorrang für den gesicherten Gläubiger.48) Soweit eine Sicherheit (z. B. eine Grundschuld) zwar valutiert, das Sicherungsobjekt (im Beispiel: das Grundstück) jedoch ___________ 44) 45) 46) 47) 48)
Im Ergebnis ebenso Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 75. Zur Nichtigkeit solcher Vorzugsabreden vgl. z. B. BGH v. 16.6.1952 – IV ZR 131/51, BGHZ 6, 232, 236. Instruktiv Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.68. So i. E. auch Grub, in: FS Uhlenbruck, 2001, S. 501, 515. In diesem Sinne auch BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.
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nicht werthaltig ist, wird auch ein etwaiges Vorrangverhältnis nicht verletzt, wenn der Sicherungsnehmer i. H. des werthaltigen Teils der Sicherheit befriedigt wird und der Plan ab diesem Zeitpunkt eine Berücksichtigung auch der grundsätzlich nachrangigen Gläubiger vorsieht.49) 36 Fraglich bleibt, wie der Wert der Sicherheit nachzuweisen ist. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen, nämlich einmal durch Einholung von Drittgeboten i. R. eines marktüblichen Verkaufsprozesses, zum anderen durch die Vorlage von Gutachten. Letztere birgt im Verfahren jedoch immer die Gefahr, dass i. R. des Erörterungs- und Abstimmungstermins Gegengutachten vorgelegt werden, auf welche das Gericht sodann grundsätzlich noch im Termin zu reagieren gehalten wäre, was kaum je möglich ist. Damit sind im besten Fall nur Verzögerungen des Verfahrens und nachfolgende Zweit- und Drittgutachten vorprogrammiert; im schlechtesten Fall platzt der Plan wegen eines Fehlers in der Gruppenbildung, der nach § 250 InsO gerügt wird. Es ist deshalb, ungeachtet der i. R. von Insolvenzplanverfahren ohnehin gebotenen Marktwertbetrachtung i. R. eines sog. „Dual-Track“ (siehe dazu sogleich Rz. 48 ff.) dringend anzuraten, den Sicherheitenwert durch die Einholung marktgerechter Angebote nachzuweisen und sich nicht allein auf die Gutachten zu verlassen. III.
Rangverhältnis zwischen absonderungsberechtigten und ungesicherten Gläubigern?
37 Problematisch bleibt jedoch der Fall des Fortführungsplans, in dem die gesicherten Gläubiger zu einem Stehenlassen verpflichtet werden, während die ungesicherten Gläubiger eine Quote ausgezahlt erhalten. 38 Richtigerweise wird darüber hinaus anzunehmen sein, dass entgegen der Auffassung des LG Traunstein50) zwischen den gesicherten und den ungesicherten Gläubigern auch ein Rangverhältnis i. S. des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO besteht und es sich nicht schlicht um ein Aliud handelt.51) Dieses Rangverhältnis kommt nicht zuletzt in dem gemeinsamen Rechtsgedanken der §§ 52, 223 InsO zum Ausdruck. Danach sind absonderungsberechtigte Gläubiger Insolvenzgläubiger nur insoweit, wie sie mit der Geltendmachung ihrer Sicherheit ausfallen. Das Recht, Befriedigung aus der Sicherheit zu verlangen, bleibt nach § 223 Abs. 1 InsO, soweit der Plan nichts anderes bestimmt, aber jedenfalls unberührt. Daraus folgt, dass zwischen den gesicherten und den ungesicherten Gläubigern jedenfalls ein untechnisches Rangverhältnis besteht, das § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf das Verhältnis dieser beiden Gläubigergruppen zueinander im Grundsatz anwendbar erscheinen lässt.52) Da sich aber das Vorrangverhältnis lediglich auf den Wert der Sicherheit bezieht, sollte § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO auf solche Fälle beschränkt werden, in denen die absonderungsberechtigten Gläubiger durch den Plan nicht wenigstens den Wert erhalten, der dem Erlös des Sicherungsguts entspricht.53) Der aus dem Absonderungsrecht folgende Vorrang ist deshalb dinglich auf den Verwertungserlös des Pfandrechtsgegenstands beschränkt. 39 Die hiergegen vorgebrachte Kritik,54) damit würde die Partizipation des gesicherten Gläubigers am „Plangewinn“ bzw. genauer an dem aufgrund des Plans erzielten Mehrerlös ausgeschlossen, verfängt demgegenüber nicht. Die Partizipation der absonderungsberechtig___________ 49) 50) 51) 52) 53) 54)
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Dazu ausf. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.104. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461. Ebenso Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 83. Vgl. erneut Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.89. So zutreffend Eidenmüller, in: FS Drukarczyk, 2003, S. 187, 188, 197. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.98.
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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe
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ten Gläubiger am Mehrerlös bzw. an dem Plangewinn erstreckt sich lediglich auf den ungesicherten Teil ihrer Forderung, mit dem sie gemäß § 52 Satz 2 InsO als ungesicherte Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO an dem Planverfahren teilnehmen. Der Umstand der Besicherung berechtigt demgegenüber nicht dazu, über den Wert der Sicherheit hinaus Wertsteigerungen im sonstigen Vermögen des Schuldners aus dem Sicherungsrecht abzuleiten. Dass sich das Sicherungsrecht auf den Wert der Sicherheit beschränkt, kommt bereits in § 172 InsO zum Ausdruck, der dem Insolvenzverwalter bzw. der Insolvenzmasse ein Nutzungsrecht gegen Entschädigung i. H. des Wertverzehrs einräumt. In § 172 InsO kommt zugleich die Wertung zum Ausdruck, die es erlaubt, die Absonde- 40 rungsberechtigten zu einem Stillhalten zu bewegen, wenn der Insolvenzplan gleichzeitig die damit verbundenen Nachteile, nämlich Wertverzehr und/oder Zinsverluste ausgleicht. Aus diesem Grunde erweist sich der Beschluss des LG Traunstein zwar nicht in der Begründung, wohl aber in der Sache als richtig. Die Frage des angemessenen Ausgleichs für einen Wertverzehr, der auch in einer z. B. nachhaltigen Verschlechterung des Immobilienmarkts und deshalb einer Verschlechterung des zu erwartenden Verwertungserlöses bestehen können sollte, sollte über § 251 Abs. 3 InsO abgegolten und geltend gemacht werden, so dass die Planbestätigung unter einem etwaigen Streit hierüber nicht leidet. Letztlich folgt daraus zwar eine Art fortbestehender Kontrahierungszwang für die abson- 41 derungsberechtigten Gläubiger. Dieser lässt sich m. E. jedoch neben dem Rechtsgedanken der §§ 169, 172 InsO, § 30d ZVG sowie des § 103 InsO auch aus einem vertraglichen Residualrecht herleiten. Die Absonderungsberechtigten waren ursprünglich zur Gewährung der von ihnen vertraglich übernommenen Leistungen bereit. Für den Fall des ökonomischen Scheiterns des Austauschverhältnisses haben sie sich Sicherheiten einräumen lassen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben sich das wirtschaftliche Risiko und damit der Fall, für den die Sicherheit bestellt ist, realisiert. Jedoch ist dieser Zustand nicht irreversibel. Vielmehr dient das Insolvenzplanverfahren dazu, die ökonomischen Rahmenbedingungen, die dem ursprünglichen Konsens zugrunde gelegen haben, wieder herzustellen. Die Absonderungsberechtigten besitzen demnach Residualrechte an der von ihnen zur Verfügung zu stellenden Leistung, die es ihnen grundsätzlich freistellen, diese zu eigenem oder zu gemeinsamem Nutzen i. S. des Vertrags einzusetzen. Auch wenn eine Verpflichtung zur Erbringung von Sanierungsbeiträgen grundsätzlich nicht besteht und auch eine Verpflichtung zur Zustimmung zu einem Insolvenzplan im Allgemeinen nicht hergeleitet werden kann, so geht es bei § 245 InsO um die Vermeidung von Missbräuchen (siehe oben Rz. 17 f.). Soweit aber die ursprünglich beabsichtigte ökonomische Grundlage des Vertrags wiederherstellbar scheint und der betroffene Gläubiger dadurch gesichert wird, dass er erstens nicht schlechtersteht als im Liquidationsverfahren und zweitens angemessen am Ergebnis des Insolvenzplans beteiligt wird, dürfen die Residualrechte nicht ausschließlich zu eigenem Nutzen im Widerstreit zum Interesse der übrigen Gläubiger und den Interessen des Insolvenzschuldners ausgeübt werden.55) IV.
Präklusion von für den Ausfall festgestellten Forderungen im Insolvenzplan
Soweit in die Absonderungsrechte nicht eingegriffen wird, muss das Absonderungsgut ver- 42 wertet und der Gläubiger hieraus befriedigt werden. Da sein Ausfall im Zeitpunkt der Forderungsprüfung demgemäß noch nicht feststeht, wird die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung für den Ausfall festgestellt (§ 190 InsO). Ist die Verwertung bis zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Plans noch nicht erfolgt, so stellt sich i. R. der Planabwicklung ___________ 55) Ähnl., aber etwas zurückhaltender Madaus, Der Insolvenzplan, S. 287 f.; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 37 ff.; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 21.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
die Frage, wie mit der Ausfallforderung umzugehen und wie die Quote für alle (übrigen) Gläubiger zu berechnen ist. Im Rahmen der Planerstellung ist deshalb dringend anzuraten, für die nachlaufende Feststellung von Ausfallforderungen Regelungen zu treffen und sicherzustellen, dass die Quote ermittel- und der Plan damit innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit erfüllbar bleibt. 43 Zu empfehlen ist, dass im Plan auf die Präklusionsvorschriften der §§ 190, 189 InsO Bezug genommen und als zeitlicher Bezugspunkt die Bekanntgabe des Bestätigungsbeschlusses gewählt wird. Dann ist es, unter dem Vorbehalt des ausschließlichen Verwertungsrechts des Verwalters (§ 190 Abs. 3 InsO), für das im Vorfeld oder im Plan selbst Vereinbarungen getroffen oder Erklärungen abgegeben werden können, allein an dem absonderungsberechtigten Gläubiger, die Fristen zu wahren und entweder seinen Ausfall rechtzeitig mitzuteilen oder auf das Absonderungsrecht zu verzichten. Das Fehlen einer solchen Regelung jedoch kann zu erheblichen Abwicklungsschwierigkeiten bei der Quotenberechnung und -ausschüttung führen. V.
Das Verhältnis von absonderungsberechtigten Gläubigern zu Gesellschaftern des Schuldners im Fortführungsplan
44 Ähnlich problematisch wie die Prüfung einer Verpflichtung der absonderungsberechtigten Gläubiger zum Stillhalten am Maßstab des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO ist das Verhältnis des „best interest test“ gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur „absolute priority rule“ i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO, wenn im Falle einer Fortführung des Insolvenzplans das Unternehmen im Anschluss an die Reorganisation (wieder) ganz oder anteilig den Alteigentümern zufällt (siehe dazu ausführlich unten § 41 Rz. 57 ff.). 45 In der Rechtsprechung scheint bislang Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Tatbestandsmerkmale des § 245 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO wegen der im Tatbestand vorgesehenen „UndVerknüpfung“ kumulativ vorliegen müssen.56) Daran aber bestehen Zweifel. Eine strenge Dogmatisierung des Kumulationsgrundsatzes würde die „absolute priority rule“ des § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO nämlich zu einer Sperrvorschrift auch in dem Fall aufwerten, in dem die Absonderungsberechtigten oder übrigen vorrangigen Gläubiger jedenfalls durch den Insolvenzplan nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Insolvenzplan stünden. Es fragt sich dann aber, ob allein die Tatsache, dass der Fortführungsplan insbesondere den künftigen, nachinsolvenzlichen Unternehmenswert den Gesellschaftern zuweist, ein durch das Obstruktionsverbot des § 245 InsO nicht überwindliches Vetorecht der nicht schlechtergestellten Gläubiger auslöst, was letztlich einen Liquidationszwang auch ohne sachlich gerechtfertigten Grund bedeutete.57) 46 Wie bereits dargestellt, dient § 245 InsO der Durchsetzung der par conditio creditorum, also des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes (siehe oben Rz. 33). Daraus folgt, dass der Plan im Hinblick auf eine Anwendung des § 245 InsO keinen Vermögenswert der Insolvenzmasse dem Zugriff der Gläubiger vorenthalten und entschädigungslos auf nachrangige Gläubiger oder den Schuldner verlagern darf. Hierdurch ginge dem Befriedigungsinteresse der Gläubiger ein Gegenstand verloren, der im Regelinsolvenzverfahren zu ihren Gunsten zu verwerten gewesen wäre.58) Voraussetzung hierfür ist aber zunächst, dass das ___________ 56) OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660; LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, ZInsO 2004, 1318, 1320; vgl. jüngst etwa auch AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZInsO 2018, 195. Höchstrichterliche Rspr. hierzu liegt soweit erkennbar nicht vor. Vgl. i. Ü. die Rspr.-Übersicht bei Paul, ZInsO 2004, 73, mit dem zu kurz gegriffenen Einwand, angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 245 InsO sei verwunderlich, warum es zu dieser Frage überhaupt Judikatur bedürfe. 57) In diesem Sinne Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.81 ff. 58) So Madaus, Der Insolvenzplan, S. 288 f.
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fortgeführte Unternehmen überhaupt noch einen Wert hat. Die Frage ist dann weiter, ob die Alt-Eigentümer durch eigene Leistungen, z. B. eine Abgeltungszahlung in die auf die Gläubiger zu verteilende Insolvenzmasse, diesen Wert auszugleichen haben.59) Dies entspräche abermals dem US-amerikanischen Vorbild, nach dem der künftige Erwartungswert, die sog. „new value exception“, durch sog. „cash contributions“ ausgeglichen werden muss, wobei sich hier abermals die Frage nach der Angemessenheit des Ausgleichs stellt.60) Trotz dieser sich auch hier stellenden Bewertungsprobleme wird die Anwendbarkeit des 47 § 245 InsO auch im Falle eines Fortführungsplans jedoch grundsätzlich befürwortet, wenn der Plan für den abfließenden (Unternehmens-)Wert eine Ausgleichszahlung des Schuldners an die Masse vorsieht.61) Auch der Gesetzgeber62) geht jedoch davon aus, dass die „new value exception“ nicht in jedem Falle ausgeglichen werden muss, sondern nur dann, wenn entweder Fremdinvestoren vorhanden sind oder aus dem Kreis der Gläubiger ernsthaftes Kaufinteresse besteht. Anderenfalls nämlich hat das Unternehmen offenbar keinen einem Drittvergleich standhaltenden positiven Marktwert, der auszugleichen wäre.63) Schwierigkeiten bereitet dann die Bestimmung des Marktwerts des Unternehmens und der 48 Nachweis der Ernsthaftigkeit der Verkaufsbemühungen. Gerade in – zum Teil auch prominenten – Eigenverwaltungsverfahren ist das Problem der Reservierung des Unternehmenswerts für die Alt-Gesellschafter unter der Überschrift des Missbrauchs nicht zu Unrecht in der Diskussion. Aus diesem Grund ist i. R. der erforderlichen Vergleichsberechnung des Insolvenzplans grundsätzlich zu verlangen, dass die Vergleichswerte anhand eines durchgeführten ordungsmäßigen Verkaufsprozesses und der in diesem Prozess erlangten Drittangebote validiert werden. Die Notwendigkeit, parallel zu den Insolvenzplanbemühungen einen Verkaufsprozess durchführen zu müssen, wird auch als „Dual-Track“-Verfahren bezeichnet. Bei der Durchführung des Dual-Track handelt es sich indes nicht allein um ein empfeh- 49 lenswertes Instrumentarium zur Absicherung des Insolvenzplans. Meines Erachtens handelt es sich um ein dogmatisch grundsätzlich zwingendes Erfordernis, von dem nur im begründeten Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden können. Die Insolvenzschuldnerin hat im eigenverwalteten Insolvenzverfahren nach § 270 InsO den wesentlichen Teil der Pflichten zu erfüllen, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Der Aufgabenkreis sowohl des vorläufigen als auch des endgültigen Insolvenzverwalters besteht in jedem Stadium des Insolvenzverfahrens darin, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu ermöglichen, wie sich bereits aus § 1 InsO ergibt. Diesem Ziel ist daher auch die Eigenverwaltung bzw. der eigenverwaltende Schuldner verpflichtet. Da sich regelmäßig nicht auf den ersten Blick offenbart, auf welchem Weg die bestmögliche Gläubigerbefriedigung realisiert wird, ist das handelnde Verwaltungsorgan zur aktiven rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Gestaltung des Verfahrens auf der einen Seite64) und zur Prüfung weiterer Aussichten für die Unternehmensfortführung und für das letztendlich zu verwirklichende Insolvenzziel auf der anderen Seite verpflichtet. Die InsO kennt drei gleich___________ 59) Diese Ausgleichspflicht übersieht Schmidt-Preuß, NJW 2016, 1269, wenn er für den Fall des Eingriffs in Gesellschafterrechte eine Entschädigungspflicht immer dann verlangt, wenn der Gesellschaftsanteil wegen des künftigen Erwartungswertes einen Residualwert hat. Dieser steht nämlich gerade nicht den Gesellschaftern, sondern den Gläubigern zu. 60) Zum Ganzen ausf. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 78 ff. 61) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 289, mit Hinweis auf Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 705; Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. Auch der Gesetzgeber scheint diesem Grundgedanken zu folgen, vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 62) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 63) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 290; LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461. 64) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 1 Rz. 8 ff.
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berechtigt nebeneinander stehende Insolvenzziele: die Liquidation, die übertragende Sanierung und die Sanierung im Insolvenzverfahren durch Insolvenzplan.65) Die Entscheidung darüber, welches Insolvenzziel letztendlich verfolgt werden soll, steht ausschließlich der Gläubigergesamtheit in Gestalt der Entscheidung durch die Gläubigerversammlung (§ 157 InsO) zu. Die Gläubiger haben demnach autonom zu entscheiden, welche Alternative sie für den Fortgang des Verfahrens wählen.66) Aus dieser alleinigen Entscheidungskompetenz der Gesamtgläubigerschaft folgt die unmittelbare Rechtspflicht eines jeden Verwaltungsorgans, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jedes der gleichrangig nebeneinander stehenden Insolvenzziele sich potenziell im eröffneten Verfahren auch verwirklichen lassen wird. Diese allgemeine Pflicht konkretisiert sich mit fortschreitendem Verfahrensverlauf zu einer qualifizierten Pflicht, die Sanierungsaussichten für das Schuldnerunternehmen zu prüfen und die nötigen Entscheidungsgrundlagen für die Gläubigerversammlung i. S. einer informierten Entscheidung zu schaffen.67) Ausfluss dieser qualifizierten Pflicht zur Vorbereitung einer informierten Entscheidung der Gläubigerversammlung ist die umfassende Berichtspflicht nach § 156 InsO.68) 50 Aus der Alleinentscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO), der Pflicht zur Herstellung der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO) und der damit einhergehenden Pflicht zur Aufrechterhaltung aller alternativ in Betracht kommenden Verfahrensziele folgt die Pflicht zur Vorbereitung einer umfassenden Entscheidungsgrundlage für die Gläubigerversammlung (§§ 156, 157 InsO). Im Umkehrschluss folgt hieraus das Verbot für das Verwaltungsorgan, aus eigener Entscheidungsmacht mögliche Verfahrensziele tatsächlich oder faktisch dadurch auszuschließen, dass die Grundlagen für eine Entscheidung der Gläubigerversammlung nicht geschaffen, mögliche Verfahrensziele nicht verfolgt und dadurch Entscheidungsgrundlagen über Befriedigungsoptionen für die Gläubiger nicht lege artis eröffnet werden. Legt sich das Verwaltungsorgan also bspw. frühzeitig auf einen Befriedigungsweg, z. B. durch Insolvenzplan fest, und verfolgt es die anderen möglichen Befriedigungswege nicht mit dem sachgerecht gebotenen Aufwand weiter, so liegt hierin eine Amtspflichtverletzung und, wichtiger noch, eine Verletzung der in § 1 InsO an prominenter Stelle definierten erstrangigen Verfahrensziele. Dabei ist unerheblich, ob die Festlegung auf einen Befriedigungsweg unter Vorspiegelung einer Legende oder aber stillschweigend erfolgt. Jedenfalls obliegt es nicht der Entscheidungsprärogative des Verwaltungsorgans, darüber zu präjudizieren, ob der eine oder andere Befriedigungsweg zu besseren oder schlechteren Ergebnissen führt, und ihn auf Grundlage eines solchen – unzulässigen – Präjudizes faktisch z. B. allein durch Zeitablauf auszuschließen. Vielmehr hat das Verwaltungsorgan alles Erforderliche zu unternehmen, den Verwertungsweg offenzuhalten und zur Abstimmung durch die Gläubigerversammlung bzw. den Gläubigerausschuss zu stellen. Hierzu gehört die ausdrückliche Pflicht des Verwalters, im Berichtstermin die Möglichkeiten einer übertragenden Sanierung als Alternative zur Liquidation zu erörtern und ggf. einen Sanierungsplan vorzulegen.69) Im Konkreten bedeutet dies, dass auch in dem Fall, in dem die Gesellschafter, und auch die eigenverwaltende Schuldnerin das Ziel der Sanierung über einen Insolvenzplan verfolgen, der Insolvenzplanlösung zwingend das ___________ 65) Statt vieler Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 207. 66) Görg/Janssen, in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 1 ff. 67) Das Erfordernis der Schaffung einer ausreichenden Tatsachengrundlage für unternehmerische Entscheidungen ist bekannt aus der Rspr. zur Business Judgment Rule, vgl. Spindler, in: MünchKommAktG, § 93 Rz. 48 ff.; zur Anwendung auch auf unternehmerische Entscheidungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vgl. Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, 2010, S. 130 ff. 68) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1891 f. 69) BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, ZIP 2014, 391, dazu EWiR 2014, 261 (Lindemann).
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realisierbare Ergebnis einer übertragenden Sanierung gegenüberzustellen ist. Dem folgt die damit nicht zuletzt aus § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO hergeleitete Pflicht, zur Vorbereitung der Entscheidung der Gläubiger eine plausible und transparente Vergleichsrechnung zu erstellen.70) Der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin haben daher, selbst wenn 51 ihre eigenen Präferenzen andere sind, sämtliche Szenarien der Verfahrenszielerreichung ebenbürtig zu verfolgen und zu unterstützen.71) Auch das Inkrafttreten des ESUG am 1.3.2012 hat an der gegenüber sonstigen Verfahrenslösungen in der Praxis bestehenden Dominanz der übertragenden Sanierung und damit der Verpflichtung, diese als mindestens gleichberechtigtes Verfahrensziel offen zu halten, nichts geändert.72) Alles in allem dürfte daher ein Dual-Track-Verfahren nur auf Grundlage eines Beschlusses 52 jedenfalls des Gläubigerausschusses überhaupt verzichtbar sein. Fehlt es an einem Dual Track-Verfahren, trägt der Initiator des Insolvenzplans, regelmäßig also die Schuldnerin, das Darlegungsrisiko i. R. der Vergleichsrechnung, was nicht zuletzt zu einer Umkehr der Darlegungslast auch i. R. eines Verfahrens nach § 253 Abs. 4 InsO führen kann. Ein Gesichtspunkt, der in der bisherigen Diskussion noch zu kurz gekommen ist, bedarf 53 dabei noch besonderer Erwähnung: § 245 InsO, der auf den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz zurückgeht, soll gewährleisten, dass kein Vermögenswert der Insolvenzmasse dem Zugriff der Gläubiger vorenthalten und/oder entschädigungslos auf nachrangige Gläubiger oder den Schuldner verlagert wird. Der Unternehmenswert als solcher ist jedoch, jedenfalls in den Fällen korporierter Unternehmen (Kapital- und Personengesellschaften), kein Wert des Unternehmens an sich, sondern ein Wert, der durch die Geschäftsanteile an der Gesellschaft repräsentiert wird. Er gehört daher zunächst einmal nicht zu dem nach § 1 InsO der Gläubigerbefriedigung dienenden Vermögen „des Schuldners“. Dem Insolvenzverwalter ist es zwar grundsätzlich möglich, i. R. eines Asset Deals den Gesamtwert nicht ausschließlich entsprechend dem Einzelwert der Wirtschaftsgüter, sondern auch entsprechend dem durch die Sachgesamtheit vermittelten Ertragswert zu realisieren. Ebenso kann der Insolvenzverwalter die Firma veräußern und den darin gebundenen immateriellen Vermögenswert zur Masse ziehen. Der Unternehmenswert selbst jedoch ist verkörpert in der Werthaltigkeit der Geschäftsanteile an dem Unternehmen. Die Geschäftsanteile an dem insolventen Unternehmen sind jedoch im Grundsatz nicht 54 Bestandteil der Soll-Insolvenzmasse (§ 35 InsO) und unterfallen deshalb grundsätzlich nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO). Anders gestaltet sich dies allerdings im Insolvenzplanverfahren gemäß § 217 Satz 2, § 225a InsO (siehe dazu ausführlich § 31). Wenn aber das mit dem Insolvenzplan geförderte Wertsteigerungspotenzial der Geschäftsanteile durch künftige Gewinnchancen bei den Gesellschaftern verbleibt, so verbleibt diesen zunächst ein Vermögenswert, der überhaupt nicht dem Insolvenzbeschlag unterfiel und deshalb den Gläubigern auch nicht vorenthalten werden konnte. Anderes gilt nur, soweit dieses Wertsteigerungspotential i. R. eines Veräußerungsprozesses entweder der Geschäftsanteile nach § 225a InsO i. R. eines Insolvenzplans oder durch übertragende Sanierung hätte realisiert werden können. Auch hier schließt sich der Kreis erneut und ist der Nachweis, dass eine unzulässige Zuwendung von Vermögenswerten an Gesellschafter, weil sie nicht drittverwertungsfähig waren, nicht vorliegt, erforderlich. Dieser Nachweis kann regelmäßig nur i. R. eines Dual-Track-Verfahrens sinnhaft geführt werden. Erhalten die Gesellschafter etwas, was auch durch Verwertung am Markt nicht ___________ 70) AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237, dazu EWiR 2014, 155 (Hofmann). 71) Westpfahl, in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 12.24. 72) Undritz, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Rz. 258.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
realisationsfähig für die Insolvenzmasse gewesen wäre, ist ein Verstoß gegen § 245 InsO ausgeschlossen. Daraus folgt dann, dass künftiges Dividendenausschüttungspotenzial aus der Zeit nach der Restrukturierung den Alt-Gesellschaftern (ganz oder teilweise) zugutekommt und i. R. des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO keine Rolle spielen darf. Auf diese Weise wird ausgeschlossen, dass Gläubiger, die durch das Insolvenzplanverfahren i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht benachteiligt werden, kein Akkordstörerpotenzial in die Hand bekommen, den Insolvenzplan durch Verfolgung opportunistischer Interessen zum Scheitern zu bringen. 55 Dies gilt umso mehr, als einem jeden Gläubiger die Möglichkeit zum Debt-Equity-Swap freisteht und er deshalb, geht er von einer überschießenden „new value exception“ aus, die Möglichkeit hat, sich daran zu beteiligen und in dieselbe Erwartungssituation zu begeben (siehe ausführlich unten § 41 Rz. 67). Statt der bisher vorgeschlagenen Klausel, wonach für etwaig überschießende Werte eine Ausgleichszahlung des Schuldners zu leisten ist,73) kann daher auch eine Debt-Equity-Swap-Option vorgesehen werden und als Nachteilsausgleichsklausel i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 251 Abs. 3 InsO genügen. Der Tatbestand des § 251 Abs. 3 InsO, der von „Mitteln“ spricht, die für den Fall bereit gestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist, ist dann dahin gehend auszulegen, dass „Mittel“ in diesem Sinne auch Beteiligungsrechte an dem Schuldner sein können. 56 Gesellschaftsrechtlich ist dies in der Planarchitektur problemlos dadurch zu gewährleisten, dass neben dem von § 251 Abs. 3 InsO vorrangig intendierten Ausgleichsfond z. B. auch ein genehmigtes Kapital für Kapitalerhöhungen durch Debt-Equity-Swap i. R. des Plans vorgesehen wird.74) Auch wenn § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO anordnet, dass die Frage, ob der Beteiligte einen solchen Ausgleich erhält, außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären ist, so dürfte unbestritten bleiben, dass für den Fall, dass der Gläubiger sich einen Debt-EquitySwap aus einem im Plan bereitgestellten genehmigten Kapital erstreitet, es sich um einen Debt-Equity-Swap i. R. des Insolvenzplans handelt, auf den § 254 Abs. 4 InsO (Ausschluss der Differenzhaftung) ohne weiteres Anwendung findet. VI.
Drittsicherheiten
57 Eine besondere Beachtung verdient die Behandlung von Sicherheiten, die dem Gläubiger aus einem Drittvermögen, also nicht von Seiten des Insolvenzschuldners selbst, gestellt werden. Hierauf kann der Insolvenzplan keinen Einfluss nehmen (zur Gruppenbildung siehe oben Rz. 3); der Zugriff auf die Drittsicherheit bleibt auch dann uneingeschränkt möglich, wenn der Gläubiger i. R. des Plans auf Teile seiner Forderung verzichtet (§ 254 Abs. 2 InsO). Dogmatisch folgt dies daraus, dass der i. R. eines Insolvenzplans ausgesprochene Verzicht nicht zu einem Erlöschen der Forderung, sondern nur dazu führt, dass diese sich in eine unvollkommene Verbindlichkeit wandelt, für die Sicherheiten noch geltend gemacht werden können.75) 58 Die Rechtsstellung von Gläubigern, die aus einem Drittvermögen besichert sind, kann durch den Insolvenzplan daher im Grundsatz nicht beeinträchtigt werden. Soweit dies insbesondere in Konzernlagen Vollzugsrisiken für den Insolvenzplan begründet, ist der Planarchitekt gehalten, nach abweichenden Lösungen zu suchen, die z. B. in Treuhand- und Abtretungsmodellen gefunden werden können (siehe dazu § 31 Rz. 92 ff.). ___________ 73) Vgl. Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 705; Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. 74) Die Vorhaltung von genehmigtem Kapital ist seit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen – MoMiG, v. 1.11.2008, BGBl. I 2008, 2026, gemäß § 55a GmbHG auch bei der GmbH möglich. 75) So BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271; anschließend BFH v. 13.12.2016 – X R 4/15, BFHE 256, 392, Rz. 43 = ZIP 2017, 1767, dazu EWiR 2017, 507 (Anzinger).
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§ 31 Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap Hölzle
I. Anteilsinhaber als Gläubigergruppe ........ 1 II. Rechtfertigung des Eingriffs in Anteilsrechte..................................................... 5 III. Insolvenzspezifische Gestaltungsfreiheit: Katalog der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen............ 13 1. Gesetzliche Grundlagen............................. 13 2. Reichweite im Einzelnen ........................... 20 2.1 Entscheidungsbefugnisse im Schuldnerbereich ........................... 20 2.2 Abgrenzung von Gesellschafterrechten und Gesellschafterforderungen ................................... 26 2.3 „ABC“ zulässiger Gestaltungsmaßnahmen..................... 30 IV. Sonderfall: Debt-Equity-Swap ................ 56 1. Debt-Equity-Swap als Gestaltungsmittel und als Maßnahme der Sanierung vor ESUG .......................................... 56 2. Ablauf eines Debt-Equity-Swaps .............. 59
3.
Zustimmungserfordernis der betroffenen Gläubiger.................................... 64 4. Anrechnungsbetrag und Haftung ............. 68 4.1 Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung ........................... 68 4.2 Aufbringung des Mindestnennkapitals durch Bareinlage? .... 71 4.3 Anrechnungsbetrag ....................... 77 4.4 Berücksichtigung von Sicherheiten.............................................. 87 4.5 Verbleibendes Haftungspotenzial......................................... 97 5. Steuerliche Folgen des Debt-EquitySwaps......................................................... 104 V. Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse der Alt-Gesellschafter ........ 110 VI. Formerfordernisse .................................. 116 VII. Kollision mit schuldrechtlichen Vertragsklauseln ..................................... 119
Literatur: Bauer/Dimmling, Endlich im Gesetz(entwurf): Der Debt-Equity-Swap, NZI 2011, 517; Hölzle, Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht und die Schlechterstellungsprüfung zu Lasten des (Minderheits-)Gesellschafters, ZIP 2014, 1819; Hölzle, Der Insolvenzantrag als Sanierungsoption – auch gegen den Willen von Gesellschaftern?, ZIP 2013, 1846; Hölzle, Bindung von Gesellschafterhilfen in der Krise der GmbH durch Richterrecht? – Zur Vermeidung von Schutzlücken im MoMiG, ZIP 2011, 650; Hölzle, Die Legitimation des Gesellschaftersonderopfers in der insolvenzrechtlichen Finanzierungsverstrickung, ZIP 2010, 913; Hölzle, Unternehmensumwandlung in Krise, Sanierung und Insolvenz, FR 2006, 447; Löbbe, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Debt Equity Swap, in: Liber Amicorum für Martin Winter, 2011, S. 423; Madaus, Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter, ZGR 2011, 749; Müller, H. F., Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Müller, H. F., Die Kapitalerhöhung in der Insolvenz, ZGR 2004, 842; Scheunemann/Hoffmann, Debt-Equity-Swap, DB 2009, 983; Schmidt, K., Schöne neue Sanierungswelt: Die Gläubiger okkupieren die Burg, ZIP 2012, 2085; Simon/Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Spliedt, Insolvenz der Gesellschaft ohne Recht der Gesellschaft?, ZInsO 2013, 2155; Urlaub, Notwendige Änderungen im Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zur Verhinderung von Missbräuchen, ZIP 2011, 1040; Verse, Anteilseigner im Insolvenzverfahren, ZGR 2010, 299.
I.
Anteilsinhaber als Gläubigergruppe
Nach Inkrafttreten der durch das ESUG eingeführten Möglichkeit eines Eingriffs auch in 1 die Rechte der Gesellschafter durch einen Insolvenzplan war v. a. der Aufschrei in der gesellschaftsrechtlichen Literatur groß.1) Hat es doch, von wenig praktisch gewordenen Versuchen,2) aus gesellschaftsrechtlichen Treupflichten auch die Pflicht zur Beteiligung an einer
___________ 1) 2)
Vgl. z. B. Hirte, ZGR 2010, 224; Madaus, ZGR 2011, 749, 757; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; vgl. zuletzt noch einmal Westermann, NZG 2015, 134. Hölzle, KTS 2011, 291, 317; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289. Für Gläubiger gibt es demgegenüber außerhalb des Insolvenzplanverfahrens überhaupt keine Kooperationspflichten, vgl. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191 (sog. „Akkordstörerurteil“), dazu EWiR 1992, 255 (Tiedtke).
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§ 31
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Sanierung und sogar zur Aufopferung von Gesellschaftsanteilen herzuleiten,3) abgesehen, bis dorthin keine Möglichkeit gegeben, eine sanierungsfähige Gesellschaft im Insolvenz(plan)verfahren gegen den Willen der Gesellschafter zu sanieren oder gar auf einen Investor zu übertragen, wenn zugleich der Erhalt des Rechtsträgers nötig oder sinnvoll war.4) Inzwischen jedoch ist das durch §§ 217 Satz 2, 225a InsO eröffnete gesellschaftsrechtliche Gestaltungspotential aus der Insolvenzpraxis nicht mehr wegzudenken und hat maßgeblich zur Entwicklung des deutschen Insolvenzrechts, weg von einer überwiegenden Zerschlagungsordnung, hin zu einem Sanierungsrecht beigetragen. 2 § 217 Satz 2 InsO, wonach auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können, und § 225a Abs. 3 InsO, wonach im Plan jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, sind daher in der deutschen Insolvenz- und Restrukturierungslandschaft zwar ohne Vorbild,5) jedoch binnen wenigen Jahren zu einem der Stützpfeiler der Grundausrichtung der InsO als einem Rechtsrahmen zur Unterstützung der Unternehmenssanierung geworden. Die gesetzliche Systematik, die Grundaussage, dass im Insolvenzplan eine jede gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme vorgesehen werden kann, erst in § 225a Abs. 3 InsO zu regeln und mit den Absätzen 1 und 2 zwei Sonderfälle vorausgehen zu lassen, erschließt sich dabei jedoch nicht. Nahe gelegen hätte es, die in Absatz 3 enthaltene Regelung als Grundprinzip in Absatz 1 voranzustellen und sodann in den Absätzen 2 und 3 die Sonderfälle der Einbeziehung von Mitgliedschaftsrechten und der Klarstellung in Beziehung auf die Zulässigkeit eines Debt-Equity-Swaps zu regeln. In der Gesamtbetrachtung jedoch ist der gesetzgeberische Vorstoß, das bislang mehr als verbessertes Akkordverfahren6) verstandene Insolvenzplanverfahren zu einem vollwertigen Restrukturierungsverfahren durch die Einbeziehung auch finanzwirtschaftlicher Restrukturierungsmöglichkeiten auf gesellschaftsrechtlicher Ebene auszubauen, uneingeschränkt zu begrüßen.7) Dabei muss man allerdings nicht so weit gehen, die Gesellschafter nur noch als Treuhänder der Gläubiger zu verstehen.8) Sie treten vielmehr als Stakeholder mit eigenen Interessen neben die Gläubiger. 3 Die Einbeziehung gesellschaftsrechtlich zulässiger Maßnahmen in den Insolvenzplan sowie die Übertragung von Eingriffsbefugnissen auch auf das grundsätzlich nicht insolvenzbefangene Vermögen der Gesellschafter in Bezug auf die Mitgliedschaftsrechte9) erfordert ___________ 3)
4) 5)
6) 7)
8) 9)
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Bitter, ZGR 2010, 147. Einzig rechtspraktisch geworden ist bislang die sog. Girmes-Rspr. des BGH, vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819, wonach Minderheitsgesellschafter jedenfalls einer mehrheitlich gewünschten Sanierung ihre Zustimmung nicht versagen dürfen, was bis zu einem gebotenen Ausschluss der Minderheitsgesellschafter führen kann, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289 (Verfestigung des Grundsatzes: „Sanieren oder Ausscheiden“), dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster). Ein Überblick zu der insoweit ergangenen Rspr. findet sich bei Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 322 ff.; s. a. Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, S. 192 ff.; K. Schmidt, JZ 2010, 125, 126 ff.; Haas, NJW 2010, 984. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 590. Allg. zur Verzahnung von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121; K. Schmidt, BB 2011, 1603; Göb, NZI 2012, 14; mit europarechtlicher Betrachtung auch Bormann, NZI 2011, 892. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 590. Krit. demgegenüber H. F. Müller, KTS 2012, 419, 442; Madaus, ZIP 2012, 2133, 2137 (Fn. 33); Simon/ Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088 (jew. mit besonderem Blick auf den Bezugsrechtsausschluss für die Alt-Gesellschafter). So Bitter, ZGR 2010, 147, 189 ff.; zust. Brinkmann, WM 2011, 97, 98; wie hier K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607. Zur Differenzierung zwischen dem sog. Verdrängungsbereich, in dem der Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter dem mitgliedschaftlichen Verfügungsbereich der Gesellschafter vorgeht, dem Schuldnerbereich, in welchem die mitgliedschaftlichen Rechte erhalten bleiben, und dem Überschneidungsbereich, in dem nach der InsO 1999 eine Kooperation erforderlich sein soll, Ott/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 112 ff.
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap
eine Beteiligung der Anteilsinhaber auch auf verfahrensrechtlicher Seite, nämlich bei der Beschlussfassung. Diesem Gebot wurde durch eine Ergänzung des § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO durch Anfügung einer Nr. 4 Rechnung getragen, wonach für die am Schuldner beteiligten Personen eine eigenständige Gläubigergruppe zu bilden ist, wenn deren Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden. Konsequent spricht das Gesetz in den Regelungen des Planverfahrens auch nicht mehr von Gläubigern, sondern von Beteiligten. Die Regelung beinhaltet dabei nicht die Anordnung, dass für die Gesellschafter nur eine Gruppe gebildet werden darf. Vielmehr verbleibt es bei der allgemeinen Vorschrift des § 222 Abs. 1, 2 InsO, wonach Gruppen für Beteiligte unterschiedlicher Rechtsstellung in den Grenzen des Willkürverbots gebildet werden können.10) Soweit es unter den Gesellschaftern sachgerechte Differenzierungsgründe gibt, ist hiervon auch Gebrauch zu machen. Hierbei ist zu vergegenwärtigen, dass eine Einbeziehung von Anteils- und Mitgliedschafts- 4 rechten nicht nur dann vorliegt, wenn eine Veränderung auf Anteilseignerebene oder in der Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft im Plan vorgesehen ist, sondern bereits dann, wenn in die den Anteilseignern grundsätzlich vorbehaltenen Beschlusskompetenzen11) eingegriffen wird. Diese sind nämlich Ausfluss der Anteilsrechte. Eine Gläubigergruppe für die Anteilsinhaber ist deshalb immer schon dann zu bilden, wenn durch den bestätigten Insolvenzplan Beschlüsse ersetzt werden (§ 254a Abs. 2 InsO), die außerhalb des Insolvenzund des Insolvenzplanverfahrens der Gesellschafterversammlung vorbehalten wären. Das gilt bspw. bereits bei der Einbeziehung des Fortsetzungsbeschlusses in die Regelungen des Insolvenzplans. II.
Rechtfertigung des Eingriffs in Anteilsrechte
Die Möglichkeit, i. R. des Restrukturierungsprozesses bzw. des Insolvenzplans auch in 5 den gesellschaftsrechtlichen Bestand des schuldnerischen Unternehmens einzuwirken, wurde insbesondere im europäischen und auch im Vergleich mit dem US-amerikanischen Recht als unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung eines sanierungsfreundlichen Rechtsrahmens in Deutschland genannt.12) Dies nicht zuletzt, um den Gesellschaftern die opportunistische Ausnutzung der Sanierungsbereitschaft der Gläubiger abzuschneiden und Blockaden der Gesellschafter von vornherein auszuschließen.13) Anders als im US-amerikanischen Recht gibt es im deutschen Recht allerdings keine mit 6 der dortigen „bankruptcy clause“ vergleichbare verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für den Eingriff in Gesellschaftsrechte.14) Soweit es nämlich um Kompetenzen geht, die nicht die Insolvenzmasse betreffen (sog. Schuldnerbereich), werden diese Kompetenzen auch im eröffneten Insolvenzverfahren grundsätzlich von den bestehen bleibenden Gesellschaftsorganen wahrgenommen.15) Dies betrifft Beschlussfassungen über Anteilsveräußerungen, -einziehungen, Kapitalerhöhungen, Fortsetzungsbeschlüsse etc.16) Soll in diesen ___________ 10) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 222 Rz. 16 m. w. N. 11) Ausf. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 33 ff.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 228 ff. 12) S. z. B. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541; Bork, ZIP 2010, 397, 403; Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545, 549; Hölzle, KTS 2011, 291, 317. 13) Eidenmüller, ZIP 2007, 1729. 14) Ausf. zur verfassungsrechtlichen Legitimation in Deutschland Madaus, Der Insolvenzplan, S. 595 ff.; Verse, ZGR 2010, 299, 309. 15) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 82 ff. 16) Vgl. z. B. BGH v. 26.1.2006 – IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034, dazu EWiR 2005, 603 (Flitsch); Ott/Braukmann, ZIP 2004, 2117; H. F. Müller, ZGR 2004, 842; grundlegend bereits Weber, KTS 1970, 73, 77 ff.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
ausschließlich den Gesellschaftern zugewiesenen Bereich eingegriffen werden, so bedarf es einer Rechtfertigung. Auf einfach gesetzlicher Ebene mag dazu die Aufopferungslehre17) dienen. Jedoch – und dies darf nicht übersehen werden – haben solche Eingriffe auch eine verfassungsrechtliche Dimension, die das deutsche Insolvenzrecht nicht uneingeschränkt mit dem Chapter 11-Verfahren des US-amerikanischen Rechts vergleichbar machen, weil nach US-amerikanischem Recht der dortige Bundesgesetzgeber nicht nur die Regeln für ein Insolvenzverfahren bestimmen, sondern auch in die Rechte der von der Insolvenz betroffenen Personen eingreifen darf, wozu nicht nur die Gläubiger des Schuldners, sondern auch dessen Gesellschafter gehören.18) Eine solche Legitimationsgrundlage auf übergesetzlicher Ebene kennt das deutsche Recht nicht. 7 Über die Verfassungskonformität der §§ 217, 225a InsO ist bereits vielfach geschrieben worden.19) Einigkeit besteht darüber, dass auch das Anteilseigentum am Schutzgehalt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 GG teilhat.20) Dieser Schutz erstreckt sich regelmäßig nicht allein auf die durch die Beteiligung vermittelte Vermögensposition, sondern auch auf die damit verbundenen Mitgliedschafts- und Teilhaberrechte.21) Allerdings lassen sich die (verfassungsrechtlichen) Grundsätze für das Sacheneigentum nicht uneingeschränkt auch auf das gesellschaftsrechtlich mediatisierte22) Anteilseigentum übertragen. Allein die Tatsache, dass die gestaltende Wirkung des Insolvenzplans auch einen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte erlaubt, reicht für die Beantwortung der Frage, ob darin zugleich ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zu erkennen ist, nicht aus. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Anteilsrechte nach Einleitung des Insolvenzverfahrens vor dem Hintergrund des § 199 Satz 2 InsO, wonach die Gesellschafter erst nach allen Gläubigern aus der Masse bedient werden, keinen signifikanten Vermögenswert mehr vermitteln23) und aus diesem Grunde ein Eingriffssubstrat im Wesentlichen nicht verbleibt.24) Soweit ein Eingriff in den vermögensrechtlichen Schutzgehalt des Art. 14 GG nur gegen Entschädigung möglich sein sollte,25) würde sich die Entschädigung hier an der verbleibenden Auszahlungserwartung im Rang des § 199 Satz 2 InsO orientieren und damit im absoluten Regelfall ebenfalls Null betragen. Im Übrigen steht es ___________ 17) Bitter, ZGR 2010, 147, 191; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549 f.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289. 18) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 594. 19) Zur Vereinbarkeit mit der Zweiten gesellschaftsrechtlichen Kapitalmarktrichtlinie vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 124 ff.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 14. 20) Vgl. m. w. N. Engels, BKR 2009, 365, 366. 21) BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 301 f. = ZIP 1999, 1436, dazu EWiR 1999, 751 (Neye). 22) Engels, BKR 2009, 365, 366, m. Hinweis auf BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 1 BvR 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 342; BVerfG v. 20.9.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann). 23) So auch Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657; Hölzle, KTS 2011, 291, 318 f.; diff. Verse, ZGR 2010, 299; Madaus, Der Insolvenzplan, S. 595 f. 24) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einem etwaigen Fortführungswert des Unternehmens, so noch Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 217 Rz. 18 f., da sich der Wert der Rechte der Beteiligten in einem Insolvenzverfahren stets nach der Abwicklung des Unternehmens im Regelinsolvenzverfahren, also nach dem Liquidationswert zu bestimmen hat, was für Insolvenzforderungen durch das BVerfG v. 26.4.1995 – 1 BvL 19/94, 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 272 = ZIP 1995, 923, dazu EWiR 1995, 669 (Fuchs), bereits festgestellt wurde. So nunmehr auch Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 29. 25) Hierbei ist aber bereits zu bedenken, dass auch verfassungsrechtlich nicht in jedem Fall eine Entschädigung als rechtfertigendes Element des Eingriffs zu verlangen ist, a. A. Smid, DZWIR 2010, 397, 403, da die Entziehung nicht werthaltiger Vermögenspositionen auch nicht entschädigt werden muss, so Madaus, Der Insolvenzplan, S. 596.
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den Anteilseignern frei, jederzeit auf den durch die Beteiligung noch vermittelten Vermögenswert zuzugreifen, indem und wenn sie den Insolvenzgrund beseitigen.26) Eine teleologische Reduktion des § 245 Abs. 3 InsO, wonach die Zustimmung der Gruppe der Gesellschafter stets notwendig wäre,27) ist daher strikt abzulehnen.28) Auch der zweite grundsätzlich anerkannte Schutzgehalt der Teilhabe- und Mitwirkungs- 8 rechte verliert im Insolvenzverfahren an signifikanter Bedeutung: Nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG gilt eine GmbH mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens als aufgelöst; in den übrigen Gesellschaftsrechten finden sich entsprechende Regelungen. Die Anteilsrechte, hinsichtlich derer verfassungsrechtlicher Schutz zu gewährleisten wäre, sind daher in ihrem Bestand bereits auf die Abwicklung der Liquidationsgesellschaft beschränkt, unterstellt man für die Betrachtung des Eingriffssubstrats die Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren, also die Liquidation. Entscheidungen zu treffen, die sich in Widerspruch zu den insolvenzrechtlichen Abwicklungszielen setzen, sind die Gesellschafter ohnehin nicht mehr befugt.29) Es ist daher davon auszugehen, dass im Insolvenz- und im Insolvenzplanverfahren grundsätzlich nur wirkungsentkleidete Mitglieds- und Teilhaberrechte bestehen,30) die in praktische Konkordanz zu den Eigentumsrechten der Gläubiger treten. Im Rahmen der Auflösung dieser praktischen Konkordanz kann eine missbräuchliche Verweigerungshaltung der Gesellschafter zum Zwecke einer im volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse liegenden Verwendung der Eigentumsrechte des Gesellschafters überwunden werden, soweit dem Gesellschafter eine Beschwerde- bzw. Rechtsschutzmöglichkeit grundsätzlich eingeräumt ist.31) Die grundsätzlich Rechtfertigung der §§ 217, 225a InsO vor dem Hintergrund des Art. 14 GG ist daher gegeben. Etwas differenzierter zu betrachten ist jedoch die mit einer jeden gesellschaftsrechtlichen 9 Maßnahme, die in die Anteilsrechte als solche eingreift, verbundene Einflussnahme auf den vereinigungsfreiheitsrechtlichen Bestand. Geschützt sind dabei sowohl die positive als auch die negative Vereinigungsfreiheit, Art. 9 GG.32) Daraus folgt, dass sowohl die Mitgliedschaft des Gesellschafters in der Gesellschaft als auch der konkrete mitgliedschaftliche Bestand verfassungsrechtlichen Schutz genießen, worunter dementsprechend auch die Aufnahme neuer Gesellschafter z. B. i. R. einer Kapitalerhöhung gehört.33) Aus der Vereinigungsfreiheit folgt darüber hinaus auch das Recht zur organisatorischen Selbstbestimmung,34) wozu auch die freie Satzungsgewalt der Gesellschafter gehört. Es wird damit insbesondere die Autonomie der Willensbildung in der Gesellschaft durch die Gesellschafter besonders geschützt.35) Regelmäßig wird der Eingriff in die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG, der dem engen 10 Schrankenvorbehalt des Art. 9 Abs. 2 GG unterliegt, auf kollidierendes Verfassungsrecht, nämlich auf den Eigentumsschutz der Gläubiger aus Art. 14 GG gestützt.36) Danach müsse ___________ Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 8. So aber Madaus, ZGR 2011, 749, 756 ff., 771. Wie hier Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 221. Vgl. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 137; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, Vor § 64 Rz. 65. Ähnl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 10 f. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 596. Zu Art. 9 GG vgl. auch Brinkmann, WM 2011, 97, 100. Vgl. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 597, der zu Recht darauf hinweist, dass die Auffassung von Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524, wonach die Gesellschafter den Gläubigern die generelle Befugnis erteilen, in der Insolvenz in alle Aspekte ihrer Gesellschafterstellung einzugreifen, so ohne weiteres nicht tragbar ist. 34) Vgl. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 1 BvR 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 354. 35) Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 364; Madaus, Der Insolvenzplan, S. 597. 36) Bitter, ZGR 2010, 147, 193 f.; Verse, ZGR 2010, 299, 312.
26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)
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sich der in § 199 InsO zum Ausdruck kommende Vorrang der Gläubigerrechte vor den Gesellschafterrechten auch gegenüber der Vereinigungsfreiheit durchsetzen.37) Soweit gegen die kollisionsrechtliche Auflösung des Eingriffs in Art. 9 Abs. 1 GG durch Rückgriff auf die Gläubigerrechte aus Art. 14 GG unter Inanspruchnahme der sich aus § 199 InsO ergebenden Argumentation eingewandt wird, dass es zwischen Art. 14 und Art. 9 GG grundsätzlich keine Kollision und keine Entscheidungszuständigkeit der Gläubiger für die Vermögensmehrung der Gesellschafter nach Abschluss des Reorganisationsverfahrens gebe,38) wird übersehen, dass die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG bereits insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG auf Gläubigerseite kollidiert, als der Gesetzgeber mit den Gesellschaften in haftungsbeschränkender Rechtsform eine potenzielle Kollision systemisch bedingt anlegt. Durch die Haftungsbeschränkung nämlich, die allein volkswirtschaftlich geboten ist,39) nicht aber verfassungsrechtlichen Rang genießt, wird volkswirtschaftlich denjenigen Marktteilnehmern, die das Recht der Vereinigungsfreiheit in einer haftungsbeschränkenden Rechtsform für sich in Anspruch nehmen, eine potenzielle Möglichkeit an die Hand gegeben, ohne Schmälerung des eigenen Vermögens in die Eigentumsrechte ihrer Gläubiger einzugreifen. Stellt der Gesetzgeber aber Vereinigungsmöglichkeiten in haftungsbeschränkender Rechtsform zur Verfügung, weil er sich hierdurch gesamtökonomische Vorteile verspricht,40) so ist er gleichermaßen gehalten, ein Schutzinstrumentarium für die von der Haftungsbegrenzung potenziell betroffenen Gläubiger zu schaffen. Ausfluss dieses Schutzinstrumentariums ist die Statuierung von Insolvenzantragspflichten (§ 15a InsO) für Gesellschaften, in denen keine natürliche Person die Vollhaftereigenschaft innehat, deren Haftung also auf das eigene oder ein fremdes Gesellschaftsvermögen (wie z. B. in der GmbH & Co. KG) beschränkt ist. In dieser gesetzgeberischen Wertung und der Wechselwirkung zwischen Haftungsbegrenzung und Schutzanspruch der dadurch potenziell betroffenen Gläubiger, die damit zum wesentlichen Gehalt des Schutzbereichs bereits auf Ebene des Art. 9 GG wird, kommt jedenfalls i. R. der praktischen Konkordanz ein genereller Vorrang der Gläubigerrechte aus Art. 14 GG gegenüber der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG in der Insolvenz- und insolvenzbedingten Reorganisationssituation zum Ausdruck.41) 11 Die Interessen der Alt-Gesellschafter der insolvenzbefangenen Gesellschaft müssen daher hinter den Reorganisationsinteressen der Gläubiger in der Insolvenzsituation und insbesondere im Insolvenzplanverfahren zurücktreten. Einzig, und daran fehlt es nach wie vor in der InsO, ist den Alt-Gesellschaftern, die z. B. durch Kapitalerhöhung und/oder den Beitritt neuer Gesellschafter nur herunter und nicht heraus verwässert werden, ein außerordentliches Kündigungsrecht einzuräumen. Einen Ansatz dazu enthält § 225a Abs. 5 InsO, der ein Austrittsrecht unter der Voraussetzung gewährt, dass eine Maßnahme nach § 225a Abs. 2 oder 3 InsO für eine an dem Insolvenzschuldner beteiligte Person einen „wichtigen Grund zum Austritt aus der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ darstellt und von diesem Austrittsrecht auch Gebrauch gemacht wird. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist davon auszugehen, dass jede gesellschaftsrechtliche Maßnahme i. S. des § 225a InsO, die zu einer Veränderung in der Beteiligungsstruktur
___________ 37) BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041, dazu EWiR 2010, 465 (Mock); Bitter, ZGR 2010, 147, 191; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549 f.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854. Dazu ausf. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 596 ff., 600. 38) So insbesondere Madaus, Der Insolvenzplan, S. 600. 39) Röhricht, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 93, 97 ff. 40) Dazu ausf. Hölzle, ZIP 2009, 1939; Hölzle, ZIP 2003, 1376. 41) Ähnl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 12 ff.
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap
führt, einen solchen wichtigen Grund darstellt.42) Anderenfalls bestünden tatsächlich Bedenken hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Legitimation der Vorschriften vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 1 GG.43) Fraglich bleibt allerdings, ob und inwieweit nicht den auch weiterhin beteiligungswilligen 12 Alt-Gesellschaftern i. R. von Kapitalmaßnahmen (Debt-Equity-Swap; sonstige Kapitalerhöhungen) aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Bezugsrecht eingeräumt werden muss.44) Soweit der oder die Alt-Gesellschafter nämlich beteiligungswillig und leistungsfähig (vgl. § 230 Abs. 3 InsO) sind, fehlt es, soweit nicht das Investitionsinteresse der Neu-Gesellschafter den Ausschluss der Alt-Gesellschafter zur Voraussetzung hat, an einer Rechtfertigung, sie zwar nicht i. R. eines Debt-Equity-Swaps mit etwaigen Gesellschafter-Forderungen an der Kapitalmaßnahme zu beteiligen; wohl aber sind sie zu einer – ggf. parallelen – Barkapitalerhöhung zuzulassen, um ihnen die Möglichkeit einzuräumen, einer vollständigen Enteignung entgegen zu wirken.45) Da jedoch die Mitgliedschaftsrechte durch die Einleitung des Insolvenzverfahrens vollständig entwertet sind und die Gläubigerinteressen Vorrang genießen, bedarf es keiner weiteren Rechtfertigung für den vollständigen Ausschluss der AltGesellschafter, wenn das Sanierungskonzept der oder des eintrittswilligen Investors den Ausschluss der Alt-Gesellschafter zur Voraussetzung macht und keine für die Gläubiger gleichwertigen Alternativen unter Beibehaltung einer Beteiligung der Alt-Gesellschafter unmittelbar umsetzbar sind. III.
Insolvenzspezifische Gestaltungsfreiheit: Katalog der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen
1.
Gesetzliche Grundlagen
Nicht erst durch das ESUG hat sich das Insolvenzrecht weg von einem reinen Abwick- 13 lungsverfahren hin zu einem weitreichenden wirtschaftsrechtlichen Faktor entwickelt und ist inzwischen in weiten Teilen gesellschaftsrechtlich geprägt. Dennoch war das mit dem ESUG vollzogene veränderte Rollenverständnis der vom Insolvenzverfahren Betroffenen durch Einbeziehung auch der Gesellschafterrechte geradezu revolutionär46) und ist aus der heutigen Restrukturierungspraxis nicht mehr wegzudenken. Wenn aus Sicht der Gesellschafter und des Managements auch eine noch stärkere Orientierung des Insolvenzverfahrens am US-amerikanischen Vorbild der pre-voted bankruptcy wünschenswert wäre,47) so liegt der wesentliche Grund für die Einbeziehung der Gesellschafterrechte v. a. in dem praktischen Bedürfnis nach einem koordinierten Abwicklungs- und Sanierungsverfahren durch Mitwirkung der Gesellschafter am Insolvenzplanverfahren, da sich gerade die Gesellschafter in der Vergangenheit als Sanierungshemmer erwiesen haben. Dass die bereits in der Insolvenzrechtsreform 1994 (Übergang von der KO zur InsO mit Wirkung ab dem 1.1.1999) vorgetragenen, insbesondere verfassungsrechtlichen Bedenken sich gegen eine solche Einbeziehung in der Reform durch das ESUG nicht durchgesetzt haben, liegt in einem sich ändernden Rechtsbild von der Gesellschafterrolle, in der Entwicklung der be___________ 42) Anders Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 116; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 40, wonach es allein auf gesellschaftsrechtliche Maßstäbe ankommen könne. Für ein Austrittsrecht aus Insolvenzrecht demgegenüber Haas, NZG 2012, 961, 965 f.; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 425. 43) Vgl. Hölzle, KTS 2011, 291, 322. 44) Ausf. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 43; K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088; Madaus, ZGR 2011, 749, 761 f.; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 f.; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 f.; Hölzle, KTS 2011, 291, 321 f. 45) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 43. 46) Instruktiv K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1605, 1607. 47) Vgl. Madaus, NZI 2011, 622.
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trieblichen Finanzierungslehre und darüber hinaus im systematischen Grundverständnis von Gesellschafts- und Insolvenzrecht begründet.48) 14 So sieht § 217 InsO vor, dass, ist der Schuldner keine natürliche Person, auch die Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können. § 225a InsO konkretisiert diese Grundsatzregel und ordnet in Absatz 3 an, dass im Insolvenzplan jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere – aber nicht nur – die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft oder die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten. Nach Absatz 1 des § 225a InsO bleiben die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen nur dann vom Insolvenzplan unberührt, wenn der Plan nichts anderes vorsieht. Gemäß § 225a Abs. 2 InsO kann im gestaltenden Teil des Insolvenzplans (auch bzw. abermals: insbesondere) vorgesehen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden. Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Anteilsinhaber vorsehen, womit der mechanische Ablauf eines Debt-Equity-Swaps hinreichend beschrieben und dessen Zulässigkeit ausdrücklich vorausgesetzt ist. 15 Werden Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen, ist nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO für die am Schuldner beteiligten Personen eine eigene Gläubiger-/Abstimmungsgruppe zu bilden. Nach § 238a Abs. 1 InsO richtet sich das Stimmrecht der Anteilsinhaber allein nach der Beteiligung am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners, wobei Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrheitsstimmrechte außer Betracht bleiben. Auch aus dem Gesellschaftsverhältnis hergeleitete Sonderstimmrechte oder -verbote, z. B. als Ausfluss der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, bleiben außer Betracht (siehe ausführlich Rz. 52). Maßgeblich ist daher allein die nominale Beteiligung am statutarischen Kapital der Gesellschaft. Beteiligen sich die Anteilsinhaber nicht an der Abstimmung, so wird ihre Zustimmung nach § 246a InsO fingiert. 16 Zum Abstimmungstermin sind nach § 241 Abs. 2 InsO grundsätzlich alle stimmberechtigten Beteiligten zu laden. Dies gilt jedoch nicht für Aktionäre oder Kommanditaktionäre. Für diese reicht es aus, den Termin öffentlich bekannt zu machen. Für börsennotierte Gesellschaften findet dabei § 121 Abs. 4a AktG entsprechende Anwendung. Dasselbe gilt für die Übersendung von Unterlagen nach § 252 Abs. 2 InsO. 17 Der Gesetzgeber geht grundsätzlich davon aus, dass die Anteile der Gesellschafter i. d. R. wertlos sind, weshalb im Falle der Einbeziehung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten eine Entschädigung für die Anteilsinhaber wohl vorgesehen werden kann, im Regelfall aber nicht vorgesehen werden muss (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 InsO).49) Im Gegenteil: Hat der Gesellschaftsanteil wegen eines als Folge der Sanierung entstehenden künftigen Erwartungswertes einen Residualwert, so steht dieser vorrangig den Gläubigern zu und wäre er, soweit ein Eingriff in die Gesellschafterrechte nicht erfolgt, von diesen ggf. sogar zu vergüten (siehe § 30 Rz. 44 ff.).50) Soweit die Alt-Gesellschafter dennoch der Meinung sind, dass das Fehlen einer Entschädigungsregelung sie gegenüber der Regelab-
___________ 48) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607. 49) Vgl. Begr. RegE ESUG z. Nr. 17, BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 50) Dies übersieht auch Schmidt-Preuß, NJW 2016, 1269, wenn er für den Fall eines sanierungsbedingten Restwertes des entzogenen Geschäftsanteils eine Entschädigungspflicht zugunsten des Alt-Gesellschafters fordert.
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap
wicklung benachteilige, können solche Ansprüche nur außerhalb des Insolvenzverfahrens nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO geltend gemacht werden.51) Konnten gesellschaftsrechtliche Maßnahmen bisher nur durch einen bedingten Insol- 18 venzplan (§ 249 InsO) mit den im Insolvenzplan vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen koordiniert werden, konnte also ein Insolvenzplan erst bestätigt werden, wenn und soweit gesellschaftsrechtlich erforderliche Erklärungen in der nötigen Form tatsächlich abgegeben und eingetragen waren,52) so erübrigt sich dieses Problem durch § 254a Abs. 2 InsO, da sämtliche in den Plan aufgenommenen Beschlüsse der Anteilsinhaber oder sonstige Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben gelten. Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Anteilsinhaber gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, die erforderlichen Anmeldungen beim Registergericht vorzunehmen. Dies betrifft allein die Aktivlegitimation und nicht die Form der Anmeldung. An dem Erfordernis der Beglaubigung der Erklärung des Insolvenzverwalters dürfte daher festzuhalten sein. Bei Betrachtung der vorstehend geschaffenen gesetzlichen Grundlagen für die Einbezie- 19 hung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten in den Insolvenzplan fällt auf, dass es sich um eine grundlegende Neuordnung des systematischen Verständnisses zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht handelt und die Gesellschafter vollständig als Beteiligte in die Abwicklung des Insolvenzverfahrens einbezogen werden, wenn auch zwangsweise. Dementsprechend ergeht sich der Gesetzgeber auch nicht in Detailregelungen, sondern ordnet die dem Insolvenzplanverfahren eigene Dispositions- und Gestaltungsfreiheit ganz grundsätzlich auch für das Gesellschaftsrecht an. Das ist zu begrüßen und hilft, den sanierungsrechtlichen Gestaltungsrahmen in einer grundsätzlich praxistauglichen Art und Weise zu erweitern, weil die Gestaltung des Sanierungswegs nicht in ein Korsett gepresst werden muss, sondern den Rahmen selbst bestimmt. Die konkret gesellschaftsrechtlich vorzunehmenden Maßnahmen unterliegen daher der Fantasie des Planarchitekten. 2.
Reichweite im Einzelnen
2.1
Entscheidungsbefugnisse im Schuldnerbereich
War hinsichtlich der Kompetenzverteilung zwischen dem Insolvenzverwalter und den 20 Gesellschaftsorganen vor Geltung des ESUG differenziert worden zwischen dem Verdrängungsbereich, in dem der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter Vorrang vor sämtlichen Entscheidungskompetenzen der Gesellschaftsorgane genießt, dem Schuldnerbereich, der das insolvenzfreie Vermögen und die Innenorganisation der Gesellschaft betrifft und in dem die Gesellschaftsorgane ihre Kompetenzen behalten, sowie dem Überschneidungsbereich, in dem zwar der Schuldnerbereich betroffen ist, sich aber doch nachteilige Auswirkungen auf die Insolvenzmasse ergeben können und in dem die Gesellschaftsorgane und der Insolvenzverwalter deshalb zusammenwirken müssen sollen,53) so ist insoweit eine grundlegende Neuordnung für das Insolvenzplanverfahren erforderlich geworden. Während es für Entscheidungen im insolvenzfreien Bereich, also insbesondere dann, 21 wenn vom Insolvenzverwalter aus dem Insolvenzbeschlag freigegebene Gegenstände be___________ 51) Vgl. hierzu Drukarczyk, NZI 2015, 110, 116. 52) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1608. 53) Grundlegend dazu bereits Weber, KTS 1970, 73, 77 ff.; vgl. auch OLG Köln v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, ZIP 2001, 1553; BayObLG v. 17.3.2004 – 3Z BR 46/04, ZIP 2004, 1426; grundlegend auch noch einmal H. F. Müller, ZGR 2004, 842 ff.
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troffen sind,54) bei der alleinigen Entscheidungskompetenz der Gesellschaftsorgane verbleibt, wird insbesondere der das Eigenkapital betreffende Bereich und die Innenorganisation der Gesellschaft bis hin zur Satzungskompetenz im Insolvenzplanverfahren nicht mehr dem insolvenzfreien Schuldnerbereich zugeordnet. Die Aussage, dass den Organen und Anteilseignern von Korporationen Umstrukturierungen im Insolvenzplanverfahren nicht aufgenötigt werden können,55) ist rechtstatsächlich überholt. Der Insolvenzverwalter bzw. die am Insolvenzverfahren Beteiligten haben nunmehr Einfluss auch auf rein verbandsinterne Vorgänge, die noch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Insolvenzmasse haben, wozu z. B. Satzungsänderungen insbesondere zur Durchführung von Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen und ähnlich nunmehr von § 225a InsO erfasste Maßnahmen gehören.56) Ein Bezug der im Insolvenzplan vorgesehenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zur Gläubigerbefriedigung, zum insolvenzrechtlichen Restrukturierungsvorhaben oder zu den Sanierungsmaßnahmen ist nicht erforderlich.57) Diese können auch allein aus Anlass und bei Gelegenheit der insolvenzplangestützten Restrukturierung vorgesehen und umgesetzt werden. 22 Die von Weber58) begründete Verdrängungslehre hat, soweit sie zwischen Eigenkapital (Schuldnerbereich) und Fremdkapital (Verdrängungsbereich) bzw. zwischen Massezugehörigkeit und Einflussnahme auf die Insolvenzmasse und insolvenzfreiem Bereich unterscheidet, im Insolvenzplanverfahren keinen bestimmenden Einfluss mehr. Mit der Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem Gesellschaftsrecht hat sich der Gesetzgeber von der Einbeziehung nur massezugehöriger Rechte in das Insolvenzverfahren distanziert. Wenn und soweit der Gesetzgeber anordnet, dass eine jede gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme im Insolvenzplan vorgesehen werden kann, so stellt er damit zugleich klar, dass eine unmittelbare Masseauswirkung dieser Maßnahme für ihre Zulässigkeit nicht erforderlich ist.59) Im Gegenteil: In der Gesetzesbegründung zu der grundlegenden Vorschrift des § 217 InsO kommt klar zum Ausdruck, dass die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte ausdrücklich der Umgehung von bislang gegebenen Blockademöglichkeiten und Mitnahmeeffekten durch die Alt-Gesellschafter dienen soll. Darüber hinaus stellt die Gesetzesbegründung heraus, dass die Grenze zwischen Eigenkapital und Fremdkapital, zwischen Beteiligung an einer Gesellschaft und Forderung gegen eine Gesellschaft in der jüngeren Entwicklung fließend ist.60) Damit bricht der Gesetzgeber in diesem Bereich ausdrücklich mit den überkommenen Grundsätzen der Kompetenzzuweisung. 23 Ein Grund, warum diese grundsätzliche Neuordnung des Verhältnisses des Insolvenzrechts zum Gesellschaftsrecht sich auf den finanzwirtschaftlichen Bereich, also auf eigenkapitalrelevante Maßnahmen beschränken sollte, ist weder erkennbar noch kommt er in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck. Vielmehr liegt der durch das ESUG vorgenommenen Neuordnung ein Paradigmenwechsel zugrunde, den es auf das gesamte Recht der ___________ Dazu Ott/Vuia, in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 112a; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 122. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 28.42b. Vgl. zur alten Rechtslage H. F. Müller, ZGR 2004, 842, 847 ff. Hölzle, ZIP 2014, 1819 mit Hinw. auf BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 58) Weber, KTS 1970, 73, 77 ff. 59) In der Gesetzesbegründung (Begr. RegE ESUG z. Nr. 17, BT-Drucks. 17/5712, S. 32) heißt es dazu: „Absatz 3 ermöglicht es, die gesellschaftsrechtlichen Strukturen des Schuldners auch außerhalb eines Debt Equity Swap grundlegend umzugestalten und sie den Bedürfnissen des Insolvenzplanverfahrens anzupassen. Die Rechte der am Schuldner beteiligten Personen werden dabei hinreichend gewahrt, da sie nach § 222 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 des Entwurfs eine eigene Gruppe bei der Abstimmung über den Plan bilden, sofern ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen worden sind.“ 60) Begr. RegE ESUG z. Nr. 14, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. 54) 55) 56) 57)
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Kompetenzkollisionen auszudehnen gilt. Dementsprechend sind dem Regelungsbereich des Insolvenzplanverfahrens auch solche Maßnahmen, die keinen unmittelbaren Einfluss auf die Finanzverfassung der Gesellschaft haben und zuvor ausschließlich dem Schuldnerbereich zuzuordnen waren, nicht entzogen. Hierzu können beispielhaft aufgezählt gehören:
Abberufung und Bestellung von Organmitgliedern;
Widerruf und Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht;
satzungsändernde Beschlüsse in Bezug auf die Finanzverfassung der Gesellschaft wie auf Gesellschaftszweck, Sitz, Firma etc.;
Feststellung von Jahresabschlüssen;
Teilung, Zusammenlegung sowie Einziehung von Geschäftsanteilen;
Umwandlungsvorgänge (siehe Rz. 53);
Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung bis hin zur Aufstellung einer Geschäftsordnung.
Zusammenfassend bedeutet dies, dass der gesamte, z. B. nach § 46 GmbHG dem Auf- 24 gabenkreis der Gesellschafter zugewiesene Kompetenzkatalog, auch soweit er nicht bereits durch Zugehörigkeit zum Verdrängungsbereich der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegt, Gegenstand einer Regelung im Insolvenzplan sein kann. Im Klartext führt dies dazu, dass zwischen zwei verschiedenen Verdrängungsbereichen zu 25 differenzieren ist. Außerhalb des Insolvenzplanverfahrens bleibt es bei der überkommenen Verdrängungslehre. Durch die Gestaltungsfreiheit im Insolvenzplanverfahren (§§ 217, 225a InsO) wird der Verdrängungsbereich zulasten des Schuldnerbereichs deutlich ausgedehnt und entsteht ein „Verdrängungsbereich II“, der zuvor den schuldnerischen Organen vorbehaltene Kompetenzen zwar nicht dem Insolvenzverwalter (§ 80 InsO), wohl aber der über den Insolvenzplan beschließenden Beteiligtenversammlung (Gläubiger und am Schuldner beteiligte Personen) zuweist. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers liegt die Rechtfertigung für die Schaffung dieses „Verdrängungsbereichs II“ in der Beteiligung auch der Anteilseigner an der Abstimmung über den Insolvenzplan.61) 2.2
Abgrenzung von Gesellschafterrechten und Gesellschafterforderungen
Mit der Feststellung, dass der Verdrängungsbereich II eine jede gesellschaftsrechtlich zu- 26 lässige Maßnahme erfasst, ohne dass es eines Massebezuges bedürfte, ist noch nichts darüber gesagt, welche Rechte der Gesellschafter damit im gegenständlich-sachlichen Anwendungsbereich erfasst sind.62) Die Anteilseigener einer Gesellschaft treten dieser häufig in verschiedenster Funktion ge- 27 genüber, nämlich in Ausübung ihrer mit dem Anteil verbundenen Rechte einerseits, als Gläubiger andererseits. Letzteres nicht nur wegen z. B. der Gesellschaft gewährten Darlehen oder Sicherheiten, sondern auch wegen Forderungen aus Aufwandserstattung (z. B. § 110 HGB), Miete etc. Für die Anwendbarkeit der auf Rechte der Gesellschafter bezogenen Regelungen des Insolvenzplans ist deshalb vorab festzustellen, welche Gesellschafterrechte hiervon erfasst sind und wegen welcher Rechte die Gesellschafter nur als nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zu berücksichtigen sind. ___________ 61) Begr. RegE ESUG z. Nr. 14, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. 62) Wie hier insgesamt Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, Rz. 29 ff.
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28 Die Abgrenzung danach, ob der Anspruch causa societatis oder causa mutui entstanden ist,63) ist hierfür ungeeignet, da z. B. Abfindungsansprüche ausgeschiedener Gesellschafter oder auch Aufwendungsersatzansprüche nicht in der Gruppe der Anteilsinhaber,64) sondern bei den nicht nachrangigen (§ 38 InsO) oder den nachrangigen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) Gläubigern zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt, dass z. B. auch Gesellschafterdarlehen infolge der durch das MoMiG65) vollzogenen Reform des Eigenkapitalersatzrechts im Falle der Insolvenz als typisiert gesellschaftsrechtlich subordiniert behandelt werden. Dies ist nur auf der Grundlage einer gesellschaftsrechtlichen causa möglich,66) was aber nicht zur Folge haben kann, dass mit der gesellschaftsrechtlichen Qualifizierung der Ansprüche die Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterlaufen wird und die Ansprüche in der Plangruppe der Anteilseigner nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO einzuordnen wären. 29 Richtiges Abgrenzungskriterium ist daher, worauf Spliedt67) zu Recht hinweist, das gesellschaftsrechtliche Abspaltungsverbot:68) Von § 225a InsO sind nur diejenigen Rechtspositionen erfasst, die von der Mitgliedschaft nicht getrennt werden können. Was abgespalten werden kann, ist in einer gesonderten Gläubigergruppe zu regeln, soweit Eingriffe erfolgen sollen. 2.3
„ABC“ zulässiger Gestaltungsmaßnahmen69)
30 Die Aufzählung der im Insolvenzplan möglichen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in § 225a Abs. 3 InsO ist nicht abschließend. Eine umfassende Aufzählung der dem Verdrängungsbereich II zuzuordnenden Maßnahmen ist auch nicht möglich.70) 31 Das Insolvenzrecht überlagert das Gesellschaftsrecht mit § 225a InsO vollständig. Eine gesellschaftsrechtliche Beschlusskontrolle auf Grundlage von Stimmbindungen, gesellschaftsrechtlicher Treuepflicht, Gleichbehandlung oder sonst wichtigen Gründen ist ausgeschlossen und wird ausschließlich durch das insolvenzrechtliche Instrumentarium zur Beschlusskontrolle (§§ 245, 251, 253 InsO) ersetzt.71) § 225a InsO enthält daher keine Verweisung auf das Gesellschaftsrecht als Rechtsgrundverweisung, die eine jeweils gesellschaftsrechtliche Zulässigkeitsprüfung insbesondere auch unter Berücksichtigung z. B. gesellschaftsrechtlicher Minderheitsrechte voraussetzen würde,72) sondern vielmehr lediglich einen Verweis auf den gesellschaftsrechtlichen numerus clausus, der auch im Insolvenzplanverfahren nicht unterlaufen werden darf, i. Ü. aber der umfassenden Regelung durch den Insolvenzplan unter ausschließlich geltendem Insolvenzverfahrensrecht zu___________ So Madaus, ZIP 2010, 1214, 1216, 1220. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 19. Zu den insolvenzrechtlichen Auswirkungen ausf. Hölzle, GmbHR 2007, 729 ff. Vgl. Hölzle, ZIP 2009, 1939; Hölzle, ZIP 2010, 913; Hölzle, ZIP 2011, 650. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 19. Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4. Das „ABC“ zulässiger Gestaltungsmaßnahmen entstammt der weitgehend inhaltsgleichen Darstellung bei Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 33 ff. 70) So wohl auch Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 233 ff. 71) Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz); ebenso Hölzle, EWiR 2013, 589; Haas, NZG 2012, 961, 965; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 466; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 638; K. Schmidt, BB 2011, 1603 ff. 72) So aber H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 f.; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; Madaus, ZIP 2012, 2133; Hirte, in: Uhlenbruck, § 225a Rz. 40 f.; vermittelnd Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 35, wonach zwingendes Gesellschaftsrecht beachtlich sei, eine inhaltlich Prüfung etwa der Minderheitenschutzrechte aber nicht stattfinde; wieder anders Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 76, nach welchem grds. zwingende gesellschaftsrechtliche Vorschriften zu beachten seien, diese aber insoweit aufgeweicht werden dürften, wie es in der InsO selbst angelegt sei.
63) 64) 65) 66) 67) 68) 69)
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gänglich ist, da der gesellschaftsrechtliche Prüfungsmaßstab insoweit vollständig von den Planvorschriften überlagert wird.73) Zu den regelmäßig in einem das schuldnerische Unternehmen auch auf gesellschaftsrecht- 32 licher Seite restrukturierenden Insolvenzplan erforderlichen Maßnahmen gehören insbesondere die nachfolgenden, wobei auch diese Aufzählung nicht abschließend ist:
Anteilsübertragung/-abtretung (Schuldner): Der Insolvenzplan kann vorsehen, dass 33 einzelne oder sämtliche Gesellschafter ihre Geschäftsanteile an dem Schuldner anteilig oder vollständig an Dritte abtreten,74) seien es Gläubiger (unechter Debt-Equity-Swap), Investoren oder sonstige Dritte. Die Zustimmung der Alt-Anteilsinhaber dazu ist nicht erforderlich. Die Rechte der Alt-Gesellschafter sollen auch insoweit durch deren Beteiligung an der Abstimmung über den Insolvenzplan hinreichend gewahrt sein. Dabei ist zu beachten, dass eine Ersetzung der Zustimmung der Gruppe der Anteilsinhaber (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO) nur möglich ist, wenn alle Anteilsinhaber verhältnismäßig gleich gezwungen werden, Anteile zu übertragen, da anderenfalls das Gleichbehandlungsgebot (§ 226 InsO) und die Besserstellung einzelner Gesellschafter der Anwendung des Obstruktionsverbotes nach § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO der Anteilsübertragung entgegenstünden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die unterschiedliche Behandlung auch außerhalb des Insolvenzverfahrens gesellschaftsrechtlich zulässig wäre und wegen § 226 InsO für die Gesellschafter unterschiedliche Beteiligungsgruppen im Planverfahren gebildet werden.75) Die nötigen Erklärungen der Alt-Gesellschafter gelten mit der Bestätigung des Insolvenzplans als in der dafür erforderlichen Form abgegeben (§ 254a Abs. 1 InsO); und zwar auch dann, wenn der betreffende Gesellschafter dem Plan nicht zugestimmt hat. Sollen die Anteile der Alt-Gesellschafter nur anteilig übertragen werden, so kann der Insolvenzplan vorher die Neuordnung, Teilung oder Zusammenlegung von Geschäftsanteilen im Wege einer Satzungsänderung vorsehen und sodann die durch Teilung oder Zusammenlegung neu geschaffenen Anteile übertragen. Auch insoweit gilt die nötige Form nach § 254a Abs. 1 InsO als gewahrt. Auch wegen der zwangsweisen Abtretung von Geschäftsanteilen gilt, dass der Insolvenzplan zwar vorsehen kann, dass hierfür eine Abfindung gezahlt wird (§ 225a Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 InsO), eine solche aber grundsätzlich nicht vorsehen muss. Vielmehr geht der Gesetzgeber davon aus, dass wegen der grundsätzlichen Wertlosigkeit der Anteile nach dem Maßstab des § 199 Satz 2 InsO eine Entschädigung im Regelfall nicht zu zahlen ist.76) Fühlen sich die Gesellschafter durch die entschädigungslose Zwangsabtretung benachteiligt und halten sie ihre vermögensmäßigen Ansprüche im Verhältnis zur Regelabwicklung im Liquidationsverfahren für nicht hinreichend gewahrt, so können sie entsprechende Entschädigungsansprüche grundsätzlich nur außerhalb des Insolvenzplanverfahrens geltend machen (§ 251 Abs. 3 Satz 2. InsO) und die Umsetzung des Plans und damit den mit seiner Bestätigung wirksam werdenden Vollzug der Abtretung jedoch grundsätzlich nicht verhindern.
___________ 73) Wie hier Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 233 f.; Rühle/Ober, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 225a Rz. 47; LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197, Rz. 25, dazu EWiR 2015, 23 (Leib/Rendels); Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 106; Haas, NZG 2012, 961, 965; Hölzle, ZIP 2014, 1819, 1821; Klausmann, NZG 2015, 1300, 1303. 74) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32: Grundlegende Umgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen auch außerhalb eines Debt-Equity-Swaps. 75) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 35. 76) Vgl. z. B. Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 518.
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Anteilsübertragung/-abtretung (Tochtergesellschaften): Die Möglichkeit, Anteilsübertragungen vorzusehen, bezieht sich nicht allein auf die Anteile an der schuldnerischen Gesellschaft, sondern auch auf Anteile an Tochtergesellschaften des Schuldners.77) Einer solchen Klarstellung hätte es indes nicht bedurft, da es sich dabei um eine Verwertungshandlung in Bezug auf das schuldnerische Vermögen handelt, die auch bereits vor Inkrafttreten des ESUG möglich war.
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Ausschluss von Gesellschaftern: Der Plan kann auch den Ausschluss von Gesellschaftern vorsehen. Dies kann durch Einziehung des Geschäftsanteils ebenso erfolgen wie durch eine Kapitalherabsetzung auf Null mit anschließender Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO).78) Dass den Alt-Gesellschaftern keine Beteiligungsoption an der nachfolgenden Kapitalerhöhung in Gestalt der Gewährung eines Bezugsrechts einzuräumen ist, folgt bereits daraus, dass es keinen Unterschied machen kann, ob die Anteile durch Abtretung auf einen Dritten übertragen werden oder im Wege einer Kapitalherabsetzung auf Null mit anschließender Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts für die Alt-Gesellschafter79) untergehen. Eine besondere Begründung für die Regelung eines Bezugsrechtsausschlusses ist im Insolvenzplan nicht erforderlich. Bei dem allgemeinen Begründungserfordernis, das grundsätzlich Voraussetzung für die Eintragungsfähigkeit der gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in das Handelsregister ist, handelt es sich um eine rein gesellschaftsrechtliche Anforderung, die insolvenzrechtlich überlagert wird, weil § 225a Abs. 3 InsO die Umsetzungsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen voraussetzungslos anordnet. Um jedoch Verzögerungen bei der Eintragung der im Insolvenzplan geregelten gesellschaftsrechtliche Maßnahmen infolge von Rückfragen des Handelsregisters zu vermeiden, empfiehlt es sich, den Plan im Vorfeld mit dem Handelsregister abzustimmen und jedenfalls eine rudimentäre Begründung im Plan vorzunehmen. Der Bezugsrechtsausschluss begegnet auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit er Bestandteil des Sanierungskonzepts des eintrittswilligen Investors ist und für die Gläubiger eine gleichwertige Alternative nicht unmittelbar umsetzbar ist, unter der etwaig beteiligungswillige und auch leistungsfähige Alt-Gesellschafter in der Gesellschaft belassen werden können80) (siehe Rz. 12).
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Aufsichtsrat (in der GmbH)/Beirat: Nach § 52 Abs. 1 GmbHG kann auch für die GmbH durch Anordnung in der Satzung ein Aufsichtsrat bestellt werden, für den die Vorschriften des AktG weitgehend entsprechend gelten. Unterhalb dieser Schwelle kann die Satzung für die interne Willensbildung auch die Schaffung eines Beirats vorsehen, der formal kein Organ der Gesellschaft, aber satzungsgemäß in die interne Willensbildung einzubeziehen ist. Beteiligen sich i. R. einer insolvenzrechtlichen Restrukturierung Gläubiger an dem Unternehmen, sei es im Wege eines Debt-EquitySwaps, sei es durch Anteilsübertragung oder auf sonstige Weise, können diese Gläubiger ein großes Interesse daran haben, auch auf die operative Geschäftsführung gesteigerten Einfluss auszuüben. Im Insolvenzplan kann demgemäß durch Satzungsänderung die
___________ 77) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32; Thies, in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 48 f. 78) Thies, in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 16; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 14, 39; a. A. Häfele, Die Treuepflicht der Aktionäre bei der vorinsolvenzlichen Sanierung durch einen Debt Equity Swap, S. 139 f. 79) Vgl. zum Ablauf BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167, 169 f. = ZIP 1999, 1444. 80) Vgl. K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088; Madaus, ZGR 2011, 749, 761 f.; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 f.; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 f.; Hölzle, KTS 2011, 291, 321 f., welche die verfassungsrechtlichen Bedenken, wie auch noch in der Vorauflage vertreten, etwas strenger beurteilen.
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap
Schaffung eines Aufsichtsrats oder die Installation eines Beirats ohne weiteres vorgesehen werden.
Debt-Equity-Swap: siehe dazu sogleich,81) Rz. 56 ff.
Feststellung von Jahresabschlüssen: Während für die Aufstellung des Jahresabschlusses 38 ohnehin der Insolvenzverwalter zuständig ist (§ 155 InsO), ist über § 225a Abs. 3 InsO auch die Fassung des Feststellungsbeschlusses im Insolvenzplan möglich.
Firma: Die Firma der Gesellschaft ist Gegenstand der Regelung der Satzung (vgl. 39 z. B. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). Die Änderung der Firma ist daher eine Satzungsänderung. Satzungsänderungen (siehe Rz. 50) fallen in den Anwendungsbereich des § 225a Abs. 3 InsO, weshalb auch die Änderung der Firma Gegenstand einer Regelung im Insolvenzplan sein kann.
Fortsetzungsbeschluss: Personen- ebenso wie Kapitalgesellschaften gelten als mit der 40 Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 131 Abs. 1 HGB; § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG; § 101 GenG); sie werden kraft des Eröffnungsbeschlusses zur Liquidationsgesellschaft. Soll der Geschäftsbetrieb fortgesetzt und das restrukturierte Unternehmen saniert werden, ist ein Fortsetzungsbeschluss erforderlich, durch den die Gesellschaft wieder zu einer werbenden Gesellschaft wird. Dieser Umstand begründete vor Inkrafttreten des ESUG erhebliches Obstruktionspotential für die Alt-Gesellschafter, weil diese den Fortsetzungsbeschluss schlicht verweigern konnten. Da der Insolvenzplan insoweit gemäß § 249 InsO unter die Bedingung eines wirksamen Fortsetzungsbeschlusses zu stellen war, konnte der Plan ohne Mitwirkung der Gesellschafter nicht bestätigt werden. Dem hat das ESUG durch die Einführung des § 225a Abs. 3 InsO und der Formfiktion des § 254a Abs. 1 InsO abgeholfen. Der Fortsetzungsbeschluss kann im Insolvenzplan (form)wirksam gefasst werden.
Geschäftsanteil (Abtretung und Einziehung): siehe Rz. 33 „Anteilsübertragung 41 (Schuldner)“.
Geschäftsanteil (Teilung, Zusammenlegung): Auch die Teilung und Zusammenlegung 42 von Geschäftsanteilen ist durch Festsetzung im Insolvenzplan möglich. Die Form gilt nach § 254a Abs. 1 InsO als gewahrt. Zu Einzelheiten siehe Rz. 33 („Anteilsübertragung“).
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Geschäftsführer (Abberufung, Neubestellung): siehe Rz. 48 „Organe“.
Geschäftsordnung: Der Insolvenzplan kann ebenso vorsehen, dass für die Organe 44 des Schuldners eine Geschäftsordnung erlassen wird. Dies kann insbesondere im Zusammenhang mit einem Debt-Equity-Swap Sinn machen, wenn die Gläubiger ihren Einfluss über einen bestehenden oder zu installierenden Beirat auch im Tagesgeschäft sichern und Zustimmungserfordernisse für die Geschäftsführung im Innenverhältnis festschreiben wollen; siehe auch Rz. 36 „Aufsichtsrat (in der GmbH)/Beirat“.
Grundlagengeschäfte: siehe Rz. 50 „Satzungsänderung“.
Kaduzierung: Der Insolvenzplan kann auch die Kaduzierung (§ 21 GmbHG) von Ge- 46 schäftsanteilen vorsehen, wenn einzelne Gesellschafter ihrer Verpflichtung zur Leistung der Stammeinlage nicht oder nicht vollständig nachgekommen sind. Dies kann insbesondere wegen der weiteren Rechtsfolgen der Haftung von Rechtsvorgängern (§ 22 GmbHG) oder der Mithaft der übrigen Gesellschafter für die rückständige Stammeinlage (§ 24 GmbHG) von praktischem Nutzen sein. Der Fristsetzung gegenüber dem säumigen Gesellschafter nach § 21 Abs. 1 GmbHG bedarf es nicht. Die
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___________ 81) Vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 63 ff.
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§ 31
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Frist soll den säumigen Gesellschafter vor dem vorschnellen Ausschluss aus der Gesellschaft schützen und ihn in die Lage versetzen, diesen durch fristgerechte Leistung der säumigen Einlage abzuwenden. Eine Abwendungsbefugnis für den Verlust des Geschäftsanteils gibt es im Insolvenzplanverfahren aber ohnehin nicht, da der Plan nach § 225a Abs. 3 InsO die Einziehung des Geschäftsanteils jedenfalls vorsehen kann. Wo die mit der Frist zu eröffnende und bezweckte Abwendungsbefugnis aber ins Leere läuft, ist auch die Frist entbehrlich. Der Nachteil für den säumigen Gesellschafter liegt einzig darin, dass das aus seiner Säumnis folgende Recht zu seiner vom Regelgesellschafter abweichenden Behandlung auch die Rechtfertigung für die Herausnahme aus der Gruppe der übrigen Gesellschafter und für die Einordnung in eine eigene Gruppe liefert (§ 222 Abs. 1 InsO). Da es im Insolvenzplanverfahren jedoch nur ein Gleichbehandlungsgebot innerhalb der jeweiligen Gruppe (§ 226 Abs. 1 InsO), nicht aber ein allgemeines, gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot gibt,82) eröffnet die Säumnis mit der Stammeinlage eine Ungleichbehandlung dieses Gesellschafters gegenüber den übrigen Gesellschaftern. Eine Überprüfung findet dann erst i. R. des Obstruktionsverbots (§ 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO) statt. Im Übrigen hat der säumige Gesellschafter ausreichend Gelegenheit, auf eine abweichende Behandlung im Plan zu reagieren. Der Insolvenzplan ist nach § 234 InsO auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Nach § 235 Abs. 2 InsO wird die Bestimmung des Erörterungs- und Abstimmungstermins öffentlich bekannt gemacht und dabei darauf hingewiesen, dass der Plan auf der Geschäftsstelle eingesehen werden kann. Die Änderung des Plans und der Gruppeneinteilung ist im Abstimmungstermin noch möglich, § 240 InsO, weshalb der säumige Gesellschafter seine auf die Säumnis zurückgehende abweichende Behandlung mit ausreichender Frist durch Zahlung vor dem Erörterungsund Abstimmungstermin auch im Insolvenzverfahren abwenden kann. 47
Nachschüsse: Soweit die Satzung des Schuldners Nachschusspflichten auch grundsätzlich beschränkt haftender Gesellschafter83) vorsieht, kann ein zu deren Anforderung nötiger Gesellschafterbeschluss im Insolvenzplan gefasst werden. Auf satzungsgemäße Mehrheitserfordernisse kommt es nicht an (vgl. § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO).
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Organe: In dem Insolvenzplan kann auch die Abberufung und Neubestellung von Organen, soweit gesellschaftsrechtlich zulässig, vorgesehen werden. Fiel in die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters früher ausschließlich das Recht, Anstellungsverträge mit Organen zu beenden, nicht aber das Recht, Organe abzuberufen oder zu bestellen bzw. solche Änderungen zum Handelsregister anzumelden, so ist diese Kompetenz nunmehr vom Verdrängungsbereich II, also von der verdrängenden Kompetenzzuweisung an die Beteiligtenversammlung, die über den Insolvenzplan abstimmt, ohne weiteres gedeckt. Mit der Bestätigung des Insolvenzplans werden die im Plan vorgesehene Abberufung eines Organs und eine etwaig gleichzeitige Neubestellung wirksam. Die Anmeldung zum Handelsregister kann der Insolvenzverwalter vornehmen (§ 254a Abs. 2 InsO). Die gesellschaftsrechtliche Abberufung hat keinen Einfluss auf den bestehenden Dienstvertrag mit dem Organ. Da dieser auch von § 116 InsO nicht erfasst wird,84) muss der Insolvenzverwalter eine Kündigung nach § 113 Satz 1 InsO in der Höchstfrist von drei Monaten (§ 113 Satz 2 InsO) aussprechen. Die Bezüge bis zum Auslauf der Kündigungsfrist sind Masseverbindlichkeiten, Ersatzansprüche wegen der vorzeitigen Beendigung gegenüber einer Mindestvertragslaufzeit sind gemäß § 113
___________ 82) Vgl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 226 Rz. 1. 83) Vgl. z. B. §§ 27 f. GmbHG; für PersG: BGH v. 9.2.2009 – II ZR 231/07, ZIP 2009, 864; für Genossenschaft: BGH v. 13.10.2008 – II ZR 229/07, ZIP 2008, 2261 = WuM 2008, 736. 84) OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, ZInsO 2001, 43; Ahrendt, in: HambKomm-InsO, § 116 Rz. 6.
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Satz 3 InsO Insolvenzforderung im Rang des § 38 InsO bei einem Fremdgeschäftsführer und im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer (vgl. § 39 Abs. 5 InsO).
Prokura: Die Erteilung von Prokura ist keine gesellschaftsrechtliche Maßnahme, son- 49 dern ein Akt der Geschäftsführung. Bei der Prokura i. S der §§ 49 ff. HGB handelt es sich um eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht mit gesetzlich bestimmtem Umfang. Maßnahmen der Geschäftsführung sind allerdings von § 225a Abs. 3 InsO nicht erfasst, weshalb die Einräumung von Prokura i. R. des Insolvenzplans nicht wirksam möglich ist.
Satzungsänderung: Unabhängig von gesellschaftsvertraglichen Mehrheitserfordernissen 50 (vgl. § 238a InsO), Sonderstimmrechten o. Ä. sind i. R. des Insolvenzplans auch Satzungsänderungen jeder Art möglich. Eine inhaltliche Begrenzung des Katalogs möglicher Satzungsänderungen gibt es nicht. Insbesondere ist, wie einleitend erläutert, ein Massebezug für die Satzungsänderung nicht erforderlich. Auch Grundlagengeschäfte85) sind hiervon nicht ausgenommen. Die Grenzen der Satzungsfreiheit für Zuständigkeitsverlagerungen (vgl. z. B. § 45 GmbHG), die bei einer die Gesellschafterversammlung bis zur Bedeutungslosigkeit aushöhlenden Selbstentmündigung grundsätzlich überschritten ist und den individuellen Kernbereich der Gesellschafterversammlung schützen soll,86) gelten hier in Ansehung der Stimmrechtsausübung gerade nicht. Das Gesellschaftsrecht wird insoweit vom Insolvenzrecht überlagert. Selbstverständlich ist aber, da der Rahmen des Zulässigen durch die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit bestimmt wird, auch der Insolvenzplan nicht in der inhaltlichen Gestaltung der Satzung frei ist. Diese muss den gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an die Grenzen der Satzungsfreiheit genügen. Andererseits folgt aus der nur inhaltlichen Bindung an das Gesellschaftsrecht, dass für die Beschlussfassung über die Satzung auch gesellschaftsrechtliche Mehrheitserfordernisse und Quoren außer Betracht bleiben. Die Regularien der Abstimmung, das Erreichen nötiger Quoren und die Frage der Wirksamkeit eines Beschlusses richten sich ausschließlich nach Insolvenzrecht, hier insbesondere nach §§ 245, 251, 253 InsO.87)
Teilung von Geschäftsanteilen: siehe Rz. 42 „Geschäftsanteil (Teilung/Zusammenle- 51 gung)“.
Treuepflicht, gesellschaftsrechtliche: Der Fall „Suhrkamp“ hat die Diskussion auf- 52 geworfen, ob die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in das Insolvenzverfahren fortwirkt und das Stimmverhalten der Gesellschafter innerhalb ihrer Plangruppe zu beeinflussen vermag. Eine höchstrichterliche Klärung steht nach wie vor aus. Die wohl h. A.88) geht derzeit aber – zu Recht – davon aus, dass die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenz-, jedenfalls im Insolvenzplanverfahren unbeachtlich ist und keinen Einfluss auf das Stimmverhalten, die Gruppenbildung oder etwaig erforderliche Mehrheitsquoten hat und haben kann.89) Wie andernorts ausgeführt,90) dient das Insolvenz-
___________ K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 2, 4, 178 ff. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 10. So auch OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018; Haas, NZG 2012, 961, 965; Thole, ZIP 2013, 1937 ff.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 283; Hölzle, EWiR 2013, 589; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953; Pape, ZInsO 2013, 2129, 2136; Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1700; Eidenmüller, NJW 2014, 17, 18; wohl auch Brinkmann, ZIP 2014, 197, 201. 89) Dagegen Schäfer, ZIP 2013, 2237; H. F. Müller, DB 2014, 41, 44; diff., nämlich für ein Fortbestehen der Treuepflicht allerdings mit inhaltlicher Beschränkung Spliedt, ZInsO 2013, 2155; Stöber, ZInsO 2013, 2457, 2463; Meyer, ZInsO 2013, 2361, 2367. 90) Hölzle, ZIP 2013, 1846. 85) 86) 87) 88)
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verfahren als Korrelat der Haftungsbeschränkung in erster Linie den Interessen der Gläubiger. Es ist daher vornehmlich auf deren Befriedigung ausgerichtet und folgt damit einem wertbezogenen Schutzzweck.91) Mit diesem an den Gläubigerinteressen ausgerichteten Schutzzweck ist es nicht vereinbar, dass den Gesellschaftern mit ihren im Grundsatz nachrangigen Forderungen (§ 199 Satz 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht vorrangige Einflussnahmemöglichkeiten eingeräumt werden, die sich auf das Befriedigungsergebnis der Gläubiger insgesamt auswirken können. Wie in § 238a InsO unzweifelhaft zum Ausdruck kommt, erschöpft sich das Beteiligungsrecht der Gesellschafter im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern ebenso wie im Verhältnis untereinander in dem an der Höhe der Beteiligung am statutarischen Kapital ausgerichteten Stimmrecht.92) Jede andere Auffassung würde außerdem zu unpraktikablen Ergebnissen führen, da das Insolvenzgericht dann gehalten wäre, in dem Erörterungs- und Abstimmungstermin über den Insolvenzplan (§ 235 InsO) auch Fragen der Stimmrechtsbefugnisse am Maßstab der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu prüfen. Damit aber kann das Insolvenz(plan)verfahren nicht belastet werden, da die Pflicht zu einer solchen Prüfung auch die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach sich ziehen müsste, was den Planvollzug ins Ungewisse verlagern könnte. Gerade die Erhöhung der Planungssicherheit aber war eines der vorrangigen Ziele des ESUG-Gesetzgebers, das auch bei der Nichtberücksichtigung von gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten Beachtung finden muss. 53
Umwandlung: Dass der Insolvenzplan unter dem ESUG auch eine Umwandlung als gesellschaftsrechtliche Maßnahme unabhängig von der Beschlussfassung in einer Gesellschafterversammlung grundsätzlich vorsehen kann, steht außer Zweifel93) und ist zwischenzeitlich auch in der Rechtsprechung anerkannt.94) Soweit durch die Umwandlung Nachteile für einzelne, mehrere oder alle Gesellschafter entstehen, ist bei der Prüfung, ob es sich i. S. der §§ 251, 253 InsO um einen beachtlichen Nachteil handelt, große Sorgfalt auf die Bildung des hypothetischen Vergleichsszenarios zu legen, da die Alternative zum Insolvenzplan mit Umwandlung nicht ein anderer Insolvenzplan, sondern allein die Liquidation ist.95) Auch die umwandlungsrechtlich der Beteiligung von insolventen Rechtsträgern entgegengebrachten Bedenken greifen bei einer Umwandlung i. R. eines Insolvenzplans nicht durch, wenn und soweit die insolvente Gesellschaft durch den Plan uno actu bilanziell saniert und deren Fortsetzung beschlossen wird.96) Auch die Ausgliederung als Alternative zum Asset-Deal ist dank § 225a Abs. 3 InsO möglich97) und als Gestaltungsalternative auch ernstlich in Betracht zu ziehen, solange die steuerlichen Folgen einer Insolvenzplan gestützten Sanierung infolge des Fortfalls des Sanierungserlasses ungeklärt sind (siehe unten Rz. 104 ff.).98)
54
Versammlung (Gesellschafter- oder Hauptversammlung): Die Durchführung einer Gesellschafter- oder Hauptversammlung zur Fassung gesetzlich vorgeschriebener Beschlüsse (z. B. Feststellung des Jahresabschlusses; siehe Rz. 38) ist entbehrlich, da
___________ 91) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 283. 92) Hölzle, EWiR 2013, 589. 93) Vgl. z. B. Simon/Brünkmans, ZIP 2014, 657; Madaus, ZIP 2012, 2133; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 45 f. 94) OLG Bremen v. 2.5.2016 – 2 W 23/16, ZIP 2016, 1480. 95) Dazu ausf. Hölzle, ZIP 2014, 1819, mit entsprechender Kritik an BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442. 96) Madaus, ZIP 2012, 2133, 2135 ff. 97) Dazu Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975; Simon/Brünkmans, ZIP 2014, 657. 98) Ausf. Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510.
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sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung im Insolvenzplan nach § 254a Abs. 1 InsO formwirksam substituiert werden können. An die Stelle der Gesellschafterbzw. Hauptversammlung tritt im Insolvenzverfahren die Beteiligtenversammlung nach §§ 235 ff. InsO.
WpÜG: Handelt es sich bei dem Schuldner um eine börsennotierte AG (Börsennotie- 55 rung erfordert eine Notierung im geregelten Markt; die Notierung im Freiverkehr reicht nicht aus), so würden grundsätzlich auch bei einer Anteilsübertragung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens die Regularien des WpÜG gelten. Erlangt ein Gläubiger z. B. i. R. eines Debt-Equity-Swaps mindestens 30 % der Stimmrechte an dem Schuldner und erwirbt er somit i. S. des § 29 Abs. 2 WpÜG die Kontrolle über das Unternehmen, so wäre er grundsätzlich verpflichtet, den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot zu unterbreiten. Der Gesetzgeber hat es versäumt, die Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens mit denen des WpÜG zu verzahnen. Das WpÜG dient dem Schutz der Kleinaktionäre, das Insolvenzverfahren dem Schutz der gesamten Gläubigerschaft. Die Interessen des Eigenkapitals treten im Insolvenzverfahren allerdings notwendigerweise hinter den Interessen des Fremdkapitals zurück, wie sich eindeutig aus § 39 Abs. 1 Nr. 5, §§ 44a, 199 InsO ergibt. Der Minderheitenschutz im Insolvenzplanverfahren wird überdies durch §§ 251, 253 InsO abschließend99) geregelt. Der Schutzzweck des WpÜG muss daher hinter den insoweit vorrangigen Schutzzielen des Insolvenz- und des Insolvenzplanverfahrens zurücktreten. Für die Anwendung des WpÜG verbleibt daher kein Raum.100) Äußerst vorsorglich ist der Planverfasser jedoch gehalten, im Falle der Tatbestandserfüllung einen Antrag auf Befreiung von der Angebotspflicht nach § 37 WpÜG zu stellen.
IV.
Sonderfall: Debt-Equity-Swap
1.
Debt-Equity-Swap als Gestaltungsmittel und als Maßnahme der Sanierung vor ESUG
Der Debt-Equity-Swap ist keine Erfindung des ESUG. Zwar fehlt es in Bezug auf § 225a 56 Abs. 2 Satz 1 InsO, der die Zulässigkeit der Umwandlung von Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner ausdrücklich vorsieht, an einer Vorgängerregelung, jedoch war der Debt-Equity-Swap selbstverständlich auch vor Einführung dieser mehr klarstellenden Klausel als Sanierungsmittel bekannt und als Gestaltungsinstrument i. R. eines Insolvenzplanverfahrens grundsätzlich möglich.101) Das ESUG hat jedoch mit der Aufnahme der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte einschließlich des DebtEquity-Swaps in den „Verdrängungsbereich II“ (siehe oben Rz. 25) und damit in den förmlichen Gestaltungsbereich des Insolvenzplanverfahrens zunächst einmal zwei wesentliche Risiken des Debt-Equity-Swaps als Gestaltungsmittel beseitigt. Die Blockademacht der Alt-Gesellschafter102) ist einerseits durch deren Einbeziehung als Gläubigergruppe, die dem Obstruktionsverbot des § 245 InsO unterliegt, und andererseits durch die Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses nach § 225a Abs. 2 Satz 3 Alt. 4 InsO ausgeschlossen. Andererseits besteht das vor 2012 überbordende Risiko der Differenzhaftung im Falle eines Scheiterns der Sanierung nach der Neufassung des § 254 Abs. 4 InsO nicht mehr, wonach Ansprüche der Gesellschaft wegen einer Überbewertung der in Eigenkapital umzuwandelnden Forderungen später grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden können.103) ___________ 99) 100) 101) 102) 103)
Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018. I. E. so auch Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519; Thies, in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 45. Vgl. z. B. K. Schmidt, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Teil 1, I., Rz. 372 ff. Vgl. z. B. Eidenmüller, ZIP 2010, 649. Vgl. z. B. Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
57 Allerdings ist der Debt-Equity-Swap vor Geltung des ESUG überwiegend als Instrument der außer- bzw. vorinsolvenzlichen Sanierung diskutiert worden.104) Hierbei bot er sich insbesondere für ungesicherte Gläubiger an, weil dem Risiko des Totalausfalls eine überproportionale Gewinnchance in der Rolle als künftiger Gesellschafter einerseits gegenüberstand und andererseits das Risiko, den durch etwaige Sicherheiten repräsentierten Wert zu verlieren, nicht besteht, wo gesicherte Gläubiger durch den Debt-Equity-Swap ihre Sicherheiten einbüßen, weil mit Wegfall der Gläubigerforderung infolge des Akzessorietätsprinzips auch die Sicherheit untergeht.105) Da ein zu Sanierungszwecken durchzuführender Debt-Equity-Swap i. d. R. nicht aus dem genehmigten Kapital erfolgen konnte, das seit dem MoMiG mit § 55a GmbHG auch für die GmbH möglich ist,106) weil dieses maximal i. H. von 50 % des Grund- bzw. Stammkapitals gewährt werden kann, war zur Durchführung des Debt-Equity-Swaps die mehrheitliche (mindestens 75 %) Zustimmung der Alt-Gesellschafter erforderlich. Zwar konnte die Zustimmungspflicht von Minderheitsgesellschaftern grundsätzlich aus der Girmes-Rechtsprechung hergeleitet werden,107) jedoch hatte die Anfechtungsklage eines Alt-Gesellschafters, auch wenn im Ergebnis erfolglos, zunächst eine Registersperre zur Folge. Eine solche Registersperre war jedoch geeignet, den Erfolg der Sanierung nachhaltig zu vereiteln. Jedenfalls i. R. von Insolvenzplanverfahren war die praktische Bedeutung von Debt-Equity-Swaps daher gering. 58 Die Vorstellung des ESUG-Gesetzgebers, dass sich dies mit den vorgesehenen Änderungen grundlegend ändern und auch der Debt-Equity-Swap zu einem adäquaten Sanierungsinstrument in der Insolvenz werde, hat sich in einigen Großverfahren bereits bestätigt.108) 2.
Ablauf eines Debt-Equity-Swaps
59 In der Regel erfolgt, da der Debt-Equity-Swap als Sanierungsmittel zunächst eine Buchsanierung voraussetzt, im ersten Schritt eine Kapitalherabsetzung – im Insolvenzfall im Regelfall auf Null –, die regelmäßig im vereinfachten Verfahren nach §§ 58a ff. GmbHG durchgeführt wird.109) Im Anschluss wird eine Kapitalerhöhung beschlossen (Kapitalschnitt). 60 Die Kapitalerhöhung erfolgt als Sachkapitalerhöhung durch Einbringung der in Eigenkapital umzuwandelnden Forderungen der Gläubiger (zur Notwendigkeit der Aufbringung des Mindeststammkapitals als Barkapitalerhöhung siehe unten Rz. 71).110) Die Einbringung der Gläubigerforderung geschieht rechtstechnisch entweder im Wege des Verzichts (§ 387 BGB) oder durch Abtretung der Forderung an die Gesellschaft mit der
___________ 104) M. Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299; Drouven/Nobiling, DB 2009, 1895. 105) Vgl. z. B. Schlitt/Ries, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrechts, Kap. 9 Rz. 10. 106) Dazu i. E. Schnorbus/Donner, NZG 2009, 1241. 107) Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; Priester, ZIP 2010, 497 (im Detail zu der weitergehenden Rspr. des BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289). 108) Pleister, GWR 2013, 220; zum Fall „Pfleiderer“ Decher/Voland, ZIP 2013, 103. 109) Vgl. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541; zum Kapitalschnitt i. A. Arnold/Spahlinger/Maske-Reiche, in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 1 Rz. 236 ff. 110) Dass es sich hierbei um eine Sachkapitalerhöhung handelt, entspricht ständiger Rspr., vgl. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 f. = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 341 f. = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 93 f. = ZIP 1992, 995; BGH v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141 = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos). Ausf. zu den möglichen Gestaltungen Löbbe, in: Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 423, 430 ff.
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap
Rechtsfolge des Erlöschens der Forderung durch Konfusion.111) Dass sich die Forderung gegen die Gesellschaft selbst richtet, hindert ihre Einlagefähigkeit nicht.112) Vor dem Inkrafttreten des MoMiG waren eigenkapitalersetzende Forderungen i. S. der 61 §§ 32a, 32b GmbHG (bis einschließlich 31.10.2008) nicht einlagefähig.113) Daran ist für Gesellschafterforderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO festzuhalten.114) Es ist nämlich zu vergegenwärtigen, dass eine Beteiligung auch der Alt-Gesellschafter an der einer Kapitalherabsetzung nachfolgenden Kapitalerhöhung i. R. eines Verfahrens nach § 225a Abs. 2 InsO zu einem insolvenzrechtlichen Wertungswiderspruch führen würde. Während nämlich Drittgläubiger ihre Forderungen zum Nennwert (vgl. dazu sogleich) umwandeln können und hierfür Gesellschaftsanteile erhalten, können die Alt-Gesellschafter mit ihren i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangigen Forderungen i. R. des Debt-Equity-Swaps nicht gleichrangig behandelt werden. Dies ist unabhängig davon, dass seit Inkrafttreten des MoMiG Forderungen aus einem Gesellschafterdarlehen nach der Rechtsprechung des BGH nicht mehr in der Durchsetzung blockiert, sondern eben nur nachrangig sind.115) Die insolvenzrechtliche Rangordnung stellt nämlich nicht auf die Durchsetzbarkeit der Forderung ab, sondern regelt die Befriedigungsreihenfolge. Aus diesem Grunde ist eine wertkongruente Behandlung nicht nachrangiger und nachrangiger Insolvenzforderungen mit der Nominale ausgeschlossen. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Einbringung nur i. H. des Teilwerts (also regelmäßig der Quotenerwartung) und nicht der Nominale zulässt (siehe hierzu sogleich Rz. 77 ff.). Da nämlich auf die nachrangigen Insolvenzforderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO regelmäßig überhaupt keine Quote entfällt, könnten diese Forderungen nur mit einem Einbringungswert von Null belegt werden, was ihre Einlagefähigkeit ausschließt.116) Ob die Einlagefähigkeit einer Forderung aus Gesellschafterdarlehen aber bereits aus formalen oder erst aus materiellen Gründen ausscheidet, ist für die Praxis gleichgültig. Sie ist jedenfalls nicht möglich. Die Beteiligung der Alt-Gesellschafter an einem Debt-Equity-Swap i. R. eines Insolvenz- 62 planverfahrens ist daher ausgeschlossen. Den Alt-Gesellschaftern kann jedoch unter engen Voraussetzungen die Beteiligung an der Kapitalerhöhung durch Bareinlage aus dem Gesichtspunkt des Schutzes der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG zu ermöglichen sein (siehe oben Rz. 12). Neben den Regelungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans, die unter einem geson- 63 derten Abschnitt zusammengefasst werden sollten, bedarf es außer der beglaubigten Anmeldung der Kapitalmaßnahmen zum Handelsregister durch den Insolvenzverwalter (§ 254a Abs. 2 Satz 3 InsO) keiner weiteren Formerfordernisse. Insbesondere ist die notarielle Beurkundung des Insolvenzplans bzw. der gesellschaftsrechtlichen Erklärungen nicht erforderlich. Den im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Erklärungen ist lediglich der Beschluss über die Fortsetzung der Gesellschaft, der ebenfalls im gestaltenden Teil des Insolvenzplans gefasst werden kann (§ 225a Abs. 3 InsO), voranzustellen.
___________ Ausf. Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 = ZIP 1990, 156. Vgl. Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5 Rz. 28, dort Fn. 95. A. A. Leitzen, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, § 5 Rz. 93 f.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 21; K. Schmidt, ZGR 2012, 566, 580 f. 115) BGH v. 26.1.2009 – II ZR 217/07, ZIP 2009, 662. 116) I. E. ebenso Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 21.
111) 112) 113) 114)
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§ 31 3.
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Zustimmungserfordernis der betroffenen Gläubiger
64 Noch im Diskussionsentwurf zum ESUG vom 29.6.2010 war eine Änderung des § 230 InsO vorgesehen, wonach dem § 230 Abs. 2 InsO der Satz angefügt werden sollte: „Die Zustimmung des Gläubigers, der keine persönliche Haftung übernehmen soll, gilt als erteilt, wenn 1. der Insolvenzverwalter oder der Schuldner ihm die geplante Maßnahme schriftlich erläutert und ihn dabei aufgefordert hat, binnen einer Frist von mindestens 2 Wochen seine Zustimmung zu erklären, und 2. der Gläubiger innerhalb der Frist nicht schriftlich geantwortet hat, obwohl er bei der Aufforderung auf die Rechtsfolge eines solchen Verhaltens hingewiesen worden ist.“ 65 Im Referentenentwurf vom 25.1.2011 und im Regierungsentwurf vom 23.2.2011 war eine entsprechende Änderung des § 230 InsO dann nicht mehr vorgesehen. Die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung ist schließlich auch nicht Gesetz geworden. Grund hierfür waren dem Vernehmen nach nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, einen Gläubiger zwangsweise in die Gesellschafterrolle drängen zu können, sondern auch massive Widerstände von Seiten der institutionellen öffentlich-rechtlichen Gläubiger, allen voran der Finanzverwaltung und der Sozialversicherungsträger, die sich nicht der Notwendigkeit ausgesetzt sehen wollten, künftig regelmäßig auf entsprechende Hinweisschreiben eines Insolvenzverwalters reagieren zu müssen, um sich nicht in der Gesellschafterrolle wiederzufinden. Der Organisationsaufwand, den jeweils fristgerechten Widerspruch zu gewährleisten, schien zu groß, als dass eine entsprechende Regelung hätte toleriert werden können. 66 Die sodann Gesetz gewordenen Regelungen sehen daher eine Möglichkeit des cram down, anders als es z. B. das englische Vorbild tut, nicht vor. Es verbleibt damit in Fällen, in denen gerade eine Vielzahl kleiner Forderungen von Anleihegläubigern in die finanzwirtschaftliche Restrukturierung einbezogen werden soll, bei einem Akkordstörpotenzial durch die betroffenen Gläubiger.117) Auch im deutschen Recht wäre eine Regelung zur zwangsweisen Durchsetzung des Debt-Equity-Swaps bei Vorliegen eines entsprechenden Abstimmungsquorums (75 %) zu begrüßen gewesen.118) 67 Die Übertragbarkeit der Girmes-Rechtsprechung, in der aus gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten die Zustimmungsverpflichtung zu einer Sanierungsmaßnahme auch mit gesellschaftsrechtlicher Auswirkung hergeleitet wurde,119) auf eine Zustimmungspflicht von Gläubigern zu einer entsprechenden Maßnahme dürfte zweifelhaft sein. Einzig denkbare Rechtsgrundlage für eine Zustimmungspflicht wäre § 241 Abs. 2 BGB, aus dem sich jedoch eine schuldvertragliche Nebenpflicht zur Zustimmung zu einem Debt-Equity-Swap nur im Ausnahmefall wird herleiten lassen. Einen solchen Ausnahmefall könnte z. B. die Insolvenzforderung des stillen Gesellschafters nach § 236 Abs. 1 HGB darstellen, da sich der stille Gesellschafter mit seiner Verlustbeteiligung bereits in eine gesellschafterähnliche Stellung begeben hat, was eine erweiterte Verpflichtung zur Beteiligung an der Sanierung und ggf. die Übertragbarkeit der für eine OHG bereits ergangenen Rechtsprechung120) nach sich ziehen könnte und im Geiste des ESUG auch nach sich ziehen sollte.121) ___________ 117) Gerade eine solche Gestaltung lag dem Fall der Deutschen Nickelwerke AG zugrunde, die ihren Sitz nach England verlegt hat, um einen Debt-Equity-Swap für Anleihegläubiger zwangsweise durchsetzen zu können (vgl. dazu Eidenmüller, Finanzkrise, Wirtschaftskrise und das Deutsche Insolvenzrecht, S. 8; Paulus, DB 2008, 2523 f.; Weller, ZGR 2008, 835). 118) So auch Bork, ZIP 2010, 397, 409 ff.; Hölzle, KTS 2011, 291, 323. 119) Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819. Im Nachgang weitergehend BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289; dazu Priester, ZIP 2010, 497. 120) BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289; dazu Priester, ZIP 2010, 497. 121) Zur Einbeziehung der stillen Gesellschafter in den Anwendungsbereich der Regeln über die Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO), soweit es sich um atypische stille Beteiligungen handelt, vgl. OLG Köln v. 27.10.2011 – I-18 U 34/11, ZIP 2011, 2208, dazu EWiR 2012, 27 (Hölzle).
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap 4.
Anrechnungsbetrag und Haftung
4.1
Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung
Nach GmbH-Recht ist eine Unterpari-Emission, also die Ausgabe von Gesellschaftsan- 68 teilen im Wege der (Sach-)Kapitalerhöhung zu einem Wert oberhalb des Werts des eingelegten Vermögensgegenstands, unzulässig122) und führt nach (dennoch erfolgter) Eintragung der Kapitalerhöhung (jedenfalls) zu Differenzhaftungsansprüchen der Gesellschaft gegen ihre(n) Gesellschafter, § 19 GmbHG.123) Dies hat der BGH mit Beschluss vom 22.3.2010124) für die verdeckte (gemischte) Sacheinlage noch einmal eindrucksvoll bestätigt: Zu § 19 Abs. 4 GmbHG in der seit dem 1.11.2008 (MoMiG) geltenden Fassung führt er aus, dass auf den Teil der Gegenleistung der Gesellschaft, der den Nominalbetrag der Bareinlage übersteigt, §§ 30, 31 GmbHG Anwendung finden können, wenn im Zeitpunkt der verdeckten gemischten Sachkapitalerhöhung eine Unterbilanz bestand oder die Gesellschaft sogar bilanziell überschuldet war. Dabei geht der BGH davon aus, dass die verdeckte Sacheinlage von dem Versuch der 69 Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln gekennzeichnet ist.125) Bei einer UnterpariEmission scheint ein solcher Versuch ebenfalls auf der Hand zu liegen, wenn sehenden Auges ein Anrechnungsbetrag oberhalb des Teilwerts festgesetzt wird. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung besteht der Zweck der Kapitalaufbringungsregeln darüber hinaus nicht allein darin, sicherzustellen, dass der Wert der eingebrachten Sachen oder Forderungen den Wert der dafür gewährten Kapitalbeteiligung (bilanziell) abdeckt;126) vielmehr zielt die Kapitalerhöhung gerade (auch) – über den Erhalt des gebundenen Kapitals hinaus – auf eine effektive Mehrung des Gesellschaftsvermögens;127) jedenfalls erweckt sie diesen (berechtigten) Eindruck bei den beteiligten Verkehrskreisen. Und um deren Schutz geht es, da Kapitalaufbringungsschutz nun einmal zu allererst Gläubigerschutz ist.128) Um den Debt-Equity-Swap im Insolvenzplanverfahren dennoch praktikabel zu machen, 70 hat der Gesetzgeber das Einlage- und Differenzhaftungsrisiko für die Neugesellschafter regeln müssen, da sich anderenfalls keine Verbesserung gegenüber dem bereits zuvor möglichen (freiwilligen) Debt-Equity-Swap129) eingestellt hätte, für den es an einem solchen Haftungsprivileg gerade fehlt,130) was regelmäßig prohibitive Wirkung hatte. Diesem Anspruch an ein praxistaugliches Rechtsinstitut hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 254 Abs. 4 InsO Rechnung tragen wollen, wonach im Anschluss an die Bestätigung des Insolvenzplans Ansprüche gegen die Gesellschafter wegen einer Überbewertung der ein___________ 122) BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 195; Schwandtner, in: MünchKomm-GmbHG, § 5 Rz. 49. 123) Winter/Westermann, in: Scholz, GmbHG, § 5 Rz. 34; Ulmer/Casper, in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 5 Rz. 176. 124) BGH v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, ZIP 2010, 978, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel). 125) Vgl. BGH v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), ZIP 2007, 178. 126) Priester, in: FS Maier-Reimer, 2010, S. 525, 533 ff., will das allerdings grundsätzlich genügen lassen und die Lösung i. Ü. nicht über die Kapitalaufbringung, sondern über die Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften herstellen. 127) So instruktiv Kleindiek, ZGR 2011, 334, 346. 128) Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, Einl. Rz. 136. 129) Die Möglichkeit der Einbringung von Forderungen des Inferenten gegen die Gesellschaft im Wege der Sacheinlage entspricht einhelliger Meinung, vgl. stellvertretend BGH v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, ZIP 2000, 2021, dazu EWiR 2001, 325 (Rawert). 130) Nach der Rspr. des BGH ist auch bei einem Debt-Equity-Swap – wie bei der Einbringung einer Forderung gegen Dritte – der objektive Wert der einzubringenden Forderung maßgeblich für die Höhe des Anrechnungsbetrags und im Falle der Überschuldung der Gesellschaft ein entsprechender Wertabschlag vorzunehmen, vgl. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = ZIP 1990, 156; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = ZIP 1991, 511.
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gebrachten Forderungen nicht geltend gemacht werden können. Mit dem Ausschluss allein von Differenzhaftungsansprüchen hat der Gesetzgeber noch keine Entscheidung über die zulässige Höhe des Anrechnungsbetrags und eine etwaige Beschränkung auf den Teilwert getroffen. 4.2
Aufbringung des Mindestnennkapitals durch Bareinlage?
71 Wird der Debt-Equity-Swap im Verfahren der erleichterten Kapitalherabsetzung nach §§ 58a ff. GmbHG bzw. §§ 229 ff. AktG durchgeführt, so ist in der Literatur bislang weitgehend unbeachtet geblieben, dass eine Kapitalherabsetzung unter das Mindeststammbzw. -grundkapital kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG bzw. in § 229 Abs. 3 AktG i. V. m. § 228 Abs. 1 AktG grundsätzlich nur i. V. m. einer Barkapitalerhöhung zulässig ist.131) Da die Einlage von Forderungen aber Sacheinlage ist, wäre eine vereinfachte Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung ausschließlich im Wege des Swaps nicht möglich, sondern es müsste zwingend eine gemischte Bar-/Sachkapitalerhöhung erfolgen. Jedenfalls das Mindeststamm- bzw. Mindestgrundkapital ist nämlich grundsätzlich in bar aufzubringen. Ein etwaig überschießender Kapitalerhöhungsbetrag kann sodann durch Sacheinlage,132) also unproblematisch auch im Swap aufgebracht werden. 72 Der Gesetzgeber hat im Zuge der Eröffnung des Debt-Equity-Swaps im Insolvenzplanverfahren offensichtlich übersehen, dass jedenfalls für diesen besonderen Fall der Sachkapitalerhöhung eine Befreiung von § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG sinnvoll und nötig gewesen wäre. Jedenfalls lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, dass dem Ausschluss einer ausschließlichen Wiederherstellung auch der Mindestkapitaleinlage durch Debt-Equity-Swap eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde liegt. 73 § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG dienen dem Gläubigerschutz. Durch die Vorschriften soll sichergestellt werden, dass das gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapital nicht durch stets mit Bewertungsrisiken behaftete Sacheinlagen aufgebracht und damit die Gefahr begründet wird, dass der reale Wert der Einlage das Mindestkapital unterschreitet. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist dieser Gläubigerschutz gerechtfertigt und zwingend zu berücksichtigen. Ob dem aber auch im Insolvenz(plan)verfahren Geltung zukommt, darf bezweifelt werden. Der Schutz der Alt-Gläubiger vollzieht sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der insolvenzrechtlichen Verteilungsordnung. Durch den Debt-Equity-Swap werden die daran nicht teilnehmenden Alt-Gläubiger zudem wirtschaftlich begünstigt, weil die swappenden Gläubiger mit ihren grundsätzlich quotenberechtigten Forderungen freiwillig in den Rang des § 199 Satz 2 InsO zurücktreten und somit an dem Verteilungsverfahren nicht weiter teilnehmen. Sie tauschen die Quotenaussicht zum Vorteil der übrigen Gläubiger in eine künftige Gewinnerwartung. Ein Schutz der Alt-Gläubiger durch die Vorschriften über die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist daher nicht von Nöten. 74 Auch die etwaigen Neugläubiger der Gesellschaft bedürften jedoch keines besonderen Schutzes durch Aufbringung des Mindestkapitals in bar. Durch den Debt-Equity-Swap kann eine Vermögensunterdeckung, d. h. ein bilanzieller Eigenkapitalausweis oberhalb der tatsächlich durch Aktivvermögen gedeckten Kapitalziffer nicht erfolgen (siehe dazu ausführlich Rz. 77 ff.). Das Risiko einer Täuschung der Neugläubiger und des Rechtsverkehrs wird nicht begründet, weil diese regelmäßig die Bonität der Gesellschaft nicht nach ___________ 131) Zum Ganzen wie hier Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 70 ff. 132) Vgl. Priester, in: Scholz, GmbHG, § 58a Rz. 40; Oechsler, in: MünchKomm-AktG, § 228 Rz. 7 f.
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dem historisch eingetragenen Satzungskapital, sondern nach dem aktuellen Eigenkapital beurteilen.133) Erfordert also i. R. eines im Insolvenzplanverfahren durchgeführten Debt-Equity-Swaps 75 weder der Schutz der Alt- noch derjenige der Neu-Gläubiger der Gesellschaft eine Barkapitalerhöhung bis zur Höhe der Mindestkapitalziffer und liegt nach einem Blick in die Gesetzesbegründung zu § 225a InsO nahe, dass der Gesetzgeber eine Befreiung von § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG schlicht übersehen hat, so ist der Anwendungsbereich dieser Vorschriften teleologisch zu reduzieren und sind diese auf den Fall des Debt-Equity-Swaps im Insolvenzplanverfahren nach § 225a Abs. 2 InsO nicht anzuwenden. Eine entsprechende Klarstellung des Gesetzgebers wäre jedoch mehr als wünschenswert. Folgt man der hier vertretenen Auffassung von einer gebotenen teleologischen Reduktion 76 von § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG für den Fall des Debt-Equity-Swaps im Insolvenzplanverfahren mit der Folge von deren Unanwendbarkeit nicht, wäre eine Kapitalerhöhung ausschließlich im Wege des Swaps rechtlich unzulässig, und wäre ein Plan, der einen Debt-Equity-Swap ohne Barkapitalerhöhung auf die Mindestkapitalziffer vorsähe, nicht annahmefähig i. S. des § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Er müsste durch das Gericht zurückgewiesen werden. 4.3
Anrechnungsbetrag
Der Gesetzgeber hat § 254 Abs. 4 InsO offenbar die Bedeutung beigemessen, dass zwar 77 eine Anrechnung der eingebrachten Forderungen (nur) zum Teilwert erfolgen solle, dass aber der spätere Streit über die Richtigkeit der Bewertung der eingebrachten Forderungen vermieden und dem Inferenten so Rechtssicherheit gewährt werden soll. Anderenfalls hätte es, dies zur Erinnerung, nicht des Hinweises in der Gesetzesbegründung auf die Einholung eines Wertgutachtens134) zur Bestimmung des Anrechnungsbetrags bedurft. Dementsprechend wird herrschend in der Literatur auch vertreten, dass die Einbringung der Forderungen zum Nennwert praktisch ausgeschlossen135) und eine entsprechende Wertberichtigung der Forderungen im Insolvenzplan in jedem Fall erforderlich sei.136) Mag diese Aussage auf den ersten Blick auch das leitgebende Motiv des Gesetzgebers für sich haben, so ist sie in dieser Absolutheit jedoch nicht vertretbar.137) Sinn und Zweck der Kapitalaufbringungs- und der Kapitalerhaltungsregeln ist nach der 78 ständigen und über Jahre stetig weiter ausdifferenzierten Rechtsprechung des BGH der Schutz des Rechtsverkehrs und der mit der in haftungsbeschränkender Rechtsform am Markt auftretenden Gesellschaft in Geschäftsbeziehung tretenden Gläubiger.138) Diese sollen wegen der ihnen nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Möglichkeit, Einsicht in die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Geschäftspartners zu nehmen, jedenfalls darauf vertrauen dürfen, dass das statutarische Stammkapital wirksam aufgebracht, im ___________ Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 24; Schall, ZGR 2009, 126 ff. Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 48. Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044. Etwa Meyer/Degener, BB 2011, 846, 849; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 642; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044 f.; Rühle/Ober, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 225a Rz. 36. 137) In diesem Sinne etwa Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238, 242 ff.; Eidenmüller, in: Habersack/ Mülbert/Nobbe/Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129, 149; Maier-Reimer, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, Bd. 17, 2012, S. 107, 113 ff.; Wansleben, WM 2012, 2083, 2086 ff.; Thies, in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 24; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 24. 138) Dazu ausf. m. w. N. Hölzle, ZIP 2009, 1939. 133) 134) 135) 136)
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Unternehmen erhalten und die Gesellschaft nicht insolvenzreif, das ausgewiesene und aufzubringende Stammkapital also tatsächlich durch Vermögen gedeckt ist. 79 Übertragen auf den Fall der Sachkapitalerhöhung scheint dies zunächst zu erfordern, dass der Kapitalerhöhungsbetrag wirksam aufzubringen ist. Doch welche Anforderungen sind an eine wirksame Aufbringung in Fällen einer Sachkapitalerhöhung durch Debt-EquitySwap zu stellen? Die Besonderheit des Debt-Equity-Swaps liegt nämlich darin, dass es im Vermögen der Gesellschaft und dessen handelsbilanzieller Abbildung lediglich zu einem bloßen Passivtausch kommt, der die Gefahr einer Aufblähung der Bilanz und der Vorspiegelung eines in Wahrheit nicht gegebenen Verlustdeckungspotenzials gar nicht in sich trägt und bereits buchhalterisch nicht begründen kann.139) 80 Folgendes, stark vereinfachtes Bilanzbeispiel möge dies verdeutlichen: Aktiva
Passiva
AV
40
EK
UV
60
Verbindlichkeit
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag
30 120
50 150
150
Anm.: Die Darstellung nach Ausweis des statutarischen Kapitals auf der Passivseite und des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages auf der Aktivseite ist nicht üblich und hier nur aus darstellerischen Gründen gewählt, weil dadurch die vermögensrechtlichen Auswirkungen des DES auf Ebene des Eigenkapitals deutlicher hervorgehoben werden können.
81 Kommt es i. R. eines Insolvenzplanverfahrens für diese stark überschuldete Beispielsgesellschaft zu einem Debt-Equity-Swap und werden Gläubigerforderungen i. H. von 100 zum Debt-Equity-Swap zur nominalen Anrechnung zugelassen, so vollzieht sich dies wie folgt: Zunächst ist i. R. eines Kapitalschnitts das Stammkapital auf Null herabzusetzen. Es ist zu buchen Stammkapital 30 an Rücklage aus Kapitalherabsetzung 30.140) Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag reduziert sich hierdurch auf 20. Im nächsten Schritt verzichten die Gläubiger der Gesellschaft i. H. von 100 auf ihre Forderungen oder treten diese mit der Rechtsfolge ihres Untergangs im Wege der Konfusion an die Gesellschaft ab. Es ist zu buchen: Verbindlichkeiten 100 an Eigenkapital 100. Hierdurch wird der verbliebene, nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag i. H. von 20 vollständig ausgeglichen und es wird ein neues Stammkapital i. H. von 80 aufgebracht. Die (vereinfachte) Bilanz stellt sich wie folgt dar: Aktiva
Passiva
AV
40
EK
80
UV
60
Verbindlichkeit
20
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag
0 100
100
82 Daraus aber wird deutlich, was zu vergegenwärtigen ist, dass auch die Festsetzung des Anrechnungsbetrags zur Nominale ihre Grenze in den tatsächlichen Bilanzwerten des (noch) vorhandenen Gesellschaftsvermögens findet und der Anrechnungsbetrag nicht gleich dem neu auszuweisenden Kapital ist, weil durch die Einbringung buchhalterisch ___________ 139) So sehr instruktiv Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238; ebenso Eidenmüller, in: Habersack/ Mülbert/Nobbe/Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129 ff. 140) Förschle/Hoffmann, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 272 HGB Rz. 31 ff.
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zunächst immer der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag, also frühere Verluste ausgeglichen werden.141) Diese früheren Verluste sind aber gerade Abbild der Verbindlichkeiten, die jetzt zur Umwandlung in Eigenkapital verwendet werden, also mit diesen vollständig kongruent sind. Der bloße Passivtausch i. R. des Debt-Equity-Swaps führt deshalb stets dazu, dass das neu ausgewiesene Kapital auch durch Vermögen tatsächlich gedeckt ist, wodurch eine informatorische Fehlleitung142) künftiger Gesellschaftsgläubiger von vornherein ausgeschlossen ist. Auch die grundsätzlich berechtigte Auffassung, wonach die Kapitalerhöhung gerade (auch) 83 darauf abzielt, – über den Erhalt des gebundenen Kapitals hinaus – eine effektive Mehrung des Gesellschaftsvermögens herbeizuführen,143) steht dem in dieser besonderen Konstellation nicht entgegen. Denn leitendes Motiv auch für diese Auffassung ist der Gläubigerschutz, da die Gläubiger auf eine entsprechende Kapitalzuführung sollen vertrauen dürfen. Der Debt-Equity-Swap aber gefährdet diese Gläubigerinteressen in keiner Weise. Ganz im Gegenteil: Durch den Debt-Equity-Swap treten die ihre Forderungen einbringenden Gläubiger freiwillig in den Rang des § 199 Satz 2 InsO zurück. Dies grundsätzlich zum Vorteil aller übrigen gegenwärtigen wie zukünftigen Gläubiger, weil sie die Swappenden als konkurrierende Gläubiger verlieren,144) die ihre gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen gegen eine bloße Geschäftschance eintauschen,145) die sich nur realisieren kann, wenn und soweit sämtliche Gläubiger befriedigt oder jedenfalls aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen sind. Bilanziell ist die Vermögensmehrung daher tatsächlich in nomineller Höhe abgebildet und bildet auch den Maßstab für die künftige Kapitalbindung, die durch das MoMiG wieder deutlich auf die bilanzielle Betrachtungsweise zurückgeführt worden ist.146) Die (bilanzielle) Kapitalbindung der Gesellschafter in der Zukunft ist aber Spiegelbild des vermögensrechtlichen Gläubigerschutzes, weshalb eine bilanzielle Vermögensmehrung beim reinen Passivtausch von Fremd- in Eigenkapital ausreichend ist. Einen Grund, die Zulässigkeit des Debt-Equity-Swaps im Insolvenzplanverfahren auf den 84 Teilwert der einzubringenden Forderungen zu beschränken, gibt es daher ebenso wenig wie eine Veranlassung, ein – kostenträchtiges – Gutachten über deren Werthaltigkeit einzuholen. Es besteht nach alledem keine Rechtfertigung aus dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung, den Debt-Equity-Swap nicht zur Nominale zuzulassen. Soweit es dadurch zu einer nominellen Überbewertung kommt, sind Differenzhaftungsansprüche der Gesellschaft gegen den (neuen) Gesellschafter infolge einer fehlenden auch materiellen Überbewertung zu Recht nach § 254 InsO ausgeschlossen.147) Ungeachtet der dogmatischen Richtigkeit der Anrechnung der einzulegenden Forderung 85 zur Nominale ist in der Praxis aber dennoch der sicherste Weg zu gehen und ist die bislang wohl h. M. auch auf den Debt-Equity-Swap i. R. des Insolvenzplanverfahrens anzu___________ 141) Insoweit erscheint der ansonsten sehr instruktive Praxisbericht von Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, buchhalterisch verfehlt und bilanziell fehlerhaft, was sich sodann auch auf die inhaltliche Richtigkeit der zum Handelsregister abgegebenen Erklärungen auswirken muss, vgl. dazu sogleich Rz. 103 und Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 41 ff. 142) Zu den informatorischen Grundlagen der Kapitalerhaltungsgrundsätze vgl. Hölzle, ZIP 2011, 650; Hölzle, ZIP 2010, 913; Hölzle, ZIP 2009, 1939. 143) Vgl. Kleindiek, ZGR 2011, 334, 346. 144) So ausdrücklich auch Löbbe, in: Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 423, 427. 145) Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238; ebenso Eidenmüller, in: Habersack/Mülbert/Nobbe/ Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129 ff. 146) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 26, 41 f.; dazu ausf. Hölzle, GmbHR 2007, 729. 147) Anders die bisher h. M. zum Debt-Equity-Swap, die jedoch zu überdenken ist. Im Ergebnis ebenso Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238; ebenso Eidenmüller, in: Habersack/Mülbert/Nobbe/ Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129 ff.
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wenden. Nur hierdurch bleiben Zeitverluste durch langwierige Beschwerde- und Obstruktionsverfahren vermieden. Tatsächlich ist in den bislang bekannten größeren Verfahren, in denen es zu einem Debt-Equity-Swap kam oder kommen soll, auch so verfahren worden.148) 86 Die Befolgung des Gebots des sichersten Weges führt dann zwangsläufig zu einer Anrechnung der Forderung nur zum Teilwert und damit zu der Notwendigkeit der Wertfestsetzung und ihrer Erläuterung.149) Maßgeblich ist der Wert der Forderung im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister.150) Problematisch ist insoweit die weitere Frage, ob vom Fortführungs-151) oder vom Liquidationswert152) auszugehen ist. Dabei kann es richtigerweise nur auf die im Einzelfall höhere Quotenerwartung ankommen, weil maßgeblich i. R. des Insolvenzplanverfahrens nur die hypothetisch optimale Verwertung zuzüglich des Wertes von für die Forderung unanfechtbar bestellten Sicherheiten153) sein kann.154) 4.4
Berücksichtigung von Sicherheiten155)
87 Kritik hat die hier vertretene Auffassung von der Einlagefähigkeit der Gläubigerforderung im Debt-Equity-Swap zur Nominale erfahren, weil hierdurch der Wert von für die Forderung bestellten Sicherheiten unbeachtet bliebe. Soweit nämlich jeder Gläubiger im Rang des § 38 InsO seine Forderung zur Nominale einbringen könne, führe dies zu einer Sozialisierung von Absonderungsrechten, da die Einbringung der Forderung des gesicherten Gläubigers gegen Gewährung von Anteilsrechten letztlich einem Verzicht auf die Sicherheit zugunsten der Gläubigergesamtheit gleichkomme.156) 88 Dieses Problem stellt sich tatsächlich nur dann, wenn der Planarchitekt der hier vertretenen Auffassung von der Nominalanrechnung folgt. In diesem Fall jedoch steht es dem Gläubiger frei, nur mit dem nach Verwertung des Absonderungsrechts unbesichert verbleibenden, überschießenden Teil seiner Forderung an einem Debt-Equity-Swap teilzunehmen. Da der Swap nur mit Zustimmung des Gläubigers möglich ist, steht es ihm auch frei, nur mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung zu swappen. 89 Allerdings kann im Plan selbstverständlich vorgesehen werden, dass die Möglichkeit des Swaps nur solchen Gläubigern angeboten wird, die mit ihrer gesamten Forderung an dem Swap teilnehmen. In diesem Fall wäre der Gläubiger gefordert, sich zu entscheiden. Da es jedoch keinen Anspruch auf Teilhabe an dem Debt-Equity-Swap gibt,157) bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass im Plan entsprechende Opfer von den swappenden Gläubigern erwartet werden. In der Sache scheint dies auch richtig: Die swappenden Gläubiger entscheiden sich, ihre Erlös- bzw. Quotenerwartung gegen ein unternehmerisches Risiko und eine Gewinnoption einzutauschen. Dies verlangt eine konsequente Gläubigerentscheidung, welche den regelmäßig kompromisslosen Wechsel von der Fremd- auf die Eigenkapitalseite gebietet. ___________ 148) 149) 150) 151) 152) 153) 154) 155) 156) 157)
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Vgl. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 87 f. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 25. Veil, in: Scholz, GmbHG, § 5 Rz. 58. Etwa K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087; Merten, Die neue Insolvenzrechtsreform 2012 (ESUG), S. 78. So etwa Altmeppen, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 15; Kleindiek, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 555 f.; Simon, CFL 2010, 488, 451; Priester, DB 2010, 1445, 1448; Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1699. Zu deren Bewertung Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318, 2323. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 25 m. w. N. Wie hier: Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 97 ff. Brinkmann, Bespr. Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, ZIP 2012, 39. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 31.
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Geht der Planarchitekt demgegenüber den sicheren Weg und sieht er eine Anrechnung 90 der einzubringenden Forderung nur zum Teilwert vor, bestimmt sich der Teilwert nach dem Wert der unanfechtbar bestellten Sicherheit aus dem Vermögen des Schuldners (Absonderungsrecht) und der Quotenerwartung, wobei die Quote auf den Nominalbetrag bis zur vollständigen Befriedigung der Forderung geltend gemacht werden kann.158) Hat der Gläubiger seine auf diese Art bewertete Forderung eingebracht, so erlischt sie. 91 Da die Besicherung von Einlageforderungen wegen des Verbots der Einlagerückgewähr (§ 30 GmbHG, § 57 AktG) unzulässig ist, setzt sich die Sicherheit auch nicht im Wege der Surrogation an der Einlageforderung fort. Der Vermögensgegenstand ist frei von Absonderungsrechten und steht dem Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. Problematischer ist dies für Drittsicherheiten, die dem Gläubiger nicht aus dem Gesell- 92 schaftsvermögen, sondern von dritter Seite (Alt-Gesellschafter etc.) zur Verfügung gestellt worden sind. Diese Fälle haben für den Planarchitekten insbesondere Bedeutung, wenn es sich um Sicherheiten aus einem Konzernverbund (z. B. Grundschulden oder Garantien von Tochter- und Schwestergesellschaften) handelt und der unkoordinierte Zugriff auf diese von dritter Seite gestellten Sicherheiten vermieden bleiben soll, um den Zusammenbruch des Gesamtkonzerns zu verhindern. Grundsätzlich gilt, dass Drittsicherheiten von den Regelungen des Plans unbeeinträchtigt 93 bleiben (§ 254 Abs. 2 InsO). Rechte gegenüber Bürgen, Mitschuldnern und aus dinglichen Drittsicherheiten können auch nach einem Forderungsschnitt im Insolvenzplanverfahren auf Ebene des Schuldners gegen den Drittsicherungsgeber aus der Drittsicherheit geltend gemacht werden. Dogmatischer Ansatzpunkt dafür ist die Annahme, dass die gegen den Schuldner nicht mehr durchsetzbaren Forderungen nicht erlöschen, sondern als unvollkommene Verbindlichkeiten fortbestehen.159) Würden die Gläubiger mit Drittsicherheiten in einer Gläubigergruppe zusammengefasst und dort der Zugriff auf die Drittsicherheit beschränkt, würde jeder auch mittelbare Eingriff in die Drittsicherheit durch den Plan zu einem Verlust des Obstruktionsverbots führen, weil die Gläubiger stets i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO darlegen könnten, ohne den Plan besser zu stehen. Da auch zu erwarten ist, dass die Gläubiger einem solchen, ihre Drittsicherheiten beschränkenden Plan nicht zustimmen, wäre der Plan gescheitert. Würden die Gläubiger mit Drittsicherheiten, die hinsichtlich ihrer Rechtsstellung gegen- 94 über dem Schuldner keine besondere Rechtsposition einnehmen, nicht in einer eigenen Gläubigergruppe zusammengefasst, sondern der Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger (§ 38 InsO) zugeordnet, könnte die Gruppe bei Kopf- und Summenmehrheit dem Plan noch zustimmen. Auf das Obstruktionsverbot käme es nicht an, die Gläubiger mit Drittsicherheiten wären minorisiert. Um jedoch einen Zugriff auf die (z. B. aus dem Konzernverbund gestellten) Drittsicher- 95 heiten einzuschränken, muss der Plan für die Gesamtgruppe eine andere Lösung als den Verzicht auf den nicht durch Quotenauszahlung gedeckten Teil der Forderung vorsehen. In diesem Fall nämlich bliebe es bei der Entstehung einer unvollkommenen Verbindlichkeit, die nach § 254 Abs. 2 InsO den Zugriff auf die Drittsicherheit eröffnet lässt. Alternativ könnte der Plan aber z. B. vorsehen, dass die Gläubiger nicht auf ihre Forderungen verzichten, sondern diese im Wege des Forderungskaufs zu einem Kaufpreis i. H. der Quote auf einen Treuhänder durch Abtretung übertragen. Mit der (Zwangs-)Zession gingen die Nebenrechte und Sicherheiten nach § 401 BGB (ggf. analog) auf den Treuhänder über, der sodann über deren Verwertung und ggf. die Einbringung i. R. eines Debt-Equity-Swaps ent___________ 158) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 254 Rz. 9 a. E. 159) Vgl. zuletzt BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
scheidet. Den Gläubigern mit Drittsicherheiten wäre der Zugriff auf die Sicherheiten entzogen. 96 Den zu erwartenden Widersprüchen und Beschwerden dieser Gläubiger nach §§ 252, 253 InsO könnte nach § 251 Abs. 3 InsO dadurch begegnet werden, dass der Plan Mittel i. H. des Werts der Drittsicherheiten zum Ausgleich etwaiger Nachteile bereitstellt. Dann müsste zwar der Wert der Sicherheit dem betroffenen Gläubiger (selbstverständlich) entschädigt bzw. vergütet werden, jedoch liegen die Art und der Zeitpunkt der Verwertung in der Hand des Treuhänders. Ein unkoordinierter Zugriff auf die Drittsicherheiten und die damit verbundenen Risiken für mit dem Schuldner verbundene Unternehmen blieben vermieden. 4.5
Verbleibendes Haftungspotenzial
97 Ungeachtet der Tatsache, dass die Sachkapitalerhöhung i. R. eines Debt-Equity-Swaps bilanziell betrachtet nur bis zu dem Betrag des Bilanzwerts der Aktiva abzüglich etwaig verbleibender Passiva durchgeführt werden kann, also stets und jedenfalls die bilanzielle Vermögensdeckung des neu geschaffenen Eigenkapitals sichergestellt ist, verbleibt es dennoch dabei, dass bei ausschließlich wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine reale Einlageleistung auf den Kapitalerhöhungsbetrag nicht stattgefunden hat, sondern sich die Kapitalerhöhung letztlich aus dem bilanziellen Wegfall ohnehin wertloser Verbindlichkeiten speist. 98 Gerade diese wirtschaftliche Betrachtungsweise hat der II. Zivilsenat des BGH160) aber zum Ausgangspunkt seiner Rechtsprechung im Eigenkapitalersatzrecht gemacht, als er die wirtschaftliche Neugründung einer Gesellschaft in Fällen der Mantelverwendung und der Vorratsgründung den Kapitalaufbringungsvorschriften unterwarf. In seiner Grundlagenentscheidung aus dem Jahre 2003161) zur Übertragung der Kapitalaufbringungsgrundsätze bei der Verwendung einer Vorratsgesellschaft auch auf Mantelgesellschaften hat er ausgeführt, dass wesentliche Ratio des von ihm entwickelten Haftungsinstituts der wirtschaftlichen Neugründung der aus dem Anspruch der Rechtsordnung an das einmal real aufzubringende Stammkapital gekoppelte Schutz der im Rechtsverkehr mit der betreffenden Gesellschaft in Rechtsbeziehungen tretenden künftigen Gläubiger ist. Wörtlich heißt es im 3. Leitsatz des Beschlusses: „Die reale Kapitalaufbringung ist sowohl bei der Mantelverwendung als auch bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft durch entsprechende Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung – bezogen auf den Stichtag der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht – sicherzustellen.“ Weiter heißt es in den Beschlussgründen: „In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften mit der Folge, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet ist.“ 99 Wäre der Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung auf den Debt-Equity-Swap nach einem Kapitalschnitt i. R. eines Insolvenzplans zu übertragen, so ist fraglich, ob die an der Bewertungsvorschrift des § 9 GmbHG orientierte Haftungsnorm des § 254 InsO auch eine Haftung wegen der fehlenden, jedenfalls fehlend nachgewiesenen Kapitalaufbringung insgesamt erfasst. Tatbestandlich erfordert eine wirtschaftliche Neugründung i. S. der Rechtsprechung des BGH, dass (1) eine unternehmenslose Gesellschaft wiederbelebt wird (2) durch Ausstattung mit einem neuen Unternehmen ___________ 160) BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698, dazu EWiR 2003, 967 (Keil); BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251, dazu EWiR 2003, 327 (Keil); zuletzt BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting). 161) BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698.
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Anteilsinhaber, Debt-Equity-Swap (3) bei gleichzeitigem Eintritt neuer Gesellschafter und (4) der Auswechslung der Geschäftsführung.162)
Alle diese Tatbestandsmerkmale ließen sich unter den hier zu beurteilenden Fall subsu- 100 mieren, da eine nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG kraft Gesetzes aufgelöste Gesellschaft durch Fortsetzungsbeschluss wiederbelebt, rechtlich also neu gegründet und im Wege einer finanz- und leistungswirtschaftlichen Sanierung neu aufgestellt wird, was nicht selten einer weitgehenden Neugestaltung des unternehmerischen Rahmens gleichkommt. Durch den Kapitalschnitt werden die Gesellschafter ausgetauscht, was in aller Regel auch einen Wechsel in der Geschäftsführung nach sich zieht, insbesondere, wenn es in den Augen der Gläubiger bzw. Investoren um die Auswechslung der insolvenzverursachenden Geschäftsführer geht. Mit der Anmeldung der Fortsetzung der Gesellschaft und der Kapitalerhöhung zum 101 Handelsregister gerät das Registergericht damit ggf. in die Pflicht, die Anmeldung als wirtschaftliche Neugründung qualifizieren und – unbeschadet einer nach Vorstehendem nicht erforderlichen Werthaltigkeitsprüfung der eingebrachten Forderungen – eine vollständige Gründungsprüfung verlangen zu müssen. § 254 Abs. 4 InsO hilft dabei über das bei formeller Unterpari-Emission real nicht aufgebrachte Stammkapital nicht hinweg, da diese Vorschrift nur die Differenzhaftung der neuen Gesellschafter ausschließt,163) nicht aber das Gebot der realen Kapitalaufbringung für grundsätzlich verzichtbar erklärt. Die Verzichtbarkeit folgt indes aus der Ratio der Vorschriften über die wirtschaftliche Neugründung, die nach der Auffassung des BGH einzig gläubigerschützende Zwecke verfolgt und die Umgehung der Kapitalaufbringungsvorschriften verhindern soll.164) Da eine solche Umgehung jedoch im Fall des Debt-Equity-Swaps nicht droht, weil es wegen der im Falle des Passivtauschs gewährleisteten Vermögensdeckung nicht auch zu einer materiellen Unterpari-Emission kommt, besteht nach dem Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der wirtschaftlichen Neugründung im konkreten Fall kein Anwendungsbedarf. Anders ist dies nur dann zu beurteilen, wenn die Bilanzbuchwerte der Handelsbilanz auf 102 Aktivseite die wahre Vermögenslage der Gesellschaft nicht mehr zutreffend abbilden, insbesondere weil bestehender Wertberichtigungsbedarf bilanziell nicht umgesetzt wurde. In diesem Fall nämlich kann es, wie die obigen (verkürzten) Bilanzbeispiele zeigen, sehr wohl zu einer Aufblähung der Bilanz und zu der Vorspiegelung eines tatsächlich nicht gegebenen Verlustdeckungspotenzials der sanierten Gesellschaft kommen. Dies wiederum führt zur vollen Anwendbarkeit der Regeln über die wirtschaftliche Neugründung, worüber auch § 254 InsO nicht hinweghelfen kann, weil der Debt-Equity-Swap dann nicht an der Haftung der Neugesellschafter, sondern bereits an der Verweigerung der Eintragung durch das Registergericht scheitert. Die Beteiligten tun daher gut daran, in den Anlagen zum Insolvenzplan die Validität der verbliebenen Handelsbilanzwerte z. B. durch Beifügung des Inventarisierungs- und Bewertungsgutachtens zu dokumentieren. Ein weiteres Problem ergibt sich im Zusammenhang mit der Eintragung, weil der Ge- 103 schäftsführer nach § 8 GmbHG bei Anmeldung der Fortsetzung der Gesellschaft und der Kapitalerhöhung zu versichern hat, dass die Stammeinlagen bzw. die i. R. der Sachgründung eingebrachten Gegenstände zu seiner endgültig freien Verfügung stehen. Das aber ist bei einer formellen Unterpari-Emission weder möglich noch richtig, weil er über die eingebrachten Forderungswerte, die anderenfalls nur mit einer Insolvenzquote ___________ 162) Grundlegend BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251; die Auswechslung der Geschäftsführung ist allerdings keine zwingende Voraussetzung, vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 3 Rz. 99. 163) Dies kommt insbesondere noch einmal in der Gesetzesbegründung und dem dort unterstellten Erfordernis der Einholung eines Wertgutachtens zum Ausdruck, Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 45. 164) BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698.
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bedient worden wären, gerade nicht in nominaler Höhe verfügen kann. Um hier Haftungsgefahren für den Geschäftsführer nach § 9a GmbHG und § 11 Abs. 2 GmbHG analog165) einerseits und Eintragungshindernisse andererseits zu vermeiden, sollte eine modifizierte Erklärung des Geschäftsführers zum Handelsregister empfohlen und akzeptiert werden, nämlich die Erklärung, dass das zur Deckung der neu aufgebrachten Stammeinlagen erforderliche Vermögen der Gesellschaft zu seiner freien Verfügung steht und den Wert des Stammkapitals tatsächlich deckt. Inhaltlich könnte die Erklärung wie folgt gefasst werden: „Die Gesellschaft hat einen Kapitalschnitt durch vereinfachte Kapitalherabsetzung auf Null und anschließende Kapitalerhöhung mit einem neuen Nennkapital in Höhe von […] beschlossen. Das neu gebildete Stammkapital ist durch Einbringung von Forderungen im Wege der Sacheinlage vollzogen worden (Debt-Equity-Swap). Das zur Deckung des neu gebildeten Kapitals vorhandene Vermögen steht zu meiner freien Verfügung.“ 5.
Steuerliche Folgen des Debt-Equity-Swaps
104 Während die gesellschaftsrechtlichen und die Haftungsprobleme im Zusammenhang mit dem Debt-Equity-Swap beherrschbar erscheinen, fehlt es an der Abstimmung des ESUG mit den steuerlichen Rahmenbedingungen (Einzelheiten siehe § 57 Rz. 1 ff., 125 ff.). 105 Der dem Debt-Equity-Swap regelmäßig vorausgehende Kapitalschnitt führt zwar grundsätzlich buchhalterisch zu einem außerordentlichen Ertrag. Dieser ist aber auf Ebene der Gesellschaft über § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 4 Abs. 1 EStG als Vorgang ausschließlich im Vermögensbereich außerbilanziell wieder zu korrigieren, so dass es insoweit nicht zur Besteuerung kommt.166) 106 Anders bei der anschließenden Kapitalerhöhung durch Debt-Equity-Swap. Da es sich hierbei letztlich um einen Forderungsverzicht handelt, finden die Grundsätze aus der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH167) aus dem Jahre 1997 Anwendung.168) Das heißt, dass eine steuerneutrale Einlage nur insoweit anzunehmen ist, als die in Eigenkapital umgewandelten Forderungen werthaltig sind, also nur i. H. des Teilwerts.169) Im Übrigen entsteht ein grundsätzlicher steuerpflichtiger außerordentlicher Ertrag.170) 107 Bis zum Beschluss des Großen Senats beim BFH vom 28.11.2016171) war unklar, ob hierauf der Sanierungserlass des BMF172) Anwendung findet. Dieser wurde nun durch den Großen Senat wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verworfen (siehe § 57 Rz. 103). Die nach dem BFH erforderliche gesetzliche Regelung ist mittlerweile mit § 3a EStG n. F., der im Wesentlichen dem Wortlaut der Verwaltungsvorschrift entspricht, geschaffen. Das Inkrafttreten dieser Norm, die rückwirkend alle Fälle ab dem 8.2.2017 erfasst, hängt noch von einer Prüfung der EU-Kommission ab, ob die Regelung entweder keine staatliche Beihilfe i. S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV oder bejahen___________ 165) BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761. 166) Vgl. z. B. BFH v. 10.8.2005 – VIII R 26/03, DStR 2005, 1807; BFH v. 29.7.1992 – I R 31/91, GmbHR 1993, 380. 167) BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, ZIP 1998, 471, dazu EWiR 1997, 1028 (Wilken). 168) Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983. 169) Ausf. Hölzle, FR 2004, 1193. 170) BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, ZIP 1998, 471; vgl. in ähnlichem Zusammenhang FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 2731/08, rkr. nach Rücknahme der Revision. 171) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482 = ZIP 2017, 338. 172) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 = ZIP 2003, 690.
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denfalls eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe darstellt.173) Wann dies so weit sein wird, ist unklar. Für die Handlungsmöglichkeiten in der Zwischenzeit und für die Behandlung der Altfälle siehe § 57 Rz. 105 und Hölzle/Kahlert174), die ein entsprechendes Gestaltungsmodell entwickelt haben. Auch in gesetzlicher Form stellt sich weiterhin die Frage, ob die durch einen Debt- 108 Equity-Swap erzeugten Sanierungsgewinne durch einen „Schuldenerlass“ erzeugt sind und somit am Steuererlass teilnehmen (siehe hierzu auch § 57 Rz. 103 und 193).175) Voraussetzung hierfür dürfte nach allgemein schuldrechtlicher Dogmatik sein, dass der Sanierungsgewinn insbesondere auf einem Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) oder einem Anerkenntnis über das Nichtbestehen (§ 397 Abs. 2 BGB) der Schuld beruht.176) Der im Wege der Einbringung zivilrechtlich auf seine Forderung verzichtende Gläubiger erhält als Gegenleistung Gesellschaftsrechte und damit eine Geschäftschance. Es könnte daher zu fragen sein, ob der Verzicht auf die Forderung zwar der zivilrechtlichen Konstruktion geschuldet, nicht aber für das Geschäft, das vielmehr als Austauschgeschäft zu werten wäre, prägend ist. Das eine schließt das andere jedoch nicht aus: Denn auch der Verzicht kann zivilrechtsdogmatisch um einer Gegenleistung willen ausgesprochen werden, so dass auf das Verhältnis von Verzicht und Gewährung von Gesellschaftsrechten die §§ 320 ff. BGB Anwendung finden.177) Da die ihre Forderungen einbringenden Gläubiger freiwillig in den Rang des § 199 InsO zurücktreten, sind Leistung und Gegenleistung jedenfalls auch nach Auffassung der Parteien nicht als gleichwertig einzustufen, weshalb das Verzichtselement deutlich überwiegt. Es sollte deshalb kein Zweifel daran bestehen, dass der Sanierungserlass auch auf einen Debt-Equity-Swap Anwendung findet. Richtigerweise sollte der konkrete Fall jedoch vor Bestätigung des Insolvenzplans durch eine verbindliche Auskunft abgesichert werden.178) Dass eine solche auch in der Zwischenphase wirksam erteilt werden kann, hat der Große Senat ausdrücklich festgestellt.179) Und ein Problem bleibt, ohne dass es zu lösen wäre: Der Eintritt der neuen Gesellschafter 109 führt zu einem Anteilseignerwechsel i. S. des § 8c KStG und damit zu einem (jedenfalls anteiligen) Untergang der bestehenden Verlustvorträge mit der Folge, dass auch Gewinne, die im Jahr (Veranlagungszeitraum) der Planbestätigung entstehen, unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem Anteilseignerwechsel realisiert sind,180) nicht mehr mit früheren Verlusten verrechnet werden können (siehe hierzu auch § 57 Rz. 194).181) Da das Sanierungsprivileg des § 8c Abs. 1a KStG nach einer Entscheidung der EU-Kommission vom 26.1.2011182) zunächst durch BMF-Schreiben und inzwischen auch gesetzlich suspendiert wurde,183) besteht derzeit auch keine sanierungsrechtliche Privilegierung für einen Debt___________ 173) Vgl. Art. 2 Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen, v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 174) Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510. 175) In der Literatur weitestgehend bejaht, vgl. Desens, FR 2017, 981, 983; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1538 f.; Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897, 1900; Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065, 1066; Krumm, in: Blümich, EStG, § 3a Rz. 20. 176) Vgl. Rz. 3 des Sanierungserlasses, BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/0, BStBl. I 2003, 240 = ZIP 2003, 690. 177) Schlüter, in: MünchKomm-BGB, § 397 Rz. 6. 178) Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983. 179) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482 = ZIP 2017, 338. 180) So jedenfalls die Auffassung der Finanzverwaltung, BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl. I 2008, 736, Rz. 31. 181) Hierstetter, DStR 2010, 882, 884. 182) Vgl. z. B. Ehrmann, DStR 2011, 5; Hackemann/Momen, BB 2011, 2135. 183) I. R. des BeitreibungsRL-UmsetzungsG, BT-Drucks. 17/6263, ist § 8c Abs. 1a KStG endgültig suspendiert worden, zum Gesetzentwurf vgl. Hörster, NWB 2011, 1690.
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Equity-Swap im Insolvenzplanverfahren. Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 28.6.2018184) die Entscheidung der EU-Kommission für rechtswidrig erklärt, jedoch ist damit – anders als vielfach kommentiert – keine materielle Entscheidung verbunden, dass ein sanierungsbedingter Steuererlass beihilfekonform wäre. Vielmehr hat der EuGH in den Mittelpunkt seiner Entscheidung die Feststellung gerückt, dass das Referenzsystem, an dem die Maßnahme zu prüfen ist, ausschließlich aus dem nationalen Recht entwickelt werden müsse. Daran fehlte es in der Kommissionsentscheidung, bzw. war von der Kommission ein fehlerhaftes Referenzsystem zugrunde gelegt worden, was den EuGH veranlasste, die Entscheidung aufzuheben. Eine verbindliche Aussage für die Zukunft ist damit allerdings (noch) nicht verbunden. Der Untergang der Verlustvorträge kann sich so nach wie vor als reales Sanierungshindernis auswirken, insbesondere wenn der Sanierungserlass gemäß § 3a EStG n. F. im Einzelfall, aus welchen Gründen auch immer, auf die Besteuerung der Einbringung der Forderungen i. R. des Debt-Equity-Swaps keine Anwendung finden sollte. V.
Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse der Alt-Gesellschafter
110 Der Gesetzgeber des ESUG sieht die Rechtfertigung der Einbeziehung von Mitgliedschaftsund Anteilsrechten in den Insolvenzplan im Wesentlichen darin, dass den Alt-Anteilsinhabern für den Fall, dass ihre Anteile noch werthaltig sein sollten, nach § 251 Abs. 3 InsO eine Entschädigung zuzusprechen ist, grundsätzlich aber davon auszugehen sei, dass die Anteile wertlos sind. Der verfassungsrechtlich gebotene Eigentumsschutz der betroffenen Anteilsinhaber werde durch die Regelungen zum Minderheitenschutz (§§ 245, 251 InsO) und zum Rechtsmittel gegen die Planbestätigung (§ 253 InsO) gewährleistet.185) 111 In der Rechtswirklichkeit dürften die Beteiligungsrechte der Gesellschafter aber regelmäßig leerlaufen. Wie in den Vorbildern des englischen und auch des US-amerikanischen Chapter 11-Verfahrens auch, ist die Durchführung eines Debt-Equity-Swaps i. R. eines Insolvenzplans von der Zustimmung der Alt-Gesellschafter de facto unabhängig.186) Zwar ist nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO für die Anteilseigner eine eigene Gläubigergruppe zu bilden, der nach § 238a InsO ein Stimmrecht nach Maßgabe (allein) ihrer Beteiligung am gezeichneten Kapital eingeräumt ist; jedoch werden die Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren wie nachrangige Gläubiger behandelt (§ 199 Satz 2 InsO) und wird insbesondere das Obstruktionsverbot gemäß § 245 Abs. 3 InsO auf die Gesellschafter erstreckt.187) Danach gilt die Zustimmung der Gruppe der Anteilseigner gemäß § 245 Abs. 1 InsO als erteilt, wenn
kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und
kein Anteilsinhaber, der ohne einen Plan den Anteilsinhabern der Gruppe gleichgestellt wäre, bessergestellt wird als diese.
112 Die Voraussetzung des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach eine Schlechterstellung durch den Plan nicht eintreten darf, dürfte in Person der Anteilsinhaber stets erfüllt sein, da die Beteiligung in der Alternative der sanierenden Übertragung oder der Zerschlagung wirtschaftlich unterginge, was sogar einen Totalverlust i. R. des Insolvenzplanverfahrens rechtfertigt.188) Insbesondere steht den Anteilseignern kein Anteil an dem durch den In___________ 184) 185) 186) 187) 188)
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EuGH v. 28.6.2018 – Rs. C-219/16 P, DStR 2018, 1434. Begr. RegE ESUG z. Nr. 14, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. Ebenso K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; Hölzle, KTS 2011, 291, 322; a. A. J. M. Schmidt, GWR 2010, 568. K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1608: „Die Dramatik dieses Ansatzes ist erheblich.“ So auch Brinkmann, WM 2011, 97, 99.
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solvenzplan im Vergleich zur Liquidation des Unternehmens realisierten Fortführungswert zu,189) weil sie sich nämlich durch die Aufnahme von Fremdkapital der insolvenzrechtlichen Vorrangregel unterworfen haben, weshalb die Beachtung des Obstruktionsverbots zur Wahrung ihrer Interessen ausreichend ist.190) Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Alt-Gesellschafter am Insolvenzplanverfahren zwar 113 formell beteiligt sind, jedoch im Ergebnis wenig Einfluss auf das Abstimmungsergebnis haben. Sie werden in einer eigenen Gläubigergruppe isoliert, wobei die Zustimmung dieser Gläubigergruppe unter den einfachen Voraussetzungen des § 245 InsO fingiert werden kann.191) Soweit die Alt-Gesellschafter oder einzelne von ihnen für sich reklamieren, dass die An- 114 teile – ohne Berücksichtigung eines Fortführungswerts – (noch) nicht wertlos gewesen seien und ihnen deshalb im Plan eine Abfindung zuzugestehen sei, hätte der Plan zwar grundsätzlich die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen (§ 251 Abs. 3 InsO); darauf bezogene Rechte können die Gläubiger jedoch allein und ausschließlich außerhalb des Plans geltend machen, wodurch die Vollziehbarkeit des Plans und damit die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme nicht gehindert wird. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans ist darüber hinaus durch § 253 InsO eingeschränkt. Insbesondere die Zulassungshürde des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO, wonach der Gesellschafter glaubhaft machen muss, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, dürfte für den AltGesellschafter schwer zu nehmen sein (siehe näher oben § 30 Rz. 26 f.).192) Darüber hinaus hat der Regierungsentwurf des ESUG durch den Rechtsausschuss auch in § 253 InsO noch eine Änderung in letzter Minute erfahren: § 253 InsO wurde nämlich durch einen Absatz 4 ergänzt, wonach eine sofortige Beschwerde auf Antrag des Insolvenzverwalters unverzüglich zurückzuweisen ist, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig erscheint, weil die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen. Die Regelung ist dem UMAG193) nachgebildet. Zeichnet sich der Widerstand der Alt-Gesellschafter gegen einen im Insolvenzplan vorge- 115 sehenen Debt-Equity-Swap ab, so wird der Insolvenzverwalter voraussichtlich beim zuständigen LG eine Schutzschrift entsprechend § 253 Abs. 4 InsO hinterlegen. Dabei wird i. d. R. davon auszugehen sein, dass die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen werden, weil die Rechte des Beschwerdeführers bereits der generellen Bewertung des § 199 InsO unterliegen und deshalb die Gläubigerinteressen vor den Gesellschafterinteressen im Insolvenzplanverfahren grundsätzlich Vorrang genießen. VI.
Formerfordernisse
Nach § 254a Abs. 2 InsO gelten sämtliche Maßnahmen i. S. des § 225a InsO und sämt- 116 liche Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen ___________ 189) Zur Frage, ob die Zuwendung eines Fortführungswerts durch Belassen der Gesellschafterstellung i. S. des § 245 InsO einen den Alt-Gesellschaftern zugewandten Vermögenswert darstellt, s. § 30 Rz. 44 ff. 190) So zu Recht Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657. 191) Im Ergebnis wie hier K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607: Die Gesellschafter werden in das gläubigerund unternehmensorientierte Insolvenzplanverfahren „hereingezwungen“. 192) Zum eingeschränkten Rechtsschutz auch Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. 193) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts – UMAG, v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802.
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zur Vorbereitung von Beschlüssen der Anteilsinhaber gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. In formeller Hinsicht bedarf es daher keiner weiteren Erfordernisse als der Aufnahme der entsprechenden Erklärungen in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans. 117 Dem Gebot der Übersichtlichkeit und der Bestimmtheit folgend, ist jedoch zu empfehlen, in den gestaltenden Teil einen eigenen Abschnitt zu den gesellschaftsrechtlichen Beschlüssen aufzunehmen. Dies erleichtert nicht nur für die am Insolvenzplanverfahren Beteiligten die Lesbarkeit des Plans und die Übersichtlichkeit in Bezug auf die mit dem Plan verbundenen Rechtsfolgen, sondern erleichtert auch dem Registergericht die registerrechtliche Kontrolle, nachdem der Insolvenzverwalter gemäß § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO die Änderungen angemeldet hat. Hinsichtlich der nach FamFG erforderlichen Formvoraussetzungen enthält § 254a InsO keine Erleichterung, so dass die notarielle Beglaubigung der vom Insolvenzverwalter berechtigterweise vorzunehmenden Anmeldung nach wie vor erforderlich bleibt. 118 Hinsichtlich des Inhalts der Anmeldung sollte insbesondere beim Debt-Equity-Swap berücksichtigt werden, dass hier eine modifizierte Erklärung erforderlich ist, folgt man der hier vertretenen Auffassung, wonach eine Umwandlung stets zum Nennwert der Gläubigerforderung erfolgen kann, darf und sollte (siehe oben Rz. 77 ff., 103). VII. Kollision mit schuldrechtlichen Vertragsklauseln 119 Nach Vorlage des Regierungsentwurfs zum ESUG hat es zum Teil erhebliche Kritik194) insoweit gegeben, als der Entwurf keine Regelung hinsichtlich der Wirkung von Changeof-Control-Klauseln195) enthalte, so dass für den Fall eines Kontrollwechsels durch Änderung der gesellschaftsrechtlichen Struktur den Vertragspartnern Sonderkündigungsrechte vorbehalten blieben, die den Sanierungszweck des Insolvenzplans vereiteln könnten. Wenn dieser Kritik auch Argumente entgegenzusetzen waren,196) so ist die durch den Rechtsausschuss in den Gesetzentwurf noch eingefügte Ergänzung des § 225a InsO um einen Absatz 4, wonach Kündigungsrechte auf Grundlage von Change-of-Control-Klauseln oder Change-of-Ownership-Klauseln ausgeschlossen werden, doch begrüßenswert. 120 Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehene gesellschaftsrechtliche Maßnahmen können daher keine ungewollten Folgen auf schuldrechtlicher Ebene in den Vertragsbeziehungen zu den bisherigen Lieferanten, Kunden und Kreditgebern der Gesellschaft begründen. Der Debt-Equity-Swap ist damit als finanzwirtschaftliches Sanierungselement im Insolvenzplanverfahren angekommen.
___________ 194) Statt vieler Brinkmann, WM 2011, 97, 101 f. 195) Dazu allg. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, 2515. 196) Vgl. Hölzle, NZI 2011, 124, 129.
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§ 32 Kreditrahmen Frege/Nicht
I.
Regelungsinhalt der §§ 264 ff. InsO und Bedeutung für die Unternehmenssanierung............................................. 2 1. Regelungsinhalt ............................................ 2 2. Normzweck der Kreditrahmenvorschriften – Bedeutung für die Unternehmenssanierung........................................ 7 3. Weitere Effekte für die Fortführungsfinanzierung................................................ 14 II. Tatbestandsmerkmale für eine Privilegierung von Darlehen ........................... 19 1. Forderung aus Darlehen ............................ 20 2. Forderungen aus sonstigen Krediten ........ 21 3. Kreditaufnahme durch die Insolvenzschuldnerin oder die Übernahmegesellschaft.................................................. 23
4.
Kreditaufnahme während der Überwachungsphase (sog. Neukredit).............. 24 5. Stehenlassen eines Massedarlehens (sog. Altkredit) .......................................... 25 6. Notwendige Festlegung eines Gesamtbetrags............................................ 27 III. Rechtliche Grenzen für den Darlehensvorrang ..................................... 28 IV. Notwendige Vereinbarung mit den Darlehensgebern und Bestätigung durch den Insolvenzverwalter................. 32 V. Behandlung von Gesellschafterdarlehen...................................................... 34 VI. Umfang der Privilegierung...................... 35 VII. Zeitpunkt der Privilegierung ................. 38 VIII. Öffentliche Bekanntmachung .............. 40
Literatur: Braun/Frank, Der Kreditrahmen gem. § 264 InsO als Finanzierungsinstrument des Sanierungsplans – Papiertiger oder weiterer „Kostenbeitrag“ für absonderungsberechtigte Gläubiger?, in: Kölner Schrift zur InsO, 3. Aufl., 2009, S. 809; Dinstühler, Kreditrahmenabreden gem. den §§ 264 ff. InsO, ZInsO 1998, 243; Heni, Funktionen und Konzeption insolvenzrechtlicher Planbilanzen, ZInsO 2006, 57; Jaffé/Friedrich, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Insolvenzstandorts Deutschland, ZIP 2008, 1849; Knof, Erfordert die Fortführungsfinanzierung (doch) einen Umverteilungstatbestand im Insolvenzrecht?, ZInsO 2010, 1999.
Das Gelingen einer Sanierung im Insolvenzverfahren – sei es durch Insolvenzplan und Ei- 1 genverwaltung oder auf „klassische Weise“ durch übertragende Sanierung – setzt regelmäßig voraus, dass dem insolventen Unternehmen frisches Kapital – zumeist in Form von Krediten – zur Verfügung gestellt wird, mit dem der Sanierungsplan umgesetzt werden kann.1) Diese wirtschaftliche Notwendigkeit bleibt von der Einführung des Debt-EquitySwaps gemäß § 225 Abs. 2 InsO grundsätzlich unberührt, denn dieser führt nur zur partiellen Entschuldung und verschafft der Insolvenzschuldnerin keine frische Liquidität (siehe § 31 Rz. 56 ff.). Das Insolvenzrecht bot potenziellen Kreditgebern bislang wenige Anreize, sich während des eröffneten Insolvenzverfahrens zu engagieren. Auch das ESUG als Reformgesetz sah keine Vorschriften vor, mit denen die Finanzierung einer Fortführung und Sanierung der Insolvenzschuldnerin unter erleichterten Voraussetzungen unmittelbar bewirkt werden kann (zu den mittelbaren Finanzierungserleichterungen siehe sogleich Rz. 14 ff.).2) Die in der Rechtspraxis als wenig wirksam empfundenen Vorschriften der InsO über den sog. Kreditrahmen (§§ 264 bis 266, 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO) gelten unverändert fort.3) Sie sollen auch im Anschluss an die Reform der InsO durch das ESUG in bekannter ___________ 1) S. a. zum Liquiditätsmanagement und zur Liquiditätsplanung Rendels/Zabel, Insolvenzplan, B. III. S. 32, 33; Wiegand, in: Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, S. 165 ff.; Mazur/Wentzler, in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 9 E., S. 410 ff.; Thiele, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 14 Rz. 245 ff.; zu Überbrückungs- und Sanierungskrediten Kemper, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 3 Rz. 50 ff.; Pluta/Keller, in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 8 Rz. 59 ff.; Gless/ Undritz/Lambrecht, in: Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, S. 261, 280. 2) Zur Fortführungsfinanzierung Knof, ZInsO 2010, 1999. 3) Zur Kritik an den Vorschriften Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809 ff.; Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004 f.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Ausgestaltung dafür sorgen, dass der Insolvenzschuldnerin oder – bei übertragender Sanierung durch den Insolvenzplan (§ 260 Abs. 3 InsO) – der Übernahmegesellschaft Liquidität in Form von Darlehen4) unter bevorzugter Behandlung der Kreditgeber zugeführt werden kann.5) I.
Regelungsinhalt der §§ 264 ff. InsO und Bedeutung für die Unternehmenssanierung
1.
Regelungsinhalt
2 In § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht das Gesetz vor, dass der Planverfasser in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans eine Regelung aufnehmen kann, wonach die Insolvenzgläubiger in Zukunft nachrangig sind, gegenüber Gläubigern mit Forderungen aus Darlehen oder sonstigen Krediten, die die Insolvenzschuldnerin oder die Übernahmegesellschaft6) während der Zeit der Planüberwachung aufnimmt oder die ein Massegläubiger in die Zeit der Planüberwachung hinein stehen lässt.7) Die vorbezeichneten Darlehensgläubiger werden mithin – soweit sämtliche Formalien des § 264 InsO eingehalten sind und der Insolvenzplan rechtskräftig zustande kommt – nach Maßgabe des § 264 InsO privilegiert. Dies bedeutet, dass es in einem Folgeinsolvenzverfahren zu einer Rangbildung innerhalb der dann zu berücksichtigenden Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO kommt.8) Nach den Massekosten und Masseverbindlichkeiten gemäß §§ 53 ff. InsO werden in dem Anschlussinsolvenzverfahren zunächst die Kreditrahmenverbindlichkeiten befriedigt und erst nach deren Ausgleichung die weiteren Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO und hiernach – sofern vorhanden – die nachrangigen Insolvenzgläubiger gemäß § 39 InsO.9) 3 Die Regelung wird durch § 265 Satz 1 und 2 InsO ergänzt und erweitert, indem der Nachrang auch sonstige vertragliche Ansprüche erfasst, die erst während der Zeit der Planüberwachung begründet werden, und ferner Ansprüche aus vertraglichen Dauerschuldverhältnissen, deren Rechtsgrund vor Eintritt in die Planüberwachungsphase gelegt wurde. Insoweit entfaltet der Kreditrahmen auch materielle Auswirkungen auf neu hinzutretende Gläubiger, die über den Insolvenzplan nicht mit abgestimmt haben, sondern diesen als gegeben vorfinden. Gleichwohl mutet man auch ihnen den Nachrang gegenüber Kreditrahmenforderungen zu, weil sie mit der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft im Bewusstsein der bestehenden Insolvenzplanregelungen kontrahiert haben (zur öffentlichen Bekanntmachung der Kreditrahmenregelung siehe Rz. 40). 4 Gemäß § 266 Abs. 1 und Abs. 2 InsO wirkt sich die Privilegierung der in § 264 InsO bezeichneten Darlehensgläubiger erst in einem zukünftigen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft aus, wenn dieses vor der Aufhebung der Planüberwachung eröffnet wurde.10) Diese Regelung bewirkt zusammen mit § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dass der Nachrang der sonstigen Ansprüche hinter den privilegierten Darlehensforderungen längstens für einen Zeitraum von drei Jahren besteht, denn drei Jahre nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens – gleichbedeutend mit dem Eintritt in die Planüberwachungsphase (§ 259 Abs. 2, § 260 InsO) – hat das Insolvenzge___________ Zu den Alternativen Rendels/Zabel, Insolvenzplan, B. III., S. 33. S. a. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1. Vgl. die Legaldefinition der Übernahmegesellschaft in § 260 Abs. 3 InsO. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 1. Zur Befriedigungsreihenfolge gemäß § 266 InsO Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 266 Rz. 17; Kebekus/ Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 266 Rz. 1. 10) Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 4. 4) 5) 6) 7) 8) 9)
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richt die Aufhebung der Planüberwachung zu beschließen. Insoweit sollte die Kreditlaufzeit drei Jahre nicht überschreiten, wenn nicht der Begünstigte der Planregelung mit der Kreditrahmenregelung ausfallen möchte.11) Wird erst im Anschluss an diesen Drei-Jahres-Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenz- 5 verfahrens ein weiteres Insolvenzverfahren über das Vermögen der vormaligen Insolvenzschuldnerin oder über dasjenige der Übernahmegesellschaft eröffnet, greift die Privilegierung aufgrund des sog. Kreditrahmens gemäß § 264 InsO nicht mehr ein. Die Kreditrahmengläubiger sind dann lediglich einfache Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO ohne entsprechende Vorrechte gegenüber den sonstigen Insolvenzgläubigern. Für potenzielle Kreditgeber der Insolvenzschuldnerin, die eine Sanierung i. R. des Insol- 6 venzplanverfahrens durch die Zuführung frischer Darlehensmittel oder durch das Stehenlassen von Masseverbindlichkeiten unterstützen möchten, ist es deshalb von großer Bedeutung, dass der Vorrang dieser Kreditverbindlichkeiten wirksam begründet und innerhalb der Drei-Jahres-Frist nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens realisiert wird. Sie gehen durch Bereitstellung neuer Mittel in der Krise des Unternehmens ein erhöhtes Risiko ein12) und werden regelmäßig ein besonderes Interesse an der ordnungsgemäßen Planüberwachung gemäß § 260 Abs. 2 und 3 InsO haben, um das Risiko einer Anschlussinsolvenz nach Ablauf des Drei-Jahres-Zeitraums möglichst gering zu halten. 2.
Normzweck der Kreditrahmenvorschriften – Bedeutung für die Unternehmenssanierung
Die Vorschriften der §§ 264 ff. InsO dienen dazu, die Sanierungschancen des insolventen 7 Unternehmens zu erhöhen.13) Bereits der Gesetzgeber der InsO hat gesehen, dass eine Sanierung der Insolvenzschuldnerin häufig nur gelingen wird, wenn dem wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen nach der Bestätigung des Insolvenzplans und der sich anschließenden Aufhebung des Insolvenzverfahrens neue Kredite gewährt werden, „mit denen die schwierige Anlaufzeit nach dem Insolvenzverfahren überbrückt wird“.14) Der Gesetzgeber ging zutreffend davon aus, dass die Bereitschaft von Banken, Lieferanten und Versicherern zur Vergabe neuer Kredite an die Insolvenzschuldnerin nur – wenn überhaupt – vorhanden sein wird, wenn die Kreditgeber bei gescheitertem Sanierungsversuch in einem Anschlussinsolvenzverfahren ihre Rechtsposition durchsetzen können.15) Hierzu soll die Schaffung des Rangverhältnisses zwischen den Kreditrahmengläubigern und den weiteren Insolvenzgläubigern dienen. Zutreffend wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass die Regeln über den Kreditrahmen das Risiko der Kreditgeber nicht vollständig beantworten können, sondern lediglich zu einer Risikominderung führen.16) Aus gesellschafts- und bankaufsichtsrechtlichen Gründen werden die Kreditinstitute dar- 8 auf dringen müssen, marktübliche Kreditsicherheiten für die Gewährung der Neukredite zu erhalten. Diese Kreditsicherheiten werden im Zeitpunkt der Insolvenzplanlösung üblicherweise – dies berücksichtigt auch der Gesetzgeber der InsO – nicht zur Verfügung stehen,17) so dass die Privilegierung gemäß §§ 264 ff. InsO regelmäßig die einzige „Kreditsi___________ S. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 3. S. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1. Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 2, 3; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1. Begr. RegE InsO z. § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. Begr. RegE InsO z. § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216; s. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 132, Rz. 6.92; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1. 16) Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1. 17) Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809, 812; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 8.
11) 12) 13) 14) 15)
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
cherheit“ für die neuen Darlehensmittel darstellen wird. Die Rechtsposition von Aussonderungsberechtigten gemäß § 47 InsO und auch diejenige von Absonderungsberechtigten i. S. der §§ 49 ff., 52, 190 InsO, in deren Hand sich die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens überlassenen Kreditsicherheiten befinden, wird durch die Kreditrahmenvorschriften nicht tangiert.18) 9 Im Schrifttum19) werden erhebliche Zweifel an der Tauglichkeit der §§ 264 ff. InsO zur Zielerreichung – Stärkung der Kreditvergabebereitschaft der Fremdkapitalgeber – artikuliert: 10 Hier wird zunächst die durch § 266 Abs. 1, § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO bewirkte zeitliche Befristung des Vorrangs genannt, die im Vergleich zur realen Dauer einer Unternehmenssanierung recht kurz ausfällt.20) 11 Daneben wird die Verengung des sachlichen Anwendungsbereichs der §§ 264, 265 InsO, d. h. das Zurücktreten lediglich der einfachen Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO, kritisch besprochen. Die Rechte der Aussonderungsberechtigten und der Absonderungsberechtigten bleiben von §§ 264, 265 InsO unangetastet (siehe auch unten § 46 Rz. 57 ff.).21) Dies würde in der Praxis die Kreditvergabebereitschaft nicht stärken, denn es wird damit gerechnet, dass außerhalb des Absonderungsbereichs kein nennenswertes Vermögen hinzugewonnen werden kann, so dass die Privilegierung in einem Folgeinsolvenzverfahren ins Leere laufen könnte.22) 12 Schließlich wird eine Unzulänglichkeit der Kreditrahmenregelung in § 264 Abs. 3 InsO gesehen, wonach der Kreditrahmen, der vom Insolvenzplanverfasser im gestaltenden Teil des Insolvenzplans betragsmäßig festgelegt werden muss, den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen darf, die in der Vermögensübersicht des Plans (§ 229 Satz 1 InsO) aufgeführt sind. Im Schrifttum wird hiergegen vorgetragen, dass diesen Werten in einem Folgeinsolvenzverfahren keine echte Aussagekraft mehr zukomme.23) Denn es könne zwischenzeitlich – in der geplanten Sanierungsphase zwischen der Aufhebung des Ausgangsinsolvenzverfahrens und der Eröffnung des Folgeinsolvenzverfahrens – zu einer Entwertung der Vermögensgegenstände kommen. Zudem werde das Folgeinsolvenzverfahren üblicherweise als Liquidationsinsolvenzverfahren nach gescheitertem Sanierungsversuch durchgeführt, so dass im Vermögensstatus mit Liquidationswerten anzusetzen ist, was vor Aufhebung des Ausgangsinsolvenzverfahrens aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Fortführungsprognose noch mit Fortführungswerten anzusetzen war.24) 13 Ob diese Umstände in der Wirtschaftspraxis tatsächlich zu einer mangelnden Finanzierungsbereitschaft potenzieller Kreditgeber führen, mithin eine ungeeignete gesetzliche Konstruktion vorliegt, kann wegen fehlender statistischer Erhebungen nicht abschließend bewertet werden.25) Die Erfahrung lehrt jedoch, dass die Kreditvergabebereitschaft regelmäßig an das Vorhandensein von Kreditsicherheiten gebunden wird. Denn bereits der Umstand, dass es zu einer Folgeinsolvenz innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzplan___________ 18) 19) 20) 21)
22) 23) 24) 25)
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Eingehend Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809, 819 f., 822; Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 5. Vgl. die Auseinandersetzung bei Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 13 ff. Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004. Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809, 819 f., 822; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 26 ff.; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 20; Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004; Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 5. Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809, 812. Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004; s. bereits Heni, ZInsO 2006, 57, 60 unter Bezugnahme auf Braun, in: Kölner Schrift, 1997, S. 866. Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. S. jedoch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 2; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 266 Rz. 5; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 19 ff.
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§ 32
Kreditrahmen
bestätigung kommt, in der der Vorrang der Kreditrahmendarlehen geltend gemacht werden soll, zeigt, dass die Insolvenzschuldnerin nicht in der Lage gewesen ist, neues Vermögen zur Befriedigung ihrer Gläubiger zu bilden. 3.
Weitere Effekte für die Fortführungsfinanzierung
Das ESUG hat eine Reihe von Neuerungen herbeigeführt, die eine Fortführungsfinanzie- 14 rung mittelbar begünstigen:26) Zunächst müssen gemäß § 258 Abs. 2 InsO nicht mehr sämtliche Masseverbindlichkeiten 15 vor der Bestätigung des Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beglichen werden. Dies war ein wesentlicher Kritikpunkt an den früheren Insolvenzplanregeln.27) Die nunmehr geltende Rechtslage bewirkt, dass z. B. Massedarlehen vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens anlässlich der Planbestätigung nicht mehr vollständig zurückgeführt werden müssen. Es reicht aus, dass ein Finanzplan hinreichende Aussichten für die Rückführung nach Verfahrensaufhebung belegt.28) Die Regelung könnte im Zusammenwirken mit einem frühzeitig eingereichten Insolvenzplan (z. B. einem „Prepackaged-Insolvenzplan“29) zu einer Steigerung der Kreditvergabebereitschaft führen (siehe auch § 23 Rz. 23 ff.). Nach Ansicht der Literatur wird sich auch die Regelung in § 259a und § 259b InsO (Voll- 16 streckungsschutz und besondere Verjährung), wonach Forderungen, die nicht dem Insolvenzplan unterworfen waren, weil sie bislang nicht bekannt waren, nur noch unter erschwerten Bedingungen geltend gemacht werden können, mittelbar auf die Fortführungsfinanzierung auswirken, denn sie bewirke mehr Rechts- und Planungssicherheit für den Insolvenzplanverfasser und schütze „die Finanzplanung des Sanierungskonzepts vor bösen Überraschungen“.30) Schließlich kommt eine besondere Bedeutung dem mit dem ESUG eingeführten Debt- 17 Equity-Swap gemäß § 225a InsO zu (siehe § 31 Rz. 56 ff.), denn dieses Instrument führt aufgrund seiner Tauschwirkung von Krediten zu Eigenkapital zu einer Verringerung der Fremdkapitalbelastung des zu sanierenden Unternehmens und zu einer Erhöhung von dessen Eigenkapitalquote (siehe § 31 Rz. 56 ff.).31) Insoweit fallen auch Zinsbelastungen aus den umgewandelten Darlehen weg bzw. wandeln sich in günstigere Dividendenerwartungen; Kreditsicherheiten könnten damit frei werden und fortan zur anderweitigen Verwendung stehen. Schließlich verbessert sich durch die Verschiebung der Fremd- und Eigenkapitalquoten die Kreditwürdigkeit der Insolvenzschuldnerin.32) Die hier beschriebenen Maßnahmen und Instrumente wirken sich mittelbar auf die Finanz- 18 verfassung der Insolvenzschuldnerin aus. Sie können innerhalb der Fortführungsfinanzierung ergänzend zu Kreditrahmenkrediten i. S. der §§ 264 ff. InsO eingesetzt werden. ___________ 26) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2008. 27) S. nur Jaffé, in: Kölner Schrift, S. 743 ff.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1853; Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 205; Westpfahl/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 1 ff. 28) Begr. RegE ESUG z. § 258 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 55. 29) Zum Einreichungszeitpunkt für den Insolvenzplan Frege/Nicht, in: Theiselmann, Praxishdb. des Restrukturierungsrechts, Kap. 17 D. I., Rz. 101 ff.; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 12; s. dazu § 23 Rz. 23 ff. und § 24 Rz. 12 f. 30) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2008. 31) Zum Debt-Equity-Swap gemäß § 225a InsO s. nur Heckschen, in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis,§ 4 C. I., Rz. 411 ff.; Knecht/Haghani, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 45 ff.; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 225a Rz. 8 ff.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 19 ff. 32) Hierzu Knof, ZInsO 2010, 1999, 2008.
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§ 32 II.
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Tatbestandsmerkmale für eine Privilegierung von Darlehen
19 Durch die Reformen der InsO in den letzten Jahren – insbesondere durch das ESUG – wurden die Tatbestandsmerkmale der §§ 264 ff. InsO nicht geändert. Insoweit kann für die Gesetzesanwendung grundsätzlich auf die vorhandene Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden. 1.
Forderung aus Darlehen
20 Die Privilegierung aufgrund von §§ 264 ff. InsO erfasst zunächst Forderungen aus Darlehensverträgen gemäß § 488 Abs. 1 BGB, d. h. die Rückzahlungspflicht des Darlehensnehmers. Sie entsteht mit Valutierung des Darlehens.33) Hinzu kommen Ansprüche auf Zahlung von Zinsen und Kosten. In die Privilegierung durch §§ 264 ff. InsO einbezogen sind ferner Sachdarlehen gemäß §§ 607 f. BGB, Kontokorrentkredite, Wechselkredite und selbst partiarische Darlehen.34) Die Vorschrift ist grundsätzlich weit auszulegen.35) 2.
Forderungen aus sonstigen Krediten
21 Im Gegensatz zur überkommenen Vorschrift in § 106 VglO, wonach ausschließlich Darlehensforderungen bevorzugt worden waren, sieht das geltende Recht in § 264 Abs. 1 InsO auch die Besserstellung von Forderungen aus „sonstigen Krediten“ vor.36) Die Literatur möchte dieses Tatbestandsmerkmal sehr weit auslegen.37) Es werden alle geldwerten Leistungen erfasst, denen „rechtlich Kreditcharakter“ zukommt.38) Sie sind abzugrenzen gegen Geld- und Sachleistungen, die nicht als Fremdkapitalzuführungen anerkannt sind, d. h. sämtliche Eigenkapitalüberlassungen und Finanzierungshilfen durch Gesellschafter, die funktional als Eigenkapital zu qualifizieren sind.39) Es ist hierbei darauf abzustellen, ob das jeweilige Finanzierungsinstrument Kennzeichen unternehmerischer Verlustbeteiligung aufweist. 22 Die Begründung des RegE zur InsO nennt als „sonstige Kredite“ insbesondere die Lieferantenkredite in Form von Stundungen von Kaufpreisforderungen.40) In der Literatur werden zudem Kredite durch Warenkreditversicherer sowie Aval- und Diskontkredite unter dem Tatbestand des § 264 Abs. 1 InsO erfasst.41) 3.
Kreditaufnahme durch die Insolvenzschuldnerin oder die Übernahmegesellschaft
23 Die §§ 264 ff. InsO erfassen sowohl Kredite, welche die Insolvenzschuldnerin selbst aufgenommen hat – dies können sog. Altkredite aus der Zeit vor der Planüberwachung sein und sog. Neukredite, die in der Überwachungsphase zusätzlich aufgenommen werden –, als auch Kredite der Übernahmegesellschaft (vgl. § 260 Abs. 3 InsO), die lediglich in Form von Neukrediten vorliegen dürften, da die Übernahmegesellschaft erst mit Planbestätigung ___________ 33) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 3; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 10. 34) Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 4; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 4; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 5. 35) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 3. 36) Vgl. Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 9, 10; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 5. 37) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 3; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 3. 38) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 3. 39) Auch kapitalersetzende Darlehen erfahren eine von § 264 InsO abweichende Sonderbehandlung; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 6. 40) Begr. RegE InsO z. § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216; Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 10. 41) Ausf. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 4 und 5.
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Kreditrahmen
das Unternehmen bzw. Teile hiervon übernimmt und als eigenständige juristische Person fortführt.42) 4.
Kreditaufnahme während der Überwachungsphase (sog. Neukredit)
Das Gesetz zeigt, dass Kreditaufnahmen in der Überwachungsphase unter dem Kreditrah- 24 men zulässig sind, soweit der Kreditrahmen noch nicht ausgeschöpft ist.43) Die bevorzugte Behandlung solcher Neukredite setzt voraus, dass sie vor dem Aufhebungszeitpunkt des § 268 Abs. 1 InsO gewährt werden.44) Am Abschluss der Darlehensverträge wirkt der Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht mit, da gemäß § 259 Abs. 1 InsO sein Amt mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet und die Insolvenzschuldnerin die Verfügungszuständigkeit wieder erlangt. Es kann jedoch im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden, dass der Insolvenzverwalter dem Vertragsabschluss zustimmen muss (vgl. § 263 InsO). Ungeachtet dessen muss der Insolvenzverwalter aber auch bei Neukrediten die schriftliche Bestätigung gemäß § 264 Abs. 2 InsO erteilen.45) In diesem Zusammenhang kann es für den Insolvenzverwalter i. R. der Planüberwachung geboten sein, die Gefährdung der Planerfüllung gemäß § 262 InsO anzuzeigen. 5.
Stehenlassen eines Massedarlehens (sog. Altkredit)
Massedarlehen sind diejenigen Kredite, die ein vorläufiger Insolvenzverwalter gemäß § 22 25 Abs. 1, § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO oder ein Insolvenzverwalter gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse aufgenommen hat. Ebenfalls hierzu zählen die Kreditverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 103 InsO aus Darlehensverträgen, deren Erfüllung der Insolvenzverwalter gewählt hat. Das „Stehenlassen“ ist einer Neuausreichung eines Kredits gleichzustellen, denn der Verzicht eines Gläubigers auf rechtzeitige Befriedigung ist als Kreditvergabeentscheidung zu qualifizieren.46) Vor dem Inkrafttreten des ESUG hatte man solche Massedarlehen für privilegierungsfähig 26 gemäß § 264 Abs. 1 InsO gehalten, wenn ein ausdrückliches „Stehenlassen“ des Gläubigers vorlag.47) Da gemäß § 258 Abs. 2 InsO die Verpflichtung bestand, vor der Bestätigung des Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens sämtliche Masseverbindlichkeiten auszugleichen, konnte ein Stehenlassen nur begründet werden, wenn ein ausdrücklicher Verzicht auf diese zeitgemäße Rückzahlung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Kreditgeber vereinbart wurde. Mit dem ESUG wurde die Rechtspflicht zur Ausgleichung der Masseverbindlichkeiten vor Verfahrensaufhebung in § 258 Abs. 2 InsO aufgehoben bzw. modifiziert. Nunmehr reicht es aus, wenn für die streitigen und nicht fälligen Verbindlichkeiten Sicherheit geleistet wird; im Hinblick auf die noch nicht fälligen Masseansprüche ist es ausreichend, wenn ein Finanzplan die Erfüllbarkeit der Masseverbindlichkeiten belegt. Insoweit dürfte für das Stehenlassen die Bezugnahme auf diesen Finanzplan genügen. 6.
Notwendige Festlegung eines Gesamtbetrags
Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 2 InsO muss ein Gesamtbetrag für die vorrangig zu befriedi- 27 genden Darlehen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans angegeben werden.48) Hiermit ___________ 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48)
Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 6. Vgl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 6, 7, 8. S. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 6. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 21, 22. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 3. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 11; vgl. auch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 3. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 7 ff.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 2, 3, 4.
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§ 32
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
formuliert der Gesetzgeber die Legaldefinition des Kreditrahmens. Zwar ist dem Planverfasser zu empfehlen, die unter die §§ 264 ff. InsO fallenden Darlehensforderungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans einzeln oder geordnet nach Gruppen auszuweisen.49) Ausreichend ist jedoch die Angabe einer maximalen Gesamthöhe für sämtliche privilegierten Darlehen.50) Diese Angabe einer Gesamthöhe ist bereits wegen § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO erforderlich, wonach der Kreditrahmen den Wert der Vermögensgegenstände aus der Vermögensübersicht (vgl. § 229 InsO) nicht übersteigen darf. Die Einhaltung dieser Relation ist vom Insolvenzgericht zwingend i. R. der Rechtmäßigkeitsprüfung (§ 231 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Nr. 1 InsO) sicherzustellen. Darüber hinaus ist die Einzeldarstellung der bessergestellten Kredite im gestaltenden Teil des Insolvenzplans jedoch bereits deshalb opportun, weil gemäß § 264 Abs. 2 InsO mit den entsprechenden Darlehensgebern vereinbart werden muss, dass und in welcher Höhe der von ihnen jeweils gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten (vgl. auch § 367 BGB) in die Privilegierung durch den Kreditrahmen fällt. Die Einzeldarstellung führt für alle Beteiligten zu mehr Sicherheit im Hinblick auf die angestrebte Besserstellung, weil sowohl die planbeteiligten Darlehensgläubiger als auch die übrigen Planbeteiligten einen besseren Überblick über die Finanzplanung gewinnen können.51) III.
Rechtliche Grenzen für den Darlehensvorrang
28 Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO darf der als Kreditrahmen definierte Gesamtbetrag der privilegierten Kredite den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen, die in der Vermögensübersicht des Insolvenzplans gemäß § 229 Satz 1 InsO aufgeführt sind.52) Hiermit ist als Obergrenze für den Darlehensvorrang die Summe der Werte festgelegt, mit denen der Planverfasser die Aktiva in der Vermögensübersicht abbildet; auf die Passiva kommt es insoweit nicht an. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zur InsO niedergelegt, dass der Kreditrahmen das nach der Bestätigung des Plans vorhandene Aktivvermögen nicht übersteigen darf. Dies diene dem Schutz aller Beteiligten vor einer übermäßigen Kreditaufnahme, v. a. aber den Interessen der gemäß § 265 InsO ebenfalls zurückgedrängten Neugläubiger.53) 29 Die Wertobergrenze wird durch gesetzliche Bezugnahme auf die Vermögensübersicht gemäß § 229 Satz 1 InsO festgelegt.54) Insoweit sind auch die ex-ante-Wertansätze der Vermögensübersicht für die Bestimmung des Kreditrahmens maßgeblich. Die Motive des Gesetzgebers und der Wortlaut von § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO sprechen dafür, die in der Vermögensübersicht aufgeführten Gegenstände nicht ex post im Zeitpunkt der Eröffnung des Anschlussinsolvenzverfahrens auf der Grundlage anderer Wertansätze zu bewerten.55) Denn die Vorschrift soll ein Verhalten – die Aufnahme bevorzugter Kredite – steuern, weshalb auf die Annahmen im Zeitpunkt der Planfeststellung und Verfahrensaufhebung abzustellen ist.56) Hingegen dient die Vorschrift nicht dazu, den tatsächlichen Sicherungswert festzulegen, denn es ist bei Eintritt in die Planüberwachungsphase ungewiss, wann der Privilegierungsfall infolge der Eröffnung eines Anschlussinsolvenzverfahrens eintritt, welche ___________ 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56)
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S. a. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 12. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. S. hierzu auch Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 6 ff. Zur Verknüpfung von Planbilanz und Kreditrahmen Heni, ZInsO 2006, 57, 60; Dinstühler, ZInsO 1998, 243, 245. Begr. RegE InsO z. § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. So auch Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. Krit. Heni, ZInsO 2006, 57, 60 unter Bezugnahme auf Braun, in: Kölner Schrift, 1997, S. 866; ferner Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 6, 14 ff., 17 ff.
Frege/Nicht
§ 32
Kreditrahmen
Aktiva aus der Vermögensübersicht dann noch vorhanden sind und welcher tatsächliche Wert ihnen zuzuordnen ist. Fehlt die Angabe des Kreditrahmens im gestaltenden Teil des Insolvenzplans, kommt 30 die Privilegierung nicht zustande.57) Die Bezugnahme des § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO auf § 229 Satz 1 InsO ist nicht in der Weise zu interpretieren, dass der Wert der Aktiva gleichsam „automatisch“ den Kreditrahmen festlegt. Bei fehlender Angabe des Kreditrahmens im Insolvenzplan ist die Planergänzung geboten. Das Insolvenzgericht prüft i. R. seiner Rechtmäßigkeitsaufsicht im Insolvenzverfahren 31 (§ 231 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Nr. 1 InsO), ob die Kreditrahmenfestlegung gemäß § 264 Abs. 1 InsO sich in den finanziellen Grenzen bewegt, die sich durch die Bezugnahme auf die Vermögensübersicht gemäß § 229 InsO ergeben.58) Wird der Plan vom Insolvenzgericht trotz Überschreitung der Vermögenswerte bestätigt, ist streitig, ob eine Privilegierung bis zur Obergrenze gegeben ist59)oder ob kein privilegierter Kreditrahmen besteht.60) IV.
Notwendige Vereinbarung mit den Darlehensgebern und Bestätigung durch den Insolvenzverwalter
Um die Privilegierung wirksam zu begründen, muss gemäß § 264 Abs. 2 InsO mit dem 32 jeweiligen Darlehensgläubiger genau vereinbart werden, dass und in welcher Höhe der von ihm gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten in den Kreditrahmen fällt. Zusätzlich muss der Insolvenzverwalter gegenüber diesem Gläubiger die getroffene Vereinbarung bestätigen, nachdem er die formale Richtigkeit der Vereinbarung geprüft, mithin nachgerechnet hat, ob das konkrete Darlehen vom vorhandenen Kreditrahmenbetrag noch abgedeckt ist; der Insolvenzverwalter entscheidet jedoch nicht darüber, ob die Aufnahme des zu bestätigenden Darlehens sinnvoll und geboten ist.61) Diese Voraussetzungen sind auch dann zu beachten, wenn die betroffenen Kredite im ge- 33 staltenden Teil des Insolvenzplans i. E. aufgeführt und dargestellt sind. Zu beachten ist hierbei, dass die Vereinbarung nicht zwischen dem Kreditgeber und dem Insolvenzverwalter abgeschlossen wird, sondern unmittelbar mit der Insolvenzschuldnerin oder – im Fall des § 260 Abs. 3 InsO – mit der Übernahmegesellschaft. Hintergrund ist die Rückübertragung der Verfügungsbefugnis auf die Insolvenzschuldnerin gemäß § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Planfeststellung. V.
Behandlung von Gesellschafterdarlehen
Die Möglichkeit zur Privilegierung von Darlehensgläubigern erstreckt sich nach § 264 34 Abs. 3 InsO nicht auf Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen bzw. deren wirtschaftliche Äquivalente, die gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Insolvenzverfahren nachrangig sind.62) In den Kommentierungen wird darauf hingewiesen, dass die Vorschriften über den Kreditrahmen nicht dazu geeignet sein dürften, Gesellschafter von ihrer Finan___________ Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 5; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 2. Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 12. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 7, 8; Pleister, in: KPB, InsO, § 264 Rz. 14. Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 264 Rz. 2; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 2; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 15. 61) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 22; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 6; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 7; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 133, Rz. 6.95. 62) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 266 Rz. 10; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 6; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 6; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 264 Rz. 1; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 11.
57) 58) 59) 60)
Frege/Nicht
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§ 32
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
zierungsverantwortung gegenüber der Gesellschaft zu befreien.63) Insoweit erstreckt § 264 Abs. 3 InsO das Konzept des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf Alt- und Neukredite i. S. der §§ 264 ff. InsO, mithin auf stehengelassene Massedarlehen und Neukredite nach Eintritt in die Planüberwachungsphase. Nachrangige Darlehen gelten gemäß § 225 Abs. 1 InsO mit Rechtskraft des Insolvenzplans als erlassen, soweit nicht der Insolvenzplan etwas anderes bestimmt (siehe auch unten § 46 Rz. 52). VI.
Umfang der Privilegierung
35 Der Umfang der bevorzugten Behandlung der Kreditrahmengläubiger wird durch die § 264 Abs. 1, § 265 InsO vorgegeben. Hiernach treten sowohl die ungesicherten Insolvenzgläubiger des Ausgangsverfahrens hinter die Kreditrahmendarlehen zurück als auch die Neugläubiger nach Maßgabe des § 265 InsO. 36 Neugläubiger i. S. des § 265 Abs. 1 InsO sind vertragliche Gläubiger der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft, deren Forderungen im Zeitraum der Planüberwachung begründet werden. § 265 Abs. 2 InsO bezieht auch Gläubiger aus ungekündigten Dauerschuldverhältnissen ein, soweit diese nach Anordnung der Planüberwachung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens von ihrem Kündigungsrecht keinen Gebrauch gemacht haben. Die Rückstufung dieser Gläubiger hinter die Kreditrahmendarlehen wird vom Gesetzgeber mit der Erwägung gerechtfertigt, dass die Festlegung eines Kreditrahmens und dessen Höhe gemäß § 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO öffentlich bekannt gemacht werde und dass es potenziellen Vertragspartnern hiernach freistehe, in Ansehung der Kreditrahmenprivilegierung mit der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft zu kontrahieren.64) Im Umkehrschluss ergibt sich, dass Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht hinter die Kreditrahmenforderungen zurücktreten; sie stehen mit den Kreditrahmenforderungen im Rang des § 38 InsO gleichstufig an erster Stelle und werden – soweit möglich – quotal bedient. 37 Aus- und Absonderungsberechtigte sind von den Regelungen nicht betroffen.65) Insbesondere die Rechtsposition der absonderungsberechtigten Gläubiger bleibt unangetastet bestehen, soweit nicht im Insolvenzplan eine Regelung enthalten ist, die einen Sanierungsbeitrag der Absonderungsgläubiger vorsieht, z. B. in Form der teilweisen Freigabe von Kreditsicherheiten (eine solche Regelung ist wegen § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO jedoch nicht unproblematisch). Auswirkungen auf Absonderungsberechtigte ergeben sich naturgemäß, soweit die Beteiligten mit der Sicherheit ausfallen und folglich als persönliche Gläubiger zu behandeln sind (vgl. § 52 Satz 1, § 190 InsO). VII. Zeitpunkt der Privilegierung 38 Der Wirksamkeitszeitpunkt der bevorzugten Behandlung wird durch § 266 Abs. 1 InsO definiert, wonach der Nachrang nach Maßgabe der §§ 264, 265 InsO in einem Anschlussinsolvenzverfahren zu berücksichtigen ist, wenn dieses vor der Aufhebung der Insolvenzplanüberwachung eröffnet wird. In Zusammenschau mit § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO bedeutet dies, dass sich die Privilegierung längstens auf einen Zeitraum von drei Jahren ab der Aufhebung des Ausgangsinsolvenzverfahrens erstreckt. Wird das Anschlussinsolvenzverfahren erst nach dem in § 268 InsO genannten Zeitpunkten eröffnet, greift die Kredit___________ 63) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 6; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 18; Pleister, in: KPB, InsO, § 266 Rz. 8; Thies, in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 3. 64) Vgl. Pleister, in: KPB, InsO, § 265 Rz. 2 und 3; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 133, Rz. 6.93. 65) Umfassend Braun/Frank, in: Kölner Schrift, S. 809 ff.; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 10, 11, 12; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 264 Rz. 19, 20.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 15.
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Frege/Nicht
§ 32
Kreditrahmen
rahmenregelung nicht mehr. Dies gilt selbst dann, wenn im Insolvenzplan ein längerer Überwachungszeitraum festgelegt wurde und dies mit Zustimmung der Gläubiger und mit Zustimmung der Insolvenzschuldnerin beschlossen wurde.66) In § 266 Abs. 2 InsO wird die neue Rangordnung für den Fall eines Anschlussinsolvenz- 39 verfahrens im Drei-Jahres-Zeitraum definiert.67) Hiernach werden zunächst die Kreditrahmenforderungen und diejenigen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen bedient, soweit das Vermögen ausreicht im Rang danach die zurückgetretenen Insolvenzgläubiger nach Maßgabe von § 264 Abs. 1 und § 265 InsO und schließlich die nachrangigen Gläubiger gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO. Da die nachrangigen Altverbindlichkeiten gemäß § 225 Abs. 1 InsO regelmäßig – vorbehaltlich einer abweichenden Insolvenzplanregelung – mit Planbestätigung als erlassen gelten, dürften in einem Anschlussinsolvenzverfahren insoweit nur Neuverbindlichkeiten im Rang des § 39 InsO zu korrigieren sein. VIII. Öffentliche Bekanntmachung Gemäß § 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist gemeinsam mit dem Beschluss über die Aufhebung 40 des Insolvenzverfahren öffentlich bekannt zu machen, in welcher Höhe ein Kreditrahmen vorgesehen ist. Es muss die konkrete Höhe des Kreditrahmens angegeben werden, damit erkennbar ist, in welchem Umfang die Bevorrechtigung in einem Anschlussinsolvenzverfahren greift. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt gemäß § 9 Abs. 1 InsO. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens und die Anordnung der Planüberwachung werden im Bundesanzeiger bekannt gemacht; daneben ist die Bekanntmachung gemäß § 9 InsO i. V. m. § 2 InsNetV vorzunehmen.68)
___________ 66) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 67) Vgl. auch Pleister, in: KPB, InsO, § 266 Rz. 6. 68) Pleister, in: KPB, InsO, § 267 Rz. 3 f.
Frege/Nicht
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§ 33 Umwandlungen im Planverfahren Madaus
I.
Die Zulässigkeit einer Umwandlung in der Insolvenz der Gesellschaft.............. 1 1. Die insolvente Gesellschaft als übertragender Rechtsträger ................................ 2 2. Die insolvente Gesellschaft als aufnehmender Rechtsträger.............................. 8 II. Die mit Umwandlungsmaßnahmen erreichbaren Sanierungseffekte .............. 12 1. Überblick.................................................... 12 2. Effekte der Vermögensübertragung ......... 13 3. Die Nichtübertragbarkeit steuerlicher Verlustvorträge .......................................... 14 4. Die über eine Umwandlung erreichbare Entschuldungswirkung...................... 16 4.1 Beim Formwechsel ........................ 17 4.2 Bei der Fusion................................ 18 4.3 Bei der Abspaltung und der Ausgliederung................................ 19 4.3.1 Problem: § 133 Abs. 1 UmwG ..... 20 4.3.2 Die teleologische Reduktion des § 133 Abs. 1 UmwG...................... 21 III. Die Nutzung der Wirkungsmacht eines Insolvenzplans für Umwandlungen ............................................... 23 1. Die (drohende) Insolvenz als Eingriffslegitimation........................................ 24 2. Vereinfachung der Willensbildung der Gesellschafter ............................................ 27 2.1 Materielle Regelungsbefugnis des Insolvenzplans im Gesellschaftsrecht.................................... 28 2.1.1 Herabsetzung von Mehrheitserfordernissen ................................... 29 2.1.2 Reichweite der materiellen Regelungsmacht des Insolvenzplans .... 30 2.2 Formelle Vereinfachungen durch das Planverfahren................ 33 3. Die begrenzte Vereinfachung der Planumsetzung........................................... 36 3.1 Der Zugang von Willenserklärungen aus dem Insolvenzplan ..... 37 3.2 Realakte sowie Handlungen jenseits der Planbeteiligten ........... 40 3.3 Der Vorrang des Insolvenzplans gegenüber dem Registerverfahren ........................................ 42 4. Zusammenfassung der Hilfen im Planverfahren für Umwandlungsmaßnahmen ................................................ 44 IV. Die einzelnen Umwandlungsarten als Plangegenstand ......................................... 48
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1.
2.
3.
Madaus
Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG)............. 49 1.1 Zielvorstellung............................... 49 1.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans ....................................... 51 1.3 Gestaltender Teil des Insolvenzplans ....................................... 52 1.3.1 Der Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO)..................... 53 1.3.2 Das vereinfachte Zustandekommen des Umwandlungsbeschlusses...... 54 1.3.3 Der Inhalt des Umwandlungsbeschlusses..................................... 55 1.3.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) ..... 59 1.4 Plananlagen .................................... 60 1.5 Planwirkungen............................... 61 Verschmelzung durch Aufnahme des insolventen Rechtsträgers durch einen solventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG).......................................... 62 2.1 Zielvorstellung............................... 62 2.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans ....................................... 63 2.3 Gestaltender Teil des Insolvenzplans ....................................... 65 2.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO)..................... 65 2.4 Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers............................................. 66 2.4.1 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers ....... 68 2.4.2 Bezugsrechtsausschluss statt Kapitalerhöhung/Gesellschafterzuwachs.......................................... 69 2.4.3 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG............................. 70 2.4.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) ..... 71 2.5 Plananlagen .................................... 72 2.6 Planwirkungen............................... 73 2.7 Keine Organhaftung nach § 25 UmwG bei Verwalterhandeln....... 75 Verschmelzung durch Aufnahme eines solventen Rechtsträgers durch den insolventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG).......................................... 76 3.1 Zielvorstellung............................... 76 3.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans ....................................... 78
§ 33
Umwandlungen im Planverfahren 3.3
4. 5.
Gestaltender Teil des Insolvenzplans........................................ 80 3.3.1 Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO)..................... 80 3.3.2 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers........ 81 3.3.3 Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers ........ 83 3.3.4 Die Anteilsübertragung................. 84 3.3.5 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG ............................. 85 3.3.6 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) ..... 86 3.4 Plananlagen .................................... 87 3.5 Planwirkungen ............................... 88 Verschmelzung durch Neugründung (§ 2 Nr. 2, §§ 36 ff. UmwG) ..................... 90 Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 3, §§ 152 ff. UmwG) ertragreicher Unternehmensteile..................................... 91 5.1 Zielvorstellung ............................... 91 5.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans........................................ 93 5.3 Gestaltender Teil des Insolvenzplans........................................ 94
5.3.1 5.3.2
6. 7.
Kein Fortsetzungsbeschluss ......... 94 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des insolventen Rechtsträgers ..................... 96 5.3.3 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers............. 97 5.3.4 Die Zustimmung zum Abspaltungs- bzw. Ausgliederungsund Übertragungsvertrag.............. 98 5.3.5 Verzicht auf Ansprüche aus § 133 UmwG.................................. 99 5.3.6 Bezugsrechtsausschluss............... 100 5.3.7 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG bei der Abspaltung................................... 101 5.3.8 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO)............................................ 102 5.4 Plananlagen .................................. 103 5.5 Planwirkungen ............................. 104 Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) .........................................................106 Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG)..................................................... 107
Literatur: Becker, Umwandlungsmaßnahmen im Insolvenzplan und die Grenzen einer Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht, ZInsO 2013, 1885; Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Böttcher, Insolvenzrecht in der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungspraxis des Notars – ausgewählte Grundfragen der Unternehmenssanierung, NotBZ 2012, 361; Brünkmans, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen von Umwandlungen im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2014, 2533; Heckschen, Die Umwandlung in der Krise und zur Bewältigung der Krise, ZInsO 2008, 824; Hölzle/Kahlert, Der sog. Sanierungserlass ist tot – Es lebe die Ausgliederung, ZIP 2017, 510; Horstkotte/Martini, Die Einbeziehung der Anteilseigner in den Insolvenzplan nach ESUG, ZInsO 2012, 557; Kahlert/Gehrke, ESUG macht es möglich: Ausgliederung statt Asset Deal im Insolvenzplanverfahren, DStR 2013, 975; Klausmann, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenzplan im Sinne von § 225a III InsO, NZG 2015, 1300; Madaus, Schutzschirme für streitende Gesellschafter? Die Lehren aus dem SuhrkampVerfahren für die Auslegung des neuen Insolvenzrechts, ZIP 2014, 500; Madaus, Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG, ZIP 2012, 2133; Rubner/Leuering, Verschmelzung einer überschuldeten Gesellschaft, NJW-Spezial 2012, 179; Schröder/Berner, Die Ausgliederung eines einzelkaufmännischen Unternehmens im Insolvenzplanverfahren: Rechtliche Grundlagen und Praxisbericht, NZI 2017, 837; Simon/Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Spliedt, Insolvenz der Gesellschaft ohne Recht der Gesellschaft? ZInsO 2013, 2155; Thole, Treuepflicht-Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren, ZIP 2013, 1937; Wachter, Umwandlung insolventer Gesellschaften, NZG 2015, 858.
I.
Die Zulässigkeit einer Umwandlung in der Insolvenz der Gesellschaft
Bei der Öffnung des Insolvenzplanverfahrens für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen durch 1 das ESUG hatte der Gesetzgeber zwar hauptsächlich die Ermöglichung eines Debt-EquitySwaps im Fokus.1) Die zu diesem Zweck normierten Regelungsbefugnisse eines Insolvenzplans erlauben es jedoch auch, Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) über einen Insolvenzplan noch in der Insolvenz der Gesellschaft durchzufüh___________ 1) S. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18.
Madaus
899
§ 33
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
ren.2) Das deutsche Insolvenzrecht schließt insofern endlich zum U.S.-Insolvenzrecht auf, das derartige Lösungen in 11 U.S.C. § 1123(a)(5)(C) ausdrücklich erlaubt. 1.
Die insolvente Gesellschaft als übertragender Rechtsträger
2 Umwandlungen nach dem UmwG waren bis 2012 in der Insolvenz einer Gesellschaft generell nicht möglich. Dies folgte aus § 3 Abs. 3 UmwG i. V. m. der gesellschaftsrechtlichen Abstinenz des Insolvenzrechts vor Inkrafttreten des ESUG. Schon die Öffnung des Insolvenzplans für gesellschaftsrechtliche Regelungen durch das ESUG hat aber genügt, um auch den Bereich des Umwandlungsrechts nach dem UmwG für das Insolvenzrecht zu erschließen. 3 § 3 Abs. 3 UmwG lässt die Beteiligung aufgelöster Rechtsträger an einer Verschmelzung nur zu, wenn „die Fortsetzung dieser Rechtsträger beschlossen werden könnte“. Entsprechendes gilt für die Spaltung und den Formwechsel, bei denen § 124 Abs. 2 und § 191 Abs. 3 UmwG auf § 3 Abs. 3 UmwG verweisen bzw. dessen Regelung wiederholen. Aus der Perspektive des Gesellschaftsrechts führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft stets und zwingend zu deren Auflösung (vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG; § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; § 101 GenG; § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB) und ihre Fortsetzung kann nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen erst wieder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans beschlossen werden (vgl. § 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG; § 60 Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbs. GmbHG; § 117 GenG; § 144 HGB). Das Gesellschaftsrecht sieht also einen Fortsetzungsbeschluss im laufenden Insolvenz(plan)verfahren nicht vor, weshalb man bis zum ESUG folgerichtig davon ausging, dass ein insolventer Rechtsträger während seiner Insolvenz nicht fortsetzungsfähig und folglich auch nicht verschmelzungsfähig i. S. des § 3 Abs. 3 UmwG ist. Umwandlungsmaßnahmen im eröffneten Insolvenzverfahren wurden als unzulässig angesehen.3) 4 Die Grundlage des bisherigen Subsumtionsschlusses ist durch den neuen § 225a Abs. 3 InsO entfallen. Die Norm erlaubt den Beteiligten seit dem 1.3.2012 ausdrücklich, den Fortsetzungsbeschluss für die insolvente Gesellschaft schon in den Insolvenzplan aufzunehmen, sodass die Fortsetzung der Gesellschaft nun bereits im Insolvenzplanverfahren beschlossen werden kann. Die Sperre der gesellschaftsrechtlichen Fortsetzungsregeln, die unverändert einen Fortsetzungsbeschluss in der Insolvenz ausschließen, wird damit bewusst durchbrochen. Ein Fortsetzungsbeschluss, der bereits in der Insolvenz als Teil eines Insolvenzplans zustande kommt, ersetzt sogar den gesellschaftsrechtlichen Fortsetzungsbeschluss.4) 5 Subsumiert man diese neue insolvenzrechtliche Rechtslage unter § 3 Abs. 3 UmwG, so ist festzustellen, dass die dort für die Umwandlungsfähigkeit verlangte potenzielle Fortsetzungsfähigkeit des aufgelösten Rechtsträgers nun in jedem Insolvenzverfahren vorhanden ist, da die Fortsetzung der Gesellschaft in einem solchen durch einen entsprechenden Insolvenzplan beschlossen werden kann. Folglich muss nun jede Gesellschaft schon im Zeitpunkt ihrer Insolvenz als (potenziell) fortsetzungsfähig angesehen werden. Damit er___________ 2) Im Grundsatz wohl unstreitig, wenngleich noch nicht explizit höchstrichterlich geklärt. Der BGH beanstandete den Suhrkamp-Insolvenzplan jedenfalls nicht im Hinblick auf das Vorliegen eines Formwechsels für einen insolventen Rechtsträger im Plan; vgl. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442, Rz. 41, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 3) Vgl. Fronhöfer, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 3 Rz. 55 f.; Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 44; Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 894 f., Rz. 80; Drygala, in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 26; Simon, in: KölnKomm-UmwG, § 3 Rz. 54; Stengel, in: Semler/Stengel, UmwG, § 3 Rz. 44; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 3 Rz. 57. 4) So ausdrücklich Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32: „Damit bedarf es keines förmlichen Fortsetzungsbeschlusses der Gesellschafter mehr, wenn die Gesellschaft weitergeführt werden soll.“
900
Madaus
§ 33
Umwandlungen im Planverfahren
füllt das neue Insolvenzrecht die Anforderung des § 3 Abs. 3 letzter Halbs. UmwG, der nur diese potenzielle Fortsetzungsfähigkeit verlangt.5) Folglich ist es nicht erforderlich, den konkreten Insolvenzplan zu betrachten und nur im 6 Fall einer angestrebten Sanierungslösung die Umwandlungsfähigkeit nach § 3 Abs. 3 UmwG zu bejahen.6) Das hierfür angeführte Argument, dass nur ein auf Sanierung ausgerichteter Insolvenzplan den auf Abwicklung gerichteten Schwebezustand einer Insolvenz ausschließt, ist nicht stichhaltig, da jede Gesellschaftsinsolvenz nach den Grundprinzipien des deutschen Insolvenzrechts inhaltsoffen und damit ergebnisoffen einen Wettbewerb um die beste Verwertungslösung aus Sicht der Insolvenzgläubiger eröffnet. Einen Vorrang der Sanierung wollte auch das ESUG nicht schaffen.7) Selbst bei Vorlage eines Insolvenzplans mit dem Insolvenzantrag führt die Insolvenzeröffnung über das Gesellschaftsvermögen folglich weiter zu einem Schwebezustand, da alle Verfahrensoptionen inklusive der Abwicklung in einer Regelinsolvenz auf dem Tisch bleiben. Das ESUG hat insofern zu Recht nichts an den gesellschaftsrechtlichen Auflösungstatbeständen geändert. Es ist folglich weniger die konkret in Aussicht gestellte Sanierung als die nun schon im Planverfahren eröffnete Möglichkeit zum Fortsetzungsbeschluss, die als entscheidende Neuerung anzusehen ist. Da nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs. 3 UmwG die potenzielle Fortsetzungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers genügt, um ihn als umwandlungsfähig anzusehen, und die Insolvenz diese Fortsetzungsfähigkeit nicht mehr suspendiert, sind nun auch insolvente Rechtsträger umwandlungsfähig. Ein insolventer Rechtsträger ist mithin schon im Insolvenzverfahren verschmelzungs- 7 (§ 3 Abs. 3 UmwG) und spaltungsfähig (§ 124 Abs. 2, § 3 Abs. 3 UmwG), wenn er als übertragender Rechtsträger auftritt.8) Zugleich folgt aus § 191 Abs. 3 UmwG die Fähigkeit zum Formwechsel. Der vom Gesetzgeber ursprünglich mit § 3 Abs. 3 UmwG verfolgte Zweck, Sanierungsfusionen zu fördern,9) wird dabei respektiert. 2.
Die insolvente Gesellschaft als aufnehmender Rechtsträger
Jenseits des Formwechsels und der Spaltung bleibt die Frage offen, ob auch die umge- 8 kehrte Verschmelzung eines gesunden Rechtsträgers auf den insolventen Schuldner zulässig ist. Eine solche Umwandlung könnte v. a. in Konzernstrukturen dazu genutzt werden, eine zweite (solvente) Gesellschaft durch das eröffnete Insolvenzverfahren mit abzuwickeln (Abwicklungsfusion).10) Auf die Frage nach der Zulässigkeit derartiger Umwandlungsmaßnahmen mit insolventen, also aufgelösten Gesellschaften als aufnehmendem Rechtsträger gibt § 3 Abs. 3 UmwG unmittelbar keine Antwort. Dessen Wortlaut lässt sich nur die Aussage zur Verschmelzungsfähigkeit einer aufgelösten Gesellschaft als übertragender Rechtsträger entnehmen.
___________ Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 26; Stengel, in: Semler/Stengel, UmwG, § 3 Rz. 43. So aber Becker, ZInsO 2013, 1885, 1887 f. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. Dies scheint inzwischen unstreitig; vgl. Becker, ZInsO 2013, 1885, 1887 f.; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2534; Drygala, in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 27; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975; Madaus, ZIP 2012, 2133, 2134; Rattunde, AnwBl. 2012, 144, 148; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 839; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128; Wachter, NZG 2015, 858, 860. Diese Folge des ESUG übersahen noch Böttcher, NotBZ 2012, 361, 367; Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 179. 9) Begr. Fraktionsentwurf UmwBerG, BT-Drucks. 12/6699, S. 82. 10) Ein Beispielsfall findet sich in OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929. Zur praktischen Relevanz dieser Art der Fusion s. Heckschen, DB 1998, 1385, 1387. 5) 6) 7) 8)
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
9 Die Beschränkung des Regelungsinhalts des § 3 Abs. 3 UmwG folgt aus der wortgetreuen Umsetzung von EU-Recht. Auch die Verschmelzungsrichtlinie11) sieht in Art. 3 Abs. 2 eine Verschmelzung auf einen aufgelösten Rechtsträger nicht vor. Hieran hat auch die Übernahme der Regelung in Art. 89 Abs. 2 der Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts12) nichts geändert. Wie dieses Schweigen des europäischen wie deutschen Gesetzgebers zu interpretieren ist, wird folgerichtig keineswegs einheitlich beurteilt. Während wohl überwiegend aus der beschränkten Zuweisung der Verschmelzungsfähigkeit in § 3 Abs. 3 UmwG der Umkehrschluss gezogen und eine Fusion auf einen aufgelösten Rechtsträger für unzulässig gehalten wird,13) verweisen andere14) auf die bloße Förmelei einer derartigen Gesetzesauslegung, die vom Rechtsanwender nur verlange, spätestens zeitgleich mit dem Verschmelzungsbeschluss die Fortsetzung des aufgelösten Rechtsträgers zu beschließen.15) Dieser gesellschaftsrechtliche Streit muss hier nicht entschieden werden, da beide Ansichten eine Verschmelzung auf den aufgelösten Rechtsträger erlauben, wenn zeitgleich mit dem Verschmelzungsbeschluss auch ein Fortsetzungsbeschluss zustande kommt – eine Voraussetzung, die durch die Aufnahme beider Beschlüsse in den Insolvenzplan gemäß §§ 225a Abs. 1 und 3, 254a Abs. 1 InsO garantiert wird. Ist danach aber eine Umwandlungsmaßnahme gesellschaftsrechtlich (im Ergebnis unstreitig) zulässig, so darf sie auch Gegenstand eines Insolvenzplans sein.16) 10 Der gesellschaftsrechtliche Streit um die Zulässigkeit einer Verschmelzung auf einen insolventen Rechtsträger wird mithin nur relevant, wenn eine Abwicklungsfusion geplant ist, da in dieser Fallkonstellation gerade keine Fortsetzung der Schuldnergesellschaft gewollt ist. Für die wohl überwiegende restriktive Ansicht spricht, dass für die Gläubiger des solventen übertragenden Rechtsträgers eine Abwicklungsfusion auf einen insolventen (und damit im Regelfall überschuldeten) Rechtsträger eine Minderung der Bonität ihres Schuldners und damit eine Erhöhung des Ausfallsrisikos in der Abwicklung bedeutet. Diese Risikoerhöhung wird auch in einem Insolvenzplanverfahren nicht aufgefangen, sind doch die Gläubiger des solventen übertragenden Rechtsträgers am Verfahren über den insolventen Rechtsträger (auch in Konzernsachverhalten) nicht beteiligt und damit auch nicht abstimmungsberechtigt. Auch läuft der Schutz dieser Gläubiger über das Recht auf Sicherheitsleistung nach der Verschmelzung in § 22 UmwG leer.17) Denn es gehört zwar zu den typischen Folgen einer Verschmelzung, dass die Gläubiger der beteiligten Rechtsträger unfreiwillig einen neuen Schuldner mit vorher unbekannter, neuer Bonität erhalten; dennoch benachteiligt man die Gläubiger eines übertragenden Rechtsträgers in der Insolvenz des aufnehmenden Rechtsträgers außerordentlich, wenn aufgrund der Zielsetzung ___________ 11) Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. (EG) L 195/36, v. 20.10.1978. 12) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) L 169/46 v. 30.6.2017. 13) Vgl. OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929; OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, NJW-RR 1998, 178, 179 f.; Drygala, in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 31; Heidinger, in: Henssler/ Strohn, GesR, § 3 UmwG Rz. 21; Stengel, in: Semler/Stengel, UmwG, § 3 Rz. 46 f.; Trölitzsch, WiB 1997, 795, 798. 14) Etwa Heckschen, DB 1998, 1385, 1387; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 3 Rz. 47 f. 15) Vgl. OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, NJW-RR 1998, 178, 180; Heckschen, Rpfleger 1999, 357, 359; Stengel, in: Semler/Stengel, UmwG, § 3 Rz. 44. Anders aber nun ausdrücklich OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929. 16) Ebenso Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 217 Rz. 84; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 48. Allein auf den engen Wortlaut des § 3 Abs. 3 UmwG lässt sich daher nicht die gesellschaftsrechtliche Unzulässigkeit einer Umwandlung auf einen insolventen Rechtsträger stützen; so aber OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929; Becker, ZInsO 2013, 1885, 1888; auch Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2534. 17) Zutreffend Lutter/Drygala, in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 31.
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Umwandlungen im Planverfahren
einer Abwicklungsfusion klar ist, dass für die Zielgesellschaft keine positive Fortführungsprognose besteht. Diese Schutzlücke kann auch durch das Planverfahren mangels Beteiligung der schutzbedürftigen Gläubiger nicht geschlossen werden. Die Abwicklungsfusion solventer auf insolvente Rechtsträger ist daher im Regelfall unzulässig; ein entsprechender Insolvenzplan wäre zurückzuweisen.18) Hindert somit der lückenhafte Gläubigerschutz die generelle Zulassung einer Abwick- 11 lungsfusion, so wird man diese praxisrelevante Verschmelzungsart in dem Ausnahmefall zulassen dürfen, in dem der solvente Rechtsträger als Tochtergesellschaft der insolventen Mutter- und Zielgesellschaft keine eigenen Gläubiger (mehr) hat.19) Hier ist jeder Gläubigerschutz irrelevant. In diesem Ausnahmefall ist eine Abwicklungsfusion als einfache und lautlose Gesamtliquidation gesellschaftsrechtlich – und damit auch in der Insolvenz – zuzulassen.20) Entsprechendes wird für den Fall gelten dürfen, in dem die schutzwürdigen Belange dieser Gläubiger durch ein Insolvenzverfahren über die (ebenfalls) insolvente übertragende Gesellschaft und die damit einhergehende Beteiligung an der Fusionsentscheidung hinreichend gesichert erscheinen. Auch in solchen Ausnahmekonstellationen scheint kein überzeugender Grund ersichtlich, kostengünstige Abwicklungsfusionen zu verbieten.21) II.
Die mit Umwandlungsmaßnahmen erreichbaren Sanierungseffekte
1.
Überblick
Die durch das UmwG eröffneten Umwandlungsoptionen können in Sanierungsfällen auf 12 sehr einzelfallbezogene Art und Weise eingesetzt werden. Umwandlungsmaßnahmen sind dabei etwa Hilfsmittel für leistungs- und finanzwirtschaftliche Restrukturierungen. So kann insbesondere über einen Formwechsel die Rechtsform der sanierten Schuldnergesellschaft an das neue Geschäfts- und Risikomodell angepasst werden. Die Umwandlung kann aber auch selbst Kern eines Sanierungskonzepts sein. So kann eine Fusion, aber auch eine Abspaltung oder Ausgliederung, eine wichtige Alternative zu einer sonst notwendigen übertragenden Sanierung darstellen. Auch kann ein Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft finanzielle Reserven nutzbar machen. In der Konzerninsolvenz sind Umwandlungen von Konzernunternehmen ein Mittel, um die gewünschte Neustrukturierung des Konzerns zu organisieren. 2.
Effekte der Vermögensübertragung
Gerade gegenüber der klassischen übertragenden Sanierung hat eine Vermögensübertragung 13 nach dem Umwandlungsrecht (etwa durch eine Verschmelzung oder Ausgliederung) den Vorteil, dass hier keine Einzelrechtsnachfolge, sondern eine (partielle) Gesamtrechtsnachfolge stattfindet. Der Vermögensübergang wird dadurch nicht nur vereinfacht, da auf diese Weise Rechtsgesamtheiten wie Unternehmen ohne aufwendige Einzelaufstellungen übertragen werden können. Vor allem wird es möglich, rechtsträgergebundene Berechtigungen – wie etwa günstige Mietkonditionen, öffentlich-rechtliche Genehmi-
___________ 18) Allein insofern zutreffend: OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929. 19) Entgegen Wachter, NZG 2015, 858, 862, wird man verlangen müssen, dass die Gläubiger vor der Abwicklungsfusion befriedigt werden; die bloße Sicherstellung ihrer Ansprüche analog § 122j UmwG genügt nicht, da der Eintritt des Sicherungsfalls aufgrund der beabsichtigten Abwicklung feststeht. 20) So auch Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 217 Rz. 84; Wachter, NZG 2015, 858, 862. Allg. zu dieser Fallgruppe Heckschen, ZInsO 2008, 824, 828. 21) So aber OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929 (s. die krit. Anm. von Madaus, NZI 2015, 565, 567).
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
gungen, Lizenzen usw.22) – ohne Zustimmung der anderen Vertragspartei oder Genehmigungsbehörde zu übertragen. Sogar Abtretungsverbote können überwunden werden.23) 3.
Die Nichtübertragbarkeit steuerlicher Verlustvorträge
14 Während eine Ausgliederung gegenüber anderen Sanierungsoptionen auch steuerliche Vorteile haben kann, da steuerbare Sanierungsgewinne vermieden werden,24) sind die steuerlichen Verlustvorträge der insolventen Gesellschaft (§ 8c KStG, § 10d EStG, § 10a GewStG) nach der derzeitigen Rechtslage nicht mittels einer Verschmelzung oder Ausgliederung übertragbar, sondern von der Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen. Sie können daher insbesondere nicht auf einen solventen aufnehmenden Rechtsträger verschmolzen werden. Für eine solche Fusion (§ 3 Abs. 3 UmwG) schließt das Umwandlungssteuerrecht in §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG den Übergang von steuerlichen Verlustvorträgen ausdrücklich aus.25) Ein Sanierungsprivileg wie in § 8c Abs. 1a KStG, das diesen empfindlichen Nachteil mildern könnte, findet sich im UmwStG nicht, weshalb steuerliche Verlustvorträge der insolventen Gesellschaft derzeit bei einer Sanierungsfusion auf einen solventen Rechtsträger verloren gehen. 15 Da die i. R. einer Umwandlung erfolgende Vermögensübertragung die Zuordnung steuerlicher Verlustvorträge nicht berührt, bleibt ihr Vermögenswert nur beim insolventen Rechtsträger nutzbar. Die Zulässigkeit einer Sanierungsfusion auf einen insolventen Rechtsträger (siehe Rz. 9) eröffnet hier die Möglichkeit, den Verlustvortrag des insolventen Rechtsträgers zu erhalten und auch für den übertragenden solventen Rechtsträger zu erschließen.26) 4.
Die über eine Umwandlung erreichbare Entschuldungswirkung
16 Die mit einer übertragenden Sanierung verbundene Entschuldung des übertragenden Unternehmens beruht auf der Trennung von Aktiva und Passiva im Wege einer Einzelrechtsnachfolge nur in die Aktiva. Eine derartig gezielte Rechtsnachfolge lässt sich durch eine Umwandlung nach dem UmwG nur im Ausnahmefall der Abspaltung/Ausgliederung erreichen. 4.1
Beim Formwechsel
17 Ein Formwechsel bewahrt die Identität des Rechtsträgers, sodass dieser auch unter der neuen Rechtsform seine Rechte, aber auch seine Pflichten behält. Eine Entschuldung kann der Formwechsel als solcher daher nicht bewirken; hierzu bedarf es zusätzlicher Vereinbarungen mit den Gläubigern. 4.2
Bei der Fusion
18 Eine Fusion führt zu einer Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge, sodass mit den Aktiva auch die Passiva, also die Verbindlichkeiten, auf die Zielgesellschaft übergehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG).
___________ S. die Auflistung bei Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157. S. BGH v. 22.9.2016 – VII ZR 298/14, ZIP 2016, 2015, dazu EWiR 2016, 689 (Wachter). Hierzu Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510. Klingberg, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, 128. EL. 2015, § 12 UmwStG 2006 Rz. 62; Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 867 f., Rz. 22. 26) Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 868, Rz. 22. 22) 23) 24) 25)
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Umwandlungen im Planverfahren 4.3
Bei der Abspaltung und der Ausgliederung
Im Fall einer Abspaltung wie auch einer Ausgliederung findet hingegen eine nur partielle 19 Gesamtrechtsnachfolge des übernehmenden Rechtsträgers statt. Hier gehen nur diejenigen Vermögensgegenstände im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf den Zielrechtsträger über, die im Spaltungs- bzw. Ausgliederungsvertrag benannt werden. Dies ermöglicht es grundsätzlich, nur werthaltige Aktiva und Vertragsverhältnisse im Wege der Sonderrechtsnachfolge zu übertragen und zugleich andere Verbindlichkeiten beim übertragenden Rechtsträger zu belassen. Es entsteht – wie bei einer übertragenden Sanierung – ein entschuldeter und zugleich mit allen zukunftsfähigen Vermögensteilen ausgestatteter Zielrechtsträger, der in der Folge außerhalb der Insolvenz fortgeführt oder veräußert werden kann.27) 4.3.1 Problem: § 133 Abs. 1 UmwG Der Entschuldungseffekt der Sonderrechtsnachfolge wird derzeit durch § 133 Abs. 1 UmwG 20 bedroht, der die gesamtschuldnerische Haftung aller an der Abspaltung/Ausgliederung beteiligten Rechtsträger für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers anordnet und eine Haftung des übernehmenden Rechtsträgers aus § 25 HGB zulässt. Diese gesetzliche Haftungsanordnung dient dem Gläubigerschutz, der gemäß Art. 146 Abs. 6 der Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts28) durch eine solche gesamtschuldnerische Haftung erfolgen kann. Europarechtlich notwendig ist eine solche generelle Haftungsanordnung nicht. Art. 146 Abs. 2 der Richtlinie lässt den in § 22 UmwG normierten Anspruch auf Sicherheitsleistung genügen und verlangt in Art. 146 Abs. 3 für ausfallende Gläubiger nur einen Haftungszugriff auf die übertragenden Aktiva. Zugleich ist zu bedenken, dass die Richtlinie ohnehin nur für Aktiengesellschaften gilt und primär Aufspaltungen regelt. Ob eine Abspaltung bzw. eine Ausgliederung ebenso den Anforderungen des Art. 146 an den Gläubigerschutz genügen muss, ist zweifelhaft. Art. 159 der Richtlinie, der die Aufspaltungsregelungen auf Spaltungsvorgänge nach Art. 135 erweitert, die nicht zu einer Auflösung des übertragenden Rechtsträgers führen, scheint diese Umwandlungsarten nicht erfassen zu können, da hier anders als bei den in Art. 135 genannten Vorgängen (Art. 136, 155) gerade keine Gesamt-, sondern eine Sonderrechtsnachfolge stattfindet.29) 4.3.2 Die teleologische Reduktion des § 133 Abs. 1 UmwG Wird die Abspaltung oder Ausgliederung zum Gegenstand eines Insolvenzplans, so finden 21 sich spezielle verfahrensrechtliche Garantien für die betroffenen Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers, die einem zusätzlichen Schutz über § 133 Abs. 1 UmwG und § 25 HGB widersprechen. Anders als in Umwandlungsfällen außerhalb der Insolvenz sind es hier die Gläubiger, die neben den Gesellschaftern des insolventen übertragenden Rechtsträgers darüber entscheiden, ob die Ausgliederung oder Abspaltung nach Maßgabe des Insolvenzplans erfolgen soll. Die Gläubiger sind mithin keine schutzbedürftigen Dritten, sondern Entscheidungsträger. Sind sie mit den im Insolvenzplan vorgesehenen Kompensationen nicht einverstanden, so können sie die Umwandlung durch die mehrheitliche Ablehnung des Plans verhindern. Das Planverfahren der §§ 231 ff. InsO bietet zugleich besondere Verfahrensrechte (Gruppenbildung, Minderheitenschutz), die sicherstellen, dass auch die werthaltigen Forderungsrechte der überstimmten Gläubiger nicht beeinträchtigt ___________ 27) Vgl. Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 882 f., Rz. 52. 28) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) L 169/46 v. 30.6.2017. 29) Vgl. Seulen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 6 m. w. N.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
werden. Diese speziellen Schutzvorkehrungen gehen den allgemeinen umwandlungsrechtlichen Mechanismen vor und rechtfertigen die Nichtanwendung des § 133 UmwG im Wege der teleologischen Reduktion.30) Folgerichtig haftet der übernehmende Rechtsträger nicht für Verbindlichkeiten des insolventen übertragenden Rechtsträgers (nicht einmal i. H. der Planquote).31) Auch entsprechende Verzichtsklauseln im Plan sind zulässig.32) 22 Die Insolvenzgläubiger des übertragenden Rechtsträgers haben folgerichtig auch keinen Anspruch gegen den übernehmenden Rechtsträger aus § 25 HGB, wie ihn § 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG zulassen würde.33) Es gelten insofern zusätzlich die Erwägungen, die gegen eine Anwendung des § 25 HGB auf Firmenfortführungen, die aus der Insolvenz des Handelsgeschäfts heraus erfolgen, vorgebracht und höchstrichterlich anerkannt wurden.34) Auch hier ist es der Widerspruch zu den Grundsätzen des Insolvenzverfahrens, der zu einem Vorrang des Insolvenzrechts geführt hat. Die Gläubiger entscheiden in der Sondersituation der Insolvenz nach den besonderen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Insolvenzrechts über die Verwertung des Schuldnervermögens. Die Sonderrechtsnachfolge infolge einer Ausgliederung oder Abspaltung kann daher, wenn sie auf der Grundlage eines Insolvenzplans erfolgt, einen entschuldeten Zielrechtsträger erzeugen. III.
Die Nutzung der Wirkungsmacht eines Insolvenzplans für Umwandlungen
23 Die Sanierungseffekte von Umwandlungen lassen sich in der Insolvenz nur über einen Insolvenzplan erreichen. Das dazu notwendige Insolvenzplanverfahren bietet hierzu verschiedene Hilfestellungen. So ist seit dem 1.3.2012 nicht nur die Fassung des Fortsetzungsbeschlusses für die insolvente Gesellschaft schon im Insolvenzplan möglich; die gesamte gesellschaftsrechtliche Willensbildung kann nun im Planverfahren gemäß den §§ 235 ff. InsO erfolgen. Die Ergebnisse dieser Willensbildung finden sich in gesellschaftsrechtlich bindenden Planregelungen wieder (vgl. §§ 225a, 254a InsO). Die Reichweite dieser neuen insolvenzrechtlichen Regelungsmacht im Gesellschaftsrecht mag im Detail noch unsicher sein. Insgesamt bieten sich aber Vereinfachungs- und Konzentrationspotenziale, die in der Praxis auch schon vor einer höchstrichterlichen Klärung aller Detailfragen genutzt werden sollten. 1.
Die (drohende) Insolvenz als Eingriffslegitimation
24 Die gesellschaftsrechtliche Regelungskompetenz eines Insolvenzplans erstreckt sich gemäß § 217 Satz 2, § 254a Abs. 2 InsO auf den Eingriff in die „Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen“. Die Bedeutung dieser Regelungskompe___________ 30) Dies ist methodengerecht möglich, da der Gesetzgeber über den Ausschluss der Haftung nach § 133 UmwG in der Insolvenz nicht entschieden hatte, dazu eingehend Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 978; ebenso Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841. 31) Zutreffend Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977 f.; Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510, 513 f.; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841; auch Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 49; a. A. aber Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128 (ohne Diskussion). Becker, ZInsO 2013, 1885, 1891, hält die Regelung in § 133 UmwG einerseits für zwingend, schlägt dann aber einen Verzicht der Gläubiger auf ihre Ansprüche durch eine Verzichtsklausel im Plan vor. Dann ist die Regelung in § 133 UmwG aber eben nicht zwingend, sondern plandispositiv. Die Abweichung in der Ansicht Beckers reduziert sich dann auf die Frage nach der Notwendigkeit einer expliziten Verzichtsklausel. 32) Ebenso Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552 f.; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977 f.; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841. Becker, ZInsO 2013, 1885, 1891, hält solche Verzichtsklauseln im Plan für zwingend, um § 133 UmwG abzuwenden. 33) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 978; Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510, 513; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 49. 34) Vgl. BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727 = NJW 1988, 1912; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, ZIP 2007, 386 = NJW 2007, 942, dazu EWiR 2007, 497 (Joost).
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tenz sowie ihr Sanierungs-, aber auch Missbrauchspotenzial wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Veränderungen dieser Rechte im Gesellschaftsrecht einer Satzungsänderung und daher eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung bzw. der Hauptversammlung bedürfen, wozu – je nach Gesellschaftsform – eine DreiviertelMehrheit oder gar Einstimmigkeit erreicht werden muss. Zugleich sind, insbesondere im Aktienrecht, formale Anforderungen zu erfüllen, die insbesondere die Einberufung und Beschlussfassung der Gesellschafter betreffen (vgl. etwa die §§ 118 ff. AktG). Diese Anforderungen gelten seit dem ESUG nicht mehr, wenn die Rechtsänderung durch einen Insolvenzplan erfolgen soll und daher die Willensbildung in der Schuldnergesellschaft durch die Willensbildung der Gesellschafter und Insolvenzgläubiger über den Insolvenzplan nach Maßgabe der §§ 235 ff. InsO ersetzt wird. Die Mitbestimmungs- und Vetorechte der betroffenen Gesellschafter sind dann wesentlich reduziert. Diese starken Rechtseinbußen hat der Gesellschafter nur hinzunehmen, wenn die Gesell- 25 schaft insolvent ist. Nur im Fall der Überschuldung der Gesellschaft sind seine Anteilsrechte allerdings wirtschaftlich wertlos, da die Vermögensrechte der Gesellschaft nun allein den Gläubigern zuzuordnen sind. Hieraus leitet der Gesetzgeber auch eine Herabstufung der Mitgliedschaftsrechte, insbesondere der Organisationshoheit der Gesellschafter, ab. Diese Rechtfertigung wird vollends fraglich, wenn die Gesellschaft weder überschuldet noch zahlungsunfähig, sondern nur drohend zahlungsunfähig ist. Der ESUG-Gesetzgeber sieht auch in diesem Fall eine hinreichende Grundlage für Eingriffe in die Gesellschafterrechte. Wird der Eröffnungsgrund des § 18 InsO nicht von einer Überschuldung begleitet, so sind die Anteilsrechte allerdings werthaltig. Auch dies führt nach der neuen Rechtslage aber nur zu einer geringen Erhöhung der Entscheidungsmacht der Gesellschafter. So kann die ablehnende Haltung in der Gruppe der Gesellschafter nun nur noch über das Obstruktionsverbot des § 245 Abs. 1 InsO überwunden werden, wenn die Gesellschafter durch den Plan nicht schlechtergestellt werden (§ 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO). Stimmt die Gesellschaftergruppe mehrheitlich zu, so ist dem einzelnen Minderheitsgesellschafter ein Wertverlust durch den Plan auszugleichen (§ 251 Abs. 3 InsO); ansonsten kann er den Plan durch einen Antrag auf Minderheitenschutz verhindern (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Dem Unternehmensmanagement bietet sich vor dem Hintergrund dieser Rechtslage die 26 Chance, dringend benötigte Umwandlungen über § 18 InsO in ein Insolvenzplanverfahren zu verschieben, die ansonsten an den hohen gesellschaftsrechtlichen Mehrheits- oder gar Einstimmigkeitsanforderungen zu scheitern drohen. 2.
Vereinfachung der Willensbildung der Gesellschafter
Der erste wesentliche Vorteil der Einbindung einer Umwandlung in ein Insolvenzplanver- 27 fahren liegt in der Vereinfachung der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung. Die Beschlussfassung der Gesellschafter in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung wird formal wie auch materiell in das Planverfahren integriert. 2.1
Materielle Regelungsbefugnis des Insolvenzplans im Gesellschaftsrecht
Die §§ 217 Satz 2, 225a, 254a Abs. 2 InsO normieren im Bereich der materiellen gesell- 28 schaftsrechtlichen Regelungsmacht des Insolvenzplans eine Ersetzungswirkung der Planabstimmung für sämtliche Beschlüsse der Anteilseigner einer insolventen Gesellschaft, die nach dem im Insolvenzplan verkörperten Sanierungskonzept für gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen notwendig sind.
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2.1.1 Herabsetzung von Mehrheitserfordernissen 29 Dies bedeutet für eine geplante Umwandlung, dass der Umwandlungsbeschluss nun in den Insolvenzplan aufgenommen werden kann und zusammen mit dem Insolvenzplan, also mit den Mehrheiten der §§ 243 ff. InsO, zustande kommt. Das gesellschaftsrechtliche Erfordernis einer satzungsändernden Mehrheit wird damit durch die in § 244 Abs. 3 InsO bestimmte einfache Summenmehrheit der Gesellschafter in ihrer Gruppe ersetzt. Eine hinreichende Gesellschafterzustimmung liegt also bereits vor, wenn die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Gesellschafter mehr als die Hälfte der Summe der Beteiligungen der abstimmenden Gesellschafter beträgt; eine Kopfmehrheit der Gesellschafter ist nicht erforderlich. Folgerichtig genügt anstelle der Einstimmigkeit bei Personengesellschaften bzw. einer Dreiviertelmehrheit bei Kapitalgesellschaften schon ein Zustimmungsquorum i. H. einer einfachen Kapitalmehrheit der abstimmenden Gesellschafter für die Gesellschafterzustimmung zum Insolvenzplan. Im Anwendungsbereich der Obstruktionsverbote (§ 245 Abs. 3, § 246a InsO) kann die Zustimmung sogar ganz entbehrlich sein (siehe näher bei § 41 Rz. 5 ff.). 2.1.2 Reichweite der materiellen Regelungsmacht des Insolvenzplans 30 Die gesellschaftsrechtliche Regelungskompetenz ist dem Insolvenzplan nicht unbeschränkt zugewiesen worden. Zwar kann in einem Insolvenzplan nach dem Wortlaut des § 225a Abs. 3 InsO „jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist“. Diese Befugnis darf allerdings nicht ohne Hinzuziehen der grundsätzlichen Kompetenznorm des § 217 Satz 2 InsO interpretiert werden,35) die dem Plan nur einen Eingriff in die „Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen“ erlaubt (siehe § 31 Rz. 13 ff.). Die Planregelung muss eben Rechte betreffen, die den Beteiligten am Planverfahren vermögens- oder gesellschaftsrechtlich zugewiesen sind. 31 Gegenstand einer Regelung im Insolvenzplan und damit einer vereinfachten insolvenzrechtlichen Willensbildung der Gesellschafter können mithin etwa sein:
der Fortsetzungsbeschluss der aufgelösten Gesellschaft (§ 225a Abs. 3 InsO),
die Übertragung von Anteilen an Dritte (§ 225a Abs. 3 InsO) und damit u. a. auch: –
eine Kapitalerhöhung gegen Sach- oder Bareinlage, auch als Debt-Equity-Swap (§ 225a Abs. 2 InsO),
–
ein Kapitalschnitt (vereinfachte Kapitalherabsetzung auf null und anschließende Kapitalerhöhung),
–
ein Ausschluss des Bezugsrechts der Anteilseigner,
–
ein Umwandlungsbeschluss (§ 13 UmwG).
32 Nicht in die materielle Regelungsmacht des Insolvenzplans fallen demgegenüber solche gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, die nicht die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter berühren, sondern Eingriffe in die Stellung anderer, nicht am Insolvenzverfahren beteiligter Gesellschaftsorgane beinhalten. Insbesondere die Abberufung und Neubestellung des Aufsichtsrats liegt daher nicht in der Kompetenz der Planmehrheit, sondern obliegt der infolge der Planumsetzung neu zusammengestellten Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung.36)
___________ 35) So aber etwa Becker, ZInsO 2013, 1885, 1886 f. 36) Anders (allein im Hinblick auf die entsprechende Hauptversammlungskompetenz): Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 564, Fn. 50.
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§ 33
Umwandlungen im Planverfahren 2.2
Formelle Vereinfachungen durch das Planverfahren
Eine Vereinfachung der Willensbildung der Gesellschafter wird durch das Planverfahren 33 auch in formeller Hinsicht geleistet. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO macht insofern nochmals deutlich, dass die formellen Anforderungen des Gesellschaftsrechts an Vorbereitungsmaßnahmen zur Beschlussfassung der Gesellschafter wie Ladungen, Bekanntmachungen oder Rederechte im Planverfahren nicht gelten. An ihre Stelle treten die entsprechenden Verfahrensregeln des Insolvenzrechts (§§ 231 ff. InsO, insbesondere § 235 InsO). Deren Einhaltung stellt das Insolvenzgericht im Bestätigungsbeschluss fest (§ 250 Nr. 1 InsO). Die damit einhergehende Feststellung der rechtmäßigen Beschlussfassung der Gesellschafter kann dann nur noch mit den Rechtsmitteln des Insolvenzplanverfahrens (sofortige Beschwerde, § 253 InsO), nicht aber mit gesellschaftsrechtlichen Klagen (etwa einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage) angegriffen werden. Wird die richterliche Planbestätigung rechtskräftig, so ist die Beschlussfassung auch gesellschaftsrechtlich unanfechtbar. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO kann daher die Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen Verfahrensregeln fingieren. Die insolvenzrechtliche Überlagerung der Willensbildung der Gesellschafter betrifft nicht 34 nur die gesellschaftsrechtlichen Verfahrensregeln, sondern auch gesellschaftsrechtliche Stimmverbote, -beschränkungen oder -bindungen. Dies ergibt sich eindeutig aus § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO. „Die Stimmrechte im Planverfahren entsprechen damit nicht zwangsläufig den Stimmrechten, die den jeweiligen Anteilsinhabern nach Maßgabe des einschlägigen Gesellschaftsrechts zustehen.“37) Die daraus folgende Verschiebung von Herrschaftsmacht in der Gesellschaft im Planverfahren beruht nicht auf der Wertlosigkeit der Anteile aller Gesellschafter; der Gedanke der Inkorporation der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung in das Planverfahren würde im Gegenteil sogar eher dafür sprechen, die Stimmgewichte ebenso zu importieren. Der Grund der Regelung sollte vielmehr aus der Funktion der Gesellschafterbeteiligung im Insolvenzplanverfahren erkannt werden, die hier zum einen den Zugriff auf den (nicht pfändbaren) Rechtsträger rechtlich legitimiert und zugleich die bei den Gesellschaftern schlummernden Informationen und Einschätzungen zum Plankonzept aggregiert.38) Zu beiden bedarf es einer ungehinderten Willensbildung aller vom Insolvenzplan betroffenen Gesellschafter. Folgerichtig müssen auch Stimmbindungen, die sich außerhalb des Planverfahrens aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ergeben können, bei der Planabstimmung ohne Wirkung bleiben. Auf Stimmverbote gerichtete einstweilige Verfügungen, wie man sie im Suhrkamp-Planverfahren zwischen den Gesellschaftern erlebt hat, entbehren damit jeder rechtlichen Grundlage. Das mit ihnen verfolgte Rechtsschutzbegehren zielt allein auf das Plankonzept ab und muss daher im Planverfahren selbst berücksichtigt werden. Hier hat das Insolvenzgericht Einwände des Minderheitsgesellschafters zu hören sowie die Rechtmäßigkeit des Planinhalts zu prüfen. Pläne, die einzelnen Gesellschaftergruppen Sondervorteile gewähren, dürfen nicht bestätigt werden (§ 250 Nr. 1, § 226 Abs. 1 InsO).39) Eine missbräuchliche Verwendung des Planverfahrens ist hingegen bereits bei der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung zu prüfen; eine nochmalige Prüfung bei der Bestätigung verhindert die Rechtskraftwirkung des rechtskräftigen Eröffnungsbeschlusses. Ein rechtmäßiger Insolvenzplan ist daher zu bestätigen, wobei das Insolvenzgericht die Einhaltung der Anforde-
___________ 37) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 38) S. zu Letzterem Madaus, Der Insolvenzplan, S. 512 ff. 39) Ausf. hierzu am Beispiel des Suhrkamp-Insolvenzplans Madaus, ZIP 2014, 500 ff.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
rungen an den Planinhalt, insbesondere das Gleichbehandlungsgebot (§ 226 InsO), genau zu prüfen hat.40) 35 Insgesamt ist mithin festzuhalten, dass über die Vorteile, die das Planverfahren seit dem ESUG für die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung bietet, allein das Insolvenzrecht bestimmt und damit das Insolvenzgericht wacht. Parallele gesellschaftsrechtliche Prozesse sind zum einen mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Parteien unzulässig41) und zum anderen mangels Verfügungsanspruchs unbegründet.42) 3.
Die begrenzte Vereinfachung der Planumsetzung
36 Das Insolvenzrecht vereinfacht v. a. das Zustandekommen eines Insolvenzplans mit Gesellschafterbeteiligung. Daneben erleichtert es die Umsetzung der im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse, soweit Planbeteiligte von der umzusetzenden Planbestimmung betroffen sind. So gelten die in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen der Planbeteiligten mit seinem Inkrafttreten als formgerecht abgegeben (§ 254a Abs. 1 und 2 InsO). 3.1
Der Zugang von Willenserklärungen aus dem Insolvenzplan
37 Die Vereinfachung der Planumsetzung endet allerdings schon mit der Abgabe von Willenserklärungen nach Maßgabe des Insolvenzplans. Die Fiktion des § 254a InsO umfasst ausdrücklich nur die Abgabe, nicht aber den Zugang der in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen. Dieser Zugang ist folglich nach den allgemeinen Regeln zu bewerkstelligen. Bei Erklärungen zwischen den Planbeteiligten wird er häufig schon im Abstimmungstermin als Erklärung unter Anwesenden, ansonsten über § 151 BGB anzunehmen sein.43) 38 Bei Erklärungen gegenüber nicht beteiligten Dritten wird die Planerklärung hingegen erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie diesen tatsächlich zugeht. Aus diesem Grund kann der Plan insbesondere die Anmeldung zum Handelsregister (vgl. § 16 UmwG) bzw. zum Grundbuchamt nicht fingieren. Die Registeranmeldung muss als Verfahrenshandlung stets tatsächlich gegenüber dem Registergericht bzw. dem Grundbuchamt erfolgen, wozu § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO ausdrücklich den Insolvenzverwalter ermächtigt. Die Formfiktion des § 254a Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO erstreckt sich auf diese Anmeldung nicht, weshalb sie der Form des § 12 HGB bedarf. 39 Eine Ermächtigung zur Anmeldung kann zudem gemäß § 221 Satz 2 InsO im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden. Diese sollte dann auch andere Durchführungshandlungen als Registeranmeldungen abdecken (etwa Handlungen, die der Vorbereitung des Gesellschafterbeschlusses dienen, wie die Beauftragung eines Prüfers für die Sacheinlagenprüfung nach § 183 Abs. 3 AktG, und daher vor der Planabstimmung vorgenommen werden müssen). Fehlt eine entsprechende Planermächtigung, so scheint eine analoge An-
___________ 40) Madaus, ZIP 2014, 500, 506 f. Die Versagung der Planbestätigung ist, entgegen Spliedt, ZInsO 2013, 2155, 2157, eben nicht der einzige Ausweg aus einem auf zweifelhafter Grundlage eröffneten Insolvenzverfahren. Das Planverfahren zwingt zerstrittene Gesellschafter idealerweise zu einer einvernehmlichen oder zumindest angemessenen Lösung oder leitet die Regelinsolvenz und damit die Liquidation ein. 41) Zutreffend OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018 ff., dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz) (m. abl. Anm. Fölsing, ZInsO 2013, 2115 f., und Spliedt, ZInsO 2013, 2155 ff.); anders auch noch die erstinstanzliche Entscheidung des LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831 ff. (krit. hierzu die Anm. von Hölzle, EWIR 2013, 589). 42) Thole, ZIP 2013, 1937, 1942 ff. 43) Ausf. dazu Madaus, Der Insolvenzplan, S. 241 f.
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Umwandlungen im Planverfahren
wendung des § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO in diesen Bereichen gerechtfertigt, um das Planverfahren nicht unnötig zu verzögern.44) 3.2
Realakte sowie Handlungen jenseits der Planbeteiligten
Der Insolvenzplan ist ein Rechtsgeschäft; Realakte (etwa die Übergabe von Gegenständen) 40 kann er nicht ersetzen. Entsprechendes gilt aufgrund seiner subjektiven Reichweite für Handlungen unter nicht 41 plangebundenen Dritten. So können etwa bei Verschmelzungen die Beschlussfassung der Anteilsinhaber des solventen Rechtsträgers (§ 13 UmwG) sowie dessen Annahme des Verschmelzungsvertrags (§ 4 UmwG) nicht in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans integriert werden. Wird letztere Vertragserklärung allerdings mit dem Einverständnis der solventen Gesellschaft in die Plananlagen aufgenommen (§ 230 Abs. 3 InsO), so hat sie über § 254a Abs. 3 InsO an der Formfiktion teil. 3.3
Der Vorrang des Insolvenzplans gegenüber dem Registerverfahren
Eine weitere Vereinfachung findet sich für solche Planregelungen, die zu ihrer Umset- 42 zung der Eintragung in das Handelsregister oder Grundbuch bedürfen. Hier bindet der rechtskräftige Planbestätigungsbeschluss über seine Rechtskraftwirkung45) in deren Umfang auch das Registergericht und verwehrt diesem daher insoweit eine erneute materielle Prüfung. Das Registergericht hat also aus prozessualen Gründen nicht die Kompetenz, i. R. des Eintragungsverfahrens Entscheidungen des Insolvenzgerichts über die Rechtmäßigkeit auch der gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung erneut zu überprüfen, weshalb es insoweit tatsächlich nur beurkundend tätig wird.46) Dies gilt v. a., wenn das Registergericht insoweit die Entscheidung des Insolvenzgerichts für falsch hält.47) Offensichtliche Fehler des Insolvenzplans können über das Berichtigungsrecht des Insolvenzverwalters in § 221 Satz 2 InsO korrigiert werden, ohne den Plan durch ein Vetorecht des Registergerichts insgesamt zu gefährden.48) Soweit sich allerdings zwingende Eintragungsvoraussetzungen nicht aus dem Insolvenzplan und dessen Plananlagen ergeben und damit auch noch nicht vom Insolvenzgericht einer Prüfung unterzogen wurden, bleibt es bei der Prüfungskompetenz des Registergerichts (siehe Rz. 55).49) Muss die Eintragung binnen einer bestimmten Frist nach der Beschlussfassung erfolgen 43 (vgl. § 228 Abs. 2 AktG – 6 Monate), so wird der Fristablauf gehemmt, solange der Beschluss nicht umsetzbar ist (vgl. § 228 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Frist läuft damit erst ab dem Zeitpunkt, in dem diesbezügliche Gerichtsverfahren rechtskräftig enden. Für Be-
___________ 44) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 565, Fn. 59. 45) Zu Gegenstand und Umfang der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses ausf. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 409 ff. 46) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37; wie hier Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 254a Rz. 8 m. w. N; anders etwa Becker, ZInsO 2013, 1885, 1890: „eigenes Prüfungsrecht der gesellschaftsrechtlichen Aspekte“. Andere befürworten ein registergerichtliches Prüfungsrecht bei „offensichtlichen Verstößen gegen unabdingbare und unverzichtbare gesellschaftsrechtliche Normen“ – so Klausmann, NZG 2015, 1300, 1305. 47) Anders aber Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567, Fn. 67. 48) Genau dazu dient das Berichtigungsrecht in § 221 Satz 2 InsO – vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 48. 49) Zutreffend ausgedrückt in Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37: „Dabei hat das Registergericht nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz, denn das wirksame Zustandekommen des Plans wird bereits durch das Insolvenzgericht überprüft.“
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
schlüsse, die Teil eines Insolvenzplans sind, beginnt der Lauf der Eintragungsfrist mithin erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der gerichtlichen Planbestätigung.50) 4.
Zusammenfassung der Hilfen im Planverfahren für Umwandlungsmaßnahmen
44 In den Umwandlungsinsolvenzplan darf jede Regelung aufgenommen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist und die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter berührt, insbesondere also:
der Fortsetzungsbeschluss der aufgelösten Gesellschaft (§ 225a Abs. 3 InsO),
ein Ausschluss des Bezugsrechts der Anteilseigner,
ein Umwandlungsbeschluss (§ 13 UmwG).
45 Die schuldnerseitige Vertragserklärung zum Verschmelzungsvertrag kann im eröffneten Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter (bei Eigenverwaltung der Schuldner) kraft seiner Verwaltungsbefugnis (§ 80) abgeben; sie kann aber auch als Schuldnererklärung in den Insolvenzplan aufgenommen werden (vgl. § 254a Abs. 1 InsO). Ist nur ein Spaltungsplan notwendig (Spaltung zur Neugründung, § 136 UmwG), so kann dieser in den Insolvenzplan integriert werden. 46 Nicht Teil des Insolvenzplans sind demgegenüber alle Handlungen, die nicht planbeteiligte Dritte vorzunehmen haben, wie insbesondere
die Beschlussfassung der Anteilsinhaber des solventen Rechtsträgers über die Umwandlungsmaßnahme (§ 13 UmwG) und über eventuelle Kapitalerhöhungen aus diesem Grund; diese Personengruppe ist nicht Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens;
die Annahme des Verschmelzungsvertrags (§ 4 UmwG) bzw. des Spaltungs- und Aufnahmevertrags (§ 126 UmwG) durch den nicht insolventen Rechtsträger; mit dessen Einverständnis kann seine Annahmeerklärung nach § 230 Abs. 3 InsO in die Plananlagen aufgenommen werden und so über § 254a Abs. 3 InsO an der Formfiktion teilhaben;
eine nach dem Plankonzept notwendige Neugründung von Gesellschaften durch Dritte;
die Anmeldung der beschlossenen Umwandlungsmaßnahme beim Handelsregister durch die Vertretungsorgane (vgl. § 16 UmwG); sie kann durch den Insolvenzverwalter erfolgen;
die Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister der beteiligten Rechtsträger (§ 19 UmwG).
47 Der Verschmelzungs-/Spaltungsvertrag wie auch der Verschmelzungsbericht (§ 8 UmwG)/ Spaltungsbericht (§ 127 UmwG) und ein ggf. notwendiger Prüfungsbericht (§ 12 UmwG) sind dem Insolvenzplan als Plananlagen beizufügen, da sie für die Willensbildung wesentliche Informationen enthalten. Handlungen Dritter, die erst nach der Abstimmung über den Insolvenzplan erfolgen sollen, können als Planbedingung (§ 249 InsO) in den Insolvenzplan aufgenommen werden. Dies gilt etwa für eine nach dem Plankonzept notwendige Neugründung von Unternehmen oder auch eine Kapitalerhöhung unter Mitwirkung von Personen, die bislang nicht am Planverfahren beteiligt sind. Insofern bleibt § 249 InsO die Norm, die das Gesellschaftsrecht mit dem Insolvenzplanverfahren verzahnt.51) ___________ 50) Im Ergebnis ebenso Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562, Fn. 40. 51) Zur Bedeutung des § 249 InsO vor dem ESUG, um Verschmelzungslösungen überhaupt zu ermöglichen: Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 45 f.; Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 896 ff., Rz. 84.
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§ 33
Umwandlungen im Planverfahren IV.
Die einzelnen Umwandlungsarten als Plangegenstand
Überträgt man die aufgezeigten Regelungsmöglichkeiten auf die einzelnen Umwandlungs- 48 arten, so ergibt sich folgendes Bild. 1.
Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG)
1.1
Zielvorstellung
Der Formwechsel hat weder eine Vermögensübertragung noch einen Liquiditätszufluss 49 oder eine Entschuldung zur Folge (siehe Rz. 17). Er kann daher für sich allein die Insolvenzgründe nicht beseitigen und daher auch nicht die Sanierung der Gesellschaft bewirken. Die hohe Sanierungsbedeutung des Formwechsels folgt allein daraus, dass sich mit seiner Hilfe eine Rechtsform für den Schuldner schaffen lässt, die nach dem Sanierungskonzept für das künftige Geschäftsmodell passgenau erscheint. Ein Formwechsel kann insofern als Sanierungshilfe sinnvoll sein, um bspw.:
den Wunsch nach einer Haftungsbeschränkung auf die Gesellschaft in der Zukunft zu erfüllen (Formwechsel von der Personen- in eine Kapitalgesellschaft oder eine GmbH & Co. KG);52)
künftig den Insolvenzantragspflichten des § 15a InsO zu entgehen (Wechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft jenseits der GmbH & Co. KG);53)
der Arbeitnehmermitbestimmung zu entfliehen (Wechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft);
Publizitätspflichten zu beenden und so Verwaltungskosten zu senken (Wechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft);
eine unterkapitalisierte Kapitalgesellschaft fortzuführen (Formwechsel in eine Personengesellschaft oder von einer AG in eine GmbH);54)
Corporate-Governance-Strukturen zu verändern (Formwechsel von der AG in eine GmbH);55)
existenzgefährdende Gesellschafterstreitigkeiten zu beenden (Formwechsel von einer KG in eine AG).56)
Die über einen Formwechsel erreichte Anpassung der Rechtsform an das künftige Ge- 50 schäftsmodell erlaubt es, Kapitalgeber zu finden (etwa aus dem Kreis der Gesellschafter oder Gläubiger, aber auch durch die Aufnahme neuer Gesellschafter) und so die Insolvenz der Gesellschaft auch materiell zu überwinden. 1.2
Darstellender Teil des Insolvenzplans
Der darstellende Teil des Insolvenzplans erläutert das Sanierungskonzept, in das der 51 Formwechsel eingebunden ist, in allen Einzelheiten (vgl. § 220 Abs. 2 UmwG). Er enthält damit alle Informationen, die in § 192 UmwG für einen Umwandlungsbericht zur Vorbereitung eines Formwechsels verlangt werden, und richtet sich zumindest auch an die Gesellschafter. Ein gesonderter Umwandlungsbericht ist daher überflüssig. Die Forma___________ 52) Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 40; Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 889, Rz. 69. 53) Heckschen, ZInsO 2008, 824, 829; Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 866, Rz. 16. 54) Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 41; ausf. Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 891 ff., Rz. 74 ff. 55) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128. 56) Vgl. das Suhrkamp-Verfahren (etwa OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018).
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
lien, die § 230 UmwG an die Zuleitung und Auslage des Umwandlungsberichts knüpft, werden durch die Informationsvorschriften des Planverfahrens verdrängt (vgl. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO); Entsprechendes gilt für die in § 260 UmwG normierte Vorbereitung der Generalversammlung der Mitglieder einer Genossenschaft oder (über § 274 UmwG) eines Vereins. Auch die Mitteilung eines Abfindungsangebots an die Gesellschafter nach den §§ 231, 207 UmwG erfolgt durch die Erläuterung des Angebots im darstellenden Teil des Insolvenzplans. Schließlich wird auch die Zuleitung des Entwurfs des Umwandlungsbeschlusses an den Betriebsrat (§ 194 Abs. 2 UmwG) durch die Zuleitung des Plans an den Betriebsrat nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ersetzt.57) 1.3
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
52 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans hat neben anderen Sanierungsmaßnahmen (insbesondere denjenigen mit Gläubigerbezug) die beabsichtigten gesellschaftsrechtlichen Rechtsänderungen festzuhalten (§ 221 Satz 1 InsO). Er hat daher v. a. den Fortsetzungsund den Umwandlungsbeschluss nach § 193 Abs. 1 Satz 1 UmwG zu enthalten. 1.3.1 Der Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO) 53 Zur Fortführung der Schuldnergesellschaft in neuer Rechtsform muss die Auflösung der Gesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden. Dieser Beschluss ist gemäß § 225a Abs. 3 InsO zulässiger und zugleich notwendiger Teil des gestaltenden Teils des Insolvenzplans. Zur Relevanz der Kapitalausstattung des Zielrechtsträgers siehe Rz. 55. 1.3.2 Das vereinfachte Zustandekommen des Umwandlungsbeschlusses 54 Der Umwandlungsbeschluss kommt als Teil des Insolvenzplans nicht nach den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§§ 217, 233, 240, 252, 262, 275, 284, 293 UmwG), sondern allein nach den Anforderungen der §§ 243 ff. InsO zustande. Die hohen Zustimmungserfordernisse des Umwandlungsrechts58) werden verdrängt und die Beschlussfassung auf diese Weise vereinfacht. Auch gesellschaftsrechtliche Stimmrechtsverbote und Stimmbindungen gelten für diese Abstimmung nicht; sie kann daher auf einer solchen Grundlage auch nicht – wie im Suhrkamp-Verfahren – torpediert59) werden (siehe ausführlich Rz. 34). Lediglich in dem Fall, dass ein bislang nicht persönlich haftender Gesellschafter künftig persönlich haften soll (vgl. § 240 Abs. 2 UmwG), ist auch nach den § 245 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Schlechterstellungsverbot) dessen individuelle Zustimmung erforderlich. Der bloße Eingriff in bestehende Anteilsrechte (etwa eine Verwässerung) ist hingegen mehrheitsfähig und bedarf keiner individuellen Zustimmung (vgl. § 217 InsO). Eine Aktionärsklage (§ 195 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; es gilt allein der Rechtsschutz der §§ 251, 253 InsO gegen den Insolvenzplan, der auch den Gesellschaftern offensteht. Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO).
___________ 57) So i. E. auch Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889. 58) S. §§ 217 Abs. 1 Satz 1, 233 Abs. 1, 252 Abs. 1, 275 Abs. 1, 284 UmwG – Einstimmigkeit; §§ 233 Abs. 2, 245 Abs. 1, 252 Abs. 2, 262, 275 Abs. 2, 293 UmwG – mind. 75 %-Mehrheit; § 193 Abs. 2 und 3 UmwG – Einzelzustimmungen in notarieller Form. 59) Zutreffend (auch in der Begriffswahl) Thole, ZIP 2013, 1937.
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Umwandlungen im Planverfahren 1.3.3 Der Inhalt des Umwandlungsbeschlusses
Der notwendige Inhalt des Umwandlungsbeschlusses ergibt sich aus § 194 UmwG. Die 55 neue Rechtsform ist zu benennen und die Anteile an der neuen Gesellschaft sind zu bilden und zuzuweisen. Hierbei sind die Gründungsvorschriften der neuen Rechtsform zu beachten (§ 197 UmwG i. V. m. § 225a Abs. 3 InsO), sodass insbesondere eine neue Satzung Teil des Umwandlungsbeschlusses sein muss. Ebenso ist sicherzustellen, dass durch die Planmaßnahmen keine Überschuldung des Zielrechtsträgers mehr vorliegt und ggf. einschlägige Kapitalaufbringungsanforderungen erfüllt werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die hierfür notwendige Kapitalausstattung schon im Zeitpunkt der gerichtlichen Bestätigungsentscheidung im Zielrechtsträger vorhanden sein muss. Eine entsprechende Kapitalzufuhr kann auch erst in der Planumsetzung erfolgen, wenn sich die Gläubiger im Planverfahren hierauf mit den erforderlichen Mehrheiten einlassen. Die Umsetzung des Plans ist dann erst für die Anmeldung des Formwechsels relevant und hier vom Registergericht zu prüfen (vgl. §§ 197, 222 f., 245 f. UmwG, §§ 36 ff. AktG). Folgerichtig ist auch eine Beseitigung des Auflösungsgrundes (Überschuldung) nicht schon vor der Planbestätigung erforderlich. Eine Überschuldung nach § 19 InsO wird vielmehr aufgrund der positiven Fortführungsprognose nach erfolgreicher Planbestätigung regelmäßig zeitgleich mit dem Fortsetzungsbeschluss im Moment des Eintritts der Planwirkungen wegfallen. Beim Formwechsel in eine Personengesellschaft ist insofern nur für den Wechsel in die 56 KG sicherzustellen, dass die haftungsausschließende Einlage der Kommanditisten erbracht wird.60) Beim Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft sind gemäß §§ 220, 245 UmwG die Sachgründungsnormen, insbesondere die Kapitalaufbringungsvorschriften, des Kapitalgesellschaftsrechts zu beachten. Dabei darf das nach Abzug der (nicht im Plan erlassenen) Schulden verbleibende Vermögen der Gesellschaft nicht den Nennbetrag des Stammkapitals einer GmbH bzw. den Mindestbetrag des Grundbetrags einer AG unterschreiten. Es gelten die Sachgründungsvorschriften des Zielrechtsträgers.61) Ist die Schuldnergesellschaft überschuldet, so ist bereits im Insolvenzplan die notwendige Kapitalausstattung sicherzustellen; die konkrete Kapitalaufbringung kann aber – wie in jedem Gründungsvorgang – nach der Beschlussfassung und Planbestätigung erfolgen. Die gründungsrechtlichen Vorgaben sind hier erst bei der Anmeldung des Formwechsels beim Handelsregister zu erfüllen und dort vom Registergericht zu überprüfen. Beim Wechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine andere ordnet § 245 Abs. 1 Satz 2 57 UmwG die Anwendung des § 220 UmwG und damit die Einhaltung der Gründungsvorschriften nur für den Formwechsel in eine AG oder KGaA, nicht aber für den Formwechsel in eine GmbH an (vgl. § 245 Abs. 4 UmwG). Insbesondere der Formwechsel einer AG in eine GmbH kann also auch dann erfolgen, wenn das nach dem Insolvenzplan für die Ziel-GmbH vorgesehene Vermögen den Nennbetrag des Stammkapitals nicht erreicht, sodass eine materielle Unterbilanz vorliegt.62) Notwendig ist hier mithin allein die Überwindung der Überschuldung nach § 19 InsO als Auflösungsgrund der Gesellschaft, wofür es bei einer materiellen Unterbilanz allein auf die positive Fortführungsprognose ankommt. Der Umwandlungsbeschluss hat auch unter den Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 Nr. 6 58 UmwG nur in dem Ausnahmefall ein Barabfindungsangebot nach § 207 UmwG zu ent___________ 60) Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 41. 61) Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 40. 62) Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 893, Rz. 76.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
halten, dass die Anteilsrechte eventuell opponierender Gesellschafter noch im Insolvenzverfahren werthaltig sind. Dies ist wohl nur im Fall einer Verfahrenseröffnung über § 18 InsO zu prüfen. Für die Bestimmung der Werthaltigkeit gilt § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO (Liquidationswert).63) Haben die Anteile danach einen Restwert, so hat der Umwandlungsbeschluss ein Barabfindungsangebot nach § 207 UmwG zu enthalten. Das Angebot des formwechselnden Rechtsträgers auf Übernahme der Altanteile gegen die Barabfindung (§ 207 Satz 1 UmwG) ist als (aufschiebend vom formgerechten Widerspruch des Gesellschafters nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO bedingte) Verpflichtungserklärung in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufzunehmen. Ist eine Übernahme der Anteile durch die Gesellschaft nicht möglich (§ 207 Satz 2 UmwG), so richtet sich das aufschiebend bedingte Angebot des formwechselnden Rechtsträgers nicht auf einen Erwerbsvertrag, sondern nur auf eine (auf den Austritt des Gesellschafters bedingte) Abfindungsleistung. Auch diese ist bereits in den Plan aufzunehmen. Die Abfindungsauszahlung kann nach Maßgabe des § 225a Abs. 5 Satz 2 und 3 InsO gestundet werden.64) Zur Bedienung der Barabfindungsansprüche sind im Plan Mittel bereitzustellen, also Rücklagen zu bilden oder Bankbürgschaften zu besorgen, da sie eine Schlechterstellung der opponierenden Gesellschafter verhindern. Den Streit um die Abfindung hat dann jeder opponierende Gesellschafter außerhalb des Planverfahrens nach seiner Anteilsveräußerung bzw. nach seinem Austritt zu führen (§ 251 Abs. 3 Satz 2 InsO). 1.3.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) 59 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans muss schließlich die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter ist nur dadurch auch jenseits der begrenzten Vertretungsmacht aus § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO gesichert (siehe Rz. 41). 1.4
Plananlagen
60 Sieht die neue Rechtsform persönlich haftende Gesellschafter vor, so sind deren Zustimmungserklärungen zur Haftungsübernahme nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO dem Insolvenzplan beizufügen. In die Plananlagen können gemäß § 230 Abs. 3 InsO zudem Verpflichtungserklärungen Dritter aufgenommen werden, um diese an der Formfiktion des § 254a Abs. 3 InsO teilhaben zu lassen. Dies bietet sich für die Beitrittserklärungen von Dritten an, die Gesellschafter in der neuen Gesellschaft werden sollen. 1.5
Planwirkungen
61 Kommt der Insolvenzplan durch seine rechtskräftige Bestätigung zustande, so werden damit auch die gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse unmittelbar wirksam (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). Die weiterhin notwendige Registeranmeldung kann durch den Insolvenzverwalter erfolgen. Die dazu notwendigen Unterlagen zählt § 199 UmwG auf; weitere Vorlagepflichten können sich aus dem nach § 197 Satz 1 UmwG anzuwendenden Gründungsrecht der Zielrechtsform ergeben (etwa eine Versicherung des Geschäftsführers oder eine Gesellschafterliste beim Formwechsel in eine GmbH). Der erforderliche Nachweis des Umwandlungsbeschlusses wie auch der sonstigen im Planinhalt oder in den Plananlagen befindlichen Erklärungen erfolgt durch die Vorlage des bestätigten Insolvenzplans. Ein Umwandlungsbericht wie auch die Zuleitung an den Betriebsrat ist entbehrlich und ___________ 63) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2548. 64) Ebenso Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2548.
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§ 33
Umwandlungen im Planverfahren
daher nicht vorzulegen (siehe Rz. 50). Eine Prüfungsbefugnis hinsichtlich der im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung hat das Registergericht nicht, sodass diesbezüglich keine nochmalige Beschlusskontrolle erfolgt (siehe Rz. 41). Das Registergericht prüft allerdings die Eintragungsvoraussetzungen, die nicht durch den Insolvenzplan nachgewiesen sind. Dies sind i. d. R. nach dem Gründungsrecht notwendige Unterlagen, die nicht die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter betreffen (siehe Rz. 32) und daher nicht Plangegenstand sind und zugleich nicht als Verpflichtungserklärungen Dritter gegenüber Planbeteiligten (§ 230 Abs. 3 InsO – siehe Rz. 40) in die Plananlagen aufgenommen werden können (etwa eine Geschäftsführer- oder Aufsichtsratsbestellung, eine Gesellschafterliste, die Versicherung des Geschäftsführers zur Kapitalaufbringung). 2.
Verschmelzung durch Aufnahme des insolventen Rechtsträgers durch einen solventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG)
2.1
Zielvorstellung
Die Verschmelzung des insolventen auf einen solventen Rechtsträger schafft ein neues 62 solventes Unternehmen und wird daher als Sanierungsfusion bezeichnet. Die Entschuldungswirkung basiert dabei allein auf der Finanzkraft des aufnehmenden Rechtsträgers, da ein Zurücklassen der Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers infolge der Gesamtrechtsnachfolge nicht möglich ist (siehe Rz. 16). Der Anreiz zur Aufnahme eines insolventen Rechtsträgers liegt auch nicht im Interesse an der Nutzung seines Verlustvortrags, da dieser von der Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen ist (siehe Rz. 14). Das Interesse eines aufnehmenden Rechtsträgers an einem insolventen Rechtsträger speist sich i. d. R. allein am Interesse an der Übernahme rechtsträgergebundener Berechtigungen (siehe Rz. 13). Der Insolvenzplan des übertragenden Rechtsträgers kann allerdings neben der Verschmelzung auch einen weitreichenden Forderungserlass vorsehen.65) 2.2
Darstellender Teil des Insolvenzplans
Die Verschmelzung ist Teil eines Sanierungskonzepts, das der darstellende Teil des Insol- 63 venzplans erläutert. Dieser Teil des Insolvenzplans übernimmt daher die Information der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers, die ansonsten über den Verschmelzungs- und Prüfbericht (vgl. §§ 8, 12 UmwG) bzw. eine Gesellschafterunterrichtung (§§ 42, 45c, 47 UmwG) geleistet wird. Für diese Zielgruppe sind diese Berichte daher entbehrlich.66) Da diese Berichte aber trotz des Insolvenzverfahrens für die Anteilsinhaber des solventen Zielrechtsträgers anzufertigen sind, können sie effizient auch zum Bestandteil des darstellenden Teils des Insolvenzplans werden und so die Information der Anteilsinhaber des übertragenden insolventen Rechtsträgers sicherstellen. Verzichtet diese Gruppe auf den Verschmelzungsbericht (vgl. § 8 Abs. 3 UmwG), so kann dieser Verzicht formwahrend im gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Die Unterrichtung der Anteilseigner des insolventen Rechtsträgers (§§ 42, 45c, 47 UmwG) wird unabhängig von einem Verzicht stets durch das Planverfahren übernommen (vgl. § 235 Abs. 3 InsO). Ansonsten gelten die umwandlungsrechtlichen Regelungen; insbesondere die Verschmelzungsprüfung erfolgt nach Maßgabe der §§ 9–12 UmwG ohne Beteiligung des Insolvenzgerichts. Eine Zuleitung (des Entwurfs) des Verschmelzungsvertrags an den Betriebsrat des insol- 64 venten Rechtsträgers nach § 5 Abs. 3 UmwG ist entbehrlich, da auch der Inhalt des Verschmelzungsvertrags (§ 5 Abs. 1 UmwG) im darstellenden Teil zu offenbaren ist und dem ___________ 65) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2536. 66) Zutreffend Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2537 f.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Betriebsrats nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zugeleitet wird.67) Die Informations- und Verfahrensvorschriften des Planverfahrens verdrängen insofern die des Umwandlungsrechts (vgl. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO). Entsprechendes gilt für die in § 60 UmwG geforderte Bekanntmachung des Verschmelzungsvertragsentwurfs für eine insolvente AG. Das Planverfahren verdrängt zudem die Hauptversammlungsvorbereitung und -durchführung (§§ 63, 64 UmwG) für diesen Rechtsträger, ebenso die in § 49 UmwG normierte Vorbereitung der Gesellschafterversammlung für eine insolvente GmbH und die Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung der Mitglieder einer Genossenschaft (§§ 83, 84 UmwG). 2.3
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
2.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO) 65 Die Verschmelzung der insolventen Gesellschaft auf den übernehmenden Rechtsträger hat deren Aufgehen im Zielrechtsträger zur Folge. Eine eigenständige Fortführung der Schuldnergesellschaft ist mithin nach der rechtskräftigen Planbestätigung nicht vorgesehen, weshalb auch die Auflösung der Gesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung nicht durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden muss.68) Auch die Verschmelzungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers setzt einen solchen Beschluss nicht voraus (siehe Rz. 6). 2.4
Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers
66 Der Verschmelzungsbeschluss des insolventen übertragenden Rechtsträgers kommt als Teil des Insolvenzplans nicht nach den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§§ 43, 45d, 50, 65, 84, 103 UmwG), sondern allein nach den Anforderungen der §§ 243 ff. InsO zustande.69) Die hohen Zustimmungserfordernisse des Umwandlungsrechts70) werden verdrängt und die Beschlussfassung auf diese Weise vereinfacht. Eine Aktionärsklage (vgl. § 14 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; sie wird durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 251, 253 InsO) verdrängt.71) Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 67 Der Verschmelzungsbeschluss beinhaltet die Zustimmung der Anteilseigner der beteiligten Rechtsträger zum Verschmelzungsvertrag (vgl. § 13 Abs. 1 UmwG). Er ist ein Akt der Willensbildung und legitimiert den von den Vertretungsorganen geschlossenen Verschmelzungsvertrag (vgl. § 4 Abs. 1 UmwG). Diese Vertragserklärungen können ebenfalls in den Insolvenzplan aufgenommen werden: die Vertragserklärung der Schuldnergesellschaft, abgegeben durch den Insolvenzverwalter, in den gestaltenden Teil, die des aufnehmenden Rechtsträgers als Verpflichtungserklärung eines Dritten in die Plananlagen (§ 230 Abs. 3 InsO).72) 2.4.1 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers 68 Der solvente aufnehmende Rechtsträger ist nicht am Insolvenzplanverfahren beteiligt (vgl. § 217 InsO), sodass dessen Beschlussfassung allein nach gesellschafts- und umwandlungsrechtlichen Regeln erfolgen muss. Der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechts___________ Ebenso Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2538. Anders aber (ohne Begr. zur Notwendigkeit) Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889. Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2539. S. §§ 43 Abs. 1, 45d, 252 Abs. 1, 275 Abs. 1, 284 UmwG – Einstimmigkeit; §§ 50 Abs. 1 Satz 1, 65 Abs. 1 Satz 1, 84 Satz 1, 103 Satz 1 UmwG – mind. 75 %-Mehrheit; § 13 Abs. 3 UmwG – Einzelzustimmungen in notarieller Form. 71) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2540. 72) Becker, ZInsO 2013, 1885, 1888. 67) 68) 69) 70)
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trägers wie auch ein eventuell erforderlicher Beschluss über eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung sollten daher zur Bedingung nach § 249 InsO gemacht werden, um eine Verknüpfung der Beschlussfassung zu ermöglichen. 2.4.2 Bezugsrechtsausschluss statt Kapitalerhöhung/Gesellschafterzuwachs Eine Verschmelzung beinhaltet im Regelfall die Aufnahme der Gesellschafter der übertra- 69 genden Gesellschaft in den Kreis der Gesellschafter der übernehmenden. Bei Kapitalgesellschaften ist dazu eine Kapitalerhöhung auf Seite des übernehmenden Rechtsträgers notwendig, bei Personengesellschaften die Aufnahme neuer Gesellschafter. Ist der übertragende Rechtsträger allerdings insolvent, so sind die Anteilsrechte seiner Gesellschafter der Regelungshoheit des Insolvenzplans unterworfen, sodass ihr Bezugsrecht an Anteilen am Zielrechtsträger im gestaltenden Teil des Insolvenzplans geregelt und ggf. sogar ausgeschlossen werden kann. Da das Umwandlungsrecht einen Verzicht auf die Anteilszuteilung zulässt, ist ein solcher Verzicht gesellschaftsrechtlich erlaubt und daher tauglicher Gegenstand einer Planregelung (vgl. § 225a Abs. 3 InsO).73) Eine Kapitalerhöhung durch die Zielgesellschaft ist dann i. R. der Verschmelzung nicht erforderlich, sodass sich das Problem der Werthaltigkeit des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers als Sacheinlage einer Kapitalerhöhung nicht stellt.74) Ergänzend sei erwähnt, dass ein solcher Ausschluss auch gegen den Willen der Betroffenen möglich ist (vgl. § 245 Abs. 3, § 251 Abs. 1 InsO), da durch den Ausschluss des Bezugsrechts keine Schlechterstellung der Gesellschafter gegenüber einer Liquidation der Schuldnergesellschaft ohne Plan erfolgt, ist doch in einem solchen Liquidationsszenario das Bezugsrecht mangels Umwandlungsoption nicht existent und damit stets wertlos. Sein Ausschluss im Plan kann daher nie eine Schlechterstellung begründen. 2.4.3 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG Ein Barabfindungsangebot nach § 29 Abs. 1 UmwG muss den widersprechenden Anteils- 70 eignern des übertragenden Rechtsträgers nur gemacht werden, wenn deren Anteile trotz der Insolvenz noch werthaltig sind. Für die Bestimmung der Werthaltigkeit gilt § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO (Liquidationswert). Haben die Anteile danach einen Restwert, so hat der Verschmelzungsvertrag ein Barabfindungsangebot nach § 29 UmwG zu enthalten. Wird die Vertragserklärung des übernehmenden Rechtsträgers auf Abschluss des Verschmelzungsvertrags in die Plananlagen aufgenommen, so hat sie an den Planwirkungen teil und beinhaltet zugleich verbindlich das Angebot einer im Verschmelzungsvertrag vorgesehenen Barabfindung. Für die Annahme gilt § 31 UmwG. 2.4.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sollte schließlich die Ermächtigung des Insol- 71 venzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter wird so umfassend gesichert (siehe Rz. 41). Die Befugnis des Vertretungsorgans des übernehmenden Rechtsträgers aus § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG, die Anmeldung der Verschmelzung auch zur Eintragung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers anzumelden, wird dadurch nicht berührt. ___________ 73) §§ 54 Abs. 1 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 3 UmwG; dazu Heckschen, ZInsO 2008, 824, 826; Limmer, in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 859, 872 f., Rz. 32. S. a. Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2539. 74) Dazu Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 35 f.
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§ 33 2.5
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Plananlagen
72 In die Plananlagen sollten bereits die Verpflichtungserklärungen Dritter, insbesondere die des solventen Rechtsträgers, aufgenommen werden, um diese an der Formfiktion des § 254a Abs. 3 InsO teilhaben zu lassen. Namentlich die Vertragserklärung zum Verschmelzungsvertrag ist daher zur Plananlage zu machen. Zugleich sollte die Schlussbilanz des insolventen Rechtsträgers Teil der Plananlagen werden, um dem Insolvenzverwalter die spätere Anmeldung der Verschmelzung allein durch Vorlage des Insolvenzplans zu ermöglichen. 2.6
Planwirkungen
73 Wird der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers im gestaltenden Teil zur Planbedingung nach § 249 InsO, so darf der Plan erst nach dessen Zustandekommen bestätigt werden. Wird dann die Bestätigung rechtskräftig, so treten die Planwirkungen umfassend ein. Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers wie auch beide Vertragserklärungen zum Verschmelzungsvertrag (siehe Rz. 66) gelten als formgerecht (vgl. § 6 UmwG – notarielle Form) zustande gekommen bzw. abgegeben (vgl. § 254a Abs. 1 und 3 InsO). Einer zusätzlichen Beurkundung bedarf es damit gerade auch für die Annahmeerklärung des nicht insolventen Rechtsträgers nicht.75) 74 Die Anmeldung der Verschmelzung zum Handelsregister erfolgt dann weiter nach § 16 Abs. 1 UmwG, also durch den Insolvenzverwalter für den insolventen Rechtsträger sowie das Organ des solventen Rechtsträgers für diesen (oder beide). Einer Erklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG bedarf es für den insolventen Rechtsträger nicht, da gegen dessen Beschluss keine Klage mehr rechtshängig sein kann. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan erbringt für den übertragenden Rechtsträger den Nachweis des Verschmelzungsvertrags, des Verschmelzungsbeschlusses, der Entbehrlichkeit der Zustimmung einzelner seiner Anteilsinhaber sowie der rechtzeitigen Information des Betriebsrats (§ 17 Abs. 1 UmwG).76) Eine nochmalige materielle Prüfungskompetenz des Registergerichts besteht diesbezüglich nicht (siehe Rz. 41). Die nach § 17 Abs. 2 UmwG vorzulegende Schlussbilanz kann durch ihre Aufnahme in die Plananlagen ebenfalls mit dem Plan eingereicht werden. 2.7
Keine Organhaftung nach § 25 UmwG bei Verwalterhandeln
75 § 25 Abs. 1 UmwG ordnet eine Haftung der Mitglieder des Vertretungsorgans und, wenn ein Aufsichtsorgan vorhanden ist, des Aufsichtsorgans eines übertragenden Rechtsträgers für den Schaden an, den der Rechtsträger, seine Anteilsinhaber oder seine Gläubiger durch die Verschmelzung erleiden. Diese Haftung ist bei einer Verschmelzung in der Insolvenz nicht gerechtfertigt, da hier das insolvenzrechtliche Haftungsregime sowohl die Entscheidungen des Insolvenzverwalters als auch die der Beteiligten in Eigenverwaltung vorrangig und anders bewertet. Außerdem sind die nach § 25 UmwG anspruchsberechtigten Beteiligten im Planverfahren an der Willensbildung zu beteiligen und daher nicht schutzbedürftig. 3.
Verschmelzung durch Aufnahme eines solventen Rechtsträgers durch den insolventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG)
3.1
Zielvorstellung
76 Die Verschmelzung eines solventen auf den insolventen Rechtsträger ist nach vorzugswürdiger Auffassung zulässig, wenn auf diesem Wege ein zur Fortführung bestimmtes Un___________ 75) Anders aber Becker, ZInsO 2013, 1885, 1888 f. 76) Ebenso Becker, ZInsO 2013, 1885, 1890.
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Umwandlungen im Planverfahren
ternehmen geschaffen wird und die Fusion daher als Sanierungsfusion angesehen werden kann (siehe Rz. 9). Die Sanierungswirkung basiert dabei wiederum allein auf der Finanzkraft des solventen Rechtsträgers, da ein Zurücklassen der Verbindlichkeiten des insolventen Rechtsträgers infolge der Gesamtrechtsnachfolge nicht möglich ist (siehe Rz. 16). Der Anreiz zur Verschmelzung auf einen insolventen Rechtsträger liegt bei dieser Verschmelzungsvariante v. a. im Interesse an der Nutzung des Verlustvortrags des insolventen Rechtsträgers, der hier unberührt und daher nutzbar bleibt (siehe Rz. 15). Daneben kann auch diese Variante das Interesse an der Nutzung rechtsträgergebundener Berechtigungen bedienen (siehe Rz. 13). Nach der hier vertretenen Auffassung ist auch eine Abwicklungsfusion in dem Ausnahme- 77 fall zuzulassen, in dem der solvente übertragende Rechtsträger als Tochtergesellschaft der insolventen Mutter- und Zielgesellschaft keine eigenen Gläubiger hat (siehe Rz. 10 f.). Die Abwicklungsfusion kann hier auch in der Konzerninsolvenz für eine einfache und lautlose Gesamtliquidation genutzt werden.77) 3.2
Darstellender Teil des Insolvenzplans
Der darstellende Teil des Insolvenzplans erläutert die Zielsetzung und den Hintergrund 78 der beabsichtigten Verschmelzung. Er enthält dazu auch den Inhalt des beabsichtigten Verschmelzungsvertrags sowie den für den solventen Rechtsträger ohnehin anzufertigenden Verschmelzungs- und Prüfbericht (vgl. §§ 8, 12 UmwG – siehe Rz. 62). Verzichten die Anteilsinhaber des insolventen Rechtsträgers auf den Verschmelzungsbericht (vgl. § 8 Abs. 3 UmwG), so kann dieser Verzicht formwahrend im gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Das Insolvenzplanverfahren übernimmt stets die Information der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers, die ansonsten über den Verschmelzungsbericht bzw. eine Gesellschafterunterrichtung (§§ 42, 45c, 47 UmwG) geleistet wird. Ansonsten gelten die umwandlungsrechtlichen Regelungen; insbesondere die Verschmelzungsprüfung erfolgt nach Maßgabe der §§ 9 – 12 UmwG ohne Beteiligung des Insolvenzgerichts. Eine Zuleitung des Verschmelzungsvertrags an den Betriebsrat des insolventen Rechts- 79 trägers nach § 5 Abs. 3 UmwG ist entbehrlich, da auch der Inhalt des Verschmelzungsvertrags (§ 5 Abs. 1 UmwG) im darstellenden Teil zu offenbaren ist und dem Betriebsrat nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zugeleitet wird. Die Informations- und Verfahrensvorschriften des Planverfahrens verdrängen insofern die des Umwandlungsrechts (vgl. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO – siehe schon Rz. 63). 3.3
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
3.3.1 Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO) Die Verschmelzung einer solventen Gesellschaft auf den insolventen Rechtsträger zielt – 80 außer im Fall einer Abwicklungsfusion – auf die Fortführung der insolventen Schuldnergesellschaft ab. Die Auflösung der Gesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung muss daher durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden, der gemäß § 225a Abs. 3 InsO in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgenommen werden muss. Zugleich ist die Überwindung des Auflösungsgrundes (Überschuldung nach § 19 InsO) im Plan sicherzustellen (siehe Rz. 55).
___________ 77) Heckschen, ZInsO 2008, 824, 828.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
3.3.2 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers 81 Der Verschmelzungsbeschluss des insolventen aufnehmenden Rechtsträgers ist Teil des Insolvenzplans und unterliegt daher nicht den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§§ 43, 45d, 50, 65, 84, 103 UmwG). Es gelten die §§ 243 ff. InsO. Eine Aktionärsklage (vgl. § 14 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; sie wird durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 251, 253 InsO) verdrängt. Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 82 Der Verschmelzungsbeschluss beinhaltet die Zustimmung der Anteilseigner der beteiligten Rechtsträger zum Verschmelzungsvertrag (vgl. § 13 Abs. 1 UmwG). Er ist ein Akt der Willensbildung und legitimiert den von den Vertretungsorganen geschlossenen Verschmelzungsvertrag (vgl. § 4 Abs. 1 UmwG). Diese Vertragserklärungen können ebenfalls in den Insolvenzplan aufgenommen werden: die Vertragserklärung der Schuldnergesellschaft, abgegeben durch den Insolvenzverwalter, in den gestaltenden Teil, die des übertragenden Rechtsträgers als Verpflichtungserklärung eines Dritten in die Plananlagen (§ 230 Abs. 3 InsO). 3.3.3 Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers 83 Der solvente Rechtsträger ist nicht am Insolvenzplanverfahren beteiligt (vgl. § 217 InsO), sodass dessen Beschlussfassung allein nach gesellschafts- und umwandlungsrechtlichen Regeln erfolgen muss. Der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers sollte daher zur Bedingung nach § 249 InsO gemacht werden, um eine Verknüpfung der Beschlussfassung zu ermöglichen. 3.3.4 Die Anteilsübertragung 84 Die Aufnahme des übertragenden Rechtsträgers erfordert i. d. R. die Aufnahme seiner Gesellschafter beim aufnehmenden Rechtsträger (siehe Rz. 68). Da dem Insolvenzplan über § 225a Abs. 3 InsO Eingriffe in die Anteilsrechte der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers erlaubt sind, muss dieser dazu im gestaltenden Teil die Übertragung von Anteilen auf Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers vorsehen. Sind die Anteilsrechte der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers wirtschaftlich wertlos, so kann diese Übertragung sogar ohne Abfindung erfolgen. Ein alternativ ebenfalls durch den Insolvenzplan regelbarer Kapitalschnitt zulasten der Alteigentümer ist dann entbehrlich. 3.3.5 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG 85 § 29 Abs. 1 UmwG verlangt unter bestimmten Voraussetzungen ein Barabfindungsangebot an die widersprechenden Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers. In einem solchen Fall ist ein entsprechendes Barabfindungsangebot in den Verschmelzungsvertrag aufzunehmen. Für die Annahme gilt § 31 UmwG. 3.3.6 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) 86 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sollte schließlich die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter wird so umfassend gesichert (siehe Rz. 41). Die Befugnis des Vertretungsorgans des übernehmenden Rechtsträgers aus § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG, die Anmeldung der Verschmelzung auch zur Eintragung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers anzumelden, wird dadurch nicht berührt.
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§ 33
Umwandlungen im Planverfahren 3.4
Plananlagen
In die Plananlagen sollten die Verpflichtungserklärungen des solventen Rechtsträgers auf- 87 genommen werden, um diese an der Formfiktion des § 254a Abs. 3 InsO teilhaben zu lassen. Namentlich die Vertragserklärung zum Verschmelzungsvertrag ist daher zur Plananlage zu machen. 3.5
Planwirkungen
Wird der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers im gestaltenden Teil zur 88 Planbedingung nach § 249 InsO, so darf der Plan erst nach dessen Zustandekommen bestätigt werden. Wird dann die Bestätigung rechtskräftig, so treten die Planwirkungen umfassend ein. Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers wie auch beide Vertragserklärungen zum Verschmelzungsvertrag gelten als formgerecht zustande gekommen bzw. abgegeben, ohne dass es einer zusätzlichen notariellen Beurkundung nach § 6 UmwG bedarf (vgl. § 254a Abs. 1 und 3 InsO). Die Anmeldung der Verschmelzung zum Handelsregister erfolgt nach § 16 Abs. 1 UmwG, 89 also durch den Insolvenzverwalter für den insolventen Rechtsträger sowie das Organ des solventen Rechtsträgers für diesen. Das Vertretungsorgan des nun wieder werbenden übernehmenden Rechtsträgers darf ebenfalls die Anmeldungen vornehmen (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Einer Erklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG bedarf es für den insolventen Rechtsträger nicht, da für dessen Beschluss keine Klage mehr rechtshängig sein kann. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan erbringt für den aufnehmenden Rechtsträger den Nachweis des Verschmelzungsvertrags, des Verschmelzungsbeschlusses, der Entbehrlichkeit der Zustimmung einzelner seiner Anteilsinhaber sowie der rechtzeitigen Information des Betriebsrats (§ 17 Abs. 1 UmwG). Eine nochmalige materielle Prüfungskompetenz des Registergerichts besteht diesbezüglich nicht (siehe Rz. 41). 4.
Verschmelzung durch Neugründung (§ 2 Nr. 2, §§ 36 ff. UmwG)
Da die Sanierungswirkung einer Sanierungsfusion maßgeblich auf der Finanzkraft des 90 nicht insolventen Rechtsträgers beruht, wird eine Verschmelzung durch Neugründung wegen des damit verbundenen Kapitalbedarfs nur selten attraktiv sein.78) Da an einer solchen Verschmelzung nur der insolvente Rechtsträger beteiligt ist, besitzt der Insolvenzplan hier weitreichende Regelungsbefugnisse. Für die Neugründung sind zusätzlich die Gründungsvorschriften, die für die Rechtsform des Zielrechtsträgers gelten, zu beachten. 5.
Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 3, §§ 152 ff. UmwG) ertragreicher Unternehmensteile
5.1
Zielvorstellung
Eine Abspaltung wie auch eine Ausgliederung ermöglichen es, in der Insolvenz die fort- 91 führungsfähigen Unternehmensteile im Wege einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge aus dem Schuldnerrechtsträger herauszulösen und auf einen Investor zu übertragen. Es handelt sich also um einen verfahrensbegleitenden Plan; die beim insolventen Rechtsträger verbleibenden Vermögensgegenstände werden im Regelfall zum Gegenstand des fortzuführenden Regelinsolvenzverfahrens. Die durch die Ausgliederung erreichte Gesamtrechtsnachfolge ist der alternativen Übertragung des Unternehmensteils durch Einzelrechtsnachfolge (i. d. R. eine übertragende Sanierung) v. a. dann überlegen, wenn nicht nur Aktiva, sondern auch rechtsträgergebundene Genehmigungen und Vertragsbeziehun___________ 78) Heckschen, in: FS Widmann, 2000, S. 31, 35.
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§ 33
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
gen transferiert werden sollen (siehe Rz. 13). Da zugleich ein Zurücklassen der Altverbindlichkeiten beim übertragenden insolventen Rechtsträger möglich erscheint (siehe Rz. 19 ff. zur Unanwendbarkeit des § 133 UmwG), wird diese Handlungsoption nicht selten Vorteile vermitteln können, die den Mehraufwand eines Insolvenzplanverfahrens gegenüber einer Unternehmensveräußerung rechtfertigen.79) Schließlich kann eine Ausgliederung gegenüber anderen Sanierungsoptionen auch steuerliche Vorteile haben, da steuerbare Sanierungsgewinne vermieden werden.80) 92 Handelt es sich beim insolventen Ausgangsrechtsträger nicht um eine insolvente Gesellschaft, sondern um einen insolventen Einzelkaufmann, so findet die Ausgliederungssperre des § 152 Satz 2 UmwG, die eine Ausgliederung bei überschuldeten Kaufleuten verbietet, im Insolvenzverfahren keine Anwendung.81) Zwar fehlt eine diese Norm überwindende Sonderregelung in den §§ 217 ff. InsO, weshalb eigentlich der in § 225a Abs. 3 InsO normierte Grundsatz gilt, dass die im Insolvenzplan vorgesehenen Regelungen gesellschaftsrechtlich zulässig sein müssen. Das Ausgliederungsverbot würde bei einer solch schematischen Betrachtung mithin auch für Umwandlungen in einem Insolvenzplan Geltung beanspruchen können. Die gebotene teleologische Betrachtung macht allerdings deutlich, dass die Ausgliederungssperre im Insolvenzverfahren funktionslos ist, da ihre Schutzfunktion zugunsten der Gläubiger des Kaufmanns im Insolvenzplanverfahren bereits verfahrensrechtlich gesichert wird. Wer die Aufgabe des Ausgliederungsverbots im Schutz der Altgläubiger des Kaufmanns verortet,82) muss erkennen, dass diese Gläubiger am Insolvenzplanverfahren als Insolvenzgläubiger des Kaufmanns beteiligt sind und daher sogar über die Ausgliederung als Teil des Insolvenzplans mitentscheiden. Wer hingegen den Zweck des Ausgliederungsverbots in einem Schutz des übernehmenden Rechtsträgers vor den Gefahren einer unentdeckten Überschuldung des aufzunehmenden kaufmännischen Unternehmens für die eigene Kapitalaufbringung sieht,83) der wird bemerken, dass im eröffneten Insolvenzverfahren die Insolvenz des Kaufmanns ebenso offenbart wird wie sein Verschuldungsgrad, der in der Forderungstabelle (§ 175 InsO) und den Plananlagen (§ 229 InsO) für jeden Beteiligten nachprüfbar ist. Das Ausgliederungsverbot des § 152 Satz 2 UmwG ist daher im Anwendungsbereich eines Insolvenzplans ohne jede Funktion, in seiner absoluten Wirkung ohnehin rechtspolitisch fragwürdig84) und sollte daher vom Gesetzgeber jedenfalls für Ausgliederungen i. R. eines Insolvenzplanverfahrens suspendiert werden. Bis dahin ist sein Anwendungsbereich auf Ausgliederungen außerhalb der Insolvenz teleologisch zu reduzieren. 5.2
Darstellender Teil des Insolvenzplans
93 Der darstellende Teil des Insolvenzplans muss Informationen über die Unternehmenslage wie auch eine detaillierte Erläuterung des Sanierungskonzepts enthalten. Hierzu bedarf es auch der Darstellung des Inhalts des beabsichtigten Spaltungs- bzw. Ausgliederungsund Übertragungsvertrags (vgl. § 126 UmwG). Da an einer Abspaltung oder Ausgliederung nicht nur der übertragende, sondern auch der aufnehmende Rechtsträger zu beteiligen ___________ 79) Ebenso Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977. 80) Hierzu Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510. 81) Ebenso AG Norderstedt v. 7.11.2016 – 66 IN 226/15, ZIP 2017, 586; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2554; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 50; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 840; a. A. noch Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 225a Rz. 44 a. E. 82) So etwa Ihrig, GmbHR 1995, 622, 638; Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 152 Rz. 76; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 152 Rz. 24. 83) So etwa Karollus, in: Lutter, UmwG, § 152 Rz. 43; Seulen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 152 Rz. 74; Simon, in: KölnKomm-UmwG, § 152 Rz. 40. 84) Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 152 Rz. 25.
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§ 33
Umwandlungen im Planverfahren
ist, kann der darstellende Teil des Insolvenzplans wie bei einer Verschmelzung nur die Information der Planbeteiligten, also der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers, sicherstellen. Für diesen Personenkreis bedürfte es folglich keines Spaltungs- bzw. Ausgliederungsberichts (vgl. § 127 UmwG). Da dieser Bericht aber für die Anteilsinhaber des aufnehmenden Rechtsträgers anzufertigen ist, kann er zum Gegenstand des darstellenden Teils des Insolvenzplans gemacht werden. Verzichten die Anteilsinhaber des insolventen Rechtsträgers auf den Bericht (vgl. § 127 Satz 2, § 8 Abs. 3 UmwG), so kann dieser Verzicht formwahrend im gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Einer Gesellschafterunterrichtung nach § 126 Abs. 3 UmwG bedarf es für die Anteilsinhaber des insolventen übertragenden Rechtsträgers nicht (siehe Rz. 62). Im Fall einer Ausgliederung findet eine Prüfung i. S. der §§ 9 – 12 UmwG nicht statt (§ 125 Satz 2 UmwG), sodass hier auch kein Prüfungsbericht zuzuleiten ist. Auch eine Zuleitung (des Entwurfs) des Spaltungs/Ausgliederungsvertrags an den Betriebsrat des insolventen Rechtsträgers nach § 126 Abs. 3 UmwG ist entbehrlich, da dieser dem Betriebsrat nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Teil des Insolvenzplans zugeleitet wird. 5.3
Gestaltender Teil des Insolvenzplans
5.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss Eine Abspaltung oder Ausgliederung der werthaltigen Unternehmensteile führt stets da- 94 zu, dass der insolvente übertragende Rechtsträger im Insolvenzverfahren als chancenlose Hülle zurückbleibt und dort nach Maßgabe der §§ 159 ff. InsO liquidiert wird. Die Auflösung der Schuldnergesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung muss folglich nicht durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden. Auch die Spaltungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers nach § 124 Abs. 2, § 3 Abs. 3 UmwG setzt einen solchen Beschluss nicht voraus (siehe Rz. 6). Ebenso bedarf es keiner Kapitaldeckungserklärung nach § 140 UmwG für eine über- 95 tragende (insolvente) GmbH, da deren Fortsetzung eben nicht vorgesehen ist und jeder Gläubigerschutz entbehrlich wird bzw. durch das Insolvenzverfahren zu leisten ist. Der Insolvenzplan zur Abspaltung oder Ausgliederung ist insofern ein verfahrensbegleitender Plan.85) 5.3.2 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des insolventen Rechtsträgers Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des insolventen übertragenden Rechts- 96 trägers kann nach § 254a Abs. 2 Satz 1 InsO wirksam als Teil des Insolvenzplans zustande kommen und unterliegt dann nicht den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§ 125 Satz 1 i. V. m. §§ 43, 45d, 50, 65, 84, 103 UmwG), sondern allein den Anforderungen der §§ 243 ff. InsO.86) Die Zustimmungserfordernisse des Umwandlungsrechts werden verdrängt. Eine Aktionärsklage (vgl. § 125 Satz 1, § 14 Abs. 1 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; sie wird durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 251, 253 InsO) verdrängt. Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 5.3.3 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers Der solvente aufnehmende Rechtsträger beschließt allein nach gesellschafts- und umwand- 97 lungsrechtlichen Regeln über die Beteiligung an der Abspaltung bzw. Ausgliederung. Dessen ___________ 85) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2553 f.; Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510, 511 f. 86) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss (wie auch ein nur selten erforderlicher Beschluss über eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Abspaltung oder Ausgliederung) kann daher nur zur Bedingung nach § 249 InsO gemacht werden.87) 5.3.4 Die Zustimmung zum Abspaltungs- bzw. Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag 98 Die Beschlüsse der beteiligten Rechtsträger enthalten allein die interne Willensbildung über den Umwandlungsvorgang. Die im Außenverhältnis zu erklärende Zustimmung zum Abspaltungs- bzw. Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag übernimmt grundsätzlich das dazu befugte Vertretungsorgan. Diese Vertragserklärungen können hier ebenfalls in den Insolvenzplan aufgenommen werden: die Vertragserklärung der Schuldnergesellschaft, abgegeben durch den Insolvenzverwalter, in den gestaltenden Teil, die des aufnehmenden Rechtsträgers als Verpflichtungserklärung eines Dritten in die Plananlagen (§ 230 Abs. 3 InsO).88) 5.3.5 Verzicht auf Ansprüche aus § 133 UmwG 99 Zur Absicherung der Entschuldungswirkung einer Abspaltung bzw. Ausgliederung sollte bis zur höchstrichterlichen oder gesetzlichen Klärung der Anwendbarkeit des § 133 UmwG, der die gesamtschuldnerische Haftung aller an der Abspaltung/Ausgliederung beteiligten Rechtsträger für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers anordnet (siehe Rz. 20), ein Verzicht aller Gläubiger auf derartige Ansprüche in den Plan aufgenommen werden (siehe Fn. 23). 5.3.6 Bezugsrechtsausschluss 100 Die Vermögensübertragung i. R. einer Abspaltung oder Ausgliederung darf außerhalb der Insolvenz nur erfolgen, wenn im Gegenzug zum Vermögenszuwachs Anteilsrechte am übernehmenden Rechtsträger gewährt werden. Sollen diese Anteile den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft zukommen, so spricht man von einer Abspaltung; sollen diese Anteilsrechte dem übertragenden Rechtsträger selbst zufließen, liegt eine Ausgliederung vor. Dieses umwandlungsrechtliche Bezugsrecht ist bei der Abspaltung Teil des Anteils- und Mitgliedschaftsrechts jedes Gesellschafters des insolventen Rechtsträgers und kann daher im gestaltenden Teil beschränkt oder durch Aufnahme eines Verzichts89) auch gänzlich ausgeschlossen werden. Dies ist auch gegen den Willen der Betroffenen möglich (vgl. § 245 Abs. 3, § 251 Abs. 1 bzw. § 247 Abs. 2 InsO), da durch den Ausschluss oder die Beschränkung des Bezugsrechts keine Schlechterstellung gegenüber einer Liquidation der Schuldnergesellschaft ohne Plan erfolgt (siehe Rz. 68). Die Durchführung der Abspaltung bedarf im Fall eines Verzichts keiner Erweiterung des Gesellschafterkreises beim übernehmenden Rechtsträger und damit bei Kapitalgesellschaften keiner Kapitalerhöhung. Bei einer Ausgliederung sind demgegenüber die Anteile am übernehmenden Rechtsträger Teil der Insolvenzmasse der Schuldnergesellschaft selbst; ihre Übertragung kann folglich als Verwertungshandlung sowohl durch den Insolvenzverwalter erfolgen als auch im Plan geregelt werden. Ein Verzicht auf die Gewährung dieser Anteile i. R.
___________ 87) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979. 88) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979. 89) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2544. Zur umwandlungsrechtlichen und damit insolvenzrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Verzichts s. schon die Nachweise bei Fn. 52.
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Umwandlungen im Planverfahren
der Ausgliederung scheint daher nicht notwendig, wenngleich er in der Praxis häufig gewünscht zu sein scheint.90) 5.3.7 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG bei der Abspaltung Ein Barabfindungsangebot nach § 29 Abs. 1 UmwG muss den widersprechenden Anteils- 101 eignern des übertragenden Rechtsträgers nur im Fall einer Abspaltung (vgl. § 125 Satz 1 UmwG) und nur dann gemacht werden, wenn deren Anteile trotz der Insolvenz noch werthaltig sind (siehe dann die Ausführungen in Rz. 69). 5.3.8 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sollte schließlich die Ermächtigung des Insol- 102 venzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter wird so umfassend gesichert (siehe Rz. 41). Die Befugnis des Vertretungsorgans des übernehmenden Rechtsträgers aus § 125 Satz 1, § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG, die Anmeldung der Abspaltung/ Ausgliederung auch zur Eintragung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers anzumelden, wird dadurch nicht berührt. 5.4
Plananlagen
In die Plananlagen sollte die Vertragserklärung des aufnehmenden Rechtsträgers zum 103 Abspaltungs-/Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag aufgenommen werden, um die Planwirkungen auf sie zu erstrecken.91) 5.5
Planwirkungen
Wird der Beschluss des aufnehmenden Rechtsträgers im gestaltenden Teil zur Planbedin- 104 gung nach § 249 InsO, so darf der Plan erst nach dessen Zustandekommen vom Insolvenzgericht bestätigt werden. Wird diese Bestätigung in der Folge rechtskräftig, so gelten der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers als formgerecht zustande gekommen und beide Vertragserklärungen zum Abspaltungs-/Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag als formgerecht abgegeben, ohne dass es einer zusätzlichen notariellen Beurkundung nach § 6 UmwG bedarf (vgl. § 254a Abs. 1 und 3 InsO). Die Anmeldung der Abspaltung/Ausgliederung zum Handelsregister unterliegt § 125 105 Satz 1, § 16 Abs. 1 UmwG und kann danach durch den Insolvenzverwalter für den insolventen Rechtsträger sowie das Organ des solventen Rechtsträgers für diesen (oder beide) erfolgen. Einer Negativerklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG bedarf es für den insolventen Rechtsträger nicht, da gegen dessen Beschluss zum Zeitpunkt der Anmeldung keine Klage mehr rechtshängig sein kann. Auch die Soliditätserklärung seitens einer übertragenden AG (§ 146 UmwG) ist entbehrlich, da diese nicht fortgeführt, sondern im eröffneten Insolvenzverfahren liquidiert wird. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan erbringt für den übertragenden Rechtsträger zudem den Nachweis des Abspaltungs-/Ausgliederungsund Übernahmevertrags, des Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschlusses, der Entbehrlichkeit der Zustimmung einzelner seiner Anteilsinhaber sowie der rechtzeitigen Information des Betriebsrats (§ 17 Abs. 1 UmwG). Eine nochmalige materielle Prüfungskompetenz des Registergerichts besteht diesbezüglich nicht (siehe Rz. 41). Die nach § 17 Abs. 2 ___________ 90) S. Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2546; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 839. 91) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979.
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§ 33
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
UmwG vorzulegende Schlussbilanz (Ausgliederungsbilanz) kann durch ihre Aufnahme in die Plananlagen ebenfalls mit dem Plan eingereicht werden. 6.
Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG)
106 Im Gegensatz zur Ausgliederung bzw. zur (wenngleich selteneren) Abspaltung spielt die Aufspaltung in der Praxis keine Rolle.92) Ihre fehlende Attraktivität folgt aus dem Umstand, dass bei einer Aufspaltung das gesamte Vermögen des übertragenden Rechtsträgers auf zwei übernehmende Rechtsträger zu verteilen ist. Schon das vollständige Erfassen aller Vermögenspositionen ist sehr aufwendig. Das nachträgliche Auftauchen nicht berücksichtigter Positionen kann zudem über § 131 Abs. 3 UmwG zu deren Zuweisung an alle übernehmenden Rechtsträger führen, was gerade bei Passivvermögen problematisch sein kann. Die fehlende Attraktivität der Aufspaltung wird durch den Umstand der Insolvenz des übertragenden Rechtsträgers nicht beseitigt, sondern eher verstärkt, da hier i. d. R. nur Teile des Vermögens als werthaltig anzusehen sind und daher einem neuen (sanierten) Rechtsträger zugeordnet werden. Die Zuordnung des Restvermögens auf einen zweiten übernehmenden Rechtsträger macht daneben keinen Sinn, da dieser unmittelbar überschuldet und in die Insolvenz zu führen wäre. Dieses Resultat lässt sich effizienter über eine Ausgliederung/Abspaltung aus der Insolvenz heraus erreichen. 7.
Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG)
107 Da § 175 UmwG den Kreis möglicher Beteiligter an einer Vermögensübertragung äußerst eng begrenzt, spielt auch diese Option für eine Sanierung praktisch keine Rolle.
___________ 92) Simon, in: Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, Muster 10.01 Anm. 1.3.
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§ 34 Vergleichsrechnung J. Schmidt
I. Einführung .................................................. 1 II. Gesetzliche Regelungen zur Vergleichsrechnung? .................................. 5 1. Keine (unmittelbaren) gesetzlichen Regelungen ................................................... 5 2. Mittelbare gesetzliche Anknüpfungspunkte ........................................................... 6 III. Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung ...................................................... 9 IV. Adressaten und Prüfung der Vergleichsrechnung.................................. 11 1. Adressaten der Vergleichsrechnung im Überblick .................................................... 12 2. Adressaten und Prüfungskompetenz im Einzelnen............................................... 14 2.1 Insolvenzgericht ............................ 14 2.1.1 Gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) .................................. 15 2.1.1.1 Umfassende rechtliche Prüfungskompetenz ..................................... 17 2.1.1.2 Eingeschränkte tatsächliche Prüfungsmöglichkeit und -kompetenz .................................... 18 2.1.2 Entscheidung Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO)............ 21 2.1.3 Gerichtliche Bestätigung und Zustimmungsersetzung (§§ 248 ff. InsO) ........................... 24 2.1.4 Abhilfeverfahren (§ 253 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO) ........ 26 2.2 Beschwerdegericht......................... 27 2.3 Insolvenzverwalter – Sachwalter – Schuldner .................................... 28 2.3.1 Schuldner bei Planerstellung durch Insolvenzverwalter.............. 28 2.3.2 Schuldner bei Planerstellung durch Sachwalter............................ 33 2.3.3 Insolvenzverwalter beim Schuldnerplan ................................ 36 2.3.4 Sachwalter beim Schuldnerplan .... 38 2.3.5 Gläubigerausschuss ....................... 40 2.3.6 Gläubigerversammlung ................. 44 2.4 Weitere Beteiligte .......................... 47 3. Adressaten und Prüfungskompetenz: Zusammenfassende Bewertung für die Insolvenzpraxis........................................... 50 V. Formelle Anforderungen an die Vergleichsrechnung.................................. 57 1. Bestandteil des darstellenden Teils ........... 57
2.
Typischer Aufbau – Anlehnung an Masseverzeichnis und Vermögensübersicht (§§ 151 ff. InsO)........................ 62 VI. Materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung.................................. 67 1. Darstellung der Vermögensgegenstände (Aktiva)........................................... 67 1.1 Grundsatz der Einzelerfassung..... 67 1.2 Massezugehörigkeit....................... 70 1.3 Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt ............................ 72 1.4 Besonderheiten im Umgang mit insolvenzspezifischen Ansprüchen.................................... 75 2. Darstellung der Verbindlichkeiten (Passiva)...................................................... 78 2.1 Grundsatz der Einzelbewertung..... 81 2.2 Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt ............................ 82 2.3 Streitige Verbindlichkeiten ........... 83 3. Darstellung des Ergebnisses der Vergleichsrechnung: Gegenüberstellung der Quoten ................................................. 84 4. Zusammenfassung – materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung unter Berücksichtigung des Prognosecharakters.................................................... 87 VII. Vergleichsmaßstab................................... 88 1. Liquidationsszenario als Vergleichsmaßstab....................................................... 90 1.1 Darstellung der Liquidationswerte (Aktiva) ............................... 90 1.2 Begründung des Vergleichsmaßstabs......................................... 91 1.3 Begriff des Liquidationswerts (Aktiva).......................................... 92 1.4 Ermittlung des Liquidationswerts im Einzelnen ........................ 93 1.4.1 Anlagevermögen............................ 94 1.4.2 Umlaufvermögen........................... 95 1.4.3 Insolvenzspezifische Ansprüche... 101 1.5 Bewertung von Verbindlichkeiten im Liquidationsszenario (Passiva) ....................................... 106 1.5.1 Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsberechtigten......... 109 1.5.2 Liquidationsschicksal von Konzernfinanzierungen .............. 110 1.5.3 Wegfall von Sanierungsbeiträgen.. 111
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§ 34
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
1.5.4
2.
I.
Vorzeitige Beendigung von Dauerschuldverhältnissen bei Liquidation............................. 113 1.5.5 Streitige Verbindlichkeiten (z. B. Gewährleistungsforderungen).... 114 1.5.6 Masseverbindlichkeiten/Rückstellungen für auslaufende Kündigungsfristen....................... 115 1.5.7 Maßgeblichkeit der Drittelgrenze bei Sozialplanverbindlichkeiten................... 117 1.5.8 Verfahrenskosten ........................ 118 Fortführungsszenario als Vergleichsmaßstab..................................................... 121 2.1 Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ Alternativlosigkeit?.............................................. 123 2.2 Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ (= verbindlicher) Alternative! ... 126 2.3 Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „möglicher“ Alternative? ............ 128
3.
Verpflichtung zur aktiven Suche eines Fortführungsszenarios – Verpflichtung zum Dual Track?...................................... 132 3.1 Grundsatz: Verpflichtung zum Investorenprozess ....................... 134 3.2 Ausnahme: Verzicht auf Investorenprozess bei Vorliegen von Sachgründen ................................ 137 3.3 Ausgestaltung des Investorenprozesses ...................................... 143 3.4 Notwendigkeit der Unternehmensbewertung bei Verzicht auf Investorenprozess........ 149 VIII. Besonderheiten der Vergleichsrechnung bei selbstständig tätigen Personen .................................................. 157 1. Berücksichtigung der Unpfändbarkeit ... 158 2. Vergleichsmaßstab ................................... 159 2.1 Einkommensprognose unter Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse ................................. 160 2.2 Finanzierung der Planquote durch Fortsetzung der Selbstständigkeit ................................... 162
Einführung
1 Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Diese wörtliche Formulierung der mit – „Ziele des Insolvenzverfahrens“ – überschriebenen Regelung des § 1 Satz 1 InsO zeigt die Bedeutung des Insolvenzplanverfahrens für den Gesetzgeber. Dass mit dem „Sechsten Teil (§§ 217 – 269 InsO)“ dem Insolvenzplanverfahren ein eigener Teil der InsO zugewiesen wird, bestätigt diese Bewertung. 2 Versucht man im Lichte dieser Vorgaben des Gesetzes eine zusammenfassende Umschreibung der Zulässigkeit eines Insolvenzplans, so wird man formulieren, dass die Gläubiger durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden dürfen, als sie ohne Plan stünden. Die Überprüfung einer solchen Schlechterstellung ist Gegenstand der sog. Vergleichsrechnung. In ihrem Rahmen ist (hypothetisch) darzustellen, wie die Gläubiger ohne einen Insolvenzplan – d. h. in einem Regelverfahren – stünden. Nur wenn im Vergleich hiermit keine Schlechterstellung festzustellen ist, kann entsprechend § 1 Satz 1 InsO „in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen (werden)“. Das Schlechterstellungsverbot und seine Überprüfung durch die Vergleichsrechnung sichern mithin die bestmögliche Gläubigerbefriedigung ab. Dies wiederum erklärt (u. a.) die Verankerung des Insolvenzplans in § 1 Satz 1 InsO. Gemessen an dieser (unbestrittenen) Bedeutung des Schlechterstellungsverbots und der Vergleichsrechnung wären konkretisierende Normen in den drei Abschnitten der §§ 217 – 269 InsO zu erwarten gewesen. 3 Solche existieren indes nicht, jedenfalls nicht unmittelbar (siehe Rz. 5). Dies gilt sowohl für das „Ob“ als auch für das „Wie“ der Vergleichsrechnung. Während das „Ob“ aufgrund der Teleologie des Gesetzes und der (mittelbaren) Anknüpfungspunkte beim Schlechterstellungsverbot (siehe Rz. 6) unbestritten ist und aus diesem Grund weder in der Litera930
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§ 34
Vergleichsrechnung
tur noch in der Rechtsprechung Anlass zur Kontroverse gibt,1) löst das „Wie“ (berechtigte) Fragen aus, die für das Schrifttum Kontroversen und die Insolvenzpraxis (Rechts-)Unsicherheit bedeuten. Diese Fragen betreffen formelle wie materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung, 4 z. B. zur Darstellung von Vermögensgegenständen, Bewertungs- und Vergleichsmaßstäben sowie Differenzierungen zwischen Regel-, Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren. Dass im Hinblick auf solche Fragestellungen – insbesondere zum Vergleichsmaßstab – ein Bedürfnis für, nicht zwingend gesetzliche, Regelungen und Vorgaben besteht, zeigen die Insolvenzpraxis im Allgemeinen und Missbrauchsfälle im Besonderen. II.
Gesetzliche Regelungen zur Vergleichsrechnung?
1.
Keine (unmittelbaren) gesetzlichen Regelungen
Wie beschrieben existiert keine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Erfordernis der 5 Vergleichsrechnung („Ob“) und deren Ausgestaltung („Wie“). Die Gesetzesmaterialien zur InsO zeigen, dass über die Aufnahme spezialgesetzlicher Regelungen zur Vergleichsrechnung nachgedacht worden ist.2) Im Ergebnis wurde hierauf verzichtet, was keine Zweifel an der notwendigen Existenz der Vergleichsrechnung („Ob“) ausdrücken soll, sondern die Ausgestaltung und Anforderungen („Wie“) bewusst dem Schrifttum und der Insolvenzpraxis überlässt. 2.
Mittelbare gesetzliche Anknüpfungspunkte
Der Nachweis für die unbestrittene Existenz der Vergleichsrechnung („Ob“) ist über die 6 Gesetzesmaterialien hinaus in den bestehenden mittelbaren Anknüpfungspunkte im Gesetz, z. B. in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO („Obstruktionsverbot“), § 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO („Zustimmung des Schuldners“), § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO („Minderheitenschutz“) und § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO („Rechtsmittel“) zu suchen. Gegenstand dieser Regelungen ist die (zwangsweise) Durchsetzung des Insolvenzplans gegenüber (obstruierenden) Gläubigern auf der einen und deren Schutz auf der anderen Seite. Gemeinsames prägendes Tatbestandsmerkmal ist die Formulierung: „[…], durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden“. Wenn auch nur inzidenter liegt diesem Regelungskonzept das Schlechterstellungsverbot und damit die Durchsetzung der Regelungsmaxime des § 1 Satz 1 InsO (siehe Rz. 9) zugrunde. Der Rückschluss vom Schlechterstellungsverbot auf die Existenz einer Vergleichsrechnung 7 und deren notwendige Darstellung im Insolvenzplan folgt aus einer weiteren – als mittelbaren gesetzlichen Anknüpfungspunkt im definierten Sinne zu bezeichnenden – Bestimmung, nämlich der Regelung des § 220 Abs. 2 InsO. Hiernach soll der darstellende Teil alle sonstigen Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Letztere erfolgt nach Maßgabe des § 248 InsO durch das Insolvenzgericht nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Beteiligten (§§ 244 – 2464a InsO) und Zustimmung des Schuldners (§ 247 InsO).
___________ 1)
2)
Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4; Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 193; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 231 Rz. 6; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, S. 6, Rz. 9; Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 36. Instruktiv: BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4; Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 193; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 231 Rz. 6; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, S. 6, Rz. 9.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
8 Sowohl die Annahme durch die Beteiligten als auch die Zustimmung durch den Schuldner können auf der gerichtlichen Zustimmungsersetzung beruhen. Es ist insoweit entscheidend, dass sich der Planverfasser darüber verhält, warum Gläubiger durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden. Denn auf diesem Grundgedanken beruht das Gesetz (§ 245 Abs. 1 Nr. 1, § 247 Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 3 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Dieser Aufgabe kommt der Planverfasser dadurch nach, dass er im darstellenden Teil das Ergebnis des Insolvenzplans dem der Regelabwicklung gegenüberstellt. Insoweit ergibt sich die Einordnung der Vergleichsrechnung als „entscheidungserhebliche Angabe“ i. S. des § 220 Abs. 2 InsO bereits aus der möglichen Notwendigkeit der Zustimmungsersetzung;3) sie ist indes auch dann entscheidungserheblich, wenn der Insolvenzplan bei Erstellung davon ausgeht, dass es keiner Zustimmungsersetzung bedarf. Die Verwendung des Wortes „soll“ bedeutet dabei nicht, dass die geforderten Angaben fakultativ sind. Die Vorschrift ist nach ihrem Sinn und Zweck als zwingende Regelung zu lesen.4) III.
Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung
9 Die Herleitung der Notwendigkeit der Vergleichsrechnung aus dem Grundgedanken von § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 247 Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 3 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO („nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden“) zeigt bereits den ihr vom Gesetzgeber zugedachten Sinn und Zweck:
Die Vergleichsrechnung sichert das Schlechterstellungsverbot ab.
Das Schlechterstellungsverbot rechtfertigt die Zustimmungsersetzung.5)
Die Zustimmungsersetzung ermöglicht die gruppenübergreifende Mehrheitsbildung.6)
Diese stellt den Wesensunterschied zur Regelinsolvenz dar.
10 Dieser Wirkungs- und Rechtfertigungszusammenhang zeigt die zentrale Bedeutung der Vergleichsrechnung. Er lässt – wie beschrieben (siehe Rz. 8) – die Einordnung der Vergleichsrechnung als entscheidungserhebliche Angabe i. S. des § 220 Abs. 2 InsO als selbstverständlich erscheinen und rechtfertigt ihre Einordnung und Behandlung als Herzstück eines jeden Insolvenzplans.7) Dieser Wirkungszusammenhang zwischen Zustimmungsersetzung und Vergleichsrechnung bestätigt weiterhin den Grundsatz: „Pläne schreibt man nicht für die Gläubiger, die für, sondern die gegen den Plan sind.“ IV.
Adressaten und Prüfung der Vergleichsrechnung
11 Ausgehend von der unbestrittenen Notwendigkeit und Existenz der Vergleichsrechnung sowie der ihr zugewiesenen Bedeutung stellt sich die Frage nach dem Inhalt der Vergleichsrechnung in formeller (siehe Rz. 57 f.) und materieller (siehe Rz. 67 f.) Hinsicht. Angesichts fehlender gesetzlicher Vorgaben gilt der Blick für Vorgaben an diese Inhalte denjenigen, denen
der Insolvenzplan nebst Vergleichsrechnung vorgelegt werden muss und die
die Vergleichsrechnung prüfen (müssen).
___________ 3) 4) 5) 6) 7)
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BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141; Madaus, NZI 2017, 751 (Urteilsanm.); Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 3. BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/Körner); Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 4; Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 701. Ahrens, NZI 2011, 425. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 1, § 251 Rz. 1. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 3; Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 697.
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§ 34
Vergleichsrechnung 1.
Adressaten der Vergleichsrechnung im Überblick
Die Vergleichsrechnung ist zentraler Bestandteil des Insolvenzplans. Zur Vorlage eines In- 12 solvenzplans berechtigt sind der Insolvenzverwalter und der Schuldner, § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Vorlage erfolgt an das Insolvenzgericht, das damit ein zentraler, aber nicht der alleinige Adressat der Vergleichsrechnung ist. Daneben treten
Insolvenzverwalter,
Sachwalter,
Schuldner,
Betriebsrat,
Sprecherausschuss der leitenden Angestellten,
Beschwerdegericht,
(vorläufiger) Gläubigerausschuss sowie
Gläubigerversammlung bzw. einzelne (besonders interessierte) Gläubiger.
Die Berührungspunkte dieser Beteiligten zum Insolvenzplan und damit ihre Adressatenstel- 13 lung hinsichtlich der Vergleichsrechnung stellen sich hierbei i. E. folgendermaßen dar: 2.
Adressaten und Prüfungskompetenz im Einzelnen
2.1
Insolvenzgericht
Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG ist der Insolvenzrichter für das Verfahren über einen In- 14 solvenzplan funktionell zuständig. 2.1.1 Gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) Nach Vorlage entscheidet das Gericht von Amts wegen über die Zurückweisung des In- 15 solvenzplans i. R. der Vorprüfung gemäß § 231 Abs. 1 InsO. Das Gericht prüft hierbei das Vorliegen der gesetzlichen Mindestanforderungen. Werden vorgelegte Pläne diesen nicht gerecht, oder haben sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, oder sind die im gestaltenden Teil vorgesehenen (Plan-)Ansprüche offensichtlich unerfüllbar, so soll das aufwendige (Plan-)Verfahren gar nicht erst eingeleitet werden.8) Wegen der Einzelheiten wird auf § 35 verwiesen. Bis zu der Entscheidung des BGH vom 7.5.20159) wurden Prüfungsmaßstab und -umfang 16 kontrovers diskutiert.10) Mit der Entscheidung des BGH steht fest, dass das Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Gesichtspunkte prüft, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Planinhalt eingehalten wurden. Dabei sind nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden.11) Zu den Bestimmungen über den Planinhalt zählt die Gliederung des Plans in einen darstellenden und gestaltenden Teil.12) Sollte der darstellende Teil fehlen oder nur ungenügend ausgearbeitet sein, genügt er nicht den Mindestanforderungen an eine Plandarstellung.13) Hierzu gehört weiterhin auch die Vergleichsrechnung; ungeachtet der fehlenden ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz14) ___________ 8) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 15; Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 1. 9) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). 10) Horstkotte, ZInsO 2014, 1297; Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 19; Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 5. 11) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 20. 12) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 21. 13) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 14) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6.
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§ 34
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
gehört sie nach § 220 Abs. 2 InsO als entscheidungserhebliche Angabe i. S. dieser Generalklausel zum darstellenden Teil (siehe Rz. 8).15) Vollständigkeit und Richtigkeit in tatsächlicher Hinsicht sind weder überprüfbar noch zu überprüfen (siehe Rz. 18). Gleiches gilt für die Zweckmäßigkeit und die Erfolgsaussichten. Im Einzelnen: 2.1.1.1
Umfassende rechtliche Prüfungskompetenz
17 Die Unvollständigkeit oder das Fehlen der Vergleichsrechnung kann daher Anlass für eine Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Etwas anderes ergibt sich nicht bereits aus dem Charakter des § 220 Abs. 2 InsO als „Soll-Vorschrift“. Die Vorschrift ist nach ihrem Sinn und Zweck als zwingende Regelung zu lesen.16) 2.1.1.2
Eingeschränkte tatsächliche Prüfungsmöglichkeit und -kompetenz
18 Die inhaltliche Prüfungskompetenz jenseits rechtlicher Gesichtspunkte muss indes aus verschiedenen Gründen und in verschiedener Hinsicht begrenzt sein. Wie beschrieben kann die Rechtfertigung für diese Begrenzung nicht im „Soll-Charakter“ gesucht werden; sie ist nach ihrem Sinn und Zweck und im Lichte der Rechtsprechung des BGH („gewisser Grundtatbestand an Informationen“) als zwingende Regelung zu lesen.17) Die Gründe liegen in anderen Bereichen:
Im Rahmen der Vorprüfung nach § 231 InsO gilt – anders als beim Minderheitenschutzantrag oder der Beschwerdeentscheidung – der Beibringungsgrundsatz. Aus diesem Grund hat das Gericht die Vergleichsrechnung weder auf Richtigkeit noch auf Vollständigkeit hin zu überprüfen.18)
Die Begrenzung der Prüfungskompetenz ist weiterhin praktischen Gegebenheiten geschuldet. Es fehlen die erforderliche Zeit und Sachnähe. Dem Insolvenzgericht ist eine Überprüfung und Bewertung der Massegegenstände in der Kürze der Zeit („[…] soll innerhalb von zwei Wochen […]“) kaum möglich.
Die inhaltlich eingeschränkte Prüfungskompetenz ist weiterhin der Gläubigerautonomie geschuldet; das Gericht muss also die Entscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung bestmöglich wahren.19)
19 Das Insolvenzgericht muss im Lichte bzw. ungeachtet dieser eingeschränkten tatsächlichen Prüfungskompetenz aus der Vergleichsrechnung das Planergebnis und das davon abweichende (hypothetische) Ergebnis des Insolvenzverfahrens ablesen können. Es muss hierbei erkennen können, ob etwa das Planergebnis die „Taube auf dem Dach“ und das Verwertungsergebnis nach dem Gesetz „der Spatz in der Hand“ ist.20) Um diesem Prüfungsauftrag gerecht werden zu können, darf und muss der gestaltende Teil des Plans auf seine Informationsfunktion hin überprüft werden.21) Maßgeblich hierbei ist, ob die vorliegenden Informationen der Vergleichsrechnung für eine Entscheidungsfindung des Gerichts und
___________ 15) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 3. 16) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 4; BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187; Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 31. 17) Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 701. 18) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 18. 19) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 22. 20) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4. 21) Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 7.
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Vergleichsrechnung
der Gläubiger ausreichen.22) Der BGH spricht von einem „gewissen Grundtatbestand an Informationen“.23) Vor diesem Hintergrund lässt sich folgender Prüfungsmaßstab zusammenfassen, aus dem wiederum der Planverfasser Vorgaben für die Inhalte ableiten kann:
Fehlen Angaben zum Vermögen des Schuldners oder sind sie unvollständig so rechtfertigt dies die Zurückweisung.
Nicht zu überprüfen ist die Richtigkeit der Einzelwerte.24) Daher kann – jedenfalls im Grundsatz – mit der Bewertung der Massegegenstände die Vergleichsrechnung im Vorprüfungsverfahren nicht beanstandet werden kann.25)
Überprüfbar ist allerdings, ob die angegebenen Zahlen in sich stimmig sind und die verschiedenen Szenarien plausibel dargestellt werden. So ist die rechnerische Schlussfolgerung zu überprüfen. Offenkundige Fehler sind zu beanstanden.26) In der Literatur wird dies Evidenz- und Plausibilitätskontrolle27) oder auch Schlüssigkeitsprüfung28) genannt.
Zu überprüfen ist die Aktualität der Wertangaben.29) Hieran fehlt es bei der bloßen Übernahme der Zahlen aus dem Eröffnungsgutachten.
Gleiches gilt bei fehlender Differenzierung der Wertangaben bei Gegenüberstellung verschiedener Szenarien.30)
Von diesem Prüfungsmaßstab zu unterscheiden ist die Überprüfung der Zweckmäßigkeit 20 oder der Erfolgsaussichten des Plans.31) Diese sind ebenso wie die – so jüngst das LG Hamburg32) – inhaltliche Angemessenheit oder wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Plans vom Prüfungsmaßstab ausgenommen. 2.1.2 Entscheidung Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO) Das Insolvenzgericht ist – mit dem funktionell zuständigen Insolvenzrichter – weiterhin 21 auch deshalb (besonderer) Adressat der Vergleichsrechnung, da es die Entscheidung über den Minderheitenschutzantrag nach § 251 InsO erlässt. Hat der Antragsteller die Schlechterstellung glaubhaft gemacht, muss das Insolvenzgericht i. R. der Amtsermittlung (§ 5 InsO) prüfen, ob der Antragsteller durch den Insolvenzplan voraussichtlich schlechtergestellt wird.33) Es genügt hierbei die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schlechterstellung. Diese Prog- 22 nosewahrscheinlichkeit kommt damit doppelt zum Tragen: zunächst bei den glaubhaft gemachten Tatsachen und sodann bei der tatsächlich vorliegenden Schlechterstellung.34) ___________ 22) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 30. 23) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 24) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 25) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 39 m. w. N. 26) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 40. 27) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 28. 28) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 40. 29) Thies, in: HambKomm-InsO § 231 Rz. 7. 30) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 42. 31) Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1299; Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 22; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 231 Rz. 13. 32) LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZIP 2018, 389 ff., dazu EWiR 2018, 313 (Harig). 33) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 6. 34) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 6.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
23 Die Verteidigung des Insolvenzplans gegen den mit dem Minderheitenschutzantrag verfolgten Vorwurf erfordert eine durch Tatsachen unterlegte Vergleichsrechnung.35) In Gegenüberstellung mit dem Maßstab bei der gerichtlichen Vorprüfung nach § 231 InsO gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Voraussetzung für seine Anwendbarkeit ist die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung durch den Antragsteller. Hiermit ändert sich die Vortragslast dahingehend, dass nunmehr die Amtsermittlung des Gerichts greift (§ 5 InsO).36) Die in diesem Umfang gebotene Prüfung der Begründetheit hat sich indes auf die glaubhaft gemachten Tatsachen zu beschränken. Aus ihnen muss sich eine voraussichtliche Schlechterstellung ergeben. Hierbei besteht keine Begrenzung auf die präsenten Beweismittel, was den im Verhältnis zur gerichtlichen Vorprüfung intensivierten Prüfungsmaßstab zeigt.37) 2.1.3 Gerichtliche Bestätigung und Zustimmungsersetzung (§§ 248 ff. InsO) 24 Nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Beteiligten und der Zustimmung des Schuldners bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgericht (§ 248 InsO). Sofern nicht die zur Annahme erforderlichen Mehrheiten i. S. des § 244 InsO vorliegen und es der Zustimmungsersetzung bedarf, erfolgt diese als Teil der Entscheidung über die Planbestätigung.38) Im Rahmen dieser erfolgt weiterhin eine abschließende Prüfung etwaiger Verstöße gegen Vorschriften u. a. über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung (§ 250 InsO). Diese Inhalts- und Verfahrenskontrolle nach § 250 InsO ist insoweit gemeinsam mit der Zustimmungsersetzung bzw. dem Obstruktionsverbot (§§ 245 ff. InsO) und dem Minderheitenschutz ein einheitlicher Prüfungsvorgang. 25 Der einheitliche Maßstab hierbei ist – wie beim Minderheitenschutz beschrieben (siehe Rz. 21) – durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Zu prüfen ist daher die Richtigkeit der der Vergleichsrechnung zugrunde liegenden Tatsachen. Anders als beim Minderheitenschutz (siehe Rz. 21) ist die voraussichtliche Schlechterstellung bei der Zustimmungsersetzung nicht glaubhaft zu machen; auch muss eine Gruppe ihre ablehnende Entscheidung nicht begründen. Der Rahmen der Amtsermittlung ist daher weniger definiert als beim Minderheitenschutz, aber gleichwohl gesetzt durch den Vortrag des Planverfassers, die Stellungnahmen nach § 232 InsO sowie die Einlassungen der Beteiligten. In diesem Rahmen erstreckt sich die Amtsermittlung auf die Richtigkeit der (behaupteten) Tatsachen durch Befragen der Beteiligten und Einholung ergänzender Informationen.39) 2.1.4 Abhilfeverfahren (§ 253 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO) 26 Nach Einlegung einer sofortigen Beschwerde erfolgt keine erneute Befassung des Insolvenzgerichts mit der Vergleichsrechnung i. R. des Abhilfeverfahrens gemäß §§ 6, 4 InsO i. V. m. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO; für die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung nach § 248 InsO sieht das Gesetz nach Maßgabe des § 253 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO kein Abhilfeverfahren vor. 2.2
Beschwerdegericht
27 Gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder die Bestätigung versagt wird, steht den Gläubigern und dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 253 Abs. 1 ___________ 35) BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 251 Rz. 9; Thies, in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 9; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 6. 36) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus); Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 28. 37) BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384, dazu EWiR 2010, 29 (Lau). 38) A. A. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 3. 39) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 38.
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Vergleichsrechnung
InsO). Das Beschwerdegericht (LG) prüft (u. a.) bereits i. R. der Zulässigkeit der Beschwerde, ob die wesentliche Schlechterstellung glaubhaft gemacht wird. Aus einer solchen kann sich in gleicher Weise die Begründetheit der Beschwerde ergeben. Während für die Zulässigkeitsvoraussetzungen die Glaubhaftmachung genügt, greift für die Prüfung der Begründetheit die Amtsermittlung ein.40) In diesem jeweils maßgeblichen Umfang prüft das Beschwerdegericht die der Vergleichsrechnung zugrunde liegenden Tatsachen auf eine Schlechterstellung und wird damit zum Adressat der Vergleichsrechnung. 2.3
Insolvenzverwalter – Sachwalter – Schuldner
2.3.1 Schuldner bei Planerstellung durch Insolvenzverwalter Bei der Aufstellung des Plans durch den Insolvenzverwalter wirkt der Schuldner in bera- 28 tender Funktion mit (§ 218 Abs. 3 InsO), ohne hierzu nach h. M. in der Literatur verpflichtet zu sein.41) In erster Linie dient die Beratungsfunktion des Schuldners und der weiteren dort genannten Organe (siehe Rz. 40, 44, Rz. 47) der Konsensfähigkeit des zu entwickelnden Plans.42) Die Vorschrift des § 218 Abs. 3 InsO soll es aber auch dem dort genannten Personenkreis und dem Schuldner ermöglichen, kritisch Einfluss auf die Plankonzeption des Insolvenzverwalters zu nehmen. Der Insolvenzverwalter ist hieran jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gebunden. Gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO wird dem Schuldner weiterhin der Insolvenzplan 29 zur Stellungnahme durch das Insolvenzgericht zugeleitet, wenn dieses nicht nach § 231 Abs. 1 Satz 1 InsO zurückweist. Die Norm dient der Vorbereitung der Beteiligten auf die Entscheidung durch Schaffung einer breiteren Informationsgrundlage.43) Die Stellungnahmen sollen den Beteiligten die Problematiken des Plans und seine Auswirkungen verdeutlichen.44) Über die Beratungsfunktion des Schuldners und sein Recht zur Stellungnahme hinaus ist 30 seine Zustimmung zum Insolvenzplan Voraussetzung der Bestätigung (§ 248 Abs. 1 InsO), zu der er vor der gerichtlichen Entscheidung angehört werden soll (§ 248 Abs. 2 InsO). Diese beim Verwalterplan bestehende Rechtsmacht wird durch die Zustimmungsfiktion und Ersetzungsmöglichkeit des § 247 InsO eingeschränkt. So gilt die Zustimmung zum Plan als erteilt, wenn der Schuldner dem Plan nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widerspricht (§ 247 Abs. 1 InsO). Der Schuldner ist insbesondere aufgrund dieses Widerspruchsrechts zwar (Prüfungs-)Ad- 31 ressat des Insolvenzplans im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen, rechtliche Relevanz hat sein Prüfungsergebnis indes nur in dem Umfang des § 247 Abs. 2 InsO. Hiernach ist sein Widerspruch unbeachtlich, wenn er durch den Plan voraussichtlich nicht schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und kein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt. Hierüber entscheidet das Insolvenzgericht i. R. der gerichtlichen Bestätigung (§ 248 Abs. 1 32 i. V. m. § 247 InsO). Wegen des i. R. dieser Entscheidung gebotenen Prüfungsmaßstabs wird auf obige Ausführungen (siehe Rz. 18) verwiesen.
___________ 40) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442. 41) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 218 Rz. 13 m. w. N.; a. A. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 46 ff.; Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14. 42) Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14. 43) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 204. 44) BGH v. 22.2.2007 – IX ZB 106/06, ZIP 2007, 784.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
2.3.2 Schuldner bei Planerstellung durch Sachwalter 33 Der Schuldner wird auch dann zum (Prüfungs-)Adressaten der Vergleichsrechnung, wenn die Ausarbeitung des Plans – trotz Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 InsO) – im Auftrag der Gläubigerversammlung durch den Sachwalter erfolgt.45) Dieses Vorlagerecht des Sachwalters lässt das Gesetz in § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich zu. Die Regelung des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO ist insoweit eine Modifikation der allgemeinen Regelungen zur Vorlageberechtigung nach § 218 InsO, da hiernach zwar der Schuldner, nicht aber – anders als der Insolvenzverwalter – der Sachwalter einen Plan vorlegen kann.46) 34 Dass § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Ausarbeitung des Plans durch den Sachwalter keine Beratungsfunktion des Schuldners anordnet, ist unschädlich, da sich diese aus der – nach Ansicht des Verfassers auch in der Eigenverwaltung anwendbaren – Regelung des § 218 Abs. 3 InsO ergibt. Hiernach wirkt der Schuldner beratend mit bei der Planerstellung durch den Verwalter. Eine Bindungswirkung besteht hierbei nicht. 35 Insoweit ist der Schuldner in der Eigenverwaltung bei der Ausarbeitung des Plans durch den Sachwalter im gleichen Umfang (Prüfungs-)Adressat. Denn neben die Beratungsfunktion treten das – auch in der Eigenverwaltung existierende – Recht zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO und die Notwendigkeit seiner Zustimmung bzw. sein Widerspruchsrecht (§ 247 InsO). Relevanz besitzt diese Rechtsposition indes nur, wenn die Voraussetzungen der Zustimmungsfiktion des § 247 Abs. 2 InsO nicht vorliegen. Maßgeblich ist mithin die gerichtliche Prüfungsinstanz (siehe Rz. 14). 2.3.3 Insolvenzverwalter beim Schuldnerplan 36 Anders als für den Schuldner beim Verwalterplan sieht das Gesetz für den Insolvenzverwalter beim Schuldnerplan explizit keine Beratungsfunktion vor. Die gesetzliche Anknüpfung der Prüfung des Insolvenzplans im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen beschränkt sich damit auf das Recht zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Auch wenn dies auf den ersten Blick eine reduzierte Rechtsposition zum Ausdruck bringt, ist dies tatsächlich nicht der Fall. Im Gegenteil. Unabhängig von der Maßgeblichkeit der Planannahme durch die Gläubigerversammlung ist die Stellungnahme des Insolvenzverwalters beim Schuldnerplan die wichtigste Prüfungsinstanz. Insoweit darf auch die fehlende Beratungsfunktion nicht als geschwächte Rechts- und Prüfungsposition verstanden werden. Der Insolvenzverwalter ist die entscheidende Prüfungs- und damit auch Integrationsfigur für die spätere Akzeptanz der Vergleichsrechnung in der Gläubigerversammlung. 37 Den Insolvenzverwalter trifft hierbei eine umfassende Prüfungs- und Hinweispflicht hinsichtlich der Vergleichsrechnung. Er muss zugunsten aller Beteiligten auf Vermögensgegenstände hinweisen, die in der Vergleichsrechnung nicht, nicht vollständig oder fehlerhaft (bewertet) dargestellt worden sind. Diese Prüfungspflicht ist haftungsbewehrt gemäß § 60 Abs. 1 InsO für den Fall, dass Beteiligte mangels Kenntnis keine Schlechterstellung gegenüber der Regelabwicklung geltend gemacht haben.47) In Gegenüberstellung zur gerichtlichen Prüfung bestehen keine Einschränkungen in der Prüfungskompetenz in tatsächlicher Hinsicht oder die Begrenzung auf bestimmte glaubhaft gemachte Tatsachen; die Prüfungskompetenz ist insoweit tatsächlich, rechtlich und auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit umfassend. ___________ 45) Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 284 Rz. 2. 46) Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 284 Rz. 1. 47) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 232 Rz. 2.
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Vergleichsrechnung 2.3.4 Sachwalter beim Schuldnerplan
Bei der Planerstellung durch den eigenverwaltenden Schuldner wirkt der Sachwalter bera- 38 tend mit (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO). Aufgrund der grundsätzlichen Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften der InsO auf die Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), ist nach Ansicht des Verfassers der Sachwalter auch zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 2 Nr. 3 InsO berechtigt.48) Da das Prüfungs- und Pflichtenprogramm des Sachwalters i. R. der Beratungsfunktion identisch ist mit demjenigen i. R. der Stellungnahme und in gleicher Weise an dem Haftungsregime des § 60 Abs. 1 i. V. m. § 274 InsO auszurichten ist, kommt es auf die Anwendbarkeit des § 232 Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht zwingend an, obgleich diese mit guten Argumenten naheliegt und der herrschenden Praxis entspricht. In inhaltlicher Hinsicht ist der Sachwalter der identischen Prüfungspflicht ausgesetzt. Er 39 hat – über seine allgemeine Aufsichtspflicht hinaus – den Insolvenzplan im Allgemeinen und die Vergleichsrechnung im Besonderen umfassend tatsächlich und rechtlich am Maßstab der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu prüfen. Mit Rücksicht auf seine originäre Rechtszuständigkeit hinsichtlich der Insolvenzanfechtung (§ 280 InsO) ist die Berücksichtigung und Behandlung dieser und weiterer insolvenzspezifischer Ansprüche von besonderer Bedeutung. Rein faktisch wird der Sachwalter damit – wie auch der Insolvenzverwalter – zu der entscheidenden Integrationsfigur für die spätere Akzeptanz des Schuldnerplans durch den Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung. 2.3.5 Gläubigerausschuss Bei der Aufstellung des Plans durch den Verwalter wirkt weiterhin der Gläubigeraus- 40 schuss beratend mit (§ 218 Abs. 3 InsO); ihm ist durch das Insolvenzgericht gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Wie beschrieben, bestehen Sinn und Zweck der Stellungnahme in der Vorbereitung der Beteiligten auf die Entscheidung durch Schaffung einer breiteren Informationsgrundlage.49) In dieser Hinsicht genießt die Stellungnahme des Gläubigerausschusses sowohl für das Insolvenzgericht als auch die Gläubigerversammlung eine große Bedeutung; dies gilt – wie auch für die Stellungnahme des Insolvenzverwalters – beim Schuldnerplan in besonderer Weise. Aus diesem Grund und wegen des im Gläubigerausschuss vertretenen Stimmgewichts be- 41 mühen sich Planverfasser üblicherweise um einen zustimmenden Beschluss des Gläubigerausschusses zur Vorlage des Insolvenzplans, infolge dessen die Stellungnahme i. S. des § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO regelmäßig zur bloßen Formalität wird. Bei dieser Beschlussfassung ist der Gläubigerausschuss – vergleichbar dem Sachwalter und 42 Insolvenzverwalter – den Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet; mit diesem Fokus erfolgt die Prüfung der Vergleichsrechnung. Im Hinblick auf dieses „Pflichtenheft“ und die Gefahr einer persönlichen Haftung bei Pflichtverletzungen (§ 71 InsO) ist die Prüfungskompetenz intensiv. Anders als das Insolvenzgericht i. R. des § 231 InsO, kann sich der Gläubigerausschuss hierbei nicht auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken. Eine Einschränkung der Prüfungskompetenz ergibt sich allein daraus, dass der Gläubigerausschuss für seine Prüfung und Entscheidung in erster Linie auf die durch den Planverfasser geschaffene tatsächliche Grundlage angewiesen ist. Die zentrale Pflicht für den Gläubigerausschuss besteht daher darin, sich eine vollständige Tatsachengrundlage verschaffen zu lassen bzw. sich notfalls selbst zu schaffen, und weniger darin, eigene Ermittlungen durchzuführen. Im Hinblick auf die Vergleichsrechnung ist dies für die nachstehend behandelte ___________ 48) A. A. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 232 Rz. 2. 49) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 204.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Frage bedeutsam, ob eine ordnungsgemäße Vergleichsrechnung die aktive Suche nach Sanierungsalternativen fordert. 43 Insbesondere aus der Gefahr einer persönlichen Haftung ist der Gläubigerausschuss neben dem Sachwalter und dem Insolvenzverwalter eine weitere entscheidende Prüfungsinstanz im Vorfeld der Vorlage des Insolvenzplans. Unter Best-Practice-Gesichtspunkten greift es zu kurz, den Gläubigerausschuss auf das bloße Recht zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu reduzieren und ihn hierbei in einem Atemzug mit den Interessenvertretern aus dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss für leitende Angestellte zu nennen. Richtigerweise sollte der Planverfasser einen zustimmenden Beschluss des Gläubigerausschusses einholen. Allein dies wird der Bedeutung, aber auch der Verantwortlichkeit des Gläubigerausschusses gerecht und sichert zugleich die Annahmefähigkeit, die auch i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Rolle spielen kann, auch wenn nach einhelliger Meinung das Tatbestandsmerkmal „keine Aussicht auf Annahme“ restriktiv ausgelegt werden muss. 2.3.6 Gläubigerversammlung 44 Anders als bei der Beschlussfassung über besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 160 Abs. 1 Satz 2 InsO) kann eine Entscheidung des Gläubigerausschusses nicht die Befassung der Gläubigerversammlung ersetzen. Allein ihr obliegt die Abstimmung über den Insolvenzplan und damit die Entscheidung. 45 Damit sind die in der Gläubigerversammlung vereinten Insolvenzgläubiger natürliche Adressaten des Insolvenzplans im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen. Anders als die beschriebenen Beteiligten sind die Insolvenzgläubiger für sich und die Gläubigerversammlung als Organ keine Prüfungsinstanz im eigentlichen Sinne. Die Entscheidung über die Zustimmung kann sich an dem Kriterium der bestmöglichen Gläubigerbefriedigungen orientieren, wie es für den Gläubigerausschuss zwingend ist, muss sie aber nicht. Es können auch reine Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitsüberlegungen führend sein. 46 Insoweit kann auch ein Insolvenzplan, der nicht die beste Lösung für die Gläubiger darstellt, bei entsprechenden Mehrheiten angenommen und bestätigt werden, wenn kein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften (§ 250 InsO) vorliegt. Voraussetzung ist allein, dass keine Zustimmungsersetzung (§§ 245 ff. InsO) erforderlich ist und kein Minderheitenschutz beantragt wird (§ 251 InsO). 2.4
Weitere Beteiligte
47 Beratende Mitwirkung und die Möglichkeit zur Stellungnahme gebührt weiterhin – sofern existent – auch dem Betriebsrat sowie dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten (§ 218 Abs. 3, § 232 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Hierbei geht es um die Einbindung in den Erstellungs- und Vorlageprozess und nicht um eine besondere Adressatenstellung hinsichtlich der Vergleichsrechnung. Dies ändert sich dann, wenn z. B. der Betriebsrat eine Sanierungsalternative und nicht den Insolvenzplan unterstützt. 48 Innerhalb der Gläubigergemeinschaft können besonders interessierte Gläubiger existieren, entweder aufgrund besonderer Expertise, wirtschaftlicher Betroffenheit oder gesetzlicher Regelung. Letzteres trifft z. B. auf den Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) zu, zu dessen Gunsten gemäß § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG eine gesetzliche Besserungsklausel existiert. Diese Gläubiger sind nicht von Rechts wegen, sondern aufgrund der Professionalität des Planverfassers oder etwaiger Majorisierung oder strategischer Mehrheitsüberlegungen u. U. besonders sorgsam einzubinden und damit – je nach Interessenlage – auch besonderer Adressat.
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Vergleichsrechnung
Gleiches gilt für solche (Groß-)Gläubiger, die entweder selbst an der Übernahme des 49 Unternehmens bzw. der wesentlichen Vermögensgegenstände interessiert sind, oder Dritte hierbei mit ihrer Gläubigerposition unterstützen. In einer solchen (Fall-)Konstellation muss der Fokus des Planverfassers bei der Erstellung der Vergleichsrechnung anders geschärft sein als bei einer Plansanierung im Zustand der Alternativlosigkeit. 3.
Adressaten und Prüfungskompetenz: Zusammenfassende Bewertung für die Insolvenzpraxis
Dieser umfassende Adressatenkreis bestätigt die Bedeutung der Vergleichsrechnung und 50 die Behandlung als „Herzstück des Insolvenzplans“. Dass sich die gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) in tatsächlicher Hinsicht auf eine Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung beschränkt, könnte zu dem Schluss führen, dass ihre praktische Bedeutung und ihre Kontrollfunktion im Vergleich zu anderen Adressaten gering sind. Dies ist aus verschiedenen Gründen mitnichten so:
Das Gericht kann und soll sich auf eine summarische Prüfung beschränken,50) d. h. es muss sich hierauf nicht zwingend beschränken. Das Gebot der summarischen Prüfung ist der gewünschten Verfahrenseffizienz und der aus praktischen Gründen gewünschten Schnelligkeit geschuldet. Hieraus wird regelmäßig die fehlende Möglichkeit des Gerichts geschlossen, eigene Nachforschungen und Bewertungen, etwa unter Hinzuziehung von Sachverständigen, anzustellen.51) Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, lässt aus Sicht des Verfassers aber wohl begründete Ausnahmen zu, die für den Fall von Rückfragen an den vormals als Gutachter tätigen Sach- bzw. Insolvenzverwalter auch in der gebotenen Frist aufzuklären sind. So z. B. bei Abweichungen zwischen den in der Vergleichsrechnung und in der Vermögensübersicht (§ 151 InsO) angesetzten Werten oder Rückfragen zu deren Aktualität.
Die Prüfungskompetenz ist lediglich in tatsächlicher Hinsicht eingeschränkt; in rechtlicher Hinsicht findet eine allumfassende und abschließende Prüfung statt.52)
Ebenso kommt auch einer bloßen Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung eine erhebliche Kontrollfunktion zu.
Bedarf es keiner Zustimmungsersetzung, erfolgt nach Vorlage des Insolvenzplans seitens des Gerichts nur noch die Prüfung von Verfahrensverstößen (§ 250 InsO); auch wenn keine Bindung an das Ergebnis der gerichtlichen Vorprüfung besteht,53) erfährt die Prüfung nach § 250 InsO ihren wesentlichen praktischen Anwendungsbereich aus (nachträglichen) Planänderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin.
Dieser Bedeutung entsprechend sind Planverfasser gut beraten, die Abstimmung mit dem 51 Insolvenzgericht nicht erst mit der förmlichen Vorlage und dem hiermit verbundenen Beginn der Zwei-Wochen Frist des § 231 Abs. 1 Satz 2 InsO aufzunehmen, sondern bereits auf der Grundlage eines finalisierten Entwurfs. Ein transparenter Austausch zur Vergleichsrechnung zu diesem (frühen) Zeitpunkt schafft in mehrfacher Hinsicht Transaktionssicherheit und Integrationskraft:
Ist das Insolvenzgericht rechtzeitig und transparent eingebunden und waren hierdurch gerichtliche Anmerkungen möglich, die – unter der Berücksichtigung der Maßgeb-
___________ 50) 51) 52) 53)
Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 26. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 231 Rz. 11. Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 26. BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, dazu EWiR 2017, 179 (Madaus).
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
lichkeit der Gläubigerautonomie54) –zu Plananpassungen führten, kann das Insolvenzgericht das gerichtliche Verfahren und die im Zusammenhang mit dem Erörterungsund Abstimmungstermin bedeutsame Kommunikation aktiv begleiten, z. B. durch Leitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins (ggf. Präsentation des Insolvenzplans) und mit der Objektivität des Gerichts „Rückendeckung“ leisten. Hierdurch wird die Integrationskraft in einer Art und Weise erhöht, wie es der Schuldner unter keinem und der Insolvenzverwalter nur unter besonderen Gesichtspunkten leisten kann.
Erfolgt zur Vergleichsrechnung eine – die Anforderungen an eine summarische Prüfung übersteigende – Auseinandersetzung, z. B. zur Durchführung eines M&A-Prozesses, so reduziert sich das in solchen Fällen bestehende Risiko einer Versagung nach § 250 Nr. 2 InsO.55)
52 Dieser Appell, eine gründliche gerichtliche Prüfung zuzulassen und nicht mit Fristendruck den Eintritt in das gerichtliche Verfahren (vermeintlich) zu vereinfachen, soll die Bedeutung der Prüfung der Vergleichsrechnung durch den Insolvenzverwalter und den Gläubigerausschuss nicht reduzieren. Dies gilt besonders für die Stellungnahme des Gläubigerausschusses; aus dem Grund empfiehlt es sich auch, einen den Insolvenzplan bzw. die Vergleichsrechnung bestätigenden Beschluss einzuholen. Insbesondere bei fehlender Erfahrung des Insolvenzgerichts können die Stellungnahmen von Gläubigerausschuss und Insolvenzverwalter die in einem Kommunikationsprozess immer erforderliche Integrationswirkung entweder übernehmen oder dem Gericht die Möglichkeit geben, diese für sich selbst daraus (nach Prüfung) abzuleiten. 53 Sämtliche weiteren gerichtlichen „Prüfungsinstanzen“ – insbesondere im Zusammenhang mit Minderheitenschutz, Zustimmungsersetzung und Beschwerdeverfahren – zeigen mit ihrer umfassenden (tatsächlichen) Prüfungskompetenz einerseits den Maßstab an die Vergleichsrechnung: vollständig, richtig, aktuell, hinreichend ausführlich, aber gleichwohl verständlich, klar und transparent. 54 Andererseits zeigt diese Prüfungskompetenz aber auch, dass es hierauf (streng genommen) nur dann ankommt, wenn mit der Ablehnung durch eine Gruppe, mit Minderheitenschutz oder sofortige Beschwerde zu rechnen ist. Hieraus den Schluss zu folgern, dass der inhaltliche Anspruch geringer sein kann, wenn eine (vermeintliche) Einigkeit besteht, ist falsch und gefährlich. 55 Gleichwohl hat die Prognose zur Annahme des Insolvenzplans eine Bedeutung, nicht nur i. R. des § 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO („[…] offensichtlich keine Aussicht auf Annahme“), sondern auch in der Darstellungstiefe. So ist in Erwartung einer Zustimmungsersetzung und Verteidigung gegen Minderheitenschutz ein deutlich weitgehender Sachvortrag in der Vergleichsrechnung erforderlich. Bei (vermeintlicher) Einigkeit hat die Darstellung in letzter Konsequenz die gleiche Funktion, kann aber aus Sicht des Planverfassers aufgrund der gebotenen Einzelfallbetrachtung einen geringeren Detaillierungsgrad aufweisen. Im Grundsatz ist der Maßstab jedoch identisch, so dass der vorsichtige und richtige Weg darin besteht, bei der Planerstellung „Plangegner“ zu suchen und erforderlichenfalls solche zu simulieren. 56 Insoweit beansprucht der oft zu vernehmende Satz „Pläne schreibt man nicht für die Gläubiger, die für, sondern die gegen den Plan sind“ seine eigentliche Richtigkeit und Gültigkeit im Zusammenhang mit der Vergleichsrechnung. Denn diese unterliegt nur dann einer uneingeschränkten tatsächlichen Prüfung, wenn es Gläubiger gibt, die gegen den Plan sind.
___________ 54) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 22. 55) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 37.
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§ 34
Vergleichsrechnung V.
Formelle Anforderungen an die Vergleichsrechnung
1.
Bestandteil des darstellenden Teils
Die Vergleichsrechnung ist – wie dargelegt (siehe Rz. 8) – eine entscheidungserhebliche 57 Tatsache i. S. des § 220 Abs. 2 InsO und damit Bestandteil des darstellenden Teils.56) Unabhängig vom Wortlaut („soll“) hat die Vorschrift zwingenden Charakter. Durch diese Zuordnung zum darstellenden Teil gelten für die Vergleichsrechnung die allgemeinen Grundsätze und Anforderungen an den darstellenden Teil. Wegen der Einzelheiten wird auf Rz. 59 f. verwiesen. Vorliegend interessiert allein die Ableitung der formellen Anforderungen an die Vergleichs- 58 rechnung aus den Grundprinzipien und den Funktionen des darstellenden Teils. Letztere sind mit Informations-, Transparenz-, Entscheidungsunterstützungs-, Dokumentations-, Kontroll- und Überwachungsfunktion vielschichtig.57) Die Erfüllung dieser Funktionen verlangt dem darstellenden Teil im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen ab, sich an den Grundsätzen der Vollständigkeit, Wesentlichkeit, Richtigkeit sowie Klarheit und Übersichtlichkeit messen lassen zu müssen. Nur dann kann die Vergleichsrechnung die beschriebenen Funktionen gegenüber den dargestellten (Prüfungs-)Adressaten erfüllen (siehe Rz. 11). Weist die Vergleichsrechnung – wie jüngst in einem vom LG Hamburg entschiedenen Fall – Mängel auf, die darauf schließen lassen, dass die Gläubiger bei deren Erkennbarkeit den Plan nicht angenommen hätten, so droht eine Zurückweisung.58) Der Grundsatz der Vollständigkeit soll gewährleisten, dass alle sanierungsrelevanten 59 Sachverhalte für die (Prüfungs-)Adressaten vollständig aufbereitet werden. Die Vollständigkeitsbedingung soll Entscheidungen auf Basis unvollständiger Daten verhindern.59) Mit dem Grundsatz der Richtigkeit soll gewährleistet werden, dass Angaben und darge- 60 stellte Zusammenhänge im Insolvenzplan sachlich wahrheitsgemäß wiedergegeben werden. Dabei müssen Tatsachen an objektiven Verhältnissen ausgerichtet, zutreffend und nachvollziehbar sein, sie dürfen weder verfälscht noch unterdrückt sein. Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Vergleichsrechnung muss den Prognose- und Bewertungscharakter derselben berücksichtigen. Dies wird möglich durch schlüssige und willkürfreie Darstellung von Prämissen und Prognosen unter ausgewogener Berücksichtigung von Chancen und Risiken.60) Ebenso wie die anderen Prinzipien erklärt sich die Existenz und Bedeutung des Grund- 61 satzes der Klarheit und Übersichtlichkeit aus Sicht der (Prüfungs-)Adressaten. Ihnen gegenüber sollen die vermittelten Informationen so aufbereitet sein, dass sie nachvollziehbar sind. Dieser Grundsatz soll dadurch gewährleistet werden, dass der Insolvenzplan eindeutig, verständlich und systematisch ist. Etwaige Unklarheiten gegen zulasten des Planverfassers, mit der Konsequenz, dass z. B. eine Zurückweisung nach § 231 InsO erfolgt oder eine Zustimmungsersetzung nicht erfolgen kann.
___________ 56) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 231 Rz. 6; Madaus, NZI 2017, 751 (Urteilsanm.). 57) Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 6 ff. 58) LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920; zust. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 59) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 1. 60) IDW, WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kap L Rz. 554; Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 19.
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§ 34 2.
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Typischer Aufbau – Anlehnung an Masseverzeichnis und Vermögensübersicht (§§ 151 ff. InsO)
62 Diesen ihr zugedachten Funktionen und abverlangten Grundprinzipien kommt die Vergleichsrechnung regelmäßig am effektivsten und gesichertsten durch die Anlehnung, insbesondere an das Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) nach.61) 63 Da die Vermögensübersicht – als der dritte Bestandteil der Trias der internen Rechnungslegung62) – auf dem Verzeichnis der Massegegenstände und dem Gläubigerverzeichnis basiert, ist sie strukturgebend für die Vergleichsrechnung. Auch wenn das Gesetz in den §§ 151 ff. InsO keine näheren Angaben zur Darstellung und Gliederung macht, ist die Vermögensübersicht eine Orientierungshilfe. Ausgehend von den Gesetzesmaterialen63) („[…] ähnlich einer Bilanz“) kennt die Praxis mit der kontoförmigen Gliederung, bei der Aktiva und Passiva ähnlich einer Handelsbilanz nebeneinander, oder der staffelförmigen Darstellung,64) bei der Aktiva und Passiva untereinander angeordnet werden, im Wesentlichen zwei Vorgehensweisen.65) 64 Die Anordnung der Aktiva hat vertikal zu erfolgen. In Sanierungsfällen mit laufendem Geschäftsbetrieb wird regelmäßig eine Aufgliederung erforderlich sein, die über die Bilanzpositionen von Anlage- und Umlaufvermögen sowie insolvenzspezifische Ansprüchen hinaus geht. Auch aus den nachstehenden Anforderungen an den Detaillierungsgrad und die Entscheidungserheblichkeit i. R. der Bewertung wird insbesondere im Umlaufvermögen wie folgt weitergehend differenziert werden müssen: Vorräte – Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, – unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen, – fertige Erzeugnisse und Waren, – geleistete Anzahlungen; Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände – Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, – Forderungen gegen verbundene Unternehmen, – Forderungen gegen Unternehmen mit Beteiligungsverhältnis, – sonstige Vermögensgegenstände; Wertpapiere – Anteile an verbundenen Unternehmen, – sonstige Wertpapiere; Kassenbestand, Bankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks. 65 Die vertikale Anordnung auch der Passiva bietet sich an und ergibt sich überdies durch den Verweis auf § 152 Abs. 2 Satz 1 InsO aus dem Gesetz. Hiernach wird innerhalb der Passiva regelmäßig zumindest in Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten, ___________ 61) 62) 63) 64) 65)
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BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 153 Rz. 3. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 172. Holzer, in: KPB, InsO, § 153 Rz. 13 ff. Thies, in: HambKomm-InsO, § 153 Rz. 11.
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§ 34
Vergleichsrechnung
aussonderungsberechtigte Gläubiger,
absonderungsberechtigte Gläubiger,
Insolvenzgläubiger und
nachrangige Insolvenzgläubiger
aufgegliedert werden müssen. In der Praxis erfolgt diese kontoförmige oder sattelförmige Darstellung der Vermögens- 66 verhältnisse regelmäßig im eigentlichen (Plan-)Text und nicht in einer Anlage. Begründet ist dies durch die zu den jeweiligen Vermögensgegenständen und Passivpositionen erforderlichen Erläuterungen. Außerdem ist die der Vergleichsrechnung dienende Bilanz keine Anlage i. S. der §§ 229 f. InsO. Die Darstellung der Vermögensverhältnisse im (Plan-)Text und nicht in einer Anlage erklärt sich mitunter auch durch die Orientierung des Planverfassers an dem regelmäßig auch ihm obliegenden Bericht zur Gläubigerversammlung (§ 156 i. V. m. §§ 151–153 InsO). Sie ermöglicht eine gewisse Wiedererkennung für den Gläubiger. Dies erleichtert die Übersichtlichkeit und ist daher empfehlenswert, um transparent und effektiv bei den Gläubigern um die Zustimmung für den Insolvenzplan zu werben. VI.
Materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung
1.
Darstellung der Vermögensgegenstände (Aktiva)
1.1
Grundsatz der Einzelerfassung
Innerhalb der jeweiligen Bilanzposition sind die Vermögensgegenstände im Grundsatz 67 einzeln darzustellen. Es gelten die Grundsätze der Einzelerfassung und Vollständigkeit. Von der Einzelerfassung muss insbesondere in Großverfahren aus tatsächlichen Gründen abgewichen werden.66) Insoweit kann die Darstellung von Vermögensgegenständen auch in Gruppen67) oder mit Hilfe von Pauschalierungen und Zusammenfassungen nach Art und Menge von gleichartigen Gegenständen in Anlehnung an § 240 Abs. 4, § 241 HGB68) zulässig sein. Die Zulässigkeit von Zusammenfassungen und die Darstellung in Gruppen entscheiden 68 sich indes nicht allein mit der Entscheidungserheblichkeit der jeweiligen Vermögensgegenstände,69) sondern auch an den Maßstäben des Einzelfalls. Anzugeben sind jedenfalls die Werte, die im Verhältnis zur Größe des Verfahrens von Bedeutung sind für die Meinungsbildung der Gläubiger und des Gerichts.70) Ebenso entscheidet sich der Detaillierungsgrad mit einer Abwägung von inhaltlichem Mehrwert einerseits und den Grundsätzen der Wesentlichkeit und Klarheit andererseits. Vor dem Hintergrund dieser Kriterien wird i. R. des Umlaufvermögens regelmäßig eine Darstellung in Gruppen erfolgen und ausreichend sein. Dies gilt indes nicht für die Darstellung von Kassenbestand, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks (§ 266 Abs. 2 HGB). Diese Gegenstände des Anlagevermögens sind stets einzeln und unter Angabe sämtlicher individualisierender Angaben zu bezeichnen. Im Anlagevermögen ist die Darstellung in Gruppen ebenso zulässig, aber die Ausnahme, 69 insbesondere bei Grundvermögen. Die damit im Grundsatz gebotene Individualisierung im Anlagevermögen erfolgt regelmäßig durch die Beifügung des (aktualisierten) Masse___________ 66) 67) 68) 69) 70)
Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 10. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 7. Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 10. So Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 7. BGH v. 17.5.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499.
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verzeichnisses (§ 151 Abs. 1 Satz 1 InsO) als Anlage. Etwaige Erläuterungen hierzu erfolgen im (Plan-)Text. Hierbei werden indes umfassende Ausführungen zu Details der Vermögensgegenstände nicht verlangt.71) 1.2
Massezugehörigkeit
70 Da auch diejenigen Gegenstände in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmen sind, die mit Rechten Dritter belastet sind, ist eine Darstellung dieser Drittrechte unter Zuordnung zu den jeweiligen Vermögensgegenständen unerlässlich. Entscheidend für die Vergleichsrechnung ist – wie auch für das Masseverzeichnis – allein die Massezugehörigkeit. Unterliegen Vermögensgegenstände der Absonderung, sind hinsichtlich der für das Regelverfahren zu unterstellenden (Verwertungs-)Erlöse lediglich Kostenbeiträge i. S. der §§ 170 f. InsO anzusetzen. Bei Aussonderungsrechten verbleibt der freien Insolvenzmasse keinerlei Zufluss. 71 Wie bei der Darstellung der Vermögensgegenstände gilt auch hinsichtlich dieser Drittrechte der Grundsatz der Einzelerfassung. Er findet Bestätigung in § 152 Abs. 2 Satz 3 InsO, nach dessen Maßgabe im Gläubigerverzeichnis bei den absonderungsberechtigten Gläubigern der Gegenstand, an dem das Absonderungsrecht besteht, und die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls anzugeben sind. Aus Gründen der Praktikabilität, des Prognosecharakters und der anerkannten Einordnung des Masseverzeichnisses als Schätzgrundlage müssen Vereinfachungen indes möglich und zulässig sein. 1.3
Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt
72 Die Darstellung der Vermögensgegenstände – und ihre Bewertung (siehe Rz. 78) – muss aktuell sein. Dies steht nicht im Widerspruch mit der vom BGH und der Literatur für die Vergleichsrechnung angenommenen Orientierung an den §§ 151 ff. InsO. So stellt insbesondere § 151 InsO für das Masseverzeichnis – anders als § 153 Abs. 1 InsO für die Vermögensübersicht – nicht zwingend auf den Stichtag der Verfahrenseröffnung ab. Aus diesem Umkehrschluss aus § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO und unterstützt von § 35 InsO („Neuerwerb“) ist das Masseverzeichnis nicht zwingend auf den Tag der Verfahrenseröffnung zu erstellen. Ausgehend davon, dass das Masseverzeichnis eine wesentliche Grundlage für die Beschlussfassungen im Berichts- und Prüfungstermin, z. B. zur Fortführung oder Veräußerung ist, sollte es (das Masseverzeichnis) möglichst ein zu diesem Zeitpunkt aktuelles Bild wiedergeben und nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Unternehmensfortführung bis zum Berichtstermin ermöglichen.72) 73 Dieser Maßstab beansprucht auch für die Vergleichsrechnung Richtigkeit und Gültigkeit. Insoweit droht die Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Vergleichsrechnung auf der bloßen Übernahme der zum Stichtag der Verfahrenseröffnung existenten Vermögensgegenstände beruht. Gleiches kann für ein Verzeichnis zum Stichtag des Berichts- und Prüfungstermins gelten, ohne dass Literatur und Rechtsprechung feste Zeiträume definieren. Bedenkt man die Zeiträume, die das Insolvenzplanverfahren nach Vorlage des Insolvenzplans bis zur Annahme und Bestätigung noch beansprucht, sollte der Bezugszeitpunkt aus Sicht des Verfassers nicht älter als zwei Monate sein. Insoweit sind etwaige auf den Stichtag der Verfahrenseröffnung erstellte Verzeichnisse im Laufe des eröffneten Verfahrens sowohl hinsichtlich der Existenz als auch hinsichtlich der Bewertung (siehe Rz. 78) weiterzuentwickeln und fortzuschreiben. ___________ 71) BGH v. 17.5.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. 72) Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 5; Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 8.
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Diese Forderung nach größtmöglicher Aktualität steht auch nicht im Widerspruch mit der 74 Regelung des § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a. E. InsO, nach der im Zweifel für die Zustimmungsersetzung davon auszugehen ist, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung im Laufe des Verfahrens unverändert geblieben sind. Diese Regelung enthält keinen über ihren gesetzlichen Anwendungsbereich („gerichtliche Schuldenbereinigung“) hinaus maßgeblichen Rechtsgedanken. Zwar mag die analoge Anwendung auf Insolvenzpläne von Verbrauchern noch sinnvoll erscheinen; bei Unternehmensinsolvenzen ist die Veränderung der Vermögenslage so offenbar, dass eine entsprechende Zweifelsregelung keinen Anwendungsbereich erfahren kann. 1.4
Besonderheiten im Umgang mit insolvenzspezifischen Ansprüchen
In der Vergleichsrechnung sind auch insolvenzspezifische Ansprüche, wie z. B. Anfech- 75 tungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO und gesellschaftsrechtliche Ansprüche (§§ 30 ff., 64 GmbHG) zu berücksichtigen. Hinsichtlich dieser insolvenzspezifischen „Sonder-Aktiva“ ist weder die Orientierung an § 151 Abs. 1 InsO noch an § 266 HGB hilfreich. Gleichwohl ist – soweit ersichtlich - unstreitig, dass es sich bei diesen Ansprüchen um Vermögensgegenstände i. S. der §§ 151 ff. InsO handelt.73) Insoweit gelten im Grundsatz die beschriebenen Maßstäbe. Mit Rücksicht auf die Sensibi- 76 lität entsprechender (Haftungs-)Ansprüche und die in der Natur der Ansprüche angelegten Interessenkonflikte – insbesondere in der Eigenverwaltung – ist das Transparenzgebot von besonderer Bedeutung. Hieran ändert auch nichts die vom BGH im Zusammenhang mit insolvenzspezifischen Ansprüchen getroffene Feststellung, dass umfassende Ausführungen zu Details der Vermögensgegenstände nicht verlangt werden könnten74) und Erinnerungswerte bei fehlender Erheblichkeit zulässig sind.75) Denn der BGH stellt ganz entscheidend darauf ab, dass die Gläubiger auf derartige (Darlehens-)Forderungen gegenüber Gesellschaftern hinzuweisen und diese zu bewerten sind, um eine Grundlage für die Abstimmung oder ggf. zuvor für Nachfragen und Erörterungen zu schaffen. Wenn die Darstellung diesen Anforderungen gerecht wird, liegt selbst dann kein Fehler zu einem wesentlichen Punkt vor, wenn die Bewertung durch den Planverfasser unzureichend ist. Anders ist nur dann zu urteilen, wenn bestehende Anfechtungs- und Haftungsansprüche in einem relevanten Umfang vom Planverfasser verschwiegen worden sind. Der BGH ist mithin streng bei der grundsätzlichen Darstellung und Angabe solcher Ansprüche und mutmaßlich großzügig(er) bei der detaillierten Aufarbeitung und Bewertung. Diese Rechtsprechung aus dem Jahre 2000 kann sowohl für die Zeit nach Inkrafttreten 77 des ESUG als auch für vom Schuldner vorgelegte Insolvenzpläne für maßgeblich erklärt werden. So verlangt der BGH in seinem Grundsatzurteil vom 7.5.2015 für die Insolvenzgläubiger „keine Angaben dazu, welche Anfechtungsprozesse der Insolvenzverwalter plant, um eine sachgerechte Entscheidung über den vom Schuldner vorgelegten Plan fällen zu können.“76) Aus Sicht des Verfassers ist diese Rechtsprechung gleichwohl mit gewisser Vorsicht anzuwenden, denn es sind gerade die sensiblen Haftungs- bzw. Anfechtungsansprüche und deren verkürzte Darstellung und Bewertung, die einen Mangel – i. S. des vom LG Hamburg77) jüngst entschiedenen Falls – darstellen können, bei dem davon ausgegangen werden ___________ 73) 74) 75) 76) 77)
Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 9 m. w. N. BGH v. 17.5.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; Kübler/Rendels, in: FS Prütting, 2018, S. 704. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/15, ZIP 2015, 1346. LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920; zust. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141.
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kann, dass die Gläubiger bei dessen Erkennbarkeit den Plan nicht angenommen hätten.78) Zur Bewertung insolvenzspezifischer Ansprüche siehe Rz. 78. 2.
Darstellung der Verbindlichkeiten (Passiva)
78 Diesen Vermögensgegenständen sind in Anlehnung an §§ 152 f. InsO die Verbindlichkeiten gegenüberzustellen (zur Bewertung der Verbindlichkeiten siehe Rz. 81). Auch wenn sich der Wortlaut der §§ 152 f. InsO – mit Ausnahme des § 152 Abs. 3 InsO – nicht zu Masseverbindlichkeiten verhält, sind auch diese unerlässlicher Bestandteil der Vermögensübersicht und damit auch der Vergleichsrechnung. So wie Gläubiger in einem Berichts- und Prüfungstermin nur in Kenntnis dieser (Masse-)Verbindlichkeiten über eine Betriebsfortführung entscheiden können, kann auch über einen Insolvenzplan nur auf dieser Grundlage entschieden werden. 79 Wie beschrieben bietet sich eine vertikale Gliederung innerhalb der Passiva an, bspw. in der Reihenfolge Verfahrenskosten,
sonstige Masseverbindlichkeiten,
aussonderungsberechtigte Gläubiger,
absonderungsberechtigte Gläubiger,
Insolvenzgläubiger und
nachrangige Insolvenzgläubiger.
80 Diese an der Befriedigungsreihenfolge der §§ 53 ff. InsO orientierte und Drittrechte berücksichtigende Gliederung zielt auf die Ermittlung der freien Masse und damit die Quotenerwartung im Regelverfahren. 2.1
Grundsatz der Einzelbewertung
81 Korrespondierend zum Grundsatz der Einzelerfassung gilt für die Passivseite der Grundsatz der Einzelbewertung. Das Gläubigerverzeichnis i. S. von § 152 InsO ist hierbei mit der oben vorgeschlagenen Reihenfolge strukturgebend (siehe Rz. 78). Während bei Insolvenzgläubigern aufgrund der schuldnerischen Buchhaltung und insbesondere der Forderungsanmeldungen eine Einzelbewertung möglich ist und bei der Forderungsprüfung verlangt wird, können Masseverbindlichkeiten (§ 152 Abs. 3 Satz 2 InsO) und Absonderungsrechte geschätzt und ggf. in (getrennten) Gruppen dargestellt werden. So sind Absonderungsberechtigte mit dem absonderungsbefangenen Vermögensgegenstand und dem mutmaßlichen Ausfall in die Vergleichsrechnung aufzunehmen. 2.2
Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt
82 Für die Darstellung der Vermögensgegenstände (Aktiva) ist die Aktualität der Angaben von größter Bedeutung. Für die Verbindlichkeiten gilt dies aufgrund der Auswirkungen auf die Vergleichsrechnung in gleicher Weise. Vor diesem Hintergrund wird sich eine ordnungsgemäße Vergleichsrechnung hinsichtlich der zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten bei Planvorlage nicht auf die zu diesem Stichtag angemeldeten und geprüften Verbindlichkeiten beschränken können. Neben noch streitigen Verbindlichkeiten (siehe Rz. 83) sind insbesondere solche Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, die sich aus der schuldnerischen Buchhaltung ergeben, aber noch nicht angemeldet sind. Insoweit kann die Parallele zu § 229 Satz 3 InsO bemüht werden. Ebenso zu berücksichtigen sind solche Forderungen, die im Zusammenhang mit der Anfechtung wieder aufleben (§§ 143 f. InsO). ___________ 78) Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 45 m. w. N.
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Vergleichsrechnung 2.3
Streitige Verbindlichkeiten
Aus Vorsichtsgründen und i. S. des Grundsatzes der Vollständigkeit sind auch streitige Ver- 83 bindlichkeiten zu berücksichtigen.79) Gleiches gilt für Eventualforderungen. Anders wäre lediglich dann zu urteilen, wenn die Forderungen offensichtlich unbegründet sind bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering ist. Dies aber wird die Ausnahme sein. Aus dem Risiko der notwendigen Rückstellungsbildung sind Planverfasser gut beraten, insbesondere hinsichtlich der streitigen Verbindlichkeiten Vereinbarungen zu schließen aus Anlass des Bestreitens. Hierdurch entfallen das Bewertungs- und Rückstellungsproblem. Weiterhin kann in diesem Zuge die Zustimmung zum Insolvenzplan eingeworben werden. Der Wert „geklärter Verhältnisse“ ist sowohl für den Planverfasser als auch für den (potentiellen) Gläubiger deutlich höher als eine streitige Klärung abseits des – hierdurch ggf. gefährdeten – Insolvenzplans. 3.
Darstellung des Ergebnisses der Vergleichsrechnung: Gegenüberstellung der Quoten
Das Ergebnis dieser sattelförmigen Darstellung der Vermögensverhältnisse ist nach Ge- 84 genüberstellung von Aktiva und Passiva eine (hypothetische) Quote im Regelinsolvenzverfahren. Dieser ist die Planquote gegenüberzustellen. Für den Fall unterschiedlicher – nach Gruppen differenzierender – Planquoten bedarf 85 es der Gegenüberstellung der jeweiligen Planquote mit der für das Regelverfahren errechneten Quote. Dies ist unkompliziert im Fall der Gegenüberstellung von Quoten für nicht nachrangige Insolvenzforderungen, wenn eine feste und unbedingte Quote im Insolvenzplan zugesagt wird. Maßstab ist hierbei, dass die Planregelung die erforderliche Klarheit und Widerspruchsfreiheit aufweist, um den Gläubigern zum einen die notwendige Beurteilung der Vergleichsszenarien und zum anderen die Vollstreckung aus dem Insolvenzplan zu ermöglichen. Hierbei darf die Planquote weder von aufschiebenden Bedingungen abhängig gemacht werden, deren Eintritt tatsächlich unmöglich ist, noch darf die Regelung der Planquote hinsichtlich des Fälligkeitszeitpunkts unklar sein. Eine aufschiebende Bedingung, deren Eintritt unmöglich ist, kann bspw. vorliegen, wenn die Planquote (auch) aus insolvenzrechtlichen Anfechtungsansprüchen bedient werden soll, deren Geltendmachung der Insolvenzplan unter Umgehung des § 259 Abs. 3 InsO vorsieht. Gleiches gilt, wenn die Geltendmachung einer Forderung nach Verfahrensaufhebung durch einen Treuhänder erfolgen soll. Eine Massezugehörigkeit scheidet nach Verfahrensaufhebung aus, so dass auch eine Nachtragsverteilung nicht in Betracht kommt. In einer solchen Regelung ist ein wesentlicher Verfahrensverstoß i. S. des § 250 Nr. 1 InsO zu sehen.80) Bei Absonderungsberechtigten verlangt die Gegenüberstellung der Planquote einen Ver- 86 gleich mit der hypothetischen Quote und der hypothetischen Absonderungsberechtigung bei unterstellter Verwertung nach §§ 166 ff. InsO.81) Zu Eingriffen in Absonderungsrechte siehe ausführlich Rz. 109.
___________ 79) Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 152 Rz. 4. 80) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. Zu den Schwierigkeiten variabler Quoten vgl. AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, dazu EWiR 2017, 23 (Körner/Rendels), im Hinblick auf die Bestimmtheit i. S. des § 257 InsO. 81) Zum Vergleich bei Absonderungsrechten und zu der gebotenen wirtschaftlichen Durchschnittsbetrachtung vgl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 14.
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§ 34 4.
3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Zusammenfassung – materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung unter Berücksichtigung des Prognosecharakters
87 Die Einzelanalyse der Adressaten der Vergleichsrechnung und deren vielschichtige Prüfungskompetenz zeigt die Bedeutung der Vergleichsrechnung. Ihre verständige Würdigung und Prüfung findet den Ausgangspunkt in der Art und Weise der förmlichen Darstellung der Vergleichsrechnung. Zentral hierfür ist – wie aufgezeigt – die Anlehnung an die Vermögensübersicht. Diese ist strukturgebend. Die Orientierung hieran zwingt den Planverfasser zur Vollständigkeit, Klarheit und Wesentlichkeit. Dies bedingt nicht zwingend die Richtigkeit der Angaben, schafft aber die beste Grundlage für eine ordnungsgemäße Prüfung derselben und damit einen gewissen Vertrauenstatbestand zur Beurteilung der Vermögensprognose. Insoweit dient die Einhaltung der materiellen Anforderungen – wie auch die nachstehend zu erörternde Bewertung – als Lackmustest für Professionalität, Qualität und Seriosität des Planverfassers. VII. Vergleichsmaßstab 88 Nunmehr soll der Frage der Bewertung und damit dem konkreten (Vergleichs-)Maßstab nachgegangen werden, mit dem sich die Schlechterstellung durch die Planquote entscheidet. Im Grundsatz sind mit der Liquidation und der Zerschlagung (siehe Rz. 90) sowie alternativen Sanierungsoptionen, insbesondere in Form der übertragenden Sanierung (siehe Rz. 121), zwei Vergleichsmaßstäbe denkbar. Besteht mangels Kaufinteressenten keine Sanierungsalternative, so sind die (materiellen) Anforderungen und die Hürde für den Schlechterstellungsvorwurf geringer. Für diesen Fall stellt sich die nachstehend erörterte Frage (siehe Rz. 132), ob eine Verpflichtung besteht, Kaufinteressenten zu identifizieren, um nicht die Zwangsläufigkeit fehlender Alternativen und die Gegenüberstellung der Planquote mit der Zerschlagung zu provozieren. 89 Der Vergleich mit Alternativplänen wird von der h. M. in der Literatur angesichts des eindeutigen Wortlauts („[…] als sie ohne Plan stünde […]“, vgl. z. B. § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) nicht gefordert.82) Ausdrückliche Rechtsprechung existiert – soweit ersichtlich – nicht. Das LG Wuppertal konnte diese Fragestellung offenlassen:83) „Selbst wenn ein Vergleich mit alternativen Insolvenzplanen zulässig wäre, würde es an der Glaubhaftmachung einer wesentlichen Schlechterstellung fehlen […]“. Insoweit reduziert es sich auf die Gegenüberstellung der Planquote mit der Liquidation bzw. Zerschlagung (siehe Rz. 90) und mit Fortführungsvarianten (insbesondere übertragende Sanierung), sofern vorhanden (siehe Rz. 121). 1.
Liquidationsszenario als Vergleichsmaßstab
1.1
Darstellung der Liquidationswerte (Aktiva)
90 Aus Sicht des Verfassers muss jede Vergleichsrechnung – zumindest auch – die Liquidationswerte darstellen. Aktiva und Passiva sind daher stets (auch) zwingend unter Liquidationsgesichtspunkten darzustellen. Hiervon zu unterschieden ist die Frage, ob in ihnen der zutreffende Vergleichsmaßstab zu suchen ist. Das hiervon unabhängige Postulat der grundsätzlichen Darstellung der Liquidationswerte erklärt sich durch das Transparenzgebot zum einen und die Möglichkeit, dass Liquidationswerte nicht bei Planvorlage, aber im weiteren Verlauf zum Vergleichsmaßstab werden, zum anderen. ___________ 82) Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 90 m. w. N.; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 8 m. w. N. 83) LG Wuppertal v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164.
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§ 34
Vergleichsrechnung 1.2
Begründung des Vergleichsmaßstabs
Existiert keine (Sanierungs-)Alternative zum Insolvenzplan, wird das Liquidationsszena- 91 rio zum Maßstab für die Überprüfung der Schlechterstellung. Diese Festlegung als Maßstab ist ausführlich zu begründen, auch unter Auseinandersetzung mit den im Zusammenhang mit Sanierungsalternativen erfolgten, aber erfolglos gebliebenen oder unterbliebenen Aktivitäten (siehe Rz. 123). Ohne Begründung des Vergleichsmaßstabs ist regelmäßig von einem Verstoß i. S. von § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO auszugehen. Dies gilt bspw. für folgende (ausschließliche) Formulierung: „Für die Vergleichsrechnung ist der Zerschlagungs- bzw. Liquidationswert maßgeblich. Die nachfolgenden Werte sind Schätzwerte der Schuldnerin. Der Insolvenzplan wird zeigen, dass die Gläubiger durch die Planlösung bessergestellt sind, als dies bei Zerschlagung des Unternehmens der Fall wäre.“ 1.3
Begriff des Liquidationswerts (Aktiva)
Wie auch bei den formellen Anforderungen ist die Orientierung an den §§ 151 ff. InsO 92 geboten und sinnvoll. Ausgehend von dem beschriebenen Grundsatz der Einzelerfassung (§ 151 Abs. 1 Satz 1 InsO) formuliert § 151 Abs. 2 Satz 1 InsO: „Bei jedem Gegenstand ist dessen Wert anzusetzen.“ Zu einer Differenzierung zwischen Liquidations- und Fortführungswert gelangt das Gesetz für den Fall, dass die Wertbildung davon abhängt, ob ein schuldnerisches Unternehmen stillgelegt oder fortgeführt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 2 InsO). In diesem gesetzlichen Kontext definiert die h. M. den Liquidationswert mit dem voraussichtlichen Verwertungserlös, der objektorientiert die Art und Qualität des Vermögensgegenstands, die tatsächliche Marktsituation,84) den Umstand der Einzelveräußerung85) (und nicht der Sachgesamtheit) sowie den negativen Verwertungszwang des Insolvenzverfahrens86) berücksichtigt. 1.4
Ermittlung des Liquidationswerts im Einzelnen
Dieser Liquidationswert ist grundsätzlich für jeden Gegenstand einzeln vorzunehmen. In 93 der Praxis wird dies nicht nur, aber insbesondere bei größeren Unternehmensinsolvenzen erhebliche Bewertungsschwierigkeiten mit sich bringen. In dieser Hinsicht sind die auch bei der Darstellung der Vermögensgegenstände zugelassenen Erleichterungen (Gruppen und Zusammenfassungen) zulässig. 1.4.1 Anlagevermögen Anders als für das Umlaufvermögen (siehe Rz. 95) wird ein Rückgriff auf diese Erleichte- 94 rungen für das Anlagevermögen kaum erforderlich sein. Angesichts der gebotenen Inventarisierung, der in gewissen Grenzen zulässigen Hinzuziehung von Sachverständigen (§ 151 Abs. 2 Satz 3 InsO) und geringeren Umschlagshäufigkeit sind sowohl eine Einzelerfassung als auch eine Einzelbewertung möglich und üblich. Abweichungen hiervon sind dort vorzunehmen, wo einzelne Gegenstände nur in ihrer Gesamtheit veräußerbar sind oder ein konkretes (Verwertungs-)Angebot vorliegt.87)
___________ 84) Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 15. 85) Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 35 Rz. 35, unter Verweis auf IDW S 1 i. d. F. v. 2008, Rz. 141. 86) Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 17. 87) Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 17.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
1.4.2 Umlaufvermögen 95 Die größte praktische Bedeutung bei der Ermittlung des Liquidationswerts i. R. der Vergleichsrechnung hat das Umlaufvermögen, namentlich
Vorräte: – Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, – unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen, – fertige Erzeugnisse und Waren, – geleistete Anzahlungen;
Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände: – Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, – Forderungen gegen verbundene Unternehmen, – Forderungen gegen Unternehmen mit Beteiligungsverhältnis, – sonstige Vermögensgegenstände.
96 Hintergrund dieser Bedeutung sind die besondere Abhängigkeit der Bewertung von der werbenden Tätigkeit des Unternehmens und die damit einhergehenden Wertabschläge im Fall der Liquidation. Diese sind regelmäßig erheblich, müssen es aber nicht immer sein. Insoweit verbietet sich aus verschiedenen Gründen der unreflektierte Ansatz von „Schrottwerten“ bzw. Wertabschlägen auf unbegründete 20 – 50 % des Einkaufswerts („Vorräte werden mit 20 % des Einkaufswertes angesetzt, da es sich um schwer verwertbare Spezialpapiersorten handelt; Forderungen mit 50 %.“). Unbestritten ist der Umstand der Fortführung wertbildend. Ebenso unbestritten bestehen im Liquidationsszenario erhebliche Prognoseschwierigkeiten, die unter Berücksichtigung des Vorsichtigkeitsprinzips Wertabschläge rechtfertigen. Dieser Rahmen erlaubt indes keine (unbegründeten) Pauschalwertberichtigungen. Maßgeblich sind vielmehr die Verwertungs- und Liquidationsstrategie, der Stilllegungs- und Bewertungsstichtag und die Umstände des Einzelfalls. 97 Entscheidend ist zunächst die Verwertungsstrategie. Die Darstellung des Umlaufvermögens in der Vergleichsrechnung liest sich regelmäßig wie das Szenario einer sofortigen Betriebsstilllegung. Dies ist jedoch bei Unternehmensinsolvenzen im Allgemeinen und bei solchen, die auf eine Plansanierung zielen, im Besonderen nicht nur die absolute Ausnahme, sondern regelmäßig gar nicht möglich. Jedenfalls für einen gewissen Zeitraum werden Auftragsbestand, halbfertige Leistungen, Materialdisposition und Kundenerwartung regelmäßig eine Fortführung nicht nur erfordern, sondern insbesondere möglich machen. 98 Maßgeblich sind daher die tatsächlichen betrieblichen Möglichkeiten im Einzelfall. Stellen diese sich so dar, dass der Insolvenzverwalter über alle erforderlichen Produktionsmittel verfügt, so wird er denjenigen Stilllegungszeitpunkt zu wählen haben (wählen müssen), der der Insolvenzmasse das bestmögliche Ergebnis verspricht. Wohlwissend, dass die Umstände der Fortführung und das Zusammenhalten der unternehmerischen Einheit im gekündigten Zustand deutlich erschwert sind, ist es seine Pflicht, die vorhandenen personellen, räumlichen und maschinellen Kapazitäten zu nutzen, d. h. die Entstehung von unproduktiven Leerkosten (ungenutzte Fixkosten) möglichst zu vermeiden, Je nach dem Stilllegungszeitpunkt wird der Liquidationswert der Gegenstände des Umlaufvermögens ein völlig anderer sein. 99 Erlauben die Umstände die beschriebene zielgerichtete Ausproduktion, so können an die Stelle wertloser unfertiger Arbeiten werthaltige Forderungen aus Lieferungen und Leistungen treten. Maßgeblich ist insoweit der Wert, den der Insolvenzverwalter in seiner ziel-
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Vergleichsrechnung
gerichteten Ausproduktionsstrategie erwarten darf.88) Innerhalb dieser Bewertungsprämisse wiederum sind vielschichtige Differenzierungen möglich und zulässig. So z. B. unterschiedliche Wertansätze innerhalb der Vorräte, d. h. ein geringerer Wertansatz für Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe als für Fertigerzeugnisse, die selbst bei einer sofortigen Betriebsschließung – unter absichernder Vereinbarung einer Vorkasse – nicht sofort ihre Verkehrsfähigkeit verlieren. Ist eine zielgerichtete Ausproduktionsstrategie nicht möglich, verlangt eine geordnete Vergleichsrechnung eine Auseinandersetzung hiermit und eine Begründung für die Notwendigkeit einer sofortigen Betriebsschließung. Neben diese grundsätzliche Verpflichtung zur Entwicklung einer Ausproduktions- und 100 Liquidationsstrategie treten besondere Umstände des Einzelfalls. Hierbei gilt der Blick der prognostischen Bewertung des Kundenverhaltens. Nicht selten bestehen Abhängigkeiten von Kunden. Diese sind mitunter, aber bei weitem nicht immer von einer solchen Intensität, dass auf ihrer Grundlage Verlustübernahmen und Finanzierungsbeiträge gefordert werden könnten (z. B. Insolvenz eines Automobilzulieferers). Eine Abhängigkeit des Kunden, die die Vorfinanzierung des Wareneinsatzes, die Abnahme des Wirtschaftsguts und eine gesicherte Zahlung, u. U. mit einem freiwillig eingeräumten Sicherheitseinbehalt möglich macht, ist von keinem Seltenheitswert. Gleiches gilt für Auftragsausweitungen bzw. außerordentliche Eindeckungen, sog. „Hamsterkäufe“. Zweifelsohne müssen diesen Optionen für eine Ausproduktion auch Risiken gegenübergestellt werden. Hierzu zählen der Kundenund Umsatzverlust sowie der Weggang von Leistungsträgern. Die Beurteilung und Entwicklung von Maßnahmen zur Beherrschung dieser Risiken (Halteprämien etc.) wiederum ist Teil der verpflichtenden Prüfung einer Abwicklungsstrategie, so dass auch nicht unreflektiert mit dem Hinweis auf den Abkehrwillen von Mitarbeitern die sofortige Betriebsschließung als Annahme formuliert werden darf, obgleich die derzeit gute Arbeitsmarktsituation solche Vereinbarungen deutlich erschwert. 1.4.3 Insolvenzspezifische Ansprüche Wie bei den formellen Anforderungen (siehe Rz. 57) nehmen insolvenzspezifische An- 101 sprüche bei der Darstellung der Vermögensverhältnisse eine besondere Rolle ein. Daher auch die besondere Hervorhebung des Transparenzgebots und eine eigenständige Behandlung dieser Vermögensgegenstände auf der Ebene der formellen Anforderungen an die Darstellung und vorliegend der Bewertung. Die Bewertung im Liquidationsfall wird hinsichtlich der Haftungs- und Anfechtungsan- 102 sprüche gegenüber Organen und Gesellschaftern maßgeblich auf deren Vermögenssituation beruhen. Entscheidend hierbei wird die Veränderung der Vermögenslage durch die Stilllegung sein. Die Wertlosigkeit der Beteiligung ist unbestritten. Der Wegfall der Vergütung ist alsbald zu unterstellen, je nach Einzelfall indes keineswegs dauerhaft, da die Wiederaufnahme anderweitiger beruflicher Tätigkeiten je nach Qualifikation möglich bleibt. Entscheidender ist für den Verfasser indes die Haftungsverwirklichung im Übrigen. Löst die Stilllegung den Sicherungsfall im Finanzierungskreis aus und ist dieser durch persönliche Mitverpflichtungen gekennzeichnet, so verlängert sich die Passivseite regelmäßig in einem Umfang, der außer Verhältnis steht zu etwaigen Prognosen zukünftiger Einnahmen. Fehlt relevantes – in der Bewertung vom Betrieb – unabhängiges Vermögen, ist die Wertlosigkeit etwaiger Ansprüche eher der Grundsatz als die Ausnahme. Diese Schlussfolgerung verlangt indes die detaillierte Auseinandersetzung und Begründung, 103 ohne hierbei zwingend private Vermögensverhältnisse der Gesamtgläubigerschaft gegen___________ 88) Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 7.
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über zu offenbaren. Möglich ist insoweit die Vorlage an den Sachwalter und Insolvenzverwalter bzw. (vorläufigen) Gläubigerausschuss unter der Auflage der Vertraulichkeit. 104 Insolvenzspezifische Haftungs- und Anfechtungsansprüche gegenüber Dritten sind in der Bewertung im Liquidationsfall geringeren Besonderheiten ausgesetzt. Entscheidend ist, ob die Werthaltigkeit des mutmaßlichen Anspruchs nicht in Abhängigkeit zur Unternehmensfortführung steht. 105 Soweit der Plan vorsieht, dass die Planquote (auch) aus Mitteln gezahlt wird, welche aus der Verwertung von schuldnerischem Vermögen erzielt werden, muss beachtet werden, dass diese Verwertung grds. bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen sein muss. Der Insolvenzplan kann nicht dem Insolvenzverwalter die Befugnis verleihen, Anfechtungsansprüche nach Verfahrensaufhebung gerichtlich geltend zu machen. In der Konsequenz kann ein Insolvenzplan insoweit auch nicht vorsehen, dass ein (anwaltlicher) Treuhänder nach Verfahrensaufhebung eine Masseforderung zum Zwecke einer Nachtragsverteilung zugunsten der Gläubigergemeinschaft einzieht.89) Kann der Insolvenzverwalter auf der Grundlage eines Insolvenzplans infolge der Regelung des § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO nur bereits anhängige Anfechtungsrechtsstreite nach Verfahrensende weiterverfolgen, kann einem Treuhänder durch einen Insolvenzplan keine weitergehende Befugnis verliehen werden. 1.5
Bewertung von Verbindlichkeiten im Liquidationsszenario (Passiva)
106 Während bei den Vermögensgegenständen durch § 151 Abs. 2 InsO ein Dualismus von Liquidations- und Fortführungswert angelegt ist, ist in der InsO zur Bewertung der Verbindlichkeiten keinerlei Regelung vorgesehen. Die Literatur stellt daher – auf der Grundlage der Buchwerte – regelmäßig auf den Nennwert ab. Sonstige Masseverbindlichkeiten sind nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung zu schätzen.90) 107 Dies mag im Ausgangspunkt zutreffend sein. Aus Sicht des Verfassers empfiehlt sich indes eine Differenzierung zwischen Liquidation und Fortführung aus verschiedenen Gründen – jedenfalls im Grundsatz – auch für die Passiva. Lediglich dann, wenn unter keinem Gesichtspunkt eine zum Insolvenzplan alternative Fortführung wahrscheinlich oder gar möglich ist, kann auf die Bewertung der Verbindlichkeiten im Fortführungsfall verzichtet werden. Denn in diesem Fall erfolgt bereits bei den Aktiva keine Darstellung von Fortführungswerten. Erfolgt eine solche indes, so ergeben sich hieraus zwingend Auswirkungen für die Passiva. Denn eine unterschiedliche Bewertung von Aus- und Absonderungsgut führt zu einem veränderten Ausfall bei zur Aus- und Absonderung berechtigten Insolvenzforderungen. Diese Parallelität von Aktiva und Passiva ist zugleich das entscheidende Argument für eine Bewertung der Verbindlichkeiten, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Liquidation als auch unter dem der Fortführung. 108 Über diese notwendige Differenzierung hinaus kann die Bewertung der Verbindlichkeit zum Nennwert sowohl für den hier in Rede stehenden Liquidationsfall als auch für die Fortführung (siehe Rz. 121) nur der Ausgangspunkt sein. Folgende Abweichungen können im Liquidationsfall geboten erscheinen: 1.5.1 Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsberechtigten 109 Wie beschrieben hat die Bewertung der Vermögensgegenstände für Drittrechtsberechtigte unmittelbare Auswirkungen auf das Sicherungsrecht zum einen und die mögliche nicht ___________ 89) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 90) Jarchow, in: HambKomm-InsO, § 153 Rz. 17; Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 35 Rz. 32.
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Vergleichsrechnung
nachrangige Ausfallforderung (§§ 38, 52 InsO) zum anderen. Diese Auswirkungen beschränken sich aber nicht auf die Höhe des erlittenen Ausfalls, sondern können im Liquidationsfall auch für die Entstehung weitergehender (Schadens-)Ersatzansprüche sorgen, z. B. Kosten der Abholung. 1.5.2 Liquidationsschicksal von Konzernfinanzierungen Handelt es sich bei der Schuldnerin um eine Gesellschaft, die Teil eines Konzerns oder einer 110 Unternehmensgruppe ist, so müssen im Liquidationsfall die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten unter Berücksichtigung sämtlicher Mithaftungs- und Regressansprüche definiert werden. Das Bild im Fall der Plansanierung sieht aufgrund des bei entsprechenden Sicherheiten denkbaren „Stehenlassens von Finanzierung und Sicherheiten“ gänzlich anders aus. Denn dann müssen keine (zusätzlichen) Verbindlichkeiten aus Mithaftungserklärungen nach Maßgabe des § 43 InsO berücksichtigt werden. 1.5.3 Wegfall von Sanierungsbeiträgen Überaus praxisrelevant sind Zugeständnisse von Gläubigern mit besonderem Fortführungs- 111 interesse. Solche Gläubiger signalisieren für den Fall der Unternehmensfortführung die Bereitschaft zum Forderungsverzicht oder anderweitigen (Sanierungs-)Beitrag. Beispielhaft sind Grundpfandgläubiger, die bei erfolgreicher Plansanierung auf eine etwaige Nutzungsentschädigung für die massezugehörige Betriebsimmobilie oder einen Zinsanspruch nach § 169 Satz 1 InsO verzichten. Im Liquidationsfall gelten solche Verzichte i. d. R. nicht und zwingen daher zur Berücksichtigung von (Masse-)Verbindlichkeiten, die sich nicht bereits aus den Buchwerten ergeben. Relevant kann dieser Gedanke auch für Verlustfinanzierungen durch Großkunden i. R. 112 von Fortführungsvereinbarungen sein. Insbesondere in der Insolvenz des Zulieferers ist eine (Verlust-)Finanzierung durch den Automobilhersteller denkbar und üblich. Sofern man den Forderungen aus der (Verlust-)Finanzierung die Qualität eines (Schadensersatz-)Anspruchs beimessen möchte, kann in dieser Hinsicht durchaus zwischen Liquidation und Fortführung unterschieden werden. Scheitert letztere, könnte beispielhaft die Anmeldung entsprechender (Schadensersatz-)Forderungen zugestanden werden. Im Fall der Plansanierung bestünden solche Verbindlichkeiten bei entsprechender Vertragsgestaltung nicht. 1.5.4 Vorzeitige Beendigung von Dauerschuldverhältnissen bei Liquidation Für nicht nachrangige Insolvenzforderungen sind zusätzliche – nicht in der Finanzbuch- 113 haltung ausgewiesene – Verbindlichkeiten insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Schadensersatzpflicht und den Rechtsfolgen der vorzeitigen Beendigung von Dauerschuldverhältnissen zu berücksichtigen. Reduzieren sich z. B. Leasingraten im Fall der Unternehmensfortführung bzw. fallen solche als Insolvenzforderungen nach erfolgtem Eintritt (§ 103 InsO) gänzlich weg, muss im Liquidationsszenario entweder i. R. der Bewertung oder bei einer Rückstellung ein weitergehendes Volumen berücksichtigt werden. 1.5.5 Streitige Verbindlichkeiten (z. B. Gewährleistungsforderungen) Weiterhin praxisrelevant sind streitige Verbindlichkeiten und diesbezügliche Vergleichs- 114 vereinbarungen, die angesichts des Fortführungsinteresses des Gläubigers nur Geltung beanspruchen sollen für eine Unternehmensfortführung. Denn diese soll regelmäßig durch einen an der Fortführung interessierten Gläubiger nicht mit einer streitigen – zur Rückstellung verpflichtende – Forderung gefährdet werden. Um dies sicherzustellen bei gleichzeitiger (Teil-)Kompensation des Gläubigers, haben Vergleichsvereinbarungen im Fortführungsfall eine große praktische Bedeutung. Gegenstand solcher Vergleiche ist regelmäßig J. Schmidt
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die Feststellung eines Forderungsbetrags, der geringer ist als die vom Gläubiger behauptete Forderung. Dieses Vergleichsinteresse fällt bei Stilllegung wechselseitig weg und zwingt aus Vorsichtsgründen zur Berücksichtigung weitergehender Verbindlichkeiten und Rückstellungen für die Kosten der möglichen gerichtlichen Klärung. 1.5.6 Masseverbindlichkeiten/Rückstellungen für auslaufende Kündigungsfristen 115 Die Bewertung von Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 InsO verlangt eine Schätzung nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung.91) Dies wird in der Literatur regelmäßig in Gegenüberstellung zu der Bewertung der sonstigen Verbindlichkeiten nach ihrem Nennwert formuliert. Das könnte fehlerhafter Weise so verstanden werden, dass Masseverbindlichkeiten keinen Nennwert hätten, was nicht der Fall ist. Richtigerweise geht es den Literaturvertretern im Zusammenhang mit § 153 InsO um die Notwendigkeit einer Schätzung, da es sich zum Aufstellungszeitpunkt (Verfahrenseröffnung) um künftige Verbindlichkeiten handelt. Diese Situation ist i. R. der Vergleichsrechnung identisch. 116 Im Rahmen der für maßgeblich erklärten vernünftigen kaufmännischen Beurteilung gelten die oben im Zusammenhang mit der Liquidationsbewertung angestellten Überlegungen (siehe Rz. 90). Hierbei war zusammenfassend die Abwicklungsstrategie maßgeblich. Ausgehend von der grundsätzlichen Verpflichtung, die vorhandenen personellen, räumlichen und maschinellen Kapazitäten zu nutzen, ist die Entstehung von unproduktiven Leerkosten (ungenutzte Fixkosten) möglichst zu vermeiden. Nach Maßgabe dieses grundsätzlichen Pflichtenprogramms dürfen insbesondere oktroyierte Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, §§ 108, 109, 113 InsO) nicht zum Anlass genommen werden für Rückstellungen i. H. der Verbindlichkeiten aus den Arbeitsverhältnissen für die Dauer der auslaufenden Kündigungsfrist. Wie auch bei der Bewertung des Umlaufvermögens bedarf es einer Analyse des Einzelfalls und der entsprechenden Behandlung. Ist zumindest teilweise eine Ausproduktion, z. B. aufgrund des Leistungsgrades von (Halb-)Fertigerzeugnissen, sinnvoll und möglich, ist nicht der Ansatz der (Masse-)Verbindlichkeiten aus den gekündigten Dauerschuldverhältnissen maßgeblich, sondern der sich errechnende Verlust nach Berücksichtigung der möglichen Wertschöpfungen. Zu den hierbei maßgeblichen Kriterien siehe Rz. 117. 1.5.7 Maßgeblichkeit der Drittelgrenze bei Sozialplanverbindlichkeiten 117 Die Vergleichsrechnung sieht für den Liquidationsfall notwendiger- und richtigerweise die Betriebsschließung und damit die Kündigung sämtlicher Mitarbeiter vor. Bei entsprechender Sozialplanpflicht bedarf es der Aufstellung eines Sozialplans nach Maßgabe der insolvenzrechtlichen Bestimmungen der §§ 123 ff. InsO. Mithin muss i. R. der Vergleichsrechnung das Sozialplanvolumen für die gesamte Belegschaft errechnet werden. Dieses (hypothetische) Volumen darf indes nicht „einfach“ abgezogen werden von der (hypothetischen) Masse. Denn es gilt die sog. Drittelgrenze des § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO. Hiernach darf für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde. Ein Verstoß hiergegen rechtfertigt eine Zurückweisung nach § 231 InsO. 1.5.8 Verfahrenskosten 118 Im Rahmen der Vergleichsrechnung bedarf es weiterhin der Berücksichtigung der Verfahrenskosten. Im Liquidationsfall errechnen sich diese auf der Grundlage des skizzierten Liquidationsszenarios. Es handelt sich mithin um eine rein hypothetische Betrachtung der ___________ 91) Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 35 Rz. 32.
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Vergleichsrechnung
Verfahrenskosten. Nicht selten wird in der Praxis aus Anlass dieser Bilanzposition zur Vergütung diskutiert. Streng genommen haben diese Ausführungen indes nichts gemein mit der tatsächlichen Vergütung bei erfolgreicher Plansanierung. Die tatsächliche Vergütung ist „lediglich“ eine Rechengröße bei der betriebswirtschaftlichen Herleitung und hängt in letzter Konsequenz von der (unentbehrlichen) gerichtlichen Festsetzung92) ab, die auch nicht durch abweichende Planregelungen entbehrlich wird. Sofern dem Insolvenzplan Erklärungen des (vorläufigen) Sachwalters oder Insolvenzverwalters i. S. von § 230 Abs. 3 InsO zu maximalen Planzahlen beigefügt werden, stehen sie ohne jeden Zusammenhang zu der vorliegenden Bilanzposition. Errechnet man die hypothetische Vergütung im Liquidationsfall, so ist – wie beschrieben 119 – die Berechnungsgrundlage durch die Vergleichsrechnung definiert. Im Fall der Eigenverwaltung ist regelmäßig die Aufgabe derselben zu unterstellen. Dies führt zum Wegfall des § 12 InsVV (60 %) und macht korrekterweise die Auseinandersetzung mit drei Vergütungstatbeständen, d. h. vorläufige und endgültige Sachwaltung93) sowie endgültige Insolvenzverwaltung und deren Abstimmung aufeinander erforderlich. Für etwaige Zuschlagstatbestände muss berücksichtigt werden, dass solche auch im Liquidationsfall mit guten Argumenten begründbar sind. Überdies bleiben die für die Betriebsfortführung anerkannten Zuschlagstatbestände relevant, da der Liquidation eine Fortführung vorausging. Diese Gesamtumstände werden nicht selten bemüht, die Verfahrenskosten im Liquidati- 120 onsfall als wesentlichen Faktor für die Vorteilhaftigkeit des Insolvenzplans darzustellen. Das kann im Einzelfall richtig sein, bedarf aber der kritischen Prüfung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt wegfallender (Beratungs-)Kosten. 2.
Fortführungsszenario als Vergleichsmaßstab
Mit dem beschriebenen Liquidationsszenario sieht die Vergleichsrechnung in jedem Fall 121 ein Vergleichsszenario vor, an dem sich die Planquote messen lassen kann bzw. bei Alternativlosigkeit messen lassen muss. Bemüht man die für die Vergleichsrechnung für maßgeblich erklärte Parallele zu den §§ 151 – 153 InsO, so stellt sich die Frage, ob nicht jeder Vergleichsrechnung sowohl das Liquidations- als auch ein Fortführungsszenario zugrunde liegen muss. So ließe sich argumentieren, wenn man in § 151 Abs. 2 InsO mit Teilen der Literatur in Anlehnung an die Gesetzesmaterialien den zwingenden Dualismus von Liquidations- und Fortführungswert erkennt, d. h. für jeden Vermögenswert selbst dann beide Bewertungen fordert, wenn dem schuldnerischen Betrieb keine Fortführungschancen eingeräumt werden.94) Das zentrale Argument für dieses Vorgehen wird nachvollziehbar in den Gesetzesmaterialien gesehen. Da die Insolvenzgläubiger im Berichtstermin über die Stilllegung des schuldnerischen Unternehmens oder seine vorläufige Fortführung beschließen oder den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen, muss das Verzeichnis der Massegegenstände nach § 151 InsO eine Entscheidungsgrundlage durch Angabe der Liquidations- und Fortführungswerte enthalten. Die Gegenüberstellung dieser beiden Werte ist nach der Gesetzesbegründung eine der wichtigsten Entscheidungsgrundlagen für die Frage der Fortführung.95) ___________ 92) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 ff. 93) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592 ff., dazu EWiR 2016, 499 (Beck); BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 ff., dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). 94) Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 13; Füchsl/Weishäupl/Jaffé, in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 10 ff.; Wegener, in: Wimmer, InsO, § 151 Rz. 20. 95) Vgl. Depré, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 151 Rz. 5, obwohl dieser das Gebot der zweifachen Bewertung ablehnt, wenn keine Fortführungsmöglichkeit besteht.
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122 Unabhängig von der Richtigkeit dieses Verständnisses zu § 151 Abs. 2 InsO96) wird man für die Vergleichsrechnung eine eigene Antwort zu der Frage nach der zwingenden Darstellung der Fortführungswerte ermitteln müssen. Denn der Umstand der Plansanierung als solcher indiziert bereits die grundsätzliche Fortführungsmöglichkeit. Die Fragestellung ist daher bei der Vergleichsrechnung eine andere:
Bei § 151 Abs. 2 InsO lautet die Frage, ob man Vermögensgegenstände unter Fortführungsgesichtspunkten bewerten muss, wenn keine grundsätzliche Fortführungsaussicht besteht.
Bei der Vergleichsrechnung lautet die Frage, ob man aufgrund der durch den Insolvenzplan indizierten Fortführungsaussicht auch dann das Vermögen nach Fortführungswerten bestimmen muss, wenn es keinen fortführungsbereiten Dritten gibt.
In der Folge stellt sich die Frage, ob man aufgrund des Gebots der zweifachen Bewertung i. R. der Vergleichsrechnung zu aktiven Maßnahmen („Bieter- und Investorenprozess“) verpflichtet ist, um einen solchen fortführungswilligen Dritten zu identifizieren (hierzu und zur Verpflichtung zum Dual Track siehe Rz. 132).
2.1
Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ Alternativlosigkeit?
123 Doch zunächst zu der Frage, ob der Planverfasser auch dann das Vermögen nach Fortführungswerten bestimmen und sich daran bei der Gestaltung der Planquote messen lassen muss, wenn es keinen fortführungsbereiten Dritten gibt und sich ein solcher auch nicht i. R. der Vermarktungs- und Veräußerungsbemühungen finden ließ. Dafür könnte die beschriebene Orientierung an § 151 InsO und das dort verankerte Gebot der zweifachen Bewertung sprechen. Gleiches gilt für den beschriebenen Regelungszweck, der darin besteht, den Gläubigern eine Entscheidungsgrundlage für die ihnen obliegende Beschlussfassung über die Fortführung zu bereiten. 124 Gegen eine zwingende Darstellung im Szenario der „echten“ Alternativlosigkeit spricht der Fokus der Vergleichsrechnung i. S. von § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO und der in dieser Hinsicht unmissverständliche Wortlaut. Hiernach kommt es entscheidend auf die Frage an, wie der Beteiligte „ohne einen Plan stünde“. Nimmt man diesen Vergleichsmaßstab ernst, so bleibt bei „echter“ Alternativlosigkeit kein Raum für die Berücksichtigung von Fortführungswerten. Dies findet Bestätigung in der wohl herrschenden inhaltlichen Bestimmung des Begriffs des Fortführungswerts. Dieser ist Gegenstand einer kontroversen Diskussion im Schrifttum.97) Ausgehend von der Fortführung des Buchwerts erstreckt sich die Diskussion über den steuerlichen Teilwertbegriff des § 6b EStG, den Substanzwert bzw. den Wiederherstellungswert bis hin zum Ertragswert. Diese in der Literatur für § 151 InsO vorgeschlagenen Bewertungsansätze können nur ansatzweise überzeugen.98) Die Insolvenzpraxis behilft sich in solchen und vergleichbaren Situationen regelmäßig mit der Anlehnung an die Vorgaben des IDW. Das IDW beschreibt den Fortführungswert als den Wert, den ein Erwerber des gesamten Unternehmens i. R. eines Gesamtkaufpreises auf der Basis eines konkreten Fortführungs- und Sanierungskonzepts für den einzelnen Vermögensgegenstand zu zahlen bereit wäre.99) 125 Existiert ein solcher Erwerber nicht, fehlt dem Ansatz der Vermögensbewertung zu Fortführungswerten qua Definition die rechtliche, aber v. a. tatsächliche Grundlage. In diesem ___________ 96) Zur Kritik vgl. Depré, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 151 Rz. 5; Haffa/Leichtle, in: Braun, InsO, § 151 Rz. 9. 97) Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 35 Rz. 36 f. 98) Zu den Schwächen des jeweiligen Bewertungsansatzes vgl. Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 16. 99) IDW RH HFA 1.010, Rz. 37.
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Szenario der Alternativlosigkeit definiert das Liquidationsszenario nach den oben beschriebenen Vorgaben den Vergleichsmaßstab (siehe Rz. 90). Es bedarf auch nicht der Darstellung von hypothetischen Fortführungswerten. Erforderlich und für die Vermeidung der Zurückweisung nach § 231 InsO unerlässlich ist indes die Darstellung der „echten“ Alternativlosigkeit, d. h. der zur Abwendung der Alternativlosigkeit unternommenen Maßnahmen („Investoren- und Bieterprozess“) und deren Erfolglosigkeit. Wurde auf solche bewusst verzichtet, gelten die nachstehend beschriebenen Grundsätze (siehe Rz. 137). Für die Darstellungstiefe solcher Ausführungen kommt es auf die Entscheidungserheblichkeit zum einen und den Konsens der Beteiligten zum anderen an.100) 2.2
Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ (= verbindlicher) Alternative!
Ausgehend von der inhaltlichen Bestimmung ihres Begriffs sind Fortführungswerte zwin- 126 gend darzustellen und Vergleichsmaßstab, wenn ein Erwerber auf der Grundlage eines konkreten Fortführungs- und Sanierungskonzepts ein verbindliches Gesamtkaufpreisangebot zur Übernahme des Unternehmens bzw. sämtlicher Vermögensgegenstände abgibt. Für dieses in der Praxis seltene Szenario eines verbindlichen Drittangebots kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Insolvenzplan sich an dem durch den Gesamtkaufpreis vermittelten Fortführungswert orientieren muss. Um Bewertungs- und Vergleichsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte der Gesamtkaufpreis sehr weitgehend einzelnen Vermögensgegenständen zugeordnet werden können. Über die Fortführungswerte und das diese definierende Gesamtkaufpreisangebot hinaus be- 127 darf es der Darstellung der zur Identifikation solcher Dritten unternommenen Maßnahmen und der Kriterien zur Entscheidungsfindung, sofern mehrere Erwerber verbindliche Angebote unterbreitet haben. Sind für das Regelverfahren mehrere Szenarien denkbar und überwiegend wahrscheinlich, so ist das wahrscheinlichste Szenario maßgeblich. Sind mehrere Szenarien annähernd gleich wahrscheinlich, sind Alternativrechnungen durchzuführen.101) In dieser Hinsicht beansprucht das Transparenzgebot konkrete Ausführungen, denn wie der sachgrundlose Verzicht auf die aktive Investorensuche kann auch die Fokussierung auf einen einzelnen Investor die Zurückweisung nach § 231 InsO rechtfertigen. Für die Darstellungstiefe kommt es auch hierbei auf die Entscheidungserheblichkeit und den Konsens zwischen den Beteiligten an.102) 2.3
Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „möglicher“ Alternative?
Regelmäßig fehlt zum Zeitpunkt der Vorlage des Insolvenzplans ein verbindliches Gesamt- 128 kaufpreisangebot. Daher fokussiert die Vergleichsrechnung auf die Darstellung des Investorenprozesses. Diese zielt auf die (anonymisierte) Offenlegung der Anzahl der beteiligten Interessenten und deren (Verhandlungs-)Status. Abhängig vom Prozessstand und Zeitpunkt der Vorlage des Insolvenzplans liegen regelmäßig indikative Kaufpreisangebote vor.103) Mit indikativem Angebot wird ein unverbindliches erstes Angebot bezeichnet, das Investoren im Bieterprozess abgeben. Auf Basis dieses Angebots und etwaig formulierter (Rahmen-)Bedingungen für den Unternehmenserwerb findet regelmäßig eine Fortsetzung
___________ 100) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6. 101) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 5 m. w. N., insbesondere zu den aus betriebswirtschaftlicher Sicht erforderlichen Prüfungen und Darlegungen. 102) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6. 103) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, S. 53, Rz. 145.
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der Due Diligence – ggf. unter Ausweitung der bereit gestellten Informationen – statt, um in die Verhandlungen für ein konkretes Kaufpreisangebot („binding offer“) zu treten. 129 Es ist fraglich, ob indikative Kaufpreisangebote einen Vergleichsmaßstab in der Vergleichsrechnung darstellen können. Bedenken könnten bestehen aufgrund der fehlenden Rechtsverbindlichkeit. Sie greifen aufgrund des Prognosecharakters der Vergleichsrechnung indes nicht durch. Mit dem Prognosecharakter wäre es unvereinbar, wenn (Gesamt-)Kaufpreisangebote von Investoren nur bei Rechtsverbindlichkeit den Vergleichsmaßstab begründen würden. 130 Umgekehrt ist nicht „jedes“ indikative Angebot geeignet, als Fortführungsszenario und damit Vergleichsmaßstab berücksichtigt zu werden. Andernfalls könnten Insolvenzpläne allzu leicht durch Scheinangebote manipuliert und torpediert werden.104) Ausgehend vom Wortlaut der die Vergleichsrechnung mittelbar regelnden Bestimmungen (§ 245 Abs. 1 Nr. 1, § 251 InsO etc.) darf durch den Insolvenzplan voraussichtlich keine Schlechterstellung eintreten. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung muss der Maßstab für diese Prognose streng sein und voraussichtlich als überwiegend wahrscheinlich verstanden werden.105) Voraussetzung hierfür ist zunächst ein konkretes und ernst zu nehmendes Angebot.106) Die Konkretheit indiziert hierbei nicht nur die Ernsthaftigkeit des Interesses, sondern ermöglicht insbesondere die Messbarkeit der Erfolgsaussichten im weiteren Prozessverlauf. Das Hauptaugenmerk gilt etwaigen Bedingungen, die entweder nicht oder nur schwerlich erfüllbar sind und deren Nichteintritt entweder das Verhandlungsende oder die Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bedeuten, so z. B. das Ausscheiden von Führungskräften oder die arbeitsrechtliche Restrukturierung. Weiterhin Indizwirkung für die Ernsthaftigkeit und damit die überwiegende Wahrscheinlichkeit hat die Vereinbarkeit der Angebotsstruktur mit den rechtlichen Rahmenbedingungen eines Unternehmenserwerbs in der Insolvenz (z. B. keine Garantien, Risikotragung gemäß § 613a BGB etc.) und die Intensität der Prüfungs- und Verhandlungstätigkeit. Prozessual aus Anlass eines indikativen Angebots nicht zwingend, aber als positives Indiz zu werten ist die Vorlage eines Finanzierungsnachweises. 131 Nur wenn die Prämissen für eine Unternehmensveräußerung im Ganzen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisierbar und die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen schlüssig sind, kann hierin ein Vergleichsmaßstab erkannt werden und die Gegenüberstellung sämtlicher wirtschaftlichen Vor- und Nachteile erfolgen.107) 3.
Verpflichtung zur aktiven Suche eines Fortführungsszenarios – Verpflichtung zum Dual Track?
132 Ausgehend von der Abhängigkeit des Fortführungswerts von einem Erwerber des gesamten Unternehmens i. R. eines Gesamtkaufpreises liegt die Schlussfolgerung nahe, dass eine ordnungsgemäße Vergleichsrechnung eine Marktansprache zwingend voraussetzt. Denn ohne aktive (Investoren-)Suche besteht entweder keine Vergleichsmöglichkeit oder Unsicherheit darüber, ob das Vergleichsszenario zutreffend gewählt ist, da Sanierungsalternativen nicht gesucht worden sind. Die Insolvenzpraxis spricht in diesem Zusammenhang regelmäßig vom sog. Dual-Track-Verfahren. Bei diesem erfolgt neben der Ausarbeitung eines Insolvenzplans die Suche nach Investoren für einen Asset Deal. Ergänzend hierzu kann ___________ 104) Thies, in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7. 105) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 5; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 11; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7. 106) Thies, in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; a. A. wohl Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6. 107) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 10.
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die Investorensuche auch zusätzlich auf einen Investor für einen Share Deal ausgerichtet werden.108) Die Maßgeblichkeit des Dual-Track-Verfahrens und eine diesbezügliche Verpflichtung 133 sind indes nicht unbestritten. So gibt es Stimmen in der Literatur109) und mittlerweile auch in der Rechtsprechung,110) die eine Verpflichtung zum Investorenprozess ablehnen. Soweit ersichtlich beruht die Argumentation der Literaturvertreter in erster Linie auf der Unvereinbarkeit eines Investorenprozesses mit der Eigenverwaltung im Allgemeinen („zwei komplexe sich in ihren Zielen ausschließende Prozesse“) und dem Schutzschirmverfahren im Besonderen. Nach Ansicht des Verfassers kommt es für die Antwort auf die Frage nach der Verpflichtung zum Investorenprozess nicht auf die Anordnung der Eigenverwaltung (§§ 270a, 270b InsO) an. Auch bei dieser Verfahrensart handelt es sich um ein Insolvenzverfahren, das auf die bestmögliche Gläubigerbefriedigung gerichtet ist und daher jedenfalls im Grundsatz zur aktiven Marktansprache verpflichtet. 3.1
Grundsatz: Verpflichtung zum Investorenprozess
Aus dem allumfassenden Postulat des § 1 Satz 1 InsO heraus besteht im Grundsatz eine 134 Verpflichtung zur Durchführung eines aktiven Investorenprozesses.111) Eine Auseinandersetzung mit Initiativansprachen und -angeboten ist nicht ausreichend. Es bedarf einer aktiven Marktansprache. Nur diese grundsätzliche Verpflichtung schafft auch die Absicherung und das Vertrauen der Beteiligten, deren Prüfung entscheidend ist für den Planprozess („Wir haben ja nie gesucht?“). Sämtliche Argumente im Zusammenhang mit etwaigen Kosten, der Bindung schuldnerischer und persönlicher Ressourcen der Beteiligten können im Einzelfall (siehe Rz. 138) ausnahmsweise relevant sein. Bei der Festlegung des Grundsatz- (Dual-Track-Verfahren)/Ausnahme- (Verzicht auf das Dual-Track-Verfahren)-Verhältnisses können diese Argumente aufgrund der Maßgeblichkeit des § 1 Satz 1 InsO nicht relevant sein. Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung führt 135 auch nicht zu dem von der Literatur angenommenen Sanierungshindernis. Hierfür bedarf es besonderer Umstände, die darzulegen und im Hinblick auf eine Ausnahme von dem angenommenen Grundsatz (siehe Rz. 138) zu begründen sind. Gleiches gilt für das Argument der von der notwendigen Offenlegung der sensiblen und vertraulichen Daten ausgehenden „Spionagegefahr“. Es ist in dieser Allgemeinheit nicht geeignet, auf Maßnahmen i. S. der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu verzichten. Soweit hierbei insbesondere eine besondere Unvereinbarkeit mit dem Schutzschirmverfahren angenommen wird,112) kann auch dies nicht überzeugen. Die Anordnung des Schutzschirmverfahrens rechtfertigt das Privileg der fortbestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis unter Verzicht auf Sicherungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Anordnung eines Vollstreckungsverbots. Hinsichtlich des Verfahrensziels sollen die Privilegien der Eigenverwaltung im Allgemeinen und des Schutzschirms im Besonderen indes keine Erleichterungen erfahren. Bestätigung findet diese Wertung durch die Entscheidung des BGH v. 26.4.2018 zur analogen Anwend___________ 108) Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 89 ff.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41. 109) Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 189, 190; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41, wenn auch mit einem anderen Ziel und Ergebnis. 110) LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614. 111) Leib/Rendels, EWiR 2015, 23, 24; Fröhlich/Eckhardt, ZInsO 2015, 925; wohl auch Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 80 ff.; anders, zumindest im Hinblick auf das Grundsatz-AusnahmeVerständnis, LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614. 112) Riggert, NZI Editorial Heft 23/2016.
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barkeit der §§ 60, 61 InsO auf die Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung.113) Dieses Urteil bringt den Gleichlauf des Pflichtenkatalogs von (vorläufigem) Insolvenzverwalter und (vorläufigem) Eigenverwalter zum Ausdruck. In diesem Lichte muss die von der Rechtsprechung114) für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter angenommene Haftungsgefahr bei unterbliebener Investorensuche auch für den (vorläufigen) Eigenverwalter gelten.115) 136 Diese Wertung lässt auch nicht den – ebenso in § 1 Satz 1 InsO angelegten – Sanierungsgedanken unberücksichtigt.116) Denn ein Investorenprozess kann in gleicher Weise Sanierungsoptionen hervorbringen, die entweder favorisiert zu berücksichtigen sind oder erst Bedeutung bekommen, wenn die Erfolgsaussichten der Eigensanierung im laufenden Sanierungsprozess geringer werden. Insoweit sichert der Dual Track die Sanierung sogar ab. Die Annahme einer Verpflichtung zum Dual Track erst bei Erkennbarkeit des Scheiterns der Eigensanierung117) ist weder i. S. der Sanierung des Unternehmens noch vereinbar mit dem Zeit- und Handlungsdruck, der bei Erkennbarkeit des Scheiterns besteht. Insoweit kann von der aktiven Marktansprache sogar ein positiver Wettbewerb der Sanierungsszenarien ausgehen, indem das (Eigen-)Sanierungskonzept frühzeitiger verbindlich und zur Umsetzung bereit ist, um für Alternativkonzepte die Hürden zu erhöhen und den natürlichen Vorsprung der Eigenverwaltung zu nutzen.118) 3.2
Ausnahme: Verzicht auf Investorenprozess bei Vorliegen von Sachgründen
137 Die Festlegung des Grundsatz-(Dual-Track-Verfahren)/Ausnahme-(Verzicht auf DualTrack-Verfahren)-Verhältnisses ist in erster Linie dem Postulat des § 1 Satz 1 InsO geschuldet. Die für einen Verzicht auf einen Dual Track vorgetragenen Argumente mögen im Einzelfall relevant sein, können aber nicht zu einem grundsätzlichen Verzicht auf einen Investorenprozess in der Eigenverwaltung führen. Ebenso wenig können sie dazu führen, dass diese Fragestellung bei ungeklärtem Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis in das Ermessen des Planverfassers gestellt wird. Es besteht daher die Notwendigkeit der Festlegung von Grundsatz und Ausnahme in dem beschriebenen Verhältnis, der Analyse des Einzelfalls und der Festlegung von Kriterien zur Abweichung vom Grundsatz. 138 Ausgehend hiervon bedarf es der Überprüfung des Einzelfalls und des Vorliegens einer Ausnahmesituation. Die Annahme einer solchen erfordert einen Sachgrund: Die Anordnung der Eigenverwaltung und/oder das Vorliegen der Voraussetzungen des § 270b InsO rechtfertigen wie beschrieben keine Generalausnahme, können aber als ein Kriterium für den Ausnahmecharakter berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die durch die Eigenverwaltung beabsichtigte Sanierung sehr weitgehend ausgestaltet, bestenfalls rechtsverbindlich ist. Hierbei können die Vorlage eines Insolvenzplans mit den entscheidungserheblichen Tatsachen i. S. des § 220 InsO im Antragsverfahren und ein verbindlicher Gesellschafterbeitrag Indizwirkung haben. Die Annahme einer Ausnahmesituation beruht dann im Kern auf der Abwägung, ob die mit der Öffnung des Investorenprozesses ___________ 113) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter). 114) BGH v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, ZIP 2016, 727, dazu EWiR 2016, 309 (Jungmann); OLG München v. 21.3.1997 – 14 U 520/96, NZI 1998, 84. 115) Hierzu zutreffend Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 90, bereits im Vorfeld der Entscheidung des BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 (m. Anm. Bitter), dazu EWiR 2018, 339 (Thole). 116) Nicht zwingend vom Ergebnis, aber von der grundsätzlichen Annahme anders: LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614. 117) So Riggert, NZI Editorial Heft 23/2016. 118) Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 90, räumt Gesellschaftern zu diesem Zweck zutreffend das Recht ein, in Reaktion auf das Ergebnis des Investorenprozesses den Gesellschafterbeitrag zu erhöhen.
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erhoffte Besserstellung der Gläubiger in einem angemessenen Verhältnis steht zu den mit dem Investorenprozess verbundenen Risiken für die schon rechtsverbindlich ausgestaltete Eigensanierung. Beruht letztere auf dem Vergleich mit der Liquidation, so ist im Zweifeln der Investorenprozess durchzuführen; liegt der Vergleichsrechnung eine faire Unternehmensbewertung des plansanierten Unternehmens (siehe Rz. 149) zugrunde, so kann sogar eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen und (verpflichtend) auf den Investorenprozess verzichtet werden. Ebenso relevant sind die nachstehenden Fallgruppen, die im gemeinsamen Nenner auf Trans- 139 aktionsrisiken i. R. einer übertragenden Sanierung zielen und dadurch Zweifel an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Fortführungsvariante durch Dritte begründen können:
Existenz betriebsnotwendiges Vermögen im (insolvenzfesten) Eigentum Dritter (z. B. Marken-, Lizenz- und Patentrechte);
Aufspaltung von Besitz- und Betriebsgesellschaft und fehlendes Insolvenzereignis bei der Besitzgesellschaft;
Konzernsachverhalte, z. B. fehlende Insolvenz der Vertriebsgesellschaft;
vermögensmäßiger Schwerpunkt im Bereich immaterieller Vermögensgegenstände („asset lean“).
Neben diese rechtlich motivierten Sachgründe können sog. weiche Faktoren treten, wie z. B. 140
Kundenpositionierung und (Führungs-) Mitarbeiterbindung;
Integrationskraft des Unternehmers („Die Sanierung steht und fällt mit […]“);
besonderes Vertraulichkeitsbedürfnis/Spionage- und Wettbewerbsgefahr.
Diese Fallgruppen sind mit größter Zurückhaltung zu bemühen und verlangen einen über 141 Dritte objektivierten Tatsachenkern. Für eine für den Sanierungserfolg bedeutsame Kundenpositionierung (OEM) sei folgendes Praxisbeispiel genannt: „[…] bitte berücksichtigen Sie, dass die Entscheidung in unseren Gremien zum Verbleib der Neu-Aufträge bei XY u. a. aufgrund der Zusage der XY Gruppe getätigt wurde. Sollte sich abzeichnen, dass die XY Gruppe nicht mehr die Inhaberin von XY sein wird, wird der Verbleib der Neu-Aufträge erneut intern diskutiert werden müssen. Darüber hinaus möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir es für außerordentlich herausfordernd halten, zeitnah geeignete Alternativen zu finden, denen wir die Abarbeitung der Neuprojekte auch zutrauen würden.“ Ein ähnlicher Maßstab ist zu fordern für eine mögliche Mitarbeiterbindung. An die Stelle 142 unreflektierter Aussagen der Geschäftsleitung muss die Erklärung der betroffenen Mitarbeiter/Teams treten. 3.3
Ausgestaltung des Investorenprozesses
Sämtlichen Fallkonstellationen ist gemein, dass es sich um echte Einzelfallentscheidungen 143 handelt. Die hierfür erforderliche Abwägung erfordert eine offene Auseinandersetzung zwischen Schuldnerin, Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter und (vorläufigem) Gläubigerausschuss unmittelbar nach Antragstellung. Diese Abwägung muss in eine Entscheidung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzver- 144 walters bzw. (vorläufigen) Eigenverwalters münden. Ungeachtet ihrer Tragweite für die Erfolgsaussichten und Hürden der Plansanierung, die mögliche Parallelität von Sanierungsund Investorenprozess und die hiermit verbundenen Kosten und Ressourcenbindung muss diese Entscheidung in der ersten Hälfte des Insolvenzantragsverfahrens getroffen werden.119) Die Dynamik des Sanierungsprozesses und die Vorbereitung der gerichtlichen Er___________ 119) Brünkmans, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 93.
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öffnungsentscheidung erfordern eine solche zeitliche Strenge. Die dokumentierte Darstellung und Begründung erfolgt im weiteren Prozess im Insolvenzplan im Zusammenhang mit der Festlegung des Vergleichsmaßstabs unter Berücksichtigung der dargestellten Prüfungsinstanzen. 145 Die Darlegungslast liegt bei dem für die Sanierung verantwortlichen (vorläufigen) Sachwalter/Insolvenzverwalter oder Eigenverwalter; sie ist qualifiziert, da sie auf den „Genuss“ einer Ausnahme zielt. Bei etwaigen Zweifeln ist der Investorenprozess durchzuführen. Diese Auslegungsregel bei Schwierigkeiten im Entscheidungsprozess hat in der Insolvenzpraxis mitunter zur Durchführung sog. Schein- oder Feigenblattprozesse120) geführt. Auch wenn die Entscheidung für oder gegen den Investorenprozess in Anlehnung an die (Haftungs-)Rechtsprechung121) für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bei unterbliebener Investorensuche haftungsbewehrt sein kann, ist die Durchführung eines solchen Scheinoder Feigenblattprozesses die schlechteste Entscheidung der denkbaren Möglichkeiten. Denn die Prozessorganisation bringt weder die Vorteile der aktiven Marktansprache (z. B. Akzeptanzgewinn für die Plansanierung bei den Beteiligten, erhöhte Integrationskraft des Plankonzepts, Absicherung des Planprozesses durch Identifikation echter – ggf. ergänzender – Alternativen) noch werden hierdurch die befürchteten Nachteile (z. B. Kosten, Vertraulichkeit, persönliche Ressourcen etc.) vermieden. Abgesehen hiervon verursacht ein Schein- oder Feigenblattprozess einen Reputationsschaden für die investorenbasierte Sanierung durch Insolvenz, da keine Bereitschaft zur ernsthaften (zeit- und kostenintensiven) Prüfung besteht, wenn der Investor weiß, dass er nur dem Markttest und als „Spielball“ dient.122) 146 Dieses Vorgehen kann Ausdruck fehlender Individualität in der Ausgestaltung des Investorenprozesses sein. Dies wiederum kann eine „Schwarz-weiß“-Betrachtung bei der Entscheidung für oder gegen einen Investorenprozess sein. Denn regelmäßig wird mit der Entscheidung für einen Investorenprozess das „große Rad“ des strukturierten Bieterprozesses verbunden. Das ist indes nicht zwingend. In einem echten Zweifelsfall der Entscheidungsfindung beim Dual-Track-Verfahren bestehen keine Bedenken, den Investorenprozess individuell auszugestalten. Hierzu gehört die Möglichkeit des sog. stillen Investorenprozesses. Dieser ist gekennzeichnet durch eine individuelle und gezielte Ansprache von Investoren anstelle des unreflektierten Abarbeitens einer Long List („Qualität statt Quantität“). Denkbar erscheint der Einsatz unterschiedlicher Informationsmemoranden (IM) anstelle von Prozessbriefen. 147 Angesichts der Gratwanderung zum Schein- und Feigenblattprozess muss die Prozesssteuerung beim (vorläufigen) Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter liegen; für den (vorläufigen) Sachwalter ist dies rechtlich keineswegs zwingend. Im Gegenteil stößt eine originäre Prozessverantwortung auf Widerspruch mit der reinen Überwachungsfunktion des (vorläufigen) Sachwalters und dem rechtlich notwendigen Handeln der Schuldnerin. Allein diese ist – in den Grenzen des § 275 InsO – verwaltungs- und verfügungsbefugt und damit taugliche Partei von Verschwiegenheitsvereinbarungen („non-disclosure agreement“) und geeignete Empfängerin von Absichts- oder Angebotserklärungen. Insoweit kann die Steuerung im Fall der (vorläufigen) Sachwaltung nur faktisch gemeint sein. Gleichwohl bleibt ein Konflikt, den die Rechtsprechung des BGH zur Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters („Der (vorläufige) Sachwalter kann seine Aufgaben nicht eigenmächtig in zu___________ 120) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41. 121) BGH v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, ZIP 2016, 727; OLG München v. 21.3.1997 – 14 U 520/96, NZI 1998, 84. 122) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41.
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lasten der Masse vergütungspflichtiger Weise erweitern […]“) erkennt, aber nicht sachgerecht zu lösen vermag. Zumindest förderlich für die Auflösung des möglichen Konflikts zwischen rechtlicher 148 und faktischer Steuerung ist die Entscheidung BGH v. 26.4.2018 zur analogen Anwendbarkeit der §§ 60, 61 InsO auf die Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung. Sie bringt den Gleichlauf des Pflichtenkatalogs von (vorläufigem) Insolvenzverwalter und (vorläufigem) Eigenverwalter zum Ausdruck. In diesem Lichte muss die von der Rechtsprechung für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter angenommene Haftungsgefahr bei unterbliebener Investorensuche auch für den (vorläufigen) Eigenverwalter gelten. 3.4
Notwendigkeit der Unternehmensbewertung bei Verzicht auf Investorenprozess
Gelangt die Abwägung und Entscheidungsfindung zu einer Ausnahme in dem beschrie- 149 benen Sinne, so kann auf die Durchführung eines Investorenprozesses verzichtet werden. Im Lichte der Gefahr eines „Schein- und Feigenblattprozesses“ ist ein verantwortliches Bekenntnis zum Vorliegen einer Ausnahme und die Verteidigung dieser Positionierung i. R. der Vergleichsrechnung die bessere Entscheidung. Anders als mitunter in der Insolvenzpraxis angenommen, bedingt diese Entscheidung nicht 150 zwingend, dass die Liquidation zum (alleinigen) Vergleichsmaßstab wird. Die Anerkennung des Ausnahmecharakters führt zunächst „nur“ dazu, dass der Insolvenzplan sich nicht an den Ergebnissen einer aktiven Marktansprache messen lassen muss. Dieses Privileg ist gerechtfertigt durch einen Sachgrund, der i. R. der Prognose mögliche Ergebnisse aus dem Investorenprozess für weniger wahrscheinlich und gewichtig erachtet als Gefahren für das Plankonzept. Dieses Privileg sichert indes nicht die Liquidation als Vergleichsmaßstab. Richtig ist, dass 151 die Bedeutung der Liquidationsrechnung – als notwendiger Bestandteil einer jeden Vergleichsrechnung – als Ausgangspunkt der Bewertung steigt, wenn man auf einen Investorenprozess verzichtet. Insoweit ist die Durchführung der Liquidationsrechnung lege artis (siehe Rz. 88) von größter Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Umlaufvermögens und notwendige Rückstellungen, beides unter Berücksichtigung einer Schließungsstrategie und nicht mit der Annahme der sofortigen Schließung. Die Quotenerwartung in diesem Liquidationsszenario ist die Grundlage zur Beurteilung 152 der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zur Unternehmensbewertung. Denkbar ist die Gegenüberstellung mit hypothetischen Gesamtkaufpreisangeboten. Im Lichte der in Anlehnung an die IDW-Standards angenommenen Definition des Fortführungswerts als den Wert, den ein Erwerber des gesamten Unternehmens i. R. eines Gesamtkaufpreises auf der Basis eines konkreten Fortführungs- und Sanierungskonzepts für den einzelnen Vermögensgegenstand zu zahlen bereit wäre,123) geht diese Gegenüberstellung in die richtige Richtung. Insoweit zielt die Frage nach der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zur Unternehmensbewertung auf die Diskussion bei der allgemeinen Unternehmensbewertung und der Aktivierung des Firmenwerts im Überschuldungsstatus. In diesem Kontext ist der Ansatz eines Geschäftswerts nur dann zulässig, wenn greifbare Aussichten bestehen, Unternehmensbestandteile zu veräußern und dabei einen über den – auf der Aktivseite ohnehin bereits berücksichtigten – Substanzwert hinausgehenden Erlös zu erzielen.124) Voraussetzung hierfür sind – wie dargestellt (siehe Rz. 88) – konkrete Erwerbsangebote, 153 die nachgewiesen werden müssen.125) Wird jedoch entgegen der angenommenen grund___________ 123) IDW RH HFA 1.010, Rz. 37. 124) Harmann, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 34 Rz. 18 ff. 125) OLG Frankfurt/M. v. 25.10.2000 – 17 U 63/99, NZG 2001, 173 ff.; IDW ES 11, Rz. 79.
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sätzlichen Verpflichtung auf die Durchführung eines Investorenprozesses verzichtet, können die Fragen nach der grundsätzlichen Veräußerbarkeit, der Transaktionsfähigkeit i. R. einer übertragenden Sanierung sowie dem realistischer Weise zu erwartenden Kaufpreis nicht durch eine Marktansprache beantwortet bzw. indiziell bewertet werden. Für dieses Szenario kann das Fehlen von Angeboten keine Indizwirkung für die Wahrscheinlichkeit der Veräußerbarkeit darstellen. 154 In diesem Fall muss die Überprüfung der Wahrscheinlichkeit von Sanierungsalternativen durch Marktansprache ersetzt werden durch eine Unternehmensbewertung. Wie ausgeführt können die in der allgemeinen Unternehmensbewertung denkbaren methodischen Ansätze – ausgehend von der Fortführung des Buchwerts über den steuerlichen Teilwertbegriff des § 6b EStG, den Substanzwert bzw. den Wiederherstellungswert bis hin zum Ertragswert – nur eingeschränkt überzeugen. Methodische und praktische Schwierigkeiten bereitet die angemessene Berücksichtigung der Insolvenzsituation auf der einen und des Zukunftserfolgswerts auf der anderen Seite. Letzteres ist unerlässlich, da Gegenstand der Unternehmensbewertung das nach den Vorstellungen des Planverfassers (plan-)sanierte Unternehmen ist. Ungeachtet dieser methodischen Unsicherheiten muss der Aufwand der Unternehmensbewertung aus Anlass der Vergleichsrechnung sowohl in zeitlicher als auch kostenmäßiger Hinsicht im Verhältnis bleiben. 155 Methodisch begründbar und praktisch beherrschbar erscheint eine gutachterliche Stellungnahme in Anlehnung an den Bewertungsstandard IDW S 8 des Instituts der Wirtschaftsprüfer e. V. („Grundsätze zur Erstellung von Fairness Opinions“). Dieser Standard legt vor dem Hintergrund der in Theorie und Praxis entwickelten Standpunkte die Grundsätze dar, nach denen Wirtschaftsprüfer Stellung zur finanziellen Angemessenheit von Transaktionspreisen nehmen (sog. Fairness Opinions). Fairness Opinions sind insofern fachliche Stellungnahmen zu dem Ergebnis eines Entscheidungsprozesses i. R. einer unternehmerischen Initiative und hierbei insbesondere zur finanziellen Angemessenheit eines aus dieser Initiative resultierenden Transaktionspreises. Typischerweise kommen Fairness Opinions bei unternehmerischen Initiativen zum Einsatz, die mit zeitlichen Restriktionen, finanziellen und rechtlichen Zwängen sowie einem eingeschränkten Informationszugang einhergehen. 156 Diese Rahmenbedingungen entsprechen dem Bewertungsbedürfnis aus Anlass der Vergleichsrechnung und sind auch der Anlass für die für sinnvoll erachtete Orientierung am IDW S 8 und nicht am Bewertungsstandard IDW S 1 („Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“). Vor dem Hintergrund, dass Fairness Opinions i. S. des IDW S 8 für sich alleine genommen kein Instrument zur Ermittlung von Unternehmenswerten sind, ist weiterhin eine Orientierung am IDW S 1 i. V. m. dem IDW-Praxishinweis 1/2014126) geboten. Diese Orientierung kann indes nur ergänzend zu verstehen sein, da eine Unternehmensbewertung nach dem IDW S 1 aus Anlass der in Rede stehenden Situation des Unternehmens aufgrund der beschriebenen Zwänge weder erforderlich noch sinnvoll ist. Eine Unternehmensbewertung des (plan-)sanierten Unternehmens nach diesem methodischen Rahmen wäre insoweit der „Preis“ für den Planverfasser, um auf die aktive Marktansprache zu verzichten. Weitere Voraussetzung für diesen Verzicht ist das Vorliegen des beschriebenen Sachgrundes, um von der Verpflichtung zum Dual Track abweichen zu dürfen.
___________ 126) IDW, Praxishinweis 1/2014, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes kleiner und mittelgroßer Unternehmen, v. 5.2.2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28 ff.
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§ 34
Vergleichsrechnung VIII. Besonderheiten der Vergleichsrechnung bei selbstständig tätigen Personen
Bei Insolvenzplanverfahren über das Vermögen selbstständiger natürlicher Personen bedarf 157 es für die Zwecke der Vergleichsrechnung über die beschriebenen Notwendigkeiten hinaus der Auseinandersetzung mit der Arbeitskraft des Schuldners. Diese stellt regelmäßig den einzigen oder zumindest den zentralen Unternehmenswert dar. 1.
Berücksichtigung der Unpfändbarkeit
Für die Darstellung und Bewertung der in der Vermögensübersicht aufgenommenen Ver- 158 mögensgegenstände (Aktiva) auf der einen und der Verbindlichkeiten (Passiva) auf der anderen Seite gelten die obigen Ausführungen. Besonderheiten können sich allenfalls im Zusammenhang mit der Unpfändbarkeit ergeben, wenn es z. B. um Vermögensgegenstände geht, die zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit auf der Grundlage geistiger oder körperlicher Arbeit erforderlich sind (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, §§ 4, 36 InsO). Für den Fall der Unpfändbarkeit wäre die Beschlagnahmewirkung abzulehnen. Anders könnte geurteilt werden, wenn der Pfändungsschutz i. R. der für die Vergleichsrechnung zu unterstellenden Liquidation wegen Wegfall der Tätigkeit, z. B. i. S. des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO entfallen würde. 2.
Vergleichsmaßstab
Wie auch bei werbend tätigen Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften muss jede Ver- 159 gleichsrechnung stets die Vermögensbewertung unter Liquidationsgesichtspunkten vornehmen. Insoweit besteht – mit Ausnahme der Arbeitskraft – Parallelität zu den obigen Ausführungen. Ebenso sind Sanierungsalternativen als Vergleichsmaßstab zu berücksichtigen, wenn solche überwiegend wahrscheinlich sind. Mit Rücksicht auf die regelmäßige Abhängigkeit des Unternehmenswerts von der Person des Schuldners sind Sanierungsalternativen die Ausnahmen, aber gleichwohl denkbar, wie z. B. im Fall der Praxisveräußerung oder dem Verkauf einer Apotheke. 2.1
Einkommensprognose unter Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse
Vor dem Hintergrund der Maßgeblichkeit der Arbeitskraft des Schuldners zielt die Plan- 160 sanierung regelmäßig auf die Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit in Gegenüberstellung zu der Vermögens- und Befriedigungssituation des Schuldners bei Aufgabe der Selbstständigkeit, sofern keine Sanierungsalternative (siehe Rz. 123) besteht. Für die Bewertung der Vermögens- und Befriedigungssituation bei Aufgabe der Selbst- 161 ständigkeit bedarf es der Darstellung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere im Hinblick auf Ausbildung, Berufserfahrung und Reintegration in den Arbeitsmarkt als Angestellter auf der einen und Verdienstmöglichkeiten unter Berücksichtigung von Pfändungsfreibeträgen auf der anderen Seite. Ausgehend von dem Regelcharakter eines sechsjährigen Insolvenzverfahrens sind die Einkommenserwartungen für diesen Zeitraum hochzurechnen.127) Wenn der Planersteller davon ausgeht, dass der Schuldner dauerhaft kein pfändbares Einkommen mehr erwirtschaften wird, und hiervon unter Berücksichtigung der Obliegenheiten auch ausgehen darf, entfällt ein Vermögenswert unter dem Gesichtspunkt der selbstständigen Tätigkeit.128) Angesichts der Üblichkeit eines Restschuldbefreiungsantrags sind – mit Ausnahme von privilegierten Forderungen i. S. von § 302 InsO – keine
___________ 127) AG Hamburg v. 24.5.2017 – 67c IN 164/15, ZIP 2017, 2220 = NZI 2017, 567. 128) Madaus, NZI 2017, 697, 699.
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3. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte
Erlöserwartungen i. R. des bei Gesellschaften üblichen Nachforderungsrechts zu berücksichtigen. 2.2
Finanzierung der Planquote durch Fortsetzung der Selbstständigkeit
162 Der – auf der hypothetischen Einordnung des Schuldners in den Arbeitsmarkt beruhenden – Vermögens- und Befriedigungssituation stellt der Planverfasser regelmäßig eine Planquote gegenüber, die auf der Fortsetzung der Selbstständigkeit beruht. Für bestimmte Berufsgruppen ergibt sich die Besserstellung bereits aus berufsrechtlichen Zulassungsvoraussatzungen, die lediglich im Fall der erfolgreichen Plansanierung erfüllt werden können (z. B. Zulassung, Approbation, Erlaubnis i. S. des Apothekengesetzes). Für die Selbstständigkeit i. Ü. ergibt sich die Besserstellung regelmäßig aus den besseren Verdienst- und Einkommensmöglichkeiten auf der Grundlage der Selbstständigkeit. 163 Fehlt es – was regelmäßig der Fall ist – an Vermögensgegenständen, deren Verwertung bei Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens eine Einmalzahlung und damit einen sog. CashOut-Plan ermöglicht, wird die Planquote regelmäßig durch zukünftige Erträge aufgebracht („Earn-Out-Plan“). Diese wird – soweit nach den Maßstäben der jeweiligen Vergleichsrechnung möglich – regelmäßig auf einen geringeren (Überwachungs-)Zeitraum als sechs Jahre strukturiert. 164 Diesen durch die Fortführungsmöglichkeit bestehenden wirtschaftlichen (Mehr-)Wert muss der Schuldner auch nicht ausgleichen. Eine Ausgleichspflicht entsteht auch nicht dann, wenn ein wirtschaftlicher Mehrwert beim Schuldner verbleibt und die Bestätigung des Insolvenzplans die Zustimmungsersetzung nach § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO erfordert. Zwar formuliert diese Bestimmung als Voraussetzung für die Zustimmungsersetzung, dass der Schuldner keinen wirtschaftlichen Wert erhält. Resultiert dieser Wert indes aus der Betriebsfortführung durch den Schuldner und ermöglicht erst diese eine Quotenerwartung, so kann der Verbleib eines wirtschaftlichen Werts beim Schuldner nicht dazu führen, dass das Obstruktionsverbot keine Anwendung mehr findet.129)
___________ 129) So das AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZVI 2018, 24, für den Fall einer erst durch die Fortführung durch den Schuldner ermöglichten Veräußerung eines Betriebsteils; a. A. Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657.
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D. Verfahrensablauf § 35 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung C. Schmidt/Stahlschmidt
I. II. 1. 2. 3. 4. 5.
Funktionelle Zuständigkeit....................... 1 Vorprüfung durch das Gericht.................. 7 Allgemeines .................................................. 7 Vorlageberechtigung .................................. 10 Inhalt des Insolvenzplans .......................... 15 Sachgerechte Gruppenbildung .................. 37 Erfolgsaussichten und Erfüllbarkeit des Insolvenzplans ..................................... 42
6. 7. 8. III. 1. 2.
Wiederholte Planvorlage............................ 43 Entscheidung des Gerichts ........................ 45 Fristen......................................................... 49 Niederlegung des Insolvenzplans ........... 50 Öffentlichkeit............................................. 50 Einsichtsrechte ........................................... 52
Literatur: Buchalik/Schröder, Kann der eigenverwaltende Schuldner auch gegen seinen Willen verpflichtet werden einen M&A-Prozess einzuleiten und zu finanzieren?, ZInsO 2016, 189; Graeber, Vergütungsbestimmung durch Vereinbarungen zwischen einem Insolvenzverwalter und den weiteren Beteiligten eines Insolvenzverfahrens, ZIP 2013, 916; Horstkotte, Der Insolvenzplan in der gerichtlichen Vorprüfung, ZInsO 2014, 1297; Martini/Horstkotte, Häufige Fehler bei der Aufstellung von Insolvenzplänen und der Durchführung von Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2017, 1913; Müller, H.-F., Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Schröder, Die Vergleichs- und Regelungsbefugnis hinsichtlich § 44a InsO und § 254 Abs. 2 InsO im Insolvenzplan, ZInsO 2015, 1040; Schröder/Rabenhorst, Darf dem Schuldner nach dem Insolvenzplan ein wirtschaftlicher Wert verbleiben?, ZInsO 2017, 1769; Smid, Pläne bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2017, 2085; Smid, Vorprüfung des Insolvenzplans (Teil 1), ZInsO 2016, 61; Zimmer, Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit nach § 210a InsO (ESUG), ZInsO 2012, 390.
I.
Funktionelle Zuständigkeit
Die am 1.3.2012 mit dem ESUG1) in Kraft getretenen Änderungen des Insolvenzplanver- 1 fahrens betreffen auch die Zuständigkeiten innerhalb des Insolvenzgerichts. Insbesondere ist in § 18 Abs. 1 RPflG eine neue Nr. 2 eingefügt worden, in der die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens dem Insolvenzrichter zugewiesen wird. Hiervon ausgenommen ist § 257 InsO, so dass für das Klauselverfahren weiterhin der Rechtspfleger bzw. die Geschäftsstelle zuständig ist. Diese Zuständigkeitsänderungen innerhalb des Insolvenzgerichts sind am 1.1.2013 in Kraft getreten. Bei der Übertragung der Zuständigkeit vom Rechtspfleger auf den Insolvenzrichter fehlte 2 ursprünglich eine klare zeitliche Abgrenzung. Da § 8 Abs. 4 RPflG eine Unwirksamkeit sämtlicher Entscheidungen der Rechtspfleger bei fehlender Zuständigkeit statuiert, wird diskutiert, ob nicht schon die Beauftragung der Gläubiger zur Planerstellung während der Gläubigerversammlung nach § 218 Abs. 2 InsO den Beginn der Richterzuständigkeit markieren soll.2) Dafür spricht der Gesetzeswortlaut, der in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG die Zuständigkeit des Insolvenzrichters beim Insolvenzplanverfahren nach den §§ 217 bis 256 InsO übertragt und damit den § 218 Abs. 2 InsO dem Wortlaut nach einschließt. Dies kann jedoch vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, da dies das Verfahren vor Einreichung eines Insolvenzplans betrifft. Die richterliche Zuständigkeit kann jedoch erst mit Einreichung des Insolvenzplans beginnen, an die sich die Vorprüfung des Insolvenzplans durch den nunmehr zuständigen Insolvenzrichter nach § 231 InsO anschließt. ___________ 1) Vgl. die Stellungnahmen zum ESUG während des Gesetzgebungsverfahrens von Braun/Heinrich, NZI 2011, 505; Rechel/Willemsen, BB 2011, 834; Frind, ZInsO 2010, 1473, und Frind, ZInsO 2011, 373; Hirte/ Knof/Mock, DB 2011, 632; Hölzle, NZI 2011, 124; Kresser, ZInsO 2010, 1409; Smid, DZWIR 2010, 397. 2) Frind, ZInsO 2011, 656.
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§ 35
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
3 Nach einer Ansicht tritt kein Zuständigkeitswechsel ein, wenn verfahrensabweichende oder verfahrensleitende Insolvenzpläne (siehe Rz. 24 f.) vorgelegt werden, die lediglich Teile des Regelinsolvenzverfahrens – wie bspw. die Art der Verteilung – modifizieren sollen. Dabei würde es sich nämlich nicht um vollwertige Planverfahren handeln, deren Zuständigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere aufgrund der nun möglichen Eingriffsmöglichkeiten in die Gesellschafterrechte auf den Richter übertragen werden sollte.3) Diese Ansicht widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, der insoweit keine explizite Einschränkung des Zuständigkeitswechsels statuiert, sondern vielmehr sämtliche Insolvenzplanverfahren – unabhängig auch von Eingriffen in Gesellschafterrechte – nunmehr der richterlichen Zuständigkeit zuweist. Auch nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG gilt der Zuständigkeitswechsel für das Insolvenzplanverfahren nach den §§ 217 ff. InsO und damit eben auch für die im § 217 InsO erwähnten verfahrensbegleitenden Insolvenzpläne. Die Abgrenzung eines verfahrensbegleitenden von einem „vollwertigen“ Plan dürfte i. Ü. in der Praxis oftmals nicht ganz einfach sein. Vor dem Hintergrund der Unwirksamkeit der Rechtshandlungen des unzuständigen Rechtspflegers nach § 8 Abs. 4 RPflG dürfte aus Praktikabilitätsgründen und unter Auslegung des Wortlauts des § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG sowie des Willens des Gesetzgebers davon auszugehen sein, dass nunmehr alle Planverfahren und damit auch diejenigen auf Grundlage eines verfahrensbegleitenden Plans der Zuständigkeit des Richters unterliegen. 4 Zu berücksichtigen ist noch, dass die materiell-rechtlichen Änderungen zum Insolvenzplanverfahren durch das ESUG erst auf Insolvenzverfahren anzuwenden sind, die ab dem 1.3.2012 beantragt worden sind. Angesichts des Umstands, dass Insolvenzpläne nach § 218 Abs. 1 Satz 3 InsO bis zum Schlusstermin eingereicht werden können, ist davon auszugehen, dass auch noch in Insolvenzverfahren, die vor dem 1.3.2012 beantragt worden sind (Folge: ESUG gilt nicht), Insolvenzpläne erst nach dem 1.1.2013 bei Gericht eingehen. Da die Zuständigkeitsänderung zum Insolvenzplanverfahren nach § 18 RPflG ursprünglich hierbei nicht differenzierte, wäre eigentlich der Insolvenzrichter somit auch für ab dem 1.1.2013 eingereichte Insolvenzpläne zuständig, die sich auf ein vor dem 1.3.2012 beantragtes Insolvenzverfahren beziehen und bei dem damit noch die alte vor dem ESUG geltende materiell-rechtliche Rechtslage zum Insolvenzplan gilt. 5 Diese Unklarheiten hat der Gesetzgeber durch Einfügung des Art. 103g EGInsO Ende des Jahres 2012 beseitigt. Danach gilt die richterliche Zuständigkeit für Insolvenzplanverfahren nur für solche Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2013 beantragt worden sind. 6 Zusammenfassend ist infolge der Änderung des § 18 RPflG und der Einführung des Art. 103g des EGInsO der Insolvenzrichter für bei Gericht eingehende „vollwertige“ Insolvenzpläne und lediglich verfahrensabwickelnde Insolvenzpläne zuständig, wenn das zugrunde liegende Insolvenzverfahren ab dem 1.1.2013 beantragt worden ist. Wenn man bedenkt, dass die Zuständigkeitsänderung für die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens lediglich infolge der nunmehr möglichen Eingriffsbefugnisse in Gesellschafterrechte eingeführt worden ist, ist der Gesetzgeber mit dieser Zuständigkeitsregelung deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Eine Einschränkung der Zuständigkeit zugunsten der Insolvenzrichter für Insolvenzpläne, bei denen in die Rechte der Anteilseigner eingegriffen werde, wäre ausreichend gewesen.4)
___________ 3) Frind, ZInsO 2011, 2249, 2259. 4) Frind, ZInsO 2011, 656.
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C. Schmidt/Stahlschmidt
Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung II.
Vorprüfung durch das Gericht
1.
Allgemeines
§ 35
Der Gesetzgeber hat bezüglich der anzulegenden Prüfungsmaßstäbe verschiedene Punkte 7 definiert, teilweise gibt es Unterschiede, die in Abhängigkeit vom Vorlageverfasser zu sehen sind. Es gibt Anforderungen, die sowohl für Insolvenzpläne, die seitens des Insolvenzverwalters vorgelegt werden, gelten, als auch für Pläne, die durch den Insolvenzschuldner vorgelegt werden. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Voraussetzungen, die nur bei Vorlage eines Plans durch den Schuldner erfüllt werden müssen. Gemäß § 231 InsO hat das Insolvenzgericht den eingereichten Plan auf die Einhaltung 8 der gesetzlichen Mindestanforderungen zu prüfen. Hierbei wird zwischen einem vom Insolvenzverwalter vorgelegten Plan und einem vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplan unterschieden. So sind nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei einem Verwalterplan die Vorlageberechtigung und die Einhaltung der Vorschriften über den Inhalt des Plans zu prüfen. Bei einem Schuldnerplan sind darüber hinaus noch die Erfolgsaussichten und die Erfüllbarkeit des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO zu verifizieren. Diese Voraussetzungen sind abschließend. Im Rahmen der Vorprüfung gilt der Beibringungsgrundsatz, so dass das Gericht keine 9 Sachverständigen hinzuziehen kann und darf.5) Dafür spricht, dass § 5 InsO, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gesetzlich verankert ist, nur für das Regelinsolvenzverfahren gilt und der Insolvenzplan dagegen gerade eine abweichende Regelung hiervon durch vertragliche Vereinbarung der Beteiligten vorsieht. Dann muss aber auch der Beibringungsgrundsatz gelten, so dass das Gericht auch keine Ermittlungen anstellen und keine Sachverständigen heranziehen darf.6) Das Insolvenzgericht hat bei der Prüfung in erster Linie den Planinhalt selbst zu berücksichtigen. Es kann jedoch auch bereits erfolgte Stellungnahmen von Gläubigern heranziehen, wobei hierbei einschränkend zu berücksichtigen ist, dass sich die Meinung der Gläubiger bis zur Abstimmung noch ändern kann.7) Horstkotte spricht hierbei von einem „modifizierten Beibringungsgrundsatz“, da bei der rechtlichen Prüfung der im Plan und den Anlagen wiedergegebene Sachverhalt, ergänzt um offenkundige Tatsachen i. S. von § 291 ZPO, zugrunde zu legen sei.8) Danach muss der Plan sämtliche Sachverhaltsangaben beinhalten, die für die Prüfung der Zulässigkeit der Gruppenbildung und der Rechtsfolgen des gestaltenden Teils relevant sind. Diese Rechtsfolgen dürfen dann auch nicht im Widerspruch zu zwingenden gesetzlichen Vorschriften stehen. Rechtsfragen sind auf dieser Grundlage abschließend zu entscheiden. Im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab hat der BGH in einer grundlegenden Entschei- 9a dung ausgeführt, dass die vom Insolvenzgericht i. R. des § 231 Abs. 1 InsO vorzunehmende Prüfung die Entscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung bestmöglich wahren soll. Eine Prüfung, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, sei verwehrt.9) Vor dem Hintergrund dürfte die Prüfung der Erfolgsaussichten des im Plan dargestellten Sanierungskonzepts des Unternehmens den Gläubigern vorbehalten sein. Bei offensichtlicher Unterfüllbarkeit der Planansprüche ist beim Schuldnerplan allerdings § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu beachten. ___________ 5) A. A. Smid, ZInsO 2016, 61, 69, der vom Amtsermittlungsgrundsatz ausgeht. 6) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 231 Rz. 11; Frank, in: Braun, InsO, § 231 Rz. 1; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 5. 7) BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 21/09, ZIP 2011, 340, 341; BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, ZInsO 2011, 1550; Paul, ZInsO 2012, 259 ff. 8) Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1302. 9) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt).
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§ 35
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
9b Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat das Gericht anders als bei § 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden, so dass es sich hierbei nicht um eine bloße summarische Prüfung bzw. „Evidenzkontrolle“,10) sondern um eine abschließende Prüfung aller – auch komplexer – Rechtsfragen handelt.11) 9c Für den Planverfasser ist es unbedingt ratsam, den Planentwurf mit dem Gericht i. R. eines Vorgesprächs abzustimmen, um hier frühestmöglich Planungssicherheit zu erhalten. Nach den Erfahrungen der Verfasser besteht hierzu auch auf Seiten des Gerichts in den meisten Fällen großes Interesse und Bereitschaft. Im Übrigen dürfte ein Anspruch auf die Erörterung des Planentwurfs aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG und dem Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 19 Abs. 4 GG begründet sein.12) 2.
Vorlageberechtigung
10 Nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat das Gericht zu prüfen, ob der Plan von einem zur Vorlage Berechtigten gemäß § 218 bzw. § 284 InsO eingereicht worden ist. Die Beachtung der Mitwirkungsrechte nach den § 218 Abs. 3, § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO ist dagegen nach h. A. nicht Gegenstand der Vorprüfung.13) So hat die Mitwirkung den Zweck, dem Planvorleger möglichst frühzeitig Divergenzen auf Seiten der Mitwirkungsberechtigten aufzuzeigen, wobei unstrittig ist, dass der Planvorleger von diesen Vorstellungen abweichen kann. Angesichts der insoweit fehlenden Eingriffsrechte der Mitwirkungsberechtigten wäre es dann aber zweckwidrig, wenn die fehlende Beachtung dieser Mitwirkungsrechte zur Zurückweisung des Plans führen würde.14) Dafür spricht auch, dass in § 250 InsO explizit die Beachtung von Verfahrensvorschriften Gegenstand der Prüfung ist, während dies in § 231 InsO gerade nicht der Fall ist. Die Beachtung der Mitwirkungsrechte als reine Verfahrensvorschrift kann somit konsequenterweise nach § 231 InsO nicht Prüfungsgegenstand sein. 11 Bei einem Verwalterplan nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO muss verifiziert werden, ob das Verfahren eröffnet ist und der Vorlegende zum Verwalter bestellt ist, denn der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht zur Planvorlage berechtigt.15) Eine entsprechende Beauftragung durch die Gläubigerversammlung ist grundsätzlich nicht erforderlich. So hat der Verwalter ein Eigeninitiativrecht zur Vorlage eines Insolvenzplans. 12 Im Falle des Schuldnerplans muss nach § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO ggf. überprüft werden, ob bereits ein Insolvenzantrag eingereicht ist. Es muss nicht zwingend ein Eigenantrag vorliegen. Insbesondere ist bei juristischen Personen und Personengesellschaften zu überprüfen, ob auch die jeweils vertretungsberechtigten Organe den Plan eingereicht haben. In beiden Fällen bietet es sich an, § 18 Abs. 3 InsO analog anzuwenden.16) 13 Ein Plan kann auch gemäß § 218 Abs. 2 InsO nach Beauftragung durch die Gläubigerversammlung durch den Insolvenzverwalter vorgelegt werden. Damit wird den Gläubigern mittelbar ein Initiativrecht zur Planvorlage gewährt, wobei es dem Insolvenzverwalter ___________ 10) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346; AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240 = ZInsO 2016, 1218. 11) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1916. 12) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1914. 13) So Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 11; Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, § 231 Rz. 2; a. A.: Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 9. 14) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 11. 15) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 31 ff. 16) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 74 und 81.
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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung
§ 35
daneben möglich ist, einen weiteren Insolvenzplan aufgrund seines eigenen Initiativrechts nach § 218 Abs. 1 InsO vorzulegen. In diesem Fall muss aber bei einem der beiden Insolvenzpläne die Gläubigerbeauftragung tatsächlich vorliegen, denn zwei Pläne gleichzeitig können nicht durch denselben Vorlageberechtigten eingereicht werden. Dafür spricht schon der Wortlaut, der von der Vorlage „eines Insolvenzplans“ spricht.17) Es bietet sich im Falle der Gläubigerbeauftragung an, dies dann im Plan mitzuteilen und das Protokoll der Beauftragung als Anlage dem Plan beizufügen.18) Im Falle der Eigenverwaltung hat der Schuldner weiterhin ein originäres Initiativrecht 14 zur Planvorlage nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO. So ist § 284 Abs. 1 InsO lediglich als Sonderregelung zu verstehen, mit der Konsequenz, dass dann die Gläubiger entweder den Schuldner oder den Sachwalter zur Planerstellung und Vorlage beauftragen können. Dagegen ist strittig, ob der Sachwalter ein originäres Initiativrecht zur Planvorlage hat. Dagegen spricht der Gesetzeswortlaut des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO, der insoweit dem Sachwalter nur im Falle der Gläubigerbeauftragung die Vorlage eines Insolvenzplans ermöglicht. In § 218 Abs. 1 InsO wird lediglich dem Insolvenzverwalter – und eben nicht dem Sachwalter – ein originäres Initiativrecht zugesprochen. Dies entspricht auch der Funktion und der Stellung des Sachwalters, der nach § 274 InsO lediglich eine Überwachungsfunktion innehat.19) Inzwischen hat der BGH in seinem Beschluss vom 22.9.2016 klargestellt, dass dem Sachwalter – anders als dem Insolvenzverwalter – kein eigenes Planinitiativrecht i. S. des § 218 Abs. 1 InsO zukomme.20) Insbesondere in Großverfahren ist zu beobachten, dass von dritter Seite, insbesondere 14a von Gläubigergruppen, konkurrierende Pläne in einem Erörterungs- und Abstimmungstermin eingeführt werden. Ein solcher Plan, der per se schon am Planinitiativrecht scheitert, kann nicht zur Abstimmung stehen.21) 3.
Inhalt des Insolvenzplans
Neben der Vorlageberechtigung hat das Insolvenzgericht immer zu prüfen, ob die Vor- 15 schriften zum Inhalt des Plans nach den §§ 217, 219–230 InsO erfüllt sind. Bei der Prüfung dieser Regelungen gilt die Prämisse, dass es den Beteiligten ermöglicht werden soll, im Interesse der bestmöglichen Befriedigung das Verfahren möglichst flexibel zu gestalten.22) Gleichwohl hat insbesondere die Rechtsprechung der vergangenen Jahre diverse Planvorgaben gemacht, die zwingend eingehalten werden müssen. Gemäß § 217 InsO kann der Plan in die Befriedigungsrechte der Absonderungsberech- 16 tigten und der Insolvenzgläubiger eingreifen. Hierbei ist zu beachten, dass sich dies auf die Befriedigung beschränkt. Insbesondere kann der Plan nicht von den Vorschriften zur Feststellung der Forderungen dieser Gläubiger, die in §§ 174–186 InsO geregelt sind, ab-
___________ 17) Str.; so wie hier Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 1; Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, § 218 Rz. 1; diff. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 121 ff.; a. A. Vogl, DZWIR 2004, 490. 18) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 12. 19) So auch Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker, InsO, § 284 Rz. 6; Tetzlaff/Kern, in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 12; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 284 Rz. 3; a. A. für eine analoge Anwendung des § 218 InsO Warrikoff, KTS 1997, 532. 20) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 = ZInsO 2016, 2077, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/ Rendels). 21) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913. 22) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195; hierauf Bezug nehmend BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480, dazu EWiR 2009, 251 (Landry).
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weichen. Ansonsten könnten diesen Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss ihre Forderungen ganz oder teilweise entzogen werden.23) 17 Der Insolvenzplan darf dagegen nicht in Rechte der Aussonderungsberechtigten eingreifen. 18 Bei der Frage, ob der Insolvenzplan in die Befriedigungsrechte der Massegläubiger nach den §§ 53 – 55 InsO eingreifen darf, ist insbesondere nach der Änderung der InsO durch das ESUG zu differenzieren. Grundsätzlich darf der Insolvenzplan nicht in die Rechte der Massegläubiger eingreifen, denn diese sind in § 217 InsO nicht erwähnt. Im Falle der Anzeige der Masseunzulänglichkeit vor Einreichung des Insolvenzplans ist jedoch § 210a InsO zu berücksichtigen. Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch im Falle der Masseunzulänglichkeit ein Insolvenzplan möglich ist. So wurde bis zur Änderung der InsO durch das ESUG teilweise vertreten, dass infolge der Nichterwähnung der Massegläubiger in § 217 InsO grundsätzlich ein Insolvenzplan im Falle der Masseunzulänglichkeit nicht möglich sei, da in deren Befriedigungsrechte eben nicht eingegriffen werden könne. Hierfür spreche auch die Regelung des § 258 Abs. 2 InsO, wonach die Masseverbindlichkeiten vor Aufhebung des Planverfahrens bedient bzw. für die strittigen Masseverbindlichkeiten eine Sicherheit geleistet werden müsse.24) § 210a InsO macht jetzt im Falle der Masseunzulänglichkeit dagegen deutlich, dass dann auch in die Befriedigungsrechte der Massegläubiger, deren Forderungen vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind (Altmassegläubiger), eingegriffen werden kann.25) Dagegen kann auch im Falle der Masseunzulänglichkeit weiterhin nicht in die Befriedigungsrechte der Neumassegläubiger, also derjenigen, deren Forderungen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, eingegriffen werden.26) 19 Wie sich aus § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO ergibt, können allerdings grundsätzlich die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Sozialplanansprüche, die ebenfalls Masseverbindlichkeiten sind, im Insolvenzplan abweichend geregelt werden. 20 Im Übrigen können die betroffenen nicht zwangsweise planunterworfenen Gläubiger dem Eingriff in ihre Rechte im Insolvenzplan zustimmen.27) Rechtswirkungen diesbezüglich entfaltet dann aber nicht der Insolvenzplan als solcher, sondern die jeweils getroffene Vereinbarung zwischen diesen Beteiligten.28) 21 Eine Neuerung ist i. R. des ESUG durch den ergänzten § 217 Satz 2 InsO in Kraft getreten, wonach bei juristischen Personen und Personengesellschaften nunmehr auch die Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan mit einbezogen werden können.29) Im Falle der Umgestaltung der Rechte der Anteilsinhaber ist nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO eine gesonderte Gruppe der Anteilsinhaber zu bilden. 21a Es ist auch zulässig, dass der Plan in die Rechte sog. Neugläubiger, die erst mit Bestätigung des Plans Gläubiger werden, eingreift. Allerdings ist dann nach Ansicht des LG ___________ 23) BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480. 24) LG Dresden v. 15.7.2005 – 5 T 830/02, ZIP 2005, 1607, dazu EWiR 2005, 831 (Bähr/Landry); anders die h. M.: Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, § 258 Rz. 3; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 35; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, vor §§ 217 bis 269 Rz. 33. 25) S. dazu Smid, ZInsO 2017, 2085 f. 26) Zum Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit s. Zimmer, ZInsO 2012, 390 und Smid, ZInsO 2017, 2085. 27) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 78 ff.; zust. LG Frankfurt/M. v. 29.10.2007 – 2/9 T 198/07, ZIP 2007, 2229, dazu EWiR 2008, 115 (Hörmann). 28) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 9. 29) Vgl. hierzu Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 506; Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517; Meyer/Degener, BB 2011, 846; H.-F. Müller, KTS 2012, 419.
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Düsseldorf die ausdrückliche Zustimmung dieser Gläubiger notwendig gemäß § 230 Abs. 2 InsO analog. Stimmt der Gläubiger dem Plan nicht zu, so kann dieser Gläubiger die sofortige Beschwerde einreichen. Eine Ersetzung der Zustimmung kommt nicht in Betracht.30) Nach § 217 InsO kann der Plan auch hinsichtlich der Verwertung der Insolvenzmasse 22 und deren Verteilung an die Beteiligten eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Regelung treffen. Vor dem Hintergrund dürfte im Insolvenzplan auch eine von § 44a InsO abweichende Regelung zulässig sein.31) Auch kann der Insolvenzplan vorsehen, dass dem Schuldner noch ein wirtschaftlicher Wert verbleibt.32) Ansonsten wäre auch die Regelung in § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO überflüssig. Sie geht nämlich gerade davon aus, dass der Plan dem Schuldner einen wirtschaftlichen Wert zugestehen kann. Im Hinblick auf die Gläubigerautonomie wird eine Regelung der Verwaltervergütung im 23 Plan von einigen Stimmen befürwortet.33) Der BGH hat dagegen in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 ausgeführt, dass die Verwaltervergütung keiner Regelung im Plan zugänglich sei, da es sich hierbei um eine Masseverbindlichkeit handele, in die der Plan nicht eingreifen könne. Im Übrigen werde hierdurch die Festsetzungskompetenz des Gerichts verletzt. Allerdings kann der Verwalter bzw. Sachwalter eine Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO abgeben, in der er sich verpflichtet, keine, einen bestimmten Betrag übersteigende Vergütung zu beantragen.34) Infolge der Änderung der InsO durch das ESUG können in einem Insolvenzplan nun auch 24 von der Verfahrensabwicklung abweichende Vereinbarungen getroffen werden. So war vor der Gesetzesänderung höchst umstritten, ob ein sog. verfahrensleitender oder verfahrensbegleitender Plan zulässig ist. Hierunter versteht man Insolvenzpläne, die nicht auf eine möglichst schnelle Verfahrensaufhebung nach Bestätigung des Insolvenzplans gerichtet sind. Vielmehr sollen durch solche Pläne lediglich Unternehmensteile entschuldet und saniert fortgeführt werden. Die daneben vorhandenen nicht kurzfristig liquidierbaren Vermögensgegenstände und Haftungsansprüche sollen dann weiterhin im Regelinsolvenzverfahren realisiert werden. In § 217 InsO heißt es jetzt explizit, dass die Verfahrensabwicklung abweichend vom Re- 25 gelinsolvenzverfahren im Insolvenzplan vereinbart werden kann. Die Regelung des § 258 InsO ist insoweit ergänzt worden, wonach nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans das Insolvenzverfahren nur aufgehoben werden kann, wenn der Insolvenzplan nicht etwas anderes vorsieht. Durch diese Gesetzesänderungen hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch ein verfahrensleitender oder verfahrensbegleitender Plan zulässig ist. Nach Ansicht des BGH35) ist im Insolvenzplanverfahren keine Nachtragsverteilung vor- 26 gesehen. Sog. materielle Präklusionsvorschriften im Insolvenzplan, durch die Gläubiger von nicht 27 angemeldeten Forderungen auch im Hinblick auf die vereinbarte Planquote ausgeschlossen ___________ 30) LG Düsseldorf v. 21.9.2015 – 25 T 404/15, ZIP 2015, 2182 = ZInsO 2015, 2186 (in dem zugrunde liegenden Fall ging es um künftige Steuern auf Sanierungsgewinne). 31) Schröder, ZInsO 2015, 1040 f. 32) AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZIP 2017, 1624, dazu EWiR 2017, 765 (Hofmann); Schröder/ Rabenhorst, ZInsO 2017, 1769. 33) LG München I v. 2.8.2013 – 14 T 16050/13, ZIP 2013, 2273 = ZInsO 2013, 1966; LG Münster v. 1.10.2015 – 5 T 526/15, ZIP 2016, 1179 = ZInsO 2016, 213 (bejahend für den Fall einer einstimmigen Gläubigerzustimmung zum Plan); Haarmeyer, ZInsO 2013, 1967; Horstkotte, ZInsO 2014, 1297. 34) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = ZInsO 2017, 538, dazu EWiR 2017, 179 (Madaus). 35) BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner); so auch: OLG Celle v. 20.11.2006 – 4 U 166/06, ZIP 2006, 2394, dazu EWiR 2007, 87 (Bähr/Landry), und Hingerl, ZInsO 2008, 404.
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sind, sind nicht zulässig. Nach Ansicht des BGH stellt dies einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, für das es keine gesetzliche Grundlage gebe, seitdem der Gesetzgeber mit §§ 259a f. InsO Sonderregelungen getroffen habe. Entsprechende Regelungen im Plan sind deswegen unwirksam, solange sie über die Wirkung der Verjährungsvorschriften hinausgehen.36) Eine solche Klausel ist selbst dann unzulässig, wenn der Schuldner Restschuldbefreiung beantragt hat. Obwohl sie in diesem Fall mit dem Verlust ihrer Forderung rechnen müssen, rechtfertigt dies nicht den Ausschluss dieser Gläubiger i. H. der Insolvenzquote.37) Die Unzulässigkeit materieller Ausschlussklauseln gilt auch gegenüber zwar angemeldeten, aber bestrittenen Forderungen, bei denen nicht rechtzeitig Feststellungsklage zur Insolvenztabelle erhoben wurde.38) Anders sind dagegen rein verfahrensmäßige Ausschlussklauseln zu beurteilen. Hierbei werden nicht angemeldete oder bestrittene und nicht feststellungsklageweise geltend gemachte Forderungen nur von der Verteilung der im Insolvenzplan vorgesehenen Ausschüttung und sonstigen in §§ 255 ff. InsO geregelten prozessualen Wirkungen ausgenommen. Im Übrigen bleiben diese Forderungen i. H. der vorgesehenen Planregelung bestehen. Nach einer Entscheidung des BAG sind solche verfahrensmäßigen Ausschlussklauseln zulässig.39) 28 Nach § 217 InsO kann im Plan die Haftung des Schuldners abweichend von den gesetzlichen Regelungen vereinbart werden. Damit kann bei natürlichen Personen von den Vorschriften der §§ 201, 286 bis 303 InsO abgewichen werden.40) Ist im Plan nichts anderes bestimmt, dann erlangt der Schuldner nach § 227 InsO die Restschuldbefreiung hinsichtlich der Verbindlichkeiten, die er laut dem Plan nicht befriedigen soll. Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit gilt dies nach § 227 Abs. 2 InsO entsprechend für die persönliche Haftung der Gesellschafter. Bei juristischen Personen und Personengesellschaften kann aufgrund des § 217 Satz 2 InsO nunmehr auch in die Anteilsrechte der am Schuldner beteiligten Personen eingegriffen werden (siehe Rz. 21). 28a Nur zulässige Planregelungen können Gegenstand von Planbedingungen sein und sie müssen vor der Bestätigung des Plans eintreten können, was bspw. bei der Verwaltervergütung nicht der Fall ist.41) 28b Nicht nur die Schlussrechnungslegung nach § 66 Abs. 1 InsO, sondern auch die gerichtliche Schlussrechnungsprüfung nach § 66 Abs. 2 InsO kann im Insolvenzplan wirksam abbedungen werden.42) 29 Der Plan selbst muss nach § 219 InsO zwingend in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil gegliedert sein. Insoweit prüft das Gericht, ob überhaupt ein darstellender und gestaltender Teil vorliegt. 30 Im darstellenden Teil nach § 220 InsO soll beschrieben sein, welche Maßnahmen nach Verfahrenseröffnung getroffen worden sind bzw. noch getroffen werden. Daneben muss der Plan alle Angaben zu Grundlagen und Auswirkungen beinhalten, die den Gläubigern ermöglichen, eine Entscheidung über den Plan zu treffen. Dies läuft darauf hinaus, dass das Planziel (Fortführung/Sanierung oder Liquidierung) angegeben wird. Der BGH führt ___________ 36) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346; s. a. Brünkmans, ZInsO 2016, 245, und Takjas/Kunkel, ZInsO 2017, 1186 f. 37) BGH v. 3.12.2015 – IX ZA 32/14, ZInsO 2016, 148 ff. = ZIP 2016, 85, dazu EWiR 2016, 277 (Bähr). 38) Brünkmans, ZInsO 2016, 245. 39) BAG v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, ZIP 2016, 178 = ZInsO 2016, 220, dazu EWiR 2016, 179 (Klasen); vgl. auch Brünkmans, ZInsO 2016, 245, 247. 40) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 128. 41) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = ZInsO 2017, 538. 42) AG Ludwigshafen v. 10.4.2015 – 3 f IN 27/14 Lu, ZIP 2015, 991 = ZInsO 2015, 859, dazu EWiR 2015, 523 (Henkel/Kanschik).
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in seiner wegweisenden Entscheidung vom 7.5.2015 aus, dass im darstellenden Teil des Plans diejenigen Angaben unerlässlich sind, die die Gläubiger für ein sachgerechtes Urteil über den Insolvenzplan, gemessen an ihren eigenen Interessen, benötigen.43) Die Vorschrift des § 220 Abs. 2 InsO enthalte demnach keine fakultative Angabe, sondern eine zwingende Regelung.44) Daneben ist eine Vergleichsrechnung zwischen der Position der Gläubiger im Regelinsolvenzverfahren und derjenigen, die durch den Plan bewirkt wird, aufzustellen.45) Nur dadurch kann den Gläubigern im Ergebnis eine Entscheidungsgrundlage gegeben werden. Im Ergebnis ist somit ein Quotenvergleich notwendig.46) Hierbei sind die Vermögensgegenstände einzeln anzugeben und vollständig zu erfassen,47) wobei umfassende Ausführungen zu Details der Vermögensgegenstände nicht erforderlich sind.48) Die Werte sind möglichst aktuell einzustellen und weiterzuentwickeln.49) Hierbei müssen bei einem Schuldnerplan alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse angegeben und offengelegt werden. Ein Verheimlichen von Vermögensgegenständen stellt eine unlautere Herbeiführung der Annahme des Plans dar, so dass dann der Plan nach § 231 InsO zurückgewiesen werden kann.50) Grundsätzlich sind Erinnerungswerte und Rückstellungen bei unklarer Sach- und Rechtslage zulässig.51) Wenn innerhalb der Vergleichsrechnung Fehler vorhanden sind, die für die Gläubigerbefriedigung von Bedeutung sind, kann der Plan unzulässig sein.52) Bei natürlichen Personen muss bei der fiktiven Vergleichsrechnung für die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens ggf. eine angemessene Gehaltssteigerung einkalkuliert sein.53) Eine Pflicht, als Alternativszenario auch einen Investorenprozess einzuleiten, besteht dagegen nicht,54) insbesondere wenn das fehlende Aufsetzen eines Investorenprozesses gut begründet ist (z. B. keine Vermögenswerte, Unternehmen steht und fällt mit Gesellschafter, Aufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft, wichtiges Vermögen wie Lizenzen und Patente im Eigentum Dritter oder Changeof-Control-Klausel bei wichtigen Verträgen etc.). Das Szenario einer Gesamtveräußerung kann nur in Betracht kommen, wenn konkrete Angebote hierfür im Beurteilungszeitraum vorliegen. Abstrakte Übertragungs- und Gesamtverkaufsmöglichkeiten müssen gerade nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden.55) Angesichts des Erfordernisses einer Entscheidungsgrundlage für die Gläubiger sind im 31 Plan bei natürlichen Personen, der eine Unternehmensfortführung vorsieht, strafrechtliche Verurteilungen des Schuldners wegen Insolvenzstraftaten anzugeben, die eine Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigen würden.56) Daneben sind im darstellen___________ 43) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 44) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZInsO 2012, 173 ff. = ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/ Körner); BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 45) Zur Frage der Kontrolltiefe der Vergleichsrechnung durch das Gericht s. Smid, ZInsO 2016, 61, 74. 46) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4. 47) AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZInsO 2014, 2530 ff. = ZIP 2014, 1601. 48) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 = NZI 2010, 734, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). 49) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 = NZI 2010, 734. 50) LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/24, NZI 2016, 494. 51) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 52) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 53) LG Hamburg v. 18.11.2015 – 326 T 109/15, ZInsO 2016, 47. 54) Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 189 f.; so auch LG Stade v. 20.12.2017 – 7 T 151/17, juris; a. A. Fröhlich/ Bächstädt, ZInsO 2011, 985. 55) LG Stade v. 20.12.2017 – 7 T 151/17, juris. 56) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZInsO 2012, 173 = ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/ Körner); anders noch die Vorinstanz, die grundsätzlich die Angabe von Insolvenzstraftaten verlangte (LG Berlin v. 27.12.2007 – 86 T 657/07, ZIP 2008, 324, dazu EWiR 2008, 411 (Bähr)).
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den Teil des Plans bestehende Forderungen gegen Gesellschafter aus Darlehen, vorhandene Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer nach § 64 GmbHG und wahrscheinlich bestehende Anfechtungsansprüche, mitzuteilen.57) 32 Wenn die Gläubiger aus den Erträgen des fortgeführten schuldnerischen Unternehmens befriedigt werden sollen, ist die nach § 229 InsO dem Plan beizufügende Plan-Vermögensübersicht, Plan-Erfolgsrechnung und Plan-Liquiditätsrechnung im darstellenden Teil zu erläutern. Bei natürlichen Personen ist die Möglichkeit einer selbstständigen Tätigkeit aufzuzeigen und mögliche Erlöse hieraus sind aufzuzeigen. Dies soll auch gelten, wenn der Schuldner für sich entschieden hat, keine selbstständige Tätigkeit mehr aufzunehmen.58) Zur Plan-Liquiditätsrechnung hat der BGH ausgeführt, dass diese nicht zwingend in tabellarischer Form vorliegen muss. Es genügt, wenn im Plan schriftliche Ausführungen zu den Einnahmen und Ausgaben des Schuldners während des Planzeitraums gemacht werden.59) Wenn der Insolvenzplan die Zahlung von Drittmitteln zur Befriedigung der Gläubiger vorsieht, dann muss eine Erklärung des Dritten beigefügt sein, aus der sich ergibt, dass diese Drittmittel frei verfügbar und bestandssicher zur Verfügung stehen.60) Nach § 229 Satz 3 InsO sind bei der Vermögensübersicht sowie dem Ergebnisund Finanzplan auch die dem Planersteller bekannten Forderungen zu berücksichtigen, die aber bisher noch nicht angemeldet worden sind. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindert werden, dass der Plan nach rechtskräftiger Bestätigung durch nachträglich angemeldete Forderungen nicht mehr erfüllt werden kann. Für die gerichtliche Vorprüfung bedeutet dies, dass hierzu vom Planersteller eine Aussage im Plan enthalten sein muss. Entweder der Planersteller macht im Plan deutlich, dass keine weiteren Gläubiger mehr bekannt sind, oder er bildet für diese möglichen Gläubiger eine Rückstellung. 33 Falls der Insolvenzplan eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens vorsieht, ist § 230 InsO zu beachten. Danach ist bei einem Verwalterplan zwingend eine Erklärung des Schuldners oder bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit bzw. KGaA solcher Personen, die nach dem Plan nunmehr Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, beizufügen. Aus dieser Erklärung muss sich ergeben, dass diese Personen zur Fortführung des Unternehmens bereit sind. 34 Hinsichtlich des gestaltenden Teils des Insolvenzplans nach § 221 InsO ist zu berücksichtigen, dass dieser neben dem gerichtlichen Bestätigungsbeschluss und dem Tabelleneintrag einen Vollstreckungstitel bildet.61) Vor diesem Hintergrund müssen die Änderungen in der Rechtsstellung der Beteiligten hinreichend bestimmt sein. Daran kann es fehlen, wenn der Plan nach einer Abschlagszahlung noch eine Schlusszahlung vorsieht, bei der unklar ist, an wen und mit welchem Anteil der Restbetrag ausgeschüttet werden soll.62) Auch die Fälligkeit der Planquote muss hinreichend bestimmt sein. Dies ist nicht der Fall, wenn sie von aufschiebenden Bedingungen abhängig ist, deren Eintritt möglicherweise nicht sicher ist.63) Es fehlt auch dann an einer hinreichenden Bestimmtheit, wenn der endgültige aktualisierte Plan auf eine vorherige Planversion Bezug nimmt, weil dann mehrere Planfassungen hätten zugestellt werden müssen.64) ___________ 57) 58) 59) 60) 61) 62)
BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 = NZI 2010, 734. LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/14, NZI 2016, 494. BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341. LG Hamburg v. 18.11.2015 – 326 T 109/15, ZInsO 2016, 47. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 14. AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081 = ZInsO 2016, 2093, dazu EWiR 2017, 23 (Körner). 63) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141 IX ZB 49/17. 64) AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZInsO 2016, 2209 = NZI 2016, 1002.
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Nach § 221 Satz 2 InsO kann im gestaltenden Teil des Plans auch bestimmt sein, dass der 35 Verwalter ermächtigt wird, die zur Umsetzung des Plans notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Verwalter ermächtigt sein, in Abstimmung mit dem Gericht mögliche Formfehler ohne erneute Einberufung der Gläubigerversammlung zu berichtigen, um die Umsetzung des Plans zu ermöglichen. Der Gesetzgeber nennt hier explizit Formfehler, die ggf. die Eintragung von im Plan vorgesehenen Umständen in das jeweilige Register verhindern, und bezieht sich dabei auf entsprechende Durchführungsvollmachten in Notarverträgen, die sich dort bewährt haben.65) § 248a InsO sieht dann jedoch vor, dass eine Berichtigung des Insolvenzplans der Bestätigung des Insolvenzgerichts bedarf.66) Eine solche Planberichtigungsklausel kann jedoch unzulässig sein, wenn sie unbestimmt ist und die Planberichtigungsbefugnis des Verwalters nach § 221 Satz 2 InsO sowie das gerichtliche Planberichtigungsbestätigungsverfahren leerlaufen lässt.67) Die in einem Insolvenzplan enthaltene salvatorische Klausel, wonach die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt sein soll, wenn eine Bestimmung des Insolvenzplans unwirksam ist, ist unzulässig. So führen Planregelungen, die gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen, immer zur Zurückweisung des Plans bzw. zur Versagung der Planbestätigung. Dem könne man nicht mit einer salvatorischen Klausel entgegenwirken.68) Der Insolvenzplan kann auch nicht den Insolvenzverwalter bevollmächtigen, nach Auf- 35a hebung des Insolvenzverfahrens eine bisher noch nicht anhängig gemachte Insolvenzanfechtungsklage zu erheben. Eine solche Regelung ist unzulässig und verstößt gegen § 221 Satz 1 InsO sowie gegen § 259 Abs. 3 Satz 3 InsO.69) Auch eine Bevollmächtigung eines anwaltlichen Treuhänders, der eine Masseforderung zwecks Nachtragsverteilung nach Verfahrensaufhebung einziehen soll, ist unzulässig. Dies stellt einen Verstoß gegen § 259 Abs. 3 Satz 3 InsO dar, da diese Regelung angesichts ihres Ausnahmecharakters nicht auf andere als schwebende Insolvenzanfechtungsklagen analog anzuwenden ist.70) Wenn in der Insolvenz einer Genossenschaft ein Plan vorgelegt wird, muss das Gericht 36 daneben noch prüfen, ob insoweit die besonderen Inhaltsbestimmungen des Plans nach § 116 GenG erfüllt sind. 4.
Sachgerechte Gruppenbildung
Nach § 231 InsO unterliegt auch die Gruppenbildung nach § 222 InsO der Vorprüfung 37 durch das Insolvenzgericht (siehe zur Gruppenbildung ausführlich § 28). Hierbei ist vom Insolvenzgericht zu prüfen, ob der Insolvenzplan bei der Festlegung der Rechte die in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 4 InsO genannten obligatorischen Gruppen der absonderungsberechtigten Gläubiger, der nicht nachrangigen Gläubiger und der am Schuldner beteiligten Personen vorsieht, soweit der Insolvenzplan in deren Rechte eingreift. Die in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO benannte obligatorische Gruppe der Anteilsinhaber ist hinzugefügt worden, da nunmehr der Insolvenzplan nach § 217 Satz 2 InsO auch in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte dieser Anteilsinhaber eingreifen kann.71) Nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO sind auch für die nachrangigen Gläubiger eigene Gruppen zu ___________ 65) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, Begr. zu § 221 Satz 2 und § 248a, BT-Drucks. 17/ 7511. 66) Vgl. hierzu Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 67) AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZInsO 2014, 2530 ff. = ZIP 2014, 1601. 68) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 69) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 70) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 71) S. hierzu auch Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1918.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
bilden, soweit deren Forderungen nach § 225 InsO nicht als erlassen gelten. Angesichts der gegebenen Gestaltungsfreiheit kann auch eine im System des § 39 InsO weiter hinten angesiedelte Rangklasse im Plan geregelt werden, ohne dass zwangsläufig vorangehende Klassen abweichend im Plan geregelt werden müssen.72) 38 Innerhalb einer Gruppe von Beteiligten mit gleicher Rechtsstellung können nach § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO Gruppen von Beteiligten mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen gebildet werden, sog. fakultative Gruppenbildung. Sowohl Gläubiger als auch Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten am Schuldner müssen also nicht zwangsläufig gleichbehandelt werden, auch wenn sie die gleiche Rechtsstellung haben. Die innerhalb dieser Gruppe mögliche Gruppenaufspaltung nach gleichartigen wirtschaftlichen Interessen muss dann aber nach § 222 Abs. 2 InsO sachgerecht erfolgen, wobei die Abgrenzungskriterien im Plan nach § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO angegeben werden müssen. Im Rahmen der Vorprüfung hat das Insolvenzgericht im Falle einer fakultativen Gruppenbildung somit zu überprüfen, ob überhaupt die dabei berücksichtigten Abgrenzungskriterien im Plan dargestellt worden sind.73) Diese Abgrenzungskriterien dürfen nicht rein floskelhaft und unbestimmt formuliert sein.74) Es hat dann weiter zu überprüfen, ob die Gruppenbildung den im Plan dargelegten Kriterien entspricht.75) Nach der Entscheidung des AG Köln vom 6.4.201676) erfordert die sachgerechte Abgrenzung der Gruppen nach § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO die Darlegung, dass es für Unterscheidung von zwei oder mehr gebildeten Gruppen einen sachlich gerechtfertigten Grund gibt, was einem Differenzierungsverbot gleichkommt. Ferner hat das Gericht entschieden, dass Gläubiger mit im Wesentlichen gleichartigen wirtschaftlichen Interessen in einer Gruppe zusammengefasst werden müssen. Darüber hinaus ist eine über § 222 Abs. 1 InsO hinausgehende Gruppendifferenzierung nur dann gerechtfertigt, wenn den so separierten Gläubigern jeweils andere Rechte zugewiesen werden. In einem konkreten Fall hat der BGH es nicht beanstandet, dass alle Forderungen der Arbeitnehmer und der Agentur für Arbeit, soweit die Arbeitnehmerforderungen auf die Agentur übergegangen sind, in einer Gruppe zusammengefasst wurden, da hier für beide Gläubiger der Erhalt der Arbeitsplätze eine besondere Rolle spiele. Da dies auf der Hand liege, führt auch eine fehlende Begründung dieser Gruppenbildung nicht zur Zurückweisung.77) Auch die Zusammenfassung der Sozialversicherungsträger, der Krankenkassen und des Fiskus in einer Gruppe ist zulässig, da diese Forderungen öffentlich-rechtlich festgesetzt und verfolgt werden.78) Das AG Cuxhaven hat festgestellt, dass auch die Bildung einer eigenen Gruppe für Gläubiger mit Drittsicherheiten zulässig und sachgerecht sein kann.79) 39 In § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber klargestellt, dass neben den Kleingläubigern auch die Anteilsinhaber besonders behandelt werden dürfen, die nur mit einem äußerst geringen Anteil, nämlich mit weniger als 1 % oder mit weniger als 1.000 EUR, am Schuldner beteiligt sind und keinen unternehmerischen Einfluss haben. Insoweit stellt die Beteiligungshöhe ein zulässiges Abgrenzungskriterium dar. Falls jedoch innerhalb der Gruppe der Kleingläubiger mehrere Gruppen gebildet werden, ist ebenfalls eine sachge___________ 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78) 79)
980
Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1919. AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240 = ZInsO 2016, 1218. LG Mainz v. 2.11.2015 – 8 T 132/15, ZIP 2016, 587, dazu EWiR 2016, 183 (Storz). Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 99. AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240 = ZInsO 2016, 1218. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZInsO 2017, 2128.
C. Schmidt/Stahlschmidt
Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung
§ 35
rechte Abgrenzung und die Angabe der Abgrenzungskriterien im Plan erforderlich.80) Nach Ansicht des AG Hamburg muss der Insolvenzplan über das Vermögen einer natürlichen Person für Gläubiger mit Forderungen, die nicht der Restschuldbefreiung nach § 302 InsO unterliegen, eine gesonderte Gruppe bilden.81) In der Literatur ist vereinzelt vertreten worden, dass das Insolvenzgericht den Plan auch 40 auf manipulative Gruppenbildung zu überprüfen hat. Danach verstößt der Plan gegen § 222 InsO, wenn die Gruppenbildung gezielt auf die Herstellung eines bestimmten Abstimmungsergebnisses gerichtet ist.82) Die Ansicht wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt, mit der Begründung, dass die Gestaltungsgrenze lediglich in einer sachgerechten Gruppenbildung bestehe. Dagegen dürfe der Planverfasser bei der Gruppenbildung sehr wohl strategische Gesichtspunkte insbesondere im Zusammenhang mit dem Abstimmungsergebnis berücksichtigen.83) Diese Ansicht hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zum geänderten § 231 InsO nach dem ESUG bestätigt. Danach soll die Ergänzung von § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch den Wortlaut „insbesondere zur Bildung von Gruppen“ deutlich machen, dass das Gericht „insbesondere die sachgerechte Gruppenbildung überprüfen müsse“. Im Rahmen der Vorprüfung durch das Gericht besteht die Möglichkeit die Gruppenbildung dahingehend zu analysieren, ob ein Mindestmaß an überprüfbaren Kriterien berücksichtigt wurde, um ggf. Manipulationen bei der Abstimmung über den Plan zu vermeiden. Das Insolvenzgericht hat daher die Möglichkeit, die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen oder auch gemäß § 231 InsO den Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen. Es ist befugt, dies schon vor der Abstimmung zu tun, wenn die Vorschriften über die Gruppenbildung verletzt worden sind.84) Eine Gruppe mit nur einem Gläubiger (Ein-Personen-Gruppe) oder ein Insolvenzplan mit 41 nur einer Gruppe (Ein-Gruppen-Plan) ist grundsätzlich zulässig.85) 5.
Erfolgsaussichten und Erfüllbarkeit des Insolvenzplans
Im Rahmen der Vorprüfung obliegt dem Insolvenzgericht auch die Aufgabe, einen vom 42 Schuldner vorgelegten Insolvenzplan auf seine offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten und offensichtlich fehlende Erfüllbarkeit hin nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO zu überprüfen. Insbesondere, wenn schon bei der gerichtlichen Vorprüfung feststeht, dass ein erfolgreicher Minderheitenschutzantrag gestellt wird, der auch nicht durch eine gesicherte Kompensationszahlung ausgeglichen werden kann, kann das Gericht den Plan mangels Erfolgsaussichten nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO zurückweisen.86) Im Hinblick auf die offensichtliche Unerfüllbarkeit des Plans sind die im gestaltenden 42a Teil dargestellten Ansprüche zu überprüfen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich i. d. R. um Prognosen zur wirtschaftlichen Zukunft des Unternehmens handelt, deren Eintreten von verschiedenen Bedingungen abhängig und somit schwierig zu beurteilen ist. Für das Gericht empfiehlt es sich, in diesem Bereich eher eine defensive Rolle einzuneh___________ 80) LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, ZIP 2013, 1541 = NZI 2013, 646 (m. Anm. Lojowsky), dazu EWiR 2013, 661 (Frind). 81) AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67 c IN 232/13, ZInsO 2016, 2209. 82) Smid, InVo 1997, 169, 177. 83) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 100 ff.; Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 3; Lüer/ Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 10. 84) Raab, jurisPR-InsR 15/2013 Anm. 4. 85) Thies, in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 4; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 30; zur EinPersonen-Gruppe Hingerl, ZInsO 2007, 1337; zum Ein-Gruppen-Plan Bilgery, DZWIR 2001, 316. 86) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576 = ZInsO 2017, 1779 = NZI 2017, 751 (m. Anm. Madaus), dazu EWiR 2017, 601 (Horstkotte).
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§ 35
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
men. Die Erfüllbarkeit sollte grundsätzlich nur dann in Zweifel gezogen werden, wenn die entsprechenden Probleme objektiv aus dem vorgelegten Plan hervorgehen. Sie muss sich dem Gericht ohne die Beteiligung Dritter, z. B. Sachverständiger, erschließen. Das BSG spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von einer sog. Evidenzprüfung.87) 42b Anders als im Falle von behebbaren inhaltlichen Mängeln nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist für den Fall der offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten oder Erfüllbarkeit des Plans nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO keine Nachbesserungsmöglichkeit vorgesehen.88) 6.
Wiederholte Planvorlage
43 Legt der Insolvenzschuldner einen Insolvenzplan vor, muss das Insolvenzgericht nach § 231 Abs. 2 InsO zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen überprüfen, ob es sich um eine erneute Planvorlage handelt. Hierbei sind die drei folgenden Arten von Insolvenzplänen zu unterscheiden, Pläne die
von den Gläubigern abgelehnt,
vom Gericht nicht bestätigt oder
vom Schuldner nach der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen worden sind.
44 Liegt eine dieser Voraussetzungen bei einem vom Schuldner vorgelegten vorherigen Plan vor, ist der neue Insolvenzplan des Schuldners durch das Gericht zurückzuweisen, sofern der Insolvenzverwalter dies beantragt. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, bedarf der Antrag des Verwalters der Zustimmung dieses Gläubigerausschusses, § 231 Abs. 2 InsO. Ziel der Regelung ist es, zu vermeiden, dass der Insolvenzschuldner sein Recht, einen eigenen Plan vorzulegen, missbraucht und durch erneute bzw. wiederholte Planvorlagen die Befriedung der Gläubiger sowie den Fortgang des Verfahrens beeinträchtigt. 7.
Entscheidung des Gerichts
45 Die Zurückweisung des Insolvenzplans erfolgt im Beschlusswege. Das zulässige Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Insolvenzgerichts ist die sofortige Beschwerde, § 231 Abs. 3 InsO. 46 Sofern der vorgelegte Plan nicht zurückgewiesen wird, erfolgt nach Abschluss der Vorprüfung eine Übersendung des Plans zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 InsO an den Gläubigerausschuss, falls ein solcher bestellt ist, den Betriebsrat und den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten sowie den Insolvenzverwalter bzw. den Insolvenzschuldner, je nachdem, wer den Plan vorgelegt hat. 47 Problematisch ist, dass sich aus der Übersendung des Plans zur Stellungnahme eben auch Gründe für die Zurückweisung finden können. Nach Veranlassung der Stellungnahmen ist aber ein Zurückweisungsbeschluss nach § 231 InsO nicht zulässig, da das Gesetz davon ausgeht, dass die Stellungnahmen erst eingeholt werden, wenn die Vorprüfung abgeschlossen ist und sich keine Zurückweisungsgründe finden lassen. Der BGH hat hierzu in einer Entscheidung Stellung genommen und betont, dass die Einholung einzelner Stellungnahmen dann zulässig ist, wenn dies ausdrücklich der Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung dient und sich dementsprechend auch nur an diejenigen richtet, de___________ 87) BSG v. 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 R, ZIP 2003, 445, 447. 88) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 38; AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZInsO 2016, 2209 = NZI 2016, 1002; a. A. dagegen Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 2; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 231 Rz. 11.
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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung
§ 35
nen eine Schlechterstellung droht. Dann liege keine Zuleitung nach § 232 InsO und somit keine konkludente Zulassung des Plans vor. Das Gericht könne den Plan dann noch zurückweisen.89) Darüber hinaus kann das Insolvenzgericht außerdem Stellungnahmen der berufsständi- 48 schen Vertretungen oder anderer sachkundiger Stellen einholen, sofern es dies für geboten erachtet, § 232 Abs. 2 InsO. 8.
Fristen
Nach § 231 Abs. 1 Satz 2 InsO soll die Entscheidung des Gerichts innerhalb von zwei 49 Wochen nach Vorlage des Insolvenzplans erfolgen. Vor dem ESUG fehlte eine solche Fristenregelung. Damit wird einem Bedürfnis der Praxis nach einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung getragen, da dies die Sanierungschancen von Unternehmen erhöht. So wurde auch zum alten Recht die Ansicht vertreten, dass das Gericht den Plan nach Vorlage unverzüglich zu prüfen hat.90) Durch die insoweit hinzugefügte Regelung als Sollvorschrift betont der Gesetzgeber diese Notwendigkeit. Gleichwohl soll dem Insolvenzrichter bei komplexeren Sachverhalten die Möglichkeit offenbleiben, eine längere Vorprüfung vorzunehmen. Im Sinne der Verfahrensbeschleunigung wird im Falle eines Schuldnerplans, der mit dem Insolvenzantrag eingereicht wird, richtigerweise vertreten, dass das Gericht auch schon vor Verfahrenseröffnung den Plan nach § 231 InsO prüfen und ggf. bei Mängeln beheben lassen kann, solange die Zustellung erst nach Verfahrenseröffnung erfolgt.91) Hinsichtlich der Fristen zur Abgabe der Stellungnahme siehe § 37 Rz. 9 f. III.
Niederlegung des Insolvenzplans
1.
Öffentlichkeit
Die Niederlegung des Insolvenzplans zur Einsicht der Beteiligten stellt einen wesent- 50 lichen Punkt im Verfahren zur Aufstellung des Insolvenzplans dar. Durch die Niederlegung soll allen Verfahrensbeteiligten eine Chance auf eine angemessene Beteiligung und die Gelegenheit zur Einsicht in die gerichtlichen Unterlagen gegeben werden. Das hiermit verbundene Recht zur Einsicht der Beteiligten richtet sich ausschließlich gegen das Insolvenzgericht, nicht etwa auch gegen den Insolvenzverwalter. Somit können die Beteiligten auch Abdrucke oder Auszüge von Insolvenzplänen sowie sonstigen Unterlagen nur vom Insolvenzgericht erbitten. Der Insolvenzplan nebst Plananlagen und alle eventuell eingegangenen Stellungnahmen 51 sind auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Hierdurch soll den Beteiligten die Gelegenheit für eine optimale Vorbereitung auf den Erörterungs- und Abstimmungstermin geben werden. Eine nicht ordnungsgemäß erfolgte Niederlegung kann möglicherweise zu „Rügen“ der Verfahrensbeteiligten und damit Verfahrensverzögerungen führen. Sie kann außerdem dazu führen, dass sich Verfahrensbeteiligte aufgrund unvollständig niedergelegter Unterlagen gegen eine Teilnahme an dem Erörterungs- und Abstimmungstermin entscheiden; dies kann ebenfalls negative Auswirkungen auf den weiteren Verfahrensablauf sowie eventuelle Haftungsansprüche begründen.
___________ 89) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576 = ZInsO 2017, 1779 = NZI 2017, 751 (m. Anm. Madaus); s. a. Paul, ZInsO 2012, 259. 90) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 3. 91) Frank, in: Braun, InsO, § 231 Rz. 9.
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§ 35 2.
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Einsichtsrechte
52 Ein Einsichtsrecht in die niedergelegten Unterlagen haben alle Beteiligten am Insolvenzplanverfahren, dies sind die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, sofern durch den Plan in ihre Rechte eingegriffen werden soll (§ 223 Abs. 2 Satz 2 InsO), der Insolvenzverwalter, der Insolvenzschuldner, der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten. Aus der Regelung des § 235 Abs. 2 Satz 2 InsO, die eine Bekanntmachung fordert, dass der Plan und die eingegangenen Stellungnahmen auf der Geschäftsstelle eingesehen werden können, ist zu schließen, dass die Niederlegung spätestens zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung zu erfolgen hat. 53 Mit der Niederlegung des Insolvenzplans zur Einsicht der Beteiligten endet dieser Verfahrensabschnitt.
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§ 36 Gläubigerausschuss Ampferl
I. Vorbemerkungen ........................................ 1 II. Beratende Mitwirkung bei der Planerstellung (§ 218 Abs. 3 InsO)................... 3 1. Zweck der beratenden Mitwirkung............. 3 2. Anwendungsbereich..................................... 5 3. Umfang und Ausgestaltung der Mitwirkung .......................................... 10 4. Einbeziehung der Stellungnahmen des Ausschusses ......................................... 16 5. Keine Pflicht zur Mitwirkung ................... 19 6. Rechtsfolgen bei unterlassener Beteiligung .................................................. 20 7. Vergütung ................................................... 22 III. Zustimmungsrechte.................................. 23 1. Zurückweisung des Plans bei erneuter Planvorlage (§ 231 Abs. 2 InsO)............... 23 1.1 Grundlagen des Zurückweisungsrechts............................... 23 1.2 Prüfungsmaßstab und Prüfungstiefe des Gläubigerausschusses ..... 24 2. Fortsetzung der Verwertung und Verteilung (§ 233 Satz 2 InsO) ................. 27 2.1 Einordnung der Regelung ............. 27 2.2 Antrag des Verwalters und Zustimmungsentscheidung des Ausschusses............................. 30 2.3 Rechtsmittel................................... 32 IV. Informationsrechte................................... 33 1. Stellungnahme zum Insolvenzplan (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ......................... 33 1.1 Zweck der Stellungnahme ............. 34 1.2 Zuleitung des Plans ....................... 37 1.3 Frist zur Stellungnahme ................ 39 1.4 Form und Folgen der Stellungnahme ............................................. 41
I.
1.5
Rechtsfolgen einer fehlenden Stellungnahme ............................... 45 1.5.1 Keine Stellungnahme innerhalb der Frist.......................................... 45 1.5.2 Unterlassene Anhörung durch das Gericht..................................... 47 2. Beteiligung bei Planbestätigung und Planberichtigung ........................................ 49 2.1 Zweck der Anhörung zur Planbestätigung ............................. 49 2.2 Keine Anhörungspflicht ............... 51 2.3 Art und Weise der Anhörung ....... 54 2.4 Anhörung bei der Planberichtigung ............................................. 56 2.5 Versagungsantrag bei der Planberichtigung ................................... 58 3. Information vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 3 Satz 2 InsO) .......................................................... 60 4. Aufgaben und Befugnisse des Gläubigerausschusses bei der Planüberwachung ...................................................... 63 4.1 Fortbestand der Ämter ................. 63 4.2 Aufgaben des Gläubigerausschusses..................................... 65 4.3 Anzeigepflicht des Insolvenzverwalters (§ 262 InsO) ................ 70 4.3.1 Normzweck ................................... 70 4.3.2 Gegenstand der Anzeigepflicht .... 72 4.3.3 Unverzüglichkeit der Anzeige .......................................... 75 4.3.4 Form der Anzeige.......................... 77 4.3.5 Folgen einer Anzeige für den Gläubigerausschuss ....................... 78 V. Haftungsfragen ......................................... 80
Vorbemerkungen
Zur Wahrung der Interessen der Gläubiger sind dem Gläubigerausschuss – soweit be- 1 stellt – auch im Planverfahren Mitwirkungsrechte gemäß § 218 Abs. 3, § 231 Abs. 2, § 232 Abs. 1 Nr. 1, § 233 Satz 2, § 248 Abs. 2, § 248a Abs. 2 und 3, § 258 Abs. 3 Satz 2, § 261 Abs. 2 und § 262 InsO eingeräumt, durch die er Einfluss auf die wesentlichen verfahrensrechtlichen Schritte hat. Im Rahmen des Planverfahrens finden – soweit der Plan keine abweichende Regelung trifft – 2 die allgemeinen Vorschriften Anwendung. Für den Gläubigerausschuss gelten damit die §§ 67 bis 73 InsO sowie die besonderen in verschiedenen Vorschriften normierten Rechte und Pflichten (siehe oben § 14). In diesem Kapital werden lediglich die spezifischen Rechte und Pflichten des Gläubigerausschusses i. R. eines Insolvenzplans beleuchtet.
Ampferl
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§ 36
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
II.
Beratende Mitwirkung bei der Planerstellung (§ 218 Abs. 3 InsO)
1.
Zweck der beratenden Mitwirkung
3 Die Erstellung eines Insolvenzplans ist ein längere Zeit andauernder strukturierter Prozess, einschließlich der Erstellung betriebswirtschaftlicher Planrechnungen und Analysen. 4 Zielsetzung der Regelung ist eine aktive Mitgestaltung des Ausschusses, im Gegensatz zur rein passiven Entgegennahme des ausgearbeiteten Plans.1) Durch die Beteiligung der potentiell Betroffenen am Prozess werden die Meinungsvielfalt bei der Planaufstellung erhöht, nicht annahmefähige Regelungen erkannt und zugleich aus verfahrenspsychologischer Sicht die Chancen auf Akzeptanz des vorgelegten Plans gesteigert.2) Um durch die Mitwirkung eine zügige Planung nicht zu behindern, hat der Gesetzgeber den Kreis der Teilhabenden auf den Gläubigerausschuss und andere explizit genannte Gläubigergruppen beschränkt.3) 2.
Anwendungsbereich
5 Nach Maßgabe des § 218 Abs. 3 InsO wirkt der Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung durch den Verwalter beratend mit. Ob der Plan im Auftrag der Gläubigerversammlung oder aufgrund der Eigeninitiative des Verwalters aufgestellt wird, ist insoweit unerheblich.4) Die Vorschrift des § 218 Abs. 3 InsO bezieht sich gleichermaßen auf die beiden vorherigen Absätze.5) 6 Nach allgemeiner Ansicht gilt § 218 Abs. 3 InsO seinem Wortlaut nach nicht, wenn der Schuldner den Plan aufstellt. Die Vorschrift ist auch nicht entsprechend anwendbar.6) Der Schuldner würde der gesetzlich beabsichtigten Möglichkeit beraubt, den Gläubigern mit einem vollständig ausgearbeiteten Plan zu begegnen. Wollte man § 218 Abs. 3 InsO anwenden, müssten zudem beim „pre-packaged Plan“ Gläubigergruppen herangezogen werden, die zu diesem Zeitpunkt vom bevorstehenden Insolvenzverfahren noch keine Kenntnis bekommen sollten.7) Erarbeitet der Schuldner als Eigenverwalter einen Plan, ist zu differenzieren.8) Wird er von der Gläubigerversammlung mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragt, ist der Gläubigerausschuss vom Schuldner gemäß § 218 Abs. 3 InsO einzubeziehen, da die Planinitiative von den Gläubigern ausgeht.9) Erarbeitet der eigenverwaltende Schuldner aus eigener Initiative einen Plan, so ist der Gläubigerausschuss hierbei zwar nicht nach § 218 Abs. 3 InsO zu beteiligen. Es greifen aber die allgemeinen Überwachungspflichten des § 69 InsO, insbesondere wenn Organe des Schuldners einen Dritten mit der Planerstellung auf Kosten der Masse beauftragen wollen. 7 Praxistipp: Eine frühzeitige Beschäftigung mit dem Planentwurf des Schuldners ist dem Gläubigerausschuss dennoch zu empfehlen. Das Insolvenzgericht kann bei der Vorprüfung des Insolvenzplans gemäß § 231 InsO bereits vorliegende Stellungnahmen des Gläubiger___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
9)
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Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 34; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 37. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 51; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 51. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 51. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 16. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 34. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 51; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 34. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 34. Für eine generelle Anwendbarkeit von § 218 Abs. 3 InsO auf den eigenverwaltenden Schuldner Laroche, in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 11; für eine generelle Unanwendbarkeit: Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 34. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 284 Rz. 4.
Ampferl
§ 36
Gläubigerausschuss
ausschusses berücksichtigen10) und bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen den Plan wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit zurückweisen. Unabhängig davon, ob man für den Sachwalter ein originäres Planvorlagerecht annimmt 8 oder ablehnt,11) kommt es – ebenso wie für den Fall, dass die Gläubigerversammlung den Sachwalter mit der Planausarbeitung gemäß § 284 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 InsO beauftragt – zu einer analogen Anwendung des § 218 Abs. 3 InsO, da zwischen einem Sachwalter- und einem Insolvenzverwalterplan kein sachlicher Unterschied besteht.12) Ob die Norm des § 218 Abs. 3 InsO über ihren Wortlaut hinaus auch auf die Planauf- 9 stellung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter/Sachwalter Anwendung findet, ist umstritten. Dies wird teilweise verneint, da ein solcher Plan allenfalls Entwurfs-charakter haben kann. Nach Eröffnung des Verfahrens und vor Vorlage an das Insolvenzgericht habe das Mitwirkungsverfahren nach § 218 Abs. 3 InsO stattzufinden.13) Mit der Einführung von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und § 22a InsO wurde aber die Zulässigkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses im Gesetz statuiert, um dadurch eine frühzeitige Gläubigermitwirkung zu erreichen. Die Beteiligung erst nach Eröffnung, nachdem die Planvorbereitungen schon weit fortgeschritten sind, kommt in der Regel zu spät. Wesentliche Weichenstellungen werden im Antragsverfahren getroffen. Dies spiegelt sich auch in den Mitwirkungsrechten des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 56a InsO, bei der Entscheidung über die Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 3 InsO oder bei der Aufhebung des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO wider. Wenn der Plan aufgrund zeitlicher Notwendigkeiten zunehmend im Antragsverfahren entworfen wird, ist der Gläubigerausschuss auch zu diesem Zeitpunkt einzubinden.14) 3.
Umfang und Ausgestaltung der Mitwirkung
Nach h. A. begründet § 218 Abs. 3 InsO einen Anspruch des Gläubigerausschusses gegen 10 den Insolvenzverwalter auf beratende Mitwirkung.15) Ohnehin liegt die Einbindung des Gläubigerausschusses im Interesse des um Zustimmung zum Plan bemühten Insolvenzverwalters. Zunächst hat der Gläubigerausschuss gemäß § 218 Abs. 3 InsO einen Informationsanspruch 11 gegen den Insolvenzverwalter, bezogen auf dessen Absicht einen Plan aufzustellen, die Planstruktur sowie mögliche Einzelregelungen.16) Die beratende Mitwirkung gemäß § 218 Abs. 3 InsO beschränkt sich allerdings nicht auf 12 die bloße Information über den aufzustellenden Plan. Die Aufstellung des Plans durch den Insolvenzverwalter erfolgt als Verfahrensvorschlag an die Gläubiger. Vor diesem Hintergrund muss der Ausschuss zu allen wesentlichen wirtschaftlichen Regelungen des Plans die ___________ 10) BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, ZInsO 2011, 1550. 11) Gegen ein eigenes Planinitiativrecht des Sachwalters: BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels); Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 104; dafür: Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 14. 12) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 109. 13) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 39. Zur Frage, ob ein freiwillig vom vorläufigen Verwalter durchgeführtes Mitwirkungsverfahren ein solches nach Eröffnung entbehrlich macht, Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 40. 14) Nur für eine freiwillige Einbindung Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14. 15) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 46 m. w. N.; Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 196. 16) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 218 Rz. 56; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 51.
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§ 36
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
Möglichkeit erhalten, konkret und substantiiert Stellung zu nehmen.17) Hintergründe und Plangrundlagen sind dem Ausschuss darzulegen, wie dies später ohnehin im darstellenden Teil des Plans zu erfolgen hat. 13 Das Mitwirkungsrecht steht dem Gläubigerausschuss als Kollegialorgan zu.18) Der Insolvenzverwalter hat den Gläubigerausschuss als Gesamtheit zu informieren, so wie dieser insgesamt durch Beschluss seine Vorschläge zu unterbreiten hat. Die Ausübung von Informationsrechten und das Unterbreiten von Vorschlägen durch einzelne Mitglieder des Gläubigerausschusses gefährdet die Stellung des Organs und ist deshalb nicht möglich.19) 14 Das Recht zur Stellungnahme des Gläubigerausschusses kann sich nicht in einer einmaligen Anhörung erschöpfen.20) Die Planaufstellung kann – je nach Regelungskomplexität – einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, in dem sich der Plan „weiterentwickelt“. 15 In der Praxis erfolgt die Einbindung des Gläubigerausschusses dergestalt, dass der Insolvenzverwalter i. R. der Gläubigerausschusssitzungen mit den Mitgliedern mögliche Planregelungen diskutiert, die Eckpunkte des Plans festlegt21) und den Ausschuss über den Fortgang der Planerstellung unterrichtet. 4.
Einbeziehung der Stellungnahmen des Ausschusses
16 Aus der Formulierung „wirken beratend mit“ ist zunächst zu schlussfolgern, dass ein Mitbestimmungsrecht des Gläubigerausschusses nicht besteht. Der Insolvenzverwalter kann daher von den Vorschlägen des Gläubigerausschusses abweichen.22) 17 Unabhängig von der rechtlichen Lage wird der Insolvenzverwalter die Einschätzungen des Gläubigerausschusses bereits im eigenen Interesse einbeziehen bzw. dem Ausschuss verschiedene Varianten zur Diskussion und Entscheidung vorlegen. In der Regel dürfte ein Plan keine Zustimmung der Gläubigerversammlung finden, wenn der Gläubigerausschuss ihn nicht unterstützt. Daher wird der Insolvenzverwalter i. R. der Gläubigerausschusssitzungen versuchen, einen für alle Gläubigergruppen konsensfähigen Plan zu entwickeln. 18 In formeller Hinsicht ist umstritten, ob im darstellenden Teil des Insolvenzplans die Stellungnahmen des Gläubigerausschusses aufzunehmen sind.23) Gemäß § 220 Abs. 2 InsO soll der Plan alle Angaben enthalten, die für die Entscheidung der Beteiligten erheblich sind. Eine derartige Bedeutung haben nur die abschließenden Beschlüsse des Gläubigerausschusses, die damit dem Plan als Anlage beizufügen sind, während dagegen die Diskussionsschritte und verworfenen Ideen nicht erläutert werden müssen (siehe dazu auch oben § 27 Rz. 217). 5.
Keine Pflicht zur Mitwirkung
19 Nach einer Ansicht ist § 218 Abs. 3 InsO im Hinblick auf das Ziel einer übereinstimmenden Planung weit auszulegen und eine Verpflichtung des Gläubigerausschusses zur Mit___________ Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 52. Allg. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 3; Schmitt, in: Wimmer, InsO, § 69 Rz. 12. Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 6. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 196; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 17; Lüer/ Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 37; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 46. 21) Vgl. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 55. 22) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 50, 53. 23) Dafür Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 53; dagegen wohl Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 218 Rz. 52.
17) 18) 19) 20)
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Gläubigerausschuss
beratung annehmen.24) Diese Auslegung ergebe sich auch aus § 69 Satz 1 InsO, nach dem die Mitglieder des Gläubigerausschusses den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen haben. Dieser Aspekt erfahre durch § 218 Abs. 3 InsO insoweit eine Konkretisierung.25) Eine Pflicht zur Mitwirkung ist jedoch abzulehnen. Sie ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien.26) Aus Sicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses bleibt die Mitwirkung i. S. des § 218 Abs. 3 InsO daher freiwillig. 6.
Rechtsfolgen bei unterlassener Beteiligung
Im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens hat das Gericht den Plan gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 20 InsO zurückzuweisen, wenn dieser einen nicht behebbaren Mangel bezogen auf die Vorschriften über das Recht zur Vorlage des Plans und über den Planinhalt aufweist. Eine Nichtbeachtung von § 218 Abs. 3 InsO stellt keinen solchen nicht behebbaren Verfahrensmangel dar.27) Zwar ist es nicht zielführend, wenn der Insolvenzverwalter ohne Einbindung der Beteiligten einen Plan ausarbeitet und erst nach Fertigstellung den wesentlichen Gläubigergruppen, die im Gläubigerausschuss repräsentiert sind, zur Kenntnis bringt. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass der Plan bei Nichtbeteiligung des Gläubigerausschusses vom Gericht zurückzuweisen ist. Dagegen spricht bereits die Systematik des Gesetzes.28) Gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist der Plan im weiteren Verfahrensverlauf dem Gläubigerausschuss zur Stellungnahme zuzuleiten. Damit kommt eine Zurückweisung nicht in Betracht, weil die Beteiligung auf diese Weise nachgeholt werden kann und damit behebbar ist. Eine unterlassene Beteiligung des Gläubigerausschusses führt auch nicht zur Versagung der 21 gerichtlichen Bestätigung.29) Mit der Annahme des Plans durch die Gläubigerversammlung ist ein ggf. vorhandener Mangel i. R. der Beteiligung im Vorfeld geheilt. 7.
Vergütung
Für die Mitwirkung bei der Aufstellung des Plans erhalten die Mitglieder des Gläubiger- 22 ausschusses keine gesonderte Vergütung oder Entschädigung. Auch dieser Aufwand wird von der abschließenden Vergütungsregelung des § 73 InsO abgedeckt.30) III.
Zustimmungsrechte
1.
Zurückweisung des Plans bei erneuter Planvorlage (§ 231 Abs. 2 InsO)
1.1
Grundlagen des Zurückweisungsrechts
Bei einer erneuten Planvorlage durch den Schuldner muss das Gericht nach Maßgabe des 23 § 231 Abs. 2 InsO diesen neuen Plan zurückweisen, wenn ein erster Plan des Schuldners von den Beteiligten abgelehnt, vom Gericht nicht bestätigt oder vom Schuldner nach der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen worden ist und der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses die Zurückweisung bean___________ 24) So Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 48. 25) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 49. 26) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 196; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 57; für eine freiwillige Mitwirkung auch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 18. 27) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 37 und § 231 Rz. 13; a. A. Breuer, in: MünchKommInsO, § 231 Rz. 10; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 218 Rz. 6; die Frage der Behebbarkeit nicht ausreichend beachtend Thies, in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 5. 28) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 13. 29) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 37; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 19. 30) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 51; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 64.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
tragt. Das Insolvenzgericht hat den neuen Schuldnerplan ohne eigene Ermessenserwägungen zurückzuweisen.31) 1.2
Prüfungsmaßstab und Prüfungstiefe des Gläubigerausschusses
24 Nach dem Telos der Norm soll der Schuldner daran gehindert werden, sein Planinitiativrecht durch die wiederholte Vorlage neuer Pläne zu missbrauchen, um dadurch das Verfahren zu verschleppen.32) Die Verwertung des Vermögens könnte sich dadurch verzögern. Zudem würde eine erneute Abstimmung notwendig werden. 25 Andererseits soll das Interesse der Gläubiger an der bestmöglichen Befriedigung nicht dadurch gefährdet werden, dass ein zweiter Insolvenzplan vorschnell zurückgewiesen wird.33) In diesem Kontext sind der für die Zurückweisung notwendige Antrag des Insolvenzverwalters und die dazu nötige Zustimmung des Gläubigerausschusses zu verstehen. Sie haben gesondert zu prüfen, ob die Neuvorlage eines Plans das Verfahren nur verzögert oder ob er eine reelle Chance auf Annahme hat, weil sich – im Verhältnis zum ersten Plan – wesentliche Grundlagen geändert haben. Der Ausschuss kann nicht allein die Zurückweisung beschließen und den Insolvenzverwalter verpflichten, den Antrag gemäß § 231 Abs. 2 InsO zu stellen, wie andererseits ein Antrag des Insolvenzverwalters bei Bestehen eines Gläubigerausschusses ohne dessen Zustimmung unzulässig ist. 26 Prüfungskriterium ist damit die Frage, ob sich entweder der Plan derart verbessert hat, dass ihn die Gläubiger nunmehr annehmen könnten, oder ob eine Veränderung der Ausgangslage den ursprünglich abgelehnten Plan nunmehr annahmefähig erscheinen lässt. 2.
Fortsetzung der Verwertung und Verteilung (§ 233 Satz 2 InsO)
2.1
Einordnung der Regelung
27 Gemäß § 233 Satz 1 InsO ordnet das Gericht auf Antrag des Schuldners oder des Insolvenzverwalters die Aussetzung der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse an, soweit deren Fortsetzung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährden würde. 28 Von der Aussetzung sieht das Gericht gemäß § 233 Satz 2 InsO ab oder hebt sie nach erfolgter Anordnung wieder auf, soweit damit die Gefahr erheblicher Nachteile für die Masse verbunden ist (Alt. 1) oder der Verwalter die Fortsetzung des Insolvenzverfahrens mit der Zustimmung des Gläubigerausschusses beantragt (Alt. 2). 29 Dadurch soll einer möglichen Verzögerungstaktik des Schuldners begegnet werden.34) Verhindert wird, dass der Schuldner eine vereinbarte und für die Gläubiger günstige Unternehmensveräußerung durch die Vorlage eines Fortführungsplans blockiert oder gar vollumfänglich zum Scheitern bringt. Der Schuldner soll seinen Aussetzungsantrag nicht dazu benutzen können, eine vorgezogene Masseverwertung zu vereiteln.35) 2.2
Antrag des Verwalters und Zustimmungsentscheidung des Ausschusses
30 Sind sich Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss einig, dass die Verwertung und Verteilung der Masse fortgesetzt werden muss, so kann der Verwalter dies beantragen. Der Antrag bedarf keiner besonderen Rechtfertigung oder Begründung. Das Gericht ist an ihn gebunden und hat dem Verlangen der Beteiligten ohne eigene Prüfung zu entsprechen – ___________ 31) 32) 33) 34) 35)
Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 231 Rz. 9. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 22; Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 23. Schmid-Burgk, in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 23. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 205; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 233 Rz. 1. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 233 Rz. 1, 9.
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Gläubigerausschuss
auch dann, wenn mit der Aussetzung keine Nachteile für die Masse verbunden sind.36) Bei übereinstimmenden Voten von Verwalter und Gläubigerausschuss geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Plan des Schuldners aussichtslos ist und die Beschränkungen des § 233 Satz 1 InsO zu unterlassen oder aufzuheben sind.37) Der Gläubigerausschuss selbst ist nicht antragsbefugt. Wegen der Bedeutung der Entscheidung ist der Insolvenzverwalter mit eingebunden.38) Der Ausschuss muss nicht eingehend prüfen, ob der vorgelegte Plan vorteilhafter ist als die 31 sofortige Verwertung. Ihm steht ein weiter Ermessenspielraum zugunsten der Fortsetzung der Verwertung des Vermögens zu. Dies ergibt sich aus der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 159 InsO, wonach der Insolvenzverwalter nach dem Berichtstermin das Vermögen unverzüglich verwerten soll. 2.3
Rechtsmittel
Ein Rechtsmittel ist gegen die nach § 233 getroffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht 32 gegeben, nachdem es gesetzlich nicht vorgesehen ist (§ 6 InsO).39) IV.
Informationsrechte
1.
Stellungnahme zum Insolvenzplan (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO)
Findet keine Zurückweisung des Insolvenzplans nach § 231 InsO statt, so leitet ihn das 33 Insolvenzgericht gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zwingend an den Gläubigerausschuss zur Stellungnahme weiter. 1.1
Zweck der Stellungnahme
Die in § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO gesetzlich vorgesehene Stellungnahme des Gläubigeraus- 34 schusses zum Insolvenzplan verfolgt – neben der Information des Gremiums – den Zweck, Regelungen zu identifizieren, die zu einer Ablehnung des Plans durch die Gläubiger führen würden, um durch entsprechende Änderungen des Plans die Chancen einer Zustimmung zu steigern.40) Zudem werden Insolvenzgläubiger, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht ausführlich mit dem Planinhalt beschäftigen, durch die dem Plan beizufügenden Stellungnahmen informiert. Dadurch können sie die Schwerpunkte des Plans und die damit verbundenen Konsequenzen erkennen und nachvollziehen.41) Wurde der Plan vom Verwalter vorgelegt, hat der Gläubigerausschuss in aller Regel zu- 35 vor bereits gemäß § 218 Abs. 3 InsO an der Aufstellung mitgewirkt. Da der Verwalter aber weder die Anregungen des Ausschusses zwingend zu beachten hat,42) noch der Plan bei einer fehlenden oder unvollständigen Beteiligung an der Aufstellung zurückgewiesen wird,43) ist eine (erneute) Stellungnahme des Ausschusses gesetzlich vorgesehen. Die Zuleitung des Plans ist entbehrlich, wenn der Planvorlage die Stellungnahme des Gläubigerausschusses ___________ 36) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 205; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 13; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 233 Rz. 12. 37) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 233 Rz. 19. 38) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 15; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 233 Rz. 9. 39) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 233 Rz. 10; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 233 Rz. 19. 40) Spahlinger, in: KPB, InsO, § 232 Rz. 2; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 232 Rz. 20. 41) Spahlinger, in: KPB, InsO, § 232 Rz. 2; Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 1. 42) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 49; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 56; nach Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 53, hat der Verwalter sich mit den Stellungnahmen aber eingehend zu befassen und darf diese bei der Planaufstellung nicht völlig außen vor lassen. 43) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 37.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
bereits beigefügt und zudem sichergestellt ist, dass sich die Stellungnahme auf die vorgelegte Planversion bezieht.44) 36 Stammt der Plan vom Schuldner, ist § 218 Abs. 3 InsO nicht einschlägig, so dass der Gläubigerausschuss i. R. der Aufstellung des Plans nicht mitgewirkt hat.45) Zur Auslotung der Annahmechancen ist eine Weiterleitung an den Gläubigerausschuss in dieser Konstellation zwingend erforderlich. 1.2
Zuleitung des Plans
37 Die Zuleitung erfolgt von Amts wegen. Zu übersenden ist dabei der vollständige Plan einschließlich aller Anlagen, um dem Gläubigerausschuss eine sachkundige Stellungnahme zu ermöglichen.46) Bloße Zusammenfassungen des Plans sind nicht ausreichend.47) Die notwendigen Exemplare hat der Planvorleger bei Gericht einzureichen.48) 38 Der Begriff der Zuleitung bedeutet Zustellung des Plans.49) Die Zuleitung zur Stellungnahme hat erst nach Eröffnung zu erfolgen, um die Erkenntnisse aus dem bisherigen Verfahrensverlauf ausreichend einbeziehen zu können. Der Erörterungs- und Abstimmungstermin kann gemäß § 236 InsO ohnehin frühestens zusammen mit dem Prüfungstermin stattfinden. 1.3
Frist zur Stellungnahme
39 Das Gericht bestimmt gemäß § 232 Abs. 3 InsO eine Frist für die Abgabe der Stellungnahme. Die Fristsetzung ist nicht fakultativ, sondern hat schon wegen der notwendigen Beschleunigung des Verfahrens verpflichtend zu erfolgen.50) 40 Gemäß § 232 Abs. 3 Satz 2 InsO soll die Frist zwei Wochen nicht überschreiten. Anträgen auf Fristverlängerung – sieht man sie überhaupt als zulässig an51) – sollte nur in besonderen Ausnahmefällen entsprochen werden.52) Um eine substantielle Stellungnahme zu ermöglichen, sollte die Frist mindestens eine Woche betragen. 1.4
Form und Folgen der Stellungnahme
41 Um dem Gesetzeszweck einer gebührenden Vorbereitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins gerecht zu werden, hat die Stellungnahme schriftlich zu erfolgen. Dies zeigt bereits der Wortlaut des § 234 InsO, wonach der Plan mit seinen Anlagen und den eingegangenen Stellungnahmen zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen ist.53) 42 Spricht sich der Ausschuss uneingeschränkt für den Insolvenzplan aus, wird die Stellungnahme mit dem Plan niedergelegt. Das Verfahren läuft plangemäß weiter. 43 Empfiehlt der Ausschuss Änderungen, hat dies grundsätzlich keine Auswirkungen auf das weitere Verfahren. Der Plan kann dennoch zur Abstimmung gestellt werden. Der Planver___________ 44) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 5; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 232 Rz. 8. 45) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 41; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 51; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 48. 46) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 5. 47) Im Gegensatz zur Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO: vgl. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 5. 48) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 31. 49) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 5. 50) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7; a. A. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 232 Rz. 9. 51) Verneinend wohl Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. 52) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 232 Rz. 9; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. 53) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 5.
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Gläubigerausschuss
fasser sollte allerdings prüfen, ob Änderungen geboten sind, um die erforderlichen Mehrheiten für den Plan zu erreichen. Gemäß § 240 InsO besteht die Möglichkeit, diese Änderungen vorzunehmen. Lehnt der Ausschuss den Plan ab, ist dies grundsätzlich ebenfalls ohne Auswirkungen auf 44 das weitere Verfahren. Umstritten ist, ob das Insolvenzgericht nach Weiterleitung des Plans gemäß § 232 InsO noch zur Zurückweisung gemäß § 231 InsO berechtigt ist. Mit der Weiterleitung sei die Zulassung des Plans erfolgt, so dass eine Zurückweisung ausscheide.54) Dieser Einschränkung des Zurückweisungsrechts ist nicht zuzustimmen. Aus verfahrensökonomischen Gründen kann das Gericht den Plan auch erst den weiteren Beteiligten zuleiten und dann seine Entscheidung treffen.55) 1.5
Rechtsfolgen einer fehlenden Stellungnahme
1.5.1 Keine Stellungnahme innerhalb der Frist Legt der Gläubigerausschuss innerhalb der Frist keine Stellungnahme zum Plan vor, setzt 45 das Gericht das Verfahren fort. Die Stellungnahme ist also nicht Voraussetzung für das weitere Planverfahren. Legt der Gläubigerausschuss nach Ablauf der Frist noch eine Stellungnahme vor, wird im 46 Hinblick auf eine zügige Vorbereitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins nach § 235 Abs. 1 Satz 1 InsO teilweise vertreten, dass diese nicht mehr zu berücksichtigen sei. Die Frist wird damit als Ausschlussfrist angesehen.56) Dem ist nicht zu folgen. Wenn eine fristgerechte Stellungnahme vorliegt, wird sie zusammen mit dem Plan gemäß § 234 InsO zur Information der Beteiligten niedergelegt. Es ist kein Sachgrund ersichtlich, warum später eingehende Stellungnahmen den bereits niedergelegten Unterlagen nicht hinzugefügt werden sollten, um die Informationsbasis für die Beteiligten zu verbreitern.57) 1.5.2 Unterlassene Anhörung durch das Gericht Unterlässt es das Gericht, die Stellungnahme des Gläubigerausschusses einzuholen, liegt 47 hierin kein Versagungsgrund der Planbestätigung i. S. des § 250 Nr. 1 InsO58) und auch kein Beschwerdegrund nach § 253 InsO.59) Zum einen sind die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, gemäß § 235 Abs. 3 InsO zu laden. Die Gläubiger – einschließlich der Ausschussmitglieder – erhalten damit die Möglichkeit, sich zu informieren und im Termin ihre Stellungnahmen abzugeben.60) Zum anderen ist es nicht gerechtfertigt, dem Plan die Bestätigung aufgrund eines Fehlers des Gerichts zu versagen, wenn er i. Ü. verfahrensgemäß durch Zustimmung der Gläubigerversammlung zustande gekommen ist.61) Aus den beiden vorgenannten Gründen ist erst recht kein Grund für eine Versagung der 48 gerichtlichen Planbestätigung gegeben, wenn es das Gericht versäumt, eine Frist zu setzen oder die Frist zu kurz bemessen ist.62) ___________ 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)
Paul, ZInsO 2012, 613, 614. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 412. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 10; für eine Ermessensentscheidung des Gerichts hinsichtlich der Berücksichtigung: Spahlinger, in: KPB, InsO, § 234 Rz. 4. Spahlinger, in: KPB, InsO, § 232 Rz. 4; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 232 Rz. 6; Breuer, in: MünchKommInsO, § 232 Rz. 9. A. A. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 232 Rz. 4. Thies, in: HambKomm-InsO, § 232 Rz. 4. Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 9. Wie hier Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 9.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
2.
Beteiligung bei Planbestätigung und Planberichtigung
2.1
Zweck der Anhörung zur Planbestätigung
49 Nach Maßgabe des § 248 Abs. 2 InsO soll das Gericht vor der Entscheidung über die Bestätigung des Plans u. a. den Gläubigerausschuss hören, wenn ein solcher bestellt ist. 50 Die Norm des § 248 InsO dient einer finalen Kontrolle des Insolvenzplans. Dieser muss sowohl verfahrens- als auch materiell-rechtlich den gesetzlichen Anforderungen genügen.63) Der Gläubigerausschuss hat vor diesem Hintergrund gemäß § 248 Abs. 2 InsO letztmalig vor Rechtskraft des Insolvenzplans die Möglichkeit, das Insolvenzgericht auf etwaige Fehler aufmerksam zu machen.64) 2.2
Keine Anhörungspflicht
51 Da es sich bei § 248 Abs. 2 InsO um eine „Soll-Vorschrift“ handelt, ist die Anhörung rein fakultativ.65) Unterbleibt sie, führt dies nicht zur Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses. 52 In der Praxis empfiehlt es sich für das Gericht dennoch, vor der Bestätigung des Plans noch einmal mögliche Versagungsgründe durch Anhörung zu eruieren.66) 53 Soweit in der Literatur unter Verweis auf Art. 103 Abs. 1 GG hingegen vertreten wird, dass die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus als zwingend anzusehen ist, kann dem nicht gefolgt werden.67) Als Rechtsfolge eines Verstoßes stünde die Versagung der Bestätigung des Plans nach einer sofortigen Beschwerde gemäß § 253 InsO im Raum. Diese Rechtsfolge wäre aber zu weitgehend, da eine Anhörung regelmäßig bereits i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 232 InsO erfolgt ist bzw. für den Ausschuss und seine Mitglieder im Erörterungs- und Abstimmungstermin die Möglichkeit bestand, sich zu äußern.68) 2.3
Art und Weise der Anhörung
54 Dem Gläubigerausschuss ist Gelegenheit zu geben, sich zum bisherigen Verfahrensgang zu äußern.69) 55 In der Regel wird die Anhörung im Abstimmungstermin nach der Abstimmung erfolgen. Die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme genügt.70) 2.4
Anhörung bei der Planberichtigung
56 Dem Insolvenzverwalter kann gemäß § 221 Satz 2 InsO im Plan das Recht eingeräumt werden, offensichtliche Fehler zu berichtigen. Die Berichtigung bedarf der Bestätigung durch das Insolvenzgericht, § 248a Abs. 1 InsO. Das Gericht soll gemäß § 248a Abs. 2 InsO davor den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss – soweit bestellt –, die Gläubiger und die Anteilsinhaber, sofern ihre Rechte betroffen sind, sowie den Schuldner hören. Durch den Gesetzeswortlaut wird die Anhörung für die Anteilsinhaber eingeschränkt auf den Fall, dass sie in ihren Rechten betroffen sind. Nach der Gesetzesbegründung gilt diese Einschränkung auch für die Gläubiger.71) Auf den Insolvenzverwalter und den Gläubiger___________ 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71)
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Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 1; Pleister, in: KPB, InsO, § 248 Rz. 5. Thies, in: HambKomm-InsO, § 248 Rz. 1; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 2. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 11; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 8. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 10. So aber Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 10. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 11; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 248 Rz. 4. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 248 Rz. 4. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 582. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36.
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Gläubigerausschuss
ausschuss ist sie hingegen nicht zu beziehen. Der Gläubigerausschuss ist anzuhören, damit er über die aktuelle Planversion informiert ist. Die Sollvorschrift des § 248a Abs. 2 InsO intendiert eine Anhörung im Regelfall. Eine 57 Verletzung der Anhörungsvorschrift führt aber nicht zu einem Verfahrensfehler, der i. R. einer sofortigen Beschwerde gegen den Bestätigungsbeschluss geltend gemacht werden könnte. 2.5
Versagungsantrag bei der Planberichtigung
Das Gericht hat gemäß § 248a Abs. 3 InsO die Bestätigung der Planberichtigung auf An- 58 trag zu versagen. Voraussetzung ist, dass ein Beteiligter durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er i. R. des Plans stünde. Antragsberechtigt ist jeder Gläubiger bzw. Anteilsinhaber, der eine Schlechterstellung ge- 59 genüber dem ursprünglichen Plan geltend machen kann. Da der Gläubigerausschuss gemäß § 248a Abs. 2 InsO vor der Bestätigung anzuhören ist, steht ihm auch eine Antragsbefugnis zu. Nachdem der Gläubigerausschuss die Interessen der Gläubiger repräsentiert, hat er eine Schlechterstellung ihrer Rechte geltend zu machen. 3.
Information vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 3 Satz 2 InsO)
Wird das Insolvenzverfahren aufgehoben, so sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses 60 gemäß § 258 Abs. 3 Satz 2 InsO über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Aufhebung vorab zu unterrichten. Durch den Verweis in § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO auf § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO wird klargestellt, dass diese Wirksamkeit mit Ablauf von zwei Tagen nach dem Tag der Veröffentlichung eintritt.72) Mit der Wirksamkeit der Aufhebung enden gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO die Ämter der Ausschussmitglieder. Die Ausschussmitglieder sollen sich aus Gründen der Rechtssicherheit beizeiten auf die 61 mit der Aufhebung des Verfahrens verbundenen veränderten Umstände einstellen können.73) Um diesem Zweck gerecht zu werden, hat das Gericht den Mitgliedern des Gläubigerausschusses den genauen Termin zu benennen, an dem der Aufhebungsbeschluss bekannt gegeben wird, weil sich daran die Wirksamkeit anschließt.74) Unterlässt das Gericht die Vorabinformation, sind damit keine Rechtsfolgen verbunden. 62 Es können jedoch Ansprüche auf Schadensersatz nach Art. 34 GG, § 839 BGB entstehen, wenn das Versäumnis pflichtwidrig und schuldhaft erfolgte.75) 4.
Aufgaben und Befugnisse des Gläubigerausschusses bei der Planüberwachung
4.1
Fortbestand der Ämter
Gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO erlöschen die Ämter der Mitglieder des Gläubigeraus- 63 schusses mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes. Eine Ausnahme hiervon macht § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO. Danach bleibt der Gläubigerausschuss trotz der Aufhebung für den Fall bestehen, dass die Planüberwachung im gestaltenden Teil des Insol___________ 72) Spahlinger, in: KPB, InsO, § 258 Rz. 9. 73) Huber, in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 18; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 12, 15; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 258 Rz. 4, 8. 74) Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 258 InsO Rz. 13; Spahlinger, in: KPB, InsO, § 258 Rz. 9; Huber, in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 19. 75) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 15.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
venzplans gemäß § 260 Abs. 1 InsO vorgesehen ist und diese Aufgabe – wie im Regelfall des § 261 Abs. 1 Satz 1 InsO – dem Insolvenzverwalter übertragen wurde. 64 Angesichts des geringen Aufgabenspektrums des Gläubigerausschusses wurde die Frage aufgeworfen, ob sein Fortbestand nach Verfahrensaufhebung sinnvoll ist. Vorgeschlagen wurde, dass die Gläubigerversammlung im Abstimmungstermin eine Entscheidung über die Entlassung des Ausschusses ohne Neuwahl herbeiführt (siehe unten § 47 Rz. 121). Dem kann nicht zugestimmt werden, weil der Gläubigerausschuss nach seiner Wahl zur Stärkung seiner Unabhängigkeit von der Gläubigerversammlung nicht abgesetzt werden kann.76) Nachdem die Planüberwachung aber dispositiver Natur ist, erscheint es zulässig, abweichend von § 261 InsO das Erlöschen des Gläubigerausschusses im Plan zu regeln. 4.2
Aufgaben des Gläubigerausschusses
65 Der Gläubigerausschuss bleibt bestehen, soweit dies zum Zwecke der Überwachung des Insolvenzverwalters erforderlich ist.77) Der Insolvenzverwalter selbst ist allerdings nur noch Kontrollorgan des Schuldners. Die Aufgaben des Gläubigerausschusses beschränken sich gemäß § 261 Abs. 2 InsO auf Informationsrechte gegenüber dem Insolvenzverwalter.78) Dieser hat dem Gläubigerausschuss jährlich über den aktuellen Stand sowie die weiteren Aussichten auf Erfüllung des Insolvenzplans zu berichten. Es ist daher Aufgabe des Gläubigerausschusses, für die Einhaltung der Berichtspflicht des Insolvenzverwalters zu sorgen.79) Aus Gründen des Nachweises wird die Erteilung der Verwalterberichte i. d. R. schriftlich erfolgen.80) Der Bericht hat sowohl zur Erfüllung des Plans als auch zu dessen Erfüllbarkeit umfassend Stellung zu nehmen.81) Hierdurch wird der Gläubigerausschuss mit Informationen versorgt. Er kann anhand der Berichte feststellen, ob die im gestaltenden Teil des Plans festgelegten Verpflichtungen erfüllt werden und ob – bei der Unternehmensfortführung durch den Schuldner – die Unternehmensplanungen eintreffen.82) Wie der Gläubigerausschuss mit den Informationen umzugehen hat und welche Konsequenzen er daraus ziehen muss, ist gesetzlich nicht geregelt.83) Der Ausschuss kann sich nur mit dem überwachenden Insolvenzverwalter abstimmen und beratend einen Prozess begleiten, der ggf. in einer Anzeige gemäß § 262 InsO mündet. 66 Gemäß § 261 Abs. 2 Satz 2 InsO hat der Ausschuss das Recht, jederzeit Zwischenberichte oder konkrete Einzelauskünfte anzufordern. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass – um die Pflichten des Verwalters klar abzustecken und die mit den Auskünften verbundenen Kosten zu beschränken – eine diesbezügliche Regelung im Plan aufzunehmen sei,84) kann dem nicht ohne Einschränkungen gefolgt werden. Es ist vielmehr wie folgt zu differenzieren:
Für Auskünfte und Zwischenberichte ohne konkreten Anlass empfiehlt sich eine explizite Regelung im Plan, etwa dergestalt, dass der Ausschuss halbjährlich Berichte verlangen kann. Dies ist dann sinnvoll, wenn eine schnellere Reaktionszeit bei Plannicht-
___________ 76) BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781, dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach/Frenzel). 77) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 215; krit. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 19, wonach eine Beibehaltung des Gläubigerausschusses kaum sinnvoll ist. 78) Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454. 79) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 19. 80) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 10; Pleister, in: KPB, InsO, § 261 Rz. 12. 81) Thies, in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 3. 82) Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 261 Rz. 1. 83) Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454. 84) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 261 Rz. 10.
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Gläubigerausschuss
erfüllung erreicht werden soll oder dem Schuldner ein besonderer Überwachungsdruck deutlich zu machen ist.
Darüber hinaus kann das Recht auf Auskünfte oder Zwischenberichte dann nicht eingeschränkt werden, wenn der Gläubigerausschuss Zweifel an der Erfüllung des Plans hat. Auch dieser Fall kann aber im Plan in Bezug auf seine Ausgestaltung geregelt werden, und zwar vom Initiativrecht jedes Mitglieds, der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses (im Umlaufverfahren) über das Verlangen an den Verwalter bis hin zu den Rechten des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner.
Macht der Gläubigerausschuss von dem Recht Gebrauch, ist dem Verwalter eine ange- 67 messene Frist für seine Stellungnahme einzuräumen, nachdem er selbst wiederum auf die Informationen des Schuldners angewiesen ist.85) Bezüglich der Länge dieser Frist ist ebenfalls eine konkrete Regelung im Insolvenzplan von Vorteil. Neben diesen speziellen Rechten gemäß § 261 Abs. 2 InsO treten die allgemeinen Rechte 68 und Pflichten des Gläubigerausschusses gemäß §§ 69, 160 InsO in den Hintergrund oder fallen gänzlich weg. Insbesondere entfällt die Pflicht zur Kassenprüfung und zur Zustimmung besonders bedeutsamer Rechtshandlungen.86) Eine Pflicht für den Gläubigerausschuss zur Anforderung von Zwischenberichten außer- 69 halb des jährlichen Zyklus besteht mangels gesetzlicher Regelung grundsätzlich nicht.87) Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Ausschuss schwerwiegende, das Unternehmen betreffende Sachverhalte zur Kenntnis gelangen, die eine Gefährdung der Planerfüllung befürchten lassen.88) Eine Pflicht für den Ausschuss, ohne Veranlassung selbstständig den Schuldner zu überwachen, besteht nicht. 4.3
Anzeigepflicht des Insolvenzverwalters (§ 262 InsO)
4.3.1 Normzweck Die Norm des § 262 InsO ist eine Schutzvorschrift für die Gläubiger im Planverfahren.89) 70 Der Insolvenzverwalter hat den Gläubigerausschuss gemäß § 262 Satz 1 InsO unverzüglich zu informieren, falls nach seiner Feststellung die im Plan geregelten Verpflichtungen nicht erfüllt werden oder zukünftig nicht erfüllt werden können. Durch die Anzeige soll dem vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Gläubiger Geltung 71 verschafft werden,90) da sie den Gläubigern die notwendigen Informationen liefert, um über Maßnahmen gemäß §§ 255, 256 und 257 InsO zu entscheiden oder ggf. einen neuen Insolvenzantrag zu stellen.91) 4.3.2 Gegenstand der Anzeigepflicht Die Anzeigepflicht bezieht sich auf zwei zu unterscheidende Konstellationen. Anzuzeigen 72 ist zum einen die Feststellung, dass überwachte Ansprüche nicht rechtzeitig, d. h. bei Fälligkeit, erfüllt werden.92) Mit „nicht erfüllt“ meint das Gesetz nicht ein endgültiges Ausbleiben der Erfüllung, sondern es genügt, wenn der Schuldner mit der Erfüllung rückstän___________ 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92)
Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 10. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 19. Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 261 Rz. 9; Pleister, in: KPB, InsO, § 261 Rz. 16. Ähnl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 10, 19. So Pleister, in: KPB, InsO, § 262 Rz. 2 f. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 1. Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 1. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3; Pleister, in: KPB, InsO, § 262 Rz. 9.
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dig ist.93) An die Erheblichkeit des Rückstands stellt § 262 Satz 1 InsO keine besonderen Anforderungen. Ausreichend ist bereits die Nichterfüllung eines einzigen Anspruchs.94) Eine Nichterfüllung ist demnach auch bei einer nur vorübergehenden zeitlichen Verzögerung der Erfüllung und einer geringen Höhe des Anspruchs anzunehmen.95) Erfüllt der Schuldner nach Anzeige der Nichterfüllung seine Verpflichtungen, hat der Insolvenzverwalter zu prüfen, ob auch zukünftige Zahlungen des Schuldners hinreichend sicher zu vermuten sind. Bejaht er dies, so hat er darüber den Gläubigerausschuss zu informieren.96) 73 Anzeigepflichtig ist für den Verwalter aber auch die Feststellung, dass die im Plan festgelegten Verpflichtungen zukünftig nicht erfüllt werden können. Dabei sind verschiedene Stufen denkbar, an die für die Anzeige angeknüpft werden kann, angefangen von der Gefährdung der Ansprüche der Plangläubiger97) über eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Nichterfüllung98) bis hin zur sicheren Feststellung der Nichterfüllbarkeit.99) 74 Nicht jede Abweichung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens von den – dem Plan zugrunde liegenden – Unternehmensplanungen rechtfertigt eine Anzeige nach § 262 InsO. Vielmehr hat eine Anzeige dann zu erfolgen, wenn der Insolvenzverwalter gewissenhaft die Chancen einer zukünftigen Erfüllung der Ansprüche geprüft hat und den Erfüllungseintritt im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ablehnt.100) Maßgeblich i. R der Prognoseentscheidung ist, inwieweit die Betriebsergebnisse hinter den Planungen zurückbleiben und welche Gründe für die geringeren Betriebsergebnisse bestehen. Zudem ist auch von Bedeutung, ob aus dem vorhandenen Aktivvermögen die Planforderungen bedient werden können.101) 4.3.3 Unverzüglichkeit der Anzeige 75 Der Zeitpunkt für die Anzeige steht in einem Spannungsverhältnis. Sie darf nicht zu spät erfolgen, um die Rechte der Gläubiger nicht zu gefährden. Sie darf aber auch nicht verfrüht abgegeben werden, weil dadurch die Fortführung des Unternehmens des Schuldners gefährdet wird, und zwar insbesondere dadurch, dass die Gläubiger – soweit sie immer noch Geschäftspartner des Schuldners sind – für das aktuelle Geschäft dem Schuldner kein Vertrauen mehr entgegenbringen werden. 76 Gerade im Hinblick auf die Tragweite dieser Entscheidung, die das Ende der Sanierungsbemühungen des Schuldners bedeuten kann,102) ist dem Insolvenzverwalter hinreichend Zeit zur Beurteilung einzuräumen. Ist sein Bild der Lage gereift, hat er gemäß § 262 Satz 1 InsO seine Anzeige aber unverzüglich zu erstatten. Unverzüglich meint eine Verlautbarung ohne schuldhaftes Zögern nach Abschluss seiner Prüfung. Dies erfordert, dass sich der Insolvenz___________ 93) Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 3 – weder Verzug noch ein Verschulden des Schuldners sind zu fordern. 94) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 262 Rz. 2. 95) Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 3. 96) Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 262 InsO Rz. 9; Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 4. 97) So zunächst Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3, wobei auch er im Anschluss eine hinreichende Zuverlässigkeit in Bezug auf die Nichterfüllung verlangt. 98) Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 262 Rz. 1. 99) Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 5 – die erforderlichen Mittel sind nicht vorhanden und können nicht erwirtschaftet werden; Pleister, in: KPB, InsO, § 262 Rz. 10. 100) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3; Pleister, in: KPB, InsO, § 262 Rz. 10. 101) Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 262 InsO Rz. 8. 102) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3.
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Gläubigerausschuss
verwalter fortlaufend und aktiv über die Entwicklung im Unternehmen des Schuldners informiert.103) 4.3.4 Form der Anzeige Die Anzeige durch den Insolvenzverwalter kann (in Eilfällen) mündlich erfolgen. Zu Nach- 77 weiszwecken und um dem Gläubigerausschuss eine hinreichend fundierte Entscheidungsgrundlage zu geben, empfiehlt sich aber regelmäßig die Schriftform.104) 4.3.5 Folgen einer Anzeige für den Gläubigerausschuss Die Rechtsfolgen einer Anzeige nach § 262 Satz 1 InsO sind gesetzlich nicht geregelt. Bei 78 einer Nichterfüllung der Planforderungen stehen den Gläubigern folgende Möglichkeiten zu:
Die Gläubiger können – einzeln oder in Gemeinschaft – gemäß § 257 InsO die Zwangsvollstreckung aus dem Plan betreiben.
Sie können das Wiederaufleben ihrer Forderungen gemäß § 255 InsO einfordern, und zwar in dem Umfang und mit der Fälligkeit, die diese vor der Planbestätigung hatten.
Schließlich ist es ihnen auch möglich, einen Antrag auf Eröffnung eines erneuten Insolvenzverfahrens zu stellen. Einvernehmliche Regelungen zwischen dem Schuldner und den Gläubigern bleiben jederzeit denkbar.105)
Der Gläubigerausschuss hat dagegen keine eigenen Rechte als Gremium. Die Regelung 79 des § 262 InsO ist damit untauglich, weil Regelungsgegenstand und rechtliche Konsequenzen nicht zusammenpassen.106) Für die Mitglieder entsteht ein Konflikt mit ihren eigenen Interessen, da sie aufgrund der Anzeige ggf. Zeitvorteile gegenüber anderen Gläubigern nutzen könnten. Wie auch sonst bei der Nutzung von Insiderinformationen ist dies unzulässig.107) Aus der Verpflichtung des Gläubigerausschusses zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit folgt, dass er nach Eingang der Anzeige die Voraussetzungen der §§ 255 ff. InsO zu prüfen und den Schuldner über das Ergebnis und weitere Schritte zu informieren hat. Der Ausschuss hat auf eine einvernehmliche Regelung zur Planerfüllung hinzuwirken. Scheitert diese, ist der Insolvenzverwalter – entgegen dem Wortlaut des § 262 InsO – zur Information aller Gläubiger verpflichtet, um eine Chancengleichheit herzustellen. V.
Haftungsfragen
Zur Haftung des Gläubigerausschusses kann auf die Darstellungen in § 14 Rz. 53 ff. ver- 80 wiesen werden. Die i. R. dieses Kapitels definierten Pflichten führen – wie alle anderen Pflichten des Gläubigerausschusses auch – bei ihrer Verletzung zu einer Haftung gemäß § 71 InsO.
___________ 103) 104) 105) 106) 107)
Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 4; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 262 Rz. 10. Hierzu Stephan, in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 9. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 5. In diese Richtung auch: Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454. Knof, in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 17.
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§ 37 Ladung und Terminvorbereitung C. Schmidt/Stahlschmidt
I. 1. 2. 3. II. 1.
Beteiligungsverfahren ................................ 1 Zustellung..................................................... 2 Stellungnahmen............................................ 5 Fristen........................................................... 9 Terminvorbereitung................................. 11 Aussetzung von Verwertung und Verteilung ................................................... 11
I.
2. 3. 4. 5. 6.
Terminierung und Verbindung von Terminen (§ 236 InsO) ............................. 16 Tagesordnung............................................. 25 Bekanntmachung des Termins .................. 27 Ladung ........................................................ 32 Publikation im Internet ............................. 40
Beteiligungsverfahren
1 Wenn der vorgelegte Plan vom Insolvenzgericht nicht zurückgewiesen wird, sind nach § 232 InsO bestimmte Personengruppen zur Stellungnahme aufzufordern. Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Vorbereitung von Erörterungs- und Abstimmungstermin dienen, da durch die Stellungnahmen mögliche Zustimmungshindernisse aufgedeckt werden können. Selbst bei einem vom Insolvenzverwalter vorgelegten Insolvenzplan macht diese Regelung Sinn, da § 218 Abs. 3 InsO, der die Beteiligung dieser Personengruppen schon bei der Aufstellung eines Verwalterplans vorschreibt, nicht zwingend ist. Zudem ist der Verwalter bei der Planaufstellung nicht an die Auffassung dieser Personengruppen gebunden. Das Gericht hat im Hinblick auf eine mögliche Zurückweisung des Plans sämtliche rechtliche Gesichtspunkte zu prüfen, hierzu gehört auch, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind. Dabei hat es nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden.1) Die Zurückweisung eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans im Vorprüfungsverfahren ist z. B. möglich, wenn offensichtlich ist, dass ein erfolgreicher Antrag auf Versagung der gerichtlichen Bestätigung zum Schutz von Minderheiten gestellt werden wird.2) 1.
Zustellung
2 Die Zustellung zwecks Stellungnahmen kann grundsätzlich erst nach Verfahrenseröffnung stattfinden. Dies gilt auch im Falle eines vom Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren eingereichten Insolvenzplans gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, dessen gerichtliche Vorprüfung bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist.3) Das Gericht hat jedoch die Möglichkeit, Auszüge des vom Schuldner vorgelegten Plans zur Vorbereitung der Entscheidung einzelnen Beteiligten mit der Bitte um Stellungnahme zu übersenden. Hierdurch tritt das Gericht noch nicht in das Beteiligungsverfahren gemäß § 232 InsO ein. Es besteht insofern weiterhin die Möglichkeit, den Insolvenzplan, gestützt auf die Stellungnahme von Beteiligten, zurückzuweisen, weil dieser offensichtlich keine Aussicht auf Bestätigung durch das Gericht habe.4) 3 Bei der Beteiligung gemäß § 232 InsO ist immer der vollständige Insolvenzplan mit allen notwendigen Plananlagen zuzusenden, wobei der Planersteller dem Gericht bereits die notwendigen Abschriften zur Verfügung stellt. Insbesondere reicht die Zuleitung einer Planzusammenfassung nicht aus.5) ___________ 1) 2) 3) 4) 5)
BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). BGH v 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, dazu EWiR 2017, 601 (Horstkotte). Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 4. BGH v 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, dazu EWiR 2017, 601 (Horstkotte). Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 4.
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§ 37
Ladung und Terminvorbereitung
Bereits mit Einholung der Stellungnahmen kann gemäß § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO der Er- 4 örterungs- und Abstimmungstermin angesetzt werden. Dies dient nach der Gesetzesbegründung der Beschleunigung des Planverfahrens. 2.
Stellungnahmen
Nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO ist der Plan zwingend dem Gläubigerausschuss, falls 5 ein solcher bestellt ist, dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten, sowie dem Schuldner bei einem Verwalterplan und dem Verwalter, falls ein Schuldnerplan vorliegt, zuzustellen. Daneben muss das Gericht bei einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft nach § 116 Nr. 4 GenG den Plan an den zuständigen Prüfungsverband weiterleiten und darüber anhören, ob der Plan mit den Interessen der Mitglieder vereinbar ist. Bei einem Verstoß gegen § 232 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO kann der Plan nach § 250 Nr. 1 InsO nicht bestätigt werden. Allerdings ist keine gesonderte Stellungnahme erforderlich, wenn der Plan bereits mit den Stellungnahmen dieser Personengruppen eingereicht worden ist.6) Daneben kann das Gericht den Plan auch zur Stellungnahme den in § 232 Abs. 2 InsO 6 bezeichneten Gremien zuleiten, also der zuständigen amtlichen Berufsvertretung der Industrie, des Handels, des Handwerks oder der Landwirtschaft oder anderen sachkundigen Stellen, und ihnen Gelegenheit zur Äußerung geben. Dies liegt jedoch im Ermessen des Gerichts. Da das Gericht die Gremien zur Stellungnahme nach dem Gesetzeswortlaut nur „auffor- 7 dert“, ist eine Antwort der insoweit aufgerufenen Personengruppen lediglich fakultativ. Im Falle einer Stellungnahme muss diese jedoch schriftlich erfolgen; deren Abschrift hat das Gericht dann – um den Gesetzeszweck zu erfüllen – dem Planersteller zuzusenden.7) Die Kosten der Stellungnahme sind von den Beteiligten selbst zu tragen, wobei die Kosten 8 der Verwalterstellungnahme zulasten der Masse gehen.8) 3.
Fristen
Nach der vor dem Inkrafttreten des ESUG geltenden Rechtslage war in § 232 Abs. 3 9 InsO lediglich davon die Rede, dass das Gericht eine Frist zur Abgabe der Stellungnahme setzen müsse, wobei eine zeitliche Einschränkung nicht festgelegt wurde. Hierzu wurde nach überwiegender Meinung schon vertreten, dass eine solche Frist zwecks Beschleunigung des Verfahrens nicht länger als zwei Wochen dauern dürfe. Diese Ansicht hat der Gesetzesgeber aufgegriffen und nunmehr durch § 232 Abs. 3 Satz 2 10 InsO ergänzt, dass die Frist zur Stellungnahme zwei Wochen nicht überschreiten soll. Er spricht in der Gesetzesbegründung selbst davon, dass i. d. R. künftig keine längere Frist als zwei Wochen gewährt werden soll, um so schnell wie möglich den Erörterungs- und Abstimmungstermin abhalten zu können. II.
Terminvorbereitung
1.
Aussetzung von Verwertung und Verteilung
Um den auf Fortführung des schuldnerischen Unternehmens zielenden Insolvenzplan 11 nicht zu gefährden, kann das Insolvenzgericht nach § 233 InsO auf Antrag des Schuldners bzw. des Verwalters die Aussetzung der Verwertung und Verteilung anordnen. Nach ganz ___________ 6) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 5. 7) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 232 Rz. 2, 3. 8) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 8.
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§ 37
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
h. A. dürfte diese Regelung im Falle eines Verwalterplans keine Rolle spielen, da der planvorlegende Verwalter seinen eigenen Plan nicht behindern dürfte.9) 12 Antragsberechtigt ist sowohl der Schuldner als auch der Verwalter, ohne dass diese Beteiligten zwingend auch den Plan vorgelegt haben müssen, wobei der Antrag frühestens bei der Vorlage des Plans und spätestens bis zur Rechtskraft der Bestätigung des Plans gestellt werden kann.10) 13 Die Aussetzungsanordnung, die erst erfolgen kann, wenn die Vorprüfung des Plans abgeschlossen ist und nicht zu einer Zurückweisung des Plans führt,11) erfolgt allgemein für Vermögensgegenstände, zu deren Verwertung der Insolvenzverwalter nach §§ 166 ff. InsO berechtigt ist. Somit gilt § 233 InsO nicht für drittrechtsbelastete Gegenstände, die sich im Besitz dieser Sicherungsgläubiger befinden. Die Aussetzungsanordnung kann auch nicht für Immobilien gelten, für die insoweit § 30d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZVG relevant ist. Sie kann sich auch nicht auf lediglich einzelne konkrete Vermögensgegenstände erstrecken. 14 Falls mit der Aussetzungsanordnung die Gefahr erheblicher Nachteile für die Masse entsteht, lehnt das Gericht die Aussetzung der Verwertung und Verteilung ab bzw. hebt die Aussetzungsanordnung auf. Eine solche Gefahr wäre z. B. eine befürchtete Minderung der Befriedigungsquote der Gläubiger im Falle einer schon ausgehandelten und für die Gläubiger günstigen Unternehmensveräußerung. Daneben kann der Verwalter die Aussetzungsanordnung der Verwertung und Verteilung verhindern oder aufheben lassen, wenn er mit Zustimmung des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung die Fortsetzung der Verwertung und Verteilung beantragt. 15 Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts nach § 233 InsO bestehen nicht. 2.
Terminierung und Verbindung von Terminen (§ 236 InsO)
16 Nach § 235 hat das Gericht einen nichtöffentlichen Termin, bei dem die Beteiligten über den Plan und das Stimmrecht diskutieren (Erörterungstermin), und einen nichtöffentlichen Termin zur Abstimmung über den Plan (Abstimmungstermin) festzusetzen, die jedoch nach § 236 InsO nicht vor dem Prüfungstermin stattfinden dürfen. Bei der Terminierung ist zu berücksichtigen, dass regelmäßig ein erhebliches Interesse aller Beteiligten daran besteht, das Insolvenzplanverfahren möglichst zügig abzuschließen und somit das schuldnerische Unternehmen schnell aus der Insolvenz herauszuführen. So führt das Insolvenzverfahren bei Unternehmen, die fortgeführt werden, zu erheblicher Unsicherheit bei den Lieferanten und Kunden. Dieses Vertrauen kann oft erst wiederhergestellt werden, wenn das Unternehmen durch ein zügiges Insolvenzplanverfahren innerhalb kurzer Zeit wieder aus der Insolvenz entlassen wird. 17 Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber dem Insolvenzgericht diverse Möglichkeiten gegeben, durch eine gezielte Terminierung für einen zügigen Ablauf des Insolvenzplanverfahrens zu sorgen. 18 So sollen nach § 235 InsO der Erörterungs- und der Abstimmungstermin regelmäßig zusammengelegt werden. 19 In Ausnahmefällen kann auch ein gesonderter Abstimmungstermin bestimmt werden, wobei hierfür dann die §§ 241, 242 InsO gelten. Neben einem von Anfang an bestimmten gesonderten Abstimmungstermin ist es auch zulässig, wenn i. R. des ursprünglich einheit___________ 9) Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, § 233 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 2 ff. 10) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 9. 11) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 9.
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§ 37
Ladung und Terminvorbereitung
lich terminierten Erörterungs- und Abstimmungstermins ein gesonderter Abstimmungstermin festgelegt wird, weil bspw. aus Zeitgründen die Durchführung dieses Abstimmungstermins nicht mehr möglich ist.12) Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 2 InsO soll der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht 20 über einen Monat hinaus angesetzt werden. Die Monatsfrist beginnt gemäß § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO schon mit der Bekanntmachung. Diese Monatsfrist ist jedoch lediglich eine Sollvorschrift und hindert bei Nichtbeachtung nicht die Bestätigung des Plans.13) Gegen die Terminierung, die grundsätzlich im Ermessen des Gerichts steht, ist auch kein 21 Rechtsmittel zulässig.14) Aus § 236 InsO ergibt sich, dass der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht vor 22 dem Prüfungstermin stattfinden darf. Hintergrund ist, dass die Prüfung der Forderungen Klarheit über die Festsetzung der Stimmrechte für die Abstimmung des Plans schafft. Unter Berücksichtigung des § 29 Abs. 2 InsO kann eine Verfahrensbeschleunigung erzielt werden, wenn der Prüfungstermin mit dem Berichtstermin verbunden wird. Damit können Erörterungs- und Abstimmungstermin, Berichts- und Prüfungstermin 23 verbunden werden. Unter Berücksichtigung der Fristenregelung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO sowie § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO können diese Termine bei Vorliegen eines Insolvenzplans zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung frühestens drei Wochen und zwei Tage nach dem Tag der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung terminiert werden. Dies zeigt, dass es tatsächlich möglich ist, ein Insolvenzplanverfahren zügig durchzuführen. Bei – in der Praxis selten vorkommenden – konkurrierenden Plänen ist für jeden Plan 24 ein gesonderter Erörterungs- und Abstimmungstermin durchzuführen.15) 3.
Tagesordnung
Unabhängig davon, ob Berichts-, Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin mit- 25 einander verbunden werden oder nicht, muss die Bekanntmachung und Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin über einen Insolvenzplan immer die Zeit, den Ort und die Tagesordnung nach § 74 Abs. 2 Satz 1 InsO entsprechend enthalten.16) Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Bekanntmachung der Tagesordnung ist jedoch eine wenigstens schlagwortartige Bezeichnung der Tagesordnungspunkte.17) Werden Erörterungs- und Abstimmungstermin miteinander verbunden, ergeben sich re- 26 gelmäßig drei Tagesordnungspunkte, die im Beschluss mitzuteilen sind. So dient der Termin zur Erörterung des Insolvenzplans und des Stimmrechts der Gläubiger sowie zur Abstimmung über den Insolvenzplan. In der Regel heißt es dort: In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen von […] ist Termin zur Erörterung des Insolvenzplans und des Stimmrechts der Gläubiger sowie zur Abstimmung über den Insolvenzplan bestimmt auf […], im Gebäude des AG […], Saal […].
___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17)
Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, § 242 Rz. 1. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 235 Rz. 42; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 5. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 6. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 7. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030, dazu EWiR 2008, 373 (Blank).
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§ 37 4.
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Bekanntmachung des Termins
27 Nach § 235 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Erörterungs- und Abstimmungstermin öffentlich bekannt zu machen, wobei § 9 InsO gilt. 28 Auch wenn der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht zusammen mit dem Prüfungstermin verbunden werden, muss nach § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO immer die Zeit, der Ort und die Tagesordnung, inklusive der schlagwortartige Bezeichnung der Tagesordnungspunkte, öffentlich bekannt gegeben werden.18) 29 In der Bekanntmachung ist nach § 235 Abs. 2 Satz 2 InsO auch noch mitzuteilen, dass der Plan und die eingegangenen Stellungnahmen auf der Geschäftsstelle eingesehen werden können. Hierbei ist immer auch bekanntzugeben, wo und wann die Unterlagen eingesehen werden können.19) 30 Einer Bekanntmachung bedarf es nicht nach § 235 Abs. 2 Satz 3 InsO, wenn der Termin bereits in einer früheren Gläubigerversammlung bestimmt worden ist oder wenn eine Vertagung im Erörterungs- und Abstimmungstermin selbst vorgenommen wird. 31 Eine fehlende oder nicht ordnungsgemäße Bekanntmachung ist ein wesentlicher Verfahrensmangel, der einer Bestätigung des Plans nach § 250 Nr. 1 InsO entgegensteht.20) Die nicht zumindest schlagwortartige Bezeichnung einzelner Beschlussgegenstände als Punkte der Tagesordnung führt zu einer Nichtigkeit der mit diesen Tagesordnungspunkten verbundenen Beschlüsse.21) 5.
Ladung
32 Wie sich aus § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO ergibt, sind die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, der Insolvenzverwalter, der Schuldner, der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten besonders zu laden. Bei der Ladung des Betriebsrats und des Sprecherausschusses richtet sich die Ladung an das Gremium als solches und nicht an jedes einzelne Mitglied, so dass sich diese Personengruppe im Termin von ihrem vertretungsberechtigten Vorsitzenden vertreten lassen muss.22) Zu beachten ist, dass nach § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO auch die Personen, die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner haben, zu laden sind, wenn der Plan diese mit einbezieht. 33 Dagegen müssen nach § 235 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 InsO Aktionäre und Kommanditaktionäre nicht gesondert geladen werden. Dies wird damit begründet, dass es sich oftmals um breit gestreute Anteile handelt und die Namen und Adressen dieser Anteilsinhaber nicht bekannt sein dürften. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers reicht für diese Personengruppen die öffentliche Bekanntmachung des Erörterungs- und Abstimmungstermins aus.23) Bei börsennotierten Gesellschaften i. S. von § 3 Abs. 2 AktG sind jedoch die Regelungen über die Ladung zur Hauptversammlung nach § 121 Abs. 4a AktG entsprechend anzuwenden.
___________ 18) 19) 20) 21) 22) 23)
BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499; BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 11. Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 235, 236 Rz. 3. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 12. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33.
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C. Schmidt/Stahlschmidt
§ 37
Ladung und Terminvorbereitung
Daneben ist eine Zusammenfassung des Plans über die Internetseite des Schuldners zu- 34 gänglich zu machen. Im Übrigen bietet es sich an, den Insolvenzplan passwortgeschützt auf der Internetseite des Insolvenzverwalters einzustellen.24) Völlig unberücksichtigt bleibt die Frage der Ladungsadressaten im Falle eines – nach 35 § 210a InsO zulässigen – Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit. Obwohl nicht ausdrücklich in § 235 InsO erwähnt, sind in diesem Fall auch die Altmassegläubiger nach den Bestimmungen des § 235 InsO gesondert zu laden. Falls der Insolvenzplan in Abweichung von § 225 Abs. 1 InsO auch gegenüber den nach- 36 rangigen Gläubigern eine Regelung vorsieht, sind diese ebenfalls nach § 235 InsO gesondert zu laden.25) Hinsichtlich der Art und Weise der Ladung bestimmt § 235 Abs. 2 Satz 2 InsO, dass der 37 Ladung entweder ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts beizufügen ist, wobei die Entscheidung hierüber im Ermessen des Gerichts liegt. Falls eine Zusammenfassung übersandt wird, hat der Planersteller diese zu fertigen. Angesichts des Umstands, dass der Insolvenzplan die entscheidende Beurteilungsgrundlage für die Beteiligten darstellt, ist es jedoch ratsam, grundsätzlich den vollständigen Abdruck des Plans beizufügen, da im Falle der Zusammenfassung die Gefahr besteht, dass wesentliche Fakten nicht erwähnt sind. Dieses Risiko kann durch Zusendung des vollständigen Plans vermieden werden. Nach § 8 Abs. 3 InsO kann das Gericht den Insolvenzverwalter mit der Ladung beauf- 38 tragen, wovon in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht wird. Ist die Übertragung auf den Insolvenzverwalter erfolgt, ist diesem für jede Zustellung der Sach- und Personalaufwand zu ersetzen. Die Höhe der Vergütung bemisst sich außerhalb der sonstigen Zuschlagstatbestände durch einen angemessenen Betrag pro Zustellung, der nach dem tatsächlichen Aufwand geschätzt werden kann.26) Eine fehlerhafte oder eine unterbliebene Ladung stellt einen wesentlichen Verfahrens- 39 mangel dar, der der Bestätigung des Plans nach § 250 Nr. 1 InsO entgegensteht,27) wobei das Fehlen einer Seite des Insolvenzplans noch keinen Verfahrensmangel darstellt.28) Diese Mängel können geheilt werden, wenn der insoweit fehlerhaft oder nicht Geladene zum Termin erscheint und diesen Mangel nicht rügt.29) 6.
Publikation im Internet
Die Bestimmung des Erörterungs- und Abstimmungstermins ist öffentlich bekannt zu 40 machen, vgl. § 235 Abs. 2 InsO. Dies bedeutet, neben der Ladung an die bekannten Verfahrensbeteiligten erfolgt auch eine Veröffentlichung der Termininformation im Internet. Hierfür haben die Länder das Fachportal www.insolvenzbekanntmachungen.de als Teil des Gemeinsamen Justizportals des Bundes und der Länder eingerichtet. Über diese Internetplattform haben alle Veröffentlichungen zu erfolgen. Dies gilt auch für die Bekanntmachung von Beschlüssen an den Insolvenzschuldner, der entgegen seiner Auskunftsobliegenheit einen Wohnsitzwechsel nicht mitteilt und unbekannten Aufenthalts ist. Das Insolvenzgericht kann in diesem Fall Beschlüsse ohne weitere Ermittlungen öf___________ 24) 25) 26) 27) 28) 29)
Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 12. BGH v. 21.3.2013 – IX ZB 209/10, ZIP 2013, 833, dazu EWiR 2013, 383 (U. Keller). Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 235, 236 Rz. 1. OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2003, 1303. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 18.
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§ 37
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
fentlich bekannt machen.30) Zwei Tage nach der Publikation im Internet gilt die Bekanntmachung als bewirkt. Diese gesetzliche Fiktion greift unabhängig von der parallelen Zustellung der Ladung an die Beteiligten, insbesondere auch wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.31) Die Berechnung des Beginns dieser „Zwei-Tage-Frist“ richtet sich nach § 4 InsO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Fall 2 BGB.32) Die Bekanntmachung über das Internet gilt für und gegen alle Verfahrensbeteiligten, § 9 InsO. Hierbei wird das Insolvenzgericht für verpflichtet gehalten sicherzustellen, dass Datum und Inhalt der Veröffentlichung im Internet bewiesen werden können, etwa durch sog. Sicherheitsausdrucke.33) 41 Die Notwendigkeit einer öffentlichen Bekanntmachung im Internet ist nicht nur auf die nationale Ebene begrenzt. Durch die zunehmenden grenzüberschreitenden Aktivtäten der Marktteilnehmer hat die EU in der EuInsVO entsprechende Regelungen für die Veröffentlichung von Insolvenzinformationen auf europäischer Ebene geschaffen.34) In Art. 24 ff. EuInsVO ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten sog. Insolvenzregister errichten und unterhalten, um Informationen über Insolvenzverfahren bekannt zu machen. Die Insolvenzregister, die im Wesentlichen dem entsprechen, was in Deutschland bereits über die Plattform www.insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht wird, sind in allen Mitgliedstaaten bis zum 26.6.2018 einzurichten. Sie werden dann sukzessive zum 26.6.2019 miteinander vernetzt, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt die Informationen aller Insolvenzverfahren der EU über das Europäische Justizportal auffindbar sind.35) Ziel des nationalen und europäischen Gesetzgebers ist es, das Insolvenzverfahren kontinuierlich weiter zu digitalisieren. Es sollen so viele Informationen und Verfahrensschritte wie möglich über das Internet abgewickelt werden (z. B. Bekanntmachungen, Zustellungen, Einsicht in Verfahrensakten und Prozesshandlungen).36) Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Ansatz zur Digitalisierung des Insolvenzrechts wird durch den Rat der Justiz- und Innenminister sowie den Rechtsausschuss des EU-Parlamentes unterstützt.37)
___________ 30) 31) 32) 33) 34)
BGH v. 16.5.2013 – IX ZB 272/11, NZI 2013, 703. BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425. BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425. Prütting, in: KPB, InsO, § 9 Rz. 8. Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015. 35) Europäisches Justizportal, https://e-justice.europa.eu/home.do (Abrufdatum: 30.7.2018). 36) Art. 28 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final; Kexel/Schmidt, in: FS Graf-Schlicker, 2018, S. 309. 37) Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments über den Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 0723, abrufbar unter http://www.europarl. europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bREPORT%2bA8-2018-0269%2 b0%2bDOC%2bXML%2bV0%2f%2fDE&language=DE (Abrufdatum: 31.8.2018).
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§ 38 Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin C. Schmidt/Stahlschmidt
I. II. III. IV.
Ablauf des Termins..................................... 2 Verbindung von Terminen........................ 7 Gesonderter Abstimmungstermin............ 9 Verbindung mit dem Prüfungstermin......................................................... 12
V. Erörterung des Insolvenzplans................ 18 VI. Das Abstimmungsverfahren.................... 24 VII. Änderung des Insolvenzplans ................ 31 VIII. Weitere Verfahrensschritte ................... 37
Das Insolvenzgericht hat gemäß § 235 Abs. 1 InsO einen Termin zur Erörterung und Ab- 1 stimmung über den Insolvenzplan zu bestimmen. Die Leitung des Prüfungs-, Erörterungsund Abstimmungstermins obliegt nach dem insoweit geänderten § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG für nach dem 1.1.2013 eingereichte Insolvenzpläne dem Insolvenzrichter (siehe oben § 35 Rz. 1). I.
Ablauf des Termins
Auf den Ablauf des Termins finden sowohl die allgemeinen Vorschriften der InsO über 2 Gläubigerversammlungen (§§ 74 ff. InsO) als auch die besonderen Verfahrensvorschriften der §§ 235 ff. InsO Anwendung. Darüber hinaus gelten nach § 4 InsO die allgemeinen Verfahrensregeln der ZPO. Über den Ablauf der Termine ist ein Protokoll entsprechend § 159 ZPO zu fertigen, wobei 3 hierfür ein Protokollführer hinzugezogen werden kann. Nach dem Aufruf der Sache nach § 220 Abs. 1 ZPO sind zuerst die Erschienenen pro- 4 tokollarisch festzustellen, wobei sich die Beteiligten durch eine schriftliche Vollmacht vertreten lassen können. Gesetzliche Vertreter müssen ihre Vertretungsmacht z. B. durch Vorlage eines aktuellen Handelsregisterauszugs nachweisen. Dieser sollte i. d. R. nicht älter als zwei Wochen sein. Die Anwesenheit des Insolvenzverwalters ist zwingend, selbst wenn er nicht den Insolvenz- 5 plan vorgelegt hat, so dass der Termin im Falle seines Nichterscheinens zu vertagen ist.1) Daneben können die Verfahrensbeteiligten (z. B. die Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzschuldner bzw. die gesetzlichen Vertreter) an dem Termin teilnehmen. Ihre Teilnahme ist jedoch nicht verpflichtend. Aus besonderen Gründen kann auch weiteren Personen die Anwesenheit im Termin gestattet werden, § 175 Abs. 1 GVG, hierzu gehören u. a. Referendare, Arbeitnehmer- und Pressevertreter. Bei der Anwesenheit von Pressevertretern empfiehlt sich, falls möglich, eine vorherige Abstimmung zwischen Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter und Pressesprecher der Justiz. Hintergrund ist, dass es aufgrund des komplexen Insolvenzverfahrens zu Missverständnissen bei der Berichterstattung über das Verfahren kommen kann. Diese können die weitere Abwicklung des Verfahrens erheblich behindern. Nach der Feststellung der Erschienenen wird die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntma- 6 chung und Ladung festgestellt. Eine nicht ordnungsgemäß durchgeführte Bekanntmachung verhindert die wirksame Durchführung von Abstimmungen im Termin, dies gilt insbesondere, wenn neben einer unwirksamen oder unterbliebenen Bekanntmachung Beteiligte nicht ordnungsgemäß geladen wurden. Das Insolvenzgericht hat dies von Amts wegen zu prüfen. Ein Verstoß gegen § 235 Abs. 3 InsO stellt i. d. R. einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der die Versagung des Plans zur Folge hat.2) Wichtig ist hierbei auch, ___________ 1) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 25. 2) BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 29/10, ZIP 2011, 781.
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§ 38
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
dass die Tagesordnung des Termins bekannt gemacht wurde. Dies bedeutet, dass wenigstens eine schlagwortartige Bezeichnung der einzelnen Punkte erfolgt ist.3) Nur über ordnungsgemäß publizierte Tagesordnungspunkte kann im Termin wirksam abgestimmt werden. Falls der Sitzungsraum zu klein ist, kann der Terminort vor oder bei der Sitzung auch in einen anderen Sitzungssaal verlegt werden, wenn der neue Sitzungssaal durch Aushang bekannt gemacht und in kurzer Zeit leicht zu erreichen ist. Dies stellt keinen Verfahrensmangel nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar.4) II.
Verbindung von Terminen
7 Der Gesetzgeber hat zur „Straffung des Verfahrens“5) die Möglichkeit der Verbindung des Erörterungs- und Abstimmungstermins eingeführt. Hierbei handelt es sich um den Regelfall, von dem das Gericht aus besonderen Gründen jedoch abweichen kann und zwei getrennte Termine bestimmen darf. 8 Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 2 InsO soll der gemeinsame Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht über einen Monat hinaus angesetzt werden. Hierzu war lange Zeit strittig, ob die Monatsfrist erst nach dem Ablauf der Stellungnahmefristen nach § 232 InsO oder schon mit Bekanntmachung beginnt.6) Der Gesetzgeber hat insoweit in § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO Klarheit geschaffen, wonach für die Terminierung nicht erst der Ablauf der Stellungnahmefrist nach § 232 InsO abgewartet werden muss. Damit beginnt die Monatsfrist schon mit Bekanntmachung. Diese Monatsfrist ist jedoch lediglich eine Sollvorschrift und hindert bei Nichtbeachtung nicht die Bestätigung des Plans.7) Im Rahmen der Bekanntmachung hat das Insolvenzgericht die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass der Insolvenzplan und die hierzu eingegangenen Stellungnahmen in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht niedergelegt sind. III.
Gesonderter Abstimmungstermin
9 Sofern das Insolvenzgericht ausnahmsweise einen gesonderten Termin zur Abstimmung über den Insolvenzplan bestimmt, soll der Zeitraum zwischen dem Erörterungstermin und dem Abstimmungstermin nicht mehr als einen Monat betragen. Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber mit dem Insolvenzplanverfahren beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung empfiehlt sich ein besonderer Abstimmungstermin nur in Ausnahmefällen, z. B. bei sehr komplexen Insolvenzplänen oder Änderungen des Plans im Erörterungstermin. 10 Zu dem besonderen Abstimmungstermin sind die stimmberechtigten Gläubiger und der Schuldner gesondert zu laden. Dies gilt nicht für Aktionäre oder Kommanditaktionäre. Für diese reicht es aus, dass das Insolvenzgericht den Termin öffentlich bekannt gemacht hat, § 241 Abs. 2 InsO. Für börsennotierte Gesellschaften hat die Ladung nach Maßgabe des § 121 Abs. 4a AktG zu erfolgen.8) Weitere Beteiligte sind ebenfalls nicht zu diesem Termin nicht zu laden. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber ausschließen wollte, dass in dem Termin weitere Erörterungen stattfinden;9) somit ist die Anwesenheit der anderen Beteiligten überflüssig. ___________ BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030, dazu EWiR 2008, 373 (Blank). BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks, 12/7302, S. 183. Str.; für Fristbeginn nach Bekanntmachung Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 235, 236 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 4; für Fristbeginn erst nach Ablauf der Stellungnahmefristen Haas, in: HK-InsO, § 235 Rz. 7. 7) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 235 Rz. 42; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 5. 8) Vgl. Begr. RegE ESUG z. § 241 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 33 f. 9) Otte, in: KPB, InsO, § 241 Rz. 4.
3) 4) 5) 6)
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C. Schmidt/Stahlschmidt
Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin
§ 38
Die Stimmberechtigten können ihr Stimmrecht zu dem Termin auch schriftlich ausüben 11 § 241 Abs. 1 InsO. Zu diesem Zwecke hat das Insolvenzgericht den Beteiligten nach dem Erörterungstermin und der Festlegung der Stimmrechte einen Stimmzettel zu übersenden, aus dem auch ihr jeweiliges Stimmrecht hervorgeht. Die schriftliche Ausübung des Stimmrechts ist nur wirksam, wenn die Abstimmungsunterlagen dem Gericht spätestens am Tag vor dem Abstimmungstermin zugegangen sind. Es ist Aufgabe des Gerichts, die Beteiligten hierauf zusammen mit der Übersendung der Abstimmungsunterlagen gesondert hinzuweisen, § 242 Abs. 2 InsO. Fällt der Abstimmungstermin auf einen Montag, ist abweichend von § 242 Abs. 2 InsO eine schriftlich abgegebene Stimme nicht deshalb ungültig, weil der Stimmzettel erst am Tag des Abstimmungstermins bei Gericht eingegangen ist. Dies folgt aus § 222 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO, demzufolge eine Frist, deren Ende auf einen Sonntag fällt, mit Ablauf des nächsten Werktags endet.10) Es steht den Abstimmenden jedoch frei, trotz schriftlicher Stimmabgabe zu dem Abstimmungstermin zu erscheinen. In diesem Termin ist der Erschienene nicht an seine vorherige Abstimmung in schriftlicher bzw. elektronischer Form gebunden; er kann in dem Termin erneut und auch von seiner vorherigen Meinungsäußerung abweichend abstimmen.11) Der Gesetzgeber hat die Ausübung des Stimmrechts in § 242 Abs. 1 InsO verfahrensrechtlich als schriftliches Verfahren ausgestaltet, i. V. m. § 4 InsO kommen jedoch auch die entsprechenden Regelungen des elektronischen Rechtsverkehrs der ZPO zur Anwendung. Der elektronische Rechtsverkehr ist zum 1.1.2018 kraft Gesetzes bundesweit flächendeckend eröffnet worden.12) Rechtsanwälte, Notare, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen seit diesem Zeitpunkt elektronisch mit der Justiz kommunizieren, eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch vor dem 1.1.2022 nicht. Für die Einreichung elektronischer Dokumente gelten die Regelungen des § 130a ZPO. IV.
Verbindung mit dem Prüfungstermin
Aus § 236 InsO ergibt sich noch, dass der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht 12 vor dem Prüfungstermin stattfinden darf. Hintergrund ist, dass die Prüfung der Forderungen Klarheit über die Festsetzung der Stimmrechte für die Abstimmung des Plans schafft. Das Ergebnis des Prüfungstermins legt die Stimmrechte der Beteiligten fest. Daher ist die 13 Aufgabe des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, in einem Verzeichnis (sog. Stimmliste) festzuhalten, welche Stimmrechte den Beteiligten nach dem Ergebnis der Erörterung im Termin zustehen, § 239 InsO. Stimmberechtigt sind grundsätzlich alle nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, absonde- 14 rungsberechtigte Gläubiger, sofern der Insolvenzschuldner auch persönlich für die dinglichen Forderungen haftet, und nachrangige Insolvenzgläubiger, sofern deren Forderungen nicht gemäß § 225 InsO als erlassen gelten und eine entsprechende Gruppe gebildet wurde. Durch die am 1.3.2012 in Kraft getretenen Änderungen des Insolvenzrechts wurden auch die Stimmrechte der Anteilsinhaber des Schuldners neu geregelt, § 238a InsO. Zu den Stimmrechten der Beteiligten im Detail siehe unten § 40. Unter Berücksichtigung des § 29 Abs. 2 InsO kann eine weitere Verfahrensbeschleuni- 15 gung erzielt werden, wenn der Prüfungstermin zusammen mit dem Berichtstermin verbunden wird. Ein entsprechendes Vorgehen empfiehlt sich sowohl für Insolvenzpläne, die vom Schuldner bereits zusammen mit dem Insolvenzantrag eingereicht werden, als auch ___________ 10) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 – schriftliche Abstimmung über den Insolvenzplan/Dauer der Überwachung. 11) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 242 Rz. 7. 12) Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, v. 10.10.2013, BGBl. I 2013, 3786.
C. Schmidt/Stahlschmidt
1009
§ 38
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
für Pläne, die der Insolvenzverwalter zeitnah nach der Eröffnung des Verfahrens vorlegt. Hierbei ist zu beachten, dass auch eine nachträgliche Verbindung der Termine möglich ist, § 4 InsO i. V. m. § 227 ZPO; Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen entsprechender erheblicher Gründe. 16 Unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Möglichkeiten können Erörterungs- und Abstimmungstermin, Berichts- und Prüfungstermin verbunden werden. Aufgrund der Fristenregelung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 InsO und § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO sowie § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO können diese Termine frühestens drei Wochen und zwei Tage nach dem Tag der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung terminiert werden. Bei der Berechnung bezüglich des Wirksamwerdens der Bekanntmachung sind die Regelungen des § 4 InsO, § 222 Abs. 1 ZPO und der §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Fall 2 BGB anzuwenden.13) 17 Im Ergebnis zeigt dies, dass es tatsächlich möglich ist, ein Insolvenzplanverfahren zügig durchzuführen. V.
Erörterung des Insolvenzplans
18 Im Erörterungsteil des Termins soll den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, zu den Regelungen des Plans Stellung zu nehmen. Demnach beginnt der Erörterungstermin mit der Vorstellung des Insolvenzplans. Der Planverfasser stellt i. d. R. die wesentlichen Inhalte des Plans dar; es ist nicht erforderlich, dass der Verfasser, den gesamten Plan vorträgt.14) 19 Die Verlesung und Vorstellung des Insolvenzplans wird immer vom Planvorlegenden (Schuldner oder Insolvenzverwalter) durchgeführt, so dass diesem am Anfang des Erörterungstermins Gelegenheit gegeben werden muss, seinen Insolvenzplan den Beteiligten vorzustellen. Hierbei sollen nicht nur die Planvorschläge mitgeteilt werden, sondern es sollen auch die Hintergründe und Überlegungen, welche zu den Planvorschlägen geführt haben, erläutert werden.15) Schlussendlich ist dies der Zeitpunkt für den Planverfasser, die Beteiligten, die möglicherweise dem Plan ablehnend gegenüberstehen, vom Gegenteil zu überzeugen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Planverfasser hier eine mediative Rolle zu. 20 Danach ist den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen, die auch ausführlich und umfassend durch den Planvorlegenden beantwortet werden sollten. Letztendlich kann nur hierdurch die Akzeptanz des Insolvenzplans erhöht werden. Falls ein Beteiligter seine Verfahrenssituation nicht richtig einordnet, ist das Insolvenzgericht verpflichtet, unter Berücksichtigung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG einen sachlichen Hinweis zu geben.16) 21 Allerdings kann der Insolvenzrichter auch dann die Erörterung des Plans beenden und zur Abstimmung übergehen, wenn ein Beteiligter seine Frage als nicht hinreichend beantwortet ansieht. Da dies ansonsten zu einer Blockade des Verfahrensfortgangs führen würde, ist diesem Beteiligten dann mitzuteilen, dass er die Konsequenzen der nach seiner Meinung unzureichenden Beantwortung in der Abstimmung ziehen müsse.17) 22 Die weitere Erörterung ist selbst auf Verlangen einzelner ablehnender Beteiligter nicht zwingend geboten, wenn sich bereits i. R. der Erörterung eine erforderliche Mehrheit für den Plan abzeichnet.18) ___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18)
BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. Vgl. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499.
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C. Schmidt/Stahlschmidt
Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin
§ 38
Eine im Sitzungssaal auftretende Unruhe stellt nur dann einen wesentlichen Verfahrens- 23 mangel dar, wenn durch sie die Willensbildung in relevanter Weise beeinträchtigt wird.19) VI.
Das Abstimmungsverfahren
Die Abstimmung im Termin erfolgt in Gruppen. Die einzelnen im Insolvenzplan festge- 24 legten Gruppen (siehe dazu oben § 28) stimmen über den Plan gesondert (§ 243 InsO) nacheinander ab. Die Leitung der Abstimmung im Termin obliegt dem Insolvenzgericht, § 76 Abs. 1 InsO. Im Rahmen dieser Leitungsfunktion entscheidet das Insolvenzgericht sowohl über die Reihenfolge, in der die Gruppen abstimmen, als auch – bei konkurrierenden Insolvenzplänen – über die Reihenfolge, in der über die Pläne abgestimmt wird. Die Mitglieder stimmen grundsätzlich mündlich über den Plan ab, sofern kein gesonderter Abstimmungstermin bestimmt wird. Dann kann nach § 242 Abs. 1 InsO das Stimmrecht auch schriftlich ausgeübt werden. Die Einzelheiten zum konkreten Abstimmungsverfahren sind in der InsO nicht festgelegt. Das Stimmrecht des Beteiligten ist mit der Abgabe des Votums aufgebraucht, eine nach- 25 trägliche Änderung einer bereits abgegebenen Stimme ist abzulehnen. Im Hinblick auf die häufig geringe Beteiligung von Gläubigern an den Terminen kann es sich für den Planvorlegenden, auch den Insolvenzverwalter, anbieten, mit Vollmachten zu operieren. Beteiligte, die nicht beabsichtigen, zu dem Termin zu erscheinen, jedoch den Plan unterstützen, können einen der Anwesenden oder ggf. auch einen Mitarbeiter des Büros des Insolvenzverwalters entsprechend bevollmächtigen, in ihrem Namen über den Insolvenzplan und soweit erforderlich auch dessen Anpassung im Termin abzustimmen. Die Durchführung der Abstimmung nimmt das Insolvenzgericht in das Protokoll auf. Hier- 26 bei sind das Stimmergebnis des einzelnen Beteiligten, der jeweiligen Gruppen und zum Schluss das finale Ergebnis der Abstimmung gesondert zu erfassen. Die Mehrheiten, die zur Annahme des Insolvenzplans erforderlich sind, regelt § 244 27 InsO. In jeder der festgelegten Gruppen ist eine doppelte Mehrheit zu erzielen. Sie setzt sich zusammen aus der Mehrheit der anwesenden Beteiligten der Gruppe (sog. Kopfmehrheit) und die Mehrheit von mehr als der Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger (sog. Summenmehrheit), § 244 Abs. 1 InsO. Einzelne Gläubiger können Inhaber mehrerer Forderungen sein. Mit diesen Forderungen 28 können sie in verschiedenen Gruppen zur Abstimmung berufen sein. Bei diesen unterschiedlichen Abstimmungen sind sie nicht an ihr Stimmverhalten in den anderen Gruppen gebunden. Sie können in jeder Gruppe individuell abstimmen. Im Rahmen der Abstimmung haben Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter bei der Auf- 29 stellung der Insolvenztabelle und der Stimmliste darauf zu achten, dass alle Forderungen einer Person dieser auch zugeordnet werden. Besondere Schwierigkeiten kann es bei juristischen Personen geben, insbesondere den Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (Bund, Länder und Kommunen). Aufgrund der häufig komplexen Verwaltungsstruktur fällt es den Beteiligten oft schwer zu erkennen, dass es sich um dieselbe juristische Person handelt. Gleiches gilt für Konzerne und Holdings, in denen es oft schwierig ist zu unterscheiden, ob es sich um eine selbstständige Firma handelt oder eine rechtlich unselbstständige Zweigniederlassung. Des Weiteren hat der fortlaufende Zusammenschluss von Krankenkassen dazu beigetragen, dass die Anforderungen an die Prüfung durch das Gericht weiter gestiegen sind. Es ist jedoch wichtig, diesem Punkt ein besonderes Augenmerk zu schenken, da es ansonsten leicht zu Problemen bei der Durchführung der Abstimmungen kommen kann, die dadurch entstehen, dass vermeintlich mehr Gläubiger anwesend sind, ___________ 19) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499.
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§ 38
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
als es sich bei genauer juristischer Betrachtung ergibt (z. B. sind Finanzämter und Gerichtskassen beides „Behörden“ des jeweiligen Landes, die eine juristische Person repräsentieren). Bezüglich der Fusion von Unternehmen können die notwendigen Informationen dem entsprechenden Register (z. B. Handels- oder Genossenschaftsregister) entnommen werden bzw. sind durch einen aktuellen Registerauszug nachzuweisen. Bei Krankenkassen bieten die durch das Bundesversicherungsamt über das Internet publizierten Informationen ein Indiz für den Zeitpunkt der Vereinigung von Krankenkassen.20) In allen genannten Fällen müssen sich, sofern mehrere Vertreter derselben juristischen Person im Termin anwesend sind, die Vertreter einigen, wie sie abstimmen werden. Sie sind hierbei nicht an die ggf. vorher schriftlich oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs abgegebene Stimme gebunden; es kann in dem Termin erneut und auch von einer vorherigen Meinungsäußerung abweichend abgestimmt werden.21) 30 Gleiches gilt für Gläubiger, denen ein Recht gemeinschaftlich zusteht oder deren Rechte bis zum Eintritt des Eröffnungsgrunds ein einheitliches Recht gebildet haben; sie werden bei der Abstimmung ebenfalls als ein Gläubiger gerechnet, § 244 Abs. 2 InsO. Die Regelung des § 244 Abs. 2 InsO ist insbesondere von Bedeutung für sog. Pools22) (Lieferantenoder Bankenpools). Werden die am Schuldner beteiligten Personen als eigene Gruppe am Zustandekommen des Insolvenzplans beteiligt, so können sie mit Mehrheit entscheiden, ob der Teil des Unternehmenswerts ausreichend ist, den ihnen der Insolvenzplan zuweist. Die Zustimmung ihrer Gruppe liegt vor, wenn die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Anteilsinhaber mehr als die Hälfte der Summe der Beteiligungen der abstimmenden Anteilsinhaber beträgt. Auf eine Kopfmehrheit nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO kommt es hingegen nicht an. Hier legt der Gesetzgeber die Wertungen des jeweiligen Gesellschaftsrechts zugrunde, nach denen für Beschlüsse i. d. R. die Mehrheit des Kapitals entscheidet.23) VII. Änderung des Insolvenzplans 31 Da der Insolvenzplan nach dem Willen des Gesetzgebers eine effektive und flexible privatautonome Regelungsmöglichkeit zwischen den Beteiligten zur Überwindung der Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens bieten soll, ist in § 240 InsO auch vorgesehen, dass einzelne Regelungen im Insolvenzplan aufgrund der Erörterungen im Termin geändert werden können. Einzelheiten siehe unten § 39. 32 Zu einer solchen Änderung ist lediglich der Planvorlegende berechtigt, wobei er die Änderungen bereits vor dem Erörterungstermin, im Erörterungstermin selbst oder danach vornehmen kann, falls ein gesonderter Abstimmungstermin erfolgt.24) Tragen die im Erörterungstermin anwesenden Beteiligten Änderungswünsche vor, so ist dies als Anregung zu verstehen, auf die der Planvorlegende entweder eingehen kann oder nicht. 33 Zum Umfang der Änderungen ist zu beachten, dass der Plan im Kern nicht geändert werden kann.25) Demnach muss die Zielrichtung des Plans erhalten bleiben, so dass ein ursprünglich auf Fortführung gerichteter Plan nicht in einen Liquidationsplan umgeändert werden kann. Dagegen können einzelne Regelungen im gestaltenden Teil, wie bspw. die Befriedigungsquote der Gläubiger, Fälligkeiten und Stundungsvereinbarungen sowie die Ein___________ 20) Abrufbar unter https://www.bundesversicherungsamt.de/aufsicht/krankenversicherung/ rundschreiben.html#c129 (Abrufdatum: 26.7.2018). 21) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 7. 22) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 244 Rz 15 ff. 23) Vgl. Begr. RegE ESUG z. § 244 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 34. 24) Vgl. Kebekus, in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 1; die Änderungsmöglichkeit vor dem Erörterungstermin ergibt sich aus § 231, vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4. 25) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8.
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C. Schmidt/Stahlschmidt
Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin
§ 38
griffe in die Absonderungsrechte und die Gruppenstruktur, geändert werden.26) Im Hinblick auf den Grundsatz der Gläubigerautonomie sind auch umfangreiche und gravierende Änderungen möglich, solange sie den Plan nicht unübersichtlich machen und jedem einzelnen Beteiligten noch einen Überblick auf die konkreten Auswirkungen auf seine Rechtsposition ermöglichen.27) Wichtig ist hierbei, dass der Plan für den Beteiligten, der von den Änderungen betroffen ist, weiterhin nachvollziehbar und in vollem Umfang prüfbar bleibt. Strittig ist, ob auch erstmalige Eingriffe in Rechte von Beteiligten, die bisher durch den 34 ursprünglichen Plan nicht berührt worden sind, zulässig sind. Teilweise wird vertreten, dass solche Änderungen nur bei Anwesenheit dieser Beteiligten zulässig sind oder ein besonderer Abstimmungstermin angesetzt wird.28) Abweichend hiervon wird vertreten, dass grundsätzlich auch solche Änderungen selbst bei Abwesenheit dieser Beteiligten zulässig sein sollen.29) So müsse jeder Beteiligte mit Planänderungen rechnen und könne nicht darauf vertrauen, dass in seine Rechte nicht eingegriffen werde. Das Planverfahren beruhe eben auch auf dem Grundsatz, dass ein Gläubiger, der seine Rechte nicht wahrnimmt, das Zustandekommen des Plans nicht behindern solle.30) Im Hinblick auf diese Erwägungen und vor dem Hintergrund, dass den Beteiligten i. S. der Gläubigerautonomie flexible Gestaltungen ermöglicht werden sollen, dürften auch solche erstmaligen Eingriffe in Rechte von Beteiligten durch eine Änderung des ursprünglichen Insolvenzplans zulässig sein. Das Insolvenzgericht muss prüfen, ob sich die vom Planvorlegenden eingebrachten Än- 35 derungen i. R. des § 231 und § 240 InsO bewegen (siehe oben § 35 Rz. 8 ff.), und – falls dem nicht so ist – einen richterlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO geben. Bei der Prüfung sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei neu eingereichten Insolvenzplänen. Außerdem ist jedem anwesenden Beteiligten, dessen Rechte durch die Änderungen betroffen sind, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Insoweit hat das Gericht zu prüfen, ob die Vorschriften über den Inhalt des Plans und ggf. den Ablauf des Insolvenzplanverfahrens beachtet wurden. Hierbei erfolgt eine Beschränkung auf die formalen Anforderungen; eine Prüfung, ob der Plan durch die Änderungen weiterhin wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, ist dem Gericht versagt.31) Der sorgfältigen Prüfung durch das Insolvenzgericht kommt besondere Bedeutung zu, da ein Mangel ggf. durch Nachbesserung oder Neuvornahme behoben werden muss. Sofern ein wesentlicher Verstoß gegen die Verfahrensgrundsätze erst festgestellt wird, nachdem der Abstimmungstermin über den Insolvenzplan stattgefunden hat, liegt ein unbehebbarer Mangel vor, der einer Bestätigung entgegensteht.32) Gegen die Zurückweisung einer Planänderung ist kein Rechtsmittel gegeben. Zu möglichen 36 Planänderungen im Detail siehe unten § 39, zu Rechtsmitteln § 43. VIII. Weitere Verfahrensschritte Abhängig vom Ausgang des Abstimmungstermins entscheidet sich der Fortgang des Ver- 37 fahrens. Sofern die Gruppen mit den notwendigen Mehrheiten dem vorgelegten Insolvenzplan zugestimmt haben, obliegt es dem Insolvenzgericht zu prüfen, ob ein Widerspruch des Insolvenzschuldners gegen den Plan vorliegt. Gemäß § 247 Abs. 1 InsO muss der In___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)
Vgl. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 4. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 5. Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4. Vgl. Begr. RegE z. § 289 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 208. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, Rz. 8, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141.
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§ 38
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
solvenzschuldner bis zum Ende des Abstimmungstermins seinen Widerspruch schriftlich erklären, ansonsten gilt seine Zustimmung als erteilt. Ist der Insolvenzschuldner im Abstimmungstermin anwesend, kann der Widerspruch auch im Termin erklärt werden.33) Das Widerspruchsrecht steht grundsätzlich dem Schuldner zu, sofern es sich um eine natürliche Person handelt, oder dessen gesetzlichen Vertreter, bei juristischen Personen. Liegt kein Widerspruch vor, hat das Insolvenzgericht im nächsten Schritt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestätigung des Plans vorliegen (Einzelheiten zur Planbestätigung siehe unten § 42). Vor der Entscheidung über die Bestätigung soll das Gericht den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner anhören, § 248 InsO. Danach kann die Entscheidung im Beschlusswege unmittelbar verkündet werden. In Ausnahmefällen kann das Gericht einen besonderen Termin zur Verkündung der Entscheidung bestimmen. Die Bestimmung des Termins soll kurzfristig erfolgen, § 252 Abs. 1 InsO. Der Termin ist öffentlich bekannt zu machen. 38 Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans ist das Insolvenzverfahren beendet. Das Insolvenzgericht hat dann gemäß § 252 Abs. 2 InsO den bestätigten Insolvenzplan oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts an die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu übersenden. Eine erneute Übersendung des Plans oder einer Zusammenfassung kann unterbleiben, wenn alle Beteiligten, insbesondere die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, diese bereits mit der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin erhalten haben und der Plan nicht mehr geändert worden ist.34) Mit dieser Entscheidung enden auch die Ämter des Insolvenzverwalters und die der Mitglieder des Gläubigerausschusses, falls ein solcher bestellt ist. Sofern das Insolvenzgericht die Bestätigung versagt oder der Plan nicht die erforderlichen Mehrheiten erreicht, wird das Verfahren nach den Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens fortgesetzt. Bis zur Beendigung des Schlusstermins oder der Beendigung des Verfahrens in einer sonstigen Art und Weise können die Vorlageberechtigten erneut einen Insolvenzplan vorlegen, § 218 Abs. 1 InsO. 39 Gegen die Entscheidung des Gerichts ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben. Es steht den Gläubigern, dem Schuldner und, wenn dieser keine natürliche Person ist, den am Schuldner beteiligten Personen zu, § 253 Abs. 1 InsO. Das Rechtsmittel gegen die Bestätigung des Insolvenzplans, dem die Beteiligten und das Gericht zugestimmt haben, ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat,
gegen den Plan gestimmt hat und
glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden kann.
40 Mit dieser Änderung der InsO zum 1.3.2012 sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde verschärft worden, nachdem allgemein kritisiert worden war, dass einzelnen Beschwerdeberechtigten erhebliches Störpotential zukommt; denn mit der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung des Plans verzögert sich der Eintritt der Wirkungen des Insolvenzplans, zum Teil sogar über viele Monate. Dies ist für die Beteiligten meist schwer erträglich und verringert die Chance nicht unerheblich, das Unternehmen mittels eines Insolvenzplans zu sanieren.35) Einzelheiten siehe unten bei § 43. ___________ 33) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 247 Rz. 18. 34) AG Ludwigshafen v. 8.7.2016 – 3 e IN 380/15, NZI 2016, 918. 35) Vgl. Begr. RegE ESUG z. § 253 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 34 f.
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§ 39 Planänderungen Pleister/Theusinger
I. Bedeutung.................................................... 1 II. Inhaltliche Reichweite der Änderungen................................................. 2 III. Zeitpunkt der Änderungen ..................... 14 1. Planänderungen bis zum Erörterungsund Abstimmungstermin........................... 15 2. Planänderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin .................................. 20
I.
IV. Berechtigung zur Planänderung ............. 22 V. Mitwirkung des Gerichts; erneute Prüfung nach § 231 InsO ......................... 24 VI. Abgrenzung zu Planänderungen nach rechtskräftiger Bestätigung............ 28 VII. Abgrenzung von Planberichtigung und Planänderung..................................... 30
Bedeutung
Die §§ 217 ff. InsO stellen mit dem Insolvenzplanverfahren den Beteiligten einen „Rechts- 1 rahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen“ zur Verfügung.1) Innerhalb dieses Verfahrens können Situationen entstehen, die es erfordern, einen einmal gemäß § 218 InsO vorgelegten Plan zu ändern, bspw. um ein drohendes Scheitern in der Abstimmung zu verhindern, die gerichtliche Bestätigung zu ermöglichen,2) oder auch nur, um neuen Entwicklungen und Erkenntnissen Rechnung zu tragen.3) Deshalb berechtigt § 240 InsO den Planvorlegenden, einzelne Regelungen des Insolvenzplans aufgrund der Erörterung im Termin inhaltlich zu ändern. Durch die Möglichkeit zur Planänderung wird die Verfahrenseffektivität und -beschleunigung gewährleistet.4) Für den Schuldner als Planersteller hat diese Planänderung dabei eine besondere Bedeutung: Sie ist meist die einzige Möglichkeit, die Chance auf eine Insolvenzregelung nach seinen eigenen Vorstellungen zu erhalten.5) Denn wenn der Schuldnerplan bei erstmaliger Vorlage von den Beteiligten abgelehnt oder vom Gericht nicht bestätigt wird, kann das Insolvenzgericht einen neuen Plan des Schuldners gemäß § 231 Abs. 2 InsO zurückweisen, sofern der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses die Zurückweisung beantragt. II.
Inhaltliche Reichweite der Änderungen
Nach § 240 InsO können einzelne Regelungen des Insolvenzplans geändert werden. Der 2 Wortlaut des § 240 InsO erfasst lediglich den gestaltenden Teil des Plans (§ 221 InsO), da es sich nur dabei um Regelungen handelt.6) Jedoch sind auch Änderungen des darstellenden Teils (§ 220 InsO) zulässig, soweit sie zur Erläuterung des gestaltenden Teils erforderlich sind oder sich aus anderen Umständen ergeben.7) Dazu können nachträgliche Erläuterungen ___________ 1) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 1; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 38 Rz. 7. 2) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 1; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 2; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 1. 3) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 1; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 2; Braun/ Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 1; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 2; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 1. 4) Madaus, KTS 2012, 27, 28; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 2; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 1; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 6. 5) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 7. 6) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 2; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 4; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 157; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 4; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 3. 7) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 4; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 2; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 157; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 4.
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§ 39
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einer Gruppenabgrenzung, weitere Vergleichsrechnungen mit einer Insolvenzabwicklung ohne Plan oder Änderungen der Plananlagen zählen.8) 3 Die Reichweite der Änderungsbefugnis ergibt sich nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Norm. In der Praxis ist weitgehend anerkannt, dass das Änderungsrecht des Planerstellers nicht zu eng gefasst werden sollte, da § 240 InsO in erster Linie der Verfahrensbeschleunigung dienen soll.9) Nicht ausgeschlossen sind nach verbreiteter Auffassung auch substantielle Änderungen des Insolvenzplans.10) Die Beschränkung des Wortlauts der Norm auf „einzelne Regelungen“ deutet jedoch darauf hin, dass der Plan „in seinem Kern“ erhalten bleiben muss.11) Der Gegenstand einer „Kernregelung“ eines Insolvenzplans ist weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien definiert. Er ist daher nach der jeweiligen Gesamtkonzeption des Plans zu qualifizieren.12) Eine Änderung des Ziels des Plans, bspw. von einer Sanierung zur Liquidation, ist jedenfalls unzulässig.13) Auch Änderungen in der Gruppen- und Abstimmungsstruktur betreffen den Kern des Plans und sind daher unzulässig.14) Die Grenzen der Änderungsbefugnis sind i. Ü. anhand folgender Kriterien zu bestimmen:15) Zum einen sind nur solche Änderungen zulässig, die in einem fairen Verfahren erfolgen. Damit sind im Wesentlichen formelle Aspekte der Einbindung der Betroffenen angesprochen. Zum anderen darf die Übersichtlichkeit des Plans nicht beeinträchtigt werden. So soll der materielle Schutz sichergestellt werden; die Beteiligten müssen auch nach den Änderungen noch in der Lage sein, die ökonomischen und rechtlichen Auswirkungen auf ihre Position problemlos einzuschätzen.16) 4 Grundsätzlich wird ein faires Verfahren bereits dadurch gewährleistet, dass der Insolvenzplan in einer mündlichen Verhandlung diskutiert wird, an der jeder Beteiligte teilnehmen darf und seine Rechte wahrnehmen kann.17) Nimmt er nicht teil, begibt er sich ___________ 8) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 164. 9) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3; Exner/Wittmann, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 43 Rz. 76; Proske/Flitsch, in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 240 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 5; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 8; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 465; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 16.24; etwas enger wohl Hintzen, in: MünchKommInsO, § 235 Rz. 26. 10) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 5; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 3; a. A.: Flöther, in: Blersch/ Goetsch/Haas, InsR, § 240 InsO Rz. 1, nach dem nur geringfügige Änderungen vorgenommen werden dürfen. 11) Diese Formulierung wählte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 183. So auch Hiebert, ZInsO 2015, 113, 114; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1923. 12) Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 633 f.; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 8; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 9; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 9; s. zum Sanierungskonzept ferner den am 16.5.2018 aktualisierten IDW S 6 bzgl. der Anforderungen an Sanierungskonzepte, IDW Life 8/2018, 813 ff. Rz. 11 ff. sowie Steffan, ZIP 2018, 1767 ff. 13) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3; Hess, InsR, § 240 InsO Rz. 6; Hintzen, in: MünchKommInsO, § 240 Rz. 9; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 8; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 5; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 8; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 465; Wenzel, in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 9. 14) So AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZIP 2016, 2492; dazu Wozniak, jurisPR InsR 18/2016 Anm. 4. 15) Vgl. hierzu Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 6 ff.; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3. 16) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 8; Braun/ Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 14. 17) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7.
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Planänderungen
dieser Rechte und ist nicht schutzwürdig.18) Insbesondere darf er nicht darauf vertrauen, dass der Insolvenzplan nicht geändert wird, weil § 240 InsO diese Änderungsmöglichkeit explizit vorsieht. Zudem weisen auch die Gerichte bei der Ladung zum Termin nach § 235 Abs. 3 InsO zumeist auf die Möglichkeit von Änderungen hin.19) Selbst die Abwesenheit im Erörterungs- und Abstimmungstermin in dem Glauben, nicht vom Plan betroffen zu sein, ändert nach einer vielfach vertretenen, allerdings auch bestrittenen Auffassung nichts am fehlenden Vertrauensschutz, da nach der Gesetzeslage immer mit Planänderungen zu rechnen sei.20) Auch Beteiligte, die bislang nicht vom Plan betroffen waren und deshalb am Termin nicht teilgenommen haben, genießen keinen ausnahmslosen Vertrauensschutz.21) Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist nur dann berührt, wenn sich die vorgenommenen Änderungen vollkommen von der bisherigen Planstruktur lösen.22) Das kann der Fall sein, wenn ohne wirtschaftlichen Grund der Plan zulasten einer nicht vertretenen Gruppe geändert wird. Die Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens dürfte in der Praxis einer Planänderung jedoch nur selten entgegenstehen. Deshalb ist es regelmäßig auch nicht notwendig, bei Planänderungen den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu vertagen.23) Da die fehlende Teilnahme am Abstimmungstermin den Rechtsschutz gegen die Bestä- 5 tigung des Plans gemäß § 251 Abs. 1 und 2, § 253 Abs. 2 InsO ausschließt, ist die Nichtteilnahme ein riskantes Unterfangen. Sollte ein Beteiligter entgegen § 235 Abs. 3 InsO nicht geladen sein, dürfte es allerdings zweifelhaft sein, ob ein erstmaliger Eingriff in dessen Rechte durch eine diesem nicht mitgeteilte Änderung zum oder im Abstimmungstermin zulässig bleibt. Relevant ist zudem die Frage, ob und inwieweit das Änderungsrecht nach § 240 InsO 6 auch etwaige gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beim Schuldner, die nach § 225a Abs. 3 InsO umfassend im Plan möglich sind, erfasst – wie etwa Kapitalherabsetzung, Kapitalerhöhung, insbesondere gegen Sacheinlagen wie beim Debt-Equity-Swap (vgl. § 225a Abs. 2 InsO).24) Diesbezüglich denkbare Änderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin ___________ 18) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7; vgl. auch Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208, wonach die Passivität eines Beteiligten in der Beteiligtenversammlung – sei es im Wege des Nichterscheinens, der Nichtteilnahme oder der Stimmenthaltung – das Zustandekommen eines Plans ausdrücklich nicht behindern solle. 19) Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 15. 20) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 11; Wenzel, in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 12. 21) A. A. Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 13, nach dem ein Plan, der in einer solchen Situation geändert wird, wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht bestätigungsfähig sei; ebenso Flöther, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 240 InsO Rz. 1a; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 11; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 13.43; a. A. ferner Haas, in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 6, der die Möglichkeit einer Änderung in diesem Fall von der Ladung der nun betroffenen Beteiligten zum Erörterungstermin analog § 235 Abs. 3 abhängig macht und eine Vertagung verlangt; ebenso Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3, 11; Proske/Flitsch, in: Cranshaw/ Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 240 InsO Rz. 4; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 4; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5. 22) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7. 23) Vgl. aber Vorschlag zur Vertagung des Abstimmungstermins bei vielfältigen, unübersichtlichen Änderungen: Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 10; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 2; ferner der Vorschlag einer Vertagung für den Fall, dass die Änderungen nicht mehr im Abstimmungstermin schriftlich vorgelegt werden können: Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 11; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 8. 24) Zum Debt-Equity-Swap nach neuem Recht Meyer/Degener, BB 2011, 846; Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697; zu aktuellen Fällen aus der Praxis Pleister, GWR 2013, 220; zu Kapitalmaßnahmen beim Schuldner nach altem Recht Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
reichen von der erstmaligen Einfügung von Kapitalmaßnahmen in den Insolvenzplan bis hin zu lediglich kleineren Änderungen an der bereits im ursprünglichen Planentwurf vorgesehenen Kapitalmaßnahme. Durch die Planänderung sind die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen betroffen. Allerdings müssen die Anteilseigner – da ein Insolvenzplan regelmäßig auf die Fortführung des Schuldners zielen dürfte25) – einen Beschluss über die Fortführung der mit Verfahrenseröffnung aufgelösten Gesellschaft fassen (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 274 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 AktG, § 144 Abs. 1 HGB). Dieser Beschluss ist als Teil des Plans möglich (vgl. § 225a Abs. 3 InsO, der den Fortführungsbeschluss ausdrücklich als Beispiel einer gesellschaftsrechtlichen Regelung im Plan nennt). Zur Fassung dieses Beschlusses sind die Anteilseigner damit ohnehin zum Erörterungs- und Abstimmungstermin nach Maßgabe des § 235 Abs. 3 Sätze 3 und 4 InsO besonders zu laden, wobei dies nicht für Aktionäre und Kommanditaktionäre gilt (hier soll die öffentliche Bekanntmachung des Termins wegen des regelmäßig breiten Kreises dieser Gesellschafter genügen;26) bei börsennotierten Gesellschaften ist gemäß § 235 Abs. 3 Satz 4 InsO i. V. m. § 121 Abs. 4a AktG die Ladung in einem Medium mit Verbreitung in der gesamten EU27) zu veröffentlichen, eine Planzusammenfassung ist auf der Internetseite der Gesellschaft einzustellen)28). Gemessen am oben dargestellten Grundsatz des fairen Verfahrens dürften dann bloße Änderungen einer bereits ursprünglich vorgesehenen Kapitalmaßnahme im Erörterungs- und Abstimmungstermin unproblematisch sein. Denn durch die Veröffentlichung des ursprünglichen Plans mit einer bereits vorgesehenen Kapitalmaßnahme waren die Anteilseigner des Schuldners jedenfalls hinreichend gewarnt und hatten die Möglichkeit, auf drohende Planänderungen durch Mitwirkung beim Erörterungs- und Abstimmungstermin Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus dürfte auch eine erstmals vor dem oder im Abstimmungstermin eingefügte Kapitalmaßnahme zulässig sein, wenn die Anteilseigner etwa wegen des vorgesehenen Fortführungsbeschlusses geladen waren. Diese Änderung kommt zwar in materiell-rechtlicher Hinsicht überraschend, aber die von § 240 InsO bezweckte Verfahrensbeschleunigung lässt dies letztlich einschränkungslos zu. 7 Fraglich ist allerdings, ob auch ein erstmals zum oder im Abstimmungstermin erfolgter Eingriff in die Rechte der Anteilseigner zulässig ist. Denn dann waren diese gar nicht zu laden, wie der Umkehrschluss zu § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO zeigt. Da weder der Minderheitenschutz nach § 251 Abs. 1 und 2 InsO noch Rechtsmittel nach § 253 Abs. 2 InsO bei fehlender Teilnahme in Betracht kommen, könnte dies bedenklich sein. Die Einschränkung des grundrechtlich garantierten Eigentumsschutzes mag dann ihre Grenzen erreicht haben, zumal auch die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren den Grundrechtseingriff nur vor dem Hintergrund des genannten Minderheitenschutzes und der Mitwirkung der Anteilseigner am Planverfahren gerechtfertigt sah.29) Hierzu wurde bereits bisher vertreten, dass die Umstellung eines Fortführungs- auf einen Liquidationsplan eine derart materielle Änderung darstellt, dass diese nicht von § 240 InsO gedeckt ist (siehe Rz. 3). ___________ 25) S. zur Fortführung des betroffenen Unternehmens den am 16.5.2018 aktualisierten IDW S 6 in IDW Life 8/2018, 818 f. Rz. 17 ff. u. 24 ff. sowie Steffan, ZIP 2018, 1770. 26) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 27) Der Betreiber des Bundesanzeigers bietet einen Verbreitungsdienst für Hauptversammlungseinladungen an, der die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4a AktG erfüllt. Eine entsprechende Verbreitung der Ladung kann daher über dieses Medium sichergestellt werden; vgl. Grobecker, NZG 2010, 165, 168; Reger, in: Bürgers/Körber, AktG, § 121 Rz. 19a. 28) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung weist insoweit auf die Praxis von Insolvenzverwaltern hin, den Insolvenzplan passwortgeschützt auf ihre Internetseiten einzustellen, Begr. RegE ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 33. 29) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 34 f.
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§ 39
Planänderungen
Es spricht einiges dafür, dass umgekehrt das Gleiche gilt: Handelte es sich um einen Liquidationsplan und waren deshalb die Anteilseigner schon mangels Erfordernis des Fortführungsbeschlusses nicht geladen, so kann nicht über § 240 InsO die Fortführung verbunden mit Kapitalmaßnahmen im Wege der Planänderung geregelt werden. Die in einem fairen Verfahren vorgeschlagenen Änderungen des Plans müssen zudem 8 übersichtlich bleiben. Sie dürfen die sachgerechte Ausübung der Rechte der Beteiligten nicht erschweren. Umfangreiche Änderungen mit zahlreichen Verweisungen können daher unzulässig sein.30) Werden die vorstehend skizzierten Grenzen eingehalten, dürften bspw. folgende Maß- 9 nahmen zulässig sein: Änderung der Höhe der zugeteilten Quote an einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen,31)
Änderung von Fälligkeiten und Stundungsvereinbarungen,32)
Änderung des Kreditrahmens,
Änderung bzw. Austausch angebotener Sicherheiten,33)
Modifizierung einer beabsichtigten Grundstücksübertragung,34)
Erhöhung der Eingriffe in Absonderungsrechte,
Austausch von Gläubigern von der einen in eine andere Gruppe,35)
Änderung der Rechte der Anteilseigner, insbesondere durch Kapitalmaßnahmen.
Unzulässig dürften bleiben: Übergang von einem Insolvenzplantyp zum anderen,36)
10
Änderung der Gruppenbildung nach Festlegung der Stimmrechte.37)
Sollte die Änderung des Plans unzulässig sein, bleibt dem Planverfasser bis zum Beginn 11 der Abstimmung die Möglichkeit, den Plan zurückzuziehen38) und die Änderungen in einem neu vorzulegenden Plan zu berücksichtigen.39) Eine weitere Einschränkung der Änderungen nach § 240 InsO ergibt sich aus prakti- 12 schen Gründen. Derjenige, der den Plan vorlegt, wird immer auch die Wirkungen etwaiger ___________ 30) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 8. 31) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 2; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 633; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 5; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 15; Thies, in: HambKommInsO, § 240 Rz. 4. 32) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1923. 33) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 14; Hiebert, ZInsO 2015, 113, 114; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1923. 34) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 35) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; krit. Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 6 ff. Für die Frage des Austauschs von Gruppenmitgliedern ist auch die Entscheidung des AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZIP 2016, 2492, zu Änderungen der Gruppen- und Abstimmungsstruktur zu beachten. 36) Hess, InsR, § 240 InsO Rz. 6; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 37) Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 12. 38) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 10; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 17; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 5; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 150 ff.; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 12; Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 152 f.; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 41, und Thies, in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 15, die für eine Möglichkeit der Rücknahme bis zur Rechtskraft des bestätigten Insolvenzplans plädieren; so auch ausf. Madaus, KTS 2012, 27, 30 ff. 39) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 5; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1924.
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§ 39
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
Änderungen auf das Stimmverhalten der Beteiligten im Auge behalten. Auf der einen Seite können Änderungen des Insolvenzplans dazu beitragen, die Annahme des Plans zu sichern.40) Geraten sie allerdings zu weitreichend, besteht die Gefahr, dass sich die Beteiligten überrumpelt fühlen und dadurch ihr Abstimmungsverhalten negativ beeinflusst wird.41) Unabhängig von den vorstehend skizzierten rechtlichen Grenzen wird der Vorlegende auch aus diesen Erwägungen ein faires Verfahren einhalten und die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit der Änderungen sicherstellen. Er wird ferner versuchen, bereits im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins etwaiges Konfliktpotential auszuräumen. Denn es kann sich im Erörterungs- und Abstimmungstermin eine schwer zu kontrollierende, den Erfolg des Insolvenzplans gefährdende Eigendynamik entwickeln, wenn dort noch erhöhter Diskussions- und Änderungsbedarf besteht.42) In der Praxis sollte die Änderungsmöglichkeit im Erörterungs- und Abstimmungstermin eher als ultima ratio begriffen werden.43) 13 In jedem Fall sollten die Änderungen schriftlich vorgelegt werden.44) III.
Zeitpunkt der Änderungen
14 Die Vornahme von Änderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 InsO ist in § 240 InsO ausdrücklich geregelt. Daraus ergibt sich jedoch noch kein Ausschluss von Änderungen vor diesem Zeitpunkt. Das ESUG45) hat keine unmittelbare Modifizierung der Vorschriften zur Änderung des Insolvenzplans nach § 240 InsO bewirkt. Dennoch können sich Abweichungen zum bisher geltenden Recht dadurch ergeben, dass der zeitliche Ablauf des Eröffnungs- und Insolvenzverfahrens angepasst wurde. Zu berücksichtigen ist dabei die im neu eingefügten § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO festgelegte Möglichkeit, den Erörterungs- und Abstimmungstermin schon gleichzeitig mit der Einholung der Stellungnahmen nach § 232 InsO anzusetzen. Damit wird bei Wahl dieser Option vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin kaum Zeit für eine Änderung des Insolvenzplans in Reaktion auf die Stellungnahmen sein. Die generelle Möglichkeit einer solchen vorherigen Änderung bleibt aber unberührt. 1.
Planänderungen bis zum Erörterungs- und Abstimmungstermin
15 § 240 InsO erlaubt die Planänderung im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Aber auch schon vor den Erörterungen kann es Änderungsbedarf geben.46) Dabei sind zwei Zeiträume zu unterscheiden: der Zeitraum bis zur Zuleitung zur Stellungnahme nach § 232 InsO und der Zeitraum zwischen der Niederlegung des Plans gemäß § 234 InsO und dem Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 InsO. Die rechtliche Zulässigkeit der Änderung ergibt sich dabei aus einem Erst-recht-Schluss zu § 240 InsO. Wenn ___________ 40) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 2. 41) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 13; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 10. 42) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 6. 43) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 5. 44) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 4; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 8; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 10, der eine vollständig neue schriftliche Abfassung verlangt, wenn die Änderungen dazu führen, dass der vorgelegte Plan samt protokollierten Änderungen für den einzelnen Beteiligten nicht mehr nachvollziehbar ist; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 6; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 16. 45) S. zum Bericht über die im Sommer 2018 abgeschlossene Evaluation des ESUG die Ausführungen in § 58. 46) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 11; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 159; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 5.
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Planänderungen
eine Änderung noch unmittelbar vor der Abstimmung möglich ist, dann muss sie auch zu einem früheren Zeitpunkt erlaubt sein.47) Zudem muss der Vorlegende auf Hinweise des Gerichts auf eine beabsichtigte Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 InsO reagieren können.48) Ob eine Änderung vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin praktisch sinnvoll 16 und damit zu empfehlen ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Dennoch lassen sich allgemeine Leitlinien für die Entscheidung herausarbeiten: Uneingeschränkt sinnvoll ist eine Änderung des Plans bis zum Zeitpunkt der Zuleitung zur Stellungnahme nach § 232 InsO. Etwas anderes könnte für die darauffolgende Phase, also die Zeit von der Niederlegung 17 des Plans bis zum Erörterungs- und Abstimmungstermin gelten. Die von der Insolvenz des Schuldners betroffenen Beteiligten können ab diesem Zeitpunkt den Plan einsehen, Vervielfältigungen anfertigen lassen49) – soweit der Plan nicht ohnehin online zur Verfügung gestellt wird – und ihre Position prüfen. Auf der Grundlage dieser Einsicht werden sie zum einen entscheiden, ob sie am Erörterungs- und Abstimmungstermin teilnehmen, zum anderen werden sie die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Plans evaluieren und ihre Position zu einzelnen Streitpunkten überdenken. Eine Pflicht zur Niederlegung eines geänderten Plans enthält die InsO nicht. Wird der Plan etwa aufgrund einer nach § 232 InsO eingereichten Stellungnahme geän- 18 dert, um den Bedenken eines bestimmten Beteiligten oder einer bestimmten Beteiligtengruppe zu begegnen, so werden diese Beteiligten vom neuen Plan Kenntnis erlangen, eine Mitteilungspflicht gegenüber anderen betroffenen Beteiligten besteht aber nicht. Insbesondere Beteiligte, die bisher nicht von den Wirkungen des Insolvenzplans berührt waren, aber auch andere Beteiligtengruppen werden von den Änderungen erst im Erörterungsund Abstimmungstermin Kenntnis erlangen. Damit kommt es zu zwei negativen Effekten: Zunächst entsteht ein Informationsgefälle zwischen den einzelnen Beteiligten. Dies wird dazu führen, dass bestimmte Beteiligte vorbereitet in den Erörterungs- und Abstimmungstermin gehen, während andere sich auf einen nicht mehr aktuellen Plan vorbereitet haben. Berücksichtigt man, dass die Qualität der Änderungen durchaus gravierend sein kann, ist die Chancengleichheit der Verhandlungsparteien beeinträchtigt. Daraus folgt unmittelbar der zweite Effekt der fehlenden Mitteilungspflicht: Die nicht oder nur unzureichend informierten Parteien sehen sich überrumpelt. Sie stehen einem „Bündnis“ aus besser informierten Beteiligten und dem Schuldner gegenüber, die ohne die Mitwirkung der übrigen Beteiligten Änderungen am Plan bewirkt haben. Dies wird regelmäßig zu einer ablehnenden Haltung gegenüber diesen und in der Folge auch anderen Änderungen führen. Letztendlich wird die Entscheidung vom Umfang und der Reichweite der Änderungen 19 abhängen. In jedem Fall müssen aber bei einer frühzeitigen Änderung des Plans die oben skizzierten Grundsätze eines fairen Verfahrens gewahrt werden. Dazu gehört auch, dass alle Änderungen, die nach der Niederlegung des Plans vorgenommen wurden, dokumentiert und zu Beginn des Erörterungs- und Abstimmungstermins allen Beteiligten präsentiert werden. Es empfiehlt sich, jedem Beteiligten im Abstimmungstermin einen Plan, in dem die Änderungen klar markiert sind, per Kopie zur Verfügung zu stellen. Soweit der Plan online verfügbar gemacht wird, sollte auch umgehend die Änderungsfassung idealiter mit Änderungskennung eingestellt werden.
___________ 47) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 159; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4. 48) Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4. 49) Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 234 Rz. 7.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Planänderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin
20 § 240 InsO gestattet die Änderung des Insolvenzplans im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Nach dem Wortlaut des § 240 InsO ist dies der gesetzliche Regelfall.50) Bevor der Plan nach einer Änderung zur Abstimmung kommt, muss allerdings auch die Änderung erörtert werden.51) Eine erneute Einholung von Stellungnahmen der Beteiligten nach § 232 InsO ist hingegen nicht erforderlich.52) Grundsätzlich ist es zulässig und auch zumeist von allen Verfahrensbeteiligten erwünscht, die Änderung, wiederholte Erörterung und Abstimmung an einem Termin durchzuführen.53) Sollte die Abstimmung nicht mehr am gleichen Termin erfolgen können und besteht nicht die Möglichkeit einer Unterbrechung oder einer Vertagung nach § 4 InsO i. V. m. § 227 ZPO, setzt das Gericht nach § 241 InsO einen gesonderten Termin zur Abstimmung an. Gesonderte Termine sind, wenn möglich, zu vermeiden, um Verfahrensverzögerungen zu minimieren.54) Diesem Bestreben nach Beschleunigung des Verfahrens kommen auch die vorstehend beschriebenen Grenzen der möglichen Reichweite der Änderungen entgegen. Denn entscheidend für die Möglichkeit einer Abstimmung am gleichen Tag ist die inhaltlich geforderte Nachvollziehbarkeit der Änderungen für den Einzelnen.55) Nur bei vielfältigen und unübersichtlichen Änderungen kann es dabei nötig sein, den geänderten Plan erneut schriftlich abzufassen und den Abstimmungstermin zu verschieben, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten die Reichweite ihrer Entscheidung zu überblicken vermögen.56) In der Praxis empfiehlt sich die Arbeit mit einem Planexemplar mit Änderungskennung. In diesem Fall sind technische Vorkehrungen zu treffen, damit etwaige Änderungsexemplare an die Teilnehmer der Beteiligtenversammlung in Kopie verteilt werden können. Die Möglichkeit zur Vornahme von Änderungen endet mit Beginn der Abstimmung.57) 21 Kein Hindernis für mögliche Änderungen ist indes grundsätzlich die Abwesenheit von Beteiligten. Selbst vom Plan bisher nicht Betroffene müssen nämlich mit Eingriffen rechnen.58) Da die gesetzliche Regelung eindeutig Änderungen zulässt, kann grundsätzlich auch kein ___________ 50) Hiebert, ZInsO 2015, 113, 116 ff. 51) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 8; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 6; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 8; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 1. 52) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 17; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 464. 53) Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 68 Rz. 31; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 158; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 17; einschränkend Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 11; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 10 f.; Frind, NZI 2007, 374, 375; krit. Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 6, der hier eine Gefahr der Überrumpelung der Gläubiger sieht; ebenso Maus, DStR 2002, 1104, 1106. 54) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 183; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 6; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 2, 17; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 5; Hiebert, ZInsO 2015, 113, 116; einschränkend Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 15, der auf einen gesonderten Abstimmungstermin nur verzichten möchte, wenn sich die Situation der Gläubiger durch die Änderungen lediglich verbessert hat oder aber alle nachteilig betroffenen Gläubiger im Erörterungstermin anwesend waren; abl. Rattunde, in: Leonhardt/ Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 15, der die Möglichkeit zur taggleichen Abstimmung zur Vermeidung von Überrumpelungen auf Korrekturen von Schreib- und Rechenfehlern beschränken will. 55) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 18. 56) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch InsO, Kap. 9 Rz. 72; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 10. 57) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 6; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 468, die sogar kleinere Änderungen nach Beginn der Abstimmung für möglich halten, sofern diese diskutiert werden; a. A. Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 8. 58) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 InsO Rz. 3; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 12; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 12; Hiebert, ZInsO 2015, 113, 117.
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§ 39
Planänderungen
Vertrauen des Betroffenen darauf bestehen, der Plan werde sich nicht zu seinen Lasten ändern (siehe dazu bereits oben Rz. 4).59) Grenze der Änderungsmöglichkeiten bleibt indes der Grundsatz des fairen Verfahrens und die Übersichtlichkeit der Änderungen sowie der Kerngehalt des Plans. Daher muss auch den Beteiligten, die nicht zum Erörterungs- und Abstimmungstermin erschienen sind, die Möglichkeit gegeben werden, sich im Nachhinein über die Änderungen zu informieren.60) IV.
Berechtigung zur Planänderung
Nach der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 240 InsO ist zur Planänderung 22 nur derjenige berechtigt, der den Plan vorgelegt hat.61) Im Rahmen der Stellungnahmen nach § 232 InsO und des Erörterungs- und Abstimmungstermins nach § 235 InsO können also von den sonstigen Planbeteiligten nur Anregungen zur Änderung ohne Bindungswirkung für den Planvorlegenden geäußert werden.62) Ebenso können Planänderungen durch das Gericht – i. R. der Vorprüfung des vorgelegten Plans (§ 231 Abs. 1 InsO) oder für den Fall etwaiger die Bestätigung hindernder Verfahrensverstöße (§ 250 Nr. 1 InsO) – nur angeregt werden.63) Durchsetzbar sind diese Anregungen nur insoweit, als der Vorlegende mit einem Scheitern des Insolvenzplans rechnen muss, wenn er ihnen nicht nachkommt.64) Es besteht umgekehrt auch kein Anspruch der Beteiligten, dass der Plan in der zunächst niedergelegten Gestalt zur Abstimmung kommt.65) Eine Einwilligung der Beteiligten ist nicht notwendig, da der Planvorlegende „Herr des 23 Insolvenzplanverfahrens“ bleibt.66) Die spätere Abstimmung über den geänderten Plan ist als Kontrollmechanismus insoweit ausreichend.67) V.
Mitwirkung des Gerichts; erneute Prüfung nach § 231 InsO
Im Erörterungs- und Abstimmungstermin kommt dem Gericht nur die Funktion der 24 Verfahrensleitung, nicht aber die der Beteiligung an der inhaltlichen Diskussion zu.68) Es kann aber in Einzelfällen eine Aufklärungspflicht gegenüber Verfahrensbeteiligten bestehen, die ihre rechtliche Position nicht korrekt einzuschätzen vermögen.69) Kann der Beteiligte ___________ 59) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 InsO Rz. 3; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14. 60) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 15. 61) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 3; Kebekus/Wehler, in: GrafSchlicker, InsO, § 240 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 5; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 464; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 2. 62) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Flöther, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 240 InsO Rz. 2; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 6; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 4; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 7. 63) Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 7. 64) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 4. 65) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 4; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 2; Wenzel, in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 8. 66) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 7; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 14; a. A. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 7; Hess, InsR, § 240 InsO Rz. 3. 67) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 5. 68) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 12. 69) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 15; weitergehend Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b, der dazu von einer Aufklärungspflicht auch bei wirtschaftlichen Fehleinschätzungen ausgeht.
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§ 39
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
hingegen nur seine wirtschaftliche Position nicht richtig einschätzen, besteht allenfalls die Möglichkeit, den Termin zu vertagen.70) 25 Wird der Insolvenzplan geändert, hat das Gericht zu prüfen, ob tatsächlich nur „einzelne Regelungen“ geändert wurden.71) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen hat das Gericht nicht zu prüfen. Lehnt das Gericht die Planänderung ab, steht dem Vorlegenden nicht das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO zu.72) Gleiches gilt für die Zulassung des geänderten Plans. Die früher mögliche Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG gegen diese Entscheidung, die im Regelfall der Rechtspfleger zu treffen hatte,73) scheidet nunmehr aus, da nach dem ESUG das Insolvenzplanverfahren gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Insolvenzrichter vorbehalten bleibt. Dies erscheint sachgerecht, zumal angesichts der Einbindung des Gesellschaftsrechts zumindest bei größeren Unternehmensinsolvenzen und Plänen verfahrensrechtlich herausfordernde Termine zu erwarten sein dürften. 26 Im Falle der Ablehnung der Planänderung durch das Gericht wird der Plan ohne die Änderung zur Abstimmung gestellt.74) Bestätigt das Gericht hingegen, dass nur „einzelne Regelungen“ geändert wurden, muss der geänderte Plan zur Abstimmung gestellt werden.75) 27 Umstritten ist, ob nach der Änderung eine erneute Prüfung gemäß § 231 InsO stattfindet. Einige Stimmen in der Literatur argumentieren, dass die Hürde des § 231 InsO nicht dadurch umgangen werden dürfe, dass ein bereits geprüfter Plan geändert wird.76) Ohne erneute gerichtliche Prüfung bestünde ein Missbrauchsrisiko,77) das nach überwiegender Meinung jedoch hinzunehmen ist, weil die Abstimmungsberechtigten dem Plan die Zustimmung verweigern können, sodass keine erneute Prüfung erforderlich ist.78) Das gilt insbesondere für den Ablehnungsgrund offensichtlich fehlender Aussicht auf Annahme des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO, der vor dem Hintergrund der nach § 240 Satz 2 InsO regelmäßig gleich im Anschluss an die Änderung stattfindenden Abstimmung überflüssig erscheint.79) Auch eine analoge Anwendung des § 231 InsO ist abzulehnen, da die erforderliche Kontrolle auch durch die Möglichkeit des Gerichts, die Planbestätigung zu versagen, gewährleistet ist.80) ___________ 70) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 15. 71) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4. 72) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 8; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 9; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 14; Kebekus/Wehler, in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 3; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 25; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 17. 73) Zur Rechtslage vor dem ESUG Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 74) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 9; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 14; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 20. 75) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4. 76) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 160; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 4, 13; Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 5. 77) Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 5. 78) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 1; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 240 Rz. 7; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 19; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 464; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 4, 7; Wenzel, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 13; a. A. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 4, 13; Kebekus/Wehler, in: GrafSchlicker, InsO, § 240 Rz. 2; Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 15; Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 6. 79) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b. 80) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 19.
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Pleister/Theusinger
§ 39
Planänderungen VI.
Abgrenzung zu Planänderungen nach rechtskräftiger Bestätigung
Die Planänderung nach § 240 InsO ist von anderen Möglichkeiten, den Inhalt des Plans 28 zu modifizieren oder über den Plan hinausgehende Regelungen zu treffen, abzugrenzen. Zunächst liegt keine Änderung des Plans nach § 240 InsO vor, wenn nach der rechtskräftigen Bestätigung des ursprünglichen Insolvenzplans i. R. desselben Insolvenzplanverfahrens ein weiterer Plan beschlossen wird.81) Dieser zusätzliche Plan kann den ursprünglichen Plan ergänzen und modifizieren. Voraussetzung ist dabei nur, dass der ergänzende Plan nach den Vorschriften der §§ 217 ff. InsO verabschiedet worden ist.82) Ebenfalls nicht der Regelung des § 240 InsO unterfällt die Möglichkeit, dass sich der In- 29 halt des ursprünglichen Plans nach rechtskräftiger Bestätigung durch Änderungs- und Anpassungsklauseln im Plan verändert.83) Solche Klauseln sind im ursprünglichen Plan enthalten gewesen und waren damit Gegenstand der Abstimmung. Damit ist der Schutzzweck des § 240 InsO nicht berührt.84) Die Zulässigkeit solcher Änderungsklauseln richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen zur Zulässigkeit bestimmter Inhalte in einem Insolvenzplan.85) Zuletzt ist auch die unter engen Voraussetzungen mögliche Ergänzung des rechtskräftigen Insolvenzplans nicht von § 240 InsO erfasst. VII. Abgrenzung von Planberichtigung und Planänderung Ebenso keine herkömmliche Planänderung ist die Möglichkeit gemäß § 221 Satz 2 Alt. 2, 30 § 248a InsO, den Plan zu berichtigen. Nach § 221 Satz 2 Alt. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter bevollmächtigt werden, Planberichtigungen vorzunehmen, soweit im Plan offensichtliche Fehler zu erkennen sind. Planberichtigungen können auch nach Eintritt der Rechtskraft des Plans erfolgen.86) Ausweislich der Regierungsbegründung soll mit der Einführung dieses Rechts des Insolvenzverwalters verhindert werden, dass die Umsetzung eines beschlossenen Plans an Formfehlern scheitert, die die Eintragung von im Plan vorgesehenen, eintragungspflichtigen Umständen in das jeweilige Register verhindern.87) Nicht ausgeschlossen ist damit aber, dass die vorgenommene Berichtigung auch materielle 31 Auswirkungen auf die Verfahrensbeteiligten hat. Zur Absicherung der Rechte der Beteiligten erfordert eine vom Insolvenzverwalter vorgenommene Berichtigung deshalb die Bestätigung des Insolvenzgerichts nach § 248a Abs. 1 InsO. So soll sichergestellt werden, dass der Insolvenzverwalter die Grenzen seiner Befugnisse nicht überschreitet.88) Vor der Entscheidung über die Bestätigung soll das Insolvenzgericht nach § 248a Abs. 2 InsO immer den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, sowie den Schuldner anhören. Die Gläubiger und die Anteilsinhaber werden dagegen nur angehört, sofern ihre Rechte durch die Berichtigung betroffen sind. Absolute Grenze einer Planberichtigung nach § 221 Satz 2 Alt. 2 InsO ist die Schlechter- 32 stellung eines Beteiligten durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung. Vergleichspunkt für die Beurteilung der Schlechterstellung ist nach § 248a Abs. 3 InsO die Stellung des Beteiligten nach dem ursprünglichen Plan. Ist der Beteiligte voraussichtlich schlechtergestellt, ist die Bestätigung auf Antrag zu versagen. Dies ist u. a. ein wesent___________ 81) 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88)
Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 166. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 166. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 167. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 167. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 167, § 217 Rz. 55, § 221 Rz. 61, 75 ff. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 3. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36.
Pleister/Theusinger
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§ 39
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
licher Unterschied zur Änderung des Plans nach § 240 InsO, bei der – wie bereits dargestellt – eine Schlechterstellung der betroffenen Beteiligten, etwa durch Herabsetzung der Insolvenzquote, vorbehaltlich der Zustimmung der Beteiligten in der Abstimmung bzw. deren Ersetzung gemäß § 245 InsO möglich ist (siehe oben Rz. 9).89) 33 Damit ist die Reichweite möglicher Planberichtigungen grob umrissen. Einfache, offensichtliche Formfehler können ohne weiteres berichtigt werden. Soweit die Berichtigung aber, wie etwa bei der Korrektur von Berechnungsfehlern, materielle Wirksamkeit entfaltet, ist die Schlechterstellung eines Beteiligten die äußerste Grenze der Berichtigungskompetenz. In den übrigen Fällen muss die Frage, inwieweit der Insolvenzverwalter im Einzelfall Bestimmungen berichtigen darf, die einer Umsetzung des Plans im Wege stehen, nach einer Anhörung der Beteiligten durch das Insolvenzgericht entschieden werden. Gegen einen entsprechenden Beschluss des Gerichts ist nach § 248a Abs. 4 InsO die sofortige Beschwerde zulässig, allerdings mit der Maßgabe, dass § 253 Abs. 4 InsO entsprechend gilt. 34 Ob die Regelung vor diesem Hintergrund die erhoffte Zeitersparnis in der Durchführung des Insolvenzplans bringt, ist derzeit noch nicht hinreichend sicher abzusehen. Sicherlich sinnvoll ist es zunächst, dass zur Berichtigung des Plans nicht mehr die Zustimmung der Beteiligtenversammlung eingeholt werden muss. Die gerichtliche Bestätigung, insbesondere die Anhörung der Beteiligten nach § 248a Abs. 2 InsO, wird allerdings verzögerungsanfällig sein. Im Ergebnis wird es hier darauf ankommen, wie gut das Zusammenspiel von Insolvenzverwalter, Gericht und Gläubigerausschuss funktioniert. Ungeachtet dessen wird in jedem Fall eine Kostenersparnis zu verzeichnen sein, wenn keine Beteiligtenversammlung einberufen bzw. das schriftliche Abstimmungsverfahren nach § 242 InsO nicht durchgeführt werden muss.
___________ 89) Dazu Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 8 ff.
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Pleister/Theusinger
§ 40 Stimmrechte im Planverfahren Kolmann
I. 1. 2.
Überblick...................................................... 1 Bedeutung..................................................... 1 Stimmrechtsentscheidung im Verfahrensablauf...................................................... 2 3. Zeitpunkt der Festsetzung der Stimmrechte ............................................................ 8 II. Voraussetzungen des Stimmrechts ......... 10 1. Formelle Voraussetzungen ........................ 10 1.1 Anmeldung sowie Geltendmachung ......................................... 10 1.2 Teilnahme bei der Stimmrechtsfestsetzung........................... 13 2. Materielle Voraussetzung: Beeinträchtigung durch den Insolvenzplan................ 17 3. Bestehen einer Forderung bzw. eines Rechts ......................................................... 28 3.1 Verhältnis zum Prüfungstermin ............................................. 29 3.1.1 Notwendigkeit umfassender Kenntnis der Passivmasse ............. 29 3.1.2 Kein Präjudiz des Prüfungstermins ............................ 30 3.2 Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO).................... 32 3.3 Verspätet angemeldete Forderungen .................................. 37 3.4 Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 238 InsO) und ihre Ausfallforderung (§ 237 InsO)..... 43 3.5 Nachrangige Gläubiger ................. 52 3.6 Anteilsinhaber (§ 238a InsO) ....... 53 3.6.1 Allgemeines.................................... 53
I.
Überblick
1.
Bedeutung
3.6.2
Bezugsgröße für das Stimmrecht..................................... 55 3.7 Stimmrechtsverbote?..................... 59 4. Stimmrechtsfestsetzung und Rechtsmittel........................................................... 60 4.1 Unstreitige Forderungen/ Rechte ............................................ 61 4.2 Vorrang des Einigungsversuchs bei streitigen Forderungen bzw. Rechten ................................. 62 4.3 Gescheiterter Einigungsversuch: Gerichtliche Stimmrechtsentscheidung ....................................... 63 4.3.1 Allgemeines.................................... 63 4.3.2 Zuständigkeit ................................. 65 4.3.3 Entscheidungsmaßstäbe................ 66 4.3.3.1 Rechtslage ...................................... 66 4.3.3.2 Praktische Hinweise...................... 69 4.3.4 Rechtsmittel, Antrag auf Änderung ....................................... 76 III. Stimmliste (§ 239 InsO)........................... 84 IV. Ablauf des Abstimmungsverfahrens ...... 88 1. Gesetzlicher Regelfall ................................ 88 1.1 Überblick ....................................... 88 1.2 Protokoll ........................................ 91 1.3 Stimmabgabe und Widerruflichkeit............................................ 92 1.4 Stimmrechtsvollmachten .............. 95 2. Abstimmung im gesonderten Abstimmungstermin .................................. 96 3. Mehrheitserfordernisse, Zustandekommen des Insolvenzplans ........................... 105
Die Festlegung der Stimmberechtigungen entscheidet, wer über den Plan und somit über 1 sein Zustandekommen bzw. Scheitern mitbestimmen darf. Sie hat damit weitreichende Auswirkungen.1) Diejenigen, denen materiell-rechtlich voraussichtlich keine Forderung oder kein Absonderungsrecht zusteht, sollen kein Stimmrecht eingeräumt bekommen. Beteiligten, die durch den Insolvenzplan keinen Eingriff in ihre Rechtsposition zu erleiden haben, steht ebenfalls kein Stimmrecht zu. Sie bleiben folglich auch bei der Ermittlung der erforderlichen Mehrheiten außer Betracht. 2.
Stimmrechtsentscheidung im Verfahrensablauf
Im Verfahrensablauf erfolgt die Festlegung der Stimmrechte im Erörterungs- und Ab- 2 stimmungstermin (§ 235 Abs. 1 InsO). ___________ 1)
Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 1.
Kolmann
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§ 40
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
3 Vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin muss gesetzlich zwingend der Prüfungstermin stattfinden (vgl. § 236 Satz 1 InsO). Dessen Ergebnisse schaffen Klarheit über das Ausmaß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten2) sowie den Umfang und die Inhaberschaft von Forderungen und Rechten.3) Zudem werden sie zumindest faktisch die Einschätzung zur materiell-rechtlichen Berechtigung der angemeldeten Forderungen beeinflussen. Insbesondere in überschaubaren Insolvenzverfahren wird das Insolvenzgericht versuchen, i. S. einer beschleunigten Verfahrensdurchführung beide Termine miteinander zu verbinden (§ 236 Satz 2 InsO; sog. Verbundtermin). Siehe § 38 Rz. 12 ff. 4 Die Verbindung dieser Termine mit dem Berichtstermin ist gemäß § 29 Abs. 2 InsO ebenfalls möglich4) und kann sich im Einzelfall nahezu aufdrängen, um den Verfahrensablauf zu beschleunigen.5) Dies gilt insbesondere, wenn der Insolvenzplan bereits im Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung oder schon früher vorliegt.6) In einem solchen Fall kann also nach dem Bericht des Insolvenzverwalters die Prüfung der Forderungen stattfinden. Unmittelbar anschließend werden durch Annahme des Insolvenzplans im Erörterungs- und Abstimmungstermin die Voraussetzungen geschaffen, das Insolvenzverfahren wieder aufheben zu können.7) 5 Dass der Prüfungstermin dem Erörterungs- und Abstimmungstermin vorangehen muss, bedeutet, dass er frühestens drei Wochen, ggf. aber auch erst fünf Monate nach der Verfahrenseröffnung oder noch später stattfindet (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO).8) 6 Der Erörterungs- und Abstimmungstermin gliedert sich formal in einen Erörterungsund in einen Abstimmungsteil, der auch gesondert abgehalten werden kann (vgl. § 241 InsO). Die Stimmrechtsfestsetzung zählt zum Erörterungsteil und schließt diesen zugleich ab. Inhaltlich zerfällt der Erörterungs- und Abstimmungstermin somit in drei unterschiedliche Elemente: den Erörterungsteil, den Teil zur Stimmrechtsfestsetzung sowie den Abstimmungsteil.9) Es empfiehlt sich, dementsprechend und i. S. der Übersichtlichkeit den Terminsablauf zu strukturieren.10) 7 Infolge der Erörterung des Insolvenzplans kann es im gleichen Termin11) und auf Veranlassung des Planvorlegenden12) noch zu Modifikationen und Planänderungen kommen, über die unmittelbar im Anschluss abgestimmt werden kann (vgl. § 240 InsO). Wie weit solche Änderungen gehen dürfen und ob insbesondere alle Beteiligten i. S. der §§ 223 – 225a InsO grundsätzlich mit Änderungen rechnen müssen, selbst wenn sie durch die Änderung des Plans erstmalig betroffen sein sollten,13) ist umstritten (siehe hierzu § 38 ___________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)
12) 13)
Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 236 Rz. 2. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 4. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206; Thies, in: HambKomm-InsO, § 236 Rz. 3. Ähnl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 236 Rz. 8. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 236 Rz. 13. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 5; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 18; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 26. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 18. Zur Planänderung vor oder in einem getrennten Abstimmungstermin, die jeweils eine erneute Erörterung und Abstimmung erfordert, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 183; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 22 ff., § 241 Rz. 4 ff. Zu dessen alleiniger Abänderungsberechtigung z. B. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 1. Krit. z. B. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 6 (erneute Ladung erforderlich); ähnl. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 16.47 f.; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 12 ff.
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Kolmann
§ 40
Stimmrechte im Planverfahren
Rz. 34).14) Jedenfalls können Änderungen des Plans durchaus die Stimmberechtigung beeinflussen. 3.
Zeitpunkt der Festsetzung der Stimmrechte
Die Stimmrechtsfestsetzung schließt sich an den Erörterungsteil an und bereitet die Ab- 8 stimmung über den Insolvenzplan vor. Vor dem zuvor geschilderten Hintergrund möglicher Planänderungen macht es praktisch Sinn, die Stimmrechte erst festzulegen, wenn der Plan vollständig erörtert wurde und der Abstimmungsgegenstand final feststeht.15) Dies gilt entsprechend bei konkurrierenden Insolvenzplänen. Das Ergebnis hält der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in der Stimmliste fest (§ 239 9 InsO). Auf deren Grundlage schließt sich die Abstimmung an. II.
Voraussetzungen des Stimmrechts
1.
Formelle Voraussetzungen
1.1
Anmeldung sowie Geltendmachung
§ 237 Abs. 1 Satz 1 InsO verweist für das Stimmrecht der Insolvenzgläubiger auf § 77 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 Nr. 1 InsO entsprechend, die das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung regeln. Grundlage der Stimmberechtigung im Insolvenzplanverfahren ist somit, dass der jeweilige Gläubiger seine Forderungen gemäß §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle rechtzeitig angemeldet hat, vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 InsO (siehe hierzu § 16 Rz. 44 ff.).16) Auf dieser Basis sollen die Forderungen auf Rang und Betrag17) im Prüfungstermin geprüft werden. Zu verspätet angemeldeten Forderungen siehe Rz. 37 ff. Das formelle Erfordernis der vorherigen Anmeldung gilt auch für Ausfallforderungen 11 absonderungsberechtigter Gläubiger (§§ 38, 52 InsO) sowie für nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO). Denn § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO, der ein Stimmrecht der nachrangigen Gläubiger pauschal verneint, ist von der Verweisung des § 237 Abs. 1 Satz 1 InsO ausgenommen. Absonderungsrechte der absonderungsberechtigten Gläubiger (zu unterscheiden von der 12 Ausfallforderung, § 52 InsO) werden nicht im Forderungsfeststellungsverfahren geprüft. Sie sind nicht anmeldefähig und damit auch nicht Gegenstand des Prüfungstermins.18) Daher sind im Erörterungs- und Abstimmungstermin die Rechte dieser Gläubiger originär und einzeln zu erörtern (§ 238 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Stimmrecht gemäß § 238 InsO beruht darauf, dass das Absonderungsrecht als solches tatsächlich (und insolvenzfest)19) besteht. Um dies überprüfen zu können, setzt das Gesetz stillschweigend voraus, dass der absonderungsberechtigte Gläubiger sein Absonderungsrecht vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin oder spätestens im Termin20) gegenüber dem Verwalter angezeigt bzw. geltend gemacht hat.21) ___________ 14) Vgl. etwa Thies, in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Pleister, in: KPB, InsO, § 240 Rz. 12 ff.; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 4 ff.; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 8 ff.; Haas, in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 5 f. 15) Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 2; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 2. 16) Zur Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin vgl. § 235 Abs. 3 InsO. 17) Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 3. 18) Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 238 Rz. 2. 19) Vgl. §§ 129 ff. InsO. 20) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 25. 21) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 25.
Kolmann
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§ 40 1.2
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Teilnahme bei der Stimmrechtsfestsetzung
13 Das Teilnahmeerfordernis wird in der Literatur kaum thematisiert.22) Ein Stimmrecht im Planverfahren steht jedoch nur demjenigen zu, der zumindest bei der Stimmrechtsfestsetzung im Erörterungsteil sowie im Abstimmungstermin teilnimmt. Teilnehmer ist nur, wer entweder selbst anwesend oder ordnungsgemäß vertreten ist. Vollmachtlose Vertretung oder eine aus Rechtsgründen nichtige Vollmacht reicht nicht aus.23) Ein in diesem Sinne nicht teilnehmender Beteiligter verwirkt somit sein Recht, ein Stimmrecht zugeteilt zu bekommen und an der Abstimmung teilzunehmen. 14 Hierfür spricht bereits das zweistufige Konzept des Gesetzgebers, welches in § 235 Abs. 3 InsO zunächst regelt, dass alle Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, sowie die absonderungsberechtigten Gläubiger besonders zu laden sind. Eine Vorentscheidung oder gar Beschränkung in dem Sinne, diejenigen nicht zu laden, deren Rechte der Planvorschlag unbeeinträchtigt lässt, unterbleibt. Über die Stimmberechtigung soll vielmehr erst zu einem späteren Zeitpunkt – im Erörterungs- und Abstimmungstermin – entschieden werden. Noch weitergehend müssen die Beteiligten sogar mit Planänderungen i. R. der Grenzen des § 240 InsO auf der Grundlage der Erörterungen rechnen. Auch wenn es zu einem gesonderten Abstimmungstermin mit der Möglichkeit schriftlicher Stimmrechtsausübung kommt (§§ 241, 242 InsO), hängt insoweit die Stimmberechtigung von einer Teilnahme im früheren Erörterungstermin ab. Denn der gesonderte Abstimmungstermin setzt bereits festgesetzte Stimmrechte voraus.24) 15 Die vorstehenden Ausführungen gelten insbesondere auch im Hinblick auf Planänderungen im Erörterungstermin, die erstmalig und anders als der ursprüngliche Planvorschlag in die Forderungen bzw. Rechte nicht anwesender Beteiligter eingreifen (siehe hierzu § 38 Rz. 34). Das Insolvenzgericht darf den Nicht-Teilnehmern im Erörterungsund Abstimmungstermin kein Stimmrecht von sich aus zuweisen, diese in die Stimmliste aufnehmen (§ 239 InsO) und zu einem gesonderten Abstimmungstermin laden (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dies gilt sogar dann, wenn die zugrunde liegende Forderung bzw. das Recht unstreitig sind oder im Falle eines Streits eine Einigung hätte erzielt werden können. Würde man insoweit die Stimmberechtigung anerkennen, bestünde ein Widerspruch zu der generellen Wertung, dass bei der Abstimmung sich enthaltende Gläubiger nicht bei der Bestimmung der erforderlichen Mehrheiten berücksichtigt werden.25) Hieraus lässt sich ableiten, dass die Einwirkungsmöglichkeit der Beteiligten auf die Insolvenzplangestaltung nur denjenigen offensteht, die sich aktiv an dem Prozess beteiligen und auch an den entsprechenden Terminen teilnehmen. Es ist ferner dem Planvorschlagenden sowie dem Insolvenzgericht nicht zumutbar, diejenigen Beteiligten durch einen Abgleich mit den Schuldnerunterlagen und/oder der Insolvenztabelle zu identifizieren, die von etwaigen Planänderungen erfasst sein könnten.26) 16 Die vorstehenden Ausführungen lassen es im Einzelfall als ratsam erscheinen, bei geringer Teilnahmequote nach dem Erörterungsteil den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu vertagen, um zu einem späteren Zeitpunkt mit mehr Teilnehmern die Stimmrechte festzusetzen. Dies bietet sich etwa an, wenn Beteiligte ihre Teilnahme angekündigt hatten, gleichwohl – aus welchen Gründen auch immer – dem Termin fernblieben. ___________ 22) Ausnahme etwa Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 23. 23) Insoweit nicht beanstandet durch BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428, Rz. 1, dazu EWiR 2009, 117 (Keller). 24) Thies, in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 2. 25) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208. 26) A. A. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 15, § 241 Rz. 3.
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Kolmann
§ 40
Stimmrechte im Planverfahren 2.
Materielle Voraussetzung: Beeinträchtigung durch den Insolvenzplan
Die Stimmberechtigung setzt zunächst voraus, dass die angemeldeten Forderungen bzw. geltend gemachten Rechte unstreitig sind, die Beteiligten sich geeinigt haben oder das Insolvenzgericht ihr Bestehen bejaht hat. Das Gesetz regelt die Verfahrensweise, wie dies festzustellen ist (siehe Rz. 60 ff.). In materieller Hinsicht kommt als weiteres Erfordernis hinzu, dass der Insolvenzplan die Rechte des jeweiligen Beteiligten beeinträchtigt. Ohne eine Beeinträchtigung ist das Stimmrecht zu versagen (vgl. § 237 Abs. 2, § 238 Abs. 2, § 238a Abs. 2 InsO). Denn über das Zustandekommen des Insolvenzplans sollen nur diejenigen mitentscheiden dürfen, die hierdurch Nachteile zu befürchten haben.27) Dies kann die Entscheidungsfindung sowie den Abstimmungstermin erleichtern.28) Diesem Regelungsmechanismus zufolge kann ein Gläubiger zwar in einer normalen Gläubigerversammlung ein Stimmrecht haben, mangels Eingriff in seine Forderung nicht aber bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan.29) Der Stimmrechtsausschluss für nicht beeinträchtigte Beteiligte findet Anwendung auf einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO), auf Ausfallforderungen absonderungsberechtigter Gläubiger (§§ 38, 52 InsO), auf nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO),30) aber auch auf Absonderungsrechte (§ 238 Abs. 2 InsO) und Anteilsinhaber (§ 238a InsO). Für die Frage, ob ein Insolvenzplan zu einer Beeinträchtigung führt, muss gedanklich sein Wirksamwerden unterstellt werden.31) Die durch die Bestimmungen im gestaltenden Teil zu schaffende oder die kraft Gesetzes (§ 225 InsO)32) mit Planbestätigung eintretende Position des Gläubigers wird verglichen mit derjenigen, die der jeweilige Gläubiger ohne den Insolvenzplan hat.33) Eine Beeinträchtigung liegt im Falle einer Verschlechterung vor. Dies sollte nicht restriktiv beurteilt werden.34) Allerdings bleiben die Insolvenz selbst, der Zeitablauf bis zur Planbestätigung oder bis zum Wirksamwerden und hierdurch eintretende Verzögerungen sowie eine etwaige Verwertungsaussetzung (§ 233 InsO), allgemein Beeinträchtigungen ohne Grundlage im gestaltenden Teil des Insolvenzplan, außer Betracht.35) Um eine Beeinträchtigung handelt es sich bspw., wenn der Insolvenzplan bestehende Rechte mindert oder kürzt (etwa durch Erlass oder Herabsetzung der Verzinsung), in Absonderungsrechte eingreift (§ 223 Abs. 2 InsO) oder sachenrechtliche Verhältnisse ändert (§ 228 InsO).36) Insoweit kommt es auf eine Veränderung des rechtlichen Gehalts der Forderung i. S. eines Eingriffs an, so dass eine Beeinträchtigung auch vorliegt, falls der Insolvenzplan die Forderung in einen neuen und wirtschaftlich gleichwertigen Schuldtitel umwandelt.37) Ebenso stellen das Auswechseln des Sicherungsguts sowie Verschlechterungen der verfahrensrechtlichen Position (z. B. Regelungen zur Sicherheitenverwertung ___________ 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35)
36) 37)
Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 21. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 1. Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 149; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 5. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15 (Beurteilungszeitpunkt ist das Wirksamwerden). Zutreffend Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 3a. Zum praktisch wichtigsten Fall des § 225 InsO vgl. Rz. 52. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 23. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 9; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 12; Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15 f.; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 24; Braun, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 237 Rz. 36; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 9; a. A. Hess, InsR, § 237 InsO Rz. 11, wegen Erleiden eines Verzugsschadens. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 7.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
im Vergleich zu den §§ 165 ff. InsO) eine Beeinträchtigung dar, weil es auf die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Insolvenzplan-Lösung für das Stimmrecht – anders als bei §§ 245, 251 InsO – nicht ankommt.38) Folglich führt auch jede im gestaltenden Teil des Plans vorgesehene rechtliche Veränderung der Mitgliedschaftsrechte zu einer Beeinträchtigung und somit zu einem Stimmrecht der Anteilsinhaber, selbst bei Wertlosigkeit der Anteile in der insolvenzrechtlichen Befriedigungsrangfolge. Eine etwaige fehlende Zustimmung der Gruppe der Anteilsinhaber muss dann ggf. gemäß § 245 InsO ersetzt werden.39) Eine Beeinträchtigung scheidet im Falle einer Besserstellung aus, so etwa bei ungesicherten Kleingläubigern (§ 222 Abs. 2 Satz 2 InsO), falls der Insolvenzplan deren vollständige Befriedigung noch vor oder zumindest alsbald nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§§ 258, 259 InsO) vorsieht.40) Umgekehrt kann sich aus taktischen Gründen anbieten, gerade keine vollständige Befriedigung der in einer gesonderten Gruppe vereinten Kleingläubiger vorzusehen, wenn mit einer Zustimmung dieser Gruppe zu rechnen ist und hierdurch die Annahme des Insolvenzplans insgesamt wahrscheinlicher wird.41) Keine Beeinträchtigung liegt ferner vor, wenn der Plan die Befriedigungsmöglichkeiten eines Absonderungsberechtigten nicht ändert, welche dieser auch ohne Plan hätte. Ein solcher Fall liegt auch vor, wenn der dinglich Berechtigte einen Verwertungserlös erhält, den er zum gleichen Zeitpunkt (oder später) auch in der Regelabwicklung ausgezahlt bekäme (vgl. §§ 170 f. InsO).42) Eine Stundung, die über den Zeitpunkt der Planbestätigung hinaus fortwirkt, stellt anders als die rein verfahrensbedingte Verzögerung bis zum Inkrafttreten des Plans (siehe Rz. 21) eine Beeinträchtigung i. S. von § 237 Abs. 2, § 238 Abs. 2 InsO dar, selbst wenn später einmal eine Vollbefriedigung vorgesehen sein sollte.43) Der Gläubiger soll mitentscheiden können, ob er dem Schuldner nochmals Kredit bzw. Zahlungsaufschub gewährt. Sieht der Insolvenzplan vor, eine Forderung – etwa aus einem ratenweise zu tilgenden Kreditgeschäft – zu den gleichen Konditionen wie vor dem Insolvenzereignis und damit unter Fortfall der Wirkung gemäß § 41 InsO zurückzuführen, soll der betroffene Gläubiger nach einigen Autoren44) kein Stimmrecht haben. Relevant wird dies insbesondere bei Vertragsklauseln, wonach bei Verzug mit einer Ratenzahlung der ausstehende Gesamtbetrag zur Zahlung fällig wird. Der Gläubiger würde ohne Insolvenzplan mit einer Einmalzahlung (quotal) befriedigt, so dass eine Rückführung auf die ursprünglichen Kreditkonditionen mit Ratenzahlung, also der Eingriff in die sofortige Fälligkeit, für eine Verschlechterung und damit für eine Beeinträchtigung spreche. Der Gläubiger hätte im Insolvenzplanverfahren ein Stimmrecht, obwohl er letztlich so steht, wie er ohne die Insolvenz stände.45) Ein solches Ergebnis wird als unbillig empfunden, weil bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Beeinträchtigung vorliege. Es soll eine teleologische Reduktion des § 237 Abs. 2 InsO rechtfertigen.46) ___________ 38) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 9. 39) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 1. 40) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 23; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 9; großzügiger wohl Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 13. 41) Vgl. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 16.56; Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 3a. 42) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 37. 43) Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 3a; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 9; missverständlich Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 24. 44) Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 16; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 24; Flessner, in: HK-InsO, 6. Aufl., § 237 Rz. 9. 45) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 36a; Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, S. 77. 46) Braun, in: Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 593 f.; Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 17.
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Stimmrechte im Planverfahren
Eine gesetzliche Anordnung wie im US-amerikanischen Recht, die Fortgeltung der ur- 27 sprünglichen Konditionen nicht als Beeinträchtigung zu bewerten, fehlt.47) Allein dieser Umstand spricht schon dafür, eine Beeinträchtigung zu bejahen. Ferner hinkt der Vergleich mit der vorinsolvenzlichen Situation. Denn das Insolvenzereignis lässt sich nicht ignorieren und wird für den betroffenen Gläubiger Anlass genug sein, die Kreditwürdigkeit des Schuldners zu überdenken. Dies durch Stimmrechtsentzug zu präjudizieren, vermag nicht zu überzeugen, ebenso wenig wie pragmatische Erwägungen, den Kreis der Planbetroffenen zu verringern und die Gruppenbildung zu erleichtern.48) Für eine rechtliche Bewertung spricht schließlich, dass der Gesetzeswortlaut an anderer Stelle (z. B. §§ 245, 247, 251 InsO) von „Schlechterstellung“ spricht, wenn es um eine Beeinträchtigung nach wirtschaftlichen Erwägungen gehen soll.49) 3.
Bestehen einer Forderung bzw. eines Rechts
Das Stimmrecht bezieht sich auf den jeweils zur Abstimmung stehenden Insolvenzplan. Gibt 28 es konkurrierende Insolvenzpläne, so muss das Stimmrecht für jeden einzelnen Insolvenzplan gesondert ermittelt werden. Theoretisch kann die Bewertung unterschiedlich ausfallen. 3.1
Verhältnis zum Prüfungstermin
3.1.1 Notwendigkeit umfassender Kenntnis der Passivmasse Die Finanzbuchhaltung des Schuldners ist gelegentlich unvollständig, so dass sich hier- 29 nach allenfalls schätzen lässt, welche Verbindlichkeiten das Unternehmen hat und welche Gläubiger welche Sicherungsrechte innehaben. Zu den „normalen“ Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsverkehr des Schuldners kommen häufig solche hinzu, die aus Handlungen des Insolvenzverwalters resultieren. Zu nennen sind insbesondere Schadensersatzforderungen wegen Ablehnung der Erfüllung eines beidseitig nicht vollständig erfüllten Vertrages (§ 103 Abs. 2 InsO) sowie aufgrund der Beendigung von Vertragsverhältnissen.50) Vor diesem Hintergrund hat die Regelung, dass der Prüfungstermin vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin stattfinden muss (§ 236 Satz 1 InsO), ihre volle Berechtigung. Denn die umfassende Kenntnis der Gesamtverbindlichkeiten und Sicherungsrechte ist für den Erfolg eines Insolvenzplans unerlässlich.51) 3.1.2 Kein Präjudiz des Prüfungstermins Zwar ermöglicht die Prüfung und Feststellung im vorherigen Prüfungstermin (vgl. § 236 30 Satz 1 InsO) eine sachgerechte Beurteilung der Passivmasse (Umfang und Inhalt der Gläubigerforderungen) im Insolvenzplan.52) Mit der eigenständigen Regelung der Stimmrechte im Insolvenzplanverfahren (§§ 237 ff. InsO) kommt allerdings gesetzessystematisch zum Ausdruck, dass keine formale Bindungs- oder Präjudizwirkung an die Feststellung zur Tabelle im Prüfungstermin,53) oder an frühere Stimmrechtsfeststellungen für die Gläubigerversammlung besteht.54) ___________ 47) 48) 49) 50) 51) 52)
Vgl. Chapter 11 USC § 1124 (2). So aber Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 17. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 7. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 236 Rz. 4. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 236 Rz. 5. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 236 Rz. 2; Pleister, in: KPB, InsO, § 236 Rz. 2; Braun, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 237 Rz. 15. Zu Fragen des Stimmrechts in der Gläubigerversammlung vgl. Plathner/ Sajogo, ZInsO 2011, 1090 ff. 53) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8; Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 2. 54) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8; Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 4, 19, 24.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
31 Das Insolvenzgericht kann also frei und ggf. erneut über die Stimmrechte im Planverfahren entscheiden. Die Stimmrechtsfestsetzung kann damit gänzlich anders ausfallen, als der Tabellenstand infolge der Forderungsprüfung indiziert. Diese Möglichkeit bietet sich etwa an, wenn es zwischenzeitlich bessere Erkenntnisse zur Forderungsberechtigung geben sollte.55) Bei diesem Verständnis räumt das Gesetz der materiell-rechtlichen Richtigkeit Vorrang vor verfahrensökonomischen Aspekten ein.56) Praktisch wird sich das Insolvenzgericht i. d. R. an den Ergebnissen der Forderungsfeststellung orientieren, schon um den Prüfungsaufwand gering zu halten.57) 3.2
Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO)
32 Unbestrittene Forderung: Eine rechtzeitig zur Insolvenztabelle angemeldete (siehe Rz. 37 ff.) Forderung im Rang des § 38 InsO gewährt vorbehaltlich der Beeinträchtigung durch den Insolvenzplan (siehe Rz. 17 ff.) im Umfang der angemeldeten Forderung Stimmrechte, wenn und soweit weder der Schuldner noch ein stimmberechtigter Gläubiger die Forderung bestritten haben (§ 77 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Widerspruch eines seinerseits nicht stimmberechtigten Gläubigers58) ist unbeachtlich. Ein eigenes (Über-)Prüfungs- oder Entscheidungsrecht steht dem Insolvenzgericht bei einer solchen unbestrittenen Forderung nicht zu.59) 33 Der Gläubiger einer ursprünglich bestrittenen Forderung erlangt ein Stimmrecht erst, wenn er sich entweder mit dem Verwalter und den erschienenen stimmberechtigten Gläubigern (ggf. nach Erörterung, § 235 InsO) hierüber geeinigt oder wenn das Insolvenzgericht ein Stimmrecht zuerkannt hat.60) Ungeachtet des früheren Bestreitens einer Forderung muss der Gläubiger zum Erörterungs- und Abstimmungstermin geladen werden (§ 235 Abs. 3 InsO). Ein Verstoß hiergegen stellt in aller Regel einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, so dass dem Insolvenzplan von Amts wegen die Bestätigung zu versagen ist.61) Zur Stimmrechtsentscheidung siehe Rz. 63 ff. 34 Irrelevanz des Schuldner-Widerspruchs: Der Schuldner kann zwar einer Feststellung der Forderung im Prüfungsverfahren (§ 178 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie dem Insolvenzplan als solchem (§ 247 InsO) widersprechen. Für die Aufnahme der Forderung in die Tabelle oder – im Insolvenzplanverfahren – in die Stimmliste (§ 239 InsO) bleibt ein solcher Widerspruch folgenlos.62) 35 Auch aufschiebend bedingte Forderungen berechtigen zur Teilnahme an der Abstimmung über den Insolvenzplan, wenn sich entweder der Insolvenzverwalter und der Gläubiger geeinigt haben oder das Insolvenzgericht im Einigungsverfahren ein Stimmrecht zuerkannt hat (§ 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 77 Abs. 3 Nr. 1 InsO).63) Dies setzt praktisch voraus, dass der Bedingungseintritt nicht derart unwahrscheinlich ist, dass der Forderung kein gegenwärtiger Vermögenswert zukommt.64) ___________ Vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 16. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 4. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8. Etwa ein nachrangiger Insolvenzgläubiger. Ebenso Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 9. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 5. BGH v. 24.3.2011 – IX ZB 217/08, ZIP 2011, 871, dazu EWiR 2011, 511 (Lüke/Scherz). Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 147; Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 8; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 28. 63) Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 5. 64) Vgl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 17. 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)
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Stimmrechte im Planverfahren
Zu Ausfallforderung eines Absonderungsberechtigten siehe die Ausführungen unter 36 Rz. 47 ff. 3.3
Verspätet angemeldete Forderungen
In der Literatur werden unterschiedliche Ansichten vertreten, wie verspätet – also nach Ab- 37 lauf der Anmeldefrist – zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen in der Abstimmung zum Insolvenzplan zu behandeln sind. Teilweise wird vertreten, dass nachträgliche Forderungsanmeldungen nicht geregelt seien.65) Die überwiegende Meinung meint hingegen, dass der Widerspruch des Verwalters oder eines anderen Gläubigers gegen verspätete angemeldete Forderungen im Prüfungstermin (vgl. § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO) ein Stimmrecht in der Abstimmung über den Insolvenzplan von vornherein ausschließe.66) Denn die Verweisung auf § 77 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO sei als Rechtsgrundverweisung für das Forderungsprüfungsverfahren nach §§ 174 – 177 InsO zu verstehen.67) Ein weiteres Argument lautet, die Stimmrechtsfestsetzung setze voraus, dass die Forderungsprüfung zuvor abgeschlossen sei.68) Dies vermag in der beschriebenen Stringenz nicht zu überzeugen. Eine Bindungswirkung 38 des Insolvenzgerichts an das Ergebnis der Forderungsprüfung gibt es nicht (siehe Rz. 30 f.). Aus § 236 Satz 1 InsO, wonach der Erörterungs- und Abstimmungstermin erst nach dem Prüfungstermin stattfinden darf, folgt keinesfalls zwingend, dass jede einzelne Forderung vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin vollumfänglich und abschließend geprüft sein muss. Ebenso wenig zwingen69) nachträgliche Forderungsanmeldungen dazu, den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu verschieben.70) Andernfalls wäre es ein Leichtes, durch verspätete Forderungsanmeldungen und anschließende Vertagungen mit möglichen Auswirkungen auf das Unternehmen einen Insolvenzplan zu torpedieren. Dies widerspräche offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers, die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zu beschleunigen. Richtigerweise können sich noch im Erörterungs- und Abstimmungstermin der Insolvenz- 39 verwalter und der Gläubiger über das Stimmrecht einigen oder das Insolvenzgericht ein Stimmrecht zuerkennen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 77 Abs. 2 InsO).71) Gerade diese Möglichkeit zeigt, dass der Widerspruch des Insolvenzverwalters oder eines anderen Gläubigers im Prüfungstermin (§ 177 Abs. 1 Satz 2 InsO) im Rechtssinne weder entgegenstehen kann, geschweige denn eine Einigung ausschließt. Bei diesem Verständnis ist jede vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin ordnungsgemäß angemeldete Insolvenzforderung grundsätzlich noch rechtzeitig für eine potentielle Stimmberechtigung. Rein praktisch wird es jedoch nur schwerlich eine Einigung (§ 77 Abs. 2 Satz 1 InsO) 40 oder gar eine positive gerichtliche Stimmrechtsentscheidung (§ 77 Abs. 2 Satz 2 InsO) geben können, wenn der Verwalter oder ein anderer Gläubiger, bspw. wegen einer unzureichenden Dokumentation oder nicht kurzfristig nachprüfbarer Behauptungen, der nach___________ 65) Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 146 f. 66) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 7; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 10; Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 7; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 24, 27; a. A. Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 146 f. 67) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 22. 68) So etwa Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 7. 69) Im Einzelfall mag eine Vertagung durchaus berechtigt sein, etwa bei bedeutenden oder einer größeren Zahl von verspäteten Forderungsanmeldungen; vgl. Pleister, in: KPB, InsO, § 236 Rz. 5; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 2. 70) Kussmaul/Steffan, DB 2000, 1849; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 236 Rz. 5. 71) So auch Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 2; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 2.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
träglichen Anmeldung im Prüfungstermin widersprochen hat. Mit anderen Worten geht derjenige Gläubiger, der verspätet seine Forderung anmeldet, das Risiko ein, dass zu seinen Gunsten kein Stimmrecht erteilt wird. Dieses Risiko mag tatsächlich ein Widerspruch im Prüfungstermin gemäß § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO erhöhen. 41 Ungeachtet dessen sollte im Prüfungstermin, falls möglich, auch eine nachträglich angemeldete Forderung geprüft werden (§ 177 Abs. 1 Satz 1 InsO).72) Zur Vermeidung etwaiger Unsicherheiten empfiehlt es sich, für solche nachträgliche ungeprüfte Forderungsanmeldungen einen nachträglichen Prüfungstermin anzusetzen, der unmittelbar vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin stattfindet.73) Hierzu bedarf es infolge von § 18 RPflG einer Abstimmung zwischen dem für das Planverfahren zuständigen Insolvenzrichter und dem für die übrigen Termine einschließlich Prüfungstermin zuständigen Rechtspfleger (vgl. § 3 Nr. 2 lit. e RPflG).74) 42 Erst nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin angemeldete Forderungen sind nicht stimmberechtigt. Sie sind vom Insolvenzplan zwar nicht ausgeschlossen, jedoch sind sie bei Zustandekommen und Bestätigung automatisch von dessen Regelungen erfasst.75) 3.4
Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 238 InsO) und ihre Ausfallforderung (§ 237 InsO)
43 Die Stimmberechtigung absonderungsberechtigter Gläubiger setzt zunächst voraus, dass der Insolvenzplan ihre Rechtsposition beeinträchtigend regelt (§ 238 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i. V. m. § 237 Abs. 2 InsO).76) Enthält der Insolvenzplan keine Regelung zu den Absonderungsrechten, liegt auch keine Beeinträchtigung vor (§ 223 InsO). Ansonsten muss der Insolvenzplan für die absonderungsberechtigten Gläubiger eine eigene Gruppe vorsehen (§§ 243, 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der jeweilige Absonderungsberechtigte muss zudem vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin sein Recht angezeigt bzw. geltend gemacht haben (siehe Rz. 12). 44 Die vorgeschriebene Einzelerörterung (§ 238 Abs. 1 Satz 1 InsO) gestattet es allen Gläubigern, von Bestand und Umfang der Sicherungsrechte Kenntnis zu erlangen. Demgemäß hängt der Umfang der Einzelerörterung von den Anforderungen im Einzelfall ab.77) Dies kann die zivilrechtliche Wirksamkeit sowie die Insolvenzfestigkeit einer Nachbesicherung umfassen. In diesem Rahmen können auch Sicherheitenkollisionen bekannt werden, die dann aufzulösen sind.78) 45 Ein Stimmrecht besteht, wenn und soweit weder der Insolvenzverwalter noch ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger das jeweilige Absonderungsrecht bestreiten (§ 238 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ist das Absonderungsrecht als solches oder dessen Umfang streitig, hängt das Stimmrecht davon ab, dass sich in einem weiteren Schritt entweder die Beteiligten einigen oder anschließend – bei Scheitern der Einigung – das Insolvenzgericht im Entscheidungsverfahren das Stimmrecht zuerkennt (§ 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 2 InsO). Entsprechendes gilt für aufschiebend bedingte oder nicht fällige Rechte (§ 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 3 Nr. 1 InsO). ___________ Pleister, in: KPB, InsO, § 236 Rz. 5. Thies, in: HambKomm-InsO, § 236 Rz. 2. Thies, in: HambKomm-InsO, § 236 Rz. 2. Pleister, in: KPB, InsO, § 236 Rz. 9; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 2. Umstritten ist, ob die Verweisung in § 238 Abs. 2 InsO auf § 237 Abs. 2 InsO ein Redaktionsversehen darstellt (so Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238 Rz. 5) oder lediglich der Klarstellung dient (so Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238 Rz. 4). 77) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 238 Rz. 7. 78) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 4 f.
72) 73) 74) 75) 76)
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§ 40
Stimmrechte im Planverfahren
Das Stimmrecht des absonderungsberechtigten Gläubigers gemäß § 238 InsO bezieht 46 sich allein auf das Absonderungsrecht als solches. Gemeint ist der Umfang, in welchem der Gläubiger – ohne Berücksichtigung des Insolvenzplans – aus dem Verwertungserlös voraussichtlich eine vorrangige Befriedigung erlangen kann. Demgegenüber richtet sich das Stimmrecht für die Ausfallforderung (§ 52 InsO), d. h. 47 soweit der Schuldner dem absonderungsberechtigten Gläubiger auch persönlich haftet und entweder der Verwertungserlös die gesicherte Forderung nicht deckt oder der Gläubiger auf das Absonderungsrecht (ganz oder teilweise) verzichtet, nach § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO.79) Zu einem Verzicht wird es selten kommen; häufiger handelt es sich um unzureichend gesicherte Forderungen.80) Notfalls – regelmäßig bei teilgesicherten Gläubigern – muss es zu einer Aufspaltung der 48 Forderung kommen, und zwar in den durch das Absonderungsrecht auch wirtschaftlich gesicherten Teil und in den überschießenden Rest in der Höhe des mutmaßlichen Ausfalls. Mit dem aufgespaltenen Teil kann der jeweilige Gläubiger in unterschiedlichen Gruppen stimmberechtigt sein.81) Überschneidungen oder Mehrfachstimmrechte darf es nicht geben.82) Falls der Schuldner dem dinglich gesicherten Gläubiger gegenüber nicht auch persönlich haftet, erhält der Gläubiger nur ein Stimmrecht gemäß § 238 InsO, welches sich nach dem Wert des Absonderungsrechts bemisst.83) Die Kriterien der Aufspaltung sind naturgemäß konfliktanfällig. Letztlich geht es um die 49 Bewertung/Werthaltigkeit des Sicherungsgegenstands. Nach Vorstellung des Gesetzgebers84) soll bei einer Unternehmensfortführung dessen Fortführungs- und bei einer Zerschlagung der Liquidationswert maßgeblich sein.85) Dementsprechend hängt der Wert des Absonderungsgegenstands von dem Schicksal ab, welches der Plan dem Gegenstand zuweist, also etwa ein Verkaufserlös oder ein Going-concern-Wert.86) Dies bedarf insoweit der Ergänzung, dass der im Plan zugewiesene Wert nicht unter dem Liquidationswert liegen darf, den der absonderungsberechtigte Gläubiger außerhalb des Insolvenzplans erlösen könnte. Die entsprechenden Bewertungsgrundlagen sollten sich aus der Vermögensaufstellung des Insolvenzverwalters ergeben (vgl. § 151 Abs. 2 InsO).87) Allerdings muss der Gläubiger das Absonderungsrecht sowie den mutmaßlichen Ausfall selbst ermitteln und betragsmäßig angeben.88) Dieser bleibt maßgeblich, sofern weder der Verwalter noch andere stimmberechtigte Beteiligte widersprechen. Die Streitanfälligkeit der Bewertungsfragen, die stets mehr als eine Gruppe betrifft, legt es 50 nahe, auf Anfrage im Erörterungstermin die Aufteilung für die Betroffenen nachvollziehbar ausführen zu können.89) Die Bewertungsgrundlagen sowie die Höhe des mutmaßlichen Aus___________ Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 3; Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 9. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 10. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 9 ff. Ähnl. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 10. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 19. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206, abgedr. in: Kübler/Prütting, RWS-Dok. 18, 2. Aufl., S. 474. So auch Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 18. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 238 Rz. 3; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238 Rz. 7 (zu mehreren Insolvenzplänen). 87) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 21. 88) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 7; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 13; a. A. Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 237 Rz. 5: Schätzung gemäß § 287 ZPO. 89) Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 13.
79) 80) 81) 82) 83) 84) 85) 86)
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§ 40
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
falls noch im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins zumindest zwischen Planvorschlagendem und Absonderungsberechtigten abzustimmen, empfiehlt sich allemal.90) 51 In Zweifels- oder Streitfällen entscheidet das Insolvenzgericht über den Umfang der aufgespaltenen Stimmrechte bzw. über die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls (§ 77 InsO).91) Diese Entscheidung wirkt einheitlich für den Umfang des Absonderungsrechts sowie der Ausfallforderung gemäß § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO.92) Sie hat somit Bindungswirkung. Die Notwendigkeit, eine einheitliche, komplementäre Entscheidung für Absonderungsrecht und Ausfallforderung zu treffen, gilt auch im Falle einer Abänderung gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO.93) 3.5
Nachrangige Gläubiger
52 Im Insolvenzplanverfahren schließt das Gesetz nachrangige Insolvenzgläubiger im Rang des § 39 InsO nicht von vornherein vom Stimmrecht aus; denn § 237 Abs. 1 InsO verweist nicht auf § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO. Dem formellen Anmeldungserfordernis können die nachrangigen Insolvenzgläubiger erst nach vorheriger Aufforderung durch das Insolvenzgericht nachkommen (§ 174 Abs. 3 InsO). Für eine Stimmberechtigung muss hinzutreten, dass es eine Gruppenbildung und -zuordnung gibt (§ 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO), wobei nachrangige Insolvenzgläubiger mit den Ergänzungen nach § 246 InsO abstimmen.94) Ohne Gruppenbildung, wie es dem gesetzlichen Regelfall entspricht, bedarf es keiner Stimmberechtigung. Die nachrangigen Forderungen gelten kraft Gesetzes und auch ohne besondere Planbestimmungen mit Planbestätigung als erlassen (§ 225 InsO).95) Ausreichenden Schutz für die nachrangigen Gläubiger vermitteln §§ 250, 251 InsO.96) 3.6
Anteilsinhaber (§ 238a InsO)
3.6.1 Allgemeines 53 Der Insolvenzplan kann im Unterschied zur Rechtslage vor dem ESUG auch die Anteilsund Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen neu gestalten (§ 217 Satz 2 InsO). Hierzu muss er eine gesonderte Regelung enthalten (§ 225a Abs. 1 InsO).97) Der Plan muss für die am Schuldner beteiligten Personen eine eigene Gruppe vorsehen (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO) und deren Teilnahme am Erörterungs- und Abstimmungstermin sicherstellen (§ 235 Abs. 3 InsO); für Kleinbeteiligte von weniger als 1 % vom Haftkapital oder bei einer Beteiligung mit weniger als 1.000 EUR kann es auch eine gesonderte Gruppe geben (§ 222 Abs. 3 Satz 2 InsO). 54 Die praktisch wichtigsten Konstellationen einer Neuregelung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte werden Übertragungen bestehender Anteils- und Mitgliedschaftsrechte sowie Kapitalmaßnahmen sein, ggf. i. R. eines Debt-Equity-Swaps (vgl. § 225a InsO; siehe hierzu § 31). Neugestaltungen der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte erfordern im Abstimmungsprozess die Beteiligung dieser Anteilsinhaber. Dementsprechend hat das ESUG ___________ 90) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 19. 91) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 15. 92) Pleister, in: KPB, InsO, § 238 Rz. 12; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 15; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238 Rz. 6 f. 93) Pleister, in: KPB, InsO, § 238 Rz. 12; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 31. 94) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 34. 95) Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 5. 96) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 12. 97) Zur Begr., warum trotz etwaiger Wertlosigkeit der Anteile die Einbeziehung der Anteilsinhaber bei der Abstimmung erforderlich ist, s. Thies, in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 2.
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Stimmrechte im Planverfahren
§ 238a InsO neu eingefügt und gewährt den Anteilsinhabern in der Abstimmung über den Insolvenzplan ein Stimmrecht. 3.6.2 Bezugsgröße für das Stimmrecht Für den Umfang des Stimmrechts soll es allein auf die Beteiligung am gezeichneten Kapital 55 oder am Vermögen des Schuldners ankommen. Die vollständige Einlageleistung stellt keine Voraussetzung für das Stimmrecht dar.98) Eigene Anteile gewähren kein Stimmrecht.99) Für den Nachweis der Beteiligung gelten die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen.100) Vorschriften insbesondere in der Satzung oder in Gesellschaftervereinbarungen, welche Stimmrechtsbeschränkungen, Vorzugs-, Höchst-, Sonder- oder Mehrstimmrechte enthalten, bleiben außer Betracht (§ 238a Abs. 1 Satz 2 InsO). Damit erhalten bspw. auch aktienrechtlich stimmrechtslose Vorzugsaktionäre die Berech- 56 tigung, über den Insolvenzplan abzustimmen, sofern sie beeinträchtigt sind (§ 238a Abs. 2, § 237 Abs. 2 InsO). Dies erscheint gerechtfertigt, da der Insolvenzplan sie ungeachtet der fehlenden Stimmrechte in ihrer wirtschaftlichen Substanz betreffen kann, wobei der Vorzug als finanzieller Ausgleich für das fehlende Stimmrecht in der Insolvenz ohnehin obsolet wird.101) Bei einer GmbH und UG (haftungsbeschränkt) kommt es bspw. auf den Anteil am statu- 57 tarischen Stammkapital gemäß Gesellschafterliste,102) bei einer AG auf den Anteil am statutarischen Grundkapital an; bei Genossenschaften entscheidet in Abweichung vom Stimmrecht (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 GenG) der von jedem Genossen gemäß Satzung oder Mitgliederliste gehaltene Genossenschaftsanteil (§§ 7 f. GenG).103) Beim Verein bleibt es beim Grundsatz des § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB; dies entspricht einem Stimmrecht bzw. -gewicht nach Köpfen.104) Bei Personengesellschaften (oHG, KG, PartG, GbR, Partenreederei, EWIV) entscheidet die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen gemäß Gesellschaftsvertrag; im Zweifel sind die Gesellschafter zu gleichen Anteilen berechtigt (§ 709 Abs. 2, § 722 Abs. 1 BGB, § 119 Abs. 2 HGB, § 6 Abs. 3 PartGG). Bei einer Kapitalgesellschaft & Co. KG ist die Bezugsgröße weniger eindeutig. Maßgeblich dürfte der im Innenverhältnis der Kommanditisten vereinbarte Verteilungsschlüssel in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen sein, nicht hingegen ein hiervon häufig abweichender Anteil an der im Handelsregister eingetragenen Gesamthaftsumme.105) Eine nicht am Kapital der KG beteiligte Komplementär-Gesellschaft hat grundsätzlich kein Stimmrecht.106) Bei Gesellschaften ausländischen Rechts, die in Deutschland den Mittelpunkt ihrer haupt- 58 sächlichen Interessen haben (Art. 3 EuInsVO), gelten die entsprechenden Kategorien nach der jeweiligen lex societatis. ___________ 98) Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 9; Pleister, in: KPB, InsO, § 238a Rz. 7 f. 99) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 6 – zur GmbH. 100) Zur analogen Geltung von § 123 Abs. 2, 3 AktG bei Publikumsgesellschaften mit frei übertragbaren Anteilen vgl. Madaus, in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 4. 101) Vgl. DiskE des BMJ, Beilage z. ZIP 28/2010, S. 1, 12. 102) Vgl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 3, auch zu § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. 103) Thies, in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 24; Pleister, in: KPB, InsO, § 238a Rz. 12; abw. Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 15. 104) Madaus, in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 12; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 17. 105) Ähnl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 8: Abstellen auf das feste Kapitalkonto I; anders jedoch Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 5: auch Hinzurechnung von Gewinnen, Verlusten und Entnahmen; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 22. 106) Diff. zwischen der personengleichen und nicht personengleichen GmbH & Co. KG Madaus, in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 7; bei letzterer soll ausnahmsweise die Kopfmehrheit entscheiden.
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§ 40 3.7
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Stimmrechtsverbote?
59 Stimmrechtsverbote gemäß dem allgemeinen Rechtsgedanken, der die Abstimmung in eigener Sache verbietet (§ 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 3 GenG etc.), bestehen im Insolvenzplanverfahren nicht.107) Ebenso wenig lässt sich ein Stimmrechtsverbot aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ableiten.108) Ein Beteiligter, der durch das Zustandekommen eines Insolvenzplans einen Vorteil erlangt, ist also nicht schon deshalb von der Abstimmung ausgeschlossen. Die Rechte der übrigen Beteiligten sind u. a. dadurch gewahrt, dass es für das Zustandekommen eines Plans einer kombinierten Kopf- und Summenmehrheit der abstimmenden Gläubiger bedarf, ferner durch den Minderheitenschutz. Auch der zivilrechtlich gemäß §§ 134, 138 BGB unwirksame Stimmenkauf109) hat nicht die Unwirksamkeit der Stimmabgabe im Planverfahren zur Folge.110) 4.
Stimmrechtsfestsetzung und Rechtsmittel
60 Die Stimmrechtsfestsetzung sollte sich unmittelbar an den Erörterungsteil anschließen (siehe Rz. 8). Es bietet sich in der Verhandlungsführung an, die Zulässigkeit von Stellungnahmen der Beteiligten auf die für die jeweilige Stimmrechtsentscheidung relevanten Umstände zu beschränken. Ungeachtet der Art der jeweiligen Forderung bzw. des Rechts, ist der Verfahrensweg gemäß §§ 237, 238 InsO jeweils identisch.111) 4.1
Unstreitige Forderungen/Rechte
61 Das Stimmrecht angemeldeter und unstreitiger Forderungen und Rechte festzusetzen, ist unproblematisch. Maßgeblich ist der Forderungsbetrag. 4.2
Vorrang des Einigungsversuchs bei streitigen Forderungen bzw. Rechten
62 Bei streitigen Forderungen bzw. bei einem streitigen Absonderungsrecht ist nach der Erörterung als Ausdruck der Gläubigerautonomie112) vorrangig zu versuchen, eine Einigung über das Stimmrecht ohne Widerspruch des Verwalters oder eines anderen anwesenden oder vertretenen Gläubigers zu erreichen (§ 237 Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO). Einigung müssen nicht nur der Verwalter und die anderen Gläubiger erzielen, sondern sie muss den Gläubiger der bestrittenen Forderung einbeziehen.113) Einigung bedeutet, dass entweder die eine Seite die andere überzeugen kann, die daraufhin ihren Widerspruch bzw. die Geltendmachung aufgibt. Oder es gelingt eine Einigung auf einen geringeren Umfang der Forderung bzw. des Rechts als ursprünglich geltend gemacht. Ein vorausschauender, kluger Planarchitekt wird schon im Vorfeld die potentiellen Konflikte identifizieren und versuchen, seine Annahmen zur Stimmberechtigung ausreichend durch Urkunden oder Sachverständigengutachten nachweisen zu können. Diese Nachweise sollten bei der Stimmrechtsentscheidung verfügbar sein, damit auf dieser Grundlage entweder Einvernehmen mit den Betroffenen hergestellt werden kann oder sie im Bedarfsfall i. R. der gerichtlichen Stimmrechtsentscheidung zur Verfügung stehen.114) ___________ 107) So auch Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 14; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 7. 108) Vgl. hierzu OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018, 2021, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz); BVerfG, v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2163 = NZI 2013, 1072; Thole, ZIP 2013, 1937, jew. m. w. N.; zusammenfassend Jaffè, in: Wimmer, InsO, § 238a Rz. 4 ff. 109) Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rz. 114; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 133 Rz. 28. 110) Thies, in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 30. 111) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 8. 112) Vgl. Preß, in: HambKomm-InsO, § 77 Rz. 7. 113) Vgl. AG Hamburg v. 12.9.2005 – 67e IN 246/04, ZIP 2005, 1929, dazu EWiR 2006, 175 (Kind/Herzig). 114) Ähnl. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 237 Rz. 13.
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Stimmrechte im Planverfahren 4.3
Gescheiterter Einigungsversuch: Gerichtliche Stimmrechtsentscheidung
4.3.1 Allgemeines Scheitert bei streitigen Forderungen bzw. Rechten der Einigungsversuch, entscheidet in 63 der Auseinandersetzung über das Stimmrecht das Insolvenzgericht (§ 237 Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Entscheidung betrifft jedoch ausschließlich das Stimmrecht, nicht die materiell-rechtliche Berechtigung der Forderung bzw. des Absonderungsrechts an sich.115) Beim Absonderungsrecht ergeht als Vorfrage die Entscheidung über den Bestand des Absonderungsrechts. Zur fehlenden Bindungswirkung der Ergebnisse des Prüfungstermins oder aus früherer Gläubigerversammlungen siehe Rz. 30. Ein Verfahren zur Festsetzung streitiger Stimmrechte der Anteilsinhaber sieht § 238a 64 InsO mangels einer Verweisung auf § 77 Abs. 2 InsO nicht ausdrücklich vor. Einigkeit besteht zunächst darin, dass eine Mitwirkung der Gläubiger in Analogie zu § 77 Abs. 2 InsO nicht in Betracht kommt. Hierzu wird angeführt, dass die Anteilsinhaber in der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge nicht mit den Gläubigerrechten konkurrieren,116) weil es nur um die Mehrheitsverteilung innerhalb der Gruppe der Anteilsinhaber geht.117) Nach zutreffender Auffassung dürfte auch eine aus § 77 Abs. 2 InsO analog abgeleitete Einigung nur zwischen Insolvenzverwalter und Anteilsinhaber ausscheiden, weil dem Insolvenzverwalter insoweit – anders als bei Forderungsfeststellungen – eine Entscheidungsbefugnis fehlt.118) Somit fehlt es auch an einer Anknüpfung für eine Entscheidung des Insolvenzgerichts in Analogie zu § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO.119) Es bleibt das Prüfungs- bzw. Entscheidungsrecht des Insolvenzgerichts (erst) i. R. der Planbestätigung. Eine aus einer Gesellschafterliste abgeleitete Legitimationswirkung bleibt unberührt.120) 4.3.2 Zuständigkeit Die funktionelle Zuständigkeit im Insolvenzplanverfahren liegt bei ab dem 1.1.2013 bean- 65 tragten Insolvenzverfahren (vgl. Art. 103g Abs. 1 Satz 2 EGInsO)121) mit Wirkung ab dem 1.1.2013 (Art. 5 i. V. m. Art. 10 ESUG) beim Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG). Dessen Entscheidung ergeht durch Beschluss. Zur früheren Rechtslage vgl. die 2. Auflage. 4.3.3 Entscheidungsmaßstäbe 4.3.3.1
Rechtslage
Aus den Regelungen der §§ 237 – 238 InsO lässt sich als gesetzliche Zielrichtung ableiten, 66 dass die materiell-rechtlich nicht berechtigten Forderungen auch nicht stimmberechtigt sein sollen. Die Stimmrechtsentscheidung ist, auch wenn sie lediglich eine Zwischenentscheidung darstellt, eine Art ZPO-Erkenntnisverfahren (vgl. § 4 InsO) zum Stimmrecht.122) Der Richter unterliegt damit zumindest einem pflichtgemäßen Ermessen.123) ___________ 115) 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123)
Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 133; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 237 Rz. 16. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 17. Thies, in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 32. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 17; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 10; a. A. Thies, in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 32; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 29. Hierfür jedoch Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 29, unter Hinweis darauf, dass die Anteilsinhaber letztlich wie „nach-nachrangige“ Gläubiger angesehen werden. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 17. Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften – RechtsBehEG, v. 5.12.2012, BGBl. I 2012, 2418. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 20. Zutreffend Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 19.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
67 Folglich muss er sich an rechtsstaatliche Grundsätze und Verfahrensmaximen anlehnen, um i. R. einer summarischen Prüfung unter Heranziehung der präsenten Informationen eine materiell-rechtlich zumindest vertretbare Entscheidung über das Stimmrecht zu treffen. Das Gericht sollte folglich den Beteiligten rechtliches Gehör gewähren, die allgemeinen Darlegungs- und Beweisregeln sowie die Grundsätze der richterlichen Beweiswürdigung beachten und ggf. den Verwalter als Sachverständigen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO) hören.124) Hierdurch eintretende Verzögerungen im Termin müssen hingenommen werden. Der Einwand, die Befassung mit präsenten Informationen (z. B. ein umfangreiches Gutachten) würde zu lange dauern, greift damit nicht.125) Bei diesem Verständnis wird die Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz, welches jedem potentiell Stimmberechtigten zusteht, ausreichend berücksichtigt.126) Die Bandbreite der gerichtlichen Entscheidung umfasst eine vollständige Stimmrechtszuteilung wie -ablehnung. Auch eine teilweise Stimmrechtszuteilung ist möglich. 68 Einstweilen frei. 4.3.3.2
Praktische Hinweise
69 Sollte das Zustandekommen eines Insolvenzplans von der Entscheidung über die Stimmrechtszuteilung abhängen, sollte der Richter im Einzelfall den Parteien Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme geben und den Termin kurzfristig vertagen, um etwa einen komplexen Sachverhalt zu erfassen und angemessen rechtlich würdigen zu können.127) Es spricht ferner nichts dagegen, dass die Parteien schon vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin zu einer potentiellen oder gar absehbaren Streitfrage schriftlich Stellung nehmen. 70 Wer eine Forderung aus welchem Grund bestreitet, hat für die Stimmrechtsentscheidung durchaus Bedeutung. Die Neutralitätspflicht des Insolvenzverwalters legt es regelmäßig nahe, dass er nur aus objektiven Gründen bestreitet. Heilbare Verfahrensmängel wie etwa unvollständige, aber nachträglich einzureichende Unterlagen werden nur selten einen Stimmrechtsausschluss rechtfertigen können. Materiell-rechtliche Bedenken sind hingegen beachtlich, sofern nicht der Gläubiger substantiiert dagegen vortragen kann. Entsprechendes kann bei einem schwebenden Forderungsfeststellungsstreit gelten. Bei einer solchen Sachlage mag ein Stimmrecht i. H. von 50 % des Nennbetrags der Forderung vertretbar erscheinen. Es gelten jedoch im Grundsatz die allgemeinen Beweislastregeln.128) Bestreitet ein anderer stimmberechtigter Gläubiger, sollte der Richter im Hinterkopf haben, dass taktische Erwägungen sowie emotionale Aspekte im Kampf um den möglichst großen Eigeneinfluss der Hintergrund solch taktisch motivierten Verhaltens sein können. 71 Beruht eine angemeldete Forderung auf einem Schätzbetrag, sollten sich die jeder Schätzung innewohnenden Ungewissheiten entsprechend auch im Stimmrecht niederschlagen. Regelmäßig wird daher vorsichtig zu schätzen sein. 72–75 Einstweilen frei.
___________ 124) 125) 126) 127) 128)
Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 21. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 21. Vgl. hierzu BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 237 Rz. 13. Thies, in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 4a.
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Stimmrechte im Planverfahren 4.3.4 Rechtsmittel, Antrag auf Änderung
§ 77 Abs. 2 Satz 3 InsO, der über die Verweisung in § 237 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 238 Abs. 1 76 Satz 3 InsO Anwendung findet, sieht vor, dass das Gericht die Stimmrechtsentscheidung auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines anderen im Termin erschienenen Gläubigers abändern kann. Eine Abänderung von sich aus kann das Gericht jedoch nicht vornehmen; es bedarf stets eines Antrags. Diese richterliche Abänderung verlangt also, dass derselbe Richter, der i. R. der Stimmrechtsfestsetzung die Erstentscheidung getroffen hat, i. R. eines etwaigen Abänderungsverfahrens (§ 77 Abs. 2 Satz 3 InsO) seine eigene Entscheidung überprüft und dann zu einem abweichenden Ergebnis gelangt. Insoweit bessere Erkenntnis innerhalb eines faktisch äußerst kurzfristigen Zeitraums einzuräumen, verlangt zweifellos eine gewisse Souveränität. Jedenfalls macht es genau dieser Hintergrund erforderlich, dass der Richter rechtsstaatlichen Grundsätzen folgt, damit er bei der Erstentscheidung nach einer – aufgrund des Beschleunigungsgrundsatzes – summarischen Prüfung zu einem gut begründbaren Ergebnis gelangt (siehe Rz. 67). Umstritten ist, wie lange diese Abänderungsmöglichkeit besteht. Nach einer weit verbrei- 77 teten Ansicht soll sie nur bis zum Beginn der Abstimmung möglich sein.129) Richtigerweise sollte die Möglichkeit eines Antrags jedoch noch bis zur Ende der Abstimmung bestehen, die dann bei entsprechender Entscheidung abzubrechen wäre. Denn vor Ende der Abstimmung hat diese selbst ohnehin noch keine Wirkungen.130) Im Übrigen ist bei Verfahren, die nach dem 1.3.2013 beantragt worden sind, die richterliche 78 Entscheidung unangreifbar (zur Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG vgl. die 2. Auflage). Ein Rechtsmittel gegen die Stimmrechtsentscheidung i. S. einer Überprüfung durch eine höhere Instanz gibt es nicht, da die InsO kein Beschwerderecht vorsieht (§ 6 Abs. 1 InsO). Die Entscheidung über die Feststellung der Stimmberechtigung ist eine Vorfrage zur gerichtlichen Stimmrechtsentscheidung, über die das Insolvenzgericht abschließend zu entscheiden hat. Verfassungsrechtlich ist nach einem Beschluss des BVerfG zur Rechtslage vor dem ESUG 79 eine abschließende Entscheidung des Richters über das vor dem Rechtspfleger umstrittene Stimmrecht eines Gläubigers nicht zu beanstanden.131) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch sowie Art. 19 Abs. 4 GG garantieren nur die Öffnung des Zugangs zum Gericht, so dass eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung genügt.132) Einen Instanzenzug fordert das Grundgesetz hingegen nicht.133) Hinzu tritt, dass der Schutz der Rechte der Gläubiger einen zügigen und reibungslosen Ablauf des Insolvenzverfahrens als Teil des Zwangsvollstreckungsrechts verlangt.134) Eine rückwirkende Beseitigung von Beschlüssen der Gläubigerversammlung im Wege einer Anfechtung der Stimmrechtsfestsetzung würde allerdings die Verfahrensabwicklung verkomplizieren und verlangsamen, wobei zudem die Gefahr eines Missbrauchs zum Zwecke der Verfahrensverzögerung bestünde.135) Von daher ist die Entscheidung des Gesetzgebers nicht zu beanstanden und hält dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stand, dass er in der Abwägung zwischen einerseits dem Interesse des Einzelnen an wirkungsvollem Rechtsschutz und andererseits dem ___________ 129) 130) 131) 132) 133) 134) 135)
Hintzen, in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 28; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 142. Pleister, in: KPB, InsO, § 237 Rz. 23; Hess, InsR, § 237 InsO Rz. 13. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238.
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Interesse der übrigen Beteiligten, strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären, letzteren den Vorrang einräumt.136) 80–83 Einstweilen frei. III.
Stimmliste (§ 239 InsO)
84 In der Stimmliste hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle als zuständiger Listenführer festzuhalten, welche Stimmrechte den Beteiligten nach dem Ergebnis der Erörterung im Termin zustehen (§ 239 InsO). Es handelt sich um ein eigenständiges Verzeichnis (Stimmliste), das von der Liste der Forderungsprüfung zu unterscheiden ist. 85 Praktisch sollte der Insolvenzverwalter einen Entwurf der Stimmliste vorbereiten. Als „Gläubigerinventar“137) bietet sich insoweit die Insolvenztabelle an, die freilich im Einzelfall – bei Absonderungsrechten – der Ergänzung bedarf. Auf der Grundlage dieser Vorbereitung wird das Verzeichnis gemäß den Ergebnissen im Erörterungs- und Abstimmungstermin ergänzt bzw. aktualisiert.138) Dies wird ohne EDV-Unterstützung kaum möglich sein.139) 86 Es entspricht verbreiteter und auf die Vorgängervorschrift des § 71 Abs. 4 Satz 2 VglO zurückgehender Übung, neben dem Ergebnis der Stimmrechtsfestsetzung (stichpunktartig) das Zustandekommen zu protokollieren, ob im Wege der Einigung oder durch gerichtliche Entscheidung, ggf. auf wessen Widerspruch hin und aufgrund welcher Gründe.140) Dieses Vorgehen bietet sich nicht nur an, um einen Bestreitenden identifizieren zu können, falls dieser – und nur er wäre berechtigt – später seinen Widerspruch zurücknimmt.141) Es erscheint auch nach Inkrafttreten des ESUG, welches die funktionelle Zuständigkeit im Planverfahren vom Rechtspfleger auf den Richter übertragen und die Überprüfungsmöglichkeit gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG a. F. abgeschafft hat, weiterhin sinnvoll, um bspw. dem Richter für eine etwaige Abänderungsentscheidung (§ 77 Abs. 2 Satz 3 InsO) die zugrunde liegenden Fakten zu dokumentieren. Ein nicht mit dem zutreffenden Ergebnis korrespondierender Vermerk in der Stimmliste kann berichtigt werden.142) 87 Ohne Feststellung der Stimmrechte scheidet eine Abstimmung über den Plan aus.143) Mit der Festlegung der Stimmrechte sollte einhergehen, gleichzeitig nach Kopfzahl und Forderungsbetrag eine Zuordnung zu den jeweiligen Gruppen nach § 222 Abs. 1 oder 2 InsO vorzunehmen.144) IV.
Ablauf des Abstimmungsverfahrens
1.
Gesetzlicher Regelfall
1.1
Überblick
88 Die Abstimmung erfolgt als letztes Element des Erörterungs- und Abstimmungstermins (§ 235 InsO) und nur ausnahmsweise in einem gesonderten Abstimmungstermin (§ 241 ___________ 136) 137) 138) 139) 140) 141) 142) 143) 144)
BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 7. Pleister, in: KPB, InsO, § 239 Rz. 3; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 239 Rz. 5. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 239 Rz. 1. Muster einer Stimmliste bei Breutigam, in: Blersch/ Goetsch/Haas, InsR, § 239 InsO Rz. 1. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 239 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 239 Rz. 1. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 239 Rz. 1. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 239 Rz. 4; Hess, InsR, § 239 InsO Rz. 6. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 239 Rz. 2. Pleister, in: KPB, InsO, § 239 Rz. 4; Thies, in: HambKomm-InsO, § 239 Rz. 1; Hess, InsR, § 239 InsO Rz. 2 f.
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Stimmrechte im Planverfahren
InsO). Grundlage der Abstimmung ist jeweils die Stimmliste, die vor Beginn der Abstimmung feststehen muss. Regelmäßig entscheidet das Insolvenzgericht über den Ablauf nach eigenem Ermessen (§ 76 89 Abs. 1 InsO), soweit das Gesetz keine abweichenden Regelungen (vgl. § 243 InsO) enthält. Zu denken ist etwa an die Festlegung der Reihenfolge, in welcher die Gruppen abstimmen. Aus der Stimmliste ergeben sich keine zwingenden Vorgaben zur Reihenfolge.145) Die Gläubigerversammlung kann einen abweichenden Ablauf der Abstimmung beschließen (§ 76 Abs. 2 InsO). § 243 InsO bestimmt, dass jede Gruppe gesondert über den Insolvenzplan abstimmt. Zu- 90 erst legt das Insolvenzgericht die Anspruchssummen sowie die Gläubigeranzahl der einzelnen Gruppe fest (vgl. § 244 Abs. 1 InsO). Die Stimmabgabe schließt sich an. Siehe zu Details § 38 Rz. 24 ff. 1.2
Protokoll
Über den Ablauf erstellt das Gericht entsprechend den zivilprozessualen Regeln in der 91 mündlichen Verhandlung ein Protokoll, welches die wesentlichen Vorgänge der Sitzung aufnimmt (§ 4 InsO, §§ 159, 160 ZPO).146) Um die erforderlichen Kopf- und Summenmehrheiten feststellen zu können, muss das Gericht pro Gruppe jeweils die Stimmen für und gegen den Insolvenzplan im Protokoll festhalten. Zudem sollte, nachdem eine Gruppe abgestimmt hat, das Abstimmungsergebnis für diese Gruppe aufgenommen werden;147) ferner das Gesamtergebnis. 1.3
Stimmabgabe und Widerruflichkeit
Zur Stimmabgabe erklärt der einzelne Stimmberechtigte oder sein Vertreter (Einzelab- 92 stimmung),148) ob er für oder gegen den Insolvenzplan stimmt. Eine Enthaltung ist ebenfalls möglich. Sie gilt aber bei Ermittlung der Mehrheiten als nicht abgegebene Stimme, da das passive Verhalten keinen unmittelbaren149) Einfluss auf die Annahme oder Ablehnung des Plans haben soll.150) In der jeweils zugewiesenen Gruppe hat ein Stimmberechtigter zunächst nur eine Stimme; 93 er kann allerdings durchaus in mehreren Gruppen stimmberechtigt sein, etwa als Absonderungsberechtigter einerseits sowie mit der Ausfallforderung andererseits, oder mit unterschiedlichen Forderungen.151) Außerhalb eines gesonderten Abstimmungstermins (§ 241 InsO) lässt das Gesetz nur eine 94 mündliche Stimmabgabe zu. Sie ist mit Abgabe wirksam und zugegangen, kann danach nicht mehr widerrufen werden.152) Ein gleichzeitiger Widerruf ist jedoch zulässig. Als einen solchen wird man auch zu werten haben, wenn eine Stimme unmittelbar nach der Proto___________ 145) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4; a. A. Breutigam, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 239 InsO Rz. 2 und § 243 InsO Rz. 4. 146) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4. 147) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4. 148) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 243 Rz. 4. 149) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208; Thies, in: HambKomm-InsO, § 244 Rz. 2. 150) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 2; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 243 Rz. 5. 151) Zu der Problematik, ob die Anwesenheit eines einzigen Gläubigers bei mehreren vorgesehenen Plangruppen für die Planzustimmung insgesamt genügt, vgl. Wegener, ZInsO 2002, 1157 ff. 152) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 243 Rz. 5; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 6; Haas, in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 5; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 438; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 243 Rz. 6.
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kollierung der Gruppenabstimmung abgeändert wird und das Gericht die Korrektur bezogen auf diese Gruppe noch aufnehmen kann.153) 1.4
Stimmrechtsvollmachten
95 Die Stimmabgabe kann durch einen Bevollmächtigten auf der Grundlage einer Stimmrechtsvollmacht erfolgen.154) Die Vollmacht muss allerdings ausdrücklich die Person des Vollmachtgebers erkennen lassen (z. B. Angabe des Namens in Druckbuchstaben, Beifügung von Kopien des Handelsregisterauszugs sowie des Personalausweises) und inhaltlich eindeutig gefasst sein, zu welchem Handeln der Bevollmächtigte befugt sein soll. Zur Vermeidung von Interessenkollisionen, die zur Unwirksamkeit der Vollmacht führen können,155) sollte die Vertretung durch einen außenstehenden Dritten/Rechtsberater erfolgen. Die in der Praxis verbreitete „kostenfreie“ Vertretung begegnet immer wieder dem Einwand, es handele sich um einen verbotenen Vorteil i. S. von § 226 Abs. 3, § 250 Nr. 2 InsO.156) 2.
Abstimmung im gesonderten Abstimmungstermin
96 Ein gesonderter Abstimmungstermin setzt voraus, dass die Stimmrechte bereits im zweiten Teil des Erörterungsteils des Erörterungs- und Abstimmungstermins (siehe Rz. 6) festgesetzt und in die Stimmliste gemäß § 239 InsO aufgenommen sind. Andernfalls wäre es nicht möglich, die Stimmberechtigung bzw. den Adressatenkreis für die Versendung der Stimmzettel (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 1 InsO) zu ermitteln.157) 97 Nur im gesonderten Abstimmungstermin gemäß § 241 InsO gestattet das Gesetz zur Verfahrensvereinfachung und aus Kostengründen158) für die Stimmberechtigten auch eine schriftliche Stimmabgabe.159) Das Gericht hat bei der Festsetzung grundsätzlich kein Ermessen. Bestimmt die Versammlung einen gesonderten Abstimmungstermin und beschließt insgesamt die schriftliche Abstimmung oder lässt sie für die Beteiligten die schriftliche Abstimmung gesondert zu, muss das Gericht Folge leisten.160) 98 Es gelten grundsätzlich die vorstehenden Ausführungen zum gesetzlichen Regelfall entsprechend, so dass nachfolgend nur die Besonderheiten dargestellt werden. Für die schriftliche Stimmabgabe sollte grundsätzlich auch die Übermittlung per Telefax genügen (vgl. aber § 126 BGB). Der Erklärende muss zweifelsfrei erkennbar sein.161) Hat ein rechtsgeschäftlicher Vertreter die Stimme abgegeben, muss die zugrunde liegende Vollmacht ebenfalls übermittelt werden, auch bei anwaltlicher Vertretung. Die Stimmabgabe muss ferner bedingungslos162) und eindeutig i. S. von Pro oder Contra Insolvenzplan sein, so dass Vorbehalte oder Zusätze unzulässig sind.163) Für die Beurteilung der Gültigkeit zieht die Praxis – mit Ausnahme des Abstimmungsgeheimnisses – die Grundsätze staatlicher Wahlen heran.164) ___________ 153) Vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. 154) Zu taktischen Überlegungen insoweit s. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 443, 446. 155) Vgl. LG Hamburg v. 1.12.2006 – 326 T 93/06, NZI 2007, 415; Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 14; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 444. 156) Vgl. Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 14; dagegen Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 447. 157) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208. 158) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 242 Rz. 2. 159) Thies, in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 1, 2. 160) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 242 Rz. 1. 161) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 162) A. A. wohl Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 242 Rz. 4, der die Bedingung „Nicht-Bestreiten der Forderung“ zulassen will. Tatsächlich geht es dabei bereits um die Stimmberechtigung. 163) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 164) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f.
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Stimmrechte im Planverfahren
Die schriftliche Stimmabgabe muss dem Gericht spätestens am Tag vor dem Abstim- 99 mungstermin zugegangen sein. Hierauf hat das Gericht gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 InsO bei der Ladung hinzuweisen. Unterbleibt der Hinweis, müssen bis zum Abschluss der Abstimmung noch eingegangene Stimmen berücksichtigt werden.165) Geht der Stimmzettel trotz Hinweises nicht rechtzeitig zu, wird der Beteiligte von der Stimmabgabe ausgeschlossen.166) Er sollte daher den möglichst frühzeitigen Zugang durch rechtzeitige Absendung gewährleisten.167) Die Geschäftsstelle muss den Zeitpunkt des Eingangs vermerken.168) Anders lässt sich über die Rechtzeitigkeit bzw. Verspätung nicht entscheiden. Eine am Tag vor der Abstimmung beim Verwalter eingegangene Stimmabgabe reicht nur 100 aus, wenn der Verwalter – insoweit als Erklärungsbote – noch am gleichen Tag den Zugang beim Insolvenzgericht sicherstellt.169) Eine konkludente Vollmachterteilung an den Verwalter kann in der Übersendung des ausgefüllten Stimmzettels an den falschen Adressaten grundsätzlich nicht gesehen werden. Die Widerruflichkeit der Stimmabgabe wird weitestgehend und mangels gegenteiliger Re- 101 gelungen zutreffend bejaht. Insbesondere bei der schriftlichen Stimmabgabe besteht Streit darüber, bis wann der Widerruf zugegangen sein muss. Teilweise soll der Widerruf nur bis zum Beginn des Abstimmungstermins170) zulässig sein oder bis zur Verlesung der Stimmabgabe im Termin171) oder sogar bis zum Schluss des Abstimmungstermins.172) Verfahrenstechnische Aspekte, die der Gerichtsorganisation geschuldet sind, sowie der das Gesetz prägende Beschleunigungsgrundsatz173) treten als weitere Kriterien hinzu, die es gebieten, etwaige Widerrufe im Abstimmungstermin kurzfristig feststellen zu können. Vor diesem Hintergrund überzeugt es, zwischen schriftlichen und mündlich erklärten Wi- 102 derrufen zu differenzieren.174) Schriftliche Widerrufe müssen in entsprechender Anwendung des § 242 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Insolvenzgericht spätestens am Tag vor dem Abstimmungstermin zugegangen sein.175) Ein am Tag des Abstimmungstermins auf der Geschäftsstelle per Telefax eingegangenes Widerrufsschreiben ist damit verspätet. Ein mündlicher Widerruf bleibt jedoch möglich. Er muss allerdings bis zur Berücksichtigung der schriftlichen Stimmabgabe – regelmäßig durch Verlesung und Protokollierung – zugegangen sein.176) Eine solche Konstellation hat praktisch nur Relevanz, wenn der Stimmberechtigte am Abstimmungstermin teilnimmt. Dies bleibt trotz vorheriger schriftlicher Stimmabgabe jedem Beteiligten möglich.177) Zählt das Gericht fristgerecht eingegangene Stimmzettel nicht mit, liegt ein Verfahrens- 103 verstoß vor. Er ist jedoch nur dann beachtlich und führt zur Versagung der Planbestätigung, wenn die Nichtberücksichtigung Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis ge___________ 165) 166) 167) 168) 169) 170) 171) 172) 173) 174) 175) 176) 177)
Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 242 Rz. 6; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 242 Rz. 3. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 6. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 6. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 9. Ähnl. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 242 Rz. 3. Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 7. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 5. In diese Richtung gehend Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 242 Rz. 10. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. § 292, BT-Drucks. 12/7302, S. 184, einem vom RegE InsO geplanten zweiten Abstimmungstermin. Thies, in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 3. A. A. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 242 Rz. 10. I. E. ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 243 Rz. 11; Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 5; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 243 Rz. 5. Vgl. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 242 Rz. 2.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
habt hat.178) In einem solchen Fall, aber auch bei verbleibenden Zweifeln über die Auswirkung, kann das Gericht jederzeit die Wiederholung der Abstimmung anordnen.179) 104 Planänderungen im gesonderten Abstimmungstermin sind grundsätzlich unzulässig. Ebenso wenig soll es im Abstimmungstermin noch zu Erörterungen kommen. Eine Ausnahme180) sollte i. S. einer Beschleunigung allerdings für den Fall zugelassen werden, dass sich durch die Planänderung die Stimmberechtigungen nicht verändern, also insbesondere nicht erstmals weitere Stimmberechtigten hinzukommen, und dass kein durch die Planänderung Betroffener widerspricht. Erläuterungen tatsächlicher Art durch den Planvorschlagenden, die vorgenommene Änderungen verständlicher machen, ohne sie erneut zur Diskussion zu stellen, bleiben freilich zulässig und erscheinen häufig auch geboten. 3.
Mehrheitserfordernisse, Zustandekommen des Insolvenzplans
105 Nachdem alle Gruppen gesondert (vgl. § 243 InsO) abgestimmt haben, stellt das Insolvenzgericht das Gesamtergebnis fest. Auch dies hat das Gericht im Protokoll zu vermerken.181) Entsprechendes gilt bei konkurrierenden Insolvenzplänen. 106 Die Beteiligten haben den Insolvenzplan angenommen, wenn alle Gruppen (nicht nur die Mehrheit der Gruppen, vgl. § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO) zustimmen, in jeder Gruppe die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger zustimmt (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO; Kopfmehrheit) sowie die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger beträgt (§ 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO; Summenmehrheit). Hat lediglich die Mehrheit der Gruppen zugestimmt, kann der Plan nur unter den Voraussetzungen der §§ 245 bis 247 InsO zustande kommen. 107 Zu Einzelheiten zum Mehrheitserfordernis s. § 38 Rz. 27 ff. sowie zum Obstruktionsverbot siehe § 41.
___________ 178) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 242 Rz. 6; Hess, InsR, § 242 InsO Rz. 8; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 242 Rz. 4. 179) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 8; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 24. 180) A. A. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 241 Rz. 11. 181) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 5.
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§ 41 Obstruktionsverbot F. Becker
I. 1.
Zweck und Hintergrund ............................ 1 Zweck............................................................ 1 1.1 Begrenzung der Gläubigerautonomie durch Missbrauchskontrolle........................................... 1 1.2 Fiktion der Zustimmung................. 2 1.3 Mittelbarer Individualschutz .......... 4 1.4 Erstreckung auf Anteilsinhaber ...... 5 2. Hintergrund ................................................. 9 II. Vergleichsrechnung.................................. 11 1. Quotenvergleich......................................... 11 2. Wirtschaftliche Betrachtungsweise ........... 13 3. Kriterien...................................................... 19 3.1 Verwertungsalternative ................. 19 3.2 Schlechterstellung durch Sozialplan ....................................... 25 4. Die Folgen des zeitlichen Auseinanderfallens für den Vergleich.............. 26 4.1 Zinselemente.................................. 28 4.2 Risikoelemente .............................. 31 4.3 „Machbarkeit“ des Plans ............... 35 5. Keine Plankorrektur durch Verwalterbevollmächtigung ....................................... 39 6. Beweislast.................................................... 41 III. Angemessenheit der Beteiligung ............ 43 1. Ausgangspunkt........................................... 43 2. Angemessene Beteiligung der Gläubiger .................................................... 45
3.
Angemessene Beteiligung der Anteilsinhaber ........................................................ 46 4. Befriedigungsgrenze................................... 47 5. Absoluter Vorrang ..................................... 52 5.1 Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger ........................ 52 5.2 Kein wirtschaftlicher Wert für Schuldner und an ihm beteiligte Personen......................................... 57 5.3 Fortführung als Planziel................ 59 6. Keine Besserstellung gleicher Ränge......... 69 6.1 Für Gläubiger................................. 70 6.2 Wirtschaftliche Betrachtung ......... 72 6.3 Für Anteilsinhaber ........................ 76 IV. Zustimmung der Mehrheit der Gruppen ..................................................... 77 1. Zustimmungserfordernis und Anwendungsgrenzen ................................. 77 2. Keine Zustimmungsfiktion ....................... 82 V. Salvatorische Klausel im Plan.................. 83 1. Salvatorische Klausel zum Minderheitenschutz ............................................... 84 2. Salvatorische Klauseln für Anwendung des Obstruktionsverbots ........................... 85 VI. Verfahren und Rechtsmittel.................... 92 1. Verfahren .................................................... 92 2. Rechtsmittel ............................................... 93
Literatur: Braun, Das Obstruktionsverbot in der Praxis: Ein überzeugender Start, NZI 1999, 473; Eidenmüller, Gesellschafterstellung und Insolvenzplan, ZGR 2001, 680; Grub, Die angemessene Zahlungsquote im Insolvenzplan, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 501; Kresser, Debtequity-swaps im Insolvenzplanverfahren de lege ferenda, ZInsO 2010, 1409; Madaus, Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter, ZGR 2011, 749; Undritz, Restrukturierung in der Insolvenz, ZGR 2010, 201; Wittig, Obstruktionsverbot und Cram Down – § 245 InsO im Lichte der LaSalle Street Entscheidung des U.S. Supreme Court v. 3.5.1999, ZInsO 1999, 373.
I.
Zweck und Hintergrund
1.
Zweck
1.1
Begrenzung der Gläubigerautonomie durch Missbrauchskontrolle
Das in § 245 InsO geregelte sog. Obstruktionsverbot dient primär der Verhinderung 1 missbräuchlichen Abstimmungsverhaltens von Gläubiger- bzw. Anteilsinhabergruppen. Der im Grundsatz privatautonome Prozess der Einigung der Gläubiger bzw. Anteilsinhaber wird durch das Obstruktionsverbot insofern beschränkt, als eine für das Kollektiv der Angehörigen wirtschaftlich optimale Verwertung auch gegen den Willen einer Abstimmungsgruppe erzwungen werden kann. Dieses sich darin widerspiegelnde Prinzip der allein durch Missbrauchskontrolle begrenzten Gläubigerautonomie stellt einen der wesentlichen Grundsätze im Insolvenzplanverfahren dar. Vor dem Hintergrund des besonders zeit- und kostenaufwändigen Insolvenzplanverfahrens darf der damit verbundene Aufwand nicht durch Einzelinteressen bestimmter Gläubiger oder Anteilsinhaber zunichte gemacht werF. Becker
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§ 41
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
den.1) Ob eine Gruppe gegen den Plan obstruiert, also eine rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Zustimmung zum Plan durch sog. „Akkordstörer“2) vorliegt, ist dabei allein aus wirtschaftlicher Perspektive durch das Gericht zu entscheiden. 1.2
Fiktion der Zustimmung
2 Unter den Voraussetzungen der Norm kann die fehlende Zustimmung einer bestimmten Abstimmungsgruppe durch Fiktion überwunden werden. Gemäß § 244 Abs. 1 InsO ist für die Annahme des Plans erforderlich, dass „in jeder Gruppe“ die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger dem Plan zustimmt und die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger größer als die Hälfte der Summe der Ansprüche der insgesamt abstimmenden Gläubiger ist. Für am Schuldner beteiligte Personen gilt letzteres Mehrheitserfordernis nach § 244 Abs. 3 InsO entsprechend, wobei nicht auf die Anspruchssumme, sondern auf die Summe der Beteiligungen abzustellen ist (siehe dazu eingehend oben §§ 38, 40). 3 Liegen die danach erforderlichen Mehrheiten nicht vor, kann die Zustimmung gleichwohl unter den Voraussetzungen des § 245 InsO ersetzt werden. Da einzelne Abstimmungsgruppen aufgrund ihres unterschiedlichen Status und Rangs oftmals auch abweichende Interessen verfolgen, soll verhindert werden, dass diese die Möglichkeit haben, die Abwicklung über den Plan zu verhindern. Die fehlende Zustimmung wird in § 245 InsO durch richterliche Entscheidung ersetzt. 1.3
Mittelbarer Individualschutz
4 Der Gesetzgeber erkennt insofern die Motive für die Ablehnung des Insolvenzplans nur dann an, wenn die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO nicht gegeben sind. Dies bedeutet, dass die Zustimmungsfiktion des § 245 InsO nur dann eingreifen kann, wenn sämtliche Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO kumulativ erfüllt sind.3) § 245 InsO bezweckt durch die Voraussetzungen für die Zustimmungsfiktion einen gewissen mittelbaren Individualschutz, der jedoch durch den einzelnen Gläubiger bzw. Anteilsinhaber nur über § 251 InsO geltend gemacht werden kann: Diese Vorschrift erlaubt es jedem in einer Gruppe überstimmten Gläubiger bzw. Anteilsinhaber, die Nichtbestätigung des Insolvenzplans zu beantragen, wenn er durch den Plan schlechtergestellt wird, als er ohne Plan stünde (siehe dazu unten § 43). 1.4
Erstreckung auf Anteilsinhaber
5 Angesichts dessen, dass die Anteilsinhaber gemäß § 225a InsO als eigene Gruppe im Insolvenzplan zu berücksichtigen sind (siehe dazu ausführlich § 31 Rz. 1 ff.), wenn in ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird, ist es konsequente Folge, dass auch ihr Votum über den Insolvenzplan i. R. des Obstruktionsverbots unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen überwunden werden kann.4) Insbesondere der aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen vielfach zeitraubende Prozess der Willensbildung der Anteilsinhaber nach den gesellschaftsrechtlichen Regelungen kann so im Interesse einer effizienten Verfahrensabwicklung verkürzt werden.5) 6 Die Überwindung der Ablehnung des Insolvenzplans durch die Anteilsinhaber i. R. des § 245 InsO ist bei seiner Einführung nicht ohne Kritik geblieben, wobei nicht nur verfas___________ 1) 2) 3) 4) 5)
Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 6. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191, dazu EWiR 1992, 255 (Tiedtke). OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660, 662. Verse, ZGR 2010, 299, 320. Meyer/Degener, BB 2011, 846, 848; zu dieser Thematik auch Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503.
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§ 41
Obstruktionsverbot
sungs- und europarechtliche Bedenken vorgebracht, sondern die Norm auch als ungerechtfertigter Eingriff in Gesellschafterrechte gesehen wurde.6) Durch die Regelungen des § 225a InsO sollte diesen Bedenken in vielerlei Hinsicht Rech- 7 nung getragen sein: So sieht § 225a Abs. 5 InsO ein Austrittsrecht für die betroffenen Gesellschafter aus wichtigem Grund gegen Entschädigung vor. Zwar wird der Abfindungsanspruch faktisch leerlaufen, da er auf die Vermögenslage abstellt, die bei einer Abwicklung des Schuldners gegeben wäre, wo § 199 InsO zunächst eine Vollbefriedigung der Gläubiger vorsieht. Die Altgesellschafter sind jedoch nicht gezwungen, in der Gesellschaft zu verbleiben. Die vermögensmäßige Stellung der Gesellschafter ist ferner über § 251 InsO, der auch für die Anteilsinhaber gilt, geschützt. Durch die Gestaltungsmöglichkeiten des allein im Gläubigerinteresse agierenden Insolvenzverwalters kann man zudem auch etwa dem Bestand an Lizenzen im schuldnerischen Unternehmen keinen allein den Anteilsinhabern zustehenden „unpfändbaren“ Wert beimessen, auf welchen die Gläubiger keinen Zugriff haben dürften.7) Ob die Gläubiger in dem Erhalt des schuldnerischen Unternehmens durch den Plan einen über die Zerschlagung hinaus gehenden Wert sehen, unterliegt allein ihrer Entscheidungsmacht.8) Wenig überzeugend erscheint zudem der Vorschlag von Madaus, das Obstruktionsverbot 8 dahingehend einschränkend auszulegen, dass dieses nur dann eingreifen könne, wenn Zwangseingriffe in die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter nach dem Plan nicht erfolgten; dies sei dann der Fall, wenn den Gläubigern anstelle von Mitgliedschaftsrechten Genussrechte in Form von eigenkapitalnahem Mezzanine-Kapital gewährt würden.9) Derartige Instrumente vermitteln über rein obligationstypische Rechte hinaus Ansprüche auf Teilhabe am Gewinn (auch in Kombination mit oder als Alternative zu einer Festverzinsung), ggf. nehmen sie auch am Liquidationserlös teil, sie dürfen jedoch keine den Gesellschaftern typischerweise vorbehaltenen Verwaltungsrechte, wie insbesondere Stimmrechte, vorsehen.10) Da aber die Ausgabe von Genussrechten, etwa gemäß § 221 AktG, ebenfalls einen entsprechenden Willensbildungsprozess der Gesellschafter erfordert wie die Beteiligung der Gläubiger im Wege eines Debt-Equity-Swaps und die vermögensmäßige Beteiligung der Anteilsinhaber durch die Gewinnbeteiligung der Gläubiger aus dem Genussrecht in gleicher Weise eingeschränkt werden kann, läge auch insoweit schon ein Eingriff in die Mitgliedschaft vor; die (– wie ausgeführt – im Ergebnis zu Unrecht) vorgebrachten Bedenken wären mithin auch durch diese einschränkende Auslegung nicht ausgeräumt.11) ___________ 6) Madaus, ZGR 2011, 749; Brinkmann, WM 2011, 97, 100. 7) So aber im Ergebnis Madaus, ZGR 2011, 749, 753 ff.; a. A. Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1159, nach denen die an den Rechtsträger gebundenen Werte des Unternehmens für die Gläubigergesamtheit nutzbar zu machen sind. Auch beschränke sich die Anteilsinhaberschaft der Gesellschafter im Insolvenzverfahren allein auf eine sicherungstreuhänderische Inhaberschaft in Bezug auf eine mögliche Überschussbeteiligung nach § 199 InsO. 8) In diesem Sinne auch Eidenmüller, der richtigerweise aus der Regelung des § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO folgert, dass das Obstruktionsverbot zulasten der Anteilsinhaber faktisch nur dann wirke, wenn auch die Gläubiger Einbußen in Kauf nehmen müssten; in diesem Fall könnten die Gesellschafter aber auch keine Beteiligung an dem durch die Restrukturierung realisierten Fortführungswert beanspruchen, vgl. damals noch de lege ferenda, Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657. 9) Madaus, ZGR 2011, 749, 772 ff. 10) Vgl. statt vieler Stadler, in: Bürgers/Körber, AktG, § 221 Rz. 88 ff.; Haberstock/Greitemann, in: Hölters, AktG, § 221 Rz. 18 ff. 11) Der Unterschied zur gesetzlichen Regelung scheint sich bei der Ausgabe von Genussrechten an die Gläubiger im Ergebnis auf den Erhalt der Stimmrechte allein in der Hand der Altgesellschafter zu beschränken.
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§ 41 2.
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Hintergrund
9 Vorbild für die Regelung des § 245 InsO ist die in Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code12) geregelte, sog. Cram down-Bestimmung.13) Danach kann i. R. der gerichtlichen Bestätigung eines Reorganisationsverfahrens nach Chapter 11 die fehlende Zustimmung einer vom Plan betroffenen Beteiligtenklasse vereinfacht dargestellt dann durch das Gericht ersetzt werden, wenn die betreffende Klasse aus wirtschaftlicher Sicht durch den realisierbaren Plan angemessen beteiligt und nicht unbillig diskriminiert wird und der Plan die Beteiligten nicht schlechterstellt als im Liquidationsfall nach Chapter 7 des US-amerikanischen Bankruptcy Code. 10 In wirtschaftlicher Hinsicht soll das Obstruktionsverbot verhindern, dass der Plan durch das Votum einer Abstimmungsgruppe blockiert wird, obwohl er mindestens gleichwertige oder bessere Ergebnisse ermöglicht als eine Verwertung oder Verfahrensabwicklung ohne Insolvenzplan. Für die Frage des Eingreifens des Obstruktionsverbots ist daher allein eine gruppenorientierte Sicht einzunehmen. Individualinteressen einzelner Angehöriger können nur i. R. von § 251 InsO Berücksichtigung finden.14) II.
Vergleichsrechnung
1.
Quotenvergleich
11 Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion ist gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zunächst, dass die Angehörigen der widersprechenden Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Plan stünden. Insofern erfolgt ein Quotenvergleich: Das Schlechterstellungsverbot erfordert eine Vergleichsrechnung zwischen dem Insolvenzplan und der hypothetischen Abwicklung nach den gesetzlichen Regelungen (siehe dazu insgesamt oben § 34). Praktisch führt dies zu einer Gegenüberstellung der Vermögensübersicht nach § 153 InsO und der daraus resultierenden Quotenprognose sowie dem gestaltenden Teil des Plans (§ 221 InsO) und der sich daraus für die einzelnen Angehörigen ergebenden (wirtschaftlichen) Stellung. Eine nach Liquidationswerten bemessene Quote ist damit die unterste Grenze dessen, was den Gläubigern i. R. des Plans angeboten werden kann.15) 12 Vergleichsmaßstab kann dabei die Zerschlagung, aber auch der i. R. einer übertragenden Sanierung erzielbare Erlös sein, wenn es dafür genügend tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Auf einen weiteren, konkurrierenden Plan kommt es indes nicht an.16) 2.
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
13 Im Rahmen der Vergleichsrechnung ist aus Sicht der betreffenden Abstimmungsgruppe jeweils auf das wirtschaftliche Endergebnis abzustellen.17) Keine Rolle spielt es daher, ob die betreffenden Gläubiger bzw. Anteilsinhaber in irgendeinem Teilaspekt durch den Plan schlechtergestellt werden als im Falle der Regelabwicklung, wenn die Schlechterstellung nur im Ergebnis ausgeglichen wird.18) Bei der Frage der Schlechterstellung spielen ferner ___________ 12) Es handelt sich um die Regelung 11 U.S.C § 1129 Confirmation of Plan. 13) Vgl. schon Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208; dazu eingehend Drukarczyk, in: MünchKommInsO, 2. Aufl., § 245 Rz. 31 ff. 14) AG Düsseldorf v. 7.1.2008 – 503 IN 221/02, ZInsO 2008, 463 f. 15) Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 505. 16) Ebenso Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 7. 17) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 463 = ZInsO 1999, 577, unter Verweis auf Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 3. 18) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 3.
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§ 41
Obstruktionsverbot
allein die monetär vergleichbaren Leistungen eine Rolle, auf sonstige Interessen der Angehörigen einer Gruppe kommt es nicht an.19) Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung, wonach eine Schlechter- 14 stellung durch den Plan nicht eintreten darf, in Gestalt der Anteilsinhaber regelmäßig erfüllt sein wird.20) Beachtenswert ist jedoch: Obwohl die Beteiligung der Anteilsinhaber bei einer übertragenden Sanierung oder Zerschlagung vielfach wirtschaftlich untergeht, rechtfertigt dies nicht ohne weiteres einen Totalverlust der Beteiligung i. R. des Insolvenzplanverfahrens.21) Gerade bei Insolvenzen, die nicht wirklich operativ bedingt, sondern durch Streitigkeiten im Gesellschafterkreis motiviert sind, oder bei Strukturen, bei denen die Insolvenz auf Holding-Ebene eintritt und auch i. R. der übertragenden Sanierung Anteile an einem (gesunden) Unternehmen veräußert würden, kann es dazu kommen, dass den Anteilsinhabern noch erhebliche Werte zufließen. Insofern muss auch mit Blick auf die Anteilsinhaber stets geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen. Dem Prognosecharakter der durch das Gericht zu treffenden Entscheidung wird mit 15 dem Wort „voraussichtlich“ in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO Rechnung getragen. Das Gericht soll insofern feststellen, ob eine Schlechterstellung der Angehörigen dieser Gruppe gegenüber einer Regelabwicklung wahrscheinlicher ist, als dass diese durch den Plan nicht schlechtergestellt werden.22) Diese Interpretation des Begriffs „voraussichtlich“ hat sich auch bereits i. R. von § 18 Abs. 2 InsO verfestigt.23) Bei der Feststellung, ob eine voraussichtliche Schlechterstellung vorliegt, ist das Gericht 16 nicht zwingend gehalten, etwa einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Maßgeblich ist allein die eigene Einschätzung des Gerichts, der eine gewisse Unschärfe gestattet ist.24) Dabei stehen dem Gericht die normalen Erkenntnisquellen, die es i. R. des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 InsO) hat, zur Verfügung. Man wird darüber hinaus sogar eine Pflicht zur Amtsermittlung i. R. des § 245 InsO annehmen müssen.25) Wenig überzeugend scheint es, gegen eine Pflicht zur Amtsermittlung auf den Wortlaut des § 5 Abs. 1 InsO zu verweisen, der von „Insolvenzverfahren“ spricht, was allein das Regelinsolvenzverfahren meine, da sich bereits aus § 1 Satz 1 InsO ergibt, dass der Begriff des Insolvenzverfahrens als Oberbegriff zu verstehen ist, der auch das Insolvenzplanverfahren umfasst.26) Wegen des privatautonomen Charakters des Insolvenzplans muss der Planvorlegende 17 zwar sicherstellen, dass das Gericht die Entscheidung, dass eine opponierende Gruppe nicht schlechtersteht als in der Regelabwicklung, sachgerecht beurteilen kann.27) Man wird aber ___________ 19) Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 509 m. w. N. 20) Hölzle, NZI 2011, 124, 128. 21) Kresser, ZInsO 2011, 1409, 1415; so wohl auch Hölzle, NZI 2011, 124, 128, unter Verweis auf Brinkmann, WM 2011, 97, 98. 22) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 3 f.; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 7 m. w. N. BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923 zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 251 InsO. 23) Vgl. etwa Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rz. 11; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 18 Rz. 5; a. A. Jungmann, KTS 2006, 135, 139 f. 24) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 5; LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 463 = ZInsO 1999, 577; AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, dazu EWiR 2002, 877, 878 (Otte). 25) Ausdrücklich dafür etwa Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 506; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 38 ff. 26) So richtigerweise Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 57. 27) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 25 m. w. N.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
richtigerweise das Bestehen der Pflicht zur Amtsermittlung auch bei der Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des Obstruktionsverbots annehmen können: Denn das Gericht hat von Amts wegen zu untersuchen, ob die Bestätigungsvoraussetzungen für den vorgelegten Plan bestehen oder nicht;28) dies schließt die Möglichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. die Anhörung des Schuldners, von Gläubigern und Zeugen sowie die Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen des Schuldners ein. 18 Informationsquellen sind neben dem Inhalt des Plans regelmäßig insbesondere die Berichte des Insolvenzverwalters, die Stellungnahmen zum Insolvenzplan sowie sonstige schriftliche und mündliche Ausführungen.29) Dabei muss der Planarchitekt auch eine Kalkulation für die Zerschlagung vorlegen, damit dem Gericht eine Vergleichsgröße zur Verfügung steht.30) Wichtig ist zudem, dass der Insolvenzplan die entsprechenden Informationen nach Maßgabe von § 229 InsO bereitstellt, die es den Angehörigen ermöglichen festzustellen, ob der vorausgesagte Sanierungserfolg tatsächlich durch den Plan erreicht werden kann: Überzeugen wird ein Sanierungskonzept die Gläubiger i. d. R. nur, wenn es plausibel macht, dass die Planlösung finanzierbar ist und das schuldnerische Unternehmen mit der Durchführung des Plans wieder Überschüsse generieren kann, wobei eine Plan-Gewinn- und -Verlustrechnung und entsprechende Liquiditätspläne eine entscheidende Rolle spielen.31) 3.
Kriterien
3.1
Verwertungsalternative
19 Die durch den Plan vorgesehene Leistung, die für die Frage einer Schlechterstellung maßgeblich ist, wird i. d. R. aus einer Geldzahlung bestehen, was im Ausgangspunkt für eine einfache Vergleichbarkeit spricht.32) Schwierigkeiten mit der Vergleichsposition können etwa dann bestehen, wenn Gläubigern bzw. Anteilsinhabern unter dem Plan auch Anteile der Schuldnerin gewährt werden sollen, da insoweit eine gesonderte Bewertung erforderlich wird. 20 Die Vergleichsposition gegenüber der Planabwicklung hängt davon ab, welche Verwertung im konkreten Fall gewählt würde und welchen Erlös der betreffende Angehörige aus dieser Verwertung zu erwarten hätte:33) Käme es zu einer Zerschlagung, wären Liquidationswerte anzusetzen. Dabei ist der auf die betreffende Abstimmungsgruppe entfallende Teil der wahrscheinlichen Zerschlagungserlöse maßgeblich. 21 Könnte der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin demgegenüber im Wege einer übertragenden Sanierung fortgesetzt werden, wären Fortführungswerte maßgeblich, die sich aus der Bewertung der fortzuführenden unternehmerischen Einheit ergeben;34) auch hier ist der wahrscheinlich auf die betreffende Abstimmungsgruppe entfallende Teil aus dem Verkaufserlös als Vergleichsposition heranzuziehen. ___________ 28) Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 698. 29) In diesem Sinne OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018, 2021, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 12, hebt treffend hervor, dass Plan- und Regelbefriedigung „in Zahlen“ verglichen werden müssen. 30) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 25; BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141 ff., dazu EWiR 2018, 401 (Madaus). 31) Heni, ZInsO 2006, 57, 58; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 24, der richtigerweise anregt, § 229 InsO entsprechend erweitert zu interpretieren. 32) Zur Frage einer Berücksichtigung von Zins- oder Risikoelementen unten Rz. 28 ff. 33) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 3; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724. 34) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 20.
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Obstruktionsverbot
Da es jedoch entscheidend darauf ankommt, auf welche Art und Weise das Unternehmen 22 tatsächlich verwertet werden könnte, wenn der Plan nicht durchgeführt würde, müssen konkrete Anhaltspunkte35) für eine übertragende Sanierung, etwa in Form eines entsprechenden Investorenangebots, vorliegen. Nur dann, und wenn der betreffende Investor auch entsprechend ernsthaft agiert und ein vollfinanziertes Angebot vorlegt, kann eine Fortführungslösung den zulässigen Vergleichsmaßstab bilden. Allein den Nachweis über konkrete Verkaufsverhandlungen, deren Erfolg überwiegend 23 wahrscheinlich erscheint, jedoch ohne Vorliegen eines Angebots, wird man nicht ausreichen lassen können.36) Hier zeigt die Praxis, dass selbst nach Vorliegen eines „bindenden Angebots“37) von Investorenseite i. d. R. noch umfangreiche Verhandlungen zwischen Verwalter und Investor erfolgen, die das betreffende Angebot auch wirtschaftlich noch verändern können, so dass das reine Verhandlungsstadium vor einer konkreten Angebotsäußerung nicht als ausreichend angesehen werden kann. Oft wird wegen der hohen Kosten kein M&A-Prozess parallel zur Planerstellung erfolgen und es daher an derartig konkreten Anhaltspunkten fehlen; in diesem Fall kann der Vergleich nur gegenüber einer Regelverwertung im Wege der Zerschlagung erfolgen.38) Notwendig ist, dass das Angebot auch noch im Beurteilungszeitpunkt vorliegt, da nur in 24 diesem Fall tatsächlich eine über die bloße abstrakte Gesamtverkaufsmöglichkeit hinausgehende Verwertungsalternative besteht.39) Bei einer entsprechenden Vergleichsrechnung ist dann auch zu berücksichtigen, ob trotz der übertragenden Sanierung, die ggf. auch nicht den kompletten Betrieb erfasst, noch Abwicklungskosten für die Masse entstehen.40) 3.2
Schlechterstellung durch Sozialplan
Auf einen möglichen gesetzgeberischen Widerspruch zwischen Regelabwicklung und In- 25 solvenzplan bei der Vereinbarung eines Sozialplans weist Niering hin: So sei die Nichtgeltung der relativen Obergrenze im Insolvenzplanverfahren nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO, nach welcher für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden darf, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde, „wenn nicht ein Insolvenzplan zustande kommt“, mit Blick auf das Obstruktionsverbot problematisch. Insolvenzgläubiger könnten wegen des Wegfalls der relativen Obergrenze für den Sozialplan im Insolvenzplanverfahren – insbesondere dann, wenn der Plan nur eine sehr geringe Einmalzahlung vorsieht – schlechterstehen als bei der Abwicklung außerhalb des Planverfahrens.41) Insofern sei es für eine widersprechende Gläubigergruppe ein Leichtes, die Schlechterstellung durch den Sozial___________ 35) Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 10. 36) So aber Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 61. 37) Der Begriff, der sich in Auktions- bzw. Bieterverfahren etabliert hat, ist in insofern irreführend, als es sich dabei mehr um eine invitatio ad offerendum handelt, die i. d. R. den Auftakt für konkrete Verhandlungen bildet. 38) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 3; a. A. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41, der das Fehlen von Angeboten nur als Indiz für die Unveräußerlichkeit i. R. einer übertragenden Sanierung deuten und dem Gericht dazu die Möglichkeit der Einholung von Sachverständigengutachten einräumen will. Dies wird man für den Fall, dass der Verwalter keinen regelgerechten Verkaufsprozess durchgeführt, ausnahmsweise erwägen können. Die Tatsache, dass der Markt für das schuldnerische Unternehmen kein Angebot abgegeben hat, wird man jedoch kaum durch eine gutachterliche Stellungnahme erschüttern können, die man darüber hinaus als konkrete Verwertungsalternative ansehen könnte. 39) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 13; Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 510. 40) Stapper, ZInsO 2007, 2361, 2364. 41) Niering, NZI 2010, 285, 286 ff.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
plan i. R. einer Beschwerde gegen die Bestätigung des Plans oder aber über den individuellen Minderheitenschutz nach § 251 InsO geltend zu machen. Dem kann nur mit entsprechendem Verhandlungsgeschick des Insolvenzverwalters bei Abschluss des Sozialplans – nämlich unter Wahrung der relativen Obergrenze – entgegengetreten werden.42) Letzteres mag zumindest ein gangbarer Weg sein, wenn im Einzelfall tatsächlich eine Schlechterstellung wegen des Sozialplans gegeben ist. 4.
Die Folgen des zeitlichen Auseinanderfallens für den Vergleich
26 Bei der Zerschlagung bzw. dem Verkauf im Wege der übertragenden Sanierung erfolgt die Befriedigung der Gläubiger – abhängig vom Verfahrensumfang insgesamt – i. d. R. relativ zeitnah nach der Durchführung der entsprechenden Verwertung. Bei der Fortführung im Wege eines Insolvenzplans werden die Gläubiger zu großen Teilen regelmäßig erst aus künftig erzielten Erträgen befriedigt. Dieses zeitliche Auseinanderfallen ist auch für die Vergleichsrechnung zu berücksichtigen. Richtigerweise wird man allein in der zeitlichen Erstreckung einer Zahlung jedenfalls dann keine Schlechterstellung der Gläubiger sehen können, wenn dafür ein angemessener Ausgleich erfolgt.43) 27 Für die Frage, ob die daraus resultierende zeitliche und strukturelle Diskrepanz in Bezug auf den Zufluss beim Gläubiger die Berücksichtigung von Risiko- oder Zinselementen oder gar der „Machbarkeit“ des Plans erforderlich macht, findet sich insbesondere in Einzelfragen kein einheitliches Meinungsbild. 4.1
Zinselemente
28 Für den Fall, dass die unter dem Plan vorgesehene Geldleistung in Raten erfolgt, muss der Barwert dieser Leistung durch Abzinsung berechnet werden.44) Was die Höhe des Zinssatzes angeht, soll jedenfalls nicht der gesetzliche Zinssatz, sondern allein der konkrete Marktzins für den entsprechenden Zeitraum maßgeblich sein.45) Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Höhe der unter dem Plan gewährten Leistungen nur dann nicht zu einer Schlechterstellung führt, wenn diese den im Zeitraum zwischen einem Zufluss aus der Zerschlagung und dem Zufluss aus dem Plan erzielbaren Zins berücksichtigen. 29 Die Berücksichtigung des Wiederanlagezinses erscheint zwar auf den ersten Blick nur für Kreditinstitute angemessen,46) man wird dies jedoch für jeden Gläubiger anerkennen müssen, da es bei der Frage der Schlechterstellung allein auf eine finanzielle Betrachtung des Quotenvergleichs und nicht auf die Person des Gläubigers und dessen (vermeintlich fehlende) Aktivität am Geld- und Kapitalmarkt ankommen kann. 30 Ob der Kapitalmarktzins jedoch nur die Obergrenze bilden kann, und dann, wenn unter dem mit einem Gläubiger abgeschlossenen Vertrag ein niedrigerer Zins vereinbart worden ist, allein der Vertragszins maßgeblich ist, erscheint fraglich. Der Hinweis darauf, dass ein ___________ 42) Niering, NZI 2010, 285, 287 ff. 43) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 462 = ZInsO 1999, 577; das Gericht weist richtigerweise darauf hin, dass eine abweichende Sichtweise kaum denkbar erscheint, da die zeitliche Erstreckung der Abwicklung im Insolvenzplanverfahren gegenüber der Regelabwicklung faktisch immanent ist. 44) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 8 ff.; Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 43. 45) Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 510; Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 64. 46) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 18; a. A. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 51; für die Berücksichtigung der Anlagesituation auf dem Geldmarkt auch LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 462 = ZInsO 1999, 577, wobei im konkreten Fall zwei Banken die betreffende Gläubigergruppe gebildet hatten.
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Obstruktionsverbot
Gläubiger, der ein verzinsliches Darlehen nach Eintritt der Insolvenz kündigt und fällig stellt, nicht schlechterstehen könne, wenn er nach dem Plan den vertraglich vereinbarten Zins erhält (sei dieser auch geringer als der Marktzins), und daher nach dem Sinn und Zweck des Obstruktionsverbots, welches keine Besserstellung gegenüber der vertraglichen Situation erreichen wolle, der zu berücksichtigende Zinssatz jedenfalls durch einen Vertragszins gedeckelt sei,47) kann nicht vollständig überzeugen. So stellt § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO in der Tat nur die Situation nach dem Plan derjenigen ohne Plan gegenüber, und die Berücksichtigung der vertraglichen Situation ohne Insolvenz spielt dort schon keine Rolle.48) Ferner würde eine Begrenzung durch den Vertragszins dazu führen, dass der Gläubiger faktisch gezwungen würde, den Erlös aus der Regelabwicklung zu den vorinsolvenzlich vereinbarten Bedingungen wieder anzulegen.49) Dafür gibt es im Zeitpunkt der Regelabwicklung keine Rechtfertigung.50) In letzter Konsequenz müsste die Auffassung von Braun auch dazu führen, dass man bei der Frage der Schlechterstellung gegenüber der Regelabwicklung über die Zinshöhe hinaus generell auf die ursprünglich vertraglich vereinbarten Zahlungsmodalitäten (Fristen, Besicherungen etc.) abstellen müsste, was mit Blick auf die rein wirtschaftliche Betrachtung eines Quotenvergleichs nicht gewollt sein kann. 4.2
Risikoelemente
Auch bei der Frage, ob Risikoelemente für die Frage einer Schlechterstellung zu berück- 31 sichtigen sind, ist das Meinungsbild nicht eindeutig. Jedenfalls allein die abstrakte Möglichkeit einer potentiellen künftigen erneuten Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens wird man für die Schlechterstellung nicht genügen lassen können, da dieses Szenario bereits als jedem Insolvenzplan immanent im Gesetz Berücksichtigung gefunden hat.51) Teilweise wird die Berücksichtigung von Risikoelementen mit dem Hinweis abgelehnt, 32 dass die bei Unternehmensbewertungen üblichen Risikozuschläge allein die für die Kaufpreisfindung maßgeblichen Unsicherheitsfaktoren ausgleichen sollen und daher mit den grundsätzlich als richtig zu unterstellenden, im Plan vorgesehenen Zuflüssen nicht vergleichbar seien.52) Vor dem Hintergrund, dass jedoch weder der Barwert von im Plan festgelegten zukünftigen Zahlungen noch der Erlös bei der gesetzlichen Verwertung gesicherte Größen, sondern prognostische Schätzungen sind,53) vermag dies für die generelle Ausblendung von Risikoelementen nicht vollständig zu überzeugen. ___________ 47) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 12a; Braun, NZI 1999, 473, 476; dem folgend Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 511. 48) Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 64 f. 49) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 12a; Braun, NZI 1999, 473, 476, sieht hier daher einen Anspruch des Schuldners auf Prolongation; ebenso Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 68 Rz. 65. 50) Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 511, argumentiert hier mit § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO, der es verbiete, dass ein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines (vertragsgemäßen) Anspruchs übersteigt. Unabhängig davon, dass dort ein „anderer Gläubiger“ maßgeblich ist, also gerade nicht die ablehnend votierende Gruppe, würde dieses Argument auch nur eingreifen können, wenn der Gläubiger voll befriedigt würde, denn nur dann könnte durch die Verzinsung auf Marktniveau eine theoretische Besserstellung gegenüber der vertraglichen Situation eintreten. Will man – wie hier – keinen Zwang zur Prolongation anerkennen, muss dieser vermeintliche Wertungswiderspruch in einer Vollbefriedigungssituation jedoch hingenommen werden. 51) So richtigerweise LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 463 = ZInsO 1999, 577, unter Verweis auf § 255 Abs. 2, § 266 InsO, die die potentielle Möglichkeit eines erneuten Insolvenzverfahrens bereits voraussetzen. 52) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 19. 53) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 20.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
33 Demgegenüber wird angeführt, dass die Zahlungen, die unter einem Insolvenzplan vorgesehen werden, i. d. R. über mehrere Jahre erfolgen sollen, was per se nicht risikolos sei.54) Daher müsse den unterschiedlichen Risikodimensionen des Erlöses bei Verwertung im Regelverfahren einerseits und den künftigen zu erwartenden Zahlungen nach dem Planverfahren andererseits – etwa durch die Entwicklung verschiedener Szenarien der wirtschaftlichen Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens – Rechnung getragen werden; dies mache es erforderlich, die mit einer Begleichung künftiger Leistungen verbundene Unsicherheit zu berücksichtigen.55) 34 Im Ergebnis wird man die Berücksichtigung von Risikoelementen jedoch ablehnen müssen: Gegen die Berücksichtigung spricht einerseits die damit verbundene praktische Schwierigkeit, einen wirklich angemessenen Risikoabschlag zu bestimmen.56) Zudem wäre es dann andererseits ebenso erforderlich, bei den prognostizierten Beträgen aus der Regelabwicklung, bei denen es sich auch nur um Schätzwerte handelt, einen entsprechenden Risikoabschlag vorzunehmen. Damit würde die durch einen Risikoabschlag auf die Zahlung unter dem Plan verminderte Differenz zwischen den zu erwartenden Zahlungen i. R. der Vergleichsrechnung aber wieder vergrößert. 4.3
„Machbarkeit“ des Plans
35 Ob das Gericht i. R. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die „Machbarkeit“ des Plans prüfen muss, ist umstritten. Die dahinter stehende Diskussion basiert auf der im amerikanischen Recht erforderlichen „feasibility“, wonach es unwahrscheinlich sein muss, dass einer Bestätigung des Plans nach Chapter 11 ein Liquidations- oder weiteres Reorganisationsszenario folgt.57) Mit Blick auf ein Machbarkeitserfordernis soll eine Bestätigung des Plans durch das Gericht dann nicht möglich sein, wenn die Angehörigen der betreffenden Gruppe nach dem reinen Wortlaut des Plans zwar nicht schlechterstünden als bei der Regelabwicklung, dadurch aber, dass der Plan faktisch nicht realisierbar ist, praktisch schlechtergestellt sind.58) Dass das Gericht überhaupt eine wirtschaftliche Vergleichsrechnung vornehmen kann, setzt mithin faktisch die Machbarkeit des Plans voraus. 36 Gegen die Machbarkeit des Plans als gesondertes Prüfungskriterium spricht zunächst der klare Wortlaut des Gesetzes, der dieses Kriterium i. R. des § 245 InsO nicht kennt. Scheitert der Plan am Ende und wird deswegen die Abwicklung der Schuldnerin erforderlich, leben die Forderungen der Gläubiger insofern gemäß § 255 InsO wieder auf. Ferner wird gegen das Kriterium der Machbarkeit auch angeführt, § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO regele ausdrücklich, dass das Gericht nur prüfen müsse, ob der Plan offenkundig unerfüllbare Leistungen zugesagt habe.59) Dies kann insofern nicht vollständig überzeugen, als § 231 InsO nur die Zurückweisung des Plans in Ausnahmefällen60) regelt; für die Frage eines Kriteriums der Machbarkeit ist damit noch keine Aussage getroffen. 37 Gegen die Machbarkeit wird ferner argumentiert, dass es lediglich Sinn und Zweck des § 245 InsO sei, widersprechende Abstimmungsgruppen davor zu schützen, durch den Plan nicht ___________ Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 66. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 52. Vgl. Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 512. Vgl. 11 U.S.C § 1129 (a) 11. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 4. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 12; LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951: mangelnde Erfüllbarkeit des Plans muss sich aufdrängen, dazu EWiR 2002, 1103 (Olbing). 60) BGH v. 6.4.2006 – IX ZB 289/04 – offensichtlich fehlender Wirklichkeitsbezug des vom Schuldner vorgelegten Zahlenwerks vermag die Zurückweisung des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu rechtfertigen.
54) 55) 56) 57) 58) 59)
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Obstruktionsverbot
schlechtergestellt zu werden; insofern stelle sich die Frage der Machbarkeit weder mit Blick auf die Realisierbarkeit des Plans, noch spiele die Machbarkeit des Vergleichsszenarios in der Regelabwicklung eine Rolle.61) Nur dann, wenn dem Gericht konkrete Tatsachen oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Plan nicht realisierbar ist, soll es auf die Machbarkeit ankommen.62) Dies greift freilich zu kurz: Ohne die Überprüfung, ob der Plan realisierbar ist, kann i. R. des § 245 InsO keine Aussage zur Schlechterstellung gegenüber der Abwicklung im Regelverfahren getroffen werden, da nur bei einer Machbarkeit überhaupt zwei vergleichbare Szenarien bestehen.63) Das Gericht muss daher prüfen, ob der Plan voraussichtlich erfüllt wird. Bestehen erhebliche Zweifel an der Erfüllbarkeit, kann der Plan nicht bestätigt werden. Klar ist auch, dass, wenn das Gericht den Plan zwar für machbar hält, es aber ansonsten 38 nicht von der voraussichtlichen Nichtschlechterstellung der gegen den Plan opponierenden Gläubiger bzw. Anteilsinhaber überzeugt ist, der Plan ebenfalls nicht bestätigt werden kann. 5.
Keine Plankorrektur durch Verwalterbevollmächtigung
Fraglich ist, § 221 InsO auch bei der Frage einer Bestätigung des Insolvenzplans vor dem 39 Hintergrund des Obstruktionsverbots nutzbar gemacht werden kann: Nach § 221 Satz 2 InsO kann der Insolvenzverwalter durch den Plan bevollmächtigt werden, die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen. Insbesondere die mögliche Bevollmächtigung zur Korrektur offensichtlicher Fehler wirft die Frage auf, ob insofern auch Ungleichbehandlungen und unangemessene Beteiligungen von Gläubigern oder Anteilsinhabern korrigiert werden können. Dafür, dass dem Verwalter danach auch ein Recht zustehen könnte, in die wirtschaft- 40 lichen Regelungen des Plans einzugreifen, spricht ebenfalls § 248a InsO. Nach dessen Absatz 1 bedarf die Berichtigung des Insolvenzplans durch den Verwalter einer Bestätigung durch das Insolvenzgericht, welche auf Antrag zu versagen ist, wenn ein Beteiligter durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er nach den mit dem Plan beabsichtigten Wirkungen stünde (§ 248a Abs. 3 InsO). Nach § 248a Abs. 3 InsO darf der Verwalter den Plan für einzelne Gläubiger mithin nicht verschlechtern. Fraglich ist aber, ob er die Stellung der Beteiligten unter dem Plan verbessern darf. Dies scheint vor dem Hintergrund der mit der Regelung verbundenen Intention des Gesetzgebers wohl nur sehr begrenzt der Fall zu sein: So dient das Nachbesserungsrecht für den Insolvenzverwalter allein dazu, die Umsetzung des beschlossenen Planinhalts zu ermöglichen und etwa Formfehler zu korrigieren, ohne eine Gläubigerversammlung einberufen zu müssen.64) Geht es bei der Nachbesserung aber allein darum, den „beschlossenen Planinhalt“ umzusetzen, wird die Beseitigung der Schlechterstellung einer bestimmten Abstimmungsgruppe dadurch nicht mehr gedeckt sein. Insbesondere wird auch die Besserstellung einer Abstimmungsgruppe i. d. R. nur zulasten einer anderen Gruppe möglich sein, was § 248a Abs. 3 InsO verbietet. Sind Nachbesserungen ___________ 61) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 11. 62) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 12, mit Verweis auf LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 = ZInsO 1999, 577. 63) Es erfolgt mithin eine implizite Prüfung der Machbarkeit oder Durchführbarkeit des Plans, so auch Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 67; Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 15; im Ergebnis auch Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 10. 64) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511, S. 48. Gerade die in der Begründung des Rechtsausschusses gezogene Parallele zu den Durchführungs- und Vollzugsvollmachten für Notarangestellte in notariellen Verträgen zeigt, dass der Gesetzgeber mit der Regelung nur einen sehr begrenzten Entscheidungsspielraum verbunden sieht.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
indes bereits von einer entsprechend finanziell abgesicherten salvatorischen Klausel (siehe dazu sogleich Rz. 83 ff.) gedeckt, sollte dies als Korrekturmechanismus ausreichen. 6.
Beweislast
41 Die Beweislast für eine fehlende Schlechterstellung liegt grundsätzlich beim Planverfasser.65) Seine Aufgabe ist es insoweit, die Einwände der Angehörigen in Bezug auf eine mögliche Schlechterstellung im Plan zu antizipieren (siehe Rz. 17 f.), um so dem Gericht bereits für eine Vielzahl von denkbaren Konstellationen die notwendigen Argumente für ein Eingreifen des § 245 InsO an die Hand zu geben, was auch durch entsprechende, dem Plan beizufügende Vergleichsrechnungen zu unterlegen ist. 42 Für seine Ermittlungen ist das Gericht grundsätzlich bei der Wahl seiner Mittel frei, neben der Anwendung anerkannter betriebswirtschaftlicher Bewertungsmethoden kommt zudem die Hinzuziehung von Sachverständigen in Betracht (siehe oben Rz. 16), wobei Letzteres schon mit Blick auf die dadurch drohende zeitliche Verzögerung, die in eine Vertagung des Abstimmungstermins münden kann, eher die Ausnahme darstellen wird.66) III.
Angemessenheit der Beteiligung
1.
Ausgangspunkt
43 Eine Abstimmungsgruppe, die an den i. R. des Plans vorgesehenen Leistungen angemessen beteiligt wird, soll durch ihre ablehnende Abstimmung den Plan nicht verhindern können. Insofern regelt § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO als weitere Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion, dass die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe auch dann als erteilt gilt, wenn die Angehörigen dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Beteiligten auf der Grundlage des Plans zufließen soll. 44 Wann von einer Angemessenheit der Beteiligung der betreffenden Gruppe auszugehen ist, wird in § 245 Abs. 2 InsO für die Gläubiger und in § 245 Abs. 3 InsO für die Anteilsinhaber abschließend festgelegt. Dem Insolvenzgericht ist es mithin nicht möglich, zusätzliche, über Absatz 2 bzw. Absatz 3 hinausgehende Kriterien für die Angemessenheit einzuführen.67) 2.
Angemessene Beteiligung der Gläubiger
45 Nach § 245 Abs. 2 InsO liegt eine angemessene Beteiligung der Gläubiger vor, wenn nach dem Plan die sog. Befriedigungsgrenze (§ 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO) gewahrt und zudem die Rangvorschriften der InsO (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 InsO) beachtet worden sind. 3.
Angemessene Beteiligung der Anteilsinhaber
46 Für eine Gruppe der Anteilsinhaber sind die Voraussetzungen einer angemessenen Beteiligung ähnlich denen für die Gläubiger: So ist auch nach § 245 Abs. 3 InsO von einer angemessenen Beteiligung auszugehen, wenn nach dem Plan die Befriedigungsgrenze gewahrt wird (§ 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO) und kein ohne Plan gleichgestellter Anteilsinhaber bessergestellt wird (§ 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO). ___________ 65) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 3. 66) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 36; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 18. 67) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 18; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 25; Lüer/ Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 22; Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 19 – „keine Aufführung von Regelbeispielen“ in § 245 Abs. 2 InsO.
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Obstruktionsverbot 4.
Befriedigungsgrenze
Die Befriedigungsgrenze ist mit Blick auf eine ablehnende Gläubigergruppe gemäß § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO dann gewahrt, wenn kein „anderer Gläubiger“ wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Für ablehnende Anteilseigner gilt dies, wenn generell kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (vgl. § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO). Unabhängig von der eigenen Stellung unter dem Insolvenzplan muss keine Abstimmungsgruppe hinnehmen, dass einer Gruppe mehr als der volle Betrag ihres Anspruchs zugewiesen wird. Mithin ist der volle Betrag des Anspruchs die Obergrenze für eine angemessene Beteiligung. Vermögensmanipulationen zum Nachteil der übrigen Angehörigen sollen so vermieden werden.68) Selbst dann, wenn die ablehnende Gruppe ebenfalls besserstehen würde, ist die Beteiligung in diesem Fall nicht angemessen. Würde für Gläubiger die Möglichkeit bestehen, sich durch die Teilnahme am Planverfahren zu bereichern, wäre dies als ein dem durch § 1 InsO festgelegten Zweck des Insolvenzverfahrens zuwiderlaufender Verfahrensverstoß anzusehen.69) Mag es prima vista einfach erscheinen zu bestimmen, ob ein Angehöriger mehr als den vollen Wert seines Anspruchs erhält, so kann eine in der Zukunft liegende Leistung an den betreffenden Gläubiger bereits zu Schwierigkeiten führen. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob ein Gläubiger mehr als den vollen Wert seines Anspruchs erhält, ist der Betrag, den der Gläubiger im Zeitpunkt der Bewertung in bar erhalten müsste, um voll befriedigt zu sein.70) Dabei kommt es allein auf den dem betreffenden Gläubiger vertragsgemäß zustehenden Anspruch an. Probleme können sich auch dann ergeben, wenn die Ansprüche der Gläubiger durch den Plan in der Weise geändert werden, dass nicht ohne Weiteres feststellbar ist, ob eine volle Befriedigung erreicht wird oder sogar darüber hinaus gehende Leistungen gewährt werden.71) Insbesondere bei absonderungsberechtigten Gläubigern, die im Falle der Regelabwicklung zu 100 % befriedigt würden, jedoch nach dem Plan eine Leistung erst in der Zukunft erhalten sollen, ist an eine Verzinsung zu denken.72) Auch wenn Gläubiger Anteile an der Schuldnerin bekommen sollen, kann es zu Bewertungsschwierigkeiten kommen, da dann eine normale Unternehmensbewertung durchzuführen ist.73) Hier kommt es freilich nur auf den Zeitpunkt der Umsetzung des Insolvenzplans an, etwaige nachträgliche Wertsteigerungen der Anteile sind nicht zu berücksichtigen, da insoweit auch das Risiko einer gegenläufigen Entwicklung besteht.74) 5.
Absoluter Vorrang
5.1
Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger
47
48
49
50
51
In Bezug auf die angemessene Beteiligung der Gläubiger kommt es ferner darauf an, dass 52 weder ein Gläubiger, der ohne einen Plan mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der ___________ Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 514. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 27. Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 66. Entsprechendes Beispiel bei Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 68. Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 511; instruktiv Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 19, der zudem noch Risikoelemente berücksichtigen will, wenn etwa den Absonderungsberechtigten zustehendes Sicherungsgut weiterhin für die Planerfüllung durch die Schuldnerin genutzt wird; dem zust. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 5; wohl auch Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 23. 73) Verse, ZGR 2010, 299, 321. 74) Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 701; dem folgend Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 27.
68) 69) 70) 71) 72)
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Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Dabei zeigt sich schon nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift, dass beide Alternativen, „kein Wertzuwachs bei nachrangigem Gläubiger“ und „kein Wertzuwachs beim Schuldner oder einer an ihm beteiligten Person“, nebeneinander zu betrachten sind.75) 53 Die Vorschrift regelt zunächst den absoluten Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger vor den nachrangigen Insolvenzgläubigern. Ein weitergehendes Rangverhältnis sieht die InsO nicht vor.76) Faktisch sind mithin die nicht nachrangigen Gläubiger vor den nachrangigen Gläubigern zu befriedigen, jedoch nur bis zur Grenze von 100 % ihres Anspruchs. Überschießende Planerlöse können dann an die nachrangigen Gläubiger verteilt werden.77) 54 Der Hintergrund für diese Regelung ergibt sich aus § 225 InsO, der die unwiderlegliche Vermutung normiert, dass die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger als erlassen gelten. Diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass der auf die Gläubiger zu verteilende Unternehmenswert (unabhängig von der Art der Verwertung) in aller Regel nicht einmal ausreichen wird, die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger voll zu befriedigen. Erhalten die nachrangigen Insolvenzgläubiger daher sowieso nichts auf ihre Forderungen, sind sie auch nicht beschwert, wenn ihre Forderungen als erlassen gelten, was wiederum die Planaufstellung erleichtert.78) 55 Den Maßstab für diesen Teil der Angemessenheitsprüfung bildet dabei allein die wirtschaftliche Stellung der widersprechenden Gläubigergruppe, da die Regelung lediglich eine Verletzung der Rangordnung zulasten der dem Plan widersprechenden Gruppe verhindern soll.79) 56 Keine Regelung zum Rangverhältnis wird hier insofern in Bezug auf die absonderungsberechtigten Gläubiger getroffen. Hintergrund ist bereits die klare Trennung beider Gläubigergruppen nach § 222 Abs. 1. InsO; die Inhaber von Absonderungsrechten sind gegenüber den nicht nachrangigen Gläubigern auch nicht vorrangig, sondern stehen neben diesen.80) Daher muss den absonderungsberechtigten Gläubigern auch keine vollständige Befriedigung ihrer Ansprüche angeboten werden, bevor die nicht nachrangigen und die nachrangigen Insolvenzgläubiger bedient werden können.81) 5.2
Kein wirtschaftlicher Wert für Schuldner und an ihm beteiligte Personen
57 Neben dem absoluten Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger sieht § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO für die Frage der Angemessenheit ferner vor, dass weder der Schuldner noch eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält, bevor nicht die dem Plan widersprechende Gruppe zuvor voll befriedigt worden ist. Die den Regelungen des amerikanischen Bankruptcy Code (namentlich 11 U.S.C § 1129 (b) (2) (B) (ii)) nachgebildete Vorschrift wirft die Frage auf, ob am Schuldner beteiligte Personen oder der ___________ 75) 76) 77) 78) 79) 80)
LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464 = ZInsO 1999, 577. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 24. Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 22. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 225 Rz. 1. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 24. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 22; LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464 = ZInsO 1999, 577; a. A. Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 83. 81) Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 515.
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§ 41
Obstruktionsverbot
Schuldner einen wirtschaftlichen Wert allein dadurch erhalten, dass das schuldnerische Unternehmen fortgeführt wird.82) Für den Fall, dass Anteile am schuldnerischen Unternehmen in der Hand der bisherigen 58 Gesellschafter verbleiben oder diese bei einer übertragenden Sanierung i. R. des Insolvenzplans Anteile an dem neuen Unternehmensträger erhalten sollen, stellt sich die Frage, ob die Fortführung des Unternehmens eine entsprechende Wertzuwendung bedeuten kann.83) 5.3
Fortführung als Planziel
Das Insolvenzplanverfahren erlaubt die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens 59 und zielt zu einem gewissen Grade auch darauf ab (vgl. nur § 227 InsO). Die Fortführung erfolgt, weil sie aus Sicht der Gläubiger der beste Weg für eine möglichst weitgehende Befriedigung ihrer Ansprüche darstellt.84) Es würde daher faktisch nie zu einer Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots kommen, wollte man die Fortführung per se als Zuwendung an die Schuldner verstehen.85) Auch nach Auffassung des Gesetzgebers stellt nicht jede Fortführung eine Zuwendung an den Schuldner dar, sondern maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.86) Indikation für eine Wertzuwendung an den Schuldner kann jedenfalls sein, wenn ein fremder Dritter an Stelle des Schuldners bereit gewesen wäre, das Unternehmen fortzuführen.87) Konkret ist auch hier eine wirtschaftliche Betrachtungsweise notwendig: Grundlage 60 einer erfolgreichen Sanierung bei Fortführung des Schuldners ist zunächst, dass die Insolvenzgründe beseitigt werden. In der Regel bedeutet dies, dass die Überschuldung des Schuldners bilanziell beseitigt werden muss. Ist insofern allein das Haftkapital, also Stammkapital der GmbH oder Grundkapital der AG, wiederhergestellt, liegt darin noch keine Zuwendung an den Schuldner bzw. dessen Gesellschafter; Gleiches gilt, wenn sogar die Wiederherstellung des Haftkapitals nicht vollständig gelungen ist, sondern die Gläubiger nur durch entsprechende Maßnahmen, etwa Rangrücktrittserklärungen, ein die Überschuldung vermeidendes Bilanzbild herstellen können.88) Braun schlägt hier gleichwohl eine teleologische Reduktion des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO 61 vor: Für den Fall, dass man damit argumentieren wollte, dass Gläubiger durch einen Verzicht auf Forderungen dem Schuldner etwas zuwenden, sei jedenfalls insoweit von einer ___________ 82) Dazu etwa Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. 83) Für die Einordnung der Fortführung des Unternehmens als „Vorteil“ für den Schuldner wohl Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 6. 84) Dies verkennt Kresser, ZInsO 2010, 1409, 1415, wenn er fordert, dass die Altgesellschafter nur dann im Unternehmen verbleiben dürften, „wenn sie durch Zahlung an die Gläubiger diese Wertzufuhr ausgleichen“. Wenn der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens für die Gläubiger von Vorteil ist – auch etwa nur aus der praktischen Erwägung heraus, dass die mit dem Schuldner abgeschlossenen Vertragsverhältnisse fortgeführt werden können –, und sich die Gläubiger mit einer Begrenzung ihrer Befriedigung gemäß § 227 InsO einverstanden erklären, rechtfertigt dies per se nicht, zudem noch Sanierungsbeiträge von den Gesellschaftern zu fordern. Der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens über den Plan ist bloße Folge einer allein an den Interessen der Gläubiger ausgerichteten Entscheidung. 85) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 25. 86) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209; dem folgend LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464 = ZInsO 1999, 577; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 726. 87) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 29; Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 24; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724. 88) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26; ähnl. Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 516; a. A. Kresser, ZInsO 2010, 1409, 1415, nach dessen Auffassung die Anteilseigner bei einer Fortführung stets profitieren.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
angemessenen Beteiligung derjenigen Gläubiger auszugehen, denen ein solcher Verzicht als denkbare Zuwendung an den Schuldner überhaupt nicht abverlangt wird.89) Zwar entsteht durch den Erlass von Verbindlichkeiten allein bilanziell ein Vorteil für den Schuldner, es wird jedoch richtigerweise bezweifelt, ob dies von § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO erfasst werden soll, da eine Überschuldung i. d. R. nur durch den Erlass von Verbindlichkeiten beseitigt werden kann; gleiches gilt für durch die Sanierung erwirtschaftete künftige Gewinne.90) 62 Nur für den Fall, in dem durch Verzichte oder Rangrücktrittserklärungen ein über das reine Haftkapital hinausgehendes positives Kapital entsteht, könnte von einer entsprechenden Zuwendung an den Schuldner bzw. die Anteilsinhaber ausgegangen werden.91) 63 Allein der Umstand, dass das schuldnerische Unternehmen bestehen bleibt, kann somit nicht bereits zur Ablehnung der Angemessenheit i. S. des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO führen. Umgekehrt kann die Angemessenheit auch nicht nur dann angenommen werden, wenn auch die bisherigen Gesellschafter dem Schuldner Kapital zuführen.92) 64 Teilweise soll eine Zuwendung an den Schuldner bzw. an die an ihm beteiligten Personen dann vorliegen, wenn Dritten im Insolvenzplan nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, ein besseres Angebot für die Fortführung des Unternehmens abzugeben, mithin ein exklusives Recht zur Fortführung beim Schuldner liege, was eine Wertzuwendung darstelle, und dies selbst dann, wenn seitens der am Schuldner beteiligten Personen i. R. des Insolvenzplans Leistungen zu erbringen sind.93) 65 Richtigerweise wird dem entgegengehalten, dass die fehlende Regelung eines Eintrittsrechts für Dritte zu besseren Konditionen per se keine Wertzuwendung an den Schuldner bzw. die an ihm beteiligten Personen darstellt,94) da sich für die Gläubiger daraus lediglich eine entsprechende Verwertungsalternative bietet, über welche diese abstimmen können.95) Dritte können einerseits über das Planinitiativrecht des Insolvenzverwalters (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) bzw. durch einen entsprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 157 Satz 2 InsO oder andererseits durch ein entsprechendes Angebot in der Gläubigerversammlung den Gläubigern einen attraktiveren Vorschlag unterbreiten; diese Möglichkeit muss daher nicht zwangsläufig im Plan vorgesehen werden.96) 66 Stimmt die erforderliche Mehrheit der Abstimmungsgruppen dem Plan trotz Vorliegens eines attraktiveren Drittangebots zu, ist fraglich, ob das Gericht dieses Drittangebot dann gleichwohl bei der Angemessenheitsprüfung berücksichtigen muss.97) Teilweise wird vorgebracht, dass die Angemessenheit in diesem Fall nicht angenommen und der Plan daher entgegen dem ablehnenden Votum nicht bestätigt werden könne, wenn das konkrete Angebot eines Gläubigers oder eines außenstehenden Dritten, das Unternehmen zu einem ___________ 89) Braun, NZI 1999, 473, 477, dem folgend Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 29. 90) So Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 29. 91) So Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26; Proske/Flitsch, in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 245 InsO Rz. 19. 92) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 27; a. A. Wittig, ZInsO 1999, 373. 93) Wittig, ZInsO 1999, 373, 379; krit. AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZInsO 2017, 1624 ff., dazu EWiR 2017, 765 (Hofmann), wonach etwa der in einer Fortführung eines Unternehmens während der Eigenverwaltung bis zum geplanten Verkauf i. R. des Plans zu sehende Eigenbetrag einen etwaigen Wertzufluss neutralisieren kann; dem zust. Schröder, ZInsO 2017, 1769, 1773. 94) Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 702 ff.; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. 95) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. 96) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. 97) Dafür etwa Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. Wegen der damit verbundenen Gestaltungsfreiheit wird man auch eine teilweise Beteiligung der Altgesellschafter am (ggf. sogar börsennotierten) Schuldner nach einem Debt-Equity-Swap nicht als Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ansehen müssen, vgl. Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 699 f.
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besseren Preis zu übernehmen, vorliegt.98) Ob dies im Ausgangspunkt eine Frage der Angemessenheit ist, erscheint fraglich. Denn soweit das entsprechende Angebot des Dritten tatsächlich eine wertmäßig bessere Alternative darstellt, müsste i. d. R. bereits das Schlechterstellungsverbot des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO verletzt sein. Doch auch wenn es dem Dritten darum geht, das schuldnerische Unternehmen zu erhalten, 67 und daher gerade der Weg über den Plan gewählt wird, sollte diese Streitfrage im Ergebnis durch den Debt-Equity-Swap in § 225a InsO (siehe dazu ausführlich oben § 31) entschärft worden sein. Über das Instrument des Debt-Equity-Swaps können die Gläubiger i. R. des Insolvenzplans festlegen, wer das Unternehmen fortführt und wem insoweit ein etwaiger Wert aus der Fortführung zukommt; ein exklusives Recht zur Fortführung der am Schuldner beteiligten Personen gibt es deswegen gerade nicht.99) Machen die Gläubiger i. R. des Insolvenzplans von dieser Gestaltungsmöglichkeit indes keinen Gebrauch und stimmt die Mehrheit der Abstimmungsgruppen dem Plan trotz Vorliegens eines etwaigen Drittangebots zu, erscheint eine Berücksichtigung dieser außerhalb des Plans liegenden Verwertungsalternativen durch das Gericht, gegen die sich die Gläubiger bewusst entschieden haben, nicht mehr geboten. In zeitlicher Hinsicht kann es bei der Frage, ob in der konkreten Form der Fortführung eine 68 Wertzuwendung zu sehen ist, nur auf den Zeitpunkt der Planbestätigung und weder auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch auf die künftige Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens ankommen;100) insoweit muss auch ein etwaiges Fortführungsrisiko bei der Frage der Wertzuwendung durch die Fortführung außer Betracht bleiben.101) 6.
Keine Besserstellung gleicher Ränge
Schließlich ist es für die Beantwortung der Frage, ob eine Abstimmungsgruppe im Insol- 69 venzplan angemessen beteiligt worden ist, auch entscheidend, ob Gläubiger oder Anteilsinhaber durch den Insolvenzplan bessergestellt werden, obwohl sie ohne Plan gleichrangig mit der betreffenden Abstimmungsgruppe befriedigt werden müssten. 6.1
Für Gläubiger
Ist für die Frage einer angemessenen Beteiligung der Gläubiger entscheidend, dass kein 70 Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger (§ 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO), stellt dies ein Korrektiv für die grundsätzliche Freiheit des Planerstellers zur Bildung von Gruppen dar. Die richtige Gruppenbildung (siehe ausführlich oben §§ 28, 29) bildet einen entscheidenden Erfolgsfaktor für den vorgelegten Insolvenzplan: Strukturelemente sind dabei die Aufteilung einer Gläubigergruppe, deren Zustimmung als sicher unterstellt wird, in mehrere Gruppen, um die Mehrheit der für den Plan stimmenden Gruppen zu vergrößern, die Festlegung einer ungeraden Gruppenanzahl und natürlich die auf die Interessen der einzelnen Gläubigergruppen abgestimmten Regelungen im Insolvenzplan.102) Solange der Rahmen des § 222 InsO eingehalten wird, steht einer Gruppenbildung allein mit dem Ziel, die Zustimmung zum Plan – ggf. auch über § 245 InsO – zu erreichen, nichts entgegen;103) ___________ Wittig, ZInsO 1999, 373, 377 ff.; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 30. So im Ergebnis bereits Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 708 f. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 27; Wittig, ZInsO 1999, 373, 377. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 31, zumindest dann, wenn die Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist. 102) Liebig/Witt, DB 2011, 1929, 1931. 103) Stapper, ZInsO 2007, 2361, 2365 – „Planzustimmung ist legitimes Ziel der Gruppenbildung“. 98) 99) 100) 101)
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ein allgemeines Missbrauchsverbot als ungeschriebene Grenze der Gruppenbildung ist nicht anzuerkennen. 71 Die Benachteiligung einer Gläubigergruppe gegenüber einer anderen gleichrangigen Gruppe gegen deren Willen soll indes ausgeschlossen werden; insofern findet die freie Gruppenbildung zur Erreichung der erforderlichen Mehrheiten für den Plan hier ihre praktischen Grenzen.104) Faktisch bedeutet dies, dass unabhängig davon, welche Gruppen innerhalb der nicht nachrangigen Gläubiger gebildet werden (etwa Lieferanten oder Finanzgläubiger etc.), diese stets gleichbehandelt werden müssen, damit das Obstruktionsverbot zur Anwendung kommen kann.105) Im Ergebnis führt jede Besserstellung einer Gläubigergruppe gegenüber gleichrangigen Gläubigern zu einer Ablehnung der angemessenen Beteiligung und steht damit einer Bestätigung des Plans entgegen,106) wenn die betroffene Gläubigergruppe dem nicht ausdrücklich unter den Voraussetzungen des § 244 InsO ausnahmsweise zugestimmt hat. Insofern schützt § 245 InsO die gesamte betroffene Gläubigergruppe. Für eine Ungleichbehandlung (auch aus „vernünftigen Gründen“) ist i. R. des § 245 Abs. 3 Nr. 3 InsO kein Raum.107) 6.2
Wirtschaftliche Betrachtung
72 Ob eine entsprechende Gleichbehandlung vorliegt, ist dann unschwer zu bejahen, wenn etwa allen gleichrangigen Gläubigern unter dem Plan die gleiche prozentuale Quote gewährt wird. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn einer Gläubigergruppe eine sofortige und einer anderen erst eine verzögerte Zahlung angeboten wird. Dem Gericht stellen sich hier die gleichen wirtschaftlichen Problemstellungen, wie bereits oben für die i. R. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO notwendige Vergleichsrechnung ausgeführt (siehe Rz. 11 ff.): Das bedeutet, auch hier ist eine wirtschaftliche Vergleichsbetrachtung vorzunehmen108) und eine mögliche Abzinsung109) zu berücksichtigen, die eine Wertentscheidung des Gerichts erfordert.110) Auch für diesen Fall könnte sich die Aufnahme einer salvatorischen Klausel empfehlen,111) die der betreffenden Gläubigergruppe eine ausgleichende Zusatzzahlung zuweist, sollte nach Auffassung des Gerichts eine Ungleichbehandlung gleichrangiger Gläubiger vorliegen. 73 Fraglich ist, ob auch das Verhalten des Insolvenzverwalters während des Verfahrens Auswirkungen auf die Frage nach einer Schlechterstellung bestimmter Gläubigergruppen haben kann. Namentlich Undritz hat – soweit ersichtlich – erstmals die Frage aufgeworfen, ob eine Erklärung des Insolvenzverwalters über die Nichterfüllung eines Vertrages nach § 103 InsO gegenüber bestimmten Vertragspartnern eine i. R. von § 245 InsO zu berücksichtigende Ungleichbehandlung gegenüber wirtschaftlich gleichstehenden Gläubigern
___________ 104) Hingerl, ZInsO 2007, 1337, 1338; ebenso AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZInsO 2018, 195 ff. 105) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 30; einer Gleichbehandlung von absonderungsberechtigten und nicht nachrangigen Gläubigern bedarf es jedenfalls nicht, vgl. auch LG Magdeburg v. 7.12.2005 – 3 T 632/05, juris. 106) LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, ZInsO 2004, 1318, 1320; dazu krit. nun Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 32. 107) LG Magdeburg v. 25.4.2001 – 3 T 12/01, NZI 2001, 326, 327. Dies wird teilweise als zu starke Einschränkung für die Planerstellung angesehen; daher für eine Aufweichung der Gleichbehandlung de lege ferenda Stapper, ZInsO 2009, 2361, 2365. 108) Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 7. 109) Die Ausführungen zur Berücksichtigung einer Abzinsung in Rz. 28 ff. gelten hier entsprechend. 110) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 31. 111) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 32.
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Obstruktionsverbot
darstellen kann.112) Fraglich ist mithin, ob aus dem Verwalterverhalten eine Schlechterstellung resultieren kann, die i. R. des § 245 InsO zu berücksichtigen wäre. Dies könnte dann der Fall sein, wenn man in der Fortsetzung eines bereits vor Insolvenz- 74 eröffnung bestehenden Schuldverhältnisses eine Vermögenszuwendung sehen wollte. Unabhängig davon, dass sich diese Frage auch bei der Verwertung i. R. einer übertragenden Sanierung stellen könnte, spricht dagegen zunächst, dass für die Frage der Ungleichbehandlung von Abstimmungsgruppen deren Stellung im Insolvenzverfahren als Gläubiger zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgeblich ist; dies ergibt sich schon aus § 38 InsO. Entscheidungen, die der Insolvenzverwalter nach Eröffnung trifft, erfolgen im Interesse aller Gläubiger an einer bestmöglichen Verwertung des schuldnerischen Vermögens und lassen die Ansprüche der Insolvenzgläubiger insofern unberührt.113) Ob der Verwalter Erfüllung wählt oder die Erfüllung ablehnt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Er hat sich bei seiner Entscheidung allein daran zu orientieren, was für die Masse günstiger ist;114) wie Drittinteressen (auch Partikularinteressen des einzelnen Gläubigers) hiervon betroffen sind, ist unmaßgeblich. Ferner erfordert die Fortsetzung eines Schuldverhältnisses von dem betreffenden Gläubiger 75 auch die seinerseitige Leistungserbringung, so dass man schon Zweifel daran bekommen könnte, ob durch die Fortsetzung des Vertrags und den damit verbundenen Leistungsaustausch dem Gläubiger überhaupt etwas zugewendet wird. Da man davon ausgehen kann, dass der Vertragspartner mit Gewinnerzielungsabsicht am Markt tätig ist, könnte man hier auf die mit der Vertragsdurchführung erzielte Marge abstellen, doch wäre auch dies eine Leistung auf die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Gegenleistung und würde keine ungleiche Behandlung von Insolvenzgläubigern und deren bei Eröffnung des Verfahrens bestehenden Forderungen darstellen; diese bleiben durch die Fortsetzung des Vertrags unberührt. Veranschaulicht man sich, dass der Gläubiger, dessen Vertragsverhältnis durch den Insolvenzverwalter fortgeführt wird, dem Schuldner bzw. Verwalter wie jeder andere dritte Leistungserbringer gegenübersteht, mag die Fortsetzung ihrer Verträge für manche Vertragspartner zwar eine glückliche Fügung115) darstellen, aber die Vertragspartner, deren Verträge beendet worden sind, haben per se die gleichen Möglichkeiten, ihre Leistung gegenüber Dritten zu erbringen, mag dies im Einzelfall auch aufgrund der Marktsituation schwierig sein. Eine Fortsetzung von Schuldverhältnissen durch den Verwalter kann daher nicht in einer Art Gesamtbetrachtung i. R. des § 245 InsO Berücksichtigung finden, da es dort allein um die Art und Weise der Befriedigung der Insolvenzforderungen unter dem Plan geht. 6.3
Für Anteilsinhaber
Ähnlich wie für die Gläubiger wird für die Angemessenheit einer Beteiligung der Anteils- 76 inhaber darauf abgestellt, dass kein Anteilsinhaber, der ohne einen Plan den Anteilsinha___________ 112) Undritz, ZGR 2010, 201, 214. In dem von ihm beschriebenen Beispielsfall hatte der Verwalter aus Gründen der Überkapazität bestimmte Leasingverträge nach § 103 InsO beendet, andere Leasingverträge indes aufrechterhalten. Die Leasinggeber, deren Verträge beendet wurden, hatten darin eine gegen § 245 InsO verstoßende Ungleichbehandlung ausgemacht, da die anderen Leasinggeber bei erfolgreicher Fortführung vollständig befriedigt werden würden, während die Leasinggeber, deren Verträge nicht fortgesetzt werden, nur eine vergleichsweise geringe Quote bekommen würden und auch eine anderweitige Verwertung des Leasingguts wegen eines schwierigen Marktumfelds nur zu schlechteren Bedingungen möglich war. 113) Kroth, in: Braun, InsO, § 103 Rz. 42. 114) Balthasar, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 103 Rz. 37. 115) Im von Undritz, ZGR 2010, 201, 214, vorgestellten Fall gab es zur Beseitigung der Überkapazität keine objektiven Kriterien, warum bestimmte Verträge fortgesetzt wurden und andere Vertragspartner „Pech“ gehabt hatten.
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bern der Gruppe gleichgestellt wäre, bessergestellt wird als diese (§ 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO). Im Ausgangspunkt gilt hier also, dass sämtliche Anteilsinhaber nicht zwangsläufig gleichbehandelt werden müssen, wenn durch den Plan in ihre Rechte eingegriffen worden ist.116) Sofern sachgerechte Abgrenzungskriterien im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Interessenlagen bestehen, können unterschiedliche Gruppen gebildet werden. Der Gesetzgeber hat hier beispielhaft dargelegt, dass, wenn etwa die Angehörigen einer Gruppe der geringfügig beteiligten Anteilsinhaber i. S. von § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO (siehe dazu oben § 31 Rz. 33) nach dem Plan mehr bekommen sollen als die übrigen rechtlich gleichstehenden Anteilsinhaber, die fehlende Zustimmung der Gruppe dieser übrigen Anteilsinhaber nicht durch das Obstruktionsverbot überwunden werden kann.117) Auch ein kompensationsloses Ausscheiden nur einzelner Gesellschafter wird man als Verstoß des Besserstellungsverbots ansehen müssen.118) Ob man indes i. R. des § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO keine wirtschaftliche sondern eine mitgliedschaftsbezogene Betrachtung vornehmen muss,119) erscheint fraglich. Eine etwaige Ungleichbehandlung der Anteilsinhaber, sei es durch die unterschiedliche Gewährung von Bezugs- oder Stimmrechten oder auch das Ausscheiden einzelner gegen Abfindung und den Verbleib anderer als Gesellschafter des Schuldners, wird man i. R. des Besserstellungsverbots weiterhin wirtschaftlich betrachten müssen, in dem die mit unterschiedlichen Rechten versehenen Anteile der am Schuldner beteiligten Personen nach ihrem wirtschaftlichen Wert ins Verhältnis gesetzt werden müssen.120) IV.
Zustimmung der Mehrheit der Gruppen
1.
Zustimmungserfordernis und Anwendungsgrenzen
77 Nach § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist schließlich Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion, dass die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat; dabei kommt es weder darauf an, dass eine Kopfmehrheit, noch dass eine Summenmehrheit für den Plan stimmt. Erreicht der Plan mithin nicht die Mehrheit der Gruppen, ist ihm die Bestätigung zu versagen, selbst wenn dadurch eine Minderheit die Mehrheit der Gläubiger majorisieren würde; dies entspricht dem gesetzgeberischen Willen.121) 78 Das Obstruktionsverbot kann aber nur dann Anwendung finden, wenn eine oder mehrere Abstimmungsgruppen dem Plan ihre Zustimmung verweigert haben und andere – die Mehrheit der Gruppen – dem Plan zugestimmt haben. Auch für den Ausnahmefall, dass der Plan eine Schlechterstellung der Gläubiger gegenüber der Regelverwertung vorsieht, sich jedoch keine Abstimmungsgruppe gegen den Plan wendet, findet keine Prüfung des Schlechterstellungsverbots von Amts wegen statt.122) Bei einer ablehnenden Gruppe bedarf es mithin mindestens zwei zustimmenden Abstimmungsgruppen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um Pflichtgruppen oder um fakultative Gruppen handelt.123) Folglich ist die Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots auch dann ausgeschlossen, wenn der Plan nur eine einzige Abstimmungsgruppe vorsieht.124) ___________ 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 124)
Ebenso Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 29. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 51. Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127 f. Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1703. So auch Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 35. Hingerl, ZInsO 2007, 1337, 1338. Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 509. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 1. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 11; AG Duisburg v. 15.8.2001 – 43 IN 40/00, NZI 2001, 605.
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Obstruktionsverbot
Das Erfordernis der Zustimmung der Mehrheit der Gruppen ist teilweise auf Kritik ge- 79 stoßen:125) So soll es einer Gruppe von Gläubigern ohne schützenswertes Interesse möglich sein, gegen den Plan zu stimmen bzw. mit einem entsprechenden Abstimmungsverhalten zu drohen, um sich die Zustimmung zum Plan abkaufen zu lassen.126) Dieser Befund ist zwar richtig, gleichwohl würde sich auch ohne Mehrheitserfordernis in § 245 InsO nicht gänzlich ausschließen lassen, dass Gläubiger versuchen, ihr Stimmrecht missbräuchlich einzusetzen. Keine Rolle spielt es, aus welchen Motiven eine Abstimmungsgruppe ihre Zustimmung 80 verweigert. Die gerichtliche Entscheidung i. R. des § 245 InsO behandelt mithin nicht nur die Aspekte einer konkret begründeten Ablehnung, sondern das Obstruktionsverbot greift immer dann ein, wenn die erforderlichen Mehrheiten für den Plan nicht erreicht sind.127) Die Freiheit der Gruppenbildung bildet eine der Grundlagen, um – durch entsprechende 81 Gestaltung – eine möglichst breite Akzeptanz für den Plan zu erreichen. Um die erforderliche Zustimmung zum Plan zu bekommen, ist es indes kein Einzelfall, dass sich bestimmte Gläubigergruppen auch außerhalb des Plans miteinander verständigen und vor dem Hintergrund einer einheitlichen Abstimmung ggf. Erlöse aus dem Plan zwischen ihnen vom Plan abweichend allokieren.128) Ob derartige Abreden, die man vergleichbar den aus dem Gesellschaftsrecht bekannten Stimmbindungsvereinbarungen für zulässig erachten muss, Motiv für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten darstellen, ist bei der Frage nach dem Vorliegen der Mehrheit ebenfalls ohne Belang.129) 2.
Keine Zustimmungsfiktion
Auch genügt es nicht, wenn die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe, etwa nach § 246 82 InsO in Bezug auf die nachrangigen Gläubiger oder nach § 246a InsO in Bezug auf die Anteilsinhaber, fingiert wird, da die Anwendung des § 245 InsO tatsächlich die Zustimmung der betreffenden Abstimmungsgruppe erforderlich macht.130) V.
Salvatorische Klausel im Plan
Ob die praktischen Probleme, die mit der Frage nach einer Schlechterstellung einer Ab- 83 stimmungsgruppe bzw. der Angemessenheit ihrer wirtschaftlichen Beteiligung verbunden
___________ 125) Nach Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 2, muss bereits die Zustimmung einer Gruppe ausreichen, die gegenüber der Regelabwicklung bessergestellt ist, wenn nur die übrigen Gläubigergruppen nicht schlechterstehen. Dies stellt nach dem Sinn und Zweck des § 245 InsO eine nachvollziehbare Auffassung dar, Raum für eine teleologische Auslegung über den klaren Wortlaut des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO hinaus wird indes kaum vorhanden sein. 126) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 2. 127) Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 510. 128) Dies schließt natürlich auch die Möglichkeit von Abreden außerhalb des Insolvenzplans über andere Sanierungsbeiträge – auch sonst nicht am Plan beteiligter Dritter – ein. Ob man diese rechtstechnisch in den Plan (etwa in eine Anlage) aufnimmt oder gesondert, ggf. nur aufschiebend bedingt auf das Wirksamwerden des Plans, abschließt, sollte im Einzelfall entschieden werden. Ist eine derartige Vereinbarung Teil des Plans, wird man sie damit richtigerweise auch als den insolvenzrechtlichen Planregelungen unterworfen ansehen müssen, womit auch eine etwaige Formbedürftigkeit von Willenserklärungen mit der Rechtskraft der Bestätigung des Plans in entsprechender Anwendung von § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO als gewahrt gelten müsste (dazu umfassend Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 689 ff.). 129) Im Ergebnis wohl auch Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 35. 130) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 2; Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 11; so schon Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209.
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sind, durch eine salvatorische Klausel131) im Insolvenzplan gelöst werden können, ist fraglich. Die salvatorische Klausel soll es dabei ermöglichen, den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans von der Entscheidung über eine angemessene Gläubigerbeteiligung bzw. deren Schlechterstellung zu lösen. 1.
Salvatorische Klausel zum Minderheitenschutz
84 Schon zur Einführung der InsO hatte der Gesetzgeber für den Minderheitenschutz nach § 251 InsO vorgeschlagen, dass etwaigen Zweifeln seitens des Gerichts, ob die Interessen einer überstimmten Minderheit im Plan angemessen berücksichtigt worden sind, dadurch begegnet werden könne, dass im Plan zusätzliche Leistungen an solche Angehörige vorgesehen werden, die dem Plan widersprechen und den Nachweis führen, dass sie ohne solche Zusatzleistungen durch den Plan schlechtergestellt werden als ohne einen Plan, wenn die Finanzierung solcher zusätzlichen Leistungen zur Erreichung einer angemessenen Beteiligung gesichert ist;132) dies ist nun in § 251 Abs. 3 InsO umgesetzt. 2.
Salvatorische Klauseln für Anwendung des Obstruktionsverbots
85 Insbesondere durch § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO, nach welchem ein Antrag auf Minderheitenschutz abzuweisen ist, wenn im gestaltenden Teil des Plans Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Angehöriger eine Schlechterstellung nachweist, hat die Diskussion um die Zulässigkeit salvatorischer Klauseln im Plan neue Nahrung erhalten. Nach Auffassung des Gesetzgebers besteht wegen dieser Regelung Klarheit über die Frage der Zulässigkeit salvatorischer Klauseln im Insolvenzplan und diese sind als mit § 226 InsO vereinbar anzusehen.133) 86 Der vom Gesetzgeber zur Einführung der InsO in der Gesetzesbegründung angedeutete Vorschlag zur Nutzung salvatorischer Klauseln i. R. des Minderheitenschutzes war auf mehreren Ebenen auf Kritik gestoßen: Einerseits sollte ein Verstoß gegen das zwingende Gleichbehandlungsgebot (§ 250 Nr. 1, § 226 InsO) vorliegen, wenn die Klausel nur für die widersprechenden Gläubiger Zusatzleistungen vorsieht. Andererseits würde eine salvatorische Klausel, die Zusatzleistungen für eine Gruppe von Gläubigern vorsieht, den gesamten Plan in Frage stellen, da sie eine Schlechterstellung der betreffenden Gläubigergruppe bereits implizieren würde.134) 87 Durch die bewusste gesetzgeberische Entscheidung, dass salvatorische Klauseln im Plan vorgesehen werden können, wird man ihre Zulässigkeit im Insolvenzplan zunächst generell anerkennen müssen.135) Ferner erscheint auch der Hinweis auf einen möglichen durch die salvatorische Klausel verursachten Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot bei Lichte besehen nicht überzeugend: Da jeder Gläubiger die Möglichkeit hat, den Individualschutz nach § 251 InsO geltend zu machen, findet die salvatorische Klausel auch auf jedes Mitglied dieser Gläubigergruppe Anwendung; das gruppenbezogene Gleichstellungs___________ 131) Der Begriff der salvatorischen Klausel hat sich insbesondere im Vertragsrecht etabliert und meint eine in Abweichung zu § 139 BGB vorgesehene Erhaltung des Vertrags auch für den Fall, dass Teilregelungen unwirksam sein sollten, wobei eine solche Klausel die Gesamtnichtigkeit des Vertrags nicht verhindert, sondern lediglich die Beweislast auf die Partei verlagert, die sich auf die Gesamtnichtigkeit berufen will (vgl. etwa BGH v. 4.2.2010 – IX ZR 18/09, NJW 2010, 1364, 1366). 132) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 133) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 52; dem zust. wohl Smid, DZWIR 2010, 397, 403. 134) Vgl. etwa Grub, in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 512 f. 135) A. A. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 15, der die Nichterwähnung bei § 245 InsO als bewusste gesetzgeberische Entscheidung gegen die Zulässigkeit von salvatorischen Klauseln i. R. des Obstruktionsverbots deutet.
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§ 41
Obstruktionsverbot
gebot des § 226 Abs. 1 InsO ist mithin nicht verletzt.136) Auch eine implizite Schlechterstellung kann darin nicht gesehen werden, da die salvatorische Klausel nur den Streit über die Schlechterstellung außerhalb des Bestätigungsverfahrens verlagern will, um zeitliche Verzögerungen zu vermeiden. Ob man den Gedanken des Minderheitenschutzes durch Regelung einer salvatorischen 88 Klausel im Plan auch auf die Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 245 InsO erstrecken kann,137) erscheint nicht unproblematisch. So fehlt es gerade in § 245 InsO an einer mit § 251 Abs. 3 InsO vergleichbaren Regelung. Auch spricht die unterschiedliche Beweislastregel des § 251 InsO, der – anders als § 245 InsO – gerade nicht von Amts wegen geprüft wird, gegen die Annahme, mit einer salvatorischen Klausel in Bezug auf § 245 InsO könne die Prüfung der Voraussetzungen der Norm quasi obsolet werden. § 251 Abs. 3 InsO erfordert für die Anwendbarkeit der salvatorischen Klausel nämlich den Nachweis der Schlechterstellung durch den Antragsteller; dies muss bei § 245 Abs. 1 InsO nicht erfolgen. Jaffé zeigt mithin richtigerweise auf, dass eine salvatorische Klausel die gerichtliche Prüfung nach § 245 InsO zur Wahrung des Minderheitenschutzes nicht vollständig ersetzen, sondern diese nur flankieren kann.138) Im Ergebnis wird man eine salvatorische Klausel i. R. des § 245 InsO zwar für zulässig erachten können.139) Die salvatorische Klausel entbindet das Gericht jedoch nicht von seiner prognostischen Entscheidung in Bezug auf die Schlechterstellung, sondern wird nur dazu dienen, diese im Einzelfall zu erleichtern. Zur Absicherung der Gleichstellung der betroffenen Gläubiger durch die salvatorische 89 Klausel sind die finanziellen Mittel im Plan i. d. R. in Form einer Rückstellung vorzuhalten. Auch die Bürgschaft oder Garantie eines Dritten sind denkbare Absicherungsmöglichkeiten.140) Bei entsprechend massestarken Verfahren könnten die für die Gleichstellung erforderlichen Mittel auch den nachrangigen Gläubigern entzogen werden.141) Zeigt sich im Nachhinein, dass die für ein Eingreifen der salvatorischen Klausel zurückgestellten Mittel tatsächlich nicht benötigt werden, können sie im Verhältnis der i. Ü. zwischen den Angehörigen nach dem Insolvenzplan zu verteilenden Mittel ausgekehrt werden. Wichtig ist es zudem, die salvatorische Klausel in ihrer Geltung zeitlich zu beschränken, 90 damit klar ist, wie lange ein entsprechender Anspruch ggf. geltend gemacht werden kann.142) Nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO ist die Frage, ob der den Minderheitenschutz geltend ma- 91 chende Angehörige einen Ausgleich aus den für die salvatorische Klausel vorgesehenen Mitteln erhält, außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären. Damit soll ein Rechtsstreit über den finanziellen Ausgleich, der vor den ordentlichen Gerichten zu führen ist, die Planbestätigung sowie die Aufhebung des Planverfahrens nicht verzögern.143) Gleiches wird man insofern auch für die Frage einer Schlechterstellung bzw. einer angemessenen Beteiligung i. R. des § 245 InsO annehmen können. ___________ 136) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 43. 137) Dafür Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 17; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 46 ff., spricht insofern von „Obstruktionsklauseln“. 138) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 43 f., der bei der Anwendung salvatorischer Klauseln i. R. des § 245 InsO jedoch zur Zurückhaltung mahnt („kein Allheilmittel“). 139) Pleister, in: KPB, InsO, § 245 Rz. 41; eine entsprechende Klausel könnte etwa beispielhaft wie folgt lauten: „Für den Fall, dass eine Abstimmungsgruppe durch den Plan schlechtergestellt wird, als sie ohne Plan stünde, verpflichten sich die übrigen Angehörigen, die Angehörigen dieser Abstimmungsgruppe so zu stellen, wie sie stünden, wenn die Abwicklung ohne Plan erfolgt wäre.“ 140) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 43. ff. 141) Drukarczyk, in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 245 Rz. 53. 142) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rz. 26; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 245 Rz. 44, hält hier drei Monate für ausreichend. 143) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 52.
F. Becker
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§ 41
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
VI.
Verfahren und Rechtsmittel
1.
Verfahren
92 Wenn es an den nach § 244 InsO erforderlichen Mehrheiten fehlt, prüft das Gericht die Voraussetzungen des § 245 InsO von Amts wegen. Es ist mithin kein Antrag des Planerstellers auf Prüfung der Voraussetzungen notwendig. Für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 245 InsO gegeben sind, gilt die Zustimmung der opponierenden Abstimmungsgruppe als erteilt. Diese Feststellung wird durch das Insolvenzgericht ins Protokoll aufgenommen. Faktisch geschieht dies durch die gerichtliche Bestätigung des Plans nach § 248 InsO.144) 2.
Rechtsmittel
93 Gemäß § 18 RPflG ist das Insolvenzplanverfahren unter den Vorbehalt des Richters gestellt.145) Die Bestätigung des Insolvenzplans, in dessen Rahmen die Voraussetzungen des § 245 InsO geprüft werden,146) wird daher durch den Richter getroffen. 94 Die Feststellung des Gerichts, dass die Zustimmung über § 245 InsO als erteilt gilt, kann nicht selbstständig angefochten werden.147) Rechtsmittel gegen die Anwendung des § 245 InsO durch den Insolvenzrichter sieht das Gesetz nicht vor. 95 Den Angehörigen ist es erst möglich, gegen die Planbestätigung mit der sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO vorzugehen oder aber den einzelgläubigerbezogenen, individuellen Minderheitenschutz nach § 251 InsO geltend zu machen, der allein dann zulässig ist, wenn der betreffende Gläubiger die Schlechterstellung gegenüber dem Gericht glaubhaft machen kann.148) Sinnvollerweise wird ein den Plan ablehnendes Votum durch die betreffende Abstimmungsgruppe i. d. R. von einem Antrag nach § 251 InsO durch die einzelnen Gläubiger oder die am Schuldner beteiligten Personen flankiert. 96 Ob durch die Beschwerde eine erneute Überprüfung der Kriterien des § 245 InsO „durch die Hintertür“,149) geltend gemacht werden kann, ist fraglich. Jedenfalls wird man bereits für die Zulässigkeit der Beschwerde, namentlich das betreffende Rechtsschutzbedürfnis, eine materielle Beschwer des betreffenden Beschwerdeführers fordern müssen,150) was sich ausdrücklich aus § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ergibt. Die Bedeutung der tatrichterlichen Entscheidung bestätigt insofern auch eine Entscheidung des BGH zu § 245 InsO, nach der die Frage der Angemessenheit im Rechtsbeschwerdeverfahren generell nur eingeschränkt nachgeprüft werden kann.151)
___________ 144) 145) 146) 147) 148) 149) 150) 151)
Undritz, ZGR 2010, 201, 213. Dies ist vielfach kritisiert worden, vgl. etwa Erdmann, ZInsO 2010, 1437. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 248 Rz. 3. Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 12. BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522. Heublein, NZI 2005, 296. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 7. BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, ZInsO 2007, 713, die ersichtlichermaßen einzige Entscheidung des BGH, die sich ansatzweise inhaltlich mit § 245 InsO auseinandergesetzt hat.
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§ 42 Planbestätigung Westpfahl
I. Funktion der Bestätigung.......................... 1 II. Formelle Voraussetzungen für die Bestätigung .................................................. 2 1. Bestätigung eines Insolvenzplans................ 2 1.1 Annahme durch die Gläubiger und Zustimmung des Schuldners...... 2 1.2 Konkurrierende Insolvenzpläne........ 3 1.3 Anhörung der Beteiligten ............... 9 2. Bestätigung einer Planberichtigung .......... 13 2.1 Bevollmächtigung des Insolvenzverwalters im Insolvenzplan ................................................. 13 2.2 Anhörung der Beteiligten ............. 15 III. Materieller Prüfungsumfang ................... 18 1. Grundsatz der vollständigen Überprüfung ....................................................... 18 2. Versagung von Amts wegen ...................... 20 2.1 Wesentliche Mängel (§ 250 Nr. 1 InsO) ....................... 21 2.1.1 Verstoß gegen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans................................................ 22 2.1.2 Verstoß gegen Verfahrensvorschriften.................................... 26 2.1.3 Verstöße gegen die Vorschriften über die Annahme durch die Beteiligten ...................................... 41
2.1.4
Verstoß gegen die Vorschriften über die Zustimmung des Schuldners...................................... 42 2.1.5 Behebbarkeit des Mangels............. 43 2.2 Unlautere Herbeiführung der Annahme des Plans (§ 250 Nr. 2 InsO) ........................ 44 2.2.1 Unlautere Maßnahme.................... 45 2.2.2 Handelnde Personen ..................... 50 2.2.3 Kausalität........................................ 51 2.3 Nichteintritt von Bedingungen .... 52 2.3.1 Erbringung bestimmter Leistungen...................................... 55 2.3.2 Verwirklichung anderer Maßnahmen ................................... 59 2.3.3 Art der Bedingung......................... 60 2.3.4 Gerichtliche Fristsetzung ............. 62 2.3.5 Rechtsmittel................................... 65 3. Versagung auf Antrag eines Beteiligten.... 66 IV. Gerichtliche Entscheidung ...................... 67 1. Zuständigkeit.............................................. 67 2. Gebundene Entscheidung.......................... 68 3. Verkündung des Beschlusses..................... 69 4. Rechtsfolgen des Beschlusses.................... 71 4.1 Beschwerderecht............................ 71 4.2 Versagung der Bestätigung ........... 73 4.3 Bestätigung des Insolvenzplans .... 74
Literatur: Berscheid, Beteiligung des Betriebsrats im Eröffnungsverfahren, nach Verfahrenseröffnung und im Insolvenzplan, ZInsO 1999, 27; Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/ Wierzbinski/Ziegenhagen, Evaluierung des ESUG, Sanierungskultur im Jahr 2017 – Zwischenbilanz und Ausblick, ZIP 2017, 2430; Brünkmans, Präklusions- und Ausschlussklauseln in Insolvenzplänen, ZInsO 2016, 245; Engberding, Was leistet der Insolvenzplan im neuen Insolvenzrecht, DZWIR 1998, 94; Fischer, Das neue Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, NZI 2013, 513; Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, 2004; Horstkotte, Der Insolvenzplan in der gerichtlichen Vorprüfung, ZInsO 2014, 1297; Lehmann/Rühle, Das beschleunigte Zurückweisungsverfahren gem. § 253 IV InsO in der Praxis, NZI 2014, 889; Madaus, Die Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung nach dem ESUG, NZI 2012, 597; Riggert, Das Insolvenzplanverfahren – Strategische Probleme aus der Sicht absonderungsberechtigter Banken, WM 1998, 1521; Smid, Unlauteres Herbeiführen eines Insolvenzplans, DZWIR 2005, 234; Tresselt/Kamp, Der Umgang mit Nachzüglern im Insolvenzplan, DZWIR 2017, 501; Weber, Gesamtabwägungsklauseln auf dem Prüfstand – Zulässigkeit und Vollstreckbarkeit von Insolvenzplänen mit dynamischer Quote, ZInsO 2017, 255; Weßling, Zur nichtigen Stimmabgabe im Abstimmungstermin über einen Insolvenzplan, ZInsO 2017, 1595.
I.
Funktion der Bestätigung
Nach der Annahme durch die Gläubiger und der Zustimmung des Schuldners ist eine letzte 1 Überprüfung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht vorgesehen. Dabei geht es vorrangig um einen gesetzlichen Schutz der Minderheit, die durch die Mehrheitsentscheidung gebunden wird. Allerdings dient die Planbestätigung als Maßnahme staatlicher Für-
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§ 42
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
sorge darüber hinaus dem Schutz aller am Plan beteiligten Gläubiger und des Schuldners.1) II.
Formelle Voraussetzungen für die Bestätigung
1.
Bestätigung eines Insolvenzplans
1.1
Annahme durch die Gläubiger und Zustimmung des Schuldners
2 Gegenstand eines Bestätigungsbeschlusses kann nur ein Insolvenzplan sein, der von den Beteiligten angenommen worden ist und dem der Schuldner zugestimmt hat. Während sich die Annahme durch die Beteiligten nach den §§ 244 – 246 InsO richtet, gilt für die Zustimmung des Schuldners § 247 InsO. Insbesondere hat das Insolvenzgericht also für den Fall, dass die Beteiligten dem Insolvenzplan nicht oder nicht mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt haben, zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 245 InsO erfüllt sind. Gleichermaßen hat das Insolvenzgericht zu prüfen, ob ein etwaiger Widerspruch des Schuldners gemäß § 247 Abs. 2 InsO unbeachtlich ist. 1.2
Konkurrierende Insolvenzpläne
3 Da es mit dem Insolvenzverwalter und dem Schuldner zwei Berechtigte zur Vorlage eines Insolvenzplans gibt (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO), kann es zum Vorliegen konkurrierender Pläne kommen.2) Sofern der Insolvenzverwalter neben einem im Auftrag der Gläubigerversammlung erstellten Insolvenzplan auch noch einen eigenen Plan einreicht, ist sogar die Konkurrenz von drei Plänen möglich. Während Einigkeit darüber besteht, dass letztlich nur ein Insolvenzplan Rechtskraft erlangen kann, werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie das Insolvenzgericht zu diesem Ergebnis gelangen soll und welchen Insolvenzplan es zu bestätigen hat. 4 Dabei wird überwiegend vertreten, dass das Insolvenzgericht den Plan zu bestätigen hat, der die größte Zustimmung der Gläubiger gefunden hat.3) Innerhalb dieser Auffassung wird wiederum danach differenziert, ob ein Insolvenzplan lediglich die größte summenmäßige Mehrheit erreicht hat4) oder die größte Mehrheit nach Summe und Köpfen.5) Allerdings werden von anderen Autoren auch hiervon abweichende Parameter für die Entscheidung des Insolvenzgerichts genannt. So wird etwa darauf abgestellt, welchem Plan insgesamt mehr Gruppen zugestimmt haben,6) welcher Plan das am besten geeignete Fortführungskonzept enthält7) oder welcher Plan weniger in Grundrechte eingreift.8) Auch wird vertreten, dass beiden Plänen die Bestätigung zu versagen ist9) bzw. dass beide Pläne zu bestätigen sind, wobei in dem Augenblick, in dem der erste Plan rechtskräftig wird, ver___________ 1) 2)
3)
4) 5) 6) 7) 8) 9)
Demzufolge besteht das Bestätigungserfordernis auch für den Fall, dass dem Insolvenzplan alle Beteiligten zugestimmt haben. Im Falle einer Eigenverwaltung steht dem Sachwalter, anders als dem Insolvenzverwalter, kein Planinitiativrecht nach § 218 Abs. 1 InsO zu, vgl. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). Spahlinger, in: KPB, InsO, § 218 Rz. 42 f., sowie Riggert, WM 1998, 1521; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 248 Rz. 6; Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 67 Rz. 21; Frank, in: Runkel/Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 13 Rz. 58. Riggert, WM 1998, 1521, 1525. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 248 Rz. 6; Koch/de Bra, in: Gottwald, InsR-Hdb., § 67 Rz. 21; Frank, in: Runkel/Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 13 Rz. 58. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 643. Engberding, DZWiR 1998, 94, 96. Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 249 f. Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 248 Rz. 5.
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§ 42
Planbestätigung
fahrensrechtlich eine Erledigung des anderen bzw. der anderen Pläne eintreten soll.10) Schließlich wird vertreten, dass nur der zuletzt angenommene Plan zu bestätigen ist.11) Die Meinungsvielfalt resultiert daraus, dass die Vorschriften über die Annahme und über 5 die Bestätigung eines Insolvenzplans auf den Fall zugeschnitten sind, dass nur ein Plan vorgelegt wird. Weder ist geregelt, in welcher Reihenfolge über mehrere vorgelegte Insolvenzpläne abzustimmen ist, noch finden sich Vorschriften dazu, wie das Insolvenzgericht bei der Bestätigung mehrerer angenommener Insolvenzpläne vorzugehen hat.12) Ob es überhaupt zur Annahme konkurrierender Insolvenzpläne kommt, hängt demzufolge v. a. davon ab, wie das Insolvenzgericht mit der Abstimmung über konkurrierende Insolvenzpläne umgeht. Ausgangspunkt dürfte insoweit sein, dass das Insolvenzgericht für jeden Plan, der sich noch 6 nicht durch die Rechtskraft eines bestätigten Plans erledigt hat, das Insolvenzplanverfahren gemäß §§ 231 ff. InsO durchzuführen hat. Allerdings sollte das Insolvenzgericht, sofern dies die gesetzlichen Terminierungsfristen zulassen, die Abstimmung über die konkurrierenden Pläne derart koordinieren, dass sie unmittelbar nacheinander erörtert und nach Stimmrechtsfestsetzung über sie abgestimmt wird. Diesbezüglich steht dem Insolvenzgericht in gewissem Umfang ein Ermessen zu.13) Grundsätzlich sollte das Insolvenzgericht jedoch in der Reihenfolge der – fehlerlosen – Vorlage der Insolvenzpläne abstimmen lassen. Ist jedoch bereits ein Plan vorgelegt und ist die Vorlage eines konkurrierenden Plans erst für die darauffolgenden Wochen angekündigt worden, wird das Insolvenzgericht nicht umhin können, die jeweiligen Erörterungs- und Abstimmungstermine zeitlich gestreckt anzuberaumen. Es liegt dann an dem Architekten des späteren Plans, die Gläubiger davon zu überzeugen, den ersten Plan nicht anzunehmen. Auf diese Weise sollte es das Insolvenzgericht in aller Regel verhindern können, dass zeit- 7 gleich konkurrierende Insolvenzpläne angenommen werden und ihm zur Bestätigung vorliegen. Ausgeschlossen ist dies jedoch nicht völlig14) und auch dieser Fall bedarf einer überzeugenden Lösung, zumal vom Gesetzgeber Plankonkurrenz ausdrücklich gewünscht ist. Allerdings stellt keiner der oben dargestellten Ansätze eine derartig überzeugende Lösung dar. Insbesondere ist es mit der Regelungssystematik der §§ 248 ff. InsO nicht zu vereinbaren, dass dem Insolvenzgericht ein Ermessen bei der Auswahl zwischen mehreren angenommenen Insolvenzplänen zukommt. Vielmehr hat das Insolvenzgericht jeden angenommenen Plan auch zu bestätigen, soweit kein Versagungsgrund nach den §§ 249, 250 InsO vorliegt.15) Gleichwohl besteht nicht die Gefahr, dass mehrere Pläne in Rechtskraft erwachsen. Denn 8 in dem Zeitpunkt, in dem der erste Insolvenzplan rechtskräftig wird, tritt verfahrensrechtlich eine Erledigung aller anderen Pläne ein.16) Es kommt mithin für den seltenen Fall der (fast) zeitgleichen Annahme konkurrierender Pläne darauf an, welchen das Ge___________ 10) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 174 f. 11) Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 155. 12) Ein diesbezüglicher Regelungsvorschlag wurde vor Inkrafttreten der InsO auf Empfehlung des Rechtsausschusses wieder gestrichen (vgl. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 21, sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 184). 13) So ebenfalls Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 119 ff.; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 15 f. 14) Dies wird durch ein Beispiel illustriert bei Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 194 f. 15) Ebenso Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 244 Rz. 33; Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 197; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 19. 16) Ebenso Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 201; Riggert, WM 1998, 1521, 1525; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 19.
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§ 42
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
richt zuerst bestätigt. Nach der hier vertretenden Auffassung sollte das Gericht dabei formal vorgehen und nach der zeitlichen Reihenfolge der angenommenen Pläne prüfen, ob die Voraussetzungen der gerichtlichen Bestätigung nach § 248 InsO erfüllt sind.17) 1.3
Anhörung der Beteiligten
9 Gemäß § 248 Abs. 2 InsO soll das Gericht vor der Entscheidung über die Planbestätigung den Schuldner und den Insolvenzverwalter anhören. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so ist dieser ebenfalls zu hören. Weder haben einzelne Gläubiger oder Gesellschafter noch weitere Beteiligte einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies gilt auch für den Betriebsrat, selbst wenn der Insolvenzplan eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflichtigkeit nach sich zieht.18) Sie müssen ggf. über einen der Anhörungsberechtigten Einfluss auf die gerichtliche Willensbildung nehmen. 10 Den Anhörungsberechtigten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wobei die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme genügt.19) 11 Es ist in aller Regel ausreichend, wenn die Anhörung i. R. des Abstimmungstermins stattfindet, nachdem die gruppenweise Abstimmung erfolgt ist. Einer zusätzlichen Anhörung bedarf es grundsätzlich nur dann, wenn das Gericht nach dem Abstimmungstermin von einer im Abstimmungstermin geäußerten Auffassung abweichen will oder aber, etwa zur Prüfung der Beachtlichkeit von Einwänden von einzelnen Gläubigern, Gesellschaftern oder vom Schuldner i. R. von § 245 oder § 247 InsO, ein Sachverständigengutachten einholt.20) Allerdings besteht keine gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens.21) 12 Da § 248 Abs. 2 InsO als Soll-Vorschrift formuliert ist, ist die Anhörung lediglich fakultativ, nicht obligatorisch. Dies ist auch folgerichtig, da eine Anhörung zum Plan bereits i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 232 InsO erfolgt. Aus diesem Grund zwingt auch das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zu keiner anderen Sichtweise.22) Das Gebot kann sich allerdings dann zu einer Anhörungspflicht verdichten, wenn Umstände hinzutreten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Vorprüfung noch nicht bekannt waren. Allerdings dürfte auch dann in aller Regel die unterlassene Anhörung nicht zur Aufhebung der Bestätigungsentscheidung führen, da es an der Kausalität des Gehörverstoßes fehlen wird.23) Keinesfalls stellt die unterlassene Anhörung einen Verstoß gemäß § 250 Nr. 1 InsO dar. Sie betrifft das Bestätigungsverfahren und gehört daher nicht zu den Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans oder Annahme durch die Gläubiger.24)
___________ 17) So auch Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 19. 18) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 8; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 10; a. A. Berscheid, ZInsO 1999, 27, 29; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 8. 19) Vgl. nur LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 582 = NZI 1999, 461. 20) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 12; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 8. 21) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 580 = NZI 1999, 461; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 12. 22) Anders jedoch Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 10, unter Hinweis auf die Interpretation der SollVorschrift des § 2360 Abs. 1 BGB als Ist-Vorschrift. Allerdings findet i. R. des Erbscheinverfahrens nach § 2360 BGB grundsätzlich nur eine Anhörung statt, die dann konsequenterweise auch obligatorisch sein sollte. 23) Vgl. dazu auch BGH v. 23.7.2004 – IX ZB 276/03, BeckRS 2004, 07656. 24) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577 = NZI 1999, 461; Sinz, in: MünchKommInsO, § 250 Rz. 32; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 12.
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§ 42
Planbestätigung 2.
Bestätigung einer Planberichtigung
2.1
Bevollmächtigung des Insolvenzverwalters im Insolvenzplan
In den § 221 Satz 2 und § 248a InsO hat der Gesetzgeber ein Nachbesserungsrecht für den 13 Insolvenzverwalter eingeführt, um in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht etwaige Unzulänglichkeiten im Insolvenzplan korrigieren zu können, ohne zuvor eine Gläubigerversammlung einberufen und ein erneutes Abstimmungsverfahren durchführen zu müssen. Nach der gesetzgeberischen Begründung soll dies die Umsetzung des von den Beteiligten beschlossenen Planinhalts ermöglichen, der u. U. Formfehler entgegenstehen, die eine Eintragung von im Insolvenzplan vorgesehenen, eintragungspflichtigen Umständen in das jeweilige Register verhindern.25) Damit der Insolvenzverwalter eine dem entsprechende Berichtigung des Insolvenzplans 14 vornehmen kann, muss er durch den Insolvenzplan bevollmächtigt worden sein, nicht nur die zur Umsetzung des Plans notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, sondern auch offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen (§ 221 Satz 2 InsO). Entsprechende Regelungen werden standardmäßig in Insolvenzpläne aufgenommen, so wie es auch in Notarverträgen üblich ist, die stets Durchführungs- und Vollzugsvollmachten an den Notar bzw. allgemeine Vollmachten an Notarangestellte enthalten, um ein erneutes Erscheinen der Beteiligten vor dem Notar entbehrlich zu machen.26) Gegen die Wirksamkeit derartiger Standardklauseln bestehen keine rechtlichen Bedenken.27) Eine über den Anwendungsbereich des § 221 Satz 2 InsO hinausgehende sog. salvatorische Klausel allerdings, nach der die Unwirksamkeit einer Bestimmung des Insolvenzplans nicht die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen berührt und stattdessen die unwirksame Bestimmung durch eine wirksame zu ersetzen ist, die inhaltlich dem Gewollten weitestgehend entspricht, hat der BGH als unzulässig erachtet.28) 2.2
Anhörung der Beteiligten
Gemäß § 248a Abs. 2 InsO soll das Gericht vor der Entscheidung über die Bestätigung der 15 Planberichtigung den Schuldner, den Insolvenzverwalter sowie den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, hören. Einzelne Gläubiger oder Gesellschafter sollen demgegenüber nur gehört werden, sofern ihre Rechte von der Planberichtigung betroffen sind. Sofern das Insolvenzgericht Beteiligte hört, ist ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu 16 geben, wobei ebenso wie i. R. der Anhörung für die Bestätigung eines Insolvenzplans die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme genügt. § 248a Abs. 2 InsO ist ebenso wie § 248 Abs. 2 InsO als Soll-Vorschrift formuliert; die 17 Anhörung ist demnach gleichermaßen fakultativ. Dies erklärt sich im Fall von § 248a Abs. 2 InsO nicht daraus, dass bereits i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 232 InsO eine Anhörung erfolgt ist, da der offensichtliche Fehler (bzw. die bisher nicht vorgesehene Umsetzungsmaßnahme) bisher im Insolvenzplan ja gerade nicht vorgesehen war. Allerdings dürfte es sich ganz überwiegend um solche Fehler handeln, die keine anderweitigen Rechte beeinträchtigen; in aller Regel wird es lediglich um Klarstellungen gehen. Eine Anhörung der Beteiligten wäre in diesem Fall eine unnötige Förmelei. Aber auch ansons___________ 25) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. § 221 Satz 2 und § 248a, BT-Drucks. 17/ 7511, S. 35. 26) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. § 221 Satz 2 und § 248a, BT-Drucks. 17/ 7511, S. 35. 27) Thies wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf, warum der Gesetzgeber die Berichtigungsmöglichkeit überhaupt an das Erfordernis einer Bevollmächtigung im Plan geknüpft hat, statt die Möglichkeit zur Berichtigung im Wege eines gesetzlichen Antragsverfahrens zu eröffnen (Thies, in: HambKommInsO, § 248a Rz. 1). 28) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1349, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt).
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§ 42
3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
ten dürfte in aller Regel die unterlassene Anhörung nicht zur Aufhebung der Entscheidung über die Planberichtigung führen, da es an der Kausalität des Gehörverstoßes fehlen wird. III.
Materieller Prüfungsumfang
1.
Grundsatz der vollständigen Überprüfung
18 Das Gericht hat den ihm vorgelegten Insolvenzplan grundsätzlich vollständig hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies gilt ungeachtet der bereits gemäß § 231 InsO erfolgten Vorprüfung, zumal das Gericht zu diesem Zeitpunkt weder die Beteiligten anzuhören hat, noch sonstige eigene Ermittlungen anstellen darf.29) Allerdings ist der Prüfungsumfang durch die §§ 249 – 251 InsO eingeschränkt: So ist zu prüfen, ob wesentliche Verfahrensmängel vorliegen (§ 250 Nr. 1 InsO), die Annahme des Plans nicht unlauter herbeigeführt worden ist (§ 250 Nr. 2 InsO), im Plan vorgesehene Bedingungen eingetreten sind (§ 249 InsO) oder ein begründeter Antrag auf Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO vorliegt.30) 19 Von der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Insolvenzplans zu unterscheiden ist jedoch eine Zweckmäßigkeitsprüfung, die das Gericht nicht vorzunehmen hat.31) Es entspricht vielmehr dem Grundsatz der Gläubigerautonomie, dass die wirtschaftlichen Entscheidungen den Beteiligten und dabei insbesondere den Gläubigern vorbehalten sind.32) 2.
Versagung von Amts wegen
20 Liegt ein Verstoß i. S. des § 249 oder § 250 InsO vor, hat das Gericht dem Insolvenzplan die Bestätigung zu versagen, ohne dass ihm insoweit ein Ermessensspielraum zustehen würde. 2.1
Wesentliche Mängel (§ 250 Nr. 1 InsO)
21 Den Maßstab für die Prüfung des Gerichts, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt, bildet § 250 Nr. 1 InsO. Diese Vorschrift dient der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, bei dem sich die Beteiligten darauf verlassen können, dass sie ihre Zustimmung zum Plan nicht unter falschen Voraussetzungen erteilt haben und die Gläubiger i. R. der Vorschriften der InsO gleich behandelt werden.33) Auch wenn § 250 InsO (zusammen mit § 249 InsO) eine abschließende Regelung der von Amts wegen zu berücksichtigenden Versagungsgründe darstellt, ist zu berücksichtigen, dass die Vorschrift keine detaillierte Aufzählung von einzelnen Gründen enthält. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Notwendigkeit der Wesentlichkeit eines Verfahrensverstoßes ein Korrektiv vorgesehen. Dabei ist in Übereinstimmung mit der Rechtslage schon nach der KO davon auszugehen, dass ein Verfahrensmangel schon dann wesentlich ist, wenn er Auswirkungen auf die Annahme des Plans gehabt haben könnte.34) Es muss nicht feststehen, sondern lediglich ernsthaft in Betracht kommen, dass der Mangel tatsächlich Einfluss auf die Annahme des Plans hatte.35) ___________ 29) Zum Verhältnis zu § 231 InsO eingehend Horstkotte, ZInsO 2014, 1297 ff.; s. außerdem sogleich Rz. 22 f. 30) Zum Minderheitenschutz s. unten § 43. 31) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 2; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 248 Rz. 2; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 14.19. 32) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 5. 33) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 250 Rz. 1; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 1. 34) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, 188, Rz. 11, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/ Körner); BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341; LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 5; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 250 Rz. 5; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 11; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 5. Eine modifizierende Auffassung findet sich bei Jaffé, der einen Verfahrensmangel dann als wesentlich erachtet, wenn er Auswirkungen auf das Zustandekommen des Plans hatte sowie wenn er die Abstimmung beeinflussen kann (Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 250 Rz. 5). 35) So jüngst BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 54, dazu EWiR 2018, 401 (Madaus).
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Planbestätigung 2.1.1 Verstoß gegen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans
Es dürfte in der Praxis nur selten vorkommen, dass das Insolvenzgericht einem Insolvenz- 22 plan wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften über den Inhalt (§ 250 Nr. 1 Alt. 1 InsO) die Bestätigung versagen muss. Denn zuvor hat das Gericht den Plan bereits einer Vorprüfung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO hinsichtlich seines Inhalts unterzogen.36) Der Anwendungsbereich von § 250 Nr. 1 Alt. 1 InsO dürfte daher in der Praxis auf die Fälle reduziert bleiben, in denen der Insolvenzplan zwischenzeitlich geändert wurde (§ 240 InsO) oder in denen sich i. R. der schriftlichen Stellungnahmen oder bei der Anhörung im Termin neue Erkenntnisse ergeben haben.37) Aber selbst wenn der Verstoß bereits bei der Vorprüfung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO 23 erkennbar war, hat das Insolvenzgericht den Insolvenzplan zurückzuweisen. Durch seine Zulassungsentscheidung gemäß § 231 InsO bindet sich das Insolvenzgericht nicht selbst.38) Das Insolvenzgericht hat mit anderen Worten sicherzustellen, dass der bestätigte Insolvenzplan keinen wesentlichen Inhaltsmangel aufweist. Ob es dazu den Insolvenzplan erneut einer vollständigen Prüfung unterzieht oder sich auf das Ergebnis der eigenen Vorprüfung nach § 231 InsO verlässt, muss dem Gericht überlassen bleiben.39) Beabsichtigt das Insolvenzgericht jedoch, einem Insolvenzplan die Bestätigung wegen eines wesentlichen Inhaltsmangels, der nicht erst durch eine Planänderung zustande gekommen ist, zu versagen, hat es jenen Beteiligten, die sich bislang aufgrund der Vorprüfung auf die inhaltliche Richtigkeit des Planentwurfs verlassen durften, Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen. Die für den Inhalt des Plans maßgeblichen Vorschriften finden sich in den §§ 219 – 230 24 InsO. Von diesen sind wiederum die Vorschriften bezüglich der Gruppenbildung (§ 222 InsO) und der Gleichbehandlung (§ 226 InsO) von besonderer Bedeutung. Verstöße gegen diese Vorschriften dürften eigentlich immer wesentlich i. S. von § 250 Nr. 1 Alt. 1 InsO sein und zur Versagung der Planbestätigung führen.40) Für Verstöße gegen die Gruppenbildung folgt dies schon daraus, dass die Abstimmung in Gruppen durchgeführt und damit selbst mangelbehaftet ist.41) Nur ganz ausnahmsweise liegt es auf der Hand, dass ein Verstoß gegen die Gruppenbildung von vornherein nicht geeignet ist, das Abstimmungsergebnis zu beeinflussen. In Bezug auf die Gruppenbildung erstreckt sich die Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts nicht nur darauf, ob die Pflichtgruppen im Insolvenzplan nach der unterschiedlichen Rechtsstellung der Gläubiger gebildet sind (§ 222 Abs. 1 InsO), sondern bei fakultativer Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO auch darauf, ob Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst und die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt sind. Aus dem Insolvenz___________ 36) Bei der Vorprüfung nach § 231 InsO handelt es sich nicht um eine bloße Evidenzkontrolle oder summarische Prüfung. Vielmehr hat das Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Gesichtspunkte zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind, vgl. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1347. 37) So auch Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 15; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 2. 38) Insbesondere unter Verweis auf die eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten i. R. der Vorprüfung BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, dazu EWiR 2017, 179 (Madaus); zuvor bereits LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337 – „jedenfalls“ bei neuem Parteivortrag; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 2; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 250 Rz. 5; Smid/Rattunde/ Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 14.54. 39) Im Ergebnis ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 2; Pleister, in: KPB, InsO, § 248 Rz. 4, § 250 Rz. 7; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 9; demgegenüber restriktiver Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 16. 40) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 6; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 10. 41) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, BGHZ 163, 344 = ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein); LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Sinz, in: MünchKommInsO, § 250 Rz. 10.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
plan muss sich ergeben, nach welchen Vorschriften die Gruppen gebildet wurden. Die Kriterien der Abgrenzung und maßgeblichen Erwägungen sind im Insolvenzplan zu erläutern. Es muss dargelegt werden, aufgrund welcher gleichartigen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen eine bestimmte Gruppe gebildet wurde und ob alle Beteiligten, deren wichtigste insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen übereinstimmen, derselben Gruppe zugeordnet wurden.42) 25 Auch im Übrigen müssen die Regelungen des Insolvenzplans im Einklang mit der Rechtslage stehen. So kann ein Insolvenzplan nur Regelungen über plandispositive Gegenstände enthalten. Von planfesten Vorschriften, nämlich solchen Regelungen, die auch im Falle einer Befriedigung der Gläubiger über einen Insolvenzplan zwingend einzuhalten sind, darf hingegen über den Insolvenzplan nicht abgewichen werden.43) So ist bspw. die Vergütung des Insolvenzverwalters einer Regelung im Insolvenzplan nicht zugänglich, so dass eine entsprechende Vereinbarung einen Verstoß gegen Vorschriften über den Inhalt begründet.44) Gleiches gilt, wenn der Insolvenzplan die Festsetzung einer Vergütung des Insolvenzverwalters in einer bestimmten Höhe als eine Planbedingung i. S. des § 249 Satz 1 InsO vorsieht.45) Da ein Insolvenzverwalter nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur einen bereits rechtshängigen Anfechtungsrechtsstreit fortsetzen, nicht aber einen neuen einleiten darf,46) zieht eine entsprechende Ermächtigung im Insolvenzplan die Fehlerhaftigkeit des Insolvenzplans nach sich.47) Gleichermaßen verstößt ein Insolvenzplan gegen § 217 Satz 1, § 221 Satz 1, § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO, soweit er einen anwaltlichen Treuhänder ermächtigt, nach Verfahrensaufhebung eine Masseforderung zum Zweck einer Nachtragsverteilung zugunsten der Gläubigergesamtheit einzuziehen.48) Auch darf der Insolvenzplan keine Präklusionsvorschriften vorsehen, durch welche die Insolvenzgläubiger, die sich am Insolvenzverfahren nicht beteiligt haben, mit ihren Forderungen i. H. der vorgesehenen Quote ausgeschlossen sind.49) Im Übrigen liegt die Einhaltung der sonstigen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans häufig der tatrichterlichen Beurteilung im Einzelfall. Dies gilt etwa für die i. R. des Insolvenzverfahrens vorzulegenden Übersichten und Prognoserechnungen. Insoweit kann es nicht auf die Form der Darstellung ankommen, soweit nur das Ergebnis erkennbar ist.50) Enthält die Vergleichsrechnung allerdings Mängel, die für die ___________ 42) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1347; AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, NZI 2016, 537 ff. = ZIP 2016, 1240, Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen dürfen nicht mehreren Untergruppen zugeordnet werden; zur Differenzierung nach der Forderungshöhe LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, NZI 2013, 646 f. = ZIP 2013, 1541, dazu EWiR 2013, 661 (Frind). 43) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 484 unter Verweis auf BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07 (Phoenix), ZIP 2009, 480, dazu EWiR 2009, 251 (Landry). 44) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 484. 45) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 487. 46) BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, 103, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner). 47) Jüngst BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 16. 48) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 21. Hinzu kommt, dass eine derartige Regelung zu einer unzulässigen Nachtragsverteilung führen würde. 49) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1348; BGH v 3.12.2015 – IX ZA 32/14, ZIP 2016, 85, dazu EWiR 2016, 277 (Bähr). Zur Abgrenzung unzulässiger materieller Ausschlussklauseln und zulässiger formeller Ausschlussklauseln, Brünkmans, ZInsO 2016, 245 ff.; Tresselt/Kamp, DZWIR 2017, 501 ff. Krit. zur gegenwärtigen Gesetzeslage Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/ Wierzbinski/Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2432. 50) So hat der BGH entschieden, dass schriftliche Ausführungen zur gemäß § 229 InsO beizufügenden Liquiditätsrechnung anstelle einer tabellarischen Durchführung grundsätzlich nicht geeignet sind, die Annahme des Plans zu beeinflussen (BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341). Nach AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZIP 2016, 85, dazu EWiR 2016, 277 (Bähr), ist überdies maßgebend, dass die vom Planverfasser vorgenommene Vergleichsbetrachtung im Ergebnis nachvollziehbar begründet ist.
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Planbestätigung
Gläubigerbefriedigung von Bedeutung sind, hat dies die Fehlerhaftigkeit des Insolvenzplans zur Folge.51) Demgegenüber gehört es von vornherein nicht zur Aufgabe des Gerichts, die Erfolgsaussichten des Insolvenzplans zu überprüfen. Zu beurteilen, ob der Plan zu einer nachhaltigen Sanierung der Schuldnerin führen wird oder ihm vielmehr eine Folgeinsolvenz der Schuldnerin immanent ist, obliegt den Gläubigern, die danach ihr Abstimmungsverhalten auszurichten haben.52) Schließlich lässt sich aus § 257 InsO ableiten, dass der Insolvenzplan in seinen inhaltlichen Regelungen so ausreichend bestimmt sein muss, dass er den betroffenen Gläubigern eine Vollstreckung aus diesem ermöglicht.53) Gerade Insolvenzpläne für Großunternehmen sehen häufig eine Befriedigung der Gläubiger aus künftigen Erträgen des Unternehmens vor. Solange die Bestimmbarkeit in diesen Fällen gewährleistet ist, ist den Anforderungen an die Vollstreckbarkeit hinreichend Genüge getan. Die Anforderungen an die Bestimmbarkeit sollten dabei nicht überspannt werden.54) Es muss genügen, dass sich der endgültige Zahlbetrag bei Eintritt bestimmter künftiger Ereignisse eindeutig ergibt.55) Entbehrt der Plan diesbezüglich jedoch der gebotenen Klarheit und Widerspruchsfreiheit, ist er auch deshalb zu beanstanden, weil den Gläubigern ein sachgerechtes Urteil über den Plan nicht möglich ist.56) 2.1.2 Verstoß gegen Verfahrensvorschriften Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans finden sich in § 218 26 sowie §§ 231 – 243 InsO. Bei den folgenden Vorschriften ist ein Verstoß entweder immer wesentlich i. S. von § 250 Nr. 1 Alt. 2 InsO oder aber zumindest denkbar:57) Recht zur Planvorlage (§ 218 InsO): Verstöße gegen die Planvorlageberechtigung gemäß 27 § 218 Abs. 1 und 2 InsO führen zwingend zu einer Versagung der Bestätigung des Plans,58) müssten jedoch bereits i. R. der Vorprüfung gemäß § 231 InsO gerügt worden sein. Demgegenüber dürfte die Sanktion eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten gemäß § 218 Abs. 3 InsO eine Frage des Einzelfalls sein.59) Dabei kann für die Zwecke dieser Prüfung offenbleiben, ob das Zurückweisungsrecht i. R. des Vorprüfungsverfahrens gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur die Planvorlageberechtigung oder auch die Mitwirkungspflichten umfasst. Denn spätestens mit der Einholung von Stellungnahmen gemäß § 232 InsO dürfte ___________ 51) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 35. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Plan waren etwa keine Rückstellungen für im Fall einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung wieder auflebende Forderungen gebildet. 52) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, BGHZ 163, 344, 351 = ZIP 2005, 1648; LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 338. 53) AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, 2082, dazu EWiR 2017, 23 (Körner/ Rendels); Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Plan die Fälligkeit der an die Gläubiger zu bewirkenden Quotenzahlungen an eine aufschiebende Bedingung knüpft, deren Eintreten unmöglich ist. S. dazu BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 41 ff., sowie in der Vorinstanz LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920, 1921. 54) Hierzu in Reaktion auf den Beschluss des AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, 2082 überzeugend Körner, EWiR 2017, 23 f.; Weber, ZInsO 2017, 255 ff. 55) Eine gesetzgeberische Klarstellung wäre wünschenswert, um eine Zurückweisung derartiger Pläne aus rein formalen Aspekten zu vermeiden, s. hierzu auch Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/ Wierzbinski/Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2431. 56) BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640; BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141, Rz. 37 ff. 57) Mehr oder weniger unkommentierte Aufzählungen finden sich bei Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 7; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 17 ff.; Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 58) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 19; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 7. 59) So auch Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 59; a. A. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 19; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 7; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 8.
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es zu einer Heilung von Mitwirkungspflichtverletzungen kommen.60) Etwas anderes dürfte demzufolge lediglich dann gelten, wenn trotz neuartiger Planelemente oder geänderter Tatsachengrundlagen keine weitere Konsultation durchgeführt worden ist.61) 28 Nichtangabe entscheidungserheblicher Umstände im darstellenden Teil des Plans (§ 220 Abs. 2 InsO): Die Nichtangabe einer Verurteilung des Schuldners wegen einer Insolvenzstraftat gemäß §§ 283 bis 283c StGB begründet nur dann einen Verfahrensverstoß in einem wesentlichen Punkt i. S. von § 250 Nr. 1 Alt. 2 InsO, wenn der Insolvenzplan vorsieht, dass der Schuldner selbst oder – in der Insolvenz einer juristischen Person – der betreffende organschaftliche Vertreter das Unternehmen fortführen soll.62) Ein Bestätigungshindernis kann weiter dann bestehen, wenn der Umfang der Haftungsmasse im Hinblick auf einzelne Massegegenstände, die im Verhältnis zur Größe des Verfahrens von Bedeutung sind, im darstellenden Teil des Plans derart unzureichend angegeben wird, dass den Gläubigern eine vergleichende Beurteilung ihrer aufgrund des Plans zu erwartenden Befriedigungsaussichten nicht möglich ist.63) 29 Zuleitung des Planentwurfs zur Stellungnahme (§ 232 InsO): Verstöße gegen § 232 InsO stellen grundsätzlich wesentliche Mängel dar.64) Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn alle in § 232 Abs. 1 InsO genannten Beteiligten den Insolvenzplan bereits anderweitig erhalten hatten, weil die unterlassene Zuleitung dann keinen Einfluss auf die Annahme des Plans haben konnte.65) Auch für den Fall, dass es sich beim Schuldner um eine Genossenschaft handelt, dürfte eine Verletzung von § 116 Nr. 4 GenG keinen Verstoß in einem wesentlichen Punkt darstellen, da die Anhörung des Prüfungsverbands lediglich dazu dient, dass sich das Gericht ein Bild darüber machen kann, ob nach Ansicht des Prüfungsverbands der Plan mit den Interessen der Genossen vereinbar ist.66) 30 Niederlegung des Insolvenzplans zwecks Einsichtnahme (§ 234 InsO): Ein Verstoß gegen § 234 InsO stellt dann ein Bestätigungshindernis dar, wenn die Niederlegung gänzlich unterblieben ist, der Niederlegungszeitraum unverhältnismäßig kurz war oder die Einsichtnahme zu Unrecht verweigert wurde (und nicht nachgeholt werden kann).67) War die Niederlegung unvollständig, hängt die Wesentlichkeit des Mangels davon ab, welche Unterlage nicht niedergelegt worden ist.68) 31 Öffentliche Bekanntmachung des und Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin(s) (§ 235 InsO): Sowohl das Unterlassen der öffentlichen Bekanntmachung des Termins (Abs. 2 Satz 1) als auch der fehlende Hinweis auf die Einsichtnahmemöglichkeit (Abs. 2 Satz 2) stellen ein Bestätigungshindernis dar.69) Entsprechendes gilt für das Un-
___________ 60) Zwar ist es zutreffend, wenn Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 59, darauf hinweist, dass § 218 Abs. 3 InsO einerseits und § 232 InsO andererseits einen unterschiedlichen Zweck verfolgen. Allerdings können die Betroffenen solche Bedenken, die i. R. der Konsultation gemäß § 218 Abs. 2 InsO hätten vorgetragen werden können, auch noch i. R. der Stellungnahme nach § 232 InsO vorbringen. 61) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 60. 62) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, 188, Rz. 11 ff., dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/ Körner). 63) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, 1502, Rz. 45, dazu EWiR 2010, 681 (M. Huber). 64) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 21; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 16; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 8; a. A. Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 9. 65) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 21; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 16. 66) Ebenso Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 21; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 17. 67) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 22; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 19. 68) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 22; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 19. 69) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 23.
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terlassen der besonderen Ladung (Abs. 2 Satz 1),70) sofern nicht der Mangel durch Erscheinen des nicht Geladenen geheilt worden ist.71) Nicht zur Versagung der Bestätigung führt es demgegenüber, wenn der Ladung ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans (Abs. 2 Satz 2) nicht beigefügt war, aber mit der öffentlichen Bekanntmachung auf die Niederlegung des Plans hingewiesen wurde.72) Änderung des Insolvenzplans (§ 240 InsO): Unzulässige und nicht behebbare Änderun- 32 gen des Plans stehen seiner Bestätigung entgegen.73) Anordnung eines bzw. Ladung zu einem gesonderten Abstimmungstermin(s) (§ 241 33 InsO): Sofern die Ladung zu einem gesonderten Abstimmungstermin unterbleibt, die Ladung ohne Hinweis auf Änderungen des Plans ergeht oder einem Gläubiger unberechtigterweise die Teilnahme versagt wird (Abs. 2), stellt dies ein Bestätigungshindernis dar.74) Allerdings ist eine Heilung insbesondere durch Teilnahme möglich. Demgegenüber stellen die „unberechtigte“ Anordnung eines gesonderten Abstimmungstermins sowie die „unberechtigte“ Vertagung des gesonderten Abstimmungstermins ebenso wenig einen Versagungsgrund dar wie die Nichteinhaltung der Terminierungsfrist (Abs. 1).75) Schriftliche Abstimmung (§ 242 InsO): Unterbleibt der Hinweis auf die Frist für die 34 Stimmabgabe (Abs. 2 Satz 2), stellt dies ein Bestätigungshindernis dar.76) Demgegenüber stellen weder die unterbliebene Übersendung des Stimmzettels noch die unterlassene Mitteilung des Stimmrechts (Abs. 2 Satz 1) einen Versagungsgrund dar. Während es im zuerst genannten Fall bereits am Merkmal der Wesentlichkeit fehlt, folgt das Ergebnis im zweiten Fall daraus, dass schon die unzutreffende Stimmrechtsfestsetzung keinen Versagungsgrund i. S. von § 250 Nr. 1 InsO darstellt.77) Abstimmung in Gruppen (§ 243 InsO): Wird entgegen § 243 InsO eine Gesamtabstim- 35 mung vorgenommen, muss die Bestätigung versagt werden.78) Während bei den vorstehenden Vorschriften – vorbehaltlich der ausdrücklich genannten 36 Ausnahmen – davon auszugehen ist, dass ein Verstoß das Merkmal der Wesentlichkeit erfüllt, ist dies bei Verstößen gegen die nachfolgenden Verfahrensvorschriften nur dann der Fall, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich die Einhaltung der Verfahrensregel auf die Abstimmung über den Insolvenzplan ausgewirkt hätte. Dazu gehören die folgenden Vorschriften: Anordnung der Aussetzung von Verwertung und Verteilung (§ 233 InsO): Insoweit 37 handelt es sich schon nicht um eine Verfahrensvorschrift, sondern um ein Sicherungsmittel, das dazu dient, die Möglichkeit der Durchführung eines Plans aufrechtzuerhalten. Ein Verstoß stellt daher kein Bestätigungshindernis dar.79) ___________ 70) Der nicht geladene Gläubiger kann gegen die Bestätigung des Insolvenzplans sofortige Beschwerde einlegen, BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 29/10, ZIP 2011, 781. 71) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 250 Rz. 8; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 23. 72) LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719 f.; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 23. Entsprechendes gilt, wenn die Zusammenfassung für den Empfänger mühelos erkennbar unvollständig war; s. dazu OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2000, 1303 = NZI 2000, 436 f. 73) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 24; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 23; Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 74) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 25; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 24; Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 75) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 25; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 24. 76) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 26; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 25. 77) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 26. 78) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 27; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 26. 79) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 29; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 18.
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38 Chronologie von Erörterungs- und Abstimmungstermin sowie Prüfungstermin (§ 236 InsO): Das Verbot, den Erörterungs- und Abstimmungstermin vor dem Prüfungstermin stattfinden zu lassen, dient einerseits der Erleichterung der Stimmrechtsfeststellung und andererseits dazu, den Gläubigern eine gewisse Vorkenntnis über Umfang und Inhaberschaft an den angemeldeten Forderungen zu verschaffen.80) Dem Prüfungstermin kommt daher vorbereitender Charakter zu. Allein ein Verstoß gegen § 236 InsO begründet deshalb noch kein Bestätigungshindernis, sondern allenfalls ein hierauf beruhender Mangel des nachfolgenden Erörterungs- und Abstimmungstermins, wie etwa eine unzutreffende Stimmrechtsfeststellung.81) 39 Stimmrechtsfestsetzung (§ 237 bis § 238a InsO): Mit dem Inkrafttreten des ESUG wurde die funktionelle Zuständigkeit für das gesamte Insolvenzplanverfahren auf den Richter konzentriert (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG); siehe dazu auch unten Rz. 65. Die Stimmrechtsfestsetzung im Insolvenzplanverfahren erfolgt seither nicht länger durch den Rechtspfleger (§ 18 Abs. 3 Satz 1 RPflG a. F.), sondern wird von dem Richter vorgenommen. Die zuvor im Falle einer fehlerhaften Stimmrechtsfestsetzung greifenden speziellen Rechtsbehelfe nach § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG a. F. finden vor diesem Hintergrund nicht länger Anwendung. Gegen die nunmehr vom Richter vorzunehmende Entscheidung über die Stimmrechtsfestsetzung kann nicht vorgegangen werden. Die richterliche Entscheidung ist unanfechtbar, da die InsO die sofortige Beschwerde hiergegen nicht vorsieht, § 6 Abs. 1 InsO.82) Als unselbstständige Zwischenentscheidung unterliegt die Stimmrechtsfeststellung auch nicht der Nachprüfung im Verfahren über die Planbestätigung nach § 250 InsO.83) Das Gericht kann seine Entscheidung allerdings auf Antrag, der nur bis zum Schluss des betreffenden Abstimmungstermins gestellt werden kann, ändern, vgl. § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO.84) 40 Auch allein vom Gericht verursachte Verfahrensmängel (z. B. versäumte Ladungen, fehlerhafte Übermittlung des Planinhalts, Fristversäumnisse etc.) stellen einen Versagungsgrund gemäß § 250 Nr. 1 InsO dar.85) Allerdings ist das Gericht berechtigt, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage einen erneuten Abstimmungstermin anzuberaumen.86) Zwar wurde das Fehlen einer derartigen Ermächtigungsgrundlage bereits unter Geltung der KO kritisiert und wurde diese Kritik vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen; allerdings ist nicht erkennbar, warum das Gericht den selbst verursachten Verfahrensmangel nicht beheben können sollte, insbesondere sofern nicht ein früherer Verfahrensabschnitt in Gänze wiederholt werden muss.87) 2.1.3 Verstöße gegen die Vorschriften über die Annahme durch die Beteiligten 41 Vorschriften über die Annahme des Plans durch die Beteiligten sind die §§ 244 – 246 InsO. Verstöße gegen die Mehrheitserfordernisse und die Fiktion der Zustimmung sind immer ___________ 80) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 236 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 236 Rz. 2. 81) Im Ergebnis ebenso Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 30; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 21; a. A. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 7; Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 82) Hintzen, in: MünchKomm-InsO, § 238 Rz. 26; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 4; BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428 = NJW-RR 2009, 277. Zwischen Stimmrechtsfestsetzung und Stimmabgabe diff. Weßling, ZInsO 2017, 1595 ff.; a. A. noch in der 2. Aufl. sowie Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 5; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 17.8 und 17.12. 83) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 10; BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428, 2429 = NJW-RR 2009, 277. 84) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 10. 85) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 7; offenlassend Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 33. 86) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 3. 87) Letztlich ebenso Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 35.
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wesentlich i. S. des § 250 Nr. 1 Alt. 3 InsO. Allerdings materialisiert sich ein Verstoß gegen die in diesen Vorschriften enthaltenen Fiktionen gerade erst in der unzutreffenden Entscheidung des Gerichts über den Plan. Der Verstoß gegen die §§ 245 und 246 InsO liegt mithin gerade in der Entscheidung des Gerichts über die Bestätigung des Plans. Gleichwohl bedarf es der Erwähnung der Vorschriften über die Annahme des Plans in § 250 Nr. 1 InsO, weil diese Vorschrift u. a. den Maßstab für die sofortige (weitere) Beschwerde gemäß § 253 InsO darstellt.88) 2.1.4 Verstoß gegen die Vorschriften über die Zustimmung des Schuldners Auch für die Zustimmung des Schuldners gilt, dass deren Fiktion (§ 247 Abs. 1 InsO) bzw. 42 die Unbeachtlichkeit seines Widerspruchs gegen den Plan (§ 247 Abs. 2 InsO) sich gerade erst in der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestätigung des Insolvenzplans materialisiert. Der Regelung in § 250 Nr. 1 Alt. 4 InsO kann daher, abgesehen von dem offensichtlichen Fall, dass die Zustimmung des Schuldners gar nicht eingeholt wurde, erst im Rechtsmittelverfahren nach § 253 InsO Bedeutung zukommen. 2.1.5 Behebbarkeit des Mangels Die Bestätigung ist lediglich dann zu versagen, wenn der Mangel nicht behoben werden 43 kann. Ein Mangel ist dann nicht behebbar, wenn eine Nachholung bis zur Verkündung des Bestätigungsbeschlusses nicht möglich ist. Dies wiederum ist dann der Fall, wenn die Nachholung nur dadurch möglich ist, dass ein ganzer Verfahrensabschnitt wiederholt werden müsste.89) Da § 250 InsO den Maßstab für die Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestätigung des Insolvenzplans bildet, dürfte die Bestätigung nur dann möglich sein, wenn entweder ausgeschlossen werden kann, dass sich der Mangel auf die Entscheidungsfindung ausgewirkt hat, oder wenn die unterlassene Handlung nachgeholt und anschließend erneut in einen Erörterungs- und/oder Abstimmungstermin eingetreten wird.90) Stellt das Gericht demgegenüber den Mangel bereits vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin fest, wäre die Behebung grundsätzlich durch Nachholung der unterlassenen oder Wiederholung der unzulänglich durchgeführten Handlung möglich. 2.2
Unlautere Herbeiführung der Annahme des Plans (§ 250 Nr. 2 InsO)
Nach § 250 Nr. 2 InsO ist die Bestätigung des Insolvenzplans auch dann zu versagen, wenn 44 die Annahme des Plans unlauter, insbesondere durch Begünstigung eines Beteiligten, herbeigeführt worden ist. Dabei gilt ein Verhalten dann als unlauter, wenn es gegen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt. 2.2.1 Unlautere Maßnahme In der Sache dürfte es bei der unlauteren Herbeiführung der Annahme eines Insolvenz- 45 plans fast ausschließlich um eine Manipulation der Abstimmungsmehrheit gehen. Als Beispielsfall führt das Gesetz die Begünstigung eines Beteiligten auf. Die Manipulation ist in unterschiedlicher Weise denkbar; immer wieder genannt werden der Stimmenkauf oder sonstige einseitig bevorzugende Nebenabreden, die Erlangung der Zustimmung durch Täuschung oder Drohung i. S. von § 123 Abs. 1 BGB, die manipulative Aufteilung einer Forde___________ 88) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 10; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 36; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 27. 89) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 4; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 250 Rz. 5; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 39 f.; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 9. 90) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 39 f.
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rung auf mehrere Gläubiger, um innerhalb einer Gruppe die für die Annahme erforderliche Kopfmehrheit nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu erreichen,91) die Anerkennung erdichteter Forderungen sowie die Verheimlichung von Vermögenswerten.92) 46 Kontrovers wird demgegenüber der Forderungskauf beurteilt. Diskutiert wird, in welchem Umfang ein derartiges Geschäft offengelegt werden muss und ob auch das Tätigwerden von Dritten zu sanktionieren ist. Allerdings hat sich der BGH in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 2005 sehr klar geäußert.93) Darin haben die Richter entschieden, dass jeder Forderungskauf zu einem höheren Preis als der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote, um mit der so erlangten Abstimmungsmehrheit die Annahme des Insolvenzplans zu bewirken, als unlautere Handlung anzusehen ist. Diese Einschätzung soll unabhängig davon gelten, ob der Forderungskauf heimlich oder offen durchgeführt wird. Nur wenn die Begünstigung im Insolvenzplan offen ausgewiesen wird, gilt der Forderungskauf nicht als unlauter, weil die Gläubiger dann eine bewusste Entscheidung in Kenntnis der Begünstigung treffen können.94) 47 Nach einer weniger weitgehenden Auffassung ist der Forderungskauf schon dann nicht mehr unlauter, wenn er „offen“ erfolgt.95) Zur Begründung wird angeführt, dass Forderungen grundsätzlich verkäuflich seien und die Motive der Vertragsparteien durch das Ziel, dem Insolvenzplan zur Mehrheit zu verhelfen, nicht unlauter werden. Unlauter sei nur der Eindruck für die übrigen Gläubiger, die Erwerber würden gleich behandelt bzw. ihre Rechtsvorgänger würden wie sie behandelt. Geschuldet sei daher „Offenheit“, mehr nicht. 48 Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass der Forderungskauf dann nicht unlauter sei, wenn er nicht durch die Schuldnerin oder den Insolvenzverwalter erfolgt bzw. diesen zuzurechnen ist. Wenn also Dritte im eigenen Interesse und auf eigene Rechnung die Forderung eines Gläubigers erwerben würden, bestehe – so diese Auffassung – kein Bedürfnis für eine Sanktion, da der bisherige Gläubiger ausscheide und der neue Gläubiger sich dem Vergleichsvorschlag wie alle übrigen Gläubiger unterwerfe.96) 49 In der Sache überzeugt die zuletzt genannte Auffassung. Denn wenn der dem Insolvenzplan zustimmende Zessionar nicht mehr bekommt, als der Zedent erhalten hätte, dann wird dadurch kein anderer Gläubiger geschädigt.97) Einen – freiwilligen – Schaden erleidet vielmehr der Zessionar, der einen über der Insolvenzquote liegenden Kaufpreis zahlt. Zu konzedieren ist jedoch, dass der systematische Zusammenhang von § 250 Nr. 2 InsO mit § 226 Abs. 3 InsO die Auffassung des BGH zu stützen scheint, denn nach dieser Vorschrift soll jedes Abkommen des Insolvenzverwalters, des Schuldners, aber eben auch anderer Personen mit einzelnen Beteiligten, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, nichtig sein. Zwar verlangt § 226 Abs. 3 InsO in subjektiver ___________ 91) Unlauterkeit insoweit abl. Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 12. 92) Vgl. nur Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 48 f.; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 30; zum Verheimlichen von Vermögenswerten zuletzt LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/14, NZI 2016, 494, 495 f. 93) BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283 = ZIP 2005, 719 (m. zust. Anm. Bähr/Landry, EWiR 2005, 547). 94) Ebenso Mohrbutter, WuB 2005, 637 f.; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 51 f.; Smid, DZWIR 2005, 234; nicht eindeutig Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 30. 95) Bähr, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 14 Rz. 247; Braun, in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 250 Rz. 13; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 250 Rz. 15. 96) Ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 13; Krebs, NJW 1951, 788, 789; Künne, DB 1978, 729, 730. 97) So auch Künne, DB 1978, 729, 730.
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Hinsicht die Absicht der Beteiligten, gerade die Bevorzugung zu erreichen,98) was durchaus nicht selbstverständlich ist, da die Absicht jedenfalls des Zessionars auf das Zustandekommen des Insolvenzplans gerichtet ist. Allerdings schließt § 226 Abs. 3 InsO eben auch ausdrücklich Vereinbarungen mit anderen Personen als dem Insolvenzverwalter oder dem Schuldner in den Sanktionsbereich mit ein. Ohnehin hat sich die Praxis in Anbetracht der unmissverständlichen Entscheidung des BGH daran zu orientieren, dass der Forderungskauf zu einem höheren Preis als der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote als unlautere Handlung i. S. des § 250 Nr. 2 InsO anzusehen ist, es sei denn, die Begünstigung ist im Insolvenzplan offen ausgewiesen. Diesen Ausweis zu verlangen, erscheint auch konsequent, fällt es doch schwer zu entscheiden, wann ein Forderungskauf als „offen“ i. S. der zuvor beschriebenen Auffassung gelten kann.99) 2.2.2 Handelnde Personen Nach h. A. soll nicht nur das unlautere Handeln von Insolvenzverwalter oder Schuldner 50 sanktionsbewährt sein, sondern auch das Handeln von Dritten.100) Das überzeugt jedenfalls, soweit es um manipulative Maßnahmen wie Täuschung, Drohung oder Forderungsaufteilung geht. Etwas anderes gilt – wie soeben dargelegt – nach der hier vertretenen Auffassung im Hinblick auf den Forderungskauf durch einen Dritten.101) Allerdings steht dem die Rechtsprechung des BGH entgegen.102) Gleichzeitig bedarf es nicht des Handelns einer Personenmehrheit; schon das Handeln einzelner Beteiligter in unlauterer Weise, das weder dem Insolvenzverwalter noch der Schuldnerin zugerechnet werden kann, soll danach zur Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans führen. Entsprechendes gilt für Personenmehrheiten auf Gesellschafterseite (OHG-Gesellschafter, Erbengemeinschaft, BGBGesellschafter etc.). Nach alledem kommt § 250 Nr. 2 InsO ein gewisser Strafcharakter zu.103) 2.2.3 Kausalität Das unlautere Verhalten muss für die Annahme des Insolvenzplans kausal sein. Eine Ver- 51 sagung kommt nur dann in Betracht, wenn die Kausalität des unlauteren Verhaltens für die Annahme des Plans zur Gewissheit des Insolvenzgerichts feststeht. Nur der Verdacht oder die abstrakte Möglichkeit unlauteren Herbeiführens des Insolvenzplans rechtfertigen die Versagung seiner Bestätigung nicht.104) Beim unlauteren Forderungskauf soll es nach dem BGH an der Kausalität fehlen, sofern der Insolvenzplan auch dann angenommen worden wäre, wenn die auf dem unlauteren Forderungskauf beruhenden Stimmen nicht abgegeben worden wären.105) Vor dem Hintergrund, dass die Annahme des Insolvenzplans gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger erfordert, ___________ 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104)
105)
Vgl. nur Breuer, in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 19. Auf diese Schwierigkeit weist auch Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 250 Rz. 15, hin. Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 250 Rz. 13; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 54. So auch Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 13; Krebs, NJW 1951, 788, 789; Künne, DB 1978, 729, 730. Vgl. nur BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283 = ZIP 2005, 719. So auch Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 54, 30; a. A. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 13. LG Berlin v. 8.2.2005 – 86 T 5/05, ZInsO 2005, 609, 612, dazu EWiR 2005, 575 (Bähr/Landry); AG Duisburg v. 14.11.2001 – 60 IN 107/00, NZI 2002, 502, 503; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 11; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 60; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 31; a. A. Thies, in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 12. BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283 = ZIP 2005, 719, 722.
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sollen die Stimmen nach anderer Ansicht als Nein-Stimmen zu werten sein.106) Im Ergebnis dürfte danach zu unterscheiden sein, ob sich der Zedent an der Abstimmung über den Insolvenzplan beteiligt hätte und wie er ggf. abgestimmt hätte. Jedenfalls fehlt es an der Kausalität, wenn der Zedent selbst für den Insolvenzplan gestimmt hätte, wäre es nicht zuvor zum Forderungsverkauf gekommen. Darüber hinaus dürfte es auch dann an der Kausalität fehlen, wenn die fehlende Zustimmung innerhalb einer Abstimmungsgruppe durch das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO überwunden worden wäre.107) 2.3
Nichteintritt von Bedingungen
52 In § 249 Satz 1 InsO wird festgestellt, dass ein bedingter Plan nur dann bestätigt werden kann, wenn die Bedingung erfüllt ist. Planbedingung können somit nur solche Umstände sein, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten können.108) Die Vorschrift stellt zunächst eine verfahrensrechtliche Regelung dar. Allerdings kommt ihr auch erhebliche materiell-rechtliche Bedeutung zu, denn erst aus ihr ergibt sich, dass ein Insolvenzplan überhaupt von dem Eintritt von Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Bis zum Inkrafttreten des ESUG hatte die große praktische Bedeutung der Vorschrift auf der Hand gelegen, da insbesondere alle zur Umsetzung des Insolvenzplans notwendigen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen außerhalb des Insolvenzplans und damit grundsätzlich freiwillig zu ergreifen waren. Genannt seien in diesem Zusammenhang lediglich der zur Fortführung der mit Insolvenzeröffnung aufgelösten Schuldnergesellschaft notwendige Fortsetzungsbeschluss der Gesellschafter sowie die Umsetzung von Kapitalmaßnahmen.109) Gleichwohl hat § 249 InsO bisher eher ein Schattendasein geführt,110) was nicht zuletzt an der relativ geringen Zahl von umgesetzten Insolvenzplänen gelegen hat. 53 Seit Inkrafttreten des ESUG, das die Einbeziehung der Gesellschafter in den Insolvenzplan ermöglicht, verliert § 249 InsO an Bedeutung. Allerdings ist die Regelung immer noch für all jene Fälle notwendig, in denen der Insolvenzplan von Leistungen oder anderen Maßnahmen durch Dritte abhängig gemacht werden soll. Der Gesetzgeber hatte insoweit beispielhaft die Bestellung eines neuen Pfandrechts als Bedingung für die Aufgabe eines alten genannt.111) Nicht selten wird der Dritte seine Leistung nicht vor der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans oder der Aufhebung des Verfahrens erbringen wollen. In diesem Fall kann eine Verpflichtungserklärung des Dritten gemäß § 230 Abs. 3 InsO dem Plan beigefügt werden, aus der die Gläubiger nach rechtskräftiger Planbestätigung gemäß § 257 Abs. 2 InsO die Zwangsvollstreckung gegen den Dritten betreiben können.112) Ein Zusammenwirken von § 249 und § 230 Abs. 3 InsO ist insoweit denkbar, als die Bestätigungsvoraussetzung i. S. von § 249 InsO auf die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung des Dritten gemäß § 230 Abs. 3 InsO lautet, mit der dieser eine Leistung für den Fall der rechtskräftigen Planbestätigung zusagt.113)
___________ 106) Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 16. 107) Überzeugend Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 16. 108) Vgl. BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 487, wonach die Festsetzung einer Vergütung des Insolvenzverwalters in einer bestimmten Höhe keine zulässige Planbedingung i. S. des § 249 Satz 1 InsO darstellt, da die Festsetzung regelmäßig erst nach Verfahrensbeendigung erfolgen kann. 109) Vgl. auch Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 249 Rz. 2. 110) A. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 2. 111) Begr. RegE, abgedr. in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 488. 112) Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 72 f.; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 257 Rz. 8. 113) Vgl. Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 73; Thies, in: HambKomm-InsO, § 230 Rz. 10.
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Planbestätigung
Das Gesetz unterscheidet in § 249 InsO zwischen der Erbringung bestimmter Leistungen 54 einerseits und der Verwirklichung anderer Maßnahmen andererseits als mögliche Bedingungen, ohne dass jedoch eine trennscharfe Abgrenzung möglich und nötig wäre. 2.3.1 Erbringung bestimmter Leistungen Die erste Alternative in § 249 Satz 1 InsO zielt auf wirtschaftlich definierbare Leistungen 55 durch Dritte. Dabei stehen die folgenden Themen im Vordergrund: Zunächst bedarf es der Sicherstellung der Finanzierung des Schuldners über das Insolvenzplanverfahren hinaus. Dabei wird es weniger um die Verlängerung einer bestehenden Finanzierung gehen als um die Bereitstellung neuer Kredite. Im Zweifel wird der neue Kreditgeber jedoch vor Bestätigung des Insolvenzplans lediglich einen Kreditvertrag abschließen und die Ziehung – neben anderen Voraussetzungen – davon abhängig machen, dass der Insolvenzplan bestätigt und das Insolvenzverfahren aufgehoben worden ist.114) Kreditgeber werden zur Finanzierung einer Gesellschaft, die vor Abschluss eines Insolvenz- 56 planverfahrens steht, typischerweise nur unter der Voraussetzung bereit sein, dass eine adäquate Besicherung stattfindet. Neben der Bestellung von Sicherheiten durch den Schuldner selbst kommt die Bestellung von Sicherheiten durch Dritte, in Konzernsachverhalten insbesondere durch andere Konzerngesellschaften, in Betracht. Ebenfalls in Konzernsachverhalten kann es notwendig werden, dass andere Konzernge- 57 sellschaften, die von der Insolvenz nicht betroffen sind, jedoch Verbindlichkeiten des Schuldners besichert hatten, von diesen Verpflichtungen befreit werden, nicht zuletzt um mit ihrem Vermögen neue Kredite zu besichern. Zwar enthalten syndizierte Kreditverträge häufig Regelungen, wonach derartige Sicherungsrechte oder gar Mitverpflichtungen von anderen Konzerngesellschaften freigegeben werden können. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel, so dass es notwendig sein kann, die Bestätigung des Insolvenzplans von der Freigabe von Sicherungsrechten abhängig zu machen. Gerade wenn die Insolvenzquote erst aus zukünftigen Erträgen der Schuldnerin nach Be- 58 endigung des Insolvenzplanverfahrens generiert werden soll, werden die Insolvenzgläubiger ein Interesse daran haben, dass eine ertragsorientierte Fortführung des Unternehmens jedenfalls für einen überschaubaren Zeitraum gewährleistet ist. Denkbar ist es demnach, dass der Insolvenzplan von dem Abschluss etwa von Lieferanten- oder Kundenvereinbarungen zu bestimmten Konditionen abhängig gemacht wird.115) Im Übrigen kann jede zivilrechtlich denkbare Leistung vereinbart werden, solange sie hinsichtlich Umfang, Dauer und Kreis der Verpflichteten hinreichend bestimmt ist.116) 2.3.2 Verwirklichung anderer Maßnahmen Sofern eine Bedingung nicht in einer wirtschaftlich definierten Leistung besteht, kann die 59 Bestätigung des Insolvenzplans trotzdem von ihrem Eintritt abhängig gemacht werden, sofern sie unter den generellen Begriff einer „anderen Maßnahme“ fällt. Bis zum Inkrafttreten des ESUG sind hierunter insbesondere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen gefallen, die Mitwirkungshandlungen des Schuldners oder der an ihm beteiligten Gesellschafter erforderlich machen. In diesem Zusammenhang sind die Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen aller Art, insbesondere die Kapitalaufstockung bzw. -herabsetzung, die Neubesetzung von Gremien, die Änderung der Gesellschafterverträge bzw. der Satzung etc. genannt worden. Da nunmehr jedoch die Gesellschafter in den Insolvenzplan einbezogen ___________ 114) S. zur Bereitstellung neuer Kredite ebenfalls Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 9. 115) Ebenso Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10. 116) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
werden können, hat sich die praktische Bedeutung dieser Alternative erheblich verringert. Gleichwohl sind nach wie vor alle Maßnahmen denkbar, die nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zulässig und bestimmt genug sind. 2.3.3 Art der Bedingung 60 Insolvenzpläne können sowohl unter einer aufschiebenden als auch unter einer auflösenden Bedingung geschlossen werden.117) Dies legt schon die Formulierung in § 255 InsO nahe und aus § 249 InsO ergibt sich keine Begrenzung auf aufschiebende Bedingungen. 61 Die Formulierung in § 249 Satz 1 InsO, wonach „diese Voraussetzungen erfüllt“ sein müssen, spricht dafür, dass die jeweilige Bedingung bei Bestätigung des Insolvenzplans auch bereits eingetreten sein muss.118) Durchgreifende Bedenken hiergegen sind nicht erkennbar. Zwar war es für die Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG richtig, dass die Fortsetzung einer durch Insolvenzeröffnung aufgelösten Gesellschaft gesellschaftsrechtlich zunächst die Beseitigung des Auflösungsgrunds voraussetzte. In der Vergangenheit wurde diese Problematik dadurch gelöst, dass die Gesellschafter den Fortführungsbeschluss nach Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger, aber vor Bestätigung des Insolvenzplans durch das Gericht und hierdurch aufschiebend bedingt fassen konnten.119) Der gesellschaftsrechtlich notwendige Fortsetzungsbeschluss wurde damit zwar erst nach Bestätigung des Insolvenzplans wirksam. Insolvenzrechtlich aber wurden mit dem aufschiebend bedingt gefassten Beschluss die „Voraussetzungen“ i. S. von § 249 Satz 1 InsO „erfüllt“.120) Seit Inkrafttreten des ESUG können gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, insbesondere die gesellschaftsrechtliche Beschlussfassung über die Fortsetzung der Gesellschaft, Bestandteil des Insolvenzplans sein (§ 225a InsO).121) Einer Verknüpfung der gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung über die Fortsetzung der Gesellschaft mit dem Insolvenzplan über § 249 Satz 1 InsO bedarf es damit nicht länger.122) 2.3.4 Gerichtliche Fristsetzung 62 Das Insolvenzgericht ist gemäß § 249 Satz 2 InsO verpflichtet, für die Erfüllung der Bestätigungsvoraussetzungen eine Frist zu setzen. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob bereits in dem Insolvenzplan eine Frist vorgesehen ist, wozu tatsächlich stets zu raten ist. In jedem Fall bedarf es einer eigens vom Insolvenzgericht gesetzten Frist. 63 Bei der Bemessung der Frist ist zu berücksichtigen, welche Bedingungen konkret vorgesehen sind und in welcher Zeit realistischerweise mit ihrer Umsetzung gerechnet werden kann. Da § 249 Satz 2 InsO jedoch dazu dient, eine längere Ungewissheit über die Bestätigung des Plans zu vermeiden, darf es keinesfalls zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens kommen. Eine Fristdauer von mehr als vier Wochen dürfte dabei bestenfalls in Ausnahmesituationen zugestanden werden und mit den Besonderheiten der jeweiligen Bedingung zusammenhängen.123) Als Maßstab kann insoweit auch § 252 Abs. 1 InsO herangezogen werden, der von einem „alsbald“ zu bestimmenden besonderen Termin zur Verkündung spricht.124) Sinnvollerweise setzt das Insolvenzgericht bereits im Abstimmungs___________ 117) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 2; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 4. 118) In diese Richtung BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 487. 119) Ebenso Bähr, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 14 Rz. 239; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 13 ff.; a. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 5 ff. 120) A. A. Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 5 ff. 121) Zum Fortsetzungsbeschluss Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 40. 122) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 3. 123) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 249 Rz. 5; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 249 Rz. 6. 124) Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 249 Rz. 6; Thies, in: HambKomm-InsO, § 249 Rz. 6.
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Planbestätigung
termin die Nachfrist fest und beraumt den Termin zur Verkündung einer Entscheidung an. Auch wenn hierauf kein Anspruch besteht, sollte es in Ausnahmefällen möglich sein, dass 64 die Nachfrist durch das Insolvenzgericht verlängert wird. Allerdings bedarf es für diesen Fall einer positiven Prognose dafür, dass es kurzfristig zum Bedingungseintritt kommt.125) Dementsprechend sollte auch eine Vertagung des Verkündungstermins möglich sein, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird und die Beteiligten einverstanden sind.126) Tritt zumindest eine der notwendigen Bedingungen auch nach Verstreichen der Frist nicht ein, so ist die Bestätigung des Insolvenzplans von Amts wegen zu versagen. 2.3.5 Rechtsmittel Seit Inkrafttreten des ESUG liegt die Zuständigkeit für die Nachfristsetzung gemäß § 18 65 Abs. 1 Nr. 2 RPflG beim Richter, so dass auch eine unter der alten Rechtslage noch zulässige Erinnerung gegen eine Nachfristentscheidung des Rechtspflegers gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG127) nicht mehr in Betracht kommt.128) Gegen die Planversagung ist jedoch gemäß § 253 InsO die sofortige Beschwerde statthaft. Allerdings dürfte es kaum ernsthaft Streit darüber geben, ob die Bedingung tatsächlich eingetreten ist oder nicht. Denkbar ist jedoch der Vorwurf, das Gericht habe durch Nichtsetzen oder zu kurze Bemessung einer Nachfrist den Eintritt der Bedingung vereitelt.129) 3.
Versagung auf Antrag eines Beteiligten
Während Verstöße i. S. der §§ 249 und 250 InsO zu einer Versagung der Planbestätigung 66 von Amts wegen führen, ist die Planbestätigung wegen einer Verletzung des Minderheitenschutzes (§ 251 InsO) sowie die Bestätigung einer Planberichtigung (§ 248a InsO) nur auf Antrag eines nachteilig betroffenen Beteiligten zu versagen (siehe dazu unten § 43). IV.
Gerichtliche Entscheidung
1.
Zuständigkeit
Nachdem in der Vergangenheit der Rechtspfleger die sog. Regelzuständigkeit für das In- 67 solvenzverfahren nach Entscheidung über dessen Eröffnung hatte, bleibt nach der Neufassung von § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG im Zuge des ESUG der Richter für das Insolvenzplanverfahren funktionell zuständig. Diese Neuregelung wurde mit der wirtschaftlichen Bedeutung und den rechtlichen Implikationen des „neu gestalteten“ Insolvenzplanverfahrens begründet. Daran ist richtig, dass das Insolvenzplanverfahren mit der Einbeziehung der Anteilseigner noch einmal an Komplexität gewonnen hat. Allerdings wäre auch schon bisher eine funktionelle Zuständigkeit der Richter angemessen gewesen. 2.
Gebundene Entscheidung
Wenn alle für das Planverfahren maßgeblichen formellen und materiellen Vorschriften be- 68 achtet worden sind, muss das Insolvenzgericht die Bestätigung erteilen. Ein Ermessen besteht insoweit nicht.130) Entsprechendes gilt für die Versagung der Planbestätigung für ___________ 125) So auch Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 28. 126) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 28. 127) Hierzu noch Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32. 128) Thies, in: HambKomm-InsO, § 249 Rz. 7. 129) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 4; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 34. 130) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 248 Rz. 7; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 25.
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den Fall, dass ein Verfahrensmangel vorliegt. Allerdings hat das Gericht den Beteiligten innerhalb einer angemessenen Frist Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. Kann innerhalb dieser Frist keine Abhilfe geschaffen werden, so ist die Bestätigung zu versagen. 3.
Verkündung des Beschlusses
69 Gemäß § 252 Abs. 1 InsO kann der Beschluss im Abstimmungstermin oder in einem alsbald zu bestimmenden besonderen Termin verkündet werden. Die Anberaumung eines besonderen Verkündungstermins ist v. a. dann geboten, wenn bis dahin mit einer Behebung von etwaigen Bestätigungshindernissen gerechnet werden kann. Auch kann es sich für das Gericht bei besonders komplexen und kontrovers diskutierten Plänen empfehlen, einen weiteren Prüfungszeitraum zwischenzuschalten.131) In jedem Fall sollte aber zur Vermeidung einer Zeitverzögerung sowie einer Plangefährdung der besondere Verkündungstermin möglichst zeitnah angesetzt werden. Angemessen erscheint ein Zeitraum von zwei Wochen.132) Eine Ladung zu dem besonderen Verkündungstermin ist nicht erforderlich.133) Insbesondere haben die Beteiligten in dem besonderen Verkündungstermin keine Gelegenheit mehr zur Stellungnahme oder zum Austausch von Argumenten. Es ist daher ausreichend, den besonderen Verkündungstermin im Abstimmungstermin ordnungsgemäß zu verkünden.134) 70 Der Beschluss über die Versagung oder die Bestätigung des Insolvenzplans ergeht grundsätzlich mündlich; eine öffentliche Bekanntmachung oder Zustellung ist nicht erforderlich.135) Auch braucht der Beschluss bei Verkündung noch nicht schriftlich abgefasst zu sein; vielmehr genügt es, ihn in das Terminsprotokoll aufzunehmen und gemäß § 329 ZPO zu begründen. 4.
Rechtsfolgen des Beschlusses
4.1
Beschwerderecht
71 Die Verkündung sowohl des Versagungs- als auch des Bestätigungsbeschlusses löst das Beschwerderecht nach § 253 InsO innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen aus (§ 6 Abs. 2 InsO, § 569 Abs. 1 ZPO). Insbesondere wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts längere Zeit auf sich warten lässt, kann sich für den Insolvenzverwalter eine schwierige Gemengelage ergeben, wenn er eigentlich mit der Verwertung nach allgemeinen Grundsätzen beginnen müsste. Die Leitlinie für den Insolvenzverwalter sollte darin bestehen, dass er grundsätzlich die Durchführung eines später bestätigten Plans nicht gefährden und Verwertungsmaßnahmen nur dann vornehmen darf, wenn es sich um verderbliche Ware handelt oder erhebliche finanzielle Verluste für die Masse drohen.136) 72 Vor Inkrafttreten des ESUG vermittelte das Beschwerderecht gemäß § 253 InsO einzelnen Gläubigern erhebliches Störpotential. Denn durch Einlegung einer – zum Teil gar von vornherein unbegründeten – Beschwerde konnte ein einzelner Gläubiger die Umsetzung des Plans oftmals für Monate blockieren und auf diese Weise das gesamte Planvorhaben ___________ 131) So auch Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 9. 132) Während § 78 Abs. 3 VglO den kurzen Zeitraum von einer Woche vorgeschrieben hatte, wird zuweilen auch ein Monat als zeitliche Obergrenze vorgeschlagen (so etwa Flöther, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 252 InsO Rz. 3). 133) Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 252 Rz. 6; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 12; Thies, in: HambKommInsO, § 252 Rz. 3. 134) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 252 Rz. 3; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 252 Rz. 2; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 252 Rz. 6. 135) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 7; Thies, in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 4. 136) Vgl. dazu auch Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 18 ff.
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Planbestätigung
in die Gefahr des Scheiterns bringen.137) Es ist daher sehr zu begrüßen, dass der Gesetzgeber durch das ESUG Abhilfe geschaffen hat. Einerseits sind die Anforderungen an eine das Rechtsmittel eröffnende Beschwer in § 253 Abs. 2 InsO erheblich verschärft worden. Eine Beschwerde ist seither nur noch zulässig, wenn der Beschwerdeführer dem Plan bereits spätestens im Abstimmungstermin widersprochen und gegen ihn gestimmt hat.138) Zudem hat er glaubhaft zu machen, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird und dass diese Schlechterstellung nicht durch eine Entschädigungszahlung aus im Plan hierfür vorgesehenen Mitteln (§ 251 Abs. 3 InsO) kompensiert werden kann.139) Andererseits sieht § 253 Abs. 4 InsO nun auch ein dem Verfahren in § 246a Abs. 4 AktG nachempfundenes Freigabeverfahren vor.140) Danach weist das LG die Beschwerde auf Antrag des Insolvenzverwalters zurück, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Plans vorrangig erscheint, weil die infolge einer Verzögerung der Planvollziehung zu erwartenden Nachteile nach der freien Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen.141) Entspricht das LG dem Antrag des Insolvenzverwalters und weist die Beschwerde zurück, kann der Beschwerdeführer gemäß § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO den Schaden ersetzt verlangen, der ihm durch den Planvollzug entstanden ist, nicht jedoch die Rückgängigmachung des Vollzugs begehren. 4.2
Versagung der Bestätigung
Erwächst die Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans in Rechtskraft, wird das Ver- 73 fahren als Regelinsolvenzverfahren fortgesetzt. Damit lebt auch die Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters nach allgemeinen Grundsätzen wieder auf. 4.3
Bestätigung des Insolvenzplans
Die Bestätigung des Insolvenzplans löst zusätzlich die Unterrichtungspflicht nach § 252 74 Abs. 2 InsO aus. Danach hat das Insolvenzgericht den Insolvenzgläubigern, die Forderungen angemeldet haben, den absonderungsberechtigten Gläubigern sowie Anteilsinhabern, soweit die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Insolvenzplan einbezogen worden sind, unter Hinweis auf die Bestätigung einen Abdruck des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts zu übersenden. Börsennotierte Gesellschaften haben eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans über ihre Internetseite zugänglich zu machen (§ 252 Abs. 2 Satz 3 InsO).
___________ 137) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18 f.; Fischer, NZI 2013, 513; Madaus, NZI 2012, 597 f. 138) Teilweise wurde darüber hinaus die vorherige Durchführung des Minderheitenschutzverfahrens nach 251 InsO verlangt, so LG Berlin v. 24.2.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 893, 893, dazu EWiR 2014, 293 (Fölsing). Dem ist der BGH indessen unter Verweis auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine klare Ausgestaltung von Regelungen zum effektiven Rechtsschutz entgegengetreten, vgl. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442, 1443 ff., dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 139) Nach LG Hamburg v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159 f., ist von einer wesentlichen Schlechterstellung i. S. des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO erst auszugehen, wenn die dem Beschwerdeführer zustehende Planquote gegenüber der Quote im Regelinsolvenzverfahren um mind. 10 % abweicht. 140) Hierzu i. E. Fischer, NZI 2013, 513, 515 ff. 141) Das Zurückweisungsverfahren nach § 253 Abs. 4 Satz 1 ist gegenüber dem normalen Beschwerdeverfahren lex specialis, eingehend hierzu Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 890 f. Um eine einheitliche Auslegung der gesetzlichen Regelungen zum Insolvenzplan zu erzielen, sollte entweder ein Rechtsmittel gegen die Freigabeentscheidung nach § 253 Abs. 4 InsO eingeführt oder die Zuständigkeit des OLG für das Freigabeverfahren begründet und die Weiterverfolgung des Rechtsmittels in der Hauptsache ermöglicht werden, Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/Wierzbinski/Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2432.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
75 Da die Übersendung an die Beteiligten keine Zustellung i. S. von § 8 Abs. 3 InsO darstellen dürfte, kommt eine Delegation an den Insolvenzverwalter nicht in Betracht.142) Da es dem Insolvenzgericht gerade bei komplexeren Plänen aber an den personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung dieser Aufgabe fehlen dürfte, empfiehlt es sich, den Planvorlegenden bereits bei Anberaumung des Erörterungs- und Abstimmungstermins mit der Erstellung der Zusammenfassung zu beauftragen (§ 235 Abs. 3 Satz 2 InsO). 76 Unterbleibt die Unterrichtung, so führt eine auf diesen Verfahrensfehler gestützte sofortige Beschwerde nach § 252 InsO nicht zur Aufhebung des Insolvenzplans.143) Da der Fehler erst nach der Bestätigung des Insolvenzplans erfolgt, kann er keine Auswirkungen auf das Wirksamwerden des Insolvenzplans mehr haben. Auch ist keine Beeinträchtigung der Rechte von Beteiligten möglich; die Unterrichtungspflicht dient lediglich dem Zweck, den Beteiligten Rechtssicherheit über die letzte Fassung des bestätigten Insolvenzplans zu verschaffen. Auch auf die Rechtskraft des Insolvenzplans wirkt sich die unterbliebene Unterrichtung nicht aus, da die Rechtsmittelfrist mit der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses beginnt. 77 Mit der Rechtskraft des Insolvenzplans werden alle bisherigen Verfahrensmängel geheilt und treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen gemäß § 254 Abs. 1 InsO für und gegen alle Beteiligten ein. Dies gilt unabhängig davon, ob einzelne Beteiligten ihre Forderungen als Gläubiger angemeldet oder dem Insolvenzplan widersprochen haben (§ 254 Abs. 1 Satz 3 InsO). Der Plan wird mithin allgemeinverbindlich.144)
___________ 142) Ebenso Pleister, in: KPB, InsO, § 252 Rz. 12; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 252 Rz. 2; Thies, in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 5. 143) Ebenso Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 28 ff.; a. A. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 252 Rz. 4. 144) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 5; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 36. Zu den Wirkungen des Insolvenzplans ausf. unten § 46.
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§ 43 Minderheitenschutz, Rechtsmittel Burmeister/Schmidt-Hern
I. 1.
2.
Minderheitenschutz.................................... 1 Antrag auf Versagung der Planbestätigung gemäß § 251 InsO............................... 1 1.1 Überblick ......................................... 1 1.2 Zulässigkeit des Antrags ............... 11 1.2.1 Antragsberechtigung ..................... 11 1.2.1.1 Gläubiger........................................ 12 1.2.1.2 Am Schuldner beteiligte Person ... 18 1.2.2 Form des Antrags .......................... 21 1.2.3 Frist für die Antragstellung .......... 27 1.2.4 Widerspruch gegen den Insolvenzplan ( § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO).... 30 1.2.4.1 Form des Widerspruchs ................ 37 1.2.4.2 Frist für den Widerspruch............. 39 1.2.5 Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Fristen...................................... 41 1.2.6 Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung (§ 251 Abs. 2 InsO)....................... 44 1.3 Begründetheit des Antrags............ 53 1.3.1 Voraussichtliche Schlechterstellung (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO)............. 54 1.3.2 Kein Ausgleich durch im Insolvenzplan vorgesehene Mittel (§ 251 Abs. 3 Satz 1 InsO)............ 68 1.3.2.1 Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts ........................................... 74 1.3.2.2 Sicherstellung der Ausgleichsleistung ........................................... 79 1.4 Entscheidung des Insolvenzgerichts ........................................... 83 1.5 Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs „außerhalb des Insolvenzverfahrens“ (§ 251 Abs. 3 Satz 2 InsO)............ 84 1.5.1 Anspruchsgegner ........................... 85 1.5.2 Klage vor den ordentlichen Gerichten ....................................... 88 1.5.2.1 Sachliche und örtliche Zuständigkeit ................................. 92 1.5.2.2 Begründetheit der Klage auf Ausgleichszahlung......................... 94 1.6 Regelung der salvatorischen Klausel im Insolvenzplan .............. 96 Antrag auf Versagung der Plannachbesserung gemäß § 248a Abs. 3 InsO........... 103 2.1 Zulässigkeit des Antrags ............. 105 2.1.1 Antragsberechtigung ................... 105 2.1.2 Form und Frist des Antrags........ 106 2.2 Begründetheit des Antrags.......... 109
II. Rechtsmittel ............................................ 114 1. Überblick.................................................. 114 2. Sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans oder deren Versagung gemäß § 253 InsO ................................................ 119 2.1 Beschwerdegegenstand................ 119 2.2 Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde .................................. 120 2.2.1 Überblick über die Zulässigkeitsvoraussetzungen .......................... 120 2.2.2 Beschwerdeberechtigung ............ 121 2.2.2.1 Gläubiger...................................... 122 2.2.2.2 Schuldner ..................................... 124 2.2.2.3 Am Schuldner beteiligte Personen....................................... 125 2.2.2.4 Keine Beschwerdeberechtigung des Insolvenzverwalters .............. 126 2.2.3 Beschwer ...................................... 127 2.2.3.1 Beschwer bei Versagung der Bestätigung ............................ 129 2.2.3.2 Formelle Beschwer bei Planbestätigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO) ....................... 132 2.2.3.3 Materielle Beschwer bei Planbestätigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO).................................. 137 2.2.4 Form und Inhalt .......................... 146 2.2.5 Frist .............................................. 148 2.2.6 Notwendige Beteiligte................. 150 2.3 Begründetheit .............................. 151 2.3.1 Rechtsverstoß .............................. 152 2.3.2 Schlechterstellung als Begründetheitserfordernis?.......................... 154 2.4 Beschwerdeentscheidung ............ 158 2.5 Antrag auf Zurückweisung wegen überwiegenden Vollzugsinteresses (§ 253 Abs. 4 InsO) .................... 164 2.5.1 Gerichtliche Zuständigkeit ......... 166 2.5.2 Antragsberechtigung ................... 167 2.5.3 Frist .............................................. 168 2.5.4 Form............................................. 170 2.5.5 Voraussetzungen der Zurückweisung......................................... 171 2.5.5.1 Kein besonders schwerer Rechtsverstoß.......................................... 171 2.5.5.2 Interessenabwägung .................... 173 2.5.5.3 Beweismaß ................................... 177 2.5.6 Verfahrensablauf.......................... 182
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
2.5.7
3.
Rechtsmittel gegen die Entscheidung über den Zurückweisungsantrag ............................ 186 2.5.8 Schadensersatzanspruch gemäß § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO ............ 189 2.5.8.1 Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs ............................. 189 2.5.8.2 Anspruchsgegner......................... 192 2.5.8.3 Gerichtliche Zuständigkeit ......... 193 Sofortige Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung oder Versagung einer Planberichtigung (§ 248a Abs. 4 InsO) ............................... 195 3.1 Zulässigkeit.................................. 195 3.2 Begründetheit .............................. 199 3.3 Zurückweisungsantrag gemäß § 248a Abs. 4 Satz 2 InsO........... 202
4.
5.
6.
Sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Insolvenzplans gemäß § 231 Abs. 3 InsO ........................ 203 4.1 Zulässigkeit.................................. 204 4.2 Begründetheit .............................. 207 Rechtsbeschwerde gemäß § 4 InsO i. V. m. § 574 ZPO ................................... 208 5.1 Statthaftigkeit .............................. 209 5.2 Zulassungsgründe des § 574 Abs. 2 ZPO........................ 211 5.3 Beschwer ...................................... 215 5.4 Frist .............................................. 216 5.5 Form und Inhalt .......................... 217 5.6 Begründetheit .............................. 220 5.7 Entscheidung ............................... 221 Gesellschaftsrechtlicher Rechtsschutz und „Sperrwirkung“ der InsO................. 224
Literatur: Brünkmans, Der Rechtsschutz gegen den Bestätigungsbeschluss des Insolvenzplans vor dem Hintergrund des insolvenzrechtlichen Freigabeverfahrens nach § 253 Abs. 4 InsO, ZInsO 2014, 993; Eidenmüller, Prognoseentscheidungen im Insolvenzplanverfahren: Verfahrenslähmung durch Minderheitenschutz?, NJW 1999, 1837; Fischer, Das neue Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, NZI 2013, 513; Kirchhof, Insolvenzrechtliche weitere Beschwerden im Zickzackkurs, ZInsO 2012, 16; Lehmann/Rühle, Die Ausgleichsmittel gem. § 251 III InsO inner- und außerhalb des Insolvenzverfahrens, NZI 2015, 151; Lehmann/Rühle, Das beschleunigte Zurückweisungsverfahren gem. § 253 IV InsO in der Praxis, NZI 2014, 889; Madaus, Die Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung nach dem ESUG, NZI 2012, 597; Martini/Horstkotte, Häufige Fehler bei der Aufstellung von Insolvenzplänen und der Durchführung von Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2017, 1913; Pleister/Tholen, Zum Siegeszug des insolvenzrechtlichen Freigabeverfahrens, ZIP 2015, 414; Skauradszun, Suhrkamp – Allgemeines Beschwerdeverfahrensrecht versus § 253 Abs. 4 InsO, DZWIR 2014, 338; Smid, Salvatorische Klauseln als Instrument zur Abwehr von Widersprüchen gegen den Insolvenzplan, ZInsO 1998, 347; Thorwart/Schauer, § 251 – effektiver Minderheitenschutz oder unüberwindbare Hürde?, NZI 2011, 574.
I.
Minderheitenschutz
1.
Antrag auf Versagung der Planbestätigung gemäß § 251 InsO
1.1
Überblick
1 § 251 InsO will den einzelnen Gläubiger bzw. eine am Schuldner beteiligte Person (Anteilsinhaber) davor schützen, gegen seinen bzw. ihren Willen den Rechtswirkungen des Plans unterworfen und dadurch schlechtergestellt zu werden als bei einer Abwicklung des Insolvenzverfahrens ohne Plan (Regelinsolvenzverfahren, §§ 156 bis 173, 187 bis 216 InsO).1) Jedem Gläubiger und Anteilsinhaber soll vielmehr der Wert garantiert werden, den seine jeweilige Rechtsposition im Insolvenzverfahren noch hat.2) 2 Die Vorschrift kompensiert damit § 244 Abs. 1 InsO, der die Annahme des Plans gegen die Stimmen einer Minderheit innerhalb einer Abstimmungsgruppe ermöglicht und die
___________ 1)
2)
Vgl. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Thies, in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 1; Pleister, in: KPB, InsO, § 251 Rz. 2; Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 1; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 1; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 251 Rz. 1 ff.; Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, Rz. 17.60. BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; Flöther/Wehner, in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 251 InsO Rz. 7; Haas, in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 251 Rz. 1; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 1.
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überstimmte Minderheit sowie die nicht stimmberechtigten Gläubiger3) gemäß §§ 254 – 254b InsO den Wirkungen des Plans unterwirft.4) Auch wenn bei der Einordnung in dieselbe Abstimmungsgruppe die Rechtsstellung und 3 sogar gleichartige wirtschaftliche Interessen der Gläubiger bzw. Anteilsinhaber berücksichtigt werden (vgl. § 222 Abs. 1 und 2 InsO), kommt es nicht selten vor, dass Angehörige einer Gruppe dennoch unterschiedliche Strategien verfolgen.5) So kann sich z. B. für einige Lieferantengläubiger eine Kombination aus Forderungsverzicht und Unternehmensfortführung aufgrund potenzieller künftiger Geschäftsbeziehungen als wirtschaftlich erfolgversprechender darstellen als für andere Gläubiger, die an einer Weiterführung der Geschäftsbeziehung nicht interessiert sind und deshalb eine höhere Quote bevorzugen.6) Derart unterschiedliche Interessenlagen sind auch innerhalb der Gruppe bzw. Gruppen7) der Anteilsinhaber denkbar.8) Aufgrund dieser möglichen Diskrepanzen sowie der drohenden Nachteile für die über- 4 stimmte Minderheit und die stimmrechtslosen Gläubiger hat der Gesetzgeber in der Mehrheitsentscheidung allein keine Legitimation für die endgültige Bestätigung eines Insolvenzplans gesehen und deshalb in § 251 InsO einen sog. „Minderheitenschutz“9) vorgesehen.10) Hier besteht eine gewisse Parallele zur Anfechtung von Mehrheitsbeschlüssen im Gesellschaftsrecht (vgl. z. B. §§ 243 ff. AktG, § 14 UmwG). Im Gegensatz zum Obstruktionsverbot des § 245 InsO, der die Anforderungen an die Über- 5 windung der Ablehnung des Plans durch eine gesamte Abstimmungsgruppe festlegt (sog. „cram-down“) und damit zugleich eine solche Gruppe vor der Mehrheit der anderen Gruppen schützt,11) regelt § 251 InsO den individuellen Minderheitenschutz innerhalb der einzelnen Gruppe und ist damit eine Ergänzung zu § 245 InsO.12) § 251 InsO ist dabei nicht so weitgehend wie § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wonach die Gläubiger der überstimmten Gruppe angemessen am durch den Insolvenzplan erzielten Wert beteiligt werden müssen.13) Im Rahmen des § 251 InsO verbleibt allein der Vergleich der hypothetischen Situation des ___________ 3) Anteilsinhaber, die in den Plan einbezogen sind, sind nach § 238a InsO immer stimmberechtigt. 4) Vgl. Silcher, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 251 InsO Rz. 1; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 1. 5) Hess, InsR, § 251 InsO Rz. 1; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 251 Rz. 1, 3; Vallender, in: K. Schmidt/ Uhlenbruck, Die GmbH, Rz. 8.117; vgl. auch Gietl, in: Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 174. 6) Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211; vgl. auch Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 251 Rz. 2. 7) Nach § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO kann es auch eine separate Gruppe der geringfügig beteiligten Anteilsinhaber geben. 8) So schon die Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Das Antragsrecht der Anteilsinhaber, welches noch in § 293 Abs. 1 Satz 2 RegE InsO vorgesehen war, ist seinerzeit allerdings nicht in die InsO übernommen worden. 9) Der Begriff „Minderheitenschutz“ ist nicht ganz zutreffend, weil die Vorschrift auch nicht stimmberechtigte Beteiligte schützen will. 10) Begr. RegE InsO z § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211; BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923. 11) § 245 InsO dient – wie seiner Überschrift zu entnehmen ist – im Ausgangspunkt der Durchsetzung eines wirtschaftlich sinnvollen Plans gegen eine dissentierende Gruppe. Aufgrund der hierfür festgelegten Anforderungen ist die Vorschrift aber zugleich auch eine Schutzvorschrift für dissentierende Gläubiger und Anteilsinhaber, so richtig Frank, in: Runkel/Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 13 Rz. 404. 12) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 2. 13) Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Hess, InsR, § 251 InsO Rz. 21; Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 251 Rz. 5; Jaffé, in: Wimmer, InsO, § 251 Rz. 15.
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3. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf
Antragstellers im Regelinsolvenzverfahren mit der im Planverfahren.14) Ausführlich zu § 245 InsO siehe oben § 41. 6 Ähnlichkeiten zu § 251 InsO finden sich im früheren Recht zum Vergleich bzw. Zwangsvergleich, wonach diesem die Bestätigung zu versagen war, wenn er „dem gemeinsamen Interesse der Vergleichsgläubiger“ (vgl. § 79 Nr. 4 VglO) bzw. „dem gemeinsamen Interesse der nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger“ (vgl. § 188 Abs. 1 Nr. 2 KO) widersprach.15) Die Versagungsvoraussetzungen waren also weniger präzise, dafür aber von Amts wegen zu berücksichtigen. 7 Einen gewissen Einfluss dürfte aber auch der sog. „best interest of the creditors test“ im Gläubigerschutzverfahren nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code auf die Formulierung in § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO (und dem ähnlichen § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ausgeübt haben, wonach jeder Gläubiger durch den Insolvenzplan mindestens das erhalten muss, was er auch bei einer Liquidation des Schuldners nach Chapter 7 des US Bankruptcy Code erhalten hätte (vgl. 11 U.S.C. § 1129(a)(7)(A)(ii)).16) 8–10 Einstweilen frei. 1.2
Zulässigkeit des Antrags
1.2.1 Antragsberechtigung 11 Nach § 251 Abs. 1 InsO kann der Antrag auf Versagung der Bestätigung des Plans von einem Gläubiger oder – wenn der Schuldner keine natürliche Person ist – von einem Anteilsinhaber gestellt werden. Der Schuldner selbst ist nicht antragsberechtigt, da seine voraussichtliche Schlechterstellung vom Gericht gemäß §§ 247, 248 InsO schon von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wenn er Widerspruch gegen den Plan eingelegt hat. 1.2.1.1
Gläubiger
12 Der Begriff „Gläubiger“ ist in § 251 Abs. 1 InsO nicht näher definiert. Daher muss die Frage, welche Gläubigergruppen einen Antrag stellen dürfen, mit Blick auf den Zweck des Minderheitenschutzes beantwortet werden. Da der Gläubiger vor einer für ihn nachteiligen Annahme des Insolvenzplans geschützt werden soll, muss die Antragsberechtigung auf alle Gläubiger erstreckt werden, die als „Beteiligte“ den Rechtswirkungen des Plans gemäß §§ 254 – 254b InsO unterworfen werden, d. h. deren materielle Rechtsstellung durch den Plan verändert wird.17) 13 Dies ist zweifellos bei den Insolvenzgläubigern i. S. des § 38 InsO der Fall, weil deren Forderungen gemäß § 217 Satz 1, § 224 InsO durch den Plan immer reguliert werden. Gleiches gilt im Grundsatz auch für die nachrangigen Gläubiger gemäß § 39 InsO, da deren Forderungen gemäß § 225 Abs. 1 InsO bei Fehlen abweichender Bestimmungen im Plan als erlassen gelten. Gläubigern von nachrangigen Forderungen der in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO bezeichneten Art (Geldstrafen u. Ä.) ist das Antragsrecht allerdings abzusprechen, da der Plan insoweit gemäß § 225 Abs. 3 InsO von Gesetzes wegen keine Schlechterstellung vorsehen kann. ___________ 14) Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1, 6; Thies, in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 1; Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 251 Rz. 5; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 28.49. 15) Vgl. Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 3. 16) Zur Vorbildfunktion des Chapter 11-Verfahrens Eidenmüller, in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 16 ff. m. w. N.; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 13 ff. m. w. N. 17) Sinz, in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 6; Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 10.
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Aus § 217 Satz 1, § 223 Abs. 2 InsO ergibt sich ferner, dass auch die absonderungsbe- 14 rechtigten Gläubiger (§§ 49 – 51 InsO) als Beteiligte vom Plan betroffen sein können, sofern dies im Insolvenzplan so bestimmt ist. In der Praxis ist das die Regel. In diesem Fall sind die absonderungsberechtigten Gläubiger gemäß § 251 Abs. 1 InsO antragsberechtigt. Fehlt im Plan allerdings eine derartige Bestimmung oder bezieht sich das Absonderungsrecht auf eine der in § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten Sicherheiten,18) so werden die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Plan nicht berührt. Folglich ist ihnen dann auch die Antragsberechtigung nach § 251 InsO abzusprechen. Dies gilt allerdings nur hinsichtlich des Absonderungsrechts; mit der sog. Ausfallforderung gemäß § 52 InsO ist der jeweilige Gläubiger als Insolvenzgläubiger i. S. des § 38 InsO nach § 251 Abs. 1 InsO antragsberechtigt.19) Mangels Beteiligteneigenschaft überhaupt nicht antragsberechtigt sind hingegen aussonde- 15 rungsberechtigte Gläubiger (§ 47 InsO)20) und Neugläubiger,21) da diese von Gesetzes wegen den Wirkungen des Plans nicht unterworfen sind.22) Zwar können auch diese Gläubiger durch entsprechende verpflichtende Erklärungen nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans mit einbezogen werden.23) Dennoch werden sie durch derartige Willenserklärungen keine Beteiligten i. S. des § 254 Abs. 1 InsO, da die Wirkungen des Insolvenzplans ihnen gegenüber lediglich aufgrund privatautonomer Unterwerfung eintreten.24) In diesem Fall besteht kein Bedürfnis für einen Schutz nach § 251 InsO. Auch Massegläubiger (§ 53 InsO) haben mangels Planunterwerfung kein Antragsrecht 16 nach § 251 Abs. 1 InsO, sofern in ihre Rechte nicht ausnahmsweise im Fall der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 210a Nr. 1 InsO eingegriffen wird.25) Konsequenterweise muss ihnen in dieser Konstellation auch der Minderheitenschutz nach § 251 InsO offenstehen.26) Für die Antragsberechtigung ist es irrelevant, ob der antragstellende Gläubiger stimmbe- 17 rechtigt war oder nicht,27) er seine Forderung überhaupt gemäß § 174 InsO angemeldet ___________ 18) Dies sind Finanzsicherheiten i. S. von § 1 Abs. 17 KWG sowie Sicherheiten, die dem Teilnehmer eines Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystems nach § 1 Abs. 16 KWG zur Sicherung seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines EU-Mitgliedstaates oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden. 19) Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 223 Rz. 4. 20) Etwas anderes gilt nur dann, wenn aussonderungsberechtigte Gläubiger zu Unrecht in den Plan einbezogen werden, da ihnen dann ein Rechtsmittel zur Seite stehen muss, vgl. hierzu Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 4, der die Rspr. zur „Scheinpartei“ im Zivilprozess heranzieht. Dies muss dann konsequenterweise für alle zu Unrecht in den Plan einbezogenen Gläubiger gelten, z. B. auch absonderungsberechtigte Gläubiger mit Finanzsicherheiten (§ 223 Abs. 1 Satz 2 InsO). 21) Darunter versteht man Gläubiger, deren Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden, vgl. Gogger, in: Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, § 2 Rz. 430; A. Schmidt, Privatinsolvenz, § 5 Rz. 59 f. 22) Vgl. Thies, in: HambKomm-InsO, § 254 Rz. 3; Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 254 Rz. 5; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 6; Lüer/Streit, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 10. 23) Vgl. allg. hierzu Spahlinger, in: KPB, InsO, § 254 Rz. 5; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 6; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 689 m. zahlreichen w. N.; a. A. Noack, in: FS Zöllner, 1998, S. 411 ff., 421. 24) Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 6 m. w. N. 25) Die früher umstrittene Frage, ob ein Insolvenzplan im Falle der Anzeige einer Masseunzulänglichkeit zulässig ist, ist durch die Einfügung des § 210a InsO obsolet geworden; zum früheren Streitstand Ries, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 211 Rz. 11 m. w. N. 26) Ebenso Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 38 Rz. 61. 27) So schon Begr.