Homogenität in der Europäischen Union - Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV [1 ed.] 9783428498703, 9783428098705

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist die Überlegung, daß die EU als ein aus Staaten zusammengesetzter Verband dem a

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Homogenität in der Europäischen Union - Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV [1 ed.]
 9783428498703, 9783428098705

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FRANK SCHORKOPF

Homogenität in der Europäischen Union Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen t, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter

Band 21

Homogenität in der Europäischen Union Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV

Von

Frank Schorkopf

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schorkopf, Frank: Homogenität in der Europäischen Union - Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV / von Frank Schorkopf. - Duncker und Humblot, 2000 (Hamburger Studien zum europäischen und internationalen Recht; Bd. 21) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09870-6

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany

© 2000 Duncker &

ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-09870-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort

Diese Arbeit lag dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg im Wintersemester 1998/99 als Dissertation zur Begutachtung vor. Das Manuskript wurde Mitte Dezember 1998 abgeschlossen. Die bis zur Veröffentlichung erschienene Literatur sowie die letzten Entwicklungen des Europäischen Integrationsprozesses konnten fUr die Druckfassung noch bis Ende Anfang April 1999 berücksichtigt werden. Der Gedanke zu dieser Untersuchung hat seinen Ursprung in der Lektüre eines frühen Entwurfs des Vertrages von Amsterdam. Einen Großteil der Recherchen und Entwurfsarbeiten konnte ich während meiner Tätigkeit fUr den Hamburger Europaabgeordneten Dr. Georg Jarzembowski in Brüssel durchfUhren. Ihm sei an dieser Stelle fUr seine ideelle und materielle Unterstützung ein besonderer Dank ausgesprochen! Der Text ist während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Seminars fi1r Öffentliches Recht und Staatslehre der Universität Hamburg, Abteilung für Europäisches Gemeinschaftsrecht, am Lehrstuhl von Herrn Professor Dr. Meinhard Hilfentstanden. Für die Betreuung, zügige Durchführung des Promotionsverfahrens und die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Meinhard Hilf, und Herrn Prof. Dr. Ger! Nicolaysen, der das Zweitgutachten angefertigt hat. Auch eine Dissertation entsteht nicht ohne die Unterstützung Dritter, die mit Wohlwollen, Zuspruch und Kommentaren den Fortgang der Arbeit fördern. Deshalb danke ich an dieser Stelle Frau Petra Minnerop besonders herzlich für die vielen förderlichen Gespräche; auch meinen gewissenhaften Korrekturlesern aus der Familie spreche ich hier ausdrücklich meinen Dank aus. Gleiches gilt fUr die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die die Veröffentlichung dieser Arbeit großzügig gefördert hat.

Hamburg, im April 1999

Frank Schorkopf

Inhaltsübersicht

§ 1 Einleitung

19

A. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Leitprinzipien inter-

nationaler Rechtsentwicklung - Einordnung und Abgrenzung der Thematik .......... 19 B. Gang der Untersuchung ........................................................................................... 27

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der Europäischen Union

28

A. Begriffliche Erläuterungen ....................................................................................... 28 B. Funktionen der Homogenität in der Europäischen Union ........................................ 36 C. Konzeption der Homogenität in der Europäischen Union ........................................ 42

D. Zwischenergebnis .................................................................................................... 68

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

69

A. Überblick ................................................................................................................. 69 B. Entstehungsgeschichte und systematische Stellung ................................................. 70 C. Norminhalt ............................................................................................................... 74 D. Würdigung ............................................................................................................... 99

§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

104

A. Überblick ............................................................................................................... 104 B. Die Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht... ................................. 106 C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen ..................................... 123

D. Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV ................................................................. 135

8

Inhaltsübersicht

E. Nonninhalt ............................................................................................................. 143 F. Konkurrenzverhältnis des Art. 7 EUV zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ..................................................................................... 185 G. Würdigung ............................................................................................................. 189

§ 5 Primärrechtsänderung durch Art. 6 Abs. 1, 7 EUV und ihre Auswirkungen der auf die Europäische Union und die Mitgliedstaaten als Integrationssystem A. Erweiterung der gemeinschaftsrechtlichen Aufsicht über die Mitgliedstaaten auf das Unionsrecht - Die Ergänzung des Gewährleistungsmechanismus um ein Beobachtungsstadium ......................................................................................

209

209

B. Beschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität und des Umfanges der nationalen Identität der Mitgliedstaaten ................................................................. 211

c.

Zusätzliche Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene Die Europäische Union als handelnder Verband ................................................... 213

D. Elemente des europäischen Konstitutionalisierungsprozesses ............................... 218

§ 6 Zusammenfassung

223

Summary

232

Resume

241

Anhang

250

Literaturverzeichnis

262

Sachregister

292

Inhaltsverzeichnis

§ 1 Einleitung

19

A. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Leitprinzipien internationaler Rechtsentwicklung - Einordnung und Abgrenzung der Thematik .......... 19 B. Gang der Untersuchung ........................................................................................... 27

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der Europäischen Union

28

A. Begriffliche Erläuterungen ....................................................................................... 28 B. Funktionen der Homogenität in der Europäischen Union ........................................ 36

1.

Konsensfunktion ................................................................................................ 36

H. Legitimationsfunktion ....................................................................................... 37 1. Juristisch-formale Legitimität... ................................................................... 37 2. Sozial-empirische Legitimität.. .................................................................... 38 IH. Integrationsfunktion ........................................................................................... 39 IV. Sicherungsfunktion ............................................................................................ 41 V. Zusammenfassung ............................................................................................. 42 C. Konzeption der Homogenität in der Europäischen Union ......................................... 42

1.

Horizontale Homogenität.. ................................................................................. 43

H. Vertikale Homogenität.. ..................................................................................... 45 I. Homogenitätsgebote der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union ........................................................................................................... 46 a) Homogenitätsgebote der Mitgliedstaaten - außer Deutschland ............. 46 aa)

Belgien .......................................................................................... 46

bb) Dänemark ..................................................................................... 47 cc)

Finnland ........................................................................................ 47

\0

Inhaltsverzeichnis

dd) Frankreich ..................................................................................... 48 ee)

Griechenland .................................................... ............................. 49

ff)

Vereinigtes Königreich .................................. ': ............................. 50

gg) Irland ............................................................................................ 51 hh) Italien ............................................................................................ 52 ii)

Luxemburg ................................................................................... 52

.ü)

Niederlande ................................................................................... 53

kk) Österreich ..................................................................................... 53

11)

Portugal ............... ......................................................................... 54

mm) Schweden ...................................................................................... 55 nn) Spanien ........................................................................................ 55 b) Homogenitätsgebot Deutschlands ......................................................... 56 aa)

These von der strukturellen Kongruenz ........................................ 56

bb) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .......................... 58 cc)

Art. 23 Abs. 1 GG als nationale Homogenitätsklausel ................. 61

c) Zusammenfassende Schlußfolgerungen - Aktives und passives Homogenitätsgebot mitgliedstaatlicher Verfassungen .......................... 62 2. Homogenitätsgebote der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedstaaten ............................................................................................ 63 D. Zwischenergebnis .................................................................................................... 68

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

69

A. Überblick ................................................................................................................. 69 B. Entstehungsgeschichte und systematische Stellung ................................................. 70

C. Norminhalt. .............................................................................................................. 74 I.

"Die Union beruht auf den Grundsätzen ... " - Art. 6 Abs. 1 1. Halbsatz ........... 74 1. Grundsätze - Prinzipien - Rechtssätze - Werte .......................................... 74 2. "Beruht" - Grundlage und Sollensgebot ..................................................... 76

11. "Diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam." - Art. 6 Abs. I 2. Halbsatz EUV ..................................................................................... 78

Inhaltsverzeichnis

11

1. Gemeinsamkeiten der Mitgliedstaaten ........................................................ 78 2. Methode der Inhaltsbestimmung ................................................................. 79 a) Subtraktionsmethode ............................................................................. 79 b) Methode der positiven Annäherung ...................................................... 80 aa)

Induktiver Ansatz ......................................................................... 81

bb) Deduktiver Ansatz ........................................................................ 82 c) Zwischenergebnis ........................................................ .......................... 84 IH. Die einzelnen Grundsätze .................................................................................. 84 1. Freiheit ........................................................................................................ 84 2. Demokratie .................................................................................................. 87 3. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ..................................... 92 4. Rechtsstaatlichkeit ....................................................................................... 93 D. Würdigung ............................................................................................................... 99 I.

Art. 6 Abs. I EUV als Zentralnorm für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union .......................................................................................... 99

H. Art. 6 Abs. 1 EUV als Verfassungsstrukturklausel.. ........................................ 100 III. Art. 6 Abs. I EUV als Homogenitätsklausel.. .................................................. 101

§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

104

A. Überblick ............................................................................................................... 104 B. Die Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht... ................................. 106 I.

Das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV a. F............................ 106 I. Inhalt des Lösungsansatzes ........................................................................ \ 06 2. Kritik ....................................................................................... '.................. 107

H. Art. 224, 225 EGV a. F. analog ....................................................................... 109 I. Inhalt des Lösungsansatzes ........................................................................ 109 2. Kritik ......................................................................................................... 110 III. Handlungskompetenz aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze ................. :..... \\\ \. Inhalt des Lösungsansatzes ........................................................................ \\\ 2. Kritik ......................................................................................................... 112

12

Inhaltsverzeichnis

IV. Völkerrechtliche Rechtsgrundlagen ................................................................. 113

1. Inhalt des Lösungsansatzes ........................................................................ 113 2. Kritik ......................................................................................................... 115 V. Zusammenfassende Stellungnahme ................................................................. 118 I. Veränderte rechtstatsächliche Voraussetzungen im europäischen Integrationsprozeß ..................................................................................... 118 2. Notwendigkeit der Beteiligung von Organen und Mitgliedstaaten ............ 118 3. Hohes Maß an Rechtssicherheit und Bestimmtheit ................................... 119 4. Unklare Rechtsfolgen einer Sanktionierung .............................................. 120 VI. Zwischenergebnis - Nulla sanctio, sine lege ................................................... 123 C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen ..................................... 123

I.

Mechanismen auf der Ebene des Staatsrechts .................................................. 124 1. Deutschland ............................................................................................... 124 2. Schweiz ..................................................................................................... 125 3. Österreich .................................................................................................. 126 4. Vereinigte Staaten von Amerika ................................................................ 127

11. Mechanismen auf der Ebene des Völkerrechts ........................ ........................ 128 I. Europarat ................................................................................................... 128 2. Vereinte Nationen ..................................................................................... 129 3. Commonwealth ......................................................................................... 132 4. Weitere internationale Organisationen ...... ................... ........ .. .............. .. ... 133 111. Zwischenergebnis .................................................................. .. ........................ 134 D. Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV ................................................................. 135 I.

Erste Ansätze und die Vorarbeiten des Europäischen Parlaments ................... 135

11. Suspendierungsklauseln und Art. 366a AKP-EG-Abkommen ........................ 137 III. Von der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam .......................... 140 E. Norminhalt ............................................................................................................. 143 I.

Unionsverfahren .............................................................................................. 143 I. Erster Verfahrensschritt - Feststellungsbeschluß ................ ...................... 144 a) Rechtsgrundlage - Art. 7 EUV ............................................................ 144

Inhaltsverzeichnis

13

b) Voraussetzungen ................................................................................. 144 aa)

Vorschlagsrecht-Art. 7 Abs. 1 EUV ........................................ 144

bb) Tatbestandsvoraussetzungen - Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. I EUV ................................................................................ 146 (1) Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze ............................................................................ 148

(2) Schwerwiegende und anhaltende Verletzung ....................... 149 cc)

Beteiligung der Organe und des betroffenen Mitgliedstaates - Art. 7 Abs. 1 und 5 EUV .............................................. 151 (I) Europäisches Parlament ....................................................... 151

(2) Europäische Kommission ..................................................... 154 (3) Betroffener Mitgliedstaat ..................................................... 155 dd) Beschluß durch den Rat der Europäischen Union Art. 7 Abs. 1 und 4 EUV ............................................................ 156 (1) Beschlußorgan ...................................................................... 156 (2) Mehrheiten ........................................................................... 158 (3) Ermessensentscheidung ........................................................ 158 c) Rechtsfolgen eines Feststellungsbeschlusses ...................................... 159 2. Zweiter Verfahrensschritt - Sanktionsbeschluß ........................................ 161 a) Rechtsgrundlage-Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EUV ...................................... 161 b ) Voraussetzungen ................................................................................. 161 aal

Beschlußorgan ............................................................................ 161

bb) Mehrheiten ................................................................................. 162 (I) Notwendigkeit einer doppelt qualifizierten Mehrheit? ......... 163

(2) Anteil der gewogenen Stimmen ........................................... 164 (3) Zwischenergebnis ................................................................. 166 c) Rechtsfolgen eines Sanktionsbeschlusses nach Art. 7 Abs. 2 EUV .... 166 aa)

Sanktionsflihige Rechte .............................................................. 166 (1) Stimmrechtsentzug ............................................................... 167 (2) Teilnahmerechte ................................................................... 168

bb) Berücksichtigungspflicht ............................................................ 169 cc)

Fortbestehende Verpflichtung des betroffenen Mitgliedstaates .. 170

14

Inhaltsverzeichnis

dd) Änderungsbefugnis ..................................................................... 171 ee)

Grenzen der Sanktionierung ....................................................... 172 (I) Ratifikationserfordernis ........................................................ 172 (2) Erstreckungswirkung von Sanktionen auf andere Organe .... 173 (3) Ausschluß eines Mitgliedstaates aufgrund von Art. 7 Abs. 2 EUV? ........................................................................ 173

3. Zwischenergebnis ...................................................................................... 174 11. Gemeinschaftsverfahren .................................................................................. 174 I. Rechtsgrundlagen - Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV ........................................................................................................ 174 2. Voraussetzungen ....................................................................................... 175 a) Tatbestandsvoraussetzungen ............................................................... 175 b) Verfahren ............................................................................................ 175 3. Rechtsfolgen eines Sanktionsbeschlusses .................................................. 176 a) Sanktionsfähige Rechte ....................................................................... 176 aa)

Stimmrechtsentzug ..................................................................... 176

bb) Nichtgewährung von Finanzmitteln ............................................ 177 cc )

Verweigerung von Teilnahmerechten ................................... ...... 178

b) Berücksichtigungspflicht. .................................................................... 179 c) Grenzen der Sanktionierung - Kein Ausschluß der Mitglieder des Europäischen Parlaments .................................................................... 180 d) Fortbestehende Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaates ....... 182 e) Änderungsbefugnis .............................................................................. 182 4 . Zwischenergebnis ...................................................................................... 182 1II. Abschluß des Sanktionsverfahrens ................................................................... 183 F. Konkurrenzverhältnis des Art. 7 EUV zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ......................................................................................... 185 G. Würdigung ............................................................................................................. 189

I.

lustitiabilität der Entscheidungen des Rates .................................................... 190

11. Praktikabilität des Sanktionsverfahrens - Das Einstimmigkeitserfordernis ....................................................................................................... 193

Inhaltsverzeichnis

15

HI. Mitgliedstaatliches Fehlverhalten unterhalb der Aufgriffsschwelle des Art. 7 Abs. 1 EUV ..................................................................................... 196 IV. Keine Erweiterung des Anwendungsbereichs von Art. 7 EUV ....................... 197 1. Die Verletzung von Beitrittskriterien ........................................................ 197 2. Nicht in Art. 6 Abs. 1 EUV genannte Homogenitätselemente ................... 199 a) Staatsform ........................................................................................... 199 b) Föderalismus ....................................................................................... 200 c) Kulturell-religiöse Traditionen ............................................................ 202 d) Wirtschaftsordnung ............................................................................. 204 3. Zwischenergebnis ...................................................................................... 205 V. Notwendigkeit der Kodifikation des Sanktionsverfahrens ............................... 206

§ 5 Primärrechtsänderung durch Art. 6 Abs. I, 7 EUV und ihre Auswirkungen auf die Europäische Union und die Mitgliedstaaten als Integrationssystem

209

A. Erweiterung der gemeinschaftsrechtlichen Aufsicht über die Mitgliedstaaten auf das Unionsrecht - Die Ergänzung des Gewährleistungsmechanismus um ein Beobachtungsstadium ...................................................................................... 209 B. Beschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität und des Umfanges der nationalen Identität der Mitgliedstaaten ................................................................. 211 C. Zusätzliche Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene Die Europäische Union als handelnder Verband ................................................... 213 O. Elemente des europäischen Konstitutionalisierungsprozesses ............................... 218

§ 6 Zusammenfassung

223

Summary

232

Resume

241

Anhang

250

16

Inhaltsverzeichnis

A. Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom 26. Juli 1996

(CONF/3879/96, LIMITE) ..................................................................................... 250 B. Vorschlag der österreich ischen und italienischen Delegation vom 3. Oktober 1996 (CONF/3940/96, LIMITE) ............................................................................ 251 C. Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom 8. Oktober 1996

(CONF/3945/96, LIMITE) ..................................................................................... 252 D. Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom 5. Dezember 1996 im Rahmen des Vertragsentwurfs Dublin 11 (CONF/2500/96) .................................................. 253 E. Vorschlag der niederländischen Präsidentschaft vom 26. Februar 1997 (CONF/3827/97, LIMITE, NON PAPER) ............................................................. 254 F. Entwurf des Vertrages von Amsterdam vom 19. Juni 1997 (CONF/4001/97, LIMITE) ..................................................................................... 255 G. Entwurfdes Vertrages von Amsterdam vom 8. Juli 1997 (CONF/4002/97, LIMITE) ..................................................................................... 257 H. Konsolidierte Fassungen des EU- und EG-Vertrags mit den Änderungen aufgrund des Vertrags von Amsterdam in seiner am 2. Oktober 1997 unterzeichneten Fassung ........................................................................................ 259

Literaturverzeichnis

262

Sachregister

292

Abkürzungsverzeichnis

Die verwendeten Abkürzungen entsprechen, soweit sie nicht allgemein gebräuchlich sind, dem Abkürzungsverzeichnis von Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin, New York 1993. Weitere Abkürzungen lösen sich wie folgt auf:

ABI.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft

AJIL

American Journal ofInternational Law

BullEG

Bulletin der EG

BullEU

Bulletin der Europäischen Union (seit 1.1.1993)

BullBReg

Bulletin der Bundesregierung

BYIL

British Yearbook of International Law

CDE

Cahiers de Droit Europeen

CMLRev

Common Market Law Review

EAGV

Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft

ed., eds.

editor, editors

EFARev

European Foreign Affairs Review

ELRev

European Law Review

EJIL

European Journal ofInternational Law

GYIL

German Yearbook of International Law

HRLJ

Human Rights Law Journal

ILRM

Irish Law Reports Monthly

JCP

Jurisclasseur periodique - La semaine juridique

JCMS

Journal of Common Market Studies

JORF

Journal Officiel de la Republique Franr;:aise

JWTL

Journal ofWorld Trade Law

MJ

Maastricht Journal of European and Comprative Law

NZZ

Neue Züricher Zeitung

Res.

Resolution

2 Schofkopf

18

Abkürzungsverzeichnis

R.A.E. - L.E.A.

Revue des affaires europeennes - Law & European Affairs

RMC

Revue de Mache Commun

RTDE

Revue trimestrielle de droit europeen

SCOR

Security Council Official Record

Sec.

Section

Sig.

Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und EuG

SZIER

Schweizer Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht

UNYB

United Nations Yearbook

U.S.c.

United States Code

VRÜ

Verfassung und Recht in Übersee

YEL

Yearbook of European Law

ZEuS

Zeitschrift des Europainstituts der Universität des Saarlandes

ZÖR

Zeitschrift für öffentliches Recht

ZSchwR

Zeitschrift für schweizerisches Recht

§ 1 Einleitung A. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Leitprinzipien internationaler Rechtsentwicklung Einordnung und Abgrenzung der Thematik 1. Am Ende des Europäischen Bürgerkrieges formte der Wille zur Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung die Europäischen Gemeinschaften. I Auf seiner Tagung vom 12./13. Dezember 1997 in Luxemburg beschloß der Europäische Rat, dieses Modell der friedlichen und gewollten Europäischen Integration auf die Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas auszudehnen. 2

Die Erweiterung der Europäischen Union hat konkret durch die Einleitung eines Verhandlungs- und Beitrittsprozesses auf zwei Außenministertagungen am 30. und 31. März 1998 in Brüssel begonnen. Der Prozeß umfaßt erstens einen rur die zehn mittel- und osteuropäischen Bewerberstaaten 3 und Zypern geltenden einheitlichen Rahmen der Konsultation; zweitens eine intensivierte Heranruhrungsstrategie rur die mittel- und osteuropäischen Staaten in Form von Beitrittspartnerschaften und das PHARE-Programm ergänzenden Finanzmitteln; drittens die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den von der Kommission in ihren Stellungnahmen zu den einzelnen Beitrittsanträgen empfohlenen Staaten; viertens schließlich die regelmäßige Bewertung der von den Bewerberstaaten in diesem Prozeß erzielten Fortschritte. 4 Die Kommission hat die

I Zur Entstehung der Europäischen Gemeinschaften und dem Charakter der Verträge als "Friedensverträge" vgl. Loth, Weg nach Europa, S. 134 (137). Zum Begriff des "Europäischen Bürgerkrieges" siehe Nolte, Der europäische Bürgerkrieg: 1917-1945, 1997. 2 Siehe die Schlußfolgerungen des Vorsitzes, BullEU 12-1997, Ziff. 1.2. ff. ) Bei den zehn Bewerberstaaten handelt es sich um Bulgarien, Estland, Lettland, litauen, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Zu den Bewerbungszeitpunkten der genannten Staaten siehe BurghardtlCameron, EF ARev 2 (1997), S. 7 (8, 10) mit weiterem statistischen Material über die bisherigen Beitrittsrunden. Die maltesische Regierung hat den Beitrittsantrag des Landes vom 16.7.1990, BullEG 7/8-1990, Ziff. 1.4.25, der nach einem Regierungswechsel von Seiten Maltas im Oktober 1996 "eingefroren" wurde, wieder eingereicht, vgl. Agence Europe Nr. 7297 vom 10.10.1998, S. 8. Für eine Alternativlösung zum Beitritt Maltas siehe noch die Mitteilung der Kommission über die künftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Malta vom 5.2.1998, BullEU 112-1998, Ziff. 1.4.88, die sich durch die Wiedereinreichung des Beitrittsgesuchs erübrigt hat. 4 Vgl. BullEU 12-1997, Ziff. 1.5. und BullEU 3-1998, Ziff. 1.3.51 f. Zu den im Rahmen der Agenda 2000 abgegebenen Kommissionsstellungnahmen vom 15.7.1997 siehe KOM (97) 2001 bis 2010 endg. und BullEU Beilagen 6-1997 bis 15-1997. Für die

20

§ I Einleitung

erste Serie dieser Fortschrittsberichte am 4. November 1998 veröffentlicht. 5 Am 10. November 1998 begannen die Beitrittsverhandlungen. 6 Am Ende des Prozesses wird rur diejenigen Staaten, die die vom Europäischen Rat von Kopenhagen 1993 aufgestellten politischen, wirtschaftlichen und sonstigen integrativen Kriterien errullen, 7 die Aufnahme in die Europäische Union stehen. Dabei zeichnet sich die Mitgliedschaft Estlands, Polens, Sloweniens, Tschechiens, Ungarns und wohl auch Zyperns innerhalb der nächsten Jahre bereits heute als sicher ab. 8 2. Der Beitritt zur Union bedeutet seit langem nicht mehr nur die Teilnahme an wirtschaftlicher Integration. Die durch den Vertrag von Maastricht9 gegründete Europäische Union ist nicht nur ein Akt zur Fortentwicklung des europäischen Einigungsprozesses, sondern die Institutionalisierung der politischen Integration. 1O Nach ihrem Selbstverständnis beruht sie auf der Achtung der Menschenrechte, der Wahrung der demokratischen Grundwerte sowie dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ll und verkörpert dadurch die Idee Europas als einer Kommissionsstellungnahme zum maltesischen Beitrittsgesuch siehe KOM (93) 312 endg. vom 30.6.1993, BullEG 6-1993, Ziff. 1.3.7. Der Erweiterungsprozeß wird um eine Europa-Konferenz ergänzt, die am 12.3.1998 erstmalig in London stattfand. Als multilaterales Gremium dient sie dem politischen Dialog zwischen Vertretern der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten und derjenigen Staaten, die flir einen Beitritt in Frage kommen. Es nahmen die Vertreter der zehn mittel- und osteuropäischen Bewerberstaaten und Zyperns an der Konferenz teil. Trotz Einladung hatte die Türkei keinen Vertreter entsandt. Bezüglich einer Heranflihrungsstrategie rur die Türkei hat die Kommission eine Mitteilung mit ersten operativen Vorschlägen veröffentlicht, KOM (1998) 124 endg. vom 4.3.1998. Hierzu die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3.12.1998, ABlEG Nr. C vom 21.12.1998, S. 57. Zu den Schlußfolgerungen der ersten Konferenz siehe BullEU 3-1998, Ziff. 1.3.50. Ausruhrlieh zur Frage eines Beitritts der Türkei unter Einbeziehung statistischen Materials im Vergleich zu den anderen Beitrittsbewerbern Agakül, RMC 1998, S. 359 ff. Zum Nutzen der Osterweiterung rur die Europäische Union vgl. Becker, integration 1998, S. 225 ff. 5 Dazu die Pressemitteilung der Kommission IP/98/964 vom 4.11.1998. 6 Vgl. Agence Europe Nr. 7338 vom 7.11.1998, S. 7. 7 Schlußfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rates vom 21./22.6.1993 in Kopenhagen, BullEU 6-1993, Ziff. 1.13. Die sonstigen integrativen Kriterien sind die Übernahme des acquis communautaire sowie die Akzeptanz der Ziele der politischen Union und Wirtschafts- und Währungsunion, KOM (97) 2000 endg., Bd. I, S. 55 ff. 8 Der Außenministerrat hat mit Beschluß vom 5.10.1998 entschieden, am 10.11.1998 auf Ministerebene konkrete Beitrittsverhandlungen mit diesen sechs Kandidatenländern der "ersten Gruppe" aufzunehmen. Der vollständige Wortlaut des Beschlusses ist abgedruckt in Agence Europe Dokumente Nr. 2100 vom 14.10.1998. 9 Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, BGBI. 199211, S. 1253. 10 Zu den einzelnen Integrationstheorien mit dem Ziel einer politischen Union siehe ausflihrlieh Giering, Europa zwischen Zweckverband und Superstaat, S. 33 ff. und S. 119 ff. m. w. N. 11 Das Primärrecht nimmt auf die Demokratie und die Menschenrechte erstmalig mit dem 3. Erwägungsgrund der Präambel zur Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) vom

A. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

21

Gemeinschaft von Zivilisationswerten. 12 Neben der Aussicht auf Wohlfahrtsgewinne für ihre Staaten ist es gerade dieses, an der europäisch-amerikanischen Verfassungsstaatlichkeit 13 orientierte Element der Europäischen Union, das die mittel- und osteuropäischen Länder um den Beitritt nachsuchen läßt - bedeutet er doch, in einer Wendung von Vac/av Havel, die "Rückkehr nach Europa". 3. Die Union vertritt dieses Wertemodell ausdrücklich nicht nur gegenüber beitrittswilligen Staaten in Form von Aufnahmebedingungen, sondern sie erhebt es in immer stärkerem Maße zum entscheidenden Faktor der Beziehungen zwischen ihr und Drittländern. 14 Davon zeugt insbesondere die Aufnahme von Menschenrechtsklauseln in internationale Abkommen der Europäischen Gemeinschaft, durch die in bewußter Abkehr der bis Ende der 80er Jahre geübten indifferenten Praxis ein Bedingungszusammenhang zwischen Handelsvorteilen und demokratisch-rechtsstaatlichen Werten hergestellt wird. 15

28.2.1986 Bezug. Siehe auch den 3. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages. Jetzt auch die Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Wien, BullEU 12-1998, Ziff. II und die Erklärung der Europäischen Union vom 10.12.1998 anläßlich des 50. Jahrestages der Annahme der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, BullEU 12-1998, Ziff. 1.3.22. 12 Vgl. lsensee, in: ders., Europa als politische Idee und rechtliche Form, S. 103 ff.; aus historischer Sicht Geiss, Europa - Vielfalt und Einheit, S. 11 ff. und S. 114 ff. Eine umfassende Definition Europas aus der Sicht des englischen Kulturkreises liefert Davies, Europe - A History, S. 47 ff. JJ Zu diesem Modell und seinen inhaltlichen Ausprägungen Stern, Grundideen europäisch-amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit, S. 8 ff.; Mayer-Tasch, in: ders., Verfassungen der nicht-kommunisitischen Staaten Europas, S. I ff. 14 Vgl. Art. 11 Abs. I 5. Spiegelstrich EUV. In der Bestimmung werden die Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu einem Ziel der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erklärt. In dem Kommissionsvorschlag tUr eine Verordnung über die Fortenwicklung und Festigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, KOM (97) 357 endg. vom 24.7.1997, findet sich der Satz: "Das Engagement der Gemeinschaft tUr die Fortentwicklung und Festigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist verhältnismäßig neu." (Hervorhebung vom Verf.) Hierzu mit einer Analyse in bezug auf die Praxis der Europäischen Gemeinschaft Brandtner/Rosas, EJIL 9 (1998), S. 468 ff. Kritisch zum Fehlen einer Menschenrechtspolitik der Union und mit weitreichenden Vorschlägen tUr ein europäisches Monitoring-System AlstonlWeiler, EJIL 9 (1998), S. 658 (674 ff.). 15 Siehe dazu austUhrlich mit Formulierungsbeispielen tUr einzelne Klauseln die Mitteilung der Kommission über die Berücksichtigung der Wahrung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte in den Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländem, KOM (95) 216 endg. vom 23.5.1995, und die Mitteilung der Kommission "Menschenrechte in den Außenbeziehungen der Europäischen Union: von Rom zu Maastricht und danach", KOM (95) 567 endg. vom 22.11.1995. Speziell zu den Menschenrechtsklauseln in den Abkommen der Union mit den mittel- und osteuropäischen Staaten, Pollet, R.A.E. - L.E.A. 1997, S. 290 (291 ff.). Eine umfassende Studie zu den Klauseln in den Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft liefert

§ 1 Einleitung

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Dabei ist tUr diese, auch auf Unionsebene ausgeübte offensive Politik in besonderem Maße auf die zweite Komponente des Wertekanons hinzuweisen: die Rechtsstaatlichkeit mit ihren Geboten der formellen und materiellen Gerechtigkeit und des Schutzes bürgerlicher Freiheiten. Denn trotz eines sich weltweit allmählich etablierenden Menschenrechts auf Demokratie, 16 zeigt sich im internationalen Leben die Trennung der nach europäisch-amerikanischem Verständnis verflochtenen Entwicklungslinien: die demokratische Auswahl der Regierenden und die bürgerlichen Freiheiten im Sinne des konstitutionellen liberalismus. 17 So liegt nach dem von der amerikanischen Stiftung Freedam Hause veröffentlichten Jahresbericht 1997/98 gegenwärtig die Zahl der Demokratien mit 118 von 191 souveränen Staaten 22 % höher als die vergleichbare Zahl zu Beginn der vorangegangenen Dekade. 18 Während in 62 % aller Staaten die politische Führung durch freie und faire Wahlen von der Bevölkerung legitimiert wurde, ließen sich lediglich 81 Staaten in die Kategorie der ,freien', d. h. der politische wie bürgerliche Freiheiten geWährleistenden Länder einordnen. Gedeckt von einem indifferenten Demokratiebegriff, konnte sich das Phänomen der "illiberalen Demokratie" entwickeln. 19 Eines der zentralen Ergebnisse der zitierten Studie ist darüber hinaus, daß die bestehenden "liberalen Demokratien" ihre Mechanismen zur Sicherung fundamentaler Menschenrechte stärken. Diese Beobachtung wird auch durch die neuesten Entwicklungen des institutionellen Rechts der Europäischen Union bestätigt. Der Vertrag von Amsterdam20 hat mit Art. 7 EUV 21 nunmehr ein HojJmeister, Menschenrechts- und Demokratieklauseln, S. 7 ff. Vgl. auch das Gebot in

Art. 177 Abs. 2 EGV. 16

Dazu Buergenthal, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 703 (720 ff.); Franck,

AJIL 86 (1992), S. 46 (90 f.). 17 Danach sichert die demokratische Staatsform in einem zunächst allgemeinen Sinn "das Maximum des möglichen Freiheitswertes" , weil schon bei der Anwendung der einfachen Mehrheitsregel der Gemeinwille mit mehr Individualwillen im Einklang als im Widespruch steht, vgl. Pauly, EuR 1998, S. 242 (244) unter Hinweis auf Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., 1929, S. 55. Zum Zusammenspiel von Demokratie und Menschenrechten siehe auch Kächler, in: ders., Democratic and international rule of law, S. 3 ff. 18 Karatnycky (ed.), Freedom in the World 1997/98, Freedom House, S. 3 (5 f.). 19 Zakaria, Foreign Affairs 76 (1997), S. 22 ff., deutsche Übersetzung (allerdings ohne Nachweise) in Europäische Rundschau 1998, S. 3 ff. Der Begriff der illiberalen Demokratie wird in dem hier gebrauchten Sinn bereits von Nawiasky, Staatslehre, Bd. 4, S. 32 verwendet. Zum Sinngehalt des Demokratiebegriffs und seiner Unterscheidung vom Rechtsstaat vgl. Bäckenförde, in: IsenseelKirchhof, HdbStR Bd. I, § 22 Rn. 82 ff. m.w.N. 20 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte vom 2.10.1997, ABI. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 1 ff. = BT-Drucksache 13/9339 = BR-Drucksache 784/97. Gemäß Art. 14 Abs. 2 tritt der Vertrag von Amsterdam "am ersten Tag des zweiten auf die Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde folgenden Monats in Kraft". Während der Drucklegung ist der

A. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

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Verfahren in das primäre Unionsrecht eingefllgt, durch das die grundlegende Werte der europäischen Integration gewährleistet werden. 4. Die Besonderheit des Art. 7 EUV besteht darin,22 daß er auf die verfassungsrechtliche Situation in den Mitgliedstaaten ausgerichtet ist, indem er die Verletzung bestimmter Grundsätze durch die Mitgliedstaaten zu einem von der Europäischen Union sanktionierbaren Tatbestand macht. Bei den geschützten Grundsätzen handelt es sich um die nunmehr in Art. 6 Abs. I EUV genannten "Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit". Die gleichfalls durch den Vertrag von Amsterdam bedingte Neufassung des alten Art. F Abs. I EUV bestimmt weiter, daß die Union auf diesen Grundsätzen beruht und diese allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Art. 7 EUV gewährleistet mithin Strukturen, in denen sowohl die Mitgliedstaaten untereinander als auch im Verhältnis zur Union übereinstimmen. Anders formuliert: Art. 7 i. V. m. Art. 6 Abs. I EUV gibt Anlaß zu der These, daß im Primärrecht ein Instrument zur Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union verankert wurde.

5. Während Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union zentrale Themen der medialen Öffentlichkeit wie der rechtswissenschaftlichen Diskussion sind, hat die Thematik des Art. 7 EUV im bisher geltenden Primärrecht keinen und auch im europarechtlichen Schrifttum nur sehr geringen Niederschlag gefunden. 23 Art. 7 EUV versucht eine Antwort auf die Frage zu geben, was mit einem Mitgliedstaat geschehen soll, in dem es durch Szenarien - wie etwa einen Staatsstreich, bürgerkriegsähnliche Zustände oder autoritäre Entwicklungen des politischen Systems 24 - zur Verletzung der Vertrag von Amsterdam am l. Mai 1999 in Kraft getreten (ABI. Nr. C 120 vom 1.5.1999, S. 24). Die Argumentation in dieser Untersuchung beruht auf dem Recht der Europäischen Union in der Fassung des Vertrages von Amsterdam. 21 Der Vertrag von Amsterdam hat im Rahmen der Bemühungen um ein vereinfachtes Vertragswerk die Neunumerierung sämtlicher Artikel sowohl des EU- als auch des EG-Vertrages ergeben. In dieser Arbeit werden die Vertragsartikel grundsätzlich in ihrer Fassung nach dem Vertrag von Amsterdam und folglich mit ihrer neuen Numerierung zitiert. Die Nennung einer Vertragsbestimmung mit dem Zusatz "a. F." deutet darauf hin, daß das Zitat ausdrücklich auf den Norminhalt in der Fassung des Vertrages von Maastricht Bezug nimmt. 22 Vgl. auch die dem Art. 7 korrespondierenden Vorschriften in Art. 309 EGV, Art. 204 EAGV und Art. 96 EGKSV. 23 Es lassen sich vorwiegend Beiträge der deutschen Rechtswissenschaft nachweisen: Zuleeg, JöR n. F. 20 (1971), S. 3 (52 ff); ders., Der Staat 1978, S. 27 (29 ff.); ders., in: Bieber/8leckmannlCapotorti, GS filr Sasse, S. 55 (57 ff); ders., EuR 1982, S. 21 (25 f.); Frowein, EuR 1983, S. 301 (311 ff.); Schwarze, EuR 1983, S. I (30 f.); H. P. lpsen, in: Maurer, FS filr Dürig, S. 159 ff.; zuletzt Stein, in: GötzlSelmer/Wolfrum, FS filr Jaenikke, S. 871 ff 24 Der Staatsstreich wird ausdrücklich genannt von de Gucht, Berichterstatter des Europäischen Parlaments zum Inhalt des Vorentwurfes eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union, EP-Dokument 1-575/83/8 vom 15.7.1983, Ziffer 36. Barents

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§ 1 Einleitung

Grundlagen der Union und damit dem Wegfall der ursprünglichen Beitrittsund nunmehr Teilnahmevoraussetzungen gekommen ist. Die exemplarische Nennung möglicher Szenarien ftI.r die Anwendung des Art. 7 EUV ist der Anlaß, Gelegenheit, die Wendepunkte abzustecken, zwischen denen sich diese Untersuchung bewegt. 6. Einerseits rückt das Gewicht der möglichen Szenarien die zu behandelnde Thematik in die Nähe der seit einigen Jahren in der Völkerrechtslehre diskutierten These vomfailed state. 25 Danach soll bei einem Wegfall der effektiven Staatlichkeit die Staatengemeinschaft berechtigt sein, im Einklang mit Art. 2 Nummer 4 UN-Charta, aus humanitären Gründen in dem betroffenen Staatsverband zu intervenieren. Unabhängig von dem Widerspruch, den die These vom failed state in der Völkerrechtswissenschaft erregt hat,26 kann es beim Wegfall effektiver Staatlichkeit in einem Mitgliedstaat der Union zu einer tatbestandlichen Überschneidung mit Art. 7 EUV kommen. Gleichwohl setzt die Wiederherstellung eines Mindestmaßes an staatlicher Ordnung durch physischen Zwang die prinzipielle Verfiigbarkeit des Intervenienten über entsprechende Zwangsmittel voraus. An einer solchen Rückgriffsmöglichkeit auf eine bewaffnete Macht fehlt es der Europäischen Union. Die am Beispiel moribunder Staatsverbände wie Somalia, Liberia, Haiti, Ruanda oder BosnienHerzegovina gebildete Failed-state-These flillt unter dem erreichten Integrationsstand weiterhin in die domaine reserve der Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte und muß von der verbandsinternen Maßnahme nach Art. 7 EUV unterschieden werden.

7. Andererseits gibt es eine verbandsinterne Maßnahme, von der Art. 7 EUV der Abgrenzung bedarf. Die Rede ist von dem Streitschlichtungsmechanismen nach Art. 226 EGV, Art. 141 EAGV, Art. 88 EGKSV und ferner Art. 46 EUV. Beide Mechanismen haben die Verletzung des Rechts der europäischen Integrationsverbände zum Gegenstand. Doch wie ein Blick auf den Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 EUV zeigt, ruht die Abgrenzung der Anwendungsbereiche bei der Mechanismen auf der Qualität des mitgliedstaatlichen Pflichtenverstoßes. Das interne Rechtsschutzsystem mit dem Europäischen Gerichtshof als entscheidender Instanz, ist ftI.r die Schlichtung eng umgrenzter, einzelner StreitflilIe

nennt als Anwendungsbeispiele die fortgesetzte Unterdrückung von Minderheiten, institutionalisierte Rassendiskriminierung und Staatsterror, MJ 4 (1997), S. 332 (335). 25 Siehe zur Failed-state-These BarkinlCronin, International Organization 48 (1994), S. 107 ff. Grundlegend aus deutscher Sicht Herdegen, BerDGVR 36 (1994), S.49 ff. m. w. N. Zur Entwicklung dieses Gedankens Kate Pease/Forsythe, Human Rights Quarterly 15 (1993), S. 290 ff.; vornehmlich mit den politischen Implikationen dieser These beschäftigen sich HelmanlRatner, Foreign Affairs No. 89 (1992/93), S. 3 ff. Eine ausfiihrliche Untersuchung möglicher Anwendungsfälle einer humanitären Intervention findet sich bei Pape, Humanitäre Intervention, S. 155 ff. 26 Zur Verteidigung des Interventionsverbotes etwa lsensee, JZ 1995, S. 421 ff. m.w.N.

A. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

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konzipiert und funktioniert auf der Prämisse der prinzipiellen Bejahung der Integration durch die Mitgliedstaaten. 27 Dagegen stellen Verstöße der Mitgliedstaaten gegen die in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze die Integration als solche in Frage. Sie mögen sich gleichfalls in spezifischen Einzelfiillen materialisieren, sind aber hinsichtlich der Dauer und Schwere des Verstoßes größer dimensioniert. 28 8. Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Gewährleistungsmechanismus des Art. 7 EUV von seinem Zuschnitt an qualitativ höherstehende Vertrags verletzungen anknüpft, als sie von den Rechtsschutzverfahren vor allem nach Art. 226 EGV erfaßt werden, und sich in entgegengesetzter Richtung von der humanitären Intervention des Völkerrechts durch seine Sanktionsmittel und seinen Charakter als verbandsinterne Maßnahme unterscheidet.

9. Die praktische Relevanz des Art. 7 EUV ist kraft Natur seiner Regelungsmaterie am Normalzustand der Integration ausgerichtet. Wenn es sich gleichwohl um eine Regelung im weiteren Umfeld des verbandlichen Notstands oder Verfassungsschutzes handelt, ist ihr Erkenntniswert keineswegs auf den im Leben eines Verbandes erfahrungsgemäß seltenen Ausnahmezustand begrenzt. 29 Drei Erwägungsgründe bestimmen die Bedeutung des Art. 7 EUV im Integrationsprozeß:

• Der Gewährleistungsmechanismus betrifft die Stellung der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union und ist damit eine Teilregelung in einem politisch und rechtlich konfliktträchtigen Bereich der Integration. In dieser Eigenschaft eröffnet der Mechanismus möglichen Erkenntnisgewinn in der Frage der rechtlichen Gestalt der Union und des verfassungsrechtlichen Status der Mitgliedstaaten. • Der Gewährleistungsmechanismus verweist auf Art. 6 Abs. I EUV und nimmt damit die schon nach dem Vertrag von Maastricht (Art. F EUV a. F.) rur die Verfassungsentwicklung der Union wesentlichste Vorschrift 30 als Tatbestandsvoraussetzung in Bezug.

27 Einen detaillierten Überblick über die Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten im Jahre 1997 gibt der 15. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, KOM (98) 317 endg. vom 19.5.1998. Zu den Grenzen des Vertragsverletzungsverfahrens unter Hinweis auf die Schaffieischflille (EuGH - Kommission ./. Frankreich, Rs. 232/78, Sig. 1979, S.2729 und EuGH, Verb. Rs. 24 und 97/80 R, Sig. 1980, S. 1319) siehe Ehlermann, in: Grewe/Rupp/Schneider, FS rur Kutscher, S. 135 (152 f.). 28 Nach Art. 7 Abs. I EUV muß die Verletzung der Grundsätze durch einen Mitgliedstaat "schwerwiegend und anhaltend" sein. Dazu ausfilhrlich unter Ziff. 236 ff. 29 Kritisch zur Notwendigkeit der Kodifizierung eines Sanktionsmechanismus in Art. 7 EUV Hilf, integration 1997, S. 247 (249); ders., EuR 1997, S. 347 (355). 30 Beutler nennt Art. Fein "Verfassungsfragment", in: v. d. GroebenlThiesingiEhlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. F Rn. 8. Hilf, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Eu-

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§ 1 Einleitung

• Der Gewährleistungsmechanismus ist akzessorisch mit der eingangs erwähnten sogenannten Osterweiterung der Union verknüpft, die neben dem Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion das bedeutendste Projekt innerhalb der europäischen Integration am Ende des 20. Jahrhunderts ist. 31 10. Die Europäische Union ist ein aus gegenwärtig 15 Mitgliedstaaten bestehender Zusammenschluß mit spezifischer Organisationsstruktur und eigenen Rechtsnormen, der sich im Bereich der Europäischen Gemeinschaften zu einer Rechtsordnung mit originären Hoheitsbefugnissen verdichtet hat. 32 Die Mitgliedstaaten haben dabei ihre nationale Souveränität nicht aufgegeben. Die Bedingungen zur weiteren Teilnahme an der Integration sind bislang vornehmlich aus der mitgliedstaatlichen Perspektive formuliert worden - namentlich durch Art. 23 Abs. I GG, Art. 28 Abs. 3 griechische Verfassung, Art. 11 italienische Verfassung und Art. 7 Ahs. 6 i. V. m. Art. 288 portugiesische Verfassung. 33 11. Die Einfilgung des Art. 7 i. V. m. der Neufassung des Art. 6 Abs. I EUV legt derweil schon durch ihren Wortlaut den Wechsel der vertrauten nationalen Perspektive nahe. Dieser Perspektivwechsel ist Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen. Von seiner Warte aus werden die Homogenitätsforderungen der Union gegenüber den nationalen Verfassungen filr die Fortsetzung

ropäischen Union, Art. F Rn. 1 und mit inhaltlich gleicher Aussage zu Art. 6 Abs. 1 EUV; ders., EuR 1997, S. 347 (355). 3\ Auf den Zusammenhang der Einfilgung des Art. 7 mit der geplanten Erweiterung des Europäischen Union um Länder, die sich in einem Transformationsprozeß befindenden und deshalb über noch wenig gefestigte demokratische Staatswesen verfilgen, weisen ebenfalls hin Manin, Columbia Journal ofEuropean Law 4 (1998), S. 1 (23); ThunHohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 25; Hilf, integration 1997, S. 247 (249); Barents, MJ 4 (1997), S. 332 (335 f.); Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (224 f.); Bruha/Vogt, VRÜ 30 (1997), S. 477 (493 f.); Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel I Rn. 8; vgl. auch die Stellungnahme der Kommission zur Regierungskonferenz 1996, Luxemburg 1996, S. 8 (siehe Ziffer 348). Zur Fragilität des Transformationsprozesses vgl. etwa die statistischen Angaben in der NZZ vom 27.8.1997, S. \0; vom 12. April 1998, S. \0 und vom 22.4.1998; Müller-Graf!, in: ders., East Central Europe and the European Union, S. 9 ff. Kritisch zur Erweiterung aus ökonomischer Sicht, Achtern, Osterweiterung, S. 13 ff. Ein Szenario zur Finanzierung der Europäischen Union im Jahre 2025 unter Berücksichtigung der Osterweiterung entwikkelt Gaspard, RMC 1998, S. 600 ff. 32 A. A. BVerfGE 89, 155 (190). In seinem "Maastricht-Urteil" hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß sich die ,,[ ... ] Gemeinschaftsgewalt [... ] von den Mitgliedstaaten abgeleitet und im deutschen Hoheitsbereich nur kraft deutschen Rechtsanwendungsbefehls verbindlich werden kann". 33 Die Verfassungen der Mitgliedstaaten werden, soweit nicht authentische Texte oder authorisierte Übersetzungen in deutscher Sprache vorliegen, nach der von Kimmel betreuten dtv-Ausgabe, Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, 4. Aufl., 1996 zitiert. Ausfilhrlich zu den mitgliedstaatlichen Integrations- und Bestandssicherungsklause1n unter Ziff. 45 ff.

B. Gang der Untersuchung

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der Mitgliedschaft in der Union und die Gewährleistung jenes Gebotes die beiden Hauptgegenstände dieser Untersuchung.

B. Gang der Untersuchung 12. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die beiden bereits mehrfach zitierten Normen des Primärrechts: Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV. Deren Exegese baut auf dem folgenden zweiten Abschnitt (§ 2) über die Homogenität als Ordnungsprinzip zusammengesetzter Verbände auf. Es werden Begriff, Funktion und Konzeption der europäischen Homogenität, letztere im Sinne eines Zwei-Ebenen Modells, erörtert. Die normative Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV ist Gegenstand des dritten Abschnitts (§ 3). Auf der Grundlage der juristischen Methodenlehre wird der Inhalt der Norm über die klassischen Auslegungsmethoden erschlossen, wobei besonderes Gewicht auf die Bestimmbarkeit der vier in dem Vertragsartikel genannten Grundsätze gelegt wird. Der zentrale vierte Abschnitt (§ 4) ist Art. 7 EUV gewidmet. Als gedankliche Vorarbeit fiir eine spätere Würdigung werden zunächst vergleichbare Sanktionsmechanismen anderer Rechtsordnungen dargestellt, an die sich ein Unterabschnitt über die Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Primärrecht anschließt. Die Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV leitet über zu der detaillierten Untersuchung des Sanktionsmechanismus, die auch die korrespondierenden Regelungen in Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV umfaßt. Aufgrund der Komplexität des Mechanismus wurde ein Aufbau gewählt, der die AusfUhrungen zu den Verfahrensbestandteilen und erörterungswürdigen Probleme entlang einer selbst entwickelten Systematik des Sanktionsverfahrens verortet. Es werden auch die Fragen zu beantworten sein, inwieweit Art. 7 EUV in Konkurrenz zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union steht und ob der Anwendungsbereich des Art. 7 über den Wortlaut der Bestimmung hinaus erweitert werden muß. Die Auswirkungen der Primärrechtsänderung durch die Änderung und EinfUgung von Art. 6 Abs. I und Art. 7 EUV auf das Rechtssystem der europäischen Integrationsverbände sind Gegenstand des fUnften Abschnitts (§ 5). Die primärrechtlichen Neuregelungen sind Anlaß, über den Umfang der mitgliedstaatlichen Souveränität und die Schranken der nationalen Identität nachzudenken sowie das Verhältnis von Unions- und Gemeinschaftsrecht zu untersuchen. Abschließend werden im sechsten Abschnitt (§ 6) die Argumentation und die Ergebnisse der Arbeit zusammengefaßt.

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der Europäischen Union A. Begriffliche Erläuterungen 13. Homogenität im allgemeinen Sprachgebrauch meint Gleichartigkeit. Gegründet auf dieses Verständnis, hat der Begriff einen vielfiiltigen Anwendungsbereich. Die technisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten nennen einen Stoff homogen, wenn seine Strukturelemente an allen Stellen die gleiche Anordnung und die gleichen makroskopischen Eigenschaften besitzen. 34 In der ökonomischen Theorie dient die Homogenität der Bezeichnung rur die Gleichartigkeit von Gütern verschiedener Anbieter, die keine Differenzierung hinsichtlich Qualität, Verpackung und Aufmachung aufweisen. 35 In ethnischer Hinsicht bezeichnet Homogenität die Übereinstimmung einer Gesellschaft mit einem Menschenkollektiv, das sprachlich, soziologisch, gesellschaftlich und mitunter auch genetisch eine Einheit bildet. 36 Für die Sozialwissenschaften ist die Homogenität der Individuen, d. h. die soziale Gleichartigkeit der Bevölkerung eines Gebietes, die Voraussetzung demokratischer Willensbildung und damit Bedingung rur bewußte politische Einheitsbildung37 • Die Integrationstheorie bezeichnet mit dem Begriff der Homogenität das Ausmaß, in dem Mitglieder einer sozialen Einheit von den gleichen symbolischen Ressourcen leben und hinsichtlich der Geltung dieser Symbole übereinstimmen. 38 14. Der politisch-soziale Homogenitätsbegriff markiert die Schnittstelle zu der Kategorie des Rechts. Darin erscheint die Homogenität zunächst als Grundelement der Bundesstaatslehre. In einem Bundesstaat haben sowohl die sich zusammenschließenden Gliedverbände wie auch der Gesamtverband Staatsqualität. Die Gliedstaaten besitzen Verfassungsautonomie, d. h., sie können über die 34 Vgl. etwa Römpp, in: FalbelRegitz (Hrsg.), Lexikon der Chemie, 10. Aufl., Stuttgart, New York 1997, Stichwort: homogen; Lexikon der Physik, Franke (Hrsg.), 3. Aufl., Stuttgart 1969, Stichwort: homogen; Lugers Lexikon der gesamten Technik, 3. Aufl., Berlin, Leipzig 1928, Stichwort: Homogenitätstest. 35 Brockhaus-Enzyklopädie, 20. Aufl., Mannheim, Leipzig 1997, Stichwort: homogen. 36 Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichworte: Homogenität und Ethnie. 37 Vgl. Werner, Wesensgehalt, S. 9; Heller, Gesammelte Schriften, S. 426. Zum Hellerschen Begriff der sozialen Homogenität und seiner Rezeption durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht siehe auch die Kritik von Zuleeg, BB 1994, S. 581 (585). 38 Kaufmann, Europäische Integration, S. 56 unter Hinweis auf Peters, Integration moderner Gesellschaften, S. 118.

A. Begriffliche Erläuterungen

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Aussagen ihrer rechtlichen Grundordnung selbständig entscheiden. 39 Die souveräne Eigenständigkeit des Landesvolkes bei der Verfassungsgebung und die Ausgestaltung der Verfassungs wirklichkeit ist durch die Verschränkung der "Verfassungsräume" von Gliedstaaten und Gesamtstaat beschränkt. 4o Eine föderale Staatsverfassung setzt nämlich nach allgemeiner Auffassung die wesensmäßige Übereinstimmung der Gliedstaaten mit dem Gesamtstaat über fundamentale Verfassungswerte (substantielle Homogenität) und Verfassungsstrukturen (strukturelle Homogenität) voraus. 41 15. So werden in Deutschland die Bundesländer nach Art. 28 Abs. 1 GG verpflichtet, die leitenden verfassungsrechtlichen Prinzipien des Grundgesetzes - die Grundsätze des "republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates" im Sinne der Art. 1 und 20 GG - einzuhalten. 42 Neben materiellen, umzusetzenden Vorgaben an den gliedstaatlichen Verfassungsgeber greift das Grundgesetz des weiteren direkt auf die Landesverfassung durch, indem Verfassungsnormen alle Staatsgewalt binden, also auch die der Länder an rechtsstaatliche Grundsätze des Bundes. 43 In eine dritte Kategorie fallen Grundgesetznormen, die das Homogenitätsgebot durch die Schaffung eines gesamtstaatlichen Rechtszustandes materialisieren, d. h., der Norminhalt beansprucht sowohl direkte Geltung in den Gliedstaaten als auch im Gesamtstaat. 44 16. Das österreichische Verfassungsrecht enthält keine allgemeine Homogenitätsklausel, formuliert jedoch in den Art. 95 ff. Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zahlreiche Anforderungen an die rechtliche Struktur der Länder, die als

BVerfGE 36, 342 (360). BVerfGE 4, 178 (189); 9, 268 (281); 22, 267 (270). 41 So etwa C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 375 ff.; Maunz, in: IsenseelKirchhof, HdbStR, Bd. IV, § 95; lsensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR, Bd. IV, § 98 Rn. 58 ff.; ders., in: ders., Europa als politische Idee und als rechtliche Fonn, S. 103 (122 f.); Nieding, Prinzip der Homogenität, S. 4; Erler, VVDStRL 18 (1969), S. I (38 f.); Werner, Wesensgehalt, S. 8 und öfter; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 19 III, S. 704 ff. m. w. N.; Forsthoff, Körperschaft, S. 42 und 98 f.; Messmer, Föderalismus, S. 119 f.; Doehring, ZRP 1993, S. 98 (103); ders., Allgemeine Staatslehre, Rn. 162 ff, 42 BVerfGE 4, 178 (189). Dazu Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 16 11, S. 117. Kritisch zu materiellen Bedeutung der Staatsstrukturprinzipien in diesem Zusammenhang Kersten, DÖV 1993, S. 896 (899 f.). 43 Beispiele rur diese Rechtstechnik sind Art. lAbs. 3 i. V. m. den Grundrechten, Art. 33, 34 und 101 GG. Einer Transformation, wie sie bei den Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG notwendig ist, bedarf es in diesen Fällen nicht. Ein Teil der Lehre zählt auch Art. 20 Absätze 2 und 3 GG zu diesen "Durchgriffsnonnen"; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 19 III 5, S. 704 f. m. w. N. 44 BVerfGE 1, 208 (227); 27, 10 (17); 66, 107 (114) ständige Rechtsprechung. Zur sogenannten "Bestandteilstheorie" siehe Maunz/Dürig, in: dies., GG-Kommentar, Art. 21 Rn. 78. Die Systematik der Homogenitätsgebote des Grundgesetzes wird zusammenfassend von Nierhaus dargestellt in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 3 ff. 39

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

Homogenitätsaussagen gedeutet werden können. 45 So dürfen beispielsweise gemäß Art. 95 Abs. 2 B-VG die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechts in den Landeswahlordnungen nicht enger gezogen sein als diejenigen der Bundesverfassung für die Wahlen zum Nationalrat. Die Länder können des weiteren nicht von den staatstragenden Prinzipien ("Baugesetze") abweichen, deren Änderung oder Beseitigung einer Gesamtänderung der Bundesverfassung gleichkäme (Art. 44 Abs. 3 B-VG). Dazu gehören nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes das demokratische, das rechtsstaatliche und das bundesstaatliche Prinzip.46 Die Länder haben auch keine Komptenz, von sich aus die Staatsform der Republik zu verändern. 47 Im Bereich des rechtsstaatlichen Prinzips wird die weitreichende bundesstaatliehe Homogenität durch die Kontrolle über die Verwaltung von Bund und Ländern seitens der einheitlichen Gerichtsbarkeit des öffentliches Rechts hergestellt. 48 17. Auch das schweizerische Bundesrecht enthält ein Homogenitätsgebot, wählt allerdings einen anderen Weg der rechtlichen Gestaltung. Die schweizerischen Kantone sind nach Art. 6 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 dazu verpflichtet, für ihre Verfassungen um Gewährleistung beim Bund nachzusuchen. Die Gewährleistung wird erteilt, wenn die Anforderungen des Bundes an die Kantonalverfassungen in dreierlei Hinsicht erfüllt sind: Erstens dürfen die Kantonalverfassungen nicht im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen (Abs. 2 lit. a). Zweitens muß die "Ausübung politischer Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen" gesichert werden (Abs.2 lit. b).49 Drittens müssen die Kantonalverfassungen durch das jeweilige Kantonsvolk angenommen worden sein und der prinzipiellen Revisionsmöglichkeit unterliegen (Abs. 2 lit. c). Damit erhebt die Bundesverfassung einen strukturellen (lit. a) wie einen substantiellen (lit. bund c) Homogenitätsan-

45 Zur bundestaatlichen Homogenität nach österreichischem Verfassungrecht siehe PernthalerlWeber, in: MartineklWachter, FS filr Schnorr, S. 557 (558 ff.); Pernthaler, FS 75 Jahre Bundesverfassung, S. 659 (669 f.) m. w. N. in Fn. 81. 46 Vgl. die Leitentscheidung des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg. 1952, S. 2455 ff. Dazu AdamovichiFunk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 98 ff. Vgl. auch Art. 97 Abs. 1,3 und 4; Art. 99 Abs. 2; Art. 102 Abs. 8 B-VG. 47 Ermacora, Österreichische Verfassungslehre, Nr. 81.6 S. 349. 48 PernthaleriWeber, in: MartinekiWachter, FS filr Schnorr, S. 557 (563 f.). 49 Die Verpflichtung der Kantone zur republikanischen Staatsform ist in erster Linie wegen der monarchischen Tendenzen im Kanton Neuenburg in die Bundesverfassung aufgenommen worden. Neuenburg war bis 1848 sowohl Kanton der Eidgenossenschaft, als auch ein mit dem Königreich Preußen in Personalunion verbundenes Fürstentum. Ausfilhrlich dazu Nieding, Prinzip der Homogenität, S. 15 ff.; vgl. filr die Sicht der Neuenburger Frage von der Warte des preußischen Verfassungsrechts, Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. III, S. 247 ff. Zur Einfilhrung der Formulierung "republikanisch" siehe Thürer, VVDStRL 52 (1993), S. 97 (118 ff.).

A. Begriffliche Erläuterungen

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spruch, ohne auf die Kantonalverfassungen durchzugreifen oder gar Bundesverfassungsrecht zu deren Bestandteil zu machen. 50 18. Schließlich sei zur Verdeutlichung der Homogenität als Grundelement der Bundesstaatlichkeit die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zitiert. Art. IV Sektion 4 der amerikanischen Verfassung vom 17. September 1787 garantiert den Bundesstaaten eine republikanische Verfassung, womit sich die Verfassungsnorm vornehmlich gegen aristokratische oder monarchische Tendenzen wendet. 51 Der Supreme Court konkretisierte Art. IV Abschnitt 4 in einer Entscheidung dahingehend, daß das Volk die Staatsregierung wählt und sich sein Recht durch die gewählte Volksversammlung gibt. 52 Folglich erfaßt das Homogenitätsgebot der amerikanischen Bundesverfassung nicht nur die Staats-, sondern auch die Regierungsform der Bundesstaaten. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Supreme Court zur "due process clause" im 14. Amendment hinzuweisen, durch die die Homogenität im Bereich des Schutzes der Menschenrechte zwischen den Gliedstaaten und dem Bund hergestellt wurde. 53 19. Die exemplarische und komprimierte Darstellung des Homogenitätsgebotes der drei genannten Bundesstaaten erlaubt - in Verbindung mit der allgemeinen Definition des Begriffs - die Identifikation der Funktionsregeln des Homogenitätsprinzips. Homogenität in föderalen Verbänden des Staatsrechts setzt die Existenz von mindestens zwei Ordnungseinheiten voraus, die sich einen bestimmten Kernbereich ihrer Selbständigkeit voneinander bewahrt haben, hingegen die grundsätzliche Übereinstimmung ihrer jeweiligen Konstitutionsmerkmale notwendig erscheint. 54 Der charakterisierende Kemgehalt der Homogenität ist dabei das Maß der Übereinstimmung der Verbandseigenschaften. In diesem Bereich bedarf es einer grundlegenden Abgrenzung. Jede Aussage über den Status der Gleichheit enthält notwendig einen Vergleich anhand eines gemeinsamen Dritten, dem so-

50 Zur Bedeutung von Art. 5 Bundesverfassung vgl. Gasteyger, Politische Homogenität, S. 51. Zur Homogenität der Verfassungsstruktur der Kantone HäfeliniHaller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Rn. 240. 51 So Madison, The Federalist Nr. 43, in der Übersetzung von A. Adams, Die Federalist-Artikel, S. 262. Madison fUgt als Begründung weiter an: "Je enger eine solche Union ist, ein desto größeres Interesse haben ihre Mitglieder an ihren respektiven politischen Institutionen, um so größer ist ihr Recht darauf zu bestehen, daß die Regierungsform, unter der der Vertrag abgeschlossen wurde, im wesentlichen gewahrt bleibt", ebenda, S. 262 f. 52 In re Duncan, Vol. 139 United States Reports (1891), S. 449 (461). Zum Inhalt der Klausel vgl. Merritt, Columbia Law Review 1988, S. 1 (23 f.), Fn. 130 ff. 53 Zu diesem sog. Inkorporationsmodell siehe FroweiniSchulhofer/Shapiro, Integration Through Law, Bd. 1, Buch 3, S. 231 (255 ff. und 279 ff.) und Cappelletti/Golay, Integration Through Law, Bd. I, Buch 2, S. 261 (300 ff.). 54 Vgl. Werner, Wesens merkmale, S. 12.

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genannten tertium comparationis. Im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen absoluten Identität kann die Gleichheit immer nur relativ sein. Denn sie ist eine Bewertung, die die Ungleichheit als existierend voraussetzt. 55 Die Gleichheit muß indessen von der Gleichartigkeit als Essenz der Homogenität unterschieden werden. Während beide der Vergleichbarkeit, d. h. der Existenz eines tertium comparationis bedürfen, definiert sich die Gleichartigkeit durch "die Ähnlichkeit innerhalb derselben Art".56 Nach dem klassischen Völkerrecht mögen die souveränen Staaten hinsichtlich ihrer formalen Stellung gleich sein;57 ihre interne Organisation und ihre leitenden Strukturprinzipien können hingegen nur in ihrer Erscheinungsart gleich sein. Innerhalb dieser - also im Detail - sind sie verschieden und somit höchstens gleichartig. 20. Der bundesstaatliche Zusammenschluß mehrerer Einzelstaaten ist zwar der zentrale, aber nicht der ausschließliche Anwendungsfall des Homogenitätsgebotes. Montesquieu überschrieb ein Kapitel seines Werkes Vom Geist der Gesetze mit der Zeile: "Darüber, daß der Staatenbund aus gleichartigen Staaten vor allem aus republikanischen Staaten bestehen muß".58 Montesquieu argumentierte, daß ein Staatenbund aus republikanisch organisierten Staaten bestehen sollte, da der Geist der Republik auf Friede und Maßhalten gerichtet sei, während Monarchien und Republiken nur durch Zwang in einem Staatenbund gehalten werden könnten. 59 Mit dem Rückgriff auf den Staatenbund ist die Rechtsordnung des Völkerrechts in Bezug genommen - drei Beispiele völkerrechtlicher Verbände sollen die Existenz der Homogenität auf dieser Ebene präzisieren.

21. Ein Anwendungsbeispiel für Homogenität auf staatenbündischer Grundlage liefert das Commonwealth. Der in Reaktion auf die verstärkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzende Entkolonialisierung im British Empire60 gebildete Zusammenschluß unabhängiger Staaten hat keine ausdrückliche rechtlich verfaßte Form. Folglich können von einer Verbandssatzung kei-

55 Siehe Dürig, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Stichwort: Gleichheit, Sp.1086. 56 Gasteyger, Politische Homogenität, S. 31. 57 V gl. Art. 2 Ziffer 1 UN-Charta. Zum Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 37, 41. 58 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, in der Übersetzung Forsthoffs, IX. Buch, 2. Kapitel, S. 182 f. 59 Montesquieu, ebenda, S. 182. 60 Die Desintegration des Weltreichs setzte bereits nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ein und fand in der Teilnahme einiger Dominions als Völkerrechtssubjekte an den Friedensverhandlungen 1919 und dem anschließenden Beitritt zum Völkerbund seinen augenscheinlichen Ausdruck. Den entscheidenden politischen Impetus filr die Neubestimmung der Rolle Großbritanniens und die Überleitung des Empire in das Commonwealth liefert die Suezkrise von 1956. Hierzu ausfilhrlich McJntyre, Commonwealth ofNations, S. 181 ff.

A. Begriffiiche Erläuterungen

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ne verbindlichen Homogenitätsanforderungen an die Verfassungen der Commonwealth-Mitglieder ausgehen. 61 Obwohl die Mitgliedstaaten als ehemalige Kolonien, Treuhand- und abhängige Gebiete eine höchst unterschiedliche Affinität zum britischen Königreich haben, die Mitgliedstaaten in der Gegenwart allen industriellen Entwicklungsstadien angehören, auf verschiedenen Nationen, Kulturen, Sprachen und Religionen gründen und die Mehrheit von ihnen die Staatsform der Republik gewählt hat, haben sie sich auf gemeinsame Fundamentalprinzipien ihrer Mitgliedschaft geeinigt. 62 Sie umfassen die Bekenntnisse zur Freiheit des Individuums, zur Nichtdiskriminierung, zum Schutz der Menschenrechte, zur parlamentarischen Demokratie und zum Rechtsprinzip (rufe ojfaw).63 22. Einen verpflichtenden Homogenitätsanspruch erhebt die Satzung des Europarates. 64 Nach Art. 4 kann jeder europäische Staat Mitglied dieser internationalen Organisation werden, der für "fähig und gewillt befunden wird, die Bestimmungen des Art. 3 zu erfüllen". Jener Art. 3 verpflichtet die Mitgliedstaaten auf die Mitwirkung an den Aufgaben des Europarates und stellt fest, daß jedes Mitglied die Herrschaft des Rechts und Geltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die seiner Hoheitsgewalt unterliegenden Individuen anerkennt. Im Zusammenspiel mit der programmatischen Aussage im 3. Erwägungsgrund der Präambel stellt die Satzung des Europarates somit konkret die Anforderung an potentielle und bestehende Mitgliedstaaten, sich als demokratische Rechtsstaaten zu konstituieren. 65

Dazu de Smith/Brazier, Constitutional Law, S. 657 tI. Auf den Zusammenhang der Entwicklung des Commonwealth in Richtung auf ein allgemein konsentiertes Demokratieptinzip mit der Aufnahme weiterer Mitglieder weist MayalI, International Affairs 74 (1998), S. 379 (383 ff.) hin. 63 Declaration 0/ Commonwealth Principles, verabschiedet am 22.1.1971 auf dem Commonwealth Gipfel von Singapur und bestätigt durch die Harare Commonwealth Declaration vom 20.10.1991. Zur Harare-Deklaration und der Förderung von "democracy, good governance and human rights" siehe Hossain, in: WeisslDenter/de Waart, International Economic Law with a Human Face, S. 67 ff. Der Text der bei den Deklarationen findet sich im Internet unter http://www.thecommonwealth.org. 64 Satzung des Europarates vom 5.5.1949, BGBI. 1950 I, S. 263, Neufassung BGBI. 1954 I Anlage B, S. 1126, letzte Änderung BGB\. 199711, S. 159. 65 Zur Demokratie als Bedingung der Mitgliedschaft im Europarat, siehe Klebes, in Schmuck, Vierzig Jahre Europarat, S. 179 (183 ff.). Der Europarat hat sich bis zu dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten seit 1989 vor allem als Organisation verstanden, die das "westliche" Verständnis vom demokratischen Staatswesen zum Leitbild erhob ("Organisation des Kalten Krieges"), vgl. Gasteyger, Politische Homogenität, S. \06. Die Länder des ehemaligen Ostblocks sind nach Abkehr von der sozialistischen Doktrin somit auch erst sukzessive dem Europarat ab 1990 beigetreten. Als vorerst letztem Staat ist Kroatien dem Europarat am 6.11.1996 fiir Kroatien beigetreten, vgl. dazu die Übersicht zu den 40 Mitgliedstaaten des Europarates in EuGRZ 1997, S. 128 f. Zur Aufnahme Georgiens als 41. Mitglied siehe Agence Europe Nr. 7434 vom 27.3.1999, S.9. 61

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3 Schorkopf

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23. Bei Beispielsflillen aus der Kategorie des Völkerrechts sind ferner die mit universellem Anspruch auftretenden Vereinten Nationen zu berücksichtigen. Die Charta der internationalen Organisation enthält ebenfalls eine Klausel, die ihrem Inhalt nach substantielle Anforderungen an die Mitgliedschaft in der Organisation stellt. Nach Art. 4 UN-Charta muß es sich bei einem Beitrittsbewerber um einen "friedliebenden" (peace loving) Staat handeln, der "tahig und willens" (able andwilling) ist, die "Pflichten (obligations) aus der Charta zu erfüllen. Die sprachlich vage Fassung der beiden erstgenannten Voraussetzungen macht jedoch deren juristische Auslegung unmöglich und eröffnet lediglich Raum für politische Werturteile. Dagegen läßt sich das dritte Tatbestandsmerkmal durch die Zielbestimmungen in Art. I und 2 UN-Charta zwar konkretisieren, doch fmden sich dort keine Anforderungen an die Verfassungsstruktur oder -substanz der Mitgliedstaaten, sondern lediglich Verhaltensmaximen (z. B. Gewaltverzicht und friedliche Streitbeilegung). Deren Einhaltung ist vom Handein der innerstaatlichen Entscheidungsgremien abhängig und unterliegt der augenblicklichen Willensänderung der mitgliedstaatlichen Regierungsorgane. 24. Der exemplarische Rückgriff auf das Völkerrecht zeigt, daß die Homogenität kein exklusives Prinzip des Staatsrechts ist. Anknüpfungskriterium für das Homogenitätsprinzip ist vielmehr die Existenz mehrerer, in Beziehung zueinander stehender Verbandseinheiten. Bei der Homogenität handelt es sich folglich um ein Ordnungsprinzip, das die Gleichartigkeit bestimmter Eigenschaften miteinander in Beziehung stehender Verbände zum Inhalt hat.

Diese Charakterisierung der Homogenität legt den Schluß nahe, daß das Homogenitätsprinzip auch in der Europäischen Union anzuwenden ist. Die Europäische Union ist ein aus 15 Mitgliedstaaten zusammengesetzter Verband, dessen rechtliche Gestalt mit den tradierten Kategorien nicht in Einklang gebracht werden kann und deshalb umstritten ist. 66 Der Streit bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Aufmerksamkeit. Denn selbst wenn man der Europäischen Union jedwede Verbandsstruktur abspricht und sie lediglich als einen "materiell-rechtlichen Verbund" begreift,67 findet sich jedenfalls das für die

66 Zum Streitstand insgesamt Breitenmoser, ZaöRV 55 (1995), S. 951 (980 ff.) m. w. N. Als Vertreter der These von der Rechtspersönlichkeit sind vor allem zu nennen: v. BogdandylNettesheim, EuR 1996, S. 3 ff.; W Schroeder, in: Hummer/Schweitzer, Österreich und das Recht der Europäischen Union, S. 3 (11) und Trüe, Verleihung von Rechtspersönlichkeit, S. 7 ff. m. w. N. Siehe insgesamt zu dieser Frage auch die Nachweise in den Fn. unter Ziff. 363. 67 So vor allem PechsteiniKoenig, Europäische Union, Rn. 86 ff. unter Hinweis auf BVerfGE 89, 155 (188). Ähnlich Stellungnahmen zur Europäischen Union im Sinne einer amorphen intergouvernementalen Kooperation SchermerslBlokker, International Institutional Law, § 1562; V Constantinesco, CDE 1993, S. 251 (268 f.); HeukelslZwaan, in: Deidre/Heukels, FS für Scherrners, S. 195 (198); Müller-Graf!, CMLRev 1994, S. 493 (494 f.); Pliakos, RTDE 1993, S. 185 (211). Zu dieser Thematik siehe auch unter Ziff. 361 ff.

A. Begriffliche Erläuterungen

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Homogenität typische Mehrebenensystem68 im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und den Europäischen Gemeinschaften als körperschaftlichen Bestandteilen des materiellen Rechtsrahmens "Europäische Union". Die Exegese des Schrifttums zeigt denn auch, daß die Geltung eines Homogenitätsprinzips zuweilen sogar als "Verfassungshomogenität" bezeichnet69 - zwischen den Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten einhellige Auffassung ist. 7o Neuere Stellungnahmen setzen anstelle der Gemeinschaften die Europäische Union als Bezugssubjekt ein, lassen jedoch in den meisten Fällen, wie die älteren Beiträge zu dieser Thematik, eine Begründung vermissen oder verweisen in groben Zügen auf die einschlägige, bundesstaatliche Literatur. Grundlage dieser Arbeit ist die Annahme, daß das Homogenitätsprinzip in der Europäischen Union gilt. Bevor die Konzeption der europäischen Homogenität erörtert wird, ist das Ordnungsprinzip jedoch zunächst in den Begründungszusammenhang mit der Frage nach seiner Notwendigkeit zu stellen. Dazu werden im folgenden die spezifischen Funktionen der Homogenität in die Betrachtung einbezogen.

Vgl. Marks/Hoeghe/Blank, JCMS 34 (1996), S. 341 ff. Grundlegend zur Thematik und der Verfassungshomogenität im besonderen H. P. lpsen, in: Maurer, FS für Dürig, S. 159 ff.; Heintzen, EuR 1997, S. 1 (6); Pernice, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 17 und 47; Mayer-Tasch, in: ders., Verfassungen der nicht-kommunistischen Staaten Europas, S. 1 ff; Randelzhojer, in: MaunzIDürig, GG-Kommentar, Art. 24 Abs. 1, Rn. 202. Siehe auch BVerfDE 94, 49 (89): "Gemäß Art. 23 Abs. 1 GO bleibt für die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union ein Mindestmaß an Verjassungshomogenität zwischen den Mitgliedstaaten unabdingbar." (Hervorhebung vom Verf.). 70 Heintzen, EuR 1997, S. 1 ff.; Nicolaysen, Europarecht I, S. 78; Isensee, in: ders., Europa als politische Idee und rechtliche Form, S. 103 (121 ff.); Oppermann, Europarecht, Rn. 207; Rengeling/Jakobs, DVBI. 1984, S. 773 (776); Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 175 Rn. 65; Schmalenbach, Europaartikel 23 des Grundgesetzes, S. 61, 204; Stern, in: ders., Zukunftsprobleme der europäischen Union, S. I (3); Streinz, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 22 ("strukturangepaßte Grundsatzkongruenz"); ders., DVBI. 1990, S. 949 (956); Tomuschat, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 24 Rn. 57; Frowein, EuR Beiheft 1-1992, S. 63 ff.; Thürer, VVDStRL 50 (1990), S. 97 (128 ff.), für den homogene Wertungsgrundlagen eines der vier konstituionellen Prinzipien zur Legitimation einer Gesamtordnung sind. Kritisch zum Begriff der Homogenität Bieber, in: Kreuzer/Scheuing/Sieber, Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, S. 71 (74 f.). 68

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

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B. Funktionen der Homogenität in der Europäischen Union I. Konsensfunktion 25. Die europäische Integration ist der Prozeß wirtschaftlicher und politischer Einheitsbildung zwischen den beteiligten Staaten. Insbesondere die politische Einheitsbildung hat ihre Grundlage in, Elementen der Gemeinsamkeit.?) Bei diesen Elementen handelt es sich um eine Ansammlung aus objektiven Gegebenheiten und kollektiven Interessen (Ideale). Zum ersten Bereich gehören Elemente wie die geopolitische Lage, die Kultur und Geschichte eines Landes;72 für den zweiten seien - in Anlehnung an die Terminologie Weilers Friede, Wohlstand und Supranationalität, letzteres im Sinne einer Bändigung des zum Nationalismus tendierenden souveränen Staates, namentlich genannt.?3 26. Vor diesem Hintergrund hat das Homogenitätsprinzip die Funktion, einen Vorrat an Gemeinsamkeitselementen zu defmieren, der Grundlage der gewünschten Einheitsbildung sein kann und soll. Mit den objektiven Gegebenheiten wird dabei nur das Umfeld der potentiell integrationsfiihigen Verbände abgesteckt - die Union stellt mit Art. 49 Abs. 1 EUV an Beitrittskandidaten die Anforderung, Teil der europäischen Geographie zu sein?3. Von wesentlich größerer Bedeutung - aber auch verbunden mit größeren Schwierigkeiten - ist die Formulierung kollektiver Interessen, weil auf diesem Gebiet einerseits die Staaten durch ihr Verhalten Einfluß auf die Errullung der Interessen haben und andererseits ein weiter, unbestimmter Gestaltungsspielraum besteht. Ist ein gemeinsames Ideal der integrationswilligen Staaten identifiziert - das bereits genannte Ideal des Friedens sei exemplarisch herausgegriffen -, steht es den Staaten frei, in einem zweiten Schritt Homogenitätsbedingungen rur die Errullung dieses Ideals auszuhandeln. So zeigt die historische Erfahrung, daß verschiedene oder gar entgegengesetzte politische Bekenntnisse der Gliedverbände dem erfolgreichen ZusamVgl. Nicolaysen, Europarecht I, S. 78. Vgl. lsensee, in: ders., Europa als politische Idee und rechtliche Form, S. 103 (122 f.). Zur Bedeutung eines Mindestmaßes an Wertkonsens für die Integration siehe v. d. Groeben, Legitimationsprobleme, S. 51 f. 73 Weiler, ZSchwR 112 (1993). Bd. I, S. 437 (445 ff.). Zum Ideal des Friedens siehe etwa die Präambeln des EU- (10. Erwägungsgrund) und des EG-Vertrages (8. Erwägungsgrund); Die Erklärung der französischen Regierung vom 9.5.1950 über die Vereinigung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlindustrie (SchumanPlan), abgedruckt in: dtv-Textsammlung Europa-Recht, 15. Aufl., 1999, Ziffer 4, S. 181 f.; zum Ideal des Wohlstandes vgl. nur die in Art. 2 EGV genannten Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft. Zur Motivlage der europäische Integration siehe auch Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (487 f.). 73. Zu den Schwierigkeiten bei dem Versuch "Europa" geographisch zu bestimmen aus historischer Sicht Schulze. Suche nach europäischer Identität, S. 17 f. und Ziff. 347 ff. 7)

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B. Funktionen der Homogenität in der EU

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menwirken im föderalen Gesamtverband entgegenstehen. Wenn also den parlamentarischen, liberalen Demokratien die Aufrechterhaltung des Friedens als Wesensmerkmal zugeschrieben wird,74 und in den integrationswilligen Staaten Konsens in bezug auf den Friedenszustand als ein gemeinsames Ideal besteht, ist es folgerichtig, dieses Ideal auch zu einem Element des Homogenitätsgebotes zu machen. 75

11. Legitimationsfunktion Legitimität betrifft abstrakt die Frage der Rechtfertigung politischer Herrschaft. Im konkreten Bezug zur Europäischen Union soll das Konzept der Legitimität in seine Bestandteile aufgelöst werden: die juristisch-formale (I) und die sozial-empirische Legitimität (2).76

1. Juristisch-formale Legitimität 27. Ein verfaßter Verband ist juristisch-formal legitimiert, wenn seine kodifizierte Grundordnung durch eine politische Idee begründet und gerechtfertigt wird. In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden die Verfassungen und ihre Legalität mit der Philosophie des demokratischen Liberalismus verklammert, d. h., nur diejenige staatliche Macht ist gerechtfertigt, die unmittelbar vom Volk oder mittelbar durch ein vom Volk gewähltes Parlament und eine von diesem kontrollierte Regierung ausgeübt wird.

28. Die unstreitig mit Hoheitsgewalt ausgestatteten Europäischen Gemeinschaften wurden in einem demokratischen Vp.rfahren unter Zustimmung der betroffenen Bürger geschaffen, denn die mitgliedstaatlichen Parlamente haben die Gründungs- und Änderungsverträge gemäß ihrer nationalen Verfassungs-

74 So schon Kant, Zum ewigen Frieden, S. 195 (204 ff.); Montesquieu, IX. Buch, 2. Kapitel, S. 182 f. Die bei den Klassikern zwischen der Republik und der Monarchie

bestehende Antinomie hat sich von der Staatsform als Unterscheidungskriterium hin zu dem Merkmal des demokratischen Rechtsstaates verschoben. Insofern könnte man als Gegensatzpaar die Begriffe des parlamentarischen Liberalismus und der illiberalen Demokratie verwenden, siehe dazu oben unter Ziff. 3. 75 Zur Bedeutung des Konsens der am Integrationsprozeß teilnehmenden Staaten siehe auch Ever/ing, in: BemhardtiGeck/Jaenicke/Steinberger, FS rur Mosler, S. 173 (180 f.). Die Bedeutung des Konsens als Voraussetzung einer Verfassung betont Müller, in: BieberlWidmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 133 ff. 76 Einen Überblick zu der Systematisierung der verschiedenen Legitimitätsbegriffe gibt Hofmann, in: Philosophisch Historisch Wörterbuch, Stichwort: Legalität, Legitimität, Sp. 161 (163 f.).

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vorschriften ratifiziert. 77 Die gegenwärtigen Strukturen und Verfahren in der Europäischen Union sind somit legitim. 78 Darüber hinaus wird den europäischen Integrationsverbänden demokratische Legitimation - insbesondere mit Blick auf Einzelrechtsakte - durch die Vertreter der mitgliedstaatlichen Regierungen im Ministerrat der Union und die direkt gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments vermittelt. 79 Es soll an diesem Ort weder das Maß der notwendigen demokratischen Legitimation noch der Wahrheitsgehalt der allseits behaupteten These vom "demokratischen Defizit,,80 der Europäischen Union diskutiert werden. Festzuhalten ist statt dessen, daß unter dem von den mitgliedstaatlichen Verfassungen inthronisierten Dogma der Volkssouveränität die konkrete Ausübung hoheitlicher Verfügungsgewalt in der Europäischen Union demokratisch nur legitimiert sein kann, wenn deren Repräsentanten in Rat und Parlament aufgrund demokratischer Verfahren ausgewählt und kontrolliert werden. Zur juristischformalen Legitimation ist der Bestand und die Gewährleistung der Demokratie - die nach europäischer Verfassungstradition unauflöslich mit den liberalen Werten der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der Menschenrechte verbunden sind - deshalb zwingend erforderlich. Mit diesem Anspruch wäre es unvereinbar, wenn die Repräsentanten eines oder mehrerer Mitgliedstaaten diese Voraussetzung nicht erfüllten.

2. Sozial-empirische Legitimität 29. Sozial-empirische Legitimität erfaßt die Akzeptanz hoheitlicher Entscheidungen, d. h. Verständnis und Nachvollziehbarkeit des Regelungszwecks

77 Auch der Gründungsvertrag der Europäischen Union und der Vertrag von Amsterdam genügen diesen Anforderungen. 78 Weiler, in: Schmuck, Europäisches Parlament in dynamischen Integrationsprozeß, S. 73 (79). 79 So die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidungen zum Unionsvertrag von Maastricht, BVerfGE 89, 155 (185 f1); siehe auch Kirchhof, in: HommelhofflKirchhof, Staatenverbund der Europäischen Union, S. 11 (13 f.) mit weiteren Hinweisen auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den Fußnoten 7 und 8. Ausfiihrlieh zur Legitimation der Europäischen Union aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts und unter Einbeziehungen weiterer Legitimationsformen, Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 430 ff. 80 Kritisch zur These von einem allgemeinen Demokratiedefizit Nass, FAZ Nr. 74 vom 29.3.1999, S. 15; Doehring, DVBI. 1997, S. 1133 ff.; Randelzhofer, in: HommelhofflKirchhof, Staatenverbund der Europäischen Union, S.39 (46).; Pescatore, CDE 1974, S. 499 ff. Zusammenfassend Kluth, Demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 11 ff.

B. Funktionen der Homogenität in der EU

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auf seiten des Adressaten einer Entscheidung. 81 Die Rechtsordnung eines Verbandes hängt in ihrem Bestand von der normativen Kraft ab, die weder durch Verbote noch durch Mittel des physischen Zwanges befördert werden kann. Das vermag allein die Bereitschaft der Rechtssubjekte zur freiwilligen Anerkennung ihrer Verbindlichkeit. 82 30. Wenn die Europäische Union über die ihr eingegliederten Gemeinschaften den Anspruch erhebt, eine eigene, originäre Hoheitsgewalt auszuüben, an die die Mitgliedstaaten, natürliche und juristische Personen gebunden sind, bedarf es der Akzeptanz dieser supranationalen Hoheitsgewalt durch alle Adressaten. 83 Die Akzeptanz und damit die sozial-empirische Legitimität wird dann gegeben sein, wenn sich das hoheitliche Handeln der Gemeinschaften Werten verpflichtet filhlt, die Bestandteile der Erwartungen der dem europäischen Recht unterworfenen Subjekte sind. Da sich die Forderung nach Akzeptanz nicht auf die jeweils selbständigen mitgliedstaatlichen Verfassungsräume beschränkt, sondern auf den Geltungsbereich des Primärrechts bezogen ist, müssen sich die Integrationsverbände an gemeinsamen, mitgliedstaatlichen Werten orientieren. 31. Der Zusammenhang mit der juristisch-formalen Legitimation verdeutlicht die Beziehung beider Legitimationsformen zueinander. Die Europäische Union muß juristisch-formal legitimiert sein, um gleichfalls sozial-empirische Legitimation zu genießen; das zeigt die Akzeptanz der demokratisch-rechtsstaatlichen Mitgliedstaaten seitens ihrer Völker. Dagegen folgt die sozialempirische nicht zwangsläufig aus der juristisch-formalen Legitimation, worüber die neuere Geschichte der Volksrevolutionen Zeugnis ablegt. Folglich besteht ein vitales Interesse der Europäischen Union, in ihrem Verhältnis zu den einzelnen Mitgliedstaaten Gemeinsamkeiten - Homogenitätselemente - zu benennen, einzufordern und in einem dritten Schritt auch zu gewährleisten. 84

IH. Integrationsfunktion 32. Eng mit der Akzeptanz der Europäischen Union hängt die Identifikation der Individuen mit dem europäischen Einigungsprozeß zusammen.

81 Dazu Giering, Europa zwischen Zweckverband und Superstaat, S. 241; Weiler, in: Schmuck, Europäisches Parlament in dynamischen Integrationsprozeß, S. 73 (79). Zur Normakzeptanz als Bestandteil der Legitimität, Roe/lecke, JZ 1997, S. 577 ff. 82 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 692; Pernice, in: Bieber/Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 225 (228). 83 Nicolaysen, EuR 1987, S. 299 (303). 84 V gl. Weiler, in: Schmuck, Europäisches Parlament in dynamischen Integrationsprozeß, S. 73 (80).

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Den Entscheidungen und der Arbeit der europäischen Institutionen insgesamt wird von seiten der Bürger der Mitgliedstaaten noch häufig abwartendreserviert begegnet, weil europäische Regelungen in der Öffentlichkeit als bürgerfern, bürokratisch und nicht hinreichend demokratisch legitimiert empfunden werden. In dieser Eigenschaft droht die europäische Einigung die "nationale Identität" der Mitgliedstaaten zu verwässern und damit die durch Orientierungslosigkeit im sich rasch wandelnden, bisher vertrauten Bezugsrahmen verursachte Verunsicherung der Bürger zu erhöhen. Um dieser Gefahr zu begegnen, enthält das primäre Unionsrecht das Gebot, die nationale Identität zu achten. 85 Der dem Recht systemfremde Begriff der Identität ist von Hilfals "das subjektive Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich in einem Volk aus historischen, wirtschaftlichen, religiösen oder sonstigen soziokulturellen Unterschieden [... ] zu anderen Nationen bildet", umschrieben worden. 86 Diese Anknüpfung an den Begriffen der "Nation" und der "Abgrenzung" steht in einem Spannungsverhältnis zum Integrationsprozeß, der ohne eine bestehende europäische Nation begonnen wurde und durchgeführt wird. 33. Wenn es das erklärte Ziel der Europäischen Union ist, ihre Identität auf internationaler Ebene zu behaupten,87 dann muß es Gemeinsamkeiten geben, an denen sich ein "subjektives Zusammengehörigkeitsgefühl" bilden kann, mit denen sich eine Abgrenzung zu anderen Einheiten vornehmen läßt. Das betrifft sowohl die Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie auch die Bürger in den Mitgliedstaaten. Ein Ansatzpunkt für die inhaltliche Konkretisierung der "Europäischen Identität" ist die vom Europäischen Rat in Kopenhagen 1973 verabschiedete Erklärung zur "Europäischen Identität". Darin heißt es: "In dem Wunsch, die Geltung der rechtlichen, politischen und geistigen Werte zu sichern, zu denen sie [die Mitgliedstaaten] sich bekennen, in dem Bemühen, die reiche Vielfalt ihrer nationalen Kulturen zu erhalten, im Bewußtsein einer gemeinsamen Lebensauffassung, die eine Gesellschaftsordnung anstrebt, die dem Menschen dient, wollen sie die Grundsätze der repräsentativen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der sozialen Gerechtigkeit, die das Ziel des wirtschaftlichen Fortschritts ist, sowie der Achtung der Menschenrechte als die Grundelernente der europäischen Identität wahren."ss

85 Dieses Gebot war bisher in Art. F Abs. 1 EUV a. F. geregelt. Nach dem Vertrag von Amsterdam befindet es sich nunmehr in Art. 6 Abs. 3 EUV. Zur Achtung der nationalen Identität siehe Hilf, in: Randelzhofer/ScholzJWilke, GS rur Grabitz, S. 157 ff.; kritisch zum "konstitutiven Gehalt" der Norm Lerche, in: Bundesnotarkammer, FS rur Schippei, S. 919 ff. 86 Hilf, in: Randelzhofer/ScholzJWilke, GS rur Grabitz, S. 157 (163). Weitere Nachweise zum Idenitätsbegriffunter Ziff. 356. 87 Siehe Art. 2 2. Spiegelstrich EUV. 88 Erklärung vorn 14.12.1973 der in Kopenhagen tagenden Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Identität, abgedruckt BuHEP 46-1973 (Anlage) und Auswärtiges Amt (Hrsg.), Europäische Politische Zusammenar-

B. Funktionen der Homogenität in der EU

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34. Das Homogenitätsprinzip hat demnach die Funktion, durch das Gebot der Gemeinsamkeit an strukturellen und substantiellen Werten einen Orientierungsrahmen zu schaffen, der den Wesensgehalt einer gemeinsamen europäischen Rechtskultur bildet. 89 Dadurch wird die Grundlage für ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefilhl, d. h. eine europäische Identität, als wesentlicher Faktor der Integration geschaffen. 90

IV. Sicherungsfunktion 35. Ein zusammengesetzter Verband wie die Europäische Union besteht aus zwei Handlungsebenen: der Ebene der Gliedverbände (Mitgliedstaaten) und der Ebene des Gesamtverbandes (Union). Diese sind nach Kompetenzbereichen getrennt, aber auf dieselben Gewaltunterworfenen, d. h. konkret auf die natürlichen und juristischen Personen, bezogen. Das Homogenitätsprinzip greift in dieses Mehrebenensystem ein und vereinheitlicht die Verfahrensmaximen und materiellen Prinzipien, nach denen sowohl die Gliedverbände wie auch der Gesamtverband ihre Kompetenzen ausüben. Dadurch wird zunächst verhindert, daß sich die Adressaten hoheitlicher Regelungen, abhängig vom jeweils handelnden Verband mit grundsätzlich differierenden Handlungsprinzipien - wie z. B. in bezug auf die Rechtsstaatlichkeit - konfrontiert sehen. Darüber hinaus wird die latente Gefahr gemindert, daß solche Differenzen Störungen der Funktionsfähigkeit der Europäischen Union hervorrufen,91 die zur Frustration des mit dem Zusammenschluß verfolgten Zwecks, und schließlich zum existentiellen Konflikt filhren können. 92 Das Homogenitätsprinzip dient jedoch nicht in erster Linie zur Vermeidung eines solchen exzeptionellen Konflikts; vielmehr nimmt diese Stelle das Prinzip der Funktionsflihigkeit der Integrationsverbände ein.

beit auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Bonn 1992, S.53. 89 Zur Notwendigkeit einer europäischen politischen Identität als Grundlage eines stabilen Legitimitätsfundaments, Graf Kielmansegg, FAZ vom 17.2.1995, S. 13. 90 Zur Integrationswirkung eines kodifizierten Grundrechtskataloges siehe Hilf, EuR 1991, S. 19 (27). 91 Zum Prinzip der Sicherung der Funktionsfähigkeit siehe H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 10/40 ff., S. 280 ff. 92 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 375 (376 und 378) sieht in der Vermeidung des existentiellen Konfliktfalles, d. h. dem Auseinanderbrechen des Bundes, den höchsten Zweck der substantiellen Homogenität aller Bundesmitglieder. Kritisch zur Schmittsehen Argumentation Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66 (85 f.).

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

v. Zusammenfassung 36. Das Homogenitätsprinzip in der Europäischen Union hat eine vierfache Funktion, die hier unter den Begriffen Konsens-, Legitimations-, Integrationsund Sicherungsfunktion zusammengefaßt wird. Die hinter diesen Bezeichnungen stehenden Voraussetzungen rur einen erfolgreichen Integrationsprozeß kollektive Interessen der integrationswilligen Staaten, Legitimation von Gemeinschaftsrechtsakten, Funktionsfiihigkeit der Integrationsverbände und Ansätze fiir eine Europäische Identität - werden vom Homogenitätsprinzip aufgenommen und in rechtliche Formen gegossen. Umgekehrt ist an den Funktionen die Notwendigkeit des Homogenitätsprinzips abzulesen. Aufbauend auf den beiden vorangegangenen Abschnitten soll in einem dritten Schritt die Konzeption der Homogenität in der Europäischen Union im Sinne eines Mehrebenensystems erläutert werden.

c. Konzeption der Homogenität in der Europäischen Union 37. Die genannten Funktionen des Homogenitätsprinzips sind in einem rechtlichen Koordinatensystem an unterschiedlichen Stellen zu verorten. Der einer Homogenitätsaussage zugrundeliegende Vergleich der einbezogenen Ordnungseinheiten ist im Hinblick auf sein Ergebnis von Variablen abhängig. Es könnte sowohl die Perspektive rur die Geltendmachung eines Homogenitätsgebotes innerhalb eines konkreten Verleichspaares gewechselt werden, als auch die unterschiedlichen Funktionen der Homogenität. So betrifft die Konsensfunktion der Homogenität die Rechtsbeziehung der integrationswilligen Staaten untereinander, während die Sicherungsfunktion aus der Unionsperspektive heraus betrachtet auf den Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten bezogen ist, dagegen die Legitimationsfunktion aus mitgliedstaatlicher Perspektive auf die Rechtfertigung hoheitlicher Gemeinschaftsrechtsakte abzielt. Vor diesem vielschichtigen Hintergrund bedarf das Konzept der Homogenität in der Europäischen Union deshalb der vom Einzelfall losgelösten Systematisierung. 38. In einem zusammengesetzten Verband lassen sich zwei Ebenen identifizieren, auf denen das Ordnungsprinzip der Homogenität in Erscheinung tritt. Zum einen die von den einzelnen Gliedverbänden gebildete horizontale Ebene. Zum anderen die aus der Gesamtheit der Gliedverbände und dem Gesamtverband bestehende vertikale Ebene. Bezogen auf den konkreten Fall der europäischen Integration heißt das: Die horizontale Homogenität in der Europäischen Union bezieht sich auf das Verhältnis der Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten untereinander (I); die vertikale Homogenität auf die Relation der

c. Konzeption der Homogenität in der EU

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Strukturen von Union und Mitgliedstaaten (11).93 Diese Homogenitätsebenen in der Europäischen Union lassen sich schematisch wie folgt darstellen:

vertikale Homogenität

horizontale Homogenität Im folgenden werden die zwei Homogenitätsebenen im Hinblick auf ihre Bedeutung, Unterschiede und das Verhältnis zueinander eingehender betrachtet.

I. Horizontale Homogenität 39. Aus der Konsensfunktion folgt: Im Urzustand der europäischen Integration, d. h. im Vorgrundungsstadium der Gemeinschaften, bedurften diejenigen Staaten, die den politischen Willen zum Zusammenschluß geformt hatten, filr die Umsetzung ihres Willens der Gleichartigkeit ihrer Leitprinzipien. Bei jenen Leitprinzipien handelte es sich um solche aus den Verfassungsordnungen der integrationswilligen Staaten, weshalb in diesem Zusammenhang auch von Verfassungshomogenität gesprochen wird. 94 Dieser chronologische Ansatz verdeutlicht, daß Homogenität in der Europäischen Union zunächst horizontale Homogenität meint.

93 Vgl. auch die Systematisierung Isensees, in: Burmeister, FS rur Stern, S. 1239 (1249 ff.). 94 Siehe H. P. Ipsen, in: Maurer, FS rur Dürig, S. 159 ff.; Hein/zen, EuR 1997, S. 1 (5 ff.).

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

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40. Die dem Homogenitätsanspruch der integrationswilligen Staaten unterliegenden, verfassungsrechtlichen Leitprinzipien waren inhaltlich gleichbedeutend mit dem in der Nachkriegszeit herausgebildeten ordre public europeen. 9S Dieser materialisierte sich vornehmlich in der internationalen Organisation des Europarates, durch den er auch noch in der Gegenwart verkörpert wird. Art. 3 der Satzung des Europarates fordert - wie bereits zitiert96 - das Bekenntnis seiner Mitglieder zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und insbesondere zum Schutz der Menschenrechte, wie er in gemeineuropäischer Fonn durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)97 vorgesehen ist. In der Erklärung des Pariser KSZE-Treffens von 1990 haben die Staats- und Regierungschefs erneut bekräftigt, daß die uneingeschränkte Achtung der Gebote des Menschenrechtsschutzes, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit das Fundament sind, auf dem das neue Europa gebaut werden sol1.98 Diese drei Elemente einer an der Idee der individuellen Freiheit ausgerichteten Grundordnung gehören zum Kernbestand europäischer Verfassungsstaatlichkeit. Sie bilden auch das Fundament des Integrationsprozesses und werden von der Präambel des EG-Vertrages wie folgt zusammengefaßt: "In dem festen Willen, die Grundlagen rur einen immer engeren Zusammen schluß der europäischen Völker zu schaffen, [... ] Entschlossen, durch diesen Zusammenschluß ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleich hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen.,,99 Die hervorgehobene Fonnulierung aus der Präambel verdeutlicht den im Vorfeld der Integrationsentscheidung herzustellenden Konsens zwischen den beteiligten Staaten, für den als inhaltlicher Maßstab die Verfassungsordnungen der sechs Gründerstaaten der Gemeinschaften heranzuziehen sind. 41. Wird die Frage nach der Existenz horizontaler Homogenität durch den vollzogenen Gesamtakt der Gründung der Gemeinschaften beantwortet und durch die Gründung der Europäischen Union noch einmal bekräftigt,IOO so

9S Vg!. SIal/eis, KritV 78 (1995), S. 275 (293). Siehe unter Ziff. 22. 97 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, BGB!. 1952 H, S. 686, 953; zuletzt geändert durch BGB!. 1994 H, S. 3623. Zum Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls siehe FraweiniPeukerl, in: dies., EMRK-Kommentar, Art. 19 Rn. 2 ff, S. 498 ff. Der Text des Protokolls ist zusammen mit dem erläuternden Bericht abgedruckt in EuGRZ 1994, S. 323 ff. Zum neuen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausführlich de Schutter, CDE 1998, S. 319 ff.; vg!. auch den Kommentar Schermers', CMLRev 35 (1998), S. 3 ff. 98 Charta von Paris rur ein neues Europa, abgedruckt BullBReg. Nr. 137 vom 24.11.1990, S. 1409 (1410). 99 1. und 8. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrages, Hervorhebung vom Verf. 100 Vg!. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 2/35, S. 64 f.; § 9/35-37, S. 224 f.; ders., in: Maurer, FS für Dürig, S. 159 (160). 96

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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bleibt weiterhin offen, welches rechtliche Schicksal die horizontale Homogenität über die Gründungsphase des Gesamtverbandes hinaus, im Fortgang des Integrationsprozesses nimmt. Einen Anknüpfungspunkt rur die Klärung dieses Problems erlaubt die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 1979 zu den Aussichten der Erweiterung der Gemeinschaft. In der Erwägung, daß die Wahrung und die Verteidigung der demokratischen Prinzipien eines der wesentlichen Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft sind, fordert das Parlament die Mitgliedstaaten und beitrittswilligen Länder zur Abgabe einer formellen Verpflichtung auf: ,,[ ...] die Grundsätze der bürgerlichen und politischen Rechte sowie der pluralistischen Demokratie, die in den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften und in den von ihnen unterzeichneten internationalen Verträgen verankert sind, zu achten, denn die Nichtachtung [...] ist mit einer Mitgliedschaft in der Gemeinschaft unvereinbar."IOI

In der Entschließung wird ein Zusammenhang zwischen den Homogenitätselementen und dem Beitritt zu den Gemeinschaften sowie zum Fortbestand der Gemeinschaftszugehörigkeit derzeitiger Mitgliedstaaten hergestellt. Bestand zum Zeitpunkt der Gründung der Gemeinschaften - nach heutiger Terminologie der Union - Homogenität unter den ursprünglichen Mitgliedstaaten, dann ist filr das Nachgründungsstadium keine andere Feststellung zu treffen. Erst wenn ein außerhalb des Zusammenschlusses stehender Staat die Aufnahme begehrt oder einer der bestehenden Mitgliedstaaten das Homogenitätsprinzip verletzt, indem die in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Leitprinzipien ihre Gleichartigkeit mit denen der anderen Mitgliedstaaten einbüßen, wird die Frage der horizontalen Homogenität wieder relevant. 42. Indessen ist zu berücksichtigen, daß mit der Gründung der Gemeinschaften bzw. der Union ein den Mitgliedstaaten übergeordneter Gesamtverband entstanden ist, der die bislang eindimensionale Konzeption der Homogenität um eine vertikale Ebene erweitert hat. Die beiden Anwendungsflille horizontaler Homogenität stehen im Zusammenhang mit dieser zweiten Dimension der Homogenität, so daß auch die Darstellung des weiteren Gedankenganges dem Ebenenwechsel folgt.

11. Vertikale Homogenität 43. Vertikale Homogenität meint die Gleichartigkeit der mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen mit den Leitprinzipien der Europäischen Union. Im Unterschied zu der ausschließlich von statusrechtlich gleichrangigen Staaten gebildeten horizontalen Ebene sind bei der vertikalen Homogenität die Vergleichssubjekte von unterschiedlicher rechtlicher Qualität. Den 15 Mitglied101

ABI. Nr. C 39 vom 12.2.1979, S. 47 (48).

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

staaten steht mit der Europäischen Union ein zusammengesetzter, übergeordneter Verband gegenüber, dessen Rechtsnatur jedenfalls nicht in die Kategorie des Staatsrechts fiillt. Dieser Unterschied macht die vertikale Dimension der Homogenität zum Gegenstand besonderen Interesses. Die Bezeichnung eines Systems als homogen ist eine statische Zustandsbeschreibung. Bezieht man jedoch in das Homogenitätskonzept die Geltendmachung eines Homogenitätsgebotes mit ein, lassen sich je nach Anzahl der beteiligten Vergleichssubjekte mindestens zwei Anspruchsbeziehungen voneinander trennen. Im Fall der vertikalen Homogenität in der Europäischen Union ist der Homogenitätsanspruch der Mitgliedstaaten an die rechtliche Grundordnung der Europäischen Union (I) von dem Homogenitätsanspruch der Europäischen Union an die Verfassungen der Mitgliedstaaten (2) zu unterscheiden. Die Unterscheidung in die zwei Wirkungsrichtungen vertikaler Homogenitätsgebote ist fiir den Fortgang der Darstellung von Bedeutung, weil die rechtliche Gestaltung eines Gewährleistungsmechanismus der europäischen Homogenität und die Formulierung von Homogenitätsgeboten auf der Grundlage geltender Verbandsprinzipien von der jeweils eingenommenen Perspektive abhängig sein könnte.

1. Homogenitätsgebote der Mitgliedstaaten gegenüber

der Europäischen Union

44. Vertikale Homogenität verwirklicht sich zunächst in dem Homogenitätsgebot, wie es einige Mitgliedstaaten an die Europäische Union formulieren.

a) Homogenitätsgebote der Mitgliedstaaten - außer Deutschland 45. Die Frage des Homogenitätsgebotes aus der Perspektive der Mitgliedstaaten stellt sich als Integrationsermächtigung und eventueller Begrenzung der Mitwirkung an supranationalen bzw. zwischenstaatlichen Einrichtungen durch die mitgliedstaatlichen Verfassungen.

aa) Be/gien

46. Die koordinierte Verfassung Be/giens vom 17. Februar 1994 enthält eine Verfassungsnorm, die die Übertragung von Hoheitsgewalt auf überstaatliche

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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Verbände regelt. 102 Art. 34 gestattet die Übertragung der "Ausübung bestimmter Gewalten" auf völkerrechtliche Einrichtungen durch Vertrag oder Gesetz. Der systematische Zusammenhang mit Art. 33 zeigt, daß damit die von der Nation ausgehenden Gewalten gemeint sind, die durch die Verfassung in Kompetenzvorschriften konkretisiert und den staatlichen Organen zugeordnet werden. 103 Anforderungen an die Struktur der Europäischen Union werden nicht gestellt. Die materielle Revision der Verfassung unterliegt keinen Grenzen.

bb) Dänemark 47. Die Verfassung des Königreiches Dänemark vom 5. Juni 1953 gestattet nach § 20 Abs. 1 die Übertragung hoheitlicher Befugnisse "durch Gesetz in näher bestimmtem Umfang" auf solche zwischenstaatlichen Behörden, "die durch gegenseitige Übereinkunft zwecks Förderung zwischenstaatlicher Rechtsordnung und Zusammenarbeit errichtet worden sind".I04 Ein entsprechendes Gesetz bedarf nach § 20 Abs. 2 der filnfsechstel Mehrheit im Folketing oder - hält die Regierung an der Gesetzesvorlage fest - der Annahme in einem Volksentscheid. Auch die dänische Verfassung enthält keine expliziten Bestimmungen zum europäischen Integrationsprozeß und den Grenzen einer Verfassungsänderung. Allerdings sind an eine Verfassungsänderung nach § 88 extrem hohe Anforderungen gestellt, die bisher erst zu zwei Änderungen der dänischen Verfassung in den Jahren 1920 und 1953 gefiihrt haben. 105

cc) Finnland 48. Diefinnische Verfassung enthält keine Regelungen filr die Übertragung hoheitlicher Gewalt auf internationale Organisationen oder die Europäische Union. Im finnischen Verfassungsrecht insgesamt existieren nur wenige Bestimmungen über die internationalen Beziehungen. 106 Grundsätzlich hat nach

102 Zur Struktur des belgischen Bundesstaates Alan, ZaöRV 50 (1990), S. 501 ff.; Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 150 f. 103 Zu der geringen Bedeutung des Souveränitätsbegriffs in Belgien siehe Wils, in: Battisffsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 13 (21 f.). 104 Zu der Souveränitätsübertragung nach dänischem Recht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Obersten Gerichtshof Dänemarks vom 6.4.1998 zur Klage gegen den Vertrag von Maastricht, siehe Ring/Olsen-Ring, EuZW 1998, S. 589 ff., Hofmann, EuGRZ 1999, S. I ff. 105 Zur Verfassungslage in Dänemark siehe Zahle, in: XVII. FIDE-Kongreß, Nationales Verfassungsrecht, Bd. I, Länderbericht Dänemark, S. 60 ff. 106 Pohjolainen, in: XVII. FIDE-Kongreß, Nationales Verfassungsrecht, Bd. I, S. 399 (403 f.).

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

§ 33 der Regierungsfonn und der Verfassungspraxis der Präsident die ausschließliche Kompetenz in auswärtigen Angelegenheiten mit Ausnahme von völkerrechtlichen Verträgen, die der Zustimmung durch das Parlament bedürfen. In Angelegenheiten der Europäischen Union haben § 33a der Regierungsfonn und Kapitel 4a des Parlamentsgesetzes die Kompetenzen für die interne Willensbildung Finnlands im Schwerpunkt auf den Staatsrat und das Parlament verlagert. Die finnische Verfassung ist nach § 94 der Regierungsfonn "unverrückbar" und nur unter erschwerten Bedingungen abänderbar. Jedoch ennöglicht § 95 der Regierungsfonn die auf historischen Begebenheiten beruhende Möglichkeit, ein Ausnahmegesetz zur Verfassung in Kraft zu setzen, d. h., daß durch ein fonnelles, einfaches Gesetz, das im Verfahren der Verfassungsänderung verabschiedet wird, kann der materielle Gehalt der Verfassungsgesetze verändert werden. \07 Ein entsprechendes Ausnahmegesetz ist Grundlage der Mitgliedschaft Finnlands in der Europäischen Union. Fonnale Grenzen in der finnischen Verfassung für die Integration bestehen nicht. Doch widersprechen § 1 der Regierungsfonn, wonach Finnland eine souveräne Republik ist, deren Verfassung die Unverletztlichkeit der menschlichen Würde, die Menschenrechte wie die Förderung der Gerechtigkeit in der Gesellschaft garantiert, und § 2 der Regierungsfonn, der das Prinzip der Volkssouveränität enthält, der unbegrenzten Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf die Europäische Union.

dd) Frankreich 49. DerJranzösischen Verfassung der V. Republik (1958) wurde nach einer Verfassungsänderung 1992 der Titel XV "Des Communautes europeennes et de I'Union europeenne" hinzugefügt. \08 Nach Art. 88-1 wirkt Frankreich an den Gemeinschaften und der Union mit und übt die übertragenen Kompetenzen gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten aus. Damit wurde die bis dahin auf Absatz 15 der fortgeltenden Präambel der Verfassung von 1946 sowie Art. 53 der Verfassung von 1958 gestützte Teilnahme Frankreichs an der europäischen Integration im Verfassungstext ausdrücklich abgesichert. 109 Mit der Verfas-

107 Dazu Pohjolainen, in: XVII. FIDE-Kongreß, Nationales Verfassungsrecht, Bd. I, S. 399, (404 tf.). 108 Loi constitutionnelle No. 92-254 vom 25.6.1992, JORF, Lois et decrets, 1992, S. 8406. Dazu Fromont, in: BattisffsatsosiStefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 127 (133 f.) 109 Siehe den 3. bis 6. Erwägungsgrund der Entscheidung des Conseil constitutionnel vom 31.12.1997 zur Verfassungsmäßigkeit des Vertrages von Amsterdam, No. 97-394 DC, JORF vom 3.1.1998, S. 165, deutsche Übersetzung der Entscheidung in EuGRZ

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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sungsänderung wurden indessen keine speziellen Vorschriften geschaffen, die die Zulässigkeit von Übertragungsakten zugunsten der Gemeinschaft umfassend regeln. 110 Verfassungsänderungen, die die Unversehrtheit des Staatsgebietes verletzten, dürfen nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden; die republikanische Staatsform ist ebenfalls der Verfassungsänderung entzogen (Art. 89).111 Nach der Rechtsprechung des Conseil constitutionnel stößt die Integration an verfassungsrechtlichen Schranken, wenn die "wesentlichen Bedingungen der Ausübung der nationalen Souveränität" beeinträchtigt werden. 112 Der Gerichtshof konkretisierte diese Formel bereits in einer Entscheidung von 1985 dahingehend, daß "die Institutionen der Republik, der Fortbestand der Nation und die Rechte und Freiheiten der Bürger bewahrt werden müssen".ll3

ee) Griechenland

50. Nach Art. 28 Abs. 2 der griechischen Verfassung können "verfassungsmäßige Zuständigkeiten an Organe internationaler Organisationen" durch Verträge oder Abkommen zuerkannt werden, um wichtigen nationalen Interessen zu dienen und um die Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu fördern. Die Einschränkung der Ausübung der griechischen Souveränität ist durch Gesetz möglich, wenn es ein wichtiges nationales Interesse erfordert. Diese Ermächtigung steht unter dem Vorbehalt, daß die Menschenrechte und Grundlagen der demokratischen Staatsordnung nicht berührt werden und die Einschränkung unter Beachtung der Gleichberechtigung und Gleichseitigkeit erfolgt (Art. 28 Abs.3). Die "Integrationsfunktion" des Art. 28 ist lex specialis zu Art. 110 Abs. I, der fiIr eine Verfassungsänderung "unrevidierbare Verfassungsvorschriften" aufzählt. 114 So dürfen die Bestimmungen über die Volkssouveränität und die

1998, S. 27 ff. Dazu Gundel, EuR 1998, S. 371 (377 ff.), Hecker, JZ 1998, S. 938 ff. und Franzke, DÖV 1998, S. 860 ff. 110 Vgl. Hecker, JZ 1998, S. 938 (939 f.). 111 Gaxie, in: Luchaire/Conac, La constitution de 1a repub1ique francaise, Art. 89, S. 1325 ff. 112 7. Erwägungsgrund der Entscheidung vom 31.12.1997, No. 97-394 DC, JORF vom 3.1.1998, S. 165. Die Formulierung wird bereit verwendet im 9. Erwägungsgrund der Entscheidung des Conseil constitutionne1 vom 19.6.1970, No. 70-93 DC, Ressources propres des communautes europeennes, Rec. S. 15, deutsche Übersetzung in EuR 1971, S. 60 ff. mit Anmerkungen von Goose, S. 62--68. 113 Entscheidung des Conseil constitutionnel vom 22.5.1985. No. 85-188 DC, Rec. S. 15. 114 Papadimitriou, in: Battis/Tsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht. S. 149 (155). 4 Schorkopf

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Staatsfonn der parlamentarischen Republik (Art. 1) nicht geändert werden. Außerdem sind der Grundsatz der Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1), der Gleichheitssatz (Art. 4 Abs. 1), der Zugang zu öffentlichen Ämtern (Abs. 4) und das Verbot der Verleihung und Anerkennung von Adelstiteln (Abs. 7), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1) und die Freiheit der Person (Abs. 3), die Religionsfreiheit (Art. 13 Abs. 1) sowie die Gewaltenteilung (Art. 26) einer Änderung entzogen. Von diesem harten Kern der griechischen Verfassung darf gemäß Art. 28 im Rahmen der europäischen Integration abgewichen werden.

jJ) Vereinigtes Königreich 51. Das Vereinigte Königreich hat keine geschriebene Verfassungsurkunde. Die bisher gewählte Methode, die verfassungsrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in bezug auf die Integration durch eine Exegese der einschlägigen Verfassungsurkunde zu erhalten, versagt deshalb in diesem Fall. Hinzu kommt ein überkommenes Verfassungsverständnis, daß der kontinentaleuropäischen Rechtstradition eher fremd ist. Dennoch läßt das Verfassungsrecht auch im Falle Großbritanniens eine Aussage über die Bedingungen und Grenzen der Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu. Das britische Verfassungsrecht wird traditionell von der Doktrin der sovereignty 0/ Parliament beherrscht. 115 Dahinter verbirgt sich der Gedanke, daß das Parlament als Legislativorgan jeden beliebigen Rechtsakt über ein beliebiges Thema erlassen kann, soweit es sich nicht für die Zukunft bindet. Die wichtigste Quelle des britischen Verfassungsrechts sind deshalb die Acts of Parliament. 116 Einer dieser Rechtsakte ist der European Communities Act 1972, der die aus dem Beitritt des Königreiches zu den Europäischen Gemeinschaften folgenden Verpflichtungen regelt und mehrere gemeinschaftsrechtliche Prinzipien in das britische Rechtssystem einfUgt. Das Parlament hat mit diesem Gesetz gerade diese Bindung für die Zukunft herbeigefUhrt, da die Lex-posterior-Regel im System des Gemeinschaftsrechts keine Anwendung findet. Der Widerspruch wird fonnal damit aufgelöst, daß das Parlament jederzeit aus der Europäischen Union austreten könne und dadurch die Parlamentssouveränität in letzter Konsequenz gewahrt sei. 117

115 "The Queen in Parliament is competent to make or unmake any law whatsoever on any matter whatsoever." Vgl. Dicey, Introduction, S. 70. Speziell in bezug auf britische Mitgliedschaft in den Gemeinschaft, H. G. Petersmann, Souveränität des Britischen Parlaments, S. 165 ff. 116 De Smith/Brazier, Constitutional Law, S. 22 f. 117 Darüber hinaus sieht der European Communities Act die Möglichkeit vor, Rechtsnormen zurückzunehmen oder ausdrücklich zu übergehen; vgl. Pernice, in: BieberlWidmer, Europäischer Verfassungsraum, S. 225 (240). Die rechtliche Möglichkeit eines britischen Austritts aus den Europäischen Gemeinschaften befürwortend Palmer, International Affairs 1982, S. 638 ff.

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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Als weiterer fundamentaler Grundsatz ist die "royal prerogative" zu erwähnen, nach der die Gestaltung der äußeren Angelegenheiten - insbesondere Ausarbeitung und Ratifikation völkerrechtlicher Verträge - in die ausschließliche Zuständigkeit der Regierung flillt. 118 Die Prärogative schränkt die Doktrin der Parlaments souveränität ein und ermöglicht es der britischen Regierung, beliebige vertragliche Verpflichtungen einzugehen. Das Unterhaus hat dann wiederum die Möglichkeit, der Regierung das Mißtrauen auszusprechen. Im übrigen ist die Vereinbarkeit der britischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union mit der Doktrin der Parlamentssouveränität bis heute nicht vollständig geklärt. 119

gg) Irland 52. Die Verfassung der Republik Irland gestattet nach Art. 29 Abs.4 Nr. 3 ausdrücklich die Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften und in der Europäischen Union. Der genannte Verfassungsartikel normiert den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und ordnet die Vollziehung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen an. Das war seinerzeit notwendig geworden, um die Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Gemeinschaften in Einklang mit Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 der irischen Verfassung zu bringen. Danach hat das irische Parlament (Oireachtas) das alleinige und ausschließliche Recht zum Erlaß von Staatsgesetzen. Im Zuge der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) ist es zu einem Verfahren vor den irischen Gerichten gekommen, in dem der Kläger die Verfassungsmäßigkeit des irischen Ratifikationsgesetzes zur EEA in Frage stellte. 120 Der Supreme Court gab dem vom Kläger eingelegten Rechtsmittel teilweise statt. Das Gericht entschied, daß Titel III EEA, der der Einfilhrung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) gewidmet ist, gegen die Verfassungsbestimmungen der Art. 1 und Art. 5 verstieß, die der irischen Regierung vollständige Souveränität über die auswärtigen Angelegenheiten zubilligen. 12l Die Ratifikation der EEA mache deshalb eine Verfassungsänderung notwendig, die daraufhin auch vorgenommen wurde. 122 Im üb-

IIB Dazu Smith/Hix, in: BattisffsatsosiStefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 183 (193). 119 Zur aktuelle Situation der Doktrin von der britischen Parlamentssouveränität siehe Tatham, EuR 1993, S. 188 (191 ff.). Die Grenzen der Doktrin diskutieren de Smith/Brazier, Constitutional Law, S. 64 ff. 120 Crotty vs. An Taoiseach, [1974] ILRM, S. 400 ff. 121 Crotty vs. An Taoiseach, [1974] ILRM, S. 446 ff. 122 Siehe Casey, Constitutional Law, S. 179 ff.; zur Verfassungsänderung siehe insbesondere S. 183 f.

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

rigen setzt Art. 46 Abs. zen. 123

tUr die Änderung der Verfassung keinerlei Gren-

hh) Italien

53. Die italienische Verfassung sieht die Souveränität des Staates von vornherein als beschränkt an, indem sie mit Art. 11 die grundsätzliche Zustimmung zur Förderung und Begünstigung internationaler Organisationen enthält, die sich durch die Wesensmerkmale der Gleichberechtigung, Friedlichkeit und Gerechtigkeit auszeichnen. 124 Obwohl die Verfassung in Art. 1 gleichzeitig das Prinzip der Volkssouveränität postuliert, enthält die italienische Verfassung keine Aussage darüber, in welchen Grenzen die italienische Souveränität im Hinblick auf die internationalen Angelegenheiten beschränkt iSt. 125 Einzig die republikanische Staatsform ist der Verfassungsänderung entzogen (Art. 139).

ii) Luxemburg

54. Die Verfassung des Großherzogtums Luxemburg gestattet mit Art. 49 bis die vorübergehende, gesetzliche Übertragung der Ausübung von Befugnissen der drei in der Verfassung garantierten Gewalten auf Institutionen des internationalen Rechts. Die im Zuge der Verfassungsänderung von 1956 eingetUhrte Norm nimmt damit in erster Linie auf die europäischen Integrationsverbände Bezug. 126 Solche Gesetze werden gemäß Art. 37 Abs. 2 unter den Bedingungen einer Verfassungsänderung gebilligt, d. h. mit Zweidrittelmehrheit in der Abgeordnetenkammer und einem Quorum von drei Viertel der Mitglieder. Die Verfassung Luxemburgs beruht auf dem Konzept der unteilbaren Souveränität, deren Träger gemäß Art. 1 i. V. m. Art. 32 die Nation ist. Eine Aufgabe oder Abtretung von Hoheitsrechten ist nicht gestattet, so daß Art. 49 bis die luxemburgische Staatlichkeit nicht zur Disposition stellt. 127 Dieses Ergebnis

123 Zur Frage der irischen Neutralität siehe auch die Bemerkung H P. lpsens, in: Maurer, FS für Dürig, S. 159 (165) m. w. N. in Fn. 10. 124 Art. 35 Abs. 2 italienische Verfassung erweitert diesen Kanon um die "soziale Zielsetzung" einer internationalen Einrichtung. 125 Panebianco, in: Battisffsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 267 (273). 126 Vgl. Frieden, in: XVII. FIDE-Kongreß, Nationales Verfassungsrecht, Bd. 1, S. 344 (351 f.). 127 Zu diesem Ergebnis kommt das Gutachten des Staatsrates zur Verfassungsänderung von 1956, Documents de la Chambres des Deputes 1955-56, No. 516-6, S. 2. Dazu Wivenes, in: Battisffsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 301 (318).

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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wird auch vom Wortlaut der Verfassungsnorm getragen, die lediglich die vorübergehende Übertragung von Hoheitsbefugnissen gestattet. Die luxemburgische Verfassung stellt keine ausdrücklichen Erfordernisse an die Struktur der Institutionen internationalen Rechts. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Verfassung, insbesondere aus der Festlegung auf das Prinzip der parlamentarischen Demokratie in Art. 51 i. V. m. Art. 32, werden keine materiellen Ansprüche abgeleitet, was sich wohl auf die in Luxemburg vertretene Auffassung zurückfUhren läßt, daß die Gemeinschaften bzw. die Union keine staatsähnlichen Gebilde sind. 128

jj) Niederlande

55. Die niederländische Verfassung enthält in Art. 90 den generellen Auftrag an die Regierung, die Entwicklung einer internationalen Rechtsordnung zu fördern. 129 Konkret können völkerrechtlichen Organisationen gemäß Art. 92 Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsbefugnisse durch einen Vertrag oder kraft eines Vertrages übertragen werden. Soweit ein solcher Vertrag Bestimmungen enthält, die von der Verfassung abweichen oder ein Abweichen notwendig machen, ist die Zustimmung der zwei Kammern der Generalstaaten (erste und zweite Kammer der Volksvertretung) mit Zweidrittelmehrheit notwendig (Art. 91 Abs. 3).130 Grenzen filr die Verfassungsänderung bestehen nicht.

kk) Österreich

56. Das Bundes-VerJassungsgesetz der Republik Österreich hat durch die Verfassungsänderung vom 21. Dezember 1994 einen Abschnitt über die Europäische Union erhalten. Die in den Art. 23a bis 23f enthaltenen Regelungen setzen allerdings die Rechtsgrundlage zur Mitgliedschaft an anderer Stelle voraus und beschränken sich auf die innerstaatliche Ausfilhrung der österreichischen Beteiligungsrechte auf Unionsebene. 131 Einzig Art. 23f Abs. 1 stellt die

128 Wivenes, in: Battis/Tsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 301, (332). 129 Die Besonderheit dieses Ansatzes durch das Fehlen jeglicher Anleihen bei klassischen Konzepen europäischer Verfassungsstaatlichkeit wie Demokratie und Souveränität betont Besselink, in: XVII. FIDE-Kongreß, Nationales Verfassungsrecht, Bd. I, Länderbericht Luxemburg, S. 361 (362). 130 Nach Art. 120 der niederländischen Verfassung darf die Verfassungsmäßigkeit von Parlamentsgesetzen und Verträgen nicht durch die Gerichte überprüft werden. 131 Dazu Walter/Mayer, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rn. 246/8 ff., S. \06 ff.

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

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Mitwirkung Österreichs an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) fest. Die Ermächtigung zur Übertragung von einzelnen Hoheitsrechten des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe enthält Art. 9 Abs. 2 B-VG. Unter dem Begriff der "zwischenstaatlichen Einrichtung" sind in diesem Fall supranationale Organisationen zu verstehen, d. h. Organisationen, die gegenüber österreichischen Rechtsunterworfenen unmittelbar geltende Rechtsakte erlassen. 132 Das Bundes-Verfassungsgesetz enthält in Art. 44 Bestimmungen über seine Abänderung. Eine Gesamtänderung der Bundesverfassung unterliegt gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG besonderen Verfahrensbindungen. Eine Gesamtänderung liegt vor, wenn einer der leitenden Grundsätze des Bundesverfassungsrechts ("Baugesetze") abgeändert oder beseitigt wird. 133 Als Baugesetze der Bundesverfassung werden unstreitig das demokratische, das rechtsstaatliche und das bundesstaatliche Prinzip angesehen; die herrschende Lehre rechnet noch das republikanische Prinzip hinzu. 134

11) Portugal 57. Die Verfassung der Republik Portugal enthält seit ihrer Änderung 1992 spezielle Regelungen fiir die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Nach Art. 7 Abs. 6 kann die gemeinschaftliche Ausübung der rur den Aufbau der Europäischen Union erforderlichen Gewalten vereinbart werden. Diese Ermächtigung steht unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit, der Subsidiarität und ist final verknüpft mit der Verwirklichung wirtschaftlicher und sozialer Kohäsion. Staatsziele Portugals sind die Verstärkung der europäischen Identität und das gemeinsame Vorgehen zugunsten von Demokratie, Frieden, wirtschaftlichem Fortschritt und der Gerechtigkeit zwischen den Völkern (Art. 7 Abs. 5). Einer Verfassungsrevision sind in Art. 288 Buchstaben abis 0 erhebliche Grenzen gesetzt: Die republikanische Staatsform, die Grundrechte, die Gewaltenteilung, die unabhängige Stellung der Justiz und das Recht auf Opposition sind unter anderem einer Verfassungsänderung entzogen. 135

Nach portugiesischem Verfassungsverständnis hat das Recht der Europäischen Union auf Grund der Notwendigkeit "demokratischer Kongruenz des portugiesischen Verfassungssystems" keinen Vorrang vor dem Kern der Verfassung. Dieser besteht in den zitierten materiellen Grenzen einer VerfassungsMayer, Kurzkommentar, Art. 911, S. 14. Verfassungsgerichtshof (VfGH), VfSlg. 1952, S. 2455; AdamovichiFunk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 98. 134 Siehe dazu Ermacora, Österreichische Verfassungslehre, Nr. 81.5 f., S. 349. Zur Erweiterung der "Baugesetze" um die Staatszielbestimmungen vgl. AdamovichiFunk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 99 f. 135 Siehe dazu Pernice, in: Bieber/Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 225 (231 f.) 132

133

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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reform und darüber hinaus der Autonomie der kommunalen Gebietskörperschaften sowie der politischen Autonomie der Regionen Azoren und Madeira. 136

mm) Schweden 58. Kapitel 10 § 5 der schwedischen Verfassung gestattet die Übertragung eines sich unmittelbar auf die Verfassung gründenden Beschlußrechts in begrenztem Umfang auf eine zwischenstaatliche Organisation tUr friedliche Zusammenarbeit. Die Bestimmung wurde fiir den Beitritt zur Europäischen Union als nicht ausreichend empfunden, so daß, in Anlehnung an die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, § 5 Abs. 1 um einen Satz ergänzt wurde. Danach darf das schwedische Parlament Hoheitsbefugnisse auf die Europäische Union übertragen, so lange wie diese den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie sich nach der Verfassung und der EMRK gestalten, garantiert. 137 Die allgemeine Übertragungsbefugnis ist des weiteren inhaltlich daran gebunden, daß keine Beschlußrechte übertragen werden dürfen, die die Einftlhrung, Änderung oder Aufhebung der Grundrechte des Wahlgesetzes, der Geschäftsordnung des Reichstages oder von Grundgesetzen bewirken. 138

nn) Spanien 59. Die spanische Verfassung gestattet gemäß Art. 93 die Übertragung der Ausübung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen durch einen Vertrag auf internationale oder supranationale Organisationen. In Anlehnung an Art. 24 GG konzipiert,139 regelt Art. 93 nicht die Übertragung als solche, sondern nur das Verfahren der Kompetenzzuweisung. Im Gegensatz zu Art. 24 GG erfolgt deren Übertragung aus dem ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag. 140 Soweit ein solcher Vertrag verfassungswidrige Bestimmungen enthalten würde, bedarf es der vorherigen Verfassungsänderung (Art. 95). Zusätzliche Grenzen filr eine Verfassungsänderung werden - soweit ersichtlich - nicht gesetzt. 136 Siehe de Quadros, in: Battisffsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 375 (381 f.) 137 Lysen, in: XVII. FIDE-Kongreß, Nationales Verfassungsrecht, Bd. 1, S. 427 (431). 138 Siehe Kapitel 1 § 3 und zu deren Änderung Kapitel 8 § 15-17. Zur Verfassungsänderung im Rahmen des schwedischen Beitritts zur Europäischen Union siehe Holmberg/Stjernquist, Constitutional Documents of Sweden, S. 40 f. 139 So Barcel6 i Serramallera, Europäische Gemeinschaft und Autonome Gemeinschaften, S. 9. 140 Puente Egido, in: Battisrrsatsos/Stefanou, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, S. 391 (403).

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

b) Homogenitätsgebot Deutschlands 60. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen Deutschlands an die Struktur der Europäischen Union lassen sich unter drei Gesichtspunkten erörtern: Erstens der Forderung nach struktureller Kongruenz von zwischenstaatlicher Einrichtung und bundesdeutscher Verfassungsordnung (aa). Zweitens den durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Bedingungen fiir den aus deutscher Sicht verfassungsmäßigen Fortgang der Integration (bb). Drittens unter dem Gesichtspunkt des Inhalts der in Art. 23 GG kodifizierten Integrationsklausel (cc).

aa) These von der strukturellen Kongruenz 61. Die Frage der Übereinstimmung der Strukturen einer zwischenstaatlichen Einrichtung mit der bundesstaatlichen Verfassungsordnung war bereits in der frühen Nachgründungsphase der Bundesrepublik Anfang der 50er Jahre Gegenstand der verfassungsrechtlichen Diskussion. In der Sache ging es um die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) auf der Grundlage des Art. 24 GG. 141 Die unter dem Diktum "Kampf um den Wehrbeitrag" bekannt gewordene Auseinandersetzung entzündete sich an der von Kraus aufgestellten These der "strukturellen Kongruenz".142 Im konkreten Fall forderte sie, daß "die Struktur der EVG [... ] der der innerstaatlichen Bundesverfassungsordnung kongruent sein [muß]", d. h., "daß die EVG eine der Bundesverfassung entsprechende demokratische föderalistische und rechtsstaatliche Verfassung hat". 143 Die The141 In dem am 27.5.1952 unterzeichneten Vertrag über die Gründung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft verpflichteten sich die sechs Staaten der Montanunion, eine integrierte europäische Armee, unter vollständiger Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland, zu schaffen und alle Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu vergemeinschaften. Zusammen mit der EGKS sollte die EVG Bestandteil einer Europäischen Politischen Gemeinschaft sein, die ihrerseits Ziele, Verfahren und Institutionen als politische Dachorganisation filr EGKS und EVG bereitstellen sollte. Der Vertragsentwurf über die EVG wurde von der französischen Nationalversammlung in einer Debatte nach 30.8.1954 abgelehnt. Dadurch scheiterte zunächst der Versuch, die funktionale Integration um ein politisches Element zu erweitern. Zu den Hintergründen für das Scheitern, Loth, Weg nach Europa, S. 105 ff. und unter besonderer Berücksichtigung der historischen Situation als Bedingung filr die Entstehung des EVG-Projekts vg\. See[er, Europäische Einigung, S. 24 ff. 142 Kraus, Gutachten, S. 545 (546). Siehe auch Friauf, AöR 85 (1960), S. 232 f.; Kruse, in: Göttinger Arbeitskreis, FS filr Kraus, S. 112 (121). 143 Kraus, Gutachten, S. 545 (553). Eine erstaunlich geringe Rolle in der Debatte um den Wehrbeitrag spielte Art. 142a GG a. F., eingefilgt durch verfassungsänderndes Gesetz vom 26.3.1954 (BGB\. 1954 I, S. 45), der in Anlehnung an eine französische Rechtstechnik die generelle Vereinbarkeit des EVG-Vertrages mit dem Grundgesetz anordnete. Die Verfassungsnorm lautete: "Die Bestimmungen dieses Grundgesetzes stehen

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se war das Destillat der Interpretation der Art. 24 Abs. 1, Art. 20 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG und allgemeiner Erwägungen. Kraus argumentierte, daß die Verfassungsstruktur der EVG nicht die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes achte. Sie greife in die innerstaatliche Verfassungsstruktur ein, die durch Art. 20 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG gegen Verfassungsänderungen besonders gesichert sei. Was aber selbst über eine Verfassungsänderung nicht möglich sei, könne auch nicht auf Grundlage des Art. 24 Abs. 1 GG bewerkstelligt werden. Deshalb dürften nach Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte nur an zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden, deren Struktur der Struktur des nach dem Grundgesetz verfaßten Staatswesen kongruent sei. 144 62. Die These von der strukturellen Kongruenz konnte sich nicht durchsetzen. 145 Der zentrale Einwand gegen die These ist, daß das ihr zugrundeliegende Gedankengebäude auf einem "grundgesetzintrovertierten Denken" ruht. 146 Wie soll es eine Gemeinschaftsbildung von Staaten auf internationaler Ebene geben, wenn jeder souveräne Staat seine - unter Umständen voneinander abweichende - Verfassungsstruktur zum unumstößlichen Maßstab für die Struktur des Zusammenschlusses macht? Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem EVG-Vertragsentwurf diesen Umstand zusammenfassend wie folgt formuliert. "Es liegt im Wesen der Internationalisierung, daß nicht ein Staat allein den Anspruch darauf erheben kann, daß seine Verfassungsbestimmungen, die möglicherweise im Gegensatz zu den Verfassungsbestimmungen der anderen Länder, mit denen eine Gemeinschaft eingegan~en werden soll, im Widerspruch stehen, immer den Ausschlag geben müssen".1

63. Obwohl sich die These der strukturellen Kongruenz nicht durchsetzen konnte, ist ihr Duktus aus der aktuellen Debatte um Form und Grenzen der Integration im Zuge des Unionsvertrages von Maastricht vertraut. Das hat seinen

dem Abschluß und dem Inkrafttreten der am 26. und 27.5.1952 in Bonn und Paris unterzeichneten Verträge [es folgt die genaue Bezeichnung des Vertrages] mit ihren Zusatzund Nebenabkommen insbesondere dem Protokoll vom 26.6.1952, nicht entgegen." Art. 142a GG wurde durch Gesetz vom 27.6.1968 (BGBI. 1968 I, S. 709) wieder aufgehoben. 144 Kruse, in: Göttinger Arbeitskreis, FS für Kraus, S. 112 (121). Insgesamt zu dieser Argumentation Kraus, Gutachten, S. 545 (551 ft). 145· So Ress, in: FiedlerlRess, FS für Geck, S. 625 (670); Randelzho[er, in: MaunzJDürig, GG-Kommentar, Art. 24 Rn. 106 m. w. N. 146 Tomusehat, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 24 (Zweitbearbeitung) Rn. 55 f. 147 Bundesregierung, Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. 2, 1953, S. 31. Gleichfalls zitiert von H. P. Ipsen, in: Maurer, FS für Dürig, S. 159 (162) und Kruse, in: Göttinger Arbeitskreis, FS für Kraus, S. 112 (126). Kritisch zur "strukturellen Kongruenz" auch Randelzho[er, in: MaunzJDürig, Kommentar, Art. 24 Rn. 105 f.; ders., in: Hommelhoffl Kirchhof, Staatenverbund der Europäischen Union, S. 39 (48 ff.); Stern, Staatsrecht I, S. 536; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 2/4, S. 50 f.

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Grund darin, daß die Forderung nach Kongruenz der Verfassungsstrukturen vom internationalen Verband und seinen Mitgliedstaaten in abgeschwächter Form sogar von der Kritik rezipiert wurde. Zwar sei für die Übertragung von Hoheitsgewalt an eine zwischenstaatliche Einrichtung die Deckungsgleichheit ihrer Strukturen mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht notwendige Bedingung, wohl aber die "Homogenität der Wertvorstellungen".148 Art. 79 Abs. 3 GG normiere einen Minimalstandard, der nicht unterschritten werden dürfe. Somit sind die Anforderungen an die Verfassungsstruktur der zwischenstaatlichen Einrichtung im Vergleich zur Kongruenzthese lediglich qualitativ abgesenkt worden, bestehen in ihrer Substanz jedoch fort. 149 64. Unter der Prämisse, daß die EVG der Vorläufer eines europäischen Bundesstaates sei, weist Kraus in der Schlußbemerkung seines Gutachtens darauf hin, daß ein derartiger Bundesstaat nicht aufgebaut werden könne, wenn für seine Gliedstaaten andere fundamentale Ordnungsprinzipien vorgesehen würden als für den Gesamtstaat. 150 Kraus zitiert in diesem Zusammenhang auch die bundesdeutsche Parallelregelung in Art. 28 GG. Beschränkt man sich auf diesen Grundgehalt des Gedankens und läßt die quantitativen und qualitativen Forderungen an den Grad der Übereinstimmung sowie die Annahme der Finalität des Integrationsprozesses außen vor, dann ist mit der These der strukturellen Kongruenz bereits das Prinzip der europäischen Homogenität formuliert. 151

bb) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 65. Das Bundesverfassungsgericht hat zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Mitgliedschaft Deutschlands in den Europäischen Gemeinschaften und zur Gründung der Europäischen Union in mehreren Entscheidungen seit Mitte der 70er Jahre eine vielbeachtete Rechtsprechung entwickelt. 152 Der gegenwärtige Stand der Rechtsprechung sei kurz in Erinnerung gerufen. In

148 So Tomuschat, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 24 (Zweitbearbeitung) Rn. 57. Ferner Ress, in: FiedlerlRess, FS rur Geck, S. 625 (671); Zuleeg, in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 24 Rn. 42; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht,

S. 205 und S. 239-242; Streinz, DVBI. 1990, S. 949 (956). 149 Ebenso RandelzhoJer, in: Maunz/Dürig, Kommentar, Art. 24 Rn. 108; ders., in: HommelhofflKirchhof, Staaten verbund der Europäischen Union, S. 39 (48). 150 Kraus, Gutachten, S. 545 (554). Kraus nennt als Parallelregelung dieses Gedankens ausdrücklich Art. 28 GG. 151 Vgl. dazu den Ansatz Erlers, VVDStRL 18 (1960), S. 1 (42 ff.) und Thiemes, VVDStRL 18 (1960), S. 58 ff. Kritisch dazu Kaiser, VVDStRL 23 (1965), S. I (16 () unter Hinweis auf das Fehlen eines Volkes, das "in Wahlen und Abstimmungen" die öffentliche Gewalt in den Gemeinschaften ausübt. 152 BVerfGE 37, 271 ff. ("Solange-I"-Beschluß); 52, 187 ff. ("Vielleicht"-Beschluß); 73, 339 ff. ("Solange-II"- oder "Mitllerweile"-Beschluß) und BVerfGE 89, 155 ff. ("Maastricht-Urteil").

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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seinem "Solange-I"-Beschluß vom 29. Mai 1974 forderte das Bundesverfassungsgericht fiIr die Europäischen Gemeinschaften "einen vom [Europäischen] Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist".153 Damit stellte das Bundesverfassungsgericht Anforderungen an die Struktur der Gemeinschaften und zog als Vergleichsmaßstab die Regelungen des bundesdeutSchen Grundgesetzes heran. 66. Im "Solange-II"-Beschluß vom 22. Oktober 1986 gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Forderung nach einem geschriebenen Grundrechtskatalog durch die "normative Verklammerung der in den Verfassungen der Mitgliedstaaten und in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Grundrechtsverbürgungen mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts" erfllllt sei. 154 Im Ergebnis stellte das Bundesverfassungsgericht seine zuvor bestätigte Prüfungskompetenz von vermeintlichen Grundrechtsverletzungen durch Hoheitsakte der Europäischen Gemeinschaften zurück. Es gehe nicht um die Grundrechtskonformität im Einzelfall, sondern um "die generelle Gewährleistung unabdingbarer Grundrechtsstandards" .155 Die Grenzen der Integrationsermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG seien gesetzt durch die Wahrung der "Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland", die durch den Einbruch in das Grundgefllge der Verfassung und die Aufgabe der sie konstituierenden Strukturen aufgehoben werden würde. 156 67. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 über die Verfassungsmäßigkeit der Ratifikation des Unionsvertrages von Maastricht waren die Äußerungen zu den konstituierenden Strukturen lediglich auf die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zugrundeliegende Essentialia bezogen. Weitere Identitätselemente wurden nicht genannt. Im "MaastrichtUrteil" stand dann vornehmlich das durch Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 und 3 GG verbürgte demokratische Prinzip im Mittelpunkt der Erwägungen. Das Verfassungs gericht erkennt in seiner Entscheidung an, daß die demokratische Legitimation einer zu hoheitlichem Handeln beflihigten Staatengemeinschaft, in der die Bundesrepublik Mitglied ist, nicht in gleicher Form hergestellt werden könne, wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung. 157 Die Mitgliedschaft Deutschlands in einer supranational organisierten, zwischenstaatlichen Gemeinschaft sei jedoch nur möglich, soweit "eine vom [Staats-]Volk ausgehende Legitimation und

153 BVerfGE 37, 271 (285). BVerfGE 73,339 (348). BVerfGE 73, 339 (387). 156 BVerfGE 73,339 (375 f.). 151 BVerfGE 89, 155 (182). 154 155

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

Einflußnahme auch innerhalb eines Staatenverbundes gesichert ist".158 Mit dieser Formulierung wird eine weitere ausdrückliche Anforderung an die Struktur der Europäischen Union gestellt - der Repräsentationsgedanke, d. h. die Vermittlung der Gemeinschaftsgewalt durch den Willen der einzelnen Völker, muß sich auch auf europäischer Ebene wiederfinden und die Ausübung europäischer Hoheitsgewalt ein bestimmtes Legitimationsniveau erreichen. 159 68. Es ist bemerkenswert, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung als verfassungsrechtliche Anforderung an die deutsche Mitgliedschaft in der Europäischen Union die Einhaltung der das Grundgesetz konstituierenden Strukturen nennt, ohne die spezifischen Ausformungen der Strukturen herauszuarbeiten. In den "Solange"-Entscheidungen wurde der Grundrechtsschutz als das sowohl der nationalen wie der europäischen Rechtsordnung notwendig gemeinsame Prinzip genannt. Das "Maastricht-Urteil" erhebt bestimmte Ausformungen des Demokratieprinzips zur Grenze tur die Übertragung von Hoheitsgewalt. Obwohl Art. 79 Abs. 3 GG im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip genannt wird, überläßt das Gericht die Bedeutung der drei weiteren Staatsstrukturprinzipien fi1r die Homogenität von deutscher Verfassungsordnung und europäischen Fundamentalprinzipien dem Dunkel der Spekulation.

Hans Peter fpsen äußerte bereits im Zusammenhang mit der "Solange"Rechtsprechung und noch vor der Entscheidung über den Unionsvertrag die Vermutung, daß das Bundesverfassungsgericht die Antwort auf die Frage umgehen wolle, ob auch das föderale Prinzip in den Homogenitätsanspruch an die Europäische Union miteinbezogen werden müsse. 160 Dieser Vorwurf entbehrt auch nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht jeglicher Grundlage, hat das Bundesverfassungsgericht im "Maastricht-Urteil" doch ausfilhrlich nur zum Demokratieprinzip Stellung genommen. Das ist um so erstaunlicher, als das Gericht in seinen Urteilsgründen dem eigens fi1r die Ratifikation des Unionsvertrages eingetugten Art. 23 GG n. F. nur geringe Aufmerksamkeit schenkte. 161

158 BVerfGE 89, 155 (184). 159 BVerfGE 89, 155 (182) unter Hinweis auf BVerfGE 83, 60 (72). 160 H. P. lpsen, in: Maurer, FS für Dürig, S. 159 (163). In seinem Gutachten zum "Kampf um den Wehrbeitrag" bezog Kraus das bundesstaatliche Prinzip in seine Forderung nach struktureller Kongruenz mit ein. Ausgenommen blieben das republikanische und sozialstaatliche Prinzip. Insofern war auch die Forderung nach struktureller Kongruenz der Verfassungsordnungen nicht identisch mit dem Inhalt von Art. 79 Abs. 3 GG. Dazu RandelzhoJer, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 24 Rn. 108 Fn. 321 m.w.N. 161 Auf diesen Umstand weist Tomuschat hin, EuGRZ 1993, S. 489 (492). Die Veröffentlichung und damit das Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes zum Unionsvertrag von Maastricht vom 28.12.1992 wurde bis zum 30.12.1992 (BGBI. 11 1992, S.1251)

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ce) Art. 23 Abs. 1 GG als nationale Homogenitätsklausel

69. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG lautet: "Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. " Der Wortlaut macht deutlich, daß in dem Verfassungssatz die zuvor genannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrechtsschutz kodifiziert wurde. 162 Die Norm geht, auch das wurde angedeutet, einen erheblichen Schritt weiter. Sie nennt zusätzlich die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätze sowie den Grundsatz der Subsidiarität und erklärt alle Grundsätze der Europäischen Union gegenüber für verpflichtend. Dadurch wird die Union zur Verwirklichung dieser Grundsätze und zu deren Gewährleistung aufgefordert. Die sog. Struktursicherungsklausel 163 des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG setzt damit einen Rahmen für die rechtliche Binnenstruktur der Europäischen Union. Im Zusammenhang mit dem Schrankenvorbehalt in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG, der die Ratifikationsgesetze zu verfassungsrelevanten Änderungen des Primärrechts Art. 79 Abs. 2 und 3 GG unterwirft, synchronisiert das Grundgesetz die materiellen Anforderungen an die Fundamentalprinzipien des deutschen Gesamtstaates mit denen des europäischen Integrationsverbandes. Dabei sind die Inhalte der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG mit Art. 23 Abs. I Satz I GG nicht identisch. 70. Die Verpflichtung der Union auf den Grundsatz der Subsidiarität hat keine Entsprechung im deutschen Verfassungsrecht. Die föderativen Grundsätze entsprechen nicht dem bundesstaatlichen Gebot in Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, sondern zielen auf einen dezentralen Aufbau der Union und den Erhalt der deutschen Bundesstaatsstruktur. 164 Der Wortlaut des Art. 23

verzögert, bis das verfassungsändernde Gesetz vom 21.12.1992 (BGB!. I vom 24.12.1992, S. 2086) am 25.12.1992 in Kraft getreten war. 162 Siehe Gemeinsame Verfassungskommission, BT-Drucksache 12/6000, S.21. 163 Siehe Gemeinsame Verfassungskommission, ebenda, S. 20 f.; Pernice, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 47; Streinz, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 15; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, Bd. H, Art. 28 Rn. 17 jeweils m. w. N. 164 Dazu Scholz, in: MaunzIDürig, GG-Kommentar, Art. 23, Rn. 62 ff.; kritisch in bezug auf den Vertrag von Maastricht Rupp, ZRP 1993, S. 211 (212 ff.). Siehe auch jüngst die Argumentation Finks, DÖV 1998, S. 133 ff., der Art. 79 Abs. 3 GG als absolute Schranke einer Verfassungsänderung (Art. 79 Abs. 3 GG) oder Verfassungsgebung (Art. 146 GG) gegenüber der Gründung eines europäischen Bundesstaates einordnet und darin die Garantie der Bundesstaatlichkeit Deutschlands sieht. Dagegen etwa Pernice, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 25. Vg!. auch den Ansatz von Dashwood, ELRev 23 (1998), S. 201 ff., rur den die Rechtsstruktur der Europäischen Union einige

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

Abs. I GG zeigt, daß der deutsche Verfassungsgesetzgeber bei den anderen Prinzipien die Verpflichtung zum Entsprechenmüssen nicht im Sinne von Kongruenz, d. h. einer Deckungsgleichheit, versteht. Es ist von "Grundsätzen" die Rede. Nach dem Wortsinn ist eine Abweichung vom Vergleichsmaßstab gestattet. Die Verwendung des Begriffs "Grundsätze" wirft Fragen nach seiner inhaltlichen Trennschärfe auf, denen zu einem späteren Zeitpunkt nachgegangen werden wird. 165 Semantisch fordert dieser Begriff jedenfalls, daß die ein Vergleichspaar bildenden Leitprinzipien im absoluten Kernbereich übereinstimmen. 166 Art. 23 Abs. I GG strebt diese Synchronisation der bundesdeutschen mit den europäischen Rechtsprinzipien an, weshalb die Struktursicherungsklausel besser als eine Homogenitätssicherungsklausel zu bezeichnen ist. 167 Mit ihr wird die Gewährleistung der Homogenität der Fundamentalprinzipien des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Union aus der Perspektive des Mitgliedstaates Deutschland angestrebt. 168

c) Zusammenfassende Schlußfolgerungen - Aktives und passives Homogenitätsgebot mitgliedstaatlicher Verfassungen 71. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat in ihren Verfassungen Klauseln aufgenommen, die die Verfassungen zur internationalen Ebene hin öffuen und ausdrücklich die Übertragung von Hoheitsgewalt auf überstaatliche Einrichtungen ermöglichen. Der Einbindung einiger Mitgliedstaaten in Rechtsordnungen jenseits des nationalen Verfassungsrechts sind Grenzen gesetzt. Dabei lassen sich zwei Rechtstechniken unterscheiden: Die Verfassungen Frankreichs, Griechenlands, Italiens und Portugals haben der Kompetenz des verfassungsändernden Gesetzgebers ausdrücklich Schranken gesetzt. Diese Mitgliedstaaten stellen mittelbar Anforderungen an die rechtliche Gestalt der Europäischen Union, indem beispielsweise die republikanische Staatsform; das demokratische Prinzip "conservatory elements" enthält, die die Existenz und den Einfluß der Mitgliedstaaten dauerhaft sichern. 165 Siehe dazu unter Ziff. 89 ff. 166 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 210b, der sich gegen eine "strukturelle Kongruenz" im Zusammenhang mit Art. 23 Abs. I GG wendet. Die in der Norm enthaltenen Postulate seien strukturangepaßt zu modifizieren, um der Eigenheit der jeweiligen Integrationsgemeinschaft Rechnung zu tragen. 167 Vgl. vor allem lsensee, in: Burmeister, FS rur Stern, S. 1239 (1249 ff.), flir den Art. 23 Abs. I S. I GG das "Seitenstück zur Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. I S. I GG" bildet. Siehe auch Sommermann, DÖV 1994, S. 596 (600) "HomogenitätsklauseI"; Weber, JZ 1993, S. 325 (329). Das Homogenitätskonzept ablehnend Schmitl Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 72 ff. m. w. N. 168 Zur Vereinbarkeit des gegenwärtigen Integrationsstandes mit den Anforderungen des Art. 23 Abs. I S. I GG siehe Heitsch, EuGRZ 1997, S.461 (463 ff.). Die Anwendung des Art. 23 GG im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union erörtern Hölscheidt/Schotten, DÖV 1995, S. 187 ff.

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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und die Menschenrechte als absolute, unabänderliche Verfassungswerte gesetzt werden. Damit erheben die Mitgliedstaaten den Anspruch, vennittelt über ihre jeweilige "Ewigkeitsklausel", daß durch Änderungen der primärrechtlichen Verträge oder Handlungen der europäischen Institutionen in diesen geschützten Kernbereich der mitgliedstaatlichen Verfassungen nicht eingegriffen wird. Dieser Tatbestand ließe sich als passives Homogenitätsgebot bezeichnen. 72. Deutschland und - in geringerem Maße Schweden - gehen über dieses passive Homogenitätsgebot hinaus. Als einziger Mitgliedstaat setzt Deutschland mit Art. 23 Abs. I GG der Europäischen Union ausdrücklich Rechtsprinzipien als imperativen Handlungsmaßstab. Das Grundgesetz beschränkt sich dabei materiell nicht auf die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Staats strukturprinzipien, sondern ergänzt den Katalog um das Subsidiaritätsprinzip, die föderativen Grundsätze und einen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutz. Die Europäische Union muß den in Art. 23 Abs. I aufgefiihrten Prinzipien entsprechen, damit Deutschland weiterhin in verfassungsmäßiger Weise am Integrationsprozeß teilnehmen kann. Dieser Tatbestand ließe sich entsprechend als aktives Homogenitätsgebot bezeichnen. 169 73. Den beiden Rechtstechniken ist gemeinsam, daß mit ihnen Homogenitätsgebote an die Gestalt der Europäischen Union aus der Perspektive der Mitgliedstaaten fonnuliert werden. 170

2. Homogenitätsgebote der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedstaaten 74. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, ob auch die Europäische Union ein eigenständiges Homogenitätsgebot gegenüber den Mitgliedstaaten fonnuliert. Ein solches europäisches Homogenitätsgebot läge vor, wenn sich im Recht der Europäischen Union die Forderung nach der Gleichartigkeit mitgliedstaatlicher Verfassungsstrukturen mit den Leitprinzipien der Union tande.

75. In der Literatur ist diesbezüglich die Ansicht geäußert worden, daß es eine solche, der bundesstaatlichen Regelung vergleichbare, europäische Homo-

169 Vgl. lsensee, in: Burmeister, FS für Stern, S. 1239 (1249 ff.), der diese Rechtstechnik im Zusammenhang mit Art. 23 GG als "offensiv" im Gegensatz zur Koppelung der Integrationsbefugnis mit Art. 79 Absätze 2 und 3 GG bezeichnet. 170 Siehe dazu die Einschätzung Tomuschats, VVDStRL 36 (1978), S. 7 (38) unter der Überschrift "Verfassungsegoismus", wonach der legitime egoistische Grundzug einer jeden Verfassung dazu anhält, "bestimmte Homogenitätsanforderungen an die Rechtsordnung und Entscheidungsstruktur einer internationalen Organisation zu stellen, deren Beschlüsse später unmittelbar oder mittelbar in die nationale Rechtssphäre zurückschlagen" .

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

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genitätsklausel nicht gäbe, weil in der Europäischen Union Homogenität zunächst horizontale Homogenität sei. Es gehe um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten. 171 Eine dem Art. 28 Abs. 1 GG vergleichbare Regelung kann es auf europäischer Ebene schon deshalb nicht geben, weil die Konzeption des Homogenitätsprinzips in der Europäischen Union eine andere ist. So wäre es im Bundesstaat nur schwerlich vorstellbar, wenn ein Gliedstaat in seiner Verfassung Anforderungen an die rechtliche Gestalt des Gesamtstaates stellte. Eben diese Konstellation gilt jedoch filr die europäischen Integrationsverbände, indem etwa Deutschland nach Art. 23 Abs. 1 GG ein Homogenitätsgebot an die Europäische Union richtet. 76. Dieser grundsätzliche Unterschied ist noch keineswegs die Bestätigung der zitierten Meinung im Schrifttum. Die Vertragstexte der Integrationsverbände, die offiziellen Verlautbarungen und sonstigen Willensbekundungen der Organe und die Erklärungen der Mitgliedstaaten werden nachfolgend in Chronologie der Aktivitäten daraufhin untersucht, inwieweit sich in ihnen der rechtliche Niederschlag eines Homogenitätsgebotes der Union an die Mitgliedstaaten findet.

• Die mehrfachen Beitrittsversuche Spaniens, beginnend mit dem Antrag auf Abschluß eines Assoziationsabkommens vom 9. Februar 1962, filhrten nicht zum Erfolg. Wie die Kommission in zwei Stellungnahmen zum Ausdruck brachte, sei eine Assoziierung der Gemeinschaft nur mit solchen Staaten möglich, deren Staatsform und Institutionen denjenigen der Mitgliedstaaten vergleichbar seien. 172 • Das Assoziationsabkommen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit Griechenland 173 wurde nach dem griechischen Militärputsch vom 21. April 1967 nur noch insoweit durchgefilhrt, wie es den Abbau der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen seitens der Gemeinschaft gegenüber Griechenland betraf. 174 Die Durchftlhrung der im Abkommen vorgesehenen Finanzhilfen und gemeinsamen Politiken wurde dagegen auf Veranlassung der Kommission ausgesetzt. 17S

So Heintzen, EuR 1997, S. I (6). Stellungnahme der Kommission zu den Beitrittsgesuchen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens vom 1.l0.1969, in EA 1969 D 508 fI., Nr. 34 ff. und Stellungnahme vom 29.9.I972, in EA 1972 D 484 Nr. 21. 173 Assoziationsabkommen vom 9.7.1961, ABI. vom 18.2.1963, S. 294 ff. 174 Siehe Gesamtbericht der Kommission Nr. I (1967) Tz. 431; Nr. 11 (1968) Tz. 484; Nr. III (1969) Tz. 383. Zum Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zu Griechenland und der sogenannten Süderweiterung Dagtoglou, EuR 1980, S. 1 ff. 175 Vgl. BullEG 4-1971, S. 47. Dazu Krenzler, EA 1971, S. 139 (144); Oppermann, Europarecht, Rn. 1872. Mit derselben Begründung wurde mehrfach die Durchfiihrung des Assoziationsabkommens mit der Türkei vom 12.9.1963 ausgesetzt. Zuletzt erfolgte 171

172

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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• Nach der Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Achtung der Grundrechte sowie der EMRK 176 vom 5. April 1977 beruhen die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften auf dem "Grundsatz der Achtung des Rechts", der insbesondere durch die Grundrechte konkretisiert, gleichzeitig die Grundlage des Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten bildet. 177 • In der Erklärung des Europäischen Rates von Kopenhagen von 1978 erklären die Staats- und Regierungschefs, wie schon in der Kopenhagener Erklärung zur europäischen Identität 178 von 1973, erneut ihre Bereitschaft zum Schutz der Prinzipien der parlamentarischen Demokratie, des Rechts, der sozialen Gerechtigkeit und der Wahrung der Menschenrechte. Wörtlich heißt es weiter, "daß die Achtung und die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Demokratie und der Menschenrechte in allen Mitgliedstaaten wesentliche Elemente ihrer Zugehörigkeit zu den Europäischen Gemeinschaften sind". 179 • Die Kommission konstatiert in ihrer Mitteilung über die Übergangszeit und die institutionellen Folgen der Erweiterung, daß die Gemeinschaft "infolge der allmählichen Verdoppelung der Zahl ihrer Mitglieder viel von ihrer Homogenität verloren hat".180 In ihrer Stellungnahme vom 23. Mai 1979 zum Beitrittsantrag Griechenlands nimmt die Kommission diesen Gedanken und die Formulierungen der Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Kopenhagen 1978 wieder auf. In der Stellungnahme fmdet sich der Satz: "Die Grundsätze der pluralistischen Demokratie und der Beachtung der Menschenrechte gehören zu dem gemeinsamen Erbe der in den Europäischen Gemeinschaften zusammengeschlossenen Völker und sind daher wesentliche Bestandteile der Zugehörigkeit zu diesen Gemeinschaften". 181 • Das Europäische Parlament erinnert anläßlich des versuchten Staatsstreichs in Spanien in seiner Entschließung vom 13. März 1981 daran, "daß ein pluralistisches parlamentarisches System und die Wahrung der Menschenrechte

eine Aussetzung nach der Machtübernahme der türkischen Militärs am 12.9.1980, vgl. C. Vedder, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 238, Rn. 40 b. 176 ABI. Nr. C 103 vom 27.4.1977, S. l. 177 Dazu Hilf, EuGRZ 1977, S. 158 ff. 178 Siehe unter Ziff. 33. 179 BullEG 3-1978, S. 5 (6). 180 KOM (78) 190 endg., BullEG Beilage 2-1978. Sie verkörpert zusammen mit zwei weiteren Mitteilungen, KOM (78) 120 endg.: Umfassende Überlegungen zu dem Problem der Erweiterung und KOM (78) 200 endg.: Wirtschaftliche und sektorale Aspekte, die Vorstellungen der Kommission zur geplanten Erweiterung der Gemeinschaften um Griechenland, Spanien und Portugal (sogenanntes "Fresko"). Die beiden letztgenannten Mitteilungen sind veröffentlicht in BullEG Beilagen I und 3-1978. 181 ABI. Nr. L 291 vom 19.11.1979, S. 3. S Schorkopf

§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

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die Bedingung für den Beitritt und die Zugehörigkeit eines Landes zur Europäischen Gemeinschaft darstellen". 182 • Die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte l83 (EEA) von 1986 enthält in ihrem dritten Erwägungsgrund erstmals ein im Primärrecht kodifiziertes Bekenntnis der Mitgliedstaaten, für die Demokratie einzutreten, und zwar auf der Grundlage ihrer Verfassungen und Gesetze, der EMRK, der Europäischen Sozialcharta und anerkannter Grundrechte. Im vierten Erwägungsgrund ist die Rede davon, daß das in allgemeiner Wahl gewählte Europäische Parlament ein unerläßliches Ausdrucksmittel der demokratischen Völker Europas sei. Im fünften Erwägungsgrund versprechen die Mitgliedstaaten für Wahrung der Grundsätze der Demokratie und die Wahrung des Rechts und der Menschenrechte einzutreten. • In ihrem Bericht an den Europäischen Rat von Lissabon 1992 entwickelt die Kommission drei Gruppen von Kategorien für die Aufnahme neuer Mitglieder. Zu den Grundbedingungen einer Mitgliedschaft gehören eine "europäische Identität, demokratische Staatsform und Achtung der Menschenrechte".I84 • Im dritten Erwägungsgrund der Präambel des Unionsvertrages von Maastricht von 1992 bestätigen die Mitgliedstaaten ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit. Im fiinften Erwägungsgrund äußern die Mitgliedstaaten den Willen, die Demokratie und Effizienz in der Arbeit der Organe weiter zu stärken. • Auf seiner Tagung vom 21./22. Juni 1993 in Kopenhagen nimmt der Europäische Rat die Konzeption der Kommission auf und nennt in konsolidierter, verbindlicher Form die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Vor dem Hintergrund der geplanten Erweiterungsrunden enthalten die Schlußfolgerungen zur Präzisierung des Art. 0 EUV a. F. drei Kategorien von Beitrittskriterien. Wörtlich heißt es: "Als Voraussetzungen für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie der Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsflihige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten.,,18s

ABI. Nr. C 77 vom 6.4.1981, S. 85. ABI. NT. L 169 vom 29.6.1987, S. I tT. 184 Bericht der Kommission an den Europäischen Rat von Lissabon (26.127.6.1992), Luxemburg 1992, S. 11 f. 185 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, SN 180/93, S. 12; BullEG 6-1993 Ziff.1.I3, S. 13 f. 182 183

C. Konzeption der Homogenität in der EU

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• Endlich ist Art. F Abs. 1 EUV a. F. zu erwähnen: "Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, deren Regierungssysteme auf demokratischen Grundsätzen beruhen. ,,186 Die Nonn verpflichtet die Regierungssysteme der Mitgliedstaaten auf demokratische Grundsätze 187 und nimmt erstmals eine Anforderung an die Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten in den verfUgenden Teil der Verträge auf. 77. Ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf ein demokratisches Regierungssystem der rechtliche Niederschlag eines originären Homogenitätsgebotes der Europäischen Union an ihre Mitglieder? Art. F Abs. 1 EUV a. F. und die anderen Nonnen, Organakte und Verlautbarungen zeigen, daß die Gemeinschaften und nunmehr die Union in der Tat Homogenität der mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen einfordern. Jedoch ist im gleichen Atemzug festzustellen, daß es sich stets um die Gleichartigkeit der demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen unter den Mitgliedstaaten handelt - das Homogenitätsgebot der Union mithin nur die horizontale Ebene betrifft.

Mit ihrer Gründung haben die Gemeinschaften bzw. die Union das ursprünglich bestehende Gebot horizontaler Homogenität aufgenommen und sind - quasi als Zessionar - in die Position desjenigen eingerückt, der das Homogenitätsgebot geltend macht. Dieses Ergebnis entspricht auch der dominanten Rolle der Union im Beitrittsverfahren. Unabhängig von dem bestehenden, faktischen Einfluß der Mitgliedstaaten durch die Personenidentität von Rat- und Regierungsmitgliedern, ist es die Union, handelnd durch den Rat, die im Grundsatz über die Aufnahme eines Beitrittskandidaten entscheidet. 188 Nur die Aufnahmebedingungen und die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge sind Gegenstand eines Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat (Art. 49 Abs. 2 EUV). Es war in erster Linie die Kommission, die in der gegenwärtigen Erweiterungsrunde die grundsätzliche Tauglichkeit der Bewerberstaaten im Hinblick auf die Kriterien des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993 untersucht hat. 189 Aber wie gerade ein Blick in die Stellungnahmen der Kommission im Rahmen der Agenda 2000 zeigt, zieht die Kommission als Vergleichsmaßstab die abstrakten, gemeinsamen Verfassungselemente der Mitgliedstaaten heran. 190 78. Die am Beginn des Abschnitts zitierte These ist also im Kern bestätigt. Das bestehende Homogenitätsgebot der Union an die Mitgliedstaaten stellt sich Hervorhebung vom Verf. Hilf, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. F, Rn. 12; Herzog, in: HerzogISmit, Kommentar, Art. F § F.OI; Richter, Erweiterung der Europäischen Union, S. 67 f.; E. Klein, in: HailbronnerlE. KleinlMagieraIMüller-Graff, Handkommentar EUV/EGV, Art. F Rn. 5. 188 Siehe Art. 49 Abs. I EUV. 189 Siehe die Nachweise unter Ziff. 337 in Fn. 608. 190 Vgl. etwa KOM (97) 2000/endg., S. 46 ff. = BullEU Beilage 5-1997, S. 43 ff. 186

187

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§ 2 Homogenität als Ordnungsprinzip der EU

von seiner Substanz lediglich als Reflex der horizontalen Homogenität dar. Dieses Ergebnis läßt die durch den Vertrag von Amsterdam geschaffene Rechtslage außen vor. Bezieht man den Regelungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 EUV (Art. F Abs. 1 EUV a. F.) in die Betrachtung mit ein, könnte sich eine andere Bewertung der eingangs gestellten Frage nach dem eigenständigen europäischen Homogenitätsgebot ergeben. Inwieweit das der Fall ist, wird im Zusammenhang der Darstellung des Art. 6 Abs. 1 EUV unter dem Topos der Homogenität im folgenden Kapitel erörtert werden

D. Zwischenergebnis 79. Homogenität als Ordnungsprinzip in der Europäischen Union meint die Gleichartigkeit bestimmter Rechtsprinzipien sowohl zwischen den Mitgliedstaaten untereinander als auch in deren Verhältni~ zur Union. Die Homogenität hat die Funktionen, den Konsens zwischen den Mitgliedstaaten als Voraussetzung rur einen Integrationsprozeß herzustellen (Konsensfunktion), die Legitimationsgrundlagen der Europäischen Union zu sichern (Legitimationsfunktion), den materiellen Gehalt rur eine europäische Identitätsbildung zu schaffen (Integrations funktion) und generell die Funktionsfähigkeit der Union sowie der Gemeinschaften sicherzustellen (Sicherungsfunktion). Zur weiteren Systematisierung des Homogenitätsprinzips in der Europäischen Union wird zwischen einer horizontalen und eine vertikalen Ebene unterschieden. In der Vertikalen, also im Verhältnis der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union, lassen sich in einem Teil der mitgliedstaatlichen Verfassungen Bestimmungen identifizieren, die entweder direkt oder aus ihrem Zusammenhang Forderungen an die rechtliche Gestalt der Union und ihre Fortentwicklung formulieren (aktives und passives Homogenitätsgebot). Ein entsprechendes Homogenitätsgebot im Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten hat demgegenüber keinen eigenständigen Gehalt und stellt sich lediglich als Reflex der horizontalen Homogenität dar.

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

Im folgenden werden Inhalt, Aufbau und Aussagekraft des Art. 6 Abs. 1 EUV erschlossen. Dazu wird die Rechtsnorm - im Anschluß an einen Überblick (A) - anhand der Entstehungsgeschichte und systematischen Stellung (8) sowie dem am Wortlaut orientierten Inhalt der Norm (C) ausgelegt. Das Kapitel schließt mit der kritischen Würdigung des durch die Auslegung erarbeiteten Bedeutungsgehalts der Norm (D).

A. Überblick 80. Art. 6 Abs. I EUV in der geänderten Fassung des Vertrages von Amsterdam lautet: "Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam."

Durch die Änderung des vormaligen Art. F Abs. I EUV a. F. wird erstmalig die Verpflichtung der Union zur Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den verfiigenden Teil der primärrechtlichen Verträge aufgenommen. 19I Die drei Prinzipien werden durch die Formulierung der "Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" ergänzt, die sich aber bereits in einer spezielleren Form, als Verpflichtung der Union zum Grundrechtsschutz, im unverändert fortbestehenden Art. 6 Abs. 2 EUV findet. Art. 6 Abs. I EUV beschränkt sich jedoch nicht auf grundsätzliche Aussagen über die rechtlichen Struktur der Europäischen Union, sondern er bezieht auch die mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen und deren Verhältnis zueinander ein. Die vier zitierten Grundsätze sind als die Grundlage der Union und gleichzeitig auch als Gemeinsamkeit der Mitgliedstaaten ausgewiesen. So wird sprachlich eine Verbindung zwischen den rechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten und der Union hergestellt, die die funktionelle Einordnung des Art. 6 Abs. 1 EUV als Homogenitätsklausel nahe legt.

191 Art. F Abs. 1 EUV a. F. enthielt die spezielle Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf ein "demokratisches Regierungssystem".

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

70

Die Vertragsnonnen sind schließlich Bezugspunkt für die Regelungen über den Beitritt zur Europäischen Union (Art. 49 EUV) und vor allem für den neuen Sanktionsmechanismus (Art. 7 EUV). In seiner Eigenschaft als Tatbestandsvoraussetzung erhält die Frage der inhaltlichen Bestimmbarkeit der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze unmittelbare Bedeutung. Insbesondere aufgrund des letztgenannten Zusammenhangs ist Art. 6 Abs. 1 EUV von besonderem Interesse fiIr den Fortgang dieser Arbeit.

B. Entstehungsgeschichte und systematische Stellung 81. Die Aufnahme der vier von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze in das Primärrecht beruht gedanklich auf dem Vorschlag der irischen Ratspräsidentschaft vom 26. Juli 1996. 192 In den Aufzeichnungen des Vorsitzes wird auf die starke Unterstützung hingewiesen, die der Gedanke von Seiten der nationalen Delegationen erfahren hatte, die allgemeinen Grundsätze der Union zu betonen und darauf hinzuweisen, daß der Beitritt zur Union nur möglich ist, wenn der Bewerberstaat nachgewiesenennaßen diese Grundsätze achtet. Die konkrete Fassung des Art. 6 Abs. 1 EUV ist dagegen auf einen gemeinsamen Vorschlag der österreichischen und italienischen Delegationen vom 3. Oktober 1996 zurückzuführen. 193 Nachfolgende Vorschläge bezogen sich nur noch auf Änderungen des verwendeten Verbs ("bekennen" oder "beruhen") und dessen Bezugssubjekten ("Union" und/oder "Mitgliedstaaten,,).194

82. Art. 6 Abs. 1 EUV steht am Ende der ,Gemeinsamen Bestimmungen' im Titel I des EU-Vertrages. Der gesamten Vertragsnonn wird bereits in ihrer alten Fassung als Art. F EUV zentrale Bedeutung im Recht der Europäischen Union zugemessen. 19S Speziell Art. F Abs. 1 EUV a. F. mit seiner Achtungsverpflichtung gegenüber der nationalen Identität und dem Gebot an die Mitgliedstaaten, ihre Regierungssysteme auf demokratische Grundsätze zu gründen, enthielt grundsätzliche Aussagen über das Verhältnis der Union zu den Mitgliedstaaten und den Strukturprinzipien der Union. 196 Durch die Änderungen des Vertrages von Amsterdam werden diese Aussagen nunmehr voneinander getrennt. Während die Identitätsklausel wortgleich in Art. 6 Abs. 3 EUV

CONF/3879/96, LIMITE, vgl. Anhang A. CONF/3940/96, LIMITE, vgl. Anhang B. 194 Siehe dazu Ziff. 94 ff. 195 Vgl. Hilf, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. F Rn. I; ders., in: RandelzhoferlScholzlWilke, GS für Grabitz, S. 157 (170); Bieber, in: v. d. GroebenffhiesinglEhlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. F Rn. I; E. Klein, in: HailbronnerlE. KleinlMagieraIMüller-Graff, Handkommentar EGVIEUV, Art. F Rn. I. 196 Zur föderativen Struktur der Europäischen Union Heckei, Föderalismus, S. 120 ff. und S. 138 ff. 192

193

B. Entstehungsgeschichte und systematische Stellung

71

verschoben wurde, ist Art. 6 Abs. 1 EUV fortan ausschließlich den rechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten und der Union gewidmet. 197 83. Die bislang zentrale Stellung des Art. F Abs. 1 EUV a. F. im Unionsrecht bleibt durch die Änderungen des Vertrages von Amsterdam unverändert. Selbst der Äußerung der Bundesregierung in ihrer Denkschrift zum Unionsvertrag von Maastricht kann weiterhin Gültigkeit zugemessen werden. In der Denkschrift heißt es wörtlich: "Art. F zählt wichtige Grundsätze auf, auf denen die Union beruht.,,198 Diese Formulierung scheint sogar Vorbildcharakter für den Art. 6 Abs. 1 EUV gehabt zu haben, der jetzt mit seinem ersten Halbsatz nahezu wörtlich dieser Erläuterung entspricht. Jedenfalls findet die Ersetzung der Achtung der nationalen Identität und der demokratischen Regierungssysteme durch die "Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit" ihr Vorbild in der Formulierung des dritten Erwägungsgrundes der Präambel des EU-Vertrages, in der die Mitgliedstaaten ihr Bekenntnis zu eben diesen Grundsätzen bekräftigen.

Die Nennung des Menschenrechtsschutzes in Art. 6 Abs. 1 EUV stellt einen direkten Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt des Absatzes 2 EUV her. Art. 6 Abs. 2 EUV verpflichtet die Union auf den Schutz der Grundrechte, 199 wie er sich aus der EMRK und den aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten folgenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergibt. 2OO

197 Diese Entkopplung deutet darauf hin, daß Art. F Abs. I EUV a. F. schon bisher zwei eigenständige Aussagen enthielt. In der Literatur wird bislang ein zuweilen enger Zusammenhang der Identität mit den mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen im Sinne einer "Verfassungsidentität" hergestellt, so etwa Bieber, in: v. d. Groebenffhiesingl Ehlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. F Rn. 14 ff. Die eindeutige Trennung der Identitätsklausel von der Verpflichtung auf bestimmte rechtliche Verbandsstrukturen wird bei der späteren Bewertung des Art. 6 Abs. 1 EUV zu berücksichtigen sein. 198 BT-Drucksache 12/3334, S. 84. 199 Es wird die Ansicht vertreten, daß sich der Inhalt der Menschenrechte - im Gegensatz zu den Grundrechten - auf die Rechte beschränkt, die nach allgemein geltender Rechtsüberzeugung den für eine physissche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Existenz des Menschen notwendig sind, vgl. Jarass, in: JarasslPieroth, GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 12 unter Hinweis auf Denninger, in: Wassermann, GG-Altemativkommentar, Art. 1 Abs. 2 und 3, Rn. 10. Da jeder Versuch einer Abgrenzung nach dem Kriterium des überpositiven bzw. positiven Geltungsgrundes eine Wertung über den Menschenrechtsgehalt einer Grundrechtsposition enthält, führt diese Auffassung zur Aufuahme eines Elements der Beliebigkeit in die Menschenrechtsthematik und ist deshalb abzulehnen, siehe Dreier, in: ders., GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 2, Rn. 14. Löst man den ,Grundrechtsschutz' aus seinem Zusammenhang mit dem deutschen Grundgesetz heraus, läßt sich der Begriff ohne weiteres als Synonym für den Terminus des Schutzes oder der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebrauchen. Diese Gleichsetzung wird im Fortgang der Arbeit vertreten. 200 Aus der großen Zahl der Veröffentlichungen zu dieser Thematik siehe etwa Pauly, EuR 1998, S. 242 (249 f.); CasseselClaphamiWeiler, Human Rights and the European

72

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

84. Die grundsätzliche Entscheidung der Mitgliedstaaten, die travaux pniparatoires zu den Gründungs- und Änderungsverträgen der Öffentlichkeit nicht zugänglich zu machen, erschwert die Auslegung europarechtlicher Normen nach ihrer Entstehungsgeschichte. Vereinzelt sind in dieser Hinsicht Aussagen möglich, wenn die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten ftlr den Zweck der nationalen Ratifikation des Vertrages erläuternde Stellungnahmen veröffentlicht haben, die von den nationalen Delegationen in die Regierungskonferenz eingebrachten Formulierungsvorschläge herangezogen werden können oder sich die Organe in ihren Stellungnahmen einschlägig geäußert haben. So begründet die irische Regierung in ihrem White Paper zum Vertrag von Amsterdam die Entstehung des Art. 6 Abs. 1 mit der Notwendigkeit, ausdrücklich klarzustellen, daß die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf Demokratie und Menschenrechtsschutz notwendige Bedingung für die Mitgliedschaft in der Union sei. 201 Eine noch konkretere Aussage über Entstehungsgrund und Systematik des Art. 6 Abs. 1 EUV erlaubt die Denkschrift der Bundesregierung zum Vertrag von Amsterdam. Nach den Erläuterungen der Denkschrift steht die Vertragsänderung untrennbar im Zusammenhang mit dem in Art. 7 EUV neugeschaffenen Sanktionsmechanismus. 202 Die Kommission wies in ihrer Stellungnahme zur Vorbereitung der Regierungskonferenz daraufhin, daß sich das europäische Einigungswerk auf den "allen europäischen Gesellschaften gemeinsamen Wertvorstellungen" gründet, "die die Grundwerte der Demokratie - Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit - mit den Prinzipien der Marktwirtschaft, der Solidarität und des Zusammenhalts verbinden.,,203 An diese Aussage schließt sich die Forderung der Kommission an, daß zu einem Zeitpunkt, da Europa in eine neue politische Phase eintrete, die Förderung dieses Gesellschaftsmodells bekräftigt und präzisiert werden müßte. 204 85. Diese drei Hinweise aus dem Entstehungsprozeß des Art. 6 Abs. 1 EUV lenken die Aufmerksamkeit auf einen weiteren systematischen Zusammenhang: Art. 7 Abs. 1 EUV 205 und Art. 49 EUV, der den Beitritt zur Europäischen Union regelt, verweisen jeweils auf Art. 6 Abs. 1 EUV.

Community, Bd. III, S. 12 t1 und Beutler, in: v. d. GroebenfThiesinglEhlermann, Kommentar, Art. F Rn. 22 ff. jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 201 Treaty of Amsterdam, White Paper, Govemment of Ireland, 1997, S. 33. 202 BT-Drucksache 13/9339, S. 143. 203 Stellungnahme der Kommission "Stärkung der Politischen Union und Vorbereitung der Erweiterung", [KOM (96) 90 endg. vom 28.2.1996] Luxemburg 1996, Kapitel I, S. 9. 204 Stellungnahme der Kommission, ebenda, S. 9. 205 Die mit Art. 7 EUV zusammenhängenden Art. 309 EGV, Art. 204 EAGV und Art. 96 EGKSV verweisen in ihrem Wortlaut ebenfalls auf Art. 6 Abs. 1 EGV, nehmen

B. Entstehungsgeschichte und systematische Stellung

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• Nach Art. 7 Abs. 1 EUV ist die "schwerwiegende und anhaltende Verletzung einer der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze" konstitutive Voraussetzung filr das weitere Handeln der dazu berufenen Organe im Rahmen des neuen Sanktionsmechanismus . • Nach dem Wortlaut von Art. 0 EUV a. F. konnte bislang jeder "europäische Staat [00'] beantragen, Mitglied der Union zu werden". Mit dieser Formulierung sind die materiellen Kriterien filr den Beitritt zur Union jedoch nicht annähernd erfaßt. Der Europäische Rat und - ihm folgend - die Kommission haben durch ihre Beschlüsse und Stellungnahmen anläßlich bisheriger Erweiterungsrunden die Voraussetzungen der Mitgliedschaft in der Union außerhalb des geschriebenen Primärrechts rechtliche Gestalt gegeben und damit präzisiert. 206 Der Vertrag von Amsterdam hat Art. 0 Abs. 1 EUV a. F. geändert. In Zukunft kann gemäß Art. 49 Abs. 1 EUV "meder europäische Staat, der die in Art. 6 Abs. 1 genannten Grundsätze achtet, [00'] beantragen, Mitglied der Union zu werden". Durch den Verweis werden die in der Rechtswirklichkeit existierenden politischen Beitrittskriterien - demokratischer Rechtsstaat sowie Verwirklichung des Menschenrechts- und Minderheitenschutzes - in den Vertragstext aufgenommen. 207 86. Den beiden Verweisungsnormen ist gemeinsam, daß sie Art. 6 Abs. 1 EUV innerhalb seines Anwendungsbereiches die Funktion als Tatbestandsvoraussetzung des Art. 7 Abs. 1 EUV beimessen. Angesichts dieser praktischen Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 EUV für den Beitritt zur Europäischen Union und für das Auslösen des Sanktionsmechanismus erwächst die Notwendigkeit, den Inhalt des Art. 6 Abs. 1 EUV - vor allem im Hinblick auf die genannten Grundsätze - möglichst präzise zu bestimmen. Deshalb schließt sich im folgenden Abschnitt die Erörterung der Frage an, ob und inwieweit diese Inhaltsbestimmung vorgenommen werden kann.

jedoch in ihrem materiellen Gehalt lediglich Bezug auf die Regelung in Art. 7 Abs. 1 EUV. Deshalb wird im folgenden ausschließlich Art. 7 EUV zitiert. 206 Zu den unbestrittenen Kriterien des Beitritts gehören demnach, daß ein "europäischer Staat" den mit der Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachkommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen erfilllen kann, vgl. Schlußfolgerung des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993, BullEG 6-1993, Ziff. 1.13. Bestätigt durch den Europäischen Rat von Luxemburg vom 12./13.12.1997, BullEU 12-1997, Ziff. 1.5. Ausfiihrlieh zu den Beitrittsvoraussetzungen unter Ziff. 337 ff. 207 Siehe detailliert dazu die Darstellung der Kommission in der Agenda 2000, KOM (97) 2000 endg., Bd. I, S. 47 ff. = BullEU Beilage 5-1997, S. 43 ff., unter Bezugnahme auf die Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993, BullEG 6-1993, Ziff. 1.13., S. 13. Zum Erfordernis des Beitritts von Bewerberstaaten zur EMRK siehe die Erklärung der Kommission zur Rs. 93178 - Mattheus .I. Doego, Sig. 1978, S. 2203 (2207 f.). Zu dem Sachverhalt des Falles siehe Richter, Erweiterung der Europäischen Union, S. 35 f. und dort Fn. 134 m. w. N. Vgl. insgesamt zu den politischen Beitrittskriterien auch C. Vedder, in: GrabitzJHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 0, Rn. 2 und 14; Ehlermann, EuR 1984, S. 113 (119 ff.).

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

c. Norminhalt 87. Der Abschnitt über den Norminhalt des Art. 6 Abs. 1 EUV wird in drei Unterabschnitte gegliedert. Auf der Grundlage des Wortlauts der Bestimmung bezieht sich der erste Unterabschnitt auf den Formulierungsbestandteil ,,[.. .} beruht auf den Grundsätzen [ ..}" (I). Der zweite hat den Teil ,,[ ..] diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam" zum Gegenstand (11). Im dritten Unterabschnitt werden die einzelnen Grundsätze untersucht (II1).

I. "Die Union beruht auf den Grundsätzen ... "Art. 6 Abs. 1 1. Halbsatz EUV

1. Grundsätze - Prinzipien - Rechtssätze - Werte 88. Die Union beruht auf Grundsätzen. Der Begriff des Grundsatzes ist eine dem Unions- und Gemeinschaftrecht vertraute Kategorie. Gemäß Art. 288 Abs. 2 EGV, Art. 188 EAGV richtet sich die außervertragliche Haftung der Gemeinschaften "nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind". Der Gerichtshof entwickelte in seiner Rechtsprechung einen gemeinschaftlichen Grundrechtsstandard,208 der mit Art. F Abs. 2 EUV a. F. - nunmehr im Wortlaut unverändert in Art. 6 Abs. 2 EUV - unter ausdrücklichem Hinweis auf die Geltung der Grundrechte als "allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts" kodifiziert wurde. Schließlich werden Rechtsgrundsätze generell als eine der Quellen des Rechts der Europäischen Union bzw. Gemeinschaften eingeordnet. 209 89. Im Schrifttum wird synonym zum Begriff des Grundsatzes der des Prinzips verwendet. 2 \O Grundsatz wie Prinzip sind von der Kategorie der einfachen Rechtssätze abzugrenzen. Beide Kategorien gleichen sich zunächst darin, daß sie mögliche normative Bestandteile einer Rechtsordnung sein können. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrer Normstruktur. Während Rechtssätze unmittelbar anwendbare, konkrete Verhaltensgebote enthalten, zeichnen sich Rechtsprinzipien im wesentlichen durch einen relativen hohen Generalitätsgrad und

208 Grundlegend EuGH, Stauder .I. Stadt Ulm, Rs.29/69, Slg. 1969, S. 419 (425); EuGH - Internationale Handelsgesellschaft .I. Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (l 135); EuGH - Nold ./. Kommission, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (507). Zu den einzelnen Grundrechten umfassend Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 11 t1 m. w. N. 209 Siehe B/eckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 572 t1 und 734 ff. m. w. N. 210 Vgl. Penski, JZ 1989, S. 105; A/exy, Theorie der Grundrechte, S. 72; Esser, Grundsatz und Norm, S. 1 f. Eine allgemein anerkannte Terminologie existiert nicht. Zur Abgrenzung von Prinzipien und Normen siehe etwa Borowski, ZÖR 53 (1998), S. 307 (309 ff.) m. w. N.

C. Nonninhalt

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ihre Nähe zu ursprünglichen, einer Rechtsordnung zugrunde liegenden Rechtsgütern aus. 2l1 Beide Charakteristika führen dazu, daß Rechtsprinzipien der Ausformung durch einzelne Rechtssätze bedürfen,212 um eine subsumtionsfähige Regel im tatsächlich und rechtlich Möglichen einer Rechtsordnung zu werden. Ein Rechtsprinzip verkörpert also zunächst ein abstraktes Modell innerhalb der Rechtsidee und erlangt seine praktische Relevanz erst in Verbindung mit einer bestimmten Rechtsordnung, durch deren Einzelrechtssätze das Prinzip ausgeformt wird. Trotz der Anreicherung des Prinzips mit Konkretisierungen ist eine abschließende Definition des "End- oder Idealzustandes" nicht möglich. 2J3 90. Die Notwendigkeit der Ausformung haben die Rechtsprinzipien mit einer weiteren Kategorie gemeinsam, von der sie zuweilen schwierig abzugrenzen sind - die Rede ist von der Kategorie der Werte. Werte unterscheiden sich von Rechtsprinzipien durch das fehlende Sollensgebot. Statt einer Verpflichtung nimmt ein Wert eine Bewertung vor und macht somit eine Aussage über einen besseren oder schlechteren Zustand. 214 Mit dieser Eigenschaft gibt der Wert einen größeren Anlaß für Fehldeutungen, wohingegen der Sollenscharakter des Prinzips stets klar zum Ausdruck kommt. Beiden ist gemeinsam, daß sowohl das Prinzip, als auch der Wert eine strukturierende Rolle innerhalb einer Rechtsordnung einnehmen, indem sie der Ausformung in konkreten Einzelrechtssätzen bedürfen. 215 91. Bei den vier in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Rechtspositionen handelt es sich nicht um unmittelbar auf einen Lebenssachverhalt anwendbare, d. h. subsumtionsfiihige Rechtssätze. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz sind Prinzipien, die für eine konkrete Anwendung der Ausformung in Einzelrechtssätzen und Unterprinzipien bedürfen. Dafür spricht deren ideengesichtliche Tradition und Einordnung in der Staatsrechtlehre. Die zusätzliche Verwendung des zum "Prinzip" synonymen Begriffs "Grundsatz" hat also nur einen Sinn, wenn er eine weitere inhaltliche Beschränkung - im Sinne 211 Nach Dworkin verleiht diese Nähe zu ursprünglichen Rechtsgütem - zur Rechtsidee - dem Rechtsprinzip eine "Dimension des Gewichts" (dimension ofweight), Taking Rights Seriously, S. 15 (26), deutsche Übersetzung von Wolf, Regelmodell I; Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1990, S. 42 (61 f.). Betti, Auslegungslehre, S. 652, spricht in diesem Zusammenhang von einem "Überschuß an wertendem Sinngehalt". Zur Abgrenzung von Rechtssätzen und Rechtsprinzipien siehe auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. m. w. N. Alexy unterscheidet zwischen deontologischen Pflichtsätzen (Rechtssätze) und Optimierungsgeboten (Prinzipien), Theorie der Grundrechte, S. 126 ff. und ders., ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 (19 f.). 212 Siehe dazu Larenz, Methodenlehre, S. 479 f. und auch Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 308, die zwischen "rechtssatzfönnigen" und "offenen" Prinzipien unterscheiden. Erstere sind bereits derart konkret, daß sie subsumtionsfähig sind, letztere entsprechen dem hier verwendeten Begriff des Rechtsprinzips. 213 Buchwald, Der Staat 37 (1998), S. 189 (191 f.). 214 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 127 ff. m. w. N. 215 Siehe Fernandez Esteban, MJ 2 (1995), S. 129 (130 f.).

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

einer Beschränkung auf den Typuskern beispielsweise des Demokratieprinzips - beinhaltet. 92. Neben dieser sprachlichen Erwägung spricht auch die teleologische Auslegung der Fonnulierung rur diese Auffassung. In Art. 6 Abs. I EUV ist gerade nicht von der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung des Menschenrechtsschutzes die Rede. Wie die Kommission in ihrer Mitteilung über Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und verantwortungsvolle Staatsfiihrung richtig feststellt, haben ,jeder Staat und jede Gesellschaft das Recht [ ... ], ein eigenes Modell zu wählen und zu entwickeln.,,216 Der Akzent muß statt dessen auf die universell anerkannten Einzelrechtssätze der Rechtsprinzipien gelegt werden. Der Begriff des "Grundsatzes" bietet dann nämlich den Vorteil, die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der Mitgliedstaaten ausreichend zu berücksichtigen. Während die Grundsätze unverrückbar sind, können die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechtsschutz als solche im nationalen Recht unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Beschränkung auf die "Grundsätze" weist schließlich auf den Prozeßcharakter der Integration hin, da die Auffassungen über die konkrete Ausgestaltung der genannten Prinzipien im Laufe der Jahre Änderungen unterworfen sein können.

93. Dagegen erscheint die Einordnung der "Freiheit" - sowohl als gleichrangiges Rechtsprinzip als auch deren Einschränkung - auf einen Kemgehalt fraglich. Erstens wird ein freiheitliches Gemeinwesen durch die Geltung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie die Achtung der Menschenrechte gekennzeichnet. Zweitens läßt der hohe Abstraktionsgrad des Freiheitsbegriffs eine Einschränkung kaum zu. Die Stellung der "Freiheit" in Art. 6 Abs. 1 EUV soll deshalb bei dem entsprechenden Gliederungspunkt ausfiihrlicher thematisiert werden. 217

2. "Beruht" - Grundlage und Sollensgebot 94. Die Rechtsprinzipien bedürfen bereits nach den obigen Ausruhrungen aus systematischen Gründen der Konkretisierung. Eine möglichst präzise inhaltliche Ausfonnung ist aber auch deshalb von besonderem Interesse, weil die Union auf Rechtsprinzipien beruht, die zu den gemeinsamen Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten gehören. Die Gründung der Europäischen Union setzt also - quasi als Geschäftsgrundlage - die Verwirklichung dieser

216 Mitteilung der Kommission über Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und verantwortungsvolle Staatsfiihrung: die Herausforderungen der Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten, KOM (1998) 146 endg. vom 12.3.1998, S. 6. 217 Siehe unter Ziff. 109 ff.

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Rechtsprinzipien in jedem einzelnen Mitgliedstaat voraus. Eine solche Gleichartigkeit entspräche dem Konzept der horizontalen Homogenität. Diese Auffassung wird a maiore ad minus durch eine von der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam erwogenen, später aber verworfenen Formulierung des Art. 6 Abs. 1 EUV bestätigt. Nach dem Entwurf sollte Art. 6 Abs. 1 EUV lauten: "Die Union bekennt sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; die Mitgliedstaaten treten rur diese Grundsätze ein.,,218

Diese geplante Fassung des Art. 6 Abs. 1 EUV hätte das verbindende Moment der Grundsätze zwischen Union und Mitgliedstaaten bei weitem nicht so stark betont wie die geltende Fassung, weil durch die geplante Formulierung eine Gemeinsamkeit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die genannten Grundsätze nicht ausdrücklich gefordert worden wäre. 95. Die Aussage des Art. 6 Abs. 1 EUV erschöpft sich allerdings nicht in der Beschreibung der Gründungsvoraussetzungen der Europäischen Union. Das Interesse der dem Recht in der Europäischen Union unterworfenen Subjekte besteht gerade darin, daß sie sich einem Hoheitsträger gegenüber sehen, dessen Handeln an den Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats ausgerichtet ist. Deshalb ist dem materiellen Gehalt des Art. 6 Abs. 1 EUV gleichfalls ein an die Union gerichtetes So/lensgebot zu entnehmen. 219 Die Norm ist dahingehend zu verstehen, daß sich im fortschreitenden Integrationsprozeß alle Lebensäußerungen der Union wie auch die der Gemeinschaften an den Rechtsprinzipien messen lassen müssen. Zwar kennt der EU-Vertrag mit der Achtungsverpflichtung, die er in Art. 6 Abs. 2 und 3 verwendet, auch eine ausdrückliche als Imperativ ausgestaltete Formulierung ("achtet"), so daß ein systematisches Argument gegen die Einordnung des Art. 6 Abs. I EUV als Gebotsnorm spricht. Der zitierte Entwurf der irischen Ratspräsidentschaft bringt das Sollensgebot mit dem Verb "bekennt" noch deutlicher zum Ausdruck, so daß die Abschwächung hin zu "beruht" als Argument gegen die hier vertretene Ansicht genutzt werden könnte. Hingegen ist es kaum denkbar, daß die Union die Grundrechte und die nationale Identität der Mitgliedstaaten achten soll, ohne gleichzeitig die noch weitreichenderen, weil allgemeineren Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Der Wortlaut der Norm darf an dieser Stelle jedoch nicht überbewertet werden, weil er der politischen Motivation der Mitglied218 So der zweite Entwurf des Amsterdamer Vertrages (Dublin 11), vorgelegt von der irischen Ratspräsidentschaft, CONF/2500/96 vom 5.12.1996, S. 12. Siehe auch Anhang D. 219 Vgl. Hilf, integration 1997, S. 247 (248). In diesem Sinn bereits zu Art. F Abs. I EUV a. F. E. Klein, in: Hailbronner/E. KleiniMagieraIMüller-Graff, Handkommentar EGVIEUV, Art. F Rn. 5.

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

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staaten untergeordnet ist. So ist die im Entwurf Dublin II vorgelegte Formulierung auch im Zusammenhang mit der zu diesem Zeitpunkt der Verhandlungen geplanten Aufnahme einer Klausel über die Rechtspersönlichkeit der Union in das Primärrecht zu sehen. 220 Die anschließende Streichung dieser Klausel hat zu Folgeanpassungen gefilhrt. Da der Gebrauch des Wortes "bekennen" sprachlogisch die Existenz eines sich bekennenden Zuordnungssubjekts voraussetzt, wurde es durch das in dieser Hinsicht neutrale Verb "beruhen" ersetzt.

11. "Diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam."Art. 6 Abs. 1 2. Halbsatz EUV 1. Gemeinsamkeiten der Mitgliedstaaten 96. Art. 6 Abs. 1 Halbsatz 2 EUV enthält die Feststellung von Gemeinsamkeiten der Mitgliedstaaten in bezug auf die im ersten Halbsatz aufgezählten Grundsätze. Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Union freiheitlich, demokratisch und rechtsstaatlich verfaßt sind und die Menschenrechte achten. Insoweit bringt auch der zweite Halbsatz von Art. 6 Abs. 1 EUV die zwischen den Mitgliedstaaten bestehende horizontale Homogenität zum Ausdruck. 97. Die in Art. 6 Abs. 1 EUV enthaltene Feststellung der Gemeinsamkeit ist in ihrem Regelungsumfang zu erweitern. Sie enthält ein Sollensgebot an die Mitgliedstaaten, auch in Zukunft die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit einzuhalten. Ein solches Gebot wurde auch bisher schon der Vorgängervorschrift in Art. F Abs. 1 Halbsatz 2 EUV a. F. beigemessen. 221 Die Tatsache der Einfilgung des Art. 7 in den EU-Vertrag, der die Verletzung der in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze unter bestimmten Voraussetzungen sanktioniert, zeigt eindeutig, daß die ständige Einhaltung der Rechtsprinzipien Voraussetzung filr den Fortbestand der aktiven Mitgliedschaft eines Staates in der Europäischen Union ist. Gleiches gilt filr die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Union. Das Beitrittsverfahren gemäß Art. 49 EUV stellt sicher, daß Beitrittsbewerber erst dann den Status als Vollmitglied erhalten, wenn sie ebenfalls die Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EUV erfilllen und damit Homogenität im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten aufweisen. 98. Das verbindende Element der Grundsätze als gemeinsamen Standard der Mitgliedstaaten auf der einen und als rechtliches Fundament auf der andeSiehe dazu die Nachweise unter Ziff. 361 ff. So etwa durch E. Klein, in: HailbronnerlE. KleinlMagieraIMüller-Graff, Handkommentar EGVIEUV, Art. F Rn. 5; Beutler, in: v. d. GroebenffhiesinglEhlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. F Rn. 17. 220

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ren Seite offenbart schließlich ein Problem, das im Fortgang dieser Erörterung noch der eingehenderen Klärung bedarf: wie kann ein von den Mitgliedstaaten ausgehender, gemeineuropäischer Standard bestimmter Elemente der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zur rechtlichen Grundlage der Union werden, wenn diese nicht an den Kategorien der Staatlichkeit gemessen werden kann? In erster Linie scheint in dieser Hinsicht der Grundsatz der Demokratie einschlägig, ist er doch aus mitgliedstaatlicher Sicht untrennbar mit dem Dogma der Volkssouveränität verbunden. Allein auf der Grundlage des Wortlautes von Art. 6 Abs. 1 EUV kann an dieser Stelle freilich kein Lösungsvorschlag rur dieses Problem unterbreitet werden.

2. Methode der Inhaltsbestimmung 99. Wenn die Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze sowohl Kriterium fiir die Aufnahme in die Europäische Union ist, als auch Bedingung fiir den Fortbestand der uneingeschränkten Mitgliedschaft, dann ist die inhaltliche Ausformung der Rechtsprinzipien von großer Bedeutung. 222 Gleichzeitig ist die Frage der inhaltlichen Bestimmbarkeit der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze vor dem Hintergrund der Entstehung der Norm zu sehen: die Betonung der rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union und die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechtsschutz. Diese Verknüpfung hat Auswirkungen auf die Methode der inhaltlichen Bestimmung.

a) Subtraktionsmethode 100. Bei der inhaltlichen Bestimmung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit ist davon auszugehen, daß dazu nicht jede Ausformung gehört, die diese Rechtsprinzipien in den einzelnen mitgliedstaatlichen Rechts-, ja selbst in den Verfassungsordnungen gefunden haben. Zu unterschiedlich sind gerade in Europa die Rechtstraditionen der beteiligten Staaten, und zu lang sind die Zeiträume, in denen sich die Rechtsordnungen abgeschottet voneinander entwickelten. 223 101. Die konkreten Merkmale der Grundsätze lassen sich vielmehr durch ihren Gegensatz defmieren, also von der Vorstellung einer Grundordnung, wie sie nicht sein soll. Die positive Aussagekraft der in Art. 6 Abs. 1 EUV genann-

Siehe dazu noch einmal die Ausführungen zur Systematik unter Ziff. 85 f. RiedeI, in: Müller-GraffiRiedel, Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, S. 77 (80 ff.). 222 223

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

ten Grundsätze kann also zunächst durch die "Subtraktion" dessen ennittelt werden, was nach dem Verständnis der Mitgliedstaaten als unvereinbar mit der Teilnahme am Integrationsprozeß gilt. 224 Die Motivation filr die europäischen Integration liegt in der Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung als bewußt gewählte Konsequenz aus dem Zeitalter der Europäischen Bürgerkriege. Gleichzeitig zeigt die Beschränkung der Integration während des Kalten Krieges auf die westeuropäischen Staaten, daß den Gemeinschaften und heute der Union ein bestimmtes Modell der Gesellschafts- und Verfassungsordnung der beteiligten Staaten zugrunde liegt. 225 Die nunmehr erfolgte Einrugung des Art. 7 EUV in das Primärrecht verdeutlicht, daß die Vertragsparteien dieses Modell und damit die Integration schützen wollten, um jede Fonn autoritärer oder totalitärer Entwicklungen in einem Staat bekämpfen zu können. 102. Mit den Grundsätzen soll demnach in erster Linie nicht zum Ausdruck gebracht werden, was Freiheit, Demokratie, Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit sind, sondern vielmehr, was sie nicht sind.

b) Methode der positiven Annäherung 103. Dem durch die Subtraktionsmethode ennittelten Inhalt der Grundsätze fehlt es an Randschärfe, die dazu fUhrt, daß es einen Toleranzbereich gibt, bei 224 Zu dieser Methode allgemein Dürig/H. H. Klein, in: Maunv'Dürig, GGKommentar, Art. 18 Rn. 58.; Dürig, VVDStRL 20 (1963), S. 115.; Dreier, in: ders., GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 1 Rn. 37 ff. Die genannten Autoren bedienen sich der Methode zur inhaltlichen Ausformung der Rechtsfigur der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" und des Menschenwürdegehalts. Auch das Bundesverfassungsgericht nutzt die Technik der Negativdefinition etwa zur inhaltlich Bestimmung der Menschenwürde, BVerfGE 1,97 (104); 27, I (6); 72,105 (115 fI); Weinberger, Moral und Vernunft, S. 38: "Wir können nicht allgemein bestimmen, was gerecht ist, wir können aber sehr oft überzeugend darlegen, was ungerecht ist." Als Beispiel flir die Anwendung der "Subtraktionsmethode" siehe die Formulierung bei Buchwald, Der Staat 37 (1998), S. 189 (190). Direkt in bezug auf Art. 6 Abs. I EUV wird diese Auffassung vertreten von Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (230). Siehe parallel auch den Ansatz von Schnapp, in: v. MünchlKunig, Kommentar, Bd. I, Art. 20 Rn. 3, zur Inhaltsbestimmung der Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 00. Schnapp versteht die dort genannten Prinzipien als "Typen", die keine Summe von festliegenden Einzelbestandteilen enthalten und sich folglich auch nicht definieren, sondern nur umschreiben lassen. 22S Nach einer umfänglichen Analyse von offiziellen Dokumenten zur europäischen Integration durch Lipgens, Dokumente 1939-1984, beruht die Neuordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg auf filnf Bedürfnissen und Motiven: 1. Wahrung der Menschenrechte vor totalitären Eingriffen durch Nationalismus; 2. Einbindung der Nationalstaaten in eine übernationale Autorität zur Vermeidung von Kriegen; 3. Bändigung Deutschlands durch dessen Eingliederung in eine europäische Autorität; 4. Überwindung der wirtschaftlich verarmenden Volkswirtschaften durch die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes mit Freizügigkeit und 5. der Schaffung eines Gemeinwesens, das den Europäern ein Mitspracherecht im Dialog zwischen den Kontinentalblökken ermöglicht.

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dem die Zuordnung zu den Gemeinsamkeiten der Mitgliedstaaten diskussionsfähig ist. Dieses Ergebnis ist unbefriedigend. Zwar mag es aus Gründen eines vergrößerten politischen Gestaltungsspielraumes fiir die Mitgliedstaaten verlockend sein, den präzisen materiellen Gehalt der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze mit der gewählten Formulierung im Dunkel des Formelhaften zu lassen. Doch schon aus Gründen der Rechtssicherheit muß es den Entscheidungsträgem innerhalb der Europäischen Union auch möglich sein, anzugeben, wann ein Mitgliedstaat von den Rechtsprinzipien abweicht bzw. wann er sie erfüllt hat. Die Prämisse der weiteren Überlegungen ist, daß hinsichtlich der vier Rechtsprinzipien bei den Mitgliedstaaten eine Gemeinsamkeit besteht. 226 Darauf aufbauend ist eine positive Annäherung an die Inhalte der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze auf einem induktiven oder auf einem deduktiven Weg möglich.

aa)Induktiver Ansatz

104. Nach dem hier als induktiv bezeichneten Ansatz müßten die jeweiligen mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen daraufhin untersucht werden, inwieweit sie die normativen Ausformungen der Rechtsprinzipien enthalten und ob sich diese auch in den anderen Rechtsordnungen wiederfinden. Nun dürfte es zum gesicherten Bestand der Forschung gehören, daß es in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen weder eine Übereinstimmung hinsichtlich aller konkreten Ausprägungen der genannten Strukturprinzipien noch eine einheitliche Terminologie gibt. Nach den Ergebnissen einschlägiger Studien läßt sich das letztgenannte Problem dadurch überwinden, daß bei den Funktionen der Rechtsprinzipien angesetzt wird. 227 Die sich aufdrängende Methode fiir die - zumindest näherungsweise - Inhaltsermittlung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze wäre demnach die Rechtsvergleichung, da diese ihren Ausgangspunkt bekanntlich bei der Funktion der miteinander zu vergleichenden Rechtsnormen nimmt. 228 105. Die stetig wachsende Zahl von Mitgliedstaaten der Europäischen Union - und mit ihr die der Amtssprachen - setzt einem solchen Unterfangen Grenzen. Vergleichende Studien zu dieser Thematik konzentrieren sich denn

Siehe dazu unter Ziff. 39 ff. Vgl. Fuss, DÖV 1964, S. 577 (578); Riedei, in: Müller-Graff/Riedel, Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, S. 77 (81); Oppermann, Europarecht, Rn. 209. 228 Zu dieser "fiinften" Methode der Auslegung siehe ZweigertlKötz, Rechtsvergleichung, S. 12 f. und Häberle, EuGRZ 1991, S. 261 (271 ff.). 226 227

6 Schorkopf

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

auch auf einzelne Rechtskreise und typisierte Verfassungstraditionen. 229 Diese Beschränkung bietet aber bei der vorliegenden Problematik keinen Ausweg, weil es im Ergebnis darauf ankommt, daß die genannten Grundsätze allen 15 Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

bb)Deduktiver Ansatz 106. Nach dem deduktiven Ansatz soll von den Aussagen internationalrechtlicher Stellungnahmen und Verträge zu den einzelnen in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätzen auf den Umfang der Gemeinsamkeiten der mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen geschlossen werden. Die Rechtsprinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit sind die Bestandteile der Idee des europäischen Verfassungsstaates. 230 In dieser Eigenschaft sind sie das gedankliche Fundament zahlreicher Statute internationaler Organisationen und Zusammenschlüsse, haben Eingang in Verträge und Stellungnahmen gefunden oder waren selbst Gegenstand internationalrechtlicher Texte. Insbesondere seit der politischen Wende 1989/90 und der damit verbundenen Übertragung des westeuropäischen verfassungsstaatlichen Modells auf die Reformstaaten Mittelund Osteuropas ist in dieser Hinsicht eine verstärkte Aktivität zu beobachten. Konkret kommen folgende Texte als Rechtsquellen in Betrache31 • die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 232 der UN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948, • die Satzung des Europarates, • dieEMRK, • die beiden Menschenrechtspakte 233 und speziellen Folgekonventionen,234

229 Etwa Schwarze, in: ders., Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 137 (144 tf.). 230 Stern, Grundideen europäisch-amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit, S. 13 tf.; Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 9 (21 ff.) m. w. N.; Mayer-Tasch, in: ders., Verfassungen des nicht-kommunistischen Europas, S. I ff., Müller, BayVBI 1993, S. 513 ff. 231 Zu dieser Form der inhaltlichen Spezifizierung siehe Bieber, RMC 1993, S. 343

(348). 232 Universal DecIaration of Human Rights, General Assembly Resolution 217 (Doc. A/81O), S. 71 233 Internationaler Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, beide vom 19.12.1966, BGBI. 197311, S. 1534 und S. 1570. 234 Hier sind die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984, BGBI. 1990 11, S. 246, und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989, BGBI. 1992 11,

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• die Europäische Sozialcharta,235 • das Kopenhagener Dokument der KSZE,236 • die Charta von Paris,237 • die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung238 sowie • die primärrechtlichen Verträge im Rahmen der europäischen Integration. 107. Die Übereinkommen und Instrumente aus diesen Bereichen sind aus zwei Gründen geeignete Rechtsquellen fiir die Inhaltsbestimmung der Rechtsprinzipien: Erstens nehmen sie eine Präzisierung der in Rede stehenden Rechtsprinzipien vor, sei es durch ausdrückliche Auflistung inhaltlicher Ausformungen, sei es durch die Vertragspraxis oder durch Entscheidungen der zur Anwendung und Auslegung dieser Texte berufenen Organe. Zweitens sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und fast alle Beitrittsbewerber Parteien der aufgefUhrten Übereinkommen. Durch die RatifIkation haben sich die Staaten freiwillig - zumeist nach völkerrechtlichen Regeln - an die aus den Übereinkommen folgenden Verpflichtungen gebunden. Es ist deshalb anzunehmen, daß zwischen den Staaten Europas ein ausdrücklicher Konsens bezüglich der in den Übereinkommen enthaltenen Ausformungen der Rechtsprinzipien besteht. Die beteiligten Staaten haben während der internationalen Verhandlungen zu diesen Übereinkommen die Aufgabe der Rechtsvergleichung übernommen; die schwierigen Entscheidungen über die Frage der funktionalen Äquivalenz der mitgliedstaatlichen Rechtsinstitute würden nach diesem deduktiven Ansatz ebenso entfallen wie die Rechtsvergleichung als solche.

S. 122, zu nennen. Einen Überblick gibt Hai/bronner, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschnitt 3, Rn. 213 ff. m. w. N. 235 Europäische SoziaJcharta vom 18.1 0.1961, BGBI. 1964 11, S. 1262. Das Zusatzprotokoll von 1988 enthält vier weitere wirtschaftliche und soziale Rechte. Es ist abgedruckt in European Treaty Series Nr. 118 (1988). 236 Das Dokument des Kopenhagener Treffen der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE vom 29.6.1990. Abgedruckt in EuGRZ 1990, S. 239 ff. 237 Charta von Paris für ein neues Europa - Erklärung des KSZE-Treffens der Staatsund Regierungschefs vom 21.11.1990. Abgedruckt in BullBReg. vom 24.11.1990, Nr. 137, S. 1409 ff. 238 Die Charta wurde am 15.10.1985 unterzeichnet und ist am 1.9.1988 in Kraft getreten, BGBI. 198711, S. 65, Bekanntmachung BGBI. 198811, S. 653. Die Charta bringt zum Ausdruck, daß die kommunalen Gebietskörperschaften eine der "wesentlichen Grundlagen jeder demokratischen Staatsform sind" und daß " das Recht der Bürger auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten einer der demokratischen Grundsätze ist, die allen Mitgliedstaaten der Europarats gemeinsam sind"; vgl. hierzu Knemeyer, DÖV 1988, S. 997 ff. Das Dokument ist auch abgedruckt bei: Knemeyer (Hrsg.), Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, S. 273 ff.

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

c) Zwischenergebnis 108. Bei der sich anschließenden Erörterung des Nonninhalts der einzelnen Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EUV wird also der deduktive Ansatz weiterverfolgt. In Verbindung mit der Subtraktionsmethode erfolgt die inhaltliche Bestimmung der Grundsätze von zwei Seiten. Negativ ist der Inhalt durch die Abgrenzung vom autoritären oder totalitären Staat bestimmt, positiv wird sich dem Inhalt über die Aussagen der in der Staatengemeinschaft allgemein anerkannten Texte angenähert.

IH. Die einzelnen Grundsätze 1. Freiheit 109. Der Grundsatz der Freiheit ist das erste in Art. 6 Abs. I EUV genannte Strukturprinzip. Es findet sich bereits in dem Art. 6 Abs. 1 EUV insgesamt als Vorbild dienenden, dritten Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages, der seinerseits auf die Fonnulierung des dritten Erwägungsgrundes der Präambel der EEA ZUTÜckzufiihren ist. 239 In letzterem wird die Freiheit als Grundrecht verstanden, das neben Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit in den mitgliedstaatlichen Verfassungen und Gesetzen, in der EMRK und in der Europäischen Sozialcharta anerkannt ist. Während die Freiheit nach dem Verständnis der EEA den Vertragsparteien als Grundlage bei deren Eintreten für die Demokratie dient, ohne das aus dieser Feststellung weitere Folgerungen gezogen werden, wird die Freiheit im Rahmen des Art. 6 Abs. I EUV gleichberechtigt neben den Grundsätzen der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit genannt. 110. Die Nennung der Freiheit in einer Reihe und auf derselben qualitativen Stufe mit der Demokratie, dem Menschenrechtsschutz und der Rechtsstaatlichkeit nährt Zweifel an der Eigenschaft als einem Rechtsprinzip. Alle drei der Freiheit nachgestellten Rechtsprinzipien sind in der Freiheit angelegt, so daß sie bereits als Konkretisierungen des Freiheitsprinzips gelten könnten. 24o Dagegen

239 Siehe Hilf/Pache, in: v. d. Groebenffhiesing/Ehlermann, Kommentar EGVIEUV, EEA-Präambel, Rn. 20 ff. und dies., in: GrabitzJHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Präambel EUV, Rn. 18. Vg!. aber auch den Wortlaut der Präambel des NATOVertrages vom 4.4.1949, BGB!. 195511, S. 289: "Die Parteien dieses Vertrages sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, die Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten." 240 So wird die Demokratie als Legitimationsform staatlicher Herrschaft verstanden, die, da sie auf dem Gedanken der Selbstbestimmung des Volkes beruht, die Freiheitsidee verwirklicht, siehe z. B. Hofmann, in: JustlWollenschlägerlEggerslHabitzel, GS für Küchenhoff, S. 231 (233). Die Freiheitsgrundrechte markieren den für das Individuum

C. Nonninhalt

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spricht aber wiederum die gleichberechtigte Stellung der Freiheit im Wortlaut des Art. 6 Abs. I EUV. Es wäre deshalb auch denkbar, die Freiheit als einen politischen Wert aufzufassen. Werte unterscheiden sich - wie dargelegt - von Rechtsprinzipien durch das Fehlen eines verbindlichen Sollensgebotes. 241 Statt dessen sind Werte Kriterien filr eine vergleichende Bewertung, die auf der Grundlage einer weitreichenden, bereits den Rechtsprinzipien immanenten Unbestimmtheit darüber Auskunft erteilen, was als besser oder als schlechter anzusehen ist. 242 In diesem Fall könnte die Nennung des Grundsatzes der Freiheit auch als Akklamation der Freiheitsidee zu begreifen sein, die die rechtlich verbindlichen Äußerungen des EU-Vertrages gleich einer "Querschnittsklausel" durchzöge. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. I EUV erlaubt in dieser Frage keine eindeutige Entscheidung, was hinsichtlich der Funktion des Art. 6 Abs. I EUV als Tatbestandsvoraussetzung in Art. 7 Abs. I und Art. 49 Abs. I EUV zudem ohne Bedeutung ist. 111. Auf der Grundlage eines schrittweise und kontinuierlich auf den einzelnen Primärrechtsakten aufbauenden Integrationsprozesses, könnte die Einordnung der Freiheit als Grundrecht durch die EEA ein Indiz filr das dem EUVertrag zugrunde liegende Freiheitskonzept sein. Politische Freiheit läßt sich einerseits als Unabhängigkeit des Individuums von der Einmischung anderer, insbesondere des Staates, verstehen. Andererseits könnte Freiheit ebensogut auf der kollektiven Kontrolle Ober das gemeinsame Leben beruhen. 243 In der zweitgenannten Freiheitsvorstellung erscheint Freiheit als Bedingung der Selbstgestaltung, d. h., Herrschaft wird akzeptiert, wenn das Individuum an ihr Teil hat oder sie aufgrund der eigenen Zustimmung eingerichtet wird. 244 In der Diktion der lellinekschen Status lehre hätte diese Auffassung von der gedanklichen Einheit von Staat und BUrgern seinen Ausgangspunkt im status activus. 24s 112. Dagegen grundet die erstgenannte Freiheitskonzeption auf der Vorstellung eines vom staatlichen Einfluß abgeschirmten Freiraumes, in dem die Individuen einzeln oder gemeinsam ihre Lebensbereiche gestalten können

reservierten staatsfreien Raum, siehe z. B. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 204, und die Rechtsstaatlichkeit bindet die Ausübung hoheitlicher Gewalt an formelle und materielle Regeln, um nach allgemeiner Auffassung die Freiheit zu sichern, siehe etwa Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 788. 241 Siehe unter Ziff. 90. 242 Siehe Alexy, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 (23 f.). Mit direktem Bezug zum Gemeinschaftsrecht und zu den Gemeinsamkeiten von Prinzipien und Werten Fernandez Esteban, MI 1995, S. 129 (130 ff.) 243 Vgl. Tay/or, Negative Freiheit?, S. 118 ff.; Berlin, Four Essays on Liberty, S. 118 ff.; Dworkin, in: ders., Bürgerrechte ernstgenommen, Freiheit und Liberalismus, S. 419 ff. 244 Dazu Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 46 ff. m. w. N. 245 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 136 ff.

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

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(status negativus).246 Dieser negative Freiheitsbegriff stellt die Abwehr hoheitlicher Einmischung in die Individualsphäre in den Mittelpunkt seiner Konzeption. Da die Begrenzung der Eingriffsbefugnisse eines Trägers hoheitlicher Gewalt ihren vornehmsten Ausdruck in den Grundrechten findet,247 ist es diese klassische Freiheitsidee, die der in der Europäischen Union bislang hervorgetretenen Konzeption am ehesten entspricht. Jedenfalls sprechen fiir das am status negativus orientierte Freiheitsverständnis als Indizien erstens die Dominanz der Grundrechtsthematik in der Diskussion über den europäischen Einigungsprozeß, die die mitgliedstaatliehe Konzeption der Freiheit als Abwehrrecht auf die Union zu übertragen scheint. Zweitens sprechen die historischen Motive für die Integration als bewußte Abkehr von den menschenverachtenden Gewaltherrschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 248 Drittens die Schaffung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts durch den Vertrag von Amsterdam, mit dem die Personenfreizügigkeit innerhalb der Union als Ausdruck eines europäischen Freiheitsgrundrechts prinzipiell hergestellt und gesichert werden soll.249 113. Indessen ist fraglich, ob mit diesem Ansatz der Wortlaut und der systematische Zusammenhang des Art. 6 Abs. 1 EUV nicht überbewertet werden. Angesichts des fehlenden Bekenntnisses der Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Freiheitsverständnis erscheint es gewagt, ein solches mit der nötigen Randschärfe aus dem auf Kompromissen und den Unwägbarkeiten internationaler Verhandlungen hervorgegangenen Formulierungen des EU-Vertrages zu deduzieren. Nach der Subtraktionsmethode erfaßt der Grundsatz der Freiheit sicherlich den Gedanken der Selbstbestimmung des Individuums und bezeugt die Abkehr von jedweder Form der Tyrannis 250 und freiheitszwingender Staatstheorie. 251

G. Je/linek, ebenda, S. 94 ff. Dazu Starck, in: IsenseelKirchhof, HdbStR, Bd. I, § 29, Rn. 8. 248 Vgl. Everling, EuR 1978, S. 1 (2 f.), rur den die wirtschaftlich orientierte Integration im Grunde politische Ziele und Motive hat, die Sicherung von Frieden und Freiheit nach innen und außen. 249 Vgl. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 28 ff. 250 Die innere Freiheitssphäre eines Staates bedeutet die Abwesenheit der Tyrannis, die äußere Freiheit die Abwesenheit von Fremdherrschaft, siehe Krings, in: GörresGesellschaft, Staatslexikon, Artikel: Freiheit, Sp. 702. 251 Hinter dem Zwang zur Freiheit steht der Gedanke, daß Freiheit in seinen Inhalten positiv bestimmbar ist im Sinne von "Freiheit als Befreiung von ungünstigen Umständen oder schlechten Charaktereigenschaften" (Starck, in: IsenseelKirchhof, HdbStR Bd. I, § 29, Rn. 6). Der Staat nimmt in einem solchen "freiheitlichen" System rur sich in Anspruch, den Zustand der Freiheit zu definieren und durch Vorgaben für dessen Verwirklichung zu sorgen. Folglich kann der einzelne nur frei sein, wenn er sich gemäß den staatlichen Vorgaben verhält. Diese Freiheitskonzeption ist die Grundlage des kommunistischen Gesellschaftsmodells. 246 247

C. Norminhalt

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2. Demokratie 114. Das Demokratieprinzip mit Bezug zu den Mitgliedstaaten knüpft an zahlreiche Verlautbarungen der Organe und Formulierungen in den Texten der primärrechtlichen Verträge an. Ausdrücklich genannt seien an dieser Stelle in chronologischer Reihenfolge die Erklärung des Europäischen Rates von 1978 in Kopenhagen zur Demokratie,252 der dritte und fiinfte Erwägungsgrund der Präambel der EEA von 1987, ebenfalls der dritte Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages, Art. F Abs. 1 EUV a. F. und schließlich die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von 1993 in Kopenhagen. 253 Soweit in diesen Äußerungen die Demokratie genannt wird, sind diese fiIr die nähere Bestimmung der rechtlichen Ausformungen des Demokratieprinzips unergiebig. 115. Den Ausgangspunkt fiIr die Konkretisierung des Demokratieprinzips bildet die EMRK. Mit dem 1. Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 verpflichten sich die Vertragsstaaten - unter ihnen alle 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union - "in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten".254 116. Ein noch wesentlich detaillierteres Grundbekenntnis zu den Inhalten des Demokratieprinzips enthalten das Kopenhagener Dokument über die menschliche Dimension der KSZE und die Charta von Paris fiIr ein neues Europa. 255 Die am KSZE-Prozeß beteiligten Staaten - unter ihnen wiederum die Mitgliedstaaten der Union und die heutigen Beitrittsbewerber - haben sich verpflichtet, die Demokratie als die "einzige Regierungsform" ihrer Nationen aufzubauen, zu festigen und zu stärken. 256 Konkret einigten sich die Staaten in den beiden Dokumenten auf folgende Inhalte demokratischer Ordnung:

• auf eine auf dem Volkswillen beruhende, repräsentative Regierungsform, • in der allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen

• in angemessenen Zeitabständen gewährleistet sind, • das Recht der Bürger auf den Zugang zu politischen bzw. öffentlichen Ämtern,

BullEG 3-1978, S. 5. BullEG 6-1993, S. 13. 254 BGB!. 195611, S. 1880. Zum Inkrafttreten des 1. Zusatzprotokoll siehe die Nachweise bei FroweinlPeukert, in: dies., EMRK-Kommentar, S. 988. Zum Inhalt des Zusatzprotokolls siehe Wildhaber, in: Internationaler Kommentar zur EMRK, 1. Zusatzprotokoll Art. 3 Rn. 7 ff. Für ßieber, in: Müller-GrafflRiedel, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, S. 209 (218), drückt Art. 3 Abs. I des I. Zusatzprotokolls ein allgemeines Prinzip der europäischen Wertordnungsbildung aus. 255 Siehe unter Ziff. 106 in Fn. 236. 256 Charta von Paris, (Fn. 237), S. 1409. 252 253

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

• das Recht auf Gründung politischer Parteien und Organisationen • sowie die Sorge für Faimeß in Wahlkämpfen und die Rechte der Gewählten. 257 117. Auch die europäischen Institutionen haben sich zu den Inhalten des Demokratieprinzips hinsichtlich der Mitgliedstaaten geäußert. Nennt der Europäische Rat von Kopenhagen in seiner Erklärung von 1978 lediglich die parlamentarische Demokratie als wesentliches Element der Zugehörigkeit der Mitgliedstaaten zu den Gemeinschaften, so erfUllt die Stellungnahme der Kommission zu den Beitrittsanträgen der mittel- und osteuropäischen Staaten im Anschluß an die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993 den Demokratiebegriff mit Leben. Unter dem Stichwort "politische Kriterien" formuliert die Kommission Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Union. Daraus läßt sich mittelbar auf die Inhalte des den Mitgliedstaaten gemeinsamen Demokratieprinzips schließen. Verfassung und Verfassungswirklichkeit eines Staates müssen demnach die politische Pluralität, freie und geheime Wahlen garantieren sowie einen Machtwechsel im System ermöglichen, wobei letzteres wiederum die Möglichkeit zur Bildung einer wirksamen Opposition voraussetzt. 258 118. Eine wesentlich präzisere Vorstellung über die Ausgestaltung des Demokratieprinzips hat die Kommission in ihrer Mitteilung über die Herausforderungen der Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den AKPStaaten geäußert. 259 Für die Kommission spielen folgende drei Aspekte eine Rolle bei der inhaltlichen Bestimmbarkeit des Demokratieprinzips: • die Legitimation der Hoheitsgewalt durch die freie, allgemeine, unabhängige und geheime Wahl der Verantwortlichen auf lokaler und nationaler Ebene

257 Siehe das Kopenhagener Dokument über die menschliche Dimension, Rn. 7, (Fn. 236), S. 240 f. und auch Tretter, EuGRZ 1990, S. 235 (236). 258 KOM (97) 2000/end., Bd. I, S. 52. 259 KOM (1998) 146 endg., siehe unter Ziff. 92 in Fn. 216. Die Mitteilung dient der Konkretisierung von Art. 5 AKP-EG-Abkommen und steht somit im Zusammenhang mit Art. 366a AKP-EG-Abkommens, vgl. Ziff. 217 f. Obwohl die Mitteilung speziell zu den Beziehungen zwischen Europäischen Union und den AKP-Staaten veröffentlicht wurde, ist davon auszugehen, daß die Ausruhrungen in der Mitteilung verallgemeinerungsflihig sind und die universell geltende Auffassung der Kommission zu den behandelten Inhalten wiedergeben. Das gilt insbesondere rur die hier interessierenden "demokratischen Grundsätze", Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz. Für AKPStaaten können diesbezüglich keine anderen Maßstäbe gelten als für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das zeigt auch die neutrale Formulierung des Art. 366a AKPEG-Abkommen, der auch die Aussetzung des Abkommens seitens der AKP-Staaten für den Fall einer Verletzung der "wesentlichen Bestandteile" durch die Europäische Gemeinschaft oder einen Mitgliedstaat ermöglicht.

C. Nonninhalt

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nach von den Bürgern anerkannten und akzeptierten Verfahren, d. h. nach den Kriterien der Regelmäßigkeit und Nichtdiskriminierung;260 • die Rechtmäßigkeit als Oberbegriff für die Existenz einer Verfassung, angemessener Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie die Anerkennung der Menschenrechte und des Persönlichkeitsrechts; • die effektive Umsetzung dieser Elemente durch im wesentlichen die Einfilhrung der erforderlichen Verfahren zur Konsensfindung und zur friedlichen Lösung von Konflikten zwischen verschiedenen Interessengruppen. Die Kommission präzisiert diese Aussage dahingehend, daß für die effektive Umsetzung insbesondere die Förderung und der Schutz der Grundfreiheiten, die Unabhängigkeit der Gerichte, politischer und institutioneller Pluralismus sowie Transparenz und Integrität der Staatsorgane notwendig sind. 261 119. Das Demokratieprinzip in bezug auf die Europäischen Union, d. h. jetzt verstanden als ein von den Mitgliedstaaten losgelöster Verband, ist dagegen zunächst einmal Gegenstand grundsätzlicher Überlegungen und bietet eine weites Feld für Kritik. 262 Während Einigkeit darin besteht, daß das Demokratieprinzip als solches Geltung in der Europäische Union und ihren Untergliederungen beansprucht, wird die Demokratiedebatte weitgehend über das Maß demokratischer Legitimation und Strukturen der Union gefiihrt. 263 Dabei wird in der Diskussion auch auf andere Formen der Legitimation hingewiesen. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Legitimation von Hoheitsgewalt durch die Akzeptanz der Gewaltunterworfenen. 264 Ein anderes ist die technokratische Legitimation, die die Legitimation eines Herrschaftssystems an seiner Fähigkeit mißt, "die Funktionstüchtigkeit des gesamtgesellschaftlichen Systems und der Befriedigung der Bedürfnisse der einzelnen zu gewährleisten. ,,265 Die Suche nach neuen Formen der Legitimation bedeutet allerdings Abkehr von der aus staatsrechtlicher Sicht optimalen Lösung und ihrer gegenwärtigen Methode der

KOM (1998) 146 endg., S. 7. KOM (1998) 146 endg., S. 8. 262 Vgl. etwa Kaufmann, Demokratieprinzip und europäische Integration, S. 347 ff. und S. 479 ff. sowie die Nachweise in Fn. 259. 263 Sie wird unter den Stichworten "Demokratiedefizit" und vereinzelt auch "Demokratiedilemma" gefiihrt, siehe ausfiihrlich Kluth, Demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. II ff.; Classen, AöR 119 (1994), S. 238 (244 ff.) m. w. N.; Bruha, Demokratiersungsdilemma der Europäischen Gemeinschaften; Frowein, EuR 1995, S. 315 (323); Seidel, EuR 1992, S. 125 (139 ff.). 264 Siehe unter Ziff. 29 ff. 265 Vgl. v. Bogdandy, in: ders., Europäische Option, S. 210 (220); Nicolaysen, integration 1971, S. 90 (100 ff.); Winter, in: BTÜggemeier, Verfassungen fiir ein ziviles Europa, S. 45 (48 ff.). 260

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

Realisierung in einer durch das Volk konstitutierten parlamentarischen Demokratie. 266 Die vom Wortlaut des Art. 6 Abs. I EUV suggerierte inhaltliche Übereinstimmung zwischen den rechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten und den rechtlichen Strukturen der Union hat ihre Grenzen in den prinzipiellen Unterschieden beider Rechtssphären. So wird der von den Mitgliedstaaten verwirklichte Grundsatz der Demokratie auf der Ebene der Union aufgrund des Fehlens der außerrechtlichen Voraussetzungen der Demokratie - namentlich des Fehlens eines europäischen Volkes als Grundlage der Volkssouveränität - nicht verwirklicht werden können. 267 Der Grundsatz der Demokratie muß folglich funktional an die rechtliche Gestalt der Union angepaßt werden. Die Anpassung muß dahingehend erfolgen, daß in der Union der abstrakte, d. h. der von der Volkssouveränität entkoppelte Gedanke der Repräsentation und ein hohes Maß an Legitimation über das Europäische Parlament und die Vertreter der nationalen Regierungen im Rat verwirklicht werden. 120. Die nunmehr mit Art. 6 Abs. I EUV ausdrücklich im verfugenden Textteil der Verträge enthaltene Verpflichtung der Union auf das Demokratieprinzip gibt den bereits bisher geltenden Rechtszustand wieder und beseitigt damit letzte Zweifel an der Bindung der Union an das Demokratieprinzip. Das Europäische Parlament, die Kommission und der Rat haben sich bereits 1977 in einer interinstitutionellen Erklärung zur uneingeschränkten Wahrung der demokratischen Grundsätze im Rahmen der Gesetzgebung verpflichtet. 268 Der Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen zu den sogenannten IsoglucoseFällen 269 fur Recht erkannt, daß die Anhörungsbefugnis des Europäischen Parlaments fur das vom EG-Vertrag gewollte, institutionelle Gleichgewicht wesentlich sei. Es spiegele ein auf Gemeinschaftsebene, wenn auch in beschränktem Umfang, grundlegendes demokratisches Prinzip wider, nach dem die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt seien. 270

266 Dazu Nicolaysen, EuR 1987, S. 299 (301, 306); vgl. hierzu auch Stürmer, NZZ Nr. 147 vom 28./29.6.1997, S. 50. 267 So die These der deutschen Staatslehre, etwa Kirchhof, EuR Beiheft 1-1991, S. 14; Scholz, in: Gerken, Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmoniserung, S. 113 (116); Di Fabio, Der Staat 32 (1993), S. 191 (202 fr). Kritisch dazu Oeler, ZaöRV 55 (1995), S. 659 (690 ff.); Weiler, in: DuelLutter/Schwarze, FS fiir Everling, S. 1651 ff.; Bieber, in: 1. IpsenlRengelinglJ. Weber/A. Weber (Hrsg.), FS fiir Heymanns Verlag, S. 291 (299 ff.). 268 ABI. Nr. C 103 vom 27.4.1977, S. 1 und unter Ziff. 77. 269 EuGH, Roquette Freres./. Rat, Rs. 138179, Sig. 1980, S. 3333 ff.; EuGH, Maizena ./. Rat, Rs. 139179, Sig. 1980, S. 3393 ff. 270 EuGH, Roquette Freres ./. Rat, Rs. 138179, Sig. 1980, S. 3333 (3360). Der Gerichtshof bestätigte seine Rechtsprechung ausdrücklich in seiner Entscheidung Kommission./. Rat (Titandioxid), Rs. C-300/89, Sig. 1991, S. 1-2867 (2900).

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121. Zur Begründung der Demokratie als Strukturprinzip der Europäischen Union werden auch sachlich-inhaltliche Einzelbestimmungen des Primärrechts angeführt. Art. 190 Abs. 5 EGV, der den Erlaß eines einheitlichen Wahlrechts zum Europäischen Parlament vorsieht; Art. 214 Abs. 2 EGV, der die Investitur der Kommission von der Zustimmung des Parlaments abhängig macht; Art. 201 EGV, der dem Parlament die Möglichkeit eines Mißtrauensvotums gegenüber der Kommission einräumt, Art. 249 ff EGV, die dem Parlament nunmehr eine starke Stellung in den gemeinsamen Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren einräumen; Art. 191 EGV mit seinem Bekenntnis zu der Bedeutung europäischer politischer Parteien und vor allem das mit dem Konzept der Unionsbürgerschaft verbundene aktive und passive Wahlrecht in Art. 19 Abs. 2 EGV lassen sich in diesem Zusammenhang nennen. 271 122. Das Europäische Parlament hat mit seiner Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten vom 12. April 1989 einen der wenigen Versuche unternommen, dem Demokratieprinzip in Bezug auf die europäischen Integrationsverbände schärfere Konturen zu verleihen. Art. 17 (Grundsatz der Demokratie) der Erklärung lautet: ,,1. Alle öffentliche Gewalt geht vom Volke aus und muß nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgeübt w e r d e n . " 2. Jede öffentliche Gewalt muß unmittelbar aus den Wahlen hervorgehen oder einem direkt gewählten Parlament gegenüber verantwortlich sein. 3. Die europäischen Bürger haben das Recht, an der allgemeinen, freien, unmittelbaren und geheimen Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments teilzunehmen. 4. Die europäischen Bürger haben das gleiche aktive und passive Wahlrecht. 5. Die obengenannten Rechte dürfen nur durch Bestimmungen eingeschränkt werden, die im Einklang mit den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft stehen. ,,272

123. Das an sich allumfassende demokratische Prinzip kann sich also nur im Rahmen der vertraglichen Bestimmungen und seiner Ratio in der Europäischen Union entwickeln. 273

27\ Vgl. Hilf, EuR 1984, S. 9 (16 fI); Hilf/Pache, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Präambel zum EUVIEGV, Rn. 18; E. Klein, EuR 1987, S. 97 (100); Ress, in: FiedlerlRess, FS für Geck, S. 625 (642); Richter, Erweiterung der Europäischen Union, S. 69 ff., Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071 f.); ders., Der Staat (17) 1978, S. 27 (44). 272 ABI. Nr. C 120 vom 16.5.1989, S. 52 (55). 273 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 99.

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

3. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten

124. Mit der Aufnahme des Grundsatzes der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Art. 6 Abs. 1 EUV nimmt der verftlgende Teil des EUVertrages ebenfalls die entsprechende Formulierung aus dem dritten Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages auf. Der feststehende Begriff der Menschenrechte und Grundfreiheiten entstammt der EMRK und steht nicht im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages. 274 Die historisch begründete Unterscheidung in Menschenrechte und Grundfreiheiten, nach der die Menschenrechte die Grundlage fiir die Entwicklung der Grundfreiheiten sind,275 ist in der Gegenwart inhaltlich nicht mehr gerechtfertigt, weil alle als Grundrechte ausgestalteten schützenswerten Rechtsgüter dem Individuum aufgrund seines Menschseins zugeordnet sind. Für eine weitere Differenzierung ist auf dieser Ebene der Letztbegründung kein Raum mehr vorgesehen, weshalb die Formulierung als formelhafter Ausdruck zu begreifen ist. 125. Die Thematik des Grundrechtsschutzes ist mit Art. 6 Abs. 2 EUV bereits Gegenstand primärrechtlicher Regelung. Die Vertragsnorm kodifiziert den vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung seit den 70er Jahren entwickelten Grundrechtsschutz natürlicher und juristischer Personen gegenüber Hoheitsakten innerhalb der Europäischen Union. 276 Folglich weist Art. 6 Abs. 2 EUV den Grundrechten dogmatisch die Stellung als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und der EMRK als Rechtsquellen ergeben. Obwohl einer formellen Mitgliedschaft der Europäischen Gemeinschaften in der EMRK weiterhin rechtliche Hindernisse im Weg stehen und ein solcher Schritt erst nach einer Vertragsänderung vollzogen werden könnte,277 ist durch

274 So auch Beutler, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar EGV/ EUV, Art. F Rn. 27. Vgl. die Formulierung in Art. 6 Abs. 3 des Cambridge E. C. Treaty Project, wo für den hier in Rede stehenden Tatbestand ausschließlich der Begriff "fundamental rights" benutzt wird, ELRev 22 (1997), S. 399 (407). 275 Vgl. den Wortlaut des dritten und vierten Erwägungsgrund der Präambel zur EMRK, dazu Frowein, in: FroweinlPeukert, EMRK-Kommentar, Präambel Rn. 3. 276 Siehe etwa Gaja, in: CurtinlHeukels, FS für Schermers, S. 549 ff.; ChwolikLanfermann, Grundrechtsschutz, S.47 ff.; Rengeling, Grundrechtschutz, S. 16 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen zu den einzelnen Grundrechten. 277 EuGH, Gutachten 2/94, Sig. 1996, S. 1-1759 (1787 ff.). Nach der Auffassung des Gerichtshofes ist die Mitgliedschaft der Europäischen Gemeinschaft in der EMRK, die gemäß Art. 66 EMRK gegenwärtig nur Staaten offensteht, nur nach vorheriger Änderung des EG-Vertrages möglich. Die Mitgliedschaft würde die Gemeinschaften den Kontrollmechanismen der Konvention - nach Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls der EMRK dem Europäischen Gerichtshof flir Menschenrechte in Straßburg - unterwerfen. Dieser Umstand würde nicht nur schwierige Kollisionsfragen aufwerfen, sondern verstößt formal gegen das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot gemäß Art. 292 EGV, Streitigkeiten aus dem Vertrag, anders als durch den EG-Vertrag vorgesehen, zu regeln. Dazu Toth, CMLRev 34 (1997), S. 491 (502 tT.).

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Art. 6 Abs. 2 EUV der materielle Gehalt der EMRK in das Recht der Europäischen Union inkorporiert worden. 126. Die EMRK eignet sich deshalb auch zuvörderst als Maßstab fi1r die inhaltliche Präzisierung des in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsatzes. Die EMRK umfaßt einen festen Bestand klassischer Menschenrechte, dessen Einhaltung durch die Mitgliedstaaten der Konvention der lustitiabilität unterliegt. Die Verbindlichkeit und der Regelungsumfang der EMRK sowie ihrer Zusatzprotokolle machen diese zum Kern der gemeineuropäischen Verfassungsordnung. 278 Hinter der Konvention bleiben, zumindest im Hinblick auf die Menschenrechte, die unverbindlichen Regelungen beispielsweise der KSZE als "menschenrechtliches Soft-Law" deutlich zurück. 279 Ihnen fehlt es sowohl an wirksamen Durchsetzungsmechanismen, als auch an der Ausdifferenzierung ihrer Regelungen, wie sie durch die Spruchpraxis des Gerichtshofes fi1r Menschenrechte und der Kommission (Art. 20 EMRK) geschaffen wurde. Folglich spielen die weiteren eingangs genannten internationalen Texte mit Bezug zu den Menschenrechten fi1r den vorliegenden Grundsatz eine geringere Rolle. 127. Die erneute, zusätzlich zu Art. 6 Abs. 2 EUV in den EU-Vertrag aufgenommene Rückbindung der Union an den Schutz der Grundrechte wirft die Frage nach der Zielsetzung des Art. 6 Abs. 1 EUV auf. Während der verfUgende Teil der primärrechtlichen Verträge bislang keine ausdrückliche Verpflichtung der Europäischen Union auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit enthielt, trifft diese Feststellung fi1r den Grundrechtsschutz nicht zu. Der Wortlaut des Art. 6 EUV vermag diese Verdoppelung nur insoweit zu erklären, als daß Art. 6 Abs. 2 EUV die grundsätzliche Verpflichtung aus Art. 6 Abs. I EUV konkretisiert. Weitere Überlegungen müssen in dieser Arbeit dem Abschnitt über Sinn und Zweck der Vorschrift vorbehalten bleiben.

4. Rechtsstaatlichkeit 128. In der Europäischen Union gilt unstreitig der Primat des Rechts. Alle von der Union und ihren Untergliederungen ausgehenden Akte hoheitlicher Gewalt sind an das Recht gebunden. 280 Aus diesem Grund läßt sich auch das

278 Frowein, EuR Beiheft 1/1992, S. 63 (75). Zum Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 11.5.1994 und der damit verbundenen Schaffung eines ständigen Europäischen Gerichtshofes rur Menschenrechte, EuGRZ 1994, S. 328 ff.; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 19 Rn. 2 ff. Kritisch zur wachsenden Distanz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur EMRK Ress, in: HallerlKopetzki/Novak u. a., FS rur Winkler, S. 897 (917 ff.). 279 Vgl. Tetter, EuGRZ 1990, S. 235 (238). 280 Zuleeg, in: Bloymeyer/Schachtschneider, Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, S. 9 ff; vgl. auch etwa 3. Erwägungsgrund der Präambel EUV, Art. F Abs. 2 EUV a. F., Art. 6 Abs. I und 2 EUV, Art. 5 EGV, Art. 220 ff EGV, zusammenfassend

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

von Walter Hallstein filr die Europäische Gemeinschaft geprägte Postulat von der RechtsgemeinschaJt,281 das der Gerichtshof in seine Rechtsprechung aufgenommen und dessen Wahrung er zur Grundlage der Verträge erklärt hat,282 auf die Union übertragen - auch wenn dieser Begriff mit dem des Rechtsstaates nicht inhaltsgleich ist. Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft. 129. Art. 6 Abs. 1 EUV nennt denn auch die Rechtsstaatlichkeit als Gemeinsamkeit der Mitgliedstaaten. Das Rechtsstaatsprinzip gründet historisch auf den Konstitutionalismus und Liberalismus der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und hat das Ziel, die Freiheitssphäre des Individuums vor übermäßigen Eingriffen des Staates zu schützen. 283 In Abgrenzung zu despotischen oder theokratischen Gemeinwesen sollen in einem Rechtsstaat willkürliche Maßnahmen ausgeschlossen werden, d. h., es gilt eine grundsätzliche Gleichheit der Rechtsunterworfenen. Der Ausschluß von Willkür wird ergänzt durch einen Anspruch auf Verläßlichkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit des Rechts. 284 In der klassischen Formulierung des US-amerikanischen Supreme Court läßt sich der Inhalt der Rechtsstaatlichkeit zugespitzt als das government o/law and not 0/ men beschreiben. 285 130. Die Verwendung des Begriffs "Rechtsstaatlichkeit" im Zusammenhang mit der Europäischen Union hat widersprüchlichen Charakter. Es bedarf keiner vertieften Untersuchung, um die Feststellung treffen zu können, daß die Union weiterhin von jeder Form der Staatlichkeit weit entfernt ist. Dennoch bringt der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EUV zum Ausdruck, daß die Union u. a. auf der Rechtsstaatlichkeit beruht. 286 Der Wortlaut sollte an dieser Stelle jedoch nicht

HilflPache, in: Grabit:zJHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Präambel EUV Rn. 20. 281 Hallstein, Europäische Gemeinschaft, S. 51. Vgl. dazu auch Ehlermann, in: Börner/Jahrreiß/Stern, FS für Carstens, S. 81 ff.; Zuleeg, NJW 1994, S. 545 ff. 282 EuGH, Les Verts./. Parlament, Rs. 294/83, Slg. 1986, S. 1339 (1365). 283 Das Rechtsstaatsprinzip beruht vor allem auf den theoretischen Arbeiten deutscher Autoren, so insbesondere Bähr, Der Rechtsstaat, 1864; v. Mohl, Enzyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl., 1872; v. Gneist, Der Rechtsstaat, 1872 und Stahl, Rechtsund Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung, Zweite Abtheilung, 4. Buch, Die Staatslehre und die Principien des Staatsrechts, 5. Aufl., 1878. Ausführlich zu diesen Rechtsstaatskonzeptionen dieser Autoren und den rechtsgeschichtlichen Hintergründen des Rechtsstaatsprinzips siehe Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 306 ff. V gl. zur Entstehungsgeschichte Bäckenforde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 65 ff.; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 776 ff. 284 Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rn. 425. 285 Supreme Court, Marbury vs. Madison, I Cranch 137,2 L.Ed. 60 (1803). 286 In der Literatur wurden aufgrund dieser Kritik alternative sprachliche Lösungen vorgeschlagen. So von Zuleeg, in: Börner/Jahrreiß/Stern, FS für Carstens, S. 289 (299); ders., in: Wassermann, GG-Alternativkommentar, Art. 24, Rn. 40, unter Hinweis auf H. P. Ipsen, in: Arbeitskreis europäische Integration, Tragflihigkeit Verfassungsprinzipien, S. 9 (13). Zuleeg schlägt als Alternative den Terminus "Rechtsprinzip" vor. Siehe auch Richter, Erweiterung der Europäischen Union, S. 80, Fn. 434 m. w. N. und unter

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überbewertet werden. Die verwendete Fonnel über die Grundsätze stammt wie bereits mehrfach erwähnt - aus der Präambel des EU-Vertrages, die mit ihren Aussagen auf die Mitgliedstaaten Bezug nimmt. Die Union beruht insoweit auf der Rechtsstaatlichkeit, als die horizontale Homogenität der Mitgliedstaaten Voraussetzung für die Gründung der Integrationsverbände war. Sollen die Inhalte des Rechtsstaatsprinzips darüber hinaus auch als Auftrag an die Union verstanden werden, so wird man weniger an die Verbindung dieses Gedankens mit der Staatlichkeit anknüpfen, als vielmehr an die Funktion der RechtsstaatIichkeit: das Vertrauen in das Recht und die Bindung der hoheitlichen Gewalt. Für diese Interpretation spricht auch die Fassung des Art. 6 Abs. 1 EUV in anderen authentischen Vertragssprachen. 287 131. Die formellen Aussagen des Rechtsstaatsgedankens bilden sich in einer Reihe von konkreten Inhalten ab, von denen folgende als den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsam identifiziert werden 288 : • Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der Gewaltausübung (Legalitätsprinzip), • Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte, • Gewaltenteilung und • Staatshaftung. 132. Der fonnelle Rechtsstaatsbegriff unterwirft staatliche Machtäußerungen der Meßbarkeif89 und verrechtlicht seine Wirksamkeit im Sinne von 'checks & balances'. Das ursprüngliche Konzept einer an der Rechtssicherheit orientierten Rechtsstaatlichkeit wurde vor allem durch die Rechtsprechung um das Element der materiellen Richtigkeit oder Gerechtigkeit ergänzt. 29O Der Wille, staatliche Machtäußerungen auch am Gerechtigkeitsgedanken zu messen, hat dazu gefUhrt, daß die Grundrechte Teil der Ausfonnungen des Rechtsstaatsprinzips geworden sind, so daß sie nach dieser Ansicht der vorangehenden Aufzählung angefilgt werden müßten.

Berücksichtigung nachbarstaatlicher Rechtsstaatskonzepte Steinberger, VVDStRL 50 (1990), S. 9 (29) und ibid. Fn. 59. 287 So wird die "Rechtsstaatlichkeit" in der englischen Fassung mit "rule of law", in der französischen mit "I'Etat de droit" übersetzt. Zur Schwierigkeit der Übertragung der Rechtsstaatlichkeit in andere Sprachen und Rechtskreise siehe Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rn. 425, Riedei, in: Müller-GrafflRiedel, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, S. 77 (82 f.). 288 So von Fuss, Rechtsstaatsgedanke, S. 17; ders., DÖV 1964, S. 577 (578); Scholz, in: BaurlBelke, FS rur Steindorff, S. 1413 (1414); Siehe auch Teil I des Kopenhagener Dokuments über die menschliche Dimension der KSZE, EuGRZ 1990, S. 239 (240 f.) und die Charta von Paris, BullBReg 1990, S. 1409 f. 289 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 131. 290 BVerfDE 7, 89 (92). Zur Rechtsprechung des Supreme Court siehe Ely, Democracy and Distrust, S. 15.

§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

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133. Dieses erweiterte Verständnis der Rechtsstaatlichkeit entspricht nicht der dem Primärrecht zugrundeliegenden Konzeption wie sie sich nach dem Wortlaut darstellt. Im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 EUV spricht die zusätzliche und ausdrückliche Nennung der "Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" neben der Rechtsstaatlichkeit daftlr, letztere lediglich als Referenz auf den formalen Inhalt des Rechtsstaatsprinzips aufzufassen. Die Trennung bei der Prinzipien betont die besondere Bedeutung des Menschenrechtsschutzes ftlr die europäische Integration. Diese vermeintliche Trennung der Rechtsstaatlichkeit vom Menschenrechtsschutz wird allerdings von der Organpraxis widerlegt. Die Kommission stellt Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz in ein Stufenverhältnis dergestalt, daß die Rechtsstaatlichkeit der "Förderung sowohl der bürgerlichen und politischen Rechte als auch der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" dient. 291 Als Kriterien ftlr die Rechtsstaatlichkeit eines Staates mit Grundrechtsbezug lassen sich nennen: die Achtung und umfassende Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Legislative, wirksame und zugängliche Formen des Rechtsbehelfs, Gewährleistung der Gleichheit, einen menschenwürdigen Strafvollzug, eine an das Recht gebundene Polizei. 292 Eine prinzipielle Abgrenzung des Rechtsstaatsprinzips von anderen Rechtsinstrumenten zur Vermeidung des Mißbrauchs staatlicher Macht - wie z. B. von den Grundrechten - würde der Über ladung und damit der Sinnentleerung des ursprünglichen Rechtsstaatsgedankens entgegenwirken. 293 Die Bindung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen an die Idee der Gerechtigkeit insgesamt wird durch diese Reduktion nicht beeinträchtigt. 134. Dem Legalitätsprinzip entspricht auf Unionsebene das Prinzip der Vertragsgemäßheit, das sich in zweierlei Hinsicht aus formt: Zum einen sind die Organe der Union nur nach Maßgabe der Verträge, dem mehrfach primärrechtlich genannten Prinzip der begrenzten Ermächtigung (competence d'attribution),294 zum Tätigwerden befugt. Zum anderen hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung ein dem Vorrang des Gesetzes vergleichbares Rechtsinstitut

Etwa KOM (1998) 146 endg., S. 5. KOM (1998) 146 endg., S. 6. 293 In diesem Sinne mit Blick auf die deutsche Rechtsordnung, Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 123 tT. und S. 233 tT. Kunigs Kritik am Rechtsstaatsprinzip mündet in dem Ergebnis, das juristische Prinzip "Rechtsstaat" abzuschaffen. Ähnlich Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 399. Vgl. auch Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rn. 442. 294 Art. 2 EUV; Art. 2 , Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 8, 9, 202 und Art. 240 EGV. Siehe hierzu Buchwald, Der Staat 37 (1998), S. 189 (194 ff.), rur den sich das allgemeine Rechtsstaatsprinzip im Gemeinschaftsrecht maßgeblich durch die drei Unterprinzipien der "begrenzten Einzelermächtigung", der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit verwirklicht sieht. 291

292

C. Norminhalt

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geschaffen, durch das den Organen bei der Anwendung eines Rechtsaktes keine Abweichung von den dort genannten Regelungen gestattet wird. 29S 135. Im Bereich der Garantie des Rechtsschutzes ist die zentrale Rolle des Europäischen Gerichtshofes und des ihm beigeordneten Gerichts Erster Instanz herauszustellen. Nach Art. 220 EGV, 136 EAGV und Art. 31 EGKSV sichert der Gerichtshof die Wahrung des Rechts. Durch den Vertrag von Amsterdam wird ihm zudem die bislang vom Rat bzw. den Mitgliedstaaten verweigerte Kompetenz zur Prüfung von Hoheitsakten der Organe am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 EUV eingeräumt. 296 Auch wenn das Unionsrecht nur eine beschränkte direkte Klagemöglichkeit natürlicher und juristischer Personen vorsieht und statt dessen den Weg des Rechtsschutzes vor den nationalen Gerichten in den Vordergrund stellt, sind die Betroffenen durch ein dichtes Netz an unionsrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten abgesichert. 297 Entscheidend ist, daß die Konfliktlösungsmöglichkeiten im Gemeinschaftsrecht abschließend geregelt sind (Art. 292 EGV) und den Mitgliedstaaten damit keine abweichende Regelung gestattet ist. Die Unabhängigkeit der Richter und Generalanwälte ist durch das Primärrecht, die Satzung des Gerichtshofs und das Protokoll über Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 gewährleistet. 298 136. Die klassische Gewaltenteilung,299 wie sie in den Mitgliedstaaten verwirklicht ist, ist filr die Europäische Union keine systemgerechte Kategorie. Hat die fehlende Existenz der Gewaltenteilung in der Frühphase der Integration ein deutsches Gericht dazu veranlaßt, in seinem Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht den Prozeß der Vergemeinschaftung in die Nähe totalitä-

295 EuGH - NTN Toyo Bearing ./. Rat, Rs. 113/77, Slg. 1979, S. 1185 (1209). Ausführlich zur Geltung des "Rechtmäßigkeitsprinzips" in den Europäischen Gemeinschaften Leche/er, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, S. 60 und S. 82. 296 Vgl. Art. 461it. d EUV. 297 Siehe Rengeling/Middeke/GellermanniJakobs, Rechtsschutz, Rn. 142 ff. 298 Die Amtszeit eines Richters kann unfreiwillig nur durch ein Amtsenthebungsverfahren beendet werden (Art. 6 EuGH-Satzung), dessen Anwendung und Durchführung jedoch vollständig in der Hand der Richter und Generalanwälte liegt. Bedenklich in dieser Hinsicht sind die Ernennungsverfahren (Art. 223 Abs. 1 und Art. 225 Abs. lEGV). Die Richter und Generalanwälte werden in gegenseitigem Einvernehmen von den Regierungen der Mitgliedstaaten, ohne Mitwirkung des Europäischen Parlaments, ernannt. Da die Amtszeit auf sechs Jahre befristet und die Wiederernennung möglich ist, besteht in dieser Hinsicht ein Abhängigkeitspotential, vgl. Fuss, DÖV 1964, S. 577 (579). 299 Zu diesem Ideal und dessen Ausgestaltung in der Rechtswirklichkeit als Gewaltenverzahnung oder "Gewaltenbalancierung" etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 475 ff.

7 Schorkopf

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

rer Entwicklungen zu rücken,3OO wird dieser Umstand heute angemessener und differenzierter beurteilt. 301 In der Europäischen Union lassen sich den einzelnen Organen zwar spezifische Funktionen zuordnen. Einzig der Gerichtshof als Rechtsprechungsorgan aber vereinigt in sich Funktion und auch Institution der Gewaltenteilung. 302 Europäisches Parlament, Rat und Kommission erfüllen entweder nur Teilfunktionen klassischer Legislative und Exekutive oder üben mehrere der traditionell geteilten Kompetenzen aus. Mit dem klassischen Verständnis von Gewaltenteilung ist das Fehlen der deutlich voneinander getrennten Legislative, Exekutive und Judikative unvereinbar. 137. Das Fehlen dieser Art des gewaltenteilenden Prinzips heißt nicht, daß die Europäische Union auf ein entsprechendes rechtsstaatliches Element verzichten muß. Es sind eine Reihe von Elementen anzuführen, die den Zweck der Gewaltenteilung - die Beschränkung hoheitlicher Gewalt - funktional erfüllen. Das Initiativmonopol der Kommission, die mittlerweile substantiellen Beteiligungsrechte des Parlaments, die Komitologie sind in dieser Hinsicht zu nennen und allen voran die vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur des "institutionellen Gleichgewichts".303 Dahinter verbirgt sich die allgemeine Verpflichtung der Organe, seine Befugnisse unter Beachtung der institutionellen Zuständigkeiten der anderen Organe auszuüben. Das Zusammenspiel der spezifischen Einzelregelungen im institutionellen Gefüge der Europäischen Union vermag die Aufgabe der Gewaltenteilung - die Bändigung hoheitlicher Gewalt - deshalb funktional zu erfüllen. 138. Schließlich sind die Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 288 EGV zum Ersatz der Schäden aus Vertragsverhältnissen und für hoheitliches Unrecht verpflichtet. Die Haftung für letzteres beruht auf der Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze, die darüber hinaus eine große Zahl von rechtsstaatlichen Einzelrechtssätzen, die auch den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt sind, gewährleisten. 304 Ausdrücklich zu nennen ist in diesem Zusammen-

300 FG Rheinland-Pfalz, Vorlagebeschluß vom 14.11.1963, DÖV 1964, S. 306 ff. mit kritischen Anmerkungen von K. H. Klein und Nicolaysen, NJW 1964 , S. 964 f. 301 Etwa Oppermann, Europarecht, Rn. 209. 302 Siehe die Aussagen des EuGH zur Notwendigkeit der richterlichen Unabhängigkeit in seinem Gutachten l/91, Slg. 1991, S. 6079 (6108); Zuleeg, NJW 1994, S.545 (548). 303 Siehe schon EuGH, Einfuhr- und Vorratsstelle rur Getreide und Futtermittel .f. Köster, Berodt & Co., Rs. 25/70, Slg. 1970, S. 1161 (1173); EuGH, Roquette Freres.f. Rat, Rs. 138/79, Slg. 1980, S. 3333 (3360); EuGH, Parlament .f. Rat (Tschernobyl I), Rs. C-70/88, Slg. 1990, S. 1-2041 (2072 f.). Vgl. hierzu auch W. Bernhardt, Verfassungsprinzipien - Verfassungsgerichtsfunktion - Verfassungsprozeßrecht, S. 86 ff. 304 Siehe die Auflistung bei Usher, General Principles of EC Law, S. 12 ff. mit ausführlichem Nachweis der Rechtsprechung des Gerichthofes; Schwarze, Europäisches

D. Würdigung

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hang der aus dem deutschen Recht stammende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 30s

D. Würdigung Nach den Ergebnissen der Auslegung läßt sich der Norminhalt des Art. 6 Abs. 1 EUV unter der Eigenschaft als Zentralnorm der Mitgliedschaft (I) sowie den Funktionen als Verfassungsstrukturklausel (11) und als Homogenitätsklausel (III) zusammenfassen und kritisch würdigen.

I. Art. 6 Abs. 1 EUV als Zentralnorm für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union

139. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wird Art. 6 Abs. 1 EUV als Bezugspunkt der Verweisungen in Art. 7 Abs. 1 und Art. 49 Abs. 1 EUV gerückt. Indem die Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze zur Tatbestandsvoraussetzung ft1r den Beitritt zur Europäischen Union und den Fortbestand der Mitgliedschaft gemacht werden, erlangt die Norm den Status einer materiellen Zentralnorm ft1r die gesamte Thematik der Mitgliedschaft in der Union. 140. Durch die pauschale Bezugnahme auf Art. 6 Abs.l EUV werden jedoch auch die Schwächen dieser Regelung in das Beitritts- und Sanktionsverfahren übertragen. Art. 6 Abs. 1 EUV zitiert einerseits einen Katalog gemeinsamer Prinzipien, die allgemein genug sind, um die bestehenden Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu umfassen. Die aber andererseits - objektiv betrachtet - gleichzeitig einen hinreichend bestimmten Inhalt haben sollten, um ihre Funktion als Beurteilungsmaßstab ft1r die politischen Systeme der Beitrittsbewerber und Mitgliedstaaten zu erfililen. Diese inhaltliche Bestimmbarkeit bereitet - wie dargelegt - einige Schwierigkeiten, was den Umfang der von den Rechtsprinzipien erfaßten konkreten Ausformungen betrifft. 141. Die Entstehung des Wortlautes von Art. 6 Abs. 1 EUV aus der Präambel des EU-Vertrages, die Aufnahme des eher programmatischen Grundsatzes der Freiheit neben den drei spezielleren Rechtsprinzipien der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit sowie die erneute Nen-

Verwaltungsrecht; aus der Perspektive grundrechtlicher Gewährleistungen Pieper, in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 99 ff. m. w. N. 30S Rechtsvergleichend unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshof im Agrarsektor und Warenverkehr Emiliou, Proportionality, S. 115 ff.; Pernice, Grundrechtsgehalte, S. 55 fT. und S. 231 fT.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. S. 662 fT. Siehe auch die Nachweise unter ZifT. 186 in Fn. 377.

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV

nung des Grundrechtsschutzes im unveränderten Art. 6 Abs. 2 EUV könnten darauf hindeuten, daß es sich bei den Grundsätzen des Art. 6 Abs. 1 EUV um eine Formel handelt, die der Verdichtung zu konkreten Ausgestaltungen gegenüber resistent ist und möglicherweise sein soll. 306

11. Art. 6 Abs. 1 EUV als Verfassungsstrukturklausel 142. Art. 6 Abs. 1 EUV beansprucht aufgrund seiner systematischen Stellung, der Aufuahme von insgesamt vier allgemein als wichtig eingestuften Rechtsprinzipien in den Wortlaut und seine Aussagen zur rechtlichen Struktur der Union und der Mitgliedstaaten eine herausgehobene Stellung im NormengefUge des Primärrechts. Gleichwohl ist die Aussage des Art. 6 Abs. 1 EUV nicht neu. Vielmehr wird durch die Vertragsänderung ein weiteres Mal die Rechtswirklichkeit nachträglich kodifiziert. 307 Durch die ausdrückliche Bindung der Union wie der Mitgliedstaaten an die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit wird ein Zustand pos itiviert, der das Ergebnis zahlreicher Rechtsakte, Stellungnahmen der Organe und Mitgliedstaaten sowie der Entscheidungen des Gerichtshofes ist. Einzig der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit hatte bislang noch keine Aufuahme in den verfugenden Teil der Verträge erhalten. Die Änderung des Art. 6 Abs. 1 EUV erschöpft sich jedoch keineswegs in dieser deklaratorischen Wirkung. Durch die Positivierung der rechtlichen Grundlagen des europäischen Einigungsprozesses erfUllt die Norm eine Integrationsfunktion. Den am Integrationsprozeß Beteiligten, insbesondere der jeweiligen Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten, werden die Grundlagen der Europäischen Union bewußt gemacht. Dieser Umstand trägt zur Stärkung der europäischen Identität bei. 308 Auf die häufig gestellte Frage, was die Unionsbürger eines nordeuropäischen mit den Unionsbürgern eines südeuropäischen Mitgliedstaates gemeinsam haben, läßt sich nunmehr - fUr jedermann nachvollziehbar - unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 EUV antworten. Den Unionsbürgern 306 Das das Freiheitsprinzip nicht unbedingt auf derselben Stufe mit den Prinzipien der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit stehen, zeigt auch der Wortlaut der Präambel des NATO-Vertrages, siehe unter Ziff. 109 in Fn. 239. Es sei an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung gerufen, daß Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz in den offiziellen Dokumenten der Kommission eine "Trinität" bilden, die der "Wahrung eines freiheitlichen politischen System" dient. Vgl. etwa KOM (97), 357 endg. und KOM (1998) 146 endg. 307 Die nachträglich Kodifikation der Rechtswirklichkeit läßt sich zu den Merkmalen der Rechtssetzung in der Europäischen Union zählen. So wurden etwa der Grundrechtsschutz (Art. 6 Abs. 2 EUV) und die Klagerechte des Europäischen Parlaments (Art. 230 Abs. 3 EGV), im Anschluß an eine entsprechende Rechtsprechung des Gerichtshofes in den Vertragstext aufgenommen. 308 Vgl. dazu Ziff. 32 ff.

D. Würdigung

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ist gemeinsam, daß sie in freiheitlich-demokratischen Rechtsstaaten leben, in denen ein einheitliches Niveau des Menschenrechtsschutzes gilt. Sie sind in der Europäischen Union zusammengeschlossen, die nach denselben Rechtsprinzipien aufgebaut ist und so funktioniert wie ihre jeweiligen Nationalstaaten. 143. Die Europäische Union basiert mit den primärrechtlichen Verträgen auf einer geschriebenen Werte- und Institutionenordnung, die die Organisation der Europäischen Integrationsverbände verfaßt. Diese Verfassung beruht zwar nicht auf einem herkömmlichen formellen verfassungsgebenden Akt, erfilllt jedoch den materiellen Gehalt einer Verfassungsordnung und ist - wie der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/91 festgestellt hae 09 - in den Grundstrukturen des Primärrechts und in der Autonomie der Rechtsordnung der Aufhebung durch die Mitgliedstaaten entzogen 3JO • Aufgrund seines Inhalts und seiner Funktion läßt sich Art. 6 Abs. 1 EUV somit als die Verfassungsstrukturklausel der Europäischen Union bezeichnen.

III. Art. 6 Abs. 1 EUV als Homogenitätsklausel 144. Homogenität ist im vorangegangenen Kapitel als Gleichartigkeit definiert worden, die sich als Ordnungsprinzip zusammengesetzter Verbände sowohl auf das Verhältnis der rechtlichen Strukturen der Gliedverbänden untereinander (horizontale Homogenität), als auch auf das Verhältnis der rechtlicher Grundlagen der Gliedverbände zum Gesamtverband (vertikale Homogenität) bezieht. 3II 145. Indem Art. 6 Abs. 1 Halbsatz 2 EUV feststellt, daß den Mitgliedstaaten die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit gemeinsam sind, verwirklicht Art. 6 Abs. 1 EUV das Konzept dieses Ordnungsprinzips. Die Norm ist somit als Homogenitätsklausel zu verstehen. 312 Die Aussage des zweiten Halbsatzes ist als das Ergebnis eines Vergleichs der mitgliedstaatlichen Strukturen formuliert, so daß darin zunächst die horizontale Homogenität identifiziert werden kann. Da es sich bei den zitierten Grundsätzen um solche handelt, die üblicherweise als strukturelle Grundentscheidung Aufuahme in die Verfassung EuGH, Gutachten 1191, Slg. 1991, S. 1-6079 (6102). Zur Existenz eines änderungsfesten Bestandes des Rechts in der Europäischen Union siehe Fernandez Esteban, MJ 2 (1995), S. 129 (142 tf.); Curtin, CMLRev 30 (1993), S. 17 (64); Heintzen, EuR 1994, S. 35 (39 0. Inwieweit die Grüdungsverträge internationaler Organisationen eine Grenze für Vertragsänderungen enthalten diskutiert Frowein, in: HafnerlLoibllRestiSucharpia-BehrrnanniZemanek, FS für Seidl-Hohenveldern, S. 201 ff. 311 Siehe unter Ziff. 79. 312 So ausdrücklich schon Frowein zu Art. F Abs. I EUV a. F., EuR Beifheft 1-1992, S. 63 (65). 309

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§ 3 Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. I EUV

eines Staates finden, kann man auch von horizontaler Verfassungshomogenität sprechen. 146. Die in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze werden durch die Aussage des ersten Halbsatzes gleichzeitig zur Grundlage der Europäischen Union gemacht. Diese sprachliche Verbindung zwischen den rechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten und der Union entspricht der Konzeption der vertikalen Homogenität. Innerhalb der vertikalen Homogenität sind zwei Richtungen unterschieden worden, in die Homogenitätsgebote wirken könnten. Einerseits das Homogenitätsgebot aus der Perspektive der Mitgliedstaaten in Richtung auf die Europäische Union und andererseits aus der Perspektive der Union in Richtung auf die Mitgliedstaaten. 3J3 Durch den Vertrag von Amsterdam ist eine Norm in den EU-Vertrag aufgenommen worden, die das Homogenitätsgebot der Mitgliedstaaten an die rechtlichen Strukturen der Europäischen Union im Primärrecht verankert. Da dieser Homogenitätsanspruch seine Grundlage vor allem in den nationalen "Struktursicherungsklauseln" wie z. B. Art. 23 Abs. I GG hat, ist die Änderung des Art. 6 Abs. 1 EUV gerade auch in dieser Hinsicht zu verstehen. 314 147. An dieser Stelle ist die Frage auch zu beantworten, ob durch Art. 6 Abs. I EUV ein eigener vertikaler Homogenitätsanspruch aus der Perspektive der Union an die Mitgliedstaaten formuliert wird. Art. 6 Abs. I EUV ist - wie bereits gesagt - dahingehend zu verstehen, daß er nicht nur die Homogenität feststellt, sondern auch die Einhaltung der genannten Grundsätze ftIr die Zukunft fordert. Dieses Sollensgebot besteht zwar auch in vertikaler Richtung, jedoch ist es inhaltlich an den mitgliedstaatlichen Verfassungstrukturen orientiert. Eine Übereinstimmung mit den Strukturen der Europäischen Union wird nicht gefordert. Das wäre jedoch die notwendige Bedingung ftIr einen inhaltlich selbständigen Homogenitätsanspruch der Europäischen Union. Nach den Ausführungen zum Demokratieprinzip wird auch deutlich, welche Schwierigkeiten bei einem solchen originären Homogenitätsgebot der Union zu Tage treten würden. Solange die Union keine Rechtsnatur besitzt, die der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten ähnlich ist - wobei nicht gesagt ist, daß die Union eine solche anstreben sollte oder darin das Ziel der Integration bestünde - wird es zumindest fiir den "Grundsatz der Demokratie" keinen von der Union auf die Mitgliedstaaten übertragbaren Homogenitätsstandard geben. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte die Anwendung neuer Formen der Legitimation von Herrschaftssystemen sein. 31S

Vgl. die Skizze unter Ziff. 38. Siehe oben unter Ziff. 45 ff. und Ziff. 69 f. 315 Dazu die Beispiele unter Ziff. 119 mit Nachweisen in den Fußnoten ibid. 313

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D. Würdigung

103

148. Der zweite zentrale Gegenstand dieser Untersuchung, neben der Ausgestaltung der Homogenität in der Europäischen Union durch Art. 6 Abs. 1 EUV, ist das bislang kaum thematisierte Problem des Fortbestandes der Mitgliedschaft bei der Verletzung ihrer Grundlagen durch einen Mitgliedstaat. In konsequenter Fortftlhrung der verwendeten Terminologie kann man auch von der Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union sprechen. Der EU-Vertrag enthält seit seiner Änderung durch den Vertrag von Amsterdam in dieser Hinsicht eine wirkliche Neuerung - den bisher nur im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 EUV zitierten Art. 7 EUV. Inhalt und Aussage dieses Art. 7 EUV stehen im Mittelpunkt des folgenden vierten Kapitels.

§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV A. Überblick 149. Die Gewährleistung der Homogenität in den europäischen Integrationsverbänden durch die Sanktionierung von vertragswidrig handelnden Mitgliedstaaten ist in der Vergangenheit kaum thematisiert worden. 316 Vereinzelt wurden, insbesondere aus den Reihen der deutschen Rechtswissenschaft, Vorschläge unterbreitet, wie dem Verlust demokratischer Züge eines Mitgliedstaates bis hin zum Abgleiten in autoritäre oder totalitäre Zustände - rechtlich begegnet werden könnte. 317 Da das geschriebene Primärrecht bislang keine filr diesen Extremfall konzipierte Norm enthielt, wollte man diese Problematik mittels Analogien, impliziter Handlungskompetenzen oder völkerrechtlicher Regelungen in rechtlich geordnete Bahnen lenken. Den Lösungsvorschlägen ist trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze der Kritikpunkt gemeinsam, daß sie im Hinblick auf Tatbestandsvoraussetzungen, Verfahrensvorschriften und mögliche Rechtsfolgen mangels dogmatischen Fundaments auf Kosten der Rechtssicherheit entwickelt wurden. 150. Auf der Grundlage existierender Sanktionsmechanismen filr zusammengesetzte Verbände des Staats- und Völkerrechts, der Überlegungen der Kommission anläßlich der Ende der 70er Jahre begonnenen Süderweiterung und der Vorarbeiten des Europäischen Parlaments, entschieden sich die Teilnehmer der Regierungskonferenz 1996/97 mit Art. 7 EUV eine entsprechende Sanktionsbestimmung in den EU-Vertrag aufzunehmen. 151. Art. 7 EUV benennt Tatbestandsvoraussetzungen, Verfahren und Rechtsfolgen der Sanktionierung von Homogenitätsverstößen der Mitgliedstaaten. Der Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs kann nach Art. 7 Abs. I EUV auf Antrag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission die "schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat" feststellen. Der

J 16 Zum Sanktionsbegriff und seiner Verwendung im Gemeinschaftsrecht siehe Böse, Strafe und Sanktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 46 ff. Jl7 Frowein, Michigan Law Review 1984, S. 1311 (1318 ff.); ders., EuR 1983, S. 301 (311); Schwarze, EuR 1983, S. 1 (30 f.); Zuleeg, EuR 1982, S. 21 (35 f.); ders., in: BieberlBleckmanniCapotorti, GS tUr Sasse, S. 55 (63 ff.); ders., JöR n. F. 20 (1971), S. 3 (52 ff.); H. P. lpsen, in: Maurer, FS tUr Dürig, S. 159 ff.; Hilf, EuR 1997, S. 347 (355).

A. Überblick

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Einstimmigkeit erfordernde Feststellungsbeschluß erfolgt nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments und nachdem der betroffene Mitgliedstaat Gelegenheit zu einer Stellungnahme hatte. Auf diese erste Stufe des Sanktionsverfahrens folgt eine zweite, in der der Rat nach Art. 7 Abs. 2 EUV mit qualifizierter Mehrheit Rechte des betroffenen Mitgliedstaates aus dem Unionsvertrag aussetzen kann. Die gleichfalls neu eingefUgten Bestimmungen der Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV ennöglichen die Aussetzung von Rechten auch im Bereich des Gemeinschaftsrechts und stellen eine Entscheidung darüber in das Ennessen des Rates. Bei der Beschlußfassung in der zweiten Stufe des Verfahrens sind jeweils die Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen zu berücksichtigen. Der Rat kann gemäß Art. 7 Abs. 3 EUV zu einem späteren Zeitpunkt, wiederum mit qualifizierter Mehrheit, die getroffenen Maßnahmen abändern oder aufheben. Voraussetzungen dafilr ist, daß in der Sachlage, die zur Verhängung der Maßnahmen gefilhrt hat, Änderungen eingetreten sind. Bei allen Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit entscheidet der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmen des Vertreters des betroffenen Mitgliedstaates. Bei diesen Abstimmungen im Rat bleibt gemäß Art. 7 Abs. 4 EUV das Verhältnis der gewogenen Stimmen unverändert bestehen. Für die Entscheidungen des Europäischen Parlaments bedarf es nach Art. 7 Abs. 5 EUV der Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen und eines Quorums der Hälfte seiner Mitglieder. 153. Im folgenden werden die bislang nach dem Recht der Europäischen Union erwogenen Sanktionsmöglichkeiten filr Verstöße gegen die Homogenität dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen (B). Es schließen sich zwei Abschnitte über die Herkunft des Art. 7 EUV an. Ausgehend von der Funktion der Nonn werden zunächst internationale und rechtsvergleichende Bezüge zu ähnlichen Mechanismen in staats- und völkerrechtlichen Rechtsordnungen hergestellt (C). Danach folgt eine konkret auf die Vertragsnonn bezogene Untersuchung der Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV (D). Im zentralen Abschnitt über den Nonninhalt wird der Verfahrensablauf anhand seiner Chronologie unter den Aspekten der Rechtsgrundlagen, Voraussetzungen, Rechtsfolgen und des Verfahrensabschlusses detailliert erörtert (E). Des weiteren wird die Konkurrenz des Sanktionsmechanismus zur umstrittenen Beendigung der Unionsmitgliedschaft thematisiert (F). Abschließend soll der Inhalt des Sanktionsmechanismus gewürdigt werden (G).

106

§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

B. Die Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht 154. Bis zum Abschluß des Vertrages von Amsterdam sind in der rechtswissenschaftlichen Literatur insgesamt vier Rechtsgrundlagen aufgezeigt worden, nach denen Verstöße gegen Rechtsgüter, die hier unter dem Topos der Homogenität zusammengefaßt sind, hätten sanktioniert werden können. Konkret handelt es sich dabei um das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV a. F. 318 (I), die Schutzklauseln Art. 224, 225 EGV a. F. in analoger Anwendung 319 (11), implizite Handlungskompetenzen aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze (III) sowie klassische völkerrechtliche Handlungsmöglichkeiten (IV). Die einzelnen Abschnitte werden in die inhaltliche Darstellung des Lösungsvorschlages und die dazu bestehende spezifische Kritik untergliedert. Am Ende des Kapitels werden in einer Stellungnahme zusätzliche übergreifende Kritikpunkte zusammengefaßt (V).

I. Das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV a. F.

1. Inhalt des Lösungsansatzes 155. Für den Fall, daß die Verfassungsverhältnisse eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften320 den Anforderungen einer freiheitlichen Demokratie nicht mehr genügen, hat Frowein vorgeschlagen, auf das "Vertragsaufsichtsverfahren" nach Art. 169 EGV a. F. zurückzugreifen. 321 Die Kommission ist nach Art. 226 EGV (Art. 169 EGV a. F.), Art. 141 EAGV und Art. 88 EGKSV verpflichtet, gegen einen Mitgliedstaat, der seine Verpflichtungen aus den Gemeinschaftsverträgen nicht erfilllt, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. 322 In einem ersten Schritt fordert sie den be318 Art. 226 EGV. In Abweichung von dem bisherigen Gebrauch der neunumerierten Fassung der Vertragsvorschriften in dieser Arbeit werden aus Gründen der Authentizität, die mit den Vorschlägen zusammenhängenden Normen nach ihrer alten Numerierung zitiert. 319 Art. 297, 298 EGV. 320 Dieser Vorschlag, wie auch die folgenden, stammt aus der Zeit vor Gründung der Europäischen Union. Folglich stehen die Europäischen Gemeinschaften als handelnde Subjekte im Mittelpunkt der Überlegungen. 321 Frowein, EuR 1983, S.301 (311 t); ders., Michigan Law Review 1984, S. I311 (I318 f.). Siehe auch den Hinweis auf die Möglichkeit einer Staaten beschwerde im Verhältnis der Unionsmitgliedstaaten untereinander als Mitglieder des Europarates gemäß Art. 24 EMRK; dazu Peukert, in: FroweinlPeukert, EMRK-Kommentar, Art. 24, S. 515 ff. 322 Ausflihrlich zur Durchftihrung des Vertragsverletzungsverfahrens in den einzelnen Bereichen des Gemeinschaftsrechts der von der Kommission vorgelegten Fünfzehnten Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (1997), KOM (1998) 317 endg. vom 19.05.1998, ABI. Nr. C 250 vom 10.8.1998, S. 1 ff.

B. Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht

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troffenen Mitgliedstaat mit einem Schreiben auf, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Vermögen die Ausfiihrungen des Mitgliedstaates den Verdacht einer Vertragsverletzung nicht zu beseitigen, gibt die Kommission im zweiten Schritt eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Hilft der Mitgliedstaat dem in der Stellungnahme geäußerten vertragswidrigen Zustand nicht durch ein gegenteiliges Verhalten ab, kann die Kommission in die dritte Verfahrensstufe eintreten und Klage vor dem Europäischen Gerichtshof auf Feststellung der Vertragsverletzung erheben. 323 Frowein argumentiert, daß seit dem Inkrafttreten des Aktes zur Einfiihrung allgemeiner und unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Parlaments,324 die Abhaltung freier Wahlen zum Europäischen Parlament Bestandteil des acquis communautaire sei. Entspricht ein Mitgliedstaat mit seiner innerstaatlichen Struktur nicht mehr diesen Anforderungen an die Demokratie, dann verstößt er gegen seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen und erfiillt damit die Voraussetzungen fiir die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. Als Rechtsfolge schlägt Frowein, in Abgrenzung zu den klassischen völkerrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten, die Suspendierung aller Vertragsrechte und pflichten vor. 32S

2. Kritik

156. Die Entwicklung der europäischen Integration hat das rechtliche Umfeld, innerhalb dessen dieser Vorschlag seinerzeit unterbreitet wurde, grundlegend verändert. Mit der Gründung der Europäischen Union ist ein den Europäischen Gemeinschaften übergeordneter Verband geschaffen worden, dem durch Art. 49 EUV abschließend sämtliche Fragen betreffend die Mitgliedschaft in den europäischen Integrationsverbänden zugeordnet wurden. Der alleinige Rückgriff auf das Vertragsverletzungsverfahren des Gemeinschaftsrechts könnte mithin nur einen Teilbereich der Mitgliedschaft eines Staates in der Union abdecken. Hingegen rührt die Verletzung der Homogenität an der Mit-

323 Die Entscheidung über die Erhebung einer Klage vor dem Gerichtshof ist in das Ermessen der Kommission gestellt, wofilr insbesondere der Wortlaut des Art. 226 Abs. 1 EGV spricht. Grundlegend EuGH, Star Fruit .I. Kommission, Rs. C-247/87, Sig. 1989, S. 291 (301); zuletzt EuGH, Intertronic ./. Kommission, Rs. C-196/97 P, Sig. 1998, S. 1-199 (204). Ortlepp, Vertragsverletzungsverfahren, S. 76; Karpenstein, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 169 Rn. 32 m. w. N. 324 Beschluß des Rates mit dem beigefilgten Akt, AB!. Nr. L 278, S.I (5) vom 8.10.1976; BGB!. 1977 II, S. 733; in Kraft getreten am 1.8.1978, BGB!. 1978 II, S.1003. 325 Frowein, EuR 1983, S. 301 (312); ders., Michigan Law Review 1984, S. 1311 (1318).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

gliedschaft als solcher. Sie fällt damit systematisch in den Anwendungsbereich des EU-Vertrages. 157. Zweifel an der Eignung des Artikels 169 EGV a. F. ftir Verletzungen der Homogenität nähren sich auch aus einem anderen Umstand. Die in dieser Arbeit zur Diskussion stehenden Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht stellen das System der Integration grundsätzlich in Frage. Die Union würde dem Rang und der Wichtigkeit der geschützten Homogenitätselemente nicht gerecht, wenn sie sich auf das Vertragsverletzungsverfahren beschränken müßte, in dem lediglich die gemeinschaftsrechtlichen Auswirkungen einer wesentlich schwerwiegenderen Rechtsverletzung Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof - quasi als Nebenfolgen ihrer eigentlichen Ursache sein würden. 326 Schließlich haben Verstöße gegen das Homogenitätsgebot eine andere Qualität als die Nichteinhaltung spezifischer Vertragspflichten. 327 Das interne Streitschlichtungssystem der Gemeinschaftsverträge ist für Einzelfälle konzipiert. Es hat die Aufgabe, bei prinzipieller Bejahung der Integration durch die Mitgliedstaaten, den Streit über die spezifischen Rechte und Verpflichtungen durch eine unabhängige Instanz entscheiden zu lassen. Verletzt aber ein Mitgliedstaat die Grundsätze der Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes, so stellt er die Integration als solche in Frage. 328 Diese Art von Verstößen ist beispielsweise mit der mangelnden Umsetzung einer Richtlinie - um einen häufigen Anwendungsfall des Vertragsverletzungsverfahrens zu nennen - qualitativ nicht vergleichbar. 158. Schließlich wäre die beabsichtigte Rechtsfolge der Suspension der Mitgliedschaft de lege lata nicht möglich. Gemäß Art. 228 Abs.l EGV endet ein erstes Vertragsverletzungsverfahren mit einem Feststellungsurteil des Gerichtshofes. Die bei fortgesetzter Untätigkeit des verurteilten Mitgliedstaates bestehende Möglichkeit eines zweiten Verfahrens sieht gemäß Art. 228 Abs. 2 EGV lediglich die Verhängung eines Pauschalbetrages oder Zwangsgeldes vor. Somit bestünde auch hinsichtlich der von Frowein ins Auge gefaßten Rechtsfolge erheblicher Begründungsbedarf.

326 Frowein selbst äußert Zweifel, ob die Kommission in der in Rede stehenden Situation tatsächlich die von ihm vorgeschlagenen Überlegungen anstellen würde, EuR 1983, S. 301 (312); ders., Michigan Law Review 1984, S. 1311 (1319). 327 Zu diesem Gedanken siehe Meier, NJW 1974, S. 391 (393). 328 Zweifel an der Eignung des Vertragsverletzungsverfahrens für derartige Konstellationen äußert auch Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Vertrag von Amsterdam, Kapitell, Rn. 8. Vgl. auch die Auffassung Nicolaysens, Europarecht I, S. 236 f., für den das Vertragsverletzungsverfahren ein Instrument zur Beilegung von Streitigkeiten über die "Modalitäten der Verwirklichung" von Zielen der Europäischen Gemeinschaft ist. Durch den Vertragsschluß hätten sich die Mitgliedstaaten auf gemeinsame Ziele der Integration geeinigt, so daß es kaum einen Grund gebe, die Verwirklichung dieser Ziele vom Grundsatz her in Frage zu stellen.

B. Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht

\09

11. Art. 224, 225 EGV a. F. analog

1. Inhalt des Lösungsansatzes 159. Der zweite Lösungsansatz wurde ebenfalls von Frowein entwickelt. 329 Ausgangspunkt dieses Vorschlages sind die Schutzklauseln330 der Art. 224 ff. EGVa. F. Das Gemeinschaftsrecht gestattet den Mitgliedstaaten, unter anderem bei einer "schwerwiegenden innerstaatlichen Störung der öffentlichen Ordnung", Maßnahmen zu ergreifen, die den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen entgegenstehen. 331 Gleichzeitig wird eine Konsultationspflicht rur die Mitgliedstaaten normiert, die diese verpflichtet, das Zumutbare zu tun, um nachteilige Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt aufzufangen. Der EG-Vertrag sieht neben der Konsultation der anderen Mitgliedstaaten auch die Einbeziehung der Kommission rur den Fall vor, daß durch die Schutzmaßnahmen Verfälschungen der Wettbewerbsbedingungen drohen (Art. 225 Abs. I EGV a. F.). Vor diesem Hintergrund argumentiert Frowein, daß das Funktionieren der Gemeinschaftsinstitutionen zum Funktionieren des Gemeinsamen Marktes gehöre, denn die Organe der Gemeinschaften setzten die Regelungen des Gemeinsamen Marktes um, erhielten und schützten sie. Sollte die im Rat mit Sitz und Stimme beteiligte Regierung eines Mitgliedstaates oder die Abgeordneten des betroffenen Mitgliedstaates im Europäischen Parlament nicht aus freien Wahlen hervorgegangen sein, so sei das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes im Sinne des Art. 224 EGV a. F. beeinträchtigt. Da die Art. 224, 225 EGV a. F. gemeinsame Reaktionen der vertragstreuen Mitgliedstaaten zur Störungsabwehr ermöglichen wollten, sei die Rechtsfolge der Suspendierung von Gemeinschaftsrecht solange zulässig, wie der betroffene Mitgliedstaat den Zustand der Homogenitätsverletzung aufrechterhalte. 332

329 Frowein, EuR 1983, S. 301 (313 f.); ders., Michigan Law Review 1984, S. 1311 (1319 f). 330 Zur Terminologie siehe Gilsdorf, in: v. d. GroebenrrhiesingiEhlermann, Kommentar EGV, 4. Aufl., Vorb. Art. 223 bis 225 Rn.4 m. w. N.; Weber, Schutznormen, S. 223 f 3JI Die Befugnis folgt aus Art. 224 i. V. m. Art. 225 Abs. 2 EGV a. F., dazu MüllerHeidelberg, Schutzklauseln, S.315 f - zum möglichen Inhalt von Schutzmaßnahmen siehe ders., ebenda, S. 135 ff.; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 2920 ff. Ausruhrlich zu den Notstandsklauseln im Gemeinschaftsrecht Weber, Schutznormen und Wirtschaftsintegration, S. 140 ff. Galand, NJW 1974 S. \034 (\035), sieht in Art. 224 EGV a. F. gar ein Instrument, das in Verbindung mit dem völkerrechtlichen Grundrecht auf Selbsterhaltung einem Mitgliedstaat das Recht einräumt, sich einseitig von den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zu lösen und die Union zu verlassen. 332 Frowein, EuR 1983, S. 301 (313 f.); ders., Michigan Law Review 1984, S. 1311 (1319 (). Im Ergebnis positiv bewertet Ehlermann, EuR 1984, S. 113 (121), diesen Ansatz. Zustimmend auch H. P. Ipsen, in: Maurer, FS rur DUrig, S. 159 (180).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

160. Mittels dieses Vorschlages könnte auch der Europäische Gerichtshof in das Verfahren bei Homogenitätsverletzungen miteinbezogen werden. Art. 225 Abs. 2 EGV a. F. sieht eine Mißbrauchskontrolle, der von dem betroffenen Mitgliedstaat vertragswidrig ergriffenen Maßnahmen, durch den Gerichtshof vor (Art. 225 Abs. 2 EGV a. F.). Im Ergebnis würde die innerstaatliche Situation des sich auf Art. 224 EGV a. F. berufenden Mitgliedstaates somit zwangsläufig Gegenstand eines Verfahrens vor dem Gerichtshof werden. Das innerstaatliche Notstandsproblem würde somit "als potentiell gemeinschaftsrelevant qualifiziert. ,,333

2. Kritik

161. Der Rückgriff auf die Schutzklauseln der Art. 224, 225 EGV a. F. als Kompetenznormen für die Sanktionierung von Mitgliedstaaten ist grundsätzlich fiir die rechtliche Erfassung von Homogenitätsverletzungen geeignet. Die angefiihrten Normen knüpfen an notstandsähnliche Situationen in den Mitgliedstaaten an und erlauben die Überprüfung einseitiger mitgliedstaatlicher Abweichung vom Gemeinschaftsrecht durch den Gerichtshof. 162. Auf Bedenken stößt der Vorschlag jedoch aus drei Gründen: Erstens hat das Fortschreiten der Integration auch die rechtstatsächlichen Gegebenheiten dieses Ansatzes grundlegend geändert. Die Ausfiihrungen zum vorangegangenen Lösungsansatz gelten entsprechend. 334 163. Zweitens ist die dogmatische Konstruktion problematisch, mittels derer das Handeln des betroffenen Mitgliedstaates einen vertragswidrigen Zustand begründen soll. Verletzt ein Mitgliedstaat die demokratischen Grundsätze, ist das Funktionieren der Gemeinschaftsorgane nur mittelbar beeinträchtigt - der Rat ist weiterhin in der Lage, Entscheidungen zu treffen und das Europäische Parlament kann seine Aufgaben wahrnehmen. Die formale Funktionsfiihigkeit der Organe im Sinne ihrer Arbeitsfiihigkeit ist nicht beeinträchtigt. Vielmehr leidet in Fällen der Homogenitätsverletzung die Legitimation der Entscheidungen an einem Mangel und damit die materielle Funktionsfiihigkeit der Organe. 164. Drittens ist die von Frowein vorgesehene Rechtsfolge fraglich. Art. 224 EGV a. F. ermöglicht keine Suspendierung von mitgliedstaatlichen Vertragsrechten. In diesem Zusammenhang ist die Forderung aufgestellt worden, im Lichte des "Verfassungsgrundsatzes der Demokratie" die Rechtsfolge des Art. 224 EGV a. F. in diesem Sinne fortzuentwickeln. 335 Gerade diese Forde-

Frowein, EuR 1983, S. 30 I (313). Siehe unter Ziff. 156. m Zu leeg, EuR 1982, S. 21 (25 f.); ders., Der Staat 17 (1978), S. 27 (40 ff.); ders., JZ 1993, S. 1069 (1073). 3J3

334

B. Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht

111

rung verdeutlicht jedoch die generelle Schwäche der aus dem Primärrecht hergeleiteten Ansätze - und damit auch dieses Vorschlages: das Fehlen eindeutiger Bestimmungen über Verfahren und Rechtsfolgen. Die Auseinandersetzungen in der Europäischen Union im Falle einer Homogenitätsverletzung werden angesichts der dem betroffenen Mitgliedstaat drohenden Folgen von erheblichem Ausmaß sein. Die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Rechtsfolge bei Art. 224 EGV a. F. fUgt den ohnehin bestehenden Schwierigkeiten bei der Bewertung der mitgliedstaatlichen Verfassungswirklichkeit und der Beweisfiihrung des Verstoßes eine zusätzliche Konfliktquelle hinzu.

IH. Handlungskompetenz aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze 1. Inhalt des Lösungsansatzes

165. Während sich die beiden vorgenannten Lösungsansätze im kodifizierten Primärrecht verankern lassen, wurden in der rechtswissenschaftlichen Literatur Vorschläge entwickelt, die eine Handlungskompetenz der Gemeinschaften bzw. der Union aus den ungeschriebenen, allgemeinen Rechtsgrundsätzen herleiten. 166. So nimmt Schwarze eine implizite Kompetenz der Gemeinschaft an, bei schwerwiegenden Verstößen gegen die rechtliche Ordnung, als äußerstes Mittel "geeignete Schritte" vorzunehmen. 336 Smit/Herzog gestehen der Gemeinschaft ein Recht auf Notmaßnahmen (" taking emergency action ") zu, wenn ein Mitgliedstaat nachhaltig und schwer die Verträge verletzt und die Urteile des Europäischen Gerichtshofes nicht beachtet. Danach könne als Rechtsfolge sogar ein Ausschluß als "ultima ratio" bereits aus dem geltenden Gemeinschaftsrecht heraus gerechtfertigt werden. 337 Als Konsequenz aus der Anerkennung eines Verfassungsgrundsatzes der Demokratie entwickelt Zuleeg eine Rechtsgrundlage fUr die Gemeinschaft, sich von einem Mitgliedstaat zu trennen, der sich von der Demokratie abwendet. 338 Jüngst wurde von Hilf die Ansicht vertreten, daß die Suspendierung mitgliedstaatlicher Rechte - wie sie von Art. 7 EUV vorgesehen ist - aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrecht abgeleitet werden könnte. 339 Schwarze, EuR 1983, S. 1 (30). Smit/Herzog, in: dies., Kommentar, Art. F, Nr. 6-364. 338 Zuleeg, EuR 1982, S. 21 (25 f.). 339 Hilf, EuR 1997, S. 347 (355) unter Hinweis auf Everling, in: Bernhardtl GecklJaenicke/Steinberger, FS rur Mosler, S. 173 (183). Wohl auch Steinhauer, Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten, S. 248 f. ebenfalls unter Hinweis auf Everling, ebenda. Steinhauer unterbreitet zudem Vorschläge rur ein Verfahren. Danach soll der Rat einstimmig und ohne Beteiligung des betroffenen Mitgliedstaates entscheiden. Er unterliegt der Kontrolle des Gerichtshofs. 336

337

112

§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

167. Dieser letztgenannte Ansatz spiegelt wohl auch die bislang offizielle vertretene Auffassung der Kommission wider. 1985 stellte der Europaabgeordnete Cottrell die schriftliche Anfrage an die Kommission, welche Regelungen fUr den Fall politischer Unruhen innerhalb eines Mitgliedstaates, die zu einer Aufhebung der Demokratie fUhren würden, bestünden. In seiner Antwort mußte der damalige Kommissionspräsident Delors noch darauf hinweisen, daß die Verträge keine ausdrückliche Vorschrift enthielten, "um die sich aus der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ergebenden Rechte und Privilegien eines Mitgliedstaates aufzuheben.,,340 168. Die von der Europäischen Gemeinschaft einseitig verfUgte Aussetzung des Assoziationsabkommens mit Griechenland während der griechischen Militärdiktatur von 1967 bis 1974, könnte als Anwendungsfall einer Handlungskompetenz aufgrund von allgemeinen Rechtsgrundsätzen interpretiert werden. 341 Da es filr das Vorgehen der Gemeinschaft insoweit weder eine Rechtsgrundlage im kodifizierten Primärrecht noch in dem Assoziationsabkommen gab,342 kommt als dogmatische Begründung ausschließlich der Rückgriff auf die ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze in Betracht.

2. Kritik 169. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind die universale Grundlage der bewährten Methode des Europäischen Gerichtshofes, Lücken im Primär- und Sekundärrecht der Union und der Gemeinschaften durch seine Rechtsprechung zu schließen. 343 Deshalb scheinen die allgemeinen Rechtsgrundsätze auch die prinzipiell geeignetste Rechtsquelle, um eine Rechtsgrundlage fUr die Sanktionierung von mitgliedstaatlichen Homogenitätsverstößen zu gewinnen. 170. An diesem Ansatz ist jedoch das Fehlen jeglicher Verfahrensregelungen zu beanstanden, d. h. die gänzliche Unbestimmtheit der an einem solchen Sanktionsverfahren zu beteiligenden Entscheidungsorgane, der Stimmrechte und der zulässigen Rechtsfolgen. Die voraussichtlich seltenen Anwendungsfälle einer Sanktionierung von mitgliedstaatlichen Homogenitätsverstößen er-

340 Schriftliche Anfrage Nr. 1895/84 vom 11.2.1985 mit der Antwort vom 5.6.1985, ABI. Nr. C 208 vom 19.8.1985, S. 3 f. (Hervorhebung vom Verf.). 341 Vgl. dazu auch noch einmal Ziff. 76. Vgl. auch die Stellungnahme der Kommission zu dem Antrag der Republik Griechenland auf Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften vom 23.5.1979, ABI. Nr. L 291 vom 19.11.l979, S. 3. 342 V gl. nunmehr die Suspendierungsklauseln in den Assoziationsabkommen und sonstigen Übereinkommen mit Drittstaaten, Ziff. 3 und Ziff. 217 ff. 343 Siehe hierzu ausflihrlich Usher, General Principles of EC Law, S. 7 ff. und Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 572 ff. m. w. N. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts grundlegend auch Leche/er, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, S. 25 ff.

B. Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht

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lauben es nicht, die nähere Ausgestaltung eines solchen Verfahrens der Rechtspraxis, etwa dem mit der internen Rechtsfortbildung betrauten Europäischen Gerichtshof, zu überlassen. Fraglich ist bereits, ob der Gerichtshof im Rahmen der hier diskutierten Handlungskompetenz überhaupt an der Sanktionierung eines Mitgliedstaates zu beteiligen ist. Zwar pflegen die Organe von staatlichen und überstaatlichen Verbänden im Fall von Verfassungskrisen aus dem Bereich des Organisationsrechts durch ihr tatsächliches Handeln die bestehenden Unklarheiten zu beseitigen. Das Abwarten auf eine im Einzelfall zu erfolgende Konkretisierung des Rechts geschieht jedoch stets auf Kosten der Rechtssicherheit und nährt Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Wiederum aus Gründen der Rechtssicherheit ist es deshalb wünschenswert, daß die Einzelheiten des Sanktionsverfahrens einen möglichst hohen Grad an Bestimmtheit aufweisen. 344

IV. Völkerrechtliche Rechtsgrundlagen 1. Inhalt des Lösungsansatzes 171. Das Völkerrecht schließlich soll die Sanktionierung von Homogenitätsverstößen der Mitgliedstaaten ermöglichen. Auf dieser Grundlage sind zwei Konstruktionen entwickelt worden: 34s

172. Den Parteien eines multilateralen Vertrages ist es nach Art. 60 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRKi 46 gestattet, das Vertragsverhältnis gegenüber einer vertragsbrüchigen Partei zu suspendieren oder gar zu beenden. 347 Tatbestandsvoraussetzung filr die Anwendung des Art. 60 WVRK ist die erhebliche Verletzung (material breach) des Vertrages. Eine solche liegt nach Art. 60 Abs. 3 WVRK unter anderem dann vor, wenn eine Vertragspartei "wesentliche Vertragsziele" verletzt hat. Da eine Verletzung des Homogenitätsgebotes die Legitimationsgrundlage und die Funktionsflihigkeit der Europäischen Union geflihrden würde, ließe sich in einem solchen Fall ein Verstoß

Dazu unter Ziff. 182 f. Zu/eeg, in: BieberlBleckmanniCapotorti, GS für Sasse, S. 55 (63 ff.); Jacob, Sanktionen gegen vertragsbrüchige Mitgliedstaaten, S. 173 ff; dazu auch Schwarze, EuR 1983, S. I (30 f.); 346 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969, BGBI. 1985 11, S. 926. Zur Gewährleistung einer durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffenen Ordnung im Sinne eines Rechtsregimes siehe auch E. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 225 (227 ff.). 347 Verdross/Simma, Völkerrecht, § 811 ff.; Simma, in: KipplMayer/Steinkamm, FS für v. d. Heydte, S. 615 ff.; GrajVilzlhum, in: ders., Völkerrecht, Abschnitt I, Rn. 129 f. 344 345

8 Schorkopf

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

gegen wesentliche Vertragsziele im Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention annehmen. 348 173. Die umstrittene, aber gewohnheitsrechtlich anerkannte und in Art. 62 WVRK kodifizierte clausula rebus sie stantibus ist der Ansatzpunkt des zweiten Lösungsvorschlages. 349 Treten in einer völkerrechtlichen Vertragsbeziehung wesentliche Änderungen der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen Umstände ein, die von den Parteien nicht vorausgesehen wurden, sind nach der clausula rebus sie stantibus die Beendigung des Vertrags verhältnisses oder der Rücktritt vom Vertrag möglich; alternativ kann auch die Suspendierung des Vertrages geltend gemacht werden (Art. 62 Abs. 2 WVRK). Ob die völkerrechtliche Geschäftsgrundlage entfallen ist, wird nach Art. 62 WVRK in zwei Schritten geprüft: Erstens ist zu ermitteln, ob die Vertragsparteien nach ihrem hypothetischen Parteiwillen bereit gewesen wären, auch nach den eingetretenen Umständen den Vertrag zu schließen. Ist das nicht der Fall, muß zweitens geprüft werden, ob die Änderung der eingetretenen Umstände grundlegend ist. 350 Übertragen auf die Europäische Union ließe sich nun argumentieren, daß die Verfassungsumwälzungen in einem Mitgliedstaat der Union, im Sinne einer Abkehr von den demokratisch-rechtsstaatlichen Homogenitätsvorstellungen, einen solchen grundlegenden Wandel darstellten. Da die Mitgliedstaaten einen Staat, dessen politisches System der Zielsetzung der Union widerspricht, in die Union nicht aufgenommen hätten und die Verträge für diese Situation auch keine entsprechende Regelung vorhielten, könnte mit Hilfe der Klausel der vertragswidrige Zustand durch einen Ausschluß des betroffenen Mitgliedstaates beendet werden. 351

So etwa PeehsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 485 f. Die c1ausula rebus sie stantibus ist eine Ausnahme vom Grundsatz paeta sund servanda (Art. 26 WVRK), der einen tragenden Grundsatz jeder Rechtsordnung und insbesondere der Völkerrechtsordnung darstellt. Die Bedeutung dieses Grundsatzes hat der Internationale Gerichtshof(IGH) zuletzt in seinem Urteil vom 25.7.1997, Ungarn./. Slowakei (Gabcidkovo-Nagymoros-Projekt) - noch nicht in der amtlichen Sammlung betont. Zur ,c1ausula', Berber, Völkerrecht, S.496 f. unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts vgl. Jakob, Sanktionen gegen vertragsbrüchige Mitgliedstaaten, S. 189 ff. Siehe auch das Urteil des EuGH vom 16.6.1998, Racke GmbH & Co . ./. Hauptzollamt Mainz, Rs. C-162/96, EWS 1998, S. 387 (391). 350 Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 828 ff. und §§ 833 f. 351 Vgl. zu diesem völkerrechtlichen Ansatz Herzog, in SmitlHerzog, Kommentar, Nr. 240.06; Sehermers/Blokker, International Institutional Law, § 54; Soldatos, Revue de droit international de science diplomatiques et politiques 47 (1969), S. 257 (266 f.); Stein, in: GötziSelmer/Wolfrum, FS rur Jaenicke, S. 871 (889); Weber, Schutznorrnen und Wirtschaftsintegration, S. 457 f. und 460 f.; Zuleeg, GS rur Sasse, S. 55 (64) und Everling, in: BemhardtiGeck/Jaenicke/Steinberger, FS rur Mosler, S. 173 (189), der diese Problematik im Zusammenhang mit den Grenzen der Verfilgungsmacht der Mitgliedstaaten über den erreichten Integrationsstand erörtert. Die Abkehr eines Mitgliedstaates von demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen ist rur Everling einer der wenigen "außergewöhnlichen Umstände", in denen die Mitgliedstaaten auch außerhalb des 348 349

B. Sanktionsmöglichkeiten nach bisher geltendem Recht

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2. Kritik

174. Die Anwendbarkeit des allgemeinen Völkerrechts 352 auf interne Fragestellungen der europäischen Integrationsverbände ist Gegenstand grundsätzlicher Überlegungen. 353 Für den Bereich des Gemeinschaftsrechts hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß sich die Europäischen Gemeinschaften mit ihrem Binnenrechtsregime der Geltung des Völkerrechts entziehen. 354 Die Abkoppelung der Gemeinschaften von ihren völkerrechtlichen Gründungsverträgen kommt vor allem in den Rechtsinstituten des Vorrangs und der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts zum Ausdruck. Der Europäische Gerichtshof hat aufgrund dieser Charakteristika der Supranationalität in seiner Entscheidung Costa ./. ENEL das Gemeinschaftsrecht in einer mittlerweile bereits klassischen Formulierung als "eigenständige Rechtsordnung" bezeichnet. 355 175. Der Europäische Gerichtshof hat diese Grundauffassung, ebenfalls in einer frühen Entscheidung, dahingehend präzisiert, daß einseitige Maßnahmen eines Mitgliedstaates als Reaktion auf das vertragswidrige Verhalten eines an-

formellen Verfahrens der Vertragsänderung in das Rechtsgefiige der Integrationsverbände eingreifen dürfen. 352 Zwar gehört die Wiener Vertragskonvention nicht zu der in Art. 38 IGH-Statut erwähnten Kategorien des allgemeinen Völkerrechts, doch nehmen die in die Konvention aufgenommenen Rechtssätze eine Sonderstellung ein. Die in ihr genannten Vorschriften verkörpern mehrheitlich vom Internationalen Gerichtshof anerkannte Sätze des Völkergewohnheitsrechts, so daß die Nennung der WVRK im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts gerechtfertigt ist, vgl. IGH, Großbritannien ./. Island (Fischereistreit), Urteil vom 2.2.1973, ICJ-Reports 1973, S. 3; Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschnitt I,Rn. 115. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind wiederum Bestandteil des Rechts der Mitgliedstaaten, vgl. fiir die deutsche Rechtsordnung Art. 25 GG, und damit Gegenstand der vom Gerichtshof zur Fortbildung des Gemeinschaftsrechts geübten wertenden Rechtsvergleichung, vgl. hierzu Schlußanträge GA Grand - Kampfmeyer u. a. ./. Kommission - Verb. Rs. 5, 7, 13-24/66, Sig. 1967, S. 361 (367) und GA Roemer, Zuckerfabrik Schöppenstedt .I. Rat - Rs. 5/71, Sig. 1971, S. 987 (990). 353 Einen Überblick über die vertretenen Ansichten geben Schwarze, EuR 1983, S. 1 (5 ff.); Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 94 ff. und SchweitzeriHummer, Europarecht, Rn. 74 ff. jeweils m. w. N. 354 Diese Ansicht wird getragen von H. P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 1/6, S. 7 und § 2/22 ff, S. 59 ff. sowie Everling, in: BernhardtiGecklJaenicke/ Steinberger, FS fiir Mosler, S. 173 (176). 355 EuGH, Costa./. E.N.E.L. - Rs. 4/64, Sig. 1964, S.1251 (1269). Die Entscheidung in Costa ./. ENEL gewinnt noch durch den Umstand an Bedeutung, daß der Gerichtshof in ihr seine Auffassung zum Status der Gemeinschaftsrechtsordnung revidiert. In dem Urteil des EuGH in der Rechtssache 26/62 - van Gend & Loos ./. Niederländische Finanzverwaltung - war in bezug auf das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch von einer "neue[n] Rechtsordnung des Völkerrechts" die Rede, Sig. 1962, S. I (25).

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deren Mitgliedstaates mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind. 356 Seit dieser Entscheidung hält der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Anwendung klassischer völkerrechtlicher Sanktionsmittel wie der Retorsion und der Repressalie für gemeinschaftsrechtswidrig. 357 Er begründet diese Rechtsauffassung mit einem Hinweis auf die Ausschließlichkeit der gemeinschaftsinternen Streitschlichtungsverfahren (Art. 292 EGV) und vermindert damit im Ergebnis den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten, der ihnen in der Eigenschaft als souveräne Staaten nach dem Völkerrecht prinzipiell zusteht. Die innergemeinschaftlichen Rechtsbeziehungen - um die es sich bei Homogenitätsverletzungen im Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Europäischen Union ausschließlich handeln würde - gehorchen einer gemeinschaftsrechtlichen Ordnung jenseits völkerrechtlichen Einflusses. 358 176. Bei dieser Rechtsprechung ist allerdings zu berücksichtigen, daß die hier in Rede stehenden Homogenitätsverletzungen als Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Vertragspflichten anzusehen sind, die qualitativ nicht in das primärrechdich vorgesehene Streitschlichtungssystem passen. 359 Nach der Gegenansicht, die das Recht der Integrationsverbände über seinen völkerrechtlichen Ursprung hinaus als spezielles Völkerrecht einordnet,360 könnte folglich ergänzend das allgemeine Völkerrecht in denjenigen Bereichen angewendet werden, in denen das Gemeinschaftsrecht keine verbandsinternen, d. h. spezielleren Regelungen vorzuweisen hat. Diese Ansicht wird zusätzlich durch die Tatsache gestützt, daß die innerhalb der Europäischen Union zusammengefaßten Politikbereiche der GASP und der Zusammenarbeit in Strafsachen intergouvernementalen Regeln, d. h. dem "besonderen Völkerrecht" des EU-Vertrages, unterliegen. 361 Die vom Gerichtshof angenommene Ausschließlichkeit gemein-

356 EuGH, Kommission ./. Luxemburg, Belgien - Verb. Rs. 90, 91163, Slg. 1964, S. 1321 (1344). 357 EuGH, Kommission ./. Frankreich - Rs. 7171, Slg. 1971, S. 1003 (1020 f.) und EuGH, The Queen ./. Ministery of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Hedley Lomas (Ire land) Ud. - Rs. C-5/94, Slg. 1996, S. 1-2553 (2611). Vgl. hierzu aus der Literatur Schwarze, EuR 1983, S. 1 (23 f.); Steinhauer, Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten, S. 245 m. w, N. A. A. Bleckmann, RIW/AWD 1978, S. 91 (94); Simma, in: KipplMayer/Steinkamm, FS für v. d. Heydte, S. 615 (628). 358 Schwarze, EuR 1983, S. 1 (36); siehe auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2.10.1997, ABI. Nr. C 325 vom 27.10.1997, S. 26 und den Bericht Alber über die Beziehungen zwischen dem Völkerrecht, dem Gemeinschaftsrecht und dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, A4-278/97, PE 220.225/end, vom 24.9.1997. 359 Siehe dazu die Ausführungen unter Ziff. 7 und Ziff. 184. 360 Spezielles Völkerrecht hier verstanden als Gegenbegriff zum allgemeinen Völkerrecht. Die zitierte Ansicht wird etwa vertreten von Meng, Recht der internationalen Organisationen, S. 119 ff. und S. 162 ff.; Bleckmann, DÖV 1978, S. 391 ff. 361 Vgl. etwa Art. 35 EUV, wonach der Gerichtshof in Anlehnung an Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut erst durch fakultative Erklärung der Mitgliedstaaten im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Übereinkommen nach Titel VI EU-Vertrag entscheidet.

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schaftsinterner Streitschlichtung kann also ohnehin nur noch filr das Gemeinschaftsrecht, als einem Teilbereich der Integration, Gültigkeit beanspruchen. 177. Nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht sind die Regeln des allgemeinen Völkerrechts im Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten nicht anwendbar. Der Rückgriff auf die Wiener Vertragsrechtskonvention ist nicht möglich. 362 178. Selbst wenn man diesem prinzipiellen Standpunkt nicht zu folgen vermag, bestehen gewichtige Bedenken gegen eine völkerrechtliche Rechtsgrundlage zur Sanktionierung von Homogenitätsverstößen der Mitgliedstaaten. Zunächst ermöglicht Art. 62 WVRK als Rechtsfolge nicht den Ausschluß eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union. Um dieses Ergebnis - die Fortfilhrung des Integrationsprozesses ohne den betroffenen Staat - zu erhalten, müßten die vertragstreuen Mitgliedstaaten auf der Grundlage der clausula rebus sie stantibus gemeinsam aus der Union austreten und diese anschließend neu gründen. 363 Ein konstruiertes Verfahren, das in seiner Umständlichkeit kaum zu überbieten wäre. Nach Art. 60 Abs. 4 WVRK bleiben besondere Vertragsbestimmungen unberührt, die auf den Fall von Vertragsverletzungen anwendbar sind, so daß Art. 60 Abs. 2 WVRK nicht anwendbar wäre. Aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts ließe sich eine - wenn auch in ihrem Inhalt und Umfang unbestimmte - Handlungskompetenz der Europäischen Union ableiten. 364 Folglich bleibt kein Raum ftlr die subsidiäre Anwendung des allgemeinen Völkerrechts, unabhängig von der Frage, in welche Kategorie das Unionsrecht letztlich einzuordnen ist. Die Sanktionierung auf völkerrechtlicher Grundlage würde zudem ausschließlich den Mitgliedstaaten das Recht einräumen, ohne Beteiligung der Organe über Form und Umfang der Mitgliedschaft eines betroffenen Staates zu entscheiden. 365 Da Fragen der Mitgliedschaft auch bisher schon unter Beteiligung der Organe der Europäischen Union entschieden wurden, manifestierte eine solche Nichtberücksichtigung einen Systembruch.

362 Wie hier Everling, in: BernhardtiGeck/Jaenicke/Steinberger, FS fiir Mosler, S. 173 (183); Schwarze, EuR 1983, S. 1 (30 t1); Ehlermann, EuR 1984, S. 1 J3 (124); Oppermann, Europarecht, Rn. 508; E. Klein, in: HailbronnerlE. KleinIMagieraIMüllerGraff, Handkommentar EGV/EUV, Art. 240, Rn. 2; Tomuschat, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 24 Rn. 99; Hilf, in: v. d. GroebenlThiesinglEhlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. 240 Rn. 6 m. w. N. in Fn. 1I. 363 Vgl. Soldatos, Revue de droit international de science diplomatiques et politiques 47 (1969), S. 257 (266f.); Zuleeg, in: BieberlBleckmanniCapotorti, GS fiir Sasse, S. 55 (64) und Herzog, in: SmitIHerzog, Kommentar, Nr. 240.06. 364 Siehe dazu die Ausfiihrungen unter Ziff. 169 f. 365 Auf diesen Umstand weist Schwarze hin, EuR 1983, S. 1 (30).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

V. Zusammenfassende Stellungnahme Aus den vorgenannten Überlegungen zu den einzelnen Lösungsansätzen lassen sich vier Aspekte grundsätzlicher Kritik zusammenfassen:

I. Veränderte rechtstatsächliche Voraussetzungen im europäischen Integrationsprozeß 179. Die referierten Lösungsansätze sind nahezu vollständig vor dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union formuliert worden. Sie beziehen sich deshalb ausschließlich auf die Europäischen Gemeinschaften als die alleinigen institutionellen Träger des Integrationsprozesses. Die Sanktionierung von Homogenitätsverstößen auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts366 findet ihre Grenze zum einen in den von der Europäischen Union umfaßten intergouvemementalen Regelungsbereichen (sogenannte zweite und dritte Säule). Zum anderen ist die Gewährleistung der Homogenität mit der Mitgliedschaft verknüpft, die seit dem Inkrafttreten des EU-Vertrages ausschließlich in der Union möglich ist. Bestätigung dieses Umstandes ist gerade auch die Aufnahme von Art. 6 Abs. 1 EUV in Art. 49 EUV. 367 Es ist deshalb nur konsequent, auch die Rechtsgrundlage fiir die Sanktionierung von Homogenitätsverstößen im Recht der Europäischen Union zu verankern. Die Lösungsansätze, die dem Europäischen Gerichtshof eine zentrale Rolle bei der Gewährleistung der Homogenität zusprechen wollen, sehen sich mit einem zusätzlichen Problem konfrontiert. Dem Gerichtshof muß die Zuständigkeit filr Streitigkeiten auf der Grundlage des EU-Vertrages - abweichend von der Konzeption des Gemeinschaftsrechts368 - ausdrücklich zugewiesen worden sein (Art. 46 EUV).

2. Notwendigkeit der Beteiligung von Organen und Mitgliedstaaten 180. Während die Lösungsvorschläge auf der Grundlage von Art. 169 EGV a. F. und Art. 224, 225 EGV a. F. die Organe der Gemeinschaften und den betroffenen Mitgliedstaat im Rahmen der in den genannten Bestimmungen enthaltenen Verfahrensregelungen beteiligen, sind die Auffassungen über allge-

Art. 169 EGV a. F. und Art. 224,225 EGV a. F. Siehe dazu oben Ziff. 86. 368 Nach Art. 220 EGV hat der Gerichtshof im Rahmen des EG-Vertrages eine umfassende Zuständigkeit filr alle Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Vertrages; vgl. Pernice, in: GrabitzJHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 164 Rn. 7 ff. 366 367

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meine Rechtsgrundsätze und das Völkerrecht an der Rechtsfolge orientiert. Sie machen keine Aussage über das Beteiligungsverfahren. 181. Ein Verfahren zur Sanktionierung von Homogenitätsverletzungen hat sowohl die Organe als auch den betroffenen Mitgliedstaat angemessen zu beteiligen. Für die Organe folgt dies aus ihrer Rolle im Beitrittsverfahren (Art. 49 Abs. I EUV). Diese Rolle gebietet es, den Organen spiegelbildliche Beteiligungsrechte auch bei der Sanktionierung der Mitgliedschaft zuzugestehen. Für den betroffenen Mitgliedstaat folgt dieses Beteiligungsrecht aus dem Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, wie er z. B. auch dem Anhörungsrecht des Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 Abs. I EGV zugrunde liegt. Zwar erfiHlen die Vorschläge Froweins diese Kriterien, doch werden in beiden Fällen weder dem Rat noch dem Parlament Aufgaben zugewiesen, obwohl beide Organe aufgrund ihrer Stellung im institutionellen Gefiige dazu berufen wären. Der Rat ist als Organ der Mitgliedstaaten das entscheidende politische Organ auf Gemeinschaftsebene. Eine noch bedeutendere Position nimmt der Europäische Rat ein, der die politischen Leitentscheidungen auf der Ebene der Union trifft (Art. 4 EUV). Der Rat entscheidet über die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union. Es wäre deshalb durchaus naheliegend, diesem Gremium (Rat der Europäischen Union) auch die gegenteilige Entscheidung über die Sanktionierung der Mitgliedschaft treffen zu lassen. Das Europäische Parlament sollte an dem Entscheidungsprozeß im Sanktionsverfahren beteiligt sein, weil es erstens der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten zustimmen muß und es deshalb spiegelbildlich auch der Sanktion zustimmen müßte, wenigsten jedoch vor einer Sanktionsentscheidung angehört werden sollte. Zweitens könnte das Europäische Parlament als direkt gewählte Vertretung der Völker der Mitgliedstaaten, die von einer Sanktionsentscheidung möglicherweise betroffenen Interessen der Unionsbürger und Unternehmen vertreten. Drittens würde die Beteiligung des Parlaments die Konsensbasis der Entscheidung verbreitern und damit die Akzeptanz der Sanktionierung eines Mitgliedstaates ilirdern.

3. Hohes Maß an Rechtssicherheit und Bestimmtheit

182. Das Fehlen einer kodifizierten Rechtsgrundlage, eines detaillierten Verfahrens und spezifischer Rechtsfolgen erschwert die Ahndung von Homogenitätsverletzungen. Die Lücke im kodifizierten Recht ermöglicht es insbesondere den gegenüber einem konkreten Sanktionsverfahren kritisch eingestellten Mitgliedstaaten sich unter Hinweis auf formale Zulässigkeitsbedenken einer Entscheidung in der Sache zu entziehen. Ein Tätigwerden der Europäischen Union auf der Grundlage ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsätze würde sich zwangsläufig dem Vorwurf einer fehlenden Ermächtigungsgrundlage und Verfahrensgarantien ausgesetzt sehen, was in letzter Konsequenz auf einen Will-

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

kürvorwurf hinausliefe. Berücksichtigt man die Umstände, unter denen Homogenitätsverletzungen virulent werden - etwa eine Verfassungsumwälzung, Revolution oder ein Staatsstreich -, ist jede Unsicherheit im Bereich formaler Anforderungen an ein Handeln der Union zu vermeiden. 369 183. Je geringer die Reibungsverluste im Verfahrensbereich sind, desto größere Kräfte können auf die materiellen Voraussetzungen, d. h. der Frage nach dem "ob" der Sanktion gelenkt werden. Neben dem betroffenen Mitgliedstaat könnte die mangels eindeutiger Rechtsgrundlage und Verfahrensvorschriften erwachsende Rechtsunsicherheit auch andere Mitgliedstaaten ermutigen, sich mit dem Hinweis auf formale Bedenken der politisch heiklen Entscheidung über die Homogenitätsverletzung zu entziehen. Abhilfe kann in dieser Hinsicht nur über die Einführung einer kodifizierten Rechtsgrundlage geschaffen werden, in der Tatbestandsvoraussetzungen, Verfahren und die möglichen Rechtsfolgen genannt werden.

4. Unklare Rechts/algen einer Sanktianierung

184. Der Europäischen Union und den Gemeinschaften fehlt eine Zwangsgewalt, durch die Rechtstitel auch gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt werden können. Zwar sind titulierte Forderungen der Gemeinschaft vollstreckungsfähig/ 70 jedoch muß die Gemeinschaft zu diesem Zweck auf die Behörden der Mitgliedstaaten zurückgreifen. 371 Das vertragswidrige Verhalten der Mitgliedstaaten wird grundsätzlich nur durch die Feststellung der Vertrags verletzung sanktioniert372 und kann bei fortgesetzter Verletzung zusätzlich durch

369 Zum Grundsatz der Rechtssicherheit in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes siehe EuGH, Kledingverkoobedrijt ./. Bosch GmbH, Rs. 13/61, Slg. 1962, S. 97 (113); EuGH, Defrenne ./. SABENA, Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455 (480), siehe zusammenfassend die Nachweise bei Pernice, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 169 Rn. 89 f. Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes Borchardt, EuGRZ 1988, S. 309 ff. Umfassend mit rechtsvergleichender Analyse der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 846 ff. und S. 918 ff. 370 Vgl. Art. 244, 256 EGV. 37\ AusfiihrIich zu den Sanktionsmitteln der Gemeinschaften gegenüber natürlichen und juristischen Personen Lenaerts, EuR 1997, S. 17 ff. und Teske, EuR 1992, S. 265 (271 ff.). Vgl. dazu die Leitentscheidung des EuGH, , Hoechst AG .I. Kommission Verb. Rs. 46/87 und 227/88, Slg. 1989, S. 2859 (2926 ff.); vgl. auch Art. 14 Abs. 5 VO Nr. 17 (KartellVO) vom 6.2.1962, ABI. vom 21.2.1962, S. 204 ff.; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 3385/94, ABI. Nr. L 377 vom 31.12.1994, S. 28. Siehe auch den Kommissionsvorschlag für eine Änderungsverordnung KOM (1998) 546 endg., ABI. Nr. C 365 vom 26.11.1998, S. 30. 312 Über die Frage der Sanktionswirkung eines Feststellungsurteils siehe unter Ziff. 262 und die Nachweise in Fn. 517.

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die Verhängung eines Zwangsgeldes oder Pauschalbetrages nach Art. 228 Abs.2 EGV geahndet werden. 373 Bei Vertragsverletzungen im Rahmen der Art. 226 bis 228 EGV handelt es sich um Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Einzelfall, die die Funktionsfiihigkeit der Gemeinschaften in der Regel nicht beeinträchtigen. Der betroffene Mitgliedstaat nimmt weiterhin in vollem Umfang an der Integration teil und wird, dem Selbstverständnis als Mitglied einer Rechtsgemeinschaft folgend, den vertragswidrigen Zustand nach erfolgter Feststellung durch den Gerichtshof spätestens nach der Androhung eines Zwangsgeldes abhelfen. 374 185. Die Situation ändert sich, wenn die Intensität der Vertragsverletzung zunimmt. Handelt ein Mitgliedstaat in einer Weise vertragswidrig, deren Motivation die grundsätzliche Ablehnung des Integrationsprozesses offenbart, so bedarf es eines wirksameren Sanktionsmittels. Denn durch den schwerwiegenden Vertragsbruch - als ein solcher stellt sich eine Homogenitätsverletzung regelmäßig dar - zeigt der betroffene Mitgliedstaat seine mangelnde Interessensolidaritäe 7s und stellt damit die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union in 373 Zu einem im Primärrecht nicht enthaltenen, dafilr aber in der Praxis bedeutenden Zwangsmittel hat sich die Anlastungspraxis der Kommission im sogenannten Rechnungsabschlußverfahren ("Anlastungsverfahren") des Agrarsektors entwickelt. Zahlt ein Mitgliedstaat an die Begünstigten im Landwirtschaftssektor eine Geldsumme entgegen den Gemeinschaftsregelungen aus, wird der Betrag von der Kommission nicht aus dem Europäischen Ausgleichs- und Garantiefond filr die Landwirtschaft (EAGFL) zurückerstattet. Dadurch werden diese Ausgaben dem nationalen Haushalt angelastet. Diese Praxis filhrt zu einer besonderen Aufinerksamkeit der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Niederlande./. Kommission-Rs. 11/76, Slg. 1979, S. 245 (259); EuGH, Frankreich./. Kommission, Verb. Rs. 15 und 16/76, Slg. 1979, S. 321 (339); EuGH, Luxemburg ./. Kommission, Rs. 49/83, Slg. 1984, S. 2931 (2943). Zuletzt bestätigt durch EuGH, Großbritannien ./. Kommission, Rs. C-209/96, Slg. 1998, S. 1-5655. Ausfilhrlich zum Rechnungsabschlußverfahren Scherer, EuR 1986, S. 52 ff. m. w. N. Zu den Verrechnungsmöglichkeiten bei der Verwaltung des Europäischen Sozialfonds siehe Jakob, Sanktion mitgliedstaatlicher Vertragsverletzung, S. 94 f. 374 Für diese Einschätzung sprechen die bisherigen Erfahrungen mit dem Vertragsverletzungsverfahren. Bislang hat der Gerichtshof trotz mehrfacher Anträge seitens der Kommission noch keine Entscheidung nach Art. 228 Abs. 2 EGV getroffen, vgl. hierzu den Fünfzehnten Jahresbericht der Kommission über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts (1997), KOM (1998), 317 endg. vom 19.05.1998, ABI. Nr. C 250 vom 10.8.98, S. 1 ff. 375 Alle Erscheinungsformen sozialen Lebens werden von subjektiven Kräften - den Interessen - geprägt. Zur Erhaltung und Verwirklichung der hinter den Interessen stehenden Werte, schließen sich die Akteure des sozialen Lebens zusammen. Sie gründen Verbände unterschiedlicher Größe und Komplexität, die sowohl Regeln des Rechts als auch denen der Sittlichkeit unterliegen. Letztere fallen in die Kategorie der Unterscheidung von Gut und Böse und scheiden damit als Frage der Ethik in einer rechtswissenschaftlichen Arbeit von der weiteren Betrachtung aus. Die alleinige Aufmerksamkeit gilt den organisierten Interessengemeinschaften. In Anlehnung an Max Hubers Formulierung in seiner Schrift über die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, läßt sich die These aufstellen, daß das Recht der Europäischen Integrationsverbände der rechtliche

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

Frage. Der fortdauernde Vertragsbruch ist in diesem Fall nicht hinnehmbar. Die Erosion der Konstruktionsprinzipien der Union kann nur durch die Sanktionsmittel der Deklaration eines Vertragsverstoßes und der Verhängung eines Zwangsgeldes oder Pauschalbetrages nicht erfüllt werden. Beide Mittel stellen keine angemessene Verknüpfung von Vertragsverstoß und Sanktion im Falle einer Homogenitätsverletzung her. Der betroffene Mitgliedstaat kann trotz Verstoßes gegen das Homogenitätsgebot weiterhin an dem Willensbildungsprozeß und den Entscheidungen der Union und der Gemeinschaften teilnehmen; er kann weiterhin die materiellen Vorteile in Form fmanzieller Rückflüsse aus den Haushalten der Gemeinschaften in Anspruch nehmen und er partizipiert über die Wohlfahrtsgewinne seiner Volkswirtschaft von den Grundfreiheiten der Gemeinschaftsverträge. 186. Die Aussetzung von Vorteilen aus der Mitgliedschaft in der Union (Suspendierung) ist das einzige Sanktionsmittel, das im Rahmen der Möglichkeiten der Europäischen Union die Zufügung eines dauerhauften und spürbaren Nachteils gegenüber dem betroffenen Mitgliedstaat ermöglicht. 376 Die Suspendierung ist gegenüber der Beendigung der Mitgliedschaft - soweit man letztere überhaupt als zulässig betrachtet377 - in jedem Fall vorzugswürdig. Das folgt bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der als Ausformung des Rechtsstaatsprinzips für alle rechtlich bedeutsamen Tatbestände in der Europäischen Union Geltung beansprucht. Danach ist dem jeweils mildesten Mittel der Vorzug zu geben, soweit der angestrebte Zweck mit gleichbleibender Effektivität erreicht wird. 378 Wäre der einseitig verfügte Ausschluß eines Mitglied-

Niederschlag dauernder Kollektivinteressen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist. Vgl. im einzelnen zum Begriff des Interesses als Handlungsmotiv der Integration Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, S.49 ff.; Kraus, Niemeyers Zeitschrift tUr internationales Recht 49 (1934), S. 22 ff. und Gasteyger, Politische Homogenität, S. 4 ff. und S. 115 ff. 376 Vgl. Oldenhage, ArchVR 12 (1964/65) S. 249 (262). Vgl. hierzu konkret Art. 104 Abs. 11 EGV, der dem Rat gegenüber Mitgliedstaaten eine Sanktionskompetenz tUr den Fall einräumt, daß der betroffene Mitgliedstaat und Teilnehmer an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion den Empfehlungen gemäß Art. 104 Abs. 7 und 9 EGV nicht nachkommt. Vgl. ferner Art. 6 der VO (EG) Nr. 1164/94 des Rates vom 16.05.1994 zur Errichtung des Kohäsionsfonds, ABlEG Nr. L 130 v. 25.05.1994, S. 1 ff. Nach Art. 6 können die Finanzierungen aus dem Kohäsionsfond gegenüber einem Mitgliedstaat ausgesetzt werden, wenn dieser seinen Verpflichtungen aus Art. 104 EGV verletzt. 377 Dazu unter Ziff. 316 ff. J78 Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Gemeinschaftsrecht siehe Art. 5 Abs. 3 EGV. Zur ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes vgl. EuGH, FEDECHAR.I. Hohe Behörde, Rs. 8/55, Slg. 1954-56, S. 245 (299); EuGH, Tesa, Maggio, Vitale ./. Bundesanstalt tUr Arbeit, Verb. Rs. 41, 121, 796179, Slg. 1980, S. 1979 (1997); EuGH, Schräder ./. Hauptzollamt Gronau, Rs. 265/87, Slg. 1989, S.2237 (2269); EuGH, Deutschland ./. Rat, Rs. C-359/92, Slg. 1994, S.I-3681 (3713 ff.); EuGH, Pietsch ./. Hauptzollamt Hamburg-Waltershof, Rs. C-296/94, Slg. 1996, S. 1-3409 (3417); Usher, General Principles of EC Law, S. 37 ff; umfänglich

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen

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staates aus der Europäischen Union ein zulässiges Sanktionsmittel, so hätte in der Anwendung die Suspendierung der Mitgliedschaft als milderes Sanktionsmittel stets Vorrang. Obwohl die beiden Sanktionsmittel in ihrer faktischen Wirkung gleichbedeutend sind, ließe das Mittel der Suspendierung außerdem die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen des betroffenen Staates unberührt.

VI. Zwischenergebnis - Nulla sanctio, sine lege 187. Das kodifizierte Recht der Europäischen Union enthält keine Bestimmung, nach der die Sanktion mitgliedstaatlicher Homogenitätsverletzungen möglich wäre. Es ist anzunehmen, daß die Europäische Union diese Vertragslücke in einem entsprechenden Fall durch die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze geschlossen hätte. Eine solche ungeschriebene Rechtsgrundlage wird allerdings den fUr einen solchen Extremfall zu stellenden Anforderungen an die Rechtssicherheit - im Sinne einer unbestrittenen Handlungskompetenz und im Hinblick auf klare Verfahrensvorschriften sowie Rechtsfolgen - nicht gerecht. Die Sanktionierung eines Mitgliedstaates bedeutet die Zufügung von Nachteilen. Die Rechtsstaatlichkeit fordert fi1r Eingriffe in die Rechte eines Individuums eine gültige Rechtsgrundlage; bei einem strafenden Zugriff sogar eine zum Tatzeitpunkt kodifizierte Norm. Deshalb kann fi1r die Sanktionierung von Homogenitätsverletzungen im Verhältnis von Staaten oder innerhalb eines zusammengesetzten Verbandes nichts anderes gelten. Die Notwendigkeit einer eigenständigen Rechtsgrundlage läßt sich darüber hinaus mit einem allgemeinen Prinzip begründen. In Anlehnung an das Strafrecht kann - im Hinblick auf Homogenitätsverletzungen - die Maxime nulla sancrio, sine lege formuliert werden. 379

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen 188. In Fortführung der im zweiten Kapitel behandelten Homogenitätsklauseln einiger zusammengesetzter Verbände des Staats- und Völkerrechts,380 werden diese Bezüge in zwei Abschnitten über das Staatsrecht (I) und das Völkerrecht (11) wieder aufgenommen. Die Rechtsordnungen jener Verbände wer-

auch in rechtshistorischer Hinsicht Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 11, S. 662 ff., zum gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders S. 692 ff. 379 Zur Geltung des Grundsatzes nulla poena sine cu/pa als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts siehe Böse, Strafe und Sanktion im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 149 f. 380 Siehe Ziff. 15 bis 23.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

den konkret im Hinblick auf ihre Mechanismen zur Gewährleistung der Homogenität untersucht. Die so gewonnenen Ergebnisse haben als Vergleichsmaterial Bedeutung rur das Verständnis und die Auslegung des Art. 7 EUV.

I. Mechanismen auf der Ebene des Staatsrechts 1. Deutschland 189. Der Bund ist nach Art. 28 Abs. 3 GG verpflichtet, die in Art. 28 Abs. 1 und 2 GG genannten Rechte und Einrichtungen zu gewährleisten, d. h. er sichert die Einhaltung der Grundrechte sowie der Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates durch die Bundesländer. Aus dem Wortlaut des Begriffs "gewährleisten" folgt als Sinn und Zweck der Vorschrift, daß der Bund durch die Regelung in Absatz 3 in rechtlich bindender Weise versprochen hat, gegen ein Bundesland im Falle der Verletzung von Homogenitätselementen tätig zu werden. 381 190. Als Rechtsfolge bei Verletzungen des Art. 28 Abs. I GG ist von der Nichtigkeit der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen auszugehen. 382 Art. 28 Abs. 3 GG enthält keine Aussage über die Mittel der Gewährleistung. Zur Errullung seiner Gewährleistungsverpflichtung kann der Bund auf die Handlungsmöglichkeiten gemäß der Art. 35, 37, 84, 85, 91 und 93 GG zurückgreifen. Bundesintervention (Art. 35 Abs. 3, 87a Abs. 3, 4 und Art. 91 Abs.2 GG), Bundeszwang (Art. 37 GG) und Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 3,4 und Art. 85 Abs. 3 GG) waren als Rechtsinstitute bereits Bestandteil früherer deutscher Verfassungen und wurden lediglich im Detail den Strukturen des Grundgesetzes angepaßt. 383 Daneben kann der Bund das Bundesverfassungsgericht anrufen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 GG). 191. Die Verpflichtung des Bundes erschöpft sich in einem Tätigwerden als solchem, d. h. die Verfassung des betroffenen Bundeslandes wird auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Art. 28 Abs. 1 und 2 hin überprüft. Das Ermessen des Bundes bei der Auswahl der Gewährleistungsmittel hat sich durch die Verfassungspraxis dahingehend eingeengt, daß - abgesehen von Eilfallen - der Bund dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt. Als mildestes Mittel wird er dabei stets die verfassungsrechtliche Streitschlichtung vor dem

38\ Zu dieser Verpflichtung des Bundes siehe Maunz/Schotz, in: MaunzIDürig, GGKommentar, Art. 28 Rn. 85; Dreier, in: ders., GG-Kommentar, Art. 28 Rn.170 m. w. N.; Frowein, Selbständige Bundesaufsicht, S. 66 f.; BVerfGE 1, 14 (33). 382 Dreier, in: ders., GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 76; Stern, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 28 Rn. 14; Nierhaus, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 28 jeweils m. w. N. 383 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 19 III 6, S. 713 f.

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen

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Bundesverfassungsgericht zu unternehmen haben. 384 Dabei unterliegt der Bund dem Übermaßverbot, so daß die möglichen Gewährleistungsmittel nach der Intensität ihrer Zwangswirkung anzuwenden sind. Die verfassungstreuen Bundesländer haben einen Anspruch auf das Tätigwerden des Bundes zugunsten der bundesstaatlichen Ordnung. 385 Ein Anspruch auf das Ergreifen bestimmter Maßnahmen, etwa die Erteilung von Weisungen oder Ersatzvornahmen im Rahmen des Bundeszwanges, besteht dagegen nicht. 386

2. Schweiz 192. Die Kantone des schweizerischen Bundesstaates sind nach Art. 6 Abs. I BV verpflichtet, fiir ihre Verfassungen bzw. deren vollständige oder teilweise Revision die Gewährleistung des Bundes einzuholen. 387 Bei dieser Gewährleistung handelt es sich rechtstechnisch um eine Genehmigung, die von der Bundesversammlung (Art. 85 Ziff. 7 BV) auf Antrag des Bundesrates erteilt wird. 388 Die Bundesversammlung übt in diesem Verfahren eine Rechtskontrolle aus, indem sie die Kantonsverfassungen mit den inhaltlichen Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 BV vergleicht. 389 Damit verkörpert Art. 6 BV die Garantie fiir die demokratischen und freiheitlichen Rechte aller Bürger des schweizerischen Bundesstaates. 39O 193. Stört ein Kanton absichtlich die öffentliche Ordnung, indem es bundesgerichtliche Entscheide nicht vollzieht, die Kantonsverfassung und damit die Normativbestimmung des Art. 6 BV oder andere Vorschriften der Bundesverfassung mißachtet, stehen dem Bund Zwangsmaßnahmen in Form der Bundesexekution zur Verfilgung. Es obliegt grundsätzlich der Bundesversammlung, gemäß Art. 85 Ziff. 8 BV geeignete Zwangsmaßnahmen gegen die Kantone zwecks Erfilllung ihrer bundesstaatlichen Pflichten zu beschließen. Als letztes Mittel gegenüber einem renitenten Kanton ist schließlich auch militärische GeVgl. Löwer, in: v. MünchlKunig, GG-Kommentar, Bd. 11, Art. 28 Rn. 106. BVerfGE 9, 268 (277). Siehe auch Pieroth, in: JarasslPieroth, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 16; Maunz, in: IsenseelKirchhof, HdbStR, Bd. IV, § 95 Rn. 20. AA Frowein, Selbsständige Bundesaufsicht, S. 71; Löwer, in: von MünchlKunig, GG-Kommentar, Bd. 11, Art. 28 Rn. 103 unter Hinweis auf die Handlungsfähigkeit der Bundesländer gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 GG. 386 So MaunzlScholz, in: MaunzIDürig, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 87. 387 Saladin bezeichnet diese Ausgestaltung als "präventive Rechtskontrolle", in Aubert, Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, Art. 6 Rn. 34. Vgl. auch Häberle, JöR 34 (1985), S. 303 (340 fI). 388 Zur Rechtswirkung der Gewährleistung siehe HäfeliniHaller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Rn. 253 fT. 389 Zum Inhalt des Art. 6 Abs. 2 BV siehe die Ausfiihrungen unter Ziff. 17. 390 Gasteyger, Politische Homogenität, S. 51 f.; Harngartner, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, S. 85 ff. 384 385

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

walt zulässig. 391 Dieses Zwangsmittel ist indessen die ultima ratio einer großen Anzahl breitgefiicherter Möglichkeiten, das Verhalten kantonaler Stellen in Einklang mit der Kantons- und Bundesverfassung zu bringen. Sie reichen von der generellen Verwaltungsanweisung in Form des Kreisschreibens über bundesrätliche Verfügungen bis hin zur Einsetzung eines Bundeskommissärs und haben Ähnlichkeit mit den vergleichbaren Regelungen des Grundgesetzes.

3. Österreich

194. Die österreichische Bundesverfassung ist von der Tendenz geleitet, alle Differenzen zwischen Organen des Bundes und der Länder durch ein unabhängiges Organ regeln zu lassen. 392 Der Verfassung fehlen folglich Bestimmungen, nach denen der Bund gegenüber den Gliedstaaten Sanktionen filr Pflichtverletzungen verhängen kann. Bundeszwang und Bundesexekution sind nicht vorgesehen. 393 Statt dessen werden einzelne Personen oder Organe filr ein eventuelles Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen. Da die allgemeine Sicherheitspolizei und die gerichtliche Strafrechtspflege nach Art. 10 B-VG Bundessache sind, kann der Bund bereits auf diesem Wege in den Ländern tätig werden. Es ist im wesentlichen der Verfassungsgerichtshof, der mit der Garantie der bundesstaatlichen, rechtstaatlichen und demoraktischen Struktur betraut ist. Da sich die Homogenitätsverletzung eines Gliedstaates häufig als Kompetenzverletzung darstellen wird, kommt der Exekution der "Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes" besondere Bedeutung ZU. 394 Gemäß Art. 146 Abs. 2 B-VG erteilt der Bundespräsident zu diesem Zweck Weisungen an die nach seinem Ermessen ausgesuchten Bundes- oder Landesorgane einschließlich des Bundesheeres. 39S Des weiteren kann ein Landtag gemäß Art. 100 B-VG vom Bundespräsidenten auf Antrag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates zwangsweise aufgelöst werden. Schließlich kann das Bundesheer gemäß Art. 79 Abs. 2 B-VG zum Schutz der "verfassungsmäßigen Einrichtungen" eingesetzt werden, worunter auch die Homogenität der im Bund und den Ländern herrschenden Staatsform zu verstehen ist. 396

391 Hierzu FleineriGiacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 146 tT.; vgl. dies. zur Abgrenzung der militärischen Bundesexekution von der "eidgenössischen Intervention", ebenda, S. 148 f. 392 AdamovichiSpanner, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, S. 125. 393 Ermacora, Österreichische Verfassungslehre, Nr. 79.4., S. 326. 394 Nach Art. 138 Abs. 1 lit. c B-VG ist der Verfassungsgerichtshof tUr Komptenz-

konflikte zwischen dem Bund und den Ländern sowie Komptenzfeststellungen zuständig. 395 Weisungen gegen ein Land bedürfen gemäß Art. 67 B-VG der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder des zuständigen Bundesministers. 396 Ermacora, Österreichische Verfassungslehre, Nr. 79.4., S. 326.

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen

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4. Vereinigte Staaten von Amerika 195. Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika verbindet die Garantie der territorialen Integrität, d. h. die Abwehr äußerer Gefahren (Art. IV Sec. 3, 4 a.E.), mit der Gewährleistung der republikanischen Regierungsform als Sicherung gegen innere Verfassungsumwälzungen. 397 Obwohl sich die Verfassung mit Art. IV Sec. 4 S. 1 verpflichtet, jedem Gliedstaat die republikanische Regierungsform zu garantieren, enthält die Verfassungs urkunde keinerlei Angaben über die Art und Weise der Gewährleistung dieser Verpflichtung. Grundsätzlich obliegt die Aufsicht über die Innehaltung der Verfassung den Spitzen der Exekutive, Legislative und Judikative im Bund. Welche Organe der drei Gewalten konkret berufen wären, die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bundes zu gewährleisten, ist somit der Verfassungspraxis überlassen. Nachdem es der oberste Gerichtshof in Anwendung seiner "politica/ question doctrine" abgelehnt hat, diese Frage zu entscheiden, obliegt es dem Kongreß und vor allem dem Präsidenten als ,,politica/ branches 0/ government' notfalls durch den Einsatz der Nationalgarde oder der Armee alle notwendigen Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Bestimmung zu ergreifen. 398 Die Bestimmung hat in der amerikanischen Geschichte bisher keine praktische Relevanz erlangt. 399 Das Fehlen weiterer Gewährleistungsinstrumente hat seinen Grund in der fi>deralen Konzeption der Vereinigten Staaten. Das amerikanische Verfassungsrecht erkennt nicht an, daß ein Staat Widerstand gegen die Bundesgewalt leistet. Vielmehr sind es Einzelpersonen oder Personenmehrheiten, die im Namen des Staates handeln und in dieser Eigenschaft eine Rechtsverletzung begehen. Es obliegt den Bundesgerichten, eine Ungesetzlichkeit festzustellen. Der Präsident ist verpflichtet, die Entscheidungen der Gerichte notfalls mit Zwangsgewalt durchzusetzen. Widersetzt sich der Staat gegen ein Urteil, dann machen sich die ihn vertretenden Beamten der Mißachtung des Gerichts - contempt 0/ court - schuldig. 400

Dreier, in: ders., GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 16. Vgl. Gasteyger, Politische Homogenität, S. 71. Auf dieser Grundlage schritt der Bund im Jahre 1957 unter Einsatz der Nationalgarde und der Armee gegen den Bundesstaat Arkansas ein. Der Gouverneur des Staates, O. E. Faubus, hatte sich fortwährend geweigert, den Entscheidungen eines Bundesgerichts zu entsprechen und die Rassentrennung an den Schulen des Landes aufzuheben, hierzu Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 114 tf.; vgl. jüngst Wie/and, FAZ Nr.223 vom 25.9.1997, S. 3; Frowein, Michigan Law Review 1982, S. 1311 (1313 f.) und Fn. 24. Frowein verweist außerdem auf Homogenitätsregelungen in den Verfassungen Australiens, Kanadas und Indiens, ebenda, S. 1313. 399 Siehe dazu Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 91 f. m. w. N. Vgl. auch Merritt, Columbia Law Review 1988, S. 1 (29 ff.) 400 Siehe dazu Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 110 ff. und S. 467 ff. 397

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11. Mechanismen auf der Ebene des Völkerrechts 1. Europarat

196. Die Satzung des Europarates enthält mit Art. 8 eine Vorschrift zur Durchsetzung der Anforderungen an die Mitgliedstaaten. 401 Macht sich ein Mitglied des Europarates "einer schweren Verletzung der Bestimmungen des Art. 3 schuldig", so kann das mitgliedstaatliche Recht auf Vertretung in den Organen des Europarates vorläufig entzogen werden. 402 Der Ministerrat kann den betroffenen Staat zusätzlich auffordern, aus dem Europarat auszutreten (Art. 7). In konsequenter Fortfilhrung dieser Bestimmung ermächtigt Art. 8 den Ministerrat, das Nichtbestehen der Mitgliedschaft festzustellen, wenn der Mitgliedstaat dieser Aufforderung nicht nachkommt. 197. Der Sanktionsmechanismus nach Art. 8 der Satzung ist in der Geschichte des Europarates bisher noch nicht angewendet worden. Griechenland verließ 1969 nach dem Militärputsch freiwillig den Europarat, als sich das Ministerkomitee anschickte, die griechische Mitgliedschaft zu suspendieren. 403 Die Türkei wurde vom August 1981 bis zum Mai 1984 wegen wiederholter Menschenrechtsverletzungen von der Teilnahme an der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ausgeschlossen. Dieser Schritt kam einer faktischen Suspension der Mitgliedschaftsrechte gleich. 404 Die Beitrittsverhandlungen mit Rußland wurden 1995 wegen des Krieges in Tschetschenien und des Zweifels an der Anwendung des Rechtsstaatsprinzips ausgesetzt. 405

401 Art. 8 der Satzung des Europarates lautet: "Jedes Mitglied des Europarates, das sich einer schweren Verletzung der Bestimmungen des Art. 3 schuldig macht, kann sein Recht auf Vertretung vorläufig entzogen und es kann vom Ministerkomitee aufgefordert werden, gemäß den in Art. 7 vorgesehenen Bestimmungen seinen Austritt zu erklären. Kommt es dieser Aufforderung nicht nach, so kann das Komitee beschließen, daß das Mitglied von einem vom Komitee zu bestimmenden Zeitpunkt an dem Rat nicht mehr angehört." 402 Für den Wortlaut des Art. 3 und den inhaltlichen Anforderungen an die Mitgliedschaft im Europarat siehe oben unter Ziff. 22. 403 Vgl. Schermers/Blokker, International Institutional Law, S. 100; Petzold, ZaöRV 30 (1970), S. 417 (422). Griechenland erklärte seinen Austritt am 12.12.1969, der per 13.6.1970 wirksam wurde. Die Wiederaufnahme erfolgte am 28.11.1974. 404 Vgl. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 30 Rn. 3; Oppermann, Europarecht, Rn. 1903. 405 Rußland am 28.2.1996 in den Europarat aufgenommen. Siehe auch das Gutachten zum Beitritt Rußlands, HRLJ 1994, S. 250 ff. Zur umstrittenen Aufnahmepolitik des Europarates und deren Reformversuche siehe Gimbal, Internationale Politik, 1997, S. 45 ff. Der Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarates hat Rußland und die Ukraine mit Entschließung vom 8.12.1998 aufgefordert, die Todesstrafe abzuschaffen und in diesem Zusammenhang auf die Ausschlußmöglichkeit in der Satzung des Europarates hingewiesen.

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen

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In der Satzung des Europarates werden materielle Anforderungen an die Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten gestellt. Die Geltung des Rechtsstaatsprinzips sowie die Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind Voraussetzungen filr die Aufnahme und den Verbleib in der Organisation. Satzungsmäßige Konsequenzen aus der Verletzung der geforderten Homogenität werden jedoch aufgrund politischer Überlegungen nicht gezogen. Das Verfahren nach Art. 8 der Satzung spielt in der Praxis des Europarates keine Rolle. Die Untätigkeit des Europarates - in diesem Fall konkret des Ministerkomitees - gegenüber der Türkei, die trotz erwiesener systematischer Folterungen weiterhin aktives Mitglied des Europarates ist, liefert dafilr ein aktuelles Beispiel. 406 198. Die teilweise Nichteinhaltung der satzungsmäßigen Verpflichtungen durch die neu in den Europarat aufgenommenen Staaten Mittel- und Osteuropas hat dazu geführt, daß sich Ministerkomitee und Parlamentarische Versammlung weitere Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten geschaffen haben. So fUhrt das Ministerkomitee mit den Mitgliedern einen "konstruktiven, nichtdiskriminierenden und vertraulichen Dialog" als Teil eines Überwachungsverfahrens, 407 während die Parlamentarische Versammlung einen eigenen Ausschuß mit der Erstellung regelmäßiger Berichte über die Situation und die Fortschritte der neuen Mitglieder (Monitoring) betraut hat. Darüber hinaus wurden die rechtlichen Möglichkeiten geschaffen, die Parlamentarier des betroffenen Mitgliedes mit sofortiger Wirkung von der laufenden Sitzungsperiode der Versammlung auszuschließen. 408

2. Vereinte Nationen

199. Die Satzung der Vereinten Nationen enthält mit Art. 5 und 6 zwei Rechtsgrundlagen, nach denen Vertragsverletzungen der Mitglieder sanktioniert werden können. 409

406 Siehe den Bericht der Antifolterkommission des Europarates 1997 und den Bericht Torture in turkey & its unwilling accomplies, Physicians for Human Rights (ed.), Boston, San Fransisco, Chicago, 1996 sowie den Jahresbericht 1997 von Amnesty International, S. 522 ff.; Erste und zweite öffentliche Erklärung des Europäischen Kommitees von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) über die Türkei, abgedruckt in EuGRZ 1998, S. 301 ff. und S. 306 ff. 407 Erklärung des Ministerkomitees vom 10.11.1994. 408 Parlamentarische Versammlung, Order Nr. 488 (1993), Resolution 1031 (1994), Order Nr. 508 (1995) und Resolution 115 (1997). 409 Einen Sonderfall bildet Art. 19 der ON-Satzung. Die Vorschrift ermöglicht die Suspendierung der Stimmrechte eines Mitgliedes in der Generalversammlung bei einem Rückstand der Mitgliedschaftsbeiträge. Die Höhe des Rückstandes muß die Summe der rur zwei Jahre geschuldeten Beiträge erreichen. Dazu Ohse, Vereinte Nationen 1973,

9 Schorkopf

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

200. Art. 5 der Satzung ermächtigt die Generalversammlung, auf Vorschlag des Sicherheitsrates, die sich aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ergebenden Rechte eines Staates zu suspendieren. Der Sicherheitsrat kann der Generalversammlung einen solchen Vorschlag unterbreiten, wenn er gegen das betroffene Mitglied "Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen" getroffen hat. 410 Die Satzung der Vereinten Nationen enthält fiir den entscheidenden Begriff der "Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen" keine Legaldefinition, und auch der Internationale Gerichtshof hat ihn in seinen Entscheidungen bisher nicht präzisiert. Es wird deshalb allgemein angenommen, daß mit dieser Formulierung auf die in Kapitel VII der Satzung genannten Maßnahmen Bezug genommen wird. 4I1 201. Verletzt ein Mitglied die Grundsätze der Vereinten Nationen "beharrlich" (persistently), besteht nach Art. 6 der Satzung die Möglichkeit, es aus den Vereinten Nationen auszuschließen. 412 Angesichts der drohenden Konsequenzen für ein vertragsbrüchiges Mitglied der Vereinten Nationen ist der gewählte Begriff "beharrlich" als Qualifizierung der Verietzungshandlung in hohem Maße unbestimmt. Er eröffnet einen weiten interpretatorischen Spielraum. Legt man, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend, den Wortsinn zugrunde, so muß die Verletzung der Grundsätze zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 von längerer Dauer und das Ergebnis eines "hartnäckigen Festhaltens" an dem vertragswidrigen Verhalten sein. 413 Im Gegensatz zu der Sanktion nach Art. 5 der Satzung, bei der die Mitgliedschaft in ihrem Bestand nicht angetastet wird und die Verpflichtung für das betroffene Mitglied bestehen bleibt, löst Art. 6 der Satzung in seiner Rechtsfolge das rechtliche Band der Mitgliedschaft zwischen dem Staat und den Vereinten Nationen auf. Diese Rechtsfolge widerspricht dem universalen Anspruch der Vereinten Nationen und befreit den betroffenen Staat im Ergebnis gerade von den Pflichten, gegen

S. 155 ff. Zur zögerlichen Anwendung dieses Instrument vgl. Tomuschat, in: Simma, Kommentar UN-Charta, Art. 19 Rn. 22 ff. 410 Art. 5 der UN-Satzung lautet in der authentischen englischsprachigen Fassung: "A Member of the United Nations against which preventive or enforcement action has been taken by the Security Council may be suspended from the exercise ofthe rights and privileges ofmembership by the General Assembly upon the recommendation ofthe Security Council. The exercise of these rights and privileges may be restored by the Security Council." Hierzu ausführlich Ohse, Vereinte Nationen 1971, S. 103 ff. 411 Kimminich, in: Simma, Kommentar UN-Charta, Art. 5 Rn. 8; Oldenhage, Reaktionsmaßnahmen internationaler Organisationen, S. 141 f. m. w. N. 412 Art. 6 der UN-Satzung: "A Member of the United Nations which has persistently violated the Principles contained in the present Charter may be expelled from the Organization by the General Assembly upon the recommendation ofthe Security Council." 413 Kimminich, in: Simma, Kommentar UN-Charta, Art. 6 Rn. 12; Oldenhage, Reaktionsmaßnahmen internationaler Organisationen, S. 140, spricht in diesem Zusammenhang davon, daß "eine dauernde destruktive Haltung des Mitgliedes zum Ausdruck kommen" muß.

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen

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die er verstoßen hat. Die Rechtsfolge des Ausschlusses aus einer internationalen Organisation hat deshalb erhebliche Kritik aufsieh gezogen. 414 202. Weder die Suspension noch der Ausschluß eines Mitgliedes der Vereinten Nationen sind bisher praktiziert geworden. Die Suspendierung ist in einigen Fällen diskutiert und die entsprechenden Verfahren sind in Gang gesetzt worden. 415 So wurde der Ausschluß Israels mit Beschluß der Generalversammlung am 22. Dezember 1955 unternommen, diese Initiative scheiterte jedoch am Sicherheitsrat, der über diese Vorlage niemals abgestimmt hat. 416 In den Jahren 1961, 1962 und 1969 wurden Resolutionsentwürfe in die Generalversammlung eingebracht, in denen der Ausschluß Südafrikas gefordert wurde,417 zu dem es gleichfalls nicht gekommen ist. 418 Von den Vereinten Nationen wurden bislang keine Aktivitäten unternommen, um die seit Jahren von den Vereinigten Staaten von Amerika willentlich verursachten Rückstände bei den Mitgliedsbeiträgen zu sanktionieren. 419 203. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Satzung der Vereinten Nationen mit Art. 5 und 6 über ein in den Rechtsfolgen abgestuftes Instrumentarium verfügt, um vertragsbrüchige Mitglieder zu sanktionieren. Aufgrund der Universalität der Vereinten Nationen und der durch die Struktur des Sicherheitsrates verursachten Dominanz politischer Machtfragen werden diese Vertragsvorschriften in der Praxis - trotz einschlägiger Sachlagen - nicht angewendet.

414 Etwa Makarczyk, GYIL 25 (1982), S. 476 (479 f.); vgl. für eine Zusammenfassung der Argumente Kimminich, in: Simma, Kommentar UN-Charta, Art. 6 Rn. 8 ff. 415 In den zitierten völkerrechtlichen Anwendungsbeispielen wird nicht konsequent zwischen der Suspendierung der Mitgliedschaft und dem Ausschluß des betroffenen Staates aus einer Organisation unterschieden. 416 Der Beschluß der Generalversammlung ist als Aufforderung an den Sicherheitsrat zu sehen, eine entsprechende Empfehlung auf Ausschluß des betroffenen Mitgliedes gemäß Art. 6 zu verabschieden. Erst im Anschluß an eine solche Empfehlung könnte die Generalversammlung den Ausschluß des Mitgliedes wirksam beschließen. Zu dem Versuch, die israelischen Delegierten von der Teilnahme an der Generalversammlung auszuschließen, siehe Halberstam, AJIL 78 (1984), S. 179 ff. 417 Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 28 Rn. 24. Siehe auch die Verurteilung Südafrikas durch die Resolution 269 (1969) des Sicherheitsrates vom 12.8.1969 wegen Nichtbeachtung der Reolsution 264 (1969) unter Hinweis auf die Verantwortung des Organs gemäß Art. 6 UN-Satzung. 418 Am 30.10.1974 scheiterte ein entsprechender Beschluß des Sicherheitsrates an dem Veto Großbritannien, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika, UNYB 1974, S. 115, SCOR (29) Supplement Okt.-Dec. 1974, S. 11543. Mit Beschluß vom 12.11.1974 suspendierte die Generalversammlung Südafrika von der Teilnahme und den Abstimmung in der Generalversammlung unter Verstoß gegen Art. 5 UNSatzung, hierzu E. Klein, Vereinte Nationen 1975, S. 51 ff. 419 Die Satzung der Vereinten Nationen sieht in Art. 19 die Aussetzung des Stimmrechts eines Mitgliedes in der Generalversammlung bei Beitragsrückstand vor. Dazu Ohse, Vereinte Nationen 1973, S. 155 ff.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

3. Commonwealth 204. Zwischen den Staaten des Commonwealth besteht Einigkeit, daß die Mitgliedschaft aus drei Gründen enden kann: erstens der Verlust der Unabhängigkeit, zweitens der freiwillige Austritt und drittens infolge bestimmter Veränderungen der Staatsform, d. h. konkret die Ausrufung der Republik oder die Begründung einer eigenständigen Monarchie in einem Mitgliedstaat. Dagegen war bislang umstritten, inwieweit ein Mitgliedstaat, der gegen die fundamentalen Prinzipien des Commonwealth verstößt, gleichfalls ausgeschlossen bzw. sanktioniert werden kann. 420 205. Neue Wege wurden in dieser Hinsicht auf dem Commonwealth-Gipfel (CHOGM)421 1995 in Neuseeland beschritten. Die Regierungschefs der Mitgliedstaaten verabschiedeten in einer Deklaration ein Aktionsprogramm 422 zur Harare-Deklaration, das in einem Abschnitt Maßnahmen zum Schutz der rur das Commonwealth grundlegenden "Harare-Prinzipien" vorsieht. 423 Die Deklaration sieht unter anderem die Unterbindung der Teilnahme eines Mitgliedstaates an Ministerkonferenzen und den CHGOM vor und ermöglicht in außergewöhnlichen Fällen (exceptional circumstances) die Suspendierung der Mitgliedschaft als solcher. 424 206. Unter dem Eindruck der Hinrichtungen mehrere Oppositioneller in Nigeria im November 1995 einigten sich die Regierungschefs auf der besagten Konferenz außerdem auf die Schaffung eines Überwachungsmechanismus. Ein Gremium, bestehend aus acht Außenministem (CMAG),425 soll sich, stellver-

420 Der bedeutendste Kandidat rur einen Ausschluß war Südafrika, das sich 1961 zur Republik erklärte. Aufgrund der fehlenden Anerkennung dieses Schritts durch die anderen Mitgliedstaaten endete die Mitgliedschaft im Commonwealth, bevor ein Ausschlußverfahren aufgrund der Apartheid eingeleitet werden konnte. Südafrika ist 1994 wieder in das Commonwealth aufgenommen worden. 421 Commonwealth Heads ofGovernment Meeting (CHOGM). 422 Zum diesem Commonwealth Action Programme siehe Hossain, in: WeisslDenterslde Waart, International Economic Law, S. 67 (70 ff.). 423 Paragraph 9 der Erklärung enthält u. a das Versprechen der Regierungschefs sich verstärkt folgenden Bereichen zu widmen: • "the protection and promotion of the fundamental political values of the Commonwealth • democracy, democratic processes and institutions which reflect national circumstances, the rule oflaw and the independence ofthe judiciary, just an honest government • fundamental human rights, including equal rights and opportunities for all citizens regardless ofrace, colour, creed or political belief." Zur Harare Commonwealth Declaration vom 20.10.1991 und weiteren Nachweisen vgl. auch unter Ziff. 21. 424 Vgl. hierzu auch MayalI, International Affairs, 74 (1998), S. 378 (388). 425 Commonwealth Ministerial Action Group on the Harare Declaration (CMAG), erster Tätigkeitsbericht des CMAG, Report of the Commonwealth Ministerial Action

C. Gewährleistungsmechanismen anderer Rechtsordnungen

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tretend für die Gemeinschaft der Commonwealth-Staaten, Verstößen gegen die Harare-Prinzipien annehmen (to deal with serious and persistant violations of the principles contained in that [Harare] declaration) und in Gesprächen mit der Regierung des betroffenen Mitgliedes einen Weg für dessen Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen finden. 426 207. Während der Einsatz der CMAG zur Rückkehr Gambias zu den Harare-Prinzipien beigetragen hat, bleiben die Mitgliedschaftschaftsrechte Sierra Leones und Nigerias weiterhin ausgesetzt. Zusätzlich wurde Nigeria unter Androhung des Ausschlusses eine Frist bis zum 1. Oktober 1998 gesetzt, zur Einhaltung der Harare-Prinzipien zurückzukehren. 427

4. Weitere internationale Organisationen Neben diesen ausfiihrIich dargestellten internationalen Organisationen des Europarates und der Vereinten Nationen, sowie dem Sonderfall des Commonwealth, läßt sich eine Reihe von weiteren Internationalen Organisationen nennen, die in ihren Satzungen Sanktionsmechanismen gegen qualifizierte Vertragsbrüche der Mitgliedstaaten vorsehen und die deshalb besonders hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen von Interesse sind. 421B 208. Die Satzung des Internationalen Währungsfonds (lMF) sieht ein dreistufiges Verfahren bei Vertragsverstößen gegen seine Mitglieder vor, an dessen Ende der Ausschluß aus dem Fond steht. Auf der ersten Stufe besteht die Möglichkeit, bei einem Ptlichtenverstoß die Berechtigung eines Mitgliedes zur Inanspruchnahme allgemeiner Fondmittel auszusetzen (lit. a).428 Bei einem fortgesetzten Verstoß gegen das Übereinkommen, dem eine Fristsetzung seitens des Gouverneurrates vorausgeht, können die Stimmrechte des Mitgliedes aus-

Group at the Harare Declaration to Commonwealth Heads of Government, Commonwealth Secretariat, 1997. 426 Ausfilhrlich zu dieser Thematik Srinivasan, The round table - Commonwealth Journal ofInternational Affairs, Nr. 344 (1997), S. 512 ff. 427 Kommunique des CHOGM von Edinburgh, Paragraph 16. Die CMAG hat auf ihrer Sitzung vom 8.19.10.1998 in London die Empfehlung ausgesprochen, in Anerkennung der Fortschritte der neuen nigerianischen Regierung im Hinblick auf die HararePrinzipien, die Sanktionen schrittweise aufzuheben. Bei fortgesetztem Wohlverhalten soll den Regierungschefs der Commonwealth-Staaten mittelfristig die vollständige Rückkehr Nigerias in den Verbund vorgeschlagen werden, siehe Pressemitteilung 98/71 der CMAG vom 9.10.1998, http://www.thecommonwealth.org/info/press9871.htm. 427. Weitere Beispiele filr Gewährleistungsmechanismen bei Stein, in: GötziSelmer/ Wolfrum, FS filr Jaenicke, S. 871 (877 ff.). 428 Art. XXVI Abschnitt 2 des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfond in der Neufassung vom 30.4.1976, ursprüngliche Fassung vom 1./22.7.1944, BGB!. 1952 11, S. 638, Neufassung BGB!. 1978 11, S. 13, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.7.1991, BGB!. 199111, S. 814.

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gesetzt werden (lit. b). Schließlich kann der betroffene Mitgliedstaat durch Beschluß zum Austritt aufgefordert werden, wenn die Vertragsverletzung anhält und eine erneute Fristsetzung ebenfalls ungenutzt verstrichen ist (lit. c). 209. Die Internationale Bankfür Wiederaufbau und Entwicklung sieht in ihrer Satzung die Suspendierung der Mitgliedschaft vor, die sich nach einem Jahr automatisch in den Verlust der Mitgliedschaft umwandelt. Dem Gouverneursrat steht das Recht zu, mit Mehrheitsbeschluß den betroffenen Mitgliedstaat wieder in seine Mitgliedschaft einzusetzen. 429 210. Einen anderen Ansatz haben einige Unterorganisationen der Vereinten Nationen gewählt. Ihre Satzungen enthalten Bestimmungen, nach denen der Verlust der Mitgliedschaft in ihrem Verband an den Ausschluß aus den Vereinten Nationen gemäß Art. 6 UN-Satzung gekoppelt ist. Nach Art. 10 der Satzung der Internationalen Seeschijfahrts-Organisation430 (lMO) und Art. II Abs.5 der UNESCO-Satzung 431 tritt der Verlust der Mitgliedschaft sogar automatisch ohne bestätigenden Beschluß ein.

IH. Zwischenergebnis 211. Die hier ausgewählten Verbände des Staats- und Völkerrechts verfUgen in ihren Rechtsordnungen über Gewährleistungsmechanismen, die die Sanktionierung von schwerwiegenden Verfassungs- oder Satzungsverstößen ermöglichen. Bei solchen Verstößen handelt es sich vielfach auch um Homogenitätsverletzungen. Dabei ist festzuhalten, daß die staatsrechtlichen Verbände in letzter Konsequenz auf das Mittel des militärischen Zwanges zurückgreifen können, während die völkerrechtlichen Verbände als ultima ratio über das Sanktionsmittel der Aussetzung oder gar Beendigung der Mitgliedschaft verfUgen. Inhaltlich weisen die Mechanismen hinsichtlich der Reichweite und des Gewährleistungsumfanges Unterschiede auf, die durch die Konzeption des zusammengesetzten Verbandes bedingt sind. Die Zahl der AnwendungsflUle dieser Bestimmungen ist gering, obwohl gerade in der Völkerrechts ordnung die notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen in manchen Fällen durchaus als erfUllt anzusehen sind.

429 Art. VI Abschnitt 2 des Abkommens über die Internationale Bank rur Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank), BGB!. 1952 II, S. 664, zuletzt geändert am 16.2.1989, BGB!. 1992 II, S. 1134. 430 BGB!. 1965 II, S. 313, zuletzt geändert BGB!. 1982 II, S. 873, 956. 431 BGB!. 1971 II, S. 473, zuletzt geändert BGB!. 1979 II, S. 419.

D. Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV

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D. Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV I. Erste Ansätze und die Vorarbeiten des Europäischen Parlaments 212. Die dem Sanktionsmechanismus zugrundeliegende Problematik, daß ein Mitgliedstaat die Voraussetzungen der Zugehörigkeit zur Europäischen Union wieder verliert, wurde erstmalig von der Kommission im Rahmen des geplanten Beitritts Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften thematisiert. In der Kommission gab es Ehlermann zufolge Überlegungen, im Zusammenhang mit der vom Rat am 20. April 1978 angenommenen Erklärung zur Demokratie,432 einen Vorschlag fUr einen Rechtsakt zur Schaffung eines "Feststellungs- und Sanktionsverfahrens" vorzulegen. 433 Diese Bestrebungen wurden schließlich nicht weiter verfolgt. Allein durch die Tatsache, daß die sogenannte Süderweiterung mit dem Thema der Verletzung "wesentlicher Elemente der Zugehörigkeit" zu den Gemeinschaften verknüpft worden wäre, hätte diese Problematik in der öffentlichen Diskussion insgesamt einen zu breiten Raum eingenommen. 434 213. Vorläufer des Art. 7 EUV lassen sich vor allem in den de lege ferenda entwickelten Entwürfen fUr die vertragliche Fortentwicklung des europäischen Integrationsprozesses finden. Namentlich ist der vom Europäischen Parlament am 14. Februar 1984 angenommene Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union zu nennen. 435 Enthalten die vom Parlament am 6. Juli 1982 aufgestellten Leitlinien fUr die Reform der Verträge und die Verwirklichung der Europäischen Union436 noch keinen Hinweis auf die Aufnahme des

BullEG 3-1978, S. 5 f. Ehlermann, EuR 1984, S. 113 (119). 434 Vgl. in diesem Sinne Ehlermann, EuR 1984, S. 113 (119). Siehe hierzu aber auch die Stellungnahme der Kommission vom 23.5.1979 zu dem Antrag der Republik Griechenland auf Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften, ABI. Nr. L 291 vom 19.11.1979, S. 3. Die Stellungnahme enthält in einem Absatz den Hinweis auf die pluralistische Demokratie und die Beachtung der Menschenrechte als wesentliche Bestandteile der Zugehörigkeit zu den Gemeinschaften und nimmt damit die Formulierung aus der Demokratieerklärung wieder auf. 435 ABI. Nr. C 77 vom 19.3.1984, S. 53 ff; BullEG 2-1984, S. 7 ff.; dazu H. P. Ipsen, Der Staat 1985, S. 325 ff.; Pernice, EuR 1984, S. 126 ff.; Everling, integration 1984, S. 12 ff.; Schwarze, DVB11985, S. 309 ff. 436 ABI. Nr. C 238 vom 13.9.1982, S. 25 ff. Der etwas eigentümliche Entstehungsprozeß des Vertragsentwurfes läßt sich zum besseren Verständnis in vier Phasen unterteilen: I. Mit Beschluß vom 9.7.1981 setzte das Europäische Parlament einen institutionellen Ausschuß ein, ABI. Nr. C 234 vom 14.8.1981, S. 48.2. Die Entschließung vom 6.7.1982 enthielt an den Ausschuß gerichtete Leitlinien rur die Ausarbeitung des Entwurfes. 3. Das Parlament verabschiedete am 14.9.1983 eine Entschließung zum Inhalt des vom Ausschuß erarbeiteten Vorentwurfs eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union, ABI. Nr. C 277 vom 17.10.1983, S. 95. 4. Schließlich nahm das Parlament am 14.2.1984 den mit dem Vorentwurf identischen Vertragsentwurf als endgültiges Do432

433

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Gedankens eines Sanktionsmechanismus, so fordert die Entschließung zum Inhalt des Vorentwurfs eines Vertrages den institutionellen Ausschuß des Parlaments auf, einen Vertragsvorentwurf vorzulegen. Der Vorentwurf sollte ein Verfahren zur Aussetzung von Rechten oder der Teilnahme an den Institutionen insgesamt bei "krasser und anhaltender Verletzung der demokratischen Grundsätze oder der Grundrechte" ermöglichen. 437 In dem endgültig am 14. Februar 1984 angenommenen Entwurf heißt es dann unter der Überschrift "Grundrechte" in Art. 4 Abs. 4: "Im Falle einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der demokratischen Grundsätze oder der Grundrechte durch einen Mitgliedstaat können gemäß Artikel 44 dieses Vertrages Sanktionen verhängt werden."

214. Der Art. 4 Abs. 4 wiederum verweist auf Art. 44, der sich im dritten Teil des Vertragsentwurfs (Titel 11) unter der Überschrift "Sanktionen" befmdet. Bereits der Wortlaut verdeutlicht die besondere Bedeutung dieser Vorschrift für die weitere Analyse des neuen Sanktionsmechanismus. Art. 44 sei deshalb an dieser Stelle ebenfalls zitiert: "In dem in Art. 4 Abs. 4 dieses Vertrages vorgesehenen Fall sowie in jedem anderen Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Vertragsbestimmungen durch einen Mitgliedstaat, die vom Gerichtshof auf Antrag des Parlaments oder der Kommission festgestellt wurde, kann der Europäische Rat nach Anhörung des betroffenen Staates mit Zustimmung des Parlaments Maßnahmen treffen, - durch die Rechte, die sich aus der Anwendung eines Teils oder der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen ergeben, rur den betreffenden Staat und seine Angehörigen ausgesetzt werden, unbeschadet der von den letztgenannten erworbenen Rechte, - die so weit gehen können, daß die Teilnahme des betreffenden Staates am Europäischen Rat und am Rat der Union sowie an allen anderen Einrichtungen, in denen der Staat als solcher vertreten ist, ausgesetzt wird. Der betreffende Staat nimmt nicht an der Abstimmung über die Sanktionen teil."

215. Die in der Vorschrift verwendete Formulierung für die Qualifikation des Vertragsverstoßes als "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" ist identisch mit der Wortwahl in Art. 7 Abs. 1 EUV. Der Entwurf sah dieses Verfahren zusätzlich zu dem Vertragsverletzungsverfahren im Sinne des Art. 226 EGV vor, das tur alle anderen Formen des vertragswidrigen Verhaltens eines Mitgliedstaates einschlägig gewesen wäre. Art. 44 des Vertragsentwurfs ordnet die Entscheidung über die Sanktionierung eines Mitgliedstaates ausschließlich den Organen der geplanten Union zu. Die Regelung entspricht der Grundkonzeption des Entwurfs, nach der in einer einzigen zusammenhängenden Struktur (die kument an. Hierzu Jacque, in: CaportortilHiIflJacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, S.26 ff. 437 ABI. Nr. C 277 vom 17.10.1983, S. 95 (100), Rz. 26 und 27. Für den Bericht des institutionellen Ausschusses (sogenannter Spinell i-Bericht) siehe EP-Dokument AI1200/83 vom 30.1.1984. Zu den Hintergründen dieser Initiative vgl. Spinelli, EA 1983, S. 739 ff.

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Europäische Union) die unterschiedlichen Systeme der europäischen Integration zusammengefaßt werden sollten. In einem ersten Schritt soll der Gerichtshof auf Vorschlag des Parlaments oder der Kommission die Vertragsverletzung feststellen, während der Europäische Rat in einem zweiten Schritt nach Zustimmung des Parlaments die Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten beschließen kann. 216. Nur im Detail weicht der 1984 alternativ von Abgeordneten der EVPFraktion vorgelegte Verfassungsentwurf fiir einen "Bundesstaat Europäische Union" von dem Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union in dieser Hinsicht ab. In dem Entwurf fehlte allerdings die Unterscheidung zwischen "normalen" Vertragsverletzungen und qualifizierten Vertragsverstößen, wie sie Art. 43 i. V. m. Art. 169 bis 187 EGV a. F. und Art. 4 Abs. 4 i. V. m. Art. 44 des Parlamentsentwurfs voraussetzten. 438 Jedoch findet sich in dem Alternativentwurf gleichfalls der Gedanke eines zweistufigen Sanktionsverfahrens. Danach sollte ein Unionsverfassungsgerichtshof die Feststellung treffen, daß ein Mitgliedstaat der Union seine Pflichten nicht erfiillt hat, worauf Parlament und Rat den betroffenen Mitgliedstaat durch Beschluß mit jeweils Zwei-Drittel-Mehrheit ausschließen oder seine Rechte hätten suspendieren können. 439

11. Suspendierungsklausein und Art. 366a AKP-EG-Abkommen 217. Wie im ersten Kapitel bereits erwähnt, unternimmt die Europäische Union seit 1990 verstärkt Anstrengungen, die Einhaltung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien weltweit zu fördern. 440 Hauptinstrument zur Durchsetzung dieser Politik ist die Verknüpfung von Handelsvorteilen mit der 438 Dazu Capotorti, in: CaportortilHilflJacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, S. 158 ff. Art. 43 des Entwurfs sah vor, die Geltung der Gemeinschaftsvorschriften über die Streitschlichtung (Art. 33 bis 44 EGKSV, Art. 169 bis 187 EGV a. F. und Art. 141 bis 159 EAGV) auf die Union zu erstrecken und um weitere Rechtsschutzmöglichkeiten zu ergänzen. 439 Vgl. Art. 22 des von den Europaabgeordneten LusterlPfenniglFugmann ausgearbeitet Verfassungsentwurfs, EP-Dokument AI-653/83 rev. 11 vom 26.9.1983. Der Verfassungsentwurf und der nicht verabschiedete Entschließungsantrag sind auch abgedruckt bei SchwarzelBieber, Verfassung fiir Europa, S. 572 ff. und Luster, Bundesstaat Europäische Union, S.5I. Zu diesem Entwurf siehe auch RengelinglJacobs, DVBI. 1984, S. 773 (775). Eine dezidierte Regelung fiir einen Sanktionsmechanismus enthält auch der Entwurf einer Verfassung der Europäischen Union, den Esterbauer in Anlehnung an die Vorarbeiten Imbodens vorgelegt hat, in: ders./KalkbrennerlMattmüller/ Roemhed, FS fiir Gasser, S. 603 (614 f.) und dort in Fn. 15. 440 Siehe dazu die Nachweise unter Ziff. 3 in Fn. 13 und 14. Eine Analyse der Effektivität dieser "Konditionierungspolitik" unternimmt Smith, EF ARev 3 (1998), S. 253 (265 ff.) mit einer Aufstellung über die bislang suspendierten Abkommen der Gemeinschaften mit Drittländern.

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Einhaltung von Mindeststandards im Hinblick auf die nunmehr in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze. Zu diesem Zweck werden seit 1991 in alle Kooperations- und Assoziationsabkommen Klauseln aufgenommen, die erstens die "Achtung der demokratischen Grundsätze und der Menschenrechte" zum wesentlichen Bestandteil des jeweiligen Vertrages erklären und zweitens ftlr den Fall der Verletzung dieser wesentlichen Bestandteile Rechtsgrundlage ftlr das Ergreifen geeigneter Maßnahmen insbesondere der Aussetzung des Vertrages sind. 44 ) 218. Die erstmalig in Art. 118 des Assoziationsabkommens der Europäischen Gemeinschaft mit Bulgarien aufgenommene Klausel 442 ist das Vorbild ftlr eine Suspendierungsklausel, die an dieser Stelle aufgrund ihres Verfahrens einer eingehenderen Betrachtung bedarf. Art. 366a Abs. 3 des geänderten Vierten AKP-EG-Abkommens von Lome 443 sieht die teilweise oder vollständige Aussetzung der Anwendung des Abkommens filr den Fall vor, daß eine Vertragspartei eine Verpflichtung im Zusammenhang mit einem der "wesentlichen Bestandteile" des Abkommens verletzt. Zu letzterem gehören nach Art. 5 Abs. 1 Uabs. 2 AKP-EG-Abkommen unter anderem die Achtung der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze und der Rechtsstaatlichkeit. 444 Dieses "Vertrags verletzungs verfahren" be-

44\ Für die Position des Rates siehe exemplarisch die Erklärung zur Achtung der demokratischen Grundsätze und der Menschenrechte sowie der Grundsätze der Marktwirtschaft anläßlich der Ermächtigung der Kommission zur Aufuahme der Verhandlungen mit Bulgarien und Rumänien über den Abschluß von Assoziationsabkommen, BullEG 5-1992, Ziff. 1.2.13. Hierzu PolIeI, Revue des affaires europeenneslLaw & European Affairs 1997, S. 290 (293 f.). 442 Vgl. ABI. Nr. L 358 vom 31.12.1994, S. I ff.; vgl. auch Art. 6 des Abkommens, ebenda, S. 7. In den Abkommen mit den baltischen Staaten, Slowenien und Albanien wurde von der Gemeinschaft eine weniger diplomatisch formulierte Klausel verwendet, die die sofortige Suspendierung vertraglicher Rechte gestattet, vgl. hierzu die Mitteilung der KOM (95) 215 endg., S. 8. 443 Viertes AKP-EG-Abkommen von Lome vom 15.12.1989, ABI. Nr. L 229 vom 17.8.1991, S. I ff. Wie in der Revisionsklausel Art. 366 vorgesehen, wurde das Abkommen nach der Hälfte der Laufzeit überprüft. Die Verhandlungen filhrten zum Abschluß des Abkommens zur Änderung des Vierten AKP-EG-Abkommens von Lome vom 4.11.1995, ABI. Nr. L 156 vom 29.5.1998, S. 3 ff. (28). Zum Inhalt des Lome-IVAbkommens siehe Nicolaysen, Europarecht 11, 1996, S. 521 ff. Zur Anwendungspraxis der Menschenrechts- und Demokratieklauseln nach dem Lome IV -Abkommen detailliert Hoffmeisler, Menschenrechts- und Demokratieklauseln, S. 452 ff. Zur weiteren Entwicklung der Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft und den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten vgl. das Grünbuch der Kommission über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Veröffentlichungen der Kommission, 1997. 444 ABI. Nr. L 156 vom 29.5.1998, S. 3 (14 f.). Zur Präzisierung der von Art. 5 zu "wesentlichen Bestandteilen" des Abkommens erhobenen Elementen siehe die Mitteilung der Kommission vom 12.3.1998, KOM (1998) 146 endg., vgl. Ziff. 92 und Ziff. 118. Siehe auch die Entschließung des Parlaments vom 13.7.1997 zu dem Vor-

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ginnt mit Konsultationen zwischen der Gemeinschaft und der AKP, nicht später als 15 Tage nach dem entsprechenden Ersuchen einer der beiden Parteien. Die Konsultationen sind auf 30 Tage befristet. Wird keine Lösung gefunden, können anschließend einseitig "geeignete Maßnahmen" bis hin zur Suspendierung des Abkommens getroffen werden. 445 Das Verfahren enthält Vorkehrungen filr Eilfälle,446 eine Verhältnismäßigkeitsregelung und spricht mit Art. 366a Abs. 3 Uabs.2 AKP-EG-Abkommen die Verpflichtung aus, die betroffene Vertragspartei von allen Maßnahmen zu unterrichten. Schließlich müssen die Sanktionen aufgehoben werden, wenn die Umstände, auf deren Grundlage sie ergriffen wurden, nicht mehr bestehen. 219. Die Kommission hat einen Vorschlag filr einen Beschluß des Rates über ein Rahmenverfahren zur Durchfilhrung des Art. 366a AKP-EGAbkommen vorgelegt, der in seinen Details filr den Fortgang der Argumentation von Interesse ist. 447 Danach soll ein wirksames gemeinschafts internes Verfahren filr den Fall geschaffen werden, daß "geeignete Maßnahmen" getroffen werden sollen. Nach Art. I des Kommissionsvorschlages kann der Rat auf Initiative der Kommission oder eines Mitgliedstaates das Verfahren in Gang setzen, in dem er mit qualifizierter Mehrheit die Verletzung "wesentlicher Bestandteile" des AKP-EG-Abkommens feststellt und den betroffenen Vertragsstaat zu Konsultationen auffordert. Der Rat kann gemäß Art. 2 Abs. I in einem zweiten Schritt auf Vorschlag der Kommission geeignete Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit beschließen, wenn die Konsultationen scheitern oder Eile geboten ist. Das Europäische Parlament wird nach Art. 2 Abs. 2 von dem Ratsbeschluß "unverzüglich" unterrichtet. Der Rat hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 1998 den Kommissionvorschlag um drei Punkte ergänzt. 448 Erstens können "geeignete Maßnahmen" auch die Aussetzung beinhalten, die im Falle der vollständigen Suspendierung der Anwendung des AKP-EG-Abkommens einstimmig beschlossen werden schlag filr einen Beschluß des Rates über ein Rahmenverfahren zur Durchfilhrung des Art. 366a des Vierten AKP-EG-Abkommens (ABI. Nr. C 200 vom 30.6.1997, S. 256). 445 Der Rat beschloß am 16.12.1998 einstimmig, die am 30.07.1998 mit der Regierung Togos aufgenommenen Konsultationen im Rahmen des Art. 366a AKP-EGAbkommen filr gescheitert zu erklären und die Zusammenarbeit mit Togo auszusetzen. Vgl. hierzu Agence Europe Nr. 7350 vom 26.11.1998, S. 16 und Nr. 7366 vom 17.12.1998, S. 8 f. 446 Zur Präzisierung dieses Begriffs siehe die Gemeinsame Erklärung der Vertragsparteien in Anhang LXXXIII des Abkommens, ABI. Nr. L 156 vom 29.5.1998, S. 55. 447 KOM (96) 69 endg. vom 26.2.1996, ABI. Nr. C 119 vom 24.4.1996, S. 7. 448 Entwurf eines Beschlusses des Rates, Dok. 5644/98 (C4-156/98). Da es sich bei dem AKP-EG-Abkommen um eine gemischtes Abkommen handelt, existiert zusätzlich ein internes Durchfilhrungsabkommens der Mitgliedstaaten, ABI. Nr. L 229 vom 17.8.1991, S. 301. Siehe dazu den Entwurf eines Beschlusses der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 10.2.1998 zur Änderung dieses internen Abkommens: Dok. 5722(98).

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muß. Zweitens will der Rat die getroffenen Maßnahmen in regelmäßigen Abständen, mindestend jedoch alle sechs Monate, überprüfen. Drittens soll das Europäische Parlament von allen Beschlüssen des Rahmenverfahrens unverzüglich unterrichtet werden. Dem Europäischen Parlament reichen diese Informationsrechte nicht weit genug. Mit seiner Entschließung vom 17. Juni 1998 hat es dem Rat fünf Empfehlungen zur Ergänzung des geplanten Rahmenverfahrens übermittelt. 449 Nach Auffassung des Parlaments soll das Rahmenverfahren dahingehend ergänzt werden, daß das Parlament in jedem Verfahrensstadium weitgehende Beteiligungsrechte erhält, d. h. konkret, dem Parlament soll das Initiativrecht zuerkannt und vor den Beschlüssen des Rates soll es konsultiert werden. Der Rat hat die vom Parlament zu einem früheren Zeitpunkt erhobene Forderung nach einem Zustimmungsrecht zurückgewiesen. 450 Er begründete seinen Standpunkt unter Hinweis auf den neuen Art. 310 EGV, der die Aussetzung eines Abkommens auf Vorschlag der Kommission durch Beschluß des Rates vorsieht und dem Parlament lediglich ein Recht auf Unterrichtung zugesteht. Aufgrund dieses Meinungsgegensatzes wird die konkrete Ausgestaltung des Rahmenverfahrens deshalb nunmehr im Konzertierungsverfahren unter Beteiligung der Kommission ausgehandelt werden. 451

III. Von der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam 220. Der ursprüngliche Gedanke an einen Sanktionsmechanismus rur den Binnenbereich der europäischen Integration wurde im Zusammenhang mit den Vorarbeiten zur Revision des Vertrages von Maastricht gemäß Art. N Abs. 2 EUV a. F. wiederaufgenommen. In Umsetzung der Vereinbarungen von Ioannina setzte der Europäische Rat von Korfu 452 eine Gruppe aus Vertretern der Außenministerien der Mitgliedstaaten und des Kommissionspräsidenten (Re-

449 ABI. Nr. C 210 vom 6.7.1998, S. 125 ff. Siehe dazu auch den Bericht Aelvoet A4194/98 vom 25.5.1998. 450 Das Parlament hatte mit Entschließung vom l3.6.1997, ABI. Nr. C 200 vom 30.6.1998, S. 256 ff., einen Zwischenbericht mit Empfehlungen angenommen. Darin forderte das Parlament statt der Konsultationen noch das Recht auf Zustimmung. 451 Siehe die entsprechende Erwägung des Parlaments, ABI. Nr. C 210, S. 127. Zur internen Beteiligung des Parlaments in Fragen der auswärtigen Gewalt der Europäischen Union siehe HilflSchorkopf, in: DrexI/Kreuzer/ScheuingiSieber, Europäische Demokratie, S. 109 (114 ff.). 452 Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. Juni 1994 auf Korfu, Schlußfolgerungen des Vorsitzes in BullEU 6-1994, Ziff. 1.25 f. Zu den zitierten Vereinbarungen der Mitgliedstaaten von Ioannina siehe BullEU 3-1994, Ziff. 1.3.28. Siehe dazu auch die Erklärung Nr. 50 zum Vertrag von Amsterdam, in der die Geltungsdauer des "IoanninaKompromisses" bis zum Inkrafttreten der ersten (Ost-)Erweiterung verlängert wird, ABI. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 142.

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flexionsgruppe ) ein. Aufgabe der Reflexionsgruppe war es, unter Einbeziehungen der Organe und Insitutionen Überlegungen zur Überprüfung des EUVertrages anzustellen und "mögliche Verbesserungen im Geiste der Demokratie und Offenheit" auszuarbeiten. 453 Die unter dem Vorsitz des Spaniers Westendorp und unter institutioneller Beteiligung des Europäischen Parlaments tagende Reflexionsgruppe legte ihren Bericht am 5. Dezember 1995 in Brüssel vor. 4S4 Ausgehend von dem Gedanken, die Menschenrechte eindeutiger zu garantieren, heißt es im ersten Teil des Berichts unter der Überschrift "Eintreten fiir europäische Werte"; "Angeregt wurde auch [... ] eine Bestimmung, wonach Sanktionen verhängt werden oder sogar die Mitgliedschaft in der Union ausgesetzt werden kann, wenn ein Staat schwere Verstöße gegen die Menschenrechte und die Demokratie begeht."455 221. Die von der Reflexionsgruppe erarbeiteten Positionen waren Grundlage für die am 29. März 1996 unter italienischem Ratsvorsitz in Turin eröffnete Regierungskonferenz. 456 In den Aufzeichnungen der irischen Präsidentschaft vom 26. Juli 1996 weist der Vorsitz erstmals darauf hin, daß die neu zu schaffende Vertragsbestimmung über die Grundlagen der Union (Art. 6 EUV) mit einer weiteren Bestimmung verknüpft werden sollte, die ein Verfahren fiir die Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten vorsieht. Konkret wird die Schaffung eines neuen Art. Oa EUV vorgeschlagen, der in vier Absätzen bereits wesentliche Elemente der später angenommenen Regelung enthielt, aber insbesondere im zweiten Absatz noch konkrete Aussage zu den Beteiligungs- und Entscheidungsrechten machte. 457 In dieser Hinsicht ausformuliert war der gemeinsame Vorschlag der österreichischen und italienischen Delegation. 458 Die irische Präsidentschaft nahm diese Vorschläge auf und legte der Konferenz am 8. Oktober 1996 einen Formulierungsvorschlag vor, der eine Reihe von Alternativlösungen für die Mehrheitserfordernisse und Zusammensetzung des Rates enthielt. 4S9 Die Ergebnisse dieser Verhandlungen wurden von der irischen Präsidentschaft am 5. Dezember 1996 erstmals in einem Vertragsentwurf zusammengefaßt. 460 Die-

453 BullEU 6-1994, Ziff. 1.25. 454 SN 520/1/95 REV 1 und Amt rur amtliche Veröffentlichungen (Hrsg.), Bericht der Reflexionsgruppe, Luxemburg 1996. 455 Bericht der Reflexionsgruppe, S. 22. 456 Zur Regierungskonferenz siehe die Denkschrift der Bundesregierung zum Vertrag von Amsterdam, BT-Drucksache 13/9339, S. 139; zur Entstehungsgeschichte des Amsterdamer Vertrages siehe auch Kortenberg, RTDE 33 (1997), S.709 ff. und ThunHohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 1 ff. Eine detaillierte Chronologie der Verhandlungen mit Nachweisen der einzelnen Dokumente liefert Metz, in: Weidenfeld, Amsterdam in der Analyse, S. 219 ff. 457 CONF/3879/96, LIMITE, vgl. Anhang A. 458 CONF/3940/96, LIMITE, vgl. Anhang B. 459 CONF/3945/96, LIMITE, vgl. Anhang C. 460 Allgemeiner Rahmen für einen Entwurf zur Revision der Verträge, CONF/ 2500/96.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

ser "Dubliner Vertragsentwurf" enthält den Wortlaut eines neu in den EUVertrag einzufiigenden Art. Fa. Die neue Vorschrift sollte lauten: ,,( I) Auf V orschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission kann der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel F Absatz I genannten Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er die Regierung des betreffenden Staats zu einer Stellungnahme aufgefordert hat. (2) Wurde eine derartige Feststellung getroffen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Aussetzung bestimmter Rechte beschließen, die sich aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen auf den betreffenden Staat ergeben. Für einen solchen Beschluß des Rates ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der gemäß Artikel 148 Absatz 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewogenen Stimmen von mindestens zehn Mitgliedern erforderlich. Der Rat kann in der Folge nach demselben Verfahren beschließen, diese Maßnahmen aufgrund einer Änderung der Situation, die zur Verhängung der Maßnahmen geführt hat, zu modifizieren. (3) Gelangt der Rat in der in Absatz I genannten Zusammensetzung nach dem in diesem Absatz genannten Verfahren zu der Auffassung, daß die in diesem Absatz genannte schwerwiegende und anhaltende Verletzung nicht mehr besteht, so hebt er die nach Absatz 2 erlassene Maßnahme auf. (4) Bei Beschlüssen gemäß den Absätzen I, 2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme[n] des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaates. Für Zwekke dieses Artikels beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder und drei Fünftel der abgegebenen Stimmen.,,46\

222. Der Wille, entsprechende Sanktionsbestimmungen in die drei Gemeinschaftsverträge einzufiigen, kommt erst in dem Entwurf vom 30. Mai 1997 zum Ausdruck, der die Regelung fiir den EG-Vertrag als Art. 236 EGV a. F. ausformuliert und einen Hinweis auf entsprechende Änderungen im EGKSVertrag und EAG-Vertrag enthält. 462 223. Die abschließenden Verhandlungen der Regierungskonferenz erfolgten unter dem Vorsitz der niederländischen Ratspräsidentschaft, die am 26. Februar 1997 einen Vorschlag fiir die geringfiigige Abänderung der geplanten Art. F und Fa EUV vorlegte. 463 Dagegen enthält der am 30. Mai 1997 veröffentlichte Vorentwurf eines konsolidierten Vertrages noch einmal erhebliche Änderungen der Formulierungen des Art. Fa im Vergleich zu der vorangegangenen Fas-

46\ CONF/2500/96 vom 5.12.1996, S. 13, siehe auch Anhang D. Die Verweise in der Vertragsnorm beziehen sich auf die alte Numerierung der Verträge. Vgl. hierzu unter Ziff. 3 Fn. 20. 462 SN 600/97 (C 101) vom 30.5.1997, S. 6. Für Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV siehe ABI. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 53 und S. 56. Vgl. auch Anhang F. 463 CONF/3827/97, LIMITE, Vgl. Anhang E.

E. Norminhalt

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sung. 464 Die geplante Vertragsnorm wurde um einen Absatz 5 erweitert, das Parlament sollte nunmehr im Verfahren der Zustimmung beteiligt und die Rechte der natürlichen und juristischen Personen berücksichtigt werden. Die am 12. Juni 1997 465 und 19. Juni 1997 466 veröffentlichten Entwürfe des Vertrages von Amsterdam hatte in Bezug auf den Gewährleistungsmechanismus keine weiteren Änderungen zu verzeichnen, so daß - in alter Numerierung Art. F.l EUV, Art. 236 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV auf der Tagung des Europäischen Rates von Amsterdam 467 in der heute gültigen Form verabschiedet wurden und in den am 2. Oktober 1997 unterzeichneten Vertrag Eingang fanden. 468

E. Norminhalt 224. Die Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union durch das neu eingefügte Sanktionsverfahren wird nachfolgend konkret am Inhalt des Art. 7 EUV und der akzessorischen Regelungen in Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV erläutert. Dabei wird das Sanktionsverfahren in zwei Teile gegliedert. Der erste Verfahrensteil, mit Art. 7 EUV im Zentrum der Überlegungen, wird als Unionsverfahren (I) bezeichnet; der zweite Verfahrensteil, mit den Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 294 EAGV als Rechtsgrundlagen, entsprechend als Gemeinschaftsverfahren (II). Der Abschnitt schließt mit der Erörterung der Frage, wie das Sanktionsverfahren beendet wird (111).

I. Unionsverfahren Das Unionsverfahren nach Art. 7 EUV wird seinerseits in zwei Verfahrensschritte systematisiert. Der erste Verfahrensschritt (1) hat einzig die Feststellung der Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze zum Gegenstand (Feststellungsbeschluß). Der zweite Verfahrensschritt (2) hat zum Gegenstand, welche Sanktionen zu Lasten des betroffenen Mitgliedstaates beschlossen werden können (Sanktions beschluß).

Konsolidierter Vertragsentwurf, SN 600/97 (C 101), vgl. Anhang F. CONF/4000/97, LIMITE, vgl. Anhang F. 466 CONF/4001/97, LIMITE), vgl. Anhang F. 467 Tagung des Europäischen Rates vom 16.-18.6.1997 in Amsterdam, Schlußfolgerungen des Vorsitzes in BullEU 6-1997, Ziff. 1.3. 468 Vgl. ABI. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 9, 154, 301, vgl. Anhang H. 464 465

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

1. Erster Verfahrensschritt - Feststellungsbeschluß a) Rechtsgrundlage - Art. 7 EUV 225. Der Rat wird durch Art. 7 Abs. 1 EUV ennächtigt, mit einem Beschluß die Verletzung der in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze - der Homogenitätselemente - festzustellen. Damit ist Art. 7 Abs. I EUV Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des Rates bei Homogenitätsverletzungen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union.

b) Voraussetzungen aa) Vorschlagsrecht-Art. 7 Abs. 1 EUV 226. Das Sanktionsverfahren wird nach Art. 7 Abs. 1 EUV entweder durch den "Vorschlag [wenigstens] eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission" in Gang gesetzt. 227. Damit legt der EU-Vertrag das Initiativrecht für die Sanktionierung von Homogenitätsverletzungen in mehrere Hände. 469 Diese Lösung erinnert an das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226, 227 EGV, wonach das Klagerecht sowohl bei der Kommission als auch bei den Mitgliedstaaten liegt. Kommission wie Mitgliedstaaten stehen in Art. 7 Abs. 1 EUV als Vorschlagsberechtigte gleichberechtigt nebeneinander. Anders als im Gemeinschaftsrecht, hat die Kommission im Geltungsbereich des EU-Vertrages nicht die umfassende Aufsichtsfunktion, die unter der Fonnulierung "Hüterin der Verträge" zusammengefaßt wird. Zwar wird nach Art. 5 EUV der institutionelle Rahmen der Gemeinschaften auf die Europäische Union übertragen, da diese Übertragung aber nur nach Maßgabe der Bestimmungen des Unionsvertrages erfolgt, gibt es keinen Anlaß, die Kommission bei der Ausübung ihres Vorschlagsrecht über den Wortlaut des Unionsrechts hinaus zu privilegieren. 47o 228. Durch die Beschränkung des Vorschlagsrechts werden Initiativ- und Entscheidungskompetenzen innerhalb des Sanktionsverfahrens auf mehrere Organe verteilt. Diese Konzeption ist ein Ausdruck des institutionellen Gleich-

469 Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Vorschlag nach Art. 7 Abs. I EUV nicht auch von den Mitgliedstaaten und der Kommission gemeinsam unterbreitet werden könnte. 470 So müssen die Mitgliedstaaten der Kommission im Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 227 Abs. 2 EGV die Gelegenheit geben, einen Fall aufzugreifen, bevor sie· selbst Klage nach Art. 227 Abs. I EGV erheben können, vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Kommentar EUVIEGV, Art. 170 Rn. I; für eine Pflicht der Kommission zur gerichtlichen Verfolgung von mitgliedstaatlichen Vertragsverletzungen Ortlepp, Vertragsverletzungsverfahren, S. 75 ff.

E. Norminhalt

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gewichts. 471 Prinzipiell bedeutet die Trennung von Initiativ- und Entscheidungskompetenz die zusätzliche Sicherung gegen die übereilte Anwendung eines Verfahrens. Da neben der Kommission zusätzlich wenigstens ein Drittel der Mitgliedstaaten vorschlagsberechtigt ist, wird diese verfahrensrechtliche Sicherung aufgrund der Personenidentität zwischen den Vertretern der vorschlagsberechtigten Mitgliedstaaten und den Mitgliedern der nationalen Delegationen im Rat praktisch jedoch wieder aufgehoben. Als Ergebnis ist festzuhalten: Der Rat darf das Verfahren nicht selbst einleiten, sondern kann - wie im Gemeinschaftsrecht - nur auf Vorschlag tätig werden. 229. Im Entwurf der irischen Ratspräsidentschaft vom 5. Dezember 1996 zählte außerdem noch das Europäische Parlament zu dem Kreis der Vorschlagsberechtigten. 472 Bereits im konsolidierten Vertragsentwurf der niederländischen Präsidentschaft vom 30. Mai 1997 ist dieses Recht jedoch zugunsten des parlamentarischen Zustimmungserfordernisses abgeändert worden. 473 Dieses Vorgehen schließt jedoch nicht aus, daß das Parlament seine bisher geübte Praxis auch im Zusammenhang mit Art. 7 EUV fortsetzen könnte und mittels Entschließung Kommission und Mitgliedstaaten auffordert, von ihrem formalen Vorschlagsrecht Gebrauch zu machen. 474 230. Fraglich ist, ob Kommission und Mitgliedstaaten die Pflicht haben, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten, wenn sie von einer Verletzung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze überzeugt sind. Eine solche Verpflichtung wird man aus dem Wortlaut, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des Art. 7 EUV ableiten müssen. Zunächst wird der Kommission und den Mitgliedstaaten durch den Wortlaut von Art. 7 Abs. I EUV ausdrücklich kein Ermessen zugebilligt, was der Umkehrschluß aus dem nachfolgenden Gebrauch der "Kann"-Formulierung zugunsten des Rates zeigt. Dieser Beurteilungsspielraum des Rates und das Fehlen jeglicher Fristen im Verfahren des Art. 7 EUV entschärfen mögliche Bedenken gegen eine Vorschlagspflicht. Die Erkenntnis über das Vorliegen einer mitgliedstaatlichen Homogenitätsverletzung ist bereits das Ergebnis eines wertenden Prozesses, der seinerseits Kommission und Mitgliedstaaten einen Spielraum auf Tatbestandsebene zubilligt. Das wird die Darstellung der nachfolgenden Tatbestandsvoraussetzungen weiter verdeutlichen. Deshalb ist es nicht einzusehen, daß den Vorschlagsberech-

Zum institutionellen Gleichgewicht siehe die Nachweise unter Ziff. 137. Siehe CONF/2500/96, S.I3, vgl. Anhang D. 473 Siehe oben unter Ziff. 223. 474 So ausdrücklich auch Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (222) Fn. 23. Diese Überlegung gewinnt noch an praktischer Bedeutung, wenn man das Selbstverständnis des Europäischen Parlaments im Rahmen seiner Beteiligung am internen Willensbildungsprozeß berücksichtigt, wie es sich bespielsweise in den Bemühungen um die Schaffung eines Rahmenverfahrens zur Durchführung des Art. 366a AKP-EG-Abkommens darstellt, vgl. hierzu Ziff. 218 471

472

10 Schorkopf

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

tigten für den Fall, daß aus ihrer Sicht eine Homogenitätsverletzung vorliegt, ein zusätzliches Ermessen auf der Rechtsfolgenseite eingeräumt wird. Schließlich gebieten die Umstände der Homogenitätsverletzung und deren mögliche Auswirkungen auf das Funktionieren und den Bestand der Europäischen Union ein Tätigwerden. 231. Dieser Erwägung steht nicht entgegen, den Vorschlagsberechtigten einzuräumen, ihren Vorschlag während des Verfahrens zurückzunehmen. Im gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebungsverfahren übt die Kommission über ihre Vorschläge die Herrschaft bis zu einem endgültigen Beschluß aus, d. h. solange das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann die Kommission ihren Vorschlag zurückziehen. Dieses Rücknahmerecht soll der Kommission einerseits Anpassungen ihres Vorschlages an die Meinungen der Ratsmitglieder und Parlamentsabgeordneten ermöglichen und andererseits die Möglichkeiten ihres politischen Gestaitungsspielraumes stärken. 475 Da sich der Inhalt des Vorschlages an den Rat nach Art. 7 Abs. I EUV darauf beschränkt, festzustellen, daß ein Mitgliedstaat gegen die in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze verstoßen hat, ist das Rücknahmerecht nicht an der inhaltlichen Gestaltung des Vorschlages festzumachen. Vielmehr sollte die Möglichkeit bestehen, das Sanktionsverfahren in jedem Stadium abzubrechen. Um einen formellen Beschluß des Rates über die Verfahrensbeendigung zu vermeiden, bietet es sich an, daß der Vorschlag zurückgezogen und damit die Verfahrensvoraussetzung aufgehoben wird. Sollte es im Vorfeld eines Feststellungsbeschlusses nach Art. 7 Abs. 1 EUV zu einer Einigung zwischen der Union und dem betroffenen Mitgliedstaat über seine künftige Vertragstreue kommen, muß die Union das den Integrationsprozeß zweifellos erheblich belastende Sanktionsverfahren nicht fortführen. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist indessen gering. Ein durch Rücknahme des Kommissionsvorschlages unterbrochenes Sanktionsverfahren kann jederzeit durch einen Vorschlag von drei Mitgliedstaaten wieder in Gang gesetzt werden.

bb) Tatbestandsvoraussetzungen - Art. 7 Abs. J i. V. m. Art. 6 Abs. J EUV (1) Verletzung der in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze 232. Hauptkriterium für die Anwendung des Sanktionsmechanismus ist das Vorliegen einer Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat.

475 Vgl. Schmitl v. Sydow, in: v. d. Groeben/ThiesingiEhlermann, Kommentar EGV/EUV, Art. 155, Rn. 28.

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Eine Verletzung liegt vor, wenn der Mitgliedstaat selbst, d. h. durch das Handeln seiner Organe oder ihm untergeordneter Einheiten, von den Inhalten der genannten Grundsätze negativ abweicht. In Anlehnung an die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofes wird man annehmen können,476 daß die Verletzungshandlung sowohl durch ein Tun als auch ein Unterlassen des Mitgliedstaates verwirklicht werden kann. Im Zusammenhang mit dem positiven Tun staatlicher Organe ist der Sonderfall föderaler Mitgliedstaaten zu nennen. In der Europäischen Union ist das Prinzip anerkannt, daß sich Mitgliedstaaten als Rechtfertigung fUr einen Vertragsverstoß nicht auf die innerstaatliche Organisation berufen können. 477 Das fUhrt in einem föderal organisierten Staat dazu, daß der Bund filr die Homogenitätsverletzungen der Gliedstaaten "haftet". Dieser Umstand hat Auswirkungen auf die bundesstaatlichen Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten, die jedoch erst im folgenden Kapitel thematisiert werden. Ein Mitgliedstaat könnte die von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze durch Unterlassen verletzen, wenn es Dritte unternähmen, die demokratischrechtsstaatliche Ordnung in dem Mitgliedstaat zu beseitigen, und er diese Handlungen untätig hinnähme oder nicht ausreichende Maßnahmen ergriffe. Der betroffene Mitgliedstaat wäre folglich verpflichtet, sein nationales Notstandsrecht anzuwenden, um europäische Verpflichtungen zu erfilllen. 233. Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die der Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätzen bezichtigt werden, könnten als Verteidigungsstrategie auf mögliche Rechtfertigungen ihres Vorgehens verweisen. Diese Strategie setzt voraus, daß es überhaupt möglich ist, Homogenitätsverletzungen zu rechtfertigen. Wie die Existenz der bereits genannten Schutzklausein in Art. 224 f. EGV zeigt, erkennt das Gemeinschaftsrecht die Notwendigkeit besonderer mitgliedstaatlicher Maßnahmen in spezifischen Notstandssituationen an. 478 Folglich kann nicht schon jedweder Rückgriff eines Mitgliedstaates auf seine Notstandsregelungen ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EUV bedeuten. Andererseits fehlt dem EU-Vertrag eine Bestimmung, die wie Art. 15 EMRK einem Mitglied etwa im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentli-

476 Der Gerichtshof vertritt die Ansicht, daß die Mitgliedstaaten eine Handlungspflicht trifft, Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit durch Private zu verhindern. Folglich ist eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch durch ein Unterlassen möglich, vgl. EuGH, Kommission .I. Frankreich - Rs. C-265/95, Slg. 1997, S. 1-6959 (6990 ff.); vgl. hierzu die Anmerkung von Schwarze, EuR 1998, S. 53 ff. 477 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung von Vertragspflichten zu rechtfertigen, EuGH, Kommission./. Deutschland, Rs. C-297/95, Slg. 1996, S. 1-6739 (6744); EuGH, Kommission ./. Spanien, Rs. C-107/96, Slg. 1997, S. 1-3193 (3199); EuGH, Kommission ./. Belgien, Rs. C-323/97, Slg. 1998, S. 1-4281 (4288) m. w. N. 478 Siehe dazu näher unter Zift'. 159.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

ehen Notstandes die Aussetzung vertraglicher Pflichten gestattet. 479 Es wird deshalb anzunehmen sein, daß die von Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze eine absolute Rechtsposition formulieren, deren Verletzung nicht rechtfertigungsflihig ist. 234. Inwieweit ein Mitgliedstaat die in Art. 6 Abs. I genannten Grundsätze verletzt, ist das Ergebnis eines Vergleichs des Istzustandes mit dem Sollzustand. Ein seriöses Ergebnis läßt sich nur bei möglichst detaillierter Kenntnis des gewünschten Idealzustandes erzielen, was die Aufmerksamkeit wieder auf den hohen Abstraktionsgrad und der damit einhergehenden inhaltlichen Unbestimmtheit der Grundsätze lenkt. Im vorangegangenen Kapitel wurde erläutert, daß sich die Inhalte der Rechtsprinzipien in Art. 6 Abs. I EUV nur annäherungsweise und vorwiegend über die Substraktionsmethode bestimmen lassen. 480 Dem Sanktionsverfahren wird dadurch bereits auf der Ebene des Tatbestandes ein Element der Unbestimmtheit eingepflanzt, das den Verfahrensbeteiligten einen vergrößerten Beurteilungsspielraum verschafft. Die Ergebnisse der Ausfuhrungen zu Art. 6 Abs. I EUV und die Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV sprechen fur die Annahme, daß der Sanktionsmechanismus nur dann zur Anwendung gelangen wird, wenn eine "Verletzung von in Art. 6 Abs. I genannten Grundsätzen" nach allgemeiner Ansicht und unbestrittener Weise vorliegt.

Für die Beurteilung der Verletzungshandlung ist das Verhalten des betroffenen Mitgliedstaates insgesamt maßgeblich, d. h. es sind nicht nur Verstöße gegen die Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EUV im Geltungsbereich der primärrechtlichen Verträge relevant, sondern jegliches Handeln im staatlichen Verantwortungsbereich. Darunter ist auch das Handeln in Kompetenzbereichen zu subsumieren, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. 235. Die verwendete Formulierung "Verletzung von [... ] Grundsätzen" beinhaltet, daß die gleichzeitige Verletzung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit nicht notwendig ist. Auch wenn der Wortlaut durch den Gebrauch des Plurals die Verletzung von wenigstens zwei der vier Grundsätze nahe legen mag,481 wird man die Verletzung eines einzigen Grundsatzes fur die

479 Zum Schutz der Menschenrechte im Ausnahmezustand Fitzpatrick, Human Rights in Crisis: the International System for Protecting Rights during State of Emergency, 1994; aus deutscher Sicht siehe Menzel, DÖV 1968, S. 1 ff. Vgl. auch FroweiniPeukert, EMRK-Kommentar, Art. 15 m. w. N. unter Rn. 14. 480 Siehe oben unter Ziff. 100 ff. 481 In diesem Sinn Wachsmann, RTDE 33 (1997), S. 883 (895).

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Tatbestandserrullung als ausreichend ansehen müssen. 482 Die Gegenansicht setzt die kaum erreichbare, trennscharfe Abgrenzung der Grundsätze voraus und würde im Ergebnis die Anwendbarkeit des Sanktionsmechanismus weiter erschweren. Außerdem ist nicht ersichtlich, weshalb z. B. die mitgliedstaatliche Verletzung ausschließlich des Menschenrechtsschutzes rur ein sanktionierendes Tätigwerden der Union nicht ausreichen soll.

(2) Schwerwiegende und anhaltende Verletzung 236. Der Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 EUV stellt an die Art und Weise der Verletzung qualifizierte Anforderungen - es muß sich um eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" der von Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze handeln. 237. Die Formulierung insgesamt entstammt Art. 4 und Art. 44 des Entwurfs rur einen Vertrag zur Gründung der Europäischen Union 483 und zeigt damit unmißverständlich, daß der Entwurf des Parlaments nicht nur politisch, sondern auch rechtstechnisch bis in seine Details als Vorläufer des Art. 7 EUV einzuordnen ist. Das Attribut "schwerwiegend" wird außerdem zur Typisierung mitgliedstaatlicher Notstandssituationen in Art. 297 EGV verwendet. 484 Ein Vergleich mit den Sanktionsmechanismen anderer Rechtsordnungen zeigt gleichfalls terminologische Ähnlichkeiten auf. Die in der eng lisch sprach igen Fassung des EU-Vertrages gebrauchte Formulierung des "serious and persistant breach" findet sich teilweise in Art. 8 der Satzung des Europarates (,,serious"), in Art. 6 der Satzung der Vereinten Nationen ("persistently violated') und sogar wortgleich in der Harare-Deklaration (,,serious and persistant') wieder. 485 238. Weder aus Art. 7 EUV noch aus dem systematischen Zusammenhang läßt sich erschließen, wann eine Verletzung als "schwerwiegend und anhal-

482 So ausdrücklich auch Manin, Columbia Journal of European Law 4 (1998), S. 1 (23). Die weiteren Äußerungen in der Literatur zu Art. 7 EUV enthalten zu dieser Frage keine verwertbaren Aussagen. 483 Siehe oben unter Ziff. 213 f. 484 Zur Definiton der "schwerwiegenden innerstaatlichen Störung der öffentlichen Ordnung" als "Bedrohung der politischen Ordnung durch subversive Kräfte" siehe Hummer, in: GrabitziHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 24, Rn. 3 und bereits Daig, in: v. d. Groeben/Boeckh/Thiesing, Kommentar EWGV, 2. Aufl., Art. 224, S.668. 485 Die in den deutschen Fassungen der Sitzungsdokumenten des Parlamentsentwurf verwendete Formulierung der "krassen und anhaltenden Verletzung" ist nicht auf eine später geänderte Wortwahl, sondern auf eine andere Übersetzung zurückzuführen, vgl. Bericht Spinelli, EP-Dokument 1-575/83/8 vom 15.7.1983, S. 11 Rz. 38 und EPDokument 1-575/83/C vom 15.7.1983, S. 21 RZ.63.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

tend" anzusehen ist. 486 Durch den Rückgriff auf die Vorarbeiten zum erwähnten Entwurf des Parlaments und aufgrund der Äußerungen zu den internationalrechtlichen Sanktionsmechanismen lassen sich jedoch mittelbar einige konkretisierende Aussagen zu dieser Frage gewinnen. 239. In jeder "einfachen" Vertragsverletzung wird in der großen Mehrzahl der Fälle immer auch eine Beeinträchtigung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze liegen. Entscheidend ist die Frage, wie stark diese Beeinträchtigung ist, in weIchem Umfang die Prinzipien verletzt wurden. Für diese einfachen Vertragsverletzungen sehen das Gemeinschaftsrecht und der EUVertrag Rechtsschutzmöglichkeiten vor. Jede über eine "einfache" Vertragsverletzung hinausgehende finale Beeinträchtigung der Prinzipien, wird man dagegen als "schwerwiegend" einordnen müssen. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, daß bei der Beurteilung der Schwere einer Verletzung auch die Bedeutung der verletzten Bestimmung berücksichtigt werden muß. 487 Art. 6 Abs. 1 EUV ist eine der wichtigsten Vorschriften im Recht der Europäischen Union. Er enthält eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Grundsätze, so daß seine Verletzung die Vermutung der Schwere der Beeinträchtigung bereits in sich trägt. In der Literatur zum Parlamentsentwurf wird zur Erläuterung des dort verwendeten Begriffs der "schwerwiegenden Verletzung" ein doppelter Zusammenhang hergestellt. Erstens wird auf die von den Vereinten Nationen verwendete Terminologie hingewiesen, nach der sich die Menschenrechtskommission mit Individualbeschwerden beschäftigt (,flagrante und systematische Verletzung von Menschenrechten,,).488 Zweitens enthält der Entwurf der International Law Commission (ILC) fiir eine Konvention zur Staaten verantwortlichkeit Regelbeispiele fiir schwerwiegende Normverletzungen in Form von völkerrechtlichen Verbrechen. 489 Der Katalog völkerrechtlicher Verbrechen vermag dabei

Vgl. Barents, MJ 4 (1997), S. 332 (335); Langrish, ELRev 23 (1998), S. 3 (15). Darauf weist Capotorti hin, in: Capotorti/HilflJacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrages zur Gründung der Europäischen Union, Art. 44, S. 155. 488 Capotorti, in: Capotorti/HilflJacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union, Art. 4, S. 55, Wachsmann, RTDE 33 (1997), S. 883 (995). Auf der Grundlage der Resolutionen des Sicherheitsrates 728 F/XXVIII und 1503IXLVIII werden der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen auf Vorschlag des Unterausschusses zur Vorbeugung von Diskriminierungen und zum Schutz von Minderheiten Individualbeschwerden vorgelegt. 489 Capotorti, in: Capotorti/HilflJacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union, Art. 4, S.55. Zum Entwurf der ILC vgl. M. Schröder, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschnitt 6, Rn. 16 ff. m. w. N. Zu den völkerrechtlichen Verbrechen zählen in erster Linie die vom Internationalen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelten sogenannten Erga-omnes-Verpflichtungen, wie z. B. das Verbot des Angriffskrieges, der Sklaverei oder Rassendiskriminierung; hierzu Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 50, 1343 und Schindler, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/ Petersmann, FS Bernhardt, S. 199 ff. 486 487

rur

E. Norminhalt

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jedoch nur als Indiz für die exemplarische Anwendung des Art. 7 EUV und weniger als Unterscheidungskriterium für die Abgrenzung von "einfachen" und "schwerwiegenden" VertragsverIetzungen zu dienen. 240. Die zusätzlich und kumulativ zu erfüllende Qualifikation der mitgliedstaatlichen Verletzungshandlung als "anhaltend" bringt zum Ausdruck, daß das Sanktionsverfahren nicht bei einer einmaligen Homogenitätsverletzung, sondern nur durch das Aufrechterhalten des vertragswidrigen Zustandes über einen längeren Zeitraum in Gang gesetzt werden kann. Art. 7 EUV kann nicht rückwirkend angewendet werden, wenn der betroffene Mitgliedstaat nach einem schweren Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EUV bereits zu vertragsgemäßem Verhalten zurückgekehrt ist. Für die Erfüllung dieser quantitativen Kriterien ist vielmehr notwendig, daß der Mitgliedstaat an seiner Vertragsverletzung festhält. Weitergehende Aussagen über die Länge des Zeitraumes, in dem die Verletzung dem Ingangsetzen des Mechanismus vorausgegangen sein muß, sind nach dem Wortlaut nicht möglich und müssen in das Ermessen der mit der Anwendung von Art. 7 EUV betrauten Organe und vertragstreuen Mitgliedstaaten gestellt werden. 490 241. Bereits nach diesem Verständnis der qualifizierten VerIetzungshandlung auf der Grundlage des Wortlautes von Art. 7 Abs. 1 EUV liegt der Schluß nahe, daß der betroffene Mitgliedstaat von der Union wenigstens einmal die Aufforderung erhalten haben muß, zum vertragskonformen Verhalten zurückzukehren. Diese Pflicht der Union wird inhaltlich ergänzt durch entsprechende Maßnahmen auf diplomatischer und politischer Ebene.

ce) Beteiligung der Organe und des betroffenen Mitgliedstaates Art. 7 Abs. I und 5 EUV

(1) Europäisches Parlament 242. Das Europäische Parlament muß nach Art. 7 Abs. 1 EUV dem Vorschlag der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten zustimmen. Die Zustimmung ist notwendige Bedingung für das Tätigwerden des Rates und ermöglicht somit die Fortsetzung des eingeleiteten Sanktionsverfahrens. Das Zustimmungsrecht ersetzt die ursprünglich vorgesehene Beteiligung in Form eines Vorschlags- und Anhörungsrechts. 491

490 Diese Ansicht wird auch rur die ähnliche Formulierung in Art. 6 der Satzung der Vereinten Nationen vertreten, vgl. Kimminich, in: Simma, Kommentar UN-Charta, Art. 6 Rn. 12. 491 Ein Vergleich mit Art. 300 Abs. 2 EUV bestätigt diese Aussage. Die durch den Vertrag von Amsterdam in den EU-Vertrag geänderte Bestimmung ermöglicht die Aussetzung völkerrechtlicher Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Staaten oder in-

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

243. Dieses Zustimmungsrecht entspricht der Beteiligung des Parlaments im Beitrittsverfahren nach Art. 49 Abs. 1 EUV, in dem das Parlament der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union ebenfalls zustimmen muß. Zwar beendet das Sanktionsverfahren die Mitgliedschaft des betroffenen Mitgliedstaates nicht, doch erstrecken sich seine möglichen Rechtsfolgen in die Substanz der Mitgliedschaft und haben somit institutionelle Auswirkungen. Es ist deshalb systemgerecht, dem Parlament spiegelbildlich zum Beitrittsverfahren das Recht auf Zustimmung zuzugestehen. 244. Nach Art. 7 Abs. 5 EUV muß das Parlament dem Vorschlag mit ZweiDrittel Mehrheit bei einem zusätzlichen Quorum von der Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen. Bei der gegenwärtigen Gesamtzahl von 626 Abgeordneten könnte das Europäische Parlament folglich mit 209 Ja-Stimmen, bei mindestens 314 abgegebenen Stimmen, seine Zustimmung erteilen. 245. Die interne Willensbildung des Europäischen Parlaments richtet sich nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung (GO-EP).492 Wie grundsätzlich im Verfahren der Zustimmung üblich, wird der von den Mitgliedstaaten oder der Kommission an das Parlament übermittelte Vorschlag vom Parlamentspräsidenten an den federführenden Ausschuß überwiesen. Der Ausschuß wird dem Plenum dann eine Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung des Vorschlages unterbreiten. 493 In anderen Fällen des Zustimmungsverfahrens äußert sich das Parlament in einer einzigen Abstimmung zu dem vorliegenden Dokument. Änderungsanträge sind nicht zulässig. Diese Regel gilt auch fur die Zustimmung im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 EUV. Denkbar wäre jedoch, daß das Parlament sein Votum mit Empfehlungen an den Rat verbindet,494 die die Auffassungen des Parlaments im Hinblick auf das weitere Verhalten des Rates insbesondere im Gemeinschaftsverfahren enthalten. Diese Möglichkeit ist von besonderer Bedeutung, weil Art. 7 EUV und Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204

ternationalen Organisationen. Dabei hat das Parlament lediglich ein Recht unverzüglich und umfassend unterrichtet zu werden (Art. 300 Abs. 2 Uabs. 3 EGV); vgl. hierzu Ziff. 219. Zu Art. 300 EGV nach dem Vertrag von Amsterdam siehe Krenz/er/da Fonseca- Wol/heim, EuR 1998, S. 223 (227 ff.). 492 GO-EP in der Fassung vom 19.2.1997, ABI. Nr. L 49 vom 19.2.1997, S. 1 ff., zuletzt geändert durch Beschluß vom 11.3.1999, (noch nicht im Amtsblatt). V gl. insbesondere das neue Kapitel XIa und Art. 94a der geänderten, an den Vertrag von Amsterdam angepaßten Geschäftsordnung. Die jeweils gültige konsolidierte Fassung der GO-EP findet sich auch auf dem Internet-Server des Parlaments unter http://europarl.ep.ec/dg7/rules/. 493 Siehe Art. 80 Abs. 1 GO-EP. Nach dem Geschäftsverteilungsplan über die Zuständigkeiten der ständigen Ausschüsse des Parlaments - Anlage VI zur, GO-EP, angenommen durch Beschluß vom 13.5.1983, zuletzt geändert am 15.1.1997, 'ABI. Nr. L 49 vom 19.2.1997, S. 63 - wäre der InstitutioneHe Ausschuß für das Verfahren nach Art. 7 EUV zuständig. Als mitberatende Ausschüsse kämen die Ausschüsse für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten sowie Rechte und Bürgerrechte in Betracht. 494 Vgl. Art. 89 Abs. 4 GO-EP. Siehe auch Art. 94a Abs. 4 GO-EP n. F.

E. Nonninhalt

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EAGV keine weitere Beteiligung des Parlaments vorsehen. Aufgrund der gegenwärtigen Systematik der Geschäftsordnung wird das Parlament die Bestimmungen seines Binnenrechts dem neuen Verfahren entsprechend anpassen müssen. 246. Die Erfahrungen aus dem Umgang des Europäischen Parlaments mit dem Zustimmungsverfahren lehrt, daß das Parlament seine Entscheidung im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 EUV auf eine umfassende Analyse der Situation stützen wird. Im Ergebnis wird das Parlament deshalb zu einer eigenständigen Antwort auf die Frage kommen, ob und inwieweit der betroffene Mitgliedstaat die Homogenität verletzt hat. Damit wird der Tatbestand des Art. 7 Abs. I EUV von drei Instanzen geprüft: der Kommission oder einem Drittel der Mitgliedstaaten als Vorschlagsberechtigte, dem Parlament und schließlich dem Rat. 247. Das Parlament würde in einem möglichen Anwendungsfall des Art. 7 EUV nicht erst ab dem Zeitpunkt der offiziellen Übermittlung des Vorschlages mit dem Fall befaßt. Um die spätere Zustimmung des Parlaments von vornherein sicherzustellen, ist davon auszugehen, daß das Parlament auf informellem Wege in alle Beratungen und Entscheidungsprozesse im Vorfeld des Sanktionsverfahrens einbezogen werden würde. 495

Aus der Tatsache der bloßen Existenz eines parlamentarischen Zustimmungsrechts im Sanktionsverfahren kann nicht gefolgert werden, daß das Parlament in einem Anwendungsfall des Art. 7 EUV Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung der Ratsbeschlüsse nehmen könnte. Setzt das Parlament im Bereich der Außenbeziehungen der Europäischen Union sein Zustimmungsrecht als Hebel ein, um auf die materielle Ausgestaltung von völkerrechtlichen Abkommen und internationalen Beziehungen Einfluß zu nehmen,496 ist im Sanktionsverfahren diesbezüglich ein entscheidender Unterschied zu konstatieren: Obwohl die Zustimmung des Parlaments gemäß Art. 7 Abs. I EUV auf den Vorschlag und zeitlich vor dem Ratsbeschluß abgegeben wird, und somit die Auffassung des Parlaments noch durch den Rat berücksichtigt werden könnte, erschöpft sich der materielle Gehalt des Ratsbeschlusses nach Art. 7 Abs. I EUV in der bloßen Feststellung der mitgliedstaatlichen Homogenitätsverletzung. Der Rat ist nicht berechtigt, direkt im Anschluß an einen Vorschlag nach Art. 7 Abs. I EUV das Parlament einfach zu ignorieren und einen Feststellungsbeschluß zu fassen. Da die Zustimmung des Parlaments dem Ratsbeschluß zeitlich vorausgeht und damit die Versagung der Zustimmung bei unterlassener

495 Siehe dazu auch die "Neue Strategie" der Kommission zur stärkeren Einbeziehung des Europäischen Parlaments in den Willensbildungsprozeß der Union in auswärtigen Angelegenheiten, hierzu Hilf/Schorkopf, in: DrexllKreuzer/Scheuing/Sieber, Europäische Demokratie, S. 109 (126 f.). 496 Dazu Hilf/Schorkopf, in: DrexllKreuzer/Scheuing/Sieber, Europäische Demokratie, S. 109 (124 f.).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

Kooperationsbereitschaft des Rates als Druckmittel ausscheidet, muß sich das Parlament mit Empfehlungen an den Rat zufrieden geben. Die zeitliche Reihenfolge der Beteiligungsrechte soll sicherstellen, daß der Rat die Auffassung des Parlaments berücksichtigen kann und das institutionelle Gleichgewicht gewahrt wird. Abschließend ist festzustellen, daß der Rat nicht berechtigt ist, dem Parlament eine Frist fur die Zustimmung zu setzen, wie das beispielsweise bei der Zustimmung des Europäischen Parlaments zu internationalen Abkommen nach Art. 300 Abs. 3 Uabs.3 EGV möglich ist. Das ergibt sich aus dem Fehlen eines entsprechenden Zusatzes in der einschlägigen Vertragsbestimmung des Art. 7 EUV.

(2) Europäische Kommission 248. Die Europäische Kommission ist an dem Sanktionsverfahren nur im ersten Verfahrens schritt durch das Vorschlagsrecht beteiligt. Sie nimmt nach dem Wortlaut des Vertrages weder an der Vorbereitung des Sanktionsbeschlusses nach Art. 7 Abs. 2 EUV noch an dem Gemeinschaftsverfahren der zweiten Verfahrensstufe teil. 249. Aus dem Kohärenzgebot des Art. 3 Abs. 2 EUV könnte sich jedoch ein weitergehendes Beteiligungsrecht der Kommission im Rahmen der Beschlußfassung des Rates ergeben. 497 Schließlich verfugt die Kommission über die personellen und sachlichen Ressourcen, beispielsweise Auswirkungen von Sanktionsbeschlüssen auf die natürlichen und juristischen Personen zu beurteilen (Art. 7 Abs. 2 S. 2 EUV) oder Bereiche innerhalb des Unionsrechts zu identifizieren, die fur eine Aussetzung besonders geeignet scheinen. Diese Aufgaben könnte die Kommission zwar auch im Rahmen ihres Vorschlagsrechts erfullen, allerdings ist dieses Recht - wie erwähnt - nicht auf die Kommission beschränkt. Folglich ist der Fall denkbar, daß die Kommission überhaupt nicht an dem Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV beteiligt wird. Es wäre deshalb sinnvoll, der Kommission über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ausdrücklich ein Beteiligungsrecht in Form der Beratung und Teilnahme an den Sitzungen des Rates und des Parlaments zuzugestehen. 498

497 Zu diesem Handlungs- und Gestaltungsprinzip siehe Hilf, in: MagieraJSiedentopf, Zukunft der Europäischen Union, S. 207 (217). 498 Vgl. dazu Art. 211 Spiegel strich 3 EGV i. V. m. Art. 5 EUV. Danach ist die Aufgabe der Kommission, bei dem Zustandekommen der Handlungen des Rates und des Europäischen Parlaments mitzuwirken, prinzipiell auf den Geltungsbereich des EUVertrages zu übertragen. Soweit Art. 211 EGV über Art. 5 EUV nicht ohnehin im Geltungsbereich des EU-Vertrages angewendet werden muß, ließen sich aus dieser Bestimmung entsprechende Teilnahmerechte sinngemäß ableiten. Siehe auch den Entwurf der Regierungskonferenz, nach dem die Kommission im Vorfeld eines Sanktionsbeschlusses beteiligt werden sollte.

E. Norminhalt

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(3) Betroffener Mitgliedstaat 250. Der Mitgliedstaat, der die in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze verletzt, wird nach Art. 7 Abs. 1 EUV vom Rat zur Stellungnahme aufgefordert. Durch die Stellungnahme wird dem betroffenen Mitgliedstaat nach dem Rechtsgrundsatz audiatur et altera pars rechtliches Gehör gewährt. 251. In der deutschen Fassung des Unionsvertrages wird der Begriff der "Stellungnahme" gebraucht. Dieser Begriff ist aus dem Gemeinschaftsrecht vertraut, wird dort jedoch nicht einheitlich verwendet. Er bezeichnet sowohl eine bestimmte Handlung der Kommission im Rechtsschutzverfahren (Art. 226 Abs. 1, 227 EGV),499 als auch einen benannten Rechtsakt (Art. 249 Abs. 5 EGV) und eine der Handlungsformen des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsverfahren (Art. 251 Abs. 2 Uabs. 1,252 lit. a EGV). In Art. 7 Abs. 1 EUV bezeichnet der Begriff der "Stellungnahme" die Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber dem betroffenen Mitgliedstaat. Ein Vergleich mit anderen authentischen Sprachfassungen der Verträge zeigt, daß die deutsche Fassung ohne Not von der gebräuchlichen Unterscheidung zwischen "Stellungnahme" und "Äußerung" abweicht/oo und die Rechtsfigur des Art. 7 Abs. I EUV mit einem bereits mehrfach belegten Terminus benennt. Die deutsche Fassung unterscheidet sich insoweit von den anderen Sprachfassungen der Verträge. So wird in der englischen Fassung des Art. 7 Abs. 1 EUV der Ausdruck "observations", in der französischen "observation en la matiere" und in der spanischen "observaciones" gebraucht,50I die sich folgerichtig auch in Art. 227 Abs. I EGV als Bezeichnung fur das dortige Beteiligungsrecht der betroffenen Mitgliedstaaten wiederfinden. Der deutschen Sprachfassung mangelt es insoweit an sprachlicher Kohärenz. 252. Der Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Bestimmung verdeutlichen, daß der Rat auch ohne Vorliegen einer Stellungnahme das Verfahren fortsetzen und einen Feststellungsbeschluß fassen kann. Erstens fordert der Wortlaut nur die Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme und zweitens entspräche es nicht Sinn und Zweck des Art. 7 EUV, billigte man dem betroffenen Mitgliedstaat die Entscheidung über den Fortgang des Sanktionsverfahrens zu. Zur zweifelsfreien Durchfiihrung eines ordentlichen Verfahrens wäre dem Rat statt dessen - in Ergänzung des Wortlautes - zu empfehlen, zur Wahrung von Verfahrensgrundsätzen seine Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme mit

Vgl. auch Art. 211 2. Spiegelstrich EGV. Vgl. Art. 226 Abs. 1 EGV: "Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen, so gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme hierzu ab; sie hat dem Staat zuvor die Gelegenheit zur A·ußerung zu geben." (Hervorhebungen vom Verf.) 501 Der Begriff der "Stellungnahme" des Art. 249 Abs. 5 EGV wird von zitierten Fassungen mit "opinions", "Ies avis" und "Ios dictämenes" wiedergegeben. 499

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

einer Frist zu verbinden. Während dieses Zeitraumes wäre die Beschlußfassung des Rates aufgeschoben. Die Länge der Frist müßte unter Berücksichtigung der Vorgeschichte des Sanktionsverfahrens und der näheren Umstände des Einzelfalles bestimmt werden. Angesichts der Bedeutung eines Homogenitätsverstoßes und der mit diesem Vorwurf einhergehenden Verfassungskrise der Union, wird die Frist auch entsprechend kurze Zeiträume umfassen können. s02 253. Abzulehnen ist die Auffassung, daß auch das Europäische Parlament dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen muß. S03 Der Wortlaut des Art. 7 Abs. I EUV ist in dieser Hinsicht eindeutig ausschließlich der Rat fordert den Mitgliedstaat zur Abgabe einer Stellungnahme auf. Indessen spricht nichts gegen die fakultative Gewährung rechtlichen Gehörs seitens des Europäischen Parlaments im Zusammenhang mit dem parlamentsintemen Wiliensbildungsprozeß. Eine Verpflichtung wird dadurch jedoch nicht begründet.

dd) Beschluß durch den Rat der Europäischen Union - Art. 7 Abs. 1 und 4 EUV (1) Beschlußorgan 254. Nach Art. 7 Abs. I EUV ist der Rat das für den Feststellungsbeschluß zuständige Organ. Der Rat tagt zu diesem Zweck in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs. Diese spezifische Anforderung an die Zusammensetzung des Rates findet sich bereits im Wortlaut des Gemeinschaftsrechts. In den Art. 112 Abs. 2 lit. b, Art. 121 Abs. 2 bis 4 und Art. 122 Abs. 2 EGV werden dem Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs Kompetenzen im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion eingeräumt. Nach dem Wortlaut läßt sich damit der Rat der Europäischen Union im Sinne der Art. 202 ff. EGV, der über Art. 5 EUV als Gemeinschaftsorgan auch Befugnisse im Rahmen der Europäischen Union wahrnimmt, eindeutig als Beschlußorgan identifizieren. s04 Die gewählte Formulierung verdeutlicht, daß die

502 Im Gegensatz zu Art. 366a des geänderten AKP-EG-Abkommens (siehe unter Ziff. 218 f.), enthält Art. 7 EUV auch keine Fristen für die Dauer von Konsultationen im Vorfeld der Aussetzung vertraglicher Rechte. Das Fehlen einer vergleichbaren Klausel deutet darauf hin, daß der Handlungsspielraum der Organe und Mitgliedstaaten im Sanktionsverfahren bewußt weiter gestaltet sein soll. Die Setzung einer angemessenen Frist durch den Rat wird dadurch jedoch nicht unterbunden. 503 So aber Manin, ColumbiaJoumal ofEuropean Law, 4 (1998), S. 1(23). 504 Die rechtliche Zulässigkeit der Um benennung des "Rates der Europäischen Gemeinschaften" durch Beschluß vom 8.11.1993 (ABI. Nr. L 281 vom 16.11.1993, S. 18) in "Rat der Europäischen Union" ist für die vorliegende Frage, welches Organ im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 EUV handelt, ohne Bedeutung. Zu dieser Streitfrage siehe aus-

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Entscheidung über die Feststellung der Vertragsverletzung bewußt dem aus dem Gemeinschaftsrecht entliehenen Rat überantwortet wurde und nicht dem Europäische Rat im Sinne des Art. 4 EUV. sOS Die systematische und teleologische Auslegung stützt diese Argumentation. Zwar käme aufgrund seiner durch Art. 4 EUV verliehenen Bedeutung als Beschlußgremium auch der Europäische Rat filr ein Tätigwerden im Sanktionsverfahren in Betracht. Trifft doch der Europäische Rat die wichtigen politischen Entscheidungen zur Einigung Europas (Rn.15)und ist das mit "höchster politischer Autorität und weitestgehenden politischen Befugnissen" ausgestattete Gremium. so6 Ausschlaggebendes Argument, die Beschlußkompetenz im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 EUV nicht dem Europäischen Rat zuzuordnen,507 ist jedoch seine Zusammensetzung. Der Europäische Rat setzt sich aus den Staatsund Regierungschefs und dem Kommissionspräsidenten, ergänzt durch die Außenminister und einem weiteren Kommissionsmitglied, zusammen. Selbst wenn man die Nennung des Kommissionspräsidenten in Art. 4 Abs. 2 EUV auf ein "primärrechtlich garantiertes Anwesenheitsrecht" reduzierte,508 unterscheidet den Europäischen Rat noch immer die größere Teilnehmerzahl und die Einflußmöglichkeit der Kommission vom Rat der Europäischen Union in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs. Diese institutionalisierte Anwesenheit der Kommission kann nicht durch Beschluß - wie sonst nach der Geschäftsordnung des Rates möglich - aufgehoben werden. 509 Auch die These von der Identität des Rates in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs mit dem Europäischen Rat vermag nicht zu überzeugen. sIO Die Formulierungen in den Verträgen der europäischen Integrationsgemeinschaften sind das Ergebnis sorgsam gewählter Kompromisse zwischen den Verhandlungsparteien. Die Erwähnung des Europäischen Rates im EG-Vertrag beschränkt sich auf Fälle, in denen das Gremium seine originären Befugnisse als politisches Leitungsorgan filr die gesamte Europäische Union ausübt.

flihrlich Hi/flPache, in: GrabitzfHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. E Rn. 9 ff. und PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 183 f. m. w. N. 505 So auch ausdrücklich Barents, MJ 4 (1997), S. 332 (335). 506 Hi/flPache, in: GrabitzfHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. D Rn. 18. 507 So aber Fernandez, Europäisches Parlament, Task Force Regierungskonferenz, Bericht vom 15.7.1997, EP-Dokument 332457, S. 1; Müller-Brandeck-Bocquet, Aus Politik und Zeitgeschichte B47/97, S. 21; Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel 1, Rn. 23 und öfter; wohl auch Manin, Co1umbia Journal of European Law, 4 (1998), S. 1 (23), der den Begriff "European Council" rur das Beschlußorgan nach Art. 7 Abs. 1 EUV benutzt. 508 PechsteiniKoenig, Europäische Union, Rn. 168. 509 Vgl. Art. 4 Geschäftsordnung des Rates, ABI. Nr. L 304 vom 10.12.1993, S. 1. 5\0 Siehe Glaesner, EuR 1994, S. 25; ders., EuR 1995 Beiheft 2, S. 146.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

(2) Mehrheiten 255. Der Rat faßt seinen Beschluß zur Feststellung der Verletzung einstimmig. Es handelt sich bei Art. 7 Abs. 1 EUV somit um einen weiteren Ausnahmefall von der formalen Grundregel des Art. 205 Abs. 1 EGV, die nach Art. 5 EUV auf den Unionsvertrag zu übertragen ist, wonach der Rat grundsätzlich mit Mehrheit abstimmt.

Obwohl zu dem Zeitpunkt der Beschlußfassung lediglich der Vorschlag zur Einleitung des Sanktionsverfahrens und das Votum des Parlaments vorliegen, bestimmt Art. 7 Abs. 4 EUV, daß der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates abstimmt. Die Aussetzung des Stimmrechts ist notwendig, weil der betroffene Mitgliedstaat andernfalls über ein Veto verrugte und das Zustandekommen der Einstimmigkeit verhindern könnte. Als Alternative zur Stimmrechtsaussetzung wäre denkbar gewesen, den Rat auch über den Feststellungsbeschluß mit qualifizierter Mehrheit entscheiden zu lassen. In diesem Fall hätte das Stimmrecht des betroffenen Mitgliedstaates unangetastet bleiben können. Eine solche alternative Lösungsmöglichkeit hätte jedoch im Widerspruch zu der Tatsache gestanden, daß die "prinzipale Einstimmigkeit"SII im Rat auch bisher schon rur Entscheidungen institutioneller Art in den Verträgen verankert ist. 512 Ohne die Entscheidung der Regierungskonferenz rur die Einstimmigkeit vor ihrem praktischen Hintergrund zu bewerten, ist deshalb festzustellen, daß das Einstimmigkeitserfordernis in der Grundsatzfrage der Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten durchaus systemgerecht ist. 256. Das Einstimmigkeitserfordernis wird in seiner Wirkung geringrugig abgeschwächt, indem die Stimmenthaltung von anwesenden oder vertretenen Ratsmitgliedern dem Zustandekommen der Einstimmigkeit nicht entgegensteht. Sl3 Art. 7 Abs. 4 S. 2 übernimmt damit nahezu wörtlich die Formulierung in Art. 205 Abs. 3 EGV in den EU-Vertrag.

(3) Ermessensentscheidung 257. Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EUV wird dem Rat bei der Entscheidung über das Vorliegen einer "schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung" Ermessen eingeräumt. Mit der Einbeziehung von Ermessen in den Entscheidungsprozeß wird der politischen Bedeutung des Sanktionsverfahrens Rechnung getragen. So könnte der Rat beispielsweise von einem entsprechen-

Ophüls, EuR 1966, S. 193 (215). Vgl. etwa Art. 18 Abs. 2 EGV; 190 Abs. 4 Uabs. 2 EGV; Art. 300 Abs. 2 i. V. m. Art. 310 EGV; Art. 49 Abs. 1 EUV. 513 Vgl. Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (222). 511

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den Feststellungsbeschluß trotz erftillter Tatbestandsvoraussetzungen absehen, weil von einem solchen Beschluß eine weitere destabilisierende Wirkung auf den betroffenen Mitgliedstaat ausgehen könnte, was zur Eskalation der Krisenlage beitrüge. 258. Fraglich ist, ob der Rat in jedem Fall eine Entscheidung über einen Vorschlag der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten fallen muß. Denkbar wäre, daß der Rat seine ablehnende Haltung gegenüber dem VOTschlag der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten mit einem negativen Feststellungsbeschluß zum Ausdruck bringt und das Verfahren dadurch formell abschließt. Eingedenk der bisherigen Praxis des Rates im Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaften ist es sehr wahrscheinlich, daß der Rat in Fällen, in denen das Fehlen eines Konsenses unter den Mitgliedern absehbar ist, untätig bleibt und von der formalen Beschlußfassung absieht. Vom Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EUV wäre ein solches Vorgehen jedenfalls gedeckt. 259. Die Bedeutung des Schutzes der Freiheit, der Demokratie, der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ftir die Existenz und Funktionsfähigkeit der Europäischen Union wird jedoch stets in Konkurrenz zu dem Ermessen der Rates treten. Das Ermessen des Rates könnte deshalb eingeschränkt werden. Eine solche Ermessensreduzierung setzt einen weiteren Abwägungsprozeß voraus, ftir den es allerdings mit Blick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 EUV keinen Raum im Wortlaut der Bestimmung mehr geben dürfte. Jede "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" ist ein sanktionswürdiges Verhalten des betroffenen Mitgliedstaates. Da von einem objektiv wertenden Standpunkt aus, der die Auswirkungen eines solchen mitgliedstaatlichen Verhaltens berücksichtigt, wohl kaum ein Fall denkbar ist, in dem eine Ermessensreduzierung nicht geboten wäre, wird der vom Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EUV vorgesehene Ermessensspielraum dem Rat uneingeschränkt zuzugestehen sein.

c) Rechtsfolgen eines Feststellungsbeschlusses 260. Die Rechtsfolge des Feststellungsbeschlusses ist zuerst die verbindliche Feststellung der Europäischen Union, daß der betroffene Mitgliedstaat die Grundsätze des Art. 6 Abs. I EUV in schwerwiegender und anhaltender Weise verletzt. Entscheidende Bedeutung kommt ihm als konstitutive Voraussetzung ftir den zweiten Schritt des Sanktionsverfahrens zu: die Sanktionsbeschlüsse auf Unions- und Gemeinschaftsebene. Der Feststellungsbeschluß des Rates bedarf keiner formellen Bestätigung auf der Gemeinschaftsebene. Vielmehr entfaltet er direkte Wirksamkeit als Tatbestandsvoraussetzung im Rahmen des Gemeinschaftsverfahrens. Da nach bisher geltendem Gemeinschaftsrecht Beschlüsse des Rates auf der Ebene der Europäischen Union ftir ihre Wirksamkeit des inhalts gleichen Parallelbeschlusses auf Gemeinschaftsebene bedürfen, ist

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

dieser Umstand bemerkenswert. Welche Schlußfolgerungen sich aus diesem Umstand ergeben, wird im nächsten Kapitels erörtert werden. 261. Darüber hinaus hat der Feststellungsbeschluß Auswirkungen auf das Asylrecht von Unionsbürgern in den Mitgliedstaaten der Union. Obwohl die Bemühungen einiger Mitgliedstaaten in der Regierungskonferenz scheiterten,514 in einem Vertragsartikel verbindlich feststellen zu lassen, daß Unionsbürger kein Recht auf Asyl in den Mitgliedstaaten der Union haben. Wurde dieses Ziel im Ergebnis dennoch erreicht, indem die Mitgliedstaaten nach dem einzigen Artikel des Protokolls zum EG-Vertrag über die Gewährung von Asyl filr Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union 515 als sichere Herkunftsländer gelten. 516 Damit können Asylanträge von Unionsbürgern in Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht zum Erfolg führen, weil das sichere Herkunftsland nach der Konzeption des europäischen Asylrechts stets der einzige für den Antrag zuständige Staat ist. Die Voraussetzungen, nach denen der Asylantrag eines Bürgers aus einem solchen sicheren Herkunftsland in einem Mitgliedstaat der Union dennoch Erfolg haben kann, sind ebenfalls in dem Artikel des Protokolls genannt. Zwei dieser Ausnahmebestimmungen betreffen ausdrücklich Art. 7 EUV. Danach ist im Falle eines Vorschlages oder der Beschlußfassung des Rates nach Art. 7 Abs. I EUV die Beschränkung des Asylrechts filr Staatsangehörige des betroffenen Mitgliedstaates aufgehoben. Die anderen Mitgliedstaaten sind insoweit frei, den Asylantrag zu berücksichtigen oder zumindest zur Bearbeitung zuzulassen. 262. Schließlich wird die bloße Feststellung einer Homogenitätsverletzung durch die Aufnahme dieser Tatsache in der Öffentlichkeit erheblichen politischen Druck auf den betroffenen Mitgliedstaat entfalten. Die öffentliche Deklaration einer solchen Vertragsverletzung hat im Zeitalter der Mediendemokratien erhebliche Prangerwirkung, die aufgrund der in Rede stehenden Rechtsgüter und die das Sanktionsverfahren begleitenden Umstände in ihrer Intensität noch wesentlich höher sein dürfte, als sie mit der Deklaration eines Vertragsverstoßes nach dem EG-Vertrag schon heute erzielt wird. 517 Der daraus folgende 514 Dazu Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 60. Diese Unterlassung beruht auf den Bedenken einiger Mitgliedstaaten betreffend die Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit den Bestimmungen der Genfer Konvention über die Rechtsstellung von Flüchtlingen vom 28.7.1951, (BGBI. 1953 I1, S. 560) und dem New Yorker Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967 (BGBI. 1969 I1, S. 1294). 515 ABI. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 103 f. Siehe auch die von der Konferenz zur Kenntnis genommene Erklärung Nr. 48 zum Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wonach das Protokoll nicht die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen zur Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention berührt; ebenda, S. 141. 516 Zur Stellung der Protokolle als Bestandteile des EG-Vertrages siehe Art. 311 EGV. 517 Zum Sanktionsmittel des moralischen Drucks siehe z. B. den Titel IV der Europäischen Sozialcharta (Art. 21 ff.), dazu Oberleitner, Menschenrechtsschutz durch

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Konfonnitätsdruck könnte die Rückkehr des betroffenen Mitgliedstaates zur Vertragstreue beschleunigen.

2. Zweiter Verfahrensschritt - Sanktionsbeschluß a) Rechtsgrundlage - Art. 7 Abs. 2 S. 1 EUV 263. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EUV ennächtigt den Rat, "bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung dieses Vertrages auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten".

b) Voraussetzungen Der Rat kann auf der Grundlage eines Feststellungsbeschlusses nach Art. 7 Abs. 1 EUV (aa) mit qualifizierter Mehrheit die Aussetzung von Rechten beschließen (bb), soweit er die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen berücksichtigt (cc).

aa) Beschlußorgan 264. Für den zweiten Verfahrensschritt benennt Art. 7 Abs. 2 S. I EUV den Rat als das zuständige Beschlußorgan. Einen konkretisierenden Zusatz über die Zusammensetzung des Rates enthält die Vorschrift nicht. 265. Das wirft die Frage auf, welche Anforderungen an die Zusammensetzung der Ratsdelegationen gemäß Art. 7 Abs. 2 EUV zu stellen sind. Entweder tritt der Rat weiterhin in seiner Besetzung der Staats- und Regierungschefs zusammen, oder der Sanktionsbeschluß nach Art. 7 Abs. 2 EUV wird vom Ministerrat in seiner fachspezifischen Zusammensetzung gefaßt - in diesem Fall durch den von den Außenministem gebildeten Allgemeinen Rat. 518 Für die unveränderte Zusammensetzung spricht die Bedeutung der zu fallenden Entscheidung. Der Sanktions beschluß hat rur den betroffenen Mitgliedstaat konkrete Auswirkungen auf seine materiellen Mitgliedschaftsrechte und steht damit in seiner Bedeutung dem Feststellungsbeschluß keineswegs nach. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 S. 1 EUV ist in dieser Hinsicht neutral. Er würde sowohl die

Staatenberichte, S. 55 fT.; zum präventiven Menschenrechtsschutz durch völkerrechtliche Konventionen Alleweldt, EuGRZ 1998, S. 245 (253 f.) Vgl. auch Oldenhage, Arch VR 12 (1964/65), S. 261 tT.; Steinhauer, Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten, S. 220 tT. und ZitT. 313. 518 Vgl. Jacque, in: v. d. Groebenffhiesing/Ehlennann, Kommentar, Art. 146 Rn. 17. 11 Scharkopf

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

Beschlußfassung durch die Staats- und Regierungschefs als auch durch den Fachministerrat abdecken. Die Systematik der Verträge und Überlegungen zum Sinn und Zweck der Regelung geben jedoch den Ausschlag tur den Ansatz, daß mit der Formulierung in Art. 7 Abs. 2 S. 1 EUV die Beschlußfassung durch den Fachministerrat gemeint ist. In Art. 121 EGV wird bewußt zwischen dem "Rat" und dem "Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs" unterschieden; in Art. 121 Abs. 2 EGV wird diese Unterscheidung sogar innerhalb desselben Absatzes getroffen. 519 Die Zuordnung von Aufgaben innerhalb derselben Thematik an den Rat in unterschiedlichen Zusammensetzungen ist dem Primärrecht folglich nicht unbekannt. Weiterhin zeigt das mit der Entscheidung nach Art. 7 Abs. 1 EUV verbundene Einstimmigkeitserfordemis, daß die Regierungskonferenz im Feststellungsbeschluß die eigentliche Richtungsentscheidung gesehen hat, die dem protokollarisch höchstrangig besetzten Entscheidungsorgan zugeordnet werden sollte. Dagegen gleicht der Sanktionsbeschluß trotz seiner möglichen Rechtsfolgen eher einer Durchtuhrungsentscheidung, für die deshalb auch die qualifizierte Mehrheit der Stimmen ausreichend ist. Der Sanktionsbeschluß nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EUV muß nicht notwendig vom Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs gefaßt werden. 520 Es liegt aber im Ermessen des Rates, und es ist mit dem Wortlaut vereinbar, wenn der Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs auf ein und derselben Sitzung sowohl den Feststellungs- als auch den Sanktionsbeschluß faßt.

bb) Mehrheiten

266. Der Rat beschließt nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EUV mit qualifizierter Mehrheit. Zu diesem Zweck verweist Art. 7 Abs. 4 S. 3 EUV auf die entsprechende Regelung in Art. 205 Abs. 2 EGV. Damit gilt das mit der qualifizierten Mehrheit verbundene Prinzip der Stimmwägung, d. h., abweichend von dem völkerrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Staaten, erhalten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine grundsätzlich an der Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft und dem politischen Gleichgewicht in der Union orientierte Stimmenzahl. 521 Durch die Verweisung und den Wortlaut des Art. 7 Abs.4 EUV bedarf es der Vertiefungen dieser Überlegungen in zweierlei Hinsicht. Dazu Everling, EuR Beiheft 2-1995, S. 41 (47). Ebenso Barents, MJ 4 (1997), S. 332 (335). 521 Zu dieser politisch motivierten Arithmetik siehe die Aufstellung über mögliche Interessenkonstellationen der Mitgliedstaaten bei Schweitzer, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 148 Rn. 5. Auf die Einbeziehung weiterer Erwägungen in die Höhe der Stimmenzahl, wie z. B. die Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten, konnte sich die Regierungskonferenz nicht einigen; vgl. hierzu die Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Turin (29.3.1996), BullEU 3-1996, 519 520

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(1) Notwendigkeit einer doppelt qualifizierten Mehrheit? 267. Art. 205 Abs. 2 EGV stellt an eine qualifizierte Mehrheit unterschiedliche Anforderungen. Ein Beschluß kommt mit einer qualifizierten Mehrheit von 62 Stimmen zustande, wenn er vom Rat auf Vorschlag der Kommission gefaßt wird. Fehlt der Kommissionsvorschlag als Voraussetzung der Beschlußfassung, benötigt ein Ratsbeschluß die doppelte qualifizierte Mehrheit von 62 Stimmen 522 und der Zustimmung von mindestens 10 Mitgliedstaaten. 523 Anders als beim Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. I EUV handelt der Rat im Rahmen des Art. 7 Abs. 2 EUV ohne formalen Vorschlag der Kommission. Nach dem Wortlaut der Verträge bedarf es folglich der doppelt qualifizierten Mehrheit fiir den Sanktionsbeschluß. 268. Dieses Ergebnis könnte den Sinn und Zweck der in Art. 7 Abs. 2 EUV angestrebten Regelung untergraben. Der vor dem Hintergrund des Einstimmigkeitserfordernisses in Art. 7 Abs. 1 EUV zu beurteilende Rückgriff auf die qualifizierte Mehrheit steht in einer Reihe mit den bisher bei der Willensbildung in der Europäischen Union geltenden Prinzipien. Der Konsens über die prinzipielle Verantwortlichkeit des betroffenen Mitgliedstaates fiir die Verletzung der Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EUV wird durch die Zustimmung jedes Mitgliedstaates der Union, mit Ausnahme des betroffenen Staates, hergestellt. Die Umsetzung dieser Feststellung in Sanktionen soll vereinfacht durch Beschluß mit qualifizierter Mehrheit erfolgen. Diese Vereinfachung wird nur bedingt erreicht, wenn das Länderquorum in die Bestimmung der qualifizierten Mehrheit einbezogen wird. Die Bedenken gegen das Erfordernis der doppelt qualifizierten Mehrheit werden noch gestützt durch einen vergleichenden Blick auf die zwei weiteren Anwendungsfalle dieser Mehrheitsform im EU-Vertrag. Die durch den Unionsvertrag von Maastricht in das Primärrecht eingefügten zwei Fälle der Abstimmung des Rates mit der doppelt qualifizierten Mehrheit 524 erwähnen in ihrer Verweisung auf Art. 148 Abs. 2 EGV a. F. ausdrücklich die notwendigen 62 Stimmen und das Quorum von 10 Mitgliedstaaten. In den Vertrag von Amsterdam ist diese Formulierung nicht übernommen worden. 525 Die fehlende KlarsteIlung im Wortlaut kann im Ergebnis allerdings nicht dazu führen, daß der Sanktionsbeschluß mit nur einer einfachen qualifizierten

Ziff. 1.5. Diese Frage wird im Rahmen der nächsten institutionellen Reform wieder zur Entscheidung anstehen. Dazu Wirtz, in: BergmannILenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel 15, Rn. 14 ff. 522 Diesen Begriff verwendet Harnier, in: v. d. GroebenlThiesingiEhlermann, Kommentar EGV/EUV, Art. 146 Rn. 3. 523 Art. 205 Abs. 2 Spiegelstrich 2 EGV. 524 Art. 1.3 Nummer 2 EUV a. F. und Art. K.4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV a. F. 525 Art. 23 Abs. 2 Uabs. 3 EUV und Art. 34 Abs. 3 EUV. Ein weiterer Fall der doppelt qualifizierten Mehrheit findet sich in Art. 272 Abs. 3 Uabs. 3 EGV.

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Mehrheit zustande kommt. Art. 7 Abs. 4 EUV verweist auf den gesamten Art. 205 Abs. 2 EGV. Deshalb ist davon auszugehen, daß an die erforderliche Mehrheit die höheren Anforderungen zu stellen sind. Dieses Ergebnis entspricht auch dem generellen Sinn und Zweck der gestuften Mehrheiten, deren entscheidendes Kriterium das Vorliegen eines Kommissionsvorschlages ist. Der Rat entscheidet in Fällen eines Kommissionsvorschlages nur mit einfacher Mehrheit, weil diese im Vorfeld ihres Vorschlages die beteiligten Interessen der Mitgliedstaaten berücksichtigt und einen abgewogenen Vorschlag vorgelegt hat. Wenn die Kommission im Rahmen ihres Vorschlages nach Art. 7 Abs. I EUV auch Ausführungen über mögliche Sanktionen macht, so existiert im Falle des Sanktionsbeschlusses für die konkreten Rechtsfolgen kein formaler Kommissionsvorschlag. Das Tätigwerden der Kommission im Sanktionsverfahren beschränkt sich auf den Feststellungsbeschluß. Entscheidend ist schließlich, daß Art. 7 Abs. 4 EUV in der Entwurfsfassung vom 5. Dezember 1996 sowohl die Verweisung auf Art. 148 Abs. 2 EGV a. F. (Art. 205 Abs. 2 EGV) als auch den ausdrücklichen Hinweis auf die gewogenen Stimmen von zehn Mitgliedstaaten enthält. 526 Diese Tatsache legt den Schluß nahe, daß im Wortlaut des Art. 7 Abs. 4 EUV die "doppelte" Bezugnahme lediglich aus sprachlichen Gründen vermieden werden sollte. Dies hätte den weiteren Vorteil, daß das nach der Aufuahme weiterer Mitgliedstaaten in der Europäischen Union voraussichtlich zu erhöhende Länderquorum in Art. 205 Abs. 2 EGV sich automatisch auf Art. 7 EUV und Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV erstrecken und somit eine Anpassung des Sanktionsverfahrens entbehrlich machen würde.

(2) Anteil der gewogenen Stimmen 269. Im Rahmen der qualifizierten Mehrheit nach Art. 7 Abs. 4 S. 3 EUV gilt der von Art. 205 Abs. 2 EGV festgelegte Anteil der gewogenen Stimmen. Bei einer Gesamtzahl von gegenwärtig 87 Stimmen im Rat liegt die qualifizierte Mehrheit bei 62 Stimmen. 527 Fraglich ist, wie sich die Nichtberücksichti-

Vgl. unter Ziff. 221. Die daraus folgende Höhe der Sperrminorität von 26 Stimmen wird durch den sog. Komprorniß von Ioannina ergänzt, Beschluß des Rates zur Beschlußfassung des Rates mit qualifizierter Mehrheit vom 29.3.1994, ABI. 1994 Nr. C \05 vom 13.4.1994, S. I. Widersetzen sich Mitglieder des Rates, die über 23 bis 26 Stimmen verfügen, einem Beschluß des Rates mit qualifizierter Mehrheit, wird unbeschadet zwingender Fristen eine "zufriedenstellende Lösung" gesucht. Letztendlich kann der Mehrheitsbeschluß jedoch mit 62 Stimmen gefaßt werden; dazu Poensgen, in: DuelLutter/Schwarze, FS für Everling, S. 1133 ff.; Jacque, in: v. d. Groeben/ThiesinglEhlermann, Kommentar EGV/EUV, Art. 148 Rn. 23. 526 527

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gung der Stimmen des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates auf die notwendigen Mehrheiten auswirkt. 528 Art. 7 Abs. 4 EUV bringt nicht deutlich zum Ausdruck, ob die Stimmenanteile des betroffenen Mitgliedstaates rur die Berechnung der qualifizierten Mehrheit von 62 Stimmen erhalten bleiben, oder ob das abstrakte Verhältnis von 87:62 anzuwenden ist, so daß - je nach Stimmzahl des betroffenen Mitgliedes - das Quorum rur die qualifizierte Mehrheit stets neu zu berechnen wäre. Ein Beispiel soll diesen Gedanken verdeutlichen. Die Rechte des Mitgliedstaates A sollen ausgesetzt werden. Der Rat hat einen Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. I EUV gefaßt. Mitgliedstaat A hat nach Art. 205 Abs. 2 EGV 10 Stimmen im Rat. Bliebe dieser Stimmenanteil für die Berechnung der qualifizierten Mehrheit erhalten, reduzierte sich die Maximalstimmzahl gemäß Art. 7 Abs. 4 S. I EUV auf 77 Stimmen und das Quorum für die qualifizierte Mehrheit läge weiterhin bei 62 Stimmen. Es wären also mindestens 16 Stimmen notwendig, um eine Entscheidung des Rates über die Aussetzung von Rechten zu venneiden. Das entspräche dem Stimmanteil eines großen Mitgliedstaates und zwei kleinen oder vier kleinen Mitgliedstaaten. 529 Die zweite Möglichkeit der Stimmverteilung nähme ihren Ausgangspunkt ebenfalls bei einer Höchststimmzahl von 77 Stimmen. Da das gegenwärtige Quorum von 62 Stimmen einem Prozentsatz von 71,26 % der Höchststimmzahl entspricht, müßte die neue qualifizierte Mehrheit ebenfalls dieses Verhältnis erfilllen. Anhand der konkreten Beispielszahlen hieße das, daß die qualifizierte Mehrheit im Rat für Sanktionsbeschlüsse zu Lasten der Mitgliedstaaten bei 55 Stimmen läge. 270. Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 4 S. I EUV spricht vom "Anteil der gewogenen Stimmen". Dies dürfte, ebenso wie Sinn und Zweck der Regelung, auf die verhältnismäßige Herabsetzung des Quorums rur die qualifizierte Mehrheit - also die zweitgenannte Möglichkeit - hindeuten. 53o Die qualifizierte Mehrheit soll die Beschlußfassung des Rates erleichtern. Das geltende Stimmenverhältnis ist das Ergebnis eines Kompromisses, der nicht zugunsten einer nur schwer berechenbaren, vom Einzelfall abhängigen Mehrheit und sich stets ändernder Stimmenverhältnisse aufgegeben werden sollte. 271. Bei der derzeitigen Stimmverteilung auf die einzelnen Mitgliedstaaten sähe das Verhältnis von Höchststimmzahl und jeweils notwendiger qualifizierter Mehrheit demnach wie folgt aus: 531

528 Die Verwendung des Singulars in Art. 7 Abs. 4 Satz I EUV rührt aus dem Umstand, daß diese Regelung auch für die Einstimmigkeit nach Art. 7 Abs. 1 EUV gilt. In bezug auf die Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit muß diese Formulierung im Plural gelesen werden. 529 Die Notwendigkeit der Zustimmung von 10 Mitgliedstaaten soll für dieses Beispiel unberücksichtigt bleiben. 530 So auch Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 24, Fn. 11; wohl auch Stein, in: GötzlSelmer/WoIfrum, FS für Jaenicke, S. 871 (897). 531 Prämisse der Berechnung ist, daß jeweils nur ein Mitgliedstaat die Grundsätze des Art. 6 Abs. I EUV verletzt. Die dem betroffenen Mitgliedstaat zugeordnete Stimmen-

§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

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Stimmen des Ratsmitgliedes

Höchsstimmzahl im Rat insgesamt

Erforderliche qualifizierte Mehrheit

10

77

55

8

79

56

5

82

58

4

83

59

3

84

60

2

85

61

(3) Zwischenergebnis Der Ministerrat faßt demnach einen Sanktions beschluß mit qualifizierter Mehrheit auf Grundlage des Art. 205 Abs. 2 EGV mit 71,26% der gewogenen Stimmen.

c) Rechtsfolgen eines Sanktionsbeschlusses nach Art. 7 Abs. 2 EUV aa)Sanktionsfähige Rechte

272. Der Rat wird nach Art. 7 Abs. 2 EUV ermächtigt, "bestimmte Rechte, die sich aus der Anwendung des Unions vertrages rur den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, [... ] auszusetzen". Die Aussetzung bedeutet, daß der betroffene Mitgliedstaat keinen Anspruch mehr auf Gewährung vertraglich zugesicherter Rechtspositionen hat. 273. Die Formulierung ,,[ ... ] filr den betroffenen Mitgliedstaat herleiten [... ]" verleitet zu der Annahme, daß die Vorschrift nicht die Aussetzung von Rechten der Marktbürger und Unternehmen gestattet. S32 Da es sich in der Praxis als schwierig gestalten dürfte, zwischen den Rechten der Mitgliedstaaten und denen von Bürgern und Unternehmen scharf zu unterscheiden, wird die Vorschrift dahingehend zu interpretieren sein, daß das Ermessen des Rates bei der Sanktionenauswahl gebunden ist. In einem ersten Schritt wären zunächst ausschließlich Rechte des betroffenen Mitgliedstaates auszusetzen. Für diese

zahl im Rat (linke Spalte) ist von der Höchststimmzahl (87 Stimmen) abzuziehen. Das Ergebnis dieser Substraktion zeigt die mittlere Spalte. Die rechte Spalte gibt die jeweils notwendige qualifizierte Mehrheit wieder. 532 Vgl. Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223).

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Sichtweise spricht auch die Berücksichtigungspflicht in Art. 7 Abs. 2 Uabs. I S.2 EUV. 533 274. Die Wendung "bestimmte Rechte" deutet darauf hin, daß der Rat nicht die Suspendierung des gesamten Unions vertrages beschließen kann, sondern konkrete und begrenzte Rechte erfaßt werden müssen. Die gewählte Formulierung spricht aber nicht gegen die Möglichkeit, auch Anwesenheitsrechte des Mitgliedstaates in den Gremien der Europäischen Union auszusetzen. Die sanktionierbaren Rechte müssen sich aus der Anwendung des Unionsvertrages ergeben. Der systematisch-teleologische Zusammenhang mit den Parallelregelungen in den Gemeinschaftsverträgen verdeutlicht, daß die in den Art. G, H und Art. I EUV a. F. bzw. Art. 8,9, und Art. 10 EUV enthaltenen Bestimmungen zur Änderung der Gemeinschaftsverträge, die formal ebenfalls zu den Bestimmungen des Unionsvertrages und seiner Änderungsakte gehören, im Unionsverfahren von vornherein als aussetzungs fähige Rechte ausscheiden. Als aussetzungsfiihige Rechte kommen die ausdrücklich erwähnten Stimmrechte (1) und die im EU-Vertrag enthaltenen Teilnahmerechte (2) in Betracht.

(1) Stimmrechtsentzug 275. Der Unionsvertrag erwähnt in Art. 7 Abs. 2 Uabs. I EUV ausdrücklich die Möglichkeit, die Stimmrechte des Vertreters der Regierung des betroffenen Staates im Rat auszusetzen. Folge einer solchen Aussetzung ist, daß der Rat Entscheidungen auf Grundlage der Ermächtigungen im Unionsvertrag treffen kann, ohne das der betroffene Mitgliedstaat in der Lage ist, formalen Einfluß auf die ihn bindenden Entscheidungen (Art. 7 Abs. 2 S. 2 EUV) zu nehmen. 276. Fraglich ist, rur welche Entscheidungsgremien die Stimmrechte ausgesetzt werden können. Der Formulierung in Art. 7 Abs. 2 Uabs. I EUV nach zu urteilen, handelt es sich nur um den Rat der Europäischen Union, der gemäß Art. 7 Art. 5 EUV im Rahmen des Unionsvertrages tätig wird. Diese Zuordnung wäre insoweit mit der bisherigen Auslegung des Wortlautes vereinbar, wonach mit dem Begriff "Rat" stets das Gremium im Sinne der Art. 202 ff. EGV gemeint ist. 534 Indessen ist nicht ersichtlich, weshalb die Stimmrechtsaussetzung nicht auch rur den Europäischen Rat gelten sollte. Der Europäische Rat hat im Rahmen der GASP und der Zusammenarbeit in Strafsachen Entscheidungsbefugnisse. Außerdem tagt der Europäische Rat nach Art. 4 Abs. 2 EUV obligatorisch zweimal jährlich. Diese Treffen sind mit hoher öffentlicher Aufmerksamkeit verbunden und ermöglichen es den beteiligten Mit-

533 534

Siehe dazu nachfolgend unter Ziff. 306 f. Siehe die Ausfiihrungen unter Ziff. 254 f.

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gliedstaaten, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und die allgemeinen politischen Beziehungen zu pflegen. Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 Uabs. 1 EUV steht dieser Auffassung gleichfalls nicht entgegen. Die ausdrückliche Nennung der Stimmrechte im Rat gemäß Art. 7 Abs. 2 Uabs. I EUV ist ein spezifischer Anwendungsfall der in Absatz 2 enthaltenen, generellen Ermächtigung zur Aussetzung von Unionsrechten. Ihr ist exemplarischer Charakter zuzumessen. 535 277. Die ausdrückliche Nennung der Stimmrechte ist auch vor dem Hintergrund der Verweisung auf die Gemeinschaftsverträge zu sehen. Der Beschluß über die Aussetzung der Stimmrechte hat obligatorische Wirkung in den Gemeinschaftsverträgen. Die dem Art. 7 EUV korrespondierenden Regelungen in den drei Gemeinschaftsverträgen - Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV - sehen in ihren jeweiligen ersten Absätzen diese Erstrekkungswirkung vor. Man könnte darin die Umsetzung des in Art. 3 EUV enthaltenen Kohärenzgebotes auf Grundlage der Einheitlichkeit der Handlungsträger536 in der Europäischen Union sehen. 537

(2) Teilnahmerechte 278. Werden die Stimmrechte des betroffenen Mitgliedstaates ausgesetzt, bleibt das Anwesenheitsrecht der Delegation des betroffenen Mitgliedstaates in den Sitzungen des Europäischen Rates, des Rates der Europäischen Union und sonstiger im Unionsvertrag vorgesehener Gremien, unberührt. Denkbar ist auch, das Rederecht oder sogar das Anwesenheitsrecht der Vertreter der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates auszusetzen, was immer dann von besonderem Interesse sein wird, wenn die Teilnahme an Sitzungen mit einer entsprechenden Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit - wie vor allem bei den Sitzungen des Europäischen Rates - einhergeht. 279. Folgende konkrete Teilnahmerechte des betroffenen Mitgliedstaates kommen im Rahmen der Anwendung des Unionsvertrages flir die Aussetzung in Betracht:

• Der Ausschluß sowohl von den einstimmigen Beschlüssen, wie auch von den Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rahmen der GASP nach Art. 23 EUV. Dieser Umstand hindert die anderen Mitgliedstaaten nicht,

Vgl. Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (222 f.). Dazu Hilf/Pache, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. C Rn. 5 f. 537 So Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 491, die in diesem Zusammenhang von "ausdrücklichen Bindungsübernahmeklauseln" als einer Form der "Sicherung institutioneller Kohärenz" sprechen. 535

536

E. Norminhalt

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entsprechende Beschlüsse innerhalb der GASP zu fassen, die dann auch für den betroffenen Mitgliedstaat verbindlich sind. Letzterer hat in diesen Fällen weder die Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung (Art. 23 Abs. 1 Uabs. 2 EUV), noch die Möglichkeit, eine Abstimmung unter Hinweis auf sein nationales Interesse zu verhindern (Art. 23 Abs. 2 Uabs. 2 EUV), • der Ausschluß von der einstimmigen Annahme gemeinsamer Standpunkte, von Rahmenbeschlüssen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungs vorschriften, der Ausarbeitung von Übereinkommen und sonstiger Beschlüsse (Art. 34 Abs. 2 EUV) im Rahmen der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen, • die Aussetzung des Rechts, Vorschläge für die Änderung der Verträge nach Art. 48 Abs. 1 EUV zu machen, • der Ausschluß von der einstimmigen Entscheidung nach Art. 49 Abs. EUV, neue Mitgliedstaaten in die Europäische Union aufzunehmen, • die Aussetzung des Rederechts in sämtlichen Gremien aufUnionsebene, • der Ausschluß von der Teilnahme an den Sitzungen des Europäischen Rates (Art. 4 Abs. 2 S. 3 EUV) und des Rates der Europäischen Union, • die Verweigerung des Rechts, den Vorsitz im Europäischen Rat zu übernehmen (Art. 4 Abs. 2 S. 3 EUV i. V. m. Art. 203 Abs. 2 EGV), sowie • die Aussetzung des Rechts, einen Vorschlag nach Art. 7 Abs. I EUV mitzutragen.

bb) Berücksichtigungspjlicht 280. Bei der Entscheidung, welche Rechte des betroffenen Mitgliedstaates ausgesetzt werden, sind nach Art. 7 Abs. 2 Uabs. I S. 2 EUV die möglichen Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen zu berücksichtigen Dieses Gebot der Folgenabschätzung beschränkt sich nicht nur auf die natürlichen und juristischen Personen des betroffenen Mitgliedstaates, sondern es erstreckt sich auch auf die Staatsangehörigen und Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Mit der Berücksichtigungspflicht wird dem Umstand Rechnung getragen, daß Individuen wie Unternehmen subjektive Rechte durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumt werden, d. h., daß die aus dem Völkerrecht überlieferte Mediatisierung des Individuums durch den Staat in den Europäischen Gemeinschaften aufgehoben ist. 538 Die

538 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 47; Habe, Der Staat 32 (1993), S. 245 (254 f.).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

Rechtsfolgen der Sanktionierung eines Mitgliedstaates müssen also nicht notwendig von den eigenen Staatsangehörigen, noch von den anderen Marktbürgern und Unternehmen des betroffenen Mitgliedstaates getragen werden. 281. Wie der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EUV ("berücksichtigt") verdeutlicht, ist der Rat nicht daran gehindert, Sanktionsbeschlüsse mit erheblichen Auswirkungen fIlr natürliche und juristische Personen zu fassen. 539 Soll die Formulierung einer Berücksichtigungspflicht, die im Vertragsentwurf vom 5. Dezember 1996 noch fehlt, jedoch über die Wirkung einer Absichtserklärung hinausgehen, ist sie dahingehend auszulegen, daß der Rat in seinen Sanktionsbeschluß zunächst nur Rechte des betroffenen Mitgliedstaates einbeziehen kann. Solange als milderes Mittel ausschließlich Rechte des Mitgliedstaates sanktioniert werden können, ist von der Aussetzung von Rechten, die Einzelpersonen betreffen, abzusehen. 540 Das ein solches Vorgehen möglich ist, zeigt die Auflistung der möglichen sanktionierbaren Rechte im vorangegangen Abschnitt.

Diese Auslegung wird dadurch gestützt, daß der Rat nach Art. 7 Abs. 3 EUV die Möglichkeit hat, zu einem späteren Zeitpunkt den Sanktionsbeschluß abzuändern, d. h. auch zu verschärfen. Schließlich ist im Rahmen der Sanktionierung auf Unionsebene ohnehin die Aussetzung des Stimmrechts und der Teilnahmerechte des Mitgliedstaates maßgebend, die keine Auswirkungen auf die Rechte der Einzelpersonen und Unternehmen haben werden. Die Berücksichtigungspflicht gewinnt erst im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverfahren an Bedeutung.

cc) Fortbestehende Verpflichtung des betroffenen Mitgliedstaates 282. Art. 7 Abs. 2 Uabs. 2 EUV enthält die Feststellung, daß die Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaates aus dem Unionsvertrag im Falle eines

539 Langrish, ELRev 23 (1998), S. 3 (15); zur vergleichbaren Klausel in Art. 309 EGV siehe BruhaiVogt, VRÜ 30 (1997), S. 477 (494), die in diesem Zusammenhang mit der Berücksichtigungspflicht von einer "salvatorischen Klausel" sprechen. A. A. das Europäische Parlament in seiner Entschließung zum Vertrag von Amsterdam vom 19.11.1997. Das Parlament fordert, daß die "Aussetzung bestimmter Rechte eines Mitgliedstaates [... ] auf keinen Fall Rechte der Unionsbürger beeinträchtigen darf', ABI. Nr. C 371 vom 8.12.1997, S. 99 (103) = EuGRZ 1998, S. 69 (71). Vorsichtiger noch die Europaabgeordneten Vigo und Tsatsos in ihrem Bericht für das Plenum, A4-347/97 vom 5.1.1997 Ziff. 28 = EuGRZ 1998, S. 72 (76). Dort heißt es: "Eine solche Aussetzung [nach Art. 7 oder Art. 309] sollte jedoch nicht die Rechte der Unionsbürger beeinträchtigen." 540 Siehe Capotorti, in: CapotortilHiIflJacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, Art. 44, S. 166, der diese Auffassung zu einer entsprechenden Berucksichtigungsklausel in dem Verfassungsentwuf des Europäischen Parlaments von 1984 vertritt. V gl. auch Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223).

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Sanktionsbeschlusses weitergelten. Diese Feststellung hat lediglich deklaratorische Wirkung. 54 1 Sie verdeutlicht, daß die Aussetzung von Rechten den Mitgliedstaat nicht zu Gegenmaßnahmen im Sinne einer Repressalie oder Retorsion berechtigen. Die Aussetzung von Rechten wird dem betroffenen Mitgliedstaat einseitig auferlegt. Durch die Ratifikation dieser Vorschrift hat auch der betroffene Mitgliedstaat anerkannt, da er vor allem dazu verpflichtet ist, rur die Einhaltung der Grundsätze des Art. 6 Abs. I EUV zu sorgen, d. h., er muß innerstaatlich Maßnahmen ergreifen, durch die die Homogenität wiederhergestellt wird. 283. Die Feststellung des Art. 7 Abs. 2 Uabs 2 EUV ist darüber hinaus ein Indiz darur, daß das Sanktionsverfahren den Ausschluß eines Mitgliedstaates nicht mehr erfaßt. Würde ein Mitgliedstaat aus der Union ausgeschlossen, entfielen rur diesen sowohl die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte als auch die Verpflichtungen. Diese Rechtsfolge widerspräche jedoch der Aussage des Art. 7 Abs. 2 Uabs. 2 EUV und damit dem mutmaßlichen Willen der an der Regierungskonferenz Beteiligten. 542

dd) Anderungsbejugnis 284. Nachdem der Rat bestimmte Rechte des betroffenen Mitgliedstaates ausgesetzt hat, besteht die Möglichkeit, auf Veränderungen der Ausgangslage zu reagieren. Art. 7 Abs. 3 EUV ermächtigt den Rat der Europäischen Union,543 bei Änderungen in der Ausgangslage die nach Art. 7 Abs. 2 EUV getroffenen Maßnahmen abzuändern oder gar aufzuheben. Die Beschlüsse sind wiederum mit qualifizierter Mehrheit zu fassen. 544 285. Der Rat hat nach dem Wortlaut der Bestimmung auch bei dieser Entscheidung einen Ermessensspielraum. In diesem Fall wird man jedoch fragen müssen, ob der Rat nicht verpflichtet ist, die getroffenen Maßnahmen abzuschwächen oder aufzuheben, soweit der betroffene Mitgliedstaat auf Verbesserungen bei der Wahrung der Grundsätze der Union verweisen kann. Aus dem Auftrag zur Integration und dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) könnte die Pflicht zu einem entsprechenden Tätigwerden gefolgert werden. 545

Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 24. Zur Frage des Ausschlusses siehe auch Ziff. 291 und Ziff. 316 ff. 543 Für die Zusammensetzung des Rates gelten die Ausführungen unter Ziff. 254 ff. 544 Siehe unter Ziff. 266 ff. 545 Zur Integrationspflicht siehe Köck, in: Matscher/Seidl-HohenvelderniKarasWaldheim, FS für Schwind, S. 291 (299 ff.). Zum Staatsziel ,europäische Integration' Badura, in: Hengstschläger, FS für Schambeck, S. 887 (889); Pernice, in: Bieber/Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 225 (258). 541

542

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286. Die Fonnulierungen "abzuändern" und "Änderungen in der Lage" sind hinsichtlich ihrer Qualität neutral, d. h., der Rat kann bei einer Verschlechterung der Situation in dem betroffenen Mitgliedstaat auch die getroffenen Maßnahmen verschärfen. Die Entscheidung, welche Rechte ausgesetzt werden, beschränkt sich stets auf die tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt der Beschlußfassung. Treten Änderungen ein, kann neu entschieden werden. Der Rat hat so die Möglichkeit, und soweit die Rechte der natürlichen und juristischen Personen betroffen sind, die Pflicht, ein Mittel zu wählen, das der Verletzung angemessen ist. Insoweit ist Art. 7 Abs. 3 EUV Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 546 287. SoIlte der Rat eine Stimmrechtsaussetzung nach Art. 7 Abs. 2 EUV aufheben, erstreckt sich ein solcher Beschluß auf alle vier Verträge. Das folgt aus dem Umkehrschluß der in Art. 309 Abs. 1 EGV, Art. 96 Abs. 1 EGKSV und Art. 204 Abs. 1 EAGV vorgesehenen Erstreckungswirkung eines Sanktionssbeschlusses zur Stimmrechtsaussetzung. 288. Nicht einschlägig ist Art. 7 Abs. 3 rur die Frage, wie das Sanktionsverfahren nach der endgültigen Rückkehr des betroffenen Mitgliedstaates zur Vertragstreue endet. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf den Sanktionsbeschluß nach Art. 7 Abs. 2 EUV. Sie läßt den Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. 1 EUV unberührt.

ee) Grenzen der Sanktionierung

(1) Ratifikationserfordernis 289. Die Rechtsfolgen eines Sanktionsbeschlusses haben dort ihre Grenzen, wo rur das Inkrafttreten eines Unionsaktes die Ratifikation durch die Mitgliedstaaten nach deren verfassungsrechtlichen Vorschriften vorgesehen ist. 547 Das ist zunächst der Fall bei der Aufuahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union nach Art. 49 Abs. 2 EUV 548 und der Vertragsänderung nach Art. 48 Abs. 3 EUV. Darüber hinaus betrifft diese Schranke Regelungen in der GASP und der Zusammenarbeit in Strafsachen. 549 Die Ratifikation ist kein mitgliedstaatliches Recht aus dem Unionsvertrag, sondern Voraussetzung rur das In-

Dazu unter Ziff. 186 Fn. 378. Vgl. PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 489. 548 Diese Aussage steht nicht im Widerspruch zu dem Katalog der aussetzungstahigen Teilnahmerechte (siehe unter Ziff. 278). So kann der betroffene Mitgliedstaat zwar von der Beschlußfassung über die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten ausgeschlossen werden (Art. 49 Abs. I EUV), die dafür notwendigen Aufnahmebedingungen und Anpassungen der Verträge (Art. 49 Abs. 2 EUV) hingegen können nicht in Kraft treten. 549 Siehe Art. 17 Abs. I Uabs. I und 2 EUV; Art. 34 Abs. 2 lit. d EUV. 546 547

E. Nonninhalt

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kraftsetzen von vertragsändernden Regelungen auf der Grundlage des Völkerrechts.

(2) Erstreckungswirkung von Sanktionen auf andere Organe 290. Es ist nicht zulässig, die Aussetzung mitgliedstaatIicher Rechte auf die Zugehörigkeit natürlicher Personen mit der Staatsangehörigkeit des betroffenen Mitgliedstaates zu anderen Organen und Institutionen der Europäischen Union zu erstrecken. Zwar leiten die Mitgliedstaaten aus ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Union als solcher das Recht her, in den Organen und Institutionen der Europäischen Union mit ihren Staatsangehörigen proportional zu ihrer Größe und Bedeutung vertreten zu sein. Dieses Interesse ist jedoch nur ein mittelbares und trägt nicht die Vermutung, die Einzelpersonen seien lediglich Sachwalter der Mitgliedstaaten. Die Beamten und sonstigen Beschäftigten der Europäischen Union sind auf das gemeinschaftsrechtIiche Interesse ihrer nationalen Dienstherren verpflichtet, das insofern höher wiegt. 550 Das gilt allerdings nicht filr Experten der nationalen Verwaltungen, die filr einen begrenzten Zeitraum im Wege der Abordnung filr die Kommission tätig sind. Nach dem Statut der Beamten bleibt filr diesen Personenkreis die dienstrechtliche Stellung der Herkunftsinstitution bestehen, d. h., Dienstherr abgeordneter Beamter ist weiterhin die nationale Anstellungskörperschaft. 551

(3) Ausschluß eines Mitgliedstaates aufgrund von Art. 7 Abs. 2 EUV? 291. Aus der Formulierung "bestimmte Rechte auszusetzen" in Art. 7 Abs. 2 EUV läßt sich im Zusammenspiel mit dem deklaratorischen Hinweis, daß die Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaates bestehen bleiben, der Schluß ziehen, daß Art. 7 Abs. 2 EUV den Ausschluß eines Mitgliedstaates nicht deckt. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, den betroffenen Mitgliedstaat zur Einhaltung der in Art. 6 Abs. I EUV niedergelegten Grundsätze zu bewegen die Herauslösung aus dem Integrationsprozeß widerspräche diesem Anliegen. 552

550 Vgl. Capotorti, in: CapotortilHilf/Jacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, Art. 44, S. 166. 551 Vgl. Art. 37 bis 39 Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaft (VO 259/68 vom 29.2.1968), ABI. NT. L 65 vom 4.3.1968, S. 56. Dazu Kalbe, in: v. d. GroebenlThiesingiEhlennann, Kommentar EGV/EUV, Art. 212 Rn. 45. Zu dieser seit 1976 geübten Praxis des Beamtenaustausches siehe auch Röttinger, in: ders./Weyringer, Handbuch der europäischen Integration, S. 290 (298). 552 Den abschließenden Charakter des Art. 7 EUV betonen Wachsmann, RTDE 33 (1997), S. 893 (896); Ukrow, ZEuS 1998, S. 141 (156); Stein, in: GötziSelmer/Wolfrum,

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

Eine andere Frage ist es, ob die Tatsache der Einfügung des Sanktionsmechanismus der umstrittenen Ausschluß- und Austrittsproblematik Gesichtspunkte hinzufügt, die eine Neubewertung notwendig machen. Der Diskussion dieser Frage ist der nächste Abschnitt gewidmet. 553

3. Zwischenergebnis

292. Die erste Komponente des Sanktionsverfahrens zur Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union ist das Unionsverfahren. In seiner ersten Verfahrensstufe schließt es mit dem Feststellungsbeschluß, in seiner zweiten mit dem Sanktionsbeschluß ab. Die Rechtsfolge des Feststellungsbeschlusses erschöpft sich weitgehend in der Deklaration des Vertragsverstoßes. Sie ist Voraussetzung für den zweiten Verfahrensschritt - der Sanktionierung durch die Aussetzung konkreter Rechte. Auf der Unionsebene lassen sich die Stimmrechte und Teilnahmerechte des betroffenen Mitgliedstaates aussetzen. Die Stimmrechtsaussetzung erstreckt sich automatisch auch auf die Europäischen Gemeinschaften. Der Feststellungsbeschluß ist gleichsam Voraussetzung für die Aussetzung weiterer Mitgliedschaftsrechte im Rahmen des nachfolgend erörterten Gemeinschaftsverfahrens.

11. Gemeinschaftsverfahren Der zweite Teil des Sanktionsverfahrens - hier als das Gemeinschaftsverfahren bezeichnet - wird wiederum in einem Dreischritt nach Rechtsgrundlagen (1), Voraussetzungen (2) und insbesondere den Rechtsfolgen (3) erläutert.

1. Rechtsgrundlagen - Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV

293. Der Vertrag von Amsterdam beschränkt die Aufnahme des Sanktionsgedankens in das Recht der europäischen Integrationsverbände nicht auf die Änderung des EU-Vertrages, sondern er fügt auch den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften mit Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV jeweils eine Sanktionsbestimmung hinzu. 554 Diese Vorschriften greifen die zentralen Gedanken der Sanktionierung von Homogenitätsvorschriften auf, FS für Jaenicke, S. 871 (882) und Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223). Siehe dazu auch die vergleichbare Problematik im Zusammenhang mit Art. 6 der Satzung der Vereinten Nationen, die vorgetragenen Argumente werden zusammengefaßt von Kimminieh, in: Simma, Kommentar UN-Charta, Art. 6 Rn. 8 tf. m. w. N. 553 Siehe unter Ziff. 316 ff. 554 Siehe ABI. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 53, 56.

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verzahnen diese mit den Regelungen in Art. 7 EUV und bilden die Rechtsgrundlage fUr die Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten, die sich aus der Anwendung des Gemeinschaftsrechts herleiten. 555

2. Voraussetzungen a) Tatbestandsvoraussetzungen 294. Als einzige Voraussetzung fur das Tätigwerden des Rates auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts nennt Art. 309 Abs. 2 Uabs. 1 EGV den Umstand, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV festgestellt wurde. Nach der hier verwendeten Terminologie muß der Rat also einen Feststellungsbeschluß gefaßt haben. Die von Art. 309 Abs. 1 EGV verfUgte Übertragung der nach Art. 7 Abs. 2 EUV beschlossenen Aussetzung der Stimmrechte des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates auf den EG-Vertrag ist zwingend und vollzieht sich ohne weiteren Einfluß der Gemeinschaftsorgane. 556

b) Verfahren 295. Der Ablauf und die inhaltlichen Details des Gemeinschaftsverfahrens gleichen im wesentlichen den Regelungen über das Zustandekommen eines Sanktionsbeschlusses im Rahmen des Unionsverfahrens. Der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung des EG-Vertrages auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten (Art. 309 Abs. 2 Uabs. 1 EGV). 296. Bei dem Beschlußorgan handelt es sich um den Rat der Europäischen Union nach Art. 205 ff. EGV, der auch in der Zusammensetzung der Fachminister tagen kann. Zur Berechnung der Sperrminorität und des Quorums bei der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit verweist Art. 309 Abs. 4 Uabs. 1 EGV auf Art. 205 Abs. 2 EGV. 557 Der Rat stimmt ohne Berücksichtigung der Stim-

555 Die nachfolgenden Ausfiihrungen beschränken sich sprachlich auf Art. 309 EGV. Die weiteren Rechtsgrundlagen in Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV sind von ihrem materiellen Gehalt mit Art. 309 EGV identisch. Sie weichen in ihrem Wortlaut nur hinsichtlich der Verweisungen voneinander ab, so daß die Ausfiihrungen entsprechend gelten. 556 Vgl. Ziff. 277. 557 Der Wortlaut der Vorschrift stimmt insoweit mit Art. 7 Abs. 4 Uabs. I S. 3 EUV überein. Die Ausfiihrungen unter Ziff. 264 ff. gelten entsprechend.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

men des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates ab, wobei als qualifizierte Mehrheit der Anteil der nach dem Verhältnis 87:62 gewogenen Stimmen berechnet wird. 558 297. Zusätzlich stellt Art. 309 Abs. 4 Uabs. 2 EGV klar, daß der Rat bei der Aussetzung des Stimmrechts nach Art. 7 Abs. 2 EUV i. V. m. Art. 309 Abs. 1 EGV auch dann ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates handelt, wenn die Verträge Einstimmigkeit vorsehen. Das Einstimmigkeitserfordernis ist in diesen Fällen gewahrt, wenn die vertragstreuen Mitgliedstaaten einen Beschluß geschlossen annehmen.

3. Rechts/olgen eines Sanktionsbeschlusses

a) Sanktionsfahige Rechte aa) Stimmrechts entzug

298. Obwohl Art. 309 Abs. 1 EGV den Stimmrechtsentzug durch Sanktionsbeschluß im Unionsverfahren automatisch auf das Gemeinschaftsrecht erstreckt, besteht die Möglichkeit, daß der Rat von dieser konkreten Sanktion nach Art. 7 Abs. 2 EUV absieht. In diesem Fall könnte der Rat jedoch im Gemeinschaftsverfahren nach Art. 309 Abs. 2 Uabs. 1 EGV einen solchen Schritt unternehmen, d. h. die Stimmrechte des betroffenen Mitgliedstaates isoliert fiir den Anwendungsbereich des EG-Vertrages aussetzen. Diese Tatsache verdeutlicht auch der Zusammenhang der beiden Unterabsätze in Art. 309 Abs. 4 EGV. Der Wortlaut des Unterabsatzes 2 setzt voraus, daß Stimmrechte auch nach anderen Vorschriften als Art. 309 Abs. 1 EGV ausgesetzt werden können - mithin durch Art. 309 Abs. 2 EGV. Eine Stimmrechtsaussetzung wäre in jeder einzelnen der drei Europäischen Gemeinschaften möglich. Für den betroffenen Mitgliedstaat bemessen sich die Auswirkungen eines solchen Schrittes nach den Bestimmungen der Gemeinschaftsverträge und den in ihnen enthaltenen Rechtsgrundlagen für ein Handeln des Rates. Angesichts der zentralen Rolle des Rates im Willensbildungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften bedeutet er jedoch den Ausschluß von allen wesentlichen Entscheidungen.

558

Zur Berechnung siehe unter Ziff. 269.

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bb) Nichtgewährung von Finanzmitteln 299. Aufgrund des Fehlens eines eigenständigen Haushalts der Europäischen Union 559 ist die Nichtgewährung von Finanzmitteln an den betroffenen Mitgliedstaat keine taugliche Sanktion tUr das Unionsverfahren. Deshalb ergänzt Art. 309 EGV das Sanktionsverfahren insgesamt um einen entscheidenden Aspekt: die Aussetzung von Ansprüchen auf Zahlungen aus dem Haushalt der Europäischen Gemeinschaft. 560

Die Tatsache, daß in einigen Mitgliedstaaten bis zu drei Prozent des Staatshaushalts aus Finanzmitteln der Europäischen Gemeinschaft stammen, verdeutlicht die Bedeutung dieses Sanktionsmittels. Die öffentliche Debatte über die Nettobeiträge der Mitgliedstaaten und die Rückflüsse aus dem Gemeinschaftshaushalt561 zeigt, daß finanzielle Vorteile ein starkes Motiv der europäischen Integration sind. Folglich ist die Aussetzung von Finanzmitteln die, neben der Stimmrechtsaussetzung, wohl "schmerzhafteste" Sanktion gegenüber einem Mitgliedstaat.

300. Konkret kommt die Aussetzung von Zahlungen aus den Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft in Betracht, namentlich des Europäischen Fonds rür regionale Entwicklung (Regionalfonds Art. 160 EGV), des Europäischen Sozialfonds (Art. 146-148 EGV) und des Europäischen Ausrichtungsund Garantiefonds tUr die Landwirtschaft!Abteilung Ausrichtung (Art. 34 Abs. 3 EGV). Zusätzlich wäre die Aussetzung von Finanzierungen aus dem Kohäsionsfonds zu berücksichtigen, die jedoch nur für die sog. Kohäsionsstaaten (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) potentiell relevant werden könnte. 562 301. Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 266 EGV geborene Mitglieder der Europäischen Investitionsbank. Die Bank hat die Aufgabe, zu einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung des Gemeinsamen Marktes im Interesse

559 Vgl. Art. 28 und Art. 41 EUV. Ausgaben, die den Organen aus den Bestimmungen über die GASP oder die Zusammenarbeit in Strafsachen entstehen, gehen zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts. Das Haushaltsverfahren der Gemeinschaft wird folgerichtig auch im Rahmen des EU-Vertrages angewendet. 560 Die Zulässigkeit finanzieller Sanktion bejaht ausdrücklich Barents, MJ 4 (1997), S. 332 (335); wohl auch Langrish, ELRev 23 (1998), S. 3 (15). 561 Grundlegend die Aussagen der Kommission in ihrer Agenda 2000, KOM (97) 2000/endg., Bd. I, vom 15.7.1997, S. 80 ff. Zur Finanzreform ausführlich Heinemann, EU-Finanzrefonn, S. 13 ff. m. w. N., mit einer Darstellung der Positionen von Kommission, Europäischem Parlament, Bundestag, Bundesrat und den Auffassungen der Wissenschaft. 562 Die Aussetzung der Zahlungen aus den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds wird ausdrücklich auch von Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223) genannt. Zu den Instrumenten der Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft siehe Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 1545 ffm. w. N. 12

Schofkopf

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

der Gemeinschaft beizutragen (Art. 267 Abs. I EGV). Denkbar wäre, daß dem betroffenen Mitgliedstaat als Sanktion das Recht verweigert wird, Finanzierungen durch die Bank mittels Darlehen und Bürgschaften in Anspruch zu nehmen. Das beträfe sowohl eigene Rechte der Mitgliedstaaten, etwa ein Projekt von gemeinsamem Interesse für mehrere Mitgliedstaaten (Art. 267 Abs. I Buchstabe c EGV) fördern zu lassen, als auch Rechten der den betroffenen Mitgliedstaaten zugehörigen Bürger und Unternehmen. Inwieweit eine Sanktionierung aufgrund subjektiver Rechtspositionen dieser natürlichen und juristischen Personen unterbleiben muß, ist eine Frage der Berücksichtigungspflicht nach Art. 309 Abs. 2 Uabs. I S. 2 EGV. 563 Schon die Existenz dieses Berücksichtigungsgebotes zeigt, daß die Einbeziehung solcher Rechte in einen Sanktionsbeschluß prinzipiell möglich ist. 302. Schließlich bestände die Möglichkeit, einem Mitgliedstaat, der nicht zu dem Kreis der am I. Januar 1999 in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) eintretenden 11 Staaten gehört, die Aufnahme in die WWU zu einem späteren Zeitpunkt zu verweigern. Diese Sanktion setzt freilich voraus, daß der Mitgliedstaat erstens die Konvergenzkriterien erfüllt und zweitens überhaupt einen Anspruch auf Aufnahme geltend machen kann. Ein solcher Aufnahmeanspruch ist jedoch keineswegs gesichert, und im übrigen erscheint es auch wenig wahrscheinlich, daß ein Mitgliedstaat in dem begrenzten Zeitraum vor der Aufnahme in die WWU die Grundsätze des Art. 6 Abs. I EUV verletzt. Weitaus bedeutender ist die Frage, ob ein an der dritten Stufe der WWU teilnehmender Mitgliedstaat auch in diesem wichtigen Politikbereich sanktioniert werden kann. Grundsätzlich bestehen gegen einen solchen Schritt keine Einwände. Soweit einem Mitgliedstaat Rechte aus der Teilnahme an der WWU zustehen, fallen diese auch unter Art. 309 EGV Abs. 2 EGV. Die Interdependenzen der Mitgliedstaaten in einem einheitlichen Währungsraum, die weltweiten Auswirkungen währungsrelevanter Entscheidungen und die große Sensibilität dieser Materie setzen die praktische Eignung dieser sanktionsflihigen Mitgliedschaftsrechte jedoch stark herab.

ce) Verweigerung von Teilnahmerechten 303. Dem betroffenen Mitgliedstaat kann auf Ebene der Europäischen Gemeinschaften ebenfalls die Teilnahme an Sitzungen des Rates verwehrt werden. Die diesbezüglichen Ausführungen zum Unionsverfahren gelten entsprechend. 564

563 564

Vgl. dazu Bruha/Vogt, VRÜ 30 (1997), S. 477 (494) und liff. 280 f.l306 f. Siehe unter lifT. 278 ff.

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304. Unter diesem Gliederungspunkt läßt sich auch die Aussetzung weiterer institutioneIIer Rechte zusammenfassen. So kommt als Sanktion zunächst die Aussetzung der Klagerechte nach Art. 227, 230 Abs. 1 und Art. 232 Abs. 1 EGV in Betracht. 565 Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten im Geltungsbereich des EG-Vertrages eine bedeutende Kreationsfunktion. So werden die Mitglieder der Kommission, die Richter am Gerichtshof, dem Gericht erster Instanz sowie der Präsident der Europäischen Zentralbank von den Regierungen der Mitgliedstaaten in gegenseitigem Einvernehmen ernannt. 566 Sowohl das Nominierungsrecht, als auch das informelle Widerspruchsrecht gegen den Kandidaten eines anderen Mitgliedstaates, ließen sich in den Kreis sanktionsfahiger Rechte einbeziehen. 305. Schließlich erscheint es zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, einzelne Politiken und insbesondere die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts in ihrer Geltung rur den betroffenen Mitgliedstaat auszusetzen. Bei dieser Form der Sanktion müssen jedoch die subjektiven Rechtspositionen natürlicher und juristischer Personen in die Erwägungen einbezogen werden.

b) Berücksichtigungspflicht 306. Der Rat berücksichtigt auch im Gemeinschaftsverfahren die möglichen Auswirkungen einer Aussetzung mitgliedstaatlicher Rechtspositionen auf die Rechte und Pflichten natiirlicher und juristischer Personen gemäß Art. 309 Abs.2 Uabs. I S.2 EGV. Aus der großen Zahl möglicher Sanktionsmaßnahmen ist diejenige zu wählen, die die Rechte und Pflichten der natiirlichen und juristischen Personen am wenigsten beeinträchtigt. Die Errullung dieser Berücksichtigungsptlicht setzt voraus, daß der Rat dazu eine Prognose in Form einer Folgenabschätzung anstellt. Zieht man Art. 309 Abs. 3 EGV in die Erwägungen mit ein, der das erneute Tätigwerden des Rates zu einem späteren Zeitpunkt vorsieht, so wird das Auswahlermessen des Rates dahingehend reduziert sein, daß er sich aus mehreren möglichen Sanktionsmöglichkeiten rur die, hinsichtlich ihrer Auswirkungen rur die natürlichen und juristischen Personen, mildeste Maßnahme entscheiden muß. Mit dem Wortlaut des Art. 309 Abs. 2 Uabs. 1 S. 2 EGV wird man im Ergebnis aIIerdings annehmen müssen, daß der Rat nach erfolglosen Versuchen als letztes Mittel jedwede Sanktion ergreifen darf.

So Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 492. Vgl. Art. 214 Abs. 2, Art. 223 Abs. I EGV und Art. 117 Abs. I Uabs. 2 i. V. m. Art. 123 Abs. I Spiegelstrich 2 EGV. Vgl. auch die Ernennung der Mitglieder des Rechnungshofes gemäß Art. 247 Abs. 2 EGV, des Wirtschafts- und Sozialausschusses gemäß Art. 258 Abs. 2 EGV und des Regionalausschusses gemäß Art. 263 Abs. 3 EGV durch den Rat. 565 566

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

Den natürlichen und juristischen Personen ist über die Berücksichtigungspflicht hinaus, sicherlich auch die Berufung auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gestattet. Es wäre in der Tat paradox, wenn die Europäische Union zum Schutze der Rechtsstaatlichkeit gegen eben dieses Rechtsgut verstoßen würde. Rechtstechnisch ließen sich die Gedanken des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit über eine Ermessensreduzierung des Rates bei der Wahl der Sanktionen in das Verfahren einbeziehen. Auch die Berücksichtigungspflicht würde demnach auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufbauen. 567 307. Der in der Literatur vertretenen Ansicht, daß es einen Kernbereich von Rechten im Zusammenhang mit der Unionsbürgerschaft geben sollte, der in jedem Fall von Sanktionsmaßnahmen unberührt bleibt,568 ist hingegen nicht zuzustimmen. Erstens läßt der Wortlaut des Art. 309 Abs. 2 Uabs. I S. 2 EGV, der kein Verbot, sondern nur eine Berücksichtigungspflicht normiert, rur eine solche Deutung keinen Raum. Zweitens bestehen eine Reihe von vorrangig zu berücksichtigenden Sanktionsmöglichkeiten, ohne oder mit nur geringem Einfluß auf die Rechte und Pflichten der natürlichen und juristischen Personen. Drittens muß es möglich sein, alle Mitgliedschaftsrechte in ihrer Wirkung auszusetzen, wenn am Ende alle institutionellen Sanktionsmaßnahmen erfolglos geblieben sind, um den betroffenen Mitgliedstaat zu vertragsgemäßem Verhalten zu bewegen. Da die Europäische Union ein aus Mitgliedstaaten zusammengesetzter Verband ist, muß für Sanktionsmaßnahmen aufgrund von Verstößen gegen Mitgliedschaftsvoraussetzungen auch der gesamte Umfang der aus der Unionsmitgliedschaft erwachsenden Rechte zur Verfügung stehen, selbst wenn die Unionsbürger im europäischen Integrationsprozeß durch ihre jeweiligen Heimatstaaten nicht mehr mediatisiert werden.

c) Grenzen der Sanktionierung - Kein Ausschluß der Mitglieder des Europäischen Parlaments 308. Die Handlungsbefugnis des Rates nach Art. 309 Abs. 2 EGV umfaßt nicht das Recht, die dem betroffenen Mitgliedstaat angehörenden Mitglieder des Europäischen Parlaments von dessen Sitzungen auszuschließen. 569

567 Siehe dazu Ziff. 186 Fn. 378. 568 So Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223), exemplarisch werden das Recht auf Freizügigkeit der Person und die politischen Rechte genannt. 569 So wohl auch Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel I, Rn. 23. Der Ausschluß von Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch den Rat wäre auch schon auf der Grundlage eines Sanktionsbeschlusses nach Art. 7 Abs.2 EUV denkbar. Wenn diese Sanktionsmöglichkeit dennoch erst im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverfahren erörtert wird, hängt das mit der marginalen Rolle des Europäischen Parlaments im formalen Willensbildungsprozeß auf der Ebene des

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\8\

Wie im zweiten Kapitel erörtert, ist es eine der Funktionen des Ordnungsprinzips der Homogenität, die Legitimationsgrundlagen der Europäischen Union zu erhalten. 57o Liegt die Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze darin begründet, daß die Europaabgeordneten des betroffenen Mitgliedstaates auf nicht demokratischem Weg zu ihren Mandaten gelangt sind oder daß sie das Verhalten ihres vertragswidrig handelnden Heimatstaates parlamentarisch unterstützen, wird die Erftillung eben dieser Funktion geflihrdet. Folglich ist auch ein Ausschluß der Parlamentarier in Betracht zu ziehen. 309. Die Sanktion des Homogenitätsverstoßes durch den Ausschluß der Europaabgeordneten des betroffenen Mitgliedstaates wird zwar vom Wortlaut des Art. 309 Abs. 2 EGV gedeckt, stößt aber auf grundsätzliche Bedenken:

Ein entsprechender Sanktions beschluß des Rates würde das institutionelle Gleichgewicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft beseitigen. Als Verfassungsorgan ist dem Europäischen Parlament jedoch derselbe Rang im rechtlichen Geftige der Europäischen Union zuzugestehen, wie er dem Rat, der Kommission, dem Gerichtshof und dem Rechnungshof bereits gebührt. 57J Mit der Würde des Verfassungsorgans wäre eine organisationsrechtliche Stellung unvereinbar, nach der der Rat einseitig über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments entscheiden könnte. In Abweichung zur Kommission, zum Gerichts- und Rechnungshof, werden die Abgeordneten des Parlaments nicht vom Rat oder den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt. Vielmehr werden die Abgeordneten von den Völkern der Mitgliedstaaten direkt gewählt. Dieser Unterschied rechtfertigt in dieser Frage die differenzierte Behandlung der Organe. 310. Das Parlament wäre statt dessen selbst berufen, mit einem internen Akt gegenüber den betroffenen Parlamentariern auf eine entsprechende Lage zu reagieren. Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments sieht gegenwärtig den Ausschluß von Mitgliedern ftir zwei bis ftinfTage bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Ordnung vor (Art. 110 Abs. I GO-EP). Daneben ermöglicht es das Verfahren ftir die Prüfung vertraulicher, dem Parlament übermittelter Dokumente, als Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorschriften den zeitweiligen, längeren oder endgültigen Ausschluß eines Abgeordneten aus dem Ausschuß. sn Demnach ist dem parlamentarischen Binnenrecht der zumin-

EU-Vertrages und der institutionellen Zuordnung des Parlaments zum EG-Vertrag zusammen (vgl. Art. \89 bis 20\ EGV). 570 Siehe oben unter Ziff. 27 ff. 571 Außer Betracht bleiben die Nebenorgane der Gemeinschaften wie etwa der Wirtschafts- und Sozialausschuß, die nach Art. 7 EGV mit den genannten Organen hierarchisch nicht auf derselben Stufe stehen, vgl. zu der Unterscheidung von Organen und Nebenorganen Hilf, Organisationsstruktur, S. 14 ff.; Nettesheim, in: GrabitzfHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 4 Rn. 3. 572 Anlage VII zur GO-EP vom 15.02.1989, ABI. Nr. L 49 vom \9.2.\997, S. 68.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

dest zeitweilige Ausschluß eines Mitglieds bekannt. Im Fall des Homogenitätsverstoßes eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Auswirkungen auf das Mandat der Abgeordneten dieses Staates hat, könnte das Parlament durch Beschluß des Plenums die betroffenen Abgeordneten von der Teilnahme an den Sitzungen des Parlamentes und seiner Untergliederungen ausschließen. Die Entscheidung hätte fiir den Zeitraum Bestand, in dem sich die Umstände des Ausschlusses nicht wesentlich änderten. Für eine solche Fortentwicklung des parlamentarischen Binnenrechts könnte das Vorgehen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates als Vorbild dienen. 573 Das Europäische Parlament könnte die binnenrechtlichen Voraussetzungen für ein entsprechendes Vorgehen durch die Änderung seiner Geschäftsordnung schaffen.

d) Fortbestehende Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaates 311. Die aus der Mitgliedschaft in der Europäischen Union erwachsenden Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht bestehen nach Art. 309 Abs. 2 Uabs.2 EGV fiir den betroffenen Staat fort. Das gilt in erster Linie fiir die Verpflichtung, die Beiträge an den Gemeinschaftshaushalt zu entrichten, von der der betroffene Mitgliedstaat, insbesondere im Falle einer Verweigerung von Finanzmitteln, absehen könnte.

e) Änderungsbefugnis 312. Art. 309 Abs. 3 EGV ermächtigt den Rat, mit qualifizierter Mehrheit Änderungen der Sanktionsmaßnahmen zu beschließen, wenn sich die der Sanktionierung zugrunde liegenden Umstände geändert haben sollten. Die Ausfiihrungen zum Unionsverfahren gelten entsprechend. 574

4. Zwischenergebnis 313. Das Gemeinschaftsverfahren, als zweiter Teil des Sanktionsverfahrens zur Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union, eröffnet die Möglichkeit von Sanktionen in allen drei Europäischen Gemeinschaften. Aufbauend auf einem Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. I EUV, kann der Rat sämtliche aus der Mitgliedschaft in den drei Gemeinschaften fließenden Rechte 573 Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat durch Beschlüsse in den Jahren 1995 und 1997 die Grundlagen rur den Ausschluß von Parlamentariern geschaffen, deren Heimatstaat, aus Sicht der Versammlung, gegen die Voraussetzungen des Art. 3 der Satzung des Europarates verstößt, siehe hierzu oben unter Ziff. 197. 574 Siehe oben unter Ziff. 284 ff.

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des betroffenen Staates aussetzen. Dabei ist das Auswahlermessen des Rates dahingehend reduziert, daß zunächst die für die Rechte und Pflichten der natürlichen und juristischen Personen mildeste Maßnahme gewählt werden muß. Die Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit führt dazu, daß regelmäßig institutionelle Sanktionen den Vorzug vor substantiellen Eingriffen in die Mitgliedschaft erhalten müssen. Das Gemeinschaftsverfahren ermächtigt den Rat nicht, die Teilnahme der Abgeordneten des betroffenen Mitgliedstaates im Europäischen Parlament auszusetzen. Eine solche Maßnahme könnte jedoch auf der Grundlage des parlamentarischen Binnenrechts ergriffen werden. .

III. Abschluß des Sanktionsverfahrens 314. Die Bestimmungen über das Sanktionsverfahren enthalten keine ausdrückliche Regelung darüber, wie das Sanktionsverfahren endet. Im Vordergrund steht dabei nicht die Frage, was mit einem Mitgliedstaat geschieht, der trotz Sanktionen nicht zu vertragstreuern Verhalten zurückkehrt. Sondern geklärt werden muß, welche formalen Schritte für den Fall notwendig sind, wenn der betroffene Mitgliedstaat die von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze wieder einhält.

Eine Antwort läßt sich aus der in Art. 7 Abs. 3 EUV und Art. 309 Abs. 3 EGV enthaltenen Änderungsbefugnis des Rates sowie der Praxis bei Vertragsverletzungen im Rahmen des Gemeinschaftsrechts entwickeln. Die Wirkung von Sanktionsbeschlüssen - sowohl des Unions- als auch des Gemeinschaftsverfahrens - können über einen entsprechenden Beschluß des Rates in Anwendung der zitierten Normen aufgehoben werden. Wie der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 EUV und Art. 309 Abs. 3 EGV verdeutlichen, gelten die Befugnisse nicht für den Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. 1 EUV. Art. 7 EUV sieht keine Kompetenz des Rates für einen actus contrarius im Sinne eines negativen Feststellungsbeschlusses vor, so daß die ursprüngliche Entscheidung über die Verletzung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze durch die Veränderung der Tatsachengrundlage nicht mehr der Rechtswirklichkeit entspricht. Ein solches Vorgehen entspräche der Praxis im Gemeinschaftsrecht, nach der die Feststellung einer Vertragsverletzung durch den Gerichtshof durch die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen seitens des Mitgliedstaates gegenstandslos wird. Aus dem konkludenten Verhalten der Organe und der anderen Mitgliedstaaten wird hervorgehen, daß der betroffene Mitgliedstaat wieder als vollwertiges Mitglied am Integrationsprozeß teilnimmt. Denkbar wäre, daß der Rat durch einen deklaratorischen Beschluß diesen Umstand auch formal zum Ausdruck bringt. Die Bewältigung der Krisenlage wird zudem in Entschließungen des Europäischen Parlaments ein entsprechendes Echo finden.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

315. Das Sanktionsverfahren könnte auch durch den freiwilligen Rückzug des betroffenen Mitgliedstaates aus der Europäischen Union seinen Abschluß finden. Unabhängig von dem Stadium, in dem sich ein Sanktionsverfahren befindet, würde eine solche Entscheidung unweigerlich die Frage nach der Beendigung der Mitgliedschaft aufwerfen. Dieser eigenständige Themenkreis wird im Zusammenhang mit der Konkurrenz des Art. 7 EUV im nächsten Abschnitt erörtert. Für die Praxis wahrscheinlicher ist der FalI, daß der betroffene Mitgliedstaat der Einleitung eines Sanktionsverfahrens mit seinem Rückzug aus der Union zuvorkommt. Daß ein bedrängter Staat seiner Sanktionierung zuvorkommt, sobald sich ein ernsthaftes Handeln der Staatengemeinschaft abzeichnet, zeigt das historische Beispiel Griechenlands. Nach dem Militärputsch von 1968 zog sich die Republik Griechenland aus dem Europarat zurück, bevor die Organisation das Verfahren nach Art. 8 der Satzung einleitete. 575 Auch dieser FalI betrifft die Thematik der Beendigung der Mitgliedschaft und wird deshalb auf die Diskussion im nächsten Abschnitt vertagt. Die Union sollte in beiden Fällen nicht gehindert werden, das Sanktionsverfahren einzuleiten bzw. fortzusetzen. Das gilt zumindest für das Unionsverfahren bis zur Entscheidung über eine Verletzung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze. Die in einem FeststelIungsbeschluß liegende Deklaration des Vertragsverstoßes übt öffentlichen Druck auf den betroffenen Staat aus und trägt somit zu seiner internationalen Isolierung bei. Da die Union ihren allgemeinen WilIen zur Stärkung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz stets bekräftigt, solIte sie - unberührt von institutionelIen Zweifelsfragen - jede Gelegenheit zur Mißbilligung von Homogenitätsverletzungen nutzen.

575 Das Beispiel Griechenlands zeigt aber auch, daß die Regierung eines betroffenen Staaten von einem freiwilligen Rückzug zunächst absieht, wenn sich aus der Mitgliedschaft in einer Organisation oder einem Vertragsverhältnis wirtschaftliche Vorteile ergeben. So mußte die Kommission das Assoziationsabkommen der Europäischen Gemeinschaft mit der Republik Griechenland seinerzeit aussetzen, um der Militärregierung die Vorteile aus dem Abkommen zu entziehen, vgl. hierzu oben unter Ziff. 76 und Ziff. 168. Ein weiteres Beispiel für einen freiwilligen Rückzug liefert das Verhalten Südafrikas, das einem Ausschluß aus dem Commonwealth durch Austritt zuvorkam.

F. Beendigung der Mitgliedschaft in der EU

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F. Konkurrenzverhältnis des Art. 7 EUV zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union 316. Die Rechtsfolgen des Art. 7 EUV und seiner korrespondierenden Bestimmungen im Gemeinschaftsrecht erschöpfen sich weitgehend in der Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten. 576 Die Mitgliedschaft als solche wird in ihrem Bestand durch den Gewährleistungsmechanismus nicht angetastet, d. h. konkret: die Beendigung der Zugehörigkeit eines Staates zur Europäischen Union ist als Sanktion in Art. 7 EUV nicht vorgesehen. 577 Weil Art. 7 EUV in seiner Sanktionswirkung abschließend ist, stellt sich die Frage, ob neben diesem neuen Mechanismus noch Raum rur die zusätzliche Sanktionierung durch die Beendigung der Mitgliedschaft besteht. 317. Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist umstritten. 578 Sie wäre - abgesehen von dem völkerrechtlichen Untergang eines Staates579 - auf zwei Arten denkbar: Die Mitgliedschaft könnte entweder durch Austritt oder durch Ausschluß des betroffenen Mitgliedstaates enden. Der Ausschluß ist dabei als Beendigung der Zugehörigkeit eines Staates zur Europäischen Union gegen dessen Willen definiert. Unter Austritt ist der Rückzug aus dem Geltungsbereich der Verträge auf Betreiben des betroffenen Staates zu verstehert. 580 Die zweitgenannte Kategorie läßt sich wiederum in den einseitig vom betroffenen Mitgliedstaat initiierten, und den im Einvernehmen mit den verbleibenden Mitgliedstaaten vereinbarten Austritt unterteilen. Den beiden Varianten des Austritts ist gemeinsam, daß das Ende der Mitgliedschaft von dem Mitwirkungswillen des betroffenen Staates abhängt. Dieser Umstand widerspricht der Einordnung als Sanktion, die sich als "Zufiigung von Nachteilen" definieren läßt und damit ein Element der Willensbeugung enthält. Folglich

576 Siehe insbesondere zu den Rechtsfolgen eines Feststellungsbeschlusses Ziff. 260 ff. und im übrigen Ziff. 298 ff. S71 So auch Wachsmann, RTDE 33 (1997), S. 883 (896 f.); Ukrow, ZEuS 1998, S. 141 (156); Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223); Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel I, Rn. 21 f.; nicht eindeutig PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 486. 578 Etwa Meier, NJW 1974, S.391 ff.; Gauland, NJW 1974, S. \034 ff.; Weiler, Israel Law Review 1984, S.282 ff.; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, §4/20 ff., S. 99 ff.; insbesondere zur Diskussion um den in diesem Zusammenhang auch verwendeten Begriff "Herren der Verträge" Everling, in: BemhardtiGeck/Jaenicke/Steinberger, FS fiir Mosler, S.173 ff.; ders., in: BeyerlinIBothelHofmannlPetersmann, FS fiir Bemhardt, S. 1161 ff.; zusammenfassend Hilf, in: v. d. GroebenlThiesinglEhlerrnann, Kommentar EGVIEUV, Art. 240 Rn. 6 m. w. N. 579 Dazu näher Hailbronner, in: GrafVitzthum, Völkerrecht, Abschnitt III, Rn. 141. 580 Grundlegend zum Austritt eines Staates aus einer internationalen Organisation Feinberg, BYIL 39 (1963), S. 189 ff. Speziell zum Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft siehe Weiler, YEL I (1981), S. 267 (296 ff.).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

scheidet der Austritt als Sanktionsmittel aus,S81 so daß sich die weiteren Erörterungen zur Beendigung der Mitgliedschaft auf den Ausschluß konzentrieren. 318. Der Ausschluß eines Mitgliedstaates steht hier nicht als Alternative zur Sanktionierung gemäß Art. 7 EUV zur Diskussion. Der EU-Vertrag in der Fassung des Vertrages von Amsterdam ist in dieser Hinsicht eindeutig: Jede mitgliedstaatliehe Homogenitätsverletzung fällt zunächst ausschließlich in den Anwendungsbereich des Art. 7 EUV. Von Interesse ist der Fall, daß das Sanktionsverfahren die Vertragstreue des betroffenen Mitgliedstaates nicht wiederherzusteIlen vermag. Der Ausschluß wäre demnach das Sanktionsmittel der nächsten Eskalationsstufe. Er würde dem Sanktionsverfahren stets zeitlich nachfolgen. 319. Die Beendigung der Mitgliedschaft durch das Sanktionsmittel des Ausschlusses bedürfte einer Rechtsgrundlage im Recht der Europäischen Union.

Weder die Beendigung der Mitgliedschaft im allgemeinen, noch der Ausschluß eines Mitgliedstaates im besonderen sind vertraglich geregelt. Eine Rechtsgrundlage ließe sich demnach nur unter Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze oder das allgemeine Völkerrecht gewinnen. Schließt man die Anwendung des allgemeinen Völkerrechts für die Europäische Union und ihre Untergliederungen nicht bereits aufgrund prinzipieller Erwägungen über den Status einer supranationalen Rechtsordnung aus, hat sich, auf der Grundlage des bislang geltenden Rechts, Art. 60 Abs. 2 WVRK angeboten. 582 Die Bestimmung ermöglicht den vertrag streuen Parteien eines mehrseitigen Vertrages, im Falle einer erheblichen Vertragsverletzung, den Vertrag im Verhältnis zur vertragsbrüchigen Partei zu suspendieren oder zu beenden. 583 Aufgrund der primärrechtlichen Änderungen des Vertrages von Amsterdam ist dieser Sanktionsrückgriff jedoch nicht mehr möglich. Art. 7 EUV regelt ein spezielles Verfahren für Homogenitätsverletzungen, so daß der Rückgriff auf die Wiener Vertragsrechtskonvention schon an den Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 4 581 Das Bundesverfassungsgerichts macht in zwei Passagen seines Urteils zum Vertrag von Maastricht Aussagen über die Möglichkeit eines Austritts der Bundesrepublik Deutschland aus der Europäischen Union. Da Deutschland seine staatliche Souveränität durch die Integrationsentscheidung nicht verloren habe und die Geltung sowie Anwendung von Europarecht in Deutschland von dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes abhingen, könnte es die Zugehörigkeit zur Union durch einen actus contrarius wieder aufheben, BVerfGE 89, 155 (190). Im Zusammenhang mit der Währungsunion spricht das Gericht davon, daß im Falle eines Scheitems der "Stabilitätsgemeinschaft" eine Lösung aus der Gemeinschaft möglich sei, BVerfGE 89, 155 (204). Dazu Kempen, Arch VR 35 (1997), S. 273 (282 f.); krit. zur dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Heintzen, AöR 119 (1994), S. 564 (571 ff.) m. w. N. Gegen ein Austrittsrecht auch Pernice, in: Bieber/Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 225 (241); Beutler, in: Grawert, FS für Böckenförde, S. 109 (122). 582 PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 485; Streinz, Europarecht, Rn. 92 f. 58J Siehe auch Ziff. 172 ff.

F. Beendigung der Mitgliedschaft in der EU

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scheitert. Denkbar wäre aber weiterhin, eine entsprechende Rechtsgrundlage aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen herzuleiten, wie das bereits für die Sanktionierung von Homogenitätsverletzungen unternommen wurde. 584 Freilich sähe sich ein derartiges Vorgehen mit denselben Bedenken konfrontiert wie die Sanktionierung von Homogenitätsverletzungen auf der Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze. 585 320. Bei der Suche nach einer Rechtsgrundlage fiir den Ausschluß wird stillschweigend vorausgesetzt, daß die einseitige Veränderung des Mitgliederbestandes der Europäischen Union überhaupt zulässig ist. Gegen eine solche Zulässigkeit sind jedoch erhebliche Zweifel ins Feld zu filhren. Der EU-Vertrag gilt gemäß Art. 51 "auf unbestimmte Zeit".586 Aus dieser Tatsache, dem Wortlaut der Präambel und weiteren Vertragsnormen geht hervor,587 daß die europäische Integration als unumkehrbarer Prozeß konzipiert ist. Im Integrationsprozeß ist die Beendigung der Teilnahme eines Mitgliedstaates nicht vorgesehen, ja sogar als system fremd zu bezeichnen. 588 Der Ausschluß eines Mitgliedstaates widerspricht dem Zweck der Integration - der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas (Art. 1 Abs. 2 EUV) -, weil durch ihn die Staatsangehörigen des betroffenen Mitgliedstaates ihrer Unionsbürgerschaft und vor allem ihrer subjektiven Rechte als Marktbürger beraubt werden. Dieser Zweck wird durch den politischen Willen der Regierungen der Mitgliedstaaten unterstrichen, in den nächsten Jahren durch mehrere Beitrittswellen die sogenannte Osterweiterung durchzufiihren. Berücksichtigt man die tatsächlichen Umstände eines oktroyierten Ausschlusses und dessen Auswirkungen auf die geopolitische Lage Europas, könnte eine solcher Schritt sogar als friedensgefiihrdend eingestuft werden. 589 Folglich ist der Ausschluß eines Mitgliedstaates generell abzulehnen.

Siehe dazu diese Nachweise unter Ziff 165 ff. Siehe unter Ziff. 169 f 586 Der EG-Vertrag (Art. 312) und der EAG-Vertrag (Art. 208) gelten ebenfalls auf unbegrenzte Zeit. Der EGKS-Vertrag dagegen wurde für die Dauer von 50 Jahren abgeschlossen und läuft am 24.7.2002 aus. Zum Ablauf der Geltungsdauer des EGKSVertrages siehe die Mitteilung der Kommission KOM (97) 506 endg. vom 8.10.1997 und Matthies, in: F. BaurlMüller-Graff/Zuleeg, FS für Börner, S. 233 (241 ff.). Vgl. auch den Titel über die EGKS in dem Entwurf eines einheitlichen Vertrages über die Europäische Union, Europäisches Parlament, Generaldirektion Wissenschaft, 1996, S. 385 ff. (PE 166.363). In der Literatur wird die Ansicht vertreten, daß die gewählte Formulierung daraufhindeute, daß die Verträge jederzeit kündbar seien, vgl. Dagtog/ou, in: Schnur, FS rur Forsthoff, S. 77 (82 ff.); Ma/awer, Journal of World Trade Law 1974, S. 17 (32 ff.). 587 Herzog, in: SmitlHerzog, Kommentar, Nr. 240.05, S. 449 f. 588 Vgl. Ever/ing, in: BernhardtlGeck/Jaenicke/Steinberger, FS für Mosler, S. 173 (183); Hilf, in: HommelhofflKirchhof, Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 (79 f). 589 Vgl. Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (223). 584 585

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

321. Im konkreten Fall zeigt die Konzeption des Gewährleistungsmechanismus, daß sich die Regierungskonferenz bewußt gegen die Aufnahme eines Ausschlußrechtes in die Verträge entschieden hat und die möglichen Rechtsfolgen bewußt auf die Suspendierung begrenzen wollte. 590 Art. 7 EUV ist deshalb abschließender Natur und gestattet nicht die weitergehende Sanktionierung eines Mitgliedstaates durch dessen Ausschluß aus der Europäischen Union. 59 \ 322. Die Einfiigung des Gewährleistungsmechanismus vermag nicht die Entstehung eines politischen Dauerkonflikts unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu vermeiden. Im Gegenteil, durch die unbefristete Aussetzung der Mitgliedschaftsrechte eines Staates würde ein pathologischer Zustand sogar noch verfestigt. Die Auswirkungen eines solchen Dauerkonflikts bildeten einen Herd ständiger Unruhe. Sie würden es der Union nicht erlauben, zum "Tagesgeschäft der Integration" überzugehen und bänden die sachlichen und personellen Ressourcen der Mitgliedstaaten wie auch die der Organe. Damit wären die Funktionsfähigkeit und Effektivität der Europäischen Union gefährdet. Es gibt mithin eine Form mitgliedstaatlichen Verhaltens, das nicht die Voraussetzungen einer Homogenitätsverletzung im Sinne des Art. 6 Abs. I EUV erfiillt, aber dennoch als integrationsgefährdend einzustufen ist. In diesen Fällen wäre deshalb zu überlegen, ob die Unveränderlichkeit der Mitgliederzahl der Europäischen Union tatsächlich ein Wert von axiomatischer Größe ist. Der Rückzug aus der Union ist in letzter Konsequenz eine Frage der Macht, die wegen der Verfiigbarkeit über Waffengewalt stets zugunsten der Mitgliedstaaten entschieden werden würde. 592 Zu diesem Zweck bietet sich der Abschluß eines Entlassungsvertrages im Rahmen der Vertragsänderung gemäß Art. 48 EUV an. 593 Angesichts der subjektiven Rechte der Bürger und Unter-

590 Siehe dazu den Bericht der Reflexionsgruppe, S. 46 Randzahl 33, mit dem Hinweis, daß der Aufnahme eines Ausschlußrechts in das Primärrecht die Unwiderruflichkeit der Zugehörigkeit zur Union in Frage gestellt hätte. Wie bereits erwähnt (Ziff. 283 und Ziff. 291), würde der Ausschluß den betroffenen Mitgliedstaat auch von seinen Verpflichtungen befreien. Das Sanktionsmittel des Ausschlusses sieht sich daher auch grundsätzlicher Kritik ausgesetzt, wie die entsprechende Diskussion im Zusammenhang mit dem Ausschlußrecht in der Satzung der Vereinten Nationen zeigt, vgl. hierzu Ziff. 201. 591 Siehe Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitell, Rn. 21 f., unter Hinweis auf das von der Satzung des Europarates ausdrücklich vorgesehene Ausschlußverfahren - siehe hierzu die Ausführungen unter Ziff. 196 ff.; Sudre, lCP 72 (1998), S. 9 (16); Petite, Harvard lean Monnet Working Paper 2/98, S. 6. 592 Zuleeg, in: BieberlBleckmanniCapotorti, GS für Sasse, S. 55 (64). 593 Die Beendigung der Mitgliedschaft durch einen Änderungsvertrag wird vertreten von Ehlermann, EuR 1984, S. 113 (124 f.); Everling, DVBI 1993, S. 936 (942); Hilf, in: v. d. GroebenlThiesinglEhlerrnann, Kommentar EGVIEUV, Art. 240 Rn. 8. Vgl. auch Art. 82 des Entwurfs über einen Vertrag zur Gründung der Europäischen Union. Die Bestimmung sah das Ausscheiden eines Mitgliedstaates mittels einer einvernehmlichen

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nehmen wäre der Vorschlag aufzunehmen, die Beendigung der Mitgliedschaft zusätzlich von einem Referendum in dem betroffenen Mitgliedstaat abhängig zu machen. s94 Weiterhin ausgeschlossen bleibt der Ausschluß eines Mitgliedstaates als Sanktion und der Austritt ohne Zustimmung der verbleibenden Mitgliedstaaten. 323. Im übrigen bedeutet das Ausscheiden aus der Europäischen Union keineswegs, daß der betroffene Staat in jedem Fall die europäische Staatenfamilie verläßt. Berücksichtigt man den Vemetzungsgrad der europäischen Volkswirtschaften und die daraus resultierenden Abhängigkeiten, ist ein Rückzug in die nationalstaatliche Autarkie undenkbar. Der ehemalige Mitgliedstaat würde der Union über ein Abkommen verbunden bleiben, das schon aus Gründen nachwirkender Vertragsrechte und -pflichten sowie Folgeregelungen der Mitgliedschaft notwendig wäre. Im Ergebnis ist anzunehmen, daß der betreffende Staat aus Gründen der Staatsräson und ökonomischer Notwendigkeit sicherlich auch bemüht sein würde, möglichst viele Vorteile der Mitgliedschaft in seinen neuen Status hinüberzuretten.

G. Würdigung Die abschließende kritische Stellungnahme zum Norminhalt des Gewährleistungsmechanismus erstreckt sich auf die Justitiabilität der Entscheidungen des Rates (I), die Praktikabilität des Sanktionsverfahrens (11), die mögliche Erweiterung des Anwendungsbereichs von Art. 7 Abs. I EUV (III) und auf die Beurteilung der Notwendigkeit der Kodifizierung des Gewährleistungsinstruments (IV).

Regelungen vor, hierzu Capotorti, in: Capotorti/Hilf/Jacobs/Jacque, Kommentar zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union, Art. 82, S. 256 f. und Schwarze, DVBI 1985, S. 309 (313 f.). Der Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments vom 10.2.1994, ABI. NT. C 61 vom 28.2.1994, S. 156 ff., enthält mit Art. 47 ebenfalls eine einschlägige Bestimmung, hierzu Hilf, integration 1994, S. 68 ff.; Bieber, in: ders.lWidmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 313 (320). Siehe aber auch die Forderungen nach der Verankerung eines Sezessionsrechts in den Verträgen, so etwa von GrafLambsdorjJ, Handelsblatt vom 31.7.11.8.1998, S. 6 und die Vorstellungen der European Constitutional Group, FAZ Nr. 199 vom 28.8.1993, S. 11 (Punkt 10). Hierzu ausführlich M. Schröder, in: 1. IpsenlRengeling/J. Weber/A. Weber (Hrsg.), FS für Heymanns Verlag, S. 509 (515); vgl. auch Hilf, in: v. d. GroebenlThiesinglEhlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. 240 EGV Rn. 20. 594 Everling, DVBI 1993, S. 936 (942 f.), ders., in: BeyerlinlBothelHofmannl Petersmann, FS für Bemhardt, S. 1161 (1170 t).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

I. Justitiabilität der Entscheidungen des Rates 324. Die Vorarbeiten rur einen Gewährleistungsmechanismus, wie er nunmehr in Art. 7 EUV und Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV kodifiziert wurde, sahen die Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofes in das Sanktionsverfahren vor. Nach dem Parlaments entwurf von 1984 hätte die Feststellung der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung grundlegender Prinzipien dem Gerichtshof oblegen, während der Rat über die konkrete Ausgestaltung der Sanktion entscheiden sollte. S95 In dem nunmehr kodifizierten Gewährleistungsmechanismus wird diese Konzeption eines zweigeteilten Verfahrens zwar beibehalten, die Entscheidungsbefugnis rur den Feststellungs- und Sanktionsbeschluß jedoch ausschließlich dem Rat übertragen. Ein Tätigwerden des Gerichtshofes ist vom Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen nicht vorgesehen. 325. Daß der Gerichtshof im Wortlaut der Sanktionsbestimmungen keine Berücksichtigung findet, heißt allerdings nicht, daß er am Sanktionsverfahren nicht beteiligt ist. Eine Beteiligung des Gerichtshofes am Sanktionsverfahren wird über die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des Rates nach den allgemeinen Vorschriften der Verträge erreicht.

Danach gestaltet sich die lustitiabilität der Entscheidungen des Rates grundsätzlich wie folgt: Beschlüsse des Rates auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 und 2 EUV fallen nicht in den Katalog der Bestimmungen, auf die sich gemäß Art. 46 EUV die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes erstrecken soll,596 d. h., dem betroffenen Mitgliedstaat steht im Unionsverfahren keine Rechtsschutzmöglichkeit zur Verrugung. Das gilt auch fiir weitere Verfahrensbeteiligte, besonders das Europäische Parlament. Etwaige Auseinandersetzungen über Verfahrensverstöße können nur außergerichtlich zwischen den beteiligten Organen und Mitgliedstaaten beigelegt werden. Der Rechtsweg ist nicht eröffnet. Dagegen fallen Sanktionsbeschlüsse gemäß Art. 309 Abs. 2 EGV, Art. 96 Abs. 2 EGKSV und Art. 204 Abs. 2 EAGV nicht in den Geltungsbereich des Art. 46 EUV, so daß rur sie die allgemeinen Regeln des Gemein-

Vgl. den Wortlaut von Art. 44 des Parlamentsentwurfs unter Ziff. 214. Der Gerichtshof hat grundsätzlich keine Zuständigkeit für Handlungen im Rahmen des EU-Vertrages, vgl. dazu EuGH, Kremzow ./. Österreich, Rs. C-299/95, Slg. 1997, S. 2629 (2646); hierzu Besselink, CMLRev 35 (1998), S. 629 Fn. I. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes für Rechtsakte auf der Grundlage des EU-Vertrages siehe aber jüngst EuGH, Kommission ./. Rat, Rs. C-170/96, Slg. 1998, S. 1-2763 (2788). In der Entscheidung erklärte sich der Gerichtshof zuständig, einen Rechtsaktes gemäß Art. K.3 Abs. 2 EUV a. F. dahingehend zu überprüfen, ob er aufgrund seines Inhalts auf Art. IOOc EGV a. F. hätte gestützt werden müssen. Unter Hinweis auf Art. L i. V. m. Art. M EUV a. F. hätte der Gerichtshof den Rechtsakt rur nichtig erklärt, wenn er in die zuständigkeiten übergegriffen hätte, die die Bestimmungen des EG-Vertrages der Gemeinschaft zuweisen. 595

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schaftsrechts gelten. Folglich kann der betroffene Mitgliedstaat gegen einen Sanktionsbeschluß des Rates eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EGV, Art. 33 EGKSV oder Art. 146 EAGV vor dem Gerichtshof erheben. In Betracht kommen in erster Linie die Varianten der Vertragsverletzung und des Ermessensmißbrauchs durch den Rat. 597 326. Diese scheinbar klare Trennung der Unions- von der Gemeinschaftsebene könnte jedoch im Zusammenhang mit der Erstreckungswirkung einer Stimmrechtsaussetzung (vgl. Art. 309 Abs. 1 EGV) Mängel bei der Konzeption des Sanktionsverfahrens offenbaren. • Eine Stimmrechtsaussetzung durch Sanktionsbeschluß des Rates gemäß Art. 7 Abs. 2 EUV könnte trotz Art. 46 EUV Gegenstand gerichtlicher Kontrolle werden, soweit diese Ratsentscheidung Auswirkungen auf das Gemeinschaftsrecht hat. Da die Erstreckungswirkung einer Stimmrechtsaussetzung auf Unionsebene durch gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen angeordnet wird,598 unterfielen diese auch der Jurisdiktion des Gerichtshofes. 599 • Daneben ließen sich auch dann Sanktionsbeschlüsse nach Art. 7 Abs. 2 EUV der gerichtlichen Kontrolle unterwerfen, wenn die Stimmrechte des betroffenen Mitgliedstaates im Rahmen der Verfahren nach Art. 48 und Art. 49 EUV ausgesetzt werden würden. Sowohl das Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 EUV) als auch das Beitrittsverfahren (Art. 49 EUV) fielen in den Anwendungsbereich des Art. 46 lit. e) EUV und begründeten damit - zumindest nach dem Wortlaut des EU-Vertrages - die Zuständigkeit des Gerichtshofes. 6OO 327. Beide Ansichten - nach denen die Zuständigkeit des Gerichtshofes begründet werden soll - sind mit dem Wortlaut der Verträge vereinbar. Sie sind aber aus Erwägungen über den Sinn und Zweck der Bestimmungen abzulehnen. Mit der ausdrücklich in Art. 7 Abs. 2 EUV genannten Sanktion der Stimmrechtsaussetzung soll der betroffene Mitgliedstaat von der weiteren Einflußnahme auf die Willensbildungsprozesse und Entscheidungen der Europäischen Union und der Gemeinschaften ausgeschlossen werden. Es erscheint beliebig, die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Stimmrechtsaussetzung von dem jeweils betroffenen Abstimmungsverfahren und dem Status der ihnen zugrundeliegenden Rechtsnormen abhängig zu machen. Werden Stimmrechte in der GASP oder der Zusammenarbeit in Strafsachen ausgesetzt, muß der betroffene Mitgliedstaat diese Entscheidung hinnehmen; werden Stimmrechte in den seltenen Verfahren des Beitritts und der Vertragsänderung ausgesetzt, bestehen RechtsVgl. 230 Abs. 2 EGV. Vgl. Art. 309 Abs. I EGV, Art. 96 Abs. I EGKSV, Art. 204 Abs. I EAGV. 599 Verhoeven, ELRev 23 (1998 ), S. 217 (224), weist auf diesen Zusammenhang hin und stellt eine Lösung dieser Problematik in das Ermessen des Gerichtshofes. 600 So PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 490. 597

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schutzmöglichkeiten. Folge eines solchen Ansatzes wäre, daß der Rat mit seiner Ermessensentscheidung über die Art der auszusetzenden Stimmrechte auch gleichzeitig über die mögliche lustitiabilität seines Handeins bestimmen könnte. Ansatzpunkt für diesbezügliche Überlegungen zur Justitiabilität der Ratsentscheidungen muß vielmehr Art. 7 EUV sein, der durch den Vertrag von Amsterdam gerade nicht in den Katalog des Art. 46 EUV aufgenommen wurde. 328. Das gilt auch fur die erstgenannte Ansicht, nach der die Aussetzung von Stimmrechten auf Gemeinschaftsebene mittels automatischer Erstrekkungswirkung nach Art. 309 Abs. 1 EGV gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Gegenstand einer Nichtigkeitsklage können nur Handlungen des Rates sein. Die Erstreckungswirkung wird jedoch durch Normen des Gemeinschaftsrechts angeordnet, die sich auf eine Handlung des Rates nach dem EU-Vertrag zurückfuhren läßt und der Jurisdiktion des Gerichtshofes entzogen ist. Somit liegen schon die Voraussetzungen einer gemeinschaftsrechtlichen Klage des betroffenen Mitgliedstaates nicht vor. Nimmt man dennoch eine Zuständigkeit des Gerichtshofs an, könnte dieser aufgrund des Fehlens jeglicher Organhandlungen in Art. 309 Abs. 1 EUV ohnehin nur über die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Erstreckungswirkung und damit der Bestimmung in toto entscheiden. Diese Verwerfungskompetenz gegenüber dem Primärrecht steht dem Europäischen Gerichtshof allerdings nicht zu. Schließlich ist die in Art. 309 Abs. 2 EGV gewählte Formulierung mit der Annahme vereinbar, daß der Gerichtshof nicht die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbeschlusses nach Art. 7 Abs. 1 EUV, sondern lediglich sein Vorliegen im Sinne einer formalen Tatbestandsvoraussetzung prüft. 329. Dem Wortlaut der betreffenden Bestimmung des Gewährleistungsmechanismus fehlt es allerdings an der jeden Zweifel beseitigenden Eindeutigkeit. Die Konzeption des Sanktionsverfahrens weist an dieser Stelle eine Inkonsistenz auf, die sich durch die Einbeziehung von Art. 7 EUV in die Jurisdiktion des Gerichtshofs - dann in seiner Funktion als "Verfassungsgerichtshofs" - beheben ließe. 601 Angesichts der Einbeziehung des Art. F Abs. 2 EUV a. F.lArt. 6 Abs. 2 EUV - Grundrechtsschutz in bezug auf Handlungen der Organe - in den Katalog der Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs im EU-Vertrag (Art. 46 lit. d) wäre ein solcher Schritt ein weiterer Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit gewesen. 330. Von einer wesentlich grundsätzlicheren Position aus betrachtet wäre es allerdings systemgerecht gewesen, dem Gerichtshof die Entscheidung über die 601 Vgl. Ukrow, ZEuS 1998, S. 141 (156). Zur Rolle des Europäischen Gerichtshofes als Verfassungsgerichtshof der Europäischen Union siehe Dauses, integration 1994, S. 215 ff. Die "verfassungsgerichtliche Rechtsschutzfunktion" des Gerichtshofes erörtert Oppermann, DVBI 1994, S. 901 (902 ff.).

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Verletzung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze treffen zu lassen und damit den Entwurf des Parlaments von 1984 in dieser Hinsicht vollständig zu übernehmen. 602 Über die tatsächlichen Gründe tUr die Nichtberücksichtigung des Gerichtshofes im Sanktionsverfahren läßt sich nur spekulieren. Sicherlich hat ein gewisses Unbehagen der Mitgliedstaaten gegenüber dem Europäischen Gerichtshof eine Rolle gespielt, das sich infolge der vertraglich nur schwer zu bändigenden Integrationsfreundlichkeit des Gerichtshofes über die Jahrzehnte gebildet hat. Ein anderer Grund könnte die Tatsache sein, daß das Sanktionsverfahren einen hochpolitischen Hintergrund hat, der vom Rat als alleiniger Entscheidungsinstanz und unter Anwendung eines weiten Ermessensspielraumes besser berücksichtigt werden würde.

11. Praktikabilität des Sanktionsverfahrens Das Einstimmigkeitserfordernis 331. Der politische Charakter der Sanktionierung von Mitgliedstaaten ist ein Topos, der Einfluß auf die Konzeption des Verfahrens und damit dessen Praktikabilität genommen hat. Die abstrakte Formulierung des Art. 6 Abs. 1 EUV, die mangelnde Begriffsschärfe der Tatbestandsvoraussetzungen "schwerwiegend und anhaltend" und die Ermessensregelungen zugunsten des Rates eröffnen der Europäischen Union einen weiten Handlungsspielraum bei Homogenitätsverletzungen. 603 Als entscheidende Hürde des Sanktionsverfahrens erweist sich dabei der Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. 1 EUV. Seine Annahme ist mit dem Einstimmigkeitserfordernis verbunden, was die Wahrscheinlichkeit der Anwendung des Sanktionsmechanismus erheblich vermindert. 604 Das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat ermöglicht es jedem Mitgliedstaat, sein Veto gegen geplante Entscheidungen einzulegen. Damit können sowohl wirtschaftliche als auch politische Partikularinteressen zum Hinderungsgrund fiir ein Tätigwerden der Union werden. Dem betroffenen Mitgliedstaat wäre es außerdem möglich, durch das informelle Einwirken auf einen einzigen Mitgliedstaat die Sanktionierung seiner Homogenitätsverletzungen zu verhin-

602 Das Europäische Parlament fordert in seiner Entschließung zum Amsterdamer Vertrag vom 19.11.l997 die Kontrolle jedweder Aussetzung bestimmter Rechte eines Mitgliedstaates durch den Gerichtshof, ABI. Nr. C 317 vom 8.12.1997, S. 99 (\03) Rz.12. 603 Vgl. Bergmann, in: ders.lLenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel I, Rn. 23. 604 Manin, Columbia Journal of European Law 4 (1998), S. I (23); Verhoeven, ELRev 23 (1998), S. 217 (224); 13 Schorkopf

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dem; in Zeiten, in denen alte historische Bande zwischen Staaten den Lauf der europäischen Politik bestimmen, keine völlig von der Hand zu weisende Möglichkeit. Da sich die Beteiligten des Sanktionsverfahrens in ihren Beratungen notwendig mit der innenpolitischen Lage in einem Mitgliedstaat der Union befassen müssen, ließe sich etwa mit dem aus internationalen Konfliktsituationen bekannten Argumentationsmuster der "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" oder die Auslobung ökonomischer Anreize fur bilaterale Handelsbeziehungen die dem betroffenen Mitgliedstaat drohende Isolierung innerhalb der Union durchbrechen. Ein weiterer Grund rur den Gebrauch des Vetos durch einen vertragstreuen Mitgliedstaat könnten die verminderten Anforderungen an die Ratsmehrheit im Anschluß an einen Feststellungsbeschluß sein. Die rur Sanktionsbeschlüsse notwendige qualifizierte Mehrheit soll nach ihrem Sinn und Zweck die Handlungstahigkeit des Rates bei der Auswahl konkreter Sanktionen verbessern. Mit dem verringerten Mehrheitserfordernis wollen die Vertragsbestimmungen die Konstellation berücksichtigen, daß sich die vertragstreuen Mitgliedstaaten nicht auf Sanktionsmaßnahmen einigen können, weil z. B. wirtschaftliche oder politische Interessen einzelner Mitgliedstaaten von der Aussetzung bestimmter Rechte betroffen sein könnten. Sollte ein vertragstreuer Mitgliedstaat entsprechende Motive verfolgen, wird er bereits bei der Abstimmung über einen FeststeIlungsbeschluß sein Veto einlegen, um so den Eintritt in das zweite Verfahrensstadium von vornherein zu verhindern. 332. Jede Kritik am Einstimmigkeitserfordernis muß jedoch berücksichtigen, daß das Sanktionsverfahren gravierende Rechtsfolgen hat, die in den Status der Mitgliedschaft eingreifen. Es steht in seiner Bedeutung anderen Verfahrensnormen im institutionellen Bereich mit Einstimmigkeitserfordernis60s nicht nach. Das dem Europäischen Parlament eingeräumte Zustimmungsrecht in Art. 7 Abs. 1 EUV als spiegelbildliches Beteiligungsrecht zum Beitrittsverfahren zeigt, daß dieser Umstand von der Regierungskonferenz erkannt und berücksichtigt wurde. Von seiner Bedeutung her als Gewährleistungsmechanismus der Homogenität in der Europäischen Union gedacht, kann das Erfordernis der Einstimmigkeit im Sanktionsverfahren somit durchaus gerechtfertigt werden. Hinzu kommt, daß verringerte Mehrheitserfordernisse keine Garantie rur eine erhöhte Anwendungswahrscheinlichkeit des Verfahrens wären, wie das Beispiel des Europarates zeigt. Trotz des Erfordernisses einer Zwei-DrittelMehrheit finden die in der Europaratssatzung vorgesehenen Sanktionsmittel

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Vgl. etwa Art. 49 EUV und Art. 308 EGV.

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(Art. 8) selbst dann keine Anwendung, wenn die Verstöße gegen die Grundsätze der Organisation durch eines ihrer Mitglieder evident sind. 606 333. Im Verlauf der vorangegangenen Ausruhrungen wurde mehrfach betont, daß das Sanktionsverfahren rur die Bewältigung außergewöhnlicher Situationen in den Mitgliedstaaten der Union konzipiert wurde. Als Beispiel wurden totalitäre Entwicklungen in einem Mitgliedstaat genannt, deren Existenz sich durch die öffentlichen Ereignisse in dem betroffenen Mitgliedstaat geradezu aufdrängt und somit durch den ersten Anschein bewiesen werden kann. 607 Ausgehend von der Tatsache, daß sich alle filnfzehn Mitgliedstaaten fiir die Aufnahme des Art. 7 EUV und seiner akzessorischen Bestimmungen in das Primärrecht ausgesprochen haben, sollte den Mitgliedstaaten bis zum Beweis des Gegenteils deshalb wohlwollend unterstellt werden, daß sie bei dem Eintritt eines der genannten Szenarien an der Fortruhrung des europäischen Integrationsprozesses interessiert sind und die erforderliche Einstimmigkeit kein Hindernis fiir entsprechende Sicherungsmaßnahmen ist. 334. Im übrigen ermöglicht das Sanktionsverfahren eine schrittweise "Eskalation" der Lage, indem der Rat von der Deklaration der Homogenitätsverletzung bis zur vollständigen Aussetzung der Mitgliedschaftsrechte mehrfach die "Sanktionsschraube" anziehen kann. 608 Das weite Ermessen des Rates bei der Auswahl geeigneter Sanktionsmaßnahmen wird durch die Berücksichtigungspflicht gegenüber den Rechten und Pflichten natürlicher und juristischer Personen begrenzt. Mit den Stimmrechten und institutionellen Teilnahmerechten des betroffenen Mitgliedstaates steht ein zunächst ausreichendes Potential sanktionsfiihiger Rechte zur Verfilgung, das die Rechte des betroffenen Personenkreises nicht beeinträchtigt. Sollte die Aussetzung von Stimm- und Teilnahmerechten nicht ausreichen, den betroffenen Mitgliedstaat zu vertragstreuern Verhalten zu veranlassen, können nicht nur weitere Rechte ausgesetzt werden - die dann zwangsläufig die Rechtspositionen der natürlichen und juristischen Personen beeinträchtigen -, sondern es wird sich zwangsläufig die Frage nach der Mitgliedschaft als solcher stellen.

606 Den Zusammenhang mit der Anwendungswahrscheinlichkeit des Art. 7 EUV und dem Verhalten des Europarates gegenüber vertragsbrüchigen Mitgliedern stellt gleichfalls her Haguenau-Moizard, RMC 1998, S. 240 (248), vgl. hierzu unter Ziff. 196 f. 607 Es sei noch einmal daraufhin gewiesen, daß sich die Verhandlungsparteien der Regierungskonferenz darüber einig waren, Art. 7 EUV ausschließlich bei außergewöhnlichen Umständen in einem Mitgliedstaat zur Anwendung zu bringen, vgl. dazu Langrish, ELRev 23 (1998), S. 3 (15); Petite, Harvard Jean Monnet Working Paper 2/98, S. 6. Zu den Beispielen siehe auch oben unter Ziff. 5. 608 Die Möglichkeit "maßgeschneiderter" Sanktionen wird positiv betont auch von Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitel I, Rn. 43.

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

III. Mitgliedstaatliches Fehlverhalten unterhalb der Aufgriffsschwelle des Art. 7 Abs. 1 EUV 335. Die Unbestimmtheit und der Abstraktionsgrad der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 EUV 609 fUhren zu einer sehr hohen Aufgriffsschwelle fUr mitgliedstaatliches Fehlverhalten. Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Europäische Union auf Vertragsverletzungen reagieren soll, die nicht als Homogenitätsverletzungen zu qualifizieren sind. So könnte beispielsweise ein Mitgliedstaat aus innenpolitischen Gründen die Obstruktion des Integrationsprozesses mittels inaktiver Mitgliedschaft betreiben. 6lO Eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze wäre in einem solchen Verhalten auf den ersten Blick noch nicht zu sehen. 336. Für vertragswidriges Verhalten eines Mitgliedstaates unterhalb der Stufe von Homogenitätsverletzungen wäre zunächst das "einfache" Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226, 227 EGV einschlägig. Der fortgesetzten Weigerung eines Mitgliedstaates, seinen Vertragsverpflichtungen nachzukommen, könnte in einem zweiten Schritt durch die Verhängung eines Zwangsgeldes oder Pauschalbetrages gemäß Art. 228 Abs. 2 EGV begegnet werden. Schließlich wäre zu überlegen, ob sich politisch motivierte, planmäßige Verstöße eines Mitgliedstaates gegen seine vertraglichen Verpflichtungen nicht als ein schwerwiegender und anhaltender Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit darstellen. Durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union erlangt das Gemeinschaftsrecht unmittelbare Geltung und Anwendungsvorrang in den beteiligten Staaten. Das Rechtsstaatsprinzip zwingt die Träger hoheitlicher Gewalt zur Einhaltung der geltenden Gesetze, mithin auch den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen. Indessen ist fraglich, ob ein solches Vorgehen nicht den Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 EUV überdehnt.

Vgl. Ziff. 232 ff. Zu dieser Kategorie siehe Weiler, Israel Law Review 20 (1985), S. 282 (288). Die von Frankreich im Jahre 1965 zur Unterstützung ihrer Forderung nach einer Anwendungsbeschränkung des Mehrheitsprinzips betriebene "Politik des leeren Stuhls" ist ein Anwendungsbeispiel der inaktiven Mitgliedschaft, vgl. hierzu Streinz, Luxemburger Vereinbarung, S. 11 ff. In das Vorfeld dieser Art mitgliedstaatlicher Verhaltensweisen sind Austrittsdrohung der sozialistischen Partei Griechenlands (PASOK) im Jahre 1981 und die Drohung des nationalen Exekutivkomitees der britischen Labour-Partei (NEC) einzuordnen, im Falle eines Wahlsieges bei den Unterhauswahlen 1982 den Beitritt Großbritannien zu den Europäischen Gemeinschaften rückgängig zu machen, zu letztgenanntem Fall vgl. Palmer, International Affairs 1982, S. 638 ff. 609 610

G. Würdigung

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IV. Keine Erweiterung des Anwendungsbereichs von Art. 7 EUV 1. Die Verletzung von Beitrittskriterien 337. Art. 6 Abs. 1 EUV nennt mit den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit vier Prinzipien, die im Beitrittsverfahren zur Europäischen Union eine gewichtige Rolle spielen. Es handelt sich bei ihnen um Beitrittsvoraussetzungen als Anforderungen an das politische System des beitrittswilligen Staates. 611 Der innere Zusammenhang zwischen der Homogenitätsklausel und dem Beitritt zur Union wird mit der Bezugnahme des Art. 49 EUV auf die von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze bestätigt. 338. Unter der Prämisse dieses Zusammenhangs wäre es denkbar, den Anwendungsbereich des Art. 7 EUV auszudehnen. Der Gewährleistungsmechanismus könnte auch die weiteren Beitrittsvoraussetzungen erfassen, und deren "schwerwiegende und anhaltende" Verletzung sanktionieren. Der Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 EUV wäre dahingehend zu erweitern, daß in ihm die von Art. 49 Abs.l EUV nicht genannten, ungeschriebenen Beitrittsvoraussetzungen als geschützte Rechtsgüter mitgelesen werden müßten.

611 Bei der nunmehr kodifizierten Gruppe der politischen Anforderungen an einen beitrittswilligen Staat handelt es sich lediglich um einen Teilbereich der insgesamt existierenden Beitrittsvoraussetzungen. Auch nach dem Vertrag von Amsterdam bestehen weiterhin eine Reihe von ungeschriebenen Beitrittsvoraussetzungen. Die maßgebliche Formulierung in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993 (BullEG 6-1993, Ziff. 1.13) lauten wie folgt: "Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz der Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsfahige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Die Mitgliedschaft setzt ferner voraus, daß die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen können. Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar." Zu dem Problem der dauernden Neutralität eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der GASP siehe Schweitzer, Dauernde Neutralität, S. 198 ff. und S. 262 ff.; Schaub, SZIER 1996, S. 353 (365 ff.); umfassender Subedi, International and Comparative Law Quarterly 42 (1993), S.238 ff. Zu entsprechenden Stellungnahmen Finnlands, Österreichs und Schwedens vor ihrem Beitritt zur Union siehe den Bericht des Abgeordneten HolzJuss, A3-77/94, PE 206.084/endg. für den auswärtigen Ausschuß des Europäischen Parlaments. Zu den ungeschriebenen Beitrittsvoraussetzungen insgesamt Richter, Erweiterung der Europäischen Union, S. 46 ff.; C. Vedder, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 0, Rn. 7 ff. m. w. N., der als weitere Beitrittsvoraussetzung die Mitgliedschaft im Europarat und der EMRK nennt, ebenda,Rn. 15. Ähnlich in bezug auf eine Mitgliedschaft in der EMRK Schermers, CMLRev 35 (1998), S. 1 (5).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

339. Diese Ausdehnung ist abzulehnen. Sie widerspricht den hier rur ein Sanktions verfahren zur Gewährleistung der Homogenität vertretenen Maximen eines hohen Maßes an Rechtssicherheit und Bestimmtheit. 612 Ferner gibt es in der Entstehungsgeschichte des Art. 7 EUV keinen Anhaltspunkt rur die Annahme, daß sich der Tatbestand des Art. 7 Abs. I EUV auf alle Beitrittsvoraussetzungen erstrecken sollte. Im Gegenteil: nicht Art. 6 Abs. I EUV nimmt die Beitrittsvoraussetzungen des Art. 49 EUV in Bezug, sondern die Vertragsnorm über den Beitritt verweist auf die Homogenitätsklausel. Die Anleihe beim Wortlaut der Präambel des EU-Vertrages, der Regelungsbereich des Art. 44 Parlamentsentwurf und die Suspendierungsklauseln in völkerrechtlichen Verträgen der Europäischen Gemeinschaft beschränken sich in ihrem Gewährleistungsumfang ausschließlich auf politische und rechtliche Kriterien. Alle diese Argumente sprechen darur, daß sich die Teilnehmer der Regierungskonferenz bewußt darur entschieden haben, nur die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes zu den strukturellen Grundlagen der Union und auch der Mitgliedstaaten zu erklären und in einer gesonderten Bestimmung zu gewährleisten. 340. Aus der bewußten Beschränkung des Art. 6 Abs. 1 EUV auf die politisch-rechtlichen Strukturprinzipien eines Verbandes lassen sich Erkenntnisse rur den Anwendungsbereich des Art. 7 EUV gewinnen. Die Ausgestaltung der Homogenität durch Art. 6 Abs. 1 EUV beschränkt sich auf das rechtliche Verhältnis von Hoheitsträger und Individuum. Die Hoheitsgewalt soll legitimiert sein, ihre Ausübung rechtsstaatlichen Standards genügen, und die Individualsphäre soll durch die Anerkennung von Grundrechten geschützt werden. Erst wenn ein Mitgliedstaat diese Kriterien eines freiheitlichen Gemeinwesens systematisch und über einen längeren Zeitraum hinweg verletzt, soll sein Verhalten mittels Anwendung des Art. 7 EUV sanktioniert werden. Dieser Ansatz bestätigt noch einmal, daß der neue Gewährleistungsmechanismus auf autoritäre und totalitäre Entwicklungen in einem Mitgliedstaat ausgerichtet ist. 6\3 Andere Arten mitgliedstaatlichen Fehlverhaltens sind entweder unter den Tatbestand des "einfachen" Vertragsverletzungsverfahrens zu subsumieren, oder sie lassen sich mit juristischen Mitteln nicht erfassen. Das wäre etwa der Fall, wenn die wirtschaftliche Leistungsflihigkeit eines Mitgliedstaates über die Jahre kontinuierlich abnähme mit negativen Folgen etwa rur die nationale Beschäftigung und Steuereinnahmen.

612 613

Siehe unter lifT. 182. Siehe dazu unter lifT. 5 und lifT. 331.

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2. Nicht in Art. 6 Abs. J EUV genannte Homogenitätselemente 341. Die Argumentation des vorangegangenen Abschnitts gilt gleichermaßen rur Kriterien, die als weitere Homogenitätselemente einzustufen sind. Als mögliche Elemente europäischer Homogenität - neben den in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätzen - kommen in Betracht: die Staatsform (a), der Föderalismus (b) und die kulturelle Tradition der Mitgliedstaaten (c). Besondere Aufinerksamkeit gebührt schließlich dem Beitrittskriterium der mitgliedstaatlichen Wirtschaftsordnung (d).

a) Staatsform 342. Von den 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind acht Staaten als Republiken verfaßt: Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Österreich und Portugal. Ihnen stehen mit Belgien, Dänemark, Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden und Spanien sieben Monarchien gegenüber. 614 Kriterien rur diese formale Kategorisierung, sind die Art der Investitur des Staatsoberhauptes und die Zuordnung der Kompetenz zur völkerrechtlichen Vertretung des Staates. In einer Monarchie ist das Amt des Staatsoberhauptes erblich, während in einer Republik das Staatsoberhaupt gewählt wird. 615 Im Laufe der historischen Entwicklung hat sich die "Rechtsform" eines Staates von der Entscheidung über die Art und Weise der Organisation staatlicher Herrschaft abgekoppelt. Die Fragen nach der Legitimation von Herrschaftsausübung, Machtverteilung und Verwirklichung rechtsstaatlicher Strukturen lassen sich nicht mehr durch die formale Kategorie der Staatsform beantworten, seit dem Konstitutionalismus und Parlamentarismus die Allmacht des Monarchen beseitigt haben. 616 Der Formalbegriff der Staatsform ist - wie auch der Blick auf die Staatsformen der Mitgliedstaaten zeigt - somit kein Element europäischer Homogenität. 617

614 Zur möglichen Form eines europäischen Staates siehe das Plädoyer von Häberle rur eine zukünftige republikanische Verfassung, in: Hengstschläger, FS rur Schambeck, S. 145 (157 f.). 615 Ein Sonderfall ist die Wahlmonarchie, in der der Monarch und damit das Staatsoberhaupt gewählt wird. 616 Der Begriff "Staatsform" wird auch in einem weiteren, d. h. materiellen Sinn dahingehend verstanden, daß er sich auf die Formen der Herrschaftsausübung und Machtverteilung in einem Staat bezieht. Wie der Inhalt des Art. 6 Abs. 1 EUV zeigt, werden diese Elemente in der Europäischen Union jedoch nicht mit der Staatsform identifiziert, sondern unterliegen einer gesonderten Regelung. Vgl. hierzu Isensee, in: GörresGesellschaft, Staatslexikon, Stichwort: Republik, Sp. 882 (883 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 120. 617 So auch ausdrücklich H. P. Ipsen, in: Maurer, FS rur Dürig, S. 159 (178); Richter, Erweiterung der Europäischen Union, S. 62.

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b) Föderalismus 343. Der Begriff des Föderalismus vereint Prinzipien unterschiedlicher Wirkungsweise. Nach hergebrachtem Verständnis steht der föderale Gedanke als gesellschaftliches Ordnungsprinzip in engem Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre. Seine Bedeutung läßt sich in zwei Maximen zusammenfassen: Erstens ist die größere soziale Einheit der kleineren in denjenigen Bereichen zur Hilfe verpflichtet, in denen das Individuum oder die kleinere Einheit die Aufgaben nicht bewältigen können. Zweitens sind Eingriffe der größeren Einheit in die Angelegenheiten der kleineren - mit Ausnahme der Hilfe zur Selbsthilfe - untersagt. 618 Als politisches Ordnungsprinzip regelt der Föderalismus das Verhältnis einer Vielheit einzelner politischer Organisationseinheiten und der sie verbindenden Einheit eines zusammengesetzten Verbandes. Als staatsrechtliches Strukturprinzip materialisiert sich der Föderalismus in seiner stärksten Ausprägung im Bundesstaat. Der Bundesstaat bildet die Gegenkonzeption zum unitarisch organisierten Staatsverband, in dem die Hoheitsgewalt zentral ausgeübt wird.6\9 344. Während in der Europäischen Union drei Mitgliedstaaten - Belgien, Deutschland und Österreich - ihren Verfassungen nach ausdrücklich als föderale Staaten gelten,620 sind die meisten Mitgliedstaaten - aufgrund der Größe ihres Staatsgebietes oder historischen Entwicklung - als Einheitsstaaten organisiert. Dabei sehen sich einige dieser Staaten mit unitarischer Binnenstruktur, wie Frankreich, Spanien und Italien, seit Jahrzehnten mit Entwicklungstendenzen hin zur Regionalisierung und Dezentralisierung konfrontiert, die mittlerweile auch im Verfassungsrecht dieser Staaten ihren Niederschlag gefunden haben. 621 Der Prozeß der "devolution 01 power" ist, mit der Absicht regionale Parlamente für Wales und Schottland zu schaffen, seit einiger Zeit auch im 618 Grundlegend Ne/l-Breuning, Baugesetze der Gesellschaft, S. 82; ders., in: GörresGesellschaft, Staatslexikon, Stichwort: Subsidiarität, Sp. 830. Der maßgebliche Text der katholischen Kirche zum Subsidiaritätsprinzip ist die Enzyklika Quadragesima anno von Papst Pius XI. (15.5.1931), abgedruckt in Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (Hrsg.), Texte zur katholischen Soziallehre, 6. Autl., 1986, S. 91 ff. Zusammenfassend Hofmann/Kirchner, in: Gerken, Ordnungswettbewerb, S. 45 (47 ff.) m.w.N. 619 Siehe etwa Doehring, Allgemeine Staatslehre, S. 66 ff. mit rechtsvergleichenden Hinweisen. Zum Ursprung des Subsidiaritätsgedankens umfassend die Studie von Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 35 ff.; jüngst unter Einbeziehung des Vertrages von Amsterdam Dolzer, Saint Louis University Law Journal 42 (1998), S. 529 ff. 620 Art. I belgische Verfassung; Art. 20 Abs. 1,28 Abs. I GG; Art. 2 B-VG. 621 Art. 72 bis 75 französische Verfassung; Art. 114 bis 133, insbesondere Art. 116 italienische Verfassung; Art. 2, Art. 143 bis 158 spanische Verfassung. Zur Situation in Frankreich und Spanien siehe Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen in Europa, S. 130 ff. und 189 ff. Zu den autonomen Regionen in Italien Desideri, in: Jones/Keating, European Union and the Regions, S. 65 ff.

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klassischen Einheitsstaat Großbritannien zu beobachten. Diese Tendenzen können als Ansätze fiir eine Föderalisierung der Mitgliedstaaten gewertet werden. 622 Dem Föderalismus ist dabei eine dualistische Wirkungsrichtung beizumessen. Diente er in der deutschen Geschichte als Mittel zur Einheitsbildung, zur Integration bestehender zentripetaler Kräfte hin zur staatlichen Einheit,623 erfiillten die Föderalisierung Belgiens624 und Österreichs 62s die Funktion der Sublimation gesellschaftlicher und politischer Heterogenität bei fortbestehendem Willen zur staatlichen Einheit. 626 345. Auf der Ebene der Europäischen Union lassen sich gleichfalls Regelungen finden, mit denen die Binnenstruktur der Mitgliedstaaten berücksichtigt wird. So ist die Europäische Union dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet (Art. I S. 2, Art. 2 EUV), das sich immer stärker als zentrales Ordnungsprinzip der Integration etabliert. 627 Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht ist die Interessenvertretung der regionalen und kommunalen Verbände der Mitgliedstaaten durch die Beteiligung des Ausschusses der Regionen institutionalisiert (Art. 263-267 EGV). Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Rat müssen nicht mehr der Exekutive des Gesamtstaates angehören, sondern können - wie im Falle Belgiens und Deutschlands praktiziert - auch Mitglieder der Regierung einer anderen Gebietskörperschaft im Range eines Ministers sein (Art. 203 S. I EGV). Schließlich ist die Union verpflichtet, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten (Art. 6 Abs. 3 EUV). Dazu gehört vor allem die innerstaatliche Organisation der Hoheitsgewalt und die damit verbundene Stellung der Länder bzw. Regionen. 628 Aufgrund dieses Inhalts ist Art. 6 Abs. 3 EUV in der Literatur auch als Verkörperung des "föderalen Prinzips" in der Eu-

Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen in Europa, S. 311 f Vgl. Badura, in: ders./Scholz, FS für Lerche, S. 371 (372 tf.); Häberle, AöR 118 (1993), S. I ff. mit dem Versuch, den "Regionalismus" als eine eigenständige Kategorie zwischen Föderalismus und Unitarismus zu etablieren. 624 Alan, Föderalstaat Belgien, S. 40 ff.; zu den Verfassungsreformen Belgiens seit dem Föderalisierungsbeschluß 1980, ders., ZaöRV 50 (1990), S. 501 ff. 625 Pernthaler, in: Österreichische Parlamentarische Gesellschaft, FS 75 Jahre Bundesverfassungsgesetz, S. 659 f; Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen in Europa, S. 294 f 626 Vgl. Oberreuter, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Stichwort: Föderalismus, Sp. 632 (634). 627 Siehe dazu die von den Vertragsparteien der Regierungskonferenz zum Amsterdamer Vertrag angenomme Erklärung Nr. 43 zum Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABI. 1997, Nr. C 340 vom 10.11.97, S. 140, vgl. Heitsch, EuGRZ 1997, S. 461 (466). Zum Subsidiaritätsprotokoll allgemein und kritisch zum Vorgehen der Kommission in bezug auf die Subsidiarität Kenntner, NJW 1998, S. 2871 ff. 628 Hilf, in: BeyerlinIBothelHofmannlPetersmann, FS für Bemhardt, S. 157 (\ 59 f und 165 ff.); ders., integration 1997, S. 247 (248); Beutler, in: v. d. Groebenffhiesingl Ehlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. F, Rn. 19. 622

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ropäischen Union eingeordnet worden. 629 Jedenfalls wird die durch Art. 23 Abs. I S. I GG und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geforderte Garantiepflicht der Europäischen Union gegenüber der föderalen Struktur Deutschlands630 durch die genannten Regelungen errullt. 346. Trotz dieser Verknüpfungen von Föderalismus und Integration ist die Bedeutung dieses Organisationsprinzips rur die Homogenität gering. Grundsätzlich hat die innerstaatliche Organisation der Mitgliedstaaten keine Relevanz fiir deren Verhältnis zur Union. Die genannten Bestimmungen bilden die Ausnahmen. Die Europäische Union verfolgt einen Ansatz, der sich ausschließlich an dem Ergebnis vertragsgemäßen Verhaltens der Mitgliedstaaten orientiert. Ein mitgliedstaatlicher Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen läßt sich denn auch nicht mit einem Hinweis der Mitgliedstaaten auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung zwischen Gesamtverband und Gliedverbänden rechtfertigen. 63 I Die Union achtet zwar die föderalen Strukturen ihrer Mitgliedstaaten, fordert eine solche aber nicht. Statt dessen stellt sie materielle Anforderungen an die demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen der Mitgliedstaaten im Sinne von Zielbestimmungen. Auf welchem Weg diese Verpflichtungen mit den mitgliedstaatlichen Binnenstrukturen, insbesondere der Kompetenzverteilung, zu vereinbaren sind, ist eine ausschließliche Angelegenheit der Mitgliedstaaten. 632 Der Föderalismus ist mithin kein Homogenitätselement.

c) Kulturell-religiöse Traditionen 347. Die Europäische Union ist ein beschränkt offener Verband, d. h. in ihm können gemäß Art. 49 Abs. 1 EUV nur europäische Staaten Mitglied werden. Die materielle Aussage dieses adjektivischen Zusatzes ist umstritten. 633 Schon ein geographischer Definitionsversuch stößt an den östlichen und südlichen Rändern Europas mangels eindeutiger topographischer Merkmale im Wortsinn an seine Grenzen. 634 Deshalb wurde der Versuch unternommen, Europa - und damit den Kreis potentieller Unionsmitglieder - über die kulturellen und reli-

629 So Hilf, VVDStRL 53 (1993), S. 7 (8 ff.); ders., integration 1997, S. 247 (248 f.); vgl. hierzu auch Badura, in: ders./Scholz, FS fiir Lerche, S. 369 (381 ff.). 630 BVertGE 89, 155 (186). Siehe auch H. P. Ipsen, In: Maurer, FS fUr Dürig, S. 159 ( 176). 631 EuGH, Kommission./. Italien (Abfalle), Rs. C-33/90, Slg. 1991,1-5987 (6008). Dazu Trüe, EuR 1996, S. 179 (190 f.). 632 Jedem Mitgliedstaat steht es frei, seine Kompetenzen innerstaatlich nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zu verteilen, vgl. EuGH, Kommission./. Italien Rs. 300/81, Slg. 1983, S. 449 (456). 633 Zusammenfassend, Tortarolo, in: v. Bogdandy, Die Europäische Option, S. 21 ff. und die nachfolgenden Nachweise. 634 Münkler, in: DelgadolLutz-Bachmann, Herausforderung Europa, S. 9 (10).

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giösen Traditionen zu definieren. 635 Auch wenn diese Versuche von dem soliden Fundament gemeinsamer historischer Erfahrungen getragen werden, sind Definitionsversuche anhand dieser "weichen" Kriterien jedoch stärker von dem Motiv getragen, bestimmten Staaten den Beitritt zur Europäischen Union objektiv unmöglich zu machen, als das sie auf einer kohärenten und faßbaren Grundlage stünden. 636 Zur Stützung dieser Ansicht mag exemplarisch der Hinweis auf die Mitgliedschaft Griechenlands genügen. Das "lateinische Europa" sieht in Griechenland seine kulturelle Wiege, wohingegen die tatsächlichen Verbindungen des modemen griechischen Nationalstaates zum perikleischen Athen gering sind, dafilr um so stärker die Verwurzelung im Kulturkreis der Orthodoxie. 637 Letzteres war jedoch kein Hindernis, die griechische Republik 1981 in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aufzunehmen. Auch der Hinweis auf die Einheit des Christentums vermag nicht die notwendige Trennschärfe für eine brauchbare Definition eines europäischen Staatswesens zu liefern. Griechenland ist wiederum das Gegenbeispiel für die vermeintliche Gleichartigkeit der Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht. Der mit Blick auf einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union formulierte Inhalt des Kriteriums "europäischer Staat" läuft im übrigen an den Realitäten vorbei. Der Türkei wird in ihrem Assoziationsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft von 1964 die Mitgliedschaft grundsätzlich in Aussicht gestellt638 und die Zugehörigkeit zu Europa damit quasi offiziös festgestellt. 639 348. Differenzen der Mitgliedstaaten über kulturelle und religiöse Fragen vermögen den für die Integration notwendigen Konsens nicht zu zerstören. Unbestritten ist auch, daß sich "europäische" Staaten von den Staatswesen - beispielsweise in Asien - nicht nur durch die Geographie unterscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich das, was gemeinhin als "europäisches Erbe" bezeichnet wird, gerade in den vier Prinzipien des Art. 6 Abs. 1 EUV - Freiheit, Demokratie, Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit - materialisiert. Im konkreten Fall leisten diese vier Prinzipien auch die Aufgabe, potentielle Be635 Siehe dazu vor allem lsensee, in: ders., Politische Idee und rechtliche Gestalt Europas, S. \03 ff. m. w. N., des weiteren Meier, EuR 1978, S. 12 ff.; Rey, in: Ganshofvan der Meersch, Les Nouvelles, Rn. 1720; C. 0. Lenz, ZRP 1988, S. 449 ff.; Müller, BayVBI. 1993, S. 513 ff. 636 Kritisch Bruha/Vogt, VRÜ 30 (1997), S. 477 (481 ff.). 637 Auf diesen Zusammenhang weist lsensee hin, in: ders., Politische Idee und rechtliche Gestalt Europas, S. \03 (126); ders., in: Burmeister, FS für Stern, S. 1239 (1250) in Fn. 47. 638 Siehe Art. 28, Präambel des Assoziationsabkommens, ABI. Nr. 217 vom 29.12.1964, S.3687 und Art. 28 des Beschlusses 1/95 des Assoziationsrates vom 22.12.1995, ABI. Nr. L 35 vom 13.2.1996, S. 1 unter Hinweis auf das Abkommen von 1964. 639 Siehe E. Klein, in: HailbronnerlE. Klein/Magiera/Müller-Graff, Handkommentar EGVIEUV, Art. 0, Rn. 8; Meng, in: v. d. GroebenfThiesinglEhlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. 0, Rn. 48.

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werberstaaten, die diese Werte nicht freiwillig anerkennen und verwirklichen, von einer Mitgliedschaft in der Union femzuhalten. Es fehlen hinreichend bestimmbare Maßstäbe für die Homogenität hinsichtlich der kulturell-religiösen Traditionen, die eine trennscharfe Abgrenzung erlauben. Es handelt sich bei diesem Kriterium folglich nicht um ein Homogenitätselement.

d) Wirtschaftsordnung 349. Die Akteure des europäischen Integrationsprozesses sind sich einIg, daß die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftsordnungen bestimmten Grundsätzen zu unterwerfen haben. Konsequent werden an die wirtschaftlichen Systeme bei" trittswilliger Staaten Anforderungen gestellt, die selbstverständlich auch nach der Aufnahme in die Europäische Union fortwirken. Diese Voraussetzungen haben durch den Vertrag von Amsterdam weder Aufnahme in Art. 49 Abs. 1 EUV noch in Art. 6 Abs. 1 EUV gefunden. Dafür sind die Aussagen des Primärrechts über die wirtschaftliche Grundordnung der Union und ihrer Mitgliedstaaten eindeutig. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten haben eine Wirtschaftspolitik einzuführen, die "dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist".64o Für Nicolaysen liegt die rechtliche Bedeutung dieser Formel von der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb in erster Linie darin, "daß eine andere, Wirtschaftsverfassung' nicht zulässig ist".641 Planwirtschaft oder eine zentrale Verwaltungswirtschaft dürften von der Gemeinschaft oder ihren Mitgliedstaaten also nicht betrieben werden.

Obwohl mit Gründung der Europäischen Union das politische Element der Integration wieder aufgenommen wurde und seine institutionelle Verfestigung erfahren hat, ist der Wirtschaftssektor noch immer der archimedische Punkt des Einigungsprozesses. Nicht zuletzt die Aussicht auf bedeutende Wohlfahrtsgewinne für die nationalen Volkswirtschaften motiviert die Mitgliedstaaten, Ho-

640 Vgl. Art. 4 Abs. I EGV. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten, die Gemeinschaft und das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) gemäß Art. 98, 105 Abs. I EGV) dazu verpflichtet, "im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" zu handeln. 641 Nicolaysen, Europarecht 11, S. 320. Die Deduktion positiver Inhalte aus diesen Formulierungen bereitet Schwierigkeiten, weil die einzelnen Begriffe unscharf sind und eine prinzipielle Abhängigkeit von den wirtschaftswissenschaftlichen Prämissen besteht. Die Auslegung des Wortlauts gestattet jedoch die Definition eines unbestreitbaren Kemgehalts einer "wettbewerbsverfaßten Marktwirtschaft" (vgl. zu diesem Begriff Müller-Graf!, in: ders.lRiedel, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, S. 53 (55 f.) = EuR 1997, S. 433 (434 f.)). Sie definiert sich durch das freie Wechselspiel von Angebot und Nachfrage in einem Markt, der der Form der Konkurrenz von wenigstens zwei Marktteilnehmern auf der Angebots- besser jedoch auch auf der Nachfrageseite unterliegt. Hierzu Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 22. Zur näheren Ausgestaltung möglicher Inhalte siehe auch die Ausführungen zur "Subtraktionsmethode" unter Ziff. 100 ff.

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heitsrechte ZU übertragen und die beitrittswilligen Staaten Mittel- und Osteuropas, ihre erst junge Eigenständigkeit freiwillig wieder einzuschränken. Mit Blick auf die Konsens-, Integrations- und Sicherungsfunktion der Homogenität, kann die Gleichartigkeit der mitgliedstaatlichen Wirtschaftsordnungen als ein Element dieses Ordnungsprinzips angesehen werden. 642 Das gilt um so mehr, als der Eintritt in die dritte Stufe der WWU auch noch die Währungshoheit der teilnehmenden Mitgliedstaaten aufhebt und der Europäischen Zentralbank (EZB) unterstellt. 350. Die vermeintliche Unvollständigkeit der Homogenitätsklausel wird durch einen Umstand behoben, der auch das Schweigen mitgliedstaatlicher Verfassungen über die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung hinnehmbar macht: die Vorwirkung der Grundrechte. Art. 6 Abs. 1 EUV gewährleistet die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Darunter fallen auch die von einer wirtschaftlichen Tätigkeit betroffenen Grundrechte der Berufs-, Vereinigungs- und allgemeinen Handlungsfreiheit. 643 Sind diese Grundrechte in einem Gemeinwesen mit ihrem gegenwärtig akzeptierten Wesensgehalt garantiert, schaffen diese Freiheiten marktwirtschaftliche Verhältnisse ft1r die Betätigung von Marktbürgern und Unternehmen. Auf eine ausdrückliche Aufnahme der Wirtschaftsordnung in Art. 6 Abs. 1 EUV kann also selbst dann verzichtet werden, wenn man eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft als Homogenitätselement einordnet. 644

3. Zwischenergebnis Art. 7 EUV ist in seinem Anwendungsbereich abschließend. Das Sanktionsverfahren gewährleistet ausschließlich die von Art. 6 Abs. 1 EUV genann-

642 Die "Homogenität der Wirtschaftsordnung" wird ausdrücklich von C. Vedder, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 0, Rn. 16 genannt; siehe auch die rechtsvergleichenden Ausfilhrungen bei Müller-Graf!, in: ders./Riedel, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, S. 53 (64 fI) = EuR 1997, S. 433 (445 ff.). Zum Begriff der Wirtschaftsverfassung und deren Reformbedürftigkeit in bezug auf das Gemeinschaftsrecht siehe E. -U. Petersmann, EuZW 1993, S. 593 ff. 643 Nach Art. 295 EGV läßt der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt, d. h., insbesondere die Frage von Verstaatlichung und Privatisierung wird von der Union nicht geregelt und verbleibt in der alleinigen Verantwortung der Mitgliedstaaten; hierzu Everling, in: F. BaurlEsserlKübler/Steindorff, FS filr Raiser, S. 379 (381 ff.). Beutler kommt aufgrund von Art. 295 EGV zu dem Schluß, daß es auf europäischer Ebene keine Wirtschaftsverfassung gibt, in: BeutlerlBieberlPiepkom/ Streil, Recht der Europäischen Union, S. 67; Steiger, Staatlichkeit und Überstaatlichkeit, S.I72. 644 So etwa Kluth, Demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 56 f. Die wirtschaftliche Homogenität der Mitgliedstaaten wurde vor allem im Zusammenhang mit der Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaften (Griechenland, Spanien und Portugal) erörtert; vgl. Meier, EuR 1978, S. 12 ff; Dagtoglou, EuR 1980, S. I (3).

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ten Grundsätze. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf die mitgliedstaatliche Verletzung von Beitrittskriterien scheitert an der Wortlautgrenze des Tatbestandes und der Konzeption des Sanktionsverfahrens. Das gilt auch für das Beitrittskriterium der wettbewerbsverfaßten Marktwirtschaft, soweit man es als weiteres Homogenitätselement einordnet.

V. Notwendigkeit der Kodifikation des Sanktionsverfahrens 351. Der Blick auf die Gewährleistungsmöglichkeiten der Homogenität nach dem bisher geltenden Recht hat gezeigt, daß entsprechende Maßnahmen gegen einen Mitgliedstaat auf der Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze hätten ergriffen werden können. 645 Wenn die Wahrscheinlichkeit der Anwendung des neuen Sanktionsverfahrens aufgrund der seltenen Fälle von Homogenitätsverletzungen durch Mitgliedstaaten und der konkreten Ausgestaltung des Sanktionsverfahrens als gering einzuschätzen ist, und für diese wenigen Fälle auch eine Notmaßnahme nolens volens zur Verfügung gestanden hätte, stellt sich objektiv die Frage nach der Notwendigkeit der Kodifizierung des Sanktionsverfahrens.

Die praktische Relevanz eines Rechtsinstituts ist nicht das zentrale Kriterium seiner Bewertung. Der Blick in das Organisationsrecht zusammengesetzter Verbände des Staats- und Völkerrechts hat gezeigt, daß jede Rechtsordnung einen Gewährleistungsmechanismus enthält. Die seit vielen Jahrzehnten geltenden Regelungen - insbesondere die der Bundesstaaten - sind niemals oder nur in einem einzigen Fall angewendet worden. Dennoch werden sie offenbar für notwendig gehalten, was deren Existenz in den Verfassungen beweist. 352. Die Bestimmungen des Sanktions verfahrens entsprechen der von der Kommission anläßlich ihrer Stellungnahme zur Regierungskonferenz vorgetragenen Forderung, daß die Union ihrer Verpflichtung auf die Menschenrechte und das europäische Gesellschaftsmodell noch sichtbarer Ausdruck verleiht. 646 Die Einfügung des Sanktionsverfahrens in die Verträge ist als ein Akt "kalter Diplomatie" ("diplomatie froide ,,)647 zu bewerten, der in erster Linie ein Signal an die künftigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union senden soll.648 Die bereits eingeleitete Erweiterung der Union um die Reformstaaten Mittel-, Ost-

Siehe unter Ziff. 165 ff. Stellungnahme der Kommission, (Ziff 84 Fn. 203), S. 9. 647 Haguenau-Moizard, RMC 1998, S. 240 (248), dort als ,froid diplomatique." 648 Kritisch zum Fortbestehen einer europäischen Wertehomogenität vor dem Hintergrund steter Erweiterung, Isensee, in: Due/Lutter/Schwarze, FS für Everling, S. 567 (585). Zu dem Zusammenhang von Demokratie und Osterweiterung unter Berücksichtigung der instabilen politischen Situation in einigen Bewerberstaaten siehe Rose/ Haerpfer, JCMS 33 (1995), S. 428 (430 ff.) 64S

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G. Würdigung

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und Südosteuropas wird Staatswesen in den europäischen Integrationsprozeß einbinden, die bezüglich der Festigkeit ihres Gemeinwesens nicht mit den bestehenden Mitgliedstaaten vergleichbar sind. 649 Auch wenn die Entwicklung dieser Staaten zum Zeitpunkt des Beitritts über ein Jahrzehnt hinweg als stabil anzusehen sein wird, zeigt die Finanzkrise in einigen aufstrebenden Staaten Südostasiens und Südamerikas, welche ökonomischen und politischen Schwierigkeiten in dieser Hinsicht quasi über Nacht eintreten können. 353. Darüber hinaus dienen die Bestimmungen des Sanktions verfahrens auch dem Schutz der Homogenität vor einem zukünftigen Abfall der etablierten Mitgliedstaaten in autoritäre oder totalitäre Verhältnisse. Die Vergangenheit bewegt sich in der Zeitspanne eines Menschenalters, um die Erinnerung an diktatorische Regime in Portugal, Spanien, Griechenland, Deutschland und Italien zu bewahren. Der EU-Vertrag gilt auf unbegrenzte Zeit (Art. 51 EUV), so daß bei der Bewertung des Art. 7 EUV und Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV in längeren Zeiträumen gedacht werden muß. 354. Die Existenz eines Gewährleistungsmechanismus als einer ,fleet in being,,650 fiir Verfassungskrisen hat demnach sowohl eine präventive als auch eine repressive Funktion. 651 Präventiv im Sinne einer Abschreckung der Mitgliedstaaten von Handlungen, die die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit verletzen; repressiv im Sinne des Schutzes der Integrationsvoraussetzungen und damit des Fortbestandes der Europäischen Union. Vergleichbar mit den nationalen Sicherungsklauseln - wie beispielsweise Art. 23 Abs. 1 GG - entfaltet der Gewährleistungsmechanismus eine Homogenisierungswirkung in bezug auf die mitgliedstaatlichen Verfassungen. 652 355. Die verstärkten Bemühungen der Europäischen Union in ihren Außenbeziehungen zum Schutz der Demokratie und Menschenrechte sind bereits betont worden. Davon zeugen die besondere Bedeutung der Menschenrechtsfrage in den Tätigkeiten des Europäischen Parlaments, die Entwicklungspolitik der Union und insbesondere die Suspendierungsklauseln in den völkerrechtlichen Verträgen der Europäischen Gemeinschaften. Durch die Einfugung von Art. 7 649 Manin, Columbia Journal of European Law, 4 (1998), S. I (23). Siehe auch die Auffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme zur Regierungskonferenz 1996: "Die Erweiterung darf nicht unter Preisgabe der Errungenschaften von vierzig Jahren europäischer Einigung vollzogen werden", Luxemburg 1996, S. 8, Rz. 4. 650 Frowein, EuR 1983, S. 301 (314). 651 Zu dieser Funktion vgl. Hilf, EuR 1997, S. 347 (355). Vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 694. 652 Vgl. dazu Pernice, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 80, der Art. 7 EUV im Zusammenspiel mit den nationalen Struktursicherungsklauseln als "wechselseitig verfassungsstabilisierend" bezeichnet und insoweit eine sinnvolle Ergänzung der nationalen verfassungsrechtlichen Bestandssicherungen konstatiert; vgl. hierzu ders., in: Bieber/ Widmer, Europäischer Verfassungsraum, S. 225 (262 ff.).

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§ 4 Gewährleistung der Homogenität durch Art. 7 EUV

EUV in das Primärrecht verwirklicht die Europäische Union rur ihr Binnenregime, was sie in ihren Außenbeziehungen bereits seit Jahren vertritt. Insoweit handelt es sich bei der Vertrags änderung um ein kohärentes Verhalten, durch das zusätzlich eine im kodifizierten Recht bestehende Vertrags lücke geschlossen wird. 356. Schließlich hat die Einrugung von Art. 7 EUV in das Primärrecht - im Zusammenspiel mit der Änderung des Art. 6 Abs. I EUV - Auswirkungen rur die Europäischen Union und die Mitgliedstaaten. Diese werden Gegenstand des folgenden Kapitels sein.

§ 5 Primärrechtsänderung durch Art. 6 Abs. 1, 7 EUV und ihre Auswirkungen auf die Europäische Union und die Mitgliedstaaten als Integrationssystem 357. Die Änderung des Art. F Abs. 1 EUV a. F. und die Einfilgung des Sanktionsverfahrens durch die neuen Bestimmungen der Art. 7 EUV sowie Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV werfen - jede filr sich betrachtet - Einzelfragen auf, deren detaillierter Inhalt im Mittelpunkt der beiden vorangegangenen Kapitel stand. Darüber hinaus ist der innere Zusammenhang zwischen der Homogenitätsklausel und den Vertragsnormen des Sanktionsverfahrens Anlaß, mögliche Auswirkungen dieser Primärrechtsänderung auf das europäische Integrationssystem insgesamt zu erörtern. Die nachfolgenden Ausfilhrungen konzentrieren sich auf vier Aspekte: die Erweiterung der gemeinschaftsrechtlichen Aufsicht über die Mitgliedstaaten auf das Unionsrecht (A), die Beschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität und des Umfanges der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (B), die normative Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene sowie den sich daraus ergebenden Handlungsauftrag filr die nächste Regierungskonferenz CC) und die Einordnung der Art. 6 Abs. 1, Art. 7 EUV als Elemente des europäischen Konstitutionalisierungsprozesses CD).

A. Erweiterung der gemeinschaftsrechtlichen Aufsicht über die Mitgliedstaaten auf das Unionsrecht Die Ergänzung des Gewährleistungsmechanismus um ein Beobachtungsstadium 358. Das Sanktionsverfahren wird formal durch einen Vorschlag der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten in Gang gesetzt. Materiell setzt dieser Schritt voraus, daß die Vorschlagsberechtigten zu der Auffassung gelangt sind, der betroffene Mitgliedstaat habe gegen seine unionsrechtliche Verpflichtung aus Art. 6 Abs. I EUV verstoßen. Die Homogenitätsklausel enthält ein So liens gebot, das die Einhaltung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit durch die Mitgliedstaaten einfordert. Um diese materielle Voraussetzung zu erfilllen, bedarf es einer fortlaufenden Beobachtung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und Rechtswirklichkeiten.

14 Scharkopf

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§ 5 Auswirkungen der Primärrechtsänderung

Anders als im Gemeinschaftsrecht, wo die Kommission im Rahmen ihrer "Hüterfunktion" (Art. 211 EGV, Art. 8 EGKSV und Art. 124 EAGV) eine umfassende Kontrolle über die Einhaltung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen durch die Mitgliedstaaten ausübt,653 ist die Intensität der Beobachtung auf Unionsebene gering. Einerseits fehlt es an der Notwendigkeit fiir eine detaillierte Beobachtung, da die hier behandelten, mitgliedstaatlichen Homogenitätsverletzungen den Akteuren des Integrationsprozesses und der Öffentlichkeit aufgrund der sie begleitenden tatsächlichen Umstände nicht verborgen bleiben werden. Andererseits erlangt die Kommission bereits bei der Ausübung ihrer "Hüterfunktion" im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts einen ausreichenden Einblick in die Situation der Mitgliedstaaten, der ihr auch die Beantwortung der Frage erlauben wird, inwieweit ein Mitgliedstaat die Homogenitätsanforderungen des Unionsrechts erfiillt. Wenn somit auch die Auswirkungen dieser latenten Überwachung erst im Fall einer Verletzung der entsprechenden Vertragsbestimmungen spürbar werden, so wird durch die Einfilgung des Art. 7 EUV und die Änderung des Art. F Abs. I EUV a. F. organisatorisch eine weitere Aufsichtsfunktion geschaffen, die die Konformität mitgliedstaatlichen HandeIns in bezug auf unionsrechtliche Pflichten zum Aufsichtsgegenstand hat. 359. Die Beobachtung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Einhaltung des Homogenitätsgebotes ergänzt das Sanktionsverfahren. Während mit letzterem die Berichtigung etwaiger Homogenitätsverletzungen unternommen werden soll, ist die Beobachtung seine notwendige Voraussetzung. Die Beobachtung ist ein der Sanktion vorgeschaltetes Stadium und damit Teil des Gewährleistungsmechanismus. In Anlehnung an Triepe/s Begriff der Reichsaufsicht,654 ließe sich statt von Gewährleistungsmechanismus auch von Unionsaufticht sprechen. 655 Allerdings birgt diese Parallele die allgemeine Gefahr dogmatischer Anleihen bei mitgliedstaatlichen Rechtordnungen - die Verkennung des originären Charakters der europäischen Rechtsordnung und ihres Anspruchs auf

653 Zur Kommissionsaufsicht umfassend Gil/btinez, Harvard Jean Monnet Working Paper 12/98, S. 66 ff. 654 Triepel, Die Reichsaufsicht - Untersuchungen zum Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1917. 655 Die Aufsicht der Kommission über die mitgliedstaatliehe Einhaltung des Gemeinschaftsrechts und die Möglichkeit des Vertragsverletzungsverfahrens werden im Schrifttum auch unter dem Begriff der "Gemeinschaftsaufsicht" zusammengefaßt, vgl. Zuleeg, JöR n. F. 20 (1971), S. 3 (52 ff.); BandeIl, Aufsicht der Europäischen Gemeinschaften über die Mitgliedstaaten, S. 5 ff. Dazu werden drei Stadien der Gemeinschaftsaufsicht unterschieden: Beobachtung, Berichtigung und Exekution. Ausdruck des letzteren Stadium ist ein Feststellungsurteil des Gerichtshofes im Verfahren nach Art. 226, 227 EGV, wobei eine tatsächliche Vollstreckung der Urteile mangels Zwangsgewalt der Gemeinschaften nicht vorgesehen ist. Zu den drei Stadien siehe auch H. P. /psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9/67 ff., S. 234 ff.

B. Beschränkung mitgliedstaatlicher Souveränität

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eine eigenständige juristische Begründung -, weshalb der Begriff der Gewährleistung vorzuziehen ist.

B. Beschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität und des Umfanges der nationalen Identität der Mitgliedstaaten 360. Die Existenz eines Aufsichtsverhältnisses, verbunden mit einer Sanktionskompetenz des aufsichtfiihrenden über den beaufsichtigten Verband, hat Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Beteiligten. Bezogen auf die Europäische Union heißt das konkret: Art. 6 Abs. I EUV fordert die Konformität der mitgliedstaatlichen Verfassungen und der Verfassungswirklichkeit mit den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit. Eine qualifizierte Verletzung dieser Komponenten ist über Art. 7 EUV und die korrespondierenden Bestimmungen im Gemeinschaftsrecht sanktionsbewehrt. Die Mitgliedstaaten sind zwar faktisch an einem Verhalten nicht gehindert, das die unionsrechtlichen Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. I EUV mißachtet. Rechtlich bedeutete es einen Vertragsverstoß. Insoweit ist die Autonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über ihre Rechtsordnungen eingeschränkt. 656 Die Einfiigung des Gewährleistungsmechanismus macht diese - schon nach bislang geltendem Recht bestehende - Einschränkung der mitgliedstaatlichen Souveränität augenscheinlich.

Die Verknüpfung der von Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze mit der Souveränitätsthematik rückt den systematischen Zusammenhang des Art. 6 EUV insgesamt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Art. 6 Abs. 3 EUV verpflichtet die Europäische Union auf die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. 657 Mit dieser Identitätsklausel erkennt das Unionsrecht die mitgliedstaatliche Souveränität an, d. h., die Definitionsmacht zur inhaltlichen Bestimmung des Identitätsbegriffs liegt grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. 658 Es ist an ihnen, im Rahmen ihrer "Selbstkompetenz,,6S9 identitätsstiften-

656 Zum Inhalt der Souveränität Fleiner-Gerster, Allgemeine Staatslehre, S. 145 tT. m. w. N.; speziell zur Volkssouveränität Bäckenforde, in: IsenseelKirchhof, HdbStR Bd. I, § 22 Rn. 3 tT. Zur Souveränität der Mitgliedstaaten der Union Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 32 tT.; Heckei, Föderalismus, S. 75 (78 tT.) m. w. N. Kritisch zum Souveränitätsdenken im Hinblick auf die Integration der Nationalstaaten in der Europäischen Union Oeter, ZaöRV 55 (1995), S. 659 tT. 657 Zum Begriff der Identität vgl. auch ZitT. 31 tT. H Schneider, integration 1991, S. 160 (161 tT.); Smith, International Affairs 68 (1992), S. 55 (60 tT.). 658 So Bäckenforde, Beilage FAZ Nr. 228 vom 30.9.1995; ders., in: Michalski, Identität im Wandel, S. 129 tT. 659 Lerche, in: Bundesnotarkammer, FS rur Schippei, S. 919 (928).

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§ 5 Auswirkungen der Primärrechtsänderung

de Merkmale zu benennen. Die in dieser Weise ausgeformte nationale Identität genießt Schutz vor Eingriffen der Europäischen Union. 660 Die von Art. 6 Abs. 3 EUV garantierte Ausformung einer mitgliedstaatlichen Identität hat allerdings ihre Grenzen. Diese Grenze wird von Art. 6 Abs. 1 EUV gebildet. Die Bestimmung definiert eine gemeinsame Verfassungsidentität, von der ein einzelner Mitgliedstaat - auch unter Hinweis auf seine nationalen Besonderheiten - nicht abweichen darf. Aus Sicht der Union formuliert heißt das: Die durch Art. 6 Abs. 1 EUV definierte Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten - weIche mit der Homogenität gleichzusetzen ist - bildet die Grenze einzelstaatlicher Entwicklungen im Rahmen der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. 661 Diese Art von Einschränkung mitgliedstaatIicher Souveränität bestand bereits vor Abschluß des Vertrages von Amsterdam und der dadurch bewirkten Primärrechtsänderungen. Das verdeutlicht die alte Fassung des Art. 6 Abs. 1 EUV (Art. F Abs. 1 EUV), in dem die Notwenigkeit homogener demokratischer Strukturen in den Mitgliedstaaten unmittelbar mit der nachfolgenden Identitätsklausel verbunden war. Der Neufassung von Art. 6 Abs. 1 EUV kommt der Verdienst zu, erstens das Homogenitätsprinzip in aller Deutlichkeit kodifiziert, und zweitens durch die Verschiebung der Idenitätsklausel in den eigenständigen Art. 6 Abs. 3 EUV die Absolutheit des Homogenitätsgebotes auch gegenüber dem mitgliedstaatlichen Souveränitätsanspruch verdeutlicht zu haben. 662 Entscheidend ist weiter, daß das schon vor dem Vertrag von Amsterdam bestehende Homogenitätsgebot nach der Vertragsergänzung ausdrücklich mittels eines Sanktionsverfahrens gewährleistet wird. 361. Diese rur das Verständnis des Rechtssystems der Europäischen Union wichtige Schlußfolgerung aus der Vertragsänderung hat indes vergleichsweise geringe Bedeutung rur das rechtstatsächliche Verhältnis von Europäischer Union und Mitgliedstaaten. Das hat seinen Grund in der Tatsache, daß die Inhalte

660 Beispiele ftir die nationale Identität sind die Ausgestaltung des Rundfunkwesens und die Rechtssprache, vgl. Hilf, in: Randelzhofer/ScholzJWilke, GS ftir Grabitz, S. 157 (168). In der Diskussion um den "schleichenden Kompetenzverlust" der Bundesländer durch die Teilnahme Deutschlands am Integrationsprozeß wird häufig auch die föderale Ordnung als Element der nationalen Identität genannt, hierzu Pernice, in: Dreier, GGKommentar, Art. 23 Rn. 69. Zur "Schutzfunktion" der Identitätsklausel Beutler, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar EGVIEUV, Art. F Rn. 18. 661 Vgl. lsensee, in: Burmeister, FS ftir Stern, S. 1239 (1251): "Der Unionsvertrag achtet [... ] die nationale Identität der Mitgliedstaaten unter dem Vorbehalt, daß ,deren Regierungssysteme auf demokratischen Grundsätzen beruhen." A. A. ausdrücklich Mestmäcker, F AZ Nr. 230 vom 4.10.1997, S. 15, Art. F Abs. I EUV garantiere mit der nationalen Identität die heterogenen Strukturen der Mitgliedstaaten. 662 Auf die Wiedererstehung regionaler Identitäten in den Nationalstaaten weist Wal/ace hin, FAZ vom 4.6.1998, S. I I. Siehe dazu auch die Nachweise zu den Regionalisierungstendenzen in den Mitgliedstaaten der Union, Ziff. 339.

C. Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene

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des Art. 6 Abs. 1 EUV in jedem Fall Bestandteile der nationalen Identität der Mitgliedstaaten sind. 663 Die Mitgliedstaaten sindfreiheitlich verfaßt und homogen im Hinblick auf die Geltung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips sowie den Menschenrechtsschutz.

C. Zusätzliche Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene - Die Europäische Union als handelnder Verband 362. Nach Art. lAbs. 3 EUV sind die Europäischen Gemeinschaften die Grundlage der Union. Die Gemeinschaften sind selbständige, mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Verbände,664 deren Besonderheit in der Qualität ihrer Rechtsordnungen besteht. Ihre Eigenschaften werden in dem Begriff der "Überstaatlichkeit" (Supranationalität) zusammengefaßt. 665 Dagegen ist die Union durch die Merkmale zwischenstaatlicher (intergouvernementaler) Zusammenarbeit charakterisiert, d. h., die Entscheidungen nach dem EU-Vertrag werden grundsätzlich einstimmig gefaßt und sind in den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar anwendbar. Die Jurisdiktion des Gerichtshofes über die Bestimmungen des EU-Vertrages ist weitgehend ausgeschlossen (Art. 46 EUV) und die mitgliedstaatliche Zusammenarbeit in den Bereichen der Titel V (GASP) und VI (Polizei und Justiz) haben koordinativen Charakter. Obwohl die Gemeinschaften das Fundament der Union bilden, führt diese konzeptionelle Gegensätzlichkeit zu einer grundsätzlichen Trennung in eine Unions- und eine Gemeinschaftsebene .666

Einerseits findet sich diese grundsätzliche Trennung durch den Vertrag von Amsterdam und die Konzeption des Sanktionsverfahrens positiv bestätigt. Das Verfahren unterscheidet hinsichtlich der Rechtsgrundlage, Verfahrensvorschriften und der Rechtsfolgen zwischen der Ebene der Europäischen Union und der Ebene der Europäischen Gemeinschaften, was den Ansatzpunkt für die hier gewählte Untergliederung in ein Unions- (Art. 7 EUV) und ein Gemein663 Lerche, in: Bundesnotarkammer, FS tur Schippei, S. 919 (928); Beutler, in: Grawert, FS tur Böckenförde, S. 109 (121). Vgl. auch Nicolaysen, EuR 1987, S. 299 (304): "Die Europäische Integration ist eine Veranstaltung von Staaten, die in klassischer Weise das System der wesentlich liberalen Demokratien repräsentieren." 664 Vgl. Art. 281 EGV, Art. 6 EGKSV und Art. 184 EAGV. 665 Siehe Art. 9 Abs. 5 und 6 EGKSV in der Fassung vom 18.4.1951. Siehe dazu auch die vom Schweizer Bundesrat definierten Merkmale der Supranationalität: Unabhängigkeit der Organe, Majoritätsprinzip, Entscheidungsunmittelbarkeit und umfassender Kompetenzbereich, zitiert bei Breitenmoser, ZaöRV 55 (1995), S. 951 (973 ff., 981) und dort Fn. 107 m. w. N. Zur Supranationalität siehe auch H. P. Ipsen, in: EhmkeIKaiserIKewenig/MeesenlRüfner, FS tur Scheuner, S. 211 ff. 666 Vgl. dazu Thun-Hohenstein, in: Hummer/Schweitzer, Österreich und das Recht der Europäischen Union, S. 23 ( 26 ff.). Vgl. hierzu auch noch einmal die Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache C-170/96, Slg. 1998, S. 1-2763 (2788).

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§ 5 Auswirkungen der Primärrechtsänderung

schaftsverfahren (Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV) lieferte. 667 Andererseits kommt die allgemeine Zurückhaltung der Mitgliedstaaten bei der Angleichung der Unions- an die Gemeinschaftsstrukturen besonders in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Frage der Rechtspersönlichkeit für die Europäische Union zum Ausdruck. Vorschläge der irischen und niederländischen Ratspräsidentschaft, 668 entsprechende Klauseln in den Vertrag von Amsterdam aufzunehmen, wurden von der Mehrheit der Mitgliedstaaten abgelehnt. Diese Entscheidung hatte sich bereits nach der Veröffentlichung des Berichts der Reflexionsgruppe angekündigt, in dem auf die Gefahr möglicher Unklarheiten in bezug auf die mitgliedstaatlichen Hoheitsrechte hingewiesen wurde. 669 Die Vermutung ist deshalb nicht unbegründet, daß die Befürchtung der Mitgliedstaaten ausgedrückt wird, durch die Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit gegenüber der Europäischen Union einen weiteren Verlust mitgliedstaatlicher Souveränität in den nationalen Domänen der Außen-, Sicherheitsund Innenpolitik hinnehmen zu müssen. 670 Ausdrückliche Ausnahmen von dem Grundsatz der rechtlichen Trennung beider Integrationsebenen sehen Unions- und Gemeinschaftsrecht bisher nur in zwei Fällen vor: Wirtschaftssanktionen der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 30 I EGV sind an einen entsprechenden Gemeinsamen Standpunkt oder eine Gemeinsame Aktion nach den Bestimmungen über die GASP (Art. 11 ff. EUV) geknüpft. 671 Daneben gehen gemäß Art. 28 Abs. 2, 3 und Art. 41 Abs.2, 3 EUV die operativen Ausgaben und Verwaltungsausgaben, die bei der Durchführung der GASP und der polizeilichen sowie justitiellen Zusammenarbeit entstehen, zu Lasten des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften (Art. 199 ff. EGV).672 Art. 7 EUV bildet nunmehr den dritten FaJl einer in den Verträgen ausdrücklich vorgesehenen Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene. Ein Sanktionsbeschluß des Rates gemäß Art. 7 Abs. 2 EUV erlangt durch die

667 Konkret zeigt sich die Trennung der Ebenen an der unterschiedlichen lustitiabilität von Ratsentscheidungen im Unions- und Gemeinschaftsverfahren, siehe dazu unter Ziff. 324 ff. Die strikte Trennung der Ebenen im Rahmen des Sanktionsverfahrens wird auch betont von Barents, Ml 4 (1997), S. 332 (337). 668 CONF 2500/96, S. 87; modifiziert in CONF/2500/96 ADD.I vom 20.3.1997, S. 47, vgl. Anhang D. 669 Bericht der Reflexionsgruppe, S. 81 Rz. ISO. 670 So Neuwahl, EF ARev 3 (1998), S. 177 (185); vgl. auch McGoldrick, International Relation Law ofthe European Union, S. 38. 671 Ausftihrhlich zu Wirtschaftssanktionen und der Verknüpfung von Unions- und Gemeinschaftsebene H. C. Schneider, Wirtschaftssanktionen, S. 122 ff. 672 Eine faktische Berührung von Unions- und Gemeinschaftsrecht ist darüber hinaus in weiteren FäHen möglich, so beispielsweise im Bereich von GASP und der Außenhandelspolitik sowie der polizeilichen/justitieHen Zusammenarbeit in Strafsachen und der Personenfreizügigkeit, dazu Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, Rn. 117 ff.

C. Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene

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Erstreckungsklauseln der Gemeinschaftsverträge (Art. 309 Abs. I EGV, Art. 96 Abs. 1 EGKSV und Art. 204 Abs. 1 EAGV) unmittelbare Geltung im Gemeinschaftsrecht. 673 Bemerkenswert daran ist, daß der Beschluß des "Unionsrates" keiner bestätigenden Entscheidung des Rates auf Gemeinschaftsebene bedarf. Darüber hinaus ist die Existenz eines Feststellungsbeschlusses gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV konstitutives Tatbestandsmerkmal filr die Sanktionierung eines Mitgliedstaates auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts. 363. Im Zusammenspiel mit Art. 6 Abs.l EUV umreißt das Sanktionsverfahren die Aufgabe der Union wie der Gemeinschaften, für die Geltung und den Schutz der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Mit der Kompetenz für die Verabschiedung des Feststellungsbeschlusses hat die Union in diesem Verfahren die zentrale Stellung. Die Gemeinschaften sind von der Grundentscheidung auf Unionsebene sowohl hinsichtlich ihres eigenen Tätigwerdens bei Homogenitätsverletzungen als auch im Hinblick auf die Stimmenverteilung in ihrem internen Willensbildungsprozeß abhängig. 364. Der Versuch, die Europäische Union im Rahmen der Debatte um ihre Rechtsnatur als einen "rein materiell-rechtlichen Verbund,,674 oder als amorphe intergouvernementale Kooperation 675 einzuordnen, für den der Begriff der "Union" lediglich als Sammelbezeichnung für bestimmte Formen der Kooperation unter den Mitgliedstaaten und mit den Gemeinschaften fungiere, wird dieser rechtstatsächlichen Lage nicht gerecht. Die Europäische Union ist kein formales Nullum, sondern sie tritt mittlerweile in der nationalen Öffentlichkeit, wie auch auf internationalem Parkett, als Träger des europäischen Integrationsprozesses auf. Anschauliche Beispiele dafür sind die Verwaltung der Stadt Mostar,676 der Abschluß einer Vereinbarung mit der WEU,677 die Abgabe zahlrei-

673 Die Rechtsbindung auf Gemeinschaftsebene wird nicht durch eine Entscheidung auf Unionsebene herbeigeführt, sondern durch den Anwendungsbefehl des Gemeinschaftsrechts selbst. Insoweit besteht ein Unterschied zu den Art. 48 und Art. 49 EUV, die Geltung sowohl für die Union als auch die Gemeinschaften beanspruchen, obwohl letztere deren Anwendung nicht vorsehen. 674 Vgl. PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 86 ff.; Pechstein, EuR 1996, S. 137 (140 ff.); zum fehlenden Verfassungsbedarf der Union Koenig, NVwZ 1996, S. 549 ff. 675 In diesem Sinn Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1562; V. Constantinesco, CDE 1993, S. 251 (268 f.); Heukels/Zwann, in: CurtinlHeukels, FS für Schermers, S. 195 (198); Müller-Graf!, CMLR 31 (1994), S. 493 (494 f.); Pliakos, RTDE 1993, S. 185 (211). 676 Übernahme der Verwaltung durch Beschluß des Rates 93/603/GASP im Rahmen der vom Rat am 8.1.1993 beschlossenen Gemeinsamen Sanktion zur Unterstützung der Beförderung der humanitären Hilfe in Bosnien-Herzegovina, ABI. Nr. L 286 vom 20.11.1993, S. I. Zu den weiteren Beschlüssen siehe die Nachweise bei Trüe, Verleihung von Rechtspersönlichkeit, S. 56 Fn. 232. 677 Beschluß des Rates vom 29.10.1993 zur Annahme eines Dokuments über die Beziehungen zwischen der Union und der WEU, abgedruckt als Annex IV zu Kapitel IV der Beschlüsse des Europäischen Rates von Brüssel, Schlußfolgerungen des Vorsitzes,

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§ 5 Auswirkungen der Primärrechtsänderung

cher Erklärungen zur GASP im Namen der Europäischen Union 678 und die durch den Vertrag von Amsterdam eingefügte Ermächtigung an den Rat in Art. 24 EUV, erforderliche Übereinkünfte zur Durchfilhrung des Titels über die GASP abzuschließen. 679 Zusätzlich soll die Union Beschlüsse gemäß Art. 7 EUV fassen und sogar die Stimmrechte des betroffenen Mitgliedstaates aussetzen können. 365. Angesichts der begrenzten Thematik dieser Arbeit und im Interesse eines überschaubaren Bearbeitungsgegenstandes, wird im folgenden auf die konkrete, weitere Darstellung der wissenschaftlichen Kontroverse um die Rechtsnatur der Europäischen Union - und damit eng verbunden die Frage nach deren Rechtspersönlichkeit - verzichtet. 68o Mit Blick auf die anstehenden institutionellen Reformen der Europäischen Union ist jedoch folgendes zu berücksichtigen: Wie der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten ,,Reparations lor Injuries Suffered in the Service 01 the United Nations" festgestellt hat, erlangen Einheiten wie internationale Organisationen im Rahmen ihrer Funktionen Rechtspersönlichkeit durch das Gründungsstatut oder durch nachträglich geübte Praxis. 681 Der derzeitige Wille der Mitgliedstaaten, der Europäischen Union keine Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen, ist während der letzten Regierungskonferenz eindeutig zu Tage getreten. Auch in bezug auf die Fälle, mit denen der Erwerb von Rechtspersönlichkeit aufgrund nachträglicher Praxis (vgl. Art. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK) erfolgt, bestehen zu viele Einwände und Bedenken, als daß sie tatsächlich die

veröffentlicht auch als Dokument Nr. 1412 der Versammlung der WEU vom 8.4.1994. Für die Einordnung als völkerrechtliche Vereinbarung siehe Frowein, in: DuelLutterl Schwarze, FS für Everling, S. 315 (323) und R. A. Wesseis, EFARev 2 (1997), S. 109 (126 f.) m. w. N. in Fn. 61. 678 Beschluß des Rates vom 8.11.1993, aUe Erklärungen im Bereich der GASP im Namen der Europäischen Union abzugeben, ABI. Nr. L 281 vom 16.11.1993, S. 18, berichtigt ABI. Nr. L 285 vom 20.11.1993, S. 41. Art. 13 der Geschäftsordnung des Rates vom 7.12.1993, ABI. Nr. L 304 vom 10.12.1993, S. 1 (3). 679 Dazu ausführlich Neuwahl, EFARev 3 (1998), S. 177 (178 ff.) mit eingehender Erörterung der Frage, weIche Auswirkungen die Vertragsergänzung für die Völkerrechtssubjektivität der Union hat. 680 Vgl. hierzu ausführlich PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 55 ff.; andere Meinung v. Bogdandy/Nettesheim, NJW 1995, S. 2324 ff; dies., EuR 1996, S. 3 ff.; Dörr, EuR 1995, S. 334 ff; Ress, JuS 1992, S. 985 (986); ausführlich ders., EuR Beiheft 2-1995, S. 27 ff.; Trüe, Verleihung von Rechtspersönlichkeit, S. 5 ff. und R. A. WesseIs, EF ARev 2 (1997), S. 109 ff. jeweils mit weiteren Nennungen zum einschlägigen Schrifttum. 681 IGH-Gutachten, ICJ-Reports 1949, S. 174 (180): "Whereas aState possesses the totality of international rights and duties recognized by international law, the rights and duties of an entity such as the Organisation must depend on its purposes and functions as specified in its constituent documents and developed in practice."

C. Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene

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Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union zu begründen vermöchten. 682 Insoweit besteht im juristisch-formalen Bereich kein Spielraum fiir Interpretationen. 366. Problematisch wird die Lage, wenn es zu eklatanten Widersprüchen zwischen den verschiedenen integrationspolitischen Motiven der Mitgliedstaaten kommt, oder .das verstärkte Auftreten der Europäischen Union auf internationaler Ebene in formaljuristische Konstruktionen keinen Rückhalt mehr findet. Der Wille der Mitgliedstaaten, der Union die Rechtspersönlichkeit zu verweigern, ist politisch motiviert, und gründet sich auf die mitgliedstaatlichen Befiirchtungen vor dem weiteren "Souveränitäts verlust". Dieser Wille hintertreibt den seit einiger Zeit erkennbar zunehmenden Wunsch der Mitgliedstaaten, die "Europäische Union" den Unionsbürgern näher zu bringen, d. h. deren Akzeptanz zu erhöhen sowie Willens bildungs- und Entscheidungsprozesse verständlich zu machen. So waren "Bürgernähe und Transparenz" nicht nur das Anliegen der Regierungskonferenz 1996/97, sondern jüngst Gegenstand der informellen Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. Oktober 1998 im österreichischen pörtschach. 683 Zur Bürgernähe trägt die vielschichtige Struktur der Europäische Union sicherlich nicht bei. Der wohlmeinende Rückgriff auf das beliebte Drei-Säulen- oder Tempelmodell sowohl der medialen Öffentlichkeit als auch der Rechtswissenschaft offenbart die konstruktiven Mängel der Europäischen Union. Zwar ist der metaphorische Gehalt des Modells bestechend, gleichwohl wird mit dem architektonischen Modell keine Aussage innerhalb rechtlicher Kategorien gemacht. 684 Die notwendige Regierungskonferenz im Vorfeld der Osterweiterung zur Reform der Institutionen wäre eine Gelegenheit, die Strukturen der Europäischen Union der Rechtswirklichkeit anzupassen. Dazu könnte die Rechtspersönlichkeit der drei Gemeinschaften auf die Union übergeleitet werden, so daß die Union die Gemeinschaften als Rechtsnachfolger ersetzen würde. Gegenüber dritten Völkerrechtssubjekten, den Mitgliedstaaten sowie den Bürgern und Unternehmen würde dann nur noch ein Rechtssubjekt handeln: die Europäische Union. 685

682 Zu den Argumenten gegen eine Rechtspersönlichkeit aus nachträglicher Praxis siehe PechsteiniKoenig, Die Europäische Union, Rn. 69 ff. 683 Zu den Ergebnissen des informellen Gipfels siehe Agence Europe Nr. 7330 vom 26.127.10.1998, S. 3 ff. Siehe auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Vorbereitung der Tagung der Staats- und Regierungschefs im Oktober 1998 über die politische Zukunft der EU vom 22.10.1998, ABlEG Nr. C 341 vom 9.11.1998, S. 128. 684 Kritisch auch M. Schroeder, in: Hummer/Schweitzer, Österreich und das Recht der Europäischen Union, S. 3 (5); v. BogdandylNettesheim, EuR 1996, S. 3 (8). 685 Detailliert zu diesem Standpunkt siehe den Vorschlag der niederländischen Ratspräsidentschaft zum Dublin lI-Entwurf, CONF/2500/96 ADD.1, S. 47, vgl. Anhang E.

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§ 5 Auswirkungen der Primärrechtsänderung

D. Elemente des europäischen Konstitutionalisierungsprozesses 367. Von einer Verfassung wird erwartet, daß sie sowohl die höchstrangigen Normen einer hierarchisch gegliederten Rechtsordnung in sich zusammenfaßt,686 als auch die drei folgenden materiellen Regelungsbereiche erfaßt: erstens soll eine Verfassung Regelungen über die Rechtsnormerzeugung und Durchsetzung sowie die Streitschlichtung enthalten. Zweitens werden von einer Verfassung Aussagen über die Organisationsstruktur und Zuständigkeiten des Verbandes, dem diese Aufgaben übertragen sind, erwartet. Drittens ist es die Aufgabe einer Verfassung, eine Wertordnung auszudrücken und zu garantieren. 687 368. Die Voraussetzungen dieses Verfassungs begriffs würden auf eine Reihe von Phänomenen anwendbar sein - unter anderem auch auf die Europäische Union. Es wird allerdings die Ansicht vertreten, daß die Verfassung ausschließlich die rechtliche Grundordnung eines Staates sein könne. Entscheidendes Kriterium für eine Verfassung sei deren Gründung auf einen Akt des Staatsvolkes. Die Verknüpfung des Verfassungsbegriffs mit der Rechtsordnung der Europäischen Union scheitere an der Nichtexistenz eines europäischen Volkes, das als Souverän der Union durch die Ausübung seiner originären Hoheitsgewalt eine Verfassung hätte geben können. Die Höherrangigkeit der Verfassung sei gerade das Substrat der ausgeübten Volkssouveränität. 688 369. Andere Konzeptionen ordnen den Verfassungs begriff auch nichtstaatlichen Rechtssystemen oder gar der bloßen Ausübung politischer Herrschaft ZU. 689 In Anlehnung an die Staatsrechtslehre Kelsens,690 der die Rechtsordnung als vom Staatsverband zu unterscheidende Kategorie ansieht, haben sich Auffassungen entwickelt, die beispielsweise die Rechtsordnung einer in-

686 Zur historischen Entwicklung der Höherrangigkeit siehe Corwin, Harvard Law Review 1928/29, S. 149 ff(152) und S. 365 ff. 687 Siehe dazu Bieber, in Wildenmann, Staatswerdung Europas?, S. 393 f. Diese grundlegende Unterscheidung findet sich auch in der Systematisierung des Verfassungsbegriffs in einen formellen und einen materiellen Bestandteil wieder, hierzu Bieberl Schwarze, Verfassungsentwicklung, S. 13 und Fn. 4; Schwarze, in ders./Bieber, Verfassung rur Europa, S. 15 (17 f.). Zu den wesentlichen Elementen einer Verfassung siehe Frowein, in: Bieber/Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 71 (74 ff.). 688 Grimm, JZ 1995, S. 581 ff.; ders., in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Artikel: Verfassung, Sp.633. 689 Der Verfassungsbegriffhat durch das Staatsrecht dennoch seine maßgebliche Prägung erfahren. Seine Übertragung auf andere Rechtssachverhalte birgt deshalb insbesondere im Hinblick auf die Europäische Union die Gefahr, durch zu starke Anleihen beim Staatsrecht, der Notwendigkeit eines eigenständigen, auf den singulären Charakter des Integrationsprozesses abgestimmten Ansatzes nicht gerecht zu werden, vgl. Beutler, in: Grawert, FS rur Böckenförde, S. 109; ders., KJ 1996, S. 52 (53); H. P. Ipsen, EuR 1987, S. 193 (196). 690 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 233.

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ternationalen Organisation wie den Vereinten Nationen als Verfassung qualifizieren. 691 Eine weitere Auffassung will den Verfassungsbegriff, losgelöst von den Kategorien der Verbands lehre, auf die Ausübung politischer Herrschaft beziehen. 692 370. Die Verträge der Integrationsverbände erfüllen die am Anfang des Abschnitts genannten Erwartungen an eine Verfassung. Das primäre Unions- und Gemeinschaftsrecht haben in der Nonnenhierarchie den höchsten Rang. Die Verträge enthalten verbandsorganisatorische Elemente und Regelungen über die Willensbildung der Organe. Es existiert ein ausdifferentiertes Rechtsschutzsystem mit einem europäischen Grundrechtsschutz. 693 Schließlich enthalten die Verträge Aussagen über Strukturelemente der Integration und bilden aus ihrem Gesamtzusammenhang heraus eine Wertordnung, die die Grundlage für eine autonome und originäre Hoheitsgewalt ist. 371. Es ist deshalb gerechtfertigt, im Zusammenhang mit dem Primärrecht von der Verfassung der Europäischen Union zu sprechen. 694 Es handelt sich dabei nicht um das Rudiment einer Staatsverfassung, sondern um die Teilrechts-

691 Ross, The Constitution of the United Nations, S. 30 ff; ders., Theorie der Rechtsquellen, S. 359 ff.; Scelle, Melanges Carre de Malberg, S. 503 ff. 692 Siehe dazu Müller-Graff, in: Dauses, Handbuch, A.l. Rn. 60 ff. 693 Der Schutz der Grundrechte ist rur Stern gar der entscheidende Impuls, der der Verfassung die "grundgesetzliche Dignität" verleiht, vgl. Grundideen europäisch-amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit, S. 15. Für Frowein ist die entscheidende Frage rur eine Verfassung, ob sich in ihr das klare Bekenntnis zu der "Idee des Grundrechtsschutzes des Individuums" findet, siehe in Bieber/Widmer, Europäische Verfassung, S.71 (80). 694 Etwa Bieber, in: Müller-GrafflRiedel, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, S. 209 (210); ders., in: ders./Widmer (Hrsg.), Europäische Verfassung, Verfassungsgebung und Verfassungsänderung, S. 313 ff.; R. Bernhardt, in: Kommission, Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, S. 77 ff.; w: Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 52 f. mit umfangreichen Nachweisen in Fn. I; Beutler, KJ 1996, S. 52 ff.; v. Bogdandy, in: ders., Europäische Option, S. 97 ff.; Hallstein, BullEG 11-1962, S. 5 ff.; ders., I. Gesamtbericht EG, S. 28 Ziff. 3; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 2/33 ff., S.64 ff.; ders., EuR 1987, S. 195 ff.; Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1996, S. 125 ff.; Santer, Columbia Journal of European Law 4 (1998), S. 27 (30 ff.); Schwarze, in: Kaufmann/ Mestmäcker/Zacher, FS rur Maihofer, S. 529 (530 ff.); Nicolaysen, EuR 1984, S. 94 ff.; ders., EuR 1987, S. 299 ff.; Pescatore, in: GrewelRupp/Schneider, FS rur Kutscher, S. 319 (323 ff.).; Zuleeg, BB 1994, S. 581 ff. m. w. N. Zur Verwendung des Begriff der, Verfassung' in der Rechtsprechung des Gerichtshofes siehe EuGH, Gutachten 2/94 (EMRK), Sig. 1996, S. 1-1763 (1789) "verfassungsrechtliche Dimension des Beitritts der Europäischen Gemeinschaft zur EMRK"; EuGH, Gutachten 1/91 (EWR), Sig. 1991, S. I-.Q079 (6102): "Dagegen stellt der EWG-Vertrag, obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft geschlossen wurde, nichtsdestoweniger die Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft dar". Zuvor bereits EuGH, Gutachten 1/76 (Stillegungsfond), Slg. 1977, S. 741 (759); EuGH, Les Verts ./. Parlament, Rs.294/83, Sig. 1986, S. 1339 (1365). Siehe auch die Schlußanträge des Generalanwaltes Lagrange, FEDECHAR .I. Hohe Behörde, Rs. 8/55, Slg. 1956, S. 266 f.

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ordnung in einem "Europäischen Verfassungsverbund",695 der durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vervollständigt wird. Die Verfassungstexte der Mitgliedstaaten bilden deren Verfassungsrecht nur noch unvollkommen ab. Erst die Einbeziehung der europarechtlichen Bestimmungen offenbart den Inhalt beispielsweise des Grundgesetzes. Wie das Bundesverfassungsverfassungsgericht bereits in einer älteren Entscheidung festgestellte, sind mitgliedstaatliche Rechtsordnung und Gemeinschaftsrechtsordnung in vielfliltiger Weise aufeinander bezogen, miteinander verschränkt und wechselseitigen Einwirkungen geöffnet. 696 Der gegenwärtig exisitierende Verfassungsraum gliedert sich in ein Mehrebenensystem mit ilideralem Charakter, in dem die Mitgliedstaaten ihre Verfassungsautonomie grundsätzlich beibehalten und lediglich durch das Homogenitätsgebot aus Art. 6 Abs. 1 EUV materiell einer europäischen Verfassungsidentität unterworfen sind. 372. Gleichwohl verharrt der gegenwärtig realisierte Europäische Verfassungsverbund nicht in einem statischen Zustand. Die europäische Integration ist vielmehr ein Prozeß, d. h., die Europäische Union in ihrer Ausgestaltung durch den Vertrag von Amsterdam ist noch nicht das Endziel der Integration. 697 Die Präambel des EU-Vertrages spricht in diesem Zusammenhang von einer "immer engeren Union der Völker Europas". Das Recht der Europäischen Union muß sich diesen Veränderungen anpassen. Präziser ausgedrückt: es muß die von den Mitgliedstaaten politisch gewollten, jeweils nächsten Integrationsschritte in den Normen der Verfassung abbilden. Folglich ist die Veränderung ein dem Unions- wie dem Gemeinschaftsrecht immanentes Systemmerkmal. Hans Peter Ipsen hat die rechtliche Grundordnung der Europäischen Gemeinschaften seinerzeit als "Wandelverfassung" bezeichnet. 698 Dieser Begriff kennzeichnet auch die Verfassung der Europäischen Union durch die beiden Merkmale der Dynamik und der grundsätzlichen Entwicklungsoffenheit. 699 373. Aufgrund dieser stetigen Anpassung der Verfassung an die voranschreitende Integration kann man die Entwicklung der Europäischen Union als

695 Dieser Begriff wird von Pernice in die Debatte eingefiihrt, in: Bieber/Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 225 (262 f.); ders., EuR 1996, S. 27 (29 ff.); ders., in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 20 f. 696 BVerfGE 52, 187 (199 f.). 697 Zur politischen Finalität des Integrationsprozesses, Blanke, DÖV 1993, S. 412 f.; Kirchhof, in: Isensee, Europa als politische Idee und als rechtliche Form, S. 63 (66 ff.); umfassend auch Isensee, in: DuelLutter/Schwarze, FS fiir Everling, S. 567 ff. 698 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht in EinzeIstudien, S. 84 ff.; ders., EuR 1987, S. 195 (201); ders., in: Maurer, FS für Dürig, S. 159 (172). Zur "Verfassungsentwicklung" der Europäischen Union siehe Oeter, ZaöRV 55 (1995), S. 905 (912 f.). 699 Auch die Integrationslehre Smends enthält ein dynamische Element der Verfassung, in Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189; vgl. hierzu BieberiSchwarze, Verfassungsentwicklung, S. 32 m. w. N.

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einen Konstituionalisierungsprozeß bezeichnen. 7°O Ein besonderes Bestreben, die rechtlichen Grundlagen der Integration zu kodifizieren, ist seit dem Unionsvertrag von Maastricht festzustellen. So wurde bereits filr Art. F Abs.l EUV a. F. festgestellt, daß er als Ausdruck des Bemühens der Mitgliedstaaten zu werten sei, die Verfassungsgrundlagen der Union verstärkt im Vertragstext zum Ausdruck zu bringen. 701 Gleiches kann filr die Neukodifizierung durch den Vertrag von Amsterdam gesagt werden. Mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV erhält die Europäische Union zwei neu kodifizierte Verfassungselemente. Die Homogenitätsklausel verstärkt die Artikulation einer europäischen Wertordnung und stellt das Bekenntnis zur Freiheit, Demokratie, Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit als Formel der politischen Selbstidentifizierung Europas heraus. 702 Art. 7 EUV und die korrespondierenden Bestimmungen im Gemeinschaftsrecht garantieren diese Wertordnung, indem sie die Verletzung der von Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze mittels eines rechtsstaatlichen Verfahrens sanktionsfähig machen. Damit hat der Vertrag von Amsterdam eine Notstandsklausef03 zur Bewältigung von Verfassungskrisen der Europäischen Union geschaffen. Wenn es sich bei Art. 6 Abs. I und Art. 7 EUV auch um wichtige Bestimmungen des EU-Vertrages handelt, so ist doch der Konstitutionalisierungsprozeß mit dieser Neukodifikation noch nicht beendet. Die nächsten Schritte in diesem Prozeß sind bereits benannt und ihre Verwirklichung zeichnen sich ab. 704 Die enorme Zersplitterung des Primärrechts in zahlreiche Einzelakte verhindert die filr die individuelle Akzeptanz notwendige Transparenz des Inte-

700 Vgl. Frowein, EuR 1995, S. 315 (322); Pernice, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 23 Rn. 22; auch Funk, in: Bieber/Widmer, Europäischer Verfassungsraum, S. 399

(404). 701 So Hilf, in: GrabitzlHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. F. Rn. 18. Vgl. auch Bieber, in: ders./Widmer, Der Europäische Verfassungsraum, S. 313 (315 f.). 702 Vgl. H. Schneider, intergration 1991, S. 160 (164). 703 Vgl. Bergmann, in: ders./Lenz, Kommentar zum Amsterdamer Vertrag, Kapitell, Rn. 21, der das von Art. 7 EUV kodifizierte Verfahren als "Notstandsverfahren" bezeichnet. 704 Vgl. Hilf/Pache, NJW 1998, S. 705 (712 f.). Siehe auch die Aufforderung des Europäischen Parlaments zur Einberufung einer Regierungskonferenz bereits in seiner Entschließung zum Vertrag von Amsterdam, ABI. Nr. C 371 vom 8.12.1997, S. 99 (104) Rz. 20. Welchen inhaltlichen Weg die institutionellen Reformen nehmen werden zeichnet sich bereits durch das Protokoll über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union ab, ABI. Nr. C 240 vom 10.11.1997, 103 f. Zu diesem Protokoll siehe auch die Erklärung Nr. 6, in der Belgien, Frankreich und Italien daraufhinweisen, daß die Beitrittsverhandlungen nicht abgeschlossen werden könnten, bevor nicht Fortschritte bei den Fragen der Zusanunensetzung der Kommission, der Stimmwägung im Rat und der Ausweitung des Rückgriff auf die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit erreicht wurden, ebenda, S. 144.

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grationsprozesses. 705 Dem Primärrecht fehlen noch immer wichtige Komponenten, insbesondere ein geschriebener Grundrechts- 706 und einen ausdifferenzierten Kompetenzkatalog. 707 Weiterhin muß die bisherige "Verfassung" der Europäischen Union in dem Sinne bereinigt werden, daß einer Normenhierachie folgend, die technischen Regelungen des Wirtschafts- und Verfahrensrechts in sekundäre Rechtsakte - hier vor allem Verordnungen - ausgelagert werden. 708 Die Bewältigung dieser Aufgaben bleibt auf der Tagesordnung der nächsten Regierungskonferenz.

705 Zur Akzeptanz des Gemeinschaftsrechts und dem Zusammenhang mit der demokratischen Legitimation siehe ausfiihrlich Pühs, Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 157 ff. 706 Zur Notwendigkeit und Funktionen eines Grundrechtskataloges vgl. Hilf, EuR 1991, S. 19 ff.; ders., in: Forschungsinstitut fiir Wirtschaftsverfassung, EU-Regierungskonferenz '96, S. 63 (67 f.). Siehe auch die Vorschläge der Europäischen Strukturkommission, in: Weidenfeld, Europa '96 - Reformprogramm fiir die Europäische Union, S. 18 ff. Zu den verfassungspolitischen Problemen aus Sicht der Politikwissenschaft Wieland, in: Wildenmann, Staatswerdung Europas?, S. 429 (451 ff.). 707 Vgl. dazu das föderale Reformkonzept mit Vorschlägen fiir eine Kompetenzordnung von FischeriSchley, Europa föderal organisieren, S. 17 ff. 708 Kritisch zur Hierarchisierung des Primärrechts durch die Annahme eines Bestandsschutzes fiir die Grundkonzeption der primärrechtlichen Verträge, Heintzen, EuR 1994, S. 35 (46 ff.). Zur Frage einer Normenhierarchie im internationalen Recht Weiler/ Paulus, EJIL 8 (1997), S. 545 (549 ff.).

§ 6 Zusammenfassung 374. Mit dem Beschluß des Europäischen Rates von Luxemburg (12./13. Dezember 1997), die friedliche und gewollte Integration auf die Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas auszudehnen und dem Beginn der Beitrittsverhandlungen am 10. November 1998 zeichnet sich die sogenannte Osterweiterung der Europäischen Union als sicher ab. Der Beitritt zur Union bedeutet dabei nicht mehr nur die Teilnahme an wirtschaftlicher Integration, sondern auch das Bekenntnis zur politischen Einheitsbildung auf der Grundlage des Menschenrechtsschutzes, der Wahrung der demokratischen Grundwerte sowie dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Die Europäische Union verkörpert dadurch die Idee Europas als einer Gemeinschaft von Zivilisationswerten. 375. Den beitrittswilligen Staaten wird der Anspruch an ihre Strukturen und Rechtswirklichkeiten über entsprechend ausgestaltete Beitrittsvoraussetzungen vermittelt. Die Union vertritt dieses Wertemodell aber zunehmend auch gegenüber Drittstaaten, indem beispielsweise die Europäische Gemeinschaft in internationale Abkommen Menschenrechtsklauseln aufnimmt, die einen Bedingungszusammenhang zwischen Handelsvorteilen und demokratisch-rechtsstaatlichen Werten herstellen. Für Fälle einer Mißachtung der Menschenrechtsklauseln ermöglichen die Abkommen darüber hinaus die Suspendierung der Vertragsbeziehungen. 376. Der am 2. Oktober 1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam hat Änderungen des Primärrechts bewirkt, die ein deutliches Zeichen setzen, daß die Union nunmehr auch im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten die dauerhafte Verwirklichung der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des Integrationsprozesses ansieht. Die Union verwirklicht damit die Forderung, ihrer Verpflichtung auf die Werte des europäischen Gesellschaftsmodells noch sichtbarer als bisher Ausdruck zu verleihen. 377. Der Vertrag von Amsterdam hat den schon bislang zentralen Art. F Abs. 1 EUV a. F. dahingehend geändert, daß die Bestimmung in ihrer jetzigen Fassung als Art. 6 Abs. 1 EUV die "Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der RechtsstaatIichkeit" sowohl zu einer Gemeinsamkeit aller Mitgliedstaaten, als auch zum Fundament der Union selbst erklärt. Des weiteren wird mit Art. 7 EUV und den dazu akzessorischen Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV eine konstruktive Sicherung zur Gewährleistung dieser Grundsätze gegen mitgliedstaatliche Verletzungen in das Primärrecht eingefiigt.

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377. Wortlaut und Systematik der Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 7 EUV geben Anlaß zu der Überlegung, daß durch den Vertrag von Amsterdam im primären Unionsrecht ein Instrument zur Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union verankert wurde. 378. Die Untersuchung bundesstaatlicher Verfassungen (Deutschland, Österreich, Schweiz, USA) bestätigt die allgemeine Auffassung, daß ein föderal organisiertes Staatswesen die wesensmäßige Übereinstimmung der Gliedstaaten mit dem Gesamtstaat im Hinblick auf fundamentale Verfassungswerte und Verfassungsstrukturen voraussetzt. Die Einbeziehung völkerrechtlicher Anwendungsbeispiele (Europarat, Vereinte Nationen, Commonwealth) zeigt, daß es sich bei der Homogenität um ein von der Qualität der Rechtsordnungen unabhängiges Ordnungsprinzip handelt, das die Gleichartigkeit bestimmter Eigenschaften miteinander in Beziehung stehender Verbände zum Inhalt hat. 379. Die Europäische Union ist ein aus 15 Mitgliedstaaten zusammengesetzter Verband. Obwohl die Rechtsnatur der Union umstritten ist und deshalb diese Einordnung der Union nicht konsensfahig ist, läßt sich jedenfalls im Verhältnis der Mitgliedstaaten zu den Europäischen Gemeinschaften das filr die Homogenität typische Mehrebenensystem feststellen. Mit einer starken Meinung im vorwiegend deutschen Schrifttum ist davon auszugehen, daß das Homogenitätsprinzip auch in der Europäischen Union Geltung beansprucht. 380. Homogenität als Ordnungsprinzip in der Europäischen Union meint die Gleichartigkeit bestimmter Rechtsprinzipien sowohl zwischen den Mitgliedstaaten untereinander als auch in deren Verhältnis zur Union. Die Homogenität hat die Funktionen, den Konsens zwischen den Mitgliedstaaten als Voraussetzung rur einen Integrationsprozeß herzustellen (Konsens/unktion), die Legitimationsgrundlagen der Europäischen Union zu sichern (Legitimations/unktion), den materiellen Gehalt rur eine europäische Identitätsbildung zu schaffen (Integrations/unktion) und generell die Funktionsfahigkeit der Union sowie der Gemeinschaften sicherzustellen (Sicherungs/unktion). Im Umkehrschluß ist aus den Funktionen die Notwendigkeit der Existenz des Homogenitätsprinzips als Voraussetzung rur einen erfolgreichen Integrationsprozeß abzulesen.

Zur weiteren Systematisierung des Homogenitätsprinzips in der Europäischen Union wird in eine horizontale und eine vertikale Ebene unterschieden. In der Horizontalen wurde die Frage der Homogenität durch den vollzogenen Gesamtakt der Gründung der Europäischen Gemeinschaften beantwortet und wieder durch die Schaffung der Union bekräftig. In der Vertikalen, im Verhältnis der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union, lassen sich in einem Teil der mitgliedstaatlichen Verfassungen Bestimmungen identifizieren, die entweder direkt oder aus ihrem Zusammenhang Forderungen an die rechtliche Gestalt der Union und ihre Fortentwicklung formulieren (aktives und passives Homogenitätsgebot). Ein entsprechendes Homogenitätsgebot im Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten hat demgegenüber keinen

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eigenständigen Gehalt, sondern nimmt die Inhalte der horizontalen Homogenität auf und richtet sie wiederum an alle Mitgliedstaaten. 381. Art. 6 Abs. I EUV nimmt ausdrücklich die Verpflichtung der Europäischen Union zu den wesentlichen Inhalten des Freiheits-, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips sowie des Menschenrechtsschutzes in den verfügenden Teil der primärrechtlichen Verträge auf. Der materielle Gehalt der Vertragsnorm ist jedoch nicht auf grundsätzliche Aussagen über die rechtliche Struktur der Union beschränkt, sondern er bezieht auch die mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen und deren Verhältnis zueinander ein. Indem Art. 6 Abs. I Halbsatz 2 EUV feststellt, daß den Mitgliedstaaten die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit gemeinsam sind, verwirklicht Art. 6 Abs. 1 EUV das Konzept des Homogenitätsprinzips. Die Bestimmung ist deshalb als Homogenitätsklausel zu verstehen. Da es sich bei den zitierten Grundsätzen um solche handelt, die üblicherweise als strukturelle Grundentscheidung Aufnahme in die Verfassung eines Staates finden, kann man hinsichtlich der Mitgliedstaaten auch von horizontaler Verfassungshomogenität sprechen. 382. Die in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze werden durch die Aussage des ersten Halbsatzes gleichzeitig zur Grundlage der Europäischen Union erklärt. Diese sprachliche Verbindung zwischen den rechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten und der Union entspricht der Konzeption der vertikalen Homogenität. Innerhalb der vertikalen Homogenität sind zwei Richtungen zu unterscheiden, in die Homogenitätsgebote wirken könnten. Einerseits das Homogenitätsgebot aus der Perspektive der Mitgliedstaaten in Richtung auf die Europäische Union und andererseits aus der Perspektive der Union in Richtung auf die Mitgliedstaaten. Dieses vertikale Sollensgebot ist jedoch inhaltlich an den mitgliedstaatlichen Verfassungsstrukturen orientiert. Es handelt sich deshalb nicht um ein inhaltlich selbständiges Gebot, sondern um einen Reflex der horizontalen Homogenität. 383. Art. 6 Abs. 1 EUV beansprucht aufgrund seiner systematischen Stellung, der Aufnahme von insgesamt vier allgemein als wichtig eingestuften Rechtsprinzipien in seinen Wortlaut sowie den Aussagen zur rechtlichen Struktur der Union und der Mitgliedstaaten, eine herausgehobene Stellung im Normengefilge des Primärrechts. Durch die ausdrückliche Bindung der Union wie der Mitgliedstaaten an die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit wird ein Zustand positiviert, der das Ergebnis zahlreicher Rechtsakte, Stellungnahmen der Organe und Mitgliedstaaten sowie der Entscheidungen des Gerichtshofes ist. Einzig der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit hatte bislang noch keine Aufnahme in den verfügenden Teil der Verträge erhalten. 384. Die Europäische Union basiert mit den primärrechtlichen Verträgen auf einer geschriebenen Werte- und Institutionenordnung, die die Organisation der I S Schorkopf

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Europäischen Integrationsverbände verfaßt. Aufgrund seines Inhalts und seiner Funktion läßt sich Art. 6 Abs. 1 EUV als die Verfassungsstrukturklausel der Europäischen Union bezeichnen. 385. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wird Art. 6 Abs. 1 EUV auch als Bezugspunkt der Verweisungen in Art. 7 Abs. I und Art. 49 Abs. 1 EUV gerückt. Indem die Einhaltung der in Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze zur Tatbestandsvoraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Union und den Fortbestand der Mitgliedschaft gemacht werden, erlangt die Norm den Status einer materiellen Zentralnorm für die Mitgliedschaft in der Union. 386. Durch die pauschale Bezugnahme auf Art. 6 Abs.l EUV werden jedoch auch die Schwächen dieser Regelung in das Beitritts- und Sanktionsverfahren übertragen. Art. 6 Abs. I EUV zitiert einerseits einen Katalog gemeinsamer Prinzipien, die allgemein genug sind, um die bestehenden Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu umfassen. Die aber andererseits - objektiv betrachtet - gleichzeitig einen hinreichend bestimmten Inhalt haben sollten, um ihre Funktion als Beurteilungsmaßstab fi1r die politischen Systeme der Beitrittsbewerber und Mitgliedstaaten zu erfüllen. Diese inhaltliche Bestimmbarkeit bereitet aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der Rechtsprinzipien Schwierigkeiten. 387. Die inhaltlichen Ausformungen der "Grundsätze" lassen sich zunächst durch ihren Gegensatz definieren, d. h. von der Vorstellung einer Grundordnung, wie sie nicht sein soll. Diese, an den Motiven der europäischen Integration ("Freiheit, Frieden, Wohlstand") orientierte Subtraktionsmethode wird durch eine Methode der positiven Inhaltsbestimmung ergänzt. Aus den Inhalten internationalrechtlicher Stellungnahmen und Verträge (z. B. Satzung des Europarates, EMRK, Charta von Paris), die von allen Mitgliedstaaten als bindend anerkannt wurden, lassen sich konkrete Ausformungen der genannten Grundsätze deduzieren. 388. Die Entstehung des Wortlautes von Art. 6 Abs. 1 EUV aus der Präambel des EU-Vertrages, die Aufuahme des eher programmatischen Grundsatzes der Freiheit neben den drei spezielleren Rechtsprinzipien der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit sowie die erneute Nennung des Grundrechtsschutzes im unveränderten Art. 6 Abs. 2 EUV deuten dennoch daraufhin, daß es sich bei den Grundsätzen des Art. 6 Abs. 1 EUV um eine Formel handelt, die gegenüber der Verdichtung zu eindeutigen inhaltlichen Ausformungen resistent ist und möglicherweise sein soll. 389. Das kodifizierte Primärrecht enthielt bislang keine für den Extremfall der Homogenitätsverletzung konzipierte Norm. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wurden Vorschläge unterbreitet, diese Problematik mittels Analogien, impliziter Handlungskompetenzen oder völkerrechtlicher Regelungen in rechtlich geordnete Bahnen zu lenken. Den Lösungsansätzen sind drei Kritik-

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punkte gemeinsam: Sie treffen in der Gegenwart auf veränderte rechtstatsächliche Voraussetzungen, sie lassen die Notwendigkeit der Beteiligung von Organen und Mitgliedstaaten an der Sanktionierung außer acht und sie stellen kein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Bestimmtheit im Hinblick auf Tatbestandsvoraussetzungen, Verfahrensvorschriften und mögliche Rechtsfolgen bereit. 390. Es ist anzunehmen, daß diese Vertragslücke im Falle einer Homogenitätsverletzung durch die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze geschlossen worden wäre. Da die Sanktionierung eines Mitgliedstaates die Zufügung von Nachteilen bedeutet, ist für solche Eingriffe jedoch eine kodifizierte Rechtsgrundlage zu fordern. In Anlehnung an das entprechende Prinzip des Strafrechts kann - im Hinblick auf Homogenitätsverletzungen - diesbezüglich die Maxime nulla sanctio, sine lege formuliert werden. 391. Auf der Grundlage existierender Sanktionsmechanismen zusammengesetzter Verbände des Staats- und Völkerrechts, Überlegungen der Kommission anläßlich der Ende der 70er Jahre begonnenen Süderweiterung und bedeutende Vorarbeiten des Europäischen Parlaments, entschieden sich die Teilnehmer der Regierungskonferenz 1996/97 mit Art. 7 EUV sowie den nachgeordneten Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 204 EAGV Bestimmungen in das Primärrecht aufzunehmen, die insgesamt einen neuen primärrechtlichen Gewährleistungsmechanismus konstituieren. 392. Der Gewährleistungsmechanismus wird in zwei Verfahrensteile gegliedert. Der erste Verfahrensteil, mit Art. 7 EUV im Zentrum, wird als Unionsverfahren bezeichnet; der zweite Verfahrensteil, mit den Art. 309 EGV, Art. 96 EGKSV und Art. 294 EAGV als Rechtsgrundlagen, entsprechend als Gemeinschaftsverfahren. 393. Art. 7 EUV benennt Tatbestandsvoraussetzungen, Verfahren und Rechtsfolgen der Sanktionierung von Homogenitätsverstößen der Mitgliedstaaten. Das Unionsverfahren wird seinerseits in zwei Verfahrensschritte systematisiert. Der erste Verfahrensschritt hat einzig die Feststellung der Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze zum Gegenstand (Feststellungsbeschluß). Nach Art. 7 Abs. 1 EUV kann der Rat der Europäischen Union in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs auf Antrag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission die "schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat" feststellen. Der Einstimmigkeit erfordernde Feststellungsbeschluß erfolgt nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments und nachdem der betroffene Mitgliedstaat Gelegenheit zu einer Stellungnahme hatte. 394. Der zweite Schritt des Unionsverfahrens hat zum Gegenstand, welche Sanktionen zu Lasten des betroffenen Mitgliedstaates beschlossen werden können (Sanktionsbeschluß). Nach Art. 7 Abs. 2 EUV kann der Rat mit qualifi-

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zierter Mehrheit Rechte des betroffenen Mitgliedstaates aus dem Unionsvertrag aussetzen. Als sanktionstahige Rechte auf Unionsebene kommen Stimm- und Teilnahmerechte in Betracht. Eine Stimmrechtsaussetzung erstreckt sich automatisch auf den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Die Sanktionierung findet ihre Grenzen in primärrechtlichen Ratifikationserfordernissen, in der Erstreckung von Sanktionen auf andere Organe und im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Ausschluß eines Mitgliedstaates liegt nicht mehr im Bereich der Rechtsfolgen des Sanktionsverfahrens. Bei der Beschlußfassung sind die Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen zu berücksichtigen. Der Rat kann gemäß Art. 7 Abs. 3 EUV zu einem späteren Zeitpunkt, wiederum mit qualifizierter Mehrheit, die getroffenen Maßnahmen abändern oder aufheben. Voraussetzungen dafür ist, daß in der Sachlage, die zur Verhängung der Maßnahmen geführt hat, Änderungen eingetreten sind. Bei allen Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit entscheidet der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmen des Vertreters des betroffenen Mitgliedstaates. Bei diesen Abstimmungen im Rat bleibt gemäß Art. 7 Abs. 4 EUV das Verhältnis der gewogenen Stimmen (71,26 %) unverändert bestehen. Für die Entscheidungen des Europäischen Parlaments bedarf es nach Art. 7 Abs. 5 EUV der Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen und eines Quorums der Hälfte seiner Mitglieder. 395. Das Gemeinschaftsverfahren, als zweiter Teil des Sanktionsverfahrens zur Gewährleistung der Homogenität in der Europäischen Union, eröffnet die Möglichkeit von Sanktionen in allen drei Europäischen Gemeinschaften. Aufbauend auf einem isolierten Feststellungsbeschluß nach Art. 7 Abs. 1 EUV, kann der Rat sämtliche aus der Mitgliedschaft in den drei Gemeinschaften fließenden Rechte des betroffenen Staates aussetzen. Dabei ist das Auswahlermessen des Rates dahingehend reduziert, daß zunächst die für die Rechte und Pflichten der natürlichen und juristischen Personen mildeste Maßnahme gewählt werden muß. Die Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit führt dazu, daß regelmäßig institutionelle Sanktionen den Vorzug vor substantiellen Eingriffen in die Mitgliedschaft erhalten müssen. Das Gemeinschaftsverfahren ermächtigt den Rat nicht, die Teilnahme der Abgeordneten des betroffenen Mitgliedstaates im Europäischen Parlament auszusetzen. Eine solche Maßnahme könnte jedoch auf der Grundlage des parlamentarischen Binnenrechts ergriffen werden. 396. Das Sanktionsverfahren findet seinen Abschluß durch die Aufhebung der Sanktionen mittels Ratsbeschlusses. Die Wirkungen eines Feststellungsbeschlusses sollten durch einen actus contrarius des Rates aufgehoben werden. Die Bewältigung der Krisenlage wird zudem in Entschließungen des Parlaments ihren Niederschlag finden. 397. Art. 7 EUV ist in seiner Sanktionswirkung abschließend. Neben diesem neuen Mechanismus besteht kein Raum für die zusätzliche Sanktionierung ei-

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nes Staates durch die Beendigung seiner Mitgliedschaft. Der Gewährleistungsmechanismus entfaltet keine Sperrwirkung, weil der Ausschluß eines Mitgliedstaates aus der Union, d. h. die Beendigung der Mitgliedschaft gegen den Willen des betroffenen Staates, rechtlich unzulässig ist. Der Rückzug eines Mitgliedstaates ist dagegen mittels eines Entlassungsvertrages über Art. 48 EUV möglich. 398. Der Norminhalt des Art. 7 EUV und seiner akzessorischen Bestimmungen im Gemeinschaftsrecht läßt sich unter mehreren Aspekten würdigen: Die lustitiabilität der Entscheidungen des Rates im Sanktions verfahren wird durch die Beteiligung des Europäischen Gerichtshofes nach den allgemeinen Vorschriften der Verträge nur eingeschränkt erreicht. Entscheidungen des Rates im Unionsverfahren sind aufgrund Art. 46 EUV von der gerichtlichen Kontrolle ausgeschlossen. Ratsentscheidungen im Gemeinschaftsverfahren sind dagegen Handlungen, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EGV, Art. 33 EGKSV oder Art. 146 EAGV sein können. Aufgrund der tatbestandlichen Ausgestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensnormen kann der Gerichtshof nicht über Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbeschlusses entscheiden. 399. Das Einstimmigkeitserfordernis in Art. 7 Abs. I EUV schränkt die Praktikabilität des Sanktionsverfahrens ein. Allerdings sind bei dieser Kritik die gravierenden Rechtsfolgen des Sanktionsverfahren zu berücksichtigen, durch die der Status der Mitgliedschaft beeinträchtigt wird. Art. 7 Abs. I EUV entspricht damit anderen Verfahrensnormen im institutionellen Bereich mit Einstimmigkeitserfordernis. 400. Das Sanktionsverfahren ermöglicht eine schrittweise "Eskalation" der Lage, indem der Rat von der Deklaration der Homogenitätsverletzung bis zur vollständigen Aussetzung der Mitgliedschaftsrechte mehrfach die "Sanktionsschraube" anziehen kann. Das weite Ermessen des Rates bei der Auswahl geeigneter Sanktionsmaßnahmen wird durch die Berücksichtigungspflicht gegenüber den Rechten und Pflichten natürlicher und juristischer Personen begrenzt. Mit den Stimm- und institutionellen Teilnahmerechten des betroffenen Mitgliedstaates steht ein zunächst ausreichendes Potential sanktionsfähiger Rechte zur Verrugung, das die Rechte des betroffenen Personenkreises nicht beeinträchtigt. 401. Mitgliedstaatliches Fehlverhalten unterhalb der sehr hohen Aufgriffsschwelle des Art. 7 Abs. 1 EUV fallen in den Anwendungsbreich des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226, 227 EGV. 402. Art. 7 EUV ist in seinem Anwendungsbereich abschließend. Das Sanktionsverfahren gewährleistet ausschließlich die von Art. 6 Abs. I EUV genannten Grundsätze. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf die mitgliedstaatliche Verletzung von Beitrittskriterien scheitert an der Wortlautgrenze

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des Tatbestandes und der Konzeption des Sanktions verfahrens. Das gilt auch fur das Beitrittskriterium der wettbewerbsverfaßten Marktwirtschaft, soweit man es als weiteres Homogenitätselement einordnet. 403. Die Einfugung des Sanktionsverfahrens in die Verträge ist als ein Akt "kalter Diplomatie" ("diplomatie froide") zu bewerten, der ein Signal an die künftigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union senden soll. Darüber hinaus dienen die Bestimmungen des Sanktionsverfahrens dem Schutz der Homogenität vor einem zukünftigen Abfall der etablierten Mitgliedstaaten in autoritäre oder totalitäre Verhältnisse. Insoweit wird der Dauerhaftigkeit des Integrationsprozesses (Art. 51 EUV) Rechnung getragen. Die Existenz eines Gewährleistungsmechanismus als einer "fleet in being" fiir Verfassungskrisen hat folglich sowohl eine präventive als auch eine repressive Funktion. Durch die Einfugung von Art. 7 EUV in das Primärrecht verwirklicht die Europäische Union fur ihr Binnenregime, was sie in ihren Außenbeziehungen bereits seit Jahren vertritt. Insoweit handelt es sich bei der Vertrags änderung um ein kohärentes Verhalten, durch das zusätzlich eine im kodifizierten Recht bestehende Vertragslücke geschlossen wird. 404. Die in Gestalt der Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV diskutierte Primärrechtsänderung durch den Vertrag von Amsterdam hat Auswirkungen auf das europäische Integrationssystem insgesamt. 405. Die Anwendung des Sanktionsverfahrens setzt notwendig voraus, daß die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und Rechtswirklichkeiten einer fortlaufenden Beobachtung unterstellt werden. Die bereits bestehende, von der Kommission im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausgeübte Aufsicht ("Hüterfunktion") über die Mitgliedstaaten wird somit auf die Unionsebene ausgedehnt. Aufgrund der Ergänzung des Sanktionsverfahrens durch ein Beobachtungsstadium läßt sich statt von einem Gewährleistungsmechanismus deshalb auch von dem Instrument der Unionsaufsicht sprechen. 406. Die nationale Identität der Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV genießt nur insoweit Schutz vor Eingriffen, als sie auf der Grundlage einer durch Art. 6 Abs. 1 EUV definierten gemeinsamen Verfassungsidentität aufbaut. Die Verfassungsautonomie und damit die Souveränität der Mitgliedstaaten wird durch den materiellen Gehalt der Homogenitätsklausel eingeschränkt. Die praktische Bedeutung dieser Schlußfolgerung ist gering, weil die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Geltung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips sowie den Menschenrechtsschutz freiheitlich verfaßt und homogen sind. 407. Die Zweistufigkeit des Sanktionsverfahrens und die Erstreckungswirkung einer Stimmrechtsaussetzung im Unionsverfahrens auf das Gemeinschaftsrecht fuhren zu einer weiteren Verschränkung von Unions- und Gemeinschaftsebene. Die rechtliche Einordnung der Europäischen Union als ein formales Nullum (z. B. materiell-rechtlicher Verband) entspricht nicht der von der

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Union im Sanktionsverfahren eingenommenen Stellung. Auch vor dem Hintergrund des Bemühens um Bürgemähe und Transparenz sollte die nächste Regierungskonferenz genutzt werden, um die Strukturen der Europäischen Union der Rechtswirklichkeit anzupassen. 408. Die Verträge der Integrationsverbände erfilllen die Erwartung an eine Verfassung im weiteren Sinn. Bei dem Primärrecht handelt es sich um die Teilrechtsordnung in einem "Europäischen Verfassungsverbund", der durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vervollständigt wird. Der gegenwärtig realisierte Verbund verharrt nicht in einem statischen Zustand. Die europäische Integration ist vielmehr ein Prozeß. Das Recht der Europäischen Union muß sich den dadurch bewirkten Veränderungen anpassen. Aufgrund dieser stetigen Anpassung der Verfassung an die voranschreitende Integration - in der der Vertrag von Amsterdam nur der vorläufig letzte Schritt ist - kann man die Entwicklung der Europäischen Union als einen Konstitutionalisierungsprozeß bezeichnen. Mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV erhält die Europäische Union zwei neu kodifizierte Verfassungselemente.

Summary Homogeneity in the European Union - Structure and guarantee on the basis of Article 6(1) and Article 7 ofthe TEU With the Luxembourg European Couneil Deeision of 12-13 Deeember 1997 to extend peaeeful and sought-after integration to the states of Central, Eastern and South-Eastern Europe and the opening of bilateral negotiations on 10 November 1998, what is now routinely referred to as the European Union's enlargement to the east was plaeed on a more secure footing. Aeeession to the Union no longer meant simply taking part in an eeonomie integration proeess, but also beeame inseparable from a eommitment to establishing politieal unity in adherenee to the prineiples of safeguarding human rights, upholding fundamental demoeratie values and eonforming to the rule of law. The European Union has thus eome to embody the idea of Europe as a eommunity dedieated to the highest standards of civiIised values. The states seeking aeeession are made aware of the standards to be eomplied with by their struetures and legal systems by the terms in whieh the preeonditions for aeeession eommunieated to them are drafted. The Union is, moreover, inereasingly advoeating the values inherent in that model in its relations with third-party states, with for example the European Community iriereasingly requiring human-rights c1auses to be inc1uded in international eonventions, elauses that establish a eonditional linkage between trading advantages and demoeratie values subjeet to the rule of law. These eonventions moreover authorise suspension of Treaty relations in the event of failure to eomply with human rights c1auses. The Treaty of Amsterdam signed on 2 Oetober 1997, brought about ehanges in primary law that send a elear signal that the Union heneeforward will eonsider the long-terrn aehievement of demoeraey, proteetion of human rights and the rule of law as the basis of the integration proeess also in relation to its own Member States. In so doing the Union is lending a new impetus, and doing so more visibly than hitherto, to its eommitrnent to the values of the European soeial model. The Treaty of Amsterdam amended the long-standing, eore Artiele F(\) of old version of the Treaty on European Union (TEU) so as to ensure that the provision, in its present wording as Artiele 6( 1) of the TEU, affirms "the prineiples of liberty, demoeraey respeet for human rights and fundamental freedoms" both as a eommon prineiple upheld by all the Member States and as a

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foundation of the Union itself. And with Article 7 of the TEU and the associated Artiele 309 of the EEC Treaty, Article 96 of the ECSC Treaty and ArtieIe 204 of the Euratom Treaty, a eonstructive safeguard guaranteeing those principles against Member-State non-eompliance has moreover been incorporated into primary law. The wording and underlying approach of Article 6( I) in conjunction with Article 7 of the TEU prompt the consideration that an instrument guaranteeing homogeneity in the European Union has thus been ineorporated into the Union's primary law in the shape ofthe Treaty of Amsterdam. A consideration of federal-state constitutions (Germany, Austria, Switzerland, USA) confirms the general assumption that a federally organised stateform presupposes a substantive eontinuity between the component states and the federal state as a whole in relation to fundamental constitutional values and eonstitutional struetures. Consideration of examples of implementation on the basis of internationallaw (Council of Europe, United Nations, Commonwealth) indicates that homogeneity entails a ordering principle independent of the quality of the judieial orders, the substance of which is eonstituted by the equivalence of certain eharacteristies of associations standing in relation to each other. The European Union is an assoeiation composed of 15 Member States. Although the legal status of the union is disputed, and this classifieation of the Union consequently cannot command consensus, the relationship of the Member States to the European Communities confirms the existenee ofthe multiplelevels arrangement typical ofhomogeneity. A view forcefully advaneed by predominantly German-language commentators is that the homogeneity principle can indeed claim to be validly represented in the European Union. Homogeneity as an ordering principle in the European Union means the equivalence of certain legal principles both as between the Member States in their dealings with eaeh other and in their relation to the Union. Homogeneity has the function of creating consensus among the Member States as the precondition for an integration proeess (consensus funetion), seeuring the bases of legitimation ofthe European Union (Iegitimating function), creating the material foundations for the formation of a European identity (integrating function) and generally enabling the functional capability of the Union and of the Communities (enabling function). Conversely, the functions themselves enable the necessity of the homogeneity principle's existence to be deduced as a precondition for a suceessful integration process. In order further to systematises the homogeneity principle in the European Union, the distinction is made between a horizontal and a vertical plane of reference. In the horizontal plane, the question of homogeneity was answered by the consolidated general act of founding the European Union Communities, and further strengthened by the establishment of the Union. In the vertical plane,

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i. e. in the relations of the Member States to the European Union, provisions can be identified in parts of the Member State constitutions that either directly or in context formulate requirements for the Union's legal structure and its further development (active and passive homogeneity principle). A counterpart homogeneity principle in the European Union's relationship to the Member States contains, by comparison, no autonomous substance but assumes the content of the horizontal homogeneity and directs it in turn to all the Member States. Article 6(1) ofthe TEU expressly incorporates the European Union's commitment to the substantive content of the principles of freedom, democracy and the rule of law, and of human rights, into the prescriptive areas of the primary law of the Treaties. The material content of the Treaty norm is not however confined to affirmations of principle on the legal structure of the Union but relates also to the constitutional structures of the Member States and their relationship to each other. Where Article 6(1), second phrase, of the TEU states that the principles of freedom, democracy and respect for human rights and the rule of law are common to the Member States, Article 6(1) of the TEU realises the concept of the homogeneity principle. The provision is therefore to be understood as a homogeneity clause. Since the principles cited are such as are habitually incorporated into a state's constitution as a structural foundational principle, it is legitimate to speak of horizonal constitutional homogeneity also in relation to the Member States. The principles set out in Article 6(1) of the TEU are simultaneously established as the underlying basis of the European Union by the first phrase of that text. That linguistic connection between the legal structures of the Member States and the Union corresponds to the concept of vertical homogeneity. Within vertical homogeneity two directions can be distinguished in which homogeneity principles can operate. On the one hand, the homogeneity principle operating from the perspective of the Member States in the direction of the European Union and on the other operating from the perspective of the Union in the direction ofthe Member States. This vertical principle for action is, however, substantively oriented to Member-State constitutional structures. It consequently involves not a substantive, autonomous principle, but a reflection of horizontal homogeneity. Article 6(1) of the TEU can, on the strength of its systematic approach, its incorporation of a total of four legal principles generally classified as important into its wording and the declarations on the legal structure ofthe Union and the Member States, lay claim to a position of pre-eminence in the hierarchy of standards in primary law. By expressly committing both the Union and the Member States to the principles of freedom, democracy, safeguarding of human rights and the rule of law, it posits a condition that is the outcome of numerous legal acts, opinions of the Institutions and the Member States and decisions of

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the Court of Justice. Only the principle of the rule of law has still not hitherto been incorporated into the prescriptive areas ofthe Treaties. The European Unionis based, together with the primary law ofthe Treaties, on a written order of values and institutions, which constitutes the organisation of the European associations of integration. On the basis of its substance and function, Article 6(1) ofthe TEU can be characterised as the European Union's constitutional structural clause. Article 6(1) of the TEU is also placed centre stage as point of reference for the referrals in Article 7(1) and Article 49(1) of the Treaty on European Union. As compliance with the principles set out in Article 6( 1) of the TEU is made a material precondition for accession to the European Union and for continuation of membership, that standard assumes the status ofa central material standard for membership ofthe Union. The reference of everything to Article 6(1) of the TEU however means that the weaknesses of this arrangement are carried over into the accession and sanctions procedure. Article 6(1) of the TEU cites on the one hand a list of common principles that in general are sufficient to encompass the existing differences in the legal orders of the Member States. But these must also on the other hand - viewed objectively - have at the same time a sufficiently determinate content to discharge their function as yardstick of assessment for the political systems of the applicant countries and the Member States. This substantive determinateness causes problems on account ofthe high degree of abstraction ofthe legal principles. The process of specifically formulating each of the "principles" can initially be defined in terms of its opposite, i. e. by positing a basic order as it ought not to be. This so-called "subtractive" method oriented to leading themes of European integration ("freedom, peace, prosperity") is supplemented by a method of positive content determination. The substance of intemational-law opinions and conventions (e. g. constitution ofthe European Council, ECHR, Paris Charter), that have been recognised as binding by all the Member States can be drawn on as sources from which to deduce specific implementations ofthose principles. The origin of the wording of Article 6( 1) of the TEU in the Preamble to the TEU, the incorporation of the somewhat programmatic principle of freedom alongside the three more special ist legal principles of democracy, safeguarding human rights and the rule of law, together with the repeat citation of protection of constitutional traditions in the unamended Article 6(2) of the TEU, would appear however to indicate that the principles underlying Article 6(1) of the TEU amount to a formulation that is resistant to being consolidated into unambiguous substantive formulations, which is perhaps as it should be. Consolidated primary law has hitherto long failed to contain any standard conceived for the extreme case of violation of homogeneity. Proposals have been submitted within the corpus of legal theory for devising various analogies,

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invoking implicit competence to act, or citing international-Iaw provisions, so as to steer this problem into judicially ordered channels. These attempts at a solution are vulnerable to criticism on three counts: as matters now stand, they run up against altered initial conditions of actual legal practice: they leave out of account the need for participation by Institutions and Member States in the imposition of sanctions; and they fai! to provide a sufficient degree of legal safeguards and specificity in relation to material preconditions, mIes of procedure and poss,ible legal consequences. It can be assumed that this Treaty loophole would have been c10sed in the event of a violation of homogeneity by the application of general legal principIes. Since sanctioning a Member State means acting to put it at a disadvantage, a consolidated legal basis for such action is however called for. By analogy with the corresponding principle in criminal law, the maxim of nulla sanctio sine lege can also be laid down to respond to homogeneity violations. On the basis of existing sanction mechanisms imposed by associations constituted under national and international law, of the consideration given to the matter by the Commission on the occasion of the enlargement to the South launched in the late seventies, and significant preliminary work by the European Parliament, participants in the 1996-97 Inter-Governmental Conference decided to incorporate into primary law a set of provisions, in the shape of Artic1e 7 of the TEU and the subsidiary Artic1e 309 of the EC Treaty, Article 96 of the ECSC Treaty and Artic1e 204 of the Euratom Treaty, that, taken as a whole, constitute a new primary-Iaw guarantee mechanism. The guarantee mechanism is divided into two procedural parts. The first procedural part, with Article 7 of the TEU at its centre, is designated as the Union procedure; the second, with Artic1e 309 of the EC Treaty, Article 96 of the ECSC Treaty and Artic1e 204 of the Euratom Treaty as its legal bases is correspondingly designated as the Community procedure. Artic1e 7 of the TEU specifies material preconditions, procedures and legal consequences of the sanctioning of homogeneity violations by Member States. The Union procedure is further systematically divided into two procedural stages. The first procedural stage is confined to establishing violation of the principles laid down in Artic1e 6(1) ofthe TEU. In accordance with Artic1e 7(1) of the TEU, the Counci! of the European Union, sitting as Heads of State and Govemment, can, on application by one third of the Member States or the Commission, establish that grave and sustained violations of the principles laid down in Artic1e 6(1) ofthe TEU have been committed by a Member State. The decision establishing such violations, which must be unanimous, is delivered after the European Parliament has given its approval and the Member State concemed has had the opportunity to deliver an opinion.

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The second stage in the Union procedure is the sanctions that can be imposed on the Member State concemed (decision to sanction). Pursuant to Article 7(2) of the TEU the Council may decide, by qualified majority, to suspend certain rights of the Member State concerned in accordance with the TEU. Rights at Union level to which sanctions might apply include voting and participation rights. A suspension of voting rights would extend automatically to the area of application of Community law. The imposition of sanctions would reach its limits with primary law ratification requirements, the extension of sanctions to other bodies and in the proportionality principle. Exclusion of a Member State no longer comes within the scope of the legal consequences of the sanctions procedure. In taking any such decision, the impact on the rights and duties of natural and legal persons must also be taken into account. The Council may, pursuant to Article 7(3) ofthe TEU, subsequently decide, also by qualified majority, to amend or revoke the measures taken. That would presuppose that there had been changes in the material circumstances that had led to their being imposed. In reaching any decision by qualified majority, the Council must disregard the votes of representatives of the Member State concerned. In such votes in the Council, the proportion of weighted votes remains unchanged (at 71.26 %), in accordance with Article 7(4) of the TED. In the case of European decisions, Article 7(5) of the TEU requires a two-thirds majority of the votes cast and a quorum of one half of the Members. The Community procedure, as the second stage in the sanctions procedure, to guarantee homogeneity in the European Union, opens up the possibility of sanctions in all three European Communities. On the basis of an isolated decision establishing a violation pursuant to Article 7(1) of the TEU, the Council may suspend all the rights of the state concerned deriving from membership of the three Communities. The options open to the Council in that connection are reduced to the extent that the measure least detrimental to the rights and obligations of natural and legal persons must be imposed first. Compliance with the principle of safeguarding confidentiality and legal security means that routine institution al sanctions must be given priority over substantial encroachments on membership. The Community procedure does not empower the Council to suspend MEPs from the state concerned from taking their seats in the European Parliament. Such a measure could, however, be imposed on the basis of parliamentary internallaw. The sanctions procedure concludes with the lifting of the sanctions pursuant to a Council decision. The consequences of adecision establishing violation should be rescinded by an actus contrarius by the Council. The means of overcoming the crisis situation will, moreover, be reflected in resolutions by the European Parliament. Article 7 of the TEU is conclusive in its sanctioning impact. Nor is there any scope, over and above this new mechanism, for further sanctioning aState

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by tenninating its membership. The guarantee mechanism cannot be deployed as an expulsion device because the exclusion of a Member State from the Union, i. e. tenninating membership against the will of the State concerned, is legally inadmissible. Withdrawal by a Member State is, by contrast, possible by way ofa discharge Treaty pursuant to Article 48 ofthe TEU. The standards established by way of Article 7 of the TEU and its associated provisions in Community law can be acknowledged from a number of perspectives: the judicial status of Council decisions in the sanctions procedure is secured only in a limited sense through participation by the European Court of Justice in accordance with the general provisions of the Treaties. Council decisions under the Union procedure are excluded from judicial control in accordance with Article 46 of the TEU. Council decisions under the Community procedure are, by contrast, acts that may be the subject of a complaint calling for their annulment pursuant to Article 230 of the EC Treaty, Article 33 of the ECSC Treaty or Article 146 ofthe Euratom Treaty. By reason ofthe particular structure given to pro ce dural standards under Community law, the Court of Justice may not rule on the confonnity to law of adecision establishing violation. The unanimity requirement in Article 7(1) of the TEU restricts the practical applicability of the sanctions procedure. In considering this criticism, the imponderable consequences of the sanctions procedure, whereby membership status is compromised, should be taken into careful consideration. Article 7( I) of the TEU corresponds in that connection to other procedural standards in the institutional area that have a unanimity requirement. The sanctions procedure enables a progressive escalation of the situation in the sense that the Council can, from the stage of issuing a declaration of violation of the homogeneity principle to that of full suspension of membership rights, progressively tighten the sanctions screw. The broad range of options open to the Council in deciding what sanctions to impose is restricted by the need to respect the rights and obligations of natural and legal persons. But an initially adequate potential range of rights on which sanctions can be is readily available in the fonn of voting and participation rights that do not compromise the rights ofthose categories ofpersons. Misconduct by a Member State falling below the very high intervention threshold laid down in Article 7(1) of the TEU falls within the scope of Treaty infringement procedures in accordance with Articles 226 and 227 of the EC Treaty. Article 7 of the TEU is exclusive in its area of application. The sanctions procedure guarantees exclusively the principles set out in Article 6(1) of the TEU. Any attempt to extend its scope to include Member-State violations of accession criteria fails at the hurdle of the wording used to the describe the

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material circumstances in which it applies and the approach to the sanctions procedure. The same applies to the accession criterion for the competitive market economy, to the extent that it too is cIassified as a further homogeneity component. The incorporation of the sanctions procedure into the Treaties is to be considered as an act of "cold diplomacy" intended to send a signal to future Member States of the European Union. In addition, the provisions of the sanctions procedure serve to safeguard homogeneity against any future tendency of established Member States to revert to authoritarian or totalitarian behaviour. To that extent the long-term nature of the integration process (ArticIe 51 of the TEU) is taken into ac count. The existence of a guarantee mechanism as a "fleet in being" for constitutional crises consequently serves both a preventive and a repressive function. With the incorporation of ArticIe 7 of the TEU into primary law, the European Union succeeds in applying under its internal judicial order what it has for many years already applied to its external relations. To that extent the Treaty amendment represents a consistent approach whereby an existing Treaty loophole in consolidated legislation has moreover been cIosed. This change to primary law made by the Treaty of Amsterdam in the shape of ArticIe 6(1) and ArticIe 7 of the TEU has consequences applicable to the European integration system as a whole. The use of the sanctions procedure necessarily presupposes that Member State judicial orders and legal practices will be subjected to continuous monitoring. Already existing supervision of Member States carried out by the Commission in the area of application of Community law (watchdog function) will thus be extended to Union level. On the basis of the sanctions procedure's being supplemented to include a supervisory stage, it would be appropriate to speak, not just of a guarantee mechanism, but also of the instrument of Union supervision. The national identities ofthe Member States in accordance with ArticIe 6(3) of the TEU are protected against encroachments only in so far as this is possible on the strength of a joint constitutional identity defined in accordance with Article 6( 1) of the TEU. The constitutional autonomy and therefore sovereignty of the Member States is restricted by the substantive content of the homogeneity cIause. The practical significance of this concIusion is insubstantial, because the Member States are, in relation to the applicability of the principles of democracy and the rule of law and the safeguarding of human rights, freely constituted and homogeneous. The two-stage nature of the sanctions procedure and the effect of a suspension of voting rights in the Union procedure being extended to Community law lead to a further conflation of Union and Community levels. The legal cIassification of the European Union as a formal nullum (e.g. an association consti-

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tuted under substantive law) does not correspond to the position adopted by the Union in the sanctions procedure. And against the background of efforts to achieve closeness to the citizen and transparency, the next Inter-Govemmental Conference should be used to adapt the structures of the European Union to judicial reality. The Treaties of the integration associations fulfil expectations of a constituti on in the wider sense. In relation to primary law, it is a matter of a partial legal order in the form of a "European constitutional association" which is completed by the legal orders of the Member States. The association as currently realised is not frozen in a static condition. European integration is, rather, a process. European Union law must adjust to the changes brought about by that process. On the basis of this continuous adjustment of the constitution to an advancing integration process - in which the Treaty of Amsterdam is currently just the provisional final stage - the development of the European Union can be characterised as a constitutionalising process. In the shape of Article 6(1) and Article 7 of the TEU, the European Union has been given two new consolidated components of a constitution.

Resume Homogeneite dans I'Union europeenne - Forme et garantie fondees sur les articles 6, paragraphe 1, et 7 du TUE La decision du Conseil europeen de Luxembourg (12-13 decembre 1997) en faveur de I'extension de I'integration pacifique et voulue aux Etats d'Europe centrale, orientale et meridionale et le debut des negociations d'adhesion le 10 novembre 1998 marquent an' en pas douter I' entame de ce qu' il est convenu d'appeler I'elargissement de I'Union europeenne a I'Est. A cet egard, adherer a I'Union ne signifie plus seulement participer a I'integration economique, mais aussi se rallier a la creation d'une entite politique fondee sur la protection des droits de I'homme, la sauvegarde des valeurs democratiques fondamentales et le principe de I'Etat de droit. L'Union europeenne incame ainsi I'idee de l'Europe comme une communaute de valeurs de la civilisation. Les Etats candidats a I'adhesion se voient procurer le droit aleurs structures et realites juridiques gräce ades conditions d'adhesion agencees en consequence. L'Union defend cependant de plus en plus ce modele de valeurs aussi a I'egard de pays tiers en incluant par exemple dans des accords intemationaux des clauses de respect des droits de I'homme qui etablissent un lien de conditionnalite entre des avantages commerciaux et des valeurs democratiques d'un Etat de droit. En cas de non-observation des clauses de respect des droits de I'homme, les accords permettent de surcrolt de suspendre les relations qui en sont I'objet. Le traite d' Amsterdam signe le 2 octobre 1997 a entraine des modifications du droit primaire qui indiquent clairement que I'Union considere desormais aussi dans les relations avec ses Etats membres que la realisation durable de la democratie, du respect des droits de I'homme et de l'Etat de droit constitue I'assise du processus d'integration. L'Union donne ainsi corps a I'exigence qui se traduit par une expression, plus claire que par le passe, de son obligation d'affirmer les valeurs du modele europeen de societe. Le traite d'Amsterdam a modifie I'article F, paragraphe 1, de I'ancienne version du TUE qui, jusqu'a present, occupait deja une position centrale et qui erige la disposition de la version actuelle de I' article 6, paragraphe 1, du TUE relatif aux »principes de la liberte, de la democratie, du respect des droits de I'homme et des Iibertes fondamentales, ainsi que de l'Etat de droit« au rang tant de valeur commune a tous les Etats membres que de fondement de l'Union proprement dite. De plus, I'article 7 du TUE et les articles accessoires, a savoir 16 Schorkopf

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I'article 309 du traite CE, I'article 96 du traite CECA et I'article 204 du traite CEEA, introduisent dans le droit primaire une garantie constructive afin de premunir ces principes contre des violations de la part des Etats membres. Le texte et la systematique de I' article 6, paragraphe I, en liaison avec I'article 7 du TUE nous incitent considerer que le traite d' Amsterdam a ancre dans le droit primaire de I'Union un instrument susceptible de garantir I'homogeneite au sein de l'Union europeenne.

a

L'etude des constitutions d'Etats federes (Allemagne, Autriche, Suisse, Etats-Unis) confirme l'idee generale selon laquelle un systeme etatique organise sur le modele federal presuppose la concordance naturelle entre les membres de la federation et I'Etat federal face a des valeurs et des structures constitutionnelles fondamentales. Le recours ades exemples pratiques du droit international public (Conseil de l'Europe, Nations unies, Commonwealth) montre que, en matiere d'homogeneite, il est question d'un principe d'ordre independant de la qualite des ordres juridiques dont le contenu reside dans la similarite de certaines caracteristiques d' associations qui entretiennent des relations. L'Union europeenne est une association composee de 15 Etats membres. Bien que la nature juridique de l'Union soit controversee et que, des lors, cette classification de I'Union ne soit pas consensuelle, il est possible de constater I'existence du systeme a plusieurs niveaux, typique de l'homogeneite en tout cas dans les relations entre les Etats membres et les Communautes europeennes. Une opinion forte exprimee dans la litterature principalement allemande permet de considerer que le principe d'homogeneite revendique aussi son existence dans I'Union europeenne. Comme principe d'ordre au sein de I'Union europeenne, l'homogeneite signifie la similarite de certains principes de droit tant entre les differents Etats membres que dans leurs rapports avec l'Union. L'homogeneite a po ur fonction d'etablir le consensus entre les Etats membres comme condition prealable a un processus d'integration (fonction de consensus), de garantir les fondements de la legitimation de l'Union europeenne (fonction de legitimation), de creer le fond materiel en vue de la creation d'une identite europeenne (fonction d'integration) et, d'une maniere generale, d'assurer la capacite de fonctionnement de I'Union et des Communautes (fonction de garantie). Dans le raisonnement a contrario, il faut decrypter dans les fonctions le besoin d'existence du principe d'homogeneite comme condition prealable a un processus d'integration reussi. Pour poursuivre la systematisation du principe de conditionnalite dans I'Union europeenne, une distinction est operee entre un niveau horizontal et un niveau vertical. Dans I'axe horizontal, l'acte global instituant les Communautes europeennes qui a ete mis en reuvre a repondu a la question de l'homogeneite et l'a reaffirmee par la creation de I'Union. Dans l'axe vertical, a savoir les rela-

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tions entre les Etats membres et I'Union europeenne, il est possible d'identifier dans certaines constitutions des Etats membres des dispositions qui posent, soit directement soit dans leur connexite, des exigences ci la conception juridique de I'Union et ci son evolution (imperatif d'homogeneite actif et passif). Un imperatif d'homogeneite correspondant dans les rapports entre I'Union europeenne et les Etats membres est en revanche depourvu de contenu autonome, mais il integre les contenus de I'homogeneite horizontale et les adresse de nouveau ci tous les Etats membres. L'artic\e 6, paragraphe I, du TUE reprend expressement I'obligation de l'Union europeenne envers les contenus essentie\s du principe de liberte, de democratie et d'Etat de droit ainsi que de respect des droits de I'homme dans le dispositif des traites qui relevent du droit primaire. La teneur materielle de la norme des traites ne se limite cependant pas ci des dec\arations de principe sur la structure juridique de I'Union, mais elle incorpore aussi les structures constituti()nnelles des Etats membres et leurs interrelations. Tandis que l'artic\e 6, paragraphe 1, deuxieme partie de la phrase constate que les principes de la liberte, de la democratie, du respect des droits de I'homme et des libertes fondamentales ainsi que de I'Etat de droit sont des principes communs aux Etats membres, l'artic\e 6, paragraphe I, du TUE concretise le concept du principe d'homogeneite. La disposition doit des lors etre comprise comme une c\ause d'homogeneite. Etant donne que, eu egard aux principes cites, il s'agit de principes qui sont habituellement repris dans la constitution d'un pays sous forme de decision fondamentale structurelle, on peut aussi parler d'homogeneite constitutionnelle horizontale ci I'egard des Etats membres. Dans le meme temps, la teneur de la premiere partie de la phrase de l'artic\e 6, paragraphe I, du TUE dec\are que les principes evoques dans cet artic\e constituent le fondement de l'Union europeenne. Ce lien grammatical entre les structures juridiques des Etats membres et de l'Union correspond a la conception d'homogeneite verticale. A l'interieur de celle-ci, il convient de distinguer deux directions dans lesquelles les imperatifs d'homogeneite peuvent agir. D'une part, I'imperatif d'homogeneite dans la perspective des Etats membres en direction de I'Union europeenne et, d'autre part, dans la perspective de' I'Union europeenne en direction des Etats membres. Dans son contenu, cet imperatif de devoir vertical est cependant fonction des structures constitutionnelles des Etats membres. Au plan du contenu, il ne s'agit des lors pas d'un imperatifautonome, mais d'un reflexe d'homogeneite verticale. Compte tenu de son systematisme, de I'incorporation dans son libelle d'un total de quatre principes juridiques consideres comme importants ainsi que des declarations relatives a la structure juridique de l'Union, l'artic\e 6, paragraphe I, du TUE revendique une position forte dans la structure normative du droit primaire. Le lien explicite de I'Union et des Etats membres avec les principes de liberte, de democratie, de protection des droits de I'homme et de I'Etat

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de droit positive une situation qui est le fruit d'un grand nombre d'actes juridiques, d'avis des organes et des Etats membres et de decisions de la Cour de justice. Jusqu'ci present, seul le principe de l'Etat de droit n'avait pas encore pris place dans le dispositif des traites. Avec les traites qui relevent du droit primaire, l'Union europeenne se fonde sur un ordre ecrit de valeurs et d'institutions qui compose I'organisation des associations participant ci I'integration europeenne. Vu sa teneur et sa fonction, l'artic1e 6, paragraphe 1, du TUE peut etre qualifie de clause de structure constitutionnelle de I'Union europeenne. L'article 6, paragraphe 1, du TUE est aussi place au creur de toutes les attentions et sert de point de reference pour les renvois evoques ci I' artic1e 7, paragraphe 1 et ci I' artic1e 49, paragraphe 1, du TUE. En faisant du respect des principes enonces ci l'artic1e 6, paragraphe 1, du TUE, une condition constitutive prealable ci l'adhesion ci I'Union europeenne et au maintien de cette adhesion, la norme acquiert le statut d'une norme centrale materielle qui regit I'adhesion ci l'Union. La reference tres generale a l'artic1e 6, paragraphe 1, du TUE transfere cependant aussi les faiblesses de cette reglementation a la procedure d'adhesion et de sanction. L'article 6, paragraphe 1, du TUE enonce, d'une part, un catalogue de principes communs qui sont suffisamment generaux pour embrasser les differences qui caracterisent les ordres juridiques des Etats membres. D'autre part, ceux-ci doivent - sous un angle objectif - avoir en meme temps un contenu assez specifique pour pouvoir faire office de critere d'evaluation des systemes politiques des candidats ci I'adhesion et des Etats membres. Cette specificite de fond engendre des difficultes liees au niveau d'abstraction eleve des principes de droit. Les formulations du contenu des »principes« peuvent dans un premier temps etre definies par leur contraire, c'est-a-dire par la representation d'un ordre de base qui ne devrait pas exister. Cette methode soustractive axee sur les motifs de I'integration europeenne (»liberte, paix, prosperite«) est completee par une methode de determination positive du contenu. Les contenus d'avis et de traites de droit international (tels que les statuts du Conseil de l'Europe, la Convention europeenne de sauvegarde des droits de I'homme, la Charte de Paris), dont la force obligatoire a ete reconnue par I'ensemble des Etats membres, permettent d'inferer des formulations concretes des principes cites. La genese du texte de I' artic1e 6, paragraphe I, du TUE a partir du preambule du traite sur l'Union europeenne, I'integration du principe plutöt programmatique de la liberte ci cöte des trois principes juridiques plus specifiques de la democratie, de la protection des droits de I'homme et de I'Etat de droit ainsi que la nouvelle evocation de la protection des droits fondamentaux a l'artic1e 6, paragraphe 2, inchange du TUE indiquent pourtant que les principes de l'artic1e 6, paragraphe I, du TUE constituent une formule qui resiste et doit si possible resister au ramassage en formulations de fond claires.

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]usqu'a present, le droit primaire codifie ne comportait aucune nonne pour faire face au cas extreme de violation de I'homogeneite. Dans la litterature consacree a la science du droit, des propositions ont ete emises afin de canaliser ces problemes dans des orientations juridiquement ordonnees en recourant ades analogies, des pouvoirs d'action implicites ou des reglementations du droit international public. Les amorces de solutions font l'objet de trois critiques communes: au present, elles touchent des conditions modifiees de la realite juridique, elles negligent le besoin de participation des organes et des Etats membres a I'imposition de sanctions et elles ne fournissent pas un niveau suffisant de securite juridique et de detennination en matiere de conditions constitutives, de regles de procedure et de consequences juridiques eventuelles. con~ue

On doit supposer que, en presence d'une violation de I'homogeneite, cette lacune des traites serait comblee par I'application de principes juridiques generaux. Comme la sanction prononcee contre un Etat membre revient a lui infliger des desagrements, il convient cependant de reclamer une base juridique codifiee capable de sous-tendre de telles interventions. En s'inspirant du principe correspondant du droit penal, il est possible - face ades violations de I'homogeneite - de fonnuler a cet egard la maxime nulla sanctio, sine lege. En se fondant sur des mecanismes de sanction existant dans des associations constituees en vertu du droit public et du droit international public, sur des reflexions de la Commission dans le cadre de I'elargissement vers le Sud entame a la fin des annees 1970 et des importants travaux preparatoires du Parlement europeen, les participants a la conference intergouvernementale de 1996-1997 ont decide, par le biais de l'article 7 du TUE ainsi que des articles subordonnes, a savoir l'article 309 du traite CE, l'article 96 du traite CECA et l'article 204 du traite CEEA, d'inclure dans le droit primaire des dispositions qui, globalement, constituent un nouveau mecanisme de garantie qui ressortit au droit primaire. Le mecanisme de garantie est subdivise en deux volets de procedure. Le premier, dont l'article 7 du TUE fonne le creur, est qualifie de procedure de l'Union; le second, dont les fondements juridiques sont les articles 309 du traite CE, 96 du traite CECA et 204 du traite CEEA, est en consequence appele procedure de la communaute. L'article 7 du TUE cite des conditions constitutives, des procedures et des consequences juridiques associees ades sanctions prononcees a la suite de violations de I'homogeneite par les Etats membres. La procedure de l'Union est a son tour systematisee en deux phases de procedure. La premiere concerne uniquement la constatation de la violation des principes enonces a l'article 6, paragraphe 1, du TUE (decision declaratoire). En vertu de l'article 7, paragraphe 1, du TUE, le Conseil de I'Union europeenne, reuni au niveau des chefs d'Etat ou de gouvernement, peut sur proposition d'un tiers des Etats membres ou de la Commission »constater I'existence d'une violation grave et persistante par un Etat membre de principes enonces a l'article 6, paragraphe I«, du TUE. La de-

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cision declaratoire qui exige I'unanimite est adoptee apres accord du Parlement europeen et apres avoir permis a I'Etat membre concerne de formuler ses observations. La seconde phase de la procedure de l'Union vise a determiner quelles sanctions peuvent etre adoptees a I'encontre de I'Etat membre concerne (decision de sanction). Conformement ci I'article 7, paragraphe 2, du TUE, le Conseil, statuant a la majorite qualifiee, peut suspendre certains droits de I'Etat concerne decoulant de I'application du traite sur I'Union europeenne. Les droits passibles de sanctions au niveau de I'Union peuvent etre des droits de vote ou de participation. Une suspension du droit de vote porte automatiquement sur le champ d'application du droit communautaire. Les limites de la sanction sont imposees par des exigences de ratification relevant du droit primaire, par I'extension de sanctions a d'autres organes et par le principe de proportionnalite. L'exclusion d'un Etat membre ne fait plus partie de I'arsenal des consequences juridiques de la procedure de sanction. Lors de la prise de decision, il faut tenir compte des repercussions sur les droits et obligations de personnes physiques et morales. Conformement ci I'article 7, paragraphe 3, du TUE, le Conseil, statuant de nouveau a la majorite qualifiee, peut decider par la suite de modifier les mesures prises ou d'y mettre fin. Pour que ce la soit possible, il faut que les faits qui ont conduit a I'imposition des mesures aient change. Dans toutes les decisions adoptees a la majorite qualifiee, le Conseil statue sans tenir compte des voix du representant de l'Etat membre concerne. Lors de ces votes au Conseil, le rapport des voix ponderees (71,26 %) dont question a I'article 7, paragraphe 4, du TUE demeure inchange. En vertu de l'article 7, paragraphe 5, du TUE, les decisions du Parlement europeen requierent une majorite des deux tiers des voix exprimees et un quorum de la moitie de ses membres. La procedure de la communaute, qui constitue le deuxieme volet de la procedure de sanction visant a garantir l'homogeneite de l'Union europeenne, permet d'infliger des sanctions dans I'ensemble des trois communautes. En se fondant sur une decision declaratoire iso lee adoptee conformement ci l'article 7, paragraphe 1, du TUE, le Conseil peut suspendre, pour I'Etat membre concerne, la totalite des droits decoulant de I'adhesion aux trois communautes. Dans ce cas, le pouvoir de selection du Conseil est reduit dans la mesure Oll il doit d'abord opter po ur la mesure la plus douce eu egard aux droits et obligations des personnes physiques et moral es. La prise en compte des principes de protection de la confiance legitime et de la securite juridique a pour consequence de privilegier regulierement des sanctions institutionnelles plutöt que d'intervenir substantiellement au niveau de I'adhesion. La procedure de la communaute n'autorise pas le Conseil a suspendre la participation des deputes de l'Etat membre concerne aux travaux du Parlement europeen. Une teile me-

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sure pourrait cependant etre prise en se fondant sur le droit parIementaire interne. La proeedure de sanction trouve son epilogue dans I'annulation des sanctions par une deeision du Conseil. Les effets d'une decision decIaratoire doivent etre annules par un actus contrarius du Conseil. La disparition de la situation de crise est de surcroit traduite dans des resolutions du Parlement. Dans ses effets en matiere de sanction, I'artiele 7 du TUE est definitif. Outre ee nouveau mecanisme, iI n'existe aueune marge qui permettrait par ailleurs de sanetionner un Etat en mettant un terme a son adhesion. Le meeanisme de garantie ne produit aueun effet de blocage etant donne que l'excIusion d'un Etat membre de l'Union, qui revient a mettre fin a I'adhesion eontre la volonte de I'Etat membre concerne, est juridiquement inadmissible. Par contre, le retrait d'un Etat membre est possible par le biais d'un traite de demission selon les modalites de l'articIe 48 du TUE. Le contenu de la norme de l'articIe 7 du TUE et de ses dispositions accessoires relevant du droit communautaire peut etre apprecie sous plusieurs aspects: la »justiciabilite« des decisions du Conseil prises dans le cadre de la procedure de sanetion ne peut etre realisee que dans certaines limites en faisant appel a la Cour de justice des Communautes europeennes conformement aux dispositions generales des traites. En vertu de l'articIe 46 du TUE, les decisions du Conseil adoptees dans le cadre de la procedure de I'Union echappent au contröle judiciaire. En revanche, les decisions du Conseil prises lors de la procedure de la communaute sont des aetes qui peuvent faire I'objet d'une action en annulation fondee sur l'articIe 230 du traite CE, l'articIe 33 du traite CECA ou l'articIe 146 du traite CEEA. Vu la forme constitutive des normes de procedure ressortissant au droit communautaire, la Cour de justice ne peut pas statuer sur la legitimite d'une decision decIaratoire. L'exigence d'unanimite prevue par l'articIe 7, paragraphe 1, du TUE restreint la praticabilite de la procedure de sanetion. Dans cette critique, il faut par ailleurs tenir compte des graves consequences juridiques de la procedure de sanction qui compromettent le statut de I'adhesion. L'articIe 7, paragraphe 1, du TUE correspond ainsi a d'autres normes de procedure du secteur institutionnel qui exigent I'unanimite. La proeedure de sanction autorise une »escalade« progressive de la situation en permettant au Conseil de serrer la »vis des sanctions« entre la decIaration de violation de I'homogeneite et la suspension complete des droits lies a I'adhesion. Le vaste pouvoir discretionnaire du Conseil dans le ehoix des mesures de sanction appropriees est limite par I'obligation de tenir compte des droits et obligations de personnes physiques et morales. Les droits de vote et de participation aux institutions appartenant a I'Etat membre eoncerne ouvrent, dans un

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premier temps, un potentiel suffisant de droits sanctionnables qui ne compromet pas les droits des personnes concemees. Le non-respect d'obligations par un Etat membre en deyä du seuil d' intervention tn!s eleve de I' article 7, paragraphe I, du TUE entre dans le champ d'application de la procedure d'infraction visee aux articles 226 et 227 du traite CE. Le champ d'application de I'article 7 est definitif. La procedure de sanction garantit exclusivement les principes enonces a I'article 6, paragraphe I, du TUE. Une extension du champ d'application a la violation de criteres d'adhesion par un Etat membre se heurte a la limite de l'enonce des faits et a la conception de la procedure de sanction. Cela vaut aussi pour le critere d'adhesion de l'economie de marche empreinte de concurrence dans la mesure Oll iI est apprehende comme un autre element d'homogeneite. L' incorporation de la procedure de sanction dans les traites doit etre evaluee comme un acte de la »diplomatie froide« qui doit envoyer un signal aux futurs Etats membres de I'Union europeenne. De plus, les dispositions de la procedure de sanction servent a proteger I'homogeneite contre une future chute des Etats membres etablis dans des situations autoritaires ou totalitaires. Sur ce point, il est tenu compte du caractere durable du processus d'integration (article 51 du TUE). L'existence d'un mecanisme de garantie comme »fleet in being« pour des crises constitutionnelles ades lors une fonction tant preventive que repressive. En integrant I'article 7 du TUE dans le droit primaire, I'Union europeenne realise pour son regime interieur ce qu'elle defend deja depuis des annees dans ses relations exterieures. A cet egard, la modification d'un traite est un comportement coherent qui comble de surcroit une lacune des traites constatable dans le droit codifie. La modification du droit primaire abordee dans la forme de l'article 6, paragraphe 1, et de l'article 7 du TUE, voulue par le traite d'Amsterdam, se repercute sur I'ensemble du systeme d'integration europeen. L'application de la procedure de sanction suppose necessairement que les ordres et les realites juridiques des Etats membres fassent I'objet d'une observation permanente. La surveillance existante exercee par la Commission dans le domaine d'application du droit communautaire (»fonction de gardien«) sur les Etats membres est ainsi etendue a l'echelle de l'Union. En completant la procedure de sanction par un stade d'observation, iI devient des lors aussi possible de parler d'un instrument de surveillance de I'Union plutöt que d'un mecanisme de garantie. L'identite nationale des Etats membres visee a l'article 6, paragraphe 3, du TUE ne beneficie sur ce point d'une protection contre des interventions que dans la me sure Oll elle s'appuie sur le fondement d'une identite constitutionnelle commune definie par l'article 6, paragraphe 1, du TUE. L'autonomie

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constitutionnelle et, partant, la souverainete des Etats membres sont limitees par le contenu materiel de la clause d'homogeneite. La signification pratique de cette conclusion est faible etant donne que, eu egard a la validite du principe de democratie et d'Etat de droit et a la protection des droits de l'homme, les Etats membres disposent d'une constitution empreinte de liberte et sont homogenes. Le double niveau de la procedure de sanction et l'effet d'extension d'une suspension du droit de vote au droit communautaire dans la procedure de l'Union entrainent un nouvel engrenement des niveaux de l'Union et de la Communaute. La classification juridique de l'Union europeenne comme un neant formel (par exemple une association relevant du droit materiel) ne correspond pas a la position adoptee par l'Union dans la procedure de sanction. Dans le contexte des efforts en faveur du rapprochement avec les citoyens et de la transparence, la prochaine conference intergouvernementale devrait aussi servir a adapter les structures de l'Union europeenne a la realite juridique. Les traites des associations d'integration comblent l'attente d'une constitution au sens large. En droit primaire, il s'agit d'un ordre juridique partiel dans un »groupement constitutionnel europeen« qui est complete par les ordres juridiques des Etats membres. Le groupement actuel ne se confine pas dans une situation statique. L'integration est plutöt un processus. Le droit de l'Union europeenne doit s'adapter aux modifications qu'il entraine. Vu cette adaptation permanente de la constitution a l'integration qui progresse - dans laquelle le traite d' Amsterdam ne constitue provisoirement que la demiere etape l'evolution de l'Union europeenne peut etre qualifiee de processus de constitutionnalisation. Avec l'article 6, paragraphe 1, et l'article 7 du TUE, l'Union europeenne rec,:oit deux nouveaux elements constitutionnels codifies.

Anhang Der Anhang enthält in chronologischer Reihenfolge die Vorschläge der Ratspräsidentschaft und Delegationen im Hinblick auf Art. 6, Art. 7 EUV und Art. 309 EGV sowie deren jeweilige Fassung in den einzelnen Entwürfen des Vertrages von Amsterdam.

A. Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom 26. Juli 1996 (CONF/3879/96, LIMITE) Aufnahme einer neuen Bestimmung: "Die Union besteht aus Staaten, die den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sind."

Art. Da EUV ,,(1) Für den Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Grundsätze der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit durch einen Mitgliedstaat gelten die folgenden Bestimmungen.

(2) Auf Vorschlag [des Europäischen Parlaments oder] [der Kommission oder] [eines] [von x] Mitgliedstaat[s][en] kann der Rat, zu dem in diesem Fall die Staats- oder Regierungschefs zusammentreten, [einstimmig] [mit qualifizierter Mehrheit] feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung eines oder mehrerer der in Absatz I genannten Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er den betreffenden Mitgliedstaat aufgefordert hat, sich in dieser Angelegenheit zu äußern. (3) Wurde eine derartige Feststellung nach dem in Absatz 2 genannten Verfahren getroffen, so kann der Rat in der dort genannten Zusammensetzung [einstimmig] [mit qualifizierter Mehrheit] auf Empfehlung der Kommission [und nach Anhörung des Europäischen Parlaments] veranlassen, daß Vorkehrungen getroffen werden, um bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen auf den betreffenden Staat [und seine Staatsangehörigen, unbeschadet der von diesen erworbenen Ansprüche,] ergeben.

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(4) Bei Entscheidungen gemäß den Absätzen 2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme[n] des Vertreter des betreffenden Mitgliedstaates."

B. Vorschlag der österreichischen und italienischen Delegation vom 3. Oktober 1996 (CONF/3940/96, LIMITE) Art. F EUV ,,( 1) Die Union und die Regierungssysteme der Mitgliedstaaten beruhen auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit. (2) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. (3) Die Union achtet die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und anderen internationalen Übereinkommen, die die Mitgliedstaaten verpflichten, gewährleistet sind, und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. (4) Die Union besitzt die Kompetenz, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Protokolle beizutreten. Die Position der Mitgliedstaaten als Vertragsparteien der Konvention bleibt davon unberührt. (5) Die Union anerkennt die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten als Ausdruck ihrer Identität und Kultur sowie als Teil des gemeinsamen kulturellen Erbes. (6) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken notwendig sind." Art. diS EUV ,,(1) Im Falle eines schwerwiegenden und anhaltenden Verstoßes eines Mitgliedstaates gegen die Grundsätze der Demokratie, Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit finden die folgenden Bestimmungen Anwendung. (2) Der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, kann auf Vorschlag des Europäischen Parlaments, der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit das Vorliegen eines schwerwiegenden und anhaltenden Verstoßes eines Mitgliedstaates gegen einen oder mehrere der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze feststellen, nach-

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dem er den betreffenden Mitgliedstaat aufgefordert hat, in der Angelegenheit SteIIung zu nehmen. (3) Ist eine derartige FeststeIIung gemäß dem in Absatz 2 vorgesehenen Verfahren erfolgt, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments Maßnahmen zur Suspendierung bestimmter Rechte verfilgen, die sich aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen filr den betreffenden Staat ergeben. (4) Bei Entscheidungen nach den Absätzen 2 und 3 beschließt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmen des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats. "

C. Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom 8. Oktober 1996

(CONF/3945/96, LIMITE) Art. F EUV

,,(J) Die Union und ihre Mitgliedstaaten bekennen sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der RechtsstaatIichkeit. (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten [als aIIgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts] ergeben. (3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchfilhrung ihrer Politiken erforderlich sind." Einfügung eines neuen Art. Fa EUV

,,( I) Auf Vorschlag des Europäischen Parlaments, der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten kann der Rat, zu dem in diesem FaII die Staatsoder Regierungschefs zusammentreten, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel F Absatz I genannten Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er den betreffenden Mitgliedstaat aufgefordert hat, sich in dieser Angelegenheit zu äußern. (2) Wurde eine derartige Feststellung nach dem obengenannten Verfahren getroffen, so kann der Rat in der in Absatz I genannten Zusammensetzung mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments veranlassen, daß Vorkehrungen getroffen werden, um bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen auf den betreffenden Staat ergeben.

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(3) Bei Entscheidungen gemäß den Absätzen I und 2 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmern] des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaates. Anmerkung:

Mögliche Altemativlösungen für das Sanktionsverfahren: a) qualifizierte Mehrheit oder verstärkte qualifizierte Mehrheit anstatt Einstimmigkeit in Artikel F a Absatz I; b) Einstimmigkeit statt qualifizierter Mehrheit in Artikel F a Absatz 2; c) Wegfall der Bestimmung, wonach der Rat bei Entscheidungen über besondere Vorkehrungen nach Absatz 2 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammentreten muß; d) Möglichkeit, daß der Rat fiir die Stellungnahme des Europäischen Parlaments nach Artikel F a Absatz 2 eine Frist festsetzt."

D. Vorschlag der irischen Präsidentschaft vom 5. Dezember 1996 im Rahmen des Vertragsentwurfs Dublin 11 (CONF/2500/96) Anderung des Art. F EUV

,,( I) Die Union bekennt sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; die Mitgliedstaaten treten fiir diese Grundsätze ein. (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten [Worte gestrichen] ergeben. (3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten [Worte gestrichen]. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchfiihrung ihrer Politiken erforderlich sind." Neuer Art. Fa EUV ,,(1) Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission kann der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel F Absatz I genannten

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Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er die Regierung des betreffenden Staats zu einer Stellungnahme aufgefordert hat. (2) Wurde eine derartige Feststellung getroffen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Aussetzung bestimmter Rechte beschließen, die sich aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen auf den betreffenden Staat ergeben. Für einen solchen Beschluß des Rates ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der gemäß Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewogenen Stimmen von mindestens zehn Mitgliedern erforderlich. Der Rat kann in der Folge nach demselben Verfahren beschließen, diese Maßnahmen aufgrund einer Änderung der Situation, die zur Verhängung der Maßnahmen gefiihrt hat, zu modifizieren. (3) Gelangt der Rat in der in Absatz 1 genannten Zusammensetzung nach dem in diesem Absatz genannten Verfahren zu der Auffassung, daß die in diesem Absatz genannte schwerwiegende und anhaltende Verletzung nicht mehr besteht, so hebt er die nach Absatz 2 erlassenen Maßnahmen auf. (4) Bei Beschlüssen gemäß den Absätzen 1,2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme[n] des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaates. Für die Zwecke dieses Artikels beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder und drei Fünftein der abgegebenen Stimmen."

E. Vorschlag der niederländischen Präsidentschaft vom 26. Februar 1997 (CONF/3827/97, LIMITE, NON PAPER) Anderung des Art. F EUV ,,(1) Die Union bekennt sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; die Mitgliedstaaten treten fiir diese Grundsätze ein.

(2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. (3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten [Worte gestrichen]. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind."

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Neuer Art. Fa EUV ,,(1) Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission kann der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von [Wort ersetzt] in Artikel F Absatz 1 genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er die Regierung des betreffenden Staats zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.

(2) Wurde eine derartige Feststellung getroffen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Aussetzung bestimmter Rechte beschließen, die sich aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen auf den betreffenden Staat ergeben. Für einen solchen Beschluß des Rates ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der gemäß Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags zur Grilndung der Europäischen Gemeinschaft gewogenen Stimmen von mindestens zehn Mitgliedern erforderlich. Der Rat kann in der Folge nach demselben Verfahren beschließen, diese Maßnahmen aufgrund einer Änderung der Situation, die zur Verhängung der Maßnahmen gefiihrt hat, zu modifizieren. (3) Gelangt der Rat in der in Absatz I genannten Zusammensetzung nach dem in diesem Absatz genannten Verfahren zu der Auffassung, daß die in diesem Absatz genannte schwerwiegende und anhaltende Verletzung nicht mehr besteht, so hebt er die nach Absatz 2 erlassenen Maßnahmen auf. (4) Bei Beschlüssen gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme[n] des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaates. Für die Zwecke dieses Artikels beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit seiner Mitglieder. [Vgl. Artikel 144 EGV.]"

F. Entwurf des Vertrages von Amsterdam vom 19. Juni 1997 (CONF/400l/97, LIMITE)* A.·nderung des Art. F EUV ,,(1) Die Union bekennt sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlicbkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.

(2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschen-

* Hinsichtlich Art. F, Fa EUV und Art. 236 EGV wortgleich mit dem konsolidierten Vertragsentwurfvom 30. Mai 1997 (SN 600/97) und dem Vertragsentwurfvom 12. Juni 1997 (CONF/4000/97).

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rechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. (3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchtuhrung ihrer Politiken erforderlich sind."

Neuer Art. Fa EUV ,,(1) Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments kann der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Artikel F Absatz 1 genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er die Regierung des betreffenden Staats zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.

(2) Wurde eine solche Feststellung getroffen, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betreffenden Staat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat, auszusetzen. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats sind tur diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich. (3) Der Rat kann später mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 2 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn Änderungen in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen gefUhrt hat, eingetreten sind. (4) Für die Zwecke dieses Artikels handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats. Enthaltungen von Mitgliedern, die persönlich anwesend oder vertreten sind, stehen der Annahme von Beschlüssen gemäß Absatz 1 nicht im Wege. Als qualifizierte Mehrheit gilt derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, wie er in Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgelegt ist. Der vorliegende Absatz gilt auch, wenn Stimmrechte nach Absatz 2 ausgesetzt werden. (5) Für die Zwecke dieses Artikels beschließt das Europäische Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen, die die Mehrheit seiner Mitglieder repräsentieren."

Anhang

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Neuer Art. 236 EGV ,,( I) Wurde die Aussetzung der Stimmrechte eines Mitgliedstaats gemäß Artikel Fa Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beschlossen, so gilt die Aussetzung dieser Stimmrechte auch in bezug auf diesen Vertrag. (2) Darüber hinaus kann der Rat, wenn nach Artikel F a Absatz 1 EUV eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel F Absatz 1 genannten Grundsätze festgestellt worden ist, mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betreffenden Staat herleiten, auszusetzen. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen des Mitgliedstaats sind filr diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich. (3) Der Rat kann später mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 2 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn Änderungen in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen gefUhrt hat, eingetreten sind. (4) Bei Beschlüssen gemäß den Absätzen 2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmen des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats. Abweichend von Artikel 148 und Artikel 189 a Absatz 1 gilt als qualifizierte Mehrheit derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, der in Artikel 148 Absatz 2 festgelegt ist. Der vorliegende Absatz gilt auch, wenn Stimmrechte nach Absatz 1 ausgesetzt werden. In solchen Fällen wird ein Beschluß, der Einstimmigkeit erfordert, ohne die Stimme des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats angenommen."

G. Entwurf des Vertrages von Amsterdam vom 8. Juli 1997 (CONF/4002/97, LIMITE) Anderung des Art. F EUV ,,(1) Die Union bekennt sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.

(2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. 17 Schorkopf

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Anhang

(3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind." Neuer Art. Fa EUV

,,( I) Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments kann der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Artikel F Absatz I genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er die Regierung des betreffenden Staats zu einer Stellungnahme aufgefordert hat. (2) Wurde eine solche Feststellung getroffen, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betreffenden Staat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat, auszusetzen. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats sind fiir diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich. (3) Der Rat kann später mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 2 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn Änderungen in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen gefilhrt hat, eingetreten sind. (4) Für die Zwecke dieses Artikels handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats. Enthaltungen von Mitgliedern, die persönlich anwesend oder vertreten sind, stehen der Annahme von Beschlüssen gemäß Absatz I nicht im Wege. Als qualifizierte Mehrheit gilt derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, wie er in Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgelegt ist. Der vorliegende Absatz gilt auch, wenn Stimmrechte nach Absatz 2 ausgesetzt werden. (5) Für die Zwecke dieses Artikels beschließt das Europäische Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen, die die Mehrheit seiner Mitglieder repräsentieren."

Anhang

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Neuer Art. 236 EGV

,,(1) Wurde die Aussetzung der Stimmrechte eines Mitgliedstaats gemäß Artikel F a Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beschlossen, so gilt die Aussetzung dieser Stimmrechte auch in bezug auf diesen Vertrag. (2) Darüber hinaus kann der Rat, wenn nach Artikel F a Absatz 1 EUV eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel F Absatz 1 genannten Grundsätze festgestellt worden ist, mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betreffenden Staat herleiten, auszusetzen. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen des Mitgliedstaats sind rur diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich. (3) Der Rat kann später mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 2 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn Änderungen in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen geruhrt hat, eingetreten sind. (4) Bei Beschlüssen gemäß den Absätzen 2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmen des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats. Abweichend von Artikel 148 und Artikel 148 Absatz 2 gilt als qualifizierte Mehrheit derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, der in Artikel 148 Absatz 2 festgelegt ist. Der vorliegende Absatz gilt auch, wenn Stimmrechte nach Absatz 1 ausgesetzt werden. In solchen Fällen wird ein Beschluß, der Einstimmigkeit erfordert, ohne die Stimme des Vertreters des betreffenden Mitgliedstaats angenommen."

H. Konsolidierte Fassungen des EU- und EG-Vertrags mit den Änderungen aufgrund des Vertrags von Amsterdam in seiner am 2. Oktober 1997 unterzeichneten Fassung Art. 6 (ex-Art. F) EUV ,,(1) Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.

(2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geWährleistet sind und wie sie sich aus den gemein-

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Anhang

samen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. (3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchruhrung ihrer Politiken erforderlich sind." Art. 7 (ex-Art. F.l) EUV ,,(1) Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments kann der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, einstimmig feststellen, daß eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er die Regierung des betroffenen Mitgliedstaats zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.

(2) Wurde eine solche Feststellung getroffen, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats sind rur diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich. (3) Der Rat kann zu einem späteren Zeitpunkt mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 2 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen geruhrt hat, Änderungen eingetreten sind. (4) Für die Zwecke dieses Artikels handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats. Die Stimmenthaltung von anwesenden oder vertretenen Mitgliedern steht dem Zustandekommen von Beschlüssen nach Absatz 1 nicht entgegen. Als qualifizierte Mehrheit gilt derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, der in Artikel 205 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgelegt ist. Dieser Absatz gilt auch, wenn Stimmrechte nach Absatz 2 ausgesetzt werden. (5) Für die Zwecke dieses Artikels beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit seiner Mitglieder."

Anhang

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Art. 309 (ex-Art. 236) EGV

,,( 1) Wurde die Aussetzung der Stimmrechte des Vertreters der Regierung eines Mitgliedstaats nach Artikel 7 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beschlossen, so gilt die Aussetzung dieser Stimmrechte auch in bezug auf diesen Vertrag. (2) Darüber hinaus kann der Rat, wenn nach Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Artikel 6 Absatz 1 jenes Vertrags genannten Grundsätzen festgestellt worden ist, mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen. Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats sind fur diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich. (3) Der Rat kann zu einem späteren Zeitpunkt mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 2 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen ge fuhrt hat, Änderungen eingetreten sind. (4) Bei Beschlüssen nach den Absätzen 2 und 3 handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimmen des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats. Abweichend von Artikel 205 Absatz 2 gilt als qualifizierte Mehrheit derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, der in Artikel 205 Absatz 2 festgelegt ist. Dieser Absatz gilt auch, wenn Stimmrechte nach Absatz I ausgesetzt werden. In solchen Fällen wird ein Beschluß, der Einstimmigkeit erfordert, ohne die Stimme des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats angenommen."

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Sachregister Die Verweise beziehen sich auf die AbsatzzifJern.

AKP-EG-Abkommen 118,217 f. Allgemeine Rechtsgrundsätze 165 tT., 319 Asyl rur Unionsbürger in EU-Mitgliedstaaten 261 Austritt s. Mitgliedschaft Beitritt - Heranruhrungsstrategie 1 - Kriterien 84 f, 337 ff. - üsterweiterung 9, 320, 366 - Verfahren 243 Bundesverfassungsgericht -E4,17814f - E 36, 342 14 - E 37, 217 (Solange-I) 65 - E 73, 339 (Solange-lI) 66 - E 89, 155 (Maastricht) 67 f., 317 -E 94, 49 24 Charta von Paris 40, 106, 116 Clausula rebus sic stantibus 173 Commonwealth 21, 204 ff. - Harare-Deklaration 205 Demokratie - Ausformungen 116, 122 - illiberale 3 - parlamentarische 117 - Prinzip 114 ff. Dubliner Vertragsentwurf 95, 221 EG-Vertrag

- Art. 169 a. F. 155 f - Art. 224, 225 a. F. 159 ff. - Grundfreiheiten 124

- Präambel 40 - Protokoll über Asyl rur Unionsbürger in EU-Mitgliedstaaten 261 Einheitliche Europäische Akte (EEA) 52, 76,109 Erweiterung s. Beitritt Europarat 22,106,196 ff., 237, 332 Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung 106 Europäische Kommission 248 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 40,76106, 116, 124 ff. Europäische Sozialcharta 106, 262 Europäische Union - Rechtspersönlichkeit 361 ff. - Verfassung 370 ff. Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 61,64 Europäischer Gerichtshof 120, 135,324 Europäischer Rat - Stimmrechte 254 - von Amsterdam (1997) 223 - von Brüssel (1994) 364 - von Kopenhagen (1973) 33 - von Kopenhagen (1978) 76, 114, 117 - von Kopenhagen (1993) 76 f., 337 - von Korfu (1994) 220 - von Lissabon (1992) 76 - von Luxemburg (1997) 1 - von Turin (1996) 266 - von Wien (1998) 2 Europäisches Parlament - Ausschluß Abgeordneter 308 ff. - Beteiligung Unionsverfahren 242

Sachregister

- Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union (1984) 213 f., 239,330 - Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten (1989) 122 - Gemeinsame Erklärung zur Achtung der Grundrechte (1977) 76 - Geschäftsordnung 245, 310 - Zustimmungsrecht 219, 242 ff., 332 EU-Vertrag - Art. F Abs. 1 a. F. 4, 76 f., 80 ff. - Art. 49 26,77,85,97, 156, 181,243, 326,347 - Präambel 83,109,114,124,130 - Vertrag von Amsterdam 3,220 ff. - Vertrag von Maastricht 2, 76 Failed-state These 6 Föderalismus 70, 343 Freiheit 109 ff. GASP 56, 176, 276, 279, 289, 327, 362, 366 Gemeinschaftsverfahren - Berücksichtigungspflicht 306 f. - Grenzen der Sanktionierung 308 ff. - Rechtsfolgen 298 - Rechtsgrundlage 293 - Stimmrechtsentzug 298 - Tatbestandsvoraussetzungen 294 f1 Gewährleistungsmechanismus 188 ff. Gewaltenteilung 136 ff. Grundfreiheiten Menschenrechte Grundgesetz - Art. 23 Abs. 1 10,69 ff., 354 - Art. 24 61 - Art. 28 15,75, 189 f. Grundrechte - Gemeinsame Erklärung der Organe 76 - Schutz aufUnionsebene 83 - Vorwirkung 350 Grundsätze 88 ff.

n

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Harare-Deklaration s. Commonwealth Homogenität - Begriff 13 ff., 24 - Elemente 109 f1, 114, 124, 128 ff., 341 ff., - Funktionen 19 f., 25 ff. - Gebote der Mitgliedstaaten 46 ff., 60 ff., 71 f. - Gebote der Europäischen Union 74 ff., 78,97 - horizontale 39 ff. - Verfassungshomogenität 24,39 - vertikale 43 ff. Homogenitätsklausel 69 ff., 144 ff. Identität - europäische 32 ff., 76, 142 - nationale 83,360 f. Institutionelles Gewicht 137 Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 209 Internationaler Währungsfond 209 Konstitutionalisierung 367 ff., 373 Kopenhagener Dokument der KSZE 106 Kultur 25, 133,347 ff. Legitimation 27 ff., 67, 117 Lome s. AKP-EG-Abkommen Menschenrechte I ff., 124 ff. Menschenrechtsklauseln 3, 217 ff. Mitgliedschaft - Beendigung 186, 316 ff. - Suspendierung 186 Mitgliedstaaten - Belgien 46, 344 f. - Dänemark 47 - Finnland 48 - Frankreich 49 - Griechenland 50, 76, 168, 315, 347 - Großbritannien - Irland 52, 84

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-

Italien 53 Luxemburg 54 Niederlande 55 Österreich 16, 56, 194, 344 Portugal 57 Schweden 58 Spanien 59, 76

Nulla sanctio, sine lege 187 Ordre public europeen 40 Osterweiterung n Beitritt Prinzipien s. Grundsätze Rechtssicherheit 182 Rechtsstaatlichkeit 128 ff. Reflexionsgruppe 220 f., 362 Rule oflaw 21, \30 Sanktionen - Ausschluß s. Mitgliedschaft - Begriff 149 - im Unionsverfahren 272 ff. - im EG-Vertrag 184 ff. - im Gemeinschaftsverfahren 298 ff. - Moralischer Druck 262 - Suspendierung 186 - völkerrechtliche 171 ff. Schweiz 17 f., 192 f. Sollensgebot 94 f. Souveränität 360, 365 Suspendierungsklauseln s. Menschenrechtsklauseln Staatsform 342 Stimmrechte im Rat 275 ff.

Sachregister

strukturelle Kongruenz 61 ff. Subtraktionsmethode 100 f. Türkei 1,197, 347 Unionsaufsicht 357 ff. Unionsverfahren - Änderungsbefugnis 284 ff. - Berücksichtigungspflicht 280 - Beschlußorgan 254, 264 - Ermessen 257 ff. - Europäisches Parlament 242 ff., 253 - Feststellungsbeschluß 258 - Grenzen der Sanktionierung 289 - Mehrheiten 255, 266 ff., 331 ff. - Mitgliedstaaten 250 ff. - Rechtsfolgen 260 ff. - Rechtsgrundlage 225 - Sanktionsbeschluß 263 ff. - Stimmwägung 269 - Tatbestandsvoraussetzungen 232 ff. - Vorschlagsrecht 226 ff. UNO s. Vereinte Nationen USA s. Vereinigte Staaten von Amerika Vereinigte Staaten von Amerika 18, 195 Vereinte Nationen 23, 199 ff., 365 Verfassungshomogenität 24, 145,381 Vertragsverletzungsverfahren 7, 155 f., 227 Verfassungsstrukturklausel 143 Wiener Vertragsrechtskonvention 172 f., 178, 165 Wirtschaftsverfassung 349 ff.