Heimat auf Zeit: Europäische Frauen in der arabischen Welt [1. Aufl.] 9783839401033

Räumliche Mobilität ist eine Signatur der modernen Weltgesellschaft, und die Zahl derjenigen, die ihre Heimat verlassen,

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German Pages 222 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
I Ausgangssituation von Expat-Frauen
II Konzeption und Vorgehensweise der Studie
1 Theoretische Konzeption der Studie
1.1 Heimatkonzept
1.2 Lebensstilkonzept
1.3 Netzwerkkonzept
1.4 Aktionsraumkonzept
1.5 Identitätskonzept
2 Integrierter Ansatz der Studie, Fragestellungen und Ziele
3 Empirisch-methodisches Vorgehen
III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus
1 Individuelle Einflussfaktoren
1.1 Stellung im Lebenszyklus
1.2 Motivation und Lebensziele
2 Wohnen und Leben in Damaskus
2.1 Wohnstandorte der Expatriates
2.2 Versorgungseinrichtungen der Expatriates
Einkaufsmöglichkeiten
Restaurants
Kulturelle Möglichkeiten
Sportmöglichkeiten
2.3 Institutionelle Kerne der Expat-Gemeinschaft
Clubs
Zeitschriften
IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus
1 Selbstdarstellungen
1.1 Typ 1: Berufsorientierte Expat-Frau
1.2 Typ 2: Familienzentrierte Expat-Frau
1.3 Typ 3: Sportbegeisterte Expat-Frau
1.4 Typ 4: Sozialorientierte Expat-Frau
1.5 Typ 5: Kunst- und musikbegeisterte Expat-Frau
1.6 Typ 6: Wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau
1.7 Typ 7: Orientierungslose Expat-Frau
2 Verdichtete Handlungsmuster
3 Resümee
V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus
1 Kulturschock und die Stadien eines Postings
2 Expat-Gemeinschaft in Damaskus
2.1 Soziale Verhaltensmuster innerhalb der Expat-Gemeinschaft
2.2 Soziale Grundstruktur
Soziale Kategorien
Soziale Gruppen und soziale Netzwerke
2.3 Netzwerke im Heimatland
3 Aktionsraum Expat-Insel
4 Beziehung zur Welt außerhalb der Expat-Insel
5 Resümee
VI Das Bindungspotenzial von Expat-Frauen
1 Konstruktion von Heimat auf Zeit
2 Heimatlandbindung versus Heimat auf Zeit
Postskriptum
Danksagung
Anmerkungen
Literatur
Anhänge
Glossar
Überblick über die interviewten Expat-Frauen
Karten und Abbildungen
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Heimat auf Zeit: Europäische Frauen in der arabischen Welt [1. Aufl.]
 9783839401033

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Cosima Peißker-Meyer Heimat auf Zeit

Die an der Universität Mainz promovierte Geographin Cosima PeißkerMeyer (geb. 1964) hat zehn Jahre im Ausland studiert, gelebt und gearbeitet, u.a. in Oman und Syrien. Seit drei Jahren lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern – vorerst – wieder in Deutschland.

Cosima Peissker-Meyer

Heimat auf Zeit Europäische Frauen in der arabischen Welt

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Peißker-Meyer, Cosima: Heimat auf Zeit : europäische Frauen in der arabischen Welt / Cosima Peißker-Meyer. - Bielefeld : Transcript, 2002 (Kultur und soziale Praxis) Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-89942-103-5 © 2002 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagfoto: Cosima Peißker-Meyer Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Digital Print, Witten ISBN 3-89942-103-5

Inhalt

Vorwort .....................................................................................

9

Einleitung ................................................................................. 11 I

Ausgangssituation von Expat-Frauen ................. 13

II

Konzeption und Vorgehensweise der Studie .... 17

1 Theoretische Konzeption der Studie .......................................... 17 1.1 Heimatkonzept 17 1.2 Lebensstilkonzept 19 1.3 Netzwerkkonzept 22 1.4 Aktionsraumkonzept 24 1.5 Identitätskonzept 26 2 Integrierter Ansatz der Studie, Fragestellungen und Ziele ....... 28 3 Empirisch-methodisches Vorgehen ........................................... 32

III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus .................................................................... 39 1 Individuelle Einflussfaktoren .................................................... 40 1.1 Stellung im Lebenszyklus 40 1.2 Motivation und Lebensziele 43 2 Wohnen und Leben in Damaskus .............................................. 47 2.1 Wohnstandorte der Expatriates 48 2.2 Versorgungseinrichtungen der Expatriates 49 Einkaufsmöglichkeiten 49 Restaurants 52 Kulturelle Möglichkeiten 53 Sportmöglichkeiten 53 2.3 Institutionelle Kerne der Expat-Gemeinschaft 53 Clubs 53 Zeitschriften 59

IV

Typologie der Expat-Frauen in Damaskus ......... 63

1 Selbstdarstellungen ................................................................... 64 1.1 Typ 1: Berufsorientierte Expat-Frau 64 1.2 Typ 2: Familienzentrierte Expat-Frau 71 1.3 Typ 3: Sportbegeisterte Expat-Frau 77 1.4 Typ 4: Sozialorientierte Expat-Frau 81 1.5 Typ 5: Kunst- und musikbegeisterte Expat-Frau 85 1.6 Typ 6: Wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau 91 1.7 Typ 7: Orientierungslose Expat-Frau 96 2 Verdichtete Handlungsmuster ................................................... 102 3 Resümee .................................................................................... 114

V

Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus .................................................................... 117

1 Kulturschock und die Stadien eines Postings ............................ 117 2 Expat-Gemeinschaft in Damaskus ............................................. 124 2.1 Soziale Verhaltensmuster innerhalb der Expat-Gemeinschaft 124 2.2 Soziale Grundstruktur 127 Soziale Kategorien 128 Soziale Gruppen und soziale Netzwerke 130 2.3 Netzwerke im Heimatland 136 3 Aktionsraum Expat-Insel ........................................................... 138 4 Beziehung zur Welt außerhalb der Expat-Insel ......................... 144 5 Resümee .................................................................................... 150

VI

Das Bindungspotenzial von Expat-Frauen ........ 151

1 Konstruktion von Heimat auf Zeit ............................................. 151 2 Heimatlandbindung versus Heimat auf Zeit ............................. 155

Postskriptum ........................................................................... 161 Danksagung .............................................................................. 162 Anmerkungen ........................................................................... 163 Literatur ................................................................................... 175

Anhänge Glossar Überblick über die interviewten Expat-Frauen Karten und Abbildungen

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Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Zusammensetzung der Expat-Gemeinschaft in Damaskus (geschätzte Anzahl Familien, durchschnittliche Angaben für 1999) Tabelle 2: Sportangebot des Shell-Clubs (Stand Juni 1998) Tabelle 3: Soziale Aktivitäten des Shell-Clubs (Stand Juni 1998) Tabelle 4: Veranstaltungen im Shell-Club im Jahr 1998 Tabelle 5: Veranstaltungen von SPARC im Jahr 1998 Tabelle 6: Veranstaltungen von ClubNed im Jahr 1998 Tabelle 7: Veranstaltungen der Damascus Petroleum Wives im Jahr 1998 Tabelle 8: Inhaltliche Struktur von Ahlein (anhand von 24 Ausgaben 1998/99) Tabelle 9: Inhaltliche Struktur von Destinations (anhand von 8 Ausgaben 1998/99)

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Verzeichnis der Karten und Abbildungen im Anhang Karte 1: Wohngebiete der Expatriates in Damaskus Karte 2: Wohnstandorte britischer, holländischer und deutscher Expatriates in West Mezze Karte 3: Wohnstandorte britischer, holländischer und deutscher Expatriates in East Mezze Karte 4: Soziale Einrichtungen und Läden in West Mezze Karte 5: Soziale Einrichtungen und Läden in East Mezze Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7:

Abb. 8:

Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14:

Schematische Darstellung der Entstehung von Aktionsräumen Theoretische Konzeption der Studie Überblick über das kulturelle Angebot in Damaskus (Quelle: Ahlein 4/1998) Überblick über regelmäßige Aktivitäten im Shell-Club (Quelle: Ahlein 11/1998) Information zum »Progressive Dinner« (private Einladung) Damascus Hash House Harriers Hash-Karte (Quelle: Hash Committee 1998) Damascus Hash House Harriers Veranstaltungsprogramm (Quelle: Ahlein 6/1998) Aktionsraum, soziales Netz und Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen Nationalität und Firmenzugehörigkeit als Hauptmerkmale sozialer Kategorien Intensität der Sozialkontakte in Abhängigkeit von Nationalität und Firmenzugehörigkeit »Mental map« von Damaskus (von einer kunstbegeisterten Expat-Frau) Kontakte der Expat-Frauen mit der syrischen Gesellschaft Faktoren, die bei Expat-Frauen zur Neubestimmung von Heimat beitragen Modell der Rekonstruktion von Heimat bei Expat-Frauen

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Vorwort

Vorwort

Viele Jahre habe ich, die Autorin, das Leben einer Expat-Ehefrau geführt. Mit meinem Mann habe ich zunächst ein Jahr in England gelebt und dann drei Jahre in Holland. Daraufhin waren wir drei Jahre in Oman, wo unsere Tochter geboren wurde. Von September 1996 bis September 1999 haben wir in Damaskus gelebt. Unser drittes Kind wurde gerade noch in Damaskus geboren. Seit Ende 1999 leben wir in Kassel. Ich kenne also nicht nur die Lebenswirklichkeit deutscher Frauen in Deutschland, sondern habe auch teilgenommen an der Alltagswirklichkeit britischer Frauen in England und holländischer Frauen in den Niederlanden. In England wie Holland hat es mich fasziniert, inmitten der Einheimischen zu wohnen und unter wie mit ihnen zu leben. In Oman fanden wir uns plötzlich in einem Camp wieder. Es war nicht etwa hermetisch abgeriegelt, aber wir haben fast ausschließlich inmitten von anderen Ausländern, besonders Engländern und Holländern gelebt. In Syrien haben wir in Mezze gewohnt, einem Stadtteil, in dem neben den Ausländern auch sehr viele Syrer der Oberschicht leben. Mein wissenschaftliches Interesse an der Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen erwachte mit einer Frage, die ich mir erstmals in Oman stellte: Warum hatten die allermeisten europäischen Ausländer in Außereuropa sehr wenig oder gar keinen Kontakt zur Gastgesellschaft? Warum fiel uns in Oman die Eingewöhnung in die Expat-Gemeinschaft so schwer? Wir hatten doch bereits einige Jahre in England wie Holland gelebt und erwarteten, uns entsprechend schnell zurechtzufinden. Dem war nicht so! Warum? Gibt es in außereuropäischen Ländern bzw. Ländern, die einem anderen Kulturkreis angehören, so etwas wie eine eigene Kultur der Expatriates, mit der wir bis dahin überhaupt nicht in Berührung gekommen waren? Als wir von Oman nach Syrien gingen, begann ich gezielt, das Alltagsleben der ausländischen Frauen im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit zu untersuchen. Alle Namen, Ortsangaben und Tatsachen, die die Identität der befragten Expat-Frauen preisgeben würden, wurden verändert. Wörtliche Zitate der Befragten werden durch kursive Schrift kenntlich gemacht. Zitate werden im Text in der Originalsprache belassen und in einer Anmerkung übersetzt (siehe auch Kap. II.3). Am Ende jeden Zitats steht das Kürzel der Informantin in Klammern (z. B. eng1). Dabei steht »eng« für englische, »hol« für holländische und »deu« für deutsche Frauen. Zitate, die aus Dis9

Heimat auf Zeit kussionsrunden stammen, sind mit »dis« gekennzeichnet. In Anhang III findet sich ein kurzer Überblick über alle Informantinnen. Begriffe, die zur Sprachkultur der untersuchten Gemeinschaft gehören, werden kursiv gesetzt (z. B. maid, siehe auch Kap. II.3). Eine Ausnahme wird nur bei den Begriffen Expatriate bzw. in abgekürzter Form Expat gemacht und bei Posting, die viele hundert Mal auftauchen und eingedeutscht verwendet werden. Im Glossar in Anhang II werden alle derartigen Begriffe erläutert. Literaturzitate werden im Original belassen. Deutschsprachige Zitate werden der neuen Rechtschreibung angepasst.

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Einleitung

Einleitung

Die vorliegende Studie setzt sich mit der Lebenswirklichkeit von Frauen auseinander, die mit ihrer Familie freiwillig im Ausland leben, genauer: mit der Alltagswirklichkeit von holländischen, britischen und deutschen Frauen, die für mehrere Jahre in Syriens Hauptstadt Damaskus wohnen. Für einige dieser Frauen ist Mobilität keine Frage mehr, sondern Selbstverständlichkeit, für alle aber konkrete Wirklichkeit und ständige Herausforderung. In der heutigen Welt-Gesellschaft lässt sich eine »historisch beispiellose Woge transnationaler Mobilität« (Sloterdijk 1999: 27) beobachten. Etwa 150.000 Deutsche leben derzeit vorübergehend im Ausland (Goingglobal 2000). Schon Anfang der 1990er Jahre wurde davon ausgegangen, dass weltweit über 100 Millionen Menschen außerhalb ihres Geburtslandes leben. Fast ein Drittel von ihnen sind Flüchtlinge, die Mehrheit Arbeitsmigranten (Treibel 1990, zitiert nach Pries 1998: 56). Bei der Migration der Frauen, deren Alltagswirklichkeit hier untersucht werden soll, handelt es sich aber nicht um erzwungene Arbeitsmigration, wie sie uns aus vielen der ärmeren Länder dieser Welt bekannt ist, sondern vielmehr um eine aktive Wahl. Diese enorme Mobilität wirft beinahe zwangsläufig die Frage auf, welche Bedeutung dem Phänomen Heimat in unserer heutigen Gesellschaft zukommt. An der entbrannten gesellschaftlichen Diskussion um das Heimatphänomen im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und lokaler Bindung nimmt die Geographie ebenso teil wie alle anderen Sozialwissenschaften. Mobilität zählt im globalen Kapitalismus gewissermaßen zu den Zauberworten. Vor diesem Hintergrund hat Beck (1989: 9) folgende Frage formuliert: »Wie kann der Blick für das Konkrete, Ambivalente, Alltägliche transnationaler Lebensformen geöffnet und geschärft werden?« Hierzu möchte diese Studie einen Beitrag leisten. Menschen, die für begrenzte Zeit im Ausland leben, bezeichnet man als Expatriates oder kurz Expats und ihren Aufenthalt im Gastland als Posting. Bei den meisten dieser Expatriates besteht ein wesentlicher Teil ihres Lebens aus einer Reihe von Postings. »Ihr Zuhause ist die Welt«, so betitelte der »Stern« (1999) jüngst eine durchaus informative Reportage über Expatriates. Im Großen und Ganzen setzen Konzerne bei ihren globalen Arbeitnehmern auf den Familienmann (bzw. in Einzelfällen auf die Fami-

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Heimat auf Zeit lienfrau), da häusliche Stabilität helfe, dem »Stress der globalen Zugluft« (Stern 1999: 122) standzuhalten. Bei den allermeisten Expat-Frauen handelt es sich also um Frauen, die ihrem Mann im Rahmen seiner Karriere für einige Jahre ins Ausland folgen – so auch in Damaskus. Diese Frauen stehen, wenn sie in Damaskus ankommen, vor der Aufgabe, für sich, für gegebenenfalls vorhandene Kinder und in gewissem Umfang auch für ihren Partner in einer fremdartigen Umgebung – losgelöst von Heimatland, familiärem Umfeld und Freundeskreis – eine neue Alltagswirklichkeit zu konstruieren, also einen funktionierenden und befriedigenden Alltag aufzubauen. Dazu müssen sie sich entsprechende soziale wie räumliche Handlungsmuster aneignen. Grundsätzlich ist dabei Folgendes wichtig: »die kulturelle Fähigkeit zu einem Leben, in dem Fremdes und Eigenes nebeneinander bestehen und sich vermischen, und zwar in der unmittelbaren Umgebung, die Fähigkeit, dauerhaft mit widerspruchsvoller Vielfalt und Andersheit im ›eigenen Haus‹ umzugehen, zusammenzuleben« (Beck 1998: 8). Diese Zusammenhänge sind es, die im Folgenden genauer untersucht werden sollen.

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I Ausgangssituation von Expat-Frauen

I Ausgangssituation von Expat-Frauen

»Mehr Menschen als je zuvor, in mehr Teilen der Welt als zuvor ziehen heute mehr Variationen ›möglicher‹ Leben in Betracht als je zuvor« (Appadurai 1998: 21). Durch die befreiende Wirkung der Moderne gegenüber wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Zwängen eröffnen sich dem Einzelnen vielfältige Wahlmöglichkeiten. Andererseits aber erwächst aus eben diesen Wahlmöglichkeiten, aus unverbindlicher und oft als kalt empfundener Pluralität auch ein gewisses Unbehagen an der Moderne (Gebhardt und Schweizer 1995). »Der Einzelne löst sich aus Traditionen, Milieus und Zwängen und darf sein Leben selbst entwerfen – aber er muss es auch« (Die Zeit 2000/Dossier: 11). Das Leben von Frauen hat sich in den letzten drei bis vier Jahrzehnten maßgeblich verändert. »Die wesentlichen makrostrukturellen Verschiebungen zeichnen sich insbesondere in den drei zentralen Lebensbereichen Bildung, Erwerb und Familie ab. So hat das schulische Ausbildungsniveau eine weitgehende Angleichung an das der Männer erfahren und auch das Ausmaß der beruflichen Qualifizierung hat einen deutlichen Anstieg genommen (...); die Erwerbsbeteiligung insbesondere von verheirateten Frauen mit Familie hat zugenommen und es hat gleichzeitig eine Verlagerung von mithelfenden zu marktvermittelten Erwerbsformen stattgefunden (...); schon seit längerem verkürzt sich die Reproduktionsphase und die Zahl der Geburten sinkt nochmals verstärkt seit Mitte der 60er Jahre (...). Veränderung sehen wir auch auf der Ebene der subjektiven Bewertung einzelner Lebensbereiche. Frauen haben sich in der Einschätzung der Wichtigkeit der Bereiche Bildung und Erwerb stark den Männern angeglichen« (Tölke 1987: 9). Expat-Frauen haben an diesen Verschiebungen nur eingeschränkt teil. For women, expat life is something like from the deep past. Now, in almost every society, both partners work, and the way expat women are living now is very traditional, really: wives moving around behind their husbands. You see, people hate it if I say that, but it’s true. I mean nobody wants to think that they are actually doing that (eng11).1 So extrem, wie es diese Engländerin formuliert, trifft es allerdings vornehmlich auf Frauen der älteren Generation zu. In der jüngeren Generation hat auch bei Expat-Frauen eine Angleichung des Ausbildungsniveaus stattgefunden – denn die Lebensphase der Berufsausbildung ist in aller Regel abgeschlossen, wenn das Leben als Expat-Frau beginnt. Die Erwerbsbeteiligung von Expat-Frauen ist allerdings, zumindest in Damaskus, nur sehr eingeschränkt möglich. Die Anzahl der 13

Heimat auf Zeit Kinder bei Expat-Frauen liegt mit einem Trend zu drei Kindern überdurchschnittlich hoch, sodass sich ihre Reproduktionsphase eher verlängert als verkürzt. Insofern lässt sich für Expat-Frauen nicht folgern, dass sich neue, erweiterte Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation ergeben. Dennoch macht es ihre Ausgangsposition erforderlich, »dass auf der Individualebene neue Lebensentwürfe entwickelt und praktisch umgesetzt werden« (Tölke 1989: 10). So gilt für Expat-Frauen ebenso wie für alle anderen Frauen Folgendes: »Die Lebensperspektiven von Frauen sind ›vorbildlos‹ geworden – offener und ungeschützter als früher« (Beck-Gernsheim 1983: 309). Die selbstverständliche Verfügbarkeit von Hilfspersonal in vielen Postings führt durch die Verringerung nötiger, zeitaufwendiger Aktivitäten – wie Haushalt führen oder zum Einkaufen gehen – zu Zeitgewinnen. Expat-Frauen verfügen also in der Regel über vergleichsweise mehr freie Zeit als ihnen im Heimatland zur Verfügung stünde. Wie die Frauen diese Zeit gestalten, hängt unter anderem von ihrer Stellung im Lebenszyklus, vom Vorhandensein von Kindern und von deren Alter ab. Auch Mütter können ihren Alltag relativ flexibel gestalten, da sich Haushaltshilfen den individuellen Vorstellungen entsprechend auch als Kindermädchen und abendliche Babysitter einsetzen lassen. Zudem kann man bei Expatriates von einem vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandard sprechen. Auch der Bildungsstatus ist eher hoch. Sehr viele Frauen haben Abitur, viele eine Fachhochschul- oder Hochschulausbildung. Ihre Männer haben in aller Regel studiert. Bereits diese vorläufige Einordnung deutet an, dass Expat-Frauen einen großen Spielraum bei der Gestaltung ihrer Lebensführung haben, zumindest wenn sie sich dieses Spielraumes bewusst sind und ihn zu nutzen wissen. Sie haben hohe Stilisierungschancen; allerdings fern von ihrem Heimatland in einer völlig neuen Umgebung. Diese Tatsache macht es so interessant, die Alltagswirklichkeit von Expat-Frauen zu untersuchen. Expat-Frauen haben die Möglichkeit, ihr Lebensmuster – im Rahmen der im jeweiligen Gastland verfügbaren soziokulturellen Optionen – nach ihren persönlichen Bedürfnissen zu gestalten. Es kommt zu einer Erweiterung des individuellen »Möglichkeitsraumes«, sodass Zielprobleme an die Stelle von Mittelproblemen treten (Schulze 1992). Das bedeutet, dass subjektive Relevanzsetzungen bei hohem materiellem Lebensstandard strukturbildende Kraft gewinnen. Lebensmodelle mit Ansprüchen auf individuelle Besonderung und Selbstentfaltung werden entworfen. Überall auf der Welt, wo Konzerne oder internationale Einrichtungen 14

I Ausgangssituation von Expat-Frauen Mitarbeiter ins Ausland entsenden, gewinnt die Problematik der mitausreisenden Partner, sprich Ehefrauen, an Gewicht.2 Die »Sunday Times« (1999: 2) schrieb jüngst in einem Artikel über Expatriates: »There is no job in the world in which wives are so deeply involved in their spouses’ work. They sacrifice their identities, their careers, their homes and their relationships with their children.« Forschungsergebnisse belegen aber auch, dass das Leben in einem fremden Kulturkreis unter anderem zu Weltoffenheit, erhöhter Leistungsmotivation und einer Abnahme autoritärer und engstirniger Einstellungen führen kann. Zudem wächst das Bewusstsein dafür, wie entscheidend eigene Anstrengungen den Lebensweg beeinflussen können (Gross 1994, Thomas 1981: 730). Expat-Frauen müssen in der Lage sein, sich im Gastland, in einer ihnen fremden Umgebung, ein eigenes Leben aufzubauen, wenn ein Aufenthalt im Ausland gelingen soll (Malanowski 1993). Eine Engländerin beschreibt diese Zusammenhänge sehr anschaulich: The key to expat life: I think it has to suit you both. If one of you is unhappy – I have seen that many times, it just does not work. And usually it is the women who are unhappy. I mean not everything is easy, but then, at home, not everything is easy either (eng11).3 Im Folgenden soll untersucht werden, wie dieses »eigene Leben« der Frauen im Rahmen der Expat-Gemeinschaft von Damaskus aussieht.

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II Konzeption und Vorgehensweise der Studie

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie

1 Theoretische Konzeption der Studie Diese Studie möchte dazu beitragen, zu einem wirklichkeitsnahen und gleichermaßen theoretisch fundierten Verständnis der Lebenswelt von Expat-Frauen zu gelangen. Die Studie verfolgt einen analytischen Ansatz. Im Sinne Max Webers soll versucht werden, »den annähernden und durchschnittlichen Sinn der Handlungen von Individuen und sozialen Gruppen zu deuten, zu verstehen und in seinen Wirkungen ursächlich zu erklären« (Bertram u. a. 1989: 131). Dabei kommt der Analyse individuellen raumbezogenen Handelns große Bedeutung zu – der Untersuchungsansatz trägt also individualgeographische Züge. Datenerhebung und Auswertung finden in zeitlichem Nebeneinander statt. Ausgangspunkt ist eine flexible und offene Begegnung mit dem forschungsrelevanten Gegenstand. »Da wir ein Phänomen nicht entweder ganz oder gar nicht erfassen, sondern schrittweise rekonstruieren, müssen Interpretationen immer wieder theoretisch hinterfragt werden, um so zu zunehmend differenzierteren Deutungen zu gelangen« (Honer 1989: 307). Fünf Konzepte bilden den konzeptionellen Rahmen der Studie: • das Heimatkonzept, • das Lebensstilkonzept, • das Netzwerkkonzept, • das Aktionsraumkonzept und • das Identitätskonzept. Auf deren Grundlage wird ein integrierter Ansatz zur Erforschung der Lebenswelt von Expat-Frauen entwickelt. Die Fragestellungen und die Zielsetzung der Studie werden erläutert. 1.1 Heimatkonzept Der Heimatbegriff hat in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren – »der Anspruch auf eine persönlich gestaltete, vertraute Lebenswelt in einer modernen Gesellschaft« macht das ebenso deutlich wie ein »aktuelles Unbehagen an der Moderne« (Cremer und Klein 1990: 34). Die Identifikationspotenziale territorialer Bindungen werden neu belebt. Nicht das Bewusstsein selbstverständlicher Wirklichkeit ist es, das von Heimat spre-

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Heimat auf Zeit chen lässt, sondern das Bewusstsein des Verlustes oder des drohenden Verlustes (Piepmeier 1990). Die Diskussion um den Heimatbegriff ist mittlerweile so weitverzweigt, dass er sich jeder eindeutigen Definition entzieht. Zudem spiegelt die z. B. »von Max Frisch attestierte Unübersetzbarkeit des deutschen Wortes Heimat« (Cremer und Klein 1990: 35)4 dessen zahlreiche Bedeutungsfacetten und Verwendungszusammenhänge wider. In jedem Fall ist der Begriff Heimat mit vordefinierten Bedeutungen besetzt. So ist Heimat im allgemeinen Sprachgebrauch in erster Linie auf den Ort bezogen, »in den der Mensch hineingeboren wird, wo die frühen Sozialisationserfahrungen stattfinden, die weithin Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und auch Weltauffassungen prägen« (Brockhaus-Enzyklopädie 1989). Aber eine positive Einstellung einem Ort gegenüber muss keineswegs notwendigerweise Folge der an diesem Ort stattgefundenen Sozialisierung eines Individuums sein (Treinen 1974). Für Bausinger ist Heimat eine räumlich-soziale Einheit mittlerer Reichweite, in welcher der Mensch ein Stück Sicherheit und Verlässlichkeit seines Daseins erfährt, ein Ort tiefsten Vertrauens. »Heimat als Nahwelt, die verständlich und durchschaubar ist, als Rahmen, in dem sich Verhaltenserwartungen stabilisieren, in dem sinnvolles, abschätzbares Handeln möglich ist – Heimat also als Gegensatz zu Fremdheit und Entfremdung, als Bereich der Aneignung, der aktiven Durchdringung, der Verlässlichkeit« (Bausinger 1980: 20). Bei Greverus (1979) nimmt der Identitätsbegriff eine besondere Stellung ein. Heimat ist heile Welt und nur in der Dreiheit von Gemeinschaft, Raum und Tradition zu finden, denn nur hier werden die menschlichen Bedürfnisse nach Identität, Sicherheit und aktiver Lebensgestaltung in einem kulturell gegliederten Territorium befriedigt. Auf jeden Fall stellt Heimat, oder besser: die Auseinandersetzung mit Heimat, eines neben anderen Identifikationsfeldern dar, die Ich-Identität bilden (Hasse 1985). Es wird deutlich, dass zeitgenössische Heimatforscher davon ausgehen, dass der Mensch sich ein neues Lebensumfeld schaffen kann: »Unter heutigen Bedingungen kann Heimat auch nicht mehr statisch an den Ort der Geburt gebunden sein. Heimat kann auch neu gewonnen (...) werden« (Piepmeier 1990: 106). Der Heimatbegriff schließt gewissermaßen die Möglichkeit auf Beheimatung ein – also auf Aneignung einer vertrauten Lebenswelt und Ausbildung sozialer Zugehörigkeiten (Mitzscherlich 1997a). Heimatfindung kann gleichsam in beweglichen Modellen von Raumdefinitionen und persönlichen Zuordnungen erfolgen. Heimat als sozialer Raum eröffnet sich in lebens- und alltagsweltlichen Interaktionen 18

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie im Rahmen von Bekanntschaften, Freundschaften und Nachbarschaften (Cremer und Klein 1990). Er erschließt sich in der Auseinandersetzung mit der lebensweltlich-kulturellen Umwelt – mit dem Ziel, individuelle Handlungsgewissheiten zu erlangen. So verstanden ist Heimat Lebensmöglichkeit und nicht Herkunftsnachweis. »Heimat also wird nicht länger als Kulisse verstanden, sondern als Lebenszusammenhang, als Element aktiver Auseinandersetzung« (Bausinger 1980: 21). Heimat ist Lebensort, der Ort, an dem man zu Hause ist und sich zu Hause fühlt, »wo ich im vollen Sinne lebe als einer, der eingewöhnt ist und nicht nur eingeboren« (Waldenfels 1990: 113). Heimat ist ein Raum, den man sich durch einen schöpferischen Prozess aktiv aneignen kann (Greverus 1979). Dabei hat Heimat immer einen räumlichen Kristallisationskern. Diesem Verständnis liegt ein dynamisches Konzept zugrunde. Der Mensch bedarf als Kulturwesen von Natur aus eines sozialen Raumes, der Heimat – weshalb er sie in seinem Bewusstsein und durch sein Verhalten immer wieder neu schafft (Brepohl 1957: 348f., zitiert nach Dürrmann 1985: 91). Heimat ist im Zusammenhang dieser Studie zu bestimmen als »gestaltete Welt, als zu gestaltende Welt, (...) die in subjektiver Leistung angeeignet, den Menschen in allen seinen Bedürfnissen zufrieden stellt« (Piepmeier 1990: 97). Heimat wird als subjektiv vollzogene Zugehörigkeit zu einem soziokulturellen Raum verstanden. 1.2 Lebensstilkonzept Der Lebensstilbegriff hat innerhalb der Soziologie in jüngster Zeit im Rahmen der Diskussion um Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile (Beck 1986) stark an Bedeutung gewonnen. Es handelt sich gewissermaßen um eine »wiederentdeckte« (Lüdtke 1990: 433) Kategorie der sozialen Differenzierung, deren Grundlage die Zunahme von persönlichen Entwicklungs- und Handlungsspielräumen bildet. Die gestiegenen materiellen und zeitlichen Ressourcen gehören zu den entscheidenden Faktoren, die zur Öffnung des sozialen Raumes (Bourdieu 1987) und damit zur Differenzierung von Lebensstilen beigetragen haben. Die grundlegenden Beiträge zum Thema Lebensstile sind um die Jahrhundertwende entstanden und verbinden sich mit den Namen Weber (1976, i. O. 1920), Simmel (1900, 1908) und Veblen (1986, i. O. 1899). Auch Bourdieu mit seinem in den 1970er Jahren im Kontext einer Klassen- und Schichtenanalyse entwickelten Ansatz wird inzwischen nur noch als moderner Klassiker angesehen. Nach Hradil (1990) können Klassen19

Heimat auf Zeit und Schichtkonzepte Verhaltensunterschiede nicht mehr erklären. Er fordert mehr Lebensnähe, denn in fortgeschrittenen Industriegesellschaften werde das Verhalten der Menschen zunehmend durch die relative Autonomie subjektiver Interpretation und Zielsetzung bestimmt. Dementsprechend nehmen Lebensstilkonzepte nicht – wie Klassen- und Schichtmodelle – auf die ökonomische Sphäre Bezug, sondern auf gemeinsame Verhaltensweisen oder Werthaltungen. Es kommt zu einer Vermittlung zwischen sozialer Lage und individuellem Handeln, zwischen objektiven Lebensbedingungen und kulturellem Leben (Lüdtke 1989, Müller 1989). Die Stilisierung einer autonomen Lebensführung verdrängt allmählich die Bestimmung der Lebensweise durch allgemeine sozioökonomische und soziokulturelle Rahmenbedingungen (Müller und Weihrich 1994). Lebensstile lassen sich also begreifen als »transitorische Ordnungsmuster bei abnehmenden Zumutungen und steigenden Wahlmöglichkeiten« (Zapf u. a. 1987: 14). Die Ausbildung eines Stils führt zur Kanalisierung von Ressourcen, Handlungsmöglichkeiten und verfügbarer Zeit und somit zur Stabilisierung persönlicher Vorlieben. »Durch einen praktizierten Lebensstil wird die Auswahl von Handlungsalternativen strukturiert und begrenzt, das heißt, Handlungs- und Orientierungsfähigkeit überhaupt erst erreicht. Routinen und Gewohnheiten sind für die Identitätsausbildung und -sicherung von wesentlicher Bedeutung« (Spellerberg 1996: 58). Es handelt sich also bei einem Lebensstil um einen »erprobten, bewährten und insofern sinnvollen Gesamtzusammenhang von Alltagsroutinen, Symbolen, Verhaltensmustern und Bezugsgruppen« (Lüdtke 1990: 434), mit anderen Worten: um ein relativ stabiles Muster der Alltagsorganisation. Die Komplexität des Lebensstilbegriffes führt besonders dann zu Schwierigkeiten, wenn Lebensstilkonzepte operationalisiert werden sollen. »Freizeitaktivitäten, Konsummuster, Erwerbsverhalten, Kontaktverhalten, Formen des Zusammenlebens, Wertorientierungen, Einstellungen und Wahrnehmungen werden in unterschiedlicher Zusammensetzung für die Typisierung von Lebensstilen verwendet, ohne dass immer klar wird, auf welcher theoretischen Basis solche ›Mixturen‹ jeweils zusammengestellt werden« (Diewald 1990: 1). Vereinfachend lassen sich in der empirischen Lebensstilforschung zwei Richtungen unterscheiden. Die bedürfnis-werttheoretische Richtung misst Einstellungen, Werten und Lebensplänen die zentrale Bedeutung für Lebensstile bei. Sie wird etwa durch Mitchell (1983), Gluchowski (1988) und Richter (1994) vertreten. Anhänger der zweiten Richtung gehen davon aus, dass sich Lebensstile in erster Linie durch ihren Aktivitäts20

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie gehalt, durch sichtbare Verhaltensweisen und expressive Stilisierung auszeichnen. Hierzu zählen Bourdieu (1987), Lüdtke (1989) und Schulze (1990). Die unterschiedlichen Lebensstilansätze sollen hier nicht diskutiert werden (vgl. Berger und Hradil 1990, Hradil 1992). Nur auf das Konzept von Hörning u. a. soll kurz eingegangen werden. Es lehnt sich an die »Phänomenologie der Lebenswelt« von Schütz und Luckmann an. »Die Wissenschaften, die menschliches Handeln und Denken deuten und erklären wollen, müssen mit der Beschreibung der Grundstrukturen der (...) für den Menschen selbstverständlichen Wirklichkeit beginnen. Diese Wirklichkeit ist die alltägliche Lebenswelt« (Schütz und Luckmann 1979: 25). Hörning u. a. definieren Lebensstile folgendermaßen: »Lebensstile fassen wir als abgrenzbare, alltagsweltlich identifizierbare, d. h. durch Fremd- und Selbsttypisierung hergestellte soziale Formationen. Der Lebensstil stellt ein spezifisches Wissen über gemeinsame soziokulturelle Relevanzsysteme bereit, das die Erwartungsstrukturen von sozialen Kontakten prägt. Deren intersubjektive Anerkennung führt zur Verfestigung der Selbsttypisierung. Der Lebensstil zeichnet soziale Zugehörigkeiten vor. Die Bildung von Lebensstilformationen ist begleitet von Grenzziehungen. Sie beruht einerseits auf persönlicher Identitätsstützung und sozialer Zughörigkeit, also auf innerer Kohärenz und andererseits auf sozialer Distanz und Distinktion, also auf Abgrenzung. Mit Lebensstil ist ein kollektiv typisch identifizierbares Ensemble von Deutungsmustern, Handlungs- und Ausdrucksschemata (Hervorhebung CPM) bezeichnet« (Hörning u. a. 1990b: 502). »Als Analysekonzept berücksichtigt Lebensstil die (...) vergrößerten Möglichkeiten von subjektiven Relevanzsetzungen und Interpretationen der Strukturvorgaben. Die Analyseperspektive richtet sich dann nicht so sehr auf die strukturell determinierten Restriktionen, sondern kann gerade Spielräume zur Gestaltung der Lebensführung (Hervorhebung CPM) in den Blick nehmen« (Hörning u. a. 1990a: 21). Dieses Konzept themenzentrierter Lebensstile wird hier aufgegriffen: »Der Lebensstil ist auf einzelne Themen zugespitzt, die sich um Kristallisationskerne gruppieren. Die Themenzentrierungen sind vielfältig ausgerichtet und keineswegs auf bestimmte Funktionsbereiche begrenzt« (ebd.: 20) – immer der subjektiven Relevanzsetzung durch die Akteure entsprechend. So verstanden lässt der Lebensstilbegriff die Schwerpunktverlagerung auf die aktive Stilisierung des eigenen Lebens erkennen.

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Heimat auf Zeit 1.3 Netzwerkkonzept »Soziale Netzwerke bezeichnen die spezifischen Webmuster unserer alltäglichen sozialen Beziehungen. Sie bilden den Kitt in einem widersprüchlichen und zerfallenden gesellschaftlichen Alltag« (Keupp und Röhrle, zitiert nach Herlyn 1988: 117). Das sozialwissenschaftliche Netzwerkkonzept erlaubt es, »die reale Beziehungsumwelt von Menschen präzis empirisch« (Mayr-Kleffel 1991: 11) zu untersuchen. Von der Grundkonzeption her ist die Netzwerkforschung sehr stark formal orientiert und wird daher zur Analyse unterschiedlichster Interaktionsformen und Austauschbeziehungen eingesetzt. Sie liefert grundlegende formale Begriffe, Verfahren und Hypothesen zur Beschreibung und Erklärung auch komplexer sozialer Beziehungsgefüge (Schweizer 1996: 13). Bei der Analyse von Gesamtnetzwerken werden die Beziehungen aller Akteure des Netzwerkes zueinander erfasst, während Untersuchungen persönlicher Netzwerke egozentriert das soziale Umfeld ausgewählter Akteure beleuchten. Das Leben aller Menschen ist also durch die Interaktion mit anderen in verschiedenen Gruppen bestimmt. Neben der sozialen Gruppe ist zur Analyse der Struktur der Expat-Gemeinschaft eine weitere Form der Assoziation von Bedeutung: die soziale Kategorie. »Eine soziale Kategorie ist eine statistische Gruppierung, in der Menschen aufgrund eines bestimmten gemeinsamen Merkmals zusammengefasst werden« (Giddens 1995: 305). Die Mitglieder einer sozialen Kategorie müssen weder miteinander interagieren noch dem sie verbindenden Merkmal besondere Bedeutung beimessen. Ein solches Merkmal kann z. B. der Beruf sein. »Unter einer sozialen Gruppe ist ganz einfach eine Anzahl von Menschen zu verstehen, die miteinander regelmäßig interagieren« (ebd.). Es handelt sich um das am weistesten verbreitete soziale Gebilde, das in »einzigartiger Weise die Individualnatur eines Menschen mit seiner Sozialnatur« (Schäfers 1993: 80) verbindet. »Durch die Regelmäßigkeit der Interaktion werden die Beteiligten zu einer eigenen Einheit mit einer übergeordneten sozialen Identität verschmolzen« (Giddens 1995: 305). Durch soziale Attributierung findet ein Transfer zwischen der Gruppenidentität und der Identität einer Person statt. Bei einer Clique handelt es sich um eine spezielle Form der sozialen Gruppen, die sich durch hohe Dichte und Multiplexität der Beziehungen auszeichnet. Aufgrund der starken Binnenbeziehungen kommt es zu einer gewissen Abkapselung vom Gesamtnetzwerk bzw. von der Außenwelt (Schweizer 1996: 118). Im Sinne von Weber werden bedeutungsvolle Beziehungen zwischen Menschen, Gruppen und anderen sozialen Akteuren als Elementareinhei22

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie ten von Sozialstruktur aufgefasst (Scheller 1989). Soziale Netzwerke dienen der Bedürfnisbefriedigung, denn der Mensch als soziales Wesen braucht Kontakte. »Netzwerk ist Lebenswerk«, so Streck (1985: 574). Das soziale Netzwerk einer Familie ist geprägt durch die sozialen Beziehungen und die Unterstützungsleistungen, die an die Familie herangetragen werden. Dabei lassen sich die »soziale(n) Kontakte und zwischenmenschliche(n) Interaktionen (...) unter anderem nach dem Grad der emotionalen Betroffenheit, den in die Beziehung ›investierten‹ Gefühlen oder der Tiefe der zwischen den Partnern bestehenden Bindungen differenzieren« (Weichhart 1990: 60). Einer engen Freundschaft kommt eine andere Qualität zu als oberflächlichen Bekanntschaften oder gar einem Kontakt, der sich funktional aus der Notwendigkeit des Interagierens im Rahmen von sozialen Rollen ergibt. Die Netzwerkanalyse erlaubt es, die Tragweite sozialer Beziehungen zu analysieren. Boissevain (1974: 45-48) unterscheidet nach dem Ausmaß der Gefühlsbindung verschiedene Zonen der subjektiven Bedeutung von Sozialbeziehungen. Etwas vereinfacht sehen diese Zonen folgendermaßen aus: Den Kernbereich bilden nächste Verwandte und eventuell noch einige der intimsten Freunde, dann folgen Freunde und Verwandte von emotionaler Bedeutung. Diese Personen bilden das Kernnetzwerk eines Akteurs. Es handelt sich um diejenigen Personen, die der Akteur intensiver kennt, mit denen er häufiger interagiert. Sie gehören dem Grad der Vertrautheit und der emotionalen Nähe nach zum engsten Beziehungskreis. Darauf folgt die Zone »instrumenteller«, nichtemotionaler Freunde, die für die Logistik des täglichen Lebens eine Rolle spielen. Im Weiteren folgen Personen, zu denen unverbindliche Interaktionen (Smalltalk) bestehen und zuletzt solche, zu denen unverbindliche Beziehungen von hoher Häufigkeit und zeitlicher Konstanz existieren. Eine große Rolle bei der Entstehung von Beziehungen spielen gemeinsame Interessen- und Problemlagen, wie sie aus lebenszyklischen Zusammenhängen resultieren. Wenn man Kinder im selben Kindergarten hat, führt das nicht nur zu häufigerem Zusammentreffen, sondern erbringt auch einen ganzen Komplex situationsbezogener und für die Beteiligten gleichermaßen bedeutsamer Gesprächsthemen (Weichhart 1990: 65). Für das Erhalten von Beziehungen spielt der Faktor der räumlichen Distanz – trotz der heutigen Möglichkeiten der Kommunikation – eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn häufig sind insbesondere Freundschaften vielfach durch gemeinsame Aktivitäten geprägt (Gross 1994: 83). Außerdem spielen neben den Kosten zur Distanzüberwindung (Telefon, 23

Heimat auf Zeit Fahrten, Post) das Zeitbudget und der psychische Aufwand eine große Rolle (Weichhart 1990). Durch den im Zeitverlauf stattfindenden Selektionsprozess bleiben im weiteren Distanzbereich nur noch solche Freundschaften erhalten, die durch enge und tiefe Beziehungen gekennzeichnet sind und sich auf der Basis gemeinsamer Interessen, Wertvorstellungen und Erlebnisse entwickelt haben. Auf individualgeographischer Ebene, also in den Interviews mit den Expat-Frauen in Damaskus, liegt der Schwerpunkt auf deren Kernnetzwerk. Es geht vornehmlich um die Erfassung der so genannten starken Beziehungen. Diese sind deshalb forschungsrelevant, weil gelingende soziale Einbindung in die Expat-Gemeinschaft eine Grundvoraussetzung dafür darstellt, einen Ort als Heimat empfinden zu können. Bei der Analyse der sozialen Grundstruktur der Expat-Gemeinschaft werden die existierenden sozialen Gruppen untersucht. 1.4 Aktionsraumkonzept Individuen nehmen immer nur einen Teil der objektiven Umfeldausstattung wahr und nutzen wiederum nur einen Bruchteil der wahrgenommenen Ausstattung aktiv. Das gilt für die Expat-Frauen in Damaskus genau wie für jede andere Frau anderswo auf der Welt. Friedrichs (1977: 306) drückt das folgendermaßen aus: »Stadtbewohner nehmen eine zweistufige Selektion der räumlichen Ausstattung des Stadtgebietes vor. Dies führt zu drei Räumen: der objektiven Stadtstruktur, die größer ist als der subjektive Stadtplan, der wiederum größer ist als der Aktionsraum. Es verringert sich die Menge der Ausstattungen von der objektiv vorhandenen zu der davon subjektiv wahrgenommenen bis zu den dann schließlich benutzten Gelegenheiten.« Abb. 1 verdeutlicht diese Zusammenhänge. Subjektive Stadtpläne entstehen, weil Stadtbewohner sich durch Informationsüberlastung gezwungen sehen, ihre Umwelt selektiv wahrzunehmen und selektiv auf sie zu reagieren (Friedrichs 1977). Ein solches Modell des Interaktionsprozesses Mensch-Umwelt zeigt deutlich, dass »der Einfluss der Umwelt auf das Verhalten der Menschen nicht davon abhängt, wie sie ist, sondern davon, was der Mensch von ihr wahrnehmen kann, des Weiteren, was er davon tatsächlich wahrnimmt und schließlich davon, wie er das, was er wahrnimmt, einschätzt« (Trieb 1974, zitiert nach Reuber 1993: 15). Räume und ihre Bestandteile werden also »aufgrund menschlicher Sinnesmodalitäten und gemäß individueller Dispositionen (...) immer nur spezifisch reduziert wahrgenommen werden können« (Gebhardt und Schweizer 1995: 10). Zudem hat sich in einigen Studien gezeigt, dass sich Bewohner bei der Suche nach Identifika24

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie tionsmöglichkeiten immer häufiger auf überschaubare und in ihren Zusammenhängen erlebbare Räume konzentrieren (vgl. Sachs 1993). Es handelt sich also bei subjektiven Stadtplänen um Ausschnitte, in denen Stadtbewohner sich orientieren können und über deren Ausstattung sie informiert sind. Dabei bestimmen der Grad der Vertrautheit mit der objektiven Stadtstruktur – beeinflusst durch die Intensität der ausgeübten Aktivitäten – und der affektive Bezug zu ihr die genaue räumliche Ausdehnung des subjektiven Stadtplans ebenso wie seine innere Differenzierung (Wehling 1981: 99). »Unlike social events, in which people and their interactions dominate the situational context, physical settings are the backdrop against which these events occur. The person is less likely to be aware of the physical setting and its properties than he is of the people, their activities and characteristics as they behave in these contexts« (Proshansky u. a. 1983: 63). Ein Aktionsraum umfasst die zur Befriedigung von Bedürfnissen aufgesuchten Standorte. Die Bedingungen, die das Entstehen, die Art und die Größe von Aktionsräumen beeinflussen, lassen sich mittels individualistischer Theorien erfassen: Es wird davon ausgegangen, dass Individuen Aktivitäten ausüben. Deren Art hängt von Merkmalen der Individuen ab, z. B. von Alter und Einkommen. Diese Theorien müssen den Kontext, die Ausstattung der Wohnumgebung mit Gelegenheiten ebenso berücksichtigen (Clar 1979: 24) wie handlungsbegrenzende Zwänge. Letztere werden von Hägerstrand (1970) folgendermaßen konzeptualisiert: • »capability constraints« betreffen physiologische Bedürfnisse (z. B. Schlafen und Essen) sowie soziokulturelle Merkmale (z. B. Verfügbarkeit eines Autos), die sich aber durch finanzielle Mittel teilweise außer Kraft setzen lassen, • »coupling constraints« betreffen Aktivitäten, die die Anwesenheit anderer erfordern (z. B. Einkaufen, Schulzeiten, der Besuch von Freunden) und das potenziell nutzbare Handlungsfeld einengen, • »authority constraints« betreffen Verpflichtungen wie Behördengänge, die die Zahl der individuellen Aktionsraumentscheidungen reduzieren. »Mit dem allmählichen Hinein- und Hinauswachsen aus den verschiedenen Phasen des Lebenszyklus verändern sich die handlungsbegrenzenden Zwänge und gestatten oder verhindern die tatsächliche Ausnutzung des maximal verfügbaren Handlungsfeldes« (Dürr 1979: 85). So beschränken »Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder (...) in dieser Reihenfolge das aktionsräumliche Handlungsfeld junger Eltern, insbesondere das der Mut25

Heimat auf Zeit ter« (ebd.: 23). Derartige Zwänge lassen sich z. B. durch eine Haushaltshilfe oder durch die Anwesenheit der dritten Generation einschränken. Festzuhalten bleibt, dass die Stellung im Lebenszyklus Aktionsräume entscheidend beeinflusst. Bei Umzügen handelt es sich um »Wechsel des lokalen Lebenszusammenhanges« (Herlyn 1988: 115) – die bisherige lebensweltliche Balance wird aufgebrochen. Bei der Neuorientierung gelangen zunächst jene Einrichtungen ins Wahrnehmungs- und Aktionsfeld, deren Nutzung mehr oder minder scharfen Zwängen unterliegt (Schule, Geschäfte). Mit zunehmender Wohndauer weitet sich das Netz der Informationskanäle sozial wie räumlich aus. Die Kenntnisse über die objektive Umwelt nehmen zu. Der Wahrnehmungsraum gewinnt an Stabilität und die Aufnahme neuer Information verlangsamt sich. Die Routinephase ist erreicht. Ist das Raumverhalten des Neuzuzüglers noch instabil und, bezogen auf seine Bedürfnisse sowie das objektiv vorhandene raumstrukturelle Angebot suboptimal, spielen sich im Laufe der Zeit bedürfnisgerechtere und zugleich individuelle Routinen ein. Allerdings besitzen Wahrnehmungs- und Kenntnisfelder auch dann große zeitliche Persistenz, wenn sie nur einen kleinen Abschnitt aus der Raumstruktur abbilden (Dürr 1979). Im Zusammenhang dieser Studie ist entscheidend, dass Expatriates ihr einmal erworbenes Wissen über Standorte jeweils an neuzuziehende Expatriates weiterreichen. Es gibt also geteiltes Wissen über alltagspraktische Gegebenheiten, das als spezifisches »Expat-Wissen« über Damaskus eine wirksame Bezugsbasis sozialer Prozesse darstellt. Der Terminologie von Giddens (1977) folgend könnte man sagen, dass der Aspekt der Kontextualisierung vor allem auf der Ebene des »praktischen Bewusstseins«, als implizites Wissen, wirksam wird. Es ist dieser Rahmen, in dessen Grenzen die individuellen Aktionsräume der einzelnen Expatriates entstehen. 1.5 Identitätskonzept Identität gehört zur elementaren Wesensausstattung des Menschen (vgl. Erikson 1976). »Die Identität ist eines der wichtigsten Bestandteile des Selbst. Umschrieben könnte man sie als Rückgrat der Persönlichkeit bezeichnen« (Groß und Bock 1988: 16). Identität ist auf den Einzelnen bezogen »der Zustand, in dem er seiner selbst gewiss ist, in dem er gelebtes Leben – Vergangenheit – tätig an die Zukunft zu knüpfen vermag, in dem er von den anderen, von der Bezugsgruppe oder den Bezugsgruppen voll akzeptiert ist« (Bausinger 1980: 9). Identität meint nicht nur Übereinstimmung mit der Umgebung, sondern vor allem mit sich selbst: »sich als 26

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie Individuum mit unverwechselbarem Lebensentwurf, mit einzigartiger Komposition von Rollen und Rollenerwartungen, Bedürfnissen, Einstellungen und Perspektiven zu erkennen« (Mai 1989: 13). Integrale Bestandteile der Ich-Identität – Werkzeuge gewissermaßen, die zur ständigen Herstellung und Stabilisierung der personalen Identität beitragen – sind soziale, räumliche und kulturelle Identität. Unter sozialer Identität ist die Fähigkeit zu verstehen, verschiedenen Verhaltenszumutungen, die sich aus sozialem Miteinander zwangsläufig ergeben, gerecht zu werden, sich aber trotzdem nicht selbst aufzugeben. Kulturelle Identität entwickelt sich durch die Erfahrungen, die mit einer definierten Kultur gemacht werden. Aus kultureller Verankerung – der Möglichkeit, sich in einem bestimmten kulturellen Rahmen zu Hause zu fühlen – erwächst Selbsterfahrung (Bausinger 1986). Werlen (1992) betont die wichtige Rolle territorialer Kategorien. Räumliche Identität entsteht über Erfahrungen der Raumnutzung und Raumüberwindung, sie lässt sich als räumlicher Bezug sozialen Handelns fassen. Auch Gebhardt und Schweizer (1995) unterstreichen die Bedeutung raumbezogener Bindungen für die menschliche Identität. Räumliche Identität wird als Konvergenz von Ort und Selbst verstanden. »Through personal attachment to geographically locatable places, a person acquires a sense of belonging and purpose which give meaning to his or her life« (Proshansky u. a. 1983: 60; s. auch Buttimer 1984a/b). Dabei ist der »heimatliche Lebens- und Erfahrungsraum (...) ein wichtiger Orientierungsrahmen und das zentrale Bezugssystem zur Schaffung von Rollen- und Ich-Identität« (Dobbelstein-Osthoff 1990: 250). Allerdings verweist »der Verlust traditionaler, nachbarschaftlicher und familialer Bindungen und Sicherheiten, allgemeinverbindlicher Normen, Werte und Konventionen (...) das moderne Individuum zunehmend auf sich selbst, (...) vielfältige sich oft widersprechende (...) Verhaltensmuster und konkurrierende Sinnangebote individualisieren die Suche nach Sinn und Orientierung und damit die Identitätsmaßstäbe und Lebenskonzepte« (ebd.: 251). Das trifft ganz besonders auf Expatriates zu, die zusätzlich mit den Erfahrungen fremder kultureller Deutungsmuster konfrontiert werden. Während der frühkindlichen Sozialisation wird das Bindungsverhalten des Menschen entscheidend geprägt. Damit ist in erster Linie die Fähigkeit zur Ausbildung sozialer Bindungen gemeint. Es gilt aber ebenso für die Ausbildung raumbezogener Bindungen. »Diese Bindungskompetenz bestimmt mit darüber, wie notwendig es für einen Menschen im Rahmen seines Selbstkonzeptes ist, eine raumbezogene Identität zu entwickeln und auch, wie leicht bzw. schwer es ihm fällt, diese an einem neuen Wohnort aufzubauen« (Gebhardt und Schweizer 1995: 30). 27

Heimat auf Zeit In jedem Fall stellt die Mobilität des Expatriates seine örtliche Zugehörigkeit in Frage. Damit strapaziert sie seine räumliche, soziale und kulturelle Identität bis hin zur temporären Erfahrung von Identitätsverlust (Dürrmann 1994: 126). Die mehr oder weniger starken Anpassungsschwierigkeiten an einen neuen Kontext zwingen den Expatriate zu Identitätsarbeit. Die vielfältigen und neuartigen Handlungsoptionen machen eine verstärkte Auseinandersetzung mit der eigenen Person notwendig. Allerdings bewährt sich die Ich-Identität des Erwachsenen laut Habermas (1974) genau in der Fähigkeit, neue Identitäten aufzubauen und gleichzeitig die alte, überwundene zu integrieren. Der sich entwickelnde Lebensstil dient dann der Identitätssicherung und der bewussten wie unbewussten Zuordnung oder Abgrenzung.

2 Integrierter Ansatz der Studie, Fragestellungen und Ziele Der integrierte Ansatz dieser Studie soll anhand von Abb. 2 erläutert werden. Sie verdeutlicht die der Studie zugrunde liegende Synthese der fünf vorgestellten Konzepte. Besonders die Bedeutung geographischer Aspekte wird deutlich. Seit Mitte der 1980er Jahre setzt sich in der Sozialgeographie eine differenzierte Sicht »sozialer und personaler Aspekte von Ortsbindung auf verschiedenen Maßstabsebenen durch« (Gebhardt und Schweizer 1995: 3). Wechselbeziehungen zwischen der räumlichen und der sozialen Umwelt und dem raumbezogenen Handeln und Verhalten werden untersucht (vgl. Schwesig 1988). Die Begriffe Heimat, Identität und (lokale) Identifikation werden zunehmend stärker berücksichtigt. Aus geographischer Perspektive formuliert spielt beim Heimatkonzept der Aspekt der Aneignung von Heimat eine ganz große Rolle. Es geht darum, »sich im Raum sozial zu orientieren und ein räumliches Interaktionssystem zu entwickeln« (Sachs 1993: 19). Sowohl der entstehende Aktionsraum als auch die sich entwickelnden Netzwerke sind von großer Bedeutung – Heimat als »Identitäts- und Aktionsraum mit starker Betonung der Sozialbeziehungen« (Gerverus, zitiert nach Bütefering 1990: 417) und damit als »Gesamtheit menschlicher Bezüge zum sie umgebenden geographischen, sozialen und kulturellen Nahraum« (Bausinger, zitiert nach Mitzscherlich 1997a: 102). Genau diese Bezüge sind es, die der Expatriate gerade verloren hat, wenn er ein neues Posting antritt. Und er steht vor der Aufgabe, diese Bezüge erneut aufzubauen (s. Abb. 2). Dabei spielt die Selbstgestaltung der Alltagswelt eine entscheidende Rolle. Denn nur 28

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie durch deren Selbstgestaltung kann eine authentische Alltagswelt entstehen, in der sich das Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit, Vertrautheit und Entspannung in einer neuen Umgebung mehr oder weniger erfolgreich realisieren lässt (Mitzscherlich 1997a: 80). Es ist die Selbstgestaltung von Alltagswelt, die es erlaubt, Identität entweder zu erhalten oder, zumindest teilweise, zu gewinnen bzw. wiederzugewinnen. Routinen und Gewohnheiten bilden sich heraus, die sich für jeden einzelnen Expatriate zu seinem Lebensstil verdichten (s. Abb. 2). In der Konzeption dieser Studie wird Heimat also als aktiv gestaltete Umwelt begriffen. Expat-Frauen können sich in Damaskus »beheimaten«, indem sie ihre gegenwärtige Lebenswelt, ihre räumliche, soziale und kulturelle Eingebundenheit, aktiv mitgestalten. Auf diese Weise entsteht eine räumliche Bindung, die für den Einzelnen Qualitäten eines Heimatraumes aufweisen kann. Dabei drängt sich der Gedanke auf, es handle sich um einen Anachronismus – denn unserem klassischen Heimatverständnis wohnt, wie oben dargestellt, a priori weder zeitliche Begrenzung noch räumliche Beliebigkeit inne. Heimat wird vielmehr gemeinhin gleichgesetzt mit räumlicher Fixierung bzw. dauerhafter Verortung. Inwieweit sich dieser Anachronismus auflösen bzw. im Zusammenhang mit dem ExpatLeben gerade zur nötigen Relativierung beitragen kann, soll diese Studie zeigen. Ihre Hauptfragestellung lautet folgendermaßen: • Wie gestalten sich die lebensweltlichen Bezüge der holländischen, britischen und deutschen Expat-Frauen in Damaskus zum sie umgebenden geographischen, sozialen und kulturellen Nahraum einerseits und zu ihrem Heimatland andererseits? Bei der Beantwortung dieser Fragestellung verfolgt die Studie grundsätzlich drei Ziele: eines auf deskriptiver, eines auf analytischer und eines auf theoretischer Ebene. Auf deskriptiver Ebene soll zunächst die Alltags-Umwelt der Frauen beschrieben und interpretiert, ihr Handlungsrahmen dargestellt werden. Dabei wird Interpretation folgendermaßen verstanden: »Eine gute Interpretation (...) versetzt uns mitten hinein in das, was interpretiert wird« (Geertz 1987: 26). Natürliche »settings« werden beschrieben. Der sozialgeographische Raumbegriff steht »in einem Spannungsfeld zwischen dem physisch-materiellen Raum (...) und der ›sozialen Welt‹« (Blotevogel u. a. 1989: 69). Raum ist also immer zugleich sozial strukturierter Raum. »Auf der Ebene der ›Lebenswelt‹ wird der Raum als eine der Grundstrukturen der Alltagswelt relevant« (ebd.). 29

Heimat auf Zeit Folgende Fragestellung gilt es zu beantworten: • Wie gestaltet sich der Handlungsrahmen, in den sich das Leben jeder einzelnen Expat-Frau in Damaskus einzufügen hat? Auf dieser Grundlage soll dann die Lebenswirklichkeit einzelner ExpatFrauen analysiert werden, wobei mit Analyse das »Herausarbeiten von Bedeutungsstrukturen« (Geertz 1987: 15) gemeint ist. Das individuelle Webmuster eines Lebensstils wird begreifbar, indem man die Bindungen eines Individuums auf der räumlichen, der sozialen und der kulturellen Ebene in ihrer jeweiligen spezifischen inhaltlichen Formung erfasst; indem man die Strategien aufdeckt, mit Hilfe derer ein Individuum zu dem Punkt gelangt, an dem »die Übereinstimmung zwischen Person und Umgebung neu erfahrbar wird« (Mitzscherlich 1997: 226). Um die Lebenswelt der Subjekte in ihrer räumlichen und soziokulturellen Eingebundenheit typologisch erfassen und darstellen zu können, wird das Lebensstilkonzept von Hörning u. a. (1990a/b, s. o.) herangezogen. Es macht, von der Vorstellung der Gestaltungskompetenz der Akteure ausgehend, die Themenzentrierung von Lebensstilen zum Ausgangspunkt der Analyse. Lebensstil wird gewissermaßen an das Individuum angebunden und nicht an sozialstrukturellen Hintergrundvariablen festgemacht. Es handelt sich um einen subjekt- und handlungsorientierten Ansatz. Die konstitutiven Komponenten einzelner Lebensstile sollen herausgearbeitet und Lebensführungsstrategien untersucht werden. Auf individueller Ebene sind sie als Strategien der Alltagsorganisation zu fassen. Es geht um die Analyse der Strukturen der realen sozialräumlichen Welt der Expat-Frauen. Ziel ist es, eine Typologie der Expat-Frauen in Damaskus zu entwickeln, die auf der einen Seite die Unterschiede der verschiedenen Lebensstile herausarbeitet und gleichzeitig auf der anderen Seite die Gemeinsamkeiten zusammenfasst. Die Typologie muss den verschiedenen Handlungsmustern gerecht werden und damit die Lebenswelt der Frauen besser greifbar, besser begreifbar machen, indem sie sie abbildet. Diese Handlungsmuster ergeben sich aus einer jeweils typischen Verbindung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten und -barrieren in Damaskus mit den individuellen Handlungsmöglichkeiten, -grenzen und -zielen. Vor dem Hintergrund der individuellen Handlungsmuster der einzelnen Typen lassen sich im nächsten Schritt die Grundmuster sozialer Beziehungen innerhalb der Expat-Gemeinschaft analysieren. Dementsprechend sind folgende Fragestellungen zu beantworten:

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II Konzeption und Vorgehensweise der Studie • Wie sieht eine Typologie der Expat-Frauen in Damaskus aus, die die Alltagswirklichkeit einzelner Expat-Frauen zum Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung macht? • Wie gestalten sich die Interaktions- und Beziehungsmuster innerhalb der Expat-Gemeinschaft? Typenbildung hat zunächst heuristischen Wert. Sie stellt einen Vorgriff auf eine Theorie- oder Modellbildung dar. In diesem Sinne sollen die gefundenen Bedeutungsstrukturen im letzten Teil zu Konzepten verdichtet werden, die zueinander in Beziehung stehen. Eine empirisch fundierte Theorie über die Lebenswelt von Expat-Frauen soll entwickelt werden, und zwar im Sinne einer »gegenstandsbezogenen Theorie« (»grounded theory«) nach Glaser und Strauss (1979, 1993). Ziel ist es, »Phänomene im Licht eines theoretischen Rahmens zu erklären, der erst im Forschungsverlauf selbst entsteht« (Strauss und Corbin 1996: 32). Die Eigenart der Lebensstile von Expat-Frauen wird begreifbar über das Spannungsverhältnis zwischen der Bindung an das Heimatland und der Bindung an das Gastland. Nur wenn soziale wie räumliche Einbindung in der Gegenwart gelingen, wird Beheimatung möglich. Bei Expatriates, die nur temporär an einem Ort leben, kommt es nicht zur Konstruktion von Heimat, sondern zu deren Rekonstruktion an einem beliebigen Ort – zur Konstruktion von »Heimat auf Zeit«. Ziel ist die Annäherung an das Spannungsverhältnis, dass für Expatriates notwendigerweise zwischen Heimatland und »Heimat-Gastland« entstehen muss. Dieses Spannungsverhältnis wird im Rahmen des Bindungspotenzials analysiert. Im Verlauf der Erhebungen hat sich herauskristallisiert, dass zunächst die Bindungsrealität zu untersuchen ist, wenn man die Lebenswirklichkeit von ExpatFrauen verstehen will. Hier kommt dem Aktionsraum Expat-Insel entscheidende Bedeutung zu. »Heimat auf Zeit« lässt sich also operationalisieren, indem Bindungsrealität und Bindungspotenzial des Expat-Lebens thematisiert werden. Dementsprechend sind folgende Fragestellungen zu beantworten: • Wie gestaltet sich der in Damaskus entstehende Aktionsraum der Expat-Frauen? • Wie gestaltet sich das Spannungsverhältnis zwischen der Bindung an das Heimatland und der Bindung an das Gastland?

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Heimat auf Zeit 3 Empirisch-methodisches Vorgehen (1) Methodik Die Methodik dieser Studie ist dem alltagswissenschaftlichen Forschungsansatz der Geographie zuzuordnen (Geipel 1985) – die Geographie trifft sich vor allem mit der Soziologie des Alltags. So ist auch verständlich, dass die empirische Sozialforschung in die Sozialgeographie Eingang fand. Die Frage nach der hermeneutischen Position des Forschers hat sich verstärkt und teilnehmende Beobachtung wird zur »Bedingung der Möglichkeit sozialgeographischen Forschens« (ebd.: 212). Im Sinne hermeneutisch-konstruktivistischen Verstehens kann es »letztlich nur zu einer Annäherung zwischen Forschern und Untersuchungsobjekt kommen, nie zu einer distanzauflösenden Übereinstimmung« (Gebhardt und Schweizer 1995: 21). Es kann keinen Endpunkt des Interpretierens geben. »In der hermeneutischen Erkenntnisspirale können durch Näherungsprozesse an die vermeintliche Wahrheit immer nur verschieden stark elaborierte ›Verstehens-Niveaus‹ (Heller 1987: 434) erreicht werden, von denen aus der Interpret immer neu zu verstehen beginnt« (Gebhardt und Schweizer 1995: 21). Gütekriterium des hermeneutisch orientierten Wahrheits- und Wissenschaftsbegriffes ist es, für die Anzahl der untersuchten Fälle zu einem plausiblen und wahrscheinlichen, weil in sich widerspruchsfreien Erklärungsgehalt zu gelangen. Eine solche Methodik kann in geographischen Untersuchungen »den Sinn, den die Menschen der Welt geben, ihre Wirklichkeiten (...) herausarbeiten« (Pohl 1989: 39, zitiert nach Gebhardt und Schweizer 1995: 21). (2) Position der Forscherin Ausgangspunkt der Feldforschung über Expat-Frauen in Damaskus war unstrukturierte teilnehmende Beobachtung. Das war insofern möglich, als ich inmitten der Expat-Gemeinschaft gelebt und mich mit der Lebenswelt der Expat-Frauen identifiziert habe. In Studien, die auf empirischen Daten beruhen, ist die Position des Forschenden in der beforschten Gemeinschaft, die Subjektgebundenheit, zu berücksichtigen. Denn der Forschende fungiert gewissermaßen als methodisches Instrument. Hintergrundwissen und Grad der Involviertheit sind entscheidende Parameter, die Einfluss haben auf die Güte des Datenmaterials und darauf, in welchem Licht die Daten zu sehen sind. Einige Forscher befürchten bei zu tiefem Eindringen des Forschenden in die 32

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie betreffende Lebenswelt eine mögliche Beeinträchtigung der Qualität der Daten, denn Probleme bei der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Deutungen sind nicht immer völlig auszuschließen. Andere – und ihnen schließe ich mich an – sind trotzdem überzeugt, dass »eine ehrliche Identifikation mit der betreffenden Lebenswelt wohl eher nützen als schaden« (Girtler 1992: 63ff.) wird. Gerade diese Identifikation ermöglicht es, die Alltagswelt, die Alltagswirklichkeit der Frauen zu verstehen und in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen. Darüber hinaus kann man damit rechnen, auf Offenheit zu stoßen, wenn man in der Gemeinschaft sozialisiert ist. Ich habe bei allen Interviews konsequent betont, dass ich gerne erfahren möchte, wie sich dieses Leben – völlig losgelöst von meinen eigenen Erfahrungen – für andere Frauen anfühlt, wie sie dieses Leben erleben und beleben, wie sich ihre ganz persönliche Alltagswirklichkeit gestaltet und warum so und nicht anders. In diesem Sinne habe ich versucht, mein Wissen einzusetzen, um es zu erweitern und mein eigenes (Vor-)Verständnis einer dauernden Modifikation zu unterziehen. Ich habe mich immer bemüht, Handlungssituationen durch die Augen der jeweils handelnden Expat-Frau zu sehen. (3) Grundgesamtheit Die Untersuchung beschränkt sich auf eine kleine Gruppe innerhalb der Expat-Gemeinschaft: auf britische, holländische und deutsche Frauen. Hierbei handelt es sich um eine methodische Notwendigkeit. Dadurch, dass ich in allen drei Ländern gelebt habe, stellte der Zugang zu diesen Expat-Frauen kein Problem dar. Alle Interviews konnten in der jeweiligen Muttersprache geführt werden. Das macht es den Befragten leicht und kommt dem Sinngehalt der Interviews sehr zugute. Binationale Partnerschaften wurden von der Untersuchung ausgeschlossen, da bei solchen Paaren – einer britischen Frau etwa, die mit einem Holländer verheiratet ist – die Ausgangssituation eine andere ist. Es gibt kein gemeinsames Heimatland. Dadurch bietet sich das Expat-Leben häufig als »Kompromiss« regelrecht an. Der Prozess der Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur ist ganz anders motiviert. Auch Frauen, die im Rahmen ihrer eigenen Karriere nach Syrien kommen, wurden nicht einbezogen, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht, und unabhängig davon, ob der Ehemann dann selber arbeitet oder nicht. Ihr Leben gestaltet sich durch die Einbindung in den Arbeitsprozess völlig anders als das der nichtberufstätigen Frauen, da eine direkte Außendeterminierung der Zeitverwendung durch die Einbindung 33

Heimat auf Zeit in die Berufswelt besteht. Eine dieser sehr wenigen Frauen, die auf eigenen Wunsch an einer der Diskussionen teilgenommen hat, sei hier zitiert: Ich habe gemerkt, dass es eigentlich gar nicht so ein Unterschied ist, ob man in Deutschland arbeitet oder hier, weil, man hat seine Arbeitsstelle, fährt da morgens hin, kommt nach Hause, isst was, geht mal zu Freunden oder bleibt halt zu Hause dann (dis). Frauen dagegen, die mit ihrem Mann nach Damaskus kommen und sich dann vor Ort um einen Job bemühen, werden einbezogen. Dabei handelte es sich zum Zeitpunkt der Untersuchung in keinem Fall um eine Vollzeitbeschäftigung. Innerhalb der drei Nationalitäten wurden Interviewpartnerinnen unter bewusster Einbeziehung des »Kontextwissens« gewählt, um möglichst die gesamte Bandbreite der erlebten Alltagswirklichkeit, der gelebten Lebensstile, zu erfassen. Dabei wurden jeweils alle in Damaskus vertretenen Firmen sowie die Botschaften berücksichtigt. Darüber hinaus wurde darauf geachtet, Frauen aller Lebenszyklusphasen einzubeziehen. In Anhang II befindet sich eine kurze Darstellung aller interviewten Expat-Frauen. (4) Interviews In der Anfangsphase der Studie habe ich begonnen, jeder Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, nachzugehen – auch in Situationen, in denen ich davor weniger Interesse gehabt hätte. Denn ich wollte die Alltagswirklichkeit von Expat-Frauen aus den verschiedensten Blickwinkeln kennen lernen. Zunächst habe ich zehn unstrukturierte, explorative Tonbandinterviews geführt, in denen ich die Frauen angeregt habe, in narrativem Sinne über ihre Alltagswirklichkeit zu erzählen. Die Analyse dieser Daten – der Wichtigkeiten und Probleme, über die erzählt wurde – führte zu einer Themenzentrierung, welche wiederum die Entwicklung eines Leitfadens ermöglichte. Auf dieser Grundlage wurde zu halbstrukturierten narrativen Interviews übergegangen. Nach einer offenen, narrativen Phase wurden anhand des Interviewleitfadens in einer Gesprächsphase bestimmte Sinnzusammenhänge vertieft. Nach jedem Interview wurde in einem Postskriptum der situative Kontext des Interviews festgehalten, sodass spontane Eindrücke und Assoziationen nicht verloren gehen konnten. Diese Notizen haben die Auswertung des Interviewmaterials erleichtert. Die Untersuchung fand von Seiten der Expat-Frauen durchweg positive Resonanz und stieß auf großes Interesse. Mit einer Ausnahme waren alle der gefragten Frauen sofort bereit, ein zeitaufwendiges Interview (zwischen zwei und drei Stunden) zu geben. Das liegt vermutlich daran, dass 34

II Konzeption und Vorgehensweise der Studie Expat-Frauen in der Regel über ihre Lebenssituation reflektieren. Reflexion über das eigene Leben und die eigene Identität findet besonders in außergewöhnlichen Situationen statt – wie etwa im Ausland. Außerdem ist die Alltagswirklichkeit von Expatriates und damit die eigene Lebenssituation permanent Diskussionsgegenstand in der Expat-Gemeinschaft. Denn in schwierigen Situationen werden Teile des Alltagswissens Gegenstand bewusster Reflexion, vor allem dann, wenn dieses Alltagswissen – im Wesentlichen unreflektiertes Routinewissen – bei der Bewältigung aktueller Situationen versagt. Unvertraute Situationen regen gewissermaßen zum Innehalten und Neustrukturieren der Wahrnehmung an (Keller 1988). Diese Zusammenhänge erklären, warum die Interviews durchweg sehr aussagekräftig sind. (5) Gruppendiskussionen Das, was ich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erarbeitet hatte, habe ich immer wieder mit verschiedenen Expat-Frauen diskutiert. Auf informelle Art und Weise hat sich das im tagtäglichen Leben häufig ergeben. Ich habe aber auch die Methode der Gruppendiskussion angewendet. Es handelt sich um eine dem Alltag ähnliche Erhebungssituation, in der »tiefer liegende« Meinungen aktualisiert und spontane Reaktionen hervorgerufen werden (Friedrichs 1980: 246). Ich musste feststellen, dass sich bei einer größeren Gruppe mit zehn oder mehr Teilnehmern ohne Eingreifen schnell Untergruppen bilden. In kleineren Diskussionsrunden dagegen (vier bis höchstens acht Personen) haben sich Positionen und Stellungnahmen sehr deutlich herauskristallisiert. Bei einigen der sieben Gruppendiskussionen wurden zunächst Teilergebnisse vorgestellt. Die eigentliche Diskussion habe ich immer mit einer Eingangsfrage als Grundreiz eröffnet. Es handelte sich um Fragen wie die Folgenden: Was ist für euch Heimat und wie wichtig ist euch Heimat überhaupt? Sind Expatriates Touristen? Was ist für euch hier in Syrien eigentlich anders als zu Hause? Gibt es sie, die Expat-Kultur? Im Laufe der Diskussionen hat sich der thematische Schwerpunkt verschoben, aber er ist immer forschungsrelevant geblieben, sodass ich kaum steuernd eingegriffen habe. (6) Erstellung von »mental maps« Ein weiteres methodisches Instrument fand Anwendung. Die Frauen wurden am Ende des Interviews gebeten, eine Karte davon anzufertigen, wie sie Damaskus sehen. Die resultierenden »mental maps« von Damaskus 35

Heimat auf Zeit sollten bei der Typenbildung unterstützend herangezogen werden. Leider bewährte sich diese Methode nur begrenzt. Zunächst habe ich die Bezeichnung »Karte« nach einigen Versuchen bewusst gemieden. Um die Hemmschwelle möglichst gering zu halten, habe ich um eine »Zeichnung« gebeten. Trotzdem hat etwa die Hälfte der Frauen gesagt, es sei zu schwierig, eine derartige Zeichnung anzufertigen. Begründung war in aller Regel fehlender Orientierungssinn. Eine Frau sei stellvertretend zitiert: My driver, he knows the way, you see, I just sit in the car and relax (eng2).5 Und bei etwa der Hälfte der vorhandenen Zeichnungen handelt es sich um innerhalb von Sekunden abgebrochene Versuche. Diese Frauen sind zu einer wörtlichen Umschreibung übergegangen. Hier irgendwo müsste ich jetzt den Suk einzeichnen oder so (deu10). Bei der Analyse der Lebenswirklichkeit der Expat-Frauen wird eine vergleichsweise aussagekräftige »mental map« zur Verdeutlichung herangezogen (vgl. Abb. 11). (7) Datenmaterial und dessen Auswertung Das empirisch ausgewertete Material setzt sich zusammen aus: • transkribiertem Textmaterial (vollständige Tonbandprotokolle) von 36 zwei- bis dreistündigen Interviews (ca. 100 Stunden Tonbandmaterial), • Notizen zu den einzelnen Interviews, • »mental maps« der Probanden (wenn vorhanden), • transkribiertem Textmaterial von sieben Diskussionsrunden (ca. 20 Stunden Tonbandmaterial), • Notizen zu vielen informellen Diskussionen, • (kumuliertem) Kontextwissen der Forscherin zum jeweiligen Zeitpunkt der Interpretation. Die Auswertung von transkribierten Interviews mit verstehend-hermeneutischen Verfahren ist ein sehr komplexer Interpretationsvorgang und lässt sich letztlich »selbst bei Bereitstellung des komplett transkribierten Textmaterials nur bedingt nachvollziehen« (Gebhardt und Schweizer 1995: 25). Durch die Auswahl geeigneten Quellmaterials ist es jedoch möglich, die Ergebnisse zu veranschaulichen und zu dokumentieren und damit dem Postulat der Plausibilität nachzukommen. Die ausgewählten Zitate sollten »exemplarischen Charakter haben. Dabei heißt ›exemplarisch (...) das Wesentliche zu durchdringen und am Einzelbeispiel ursprüngliche

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II Konzeption und Vorgehensweise der Studie Phänomene der geistigen Welt sichtbar zu machen‹ (Tübinger Beschlüsse 1951, S. 123)« (Gebhardt und Schweizer 1995: 25). Die exemplarische Darstellungsweise anhand von Interview-Zitaten wird in dieser Studie folgendermaßen umgesetzt: Bei der Darstellung der einzelnen Typen wird jeweils der komplette Sinnzusammenhang eines einzelnen Interviews als Fallbeispiel rekonstruiert. Im Rahmen der gesamten Studie werden Zitate zur Dokumentation herangezogen, um thematische Teilaspekte zu verdeutlichen. Sprache spielt in der Expat-Gemeinschaft von Damaskus eine besondere Rolle. Die Expatriates werden sich der großen Bedeutung, die Sprache hat, tagtäglich bewusst. Die meisten ihrer Mitmenschen – Syrer sowie viele der anderen Ausländer – verstehen sie überhaupt nicht. Oft müssen sie sich einer Fremdsprache bedienen, um überhaupt Kontakt aufnehmen zu können. Und das gilt nicht nur für die meist rudimentären Kontakte zum Gastland, sondern auch für Kontakte innerhalb der Expat-Gemeinschaft. Durch Sprache konstituiert sich Wirklichkeit und keine Sprache ist in letzter Konsequenz in eine andere übersetzbar. Deshalb werden Zitate im Text im Original belassen. Sie bringen Aussagen in einer Weise auf den Punkt, die sich in der Übersetzung nicht genauso treffend wiedergeben lässt. Eine Übersetzung findet sich in den Anmerkungen. Während der Interviews wurden die Frauen nicht »abgefragt«, sondern vielmehr zum Reflektieren angeregt. Sie erzählen ihre Geschichte, aus ihrer Sicht. Da die Frauen ausnahmslos über einen sehr hohen Reflexionsstatus verfügen, geben sie mit der Selbstinterpretation ihre Situation treffend wieder und legen sie entsprechend dar. Insofern ist es sinnvoll, die Inhalte tatsächlich mit den Äußerungen der Frauen zu transportieren, sie also selber erzählen zu lassen. Bei der Darstellung der verschiedenen Expat-Typen handelt es sich im Wesentlichen um deren Eigenformulierungen. Nur Übergänge wurden gelegentlich eingearbeitet und einige Interviews wurden umgestellt. Bei den englischen und holländischen Interviews ergibt sich das Problem der sprachlichen Wiedergabe. Aus Gründen des Leseflusses habe ich mich letztendlich entschieden, diese Interviews trotz des Verlustes an Authentizität nicht im Originalton wiederzugeben, sondern in deutscher Übersetzung. Begriffe wie Expatriate und Posting entstammen in der Regel dem englischen Sprachraum und gehören zum Jargon der Expat-Gemeinschaft, werden also von Engländern, Deutschen, Holländern, Schweden usw. gleichermaßen verwendet. Diese Begriffe haben im Deutschen keine ebenso eindeutige Entsprechung. Sie gehören gewissermaßen zur

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Heimat auf Zeit Sprachkultur der Expat-Gemeinschaft. Es handelt sich zwar um keine eigene Sprache, aber doch um eine eigene Terminologie. Deswegen werden die Begriffe im Text verwendet, gleichzeitig aber gekennzeichnet (z. B. local staff ) und der Eindeutigkeit halber im Glossar in Anhang II erläutert. Eine Ausnahme wird, wie im Vorwort erwähnt, nur bei den Begriffen Expatriate bzw. Expat und Posting gemacht, die eingedeutscht verwendet werden.

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus

III

Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus

Die Expat-Gemeinschaft in Damaskus umfasst – betrachtet man die westeuropäischen Herkunftsländer – etwa 500 Ausländer mit ihren Familien. Tab. 1 gibt einen Überblick über diese Gemeinschaft. Tabelle 1: Zusammensetzung der Expat-Gemeinschaft in Damaskus (geschätzte Anzahl Familien, durchschnittliche Angaben für 1999)

Firmen mit großer Filiale (Shell / Elf)

Botschaften

Kleine Firmen, andere Organisationen

Briten Holländer Deutsche Andere*

67 61 3 67

11 7 11 130

28 -12 85

106 68 26 282

Insgesamt

198

159

115

482

Nationalität

Insgesamt

* restliche westeuropäische Herkunftsländer

Die individuelle Zusammensetzung dieser Gemeinschaft ist einer sehr hohen Fluktuation unterworfen, da jeder einzelne Expatriate nur etwa vier Jahre in Syrien verbringt. Einen Großteil der Expatriates stellt Shell – eine britisch-holländische Firma mit der bei weitem größten ausländischen Niederlassung. Derzeit leben etwa 150 ausländische Shell-Mitarbeiter und ihre Familien in Damaskus. Es handelt sich vornehmlich um Holländer und Engländer sowie einige Deutsche. Für die Firma Elf sind etwa 40 Ausländer, vornehmlich Franzosen, in Damaskus. Des Weiteren gibt es Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen, wobei hier die Botschaften der Amerikaner, der Franzosen und der Italiener zu den größten zählen. Außerdem gibt es einige Firmen mit kleineren Niederlassungen in Damaskus wie etwa Siemens und einige Institutionen wie archäologische Institute (z. B. ein deutsches und ein französisches), Kulturinstitute (z. B. Goethe-Institut, British Council) und Entwicklungshilfeprojekte (z. B. Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ). Zudem gibt es die Vertretungen der UN.

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Heimat auf Zeit 1 Individuelle Einflussfaktoren 1.1 Stellung im Lebenszyklus Eine Expat-Frau kommt entweder als Ehefrau oder als Ehefrau und Mutter mit ihrer Familie nach Damaskus. Sie misst dem Lebensbereich »Familie« primär eine sehr hohe Bedeutung bei, denn sie ist bereit, ihrem Mann ins Ausland zu folgen. Sie lässt die weitere Familie sowie ihren Freundeskreis in der Heimat zurück oder hat das vor vielen Jahren bereits getan. Oft hatte sie nicht die Chance, je selber zu arbeiten oder sie hat die eigene Karriere unterbrechen, wenn nicht gar beenden müssen. Das Familientemperament, die spezifische Balance, die für eine Familie typisch ist, gibt den täglichen Routinen einer Familie ihre familientypische Prägung (Kreppner 1989: 300). Es entsteht eine innerfamiliale Handlungs- und Beziehungsstruktur, die starken Einfluss hat auf das außerfamiliale Verhalten der Frau – völlig unabhängig davon, ob es sich um eine Expat-Frau handelt oder nicht. Wechsel im Familienzyklus üben erhebliche Einflüsse auf dieses familiale Verhalten aus (Scheller 1989: 156), denn mit den verschiedenen Phasen der Familienentwicklung gehen wechselnde Bedürfnisse, Aufgaben und Anforderungen einher, die zu ungleichen Mustern der alltäglichen Lebensführung, auch im räumlichen Kontext, führen. Im Folgenden wird die Grundstruktur der einzelnen Lebensphasen kurz umrissen. Dabei wird besonders auf die Arbeiten von Nave-Herz (1989) und Nauck (1989) Bezug genommen. Die Beziehung kinderloser junger Paare ist in der Regel durch relativ hohe Außenorientierung und durch vergleichsweise wenig festgelegte Geschlechterrollen gekennzeichnet. Beim Übergang zur Elternschaft sind wesentliche Strukturveränderungen zu verzeichnen, die vor allem für die alltägliche Lebensführung von Frauen folgenreich sind. Die Aufgabenteilung wird häufig deutlich traditioneller. Das Verhalten von Familien mit kleinen Kindern zeichnet sich durch Kindzentriertheit und Häuslichkeit aus. Viele Familien ziehen sich auf die Familie zurück. Diese Familien- und Innenorientierung des Alltagslebens führt zu einer Stabilisierung der familiären Gruppenidentität und wird nicht unwesentlich über die nicht-(mehr-)berufstätige Frau im Mittelpunkt der Familie erzielt (Nauck 1989: 335, Nave-Herz 1989: 218). Häufig wird in dieser Phase das Verhältnis zur Herkunftsfamilie überdacht und neu definiert. Auch in der Familie mit schulpflichtigen Kindern ist das Verhalten 40

III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus weiterhin durch Familienzentrierung gekennzeichnet, wobei das Freizeitverhalten stetig vielseitiger und außenorientierter wird. Die Mutter ist nachmittags häufig mit dem Bringen und Abholen ihrer Kinder beschäftigt. Gleichzeitig erfolgt eine Integration der gesamten Familie durch gemeinsame Freizeitaktivitäten. Sobald das jüngste Kind etwa zwölf Jahre alt ist, nimmt diese Familienzentrierung langsam wieder ab (Nauck 1989: 337). Es folgt die Phase der Familie mit Jugendlichen, die sich lösen und langsam selbstständig machen. Nach dem Weggang aller Kinder kommt die Phase des leeren Nestes, in der die Frauen ihrer Verpflichtungen als Hausfrau und Mutter mehr oder weniger stark entbunden sind. Sie können sich zunehmend wieder ein eigenes Leben ohne familiäre Verpflichtungen aufbauen. Die letzte Phase der lebenslangen Transition der Familie ist die der »Familie im Alter«. Sie ist aber für diese Studie ohne Bedeutung, da es sich dabei um eine Zeit handelt, die mit dem Ruhestand beginnt und in aller Regel nicht mehr als Expatriate verbracht wird. Zudem gibt es noch die kinderlosen Ehen. Die verschiedenen Phasen der Familienentwicklung sind also durch qualitative Unterschiede in der Rollen- und Interaktionsstruktur innerhalb der Familie gekennzeichnet. In Abhängigkeit von der Familiengröße wandeln sich die Anzahl der Interaktionsmöglichkeiten sowie die Dichte innerfamilialer Beziehungen (Lüschen 1989). Bei geringeren innerfamiliären Aufgaben ist der Kontakt zu selbstgewählten Freunden generell intensiver. Im Rahmen der Expat-Gemeinschaft in Damaskus ist eine gewisse Reduktion der familialen Rollen zu verzeichnen, die einer Frau als Ehefrau und Mutter im Allgemeinen zugeschrieben werden. Das hängt damit zusammen, dass es üblich ist, eine maid zu haben, die im Durchschnitt fünf halbe Tage pro Woche für den Haushalt sorgt. Zudem ist sie in variierendem Umfang für die Kinder zuständig. Das Leben von Expat-Frauen, besonders solchen mit kleinen Kindern, ist im Vergleich zum Heimatland also durch Zeitwohlstand im Sinne frei verfügbarer, relativ flexibel zu gestaltender Zeit gekennzeichnet. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Kinder im Ausland häufig länger unselbstständig bleiben, da es keine kindgerechten Wohnviertel in europäischem Sinne gibt. In Damaskus ist es z. B. unmöglich, dass Kinder unter zehn alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Kinder bleiben viel länger auf die Mutter angewiesen. Because, really, I spend my whole afternoon running them around, from one place to another. They want to see friends in the afternoons. So that’s my taxiing around time and crumbling all 41

Heimat auf Zeit the other jobs in (eng1)6, so eine Mutter mit zwei Kindern im Alter von fünf und sieben Jahren. Viele Frauen haben allerdings zumindest stundenweise einen syrischen Fahrer, der diese Aufgaben, gerade bei älteren Kindern, zum Teil übernimmt. Die Familienphase mit Jugendlichen, die sich langsam von zu Hause lösen, ist für Expat-Frauen häufig sehr einschneidend. Viele Familien schicken ihre Kinder in diesem Alter mangels Verfügbarkeit ihnen adäquat erscheinender Schulen in Damaskus auf Internate im Heimatland. Sie entlassen sie aus dem Schoß der Familie. In diesem Zusammenhang spricht eine Deutsche aus, was bei vielen Expat-Frauen anklingt: Den Unterschied sehe ich teilweise bei Engländern und Holländern, was so die Einstellung zu Kindern anbelangt, dass es für die Engländer doch selbstverständlich ist, die Kinder zur boarding school zu schicken, da merke ich doch bei Holländern, dass die doch gerne dann nach Holland gehen würden. Das Denken von den Holländern ist da sicher dem der Deutschen ähnlicher, dass die sich nicht vorstellen können, ein 11-jähriges Kind auf eine boarding school zu schicken (deu2). Bei englischen Expat-Frauen wird der Besuch eines Internats häufig sogar als regelrechtes Privileg für die Kinder angesehen: It is absolutely normal to send your child away, and when something is normal you don’t question it as much, no other nation has this extraordinary habit. In Britain it is known to be the best opportunity (eng9).7 In England zählen sehr viele Internate zu den besten Schulen. Oben wurde die Reduktion der familialen Rolle erwähnt, mit der sich eine Expat-Frau im Ausland plötzlich konfrontiert sieht. Interessanterweise äußern sich viele, gerade jüngere Expat-Frauen trotz des vergleichsweise hohen Maßes an frei verfügbarer Zeit darüber, dass sie das Gefühl haben, in Damaskus weniger selbstständig zu sein: Du bist hier immer nur zu zweit. Ich existierte nur mit Richard, nicht mehr als Elisa alleine (deu3). Eine andere Frau sagt: Der andere Nachteil ist natürlich, was ich auch aus meinem Leben aus Deutschland gar nicht kenne, dass die ganze Familie immer als Einheit irgendwo ist. Ich meine, ich sehe unsere Familie schon als Einheit, ich hatte aber immer auch eigene Kontakte, die mein Mann nicht kannte, wobei ich ihm nichts vorenthalten will. Aber ich hatte irgendwie mehr das Gefühl, ein eigenes Leben zu führen als hier (deu2). Jüngere Frauen zeichnen sich im Gegensatz zur älteren Generation ganz generell durch eine Unbescheidenheit der Lebensziele aus. Sie gehen davon aus, dass Glück machbar ist und planen ihr Leben sehr viel bewusster und eigenständiger. In Syrien fühlen sich diese Frauen dann eingeengt, da ihnen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, die sie in Europa hätten, fehlen. Ältere Frauen dagegen identifizieren sich

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus vergleichsweise vorbehaltlos mit ihrer Rolle als mitgehender Ehefrau und Mutter. 1.2 Motivation und Lebensziele Die Chancen, die das Expat-Leben bereithält, spiegeln sich in den Motiven wider, die Expat-Frauen dazu bewegen, ein solches Leben zu führen. Im Folgenden möchte ich anhand des Datenmaterials diese Motive ergründen. Auch die Lebensziele von Expat-Frauen werden dabei deutlich. (1) Zusammenleben mit Mann und Kindern Die Familie nimmt bei vielen Expat-Frauen, genauso wie bei anderen Frauen auch, subjektiv einen sehr hohen Stellenwert ein. Und in erster Linie spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, wo man mit seiner Familie lebt, solange man als Familie zusammen lebt. Der Familie wird der Sinn des Lebens zugeschrieben. Oftmals werden Kinder zum wichtigsten Bezugspunkt für die Orientierung der Mütter, so sehr, dass Kinder zu einem selbstständigen Träger für die Sinngebung der Erfahrungen ihrer Mütter werden. Der Umgang mit Kindern an sich wird zu einer Art Wert. Ehe und Familie stellen gewissermaßen die zentralen Werte der Lebensplanung dar und werden als Sinngebung der Lebensführung beurteilt (Nave-Herz 1989). If I boil down everything, I can see that my foremost motivation, everything that guides my entire life, changes the course of it, and makes me do things or not do things, is obviously the children and my husband. If anything happens to them my life is either destroyed or good. So this is very simple (eng13).8 (2) Neugierde, Abenteuerlust, Interesse an fremden Ländern Bei einigen Frauen liegen die Prioritäten ganz anders als eben beschrieben. Eine kinderlose Expat-Frau drückt es folgendermaßen aus: Also ich weiß nicht, wie dieses Leben mit Kindern ist, weil ja Kinder auch noch mal Kraft absorbieren: Einerseits finde ich es schon sehr schade, dass es bei uns jetzt so ohne Kinder geht, auf der anderen Seite denke ich manchmal: Es war auch ein großer Vorteil. Wir kennen ja viele andere Expats, da geht so manches schief, auch mit den Kindern (deu7). Kinder absorbieren Kraft. Diese Frau kann ihre ganze Kraft aufwenden, das Neue kennen zu lernen, das Fremde zu erforschen. Sie sagt dann weiter: Das Fremde muss reizvoll genug sein. Das ist für mich die Entschädigung (deu7).

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Heimat auf Zeit An dieser Stelle wird ein Schlüsselmotiv deutlich, das immer wieder auftaucht: Neugierde. Begeisterung für das Andere, das Fremde, das Neue. Well, I feel so settled now, so much so that I said to my husband the other day: if we were asked to go to Pakistan in January I would be delighted to go. Some new exciting horizon, and the fact of looking around town to find a nice place to stay, it gives me a buzz, it makes me feel alive. I guess this is what it is all about for me: excitement (eng6).9 Und eine andere Engländerin sagt Folgendes: After two and a half, three years I am ready to move again, I get itchy feet. It is an adventure for us. And when it stopped being an adventure we would probably stop doing it. I am all excited, it is stressful, yes, but exciting (eng10).10 Dieser Art von Abenteuer-Sehnsucht bin ich in den Interviews häufig begegnet. Folgendes Zitat könnte aus fast jedem Interview stammen: Was uns immer interessiert hat, waren die Länder: also die kennen wir (deu5). Expats reisen. Die meisten Expat-Frauen und ihre Familien bereisen nicht nur Syrien, sondern kennen sehr bald auch einen Großteil der Nachbarländer (Libanon, Jordanien, Türkei, Zypern). (3) Finanzielle Chance und richtiger Zeitpunkt Der finanzielle Aspekt spielt für die meisten Familien eine Rolle. Einen so klaren Zeitrahmen wie folgende kinderlose Expat-Frau setzen sich allerdings die wenigsten: Our aim is that we will be out ten years and see, and will achieve the aim which is financial security (eng5).11 Häufig dagegen spielt dieses Argument in Kombination mit dem richtigen Zeitpunkt eine große Rolle, gerade bei Frauen, die ihre Karriere unterbrochen haben und gerne später wieder einsteigen möchten: It is ideal to have one of the better paid postings while you have young children (eng1).12 (4) Bewusstwerdung der eigenen Kultur Das Leben im Ausland öffnet einem die Augen für die eigene Kultur, die eigene Heimat. Etwas, was einem häufig kaum bewusst ist, trotzdem aber im Unterbewusstsein eine Rolle spielt, wird plötzlich greifbar, klar, lässt sich in Worte fassen und gewinnt an Bedeutung: das Wissen um das, was die Heimat von anderen Ländern, anderen Kulturen unterscheidet. And I enjoy the insight you get of your own country when you are away from it. You know, you see it more objectively and you see it for its strengths and weaknesses (eng3).13 Durch die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur werden einem die eigenen Wurzeln entweder bewusster und wichtiger, oder aber 44

III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus sie verlieren an Bedeutung. In jedem Fall ist es unheimlich reizvoll, dass es ganz andere Wurzeln geben kann (deu7). (5) Auseinandersetzung mit fremden Kulturen, Weltoffenheit Eine Expat-Frau umschrieb ihre Auffassung vom Expat-Leben folgendermaßen: It was like seeing black and white photographs and suddenly they are all coloured (eng5).14 Das ist es, was sie so faszinierend findet am Expat-Leben, am Leben in Syrien: Sie kann auf kulturelle Details achten. Expatriates haben die Chance herauszufinden, warum Syrer etwas auf eine bestimmte Art und Weise machen und nicht anders. Als normaler Tourist kann man nicht hinter die Kulissen schauen, als Expat hat man zumindest die Möglichkeit dazu, wenn man sich ausreichend bemüht. (6) Die Möglichkeit wiederholten Neuanfangs Eine ehemalige Expat-Frau, die seit zwei Jahren wieder dauerhaft in ihrem Heimatland lebt, hat ihre Erfahrung mit dem Expat-Leben folgendermaßen auf den Punkt gebracht: The problem with being an expatriate is: I felt it never really was my life. You cannot really start your life: you are always on hold. Whatever you do you are waiting. Then I was very pleased to be back the first six months, but suddenly I thought: I have to sort out my life now, because this is it! Now it’s not: I can do this for a while now, and if it’s not that good, never mind. Suddenly I realized: One moment I was very happy I got a job, but then I thought: oh, very badly paid. I can’t sort it out. Had it been in Syria I would not have thought about it because I would not have seen myself in ten years. I would have thought: oh, its okay, better than nothing, we will leave anyway (eng13).15 Dieses Zitat zeigt, dass das dem Expat-Leben eigene Nomadentum als Problem wie als Chance empfunden werden kann. Expat-Frauen können immer wieder neu anfangen, müssen es aber auch. In jedem Fall müssen Expat-Frauen in der Lage sein, ihre eigenen Bedürfnisse den Möglichkeiten im Gastland anzupassen, auch wenn diese Möglichkeiten denen im Heimatland keinesfalls entsprechen. Eine deutsche Expat-Frau, die vorher immer gearbeitet hatte, hat sich selber zu Beginn des Postings in Syrien gesagt: Du wolltest dich immer verwirklichen, jetzt hast du die Chance dazu (deu6). Eine Holländerin formuliert es konkreter: Ik kan wel eens jalours zijn op een vriendin – zij heeft een leuke baan, gaat veel op reis en zo, maar ik zou dat toch niet hebben gedaan vanwege de kinderen. In Nederland zou ik, denk ik, meer huisvrouw zijn dan hier. Terwijl ik hier de kans had om verschillende dingen uit te proberen. Het 45

Heimat auf Zeit zou wel kunnen, dat er in Nederland andere mogelijkheden waren geweest, dat weet je nooit. Maar ik heb helaas niet het gevoel dat ik iets mis. Met de kinderen had ik nooit full-time willen werken. Op dit moment ben ik heel blij met wat ik hier doe en wat ik kan doen (hol1).16 (7) Bewusste Konfrontation mit dem eigenen Ich Während der Interviews wurde deutlich, dass viele der Expat-Frauen sich spätestens bei Beginn des ersten Postings sehr bewusst Gedanken darüber machen, was sie vom Leben erwarten und wie sie ihr Leben führen wollen. Stellvertretend wird eine kinderlose Frau zitiert, die – auf die Bitte, ihr tagtägliches Leben zu beschreiben – Folgendes antwortete: When we started thinking about going abroad I identified what made for a balanced life – no matter where I am, and since then I always try to fill in these components wherever I am. For me, religion plays an important role – so I joined the Anglican church here and that way actually met a few very interesting non-Shell people. Then, regular exercise is important, no problem there, then altruistic activity – I am in the church council and member of the Petroleum Wives, artistic activity – it is always music for me, singing, and I joined the choir, and then here I took up quilting. I started learning Arabic and through being involved in SPARC (s. III.1.3.1) try to make something happen in the community (eng5). 17 Es gibt zwei Studien neueren Datums, die sich mit dem Leben im Ausland befassen (Gross 1994, Medrano-Kreidler 1993), allerdings nicht auf analytischer Ebene, sondern unter normativen Gesichtspunkten. Handlungsvorgaben für Firmen werden entwickelt, um das Wohlbefinden von Expatriates zu steigern. In weitgehender Übereinstimmung mit dieser Studie werden die Gründe zusammengefasst, die Ehefrauen bewegen, mit ins Ausland zu gehen: »Der primäre Grund für die Ehefrau, den Mitarbeiter bei einem Auslandseinsatz zu begleiten, ist das Zusammenleben der Familie, gefolgt von der Karriere des Mannes und dem Interesse am Gastland. Der Lebensstandard des Gastlandes spielt nur eine untergeordnete Rolle« (Gross 1994: 145). Als weitere Gründe werden Abenteuerlust und die persönliche Weiterentwicklung wie die Horizonterweiterung für alle Familienmitglieder angeführt, ebenso der finanzielle Aspekt und die Abwechslung vom Hausfrauenalltag im Heimatland (Gross 1994, Medrano-Kreidler 1993).

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus 2 Wohnen und Leben in Damaskus Die Faszination darüber, ein Posting in Damaskus anzutreten, kann sich so zeigen: When it got Damascus we were sooo excited, I mean it is a terribly romantic part of the Middle East to be in, it still has nice buildings to look at, it has got a bit of oriental elegance and splendour, and spice, and mixture, and wonderful archaeology, and it is very exciting and we are thrilled to be here (eng9).18 Oder auch so: Als ich hörte, wir würden nach Damaskus gehen, war ich total fasziniert – eine orientalische Stadt, und wir würden dort wohnen! Als ich dann hinkam, in die Stadt meiner Träume, sah die Realität ganz anders aus – alles Grau, wenig Grün, viel Dreck und Schmutz überall. Schöne Ecken gibt’s, klar, aber nicht unbedingt hier in Mezze, eher in der Altstadt – und wir wohnen in Mezze, nicht in der Altstadt. Im Alltagsleben ergreift dich eben Romantik doch nur ganz selten, das ist hier nicht anders als anderswo (dis). Diese Frau relativiert ihre Begeisterung: Das Zitat thematisiert einen ganz entscheidenden Punkt: Expatriates leben in Damaskus, aber sie wohnen in einem Vorort. Karte 1 zeigt die Lage dieser Wohngebiete in Damaskus. Zum überwiegenden Teil wohnen Expats in Mezze, einem reichen Vorort im Westen von Damaskus. Es gibt einige, die in Malki wohnen, also auch im Westen der Stadt, aber näher am Stadtzentrum. Und sehr wenige kinderlose Paare haben ihr Apartment in der Nähe der ehemaligen Prachtstraße von Damaskus, der Abu Roumaneh – von dort ist die Altstadt problemlos zu Fuß zu erreichen. Das tagtägliche Leben spielt sich also für die meisten Expat-Frauen in Mezze ab: I feel at home in East and West Mezze, not in Damascus, my daily life really revolves round Mezze. I don’t feel that we make the most of Damascus (eng8)19 – but this is where you find realities, I think, in discovering that expat life is also about daily life, about making that work (dis).20 Allerdings gibt es auch Frauen, die ihr Leben von Anfang an anders gestalten: Mezze, ne, das ist mir erstens zu weit weg, ich wollte alles erlaufen können, und zweitens wollte ich auch mitten drinsitzen. Sonst ist man ja ein Außenseiter, ne. Ich bin das eh schon als Ausländer (deu5). Dieses Zitat stammt von einer Frau mit erwachsenen Kindern, die nahe der Abu Roumaneh wohnt.

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Heimat auf Zeit 2.1 Wohnstandorte der Expatriates Die meisten Expats haben kaum Mitsprachemöglichkeiten bei der Wahl einer Wohnung. Firmen und häufig auch die Botschaften mieten Wohnungen langfristig an und stellen sie ihren Mitarbeitern zur Verfügung. Es ist auch möglich, an der Auswahl beteiligt zu sein, dann etwa, wenn eine Wohnung, aus welchen Gründen auch immer, abgestoßen wurde und eine neue Wohnung mit einer eintreffenden Expat-Familie zusammen ausgewählt wird. Zudem kommt es vor, dass eine Wohngeldpauschale zur Verfügung gestellt wird und Expatriates über einen Makler selbst eine Wohnung anmieten. Die Wohnstandorte der britischen, deutschen und holländischen Expatriates in West und East Mezze sind in den Karten 2 und 3 wiedergegeben. Es handelt sich im Wesentlichen um Häuser mit jeweils zwei oder drei Apartments übereinander. Insofern kommt es häufiger vor, dass zwei oder mehr Expat-Familien ein Haus bewohnen. Ansonsten bewohnen wohlhabende Syrer die anderen Etagen. In die Karten 2 und 3 wurden nicht nur die Wohnstandorte der befragten Frauen aufgenommen, sondern auch die der übrigen Mitglieder der untersuchten Gemeinschaft. Da die Karten ausschließlich Mezze zeigen, fehlen einige wenige Wohnstandorte in den oben erwähnten anderen Teilen der Stadt. Die Karten spiegeln die starke Konzentration der Expatriates in Mezze wider. Wäre man an einer vollständigen Erhebung der Wohnstandorte von Expatriates aller Nationalitäten interessiert, würde diese Konzentration eine weitere Verstärkung erfahren. Expatriates ziehen ganz generell, und so auch in Damaskus, in die neuesten und modernsten Viertel am Rande einer Stadt. In Damaskus wird das, wie oben erwähnt, durch die Firmen und Botschaften zusätzlich vorgegeben. Gerade erdbebensichere Wohnungen werden in diesen Gebieten häufig über viele Jahre hinweg angemietet. Frauen, die glauben, dass sie sich in einem camp posting wohl fühlen würden bzw. es aufgrund eines vormaligen camp postings wissen, empfinden Damaskus tendenziell als solches. Frauen dagegen, die ein city posting vorziehen, empfinden Damaskus tendenziell als city posting. Eine ExpatFrau drückt diesen Zusammenhang folgendermaßen aus: This feeling like a camp here in Syria is peoples’ own choice. And it becomes a camp posting if you just stay in Mezze (eng11).21 Die räumliche Verdichtung der Expatriates erlaubt einigen, sich der Illusion hinzugeben, man lebe in einer Enklave – my lifestyle here easily fits into a camp lifestyle (eng3).22 Anderen erlaubt dieselbe Umgebung, sich der Illusion hinzugeben, man lebe unter den Ein-

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus heimischen – here we all live in different apartments, we are amongst all the local people, you can go to the Shell club if you like but if you don’t want to you don’t ever have to see anybody. This is a city and it is city live. It is more real than camp live (eng8).23 2.2 Versorgungseinrichtungen der Expatriates 2.2.1 Einkaufsmöglichkeiten In einer Großstadt wie Damaskus sind die Einkaufsmöglichkeiten, wie in jeder anderen Großstadt auch, schier grenzenlos – nur entsprechen sehr viele Dinge (z. B. Schuhe) nicht den europäischen (Qualitäts-)Vorstellungen. Im Folgenden geht es darum, die Geschäfte zu lokalisieren, von denen ein Großteil der Expatriates regelmäßig Gebrauch macht, weil sie den spezifischen Expat-Bedarf abdecken. Das impliziert in etwa Nutzung auf wöchentlicher Basis, um den alltäglichen bzw. kurzfristigen Bedarf zu decken, und Nutzung auf monatlicher Basis, um den mittel- und längerfristigen Bedarf zu decken. (1) Deckung kurzfristigen Bedarfs Eine gewisse Bedeutung kommt dem »Krämerladen um die Ecke« zu, der für viele Haushalte in einer und für alle innerhalb weniger Minuten zu Fuß erreichbar ist. Die Lage dieser Läden in Mezze ist in den Karten 4 und 5 dargestellt. Grundnahrungsmittel wie Milch und Joghurt sind in diesen Läden – im Gegensatz zu Deutschland – in der Regel billiger als in den größeren Läden, in denen es neben lokalen auch importierte und geschmuggelte Produkte gibt. Aber auch diese größeren Geschäfte sind nicht annähernd mit einem deutschen Supermarkt zu vergleichen, weder von der Größe noch vom Sortiment her. Der größte dieser Läden dürfte problemlos in eine durchschnittliche deutsche 2-Zimmer-Wohnung passen. Im Wesentlichen handelt es sich um drei Geschäfte. Diesen Läden sind von den Expatriates – unabhängig von ihrem richtigen Namen – mit eigenen Namen versehen worden. Der Kodak Shop in West Mezze (s. Karte 4) zeichnet sich durch ein vergleichsweise breites Sortiment an importierten Süßigkeiten und Windeln aus. Der German Store in Malki führt importierte Wurst, Schinken und offenen Käse. Der Family Shop zwischen Mezze und Malki ist ein Kaufhaus in Mini-Ausführung. Es gibt von allem etwas: Lebensmittel, Porzellan, Kleidung, Werkzeug, Spielwaren und vieles mehr. Das Einkaufsverhalten spiegelt die Auffassung, die eine Frau von ih-

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Heimat auf Zeit rem Posting hat, wider. Empfindet sie es als city posting, wird der Laden um die Ecke häufig und gerne frequentiert, empfindet sie es als camp posting, konzentriert sie sich auf die drei größeren »Expat-Läden«. Obst und Gemüse wird bei den mehr oder weniger fest installierten Händlern an vielen Straßenecken gekauft, wobei viele Expat-Frauen »ihren« Händler haben. Für importierte Obst- und Gemüsesorten wird besonders im Sommer auf Old Mezze zurückgegriffen, da es dort Händler gibt, die ihre Ware in Kühlschränken frisch halten. Sie bieten zwar ein breiteres Sortiment an, aber auch zu entsprechend höheren Preisen. An aufgesuchten Bäckereien werden immer wieder eine staatliche Bäckerei in West Mezze, die von Expatriates »Yellow Bakery« getauft wurde, genannt (s. Karte 4) und La Noisette (s. Karte 5). La Noisette ist ein Cafe, das voriges Jahr eine Zweigstelle in East Mezze eröffnet hat. Dort werden vergleichsweise dunkles Brot und westliche Backwaren verkauft. Eine häufig frequentierte Konditorei, fast schon eine französisch anmutende Patisserie, ist New Moca (s. Karte 5). Torten von dort fehlen bei kaum einem geselligen Beisammensein, an dem mehr als zwei oder drei Expat-Frauen teilnehmen. Es gibt vier Fleischereien, die von fast allen Expatriates genutzt werden. Eine davon ist in West Mezze (s. Karte 4), zwei sind in East Mezze (s. Karte 5) und eine ist in Malki. Die erwähnten Geschäfte lernen alle Expat-Frauen innerhalb ihrer ersten Tage in Damaskus kennen. In aller Regel zeigt eine Expat-Frau, die schon länger in Damaskus wohnt, einer neuankommenden Familie in einer Rundtour durch Damaskus u. a. auch diese Geschäfte. Empfehlungen und Erfahrungswerte anderer Expatriates werden von Neuankömmlingen sofort und gerne angenommen. Am Anfang spielt Unsicherheit, auch im Hinblick auf gesundheitliche Aspekte, dabei eine große Rolle. Später führen das erwähnte Expat-Angebot, aber auch die Macht der Gewohnheit dazu, dass die meisten Expat-Frauen sich auch weiterhin auf diese Läden konzentrieren. Die Aufgabe, Produkte des kurzfristigen Bedarfs zu kaufen, liegt bei vielen Familien weitgehend in der Hand eines Fahrers, der wöchentlich einmal oder auch mehrmals mit einer Einkaufsliste losgeschickt wird. Ab und zu fahren Expat-Frauen mit ihrem Fahrer mit, um sich einen neuen Eindruck des saisonalen Angebots, besonders bei den Obst- und Gemüseläden in Old Mezze, zu verschaffen.

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus (2) Einkaufsfahrten nach Chtoura Die Einkaufsfahrten nach Chtoura direkt hinter der libanesischen Grenze, wo die Auswahl an Lebensmitteln deutlich größer ist als in Damaskus, spielen eine wichtige Rolle. Einige Läden dort leben von Expats aus Syrien, Zwischenhändlern und reichen Syrern, die wegen des eingeschränkten Angebots in Syrien die zeitraubenden Grenzkontrollen über sich ergehen lassen, um teure westliche Lebensmittel zu erstehen. Diese Lebensmittel dürfen in Syrien entweder gar nicht vertrieben werden oder sie sind durch die Zwischenhändler deutlich teurer. Einige Expat-Frauen fahren monatlich nach Chtoura, die meisten aber eher unregelmäßig, einige auch gar nicht. Viele Familien nutzen Wochenendausflüge, um in Chtoura oder sogar Beirut einzukaufen. (3) Deckung des mittel- und längerfristigen Bedarfs Die Deckung des mittel- und längerfristigen Bedarfs weist eine ganz andere Struktur auf: Viele Expat-Frauen decken diesen Bedarf – Kleidung, Spielsachen für die Kinder usw. – in ihrem Heimatland. Häufig wird ein Mal pro Jahr eine (teilweise von den Firmen bezahlte) Fracht geschickt, die dann zusätzlich Lebensmittel enthält, die es in Syrien nicht gibt. Trotzdem spielen der Suk in der Altstadt und andere Haupteinkaufsgebiete wie Shalan und die Neustadt um die Ras Al Hamra Street eine nicht unbedeutende Rolle. Viele Frauen gehen gerne bummeln und kaufen dann gelegentlich etwas. Andere gehen gezielt, um Geschenke oder auch lokales Kunstgewerbe zu erstehen. Dabei empfehlen sich die Expatriates »ihre« Händler auf dem Suk gegenseitig. Ebenso funktioniert das für Teppiche und Schränke, Truhen, alte Türen usw. Einige gehen einer Sammelleidenschaft nach – stöbern z. B. nach alten Perlen, um selbst Ketten zu machen. Kunstliebhaberinnen gehen gezielt in Galerien. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Es bleibt festzuhalten, dass die Deckung des mittel- und längerfristigen Bedarfs nur im Heimatland Verpflichtungscharakter aufweist. Dort »muss« während des Urlaubs, also in begrenzter Zeit, alles gekauft werden, was sich im Laufe des Jahres auf einer langen Liste angesammelt hat, wie etwa Kinderspielzeug oder Schuhe für alle Familienmitglieder. Diese Liste führen alle Expatriates und viele finden, dass sie den Urlaub in gewisser Weise beeinträchtigt: Man ist ständig auf der Suche nach irgendetwas und hat dabei das Gefühl, die Chance nutzen zu müssen, im Heimatland einkaufen zu können. Allerdings lässt dieses Bedürfnis mit den Jahren 51

Heimat auf Zeit deutlich nach, man kommt zunehmend ohne anfangs noch als unabdingbar erachtete Dinge aus. In Damaskus wird, abgesehen von Lebensmitteln, nicht aus einem Gefühl der Notwendigkeit eingekauft, sondern vielmehr aus Spaß. Es wird nach Interessantem gesucht und häufig dann auch gekauft. Hiervon sind nur die ersten Monate auszunehmen, in denen viele Frauen sich um die Wohnungseinrichtung, also um Gardinen, fehlende Möbel und ähnliches kümmern. 2.2.2 Restaurants Die meisten Expatriates gehen häufig weg. Auch mit noch kleinen Kindern ist das durch die maid kein Problem. Expatriates laden sich oft gegenseitig ein oder gehen in einen der Clubs. Auch Restaurants werden besucht. Es lässt sich beobachten, dass besonders Le Chevalier am Restaurant Square und die Restaurants in der Altstadt, zwischen Bab Sharki und Bab Tuma, immer wieder genannt werden: Casablanca, La Guitarra, Zeitouna, Elisar, Omayyad Palace und das Arabesque. Beim syrischen Arbeiterclub handelt es sich um einen Restaurant-Tipp, der zum Zeitpunkt der Untersuchung wie ein Geheimtipp gehandelt wurde. In diesem einfachen Innenhof-Lokal hat sich eine ursprüngliche Atmosphäre erhalten, die die Expats genießen. Einige Expatriates gehen fast ausschließlich in syrische Restaurants. Generally in Damascus we would go to Syrian places. There are some lovely Syrian restaurants in the old town, and obviously eating out in a courtyard is nice, like the Zeitouna (...) we try to enjoy the things that are Syrian while we are here and then very much enjoy the things that are European when we go back (eng5).24 Aber auch die teureren Spezialitätenrestaurants in den Hotels werden erwähnt: der Japaner im Cham, die Pizzeria im Sheraton, der Chinese im Semiramis. Allerdings werden diese Restaurants eher zu speziellen Anlässen besucht. Viele Expat-Frauen können der syrischen Esskultur nur wenig abgewinnen. Also, es ist völlig egal, wohin man geht, irgendwie schmeckt syrisches Essen immer gleich, ob morgens, mittags oder abends (dis). Es gibt auch einige Restaurants, in denen man Gerichte zum Mitnehmen bestellen kann: Genannt werden hier die Pizzeria im Sheraton, ein Chinese in East Mezze und KFC (Kuwait Food Company), ebenfalls in East Mezze. Viele Expatriates bedauern die doch eingeschränkte Auswahl und die mäßige Qualität des Speiseangebotes. Außerdem wird ein »Bestell- und Bringservice« vermisst.

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus 2.2.3 Kulturelle Möglichkeiten Die Bandbreite kultureller Angebote in Damaskus ist groß. Diese Angebote werden aber, mit Ausnahme der in Eigenregie innerhalb der Expat-Gemeinschaft organisierten Ereignisse, eher wenig und sehr unregelmäßig genutzt. Syrische Events, da ist das Problem des Wann und Wo, das mitzukriegen. Und von Shell kriegst du eine Zeitung, das macht es sooo viel einfacher. Und da gehst du dann eben hin, wenn was stattfindet (deu11). Ähnlich ist die Einstellung vieler Expatriates. Aber es gibt Ausnahmen: musikbegeisterte Expat-Frauen, die auf den meisten Konzerten anzutreffen sind, oder kunstbegeisterte, die zu fast jeder Vernissage der syrischen Künstler in Damaskus gehen. Häufig ist es schwierig, über diese Ereignisse rechtzeitig Bescheid zu wissen – es gibt keinen Veranstaltungskalender wie in jeder größeren deutschen Stadt. Aber die Expatriates, die sich wirklich für etwas interessieren, wissen über entsprechende Veranstaltungen Bescheid und dienen als Informationsquelle. Ein Überblick über das kulturelle Angebot wird aus der Shell-Zeitschrift »Ahlein« (s. u.) entnommen und als Kopie beigefügt (Abb. 3). Dieser Überblick gibt ohne Anspruch auf Vollständigkeit die monatlich stattfindenden kulturellen Ereignisse wieder. 2.2.4 Sportmöglichkeiten Lokale Sportclubs gibt es in der ganzen Stadt. Aber Expat-Frauen sind nur in Ausnahmefällen Mitglied eines solchen Clubs. Im Wesentlichen werden von den Firmenclubs organisierte Sportveranstaltungen wahrgenommen, wobei dem Shell-Club wegen seiner Größe besondere Bedeutung zukommt (s. u.). Auch Expats, die nicht für Shell in Damaskus sind, haben die Möglichkeit, an den meisten dieser Veranstaltungen teilzunehmen. 2.3 Institutionelle Kerne der Expat-Gemeinschaft 2.3.1 Clubs Expat-Clubs regeln bis zu einem gewissen Grad den Zugang zu informeller Geselligkeit und zu formell organisierten Freizeitaktivitäten. Für die Shell-Gemeinschaft spielen der Shell-Club, SPARC und ClubNed eine große Rolle. Es gibt verschiedene Botschaftsclubs. Die größten dieser Clubs sind der Chimo-Club der Kanadier und der Bunker-Club der Britischen Botschaft. Die Roo Bar der Australischen Botschaft, deren Clubabende sehr be-

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Heimat auf Zeit liebt waren, hat vor einigen Monaten geschlossen, da sich die Australische Botschaft in Syrien verkleinert. Die Zenobians (s. u.) und die Damascus Petroleum Wives (s. u.) sind die größten formellen Diskussionsrunden für Frauen. Sie können von der ganzen Gemeinschaft besucht werden. Für UN-Mitarbeiter spielt des Weiteren das ISMAC-House, das auch von einigen anderen Mitgliedern der Expat-Gemeinschaft gerne besucht wird, eine große Rolle. (1) Der Shell-Club: Damascus Shell Club (DSC) Der Shell-Club befindet sich in einer umgebauten Villa in East Mezze (s. Karte 5). Dadurch ist er für einen Teil der Mitglieder zu Fuß zu erreichen, für den Rest in ein paar Minuten per Auto. Der DSC steht automatisch allen Shell-Expatriates offen. Es gibt etwa 50 Mitglieder, die nicht Shell angehören und trotzdem regelmäßig den Club frequentieren. Außenstehende Expatriates können über ein Mitglied, das für sie bürgt, Mitglieder werden. Es gibt auch soziale wie sportliche Aktivitäten, die der gesamten ExpatGemeinschaft offen stehen. Die sportlichen Aktivitäten des Clubs zeigt Tab. 2. Das Angebot variiert allerdings mit der Zusammensetzung der Gemeinschaft, denn es sind einzelne Expatriates, die ihr Wissen bzw. Können im Rahmen von Kursen zur Verfügung stellen. Häufig entstehen und verschwinden Kurse aufgrund von Angebot und Nachfrage innerhalb von relativ kurzer Zeit. Tabelle 2: Sportangebot des Shell-Clubs (Stand Juni 1998) • • • • • • • • • • •

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Aerobics, Yoga, Kinderballett (Multifunktionsraum Club) Badminton, Zirkeltraining, Tennis, Squash, Kinderfußball (Al Jalaa) Rugby (American School) Joggen (Mt. Kassioun) Mountainbike-Fahren in und um Damaskus Cricket, Kinderhockey (im Sommer in Youth City) Tauchen (im Sommer im Swimmingpool Summerland) Segeln (im Sommer auf Lake Zarzar) Schwimmen (im Winter im Al Mauwaz Fitness Club) Golf (einmal pro Monat ein Wochenende im Libanon) Fitnessgeräte stehen im Multifunktionsraum des Clubs zur freien Verfügung

III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus Die regelmäßigen sozialen Aktivitäten des Clubs zeigt Tab. 3. Besonders Bridge erfreut sich enormer Nachfrage, die Gruppe der SpielerInnen ist sehr groß. Tabelle 3: Soziale Aktivitäten des Shell-Clubs (Stand Juni 1998) • Bridge – zwei Mal pro Woche ohne Männer, ein Mal pro Woche mit Männern • Mahjong – wöchentlich • Arabischkurs (syrischer Dialekt für Anfänger) – wöchentlich • open house coffee morning (»old expats meet the new«) – monatlich Einen guten Überblick über das regelmäßige Angebot des Shell-Clubs gibt die in der Zeitschrift »Ahlein« gedruckte Zusammenfassung der wöchentlich angebotenen Aktivitäten für einen Monat. Hier wurde als Beispiel der November 1998 herausgegriffen (Abb. 4). Neben diesen Aktivitäten werden eine Reihe von Ereignissen von den verschiedensten Personen innerhalb der Gemeinschaft organisiert. Für das Jahr 1998 wurden alle derartigen Ereignisse in Tab. 4 zusammengestellt. Tabelle 4: Veranstaltungen im Shell-Club im Jahr 1998 05.01.98 22.02.98 23.02.98 26.02.98 26.02.98 18.03.98 18.03.98 22.03.98 02.04.98 08.04.98 11.04.98 12.04.98 20.04.98 03.05.98 29.05.98 17.06.98 18.06.98 25.06.98

Spielemorgen für die Kinder Vortrag über den Libanon Besuch des SOS-Kinderdorfes Kinderkarneval »Murder Dinner« Shell-Wohltätigkeitsbazar St. Patrick’s Day happy hour Vortrag über Anlagestrategien Rock & Roll-Nacht Ostereier-Malen für Kinder Besuch des UNDOF auf den Golanhöhen »Easter Egg Treasure Hunt« für die Kinder Spielemorgen für die Kinder Archäologischer Vortrag Quilt-Ausstellung und Verlosung Verkauf sudanesischer Kunst »Charity Rose Ball« (Britische Botschaftsresidenz) DSC Sommerfest 55

Heimat auf Zeit 01.10.98 14.10.98 05.11.98 19.11.98 10.12.98 31.12.98

Deutsches Bierfest Modeschau Whisky-Probe Casino-Nacht (DSC) Abendessen mit Tanz im DSC Silvestergala im DSC

(2) SPARC SPARC, eine Einrichtung von Shell, ist eine Abkürzung für Syria Partners Resources Center. Die Räumlichkeiten von SPARC befinden sich in West Mezze (s. Karte 4). SPARC steht nicht nur allen Mitgliedern des Damascus Shell Centers offen, sondern ausdrücklich auch der weiteren Expat-Gemeinschaft in Syrien. SPARC versteht sich als Institution, die kreative und kulturelle Aktivitäten für Mitglieder koordiniert und je nach Wünschen der Mitglieder entsprechende Kurse einzurichten versucht. Dabei soll u. a. das Verständnis für die arabische Kultur gefördert werden. Außerdem will SPARC durch die organisierten Aktivitäten Anknüpfungspunkte geben für das Entstehen von Beziehungen zwischen Expat-Familien. Über diese Zielsetzung hinaus, die sich auf den Alltag in Syrien bezieht, stellt SPARC ankommenden Shell-Familien Informationen zur Verfügung, u. a. die Broschüre »Welcome to Damascus« mit praktischen Informationen (Geschäfte, Ärzte usw.). Ebenso wird bei der Beschaffung von Informationen über ein anstehendes neues Posting Unterstützung angeboten. Tab. 5 fasst das Spektrum, das SPARC bietet, zusammen. Tabelle 5: Veranstaltungen von SPARC im Jahr 1998 • SPARC-Bücherei (Länderinformationen, Übersicht über holländische und englische Fernkurse) • monatlich wechselnde Ausstellungen syrischer Künstler • Fotokurse und Fotowettbewerbe • Kochkurse und Kochdemonstrationen • Tanzkurse (klassisch, Bauchtanz, Schottentanz) • Kurs zur Seidenmalerei • Französischkurs • Einkaufstrips nach Libanon 56

III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus (3) ClubNed ClubNed ist eine Vereinigung, die die Holländer ins Leben gerufen haben, um typisch holländische oder internationale Ereignisse zu organisieren. Es handelt sich um eine Gruppe von freiwilligen holländischen Expatriates, die sich am Anfang eines Kalenderjahres zur Verfügung stellen. Ein Vorsitzender wird gewählt, dem die Koordination aller Aktivitäten obliegt. Für einzelne Veranstaltungen werden Verantwortliche gewählt, die sich zusammen mit anderen holländischen Expats um die gesamte Organisation einer solchen Veranstaltung kümmern, auch um Sponsoren (KLM, die Botschaft, syrische Firmen usw.). Im Jahr 1998 sah das Veranstaltungsprogramm folgendermaßen aus: Tabelle 6: Veranstaltungen von ClubNed im Jahr 1998. »Holländische Nacht« 1998, Palais des Nobles Großes Kinderfest Holländisches Kabarett: »Niet Schieten« Kabarett »Onderweg« (ein holländisches Kabarett, in Damaskus einstudiert) 13.11.98 »Sint Maarten« Laternenlauf 27.11.98 »Sinterklaas« kommt nach Damaskus 07.05.98 28.05.98 13.05.98 05.11.98

(4) Chimo-Club (Canadian Embassy) Der Chimo-Club liegt in Malki. Die regelmäßigen Aktivitäten beschränken sich auf den Club-Abend jeden Freitag. Die wenigen anderen Veranstaltungen werden sehr unregelmäßig organisiert. (5) Bunker Club (British Embassy) Auch der Bunker Club liegt in Malki. Ein Mal pro Woche findet ein Clubabend statt. Zwei Mal pro Jahr wird ein »Progressive Dinner« organisiert, das sich großer Beliebtheit erfreut (s. Abb. 5) Dessen Zielsetzung ist es, die verschiedensten Expatriates aus der gesamten Expat-Gemeinschaft nach dem Zufallsprinzip zusammenzubringen. Weitere Veranstaltungen finden unregelmäßig statt.

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Heimat auf Zeit (6) Zenobians (Diskussionsgruppe für Frauen) Die Zenobians sind eine Gruppe von Englisch sprechenden Frauen. Der feste Kern trifft sich ein Mal pro Monat in den Räumlichkeiten des British Club House. Je nach Diskussionsthema kommen die verschiedensten Frauen hinzu. Ziel ist es, interessierten Frauen die Gelegenheit zu geben, Erfahrungen auszutauschen über das Leben in Damaskus. Darüber hinaus sollen durch wechselnde Vorträge über das Leben in Syrien, über Kunst, Geschichte und Archäologie des Landes Diskussionsanreize gegeben werden. (7) Damascus Petroleum Wives Hauptanliegen der Damascus Petroleum Wives ist es, ein Forum für in Damaskus lebende ausländische Frauen zu bieten. Die Frauen treffen sich ein Mal monatlich in den Räumlichkeiten von SPARC (s. Karte 4), um Freundschaften zu schließen und Spaß miteinander zu haben. Dabei wird Geld für Wohltätigkeitszwecke gesammelt, das Bedürftigen in und um Damaskus zugute kommt. Die Damascus Petroleum Wives publizieren einen monatlichen Newsletter. Die Vereinigung steht unter ehrenamtlicher, jährlich wechselnder Leitung und ist für alle ausländischen Frauen offen, ob Bezug zum Ölgeschäft besteht oder nicht – insofern ist der Name irreführend. Die Mitgliedschaft kostet jährlich 1000 SYP (etwa 50 US$). Tab. 7 fasst die Aktivitäten zusammen. Tabelle 7: Veranstaltungen der Damascus Petroleum Wives im Jahr 1998 • jeden dritten Mittwoch im Monat trifft man sich, ein Gastsprecher hält einen kurzen Vortrag (z. B. über Beduinenschmuck, arabische Tänze, Schmuckherstellung) • im Sommer werden einige Ausflüge mit Picknick organisiert • im November wird ein »Country and Western Evening« organisiert • Weihnachten findet ein Weihnachtsfest statt

(8) Hash Der hash ist eine typisch englische Veranstaltung, die in vielen Ländern, in denen Expatriates leben, institutionalisiert ist. Unserer deutschen Schnit58

III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus zeljagd vergleichbar, findet dieser Geländelauf einmal wöchentlich in der Umgebung von Damaskus statt (Abb. 6). Jede Woche werden vom HashKomitee zwei Verantwortliche bestimmt, die den hash vorbereiten. Sie müssen also im Gelände die genaue Route festlegen. Einige Stunden vor dem hash markieren sie diese Strecke, indem sie etwa alle hundert Meter große blaue Pfeile auf den Boden spritzen. Viele der Pfeile führen allerdings in zwei Richtungen, sodass es für die ersten Läufer schwierig ist, den richtigen Weg zu finden, und spannend. Die schnellsten Läufer laufen häufig das Zwei- bis Dreifache der eigentlichen Strecke. Der hash ist eines der wenigen Ereignisse, bei denen sich die verschiedenen Expat-Nationalitäten und Syrer ungezwungen treffen – obwohl die Mehrzahl der Läufer Engländer sind. Neben den Läufern gibt es auch immer eine Gruppe von Leuten, die die Strecke gehend zurücklegen. Ein Mal pro Monat findet am Wochenende ein outdoor-hash statt (Abb. 7). Die Anreise erfolgt in kleinen Gruppen. Man trifft sich am Donnerstag, dem ersten Tag des Wochenendes, nachmittags. Dann findet direkt der erste hash statt. Meistens wird in Zelten übernachtet. Am nächsten Morgen findet ein weiterer hash statt. Danach brechen die Teilnehmer langsam wieder auf. Einige nutzen die Chance und sehen sich in der Umgebung noch etwas an, andere fahren direkt zurück nach Damaskus. Zwei Mal pro Jahr wird ein hash für Kinder organisiert. 2.3.2 Zeitschriften Innerhalb der Expat-Gemeinschaft gibt es einige Zeitschriften, die alle in Eigeninitiative in der Freizeit erstellt werden: Expats der Kanadischen Botschaft veröffentlichen monatlich den »Damascan, The Canadian Embassy Community Newsletter«, Expats der Amerikanischen Botschaft »The Damascene« und Shell-Expats »Ahlein«. Diese Zeitschriften werden für die jeweils eigene Gemeinschaft herausgegeben. Informationen werden aber ausgetauscht, sodass ähnliche Hefte entstehen, die die Aktivitäten der eigenen Gemeinschaften ausführlich und andere Aktivitäten häufig anhand entliehener Kopien darstellen. Stellvertretend wird »Ahlein« vorgestellt. Zudem haben einige Firmen – wie die GTZ und Shell – firmeninterne Zeitschriften, die sie weltweit allen Mitarbeitern zukommen lassen, die im Ausland tätig sind. Die Shell-Zeitschrift heißt »Destinations« und soll stellvertretend vorgestellt werden. Sehr viele Expatriates abonnieren entweder eine Wochen- oder sogar Tageszeitung per Post. Viele Expat-Frauen abonnieren eine Frauenzeitschrift (»Brigitte«, »Womans Magazine« oder Ähnliches) – diese Zeitschriften werden innerhalb des Bekanntenkreises ausgetauscht. Syrische 59

Heimat auf Zeit Zeitschriften können wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht gelesen werden, aber auch die englischsprachige »Syria Times« findet kein Interesse. (1) »Ahlein« (herausgegeben von Shell-Expatriates) »Ahlein« ist eine englischsprachige Zeitung von Shell-Club-Mitgliedern für Shell-Club-Mitglieder. Monatlich wird die etwa 30 Seiten starke Zeitung allen Clubmitgliedern über die interne Post automatisch zugestellt. Zudem liegt sie im Shell-Club und bei SPARC aus. Verantwortlich zeichnet eine Expat-Frau von Shell, die diese Aufgabe freiwillig übernimmt; nach etwa 12 bis 18 Monaten wird die Herausgabe an eine andere interessierte Expat-Frau weitergegeben, die die Zeitschrift dann nach ihren Vorstellungen editiert. Der Inhalt besteht aus einem festen Themenkreis, der von Monat zu Monat sehr ähnlich strukturiert ist, und aus verschiedenen Artikeln. Die Gemeinschaft ist aufgerufen, Beiträge beizusteuern. Auf der Titelseite von »Ahlein« finden sich einleitende Worte der Herausgeberin und unter Diary Dates ist ein Überblick über die Hauptereignisse des Monats zusammengestellt. Außerdem enthält »Ahlein« die in Abb. 3 wiedergegebene Zusammenstellung über das kulturelle Angebot in Damaskus. Die Analyse der letzten 24 Ausgaben zeigt, wie man sich die inhaltliche Struktur einer solche Zeitung vorzustellen hat (Tab. 8). Tabelle 8: Inhaltliche Struktur von »Ahlein« (anhand von 24 Ausgaben 1998/99) Regelmäßig erscheinende Abschnitte: • People (wer ist neu, wer geht weg, wer ist umgezogen) • Informationen zum open house coffee morning • Erfolgsrezepte aus der Küche von Mitgliedern • DSC News (allgemeine Informationen des Damascus Shell-Club: Neue Beschlüsse von Versammlungen, happy hour-Menüs, Wochenmenüs und das 3-Gang-Menü vom Samstag für den Monat) • Informationen der Shell-Clinic und der »Babyklinik« (die eine Expat-Frau – Ärztin – freiwillig für einen Vormittag pro Monat eingerichtet hat) • die SPARC-Seiten mit allen Veranstaltungen, die SPARC organisiert

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III Der Handlungsrahmen von Expat-Frauen in Damaskus • Auflistung der Sportaktivitäten mit Berichten aus den einzelnen Sektionen (Squash, Tennis etc.) • Video Corner: Auflistung der Neuanschaffungen der Clubvideothek • Charity Team Information (bei wem aus der Gemeinschaft ist was abzugeben: alte Kleidung etc.) • Themen der Vorträge bei Treffen der »Zenobians« und der »Petroleum Wives of Damascus« • Berichte über vorangegangene Veranstaltungen (Silvester etc.) • Übersicht »What’s on in Damascus this month« (Filme, Konzerte, Ballett, Vorlesungen, Ausstellungen) • Informationen der »All Saints’ Community Church Damascus« (die wöchentlichen Familiengottesdienste finden im Shell-Club statt) Spezielle Themen einzelner Ausgaben: • Reisetipps Libanon (Versicherungstipps, Übernachtungstipps, z. B. detaillierte Beschreibung der Anfahrt ins Skigebiet Feraya via Zahle) • Safe Drive Tips: Driving in Fog and Rain • Hinweis auf den »Home Exchange Service«, den eine Expat-ShellFrau weltweit koordiniert • Anzeige des British Council: Syrian colloquial Arabic

(2) »Destinations« (herausgegeben von Shell International) Für die weltweite Shell-Gemeinschaft gibt es die Zeitschrift »Destinations«, eine professionell gestaltete, etwa 20 Seiten umfassende englischsprachige Zeitschrift. Sie wird von »Outpost«, dem Shell »Expatriate Information Center« in Den Haag vier Mal jährlich seit dem 4. Quartal 1996 herausgegeben und finanziert. Die gesamte Shell Expat-Gemeinschaft ist aufgerufen, Artikel und Briefe einzureichen. Es handelt sich um eine gewissermaßen länderübergreifende Publikation, in der die in Tab. 9 festgehaltenen Aspekte und Probleme des Auslandslebens thematisiert werden.

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Heimat auf Zeit Tabelle 9: Inhaltliche Struktur von Destinations (anhand von 8 Ausgaben 1998/99) (Praktische) Tipps zur erfolgreichen Gestaltung des Auslandslebens: • »Psyched out: a series on the psychological effects of moving around the globe« • »Mobility is not a sport« • »Moving: transplanting or uprooting« • »Moving with children« • »Them & Us – Language: we all use it and it certainly affects our lives« Die Situation der Familie, also von Männern, Frauen und Kindern: • »Families on the move: working together to meet the challenge« • »High Flyers – success stories to get you motivated!!!« • »Boarding School – making the big decision« • »Spouse Employment« • »Turning the Middle East into an oasis of work opportunities« Darstellung des Alltags in den verschiedensten Postings: • »Life in Louisiana« • »New Frontiers in the Former Soviet Union« • »Tirana: Before the chaos« • »African Rhythms« • »Warri (Nigeria) – the ultimate intercultural experience!« • »Day on the River, Borneo-Style« • »›Christmas Time‹ in The Netherlands, Australia, England, Norway and Egypt« • »›Celebrations‹ in Hong Kong, New Orleans, Beijing«

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IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus

Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Handlungsmöglichkeiten, die in Damaskus aus Expat-Perspektive bestehen, lassen sich die Handlungsmuster der Expat-Frauen analysieren. Bei den Interviews der Expat-Frauen hat sich Folgendes deutlich herauskristallisiert: Der zentrale Punkt, um den sich das Leben der ExpatFrauen immer aufs Neue dreht, ist die Alltagsbewältigung in der fremdkulturellen Umgebung. Expat-Frauen werden ganz generell alle vier Jahre mit einer neuen Umgebung konfrontiert und müssen sich in dieser zurechtfinden, müssen neue Bewältigungsstrategien und neue Handlungsmuster entwickeln und sich einen neuen Aktionsraum aufbauen. In Damaskus muss diese Alltagsbewältigung in einer Umgebung erfolgen, in der die im Entwicklungsprozess aufgenommenen Werte und Normen der eigenen kulturellen Gemeinschaft keine oder nur begrenzte Gültigkeit haben. Probleme sind deshalb so schwierig zu bewältigen, weil die Expat-Frauen in der Regel nicht in der Gastkultur sozialisiert sind. Zudem sind Frauen, die zum ersten Mal ins Ausland gehen, auch in der Expat-Gemeinschaft nicht sozialisiert. Es geht also nicht nur um eine Um- und Eingewöhnung, sondern bis zu einem gewissen Grad auch um eine Neusozialisierung. Wo und wie finden Expat-Frauen ihr neues Gleichgewicht? Wie bewältigen Expat-Frauen diese Identitätsarbeit? Wie schließen sie die Kluft zwischen vergangenem und gegenwärtigem Selbst? Welcher Sinnstiftung verpflichten sie ihr Leben? In den ersten Wochen, manchmal Monaten, fehlen vielen Frauen – ihrer vertrauten Umgebung enthoben – die inneren Ressourcen, um von dem plötzlichen und ungewohnten Zeitwohlstand zu profitieren, um die dazugewonnene Freiheit zu füllen, um mit der enormen Andersartigkeit problemlos umzugehen. Es kommt zu Gefühlen von Leere und Bedeutungslosigkeit. Das führt aber auch dazu, dass viele Expat-Frauen – gerade in dieser Zeit – sehr bewusst über ihr Leben nachdenken, darüber, was sie vom Leben erwarten. This lifestyle forces you to reflect and if this lifestyle doesn’t do it nothing will do it (eng10).25 Aber je eindeutiger Situationen definierbar werden, je bekannter sie werden, desto eher kommen routinisierte Konzepte zur Anwendung. Routinen sind »als Grundelement des alltäglichen sozialen Handelns« (Giddens 1997: 36) anzusehen. Im Folgenden soll beleuchtet werden, welche Kristallisationskerne es sind, an denen sich die Expat-Frauen dann ausrichten. Auf der Grundlage des Konzeptes themenzentrierter Lebensstile (s. 63

Heimat auf Zeit Kap. II.1.2) wurde eine Typologie erarbeitet. Sie umfasst Expat-Frauen mit folgenden konkreten Handlungsmustern: • berufsorientierte Expat-Frauen, • familienzentrierte Expat-Frauen, • sportbegeisterte Expat-Frauen, • sozialorientierte Expat-Frauen, • kunst- bzw. musikbegeisterte Expat-Frauen, • wohltätigkeitsengagierte Expat-Frauen, • orientierungslose Expat-Frauen. Auf die Selbstdarstellungen folgt jeweils eine kurze Interpretation, die den Aktionsraum, das soziale Netz und die Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen beleuchtet. Diese Zusammenhänge sind graphisch in Abb. 8 wiedergegeben. Dadurch wird vergleichende Betrachtung möglich.

1 Selbstdarstellungen 1.1 Typ 1: Berufsorientierte Expat-Frau Nadine ist Engländerin und Mitte 30. Sie ist Mutter zweier Kinder und seit einigen Monaten wieder schwanger. Sue ist vier, Christopher zwei Jahre alt. Nadine hat in England Marketing studiert und einige Jahre gearbeitet, dann aber aufgehört, als sie ihr erstes Kind bekam. Als das zweite Kind ein paar Wochen alt war, ist die Familie nach Syrien gekommen. Damaskus ist Nadines erstes Posting. Sie ist seit fast drei Jahren in Damaskus. Meinen Mann habe ich über Shell kennen gelernt. Damals habe ich selber für Shell London gearbeitet. Drei Jahre später bin ich mit Christopher in Mutterschutz gegangen und habe diese Pause bewusst ausgedehnt, um Zeit zu haben für Christopher. Und dann haben wir uns entschieden, ins Ausland zu gehen. Wir wollten uns nicht irgendwann ärgern müssen, dass wir die Chance verpasst haben. Denn wenn nicht mit kleinen Kindern, wann dann? Wir wollten einfach wissen, wie es ist, im Ausland zu leben. Und dann kündigte sich auch noch unsere Tochter an. Kurz nach der Geburt waren wir hier, in Damaskus. Ich fange einfach mal mit unserem tagtäglichen Leben hier an: Sue ist seit jeher um sechs in der Früh wach. Wir stehen also früh auf und dann wird gemeinsam gefrühstückt. Unsere Routine beginnt mit dem Erscheinen des Fahrers. In der Regel bringt er erst meinen Mann ins Büro und dann Sue zum Kindergarten – seitdem ich wieder schwanger bin, fahre ich nur noch selten mit. Danach erledigt der Fahrer alles Mögliche. Ich organisiere es so, dass er möglichst 64

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus immer was zu tun hat – er geht halt jeden Tag einkaufen, solche Sachen. Und eine maid zu haben, wir haben einen boy, finde ich auch weniger schwierig als ich gedacht hatte. Er hat die Fähigkeit, sich zurückzuziehen, zum Bügeln etwa oder in den Garten. Dadurch nervt mich seine Anwesenheit nicht. Außerdem bedeutet das morgendliche Auftauchen von Fahrer und boy, dass ich nicht einfach herumhängen kann. Ich bin froh, dass Sue in den Kindergarten geht. Und über Christopher brauche ich mir auch keine Gedanken zu machen – er ist bei Ahmed, unserem houseboy, gut aufgehoben. So habe ich drei Vormittage arbeiten können, entweder freiberuflich, ganz kleine Dinge für Shell London, oder für SPARC. Kürzlich habe ich für SPARC zum Beispiel den Kurs »Teaching English as a foreign language« organisiert – was da für Arbeit dahinter steckt! Ich lerne zwar einiges, aber mein Lebenslauf leidet trotzdem. Und das nervt mich natürlich. Am liebsten würde ich ja Teilzeit arbeiten, für Shell Damaskus, denn Christopher kommt ja jetzt auch bald in den Kindergarten. Ich versuche im Moment, über Beziehungen, über Shell London, irgendwas zu regeln. Die beiden anderen Vormittage drehen sich dann um Christopher, wobei ich mindestens einmal eine Stunde Aerobics einschiebe. Seit kurzem braucht Christopher einfach mehr Stimulation, er bleibt nicht mehr so gerne bei Ahmed, lässt mich auch nicht mehr einfach gehen. Ich versuche oft, mich nur mit ihm zu befassen, einen ganzen Vormittag, aber es glückt nicht, weil es a) ihm und b) mir langweilig wird. Wir befassen uns also immer mal wieder miteinander, ich lese ihm vor, backe dann einen Kuchen während er für sich herumspielt. Oder wir treffen kleine Spielkameraden und deren Mütter oder gehen zu einem open house coffee morning. Wenn Sue nach Hause kommt, mittags, endet meine frei verfügbare Zeit. Es gibt Mittagessen, und meistens sieht Sue dann einen Videofilm, bei dem Christopher oft einschläft. Er macht aber nur ein kurzes Schläfchen. Unsere Nachmittage sind wenig strukturiert, einmal pro Woche geht Sue zum Tanzen. Wenn es mehr organisierte Aktivitäten gäbe, würde ich davon sofort Gebrauch machen, weil Sue so irre lebhaft ist. Zum Glück haben wir den Garten! Wir verbringen vielleicht die Hälfte der Nachmittage hier zu Hause, öfter kommen andere Mütter mit Kindern. Wir gehen natürlich auch zu anderen Familien. Immer Shell allerdings und immer Mezze also. Mein Mann kommt gegen fünf nach Hause. Dann beginnt unsere Familienzeit, zwei schöne Stunden. Wir haben da unsere feste Routine – gemeinsames Abendessen, Baden, Gutenachtgeschichten, Schlafengehen. In der Regel sind die Kinder um sieben im Bett. Und dann beginnt unser Abend. Wir gehen nicht sehr oft weg, wirklich nicht. Wenn ich nicht zu kaputt bin, nutze ich auch die Abendstunden zum Ar65

Heimat auf Zeit beiten. Wir haben den Babysitter vielleicht vier Mal pro Monat. Dann gehen wir bei anderen Shell-Paaren Essen oder mal zu einer SPARC-Vorlesung oder einem Abschiedsfest. In Restaurants gehen wir eigentlich nicht so gerne, einfach aus Angst, uns was einzufangen. Leute zu uns einladen, das tun wir auch nur selten – um ehrlich zu sein, weil es mir einfach zu anstrengend ist, zu stressig. Ich kenne einige Paare, die jeden Abend verschiedene Sachen machen. Aber das wäre nichts für uns, wir verbringen gerne Zeit zusammen, zu zweit. Das heißt jetzt nicht, dass wir die ganze Zeit reden, aber wir sind beide im Wohnzimmer. Wochenenden sind schwierig: In der Woche bin ich tagsüber für die Kinder verantwortlich, weiß das. Und wenn ich Zeit haben möchte ohne die Kinder, dann plane ich das mit Freunden oder Hausangestellten. Während des Wochenendes dagegen ist unsere Routine dahin. Ich weiß nicht, wann ich dran bin, ob ich überhaupt dran sein werde. Rob möchte dies tun, ich das – manchmal klappt gar nichts. Und außerdem ist es viel schwieriger, den Kindern hier an Wochenenden etwas zu bieten, viel schwieriger als in England. Und das erhöht das Stressniveau zusätzlich. Wir sind gerne zu Hause, alle zusammen, würden aber eben auch gerne viel öfter mal was Kleines unternehmen, wie in den Zoo gehen oder so – gibt es nicht hier und obendrein nerven die ganzen Militärgebiete. Und wir sind da auch einfach vorsichtig. Klar, der hash ist eine feine Sache, sportlich für Rob und sozial gesehen für uns alle. Und wenn von irgendwem für alle Shellies irgendetwas organisiert wird, wir sind dabei, der Abwechslung wegen. Mittwoch abends gehen wir grundsätzlich alle zur happy hour im Shell Club und genießen das sehr: Die Kinder sind beschäftigt und wir können uns entspannen – inzwischen, nach eineinhalb Jahren. Als wir kamen, da gab es eine Gruppe von Leuten, die schon lange hier waren und sich alle kannten, und wir fühlten uns fremd, obwohl sie mehrere Versuche gemacht haben, uns einzubeziehen. Diese Leute sind inzwischen fast alle weg und wir sind Teil einer neuen Clique. Vermutlich wirken wir auf Neuankömmlinge ähnlich wie besagte Gruppe damals auf uns. Und wir geben uns dieselbe Mühe Neuen gegenüber. Die happy hour ist schon eine klasse Sache, überhaupt ist der Club prima. Wir unterstützen so ziemlich alles, was organisiert wird, indem wir hingehen. Teilnahme ist unsere Art der Unterstützung, denn wir wissen, wie irre viel Arbeit solche Sachen machen. Mein Leben beschränkt sich auf Mezze, ganz einfach deshalb, weil keine Notwendigkeit besteht, Mezze zu verlassen. Wir haben keine Freunde, die außerhalb Mezzes wohnen, und syrische Freunde haben wir ja eh nicht. Der Fahrer geht einkaufen. Okay, der Suk; aber dort gehe ich nur noch sehr selten hin, und wenn, dann alleine, ohne die Kinder. Sowieso eigentlich nur noch, wenn wir Besuch haben – einfach, weil ich glaube, das gesehen zu haben, was ich sehen wollte: die Attraktionen. Dann komme ich nach Hause, wir haben es ruhig und 66

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus gemütlich, und mir wird einmal mehr klar, wie wenig die Kultur hier mit unserer vergleichbar ist. Aber ich liebe es, die Atmosphäre in mich aufzunehmen, es zieht mich immer zum Gewürz-Suk, und ich mag die Gerade Straße. Nur mag ich Einkaufen nicht, ich mag das Feilschen nicht, und ich gehe auch nicht hin, um irgendwas Besonderes zu kaufen. Als wir jetzt aus dem Urlaub zurückgekommen sind, habe ich festgestellt, dass ich monatelang nicht auf dem Suk war, auch vor dem Urlaub lange nicht. Und da hat er mich plötzlich magisch angezogen. Wir leben hier fast so, als ob Mezze ein Camp wäre. Insofern glaube ich auch inzwischen, dass ich ein camp posting gut ertragen könnte – obwohl wir uns ja bewusst um ein city posting bemüht hatten und auch deswegen so gerne nach Damaskus wollten, sobald es sich als Möglichkeit abzeichnete. Ich muss ja jetzt alle zwei Wochen zum Gynäkologen in die Abu Romaneh. Es haut mich jedes Mal um, wie da das Leben tobt, wie sehr diese Kultur abends lebt und wie tot Mezze ist. Nur: Obwohl wir uns vorgestellt hatten, das Stadtleben zu genießen, die Stadtkultur – mit kleinen Kindern gelingt das einfach nicht, uns jedenfalls nicht und anderen Ausländern, habe ich zumindest den Eindruck, auch nicht. Für uns persönlich dreht sich das Leben ums tägliche »Überleben« mit den Kleinen und darum, es möglichst auch noch zu genießen. Das ist anstrengend, während sie so klein sind. Aber wir mögen die Vorstellung, viele Persönlichkeiten um uns zu haben, die Kinder aufwachsen zu sehen. Im Moment sind die Kinder mit ihren Bedürfnissen der bei weitem größte Faktor, der unser Leben beeinflusst, und das Verrückte ist: Das hat nichts damit zu tun, wo wir leben! Haben wir jedenfalls festgestellt. Hier könnte auch woanders sein. Als wir jetzt aus England zurückgekommen sind, ist uns das besonders aufgefallen. Dort habe ich zwei Monate gearbeitet, mein Mann hatte die Kinder, einfach toll – normales Leben. Für mich. Ich war keinesfalls unglücklich, zurückzukommen, nein, aber außer dem Flughafen hat sich nichts besonders »syrisch« angefühlt, verstehst du. Fühlt sich nichts so an, weil wir ja auch kaum Kontakt zu Syrern haben. Wenn nicht die Moscheen wären und der syrische Fahrer. Es gibt einfach verschiedene Dinge, die uns vor der lokalen Kultur beschützen – nein, das klingt zu negativ, die uns gewissermaßen von der lokalen Kultur abschneiden, isolieren. Ich finde, man sollte realistisch sein. Wir müssen hier vier Jahre lang leben. Wir müssen einen Alltag aufbauen. Und einen Kompromiss finden zwischen dem, was Syrien zu bieten hat und dem, was vertraut ist. Und genau das ist es, was die Expat-Gemeinschaft so attraktiv macht: Sie bietet Vertrautheit. Ich glaube nicht, dass wir zu idealistisch waren, als wir hierher kamen. Im ersten Posting könnte man leicht denken: Wir kommen in eine andere Kultur, wir wollen alles in uns aufnehmen und wir werden in der neuen Kultur viele 67

Heimat auf Zeit neue Freunde finden. Mit dieser Erwartung sind wir bewusst nicht gekommen. Und wir können nicht sagen: Wir haben viele syrische Freunde. Rob hat syrische Kollegen, und wir haben einen syrischen Fahrer, und das ist so ungefähr alles. Aber ehrlich gesagt kann ich nicht behaupten, dass mir das was ausmacht. Warum nicht? Ich meine, es klingt sehr negativ, so etwas zu sagen: Man kommt in eine andere Kultur und es macht einem nichts aus, keine richtigen Freundschaften in der Gastkultur zu schließen. Ich glaube, wir sind auf unsere Art zufrieden damit, die Einblicke zu bekommen, die wir nun mal kriegen können, und seien sie noch so klein. Wahrscheinlich haben wir uns zu Anfang mehr bemüht, die lokale Kultur in uns aufzunehmen, und wir waren interessiert, alles Neue kennen zu lernen, und einige Monate lang haben wir oft syrisch gegessen, wir sind nach Maalula gefahren, wir haben viele Tagesausflüge gemacht und so weiter. Auch Arabisch haben wir lernen wollen, zwei Stunden pro Woche abends. Aber es hat wenig gebracht, war uns auch einfach zu anstrengend. Und die Motivation fehlte, weil wir, wie gesagt, kaum Kontakte zu Syrern haben. Aber ich bin immer sehr an Büchern über die arabische Kultur interessiert, über den Islam. Und schon das ist sehr aufschlussreich, auch ohne mit den Menschen selber zu sprechen. Ich bin vermutlich jemand, der eher an einem akademischen Ansatz interessiert ist. Ich habe nur Kontakt zu anderen Shell-Frauen, einfach deshalb, weil sich diese Kontakte automatisch ergeben. Ich kenne sehr viele Shell-Frauen, aber die meisten dieser Kontakte sind oberflächlicher Natur, auf die Kinder bezogen. Zu meinem Freundeskreis zählen Frauen meines Alters, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich selber, die vielleicht auch nicht ihr Ein und Alles im Muttersein sehen, auch Frauen ohne Kinder übrigens. Und es sind fast nur Engländerinnen. Die Holländer, die sind oft von einer Unverblümtheit und Direktheit, deshalb bin ich in ihrer Gegenwart nicht völlig entspannt. Ich habe hier sowieso nicht unbedingt das Bedürfnis, Freundschaften zu knüpfen. Ich denke, dass ich in anderen Lebensabschnitten ein ziemlich großes Bedürfnis hatte, gute Freunde zu finden, an der Uni, bei der Arbeit, als Sue geboren wurde. Aber ich nehme an, dass ich es im Moment nicht so wichtig finde, mir darüber Gedanken zu machen. Mein Mann findet das erst recht, er bemüht sich hier wirklich nicht, gute Freunde zu finden. Ich glaube, für mich ist es wichtiger, hier Freunde zu haben als für ihn. Ich bin ja auch viel mehr zu Hause. Aber wenn wir hier weggehen und ich niemandem mehr schreibe, das würde mir auch nicht sonderlich viel ausmachen. Ich erwarte gar nicht, gute Freundschaften zu schließen, weil wir unsere wirklich guten Freunde zu Hause in England haben. Mit Besuch haben wir Glück: Eltern wie Schwiegereltern waren hier. Und wir fliegen grundsätzlich zwei Mal pro Jahr nach Hause, auch, damit die Kin68

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus der etwas von ihren Großeltern haben. Außerdem kaufen wir ein: Spielzeug, Bücher, auch Lebensmittel, allerdings nicht in riesigen Mengen, denn dabei geht immer einiges vom Urlaub flöten. Die Familie war da, aber ansonsten sind wir mit Freunden ehrlich, wir sagen offen: Wir hätten euch wirklich gerne zu Besuch, aber die tollen Sachen hier sind einfach nicht sonderlich kindgerecht – vermutlich würden es einfach keine tollen Ferien für euch werden. Kinderlose Freunde haben uns allerdings schon besucht. Syrien bereisen wir während der lokalen Ferien. Während der Eid-Feiertage. Und die Nachbarländer: Jordanien, Libanon. Aber alles ist es nicht geworden, die Kinder schränken da einfach ein. In Aleppo wollten wir längst gewesen sein. Aber ansonsten haben wir Syrien gesehen. Gerne würden wir noch in die Türkei fahren und nach Ägypten. Wir wollen alle beide mit Sicherheit nicht ein Leben lang Expats bleiben, wir sehen die Vorteile nicht. Klar, Einblicke in eine neue Kultur und so weiter und so fort. Einblicke ins Heimatland, die man erst bekommt, wenn man weg ist. Das finde ich toll. Aber wir wollen unsere Kinder nicht auf ein Internat geben, wollen uns auch durch das Expat-Leben in dieser Einstellung nicht beeinflussen lassen. Und uns fehlen unsere Geschwister und die Eltern, die Kinder haben zu wenig von ihren Großeltern, uns fehlen auch unsere Freunde. Mir fehlen ausgeprägte Jahreszeiten – und schöne Parks. Klar gibt es hier Parks, aber man wird angestarrt, man ist anders. Die Anonymität zu Hause, Teil der Menge zu sein, das ist mir lieber. Und irgendwie belastet mich die bedrückende Atmosphäre in Bezug auf Nachrichten, auf Tagespolitik, die Vorsicht, mit der die Syrer sprechen, diese Art Repression hier. Das verursacht mir alles keine schlaflosen Nächte, aber ich ziehe England eben vor. Und wenn ich mir die Leute ansehe, die hier schon länger sind, oder besser: die schon länger das Expat-Leben führen, dann habe ich das Gefühl, mit ihnen nicht viel gemeinsam zu haben. Und das möchte ich auch gar nicht. Ich möchte einen solchen Lebensstil nicht führen. Außerdem ist da das Thema arbeiten. Und diesen Sommer, als ich in London die zwei Monate gearbeitet habe, das war ein Schlüsselerlebnis, es hat mir gezeigt, dass ich wirklich unbedingt wieder arbeiten möchte. Ich bin glücklicher, glaube ich, wenn ich arbeite. Ich brauche die Stimulation, die entsteht, wenn ich beruflich etwas erreiche. Deshalb glaube ich auch, dass ich in zwei Jahren wieder richtig werde arbeiten wollen, und ehrlich gesagt wahrscheinlich Vollzeit. Teilzeit wäre auch nicht schlecht, aber da stehen die Chancen einfach nicht sonderlich gut. Ich ärgere mich schon, dass ich nicht von Anfang an mehr Einsatz gezeigt habe, hier einen Job zu bekommen, über meine Kontakte zu Shell London. Mein 69

Heimat auf Zeit Lebenslauf hat wirklich gelitten. Na ja, mein Engagement für SPARC war immerhin was. Und wer weiß, vielleicht wird es ja noch was. Ich denke, dass nach vier Jahren hier in Damaskus meine Begeisterung absolut nachlassen wird, eigentlich jetzt schon. Alles wiederholt sich nach einem Jahr: Wir kennen den Lebenszyklus der Expat-Gemeinschaft inzwischen. Aber mich stört das im Moment wenig, denn auf uns kommen mit unserem dritten Kind eigene Veränderungen zu. Und da ist es prima, so viel Hilfe zu haben wie ich in England nie hätte. Nein, also uns gefällt es gut hier. Und ich finde die Syrer, die wenigen, die ich getroffen habe, sehr nett, so herzlich und sehr lieb zu Kindern. Wir haben nette Nachbarn. Ich mag die Syrer, mag Syrien. Doch, ich persönlich bin glücklich hier. Aus Nadines Sicht war der ideale Zeitpunkt gekommen, um das Auslandsleben kennen zu lernen. Trotz ihrer kleinen Kinder widmet sie sich nicht ausschließlich ihrer Mutterrolle, sondern sie bemüht sich, im Hinblick auf ihre beruflichen Pläne Erfahrungen zu sammeln. Nur so fühlt sie sich glücklich und zufrieden. Sie sieht keine Ähnlichkeit zwischen sich und solchen Expat-Frauen, die diese Art Leben schon lange führen. Es ist deutlich, dass sie nicht Expat-Frau bleiben möchte. Nadines Aktionsraum und ihr soziales Netzwerk sind in Abb. 8a schematisch dargestellt. Nadine verbringt den größten Teil ihrer Zeit in der Expat-Gemeinschaft. Ihr Aktionsraum beschränkt sich fast ausschließlich auf Mezze, da keine Notwendigkeit besteht, Mezze zu verlassen: nicht, um Freunde zu besuchen – weil sie keine syrischen Freunde hat, die außerhalb Mezzes wohnen, nicht um einzukaufen – weil der Fahrer einkauft, nicht um essen zu gehen – weil sie kaum in Restaurants essen. Bleibt noch der Suk: Aber dort geht sie nur sehr selten hin – ohne die Kinder und eigentlich nur noch mit Besuch. Ihr sozialer Kontext besteht aus Shell-Familien. Zu ihrem Freundeskreis zählt sie Frauen ihres Alters, bei denen sie das Gefühl hat, dass sie in einer ähnlichen Situation sind wie sie selber – kurz: andere berufsorientierte Frauen, die von der Vorläufigkeit ihres Expat-Lebens ausgehen. Inzwischen hat sich Nadines tagtägliche Routine verändert: Sie arbeitet seit einigen Monaten an vier Vormittagen pro Woche je drei Stunden bei Shell. Ihren zweijährigen Sohn konnte sie im Kindergarten unterbringen. Die Tochter ist inzwischen von acht bis halb eins in der Schule. Das sechsmonatige Baby wird vom houseboy versorgt. Was sich jetzt noch stärker zeigt, ist Nadines Abhängigkeit von houseboy und driver. Beide sind für einen problemlosen Tagesablauf unabdingbar. Ihnen wird große Verant70

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus wortung übertragen, wozu berufsorientierte Expat-Frauen durchaus bereit sind. 1.2 Typ 2: Familienzentrierte Expat-Frau Antonia ist Deutsche. Sie ist Mutter einer Tochter, die bald an der französischen Schule in Damaskus ihr Abitur machen wird. Antonia ist Mitte fünfzig und lebt seit vier Jahren in Damaskus. Damaskus ist ihr zweites Posting. Vorher war die Familie sechs Jahre in Algerien. Wir haben am Anfang unserer gemeinsamen Zeit auf dem Land gewohnt. Mein Mann hat noch studiert, damals. Das war ein ganz romantisches Fleckchen Erde, ganz am Wald, ein ehemaliges Bauernhaus, da wohnten wir mit Freunden, jeder hatte aber einen eigenen Eingang, da haben wir also diese Zeit verbracht, es war toll – toll, toll, toll. Ich habe erst Design gemacht, habe das aber während eines einjährigen Fabrikpraktikums abgebrochen und bin dann Arzthelferin geworden. Ist schon bisschen schade, da designerische Dinge mir viel Spaß machen. Mein Mann ist Ingenieur. Er hatte schon während des Studiums die ganze Zeit angestrebt, ins Ausland zu gehen. Als mein Mann dann ein überregionales Projekt in Berlin beaufsichtigen musste, wurde unsere einzige Tochter geboren, in diesem Dorf. Ich wollte da gar nicht mit übersiedeln, nach Berlin, weil da hätten wir also wirklich einen schlechten Tausch gemacht, wohnungsmäßig, da haben wir also in Kauf genommen, ’ne Wochenendehe zu führen, damals. Als unsere Tochter sechs war, sind wir dann nach Algerien gegangen. Dort wurde Mareike eingeschult. Nach den sechs Jahren Algerien hatten wir leider keinen Anschlussvertrag und mussten, leider sage ich einfach mal, nach Deutschland zurück, für eineinhalb Jahre, da hatte mein Mann dann wieder so ein überregionales Projekt. Wir hatten inzwischen in meinem Heimatort eine Haushälfte gekauft. Ein Zuhause also für unsere Urlaube in Deutschland. Wir mussten uns dann nicht in der Familie rumdrücken, wenn wir in Deutschland waren, glücklich gelöst. Da sind Mareike und ich hingezogen, nach dem Posting in Algerien. Da ging Mareike auch zur Schule, diese eineinhalb Jahre mittendrin. Wir wollten ihr eine völlig neue Umgebung – noch dazu eine Großstadt mit all ihren Problemen – ersparen. Wir hatten uns unser Leben bis dahin, Gott sei Dank, sage ich jetzt mal, so einrichten können, dass wir nicht in ’ne Großstadt mussten. Bis jetzt hier. Damaskus. Aber für die Familie war das gar nicht so toll, wieder eine Wochenendehe zu führen, denn Mareike war da schon so groß, dass der Papa dann am Wochenende eigentlich nur so ’ne Gastrolle spielte. Der Papa war am Ende so ein richtiger Störenfried, ist jetzt bisschen drastisch ausgedrückt, aber die Mareike 71

Heimat auf Zeit spielte eben am Wochenende nicht die erste Geige – Spannungen, die man vermeiden wollte. So hat mein Mann forciert, wieder ins Ausland zu kommen, und dann haben wir halt Damaskus angenommen. Also, sagen wir mal, mit dem Wieder-Rausgehen, das war so’n »Jein«. Für uns, also, um als Familie zusammenzuleben, schien es uns also die einzig vernünftig praktizierbare Möglichkeit, wieder ins Ausland zu gehen. Also Damaskus. Um von Mareike auszugehen, die hatte erst ’ne Hemmschwelle in der deutschen Schule zu überwinden und hatte dann nach eineinhalb Jahren natürlich absolut keine Lust, wieder zu wechseln, und noch dazu wieder auf ’ne internationale Schule, aber das war dann doch schnell kein Problem mehr. Und mein Mann hat natürlich auch wieder mehr Spaß am Job. Und für mich ist, muss ich sagen, immer noch, ja maßgeblich, in erster Linie Mareike. Es richtet sich alles nach dem Wohl und Wehe des leider ja einzigen Kindes. Also, wenn es Mareike gut geht, dann geht es mir gut, als Mutter. Mareike ist ja von acht bis 14 Uhr in der Schule. Ich bin nach wie vor Hausfrau, ich beschäftige mich also wirklich nur zu Hause. In Haus und Garten – und wir überlassen das Wurschteln im Garten eben nicht einem Gärtner. Mir macht das Spaß und auch meinem Mann. Er braucht das und muss, ein bisschen wenigstens, in der Erde wühlen können. Somit fühlen wir uns für den Garten zuständig, und da geht dann auch Zeit drauf, und da ich keinen Beruf habe, oder ausübe, hier, sehe ich das ja als Hobby an. Genau wie Nähen. Mein Berufsleben, das habe ich hinter mir. Und ich bin sehr froh und dankbar, dass ich nur Hausfrau sein kann, dass das geht, und Mutter, Mutter natürlich. Wobei Küche und Kochen ’ne lästige Last ist, für mich, aber ich mache es halt. Da war ich verwöhnt in Algerien, da haben wir uns von einer Algerierin bekochen lassen, die das ganz toll konnte, hier muss ich das leider über mich ergehen lassen, Kochen. Die Syrerin, die jetzt hier ist, die kommt fünf Mal die Woche zwei Stunden, aber nur zum Putzen. Die internationale Schule, die haben Freitag und Sonntag frei. Und mein Mann hat nur Freitag frei, der arme Mann. Aber dafür arbeitet er von acht bis Viertel nach zwei, und macht alles Weitere, sollte noch was anliegen, zu Hause. Mein Mann hat den Nachmittag also sozusagen frei. Aber Mareike ist ja nun schon fast erwachsen, sie legt keinen gesteigerten Wert mehr auf gemeinsame Unternehmungen, so gehen wir tagsüber dann doch beinah getrennte Wege. Aber mein Mann und ich, wir können dann den Nachmittag gemeinsam gestalten. Aber zwischen drei und halb vier essen wir erst mal Mittag, alle zusammen. Das Stück gemeinsames Familienleben, das konnten wir beibehalten. Wir frühstücken ja auch fast gemeinsam, wobei Mareike doch etwas alleine sitzt, während mein Mann sich noch im Bad zurechtmacht, da sie als Erste geht. Meine Woche. Also, bei mir finden Regelmäßigkeiten in der Woche nicht 72

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus statt. Sprachkurse, die ich anfänglich gemacht habe, habe ich dann ja aufgegeben. Arabisch mit meinem Mann zusammen abends – aber das haben wir alsbald fallen lassen, bei einem Privatlehrer, aber Lehrer ist zu streichen, bei einer Privatperson. Wir wollten nur so’n bisschen Quatschen lernen, nicht so von der Pike. Aber es hat einfach doch zu wenig gebracht. Man entschuldigt sich so vor sich selber, das machen wir noch mal vernünftig, aber das verbleibt dann eben doch. Und Französisch hatte ich auch noch mal in Angriff genommen, aber das hat mich dann auch wieder eigentlich nur belastet. Ich war den ganzen Vormittag unterwegs, drei Mal die Woche, und dann fehlt mir die Zeit, zu Hause was auf den Tisch zu bringen. Und das war Stress, hat mir keinen Spaß gemacht, also habe ich das dann gelassen. Ich habe also den ganzen Vormittag, bis, sagen wir mal, eins, da muss ich dann doch in die Küche. Im Laufe unserer Ehe hat sich doch dieser Anspruch meines Mannes entwickelt. Er möchte also dann ein richtig schönes, vernünftiges Essen, und ich habe das auch akzeptiert, widerstrebend, weil ich nicht gerne koche. Aber wir finden es eben auch schön als Familie, wobei sich bei Mareike eben so das Gemeinsame, und das Drauf-Drängen ... »gemeinsam« ist für sie beinahe ein Reizwort geworden, aufgrund dessen. Ganz unregelmäßig, ganz nach Lust und Laune, was ich bis eins mache. Gestern war ich da in dieser neuen Niederlassung von La Noisette am Highway. Ich fahre dann auch selber, ich vertraue lieber auf meine eigene Fahrpraxis, als mich einem Fahrer anzuvertrauen. Man muss sich halt reinfinden, und das Chaotische waren wir ja schon von Algerien gewöhnt. Gestern hab ich Brötchen bestellt, vorhin hab ich die Dinger geholt. Wir bestellen ja in Bausch und Bogen, 50 am Stück, endlich mal ein essbares Brot. Trotz meines Hausfrauendaseins kaufe ich ganz ungern ein, mein Mann macht das ganz oft auf dem Weg, er holt das Gemüse. Und wir machen Vorratshaltung, damit ich nicht jeden Tag oder jeden zweiten Tag los muss. Und für Kartoffeln und Tomaten, da schicke ich auch schon mal Suzu, die maid, los. Also diese Fracht, die finde ich idiotisch – wir essen, was es hier gibt. Dieses in Bausch und Bogen Einkaufen in Deutschland, das haben wir über Freunde mitgekriegt, das geht da bis hin zum Toilettenpapier. Auf importierte Sachen greifen wir natürlich auch zurück, aber hier dann, beim Kodak Shop, beim Family Shop oder beim German Store. Oder eben Suk. Vornehmlich treffe ich mich mit Elisa, obwohl – das ist jetzt auch eingeschränkt, seitdem ihr Sohn geboren ist. Vorher war es so, dass wir unsere Einkaufs- und Suk-Gänge gemeinsam gemacht haben. Ansonsten deutsche Freunde, alles aber eben deutsche Freunde und Bekannte, Ehefrauen von Kollegen, mit denen ich mich kurzschließe, Besuch auf ein Käffchen, einen Tee, aber eben überwiegend vormittags. In unserem Falle immer Deutsche, immer auch Kolle73

Heimat auf Zeit gen, ganz viele sind inzwischen auch schon weg, bis vor eineinhalb Jahren waren es noch vier Familien mehr, Projekte gestrichen, wir sind geschrumpft. Wir ganz persönlich hatten im Frühjahr auch noch Botschaftsleute im engeren Freundeskreis, was sich jetzt aber auf Blabla-Kontakte zerschlagen hat. Jemand ist weggegangen. Sonntage mit Mareike sind auch deshalb nur mit Mareike veranschlagt, weil dann also auch Suzu frei hat. Die Schule, die hat Sonntag und Freitag frei, total doof. Sonntags, da gehen wir zu zweit auf den Suk, ganz oft. Und einmal die Woche fahren wir zum Reiten, zum Ebla-Cham, Mareike reitet. Sonst sehe ich auch zu, dass sie was mit Freunden macht. Freitage, unsere gemeinsamen Frei-Tage, die sehen im Sommer tatsächlich so aus, dass wir ja meistens hier sind, wegen des Pools, den man ja in der Sommerzeit wirklich schön nutzen kann. Richtung Winter merke ich in mir wieder so langsam den Wunsch, rauszufahren, spazieren zu gehen. Spazieren ist ja hier in Damaskus kaum möglich, wir fahren dann halt oft nach Burqush, weil das gerade so schön erreichbar ist. Also da, Barada-Tal und so, da haben wir schon ganz abenteuerliche Touren gemacht, mit dem Allradauto. Und bei ’nem längeren Wochenende, da sehen wir dann, das wir noch jemanden dazukriegen, wir machen ganz viel mit Richard und Elisa zusammen, oder eben mit anderen Kollegen. Also wir sind alle mehr oder weniger befreundet, mehr oder weniger einfach durch Wohnungsnähe auch. Ne nette Truppe. Zwei Mal im Jahr haben wir ’nen großen Ausflug, zum Camping mit Übernachtung und so, einmal im Frühjahr, einmal im Herbst. In die Wüste, in die Berge. Aber darauf beschränken sich die Gemeinsamkeiten bei uns, da ist sicher mehr bei Shell, man hört doch öfter mal was von der ganzen Shell-Clique. Also, je älter wir werden, muss ich sagen, umso mehr hocken wir zu Hause. Das ist aber einfach so, nehme ich an, ein Alterungsprozess. Jedenfalls muss ich mir von Mareike ganz oft anhören, wir würden nur zu Hause hocken und nie weggehen. Wir sind hier relativ oft abends zu Hause, es sei denn wir gehen in einem Restaurant essen, das machen wir aber in letzter Zeit nur noch mit Besuch. Es reizt uns überhaupt nicht mehr, es gibt überall dasselbe. Ab und zu laden wir Leute ein, aber wirklich nur Freunde, gesellschaftliche Verpflichtungen schieben wir weit von uns. Einfach auch aus der Erfahrung raus, dass das früher ’ne richtige Belastung war, dass man ständig zu irgendwelchen Smalltalks gehen musste, mit Leuten, mit denen man eigentlich gar nichts am Hut hatte. Einladung – Gegeneinladung. Und so ist man dann im Nu in einem Zirkel drin, und das haben wir früher wirklich als ’ne Last empfunden, und deshalb sind wir hier froh und dankbar dafür, dass das hier in Syrien in unserer Firma gar nicht so intensiv betrieben wird wie wir das aus Algerien kennen. Dienstessen spielen sich hier in Restaurants ab, und ich genieße es richtig, hier nicht unter dem Druck 74

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus zu stehen, das genieße ich. Und wir gehen schon gerne mal essen. Sowieso, wenn irgendwo was Neues aufgemacht wird, dann wird das ausprobiert. Ansonsten am liebsten Arbeiterclub. Die deutsche Botschaft hat allerdings in Algerien viel mehr für alle Deutschen gemacht als hier. Hier ist man ja fast gegenteilig berührt, wie wenig die einfach organisieren. Abende zu Hause: Lesen, ja, Fernsehen, sehr viel, leider fast ein bisschen viel schon durch den Sportkanal, Nachrichten gucken wir manchmal so nebenbei, bis zur Vergasung. Eine Unsitte eigentlich. Abschalten, das Ding, denke ich dann. Leider können wir ja so wenig Radio hören, den Deutschlandsender kriegen wir halt so schlecht. Hier haben wir keine Zeitung, nichts, aber wir haben »Natur« abonniert, für uns beide. Das ist z. B. was, was wir beim Auslandsleben eigentlich entbehren. Man verlernt richtig, sich bei ökologischen Problemen zu engagieren. Da fühlt man sich – wenn wir in Deutschland sind und unsere ganzen Leutchen besuchen – fast ein bisschen außen vor, wir können überhaupt nicht mitreden. Zuhause würden wir uns engagieren wollen. All diese Erfahrungen laufen ja an uns vorbei, und das finde ich schon schade, auch gerade für Mareike. Für Mareike, das muss ich jetzt doch noch mal loswerden, für Kinder ist das Auslandsleben eigentlich, der Grundtenor ist eigentlich negativ. Weil alle hobbymäßigen Interessen konnten weder hier noch da ausgelebt werden, weil auch von nirgendwoher Angebote gekommen sind. Das empfindet man eben auch wehmütig in der kurzen Zeit, in der man in Deutschland ist, dass da auch die Interessen ganz anders gefördert würden, ohne das man selber, also manchmal merkt man es auch gar nicht von selber. Also jedenfalls haben heranwachsende Kinder wirklich großen Nachholbedarf auf diesen Gebieten. Und all das, was wir anfangs so positiv glaubten für Kinder, die im Ausland aufwachsen, der Horizont, wie es immer so schön heißt, wird ja so erweitert, es werden ja so tolerante Persönlichkeiten und, und, und. All das können wir überhaupt nicht bestätigen, also was die Toleranz angeht sowieso nicht. In unserem Fall, bei Mareike, liegt ein Teil eben an diesem internationalen System, da herrscht ’ne Rivalität zwischen den syrischen und den ausländischen Kindern, und die wird nicht etwa abgebaut, sondern aufgebaut ... Das hatten wir eigentlich nur unter positiv einrangieren wollen, aber das ist nicht so. Von mir möchte ich meinen, mir hat das schon sehr viel Positives und sehr viel mehr Verständnis für viel, ganz viel, gebracht. Also das wage ich zu behaupten, das ist durchweg positiv für mich. Aber irgendwie ein intensiveres Einsteigen in den Islam, damit kann ich nicht aufwarten. Nur das, was man halt so mitkriegt. Ist ja hochinteressant, aber ich habe mir nicht den Schub gegeben, mich da richtig reinzuknien, zumal irgendwie, meine ich, sind einem ja da Schranken 75

Heimat auf Zeit auferlegt, die schotten sich doch ganz schön ab, die Syrer. Die Hürde, als dass man da von Freunden sprechen könnte, beruht einfach auf unserer Zurückhaltung und auf deren Zurückhaltung. Mit anderen Worten, es hat sich beschränkt auf einheimische Kollegen meines Mannes, die uns ein- bis zweimal zum Essen einladen und retour, aber richtig privat ist da nichts geworden. Das ist auch wirklich so ein bisschen zu erklären, dass man irgendwie Hemmungen hat, weil man so privilegiert ist. Man ist immer fast beinahe beschämt über die arabische Üppigkeit. Und deshalb schiebe ich das, da bin ich auch, glaube ich, viel maßgeblich, deswegen schiebe ich das von mir. Oder auch eben, in die Familie von Suzu Einblick zu haben, schiebe ich von mir, dann hat man eine Beziehung, und dann fühlt man sich verantwortlich für das Wehwehchen von dem und dem, und das will ich nicht, das will ich einfach nicht. Wir vergleichen doch andauernd mit Algerien. Und da war einfach von der Landschaft her, von den Leuten, vom Meer her, da gab es ein ungleich höheres Freizeitangebot. Da hatten wir auch andauernd Besuch, zu oft eigentlich. Hier nicht so. Weil es weiter weg ist, teurer auch, da ja Algerien ein Touristenland par excellance war. Aber nachdem man so die Anfangszeit über die Runden gekriegt hat, dann ist es schon schön hier. Wir kamen zum Beispiel im Winter, Februar, März, ekelig, stürmisch, staubig, dreckig. Und nachher dann, als das Frühjahr kam, als man dann in allen unmöglichen Dreckecken den Wein sprießen sah, da kriegte man ja schon etwas positivere Eindrücke und Gefühle. Und dann, als ich das erste Mal an der Küste war, da war ich auch schon viel versöhnter mit dem Land. Endlich mal aufatmen, was Grünes, was Befreiendes. Und die Stadt selber mit ihren schönen vielen romantischen Ecken. Aber man muss sich eben erst sensibilisieren dafür, und das bedarf irgendwie ’ner Zeit. Und dann fällt einem eigentlich nur noch Positives auf, nicht mehr Negatives, das ist dann abgehakt. Also in Deutschland wäre ich vorwiegend für Mareike dagewesen, aber nicht so ausschließlich. Nicht so ausschließlich, das ist ja ganz klar. Weil man ja die Familie in ganz Deutschland verteilt hat, und die Freunde. Gemeindeleben und, und, und. Wir jedenfalls, in Algerien wie hier, wir sind doch viel beschränkter. Mit Gemeinde meine ich jetzt das soziale Umfeld, nicht eine Kirchengemeinde. Wir werden dann gegen Ende nächsten Jahres die Segel hier streichen – der Arbeitsvertrag meines Mannes läuft aus. Wenn es eine zweite Verlängerung gäbe, würden wir denn wahrscheinlich aber doch sagen, ja, wir machen das. Aber eigentlich wäre es wirklich die Ausnahme, wir rechnen nicht damit. Wir sind ja schon sechs Jahre hier. Aber woanders in der Welt, das würden wir auch wollen, zumal Mareike ja dann ausgeklammert ist.

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IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Antonias Alltag ist um die Arbeitszeit ihres Mannes und um Mareikes Verpflichtungen herum strukturiert, und wäre noch mehr um Mareike herum strukturiert, wenn diese es zulassen würde. Zu Damaskus als Stadt und Lebensraum hat Antonia eine Beziehung aufgebaut. Sie kennt sich gut aus und fährt überall alleine hin, auch zum Suk. Trotzdem ist ihr Aktionsraum (s. Abb. 8b) auf tagtäglicher Basis auf Mezze begrenzt, und innerhalb Mezzes auf ein paar Straßenzüge, die ihr Zuhause, Elisas Wohnung, den Kodak Shop und einen Gemüsestand umfassen. Wöchentlich führt eine Fahrt zum Hotel EblaCham in der Nähe des Flughafens, damit die Tochter reiten kann. Und auf monatlicher Basis werden der Suk und Restaurants besucht. Antonia hat Interesse am Land und seinen Sehenswürdigkeiten, aber nicht an der hiesigen Kultur, dem syrischen Alltagsleben oder dem Schließen von Freundschaften mit Syrern. An der weiteren Expat-Gemeinschaft hat Antonia kein Interesse, weil sie damals in Algerien die Erfahrung gemacht hat, dass ihr das schnelllebige soziale Leben nicht zusagt. Ihr sozialer Kontext (s. Abb. 8b) besteht aus dem kleinen Kreis von vier deutschen Frauen, deren Männer Kollegen ihres Mannes sind. 1.3 Typ 3: Sportbegeisterte Expat-Frau Sophie ist Engländerin, 50 und Mutter von zwei Kindern, 14 und 16, die in England auf ein Internat gehen. Sie ist ausgebildete Lehrerin, hat aber seit der Geburt des ersten Kindes nicht mehr als solche gearbeitet. Sie und ihr Mann führen seit 25 Jahren ein Expat-Leben für Shell und waren bisher u. a. in Holland, in Brunei und in den USA. Sie leben seit drei Jahren in Damaskus. Vorher waren sie – der Kinder wegen – fast sieben Jahre in Aberdeen. Mein Leben dreht sich inzwischen ganz stark um Sport; manchmal werde ich deswegen schon belächelt, aber das macht mir absolut nichts aus. Sport macht mir Spaß. Und überall gibt es Frauen, die gerne Sport treiben. Und hier in Damaskus gibt es in jedem Fall immer eine Gruppe mit denselben Interessen: Segeln auf Lake Zarzar, Squash, Tennis, Golf. Was auch immer, und natürlich gibt es den hash. Inzwischen habe ich sehr viel Freiraum, Zeit für mich – seit beide Kinder auf dem Internat sind. Aber auch als die Kinder noch bei uns waren, habe ich meine freie Zeit auf dem Tennisplatz verbracht. Ich habe ja über die Jahre die verschiedensten Kurse besucht, um mich zur Übungsleiterin auszubilden. Das hat ganz gut gepasst, da ich eh Lehrerin bin.

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Heimat auf Zeit Jedenfalls gebe ich jetzt seit vielen Jahren Tenniskurse für Erwachsene und Kinder, wo immer wir sind. Na ja, bevor wir nach Syrien gekommen sind, waren wir fast sieben Jahre in Aberdeen, der Kinder wegen, um sie länger bei uns haben zu können. Ich wollte die Kinder auf gar keinen Fall bevor sie mindestens zehn sind auf ein Internat geben. Also mit sieben, das tun ja einige, das finde ich wirklich zu früh. Durch Aberdeen hat das prima geklappt. Unsere Tochter ist dann mit elf gegangen. In Aberdeen habe ich allerdings wenig Tennis unterrichtet, aber umso mehr selber gelernt. Und Golf gespielt. Aber gut – mein Alltag hier, jetzt. Ich gehe drei Mal pro Woche selber Tennis spielen. In der Regel gehe ich danach noch in den Shell-Club, ins Cafe Noisette oder zu einer der Frauen nach Hause, mit denen ich gespielt habe. Oder wir gehen zu mir. Das ist mir auch wichtig, Sport ist die eine Sache, die wichtigste, aber dann ist da auch mein soziales Leben. Und das lässt sich so prima verbinden. Ab und zu gebe ich auch vormittags privat Tennisstunden. Aber am meisten passiert nachmittags: Da gebe ich fast jeden Tag Tennisunterricht für Kinder. Mir macht es Spaß, mich mit Kindern zu beschäftigen; und zudem gefällt es mir, Leute mit jüngeren Kindern kennen zu lernen, die sind noch nicht so »gesetzt« wie die ältere Expat-Generation – ich hoffe du verstehst, was ich meine. Außerdem ist Unterrichten sowieso mein beruflicher Hintergrund. Und in Kombination mit Sport – toll. Ansonsten laufe ich einmal pro Woche mit den Ladies Runners um den Berg Kassioun. Meine Wochentage sind sehr strukturiert und geregelt. Und das finde ich gut. Wenn ich mal nicht Sport treibe, gehe ich einkaufen. Ich habe keinen Fahrer, es gäbe nicht genug für ihn zu tun. Und ich hasse den Gedanken, darüber nachdenken zu müssen, was er erledigen könnte, damit er nicht vor dem Haus »herumlungert«. Und wo muss ich denn schon hin zum Einkaufen, meistens zum Bäcker, zu einem der Gemüsestände und zum Krämerladen um die Ecke, oft gehe ich auch noch zum Schlachter, seltener fahre ich mal zum Kodak Shop oder nach Old Mezze – wenn ich was brauche, was ich sonst nicht kriege. Und wenn es hoch kommt, gehe ich einmal pro Monat zum Suk. Außerdem habe ich viel Spaß an unserem Garten – ich muss ja auch mal was anderes machen als Tennis spielen. Ha, ha, ha. Ich habe in den letzten Jahren mit viel Liebe diesen Garten hier aus einer tristen Braunfläche hervorgezaubert. In der Regel bin ich zu Hause, wenn mein Mann gegen halb sechs von der Arbeit kommt. Die Abende verbringen wir dann meistens gemeinsam. Allerdings hat mein Mann am späten Nachmittag noch sein Sportprogramm, das aus Laufen und Squashspielen besteht. Zusammen gehen wir einmal pro Woche zum Zirkeltraining. Ich kann also das Abendessen kochen, während Steve Sport macht. Abends bleiben wir alle beide gerne zu Hause. Aber ebenso gerne gehen wir 78

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus aus oder laden mal Leute zu uns ein. Dabei kann es sich schon mal um Leute handeln, die wir sozusagen einladen müssen, aber ich empfinde das selten per se als Verpflichtung – es macht mir Spaß. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt überall dabei sein müsste, überall mitmischen möchte. Ich habe ja sowieso schon den ganzen Tag genug Gelegenheit, mich mit anderen Frauen zu treffen. Ab und zu gehen wir auch mal in ein Restaurant, zu zweit oder auch mit Freunden, aber das ist eher die Ausnahme, vielleicht ein Mal pro Monat, gegenseitige Einladungen nach Hause dominieren schon ganz klar. An Wochenenden, da sind zwei Sachen für uns wichtig: der outdoor hash und die Golfwochenenden in Beirut. Ich glaube, dass für mich der Unterschied, ob Syrien ein gutes Posting ist oder richtig toll, mit der Grenze steht und fällt. Wenn von Shell aus die syrisch-libanesische Grenze offen ist, ist alles klar. Denn dann können wir golfen. Wann immer die Golfer nach Beirut fahren, fahren wir mit. Es ist sehr nett, Golf, sozial gesehen. In Aberdeen haben wir auch sehr viel Golf gespielt. Bei diesen Aktionen haben wir, besonders in den ersten zwei Jahren, die Sehenswürdigkeiten von Syrien und Libanon auf dem Weg sozusagen abgehakt. Aber ich gebe gerne zu, dass wir halt mal geguckt haben, mehr auch wieder nicht. Aber wie gesagt, wir haben uns schon eine Menge einfach mal angesehen. Es gibt nur eine Situation, in der wir auf diese Wochenenden verzichten: Wenn nämlich unsere Kinder da sind. Allerdings fahren die dann auch manchmal alle zusammen mit. Wenn die Kinder während ihrer Ferien nicht nach Syrien kommen, fliegen wir in jedem Fall nach Aberdeen, wobei ich meistens deutlich länger bleibe als Steve. Dort haben wir ja ein eigenes Haus ganz in der Nähe des Internats – aber in den Ferien wohnen die Kinder dann natürlich zu Hause. Das Haus war ein echter Glücksgriff, es ist total schön und am allerschönsten ist es, dass wir die besten Golfmöglichkeiten direkt vor der Türe haben, in Laufabstand. Die Leute hier, die Syrer. Also, ich habe eigentlich keinen Kontakt, muss ich sagen, höchstens mal beim Einkaufen. Aber ich fühle mich in der Expat-Gemeinschaft wohl, das ist mein Ding, vielleicht müsste ich sogar sagen: in der Shell-Gemeinschaft, ja. Wobei wir an den Golfwochenenden auch Kontakt haben zu einem Ehepaar aus der englischen Botschaft. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, und sonst hat die ganze Sache ja wohl keinen Sinn, muss ich zugeben, dass mich die syrische, die arabische Kultur nicht sonderlich interessiert. Als ich feststellte, dass das hier eine andere Welt ist, und ich meine wirklich: eine total andere Welt, da habe ich in gewisser Weise das Interesse verloren, weil diese Welt unerreichbar ist, unerfassbar, in jedem Fall für mich; für die meisten Expat-Frauen vermutlich, die hier nur einige Jahre leben. Wie alle habe ich angefangen, Arabisch zu lernen. Es hat sogar recht gut ge79

Heimat auf Zeit klappt. Aber wie die meisten von uns habe ich schnell wieder damit aufgehört. Wozu sollte ich so eine schwere Sprache lernen – der Kontakt ist eh gleich null. Gut. Den hash darf ich nicht vergessen, da haben wir Kontakte zu Syrern, aber nur am Rande, und dann gewissermaßen auf neutralem Boden, zu den sehr westlich orientierten Syrern, die regelmäßig am hash teilnehmen und selber Kontakte suchen. Vor einigen Monaten ist ein eng befreundetes Paar weggegangen, auch Shell, wir kannten uns schon aus dem letzten Posting. Also das war wirklich schade, ist schade. Das merke ich immer noch – eine Lücke, die wir nicht haben füllen können seither, obwohl wir wirklich eine Menge Leute kennen. Vermutlich sprechen wir hier über echte Freundschaft. Unsere Familie, die lebt über England verstreut. Da haben wir guten Kontakt, immer gehalten. Ich habe aber keinesfalls das Gefühl, jedes Mal, wenn wir in Aberdeen sind, auch alle besuchen zu müssen. Das ist mir wichtig, denn sonst artet Urlaub in Stress aus, und genau das höre ich von vielen Frauen hier immer wieder – das versuche ich ganz bewusst zu vermeiden. Aber ich fliege eben auch vier Mal pro Jahr, meistens. Aberdeen ist einfach unser zu Hause, denke ich. Ich bin gerne dort, die Kinder sind dort, unser Haus ist dort. Und wir haben viele Freunde dort, Sportfreunde könnte man sagen, einige noch Shell, andere ex-Shell oder schon im Ruhestand, da ist Aberdeen natürlich auch die richtige Stadt. Es wird deutlich, dass Sophie den größten Teil ihrer Zeit in der Expat-Gemeinschaft verbringt. Ihr Aktionsraum (s. Abb. 8c) ist auf tagtäglicher Basis auf Mezze begrenzt und durch wenige Anlaufpunkte zu definieren. Das Interesse an der syrischen, der arabischen Kultur lässt sich als oberflächlich bezeichnen. Sophies sozialer Kontext besteht aus der ExpatGemeinschaft, und innerhalb dieser Gemeinschaft ganz wesentlich aus anderen Shellies. Zur Familie, die über England verstreut lebt, wird guter Kontakt gepflegt. Sehr wichtig ist ihr und ihrem Mann das Zuhause in Aberdeen, in dem sie sich auch, vermutlich in zwei Jahren schon, zur Ruhe setzen werden. Dort haben sie sich über die Jahre einen Freundeskreis aufgebaut, bestehend aus vielen Sportfreunden, der sich erhalten hat und ihnen viel bedeutet. 1.4 Typ 4: Sozialorientierte Expat-Frau Miriam ist Engländerin. Sie ist Mutter von drei Kindern, die sieben, elf und dreizehn Jahre alt sind. Sie ist in einer englischen Kleinstadt aufgewachsen. Miriam hat im Hauptfach Geographie studiert und nebenbei Musik. Ihr Mann arbeitet für eine kleine englische Firma. Syrien ist ihr erstes Pos80

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus ting, aber ihr Mann war direkt vorher zwei Mal innerhalb Großbritanniens versetzt worden. Ich bin in Schottland geboren, auf dem Lande. Ich bin das kleinste Kind von vieren, bei weitem die Jüngste. Mein Vater ist als Arzt im Krieg viel gereist und auch später waren wir immer viel unterwegs. Begonnen hat alles mit meiner ältesten Schwester, denke ich. Sie hat einen Ingenieur geheiratet und ihr Leben in den verschiedensten Ländern verbracht, meine zweite Schwester und mein Bruder leben beide in Amerika. Meine ganze Familie lebt völlig verstreut. Auch mein Mann ist Ingenieur. Als ich ihn kennen lernte, lebten wir zunächst in Aberdeen. Ich habe dort studiert. Wir haben dann, inzwischen verheiratet, kurz in Cambridge gewohnt, sind aber, als unser zweiter Sohn gerade geboren war, nach Irland umgezogen. Dort war es sehr schwer, Leute kennen zu lernen. Da war es hier sogar einfacher, weil alle in derselben Situation sind. Ich glaube nicht, dass es viel ausmacht, ins Ausland zu ziehen, weil du doch immer neue Freunde finden musst und Leute kennen lernen musst, egal, wohin du umziehst. Du musst Wurzeln schlagen, Freunde kennen lernen und dein Leben ordnen. Mir fällt das zum Glück nicht sonderlich schwer. Mein Alltag, ein normaler Tag: Wir stehen um sieben auf. Nach dem gemeinsamen Frühstück bringt mein Mann die zwei Jungen zur Schule. Das ist toll. Ich trinke noch eine Tasse Kaffee und überlege mir in Ruhe, was ansteht. Bis vor kurzem habe ich unterrichtet, Musik. Aber mir ist irgendwie zu wenig Zeit geblieben, das zu genießen, was das Leben hier zu bieten hat. Deswegen unterrichte ich nicht mehr, inzwischen. Ich hatte insgeheim gehofft, mehr Zeit zu finden, mal wieder selber Geige zu spielen. Aber das Leben um mich rum lässt mir wenig Zeit. Trotzdem gefällt es mir so viel besser, als wenn ich mich langweilen würde – es gibt ja Frauen hier, die die Zeit totschlagen statt sie zu genießen. Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Samstags helfe ich in der Bücherei der Shell-Schule, ich gehe dann gleich morgens mit den Kindern hin, bleibe etwa eine Stunde lang da und gehe dann wieder heim. Dienstags spiele ich morgens im Shell-Club Bridge und dort gehe ich auch zum Aerobic, freitags. Dann ist da noch der Chor, ich singe und helfe beim Organisieren. Öfter mal gehe ich vormittags zum Spaß zu Proben im Conservatoire. Da treffe ich meistens andere Expat-Frauen, immer dieselben. Und mindestens ein Mal pro Monat, eher zwei oder drei Mal, gehe ich vormittags mit ein oder zwei Freundinnen zum Suk. Wenn wir abends Gäste bekommen – und das ist oft der Fall – koche ich schon mal vor, gehe dann auch selber in Old Mezze einkaufen. Oft gehe ich irgendwo Kaffee trinken, zu einem open house coffee morning, einem kleineren 81

Heimat auf Zeit Kaffeekränzchen oder zu einer Freundin. Also meine Freundinnen, das sind Frauen, die ich über die Kinder kennen gelernt habe, Shell-Frauen. Auch einige UN-Frauen sehe ich oft. Zwischen halb eins und halb zwei kommt mein Mann und wir essen zusammen ein Sandwich, und danach ist es Zeit, die Kinder abzuholen, um halb drei endet die Schule. Dann gehört meine Zeit den Kindern: Sie müssen ihre Hausaufgaben machen. Und das dauert häufig den ganzen Nachmittag, oder sie haben, wenn sie fertig sind, vielleicht noch Fußball oder Origami, ich fahre sie also hin. Mit Glück kommt mein Mann dann gegen fünf Uhr nach Hause und gegen sechs essen wir alle zusammen. Oder zumindest die Kinder, und wir setzen uns zu ihnen. Die Tage verfliegen, wie überall auf der Welt. Ich würde sagen, sicher ein Mal pro Woche haben wir abends acht bis zwölf Leute zu Besuch, dann laden wir ganz verschiedene Leute zusammen ein, um es interessant zu machen. Heute abend zum Beispiel haben wir ein UN-Paar, ein Paar von Shell und eine Südafrikanerin, die ich kennen gelernt habe, eingeladen, mit ihrem Mann, und einen Mann von der UN, der jetzt bald nach Israel gehen wird. Mir machen solche Abende großen Spaß, auch das Kochen übrigens. Es gibt halt so viele interessante Leute hier, mit den verschiedensten Lebenswegen, aus den verschiedensten Ecken der Welt – das macht es so faszinierend. Und zwei Mal pro Woche, sicher zwei Mal, werden wir selber eingeladen. Ist natürlich insgesamt ziemlich viel, unser Sozialkalender ist voll, wenn du so willst. Aber ich finde das toll. Wenn wir abends mal zuhause sind, unterhalten wir uns bei einer Tasse Kaffee oder sehen mal einen Videofilm oder so. Wenn wir essen gehen, dann in syrische Restaurants: ins Zeitouna, das Elisar oder ins Old Town – ich ziehe es immer vor, bei arabischen Speisen zu bleiben, da wissen sie, wie man die zubereitet. Wenn du europäisch essen willst, gehe nach Europa – das jedenfalls ist unsere Devise. Wenn Leute sich über das europäische Essen beklagen, muss ich immer lachen, was erwarten die? Der einzige Ort, an dem ich hier wirklich krank geworden bin, war übrigens das Sheraton Hotel. Das gemeinsame Wochenende, das beschränkt sich leider auf die Freitage, weil mein Mann in aller Regel sechs Tage pro Woche arbeitet. Freitage. Einiges hat sich da seit kurzem geändert, weil sehr gute Freunde von uns weggegangen sind. Zusammen haben wir uns mit unseren Landrovern auf den Weg gemacht, um rauszukommen. Es war egal, wo wir auch hingefahren sind, es war immer aufregend und wir hatten viel Spaß. Wir müssen unbedingt wieder Freunde mit einem Auto mit Allradantrieb finden, oder vielleicht sollten wir Freunde ohne Allradauto einfach noch in unseren Wagen stopfen und losfahren. Alle bekannten Sehenswürdigkeiten in Syrien haben wir jedenfalls gesehen, 82

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus und viele der kleinen Dinge auch. Toll. Was haben wir Spaß gehabt, auf all den Touren. Immer mit mindestens einer anderen Familie. Und wir waren in der Türkei, auf Zypern und in Jordanien. Natürlich kenne ich auch Damaskus, gut sogar, sehr gut, aber verrückter Weise kenne ich mich trotzdem nicht aus. Ich habe überhaupt keinen Orientierungssinn. In Mezze schon, aber außerhalb Mezzes, da verlasse ich mich entweder auf meinen Fahrer oder eben auf meinen Mann. Ich finde Syrien ganz einfach faszinierend. Liebe es. Ich liebe ja Geschichte. Ich denke, die Tatsache, dass das alles noch bewohnt ist, genau wie in den letzten hunderten von Jahren, ich denke, dass ist einfach zauberhaft. Ich habe in den letzten Monaten versucht, mehr über den Islam herauszufinden. Und das wiederum hat dazu geführt, dass ich mehr über verschiedene Religionen in der Welt gelesen habe, was wirklich sehr interessant ist. Auch die Syrer finde ich übrigens überaus freundlich. Es ist sehr schön, an einen Ort wie diesen zu kommen, wo die Leute so freundlich sind. Leider spreche ich nur ganz wenig Arabisch, aber beim Einkaufen amüsieren sich die Syrer mit mir, helfen mir, verbessern mich. Die Sprache ist einfach zu schwierig, zu zeitaufwendig zu lernen. Ben, mein Mittlerer, bekommt Klavierstunden bei einer Bulgarin, die mit einem Syrer verheiratet ist. Durch Einladungen in deren Haus und auf deren Farm haben wir auch einige wenige Syrer kennen gelernt. Ich glaube, das kommt eben doch wegen der Sprache, ich fühle mich ziemlich gehemmt, weil mein Arabisch für eine freundliche Konversation wirklich nicht gut genug ist. Aber ziemlich viele sprechen ja auch Englisch, jedenfalls die gut ausgebildeten Leute. Kontakte in der Expat-Gemeinschaft habe ich in Hülle und Fülle. Es ist so leicht an einen Ort wie diesen zu kommen, weil jeder Freundschaften schließen möchte und jeder von dir erwartet, dass du freundlich bist. Wir sind allerdings in der Sommerpause angekommen, als zumindest fast alle Mütter mit ihren Schulkindern weg waren. Zum Glück gibt es den UN-Club, dadurch haben wir sofort Leute kennen gelernt, und freitags abends gehen wir nach wie vor meistens zum Clubabend der UN – nur jetzt, wo wir so viele Leute kennen, sind wir darauf nicht mehr angewiesen. Sobald die Schule dann anfing, einige Wochen nachdem wir angekommen waren, lief alles wie von selbst: Über die Shell-Schule habe ich andere Mütter kennen gelernt und dadurch, dass wir dann auch dem Shell-Club beitreten konnten, haben wir sehr schnell viele Leute kennen gelernt. Trotzdem bin ich froh, dass wir mit einer kleinen Firma hergekommen sind. Wirklich, ich denke, in vielerlei Hinsicht ist das schön für uns, weil man sich sein Umfeld dann aussuchen kann – ich bin jetzt ein bisschen ungezogen: Man muss nicht auf Teufel komm raus mit allen können, und man muss auch nicht so tun, als ob. Ich glaube, wir 83

Heimat auf Zeit haben großes Glück, wir können in den verschiedensten Gruppen ein- und ausgehen. Wir haben also viele Bekannte in allen möglichen Kreisen. Und das ist wirklich toll. Das sind natürlich alles Bekannte. Enge Freundschaft ist auch wichtig, finde ich. Ich würde nicht sagen, dass ich viele wirklich gute Freunde habe. Wenn man zu einem gegebenen Zeitpunkt zwei oder drei wirklich gute Freunde hat, hat man großes Glück. Leider sind meine zwei besten Freundinnen beide gerade weggegangen – das ist eines der Probleme hier, dass die Leute laufend wechseln, weil welche weggehen. Meine Beziehungen nach England, die sind sehr oberflächlicher Natur, nicht von Gefühlen bestimmt. Gut, wir sind immer noch mit einem Paar befreundet. Und seit unsere Älteste aufs Internat geht, hat sich für uns einiges verändert, ist England irgendwie wieder wichtiger geworden. Leider hat sich der Besuch der amerikanischen Schule hier in Damaskus letztes Jahr ja nicht bewährt, weil Sue das einzige nicht-syrische Kind in der Klasse war. Jetzt scheint das Internat zu einer langfristigen Sache geworden zu sein, es scheint der beste Kompromiss. Aber zumindest brauchen wir uns nicht vorwerfen, irgendwann mal, es nicht versucht zu haben. Diejenigen, die uns hier besucht haben, waren unsere Familien, von beiden Seiten. Jetzt können sie sich vorstellen, wo und wie wir leben, und das ist wirklich schön, weil es sehr schwer zu beschreiben ist. Ich bin glücklich hier. Ich denke, ich fühle mich zu Hause, wo immer ich meine Siebensachen habe. Es passiert so viel hier, und einfach die Erfahrung zu machen, in einem anderen Land zu leben – und dann noch dafür bezahlt werden! Ich neige dazu, nicht viel über die Zukunft nachzudenken, ehrlich gesagt, weil wir so ein ungeregeltes Dasein führen; wir leben in den Tag hinein und machen das Beste daraus. Und wenn dann etwas Neues kommt, denken wir darüber nach. Überschreite die Brücke, wenn du dort bist. Vielleicht schließt das einige Dinge zu sehr aus, aber für mich ist es die beste Art, damit umzugehen. Es ist einfach zu zermürbend, immer daran zu denken, wohin man vielleicht geht oder auch nicht. Ich versuche, die Zeit zu genießen und das Beste daraus zu machen, und dann den nächsten Schritt zu tun, aber erst »bukra« (»morgen« auf Arabisch, CPM). Miriams Aktionsraum ist im Vergleich zu dem anderer Expat-Frauen groß. Die schematische Darstellung (s. Abb. 8d) spiegelt ihre vielfältige Eingebundenheit wieder. Miriam findet Syrien faszinierend. Sie setzt sich mit Land und Leuten auseinander. Ihre sozialen Kontakte gestalten sich ausgesprochen vielfältig und beschränken sich nicht ausschließlich auf die Expat-Gemeinschaft. Sie 84

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus kennt viele Leute und tanzt auf vielen Hochzeiten. Miriams Beziehung zum Heimatland dagegen ist eher oberflächlicher Natur. 1.5 Typ 5: Kunst- und musikbegeisterte Expat-Frau Marie ist Deutsche. Sie ist fast 40 und hat zwei kleine Kinder, Annika ist drei Jahre alt und Max ein Jahr. Marie hat Medizin studiert, weil ihr Kunstgeschichte damals zu brotlos schien. Nach dem Studium hat sie einige Jahre gearbeitet und dabei ihren Mann kennen gelernt. Sie sind dann für eine deutsche Firma zwei Jahre in Tripolis gewesen. Marie ist mit ihrer Familie vor zwei Jahren nach Damaskus gekommen. Also mich hatte es schon immer gereizt, ins Ausland zu gehen. Ich fand es zu langweilig in Deutschland. Obwohl ich eine sehr gute Stelle hatte. Neugier, Interesse. Als Tripolis aufkam, hat es uns beide sofort gereizt. Aber hätte ich dagegengehalten, hätte Marek nicht unbedingt gehen wollen. Wir haben uns halt gesagt: dann eben jetzt Familie gründen. Dass es so schnell gehen würde, war allerdings eher ungeplant. Ich persönlich habe mir eigentlich zwei Ziele gesteckt, für Syrien, aber man könnte schon fast sagen Lebensziele: erstens mal die Familie – nun komme ich ja täglich in deren Genuss; zweites möchte ich den Künstler in mir entdecken – habe ich da Potenzial? Hier und jetzt habe ich eine reelle Chance, das rauszufinden. Könnte ich vor meinen eigenen Augen bestehen? Das ist wichtig für mich – ich habe vor Jahren mit Klavierspielen aufgehört, weil ich nicht gut genug war, und mit Reiten auch. Ich möchte mir im Moment die Zeit gönnen, viele Sachen auszuprobieren. Diese Probezeit, die nächsten zwei Jahre hier in Syrien, werden zeigen, ob ich mit irgendwas aus dem Quark komme, das ist bisschen die Zielsetzung bei mir. Inwieweit bin ich in der Lage, Kunst – welcher Art auch immer – ernstzunehmend zu machen? Wenn überhaupt, dann schaffe ich es hier, in Deutschland ist viel weniger Zeit, habe ich weniger Möglichkeiten. Wenn wir von hier weggehen, dann ist die maid weg, dann ist die Chance weg, deswegen möchte ich die Zeit für mich nutzen. Und Deutschland ist vernagelt, engstirnig: Bevor du irgendwas probieren kannst, musst du den ganzen Business-Kram erst machen. Du musst einen Raum anmieten, du musst in die Society reinkommen. Hier auch: Du hast die Expat-Community, und du hast die Community der Künstler und Galeristen – und in beide musst du reinkommen. Aber das war, denke ich, vergleichsweise einfach. In der Expat-Community war ich ja sowieso von Tag eins drinnen. Und zur Künstler-Community: Für mich war der eine Zugang eine Galerie, der andere ein syrischer Künstler, den ich über eine Botschafterin kennen gelernt habe. Eine 85

Heimat auf Zeit tolle Zentralfigur: belesen, gebildet, hat selber Gedichte geschrieben, sagt dir auch was zu den anderen Künstlern, wie er sie einschätzt. Anfangs hatte ich Stunden bei ihm, ziemlich informell, Aquarell, Tusche. Aber jetzt gehe ich einfach ab und zu über Mittag hin. Wenn keiner kommt, können wir arbeiten, sonst lerne ich Galeristen kennen, Kunden, andere Künstler – darüber habe ich echt viel mitgekriegt. Leider komme ich sprachlich total an meine Grenzen. Ich hatte in Libyen Unterricht, insofern verstehen die Syrer mich, ich sie aber nicht – und deswegen nehme ich jetzt wieder ein paar Privatstunden. Es sollte bisschen weiter gehen als im Moment – in den Bereichen, wo ich die Sprache brauche, kriege ich das Vokabular auch rein. Und Grammatik war immer ein Problem, aber was soll’s. Zu meinen Alltag: Annika wird morgens von einer anderen Expat-Frau abgeholt und mitgenommen, in den Kindergarten. Ich nehme deren Tochter mittags mit heim. Max ist natürlich mit seinen eineinhalb Jahren noch zu Hause. Leider ist er inzwischen fast zu groß, um den ganzen Vormittag mit der maid zu verbringen. Trotzdem versuche ich, zumindest die Vormittage voll für mich zu nutzen. Fixpunkte habe ich durch die Arbeit als Ärztin, wenn du so willst. Jeder Montag morgen fällt dadurch weg, dass ich Gymnastik oder Müttergruppe gebe; und dann ist da noch die Babyklinik, einmal im Monat den ganzen Samstag vormittag (in der Marie Säuglinge untersucht, CPM). Ich mache das, weil einfach Nachfrage da ist, Bedarf. Aber Kinderärztin wäre ich nie geworden, die Frauen waren nicht mein Ding und schreiende Kinder auch nicht. Es trifft nicht das, was mich an der Medizin gereizt hat. Und verpflichtet fühle ich mich absolut nicht, ich mach’s halt, ich finde es okay. Die Müttergruppe habe ich selber in Tripolis, als Teilnehmerin, sehr geschätzt – und hier ist es für die Frauen genauso. Und ich versuche auch wirklich nur soviel zu machen, wie unbedingt nötig ist. Also die Schwangerschaftsgymnastik, die mache ich sofort dicht, falls da keiner mehr kommt, aber die finden das alle ganz doll. Das ist es mit der Medizin. Alles Weitere hat mit meiner Kunst zu tun – die ist mir viel, viel wichtiger. Oft bin ich unterwegs. Max nehme ich zunehmend mit, zu Malern, zum Frame Shop, also das geht bedingt, je nachdem, wie der da rumsaust. Also mit Annika ist das nicht so wild, aber Max, der ist einfach noch zu klein. Aber zu den Glasbläsern gehe ich mit ihm, Handicraft Suk, da kann er rumrennen. Aber auf den Suk, da gehe ich alleine, da will ich viel in kurzer Zeit erledigen, das geht mit Max nicht – und ich gehe häufig, weil ich ja für die Kunstsachen alle möglichen Dinge brauche – Stoffe, Perlen usw. Diese Jacke hier, handgewebt, die habe ich mir gerade gekauft, die ist toll, nicht? Das ist so ein Händler mitten im Suk, der hat immer mal wieder was besonderes, außer den Sachen, die er immer hat, und die zeigt er mir dann. Ich bin jetzt auch 86

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus paarmal mit anderen Frauen auf den Suk gegangen, in letzter Zeit. Mit Annabel, mit Elske und mal mit dem Kreis um Alexine – die gehen ja öfter zusammen auf den Suk und geben dann auch wirklich Massen an Geld aus, besonders die Pamela. Für Amerikaner hat das hier alles was. Wo man gutes Olivenöl kriegt und gute Gewürze, die Alexine, die kennt sich da echt aus, die weiß, was sie empfiehlt. Aber das Essen, das war nichts, irgendwo oben und schweineteuer. Viel Spaß macht mir die Arbeit für SPARC. Einen Vormittag pro Woche habe ich Dienst und in dem Rahmen organisiere ich ja alle vier bis sechs Wochen diese Ausstellung im Shell-Club, mit wechselnden lokalen Künstlern, wo die Kunstwerke auch gekauft werden können. Geht zwar viel Zeit bei drauf, bringt mir aber auch total viel, Kontakte halt, Erfahrungen, Einblicke. Meine relativ frei verfügbare Zeit nimmt von dem Moment an ab, wo ich Annika vom Kindergarten abhole. Dann sind eigentlich die Kinder dran. Aber ich fahre schon mal mit Annika zu einem Künstler oder so, während Max schläft, auch wenn das nicht ideal ist. Oder ich lasse sie rumspielen, auch mal mit meiner maid, während ich im Atelier bin. Max schläft halt von eins bis drei. Ab und zu mal Kaffeekränzchen, meistens mehr oder weniger wegen der Kinder. Gegen fünf kommt Marek, es wird dunkel, und er möchte dann auch, dass wir da sind, dann essen wir alle schön zusammen. Häufig hat ja unsere maid schon vorgekocht, das ist klasse, die ist nämlich ’ne richtig gute Köchin. Dann spielen wir mit den Kindern, Familienzeit, also außer Ausnahmen, manchmal gehe ich eben schnell zu einer Vernissage im Moment, oder der Bruder von meiner maid kommt für die Kinder und Marek und ich, wir gehen zusammen. Dann macht immer Marek ein Kind fertig und ich das andere, das wechselt dann auch mal. Also wir gehen meistens um zehn ins Bett. Abends lesen wir manchmal beide, aber meistens gehe ich ins Atelier, das ist ein Teil vom Wohnzimmer, die räumliche Nähe ist dann trotzdem da, das ist schön. Also, das mit dem Künstlerischen, das ist schwer planbar, und hat noch nicht mal was mit Müdigkeit zu tun, weil ich manchmal, obwohl todmüde, noch drei Stunden arbeite, aber das fühlst du von innen heraus, und dann machst du das. Es gibt Wochen, in denen ich nur im Atelier bin, jetzt, kürzlich, als ich geschnitzt habe, das habe ich mit sehr viel Liebe gemacht. Die Gemeinschaft spielt abends für uns eine ganz kleine Rolle. Das ist nicht unser Ding, höchstens mal punktuell. Das würden wir aber in Deutschland auch nicht anders machen. Unser Ding ist es, eine kleine Gruppe von Freunden zu haben, mit denen man regelmäßig, aber in nicht zu engen Abständen, was macht, Abendeinladungen oder mal weggehen zusammen. Mit den Künstlern wegzugehen, abends, das hätte schon was! Die gehen irre oft weg. Aber das sind fast alles junge, allein stehende arabische Männer, da wäre Marek auch nicht so begeistert. Aber sobald was einen offizielleren Anstrich 87

Heimat auf Zeit hat, gehe ich schon hin, das ist dann auch eher am Vorabend. Wie die Vernissagen, da gehe ich sehr regelmäßig hin. Wochenenden: immer Familie. Und bisschen auf Drang von Marek gehen wir bewusst raus, wandern, laufen, Rad fahren. Marek kocht ganz gerne am Wochenende, und richtig gut. Aber das sind dann Kochprogramme von mehreren Stunden, das strukturiert das halbe Wochenende. Eigentlich sind die Wochenenden für mich keine Wochenenden, ich habe meine Wochenenden während der Woche. Meine Flexibilität beruht auf der maid, nicht auf meinem Mann. Ich bin am Wochenende viel mehr eingespannt, weil ich ja dann auch noch spüle, aufräume, auf die Kinder aufpasse. Aber Marek sagt da auch: Du hast die Woche, du hast die maid. Und er hat ja recht. Also aus meiner Sicht ist die Zeit hier in Syrien für jeden, egal was jetzt dein Ding ist, DIE Chance, was auszuprobieren – in einer kleinen überschaubaren Community, sei es mit Kunst, Musik, Literatur, was immer. Man kann ohne großen Aufwand selber ausstellen oder Ausstellungen organisieren, Konzerte geben oder zum Beispiel einen Literaturkreis à la Jahrhundertwende aufbauen. Und deine eigene Einstellung, was du willst und erwartest, die prägt eigentlich das, wie es wird. Wie es objektiv ist, das ist ’ne völlig zweite Geschichte. Wie du Damaskus empfindest, als Ausländer, das ist die große Frage. Wie du es findest, nicht wie es ist. Erwartungen spielen eine große Rolle: Du scheiterst an dem, was du erwartest, wenn du zu viel oder auch nur viel erwartest. Und man darf nicht werten – das finde ich ganz wichtig. Alles ist anders, alle sind anders, einer mehr, einer weniger. Eine Familie ist anders als jede andere, eine Stadt ist anders als alle anderen – und dasselbe gilt für Länder. Kulturschock – das ist echt ein Unwort für mich. »Schock« finde ich Blödsinn. Für mich hat jeder Umzug, alles, eine kontinuierliche Entwicklung. Und ich habe mir doch vorher überlegt, dass ich ins Ausland gehen möchte. Du lernst neue Leute kennen, mit denen setzt du dich auseinander, egal, ob das andere Expats sind, Syrer, Ägypter oder sonst wer. Und das geht einfach oder nicht so einfach. Und hier ist die Sprache eben ein zusätzliches Hindernis. Freunde, also richtige Freunde. Dazu zählen keine Syrer, so weit wird es nicht kommen, zumal ich ja auch fast nur Kontakt zu Männern habe. Aber auch andere Expats würde ich bisher nicht zu echten Freunden zählen: Also, wenn sich hier was ergibt, prima, und wenn nicht, dann auch gut. In Tripolis damals, da habe ich bewusst keinen Kontakt mit Deutschen gehabt, ich dachte, was bist du in Tripolis sonst, dann kannst du auch in Deutschland sein. Und die Kindergruppen waren alle international. Hier wollte ich es ursprünglich genauso machen, aber für Kinder ist Kultur so wichtig, weil die sonst später, wenn sie zurückkommen, nicht selbstverständlich finden, was für all die anderen Kinder selbstverständlich ist. Hier haben wir also schon bewusst 88

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Kontakt zu anderen deutschen Familien, jedenfalls zu den Shell-Familien – sind ja nicht so viele. Als wir kamen, wurden wir sofort in die englische Kindergruppe aufgenommen – und das war gut. Aber dann gab es paar Probleme, Knatsch mit der Susan und so, und dadurch sind wir da rausgerutscht, vermute ich. Und bei den Holländern kommen wir nicht rein, wegen der Sprache, weil die Kinder nicht dieselbe Sprache sprechen. Also das mit Engländern und Holländern, das ärgert mich hier sowieso. Hier ist die kritische Masse schon zu groß, als dass es noch eine echte Gesamtgemeinschaft gäbe, und das macht viel kaputt. Ich finde, dass ich persönlich darunter leide und auch Projekte. Die Schizophrenie hier liegt für mich darin, dass ich mich den Holländern näher fühle, weil viele Dinge, auch kulturell, die gleichen sind, aber mir kommt eben die dumme Sprache dazwischen. Aber als Deutsche kannst du dich hier zwischen Engländern und Holländern bewegen, mal hier, mal dort. Denn die Holländer sprechen ja Englisch, die meisten, auch wenn sie es selten tun, nur wenn es unbedingt sein muss, dann. Du kannst dich also zwischen beiden Welten bewegen und am nächsten Abend zu einem arabischen Liederabend gehen. Das hat was. Ich finde, das ist eine Chance: parallel verschiedene Welten zu haben. Mit alten Freundschaften stecke ich im Moment in so einem Prozess, der jetzt just stattgefunden hat: Ein paar Freundschaften sind abgebrochen im letzten halben Jahr. Vielleicht dauert es ein paar Jahre, bis sich Beziehungen natürlich ausdünnen, wenn man weggeht. Also ein reiner Zeitfaktor. Oder es hat mit dem Ausland zu tun. Alte Zeiten reichen nicht, das ist zu wenig, es geht auch um echt aktuelles Leben. Oft habe ich das Gefühl, dass man aneinander vorbei redet, die erzählen ihr Leben, du erzählst dein Leben, und jeder hat seins anyway. Ich würde so sagen: Ein paar sind einfach alte Freunde oder auch Arbeitskollegen, da würde man denken, wenn man zurückgeht, baut man wieder was auf – es gibt also eine Perspektive. Aus Tripolis hat sich ein schöner Kontakt erhalten. Sie ist Libyerin, er Libyer, aber sie hat 20 Jahre in Deutschland gewohnt. Und da ist noch eine Engländerin aus Tripolis, die jetzt in Dubai ist, das ist so bisschen eingeschlafen, aber wenn ich die jetzt besuchen wollte, würde sie sagen: Du, komm. Das sind so Kontakte, die brauchst du eigentlich nicht zu unterhalten, die sind da, und wann immer du sie aktivieren willst, ist das okay. Einige Freundschaften würde ich so einschätzen. Ich muss sagen, Damaskus interessiert mich, ist für mich nicht austauschbar. Aber so: Nicht weil es von Anfang an so war, sondern indem ich hier lebe, merke ich, wie interessant es ist, und zunehmend beschäftige ich mich damit, weil es einfach was Besonderes irgendwie ist. Also mich reizt das Kunsthandwerk, und Architektur. Da gab es mal eine Stadtführung von den Petroleum Wives, die habe ich gerne mitgemacht. Damaskus ist ’ne besondere Stadt, finde 89

Heimat auf Zeit ich, es hat so ’ne lange Geschichte, so viele Völker sind hier gewesen, und weil du das Gefühl hast, das lebt hier irgendwo noch zwischen den Mauern. Die Atmosphäre, und ich finde eben, dass es zum großen Teil durch das Kunsthandwerk lebt, dadurch, dass die vor 2000 Jahren dasselbe gemacht haben. Das bringt dir was lebendig nahe, dem kannst du dich kaum entziehen, wenn du hier bist, und mit offenen Augen durch die Straßen gehst. Aber die Verbissenheit, alles gesehen zu haben von Syrien, die haben wir nicht, wir haben ganz einfach nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Aber so gehe ich überall ran – wir haken nicht nach irgend so ’nem Reiseführer, Ros Burns oder was weiß ich, die Highlights ab, sondern wir suchen uns ein paar tolle Sachen raus und gönnen uns da lieber mehr Zeit dann. Die Atmosphäre aufnehmen, zwei oder drei Tage Palmyra, um die Atmosphäre aufzunehmen, in der Oase spazieren zu gehen mal. Ideen kriegen. Für mich hat das alles mit Inspiration zu tun – wenn du so willst. Aber jedes einzelne Fresko haken wir nicht ab. Geht auch gar nicht, mit kleinen Kindern. Also Expat-Life auf Dauer, das wollen wir beide nicht: zuviel Instabilität im Leben, und »ausprobieren«, wie ich es hier tue, ist ja immer auch nur ’ne Ausprobierphase. Als Expat reißt du ja alles immer wieder ein. Ist, was du machst, hinterher wieder für die Katz gewesen – und das kannst du dir einmal gönnen, für hier ist mir das dieses Mal egal, aber alle vier Jahre hätte ich dazu keine Lust. Dann muss auch irgendwann die Phase des Aufbaus kommen. Das Interessante ist, dass sich Deutschland auch in der Perspektive jedes Mal ändert, wenn du wieder nach Hause kommst. Ich weiß nicht, die letzten beiden Male – also im Sommer, das war es nicht. Alles war erschlagend grün, alles war zugewuchert, irgendwie wie im Urwald, weiß nicht, alles so eng. Ich habe mich jedenfalls nicht wohl gefühlt. Und kleingeistig, kleinkariert die Leute, worüber die sich so unterhalten. Und trotzdem würde ich Deutschland als meine Heimat bezeichnen. Ganz klar. Nur Heimweh hab ich nie gehabt bisher, nie. Also meine Heimat ist zu Deutschland angewachsen, gewissermaßen, mit meinem Geburtsort hat das nichts mehr zu tun. In Deutschland kann es von mir aus überall werden, solange es uns gefällt. Aber zumindest solange, bis Annika eingeschult wird – oder bisschen länger – würden wir schon im Ausland bleiben wollen. Maries Aktionsraum erstreckt sich über ganz Damaskus (s. Abb. 8e). Ihr Interesse gilt der Kunstszene und Damaskus besteht für sie aus Ateliers, Galerien und Ausstellungsorten. Hinzu kommen der Suk und Mezze. Maries soziokulturelle Verortung beschränkt sich nicht auf die ExpatGemeinschaft, sie hat auch zu einigen SyrerInnen regelmäßig Kontakt. Allerdings sind diese Beziehungen ausschließlich durch ihr Interesse an 90

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Kunst im weitesten Sinne entstanden und leben über diese Gemeinsamkeit. Maries soziale Verortung innerhalb der Expat-Gemeinschaft beruht ausschließlich auf der Shell-Gemeinschaft. Maries Zielsetzung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Sie hat sich hier als Mutter von zwei kleinen Kindern Freiräume schaffen können, die in Deutschland im Moment undenkbar wären. Und sie nutzt diese Situation aktiv, um einen Traum zu verwirklichen: den Traum vom Künstlerinnendasein – sie möchte die aus ihrer Sicht rundum positiven Rahmenbedingungen in Damaskus nutzen, um herausfinden, ob dieser Traum Wirklichkeit werden könnte. 1.6 Typ 6: Wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau Patricia ist Engländerin. Sie ist Mitte 50 und Mutter von drei in England studierenden Kindern. Patricia hat zunächst Soziologie studiert, dann aber, als sich ein Leben im Ausland abzeichnete, auf Lehramt umgeschult. Sie ist seit fast 30 Jahren Expatriate. Sie lebt heute in Oman, hat aber vorher gut drei Jahre in Syrien gelebt. Sie kommt seither alle paar Monate für einige Wochen zurück. Die Möglichkeit, Patricia zu interviewen, hat sich bei einem solchen Aufenthalt ergeben. Die Selbstdarstellung erfolgt also retrospektiv. Obwohl es dadurch nicht zu einer exakten Darstellung ihres tagtäglichen Lebens kommt, vermittelt sie ein ausgesprochen aufschlussreiches, lebhaftes Bild. Ich lebe mit meinem Mann schon seit 28 Jahren im Ausland. Öfter mal Holland zwischen den anderen Postings. Nur in Afrika waren wir noch nicht. Als ich John kennen lernte, hatte ich gerade einen Abschluss in Psychologie, und ich dachte, dass ich damit im Ausland wenig werden würde. Also habe ich noch ein paar Kurse obendraufgesetzt, habe mich als Lehrerin ausbilden lassen. Und zusätzlich Englisch als Fremdsprache für Erwachsene gewählt. Vor 28 Jahren, da habe ich an eine eigene Karriere oder so etwas überhaupt nicht gedacht. Aber ich wollte arbeiten. Und ich finde ein Posting immer besser, wenn ich selbst arbeite. Es muss nicht unbedingt als Lehrerin sein, ich will einfach irgendetwas machen, was ich gerne mache und was sinnvoll ist. Und irgendwas habe ich überall gemacht. Okay, in Brasilien hatte wir kleine Kinder, da war ich fast ausschließlich mit anderen Müttern zusammen. Aber sonst habe ich immer unterrichtet – und es hätte gar nicht unbedingt unterrichten sein müssen, aber es hat sich immer so ergeben. Ich hatte das große Glück, etwas gewählt zu haben, was mir all die Jahre riesig viel Spaß gemacht hat. Ich finde Syrien wesentlich attraktiver als Holland. Holland, oder jedes andere westliche Land, ist langweilig, farblos, bequem. Wir sind aber nicht an 91

Heimat auf Zeit »bequem« interessiert, hätten wir das gewollt, wären wir in England geblieben oder zumindest schon lange zurückgegangen. Für mich ist Syrien wie nach Hause kommen. Ich weiß, dass ich fast übertrieben begeistert wirke, weil meine Einstellung zu Syrien so sehr positiv ist, und ich weiß, dass die anderer Leute aus den verschiedensten Gründen nicht so positiv ist. Aber ich konnte hier so viele Dinge tun, erreichen wie nirgendwo anders, ich habe so viele verschiedene Projekte begonnen, wie vorher nie. Wohltätigkeitsarbeit. Ich habe hier gelernt, dass es einfach sein kann, Dinge ins Rollen zu bringen. Das einzige, was man machen muss, ist zu sagen: Ich möchte das und das machen. Und dann fängt man schon an, etwas zu bewegen, mit Expats wie mit Einheimischen. Durch das Unterrichten kommt man immer in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Und das ist es, was ich so toll finde. Ich habe zunächst auch hier begonnen zu unterrichten. Aber ich wollte nicht an eine Schule gehen, mir geht es nicht ums Geld. Da wir katholisch sind und zur Kirche gehen, dachte ich, die Nonnen würden sicher Leute kennen, die Englischunterricht gebrauchen könnten. Es schien mir nämlich gleich so, als ob Sprachkenntnis, zumal Englisch, hier in Syrien sicher nicht von Nachteil ist. Ich habe das also angeboten, und ganz schnell war alles organisiert, es gab einen Raum und so. Der Pfarrer oder die Nonnen haben Schüler angebracht, und immer solche, die sich einen Kurs beim British Council nie im Leben leisten könnten. Es gab großen Bedarf und so hat alles angefangen. Und dann war ich bei einer dieser Touren dabei, wo ein Flüchtlingslager der Palästinenser besucht wurde. Die hat absolut niemand in irgendwas unterrichtet. Und als ich dort fragte, ob sie Interesse an Englischstunden hätten, waren sie begeistert. Dann haben wir mit anderen Expat-Frauen, die mitmachen wollten, auch unterrichten wollten, ein kleines Programm gestartet, und so ging es weiter. Und das läuft immer noch; und das ist der Grund, warum ich das Gefühl habe, hier etwas zu erreichen. Ich habe anfangs selbst unterrichtet, dann aber hauptsächlich koordiniert und ich bin halt immer eingesprungen. Wenn man eine Beziehung aufbaut zur lokalen Kultur, dann macht so ein Posting viel mehr Spaß, denke ich. Wenn man mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt kommt, mit Syrern arbeitet, dann erfährt man mehr von ihren Lebensumständen. Wenn man beginnt, mit den Armen zu arbeiten, dann entwickelt sich eine Beziehung zu einigen. Und dann lernst du automatisch andere kennen. Hier, in dieser Gesellschaft, läuft sowieso alles über persönliche Kontakte, das ist das A und O. Über solche Kontakte, die sich entwickelt haben, ist dann auch das Lighthouse-Project entstanden, das junge syrische Erwachsene mit Down-Syndrom dabei unterstützt, in einem Workshop kreativ tätig zu werden und die entstehenden Produkte zu verkaufen. 92

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Ich habe hier allerdings kein Geld gesammelt. Es gab sehr wohl Bedarf dafür, gibt ihn natürlich nach wie vor, aber ich hatte keine Zeit. Und es gibt hier eine Menge Expat-Frauen, die Geld sammeln – in einem Ausmaß, dass viele Expatriates schon fast ein bisschen die Nase voll haben. Es gibt viele Aktivitäten, für je unterschiedliche Projekte. Und ich wusste immer, was am Laufen war – von denen, die sich um Geld bemühen, wurde ich als jemand gesehen, der wusste, was man Sinnvolles mit dem Geld machen könnte. Und so ist es immer noch. Und unser soziales Leben: Ben und ich, wir haben damals was mit Einheimischen gemacht, was nichts mit Shell zu tun hatte, deswegen, weil ich ja auch damals die Kontakte schon hatte – das war die gute Seite: Wir konnten von Shell wegkommen. Die meisten, die wir dort kannten, Bab Sharqi und so weiter, wussten nicht, was er machte, und es hat sie auch nicht interessiert. Ben war einfach Ben, ich war ihre Lehrerin. Das war sehr schön, sehr schön. Ich glaube, in einer so großen Stadt ist die entstehende Anonymität was Feines, und es gibt so viele Möglichkeiten – du kannst ein Leben führen, mit dem niemand (von Shell) etwas zu tun hat, wenn du willst. Aber wir sind auch in der Expat-Gemeinschaft, hier wie anderswo, immer sehr glücklich. Hier waren wir immer bei der happy hour. Und Ben musste ja auch Leute treffen, immer und nur, schon des Jobs wegen, aber uns hat das eben auch immer Spaß gemacht, immer. Er macht Sport. Ich auch. Und ich habe Bridge gespielt. Ich habe die ganzen Expat-Sachen gemacht – weil ich sie gerne mache. Aber ich mag sie nur in kleinen Mengen, weil ich auch gerne noch anderes mache, etwas mit dem Kopf oder so. Ich würde nicht gern in einem Hotel leben, denke ich, aber ich verbringe nicht mehr Zeit zu Hause als wirklich nötig ist, mir ist es nicht wichtig, viel zu Hause zu sein – ich bin eher jemand, der weggeht, nicht jemand, der zu Hause sitzt. Ich hänge nicht an irgendeinem Haus, für mich sind die Aktivitäten in der Gemeinschaft das, was zählt. Wir haben nur sehr wenig eigene Sachen, ein eigenes Bett, viele, viele Bücher und Bilder. Und es ist mein Mann, der einrichtet. Ich finde fast immer alles gut so, wie er es herrichtet, ist auch immer gemütlich. Ich bedaure nur, dass ich es nicht hinbekommen habe, Arabisch zu lernen. Jetzt, in Oman, fange ich endlich an, ich habe mehr Zeit, dort. Es zieht mich immer wieder her. Damals hatte ich halt einen Fahrer und absolut keine Zeit. Und jetzt, wenn ich hier bin, dann besuche ich meine Studenten von früher zu Hause, ich übernachte bei ihnen, frühstücke dort, einfach alles. Gerade gestern abend waren wir zum Beispiel mit einer ganzen Gruppe unterwegs, Wasserpfeife rauchen und Bier trinken, so als ob man irgendwo in Europa mit einer Gruppe von Freunden weg ist, aber ich bin dann der einzige Expat weit und breit, weil es irgendwo in einer Hintergasse ist. Und genauso war es auch, als wir noch richtig hier gelebt haben. Sobald ich jetzt komme, spricht sich das sofort rum und dann 93

Heimat auf Zeit wird organisiert. Jetzt am Freitag fahren wir zum Beispiel nach Maalula und picknicken dort, keine anderen Expats, nur Syrer. Aber ich halte auch Kontakt zur Expat-Gemeinschaft. Mein Tag ist immer noch geteilt, genau wie damals: Ich verbringe ihn halb mit Expats und halb mit lokalen Freunden. Obwohl die Expats wechseln, lerne ich die neuen Expats kennen. Denn ich gehe immer, wenn ich hier bin, einfach jede Woche zur happy hour. Und die Leute sprechen ja auch über meine Projekte – ich glaube, hoffe, ich werde immer Kontakt mit den Expats haben, und das ist sehr schön, ich hoffe, das wird sich fortsetzen. Vom sozialen Gesichtspunkt her ist das schön, aber es ist auch gut, weil ich immer auf der Suche bin nach Geld – und bei den Expats ist das Geld. Ich habe zum Beispiel eine gute Beziehung zu den Petroleum Wives und ich zeige ihnen, wo sie ihr Geld sinnvoll spenden können. Es gibt nur wenige Leute, zu denen wir über all die Jahre Kontakt gehalten haben, sehr wenige. Aber keine Freunde, es ist wirklich hauptsächlich Familie. Und selbst die verstehen unser Leben nicht, obwohl sie uns besuchen. Aber im Allgemeinen besucht uns unsere Familie so oft gar nicht. Sie sind mit ihrem Leben beschäftigt und so weiter, und außerdem fahren wir ja zurück und besuchen sie. So halten wir die Beziehungen aufrecht. Wir passen uns in ihr Leben ein, nicht umgekehrt. Sie finden einfach, wir führen dieses exotische Leben. Und dann versuchen wir Kontakt zu halten zu einigen Expats, die über die ganze Welt verteilt sind. Deswegen verbringt man eine Menge Zeit am Telefon. Das ist sicher ein Nachteil an diesem Leben. Es ist interessant, aber es ist auch frustrierend, wenn man keine Zeit für die Leute findet, mit denen man sie gern verbringen würde. Das ganze Leben ist irgendwie ziemlich zusammengestückelt, zerstückelt. Oh ja, ich habe das Expat-Leben als schwierig empfunden, ja. Aber es ist ein Leben wie jedes andere Leben und es gibt immer Schwierigkeiten. Ganz egal, wo man lebt, man muss am Morgen aufstehen und man geht seiner normalen Routine nach, man isst und man schläft, und das immer wieder. Immer wieder irgendwo neu anfangen, immer wieder. Wir wussten nicht, auf was wir uns einließen, damals, wir kamen ja gerade von der Uni. Und dann waren wir bald aufs Umziehen programmiert, genau wie unsere Kinder dann auch. Zwei haben das Leben besser im Griff als unser Dritter, aber das hat meiner Meinung nach nichts mit dem Expat-Leben zu tun, sondern mit der Persönlichkeit, wäre in England genauso gekommen. Also in gewisser Hinsicht ist Shell eine große Familie: sicher, verlässlich, vertraut. Allerdings verhindert das, dass Leute nach draußen gucken. Es ist ein Phänomen des Expat-Lebens, dass die Kontakte zwischen Shell bzw. der Ex-

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IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus pat-Welt und der lokalen Gesellschaft so gering sind. Das liegt eben daran, dass wir eine so gute Struktur haben, dass wir von oben bis unten versorgt werden. Die Leute fügen sich einfach ein und gucken nicht mehr über den Tellerrand raus. Die Leute leben fast wie zu Hause, in einer Expat-Gemeinschaft eben und bisschen woanders auf der Welt. Aber in vielerlei Hinsicht könnten sie zu Hause sein. Die Leute machen dasselbe, sie spielen Bridge und machen Sport. Also, für mich gibt es einige »Zuhauses«. Oder, nein: Mein Zuhause ist da, wo Ben ist. Ganz einfach. In England leben unsere Eltern und Bens Schwester, unsere drei Kinder studieren alle dort, sind auch in England auf ein Internat gegangen. Wir haben da ein Haus, und es ist so was wie unser dauerhaftes Zuhause, denke ich. Es ist halt praktisch, die Kinder kommen und gehen. Es ist die Basis, würde ich sagen, unsere Basis. Aber wir haben auch noch ein Haus in Kanada, dort ist es einfach fantastisch. Wir sind also an einigen Orten zu Hause. Aber ich schätze, unsere Heimat ist England, sozusagen. Allerdings, ob mein Herz auch wirklich dort ist, ich weiß es nicht. Für uns ist der Ort, wo wir gerade leben, wo unser tagtägliches soziales Leben stattfindet, immer sozusagen der erste Wohnsitz – so sind wir da rangegangen, so empfinden wir es. Alles andere, etwa Urlaub in England, ist anders: Man besucht Leute, aber das ist wirklich nicht wie eine tagtägliche Beziehung oder so. Wir haben also noch nicht DAS Zuhause. Wir werden es aber ersinnen müssen, denn Ben wird in wenigen Jahren pensioniert. Ich würde sehr, sehr gerne einige Monate des Jahres, vier, fünf, in Syrien verbringen, über meine Kontakte könnten wir vielleicht ein Haus kaufen, auch wenn das eigentlich nicht erlaubt ist. Aber für Ben würde es wirklich schwierig werden, weil er im Prinzip nichts zu tun haben würde. Eine Fifty-fifty-Lösung würde also nicht funktionieren. Es ist wirklich schwer zu sagen – aber im Traum auf jeden Fall! Es wird deutlich, dass Patricias Aktionsraum der größte aller dargestellten Aktionsräume ist (s. Abb. 8f.). Der Aktionsraum spiegelt ihre soziokulturelle Verortung in Damaskus wieder. Er beschränkt sich nicht auf Mezze, sondern erstreckt sich, freilich punktuell, über ganz Damaskus. Auch in Bezug auf die Bedeutung der eigenen Wohnung stellt Patricia eine Ausnahme dar: Sie bedeutet ihr nicht sehr viel. Ihr tagtägliches Leben spielt sich etwa zur Hälfte innerhalb der Expat-Gemeinschaft und zur anderen Hälfte im Kreise ihrer lokalen Freunde ab. Dabei sind es die Freundschaften mit SyrerInnen – immer verbunden mit dem Einblick in die Kultur, der ihr dadurch möglich wird – die die Zeit in Syrien für Patricia zu etwas Besonderem gemacht haben. Ihre Beziehung zum Heimatland beruht auf der Beziehung zur Fami-

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Heimat auf Zeit lie. Freundschaften haben sich nicht erhalten. Allerdings haben Patricia und ihr Mann sehr wohl über die Jahre Beziehungen zu anderen Expatriates aufrechterhalten können. 1.7 Typ 7: Orientierungslose Expat-Frau Leonore ist Holländerin. Sie ist Mitte 30, verheiratet und kinderlos. Während ihrer Ausbildung zur Sekretärin hat sie bei ihren Eltern in einer Kleinstadt gewohnt. Danach hat sie einige Jahre in der nahe gelegenen Kreisstadt gelebt und gearbeitet. Auch während ihres ersten Postings in Brunei hat sie noch gearbeitet; danach, in Denver, aber nicht mehr. Von dort sind sie und ihr Mann vor zwei Jahren nach Syrien gekommen. Als Kind bin ich ein Mal umgezogen, als ich drei war. Dann habe ich, bis ich 23 war, zu Hause gewohnt. Nach meiner Ausbildung zur Sekretärin bin ich ausgezogen. Ich habe probiert, alleine zu leben. Und gemerkt: Ich bin sehr familienanhängig, sehr. Ich hänge sehr an meinen Eltern und meinen zwei Schwestern. Die ganze Familie meiner Mutter – und sie hat sechs Geschwister – wohnt auch in der Nähe. Die ganze Nachbarschaft hat gewissermaßen zur Familie gehört. Meinen Mann habe ich kennen gelernt, kurz bevor er nach Brunei ging. Er ist ganz anders aufgewachsen als ich: Eelco hat immer wieder die Schule gewechselt, bis er 14 war. Er hatte es schwierig, hatte nie rechte Freunde, hat er mal erzählt, weil er so viel umgezogen ist. Aber er schließt dafür sehr viel leichter Kontakt. Er ist offener, und nun hat er da natürlich Freude dran. Nach drei Jahren bin ich auch nach Brunei, bin ich nachgegangen – aber mit eigenem Job, ich wohnte in einer kleinen Wohnung der Klinik, an der ich arbeitete. Aber ich habe dann schnell festgestellt, dass es mir keinen großen Spaß macht, im Ausland zu arbeiten, ich war immer Außenseiterin, in jedem Fall. Als mein Mann nach Amerika versetzt wurde, bin ich sofort freudig mitgegangen. Mir fehlt meine Arbeit nicht, das habe ich in den neun Monaten dort dann festgestellt. Viel Wandern, Skifahren, fanden wir toll, die Natur. Wenn ich Heimweh habe, dann nach Holland oder vielleicht nach Denver. Die westliche Kultur dort, die Natur konnten mir vielleicht so was wie Geborgenheit vermitteln. Mein tagtägliches Leben ist sehr strukturiert. Schon immer gewesen, ich bin jemand, der geregelte Dinge liebt. Kleine Überraschungen schon, aber bitte nicht zu große. Morgens bringe ich Eelco in der Regel ins Büro – wir haben ja keinen Fahrer und ich brauche das Auto später. Dreimal pro Woche laufe ich mit einer Freundin, meiner besten Freundin hier, um den Jabal Kassioun, manchmal schließen

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IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus sich andere Frauen an, am Sonntag sind wir eine ganze Gruppe. Die Zeit ist jeden Morgen die gleiche: neun Uhr. An den zwei anderen Vormittagen gehe ich im Shell-Club zum Aerobics, auch um neun. Danach trinke ich meistens einen Kaffee, oft gleich im Club, manchmal auch bei einer anderen Frau zu Hause oder bei mir. Den Kaffee finde ich so lecker nicht, schon gar nicht nach dem Sport, es geht halt um die Geselligkeit. Gegen elf bin ich dann wieder zu Hause. Dann ist der Haushalt dran. Ich habe keine maid, ich möchte das so. Ich wusste anfangs gar nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte. Ich brauche jeden Tag etwa eine Stunde hier im Haus, und das ist nicht viel, aber gerade genug, dass ich mich nützlich fühle, gebraucht, ich mache was, wo man das Resultat sieht. Ich wohne in einer aufgeräumten, sauberen Wohnung. Und nachmittags ab ein oder zwei Uhr habe ich dann gewissermaßen frei: Da bin ich halt meistens alleine zu Hause, nähe mal was oder lese und schreibe Briefe: Ich schreibe wöchentlich Briefe an meine Familie und auch an die meines Mannes. Er schreibt nämlich überhaupt nicht. Immer wenn Eelco abends Post mitbringt, dann freue ich mich riesig. Abends koche ich was und gegen sechs wird gegessen. Ich nehme zwar viele Lebensmittel aus Holland mit; trotzdem finde ich, dass man nicht richtig experimentieren kann beim Kochen, immer fehlt mir irgendwas. Das ist schade. Zudem, auch deswegen vielleicht, macht mir Einkaufen keinen großen Spaß: Lebensmittel kaufe ich nur ein Mal pro Woche alleine, und schwere Sachen Donnerstag früh mit Eelco. Und zum German Store gehen wir gar nicht mehr, weil wir Wurst und Käse mitbringen. Ein paar nette Restaurants haben wir entdeckt, die Pizzeria im Sheraton etwa, die Restaurants am Restaurant Square und La Guitarra. Arabisch essen wir fast nie. Wir gehen etwa alle drei Wochen mal aus, und dann meistens am Wochenende, weil ich am Wochenende nicht koche. Wir gehen abends auch nicht zu Leuten, Eelco findet es schön, zu Hause zu sein: am Computer zu sitzen oder Musik zu hören. Und ich kann, könnte, den ganzen Tag Sachen machen, mir macht es nichts, abends daheim zu bleiben. Ich habe halt jeden Tag irgendwas, und das gefällt mir so ganz gut. Na ja, ganz gut halt, nicht wirklich richtig gut. Also in Holland hätte ich viel mehr von jedem einzelnen Tag. Abends sehen wir auch öfter Videos, schauen fern – regelmäßig das »Journal«, seit es Nederlands TV über Satellit gibt. Seitdem lese ich die Tageszeitung, die wir abonniert haben, nicht mehr regelmäßig. Zur happy hour gehen wir inzwischen nicht mehr, nur noch, um eben die Videos zu tauschen (die Videothek ist zu der Zeit geöffnet, CPM): Man sieht doch immer dieselben Menschen,

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Heimat auf Zeit und das ist langweilig, nicht immer nett. Und dann denke ich hinterher: was war das nun, das war es nicht wert, und Eelco findet das auch, noch mehr so, weil er all die Männer schon im Büro sieht. Ganz selten gehe ich mal zum Suk, das mache ich absolut nie alleine: entweder mit Eelco oder mal mit einer anderen Frau, aber höchstens alle zwei oder drei Monate. Im Sommer gehen wir mal zu einem Barbecue, manchmal kommt plötzlich einiges nacheinander, aber dann ist es wieder ganz lange ruhig. Also wir gehen sicher nicht häufig weg, nicht ein Mal pro Woche oder so, viel seltener. Ein Mal im Jahr geben wir mit den Nachbarn hier aus dem Haus, die auch von Shell sind, auch kinderlos, mit denen geben wir ein großes Fest im Garten, aber ansonsten haben wir zu den Nachbarn nicht viel Kontakt. Schade eigentlich, aber die Frau ist einfach anders als ich, ganz anders. Jedes Wochenende, wenn es nicht zu heiß ist, gehen wir irgendwo wandern, oft am Lake Zarzar, immer irgendwo querfeldein. Im Winter gehe ich deswegen nicht zum hash, weil ich viel lieber mit meinem Mann wandern möchte, aber im Sommer, wenn der hash dienstags abends stattfindet, dann gehe ich regelmäßig, ohne Eelco. Im Urlaub fahren wir immer erst nach Holland, das finde ich ganz wichtig. Aber dann fahren wir auch immer zehn Tage irgendwo hin. Voriges Jahr waren wir mit dem Motorrad in Schweden, dieses Jahr wollen wir nach Norwegen fahren. Ein Haus haben wir nicht, bisher. Wäre schon schön als Basis, aber wir sind sehr gerne bei den Familien. Bei meinen Eltern haben wir sogar ein eigenes Apartment ohne Küche, bei Eelcos Eltern wohnen wir mitten drin in einem kleinen Haus – das könnte mit Kindern möglicherweise problematisch werden, aber so ist es überhaupt kein Problem. Und auch bei Freunden können wir im Moment ganz einfach und unkompliziert übernachten. Vor einem Jahr war ich auch mal, ein Mal, alleine in Holland, für zehn Tage: Ich hatte Heulkrämpfe, wusste nicht recht, was los war, war böse auf Eelco, ohne Grund, hatte keine Lust zu Sport, obwohl mir das eigentlich sehr wohl Spaß macht. Und ich dachte, vielleicht muss ich mal nach Holland, und in der Tat, hinterher war es besser. Wir sind schon alle drei Monate in Holland, in etwa, und das ist gut so. Und diesen Sommer fliege ich zwei Wochen eher als Eelco, damit ich schon einiges erledigen kann. Zeit für mich selber, alleine in Holland, habe ich auch mal nötig. Also in Brunei, im Camp, hat es mir besser gefallen als hier, eine Gemeinschaft, in der man beieinander wohnt. Fand ich schöner als hier. Hier mitten drin zu leben, das finde ich nicht toll, wegen der Andersartigkeit der Syrer, sie leben in einem ganz anderen Rhythmus als wir. Hier fühle ich mich jedes Mal beobachtet, wenn ich das Haus verlasse. Sie sehen an einem vorbei, schauen nicht in die Augen, aber beobachten einen sehr wohl. Ich habe jetzt gelernt, da98

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus mit umzugehen. Erst wollte ich immer nur drin bleiben, anfangs, aber dann habe ich gemerkt, dass das nichts nützt, ich muss Dinge tun, muss raus. Ich weiß schon, dass die Welt hier anders strukturiert ist als bei uns, aber warum sie mit zwei Messlatten messen – einer darf etwas und jemand anders nicht: Dich lassen sie irgendwo parken, wo ich Stunden eher nicht parken durfte, solche Sachen – das verstehe ich nicht. Und das bleibt stets hängen, obwohl wir schon zwei Jahre hier sind. Wir sind echte Kulturbanausen, ohne Wenn und Aber. Die Moschee haben wir uns angesehen, aber das Museum, das interessiert mich überhaupt nicht. Stätten wie Bosra oder Palmyra haben wir gesehen, dann Lattakia, Tartous, Deir ez-Zor und Aleppo, aber nicht detailliert. Am besten gefallen mir sowieso Tagestouren. Meine Welt ist eigentlich sehr klein! Unser Haus, dann die Yellow Bakery, daneben jemand, den ich kenne, wo ich ab und zu hingehe, dann das Hyatt, wo ich Eelco jeden morgen hinbringe, meine beste Freundin in East Mezze, das Shell-Center, Old Mezze, kürzester Weg zum Mt. Kassioun und selten mal Suk, ab und zu Cham Hotel, um Geld zu holen. Das ist es auch schon. Kontakt außerhalb Shell habe ich nur beim hash, und dann absolut oberflächlicher Natur. Also da habe ich auch kein Bedürfnis. Also mit den Leuten hier von Shell, da habe ich genug. Und innerhalb der Shell-Gemeinschaft habe ich auch ganz wenig Kontakt, eigentlich nur zu Holländern. Ich hätte absolut keine Lust, hier zu einer Clique zu gehören. Dann lästern die Frauen übereinander, obwohl sie sehr wohl in derselben Clique sind, und ihr Bestes tun, um auch in der Clique zu bleiben. Oft ist es auch so, dass die Leute schon gemeinsame Postings hatten, und die fangen dann hier da wieder an, wo sie woanders aufgehört haben. Und da kriegen sie dann ihre Kontinuität her, aber für andere ist es dann sehr schwierig, dazwischen zu kommen, vielleicht. Meine anfangs beste Freundin hier ist inzwischen in Nigeria – und diese Freundschaft ist bisher bestehen geblieben: per Post und Telefon und dadurch, dass wir uns in Holland treffen. Zwischendurch habe ich dann mal ziemlich viel mit einer deutlich älteren Frau gemacht. Wir haben uns beim Aerobics kennen gelernt, aber dann wurde mir irgendwann schlagartig klar: Sie denkt nicht so wie ich, man merkt den Unterschied. Ich fühlte plötzlich, dass ich nicht mehr zu den jüngeren, sondern zu den älteren Menschen gehöre. Ich sah sie drei oder vier Mal pro Woche, dann ist man bisschen in derselben Welt natürlich, im selben Kreis. Und ich bin da auch nur sehr schwer wieder rausgekommen, dachte aber: Nein, ich bin noch lange nicht 55. Ich habe hier schon eine Freundin, habe ich ja schon gesagt. Aber eine gute Freundin wie in Holland, das ist schwierig, das hat aber mit dieser Art Leben zu 99

Heimat auf Zeit tun. Es ist schwierig, wirklich tief gehende Beziehungen aufzubauen, weil man weiß, es ist vermutlich nur für ein Jahr oder vielleicht für zwei, und Abschied nehmen tut oft sehr weh. Man ist eben alleine am anderen Ende der Welt mit nur dem Ehemann als Ansprechperson, in erster Instanz. Nun kann ich mit Eelco gut reden, über alles. Aber er ist eben ein Mann, ich bin eine Frau. Und wenn ich ein Problem habe, dann will er Lösungen suchen, finden, aber ich will gar keine Lösungen, ich möchte einfach gehört und verstanden werden. Und das ist manchmal nicht einfach. Aus meiner Arbeitszeit habe ich noch zwei Freundinnen, die mir sehr wichtig sind. Denen schreibe ich regelmäßig, die besuche ich auch im Sommer immer. Trotzdem glaube ich, dass sie meine heutige Welt nicht so gut verstehen und dass der gemeinsame Nenner nach wie vor der holländische Alltag ist, in den ich mich natürlich jederzeit problemlos zurückversetzen kann. Bei Eelco und mir ist es natürlich auch noch anders, weil wir kein gemeinsames Leben in Holland hatten, er hat seine Freunde, ich meine, und einige seiner Freunde, da gehe ich schon gerne hin, aber ich kann nicht mitreden, weil ich die Geschichten nicht kenne, die gemeinsamen. Und umgekehrt ist es genauso. Wir können also nicht auf etwas zurückgreifen, was wir da gemeinsam hatten. Macht es nicht einfacher. Also dieses Posting finde ich nicht toll, und wenn wir noch so eines kriegen – wenn ich wieder wohin müsste, wo ich es nicht so toll finde, dann würde ich es sicher nicht machen, bis ich 60 bin, weil ich das schade finde, schade um mein Leben, sagen wir mal. Wie Zeit wegwerfen. Ich fühle mich hier zu 60 Prozent wohl, und davor war es noch viel weniger, und manchmal sind es auch 90 Prozent, aber nur für ein paar Tage, und eben nie 100 Prozent. Und das hat mit den Dingen um mich rum zu tun: den Leuten, dem Lärm, der schlechten Luft, dem schwierigen Einkaufen, dann habe ich manchmal genug davon, und ein Fahrer ist auch nicht die Lösung, weil ich auch raus möchte, muss. Wir haben natürlich darüber gesprochen, ob wir zurückgehen sollen nach Holland, im nächsten Posting, aber dann weiß ich nicht, ob ich dann jemals wieder weggehen würde. Und das finde ich bisschen unfair Eelco gegenüber. Er findet es nämlich nach wie vor sehr schön, im Ausland zu leben. Ich liebe das Ausland auch, schon, ich reise gerne, ganz im Gegensatz zu meinen Eltern, aber im Ausland leben finde ich doch sehr schwierig, besonders in einem Land wie diesem. Ich bin hier nur, um mit Eelco zu leben. Aber wenn es nicht so weit weg wäre, fände ich es nicht ganz so schlimm. Deshalb werden wir probieren, als nächstes ein Posting in Europa, Aberdeen oder so, zu bekommen. Aber wenn das nächste Posting wieder nichts Tolles wird, dann möchte ich nach Holland zurück: Sorry Eelco, ich habe es dann sehr wohl

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IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus probiert, zehn oder zwölf Jahre, noch ein Posting weiter, sagen wir mal, dann habe ich es wirklich lange genug probiert. Leonore ist in ihrer Herkunftsfamilie sehr verwurzelt, was sowohl in Brunei damals zu starkem Heimweh führte als auch jetzt in Syrien – mit ihrem Mann kann sie zwar sehr gut reden, aber ihr fehlen die Familie und gute Freundinnen. In Amerika dagegen hat sie sich wohl gefühlt, weil die Natur und die westliche Kultur ihr ein gewisses Maß an Geborgenheit vermitteln konnten. Leonore fühlt sich im Großen und Ganzen nicht wohl in Syrien, fühlt sich beobachtet. Sie hält ihrem Mann zuliebe durch und bemüht sich um einen zufriedenstellenden Alltag. Ihm gefällt diese Art Leben, er ist aber durchaus bereit, sich im nächsten Posting um Europa zu bemühen – diese Gewissheit beruhigt Leonore und gibt ihr Kraft. Leonores Aktionsraum und ihr soziales Netzwerk sind in Abb. 8g schematisch dargestellt. Zu Damaskus als Lebensraum hat Leonore keine Beziehung aufbauen können, auch nicht aufbauen wollen. Sie fühlt sich als Außenseiterin. Sie hat weder Zugang zur Stadt gefunden noch Zugang zu den Menschen, die hier leben. Für sie sind die kulturellen Barrieren de facto unüberwindbar. Leonores Aktionsraum ist dementsprechend sehr klein. Syrien haben sie und ihr Mann sich angesehen, allerdings im Wesentlichen in Tagestouren. Der Grund hierfür ist sicher unbewusster Natur: Leonore möchte sich der Andersartigkeit nur in begrenztem, eng kontrolliertem Rahmen aussetzen, und dann möchte sie zurück in die ihr vertraute Umgebung: in ihre Wohnung. Die Wohnung ist so eingerichtet, wie sie sie auch in Holland einrichten würde, ohne jedes Shell-Mobiliar, nur mit eigenen Möbeln. Leonores soziokulturelle Verortung beschränkt sich auf die Shell-Gemeinschaft.

2 Verdichtete Handlungsmuster (1) Berufsorientierte Expat-Frauen Bei den berufsorientierten Expat-Frauen handelt es sich um Frauen, die die passive Rolle der selbstverständlich mitreisenden Ehefrau, wie sie noch vor zwei Jahrzehnten die Regel war, weder akzeptieren können noch wollen. Sie sind in der Regel gut ausgebildet und häufig mit Männern ähnlicher

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Heimat auf Zeit Einstellung verheiratet: I am fortunate to have a very supportive husband (eng3).26 Sie sind der Überzeugung, dass Haushalt und Familie sie nicht ausfüllen können. Ihre Interessen und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung liegen sozusagen außerhalb dieses Rahmens. Sie brauchen eine gleichberechtigte Partnerschaft, die ihnen eine gewisse Eigenständigkeit ermöglicht. Denn berufsorientierte Expat-Frauen möchten arbeiten oder zumindest etwas tun, was ihnen beim Wiedereinstieg in den Beruf, der meist in absehbarer Zukunft erfolgen soll, förderlich ist. Bei der Umsetzung dieses Wunsches sind die berufsorientierten Expat-Frauen sehr kreativ. Sie finden entweder tatsächlich einen Job, oder sie sind in der Lage, ihre Wunschvorstellung von einem Job der Situation anzupassen: Solange ich im Fach bleiben kann, auch ohne Stelle, und Gelder bekomme, durch Forschungsstipendien, bin ich ganz zufrieden (deu9). Andere beginnen z. B. ein Fernstudium, das später zusätzliche Chancen eröffnen könnte. Die Hauptmotivation dafür, ins Ausland zu gehen, ist durchweg sehr ähnlich: Sie beruht auf der Einstellung, dass jetzt der ideale Zeitpunkt sei, um dieses Leben kennen zu lernen. Sehr häufig liegt es daran, dass wegen kleiner Kinder sowieso eine Babypause eingelegt würde. Aber berufsorientierte Frauen sehen diese Art Leben gewissermaßen als Übergangsphase an. Sie sind bereit mitzugehen, solange ihr Wunschtraum von der eigenen Karriere dadurch nicht in allzu weite Ferne rückt; solange von ihnen nicht totale Integration in eine Gemeinschaft erwartet bzw. verlangt wird, in der sie ihre eigene Identität auf Dauer bedroht sehen. Längerfristig stellt das Expat-Leben für diese Frauen keine Alternative zum Leben im Heimatland dar. Weil von Vorläufigkeit des Lebensstils ausgegangen wird, investieren diese Frauen sehr viel Kraft, um den Bezug zur Heimat aufrechtzuerhalten, sowohl zur Familie als auch zu Freunden. Der Schwerpunkt der sozialen und kulturellen Verortung von berufsorientierten Expat-Frauen liegt ganz klar im Heimatland. Nach dem Aufenthalt in Syrien möchten sie in ihr »altes« Leben zurückkehren. Ein klarer »Gesamtzeitrahmen« ist gesteckt. Diese Frauen sind zwar im Moment im tagtäglichen Leben auf die Expat-Gemeinschaft angewiesen, haben aber nicht das Bedürfnis, tiefer gehende Freundschaften zu knüpfen oder gar knüpfen zu müssen. Sie kommen den sozialen Verpflichtungen innerhalb der Gemeinschaft nur dann nach, wenn es sich mit ihren berufsorientierten Aktivitäten, die Priorität haben, vereinbaren lässt. Sie können sich von sozialen Verpflichtungen sehr viel einfacher freimachen als andere. Lebensinhalte sind Familie und Job, also mehr geht wirklich nicht. Kaffeekränzchen, ne, da bin ich auch nicht der Typ zu – also morgens mich mal mit einer anderen Frau treffen, das 102

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus kommt nicht vor. Wenn überhaupt, dann mach ich das nachmittags, wenn Sebastian da ist, oder abends. Ich gehe auch morgens nicht auf den Suk, das ist meine Arbeitszeit – fertig (deu9). In Damaskus besteht eine starke Konzentration auf die Expat-Gemeinschaft, innerhalb dieser Gemeinschaft auf Frauen, die ähnliche Vorstellungen vom Leben haben wie die berufsorientierte Frau selbst. Interesse an der arabischen Kultur besteht durchaus, beschränkt sich aber auf das »Einfangen« von Eindrücken sowie das Erleben von Stimmungen, etwa auf dem Suk, auf das Bereisen des Landes und auf Interesse an entsprechender Literatur. Man könnte von eher theoretischer Annäherung sprechen, denn Kontakt zur syrischen Gesellschaft wird in der Regel nicht aufgebaut, selten allerdings zu »verwestlichten« Einzelpersonen. Der Aktionsraum in Damaskus ist auf Mezze beschränkt, alle Fahrten, die darüber hinausgehen, haben entweder sporadischen Charakter, führen zum Arbeitsplatz oder sind touristisch motiviert. Berufsorientierten Frauen, die Mütter sind, haben einen großen Vorteil im Ausland, besonders dann, wenn die Kinder noch klein sind: In einem Land wie Syrien stehen Haushaltshilfen unproblematisch zur Verfügung. Dadurch ist es zumindest in »logistischer« Hinsicht einfacher als im Heimatland, auf die eine oder andere Art Teilzeit zu arbeiten oder sich weiterzubilden. In diesem Kontext ist auch folgendes Zitat zu sehen: A maid makes a posting or breaks it, a good one can change your life (eng10).27 (2) Familienzentrierte Expat-Frauen Bei den familienzentrierten Expat-Frauen handelt es sich um Frauen, die ihr Leben an der Rolle, die sie in der Familie einnehmen, ausrichten: an der Rolle der Ehefrau und Mutter. Für diese Frauen sind eine kind- und familienzentrierte Orientierung und entsprechende Verhaltensweisen typisch. Sie gehen in der Familie auf. Sie machen sich die Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder zu Eigen und stellen ihre eigenen Bedürfnisse, möglicherweise ab und zu unbewusst, für die Familie zurück. Aber ihre Rolle als solche ist ihnen durchaus bewusst und Teilaspekte werden möglicherweise mit einem Negativaspekt besetzt. Allerdings sind sie durchweg dankbar dafür, im Moment nicht (mehr) arbeiten zu müssen. Bei jüngeren Frauen ist zudem eine Erleichterung darüber auszumachen, dass das Hausfrauendasein sozial sehr akzeptiert ist und ihm eine Berechtigung eingeräumt wird, die es in vielen europäischen Ländern weitgehend verloren hat. Karriereambitionen sind ihnen fremd. Ihr Ideal ist das der heilen Familie. Sie sind der ruhende Pol dieser Familie. Familienzentrierte Frau103

Heimat auf Zeit en gehen darin auf, für die Intaktheit der familiären Nahumgebung zu sorgen. Häufig handelt es sich um relativ introvertierte Frauen, die sich sehr gerne in der eigenen Wohnung aufhalten, auch alleine. Kontakt zur syrischen Gesellschaft besteht in der Regel nicht, wird im Extremfall sogar bewusst gemieden. Auch aus dem sozialen Leben der weiteren Expat-Gemeinschaft halten sich diese Frauen heraus. Sie pflegen nur mit einem kleinen Kreis anderer Expats Kontakt. Dabei handelt es sich häufig um Expat-Frauen der eigenen Nationalität, deren Männer für dieselbe Firma arbeiten wie der eigene Mann. Bei familienzentrierten Frauen der älteren Generation kann diese Ausrichtung auf die eigene Nationalität unter Umständen sprachlich bedingt sein. Es handelt sich um einen innenorientierten Lebensstil, der sich durch Bezogenheit auf die eigene kleine Welt, auf Familie und engere Umgebung, auszeichnet. Er ist durch Orientierung an der eigenen Kultur gekennzeichnet. Solange keine familiären Probleme entstehen, sind familienzentrierte Frauen bereit, ihrem Mann ins Ausland zu folgen. Familien mit kleinen Kindern befinden sich in einem Lebensstadium, in dem das Leben im Ausland in der Regel keine zusätzlichen Probleme aufwirft. Bei größeren Kindern wird es schwieriger. In einem Fall kann es bedeuten, dass Eltern sich trotz des kritisierten Niveaus für eine höhere Schule in Damaskus entscheiden, um die Kinder bei sich zu behalten. Es kann in einem anderen Fall bedeuten, dass die Eltern sich entscheiden, der Kinder wegen ins Heimatland zurückzugehen. Diese Alternative würde für im Sozialleben der Expat-Gemeinschaft beheimatete Expats nicht in Frage kommen. Familienzentrierte Frauen erwägen dagegen ein Internat eher ungern – trotzdem haben sich Frauen der älteren Generation häufiger dafür entschieden, um eine gewisse Kontinuität über Postings hinweg zu schaffen. Für familienzentrierte Frauen ist das Expat-Leben also weder Übergangslösung noch Dauerlösung – sie wollen und können sich nicht festlegen. Das Expat-Leben wird schlicht als eine Möglichkeit betrachtet. Die Motivation liegt in der Familienzentriertheit: Diese Expat-Frauen tun es in allererster Linie für den Mann, mit dem Mann. Der Mann ist eindeutig die treibende Kraft, oft spielt auch sein beruflicher Erfolg eine Rolle. Der Aktionsraum in Damaskus ist auf Mezze begrenzt. Er ist häufig durch die Lage der Einrichtungen bestimmt, die diese Frauen mit ihren Kindern aufsuchen bzw. die die Kinder benutzen. Es kann zu starker Routinisierung der Außerhausaktivitäten kommen. Allerdings können der Suk

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IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus oder wenige andere Ziele wie Restaurants auf monatlicher Basis eine Rolle spielen. Im Heimatland haben familienzentrierte Expat-Frauen in der Regel ein eigenes Haus oder eine Wohnung. Dieser Besitz wird im Sinne einer gewissen Kontinuität und Verwurzelung gerade auch für die Kinder als sehr wichtig angesehen. Der Kontakt zur Familie wird bewusst gepflegt. In der Heimat gibt es darüber hinaus wenige sehr gute Freunde. Die oben vorgestellte familienzentrierte Expat-Frau Antonia gehört zu der Generation von Frauen, für die es noch mehr oder weniger selbstverständlich war, dem Mann zu folgen. Es gibt aber auch in der jüngeren Generation familienzentrierte Expat-Frauen, die dankbar sind, sich ihren Kindern mit voller Intensität widmen zu können. Eine Expat-Frau hat Folgendes gesagt: Also ich habe vor Syrien zu meinem Mann gesagt: Wenn du raus möchtest, gut, aber dann möchte ich ein zweites Kind. Und so konnte ich ihn zu einer größeren Familie überreden. Jetzt findet er das auch gut (deu10). (3) Sportbegeisterte Expat-Frauen Bei den sportbegeisterten Expat-Frauen handelt es sich um Frauen, die ihren Alltag ganz bewusst um ein zentrales Thema herum strukturieren: um Sport. Sport ist ihr zentrales Hobby. Es gibt viele andere Expat-Frauen, die ebenfalls Sport treiben, aber weder in derselben Ausschließlichkeit noch in derselben Vielfalt. Meistens treiben sportbegeisterte Expat-Frauen – mit der einen oder anderen Unterbrechung – schon seit vielen Jahren mit großem Spaß verschiedenste Sportarten, oft schon seit ihrer Kindheit. Sport ist also ihr Lebensinhalt, das eigene Leben wird rund um sportliche Aktivitäten strukturiert. Tennis und Golf sind als die typischen ExpatSportarten anzusehen, ebenso der hash. Möglichkeiten, diese Sportarten auszuüben, sind in den meisten Postings vorhanden. Zudem können zusätzliche Sportarten typisch sein für ein bestimmtes Posting, wie etwa Skilaufen im Libanon für die Damaszener Expat-Gemeinschaft. Wenn die Lieblingssportart in Damaskus nicht möglich ist, dann wird auf eine andere Sportart ausgewichen. Sport in jeder Form ist, pragmatisch betrachtet, ein sehr geeignetes Hobby für Frauen, die häufig umziehen müssen. Sportlichen Aktivitäten kann man in praktisch allen Ländern nachgehen – entweder in einem firmeneigenen Club, oder indem man einem lokalen Club bzw. einem Expat-Club beitritt. Gleichzeitig lernt man schnell Leute kennen. Sportbegeisterte Expat-Frauen bauen sich gewissermaßen einen transportablen Le-

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Heimat auf Zeit bensstil auf. So wird es vergleichsweise einfach, sich immer wieder woanders einzuleben. Dadurch wird die eigene Situation im Großen und Ganzen als positiv und nicht als problembeladen empfunden. Vermutlich würde ihr Alltag auch im Heimatland nicht so viel anders aussehen, aber in Syrien haben sie mehr frei verfügbare Zeit. Die Hauptmotivation der sportbegeisterten ähnelt der von familienzentrierten Frauen. Die sportbegeisterte Expat-Frau geht in allererster Linie dem Mann zuliebe ins Ausland. Der Job des Mannes scheint reizvoll, das Abenteuer lockt, die andere Kultur reizt – und sie möchte all das zusammen mit ihrem Mann erleben. Der Aktionsraum in Damaskus ist auf Mezze begrenzt und durch die sportlichen Einrichtungen bestimmt. So kommt es zu einer relativ starken Routinisierung der Außerhausaktivitäten. Der Suk, die Innenstadt und einige Restaurants können eine Nebenrolle spielen. Die Bindungen an das Heimatland nehmen mit der Zeit deutlich ab, wobei die Familie hier auszunehmen ist. An die Stelle von Freundschaften im Heimatland treten über die Jahre häufig Expat-Freundschaften in der ganzen Welt. Sportbegeisterte Expat-Frauen lassen sich zwei Lebenszyklusgruppen zuordnen. Erstens sind es Frauen, die (noch) keine Kinder haben und zweitens solche, deren Kinder bereits groß sind. Diese Mütter verfügen, der verbleibenden Hausarbeit durch eine maid entbunden, wieder über viel eigene Zeit. Es handelt sich um kontaktfreudige Frauen, wobei sich diese Kontaktfreude auf andere Expat-Frauen und nur in Ausnahmefällen auf die syrische Gesellschaft bezieht. Über den hash entsteht allerdings der eine oder andere Kontakt zu westlich orientierten Syrern. Fast alle bedeutenden sozialen Kontakte, die auch durchaus gerne gepflegt werden, entstehen über Sport. Sportbegeisterte Expat-Frauen sind sozialorientierten Frauen dahin gehend ähnlich, dass für beide die soziale Komponente im Leben eine Rolle spielt. Sport hat allerdings für sportbegeisterte Frauen höchste Priorität und wird dementsprechend ehrgeizig betrieben, während viele sozialorientierte Frauen Sport eher als eine schöne Nebensache betrachten. (4) Sozialorientierte Expat-Frauen Sozialorientierte Expat-Frauen sind der Meinung, dass man sich grundsätzlich überall auf der Welt einleben und wohlfühlen kann: Really, once you get to know any country you get to like it. Once you got, you got to know some people (eng2).28 Voraussetzung dafür sind ausgeprägtes Interesse an Menschen 106

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus und die Bereitschaft, immer wieder neue Leute kennen lernen zu wollen. Es handelt sich also um einen außenorientierten Lebensstil. Sozialorientierten Expat-Frauen sind Kontakte zu vielen anderen Menschen wichtig – Geselligkeit spielt für sie eine sehr große Rolle. Manchmal wurde das Sozialleben im Heimatland regelrecht als langweilig empfunden: Ik was inmiddels 33 of 34, iedereen had housje, boomtje, beestje – er was niet veel social leven, mensen kamen niet maar zo spontan langs. Wij nodigden nog wel vaak mensen out voor een eetentje, maar het was niet echt bruisend meer. Het was allemaal een beetje ingeeduut, ik vond dat vrij suffig allemaal: of naar het buitenland of de stad uit, met een paard in de Wijk, met wat dieren op de boederij (hol3).29 Die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, brachte willkommene Veränderung. Sozialengagierte Expat-Frauen haben relativ viele verschiedene Hobbies. Dabei handelt es sich selten um individuelle Hobbies. Diese Frauen haben Lust zu allem, was nett ist. Sie passen sich in ihren Hobbies sowohl den Gegebenheiten in einem Land an als auch der Aktualität bzw. Prestigeträchtigkeit – und das relativ problemlos: I think, its funny, every place I have been to, I have sort of done a different thing (eng2).30 Sozialorientierte Frauen sind bereit, sich in jedem neuen Posting etwas Neues aufzubauen, immer wieder. Das Expat-Leben als solches ist ihr Lebensinhalt. Ein anderes Leben können sie sich gar nicht (mehr) vorstellen. Manchmal sind diese Frauen als Expat-Kinder aufgewachsen. Dadurch, dass ihre Eltern auch im Ausland gelebt haben, denken sie überhaupt nicht darüber nach, ob es eine Herausforderung ist oder schwierig sein könnte – sie machen es. Diese Frauen sind an das Expat-Leben gewöhnt, haben es verinnerlicht. Und es macht ihnen in den meisten Fällen großen Spaß. Sie entscheiden sich häufig bereits vor der Ehe für das Expat-Leben. Eine Frau hat als Geologin selber für Shell gearbeitet und dabei ihren Mann kennen gelernt, eine andere als Lehrerin. Eine dritte Expat-Frau sagte Folgendes: Toen ik hoorde dat hij naar het buitenland wilde gaan toen dacht ik: dat is gaaf. Hij was dus okay (hol4).31 Insofern gehen sozialorientierte Frauen zwar mit ihrem Mann ins Ausland, aber nicht nur für ihren Mann, sondern genauso für sich selber. Der Aktionsraum von sozialorientierten Frauen ist auf Mezze begrenzt und in Mezze durch ihr Sozialleben determiniert. Die Beziehung zum Heimatland ist lebendig: Kontakte werden, so gut es geht, aufrechterhalten, aber weniger, weil es sich um Kontakte zum Heimatland handelt, als vielmehr, weil es sich um Kontakte als solche handelt. Die oben vorgestellte sozialorientierte Expat-Frau Miriam gehört zu 107

Heimat auf Zeit den Frauen, die sehr vielfältige Sozialkontakte haben. Bei Shell gibt es sozialorientierte Expat-Frauen, die vornehmlich in Shell-Kreisen verkehren: Ein typisches Beispiel ist Folgendes: So I do have something going on every day, and if I suddenly find myself without anything, I will go popping in. I do like to be busy all the time. But you know everyone has their own sort of solutions to the way they live, you know, what makes them happy, and for me, you know being busy, and I like to know people, I like company, I like popping in, I like it when people pop in and see me. My door is always open, I often get a person just popping by, yes, which is good, it was like that in Brunei as well (eng2). 32 Dann gibt es sozialorientierte Expat-Frauen, die als Frau eines Diplomaten sozialen Verpflichtungen nachzukommen haben, um ihren Mann zu unterstützen. Meistens tun sie es gerne. Eine holländische Expat-Frau ist ein gutes Beispiel: Sie ist erst ins Ausland gegangen, nachdem sie schon über 20 Jahre gearbeitet hatte. Sie ist kinderlos. Bei ihr hat man das Gefühl, sie hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, was auf sie zukommen würde. Sie hat sich ganz bewusst darauf einlassen wollen. Sie organisiert auch »Pflichtveranstaltungen« begeistert. Zusätzlich hat sie eine Mahjong-Gruppe und eine Kochgruppe ins Leben gerufen, spielt Bridge im Shell-Center, nimmt am Kaffeekränzchen der Diplomaten-Frauen teil und lernt in einer privat organisierten Gruppe Arabisch. Sie hat zwar auch Kontakt zu Holländern, findet es aber interessant und reizvoll, dass sie in Diplomatenkreisen mit Leuten verschiedenster Nationalitäten verkehrt. Allerdings findet sie es schwierig, echte Freundschaften aufzubauen, weil sie immer in größeren Gruppen verkehrt. Auch deshalb findet sie Holland als Heimatbasis sehr wichtig, und bemüht sich, alle Kontakte dort aufrechtzuerhalten – sowohl zur Familie als auch zu Freunden von früher. (5) Kunst- und musikbegeisterte Expat-Frauen Die kunst- oder musikbegeisterten Expat-Frauen sehen das Leben in Damaskus durchweg als Chance an. Sie haben die Möglichkeit, ihrer Begeisterung für Kunst oder Musik in einer anderen Kultur nachzukommen, und das wird als Bereicherung empfunden. Denn die Fremdkultur schafft neue Anreize und rückt Möglichkeiten in Reichweite, die im Heimatland teilweise undenkbar, teilweise nur weitaus komplizierter zu verfolgen wären. Zudem schafft diese Begeisterung eine gewisse Kontinuität, die die Wechsel des Expat-Lebens erleichtert. Es handelt sich, genau wie bei den sportbegeisterten Expat-Frauen, um einen transportablen Lebensstil, der aber durch die Stimuli der Fremdkultur(en) zusätzlich gewinnt. Grundsätzlich sind diese Frauen, insbesondere, wenn sie Kinder bei 108

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus sich haben, dankbar für die Haushaltshilfe. Sie schafft Freiräume, die im Heimatland in diesem Umfang nicht denkbar wären. Häufig bietet sich auch die Möglichkeit, Unterricht bei namhaften Künstlern bzw. Musikern zu nehmen. Das wäre im Heimatland kaum möglich. Here, you see, I am taking lessons with a well-known Syrian pianist and a Bulgarian professor – it’s wonderful (dis).33 Allen diesen Frauen ist die Tatsache gemeinsam, dass sie sich nicht nur innerhalb der Expat-Gemeinschaft bewegen, sondern Zugang finden zu einem Teil der syrischen Gesellschaft. Eine Expat-Frau formuliert es folgendermaßen: For me, I love all art, for me art is a connecting point, and always has been – and you need that. It is like music. Musicians and artists they easily mix, that bridges the cultural gap easily. It is a privilege in this lifestyle (dis).34 Künstler und Musiker haben also einen Anknüpfungspunkt, der über gemeinsames Interesse und gemeinsame Begeisterung Möglichkeiten der Integration schafft. Diese Expat-Frauen knüpfen Kontakte mit SyrerInnen und bauen in der Folge eine weit bewusstere Beziehung zu Damaskus auf. Sie führen also ein eigenständiges und von ihren Männern teilweise unabhängiges Leben in Damaskus. Sie knüpfen Kontakte innerhalb wie außerhalb der Expat-Gemeinschaft. Das Expat-Leben hat für diese Frauen fast durchweg positive Seiten. Sie gehen in der Faszination für Musik oder Kunst, in ihrer eigenen Musikalität oder künstlerischen Aktivität, auf. Der Drang, ins Heimatland zurückzukehren, ist per se nicht sonderlich stark. Allerdings können hier andere Aspekte hineinspielen wie etwa das Alter der Kinder, wenn der Besuch eines Internats nicht in Betracht kommt. Für kunst- oder musikbegeisterte Expat-Frauen ist der Lebensraum Damaskus weder auf den Nahbereich Mezze beschränkt noch beliebig austauschbar. Sie kennen sich aus in der Stadt, wobei jede Frau wiederum ihre speziellen Anlaufpunkte hat: Galerien etwa und Künstlerateliers oder das Conservatoire und diverse Orte, an denen Konzerte stattfinden. Es gibt eine kleine Gruppe von Expat-Frauen, die an der lokalen Kunst als solcher Interesse haben. Und es gibt die Frauen, die sich intensiv für Kunst als Dekoration interessieren. Einige dieser Frauen sind selber künstlerisch tätig. Musikbegeisterte Expat-Frauen spielen in der Regel selber ein Instrument oder singen z. B. in einem Chor: Together with a Syrian lady, she is soloist at the conservatoire, I am singing in a choir with mainly Syrians and 4 or 5 expats, conducted by one of the Franciscan Monks. It is conducted in a mixture of Arabic and Italian musical terms, that is fun. I do see more Syrians through that, and that makes it even nicer. And it is really through music. And it 109

Heimat auf Zeit is about music, but not always – it is also about their family and my family, about their life and my life, very interesting. The exposure to different cultures – this is ultimately the fun of expat-life, I think (dis). 35 Expat-Frauen, die ganz einfach gerne Konzerte oder Ausstellungen besuchen, lassen sich diesem Typ nicht automatisch zuordnen. (6) Wohltätigkeitsengagierte Expat-Frauen Bei den wohltätigkeitsengagierten Expat-Frauen handelt es sich um Frauen, die ihrem Leben dadurch Sinn geben, dass sie sich für wohltätige Zwecke engagieren. In einen solchen Lebensstil wächst man hinein – die meisten dieser Frauen engagieren sich von Posting zu Posting zunehmend mehr. Insofern haben sehr viele wohltätigkeitsengagierte Frauen bereits große Kinder. Zudem ist derartiges Engagement erst möglich, wenn sich nach der Familienphase das Bedürfnis entwickelt, entstehende Freiräume sinnvoll zu gestalten. Im Heimatland oder in einem anderen Land Europas würden diese Frauen großenteils wieder arbeiten. Hier, ebenso wie in anderen Ländern Außereuropas, ist das nur so begrenzt möglich, dass eine alternative Sinngebung gesucht wird. Diesen Frauen, die in der Regel gut ausgebildet sind, reicht es subjektiv nicht aus, ein aktives Sozialleben innerhalb der Expat-Gemeinschaft zu führen oder ihre Tage mit Sport auszufüllen. Es handelt sich bei den wohltätigkeitsorientierten Expat-Frauen großenteils um Langzeit-Expatriates. Sie haben irgendwann in Laufe der Zeit eine Entscheidung getroffen, die eine dieser Expat-Frauen folgendermaßen umschreibt: I think as an expatriate woman, you have to come to a decision in your marriage. There is no doubt it is very hard on women who wish to have a career, but there is no doubt either that in the end only one of you will have a career, and the other one has a job – or has to find something else (eng9).36 Allerdings kann dieser Prozess sich auch eher unbewusst abspielen: Also unser Leben hat uns eigentlich schon sehr in die klassische Rollenverteilung hineingeführt, ohne dass das ursprünglich eigentlich so geplant war (deu7). Eine kinderlose Expat-Frau, die im Moment in diversen Wohltätigkeitsprojekten mitarbeitet und sich möglicherweise auf diesem Gebiet zunehmend mehr engagieren wird, beleuchtet einen weiteren Zusammenhang: Erst dachte ich: Ich muss arbeiten und das ist unglaublich wichtig. Aber das ist nun nicht mehr so, jetzt finde ich eigentlich, ich muss was machen, was sinnvoll ist, etwas, was Sinn macht, aber ich muss nicht mehr per se arbeiten (dis). 110

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Die Motivation für diese Art von Engagement lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Menschenliebe spielt eine große Rolle und das Bewusstsein, dass man etwas Nützliches und Sinnvolles tut, dass man gebraucht wird: And now I have become important to various groups of people – local and expat people, and that means, it keeps you happy in a post (dis).37 Oder auch ganz einfach Freude am Organisieren: I think I am a big charity fund raiser, and it is not because I have a big heart, it is because I like organizing. I love organizing, you see. Its very hard work, and it is tension, a lot of tension, but I think basically I like to be totally exhausted all the time, I am one of those people who want to be busy. I very rarely sit down (eng9).38 In jedem Fall haben diese Frauen Kontakt zu beiden Welten, zur Welt der Expatriates ebenso wie zu der des Gastlandes – in jeweils variierendem Ausmaß. Dementsprechend kann dann auch der Aktionsraum auf Mezze beschränkt sein oder sich über ganz Damaskus erstrecken. Bei wohltätigkeitsorientierten Frauen, besonders denen, die seit etlichen Jahren im Ausland leben, ist die Heimatlandbindung nur noch schwach ausgebildet. Teilweise sind sie auf der Suche nach einem Altersruhesitz und ziehen dabei das Heimatland entweder gar nicht oder nur für einen Teil des Jahres in Betracht. Letzteres ist häufig der Fall, wenn die Kinder und deren Familien dann in der Nähe wären. Die oben vorgestellte wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau Pratricia engagiert sich vorwiegend in der syrischen Zielgemeinschaft. Die mögliche Bandbreite soll dargestellt werden, indem eine andere Frau, die sich in der Expat-Gemeinschaft um Geld bzw. Mittel bemüht, zitiert wird. I do a lot of this fund raising. I am not like Patricia, she has, she will go and visit those workshops or orphanages and so on. I sort of make the money and then I hand it over. There is a limit to what I can do (...). We have had so many things, remember last year, the Triathlon, Lake Zarzar. I organised it and all the proceeds went to charity. And then we have had a big curry dinner – Shell club and British embassy together. That made a lot of money, for the summer camps of the (syrian, CPM) children. And, lots of little things, little book sales, the art exhibitions, I have always added on a commission, and given that to charity. There is so much potential here for fundraising, because people here like to go to events, and they are always very happy if somebody organises something. And people are generous, because I think everyone earns a lot of money here (eng2). 39 (7) Orientierungslose Expat-Frauen Den orientierungslosen Expat-Frauen ist gemeinsam, dass sie es nicht schaffen, in Damaskus eine eigene, stimmige Identität aufzubauen: Ich bin 111

Heimat auf Zeit nicht ich selber (deu1). Übereinstimmung mit dem eigenen Selbst wird nur teilweise oder gar nicht erreicht. Das kann daran liegen, dass es nicht gelingt, den Kulturschock zu überwinden, weder nach Monaten noch nach Jahren. Es kann daran liegen, dass der Kompromiss, den die Expat-Frau möglicherweise sogar bewusst eingegangen ist, sich als zu groß herausstellt. Der eigenen Karriere wird nachgetrauert. Oder der Umbruch im Familienleben in dem Moment, wo relativ junge Kinder auf ein Internat geschickt werden müssen, wird nicht überwunden. Häufig färbt dann ein negatives Grundgefühl auf die verschiedensten Bereiche ab – und der eigenen Situation lässt sich zunehmend weniger abgewinnen. Außerdem gibt es Frauen mit einer »negativen« Grundeinstellung: I see people who are expats, but don’t seem to like being expats, they don’t like it – and I don’t understand that, if you don’t like it why do you do it, why don’t you go back home? Maybe some of these women would mourn wherever they are, maybe they are that type of person (eng8).40 Bei einigen Expat-Frauen ist es offensichtlich, dass sie nicht Fuß fassen, andere verbergen es hinter einer Fassade – sodass nur Leute, die sie besser kennen, darum wissen. Häufig lassen sich orientierungslose Expat-Frauen daher »unter der Oberfläche« einem der anderen Typen zuordnen, aber sie gehen in der gewählten Rolle nicht auf, sondern bleiben unzufrieden. Einige dieser Frauen ziehen sich auch völlig aus der Expat-Gemeinschaft zurück. Die andersartige Kultur um sie herum empfinden diese Frauen als allgegenwärtig. Sie leiden darunter, mitten in einer ihnen fremden und unverständlichen Umgebung leben zu müssen. Trotzdem besteht weder die Bereitschaft noch das Bedürfnis, sich mit dem kulturellen Hintergrund auseinander zu setzen. Die kulturellen Barrieren sehen diese Frauen als unüberwindbar an. Orientierungslose Expat-Frauen setzen sich der Andersartigkeit nur in begrenztem, eng kontrolliertem Rahmen aus. Sie haben eine starke Verbindung mit dem Heimatland und den Wunsch, zurückzukehren. Denn dort würden sie sich, so ihre Überzeugung, wieder zurechtfinden. Damaskus dagegen ist häufig mit einem Negativ-Image belegt, das im Rahmen des Kulturschocks entstanden ist, aber gewissermaßen nie überwunden wird. Entsprechend gering ist das Interesse an der Gastkultur und der syrischen Bevölkerung und entsprechend klein ist der Aktionsraum: Er reicht über Mezze nicht hinaus. Die oben vorgestellte orientierungslose Expat-Frau Leonore steckt noch immer im Kulturschock, sie kann mit der Andersartigkeit der arabischen Welt nicht umgehen. Trotzdem arrangiert sie sich. Das Konzept der besten 112

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Freundin als Symbol sozialer Verankerung hat für Leonore große Bedeutung, viel größere Bedeutung etwa als für die berufsorientierte Nadine. Am anderen Ende der Skala gibt es orientierungslose Expat-Frauen, die sich entscheiden, das Expat-Leben abzubrechen und ins Heimatland zurückzukehren. Es kommt also zum Scheitern des Auslandseinsatzes: If you choose to lead this life you also have to take the consequences, otherwise you have to step out and stop and live back home (dis)41, formuliert eine zufriedene Expat-Frau. Ein solcher Schritt ist in der Praxis sehr schwierig. Die Schlüsselpassage aus einem Interview mit einer deutsche Frau soll diese Tatsache verdeutlichen: Ich glaube, dass ich vieles versucht habe, um glücklich zu sein. Ich habe ganz viele Dinge angefangen und versucht, um mich abzulenken, obwohl ich sie eigentlich gar nicht machen wollte (...) in der Hoffnung, dass ich glücklicher werde, oder zumindest entspannter. Und es ist mir nicht gelungen, weil sie mir alle so gegen die Natur gehen. Ich bin kein Typ, der immer auf den coffee morning gehen möchte, und klatschen möchte und den letzten Klatsch hören möchte. Das kann man alles mal für paar Wochen machen, aber nicht länger. Ich kann auch mein Lebensglück nicht darin sehen, ’ne gute Köchin zu sein, oder eine Quilterin zu werden (...). Und es ist im Expat-Leben so, und da kann mir einer sagen was er will, das ist echt meine Erfahrung: Wenn es dir schlecht geht, will keiner was mit dir zu tun haben. Als Expat-Frau musst du unkompliziert und happy sein, ever happy, aber so ein Typ bin ich nicht. Ein Satz, den man ständig hört: Ich finde es einfach super hier. Und das ist was, das finde ich nicht besonders intelligent. Ich finde das einfach ein bisschen oberflächlich und dumm, muss ich ganz ehrlich sagen. Weil, das Leben, egal wo du lebst, ist nicht immer toll. Und ich halte überhaupt nichts davon, ein Gesicht aufzusetzen, das ich nicht habe. Mein Lebensinhalt im Moment war immer, meine Kinder nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen. Ich habe eigentlich meine Rolle ganz stark da gesehen. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich es hier so gut machen kann, wie ich es machen könnte. Und deswegen bin ich kontinuierlich unzufrieden mit mir. Ich habe einfach das Gefühl, meinen Kindern nicht gerecht zu werden (...). Und ich sehe hier eigentlich nur, dass ich mich aus meinen Problemen herausholen kann, wenn ich eine Persönlichkeitsumformung an mir vornehme. Und dazu bin ich – da hört die Bereitschaft auf. Weil, ich habe es versucht, mich hier komplett anzupassen, habe aber gemerkt, dass ich dabei ganz ganz unglücklich werde, auch mit mir selber, auch dass mein Selbstbewusstsein ganz stark darunter leidet (...). Also ich habe für mich entschieden, dass es besser für mich ist, mir einzugestehen, dass ich dies nicht kann, okay, das fällt mir schwer, und ich sehe das als persönliche Niederlage, und ich wäre gerne Mrs. Hyperflexibel. Und ich hätte das gerne so weggesteckt, mich hier eingelebt und die ganzen Probleme gelöst und hätte das gerne geschafft, aber ich habe es einfach nicht ge113

Heimat auf Zeit schafft. Und damit muss ich leben. Ich kann mir jetzt natürlich den Strick nehmen, weil ich es nicht geschafft habe, aber ich kann auch sagen, okay ich fange jetzt etwas anderes an. Und dafür habe ich mich entschieden. Zu sagen: Ich kann auch was, nur eben nicht dies. Und deshalb gehen wir nach Deutschland zurück (deu1).

3 Resümee Ein Teil der Expat-Frauen grenzt sich von der lokalen, der syrischen Kultur ab. Das geschieht teilweise durchaus bewusst, teilweise eher unbewusst. Dadurch führen diese Frauen einen Lebensstil, der dem, den sie anderswo führen würden, relativ ähnlich ist. Sie bemühen sich um einen Job, finden eventuell auch eine Möglichkeit, auf die eine oder andere Art und Weise zu arbeiten. Sie konzentrieren sich auf ihre Familie, sie treiben viel Sport oder führen ein ausgesprochen aktives gesellschaftliches Leben innerhalb der Expat-Gemeinschaft. Diese Expat-Frauen ziehen sich auf die Expat-Gemeinschaft zurück, auf das, was vertraut ist. Denn die Expat-Gemeinschaft in Damaskus ist groß genug, um fast alle Bedürfnisse dieser Frauen zufrieden zu stellen. Dementsprechend klein ist auch ihr typischer Aktionsraum. Er reicht in der Regel nicht über die Grenzen des Nahbereiches, nicht über Mezze hinaus. Folgendes Zitat spiegelt das wider: Some people still live, this is just my impression, they live as if they were living at home with no idea what is outside the door (dis).42 Eine andere Expat-Frau unterstreicht die dadurch bis zu einem gewissen Grad entstehende Austauschbarkeit von Postings: Ich denke, das Leben, was viele hier führen, das ist sehr austauschbar mit dem Leben in allen anderen Postings, die man so bei Shell haben kann – weil sich letztendlich fast alles innerhalb der Leute abspielt, innerhalb der Expat- oder sogar der Shell-Gemeinschaft (deu2). Eine andere Gruppe von Expat-Frauen möchte sich – »eigentlich« – auf Land und Leute einlassen und sich nicht nur von der Expat-Gemeinschaft absorbieren lassen. Aber das ist das, was ich mir schon vorstelle, dass, wenn ich schon hier bin, ich auch diesen Kontakt bekomme. Wenn ich hier nur mit Deutschen zusammen bin, oder mit Ausländerinnen, dann geht einem so viel verloren. Das ist ja nicht der Sinn der Sache (deu6). Allerdings handelt es sich hier mehr um eine Idee, eine Hoffnung als um Realität und gelebtes Leben. Diese Einstellung ist häufig für den Anfang eines Postings in Damaskus typisch und wird, wenn sich Alltagsleben konsolidiert, zunehmend aufgegeben. Das passiert zunächst enttäuscht, dann resigniert und schließlich überzeugt davon, dass es anders nur sehr schwer machbar wäre (s. u.). 114

IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus Zwei Typen von Expat-Frauen finden – in ganz unterschiedlichem, jeweils eigenem Ausmaß – Zugang zur Gastgesellschaft. Einige der wohltätigkeitsengagierten Frauen kümmern sich darum, gespendetes Geld sinnvoll einzusetzen und bauen dadurch Beziehungen zu Einheimischen auf. Ihr typischer Aktionsraum reicht deutlich über Mezze hinaus. Expatriates, die künstlerischen Interessen nachgehen, sind gewissermaßen gezwungen, sich nach außerhalb zu orientieren, weil die Anzahl Gleichgesinnter innerhalb der Expat-Gemeinschaft einfach zu klein ist. Zudem haben kunst- und musikbegeisterte Expat-Frauen sowieso das Bedürfnis, Kontakte in die Gastkultur zu knüpfen. What would be wonderful would be to have something like music, or art. If you are a musician, you are not only able to console yourself and enjoy your own company, you get into the local culture, and you become part of a group. So that would be wonderful (dis).43 Die aktionsräumliche Grundorientierung dieser Frauen ist durch ein punktuelles Netz gekennzeichnet, das die Anlaufpunkte dieser Frauen mit dem Nahraum Mezze verknüpft. Sozialorientierte Expat-Frauen werden gewissermaßen als Prototyp der Expat-Frau angesehen. Folgendes Zitat gibt das stellvertretend wieder: Also, für mich mache ich eigentlich immer die Unterscheidung, ob jemand eine typische Expat-Frau ist oder nicht. Für mich meine ich dann so jemanden, der mit irrer Begeisterung sämtliche Sachen hier macht, Bridge, Tennis, diese ganzen Feste, Parties, vielleicht bisschen Charity-Sachen, sich so voll einklinkt in dieses ganze Expat-Leben. Eigentlich, dass man so dieses Leben, was so innerhalb der Community stattfindet, als sein ausschließliches Leben betrachtet. Auch voll aufgehen in diesem Leben, sich auch gar nicht mehr vielleicht vorstellen können, ein anderes Leben zu führen (deu8). Bei der Mehrzahl der Expat-Frauen hier in Damaskus handelt es sich tatsächlich um sozialorientierte Frauen, dicht gefolgt von familienzentrierten Expat-Frauen. Die vorgestellte Typologie zeigt aber, dass eine Beschränkung auf diese beiden Expat-Typen die Realität nur sehr unzureichend wiedergibt. Sportbegeisterte Frauen folgen auf Platz drei. Kunst- bzw. musikbegeisterte, aber auch wohltätigkeitsengagierte Frauen, treten vereinzelter auf. In abgeschwächter Form gilt das auch für die berufsorientierten Expat-Frauen. Berufsorientierte Frauen lassen sich oft gar nicht erst auf einen Auslandsaufenthalt in einer Stadt wie Damaskus mit extrem eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten ein. Die Zahl offensichtlich orientierungsloser Expat-Frauen ist in der in dieser Studie untersuchten Teilgemeinschaft von Expat-Frauen sehr gering, aber der Grad verdeckter Orientierungslosigkeit ist nicht ohne weiteres abzuschätzen.

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V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus

1 Kulturschock und die Stadien eines Postings (1) Theoretische Hintergründe und Definition der »Expat-Kultur« Das Konzept Kulturschock findet immer dann Eingang in wissenschaftliche Diskussionen, wenn Erfahrungen und Erlebnisse in einer fremden Kultur erfasst werden sollen. Kultur kann ganz allgemein als ein spezifisches Orientierungssystem verstanden werden, das aus Kulturstandards besteht, also aus Normen, Werten, Überzeugungen, Einstellungen und Regeln, die von den Mitgliedern geteilt werden (Medrano-Kreidler 1995: 33). »Damit ist Kultur wichtiger identifikatorischer Bestandteil von Lebenswelt. Ihre räumliche Dimension besteht darin, dass sie (...) prinzipiell alle alltagsweltlichen Bezüge und deren symbolische Ortsbezogenheit erfasst« (Mai 1989: 13). Innerhalb der Expat-Gemeinschaft ist gewissermaßen eine eigene Kultur entstanden, die Expat-Kultur. Diese Kultur, der sich auch die britischen, holländischen und deutschen Expat-Frauen zugehörig fühlen, lässt sich als überprägtes Mosaik europäischer Einzelkulturen verstehen. Es handelt sich um das, was man wissen bzw. verinnerlichen muss, um sich in einer von den anderen Expatriates akzeptierten Weise zu verhalten. Durch die inzwischen mehrfach erwähnte Verfügbarkeit von Haushaltshilfen oft aus Sri Lanka und syrischen Fahrern, durch das Vorhandensein eines Clubs, durch den Umgang innerhalb der Expat-Gemeinschaft – durch diese Umstände wird die eigene, die europäische Kultur, von der man dachte, sie sei einem so vertraut, hier gewissermaßen in einer anderen Variante gelebt als in der Heimat – als Expat-Kultur. Als Kulturschock wird die Konfrontation mit dem Orientierungssystem einer fremden Kultur verstanden. Das Problem besteht in der Begegnung mit dem Unvertrauten. Der Begriff geht auf den Anthropologen Oberg zurück, der schreibt: »Culture shock is precipitated by the anxiety that results from losing all our familiar signs and symbols of social intercourse« (Oberg 1960: 176). Geht Oberg noch davon aus, dass der Kulturschock eine unerwartete Erfahrung sei, wird er heute als normale und zu erwartende Reaktion angesehen, wenn man sich in einen fremden Kulturkreis begibt (vgl. Furnham und Bochner 1986). Die »Hauptmerkmale sind u. a. der Verlust aller Hand117

Heimat auf Zeit lungsroutinen (Kontrollverlust) und das Unterbrechen des Handlungsstromes, der Verlust sozialer Einbindung und Anerkennung und die Infragestellung der eigenen personalen und kulturellen Identität« (Mitzscherlich 1997: 130). Dabei korreliert das Ausmaß des Schocks mit dem Grad der Unterschiede zwischen Heimat- und Gastland: je extremer der Kontextwechsel, desto stärker das Gefühl der Fremdheit und desto größer der anfängliche Schock. Der »Wert« von Kultur besteht also darin, Verhaltenssicherheit gegenüber dem Anderen und den Anderen zu gewährleisten, wobei spezifische Kultur um den Preis spezifischer Verhaltensverzichte erworben wird (Claessen 1993: 51-52). Beim Kulturschock handelt es sich um eine vorübergehende Erfahrung, deren Belastung auf die kulturellen und sozialen Kontrasterfahrungen und Veränderungen zurückzuführen ist (Vester 1993: 172) und die zur Beeinflussung der bisherigen Wertvorstellungen und Verhaltensmuster führen kann (Furnham 1990: 282). Über Stadien und Verlauf eines Kulturschocks existieren viele Theorien – diese Theorien sollen hier weder aufgegriffen werden (vgl. Furnham und Bochner 1986), noch soll ihnen eine weitere zugefügt werden. Hier geht es vielmehr darum, die verschiedenen Stadien, die im Laufe eines Postings hier in Damaskus durchlaufen werden, aus der Sicht von ExpatFrauen zu beschreiben. Eine Engländerin beschreibt diesen Verlauf sehr anschaulich. This is the pattern: you cry for a year, second year you are up and down, beginning to understand that it could be nice, third year you have made friends, you are really happy, and fourth year you have to leave and start crying again. I think that expat-life is tremendously up and down, being an expatriate you are up and down the whole time, at home you are probably more on an even keel (eng7).44 Im Folgenden sollen typische Aspekte, die für einen Großteil der Frauen Gültigkeit haben, aufgegriffen werden. Als Grundlage der Beschreibung dient die durchschnittliche Dauer eines Postings, also ein Zeitraum von vier Jahren. Drei Stadien lassen sich unterscheiden: • Kulturschock und dessen Bewältigung, • Einlassen auf die neue Umgebung und • Konzentration auf die Abreise.

(2) Das erste Jahr: Kulturschock und dessen Bewältigung Das erste Jahr steht für die Expat-Frauen unter dem Vorzeichen eines Kulturschocks. Die Interviews zeigen, dass alle Expat-Frauen, ob zum ersten 118

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus oder wiederholten Mal mit einer fremden Kultur konfrontiert, diesen Schock erleben und die zugehörigen Phasen durchlaufen. Es kommt zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Konfrontation mit dem eigenen Ich. Der eigene kulturelle Hintergrund beeinflusst das individuelle Denken und Handeln in sehr starkem Maße und erlaubt es, den alltäglichen Anforderungen im Heimatland mit einer gewissen Sicherheit und Gelassenheit zu begegnen. In einer fremden Kultur findet man sich plötzlich nicht mehr zurecht – es kommt temporär zum Kulturkonflikt. I realized it was culture shock I experienced when I realized that my cultural cues were suddenly stripped away just like that – cues I had funnily enough never been aware of until then (dis).45 Die Analyse der Interviews hat ergeben, dass sich das Stadium des Kulturschocks für die meisten Expat-Frauen in die folgenden vier Phasen unterteilen lässt: • anfängliche Hochstimmung, • Zeit der kleinen und großen Krisen, • Ablehnung der neuen Umwelt, • Anpassung an die neue Umwelt. Die erste Phase ist von einer gewissen Hochstimmung gekennzeichnet. Die Engländer nennen diese Phase bezeichnenderweise »honeymoon stage« – alles ist neu, toll, interessant, spannend (dis). Der vorangegangene Stress des Abschiednehmens mit allem, was dazugehört, fällt ab. Die eigene Stimmung ist von Faszination und Enthusiasmus geprägt. Alltagsleben liegt noch in weiter Ferne. Andere Expat-Frauen helfen in der ersten Zeit mit vielen nützlichen Tipps. Diese Phase kann Tage dauern oder auch Monate. Die zweite Phase ist eine Zeit der vielen kleinen und großen Krisen. Sie ist häufig geprägt von einer gewissen Angst, von dem Bewusstsein, dass das Einleben nicht gelingen könnte. Gerade unzählige Kleinigkeiten, die neu und anders sind – und in der ersten Phase als spannend erlebt wurden – bringen Expat-Frauen jetzt aus dem Gleichgewicht. Die Anfangseuphorie verfliegt und Gefühle wie Unsicherheit und Frustration setzen genauso ein wie Sehnsucht nach einem geregelten Alltagsleben. Aber zu diesem Zeitpunkt warten viele Familien noch im Hotel oder in einer Übergangswohnung auf die endgültige Wohnung und/oder die Seefracht mit Möbeln und persönlichen Dingen. Häufig werden in dieser Phase die Kinder unzufrieden oder unglücklich. Um sich herum sieht die Expat-Frau andere Frauen, die, weil eingewöhnt, relativ problemlos ihrem Alltag nachgehen. Später habe ich herausgefunden, dass ich schon lange Teil der Gemein119

Heimat auf Zeit schaft schien, lange bevor ich selber es so empfand (dis). Eine britische ExpatFrau fasst die zweite Phase sehr anschaulich zusammen: Three months in you have the, the kind of the dip, which I did experience, was expecting and I just kind of thought, well, you found some realities. Obviously the excitement is worn off. The dip: A bit of screaming, a bit of crying, a bit of stamping up and down, the usual stress release and then a bit of thinking (eng5). 46 Die dritte Phase ist die der Ablehnung. Viele Expat-Frauen versuchen jetzt, jeglichen Kontakt mit der lokalen Kultur und der einheimischen Bevölkerung zu vermeiden. Die lokale Kultur wird gewissermaßen verantwortlich gemacht für alle auftauchenden Probleme. Es kommt häufig zu einer Art nostalgischer Reaktion, einer Überbewertung der am Herkunftsort aufgebauten Beziehungen bei gleichzeitiger Abwertung der neuen Umwelt. Manche Frauen schaffen es nicht, sich mit der arabischen Nahumwelt zu arrangieren. Ihnen gelingt es vorerst nicht, Damaskus als bereichernd oder stimulierend wahrzunehmen, sondern sie empfinden es als bedrohenden Stressfaktor. Einige Expat-Frauen ziehen sich in dieser Phase auch aus der ExpatGemeinschaft, der sie in den ersten Tagen und Wochen vorgestellt wurden bzw. sich vorgestellt haben, vorerst zurück. Sie wollen – großenteils unterbewusst – ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden, ehe sie sich ihr soziales Umfeld für die kommenden Jahre aufbauen. Die vierte Phase ist die der Anpassung an die neue Umwelt. Vorher muss die endgültige, vollständige psychische Ablösung von der früheren Umwelt erfolgt sein. Langsam entwickelt sich eine Routine, die den Expat-Frauen ebenso wie den Kindern ein gewisses Maß an Sicherheit bietet – eine Sicherheit, die der arbeitende Partner durch die vergleichsweise vertraute Arbeitsumgebung sehr viel schneller findet. Allerdings muss er sich in der Anfangszeit mit einer neuen Arbeitsstelle auseinander setzen, sodass er ebenso beansprucht ist wie seine Frau. Aber in der vierten Phase haben sich alle Familienmitglieder soweit in die neue Umgebung eingefunden, dass Alltagsleben ohne permanente Unsicherheit wieder möglich wird. Im Laufe der Zeit vermitteln die alltäglichen Handlungen sowie zufällige Ereignisse Erfahrungen, die sich zu einem Modell dieser neuen Umgebung zusammenfügen. Der akute Kulturschock ist in dem Moment überwunden, in dem die Expat-Frau feststellt, dass der Alltag sie wieder eingeholt hat. Das passiert oft überraschend. Alltagswirklichkeit wird bewusst empfunden. Die Familie ist eingelebt. In diesem Stadium stellen viele Expat-Frauen freudig fest, dass sie sich selber ein Stückchen näher gekommen sind und sie sich ihrer

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V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus eigenen Kultur viel bewusster geworden sind. Sie verstehen die Grundlagen für ihr eigenes Verhalten deutlich besser. Das Phänomen des Kulturschocks zeigt sich nicht nur in der Konfrontation mit der arabischen Gastkultur, sondern auch in der Konfrontation mit der Expat-Kultur – ganz besonders für diejenigen, die in Damaskus ihr erstes Posting verbringen. Maybe the Expat culture is something separate from all other cultures (eng2).47 In ihrem Heimatland haben die Frauen sich in der Regel unter Nachbarn und selbstgewählten Freunden frei und unabhängig bewegt, häufig die Kollegen ihres Mannes nicht einmal persönlich gekannt. Im Ausland werden sie als Expat-Frau automatisch Mitglied einer vergleichsweise geschlossenen Gesellschaft, deren sozialer Kodex ihnen anfangs nicht geläufig ist. Also Kulturschock: Ja! Aber eher aufgrund der Expat-Kultur als durch die arabische Kultur – darauf war ich nämlich in gewisser Weise vorbereitet, wohingegen mich das tagtägliche Leben in Expat-Kreisen total erstaunt hat. Das hatte ich nie und nimmer erwartet (dis). Diese Variante des Kulturschocks soll hier als Expat-Kulturschock bezeichnet werden. Dass es auch diesen Kulturschock zu bewältigen gilt, wird vielen Expat-Frauen erst vor Ort, am Anfang eines Postings, wirklich bewusst. So hat eine Frau Folgendes erzählt: Da merkte ich sehr den Unterschied zwischen deutschem Schulsystem und britischem (...). Das war für mich so ein Randkulturschock, weil wir ja plötzlich das britische Schulsystem mit übernehmen mussten (deu 2). Das erste Stadium des Aufenthaltes in Damaskus lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Auf Euphorie und scheinbare Befreiung in den ersten Wochen folgt eine Zeit der echten Belastung, gekennzeichnet durch Irritation und Ablehnung, die übergeht in aktive Anpassung und Gewöhnung. Die Bewältigung des Kulturschocks und der Aufbau eines neuen Alltags werden in der Regel im Laufe des ersten Jahres abgeschlossen, an dessen Ende die Expat-Frauen ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden haben. Sie haben gelernt, die andere Kultur bzw. die anderen Kulturen (lokale wie Expat-Kultur) so zu akzeptieren, wie sie sind. Das zeigt sich daran, dass das anfänglich zwanghafte Bedürfnis, mit der eigenen Kultur vergleichen zu müssen, zunehmend nachlässt und allmählich ganz aufhört. (3) Die folgenden zwei Jahre: Einlassen auf die Umgebung Dieses Stadium fängt an, wenn sich die Familie eingelebt hat und die Frau beginnt, sich in Damaskus wohl zu fühlen. Dazu eine Expat-Frau: In the

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Heimat auf Zeit beginning I only saw the dirt, now I see the flowers creeping out of the dirt rather than the dirt (eng4).48 Diese Metapher macht deutlich, was die meisten Expat-Frauen erleben. Der Alltag wird jetzt zur Routine, gekennzeichnet durch Habitualisierung. Auch die berufliche Position des Mannes hat sich inzwischen gefestigt, sodass für die Familie eine Zeit der entspannten Stabilität beginnt. Wie die Typologie bereits gezeigt hat, gibt es bestimmte Eckpfeiler, um die sich das Leben einer Expat-Frau für die nächsten zwei bis drei Jahre drehen wird. Die Balance zwischen dem Aufgehen in der Expat-Gemeinschaft und der Distanzierung von dieser Gemeinschaft muss immer aufs Neue gefunden werden. Dann ist ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Dasein als Ehefrau – dem »Anhängsel-Syndrom«, wie einige Frauen es genannt haben – und dem eigenen Leben. Und drittens wird die Bedeutung des Heimatlandes, oft unbewusst, immer wieder reflektiert und hat einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Lebens in Damaskus. Diese drei Konflikte spielen – wie aus der Typologie deutlich wurde – für die verschiedenen Frauen eine unterschiedlich große Rolle. Der resultierende Alltag führt dann zu den unterschiedlichen räumlichen Handlungsmustern. War man im ersten Stadium ein Neuankömmling, so ist man jetzt ein »alter Hase«. In jedem Fall ist dieses Stadium der Akkulturation durch Interesse und Neugier gekennzeichnet: Damaskus wird erkundet, ebenso die nahe und die ferne Umgebung, und oft werden auch die Nachbarländer bereist. Das erfolgt natürlich in ganz unterschiedlichem Umfang und mit ganz individueller Intensität. Häufig besuchen in diesem Stadium die Familie aus Europa und gegebenenfalls Freunde die Expat-Familie. In der Anfangszeit sind solche Besuche nur von den wenigsten Expat-Frauen erwünscht. Inzwischen ermöglicht aber die erreichte Anpassung sozusagen die schmerzfreie Rückkoppelung an das Heimatland. (4) Das letzte Jahr: Konzentration auf die Abreise Dieses Stadium ist für viele Frauen dadurch gekennzeichnet, dass ihnen bewusst wird, was wirklich schön ist in Damaskus und was ihnen an ihrem derzeitigen Leben weniger gut gefällt. Jetzt, wo die Abreise zunehmend näher rückt, wird das Bild von Damaskus und von dem Leben hier – vom eigenen Lebensstil in den vergangenen Jahren – intensiv reflektiert und verarbeitet. Es kommt zu einem schrittweisen Abbau der Ortsidentität. Dinge, die einem anfangs aufgefallen waren, mit denen man sich aber zum 122

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus eigenen Schutz während der letzten Jahre oft unbewusst arrangiert hatte, rücken erneut ins Bewusstsein. Einige Frauen nennen hier z. B. die Anwesenheit bewaffneter Soldaten an jeder Straßenecke als einen solchen Punkt oder den Straßenverkehr. It’s funny, in fact I think I am getting even less tolerant now (that we are leaving, CPM) than I was when we first came (eng2)49. Genauso gewinnen einige Dinge, die man bisher, ebenso oft unbewusst, sehr genossen hat, zunehmend an Bedeutung. Was ist der Suk doch toll! Bald werde ich nur noch in irgendwelchen Shopping Malls einkaufen können (dis). Die näherrückende Abreise hat ebenfalls Einfluss auf das soziale Handeln und Verhalten. Eine Expat-Frau, selbst seit gut einem Jahr in Damaskus, beschreibt das: Those who are leaving ask you to change about a year before they leave: they shut down, they start with drawering, just to give themselves some emotional stability they start focusing on the out day. It breaks off, sometimes less slowly, their attitude changes and you become aware, and that sort of helps them and helps you, okay, I am going to have a gap. I think its easier for the men because they always had and will have this continuity, through their job, I think expat women can get a bit peculiar (eng5).50 (5) Resümee Die Beschreibung der einzelnen Abschnitte eines Postings zeigt, dass das Leben im Ausland für Expat-Frauen Chancen ebenso birgt wie Risiken – und dass es bestimmter Fähigkeiten bedarf, um ein Posting erfolgreich zu gestalten. In jedem Fall müssen Expat-Frauen die Fähigkeit entwickeln, ihre eigenen Bedürfnisse der Situation im Gastland anzupassen oder gar unterzuordnen. Nach Erfassen der Situation müssen sie für ihr Leben in Damaskus – also bewusst auf Zeit – neue Maßstäbe definieren, die stark von denen im Heimatland abweichen können. Dazu sind Offenheit gegenüber Andersartigem und Anpassungsfähigkeit ebenso nötig wie Kontaktfreudigkeit und Toleranz. Außerdem kann die Bedeutung der Familie kaum überschätzt werden. Wenn die Familie als Mikrokosmos intakt ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle Familienmitglieder ein Posting als positiv erfahren, ungleich höher.

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Heimat auf Zeit 2 Expat-Gemeinschaft in Damaskus Expat-Frauen stehen am Anfang eines Postings vor der Aufgabe, sich ein neues soziales Umfeld aufzubauen, um einen neuen Kontext für den (familialen) Alltag herzustellen. Die Expat-Frauen müssen sich also – auf ihre individuelle Art – in die Sozialstruktur der Expat-Gemeinschaft einfügen. Ihres alten sozialen Umfeldes gerade enthoben, stehen ihnen bisherige Freunde in Damaskus nicht zur Verfügung, um sie bei der Bewältigung dieser besonders schwierigen Lebenssituation zu unterstützen. Als sozialer Verband stellt die Expat-Gemeinschaft – genau wie die Familie im Kleinen – eine Art Rückzugsraum dar. Positiv erlebte Kontakte tragen zur Identitätssicherung bei und zur emotionalen Bindung an die Expat-Gemeinschaft, was wiederum zur weiteren Konsolidierung der Gemeinschaft führt. Es handelt sich um eine lokale Einheit, gekennzeichnet durch soziale Interaktion und gemeinsame Bindungen. In Syrien verschmelzen institutionelle Ebenen, die im Heimatland häufig getrennt sind. Das trifft besonders auf Arbeit und Familienleben zu. Die verschiedenen Begegnungsmöglichkeiten innerhalb der Gemeinschaft erlauben es, auf Vertraute und Vertrautes zurückzugreifen und tragen dadurch zur sozialen, kulturellen und räumlichen Identität des Einzelnen bei. 2.1 Soziale Verhaltensmuster innerhalb der Expat-Gemeinschaft (1) Grundmuster sozialen Verhaltens Das Grundmuster sozialen Verhaltens ist dadurch dominiert, dass Expats kommen und gehen. Es handelt sich um eine sehr dynamische Gemeinschaft, die sich in ständigem Fluss befindet, sich ständig in ihrer personellen Zusammensetzung ändert. Social life: you have to pick it up and pull it down. I suppose, we don’t feel we have any long-lasting friends, it is very easy to make friends, because you learn how to make friends quickly, but it is at a superficial level, it does not go particularly deep. It does not particularly bother me. Company is important to me but not deep friendship, you see (eng10). 51 Eine der befragten Expat-Frauen formuliert die Folgen, die sich aus dem ständigen Kommen und Gehen ergeben, folgendermaßen: And now I have my network here but they will leave. I think that, I think you end up being a searcher here. You are always pouncing. You are pouncing on the fact, new people, you know. I look for people; I introduce myself to people. I try and talk to them. And that makes life more interesting (eng5).52 124

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus Im Großen und Ganzen erleichtert ein solches Umfeld die Kontaktaufnahme. Neuankömmlinge werden sofort wahrgenommen und willkommen geheißen. Das Bewusstsein, dass man selber vor kurzer Zeit in derselben Situation war und bald anderswo wieder sein wird, spielt dabei eine große Rolle. So coming here was much easier really (than moving within Britain, CPM), because everybody is in the same situation, you have to make friends, and everybody is willing to make friends, because you do not have any (eng4)53. Ein anderes Zitat beleuchtet Konsequenzen, die sich ergeben: In het buitenland met andere buitenlanders om je heen nodig je elkaar bij voorbeeld veel sneller uit (hol1)54. Sehr deutlich wurde dieser Sachverhalt von einer Deutschen innerhalb der holländischen Gemeinschaft beobachtet: Wenn holländische Familien ankommen, die werden direkt von den anderen Holländern aufgesogen, die werden überallhin begleitet, die werden direkt zu Parties eingeladen usw. Ich denke nicht, das ich unbedingt so ein Typ bin, der in einem solchen sozialen Netz total aufgehen würde, aber es ist schon eine gewisse Hilfe, wenn du gleich so einkassiert wirst, als jemand, der dazugehört. Und wir fallen raus, weil wir weder Holländer noch Engländer sind. Haha (deu1). Diese schnelle, fast schon automatische Integration in die Expat-Gemeinschaft wird aber von einzelnen Frauen auch mit negativen Aspekten belegt. Ein Art Gruppenzwang entsteht: Es ist zwar einfach, anfangs Kontakt zu bekommen, aber langfristig bedeutet es auch, dass man an vielen Veranstaltungen regelrecht teilnehmen muss. Das Gemeinschaftsleben ist durch coffee mornings, cocktails und (dinner) parties gekennzeichnet und durch die oben beschriebenen Aktivitäten in den Clubs. Ihnen kommt als Ort geselligen Beisammenseins große Bedeutung zu. Wie sehr diese sozialen Veranstaltungen, die fast ausschließlich von Expat-Frauen organisiert werden, vereinnahmen können, zeigt folgendes Beispiel aus einem normalen Gespräch: Eine Expat-Frau erzählte, sie könne sich einfach nicht entscheiden, ob die Familie nun gleich zu Anfang eines Wochenendes in den ohnehin kurzen Urlaub fliegen solle, oder ob sie Silvester noch im ShellClub mitfeiern sollten, um dann zwei Tage später zu fliegen. Eine andere Frau, die sich ganz offensichtlich nicht vereinnahmen lässt, antwortete spontan: Well, one more party, one of many, and they are all the same anyway.55 Diese Aussage unterstreicht, dass es sich bei den vielen – als institutionalisiert zu bezeichnenden – Festen jeglicher Art häufig um oberflächliche Geselligkeit mit gewissem Verpflichtungscharakter handelt. Einige Frauen könne sich davon eher freimachen als andere.

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Heimat auf Zeit (2) Qualität von Beziehungen Es gibt Frauen, die die gewisse Oberflächlichkeit innerhalb der Expat-Gemeinschaft bedauern, die häufig auch für Freundschaften charakteristisch ist. Also was mir auffiel, gleich ganz am Anfang, und immer noch, diese Oberflächlichkeit vieler Frauen – und das sind genau die, die dieses Leben auf Dauer ertragen können (dis). Eine Holländerin relativiert das allerdings: Ik ken dus wel veel mensen, ik ken ze redelijk, maar ik geloof wel dat, hoe langer je expat bent, hoe oppervlakkiger vriendschappen blijven. Ik weet niet eens of dat te maken heeft met het expat-leven, want bij mijn zus is het precies hetzelfde, ja, ze maakt ook geen nieuwe vrienden meer. En een vriendschap te onderhouden is ook in Nederland niet makkelijk, omdat iedereen zijn gezin heeft, bezig is. Je maakt gewoon geen nieuwe vrienden meer, een soort aftstandelijkheid, die zich ontwikkelt (hol1).56 Eine deutsche Expat-Frau ist ähnlicher Ansicht: Ich denke, die intensivsten Freundschaften schließt man in der Studentenzeit oder kurz danach, wenn man jung ist jedenfalls – und dann kennt man sich schon lange, kennt die Mucken, die jeder hat. Und ich denke, das schafft man, wenn man über 40 ist nur noch ganz selten, dass man so enge Freundschaften schließt – egal, ob hier in Syrien oder zu Hause (deu7). Einige Expat-Frauen vermeiden jedenfalls mehr oder weniger bewusst tief gehende Beziehungen von vornherein, da es sich zwangsläufig um eine Beziehung auf Zeit handeln muss. Insofern werden Beziehungen häufig situations- und zweckorientiert eingegangen: Die Leute stellen sich auf die Kurzlebigkeit ein (dis). Denn es erfordert eine gewisse emotionale Stabilität, mit dem häufigen Abschiednehmen zurechtzukommen: When people leave, it sounds awful, I know, but I am not bothered. It does not mean I don’t like them, but I am perhaps just overly realistic about it, that live moves on. If I was stressed every time somebody left, oh god (eng10).57 Deswegen kommt der Familie im Expat-Leben so große Bedeutung zu: Sie vermittelt der Expat-Frau ebenso wie ihrem Mann und ganz besonders Kindern Kontinuität in einem ansonsten sehr instabilen Leben. Vor diesem Hintergrund sind auch Freunde und Familie in der Heimat zu betrachten. Folgendes Zitat macht das sehr deutlich: I do not go out of my way to make strong friendships here in Syria, because I suppose I have done it too often, and in the end I suppose my loyalties are back in Britain, and for the old friends who come out here – they bring England out to us (eng9).58

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V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus 2.2 Soziale Grundstruktur Die soziale Grundstruktur der Expat-Gemeinschaft lässt sich über zwei Formen der Assoziation erfassen: über die soziale Kategorie und die soziale Gruppe (s. Kap. II.1.3). Die vorgestellten Typen von Expat-Frauen stellen entscheidende soziale Kategorien dar. Sie sind aber im Bewusstsein der meisten Expatriates als solche nicht klar definiert. Ihnen liegen Bewältigungsstrategien zugrunde, die jede Expat-Frau frei wählen kann. Hier soll auf die sozialen Kategorien eingegangen werden, die aufgrund »äußerer« Merkmale entstehen, die nicht frei wählbar sind: • aufgrund der Nationalität, • aufgrund der Firmenzugehörigkeit, • aufgrund der Generationszugehörigkeit und • aufgrund des Zeitpunktes der Ankunft. Es sind diese Merkmale, auf denen auch die Gruppenbildungen beruhen. Zunächst sollen sie in ihrer Bedeutung erläutert werden. Dann werden die tatsächlich existierenden sozialen Hauptgruppen vorgestellt: • Gruppe britischer Expat-Frauen, die Shell angehören, • Gruppe holländischer Expat-Frauen, die Shell angehören, • Gruppe von Expat-Frauen, die Botschaften angehören, • firmen- und nationalitätenübergreifende Gruppe jüngerer ExpatFrauen und • Grüppchen von Expat-Frauen, die kleineren deutschen Firmen angehören. In Abb. 9 und Abb. 10 werden die Beobachtungen graphisch aufgearbeitet. Die zwei Hauptmerkmale werden herausgegriffen: Nationalität und Firmenzugehörigkeit. In Abb. 9a ist dargestellt, welche sozialen Kategorien theoretisch entstehen könnten, wenn die möglichen Ausprägungen dieser zwei Merkmale berücksichtigt werden. In Abb. 9b sind die tatsächlich existierenden sozialen Gruppen dargestellt. Es wird deutlich, dass selbst bei der Kombination der zwei Hauptmerkmale nicht alle denkbaren Gruppen auch tatsächlich entstehen. In Abb. 10 ist die Intensität der Kontakte dargestellt. Der Innenkreis symbolisiert die jeweilige Eigengruppe, z. B. die englischen Shell-Expats. Je dunkler dieser Kreis ist, desto stärker sind die Beziehungen innerhalb dieser Eigengruppe. Die nachfolgenden Kreise stellen in abnehmender Intensität die Beziehungen zu weiteren Gruppen dar.

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Heimat auf Zeit 2.2.1 Soziale Kategorien (1) Bildung sozialer Kategorien aufgrund von Nationalität Die eigene Nationalität spielt im Leben von Expat-Frauen eine große Rolle. Die allermeisten Expat-Frauen wurden in ihrem Heimatland sozialisiert, sind dementsprechend durch ihr Heimatland geprägt. I mean, the English are still very English even though they are here (eng4).59 Das Leben im Ausland führt nur sehr selten dazu, dass die eigene Nationalität hinter dem Bewusstsein, »Weltbürger« zu sein, zurücktritt. Der gemeinsame räumliche, kulturelle und sprachliche »Hintergrund« schafft in der Fremde eine Atmosphäre besonderer Vertrautheit. Man kommt sich schnell näher. Stellvertretend sei folgende Engländerin zitiert: I mean, I don’t particularly say, oh, I am just friends with British people, but I suppose its a question of gravitating to people you have things in common with (eng3).60 Eine andere Expat-Frau bezieht zusätzlich die Sprache ein: So, yes, it is mostly British people: you just relate to your own kind, but partly it may also have to do with language, actually (eng6).61 Dieses Zitat spiegelt die Bedeutung wider, die der Muttersprache zukommt. Sie vermittelt ein Stück Heimatempfinden. Ähnliches gilt für Feste. Solche mit kultureller Bedeutung werden auch im Ausland gefeiert. Teilweise werden alle Expats, gleich welcher Nationalität, eingeladen – wie etwa zum »Koninginnenfeest« der Holländer. Aber es sind hauptsächlich die Holländer, die dem Fest emotionale Bedeutung beimessen. Es gibt nur wenige »Institutionen« in Damaskus, bei denen verschiedene Nationalitäten regelmäßig zwanglos zusammenkommen. Hier sind vor allem die happy hour und der hash zu nennen. Auch Bridge erfüllt eine ähnliche Funktion. Play bridge, this is something the Dutch and the English will do together. That’s a good means of communicating with Dutch people, getting to know them (eng2).62 (2) Bildung sozialer Kategorien aufgrund von Firmenzugehörigkeit In Damaskus gibt es für die Ehemänner der Expat-Frauen, die der untersuchten Gemeinschaft angehören, drei mögliche Arbeitgeber: Shell, eine Botschaft oder eine der kleinen ausländischen Firmen. Innerhalb der jeweiligen Gruppen lernt man sich schon fast automatisch sehr schnell kennen. Jede neuankommende Familie wird sofort wahrgenommen, die Frauen werden von anderen Expat-Frauen angesprochen, eingeladen, informiert.

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V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus Wie das genau abläuft, hängt natürlich von der Firma bzw. Botschaft ab. Bei Shell gibt es z. B. ein Begrüßungskomitee. And really this Shell existence makes it so easy; you have this ready-made community (...) the welcoming committee (...). Also, it is so nice if you see someone from another posting in a new country, that more than anything can help you settle in your new posting. I think it is much more difficult for people coming in who do not know anyone (eng2).63 Allerdings trifft man nur innerhalb sehr weniger weltweit operierender Firmen mit einer großen Anzahl international eingesetzter, rotierender Mitarbeiter mit einiger Wahrscheinlichkeit Familien, die man schon in anderen Postings kennen gelernt hatte. Expat-Frauen einer Firma machen sich die Philosophie »ihrer« Firma oder Botschaft zu Eigen. In Damaskus sagen z. B. sehr viele Shell-Frauen »wir sind bei Shell«, nicht »mein Mann arbeitet für Shell«. Bis zu einem gewissen Grad empfinden Expat-Frauen sich als Mitglied einer großen »Familie«, verkörpert durch Firma oder Botschaft. In a way Shell is like a big family. It is very secure, and most people feel very comfortable with it (eng11).64 Diese Tatsache schafft, genau wie gleiche Nationalität, eine gemeinsame Basis. (3) Bildung sozialer Kategorien aufgrund von Generationszugehörigkeit Innerhalb der Expat-Gemeinschaft spiegelt sich der Generationenunterschied in einer unterschiedlichen Einstellung zum Expat-Leben wider. Die jüngere Generation von Expat-Frauen betrachtet das Expat-Leben als eine Möglichkeit von vielen, während es für die ältere Generation damals eine Wahl fürs Leben darstellte. Aber dem Alter als solchem kommt als trennender Barriere für Sozialkontakte lange nicht so große Bedeutung zu wie etwa in Deutschland. In Deutschland haben Freundschaften in meist altershomogenen Verbindungen durch gleiche Erfahrungen Funktionen für Probleme, die sich unmittelbar aus sozialem Wandel und Fluktuation ergeben (Lüschen 1989). Für Expats dagegen gibt es altersunabhängig ähnliche Probleme, die bewältigt werden müssen. Man lebt fern von der Heimat – diese grundlegende Gemeinsamkeit führt zu einer Angleichung der Lebenssituation. Eine ExpatFrau hat das folgendermaßen ausgedrückt: Ich habe irgendwie das Gefühl, dass man im Ausland einerseits schneller, wie soll ich sagen, reift, wächst, Erfahrungen sammelt, gleichzeitig aber auch weniger schnell altert, länger jung, vielleicht aufgeschlossener bleibt. Und das erklärt, glaube ich, warum hier Jung und Alt generell gerne und relativ viel miteinander umgehen (dis). Zum Beispiel kommt es oft vor, dass Familien mit Kindern und solche, deren Kinder 129

Heimat auf Zeit schon eigene Kinder haben könnten oder haben, übers Wochenende zusammen zelten gehen. Der Stellung im Lebenszyklus kommt trotzdem eine gewisse Bedeutung für die tagtäglichen Sozialkontakte zu. Mütter mit kleinen Kindern treffen sich z. B. mit anderen Müttern mit kleinen Kindern: Since I have children it has always been very important for me to mix with women with young children – no matter where I am – I find it quite a relief to talk to other mothers (dis)65. Als Mutter mit kleinen Kindern lassen sich Kontakte sehr einfach knüpfen. Diese Frauen leben in einem sozialen Umfeld, dass eine Expat-Frau sehr treffend als »Kinderumfeld« bezeichnet hat. Kinderlose Frauen haben es schwieriger: And since I don’t have children I don’t have that automatic entree (eng5).66 (4) Bildung sozialer Kategorien aufgrund des Zeitpunktes der Ankunft Auch dem Zeitpunkt der Ankunft in Damaskus kommt Bedeutung zu. Eine Expat-Frau hat diesen Zusammenhang anschaulich geschildert: We have seen a kind of cycle since we got here, when we first came here there was very much a group of people who had been here for a while and all knew each other, and we felt on the margin of that. And they made varying attempts to welcome us in that group, but now they have all gone. And we are part of the new group that is here quite a while. And we must seem like that to newcomers (eng3).67 Expat-Frauen, die in etwa gemeinsam ankommen, durchlaufen die einzelnen Stadien eines Postings (s. o.) relativ gleichzeitg, haben automatisch gemeinsame Diskussionsthemen und ähnliche Probleme. Außerdem werden sie in etwa gleich lange in Damaskus bleiben. Denn es macht wenig Sinn, sich mit Expatriates anzufreunden, die schon fast wieder weggehen. 2.2.2 Soziale Gruppen und soziale Netzwerke Sich eingelebt zu haben bedeutet, eine gewisse Routine gefunden zu haben, die die Bewältigung des Alltags ermöglicht. Es bedeutet auch und vor allem, sozial eingebunden zu sein. Expat-Frauen lernen, besonders am Anfang eines Postings, sehr viele andere Expat-Frauen kennen. Diese Bekanntschaften entstehen im Rahmen der oben vorgestellten Kategorien, denen man automatisch angehört. Die sozialen Netzwerke einzelner Expat-Frauen speisen sich in aller Regel zunächst aus Beziehungen, die über die Zugehörigkeit zu einer Firma bzw. Botschaft entstehen. Je größer diese unmittelbare Eigengruppe, desto einfacher ist es für ein Individuum, alle sozialen Bedürfnisse innerhalb dieser Gruppe zu befriedigen. Nur wenn diese Gruppe aus subjektiver 130

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus Sicht als zu klein empfunden wird, werden Kontakte zu anderen Gruppen angestrebt. Hier bietet sich als Erstes die Gruppe der eigenen Nationalität an. Einige der anfänglichen Kontakte vertiefen sich, während andere abflauen. Das hängt besonders von der persönlichen Handlungsorientierung ab: Expat-Frauen gleichen Typs rücken jeweils in das Kernnetzwerk der anderen Expat-Frau vor. Auch das Stadium im Lebenszyklus, in dem eine Expat-Frau sich befindet, sowie der Zeitpunkt ihrer Ankunft haben Einfluss darauf, wie ein Netzwerk im Detail aussieht. Alle Expat-Frauen sind im Zusammenhang mit ihren verschiedenen Zugehörigkeiten, Rollen, Interessen und Handlungsfeldern in mehrere Einzelnetzwerke eingebunden, die sich überlappen können, zwischen denen aber auch keine Querverbindungen bestehen müssen. Eine stärker integrierte Netzstruktur kann entstehen oder ein aus vielen kleinen Gruppen bestehendes radiales Netz. Folgende Zitate spiegeln die mögliche Bandbreite wieder. Expat-leven, dat lukt alleen, als je graag met mensen samen bent, als je geinteresseerd bent in andere mensen, hun leven, hun problemen ook, dat is het blangrijkst in dit soort leven (hol2)68, so eine holländische Diplomatenehefrau. Eine deutsche Expat-Frau dagegen sieht es als großen Vorteil an, eine gewisse soziale Unabhängigkeit zu empfinden: Und das kommt mir im Ausland zugute: Ich kann sehr gut alleine sein, und will das auch oft, ja (deu6). Die Intensität, mit der soziale Beziehungen in Damaskus gelebt werden, hängt auch von der sozialen Einbindung der Expat-Frau im Heimatland ab. Alle Frauen haben in ihrem Heimatland ein soziales Netzwerk, dem aber ganz unterschiedliche Bedeutung zukommt. Bei einigen Frauen besteht es fast ausschließlich aus der Familie. Bei anderen besteht es ganz wesentlich aus Freunden. Ganz allgemein lässt sich festhalten: Je enger und vielfältiger die Kontakte zum Heimatland sind und je wichtiger für die einzelne Expat-Frau, desto geringer ist ihr Bedürfnis, in Damaskus einen Freundeskreis aufzubauen. Im Folgenden soll auf die oben bereits genannten Hauptgruppen, die den sozialen Netzwerken von Expat-Frauen zugrunde liegen, eingegangen werden. Sie prägen die soziale Struktur der Expat-Gemeinschaft. Diese Hauptgruppen besitzen nach außen hin eine gewisse Geschlossenheit. Da sie sich durch jeweils ähnliches Raumverhalten auszeichnen, kann man von sozialgeographischen Gruppen sprechen (s. a. Dürr 1972).

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Heimat auf Zeit (1) Gruppe der britischen wie der holländischen Expat-Frauen, die Shell angehören Viele Nicht-Shell-Frauen haben den Eindruck, dass es sich bei der ShellGemeinschaft um eine große Gruppe Gleichgesinnter handelt. Man hört ja öfter mal was von der ganzen Shell-Clique – die gelten bei den anderen als abschottend. Die halten sich für was ganz Besonderes (deu8). Auch eine Engländerin bringt diesen Zusammenhang im Interview zum Ausdruck. The non-Shell expats, they call us »Shellies« and they think we are all dead weird (eng1).69 Auch wenn das von den Shell-Frauen selber so natürlich nicht empfunden wird, lässt sich festhalten, dass die Zugehörigkeit zu Shell entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Alltags hat: Da nämlich die Shell-Gemeinschaft sehr groß ist, haben viele der Shell-Frauen intensiven Kontakt nur zu anderen Shell-Frauen (s. Abb. 10). Within Shell, I guess, there is not really the same need to go out and make other friends (eng4).70 Innerhalb dieser Gemeinschaft kann bei den Engländern wie den Holländern jeweils von nationalen Eigengruppen gesprochen werden, die vorwiegend unter sich bleiben. In Abb. 10 symbolisiert der jeweilige Innenkreis, wie oben erwähnt, diese Eigengruppen. I think what we find here is that Dutch people tend to stick to the Dutch. And English people tend to stick to the English – well, within Shell. And there is a few, mixed marriages mainly, who cross the divide (eng4).71 Die derzeit drei deutschen Shell-Frauen schließen sich im Wesentlichen den englischen Shell-Frauen an – und nicht den anderen deutschen Expat-Frauen (s. Abb. 10), was erneut die herausragende Bedeutung, die der Firmenzugehörigkeit zukommen kann, unterstreicht. Selbst innerhalb der eigenen Nationalität ist es für Engländer und Holländer möglich, an einem »turbulenten« Sozialleben teilzunehmen. In diesen beiden Gruppen finden sich viele sozialorientierte Frauen, die sich dem »social whirl« des Expat-Lebens gerne hingeben und bei denen man von einer gewissen sozialen Eingebundenheit individueller Motive sprechen kann. Häufig fühlen sich diese Frauen im Expat-Leben wohler als in Europa. Für viele der britischen Frauen hat das Konzept der lebenslangen Freundschaft weit weniger Bedeutung als für Deutsche. Ein großer Bekanntenkreis spielt für sie eine wichtigere Rolle. Das Raumverhalten dieser sozialgeographischen Gruppe ist generell durch die deutliche Beschränkung auf Mezze gekennzeichnet. Auch die Firmeninfrastruktur hat Einfluss auf die Handlungsorientierung. So finden sich sportbegeisterte Expat-Frauen fast ausschließlich unter den Shell-Frauen, weil nur Shell aufgrund seiner Größe in Damaskus

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V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus ebenso wie in anderen Postings relativ umfangreiche Sportmöglichkeiten anbieten kann. (2) Gruppe von Expat-Frauen, die Botschaften angehören Das soziale Leben wird durch Kontakte innerhalb der eigenen Botschaft bestimmt. Je Nationalität entstehen einzelne Gruppen, deren Kontakte innerhalb der Eigengruppe sich aber nicht so intensiv gestalten wie die der Shell-Holländer bzw. der Shell-Engländer. Dadurch ist die Unabhängigkeit von der größeren Gemeinschaft nicht so ausgeprägt. In Abb. 10 spiegelt sich dieser Zusammenhang in den helleren Graustufen des Innenkreises wider. Zudem pflegen die Frauen von Botschaftsmitarbeitern – vor allem auf ranghöherem Niveau innerhalb der Botschaften – vergleichsweise intensiven Kontakt untereinander. The Embassy people tend to go round with embassy people, from different nationalities (eng4).72 Alle Botschaften, die in Damaskus vertreten sind, bilden zusammen eine eigene große Gruppe, der auch die britischen, englischen und deutschen Botschaftsfrauen angehören. Botschaftsübergreifende Kontakte sind häufig durch einen hohen sozialen Verpflichtungsgrad gekennzeichnet. Es handelt sich zum großen Teil um Empfänge, im Jargon der Expat-Gemeinschaft als cocktails bezeichnet. Das gibt den beteiligten Expat-Frauen relativ wenig privaten Spielraum: Het is wel moeilijk om echte vriendschappen op te bouwen, ook omdat je altijd in grote groepen samen bent (hol2).73 Allerdings unterstützen die Interviews und Diskussionen die Annahme, dass aus einer anfänglichen Verpflichtung bei den meisten dieser Expat-Frauen schnell ein freiwillig gewähltes Handlungsmuster wird. Unter ihnen gibt es z. B. viele wohltätigkeitsorientierte Expat-Frauen, die ihre soziale Stellung nutzen, um sie in den Dienst entsprechender Projekte zu stellen. Die botschaftsübergreifenden Kontakte implizieren, dass Botschaftsfrauen insgesamt deutlich mehr Kontakt zu verschiedensten Nationalitäten haben als etwa die Shell-Frauen. Von gleicher Bedeutung wie die botschaftsübergreifenden Kontakte sind solche, die zu Expats der eigenen Nationalität gepflegt werden (s. Abb. 10). Diese Beziehungen haben zur Folge, dass das Raumverhalten dieser sozialgeographischen Gruppe weniger ausschließlich auf Mezze konzentriert ist.

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Heimat auf Zeit (3) Firmen- und nationalitätenübergreifende Gruppe jüngerer Expat-Frauen Die jüngere Generation von Expat-Frauen ist dadurch gekennzeichnet, dass das Expat-Leben nur als im Moment gelebte Möglichkeit betrachtet wird. Frauen mit dieser Einstellung lernen sich sehr häufig gegenseitig besser kennen – auch über die Grenzen der eigenen Firma oder Nationalität hinaus. Eine jüngere Shell-Frau, die (noch) keine Kinder hat, sagt Folgendes: Having grown up in a little village, in the same kind of piranha-pool, I needed to get to know people who are outside the Shell community (eng5).74 Frauen der älteren Generation dagegen halten weitgehend an den durch Firmenzugehörigkeit und Nationalität vorgegebenen Strukturen fest. Innerhalb der jüngere Generation von Expat-Frauen finden sich viele berufsorientierte Expat-Frauen. Es gibt sie jedoch nicht nur unter ihnen, genauso wenig wie es innerhalb der älteren Generation nur familienzentrierte bzw. sozialorientierte Expat-Frauen gibt. Und doch handelt es sich hier um Klischees, die selbst innerhalb der Expat-Gemeinschaft zu finden sind. Eine Feststellung wie »einmal Shell, immer Shell« spiegelt eine Haltung wider, die von jüngeren Expatriates völlig abgeleht wird. Sie hatte aber für die ältere Generation Bedeutung: Ich sehe da auch ’ne Generationensache, dass die Älteren, ab Mitte 40 oder so, dass die zu dieser ganzen Art von Leben ’ne andere Einstellung haben. Bei den Jüngeren ist viel mehr das eigene Leben im Hinterkopf, die eigene Ausbildung, der eigene Lebensweg, das sehe ich schon. Ich glaube, dass da jetzt viel mehr Kritik geübt wird, gerade die Frauen sehen auch Möglichkeiten anderswo, spannende Möglichkeiten. Aber vor 20 Jahren war das Expat-Leben sicher ein tolles Leben (deu3). Diese Frauen hatten zu dem Zeitpunkt, als sie ins Ausland gingen, keine Ansprüche an ein eigenes Berufsleben. (4) Grüppchen von Expat-Frauen, die kleineren deutschen Firmen angehören Bei der Kategorie der deutschen Expat-Frauen handelt es sich um eine vergleichsweise kleine Gemeinschaft, die sich neben den wenigen Shell- wie Botschaftsfrauen aus einigen Firmen-Grüppchen zusammensetzt. Obwohl sich Frauen einer Nationalität vergleichsweise schnell kennen lernen und es nur sehr wenige deutsche Expat-Frauen gibt (zum Zeitpunkt der Untersuchung waren es dreizehn), kennen diese Expat-Frauen sich nicht alle untereinander. Das zeigt, dass deutsche Expat-Frauen im Großen und Gan134

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus zen einer eher individualistischen Lebensweise zugetan sind, in der der Familie und lebenslangen Freundschaften hohe Bedeutung beigemessen wird. Es handelt sich vornehmlich um berufsorientierte und familienzentrierte Frauen. Häufig schotten sie sich von der größeren Gemeinschaft ab und lassen sich von sozialen Zwängen keineswegs vereinnahmen. Entsprechend weniger Kontakt haben sie außerhalb ihrer jeweiligen Eigengruppe (s. Abb. 10). In der deutschen Kultur hat es keine Tradition, im Ausland zu leben. Verbreitetes Bewusstsein um internationale Karrieren, wie Shell sie anbietet, gibt es nicht. Denn im diplomatischen Dienst wechseln sich Auslands-Postings mit Heimatland-Postings ab, sodass reine Auslandskarrieren kaum vorkommen. Deutsche Expat-Frauen sind selten als Expat-Kinder aufgewachsen, sodass sie sich bewusst für ein solches Leben entscheiden müssen. Dementsprechend ist die besonders bei den Engländern weitverbreitete Akzeptanz von Internaten bei deutschen Expat-Frauen nicht anzutreffen. Diese Zusammenhänge erklären die eher eingeschränkte Mobilität vieler deutscher Expat-Frauen. Oft sind sie grundsätzlich nicht bereit, ein lebenslanges Expat-Leben zu führen. Bei den deutschen Expat-Frauen ist dementsprechend die Außenorientierung sehr gering, sie ziehen sich eher auf die Eigengruppe, die eigene Firma, zurück, und mag diese noch so klein sein. Oft haben sie nur innerhalb dieser Firma engeren Kontakt. Meine Bekannten, ja, alles eben deutsche Freunde und Bekannte, Ehefrauen von Kollegen (deu4). Im Gegensatz zu den deutschen Frauen, deren Männer für eine kleine Firma arbeiten, haben englische Frauen in derselben Situation das Gefühl, ihre sozialen Bedürfnisse innerhalb der eigenen Firma nicht befriedigen zu können. Sie knüpfen Kontakte zu anderen britischen Frauen. Es handelt sich vielfach um sozialorientierte Expat-Frauen, die diesem Lebensstil gar nicht nachgehen könnten, ohne sich einer größeren Gruppe anzuschließen. So kann ein weitgefächertes Netzwerk entstehen. Eine englische Frau, deren Mann für die UN arbeitet, beschreibt das folgendermaßen: Well, the nice thing here is that we go about in different communities, there are the UN people, there is the Shell community, the church community and the embassy – and I do relate to all of them (eng6).75 (5) Cliquen innerhalb der Expat-Gemeinschaft Abschließend soll auf Cliquen eingegangen werden. Cliquen gibt es fast ausschließlich innerhalb der Shell-Gemeinschaft. Nur sie weist die entsprechende Größe und Struktur auf, um Cliquenbildung überhaupt zu erlauben. Eine Shell-Frau hat Folgendes innerhalb der Shell-Gemeinschaft 135

Heimat auf Zeit beobachtet: Ik denk dat het vroeger meer een gemeenschap was, en nu zijn een paar families bijgekomen die altijd in een kliek dezelfde dingen doen, die hier een gevoel van zekerheid door krijgen (hol1).76 Das heißt aber keinesfalls, dass alle Shell-Frauen einer Clique angehören, ganz im Gegenteil: Maar ik hou er niet zo erg van in een kliek te zitten. Altijd met dezelfde mensen dezelfde dingen doen, nee (hol1).77 Eine Expat-Frau hat in einem früheren Posting folgende Erfahrung gemacht: Als je niet oplet, dan doe je altijd weer met dezelfde mensen iets. Ik probeer wel op te letten niet plotseling in een groepje te zitten en daar niet meer uit te kunnen, dat is ons eerder wel eens ergens gebeurd. Daar hebben wij zo sociaal moeten doen, dat we niet eens meer zelf konden bepalen met wie we iets gingen doen, omdat – omdat wij dan echt scheef werden aangekeken, en daar werd ik dan uiteindelijk toch wel een beetje bang van (hol4).78 Dieses Zitat zeigt, wie schnell sich echtes Cliquenverhalten für den Einzelnen in sozialen Druck verwandeln kann. 2.3 Netzwerke im Heimatland Die lokalen Netzwerke in Damaskus sind Beziehungen, die durch räumliche Nähe entstanden sind – und deren treibende Kraft in vielen Fällen diese Nähe ist. Also, ob man in Deutschland immer unbedingt etwas miteinander zu tun hätte, da bin ich mir gar nicht so sicher (deu2). Bei den Netzwerken im Heimatland handelt es sich um solche, die trotz der räumlichen Entfernung erhalten bleiben. Die Möglichkeiten der modernen Kommunikation und Technologie (Telefon, E-Mail etc.) helfen, Entfernungen zu überbrücken und damit Kontakte aufrechtzuerhalten, mehr noch: Sie erlauben es, in großem Ausmaß zwischen Expat-Gemeinschaft und Heimatkontakten zu wählen. Dadurch können sie dazu beitragen, dass Interaktionen mit nahe stehenden Personen im Heimatland oder auch anderswo gepflegt, neue Kontakte in Damaskus dagegen kaum geknüpft werden. Allerdings darf Folgendes nicht übersehen werden: Für den Expat ändert sich das gesamte Lebensumfeld. Aber auch für die zu Hause Gebliebenen ändert sich das System der Relevanzen, nur nicht so schlagartig, sondern langsamer und kontinuierlicher. Durch die gänzlich verschiedenen Lebensumstände ist eine gewisse bisher vorhandene seelisch-geistige Übereinstimmung nicht unbedingt mehr gegeben. So kann es durchaus geschehen, dass Expats bei langer Abwesenheit zu Fremden in ihrem Heimatland werden. Es tut sich also ein Graben auf, den es zu überbrücken gilt; ein Graben, der die Beziehungen des einen Expats zu Familie und Freunden daheim weit weniger belastet als die des anderen. In jedem Fall sind die Relevanzverschiebungen im Heimatland für den Expat auf 136

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus Heimaturlaub leichter nachvollziehbar als die, die plötzlich das Leben des Expats verändern. Und in jedem Fall erfordert es sehr großes Engagement von Seiten des Expats, Kontakte aufrechtzuerhalten. Natürlich hängt das Verständnis von Familien und Freunden im Heimatland auch maßgeblich von deren Lebenserfahrung und Lebenshorizont ab und ist damit großer Variation unterworfen. Dieser Hintergrund ist es, vor dem sich viele Expat-Frauen bemühen, Beziehungen in ihrem Heimatland aufrechtzuerhalten – was sehr erfolgreich gelingen kann. Viele Expats müssen allerdings erkennen, dass es ihnen tatsächlich nur bei der engeren Verwandtschaft gelingt. Mit Hilfe des Datenmaterials lassen sich die verschiedenen Erfahrungen, die verschiedenen Standpunkte veranschaulichen. Viele Expat-Frauen werden mit der oben erwähnten Entfremdung konfrontiert. Häufig bemüht sich aber die Familie im Heimatland um Verständnis. I realized that my old friends from college I have nothing in common with, I am completely out of touch. But my family has sort of moved on with me (eng1).79 Das folgende Zitat zeigt, dass sich Kontakte zu anderen Expats leichter aufrechterhalten lassen als die zu früheren Freunden. We do see some friends when we go back to England, but, yes, I think we have always met them through Shell. I suppose, if you have spent the last 15 years in Shell, its all Shell contacts (eng2). 80 Es gibt Expat-Frauen, denen es gelingt, Kontakt zu alten Freunden zu halten. Das sind oft Frauen, die noch nicht lange im Ausland leben. Eine Engländerin, für die Syrien ihr erstes Posting ist, sagt Folgendes: Friends are very important to me – I recognize that I need to make an effort to keep them and I do, because I do not want to loose them. I want something to go back to (eng5).81 Eine andere Frau bemerkt Folgendes: Yes, we have a circle of friends in England that have been there forever, and they are used to us now (eng7).82 Für alle Expat-Frauen hat folgende Feststellung mehr oder weniger starke Berechtigung: Our holidays in England are duty visits home (eng6).83 Expatriates empfinden Heimaturlaub als anstrengend. Sie versuchen, in kürzester Zeit vielen verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden – und das ist kaum möglich. Das ist einer der Gründe, warum viele Expatriates es vorziehen, Besuch aus dem Heimatland zu bekommen. Zudem bekommt der Besuch einen lebendigen Eindruck von der Lebenssituation, in der die Expatriates sich befinden. So etwas lässt sich in Erzählungen, auch mit Hilfe von Fotos, nicht gleichermaßen vermitteln. Praktisch alle, inklusive Familie, kommen, die Familie ist in jedem Land gewesen. Dann können sie viele Dinge besser einschätzen, die man vielleicht dann etwas querköpfig hinterher vertritt. Das halte ich für wirklich wichtig (deu7). 137

Heimat auf Zeit Wenn Besuch für zwei Wochen kommt, dann hat man sich zwei Wochen ganz intensiv. Im Heimatland würde man sich übers ganze Jahr verteilt an Abenden oder Nachmittagen oft auch nicht länger sehen. Unsere Freunde, die besuchen uns, wo immer wir sind, und wahrscheinlich sehe ich die genauso oft, als würde ich in Deutschland sein. Es ist intensiver, ja, aber eben auch alles bisserl unnatürlicher: Das ist anders als eben das spontane SichSehen, man sieht sich nicht, weil man, amm, aus dem Bedürfnis heraus, sondern aus der Situation heraus, eben weil ich gerade in Deutschland bin (deu6). Eine Engländerin dagegen findet es wesentlich einfacher, ihre Familie im Heimatland zu sehen: When I go back to England and see them on their ground then it is fine (eng7).84

3 Aktionsraum Expat-Insel Die Expat-Frauen in Damaskus leben in einer eigenen Welt, innerhalb ihrer Eigengruppe. Sie sind zwar umgeben von der Gastkultur, aber in keiner Weise integriert. Die syrische Bevölkerung wird als Fremdgruppe angesehen. Es kommt zu weitgehender ethnischer Segregation, bestenfalls zur Akzeptanz wertneutraler Andersartigkeit. Die Expat-Frauen in Damaskus sind in ihrer eigenen Welt gefangen. Diese Raumblase wird mit dem Begriff Expat-Insel belegt. (1) Struktur der subjektiven Stadtpläne und Aktionsräume Zunächst werden Form und innere Struktur der subjektiven Stadtpläne und der Aktionsräume der Expat-Frauen in Damaskus untersucht (s. a. Abb. 1, in der schematisch dargestellt ist, wie subjektive Stadtpläne und Aktionsräume entstehen). In den Interviews hat sich immer wieder gezeigt, dass das Straßennetz, ausgehend von einem zentralen Kreisverkehr, dem crazy circle, das Grundgerüst für den Aufbau der subjektiven Stadtpläne von Damaskus darstellt. Abb. 11 gibt als Beispiel den subjektiven Stadtplan von Marie, der kunstbegeisterten deutschen Expat-Frau, wieder. Alles, was westlich vom crazy circle liegt, gehört für den Großteil der in Mezze wohnenden Expatriates zum vertrauten Nahbereich. Alle Gebiete, die östlich davon liegen, werden eher sporadisch aufgesucht und sind weit weniger vertraut. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die in den Interviews entstandenen Karten von Damaskus Mezze vergleichsweise differenziert wiedergeben. Aber die anderen Stadtteile erscheinen allenfalls schematisch und 138

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus die Distanzen sind verzerrt. Dieses Ergebnis entspricht den Ergebnissen anderer Untersuchungen zum Aktionsraum. Die Distanzwahrnehmung variiert »mit der emotionalen Einstellung zu den verschiedenen Zielorten: Was positiv besetzt ist, wird als weniger entfernt wahrgenommen als emotional negativ besetzte Ziele« (Hamm und Neumann 1984: 252). Fixpunkte der räumlichen Aktivitäten und damit Determinanten der Aktionsräume befinden sich in Mezze. Sie umfassen folgende Standorte: allen voran den eigenen Wohnstandort als Zentrum des individuellen Aktionsraumes, die Wohnstandorte von Freunden und in begrenzterem Umfang von Bekannten, gegebenenfalls Schule und/oder Kindergarten, den Arbeitsplatz des Mannes, die Konzentrationspunkte zentraler Versorgungseinrichtungen (in wechselndem Ausmaß) und institutionelle Kerne sowie die diese Standorte verbindenden Verkehrsachsen. Die Stellung im Lebenszyklus, das Ausmaß der eigenen sozialen Integration und nicht zuletzt das individuelle Interesse an Damaskus und dem, was Damaskus zu bieten hat, beeinflussen die Raumkonfiguration des Aktionsraums. Jenseits von Mezze erstrecken sich Gebiete, deren Wahrnehmung in der Regel einer noch weit stärkeren Selektion unterworfen ist als Mezze selber – sie gehören dem Raum der subjektiven Stadtpläne an. Denn als überschaubarer und schnell vertrauter Nahraum bietet Mezze den ExpatFrauen die Möglichkeit, räumliche Identität zu entwickeln und zu stabilisieren. Zudem ist ein konkreter Stadtteil als Ort gelebter Urbanität ein entscheidender Faktor für die Produktion und Reproduktion sozialer Identität (Helbrecht 1997: 12). (2) Expat-Insel – Entstehung und Qualitäten Die oben beschriebene starke räumliche Konzentration bewahrt vor der völligen Aufgabe traditionsbestimmter Wertvorstellungen und ermöglicht es, in räumlicher Nähe anderer Expatriates auf gewohnte und vertraute Lebenssituationen zurückgreifen zu können. Dadurch, dass Expatriates zudem ihr einmal erworbenes Wissen über Standorte jeweils an neuzuziehende Expatriates weitergeben, entsteht eine subjektive Expat-Stadt – ein künstliches Gebilde, mit dem sich alle vertraut fühlen, auch wenn es nur im Geiste der Expatriates existiert. Das soziale Bezugssystem der ExpatFrauen ist nicht die Aufnahmegesellschaft, sondern die Expat-Gemeinschaft in ihrer Eigenschaft als Subkultur. So helfen die sozialräumliche Struktur und die soziokulturelle Organisation innerhalb dieser Subkultur besonders Neuankömmlingen, den Kulturschock und die damit verbundene Identitätskrise zu überwinden, weil Handeln in vergleichsweise bekann139

Heimat auf Zeit tem Muster möglich wird – innerhalb eines primär sozialräumlich definierten Raumes. Dieser Raum hat für einen Großteil der Expat-Frauen eine durchaus vergleichbare räumliche Ausdehnung. Er wird von jeder einzelnen Expat-Frau durch ihr spezifisches soziales und aktionsräumliches Netz so überprägt, dass innerhalb dieses Rahmens ihr individueller Aktionsraum entsteht. Es handelt sich bei diesem Aktionsrahmen gewissermaßen um die eigene Welt der Expat-Gemeinschaft, die – wie bereits erwähnt – mit dem Begriff Expat-Insel belegt wird. Es handelt sich um einen konstruierten, symbolischen Lebensraum, der aufgrund seiner soziokulturellen Struktur für die Entwicklung der Identität und Identifikation notwendige soziale Interaktionsmöglichkeiten bereithält. Die Expat-Insel wird so zum Ersatz für den vertrauten Raum, den man zurückgelassen hat, entweder im Heimatland oder anderswo. Sie wird mit der Zeit zu einem Gebiet von Verhaltenssicherheit und Vertrautheit und dient somit der Stabilisierung und Bestätigung der eigenen räumlichen wie sozialen Identität. Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und damit Zugehörigkeit wird vermittelt, was wiederum zu emotionaler Bindung führt. An Traditionen und an kulturspezifischen Handlungsweisen wird festgehalten. Der oben erwähnte holländische ClubNed (s. Kap. III) hat die Funktion, ein Stückchen holländische Kultur in Damaskus am Leben zu erhalten. Du hast Heimatland in Klein, im Ausland (deu11). Viele Expatriates halten, genau wie Auswanderer, häufig viel stärker an Traditionen fest als die Menschen im Ursprungsland, weil sie ein Stückchen Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Es reicht so weit, dass die Heimatländer zum Teil regelrecht neu erfunden werden, so also nur im Geiste einzelner Expatriates existieren. Dabei ist es unerheblich, ob die Expat-Insel als Enklave in Form eines Camps real existiert (wie etwa in Saudi-Arabien oder Gabun) oder ob sie im Bewusstsein der Expatriates konstruiert wird, wie es hier in Damaskus der Fall ist. Entscheidend ist das vom Einzelnen wahrgenommene Identifikationspotenzial, das sich ihm in Form der Expat-Insel bietet. Dabei hängt die Wahrnehmung und Bewertung der Expat-Insel insbesondere von dem Ausmaß und der Güte der bestehenden sozialen Netzwerke ab. Es kommt zum Aufbau quasi-dörflicher Wohnverhältnisse mit eigener Binnenstruktur. Eine expatspezifische Dynamik, ein Eigenleben entwickelt sich inmitten des fremden Kulturkreises, sodass vertraute soziale und kulturelle Lebensführung möglich wird. Die Expat-Insel erhält damit Qualitäten eines Heimatraumes. Eine Engländerin, die für den quasi-dörflichen Charakter der Expat-Insel sehr prägnante Worte findet, möchte ich hier ausführlich zitieren: I 140

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus think people need communities, well, there is a lot of gossip in the expat community, but in an average sort of village is. Yes, it’s very much like a rural English village. I mean, it was Oscar Wilde who said: it’s much better to be talked about than not being talked about. I am always interested in other people, what they are doing, and, yes, I appreciate it when people are interested in me. I find that very supportive, you can always, if you have a problem, or need somebody to look after your child; there is always someone around. And it is the equivalent being in a little village, say in England, where you can call on a neighbour, your mother or someone. Just the support you get and the support you can give to others, it is really good. I think you know, the good things about it really outweigh the bad things (eng2).85 Von dieser Frau wird die Expat-Gemeinschaft als sinn- und identitätsstiftende Dorfgemeinschaft empfunden. Es gibt Frauen, die diesem Dorfcharakter des Expat-Lebens vorwiegend Positives abgewinnen. Man findet sich sehr schnell in einer Gemeinschaft wieder, die Wärme und Geborgenheit bietet und durch Unmittelbarkeit, Direktheit und Verbindlichkeit gekennzeichnet ist. Ein Ersatz für Freunde und Verwandtschaft, die zu Hause zurückgelassen wurden, entsteht, aufgebaut innerhalb von wenigen Monaten. Expat-Frauen sind schnell in die Lebenswelt einer funktionierenden Gemeinschaft integriert – und das hat eine starke Faszination, auch weil es im Heimatland so viel schwieriger ist. Really, expat-life makes it so easy; you have this ready-made community. I think, in London for instance, it must take years to feel part of a community (eng2). 86 Aber eine solche Dorfgemeinschaft in durchaus traditionellem Sinne erzwingt bis zu einem gewissen Grad durch Mechanismen der sozialen Kontrolle Homogenität. Das finden viele Expat-Frauen wenig reizvoll. Diese Frauen begegnen der Integration in die eben beschriebene »nestwarme« Gemeinschaft skeptisch. Diese Homogenität bewirkt eine Verarmung der Sozialbeziehungen, eine Einschränkung der Informationsaufnahme und der Kontaktbereitschaft zu Außenstehenden. Es kommt zu einem Erstarren in der gewohnten Lebensweise. Also wenn du die zweite Angelique kennen lernst, wo du so viele Parallelen siehst, wo du Gespräche ganz ähnlich führst und denkst, die könntest du jetzt austauschen – deswegen meinen vielleicht auch viele Shell-Frauen, dass es eigentlich gar nicht so einen großen Unterschied macht, wenn man wegzieht, wohin das ist: Sie lernen sicher wieder jemanden kennen, der ganz ähnlich ist wie Angelique im vorigen Posting (deu12). Diese Frau bedauert also eine gewisse Uniformität der Expat-Gemeinschaft. Einer anderen Expat-Frau stellt sich die Expat-Gemeinschaft als eine Gemeinschaft dar, in der durch die allgegenwärtige Kurzlebigkeit aus verbindlicher Freundlichkeit sehr schnell freundliche Unverbindlichkeit wird. Einerseits kann die freundliche Unverbindlichkeit als befreiend emp141

Heimat auf Zeit funden werden, weil Kontinuität von vornherein ausgeschlossen ist: I think there is a funny thing that happens to expatriates: you never belong to any community, it is a kind of liberation – when I go back to England all my friends are locked into some sort of community, either a working community or if they are in the countryside they are with the women’s institute making jam. I think the expatriate woman is a bit of a butterfly – you don’t ever have to be deeply involved in any community (eng7).87 Andererseits erklärt die verbindliche Freundlichkeit, warum einer Gemeinschaft, in der die Individuen ständig wechseln, trotzdem Dorfcharakter zugeschrieben werden kann, obwohl Dorfleben im klassischen Sinn seine Reize aus der Eingesessenheit der Einwohner gewinnt. Im Bewusstsein von Expatriates ist die Tatsache, dass alle Expats nur sehr begrenzt an einem Ort bleiben, zutiefst verwurzelt. Alles muss vergleichsweise schnell gehen: Wenn man drei Jahre damit verbringt, eine Freundschaft zu knüpfen, bleibt kaum mehr Zeit, sie zu leben. (3) Bedeutung der Wohnung Der Wohnung kommt große Bedeutung zu: »Die Wohnung ist Objekt des eigenen Gestaltungswillens (...). Die Spielräume zur aktiven Aneignung, zur eigenwilligen Gestaltung, spielen eine bedeutende Rolle für das Selbstbild, die Identifikation mit einer Wohnung und einem Ort ebenso wie als Erfahrung von selbstbestimmtem Handeln, vor allem in der Sozialisation. Die Wohnung stellt sich damit als eine Erweiterung des Selbst, der individuellen Raumblase dar (...). Die Wohnung ist der Ort des Privaten. Sie bildet, in Goffmans (1969) Metapher, die Hinterbühne, wo neue Rollen geübt werden und wo man die persönliche Fassade aufbaut, überprüft und vervollständigt, bevor man sich auf der Vorderbühne dem Publikum stellt (...) « (Hamm und Neumann 1984: 239). Gerade in einer als befremdlich empfundenen Umgebung bieten die eigenen vier Wände die Möglichkeit, sich in der Fremde aus der Fremde zurückzuziehen, zumindest zeitweilig in eine vertraute Umgebung einzutauchen. Auch die starke Entsynchronisierung der Tagesabläufe von Syrern und Expatriates macht Privatheit unverzichtbar. Die Wohnung stellt gewissermaßen das Zentrum der subjektiven Welt der Expat-Frauen dar, ein Zentrum, das als Rückzugsraum fungiert und sich als solcher auch gestalten lässt. Expat-Frauen zeigen eine sehr stark auf diesen Raum und die Familie ausgerichtete sozialräumliche Orientierung. Und Damaskus stellt die Kulisse für den »mitgebrachten« Lebensmittelpunkt. Weiter noch: Je gemütlicher das Zuhause ist, je besser man auf142

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus grund der gegebenen Voraussetzungen in der Lage ist, eine Wohnung den eigenen Wünschen und Vorstellungen von einem Zuhause anzupassen, je wohler man sich also dort fühlt, desto weniger Antrieb besteht, die Fremde tatsächlich zu erleben. Sicher ist es anfangs so, dass der Gestaltung des eigenen Raumes Priorität eingeräumt wird vor dem Bedürfnis nach Exploration des umgebenden Raumes: Erst musste die Wohnung fertig sein, das war ganz wichtig, und dann habe ich mich mit der Umgebung befasst (deu5). Hier wird Sicherheit gewonnen gegenüber der fremdartigen Außenwelt, der man mit Ohnmacht, Hilflosigkeit und Unsicherheit gegenübersteht und Kraft gesammelt für die Bewältigung dieser Fremdheit. Außerdem spielt sich ein Großteil des sozialen Lebens in den Wohnungen ab: sei es tagsüber – wie beim Kaffeeklatsch oder Babytreffen – oder abends, wenn zu dinner-parties eingeladen wird. Diese Funktion des Wohnraumes ist auch deshalb wichtig, weil sie der Gestaltung des Wohnraumes zusätzliche Bedeutung zukommen lässt. Das Zuhause ist als Träger von Identität sehr wichtig und fungiert für die anderen zusätzlich als Träger sozialer Information. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die meisten Familien ihren gesamten Besitzstand mitbringen und ihr Zuhause dementsprechend individuell gestalten. Häufig findet man Erinnerungen an andere Postings: Bilder, Teppiche, alte Türen, Möbel, Dekorationsobjekte. Auch hier in Damaskus gehört das Erstehen solcher Dinge zu den Freizeitaktivitäten von Frauen (wie Männern), sodass im Laufe der Zeit in den meisten Expat-Wohnungen lokal erstandene Möbelstücke die Einrichtung bereichern. Stark verallgemeinernd kann man feststellen, dass bei den Holländern und auch den Deutschen das Bedürfnis ausgeprägter scheint als bei den Engländern, sich ein individuelles Zuhause herzurichten – auch wenn das sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Engländer bringen häufig weit weniger Mobiliar mit und stocken dann mit Firmenmobiliar auf: I think the Dutch, they tend to travel with their whole house, if you go into a Dutch familie’s house, there is nothing there that is from Shell, whereas if you go into an English person’s house it is full of Shell stuff. Dutch people tend to have everything – and I have heard them say: this is my life and I have all my stuff with me, which I find very good. English people don’t do that so much, no (eng8). 88 (4) Resümee Der Wohnung kommt räumlich die gleiche Funktion zu wie der Familie im sozialen Kontext, und Mezze kommt als Nahbereich räumlich die glei143

Heimat auf Zeit che Funktion zu wie der Expat-Gemeinschaft auf sozialer Ebene. Bei dem entstehenden sozialräumlichen Gebilde handelt es sich um die Expat-Insel. Erst aus der Geborgenheit, der Sicherheit und Vertrautheit der Expat-Insel heraus sind Expatriates bereit, das Fremde, das Neue zu erkunden, und das in variierendem Ausmaß.

4 Beziehung zur Welt außerhalb der Expat-Insel (1) Beziehung zur Stadt Damaskus und dem Land Syrien Expat-Frauen sind am Anfang ganz begeistert von Damaskus. Diese orientalisch-islamische Stadt mit eigenem Flair zieht sie in ihren Bann. Aber auf die anfängliche Begeisterung folgt eine gewisse Ernüchterung. Das erleben alle Expat-Frauen in ähnlicher Weise (s. Kap. V.1). Denn aus der ExpatFrau, die mit den Augen einer Besucherin alles in sich aufnimmt, wird die Bewohnerin der Stadt Damaskus, die sich hier einen funktionierenden Alltag aufbauen muss. Und in diesem Alltag spielt Damaskus eine kleine Rolle. Denn die meisten Expat-Frauen erschließen sich keinesfalls Damaskus, sondern vielmehr den Suk und die Hauptsehenswürdigkeiten. Also die Highlights, die haben wir sicher gesehen (deu2). Damit sind im Wesentlichen die Omayyaden-Moschee, die Blaue Moschee, das Nationalmuseum und der Kunsthandwerker-Suk gemeint. Viele Frauen besuchen diese Sehenswürdigkeiten mehrmals, etwa, wenn Freunde oder Familie zu Besuch kommen. Aber kaum eine Expat-Frau kommt auf die Idee, die verschiedenen Stadtteile zu erkunden. Eine Ausnahme bildet der Suk: Viele Frauen besuchen ihn öfter – um die Atmosphäre zu genießen, um einzukaufen, um Geschenke für Familie und Freunde im Heimatland zu erstehen oder um einem Hobby nachzugehen. Teppiche werden bewundert (und gekauft), Perlen gesucht (und gefunden) oder alte Möbel angesehen (und erstanden). Und es gibt einige Frauen, die gerne fotografieren. Damaskus, also Damaskus ist nicht austauschbar für mich, ich finde, dass die Altstadt, gerade die Altstadt, ihre Reize hat. Aber ich gehe nicht öfter als einmal pro Monat hin, sicher nicht (deu9). Diese Aussage macht deutlich, dass das Leben in einer orientalischen Stadt auch für Ausländerinnen Alltagscharakter bekommt. Ebenso wie sich Expatriates die Sehenswürdigkeiten in Damaskus ansehen, lernen viele auch die Sehenswürdigkeiten in ganz Syrien und den Nachbarländern kennen. Eine Expat-Frau formuliert es folgendermaßen: Wir haben nicht nur in Damaskus alles angeguckt, was es anzugucken gibt, 144

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus sondern auch im Lande. Auch Sachen, wo die Touristen nicht hinkommen (deu5). Eine deutsche Frau stellt fest, dass es ihr um visuelle Eindrücke geht: Das Simeonskloster etwa oder die Toten Städte fand ich sehr beeindruckend. Teilweise finde ich die Landschaft auch sehr schön, teilweise nicht so, aufgrund der Plastiktütenkultur (in der Landschaft herumliegender Müll ist gemeint, CPM), die ja doch sehr verbreitet ist (deu2). Hier würden viele Frauen zustimmen. Eine Engländerin sagt: We have done Syria; we really did it. The first thing when we came here was buying Ross Burns Book on Monuments in Syria. And then we took off to see all the five star sites and a lot of the smaller ones as well. We spent a lot of weekends away, in the beginning, the last year we have done less and less: we have seen most of it (eng1).89 Diese Einstellung trifft auf die meisten Expatriates zu: Die bekannten Ziele und oft auch weniger bekannte werden in jedem Fall besucht. Die Expat-Insel minimiert in ihrer Funktion als Puffer den Kontakt mit der Fremde. Dadurch wird der Zugang zu fremdartigen Erfahrungsräumen sehr stark eingeschränkt. Expatriates verfügen nicht über die entsprechenden Schlüssel, die sie bräuchten, um sich die Stadt Damaskus bzw. das Land Syrien auf wesentlich andere Art zu erschließen als Touristen. Wie Touristen bewegen sie sich aus dem sicheren Hafen der Expat-Insel heraus. Der Herausforderung, sich mit der fremdkulturellen Umgebung wirklich auseinander zu setzen, stellen sich nur die wenigsten Expat-Frauen. Zwar sind Expatriates automatisch Teil eines »Expat-Informationssystems«, das dem Einzelnen durch Kommunikation laufend die neuesten Informationen zur Verfügung stellt. Es beschränkt sich aber auf praktische Tipps (z. B. zu Ausflugszielen oder Anfahrtsstrecken). Dieses Informationssystem funktioniert innerhalb des Nahbereichs sehr gut und auch dann, wenn es um den outdoor-hash geht, um Camping-Trips oder um die Logistik von Ausflügen. Aber diese Tipps haben kaum etwas zu tun mit dem Thema Zugang – Zugang zur syrischen Geographie, Geschichte, Architektur, Kunst oder Kultur. Expats bewegen sich zu einzelnen Orten, zu Punkten in einem Raum, der sie ansonsten wenig interessiert. Even travelling is superficial often, because: how many expats are really interested in the broader context, how many do actually know the history of places (eng13)?90 Wie bei Touristen entfällt auch bei den meisten Expatriates die erfahrungsbildende Auseinandersetzung mit dem sie umgebenden Raum. Dieser stellt gewissermaßen nur mehr die Szenerie für den mitgebrachten Lebensmittelpunkt dar. Allerdings fühlen sich viele Expatriates nicht wie Touristen, weil sie zum Beispiel mit dem eigenen Auto unterwegs sind und nicht mit einem Reisebus, der in Syrien fast die einzige Möglichkeit für Touristen darstellt. Sie kön145

Heimat auf Zeit nen sich viel mehr Zeit lassen und haben die Möglichkeit, sich Sehenswürdigkeiten mehrfach anzusehen. Es kommt zu einer gewissen Pseudovertrautheit mit Land und Leuten. Expatriates gewinnen während ihres Postings genauso ein Bild von Syrien wie Touristen. Bei beiden handelt es sich um eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, aber die des Expatriates ist besser belichtet. Aus dem Dorfbewohner der Expat-Insel wird außerhalb des vertrauten Nahbereiches ein Langzeittourist. (2) Beziehung zu SyrerInnen Die Beziehungen, die Expat-Frauen zur einheimischen Bevölkerung aufbauen, sollen beleuchtet werden. Dabei ist Folgendes sehr wichtig: Die Expat-Gemeinschaft ist eine dynamische Gemeinschaft, die zwar als solche dauerhaft existiert, in der die individuellen Mitglieder aber ständig wechseln. Jeder einzelne Expatriate verweilt nur für einige Jahre. Das beeinflusst seine Bereitschaft, sich in eine fremde Gastkultur zu integrieren, denn es ist von vornherein eine »Integration auf Zeit«. Integration unter diesen Vorzeichen ist sehr schwierig und bedarf des festen Willens und enormer Energie. Man muss die Expatriates als Eigengruppe den Syrern gegenüberstellen. Das verdeutlicht, dass das gleiche Gefühl, welches menschliche Gruppen zusammenbindet, sie auch von anderen Gruppen abhebt. Je andersartiger die Fremdgruppe, desto stärker entwickeln sich die Wir-Gefühle in der Eigengruppe, desto stärker wächst sie zusammen. Expatriates entfalten eine generalisierte Form des »Ethnozentrismus«, indem sie »ihre Neigung zur Höherwertung eigener und zur Abwertung fremder Merkmale auf einen überaus breiten, potenziell unbegrenzten Kreis verschiedenartiger Attribute beziehen« (Geser 1981: 167). Dies kann im Sinne einer bewussten Artikulierung und Verteidigung der eigenen kollektiven Identität auch als direkte Folge der wechselseitigen Wahrnehmung und Kontaktaufnahme mit Ethnizität angesehen werden. Im Laufe der Untersuchung ist deutlich geworden, dass durch die Fremdkontakte das Bewusstsein von der Ähnlichkeit mit der Eigengruppe erst aktiviert wird. Dieses auf der Basis gleicher ethnischer Herkunft beruhende Wir-Bewusstsein macht die Andersartigkeit der Fremdgruppe umso deutlicher. Wie ordnet sich die Expat-Gemeinschaft überhaupt in die syrische Gesellschaft von Damaskus ein? In Abb. 12 sind die Kontakte der Expat-Frauen mit der syrischen Gesellschaft graphisch dargestellt. Der Expat-Gemeinschaft am nächsten steht eine Gemeinschaft, die man als »Gemeinschaft 146

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus der Mischehen mit SyrerInnen« bezeichnen könnte. Bei dieser Gruppe handelt es sich vorwiegend um ausländische Frauen, die mit Syrern verheiratet sind. Die meisten dieser Frauen stammen aus der früheren DDR. Sie sind ihren syrischen Männern, die Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre in der ehemaligen DDR studiert hatten, nach deren Studium nach Damaskus gefolgt. Diese Gemeinschaft birgt theoretisch das Potenzial, für Expatriates als Nadelöhr in die syrische Gesellschaft zu fungieren (Abb. 12a). Sie könnte einen hilfreichen Anlaufpunkt darstellen bei der Auseinandersetzung mit der syrischen Kultur. Aber diese Möglichkeit wird nur in Ausnahmefällen überhaupt wahrgenommen. Zudem werden Kontakte dadurch kompliziert, dass Berührungspunkte zunächst weitgehend fehlen. Die Gemeinschaft der eingeheirateten Frauen ist mit einer einzigen Fremdkultur, der arabischen, konfrontiert und das dauerhaft. Expat-Frauen dagegen kommen oft aus einem anderen Kulturkreis, bleiben vier Jahre und wechseln dann erneut. Und die meisten der eingeheirateten deutschen Frauen sind z. B. finanziell nicht in der Lage, jährlich ihr Heimatland zu besuchen und erhalten sich die deutsche Kultur auf ihre Art und Weise. Expat-Deutsche dagegen stillen ihr Bedürfnis nach deutscher Kultur jährlich mindestens einmal in Deutschland.91 Bei der syrischen Gesellschaft ist zu unterscheiden zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der Gemeinschaft der syrischen Christen. Letztere machen etwa 30 Prozent der Damaszener Bevölkerung aus. Es wäre zu erwarten, dass Zugang zur christlichen Bevölkerung leichter fallen sollte (Abb. 12a). Aber in der Realität sind Kontakte sowohl zum christlichen wie auch zum muslimischen Teil der Gesellschaft sehr selten (Abb. 12b), obwohl die meisten Expat-Frauen die lokale Bevölkerung ausgesprochen freundlich finden. Um Zugang zu finden, wäre es wichtig, die arabische Sprache zu erlernen, und zwar den syrischen Dialekt, nicht Hocharabisch. Ich habe gemerkt, wenn ich dann hier bin und spreche die Sprache nicht, dann bin ich noch viel mehr fremd (deu3). Die meisten beginnen in den ersten Wochen mit einem Sprachkurs, von dem sie dann wenige Wochen später frustriert abspringen. Ich schäme mich fast ein bisschen, aber Arabisch ist mir einfach zu schwierig. Aber dadurch grenze ich mich aus (deu7). Schnell entsteht daraus auch ein gewisser Teufelskreis: There seemed no motivation to learn it, because my contact with Syrians is actually quite limited (eng3).92 Einige wenige Frauen lernen sehr intensiv Arabisch. Das sind in dieser Studie ohne Ausnahme kinderlose Frauen. Eine Expat-Frau hat dabei sogar eine Perspektive im Auge: I think it could be very useful for me to have an unusual language later on (dis).93 Andere hoffen, im Rahmen weiterer Postings im arabischen Sprachraum zu bleiben. Die minimalen Sprachkennt147

Heimat auf Zeit nisse der meisten Frauen begrenzen die Kontaktmöglichkeiten. Nur SyrerInnen, die selber zumindest eine Fremdsprache akzeptabel beherrschen, können kennen gelernt werden. Eine musikbegeisterte Expat-Frau sagt Folgendes: The Syrians I got to know are all musicians, and they are all well educated or have travelled or both (eng1).94 Neben der sprachlichen Barriere trennt die kulturelle Barriere ExpatFrauen und SyrerInnen – die kulturellen Unterschiede werden als so gravierend und unüberbrückbar empfunden, dass es die meisten Expat-Frauen schnell aufgeben, sich um Kontakte zu bemühen: Ik heb ook het gevoel dat wij zo anders zijn. Er zijn zulke grote verschillen, dat ik niet denk, dat je vriendschappen kunt ontwikkelen met mensen uit een cultuur die zo anders is (hol1).95 Eine deutsche Frau weist auf folgenden Punkt hin: Bei mir bleibt auch immer so bisschen Skepsis, wie weit man gehen kann, politisch, mit irgendwelchen Fragen – dabei bin ich gar kein politischer Mensch, aber hier ist eben alles gleich politisch. Von da her ist es, unter’m Strich, einfach zu schwierig, in die Kultur einzudringen (deu2). Die anfängliche Hoffnung, SyrerInnen besser kennen zu lernen, stellt sich schnell als Illusion heraus: Was ich nicht ganz so eingeschätzt habe, ist diese relativ abgeschlossene Frauenwelt. Wie komme ich als Ausländerin mit einem ausländischen Mann überhaupt in eine syrische Familie rein? – Das hatte ich mir so schwer nicht vorgestellt (deu7). Eine andere deutsche Frau hat Ähnliches festgestellt: Letztlich sind die Syrer sehr familienbezogen, und wenn sie Kontakt suchen, dann ist es auf geschäftlicher Ebene, also dann – klingt jetzt vielleicht bisserl brutal – dann wollen sie dies oder das von dir (deu6). Dass es Ausnahmen gibt, zeigt folgendes Zitat: I am friends with a Syrian lady who has been our neighbour in the previous apartment. And I feel I can talk quite openly with her, on the odd occasion I realize we are not on the same track, I am on the western track and she is on the eastern track, and then I stop because I feel I am on the wrong track, but that is not very often (eng6).96 Im Großen und Ganzen entstehen kaum persönliche Kontakte zwischen Einheimischen und Expatriates, denn Zugang zur syrischen Bevölkerung finden die allerwenigsten (s. Abb. 12b). Viele Expat-Frauen sind am Anfang durch die Andersartigkeit und Abgeschlossenheit der syrischen Gesellschaft enttäuscht worden und haben ihre Erwartungen entsprechend angepasst. Nur wenige Expat-Frauen bemühen sich trotz aller Schwierigkeiten, individuelle Beziehungen zu SyrerInnen aufzubauen. Diese Frauen benutzen den sicheren Hafen der Expat-Insel als Rückzugsraum. Nur in Ausnahmefällen brauchen Expat-Frauen diesen sicheren Hafen nicht und tauchen einfach in die Gastgesellschaft ein. Im Rahmen der untersuchten 148

V Die Lebenswirklichkeit von Expat-Frauen in Damaskus Teilgemeinschaft lässt sich hierfür kein einziges Beispiel anführen. Aber es gibt eine Expat-Frau bei Shell, die sich ausschließlich innerhalb ihres syrischen Freundeskreises bewegt. Es handelt sich um eine Griechin, Anthropologin und Soziologin, die ihr zweites Posting hier verbringt, und die selber betont, sie habe als Griechin eine Affinität zu Syrien entwickelt. In anderen Ländern sei sie eine durchschnittliche Expat-Frau, aber in Syrien bezeichnet sie sich als »gone native«. (3) Beziehung zur fremden Kultur Damaskus ist Kulisse einer sehr fremden Alltagswelt: Die Highlights in Form von Sehenswürdigkeiten möchten Expat-Frauen kennen lernen. Aber das Bedürfnis, hinter die Kulisse zu schauen, ist begrenzt. Diesen Zusammenhang möchte ich anhand eines Beispiels veranschaulichen: Wenn nicht alle, so besuchen zumindest die meisten ExpatFrauen während ihres Postings hier in Damaskus einen Hammam, ein öffentliches Dampfbad. Aber die meisten Expat-Frauen tun sich zu diesem Zweck zu einer kleinen Gruppe zusammen und mieten einen ganzen Hammam für zwei Stunden. Auf diese Weise geht ein Großteil der Atmosphäre verloren, denn die entsteht durch das Geschehen im Hammam, dadurch, wie sich die syrischen Frauen verhalten, bewegen, unterhalten usw. Expat-Frauen nähern sich an, wagen sich aber nicht hinein – sie lernen die Kulisse kennen, aber nicht das Leben, das mit dieser Kulisse verknüpft ist. Hierfür lassen sich – zumindest teilweise – die bereits genannte begrenzte zeitliche Perspektive verantwortlich machen und die dadurch geringe Motivation, sich um Verständnis der Gastkultur, um Verständnis ihrer Werte und Traditionen zu bemühen. Natürlich spielen in Einzelfällen auch Angst, Ekel oder Abneigung gegen die hygienischen Zustände eine Rolle. Auch wenn der Einblick in das Alltagsleben syrischer Familien begrenzt bleibt, ist Interesse auszumachen an dem kulturellen Hintergrund, der dieses Alltagsleben bestimmt: Interesse am Islam. Man wird mit Dingen konfrontiert und will wissen: Warum ist das so? Und da sind dann auch Dinge dabei, die einen auf Dauer beeinflussen, die Lebenshaltung, die Lebenseinstellung (deu7). Viele Frauen haben erwähnt, dass die Konfrontation mit dem Islam zur Auseinandersetzung mit der eigenen Religion geführt habe. Also, ich habe begonnen, mich viel mehr mit dem Christentum zu beschäftigen, habe angefangen zu lesen (dis). Allerdings gibt es auch Expat-Frauen, deren Reaktion auf den Islam von Ablehnung gekennzeichnet ist: Also der Islam, das ist eine Religion, die ich völlig ablehne. Die dürfen glauben, was sie wollen, die Araber, natürlich, aber ich will mit dieser Religion nichts zu tun haben (deu5). Die149

Heimat auf Zeit se Zitate zeigen, dass die Reaktion auf die fremdkulturelle Umgebung von Ablehnung bis Akzeptanz reichen kann – wobei das in der Regel Verständnis dafür meint, dass die Kultur anders, nicht schlechter oder falsch ist. Es meint aber nicht Verstehen der Kultur.

5 Resümee Es handelt sich bei der Expat-Insel in Damaskus um ein sozialräumliches Gebilde, bei dem eine eindeutige und überwiegende Innenorientierung der sozialen Interaktion festzustellen ist. Die Expat-Insel weist eine enge Bindung an die territoriale Bezugsfläche Mezze auf – ein Gebiet, das die wohlhabende syrische Bevölkerung gemeinsam mit den Expatriates bewohnt, sodass keine räumliche Abgrenzung da ist. Trotzdem weist Mezze für die Expat-Frauen gewissermaßen die quasi-räumlichen Qualitäten eines Camps auf. Über die Konstruktion der Expat-Insel ist ein vertrauter Nahbereich entstanden, dem heimatliche Qualitäten zugesprochen werden können. Expats sind »Dorfbewohner« der Expat-Insel. So wird habitualisiertes Handeln im vertrauten Handlungsrahmen möglich. Die Abschirmung von der syrischen Bevölkerung ist dementsprechend keine räumliche, sondern vielmehr gedanklich und gefühlsmäßig gesteuert. Die beschriebene Sozialstruktur und die Expat-Institutionen – die den Großteil der persönlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Expatriates zufrieden stellen – strukturieren intern das Leben innerhalb der Expat-Insel und symbolisieren extern die Abgeschlossenheit der Expat-Gemeinschaft. Ebenso abgeschlossen stellt sich den Expatriates natürlich die syrische Gesellschaft mit der Eingebundenheit in die Großfamilie dar.97 So ergeben sich kaum Berührungspunkte. In erster Linie besteht gar kein Bedarf zur Interaktion, da man nicht aufeinander angewiesen ist. Dadurch fehlt der Expat-Gemeinschaft bis zu einem gewissen Grad der weitere soziale Kontext. Es handelt sich um einen relativ geschlossenen Horizont. Das führt zu einer Künstlichkeit der Expat-Insel, die paradoxerweise gleichermaßen eine eigene Realität darstellt: But that is one of the problems of expatriate life: you get very detached from the real world (eng6).98

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VI Bindungspotenzial von Expat-Frauen

VI Bindungspotenzial von Expat-Frauen

In diesem Kapitel wird die theoretische Struktur, die sich aus den Daten ableiten lässt, dargestellt. Die verschiedenen Typen wurden »von außen« aufgrund themenzentrierter Lebensstile differenziert. Dabei hat sich gezeigt, dass die Lebensstile »von innen« durch das Spannungsverhältnis zwischen der Bindung an das Heimatland und der Konstruktion von Heimat auf Zeit im Gastland gekennzeichnet sind. Die zu entwickelnde gegenstandsbezogene Theorie muss dieses Spannungsverhältnis thematisieren.

1 Konstruktion von Heimat auf Zeit (1) Annäherung an »Heimat auf Zeit« Im Sinnzusammenhang dieser Studie ist Heimat, wie weiter oben ausführlich dargestellt (s. Kap. II.1.1), als Ausdruck aktiver Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt zu verstehen. Damit ist es durchaus möglich, sich Heimat in einem Prozess aktiv anzueignen, der mit der Gestaltung von Orten, sozialen Beziehungen, kulturellen Orientierungen und der Herstellung von subjektivem Sinn zu tun hat. Für Menschen multiethnischer und multikultureller Herkunft beschreibt Mecheril (1994) eine auch für Expatriates denkbare Modifikation des Heimatverständnisses: dessen Pluralisierung, sodass mehrere Heimaten möglich werden, dessen Temporalisierung, sodass veränderliche Heimaten möglich werden und dessen Entlokalisierung, sodass Heimat nicht mehr als ortsgebunden empfunden wird (Mitzscherlich 1997). Vor diesem Hintergrund soll eine Neubestimmung von Heimat für Expatriates vorgenommen werden. Abb. 13 fasst die bedeutendsten sozialen, räumlichen und kulturellen Aspekte zusammen, die zu dieser Neubestimmung beitragen. Es gibt die angestammte Heimat, in der man aufgewachsen ist und in der die Primärsozialisation stattgefunden hat; dort hat man hochgradige Verhaltenssicherheit erworben. Sie zeichnet sich durch eine Bündelung von oft lange Vertrautem aus – hierzu zählen etwa Familie und Freunde, verinnerlichte Werte und Normen, ein eigenes Haus. Daneben besteht die Möglichkeit einer Rekonstruktion von Heimat, einer Heimat auf Zeit, in anderen Räumen – also etwa während eines Postings. Dafür müssen vor allem die sozialen, räumlichen und kulturellen 151

Heimat auf Zeit Aspekte der direkten Umgebung, sprich der Expat-Insel – also ExpatFreunde, das Zuhause und die Expat-Kultur – als positiv empfunden werden. Prägende Faktoren aus dem Heimatland und aus früheren Postings spielen bei der erfolgenden Neusozialisierung ebenso eine Rolle wie das Verhältnis zum Gastland und der einheimischen Bevölkerung. Auf einer solchen Grundlage ist dann Beheimatung in Form einer Heimat auf Zeit möglich. (2) Eckpfeiler der »Heimat auf Zeit« Ein Wohnortwechsel geht immer mit einschneidenden Veränderungen von Umweltbeziehungen einher und zwingt damit zur Mobilisierung von Anpassungsreserven, was generell mit der Erweiterung des Kompetenzreservoirs einer Person einhergehen kann. Gewachsene Autonomie, gesteigertes Selbstvertrauen und ein erweiterter Lebenshorizont resultieren (Fischer und Fischer 1981: 151). Wer in einen anderen Kulturkreis zieht, entscheidet sich für eine bewusste Konfrontation mit dem Unvertrauten. Die Herausforderung für den Expatriate ist es, diese Situation zu bewältigen. Die Erfahrungen, die in der Fremde gemacht werden, tragen dazu bei, sich selber zu erkennen und zu formen. Es wäre zu erwarten, dass es neben der Reflexion des eigenkulturellen Orientierungssystems auch zu einer tief greifenden Auseinandersetzung mit dem fremdkulturellen Orientierungssystem kommen sollte, um die andere Kultur und Lebenswirklichkeit zunehmend besser zu verstehen. Aber die Ergebnisse dieser Studie unterstützen diese Annahme nicht. Die Mehrheit der Expat-Frauen findet kaum Zugang zur arabischen Kultur. Expatriates kommen auf Zeit nach Damaskus, nicht auf Dauer. Sie verfügen über die Möglichkeit, sich sowohl ihre Mikro-Umgebung, das Zuhause, weitgehend nach ihren Bedürfnissen zu gestalten als auch eine Meso-Umgebung, die Expat-Insel, in Anspruch zu nehmen. Dieser sozialräumliche Aktionsraum mit seinen Strukturen und Institutionen ermöglicht sozialräumliche Subsistenz. Mit anderen Worten: Expatriates können sich die Umgebung selektiv zu Eigen machen und, bis zu einem gewissen Grad, nach ihren Bedürfnissen gestalten. So resultiert von vornherein eine gewisse Isoliertheit: Die Mehrheit der Expatriates ist weder interessiert daran noch etwa dazu gezwungen, sich den Werten und Normen der arabischen Gastkultur anzupassen, denn die Expat-Gemeinschaft stellt den Großteil der persönlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Expat-Frauen zufrieden. Mehr noch: Ein (aus anderen Postings) bekannter Lebensstil kann mit minimaler Anpassung fort152

VI Bindungspotenzial von Expat-Frauen gesetzt werden. Er lässt sich als transportabler Lebensstil bezeichnen. As a Shell wife you are never really abroad, are you, you are always with Shell (dis).99 Zudem tritt in jedem Fall nach einer Anzahl von Postings eine gewisse Ermüdung auf. Das Interesse an der Gastkultur lässt zunehmend nach. Es steht bei weitem nicht mehr dieselbe Energie zur Verfügung wie am Anfang des Expat-Lebens, nicht mehr derselbe Enthusiasmus. Die allermeisten Expatriates haben also nicht das Bedürfnis nach aktiver Auseinandersetzung mit der fremdartigen Umgebung. Die Hauptzielsetzung von Expatriates ist nicht das Eintauchen in die Fremdkultur und Auseinandersetzung mit dieser Kultur. Dem kann gar nicht so sein, denn Expat-Frauen leben zwar im Ausland, sind aber trotzdem in allererster Linie bemüht, sich einen funktionierenden Alltag aufzubauen – man fühlt sich fremd, wenn man keinen Alltag hat (deu7). Fremdartiges wird zur Kenntnis genommen, besonders in den Anfangsmonaten, aber es kann nicht ständig gewürdigt und bewertet werden, denn die aktive Auseinandersetzung mit dem Fremden setzt die ständige Bereitschaft zur Infragestellung der eigenen Werte und Selbstverständlichkeiten voraus und die Fähigkeit, mit derartig großen Unsicherheiten umgehen zu können. Das mag ein Mal im Leben möglich sein, vielleicht auch zwei Mal. Aber es ist nahezu unmöglich, alle vier Jahre aufs Neue ein völlig »anderes« Leben zu beginnen. Deshalb machen sich viele Expatriates besagten transportablen Lebensstil zu Eigen. Sie versuchen, Vertrautes in ihren Alltag einzubauen, um dem Bedürfnis nach Kontinuität gerecht zu werden. Allerdings erfolgt das sehr wohl alle vier Jahre vor einer neuen Kulisse: Sie ist es, die den Reiz ausmacht. (3) Arten des Fremderlebens Diese Beobachtungen lassen sich theoretisch untermauern. Fremdheit entsteht aus einem Mangel an Strukturiertheit und Vertrautheit. In der Literatur über Fremderleben (z. B. Schäffter 1993, auf den im Folgenden zurückgegriffen wird) wird von verschiedenen Modi des Fremderlebens ausgegangen, von verschiedenen Deutungsmustern im Umgang mit Fremdheit. Fremdheit kann Einsicht in den tragenden Grund der eigenen psychischen, sozialen und kulturellen Existenz bewirken (»Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen«), kann über die Aneignung von Fremdem, von relevanter Fremdheit, zu struktureller Selbstveränderung führen (»Fremdheit als Ergänzung«) oder kann durch seine Andersartigkeit gewissermaßen als Gegenbild die Identität des Eigenen verstärken. Wenn allerdings die Auseinandersetzung mit fremden Strukturen die internen Verarbei153

Heimat auf Zeit tungskapazitäten schwächt, überfordert oder gar als Selbstentfremdung erlebt wird, dann muss auf ein abgrenzendes Deutungsmuster zurückgegriffen werden (»Fremdheit als Komplementarität«): Ausgangspunkt wird dann die Tatsache, dass sich wirklich Fremdartiges einfach nicht verstehen lässt – so wird die Fremdheit nur noch selektiv und meist beiläufig zur Kenntnis genommen. Durch »Entfremdung der Fremde« – durch Überformung auf die eigenen angestammten Bedürfnisse hin – und durch stereotype Erwartungsmuster100 wird die Chance zum Fremderleben vermindert. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass ein Großteil der Expat-Frauen sich den zuletzt beschriebenen Verarbeitungsmodus zu Eigen macht: »Es handelt sich dabei keineswegs um eine Verweigerung von Verstehen, sondern um die Anerkennung einer Grenzerfahrung im Sinne einer bedeutungsvollen Einsicht in eine konkrete Grenzlinie eigener Erfahrungsmöglichkeiten. Diese Deutung zieht somit die Konsequenz aus der Erfahrung, dass es externe Bereiche gibt, die prinzipiell nicht aneignungsfähig sind und daher realistischerweise in ihrem autonomen Eigenwert respektiert werden müssen« (Schäffter 1993: 26). Expat-Frauen sind in der Regel weder Anthropologen noch als Aussteiger auf der Suche nach alternativer Sinngebung. Sie kommen, bewusst oder unbewusst, zu der Erkenntnis, dass die Verwurzelung in der eigenen Kultur und die Abhängigkeit von den eigenen gesellschaftlichen Normen im Empfinden, Denken und Handeln zwar eine Verwurzelung in der Expat-Kultur nicht ausschließt, aber eine Integration in eine fremdartige Gastkultur wie etwa in Syrien, ganz sicher im Rahmen zeitlicher Begrenzung, nahezu unmöglich macht. Diese Perspektive bringt es mit sich, dass für Expat-Frauen eine Grenzlinie zwischen Faszination und Bedrohtheitsgefühl existiert – so unklar definiert und individuell verschieden sie auch sein mag. Musik- bzw. kunstbegeisterte Expat-Frauen lassen sich ebenso wie ein Teil der wohltätigkeitsengagierten Frauen bis zu einem gewissen Grad auf die potenzielle Bedrohung ein, gewinnen aber durch die Fremderfahrung auch vergleichsweise viel. Orientierungslose Expat-Frauen werden das Gefühl nicht los, der Bedrohung ausgesetzt zu sein, ohne Bereicherung zu empfinden. Und die meisten der Frauen – vor allem familienzentrierte, sportbegeisterte und sozialorientierte Expat-Frauen – verschließen sich der potenziellen Bedrohung und damit ebenso der potenziellen Bereicherung durch das Fremdartige – bewusst oder auch unbewusst. Der Kontrast bekommt die Funktion, als Gegenbild die Identität des Eigenen noch zu verstärken. Das Veränderungsrisiko wird mit Hilfe des transportablen Lebensstils absolut gering gehalten. Genau das ist existenziell wichtig. 154

VI Bindungspotenzial von Expat-Frauen Eine Versetzung von Syrien nach Nigeria kommt einem Wechsel der Kulisse gleich, denn eine Expat-Insel gibt es hier wie da – und sie fungiert als Heimat auf Zeit.

2 Heimatlandbindung versus Heimat auf Zeit Sobald man in ein fremdes Land geht, um dort zu wohnen, kommt es zu einer Rekonstruktion von Heimat, zum Entwurf einer Heimat auf Zeit. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der gegenwärtigen Realität sozialer, räumlicher und kultureller Einbindung. Die entscheidende Rolle, die der ExpatInsel in diesem Zusammenhang zukommt, wurde ausführlich diskutiert. Gleichzeitig halten Expat-Frauen aber an ihrer angestammten Heimat fest, denn ihr Heimatland ist der Inbegriff von Vertrautheit. Die Alltagswirklichkeit von Expat-Frauen ist bis zu einem gewissen Grad von diesem Spannungsverhältnis beherrscht, ohne dass es alltäglich gegenwärtig wäre. Dieses Kontinuum ist es, auf das die theoretische Analyse der Alltagswirklichkeit von Expat-Frauen aufbauen muss (Abb. 14a). Dabei muss der Schwerpunkt einer gegenstandsbezogenen Theorie zur Konstruktion einer Heimat auf Zeit bei der Rekonstruktion von Heimat in der Expat-Kultur liegen – denn der Alltag der meisten Expat-Frauen ist bestimmt vom alltäglichen Leben im Aktionsraum Expat-Insel. Sie leben nicht in der Gastkultur, sondern in der Expat-Kultur, die gewissermaßen umgeben ist von der Gastkultur. Die Rekonstruktion von Heimat in der Gastkultur ist deshalb zu berücksichtigen, weil sie als Möglichkeit theoretisch durchaus denkbar ist. (1) Expatriate-Grundtypen Einen Teil ihrer Bindung an ihr angestammtes Heimatland verlieren Expats bzw. geben sie auf, zumindest auf begrenzte Zeit. Mit der Bindung schwindet das Identifikationspotenzial. Deswegen muss es notwendigerweise zur Konstruktion einer Heimat auf Zeit an einem anderen Ort kommen. Expatriates ersetzen also, was sie verlieren. Allerdings geschieht das jeweils in ganz unterschiedlichem Ausmaß, sodass sich aus den sieben Typen von Expat-Frauen unterschiedliche Grundtypen ableiten lassen (Abb. 14b):

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Heimat auf Zeit • der Distanztyp, • der Situationstyp und • der Integrationstyp. Der Alltag von Frauen, die dem Distanztyp zuzuordnen sind, spielt sich in Damaskus ab, die Loyalitäten liegen jedoch im Heimatland. Bei Frauen dagegen, die dem Integrationstyp am anderen Ende der Skala angehören, liegen die Loyalitäten in der Expat-Gemeinschaft oder potenziell in der syrischen Gesellschaft. Bei Frauen des Distanztyps verstärkt die fremde Umgebung – die Tatsache, dass man im Ausland lebt – das Bewusstsein für die eigenen Wurzeln, für die Verwurzelung im Heimatland, sodass die Fremde in all ihrer Anziehungskraft die Heimat bewusster erfahrbar macht und dadurch gewissermaßen mitkonstituiert. Aus der Sicht des Distanztyps werden im Heimatland Bindungspotenziale aufrechterhalten, die in Syrien aufgrund der zeitlichen Begrenztheit des Aufenthalts nicht oder nur schwierig realisierbar sind; Freundschaften, die sich durch langanhaltende Kontinuität und große Vertrautheit auszeichnen, werden gepflegt. Frauen, die dem Situationstyp zuzuordnen sind, zeichnen sich durch einen fast pragmatischen Ansatz aus. Das Empfinden der aktuellen Situation, der Realität, wird gewissermaßen zum Maß aller Dinge. Lassen sich Strukturen schaffen, in denen die Personen im eigenen Nahumfeld sich wohlfühlen, dann ist die Heimat auf Zeit eine akzeptable Alternative. Dabei verlieren diese Frauen aber nie den Bezug zur angestammten Heimat, zum Herkunftsland – denn sie möchten sich gewissermaßen alle Optionen, auch die der Rückkehr, offen halten. Insofern kann man bei Frauen des Situationstyps von einer Teilhabe an zwei Lebenswelten sprechen. Es kommt zur Vervielfältigung von Heimat. Dieser Typus zeichnet sich häufig durch eine gewisse Unauffälligkeit aus, die die Lebensphilosophie der Anpassung nach verschiedenen Seiten hin zum Ausdruck bringt. Frauen, die dem Integrationstyp zuzuordnen sind, machen die Erfahrung, dass Heimat in Form einer Heimat auf Zeit überall sein, überall existieren kann. Dadurch kommt es nicht nur zu einer Enträumlichung des Heimatverständnisses, sondern auch zu dessen Erweiterung und Temporalisierung. Veränderliche Heimaten werden möglich. Heimat wird zu einer verinnerlichten Konzeption. Der Einbindung in soziale Netzwerke, mit Hilfe derer und in denen sich der Integrationstyp gewissermaßen beheimatet, kommt große Bedeutung zu. Dabei spielt es primär keine Rolle, ob von Integration in die Gast- oder von Integration in die Expat-Kultur ausgegangen wird – entscheidend ist, dass Integration stattfindet. Frauen des Inte156

VI Bindungspotenzial von Expat-Frauen grationstyps sind in der Lage, sich eine Umgebung aufzubauen, die in letzter Konsequenz nicht als zeitweiliger Ersatz empfunden wird, sondern als Wert eo ipso. Es handelt sich um einen von Außenorientiertheit dominierten Typ, der Kontakte sucht und Geselligkeit liebt. Generell wird deutlich, dass mit zunehmender Einbindung in die Expat-Gemeinschaft die Bedeutung der Verknüpfungen mit der Heimat abnimmt. Das subjektiv beanspruchte Zugehörigkeitsgefühl findet sich immer weniger im Heimatland und zunehmend ausgeprägter in der ExpatGemeinschaft. Haben wir es bei Frauen des Distanztyps mit konsequentem Heimweh zu tun, das mittelfristig zur Heimkehr ins Heimatland drängt, so verblasst das Heimweh bei Frauen des Situationstyps sehr schnell: Sie sind da, wo sie sind. Bei Frauen des Integrationstyps erschöpft sich das Heimweh mit den Jahren fast vollständig; es existiert gewissermaßen nur mehr in abstrakter Form, losgelöst von konkreten Wunschvorstellungen. Was Frauen des Distanztyps potenziell als Heimatverlust empfinden, ist für Frauen des Integrationstyps Heimatgewinn. Aus Abb. 14c wird deutlich, welchen Grundtypen sich die empirisch ermittelten Typen in etwa zuordnen lassen. Berufsorientierte Expat-Frauen kommen dem Distanztyp am nächsten und wohltätigkeitsengagierte Frauen, am anderen Ende der Skala, dem Integrationstyp. Über die familienzentrierten zu den sportbegeisterten Frauen nimmt die Heimatlandbindung ab. Sportbegeisterte wie sozialorientierte Frauen kommen dem Situationstyp sehr nahe, kunst- bzw. musikbegeisterte Expat-Frauen und noch deutlicher wohltätigkeitsengagierte Frauen nähern sich dem Integrationstyp an. Orientierungslose Expat-Frauen gewinnen dem Expat-Leben so wenig ab, dass sie gewissermaßen außen vor stehen, noch jenseits des Distanztyps. (2) Kurzzeit- versus Langzeit-Expatriates Viele Expat-Frauen durchlaufen in ihrem Expat-Leben verschiedene Stadien, in denen sich ihre Heimatlandbindung verändert, sodass sie sich im Laufe der Zeit jeweils einem anderen Grundtyp zuordnen lassen. Am Anfang ihres Expat-Lebens lassen sich viele klar dem Distanztyp zuordnen – schon alleine deswegen, weil man sich nicht von heute auf morgen in einer völlig anderen Umgebung zurechtfinden kann. Sie verlieren aber mit der Zeit ihre Fixierung auf das Heimatland und fügen sich zunehmend in die Expat-Gemeinschaft ein. Sie übernehmen den sozialen Code, integrieren sich und werden schließlich zum Integrationstyp, zu einer Expat-Frau, die 157

Heimat auf Zeit gerne bereit ist, dieses Leben auf Dauer zu führen. So findet man bei den Distanztypen im Wesentlichen Kurzzeit-Expatriates, während sich bei den Integrationstypen im Wesentlichen Langzeit-Expatriates finden. Dieser Zusammenhang lässt sich aus psychologischer Sicht folgendermaßen analysieren: Fern von der angestammten Heimat und in einem alle vier Jahre wechselnden Kontext kann man auf Dauer nur dann leben, wenn man Standbeine hat, die ein gewisses Maß an Sicherheit und Kontinuität gewährleisten: die eigene Kernfamilie und die Expat-Gemeinschaft. Erstere ermöglicht eine gewisse innere Unabhängigkeit, Letztere äußere Unabhängigkeit in Form von sozialräumlicher Abgrenzung. Man baut mit anderen Expatriates, deren Lebensumstände den eigenen sehr ähnlich sind, eine heile Welt auf, eine (Schein-)Idylle, die es erlaubt, sich der fremden Kultur, im Falle Syriens der arabischen Kultur, kontrolliert aussetzen zu können. Völliger Rückzug auf die Expat-Insel ist ebenso möglich wie häufige Exploration der Umgebung, aber eben aus der Sicherheit der vertrauten Heimat auf Zeit. Hinzu kommt ein anderer Aspekt: Je länger Expatriates schon im Sog der Expat-Kultur gestanden haben, umso schwieriger ist es, sich ihr wieder zu entziehen. Man könnte von einer Art Sucht sprechen: Je raakt gewend aan het leven in het buitenland, heel erg. In Nederland zeggen wij: wat de boer niet kennt, dat kiest ’ie niet. En dat is bij ons ook een beetje zo, wij zitten nu al zo lang in het expat-leven, wij kennen dat zo goed, dat ik ergens denk: wat moeten wij nog in Nederland. En van die gedachte schrok ik. Je ziet anderen dat ook denken. Maar ik wil dat niet denken. Dus nu vind ik dat we terug moeten zodat onze kinderen als Nederlanders opgroien en niet als expats. Ze zijn Nederlanders. Maar dan zie ik weer de realiteit in Nederland: op school daar zijn de klassen heel erg groot, de krant staat vol akelige toestanden ezf (hol1).101 Auf der anderen Seite der Skala gibt es Expat-Frauen, die mit der Zeit merken, dass sie diese Art von Leben für sich selbst zunehmend weniger annehmbar finden – Frauen, die nicht in besagten Sog geraten, weil sie eine ganz andere Vorstellung von ihrer (familiären) Zukunft haben. Eine Engländerin formuliert das auf sich bezogen sehr anschaulich: And I always felt I needed a little bit more out of life than coffee mornings – I mean I am not a bridge player (eng1).102 Solche Frauen werden sich möglicherweise für einen begrenzten Zeitraum einfügen in die Expat-Gemeinschaft, sie werden aber nicht in ihr aufgehen, und werden frühzeitig anfangen, über Rückkehr ins Heimatland nachzudenken – wenn sie nicht sowieso ein cross-posting angetreten hatten.

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VI Bindungspotenzial von Expat-Frauen (3) Resümee Expatriates konstruieren sich in je eigenem Ausmaß eine Heimat auf Zeit. Es kommt zu einer raum-zeitlichen Entankerung von Heimat und nicht etwa zu deren Verlust. Aber die Heimat auf Zeit entsteht nicht in der Gastkultur, sondern in der Expat-Kultur. Expatriates ändern ihre Umgebung nur bis zu einem gewissen Grad alle vier Jahre – denn in den meisten Ländern in nicht-westlichen Kulturkreisen existiert eine Expat-Insel, auf die man sich zurückziehen kann. Insofern wird auch von vielen Expat-Frauen ein Wechsel nach Europa als schwieriger empfunden. Die Expat-Insel, die ein Leben abgekapselt und isoliert von der unmittelbaren Umgebung erlaubt, existiert dort nicht. Es gilt also, sich in die Kultur des europäischen Gastlandes einzufügen – was als mühsam empfunden wird, obwohl diese Kultur der eigenen angestammten Kultur sehr ähnlich ist. Die Expat-Kultur entwickelt sich nur, wenn die Gastkultur als so andersartig empfunden wird, dass gewissermaßen ersatzweise eine Expat-Kultur entsteht. Zudem ist das Entstehen einer Expat-Insel abhängig von der Größe der Expat-Gemeinschaft. Ein Einzelner hat, um sein grundlegendes Bedürfnis nach sozialen Kontakten zu befriedigen, nur die Möglichkeit, Kontakt mit den Menschen in seiner momentanen Umwelt aufzunehmen, unabhängig davon, wie fremd sie ihm sein mögen. Sobald aber weitere Expatriates verfügbar sind, wird er zunehmend den mühevolleren Kontakt zu den fremden Menschen zugunsten der Eigengruppe vernachlässigen und damit sprachlichen Schwierigkeiten, Fremdheit und anderen trennenden Faktoren aus dem Weg gehen. Das Expat-Leben hat, wenn lange genug und nicht nur streckenweise gelebt, eine zunehmend Auflösung räumlich-territorialer Bindungen für den Einzelnen zur Folge. Es wird bedeutungslos, wo man lebt, solange die schützende Expat-Insel in ihrer sozialräumlichen Funktion als Puffer, der vor dem Ausgeliefertsein bewahrt, intakt ist. Es handelt sich also bei Expatriates in letzter Konsequenz um eine enträumlichte Gruppe globaler Nomaden. Die damit einhergehende Expat-Kultur ist gewissermaßen ersatzweise entstanden. Sie gewährleistet dem allergrößten Teil der Expatriates die Kontinuität, die Voraussetzung ist, um zum globalen Nomadentum bereit zu sein. Expat-Frauen stellen sich der Herausforderung, die ein solches Leben darstellt, haben aber die Herausforderung als solche minimiert – denn in vielen Ländern, so auch in Syrien, besteht weder die Notwendigkeit, Arabisch zu erlernen, noch ist es erforderlich, sich mit der syrischen Kultur auseinander zu setzen oder Zugang zu den Menschen mit anderem kultu-

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Heimat auf Zeit rellem Hintergrund zu finden. Es kommt zu einer Abkapselung der Eigengruppe der Expatriates gegenüber der Fremdgruppe der Syrer. Der aktive Zugehörigkeitswille zur Expat-Gemeinschaft ist unterschiedlich ausgeprägt. Insofern variiert der Grad der Einbindung in die Expat-Gemeinschaft. Einige Expat-Frauen binden sich eher lose. Das erlaubt erhebliche individuelle Freiheiten, Spielräume bleiben offen. Trotzdem ist die emotionale Geborgenheit der Zugehörigkeit zum größeren sozialen Ganzen gewährleistet. Andere Expat-Frauen binden sich fester, sodass die Expat-Gemeinschaft zunehmend die Funktion einer Primärgruppe bekommt. Die dadurch entstehende hohe interne Bindungskraft und vor allem die hohe Identitätssicherheit werden, wie anderswo auch, mit einem beträchtlichen Ausmaß an Vereinnahmung durch das soziale System bezahlt. Nur sehr, sehr wenige Expatriates dringen zum Kern einer Fremdkultur vor, zu ihrem Herzstück. Es gibt durchaus Expatriates, die die Sprache des Gastlandes erlernen – und in Syrien sind es sicher weit weniger als in vielen anderen Ländern, weil Arabisch für Europäer ausgesprochen schwierig zu erlernen ist. Aber auf dem Weg zum Verständnis der der Fremdkultur eigenen Werte stellt das Erlernen der Sprache nur den allerersten Schritt dar. Verständnis einer fremden Kultur ist eine Erfahrung, die Grenzgängern vorbehalten ist. Und Expat-Frauen sind keine Grenzgänger. Ihre Herausforderung besteht darin, sich in einer fremdartigen Umgebung einen funktionierenden Alltag aufzubauen. Dabei kommt der Sicherheit, die die Expat-Insel bietet, große Bedeutung zu: Die Expat-Frauen können sich jederzeit auf ihre sozialen, kulturellen und räumlichen Strukturen verlassen und sich – mehr noch – in diesen sozialräumlichen Aktionsraum zurückziehen.

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Postskriptum

Postskriptum

Um Missverständnisse zu vermeiden, soll hier betont werden, dass die Beobachtungen und Schlussfolgerungen dieser Studie nicht wertend zu verstehen sind – auch wenn sie dazu beitragen mögen, das Expat-Leben bis zu einem gewissen Grad zu »entglorifizieren«. Das Expat-Leben hat enorme Reize und birgt enorme Risiken. Indem man die Risiken verringert, beschneidet man die Reize. Denn »die fruchtbare Spannung zwischen der Eigenart der Lebensform, aus der man kommt, und der Andersartigkeit der Welt, in die man geht, besteht nur für den, der sich ihr bewusst aussetzt« (Eder 1993: 168). Mit dieser Studie war die Zielsetzung verbunden, die Realität von Expat-Frauen darzustellen und erklärend zu verstehen. Diese Realität liest sich so, dass der Ausgangspunkt für eine Typologie von Expat-Frauen nicht etwa der Grad der Integration in die Gastkultur sein kann, sondern der Grad der Integration in die Expat-Kultur sein muss! Einige persönliche Bemerkungen zum Abschluss: Mein Mann und ich waren viele Jahre Expatriates, wir haben mehr als zehn Jahre im Ausland gelebt, davon sieben Jahre in Außereuropa. Unsere Kinder haben ihre ersten Lebensjahre im Ausland verbracht. Ich möchte keines dieser Jahre missen, denn als Expat-Frau habe ich vermutlich die bisher wichtigsten Erfahrungen meines Lebens gesammelt. Und trotzdem sind wir vorerst nach Deutschland zurückgekommen: unserer Kinder wegen – um ihnen die Chance auf eine »tragende« Heimat zu geben. Heimat auf Zeit stellt aus meiner Sicht keine dauerhafte Alternative dar, aber hier würden mir viele, sehr viele Expatriates widersprechen. Und das ist gut so. Ich bin sehr gerne wieder in Deutschland, aber gleichzeitig träume ich von unserem nächsten Posting. Wie war das noch mit der Seh(e)n-Sucht?

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Heimat auf Zeit

Danksagung

Mein erster und ganz besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater Prof. Dr. Anton Escher. Durch wohlwollendes Interesse hat er mich in meinem Vorhaben stets bestärkt. Er hat die Arbeit durch viele konstruktive Gespräche und wertvolle Anregungen sehr bereichert. In besonderer Erinnerung werden mir die vielen Diskussionen in Damaskus bleiben, die oft weit über das Thema dieser Dissertation hinausgingen. Edith Teilouni, geb. Meifert, hat mir durch die liebevolle Betreuung meiner Kinder schon vor Beginn der Arbeit das Gefühl gegeben, eine Promotion überhaupt bewältigen zu können. Ich danke ihr herzlichst. Darüber hinaus bedanke ich mich ganz besonders bei den Expat-Frauen, die sich die Zeit genommen haben, mir im Rahmen eines Interviews ausführlich aus ihrem Leben zu erzählen. Auch allen anderen Frauen, die ich in Muskat, Groningen, London und besonders natürlich in Damaskus kennen gelernt habe, möchte ich danken. Sie haben auf verschiedenste Weise direkt oder indirekt zu dieser Untersuchung beigetragen. Dr. Heike Roggenthin danke ich für ihre freundschaftliche Unterstützung in vielerlei Hinsicht sowie für konstruktive Anregungen und sorgfältiges Korrekturlesen. Bei Henny Kühnhenrich-Korn möchte ich mich für ihr nie endendes Interesse an dieser Arbeit bedanken. In vielen Diskussionen hat sie mir 1001 Anregungen gegeben. Auch möchte ich Antje Gulbis nicht vergessen, mit der ich seit dem Studium so vieles geteilt habe, auch mein gesamtes Expat-Leben – fast immer tausende von Kilometern voneinander entfernt und doch immer in engem Kontakt. Besonderer Dank gilt meinen Eltern für ihre liebevolle Unterstützung, ganz besonders am Anfang und am Ende dieser Arbeit. Der liebste Dank aber gilt meinem Mann Heiko Meyer. Er hat mich immer wieder ermutigt, mir unermüdlich Freiraum geschaffen, damit ich arbeiten kann und mich in unzähligen Diskussionen ausdauernd und liebevoll unterstützt. Auch meine kleinen Kinder Henrika, Jorin und Mario haben auf ihre kindliche Art sehr viel zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen! Und sie haben immer wieder dafür gesorgt, dass ich über der Promotion auch ja nicht vergesse, dass es noch Wichtigeres gibt als eine Promotion. Dafür danke ich ihnen sehr. Kassel, im Januar 2001 Cosima Peißker-Meyer 162

Anmerkungen

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Für Frauen ist das Expat-Leben wie etwas aus grauer Vorzeit. In fast jeder Gesellschaft arbeiten heutzutage beide Partner, und der Lebensstil von Expat-Frauen ist wirklich sehr traditionell: Ehefrauen, die ihren Männern folgen. Die meisten mögen es nicht, wenn ich das sage, aber genauso ist es. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es genau das ist, was sie machen (eng11). Es gibt auch in Damaskus einige wenige Paare, wo der Frau die leading career zukommt. Dieser Begriff impliziert bereits, dass die Frau zwar Karriere macht, die Männer dann aber größtenteils ebenfalls arbeiten. Wenn umgekehrt die Frau als Karrierebegleiterin fungiert, ist das anders, zumindest in Damaskus. Nur die allerwenigsten dieser Frauen haben einen Job arrangiert, bevor sie nach Damaskus kommen (siehe auch Kap. II.3). Der Schlüssel zum Expat-Leben: Ich glaube, es muss beiden gefallen. Wenn einer unglücklich ist – das habe ich oft gesehen, dann funktioniert es einfach nicht. Und normalerweise sind es die Frauen, die unglücklich sind. Nicht dass alles einfach ist, gar nicht, aber zu Hause ist eben auch nicht alles einfach (eng11). »Was der Duden darunter versteht, ist nicht ohne weiteres zu übersetzen. My country erweitert und limitiert Heimat von vornherein auf ein Staatsgebiet. Homeland setzt Kolonien voraus, Motherland tönt zärtlicher als Vaterland, das mit Vorliebe etwas fordert und weniger beschützt als mit Leib und Leben geschützt werden will. La patrie, das hisst sofort eine Flagge – und ich kann nicht sagen, dass mir beim Anblick eines Schweizerkreuzes sofort und unter allen Umständen heimatlich zumute wird« (Max Frisch 1976, Gesammelte Werke, Bd. 6: 509). Mein Fahrer, der kennt den Weg, weißt du, ich setze mich einfach ins Auto und entspanne mich (eng2). Wirklich, ich verbringe den ganzen Nachmittag, sie hin und her zu fahren, von einem Ort zum anderen. Sie wollen nachmittags ihre Freunde sehen. Das ist also die Zeit, in der ich herumkutschiere, und die ganzen anderen Sachen muss ich da einpassen (eng1). Es ist ganz normal, Kinder auf ein Internat zu geben, und wenn etwas als normal angesehen wird, wird es weniger hinterfragt. Kein anderes Land hat diese ungewöhnliche Tradition – aber in Großbritan-

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Heimat auf Zeit nien werden Internate generell als beste Chance für Kinder angesehen (eng9). 8 Wenn ich darüber nachdenke, dann glaube ich, dass meine wesentliche Motivation, alles, was mein Leben wirklich beeinflusst, was es ändert, und was dazu führt, dass ich etwas mache oder auch nicht mache, das sind natürlich meine Kinder und mein Mann. Was mit ihnen passiert, das macht mein Leben entweder gut oder zerstört es. So einfach ist das (eng13). 9 Also, ich habe das Gefühl, so sehr niedergelassen zu sein, dass ich meinem Mann neulich sagte: Wenn die UN uns anbieten würde, im Januar nach Pakistan zu gehen, ich würde gerne und sofort gehen. Ein aufregender neuer Horizont, und dann das Herumsuchen in der Stadt, um ein Haus oder eine Wohnung zu finden, das dreht mich richtig auf, da fühle ich mich lebendig. Ich glaube, darum geht es für mich: um Spannung und Aufregung (eng6). 10 Nach zweieinhalb, drei Jahren möchte ich wieder umziehen, werde ich unruhig. Für uns ist es ein Abenteuer – und sollte es aufhören, eines zu sein, würden wir vermutlich aufhören mit dem Expat-Leben. Es ist stressig, gut, aber aufregend (eng10). 11 Unser Ziel ist es, zehn Jahre draußen zu leben und dann weiterzusehen, und wir werden unser Ziel, nämlich finanzielle Unabhängigkeit, erreichen (eng5). 12 Es ist ideal, eines der besser bezahlten Postings zu haben, wenn man kleine Kinder hat (eng1). 13 Und ich genieße den Einblick, den man in das eigene Land bekommt, wenn man weg ist. Weißt du, man sieht es objektiver und man erkennt seine Schwächen und Stärken viel besser (eng3). 14 Für mich war das, als ob ich Schwarz-Weiß-Photos anschaue, und plötzlich werden sie alle farbig (eng5). 15 Das Problem für mich als Expat war: Ich hatte immer das Gefühl, das ist nicht mein Leben. Man kann nie ein richtiges Leben anfangen, man ist immer in Warteposition. Was du auch machst, du wartest. Dann war ich sehr zufrieden, zurück zu sein, in den ersten sechs Monaten, aber plötzlich dachte ich: Jetzt musst du dir dein Leben aber einrichten, das hier IST dein Leben. Jetzt kann ich nicht mehr sagen: Ich werde das hier eine Zeit lang machen, und wenn es mir nicht gefällt, macht es auch nichts. Plötzlich bemerkte ich: In einem Moment war ich sehr zufrieden, dass ich einen Job hatte, im nächsten dachte ich: eigentlich wirklich schlecht bezahlt. Ich kriege es nicht hin, so wie ich möchte. Wäre das gleiche in Syrien passiert, hätte ich nicht da164

Anmerkungen rüber nachgedacht, weil ich mich selbst in zehn Jahren dort sowieso nicht gesehen hätte. Ich hätte gedacht: Es ist schon in Ordnung, besser als gar nichts, wir gehen sowieso irgendwann wieder weg (eng13). 16 Ich kann schon mal eifersüchtig sein auf eine Freundin, die einen ganz tollen Job hat, viel reist und was weiß ich noch, aber ich hätte das wegen der Kinder doch nicht gemacht. In Holland wäre ich wahrscheinlich mehr Hausfrau als hier. Weil ich hier die Chance hatte, verschiedene Dinge zu probieren. Möglicherweise hätte es da andere Möglichkeiten gegeben, das weiß ich nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir was fehlt. Ich hätte selber niemals voll arbeiten wollen mit Kindern. Im Moment bin ich richtig zufrieden damit, was ich hier mache, machen kann (hol1). 17 Als wir begonnen haben, darüber nachzudenken, ob wir ins Ausland gehen sollten, habe ich mir überlegt, was für mich zu einem ausgeglichenen Leben gehört – egal wo ich bin, und seither versuche ich diese Komponenten mit einzubauen, überall. Für mich spielt Religion eine wichtige Rolle – also gehe ich hier in die anglikanische Kirche, dadurch habe ich übrigens einige interessante Nicht-Shell-Leute kennen gelernt. Dann ist regelmäßiger Sport wichtig, ist hier kein Problem, dann altruistische Aktivitäten – ich bin im Kirchenvorstand und Mitglied der »Petroleum Wives« – künstlerische Aktivitäten – das bedeutet für mich Musik, singen, ich bin hier im Chor, und zusätzlich habe ich hier mit Quilten angefangen. Ich habe angefangen, Arabisch zu lernen, und dadurch, dass ich bei SPARC mitmache, versuche ich, auch etwas für die Gemeinschaft zu tun (eng5). 18 Als es Damaskus wurde, waren wir so gespannt, ich finde, es ist ein unglaublich romantischer Teil des Nahen Ostens, es gibt noch die tollen alten Häuser, die man sich ansehen kann, ein bisschen orientalische Eleganz, orientalisches Flair, und Gewürze, wundervolle Archäologie, und das ist wirklich aufregend – wir finden es spannend, hier zu sein (eng9). 19 Ich fühle mich in Ost und West Mezze zu Hause, nicht in Damaskus, mein tägliches Leben spielt sich nur in Mezze ab. Ich habe das Gefühl, dass wir nicht alles aus Damaskus herausholen (eng8). 20 Aber man sieht dann die Realität, glaube ich, wenn man entdeckt, dass Expat-Leben auch tagtägliches Leben bedeutet, das man sich aufbauen muss (dis). 21 Dass sie sich in Syrien (bzw. Damaskus) wie in einem Camp fühlen, das liegt an den Leuten. Und in der Tat wird es zu einem camp posting, wenn man nur in Mezze bleibt (eng11). 165

Heimat auf Zeit 22 Mein Lebensstil hier entspricht dem Lebensstil in einem Camp (eng3). 23 Wir leben hier alle in verschiedenen Apartments, wir wohnen zwischen den ganzen Einheimischen, man kann zum Shell-Club gehen, wenn man will, aber wenn man es nicht will, braucht man nie jemanden zu sehen. Das ist hier eine Stadt mit Stadtleben. Es ist wirklicher als ein Leben im Camp (eng8). 24 Im Allgemeinen gehen wir in Damaskus in syrische Restaurants. In der Altstadt gibt es ein paar sehr schöne syrische Restaurants, und es ist natürlich toll, draußen in einem Innenhof zu essen, wie im Zeitouna (...). Wir versuchen, die syrischen Sachen zu genießen, während wir hier sind, und dann genießen wir europäisches Essen in Europa (eng5). 25 Dieser Lebensstil erzwingt Reflexion, und wenn dieser Lebensstil dich nicht dazu bringt zu reflektieren, dann passiert es überhaupt nicht (eng10). 26 Ich habe Glück, dass mein Mann mich so sehr unterstützt (eng3). 27 Eine maid hat entscheidenden Einfluss auf den Erfolg eines Postings, eine gute maid kann das ganze Leben verändern (eng10). 28 Wirklich, wenn man ein Land erst kennen lernt, lernt man auch, es zu mögen – sobald man nämlich einige Leute kennen gelernt hat (eng2). 29 Ich war inzwischen 33 oder 34 und jeder hatte sich »niedergelassen« – keine sozialen Aktivitäten, niemand kam mal eben vorbei, gut, wir haben schon ab und zu Leute eingeladen, aber es hat einfach nicht mehr richtig gelebt, unser Sozialleben, die Atmosphäre war dahin, kein Pfiff mehr drin, und das fand ich schade – also entweder ins Ausland, oder aufs Land raus, mit einem Pferd, auf einen Bauernhof ziehen, mit Tieren (hol3). 30 Es ist komisch, überall, wo ich gewesen bin, habe ich eigentlich was anderes gemacht (eng2). 31 Als ich hörte, dass er ins Ausland will, dachte ich: Das ist klasse. Er war also okay (hol4). 32 So habe ich jeden Tag etwas zu tun, und wenn ich plötzlich mal nichts vorhabe, gehe ich einfach irgendwen besuchen (...). Ich mag es, immer beschäftigt zu sein. Aber weißt du, jeder findet seine eigene Lösung, wie er leben will, weißt du, was ihn glücklich macht, und für mich, ich möchte immer viel zu tun haben, und ich kenne gerne Leute, mag Gesellschaft, ich gehe gerne mal eben jemanden besuchen, ich finde es gut, wenn einfach jemand vorbeikommt, um mich zu besu166

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chen. Meine Tür steht immer offen, oft kommt einfach mal jemand vorbei, ja, das ist gut, und in Brunei war es genauso (eng2). Hier kann ich bei einem bekannten syrischen Pianisten Unterricht nehmen und bei einem bulgarischen Professor, das ist wundervoll (dis). Ich liebe jede Art von Kunst, und für mich haben sich bisher über Kunst immer Beziehungen ergeben – und das braucht man. Genauso ist es mit Musik. Musiker und Künstler finden zueinander, überwinden die Kulturbarriere. Ich empfinde das als Privileg in dieser Art Leben (dis). Zusammen mit einer syrischen Frau, einer Solistin vom Conservatoire, singe ich in einem Chor. Die meisten sind SyrerInnen, vier oder fünf Expats gibt es. Dirigent ist ein Franziskanermönch, der in einer Mischung aus arabischen und italienischen Musikelementen dirigiert, das macht Spaß. So sehe ich mehr Syrer, was es noch netter macht. Die Musik bringt uns einander nahe. Es geht meist um Musik, aber nicht immer – es geht auch um deren Familien, um meine Familie, um deren und mein Leben, sehr interessant ist das. Die Konfrontation mit verschiedenen Kulturen – das ist letztendlich das Beste am ExpatLeben, denke ich (dis). Als Expat-Frau muss man sich im Laufe seiner Ehe entscheiden. Und zweifellos ist das für Frauen mit Karriereambitionen nicht einfach, aber ebenso zweifellos steht fest, dass nur einer eine Karriere verfolgen kann, der andere hat einen durchschnittlichen Job – oder muss einen anderen Lebensinhalt finden (eng9). Und jetzt bin ich für einige Leute regelrecht wichtig geworden – für Expats wie Einheimische, und das macht mich glücklich während eines Postings (dis). Ich bin vermutlich eine begeisterte »Geldauftreiberin« für Wohltätigkeitszwecke, aber nicht, weil ich ein großes Herz habe, sondern weil ich das Organisieren regelrecht liebe. Es ist harte Arbeit und mit Stress verbunden, aber mir gefällt es, immer völlig erschöpft zu sein – ich möchte immer aktiv sein. Nur ganz selten komme ich zur Ruhe (eng9). Ich sammle eine Menge Geld. Ich bin nicht wie Patricia, sie geht los und besucht diese Werkstätten und Waisenhäuser und so. Ich sammle mehr das Geld und übergebe es dann. Es hat seine Grenzen, was ich machen kann. Ich habe hier so viele Interessen. Wir haben so viele Sachen gemacht, im letzten Jahr war da der Triathlon, Lake Zarzar. Und wir hatten das große Curry-Essen, der Shell-Club und die britische 167

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Botschaft. Das hat eine Menge Geld eingebracht, für die SommerCamps für die (syrischen, CPM) Kinder. Und viele kleine Sachen, kleine Buchverkäufe, die Kunstausstellungen – da habe ich immer eine Kommission draufgeschlagen, und das dann für wohltätige Zwecke gespendet. Es gibt hier so viele Möglichkeiten, Geld zu sammeln, weil die Leute hier so gerne zu Veranstaltungen gehen, alle sind immer sehr froh, wenn einer irgendetwas organisiert. Und die Leute sind großzügig, weil alle hier so gut verdienen (eng2). Ich sehe Expatriates, denen diese Art von Leben überhaupt nicht gefällt – und ich verstehe einfach nicht, wenn sie nicht gerne tun, was sie tun, warum sie nicht in ihr Heimatland zurückgehen. Einige würden möglicherweise immer klagen, ganz gleich wo sie sind, vielleicht handelt es sich um solche Leute (eng8). Wenn man sich dafür entscheidet, dieses Leben zu führen, muss man auch die Konsequenzen akzeptieren, sonst sollte man ausscheren und ins Heimatland zurückgehen (dis). Mein Eindruck ist, dass einige Expats so leben wie sie zu Hause leben würden, ohne jegliche Vorstellung davon, was sich vor ihrer Haustür abspielt (dis). Es wäre toll, etwas wie Musik oder Kunst zu haben, als Musiker genügt man sich nicht nur selber, man findet auch Zugang zur Gastkultur, wird Mitglied einer Gruppe Gleichgesinnter. Das wäre toll (dis). Das ist das Muster: Man weint ein Jahr lang, dann folgt ein Jahr der Höhen und Tiefen, man beginnt zu realisieren, dass es schön werden könnte, im dritten Jahr hat man Freundschaften geschlossen und ist glücklich, im vierten Jahr geht man weg, beginnt also wieder mit dem Weinen. Expat-Leben ist ein einziger Wechsel von Hochs und Tiefs – erst himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt; im Heimatland läuft alles in ruhigeren Bahnen (eng7). Ich stellte fest, dass ich einen Kulturschock hatte, als ich merkte, dass meine kulturellen Schlüssel plötzlich weg waren, einfach so – Schlüssel, von denen ich bis dahin komischerweise gar nicht gewusst hatte, dass es sie gibt (dis). Nach drei Monaten fällst du in dieses Loch, was mir passiert ist und was ich auch erwartet hatte, aus dem ich raus musste, und ich dachte: Jetzt bist du mit der Realität konfrontiert. Die anfängliche Spannung hatte offensichtlich nachgelassen. Das Loch: ein bisschen Weinerei, ein bisschen Heulerei, auf dem Boden herumtrampeln, den Stress abarbeiten und dann ein bisschen nachdenken (eng5).

Anmerkungen 47 Vielleicht ist die Expat-Kultur etwas Eigenes, etwas Anderes als alle anderen Kulturen (eng2). 48 Am Anfang habe ich nur den Dreck gesehen, jetzt sehe ich die Blumen, die im Dreck wachsen – und nicht mehr den Dreck selber (eng4). 49 Es ist komisch, aber ich glaube tatsächlich, dass ich jetzt noch weniger tolerant werde (wo wir bald weggehen, CPM), als ich es am Anfang war (eng2). 50 Die, die weggehen, erwarten ungefähr ein Jahr, bevor sie weggehen, dass du dich änderst: Sie machen die Schotten dicht, sie fangen an, sich zurückzuziehen, einfach, um die nötige innere Stabilität zu gewinnen, konzentrieren sie sich auf ihre Abreise. Der Kontakt wird langsam weniger, ihre Einstellung ändert sich und du merkst es, und das hilft ihnen irgendwie und dir, okay, mir wird jemand fehlen. Ich glaube, für die Männer ist es leichter, sie hatten immer ihre Kontinuität und werden sie auch behalten, durch ihren Job, ich glaube ExpatFrauen können ein bisschen eigenartig werden (eng5). 51 Das Sozialleben: Man nimmt es auf und reißt es nieder. Wir haben nicht das Gefühl, langanhaltende Freundschaften zu haben, es ist zwar einfach, Freundschaft zu schließen, weil man lernt, sie schnell zu schließen, aber Beziehungen bleiben eben oberflächlich. Mir macht das wenig aus – mir ist eher Gesellschaft wichtig, nicht echte Freundschaft (eng10). 52 Und jetzt habe ich hier mein Netzwerk, aber die Leute werden weggehen. Ich glaube, am Ende wird man hier zum Suchenden, man springt auf alles an, auf die Tatsache etwa, dass neue Leute angekommen sind, weißt du. Ich halte regelrecht nach Leuten Ausschau; ich stelle mich vor. Ich versuche, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das macht das Leben interessanter (eng5). 53 Hierher zu kommen war wirklich viel leichter (als innerhalb Großbritanniens umzuziehen, CPM), weil alle in der gleichen Situation sind, alle müssen Freunde finden, und jeder ist bereit, neue Freunde zu suchen, weil niemand hier welche hat (eng4). 54 Und es geht natürlich im Ausland mit anderen Ausländern schneller, dass man sich z. B. gegenseitig einlädt (hol1). 55 Ach was, eine weitere Party, eine von vielen, und sie ähneln sich ja doch alle (dis). 56 Also, ich kenne schon viele Leute, aber vage; ich denke, je länger man Expat ist, desto oberflächlicher bleiben Freundschaften. Und ich weiß

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nicht mal, ob es was mit dem Expat-Leben zu tun hat, das ist bei meiner Schwester in Holland auch so, ja, die schließt auch keine neuen Freundschaften. Und Freundschaften zu halten ist auch in Holland nicht einfach, weil jeder seine Familie hat, beschäftigt ist usw. Man schließt ganz einfach keine neuen Freundschaften mehr. Eine Art Distanz, die sich entwickelt (hol1). Wenn Leute weggehen, das macht mir nichts – ich weiß, dass das fürchterlich klingt, aber es bedeutet ja nicht, dass ich sie nicht mag, aber ich bin eben einfach sehr realistisch: Das Leben geht weiter. Wenn ich jedes Mal gestresst wäre, wenn jemand weggeht, du lieber Himmel (eng10). Ich mache keine besonderen Anstrengungen, hier in Syrien gute Freunde zu finden, vermutlich, weil ich das schon zu oft gemacht habe, und letztendlich liegt meine Loyalität zu Hause in England, bei alten Freunden, die uns hier besuchen – die bringen uns England hierher (eng9). Ich meine, die Engländer sind immer noch sehr englisch – obwohl sie hier sind (eng4). Ich meine, ich würde nicht sagen, ich bin per se nur mit anderen Briten befreundet, aber ich nehme an, es hat damit etwas zu tun, sich zu anderen hingezogen zu fühlen, mit denen man Gemeinsamkeiten hat (eng3). Ja, es sind hauptsächlich Engländer: Man baut nur Beziehungen auf zu Leuten der eigenen Nationalität, aber teilweise könnte es natürlich auch mit der Sprache zu tun haben (eng6). Bridge spielen, das ist etwas, was Holländer und Engländer zusammen machen. Das ist eine gute Gelegenheit, mit Holländern umzugehen, sie kennen zu lernen (eng2). Wirklich, dieses Shell-Leben macht es einem so leicht, es gibt diese »allzeit bereite« Gemeinschaft (...), das Begrüßungskomitee (...). Und außerdem ist es so schön, jemanden von einem anderen Posting in einem neuen Land wiederzusehen. Das hilft einem mehr als alles andere, sich in einem neuen Posting zurechtzufinden. Ich glaube, für neue Leute, die niemanden kennen, ist es viel schwieriger (eng2). Irgendwie ist Shell eine große Familie. Das gibt Sicherheit, und die meisten fühlen sich sehr wohl (eng11). Seitdem ich Kinder habe, war es mir immer sehr wichtig, Kontakt zu haben mit anderen Frauen mit kleinen Kindern, egal wo ich bin – ich empfinde es als Erleichterung, mit anderen Müttern zu reden (dis).

Anmerkungen 66 Und weil ich keine Kinder habe, habe ich diesen automatischen Zugang auch nicht (eng5). 67 Wir haben so eine Art Zyklus gesehen, seit wir hier sind: Als wir ankamen, gab es eine Gruppe von Leuten, die schon eine Weile hier waren und sich untereinander kannten, und wir hatten das Gefühl, abseits zu stehen. Sie haben einige Versuche gemacht, uns aufzunehmen, und inzwischen sind sie alle weg. Und jetzt sind wir Teil der neuen Gruppe, einer Gruppe von Leuten, die inzwischen wieder eine Weile hier sind. Und wir müssen für Neuankömmlinge genauso erscheinen (eng3). 68 Dieses Expat-Leben kriegt man nur hin, wenn man gerne mit Menschen zusammen ist, Interesse an anderen Menschen hat, an ihrem Leben, ihren Problemen, das ist am allerwichtigsten bei dieser Art Leben (hol2). 69 Die Nicht-Shell Expats nennen uns »Shellies« und sie finden uns total seltsam (eng1). 70 Vermutlich besteht innerhalb von Shell nicht die gleiche Notwendigkeit, raus zu gehen und andere Freunde zu suchen (eng4). 71 Ich denke, was man hier sieht, ist, dass Holländer unter sich bleiben. Und Engländer bleiben auch unter sich – innerhalb von Shell jedenfalls. Und dann gibt es einige, meistens Paare aus gemischten Ehen, die in beiden Gruppen verkehren (eng4). 72 Die Botschaftsangehörigen gehen tendenziell meistens mit anderen Botschaftsleuten um, aus verschiedenen Ländern (eng4). 73 Es ist schon schwierig, echte Freundschaften zu schließen, auch deshalb, weil man immer in großen Gruppen zusammen ist (hol2). 74 Da ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin – in einem Pool voller Piranhas, wenn man so will –, musste ich Leute kennen lernen, die von außerhalb der Shell-Gemeinschaft kommen (eng5). 75 Das Tolle hier ist, dass wir uns in den verschiedenen Gemeinschaften bewegen können, es gibt die UN-Leute, die Shell-Gemeinschaft, die Kirchengemeinschaft und die Botschaft – und wir verkehren mit allen (eng6). 76 Also, früher war es eher eine echte Gemeinschaft, und jetzt sind ein paar Familien dazugekommen, die immer was in der Clique unternehmen, denen das ein Gefühl von Sicherheit vermittelt (hol1). 77 Ich halte nicht so viel davon, in einer Clique zu sein. Immer mit denselben Menschen dieselben Dinge zu tun, dazu habe ich keine Lust (hol1).

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Heimat auf Zeit 78 Also, wenn man nicht aufpasst, macht man immer wieder mit denselben Leuten was; da versuche ich aufzupassen, nicht plötzlich in einer Gruppe zu sein, aus der man nicht mehr rauskommt; das ist uns in einem anderen Posting ein bisschen so gegangen; da wurden wir so vereinnahmt, dass wir die Leute gar nicht mehr selber aussuchen konnten, mit denen wir was machten, weil es dann echt schiefe Blicke gab, und das hat mir am Ende doch so bisschen Angst gemacht (hol4). 79 Mir wurde klar, dass ich mit meinen Freunden von der Uni nichts mehr gemeinsam habe, es besteht keinerlei Verbindung mehr. Aber meine Familie hat sich irgendwie mit mir weiterbewegt (eng1). 80 Wir sehen einige Freunde, wenn wir in England sind, aber ich glaube schon, dass wir sie alle durch Shell kennen gelernt haben, ja. Ich nehme an, wenn man die letzten 15 Jahre bei Shell war, sind alle Kontakte Shell-Kontakte (eng2). 81 Freundschaften sind sehr wichtig für mich – mir ist klar, dass ich mich bemühen muss, sie zu erhalten, und das mache ich auch, weil ich meine Freunde nicht verlieren möchte. Ich möchte etwas haben, wohin ich zurückgehen kann (eng5). 82 Wir haben sehr wohl einen Freundeskreis in England, den es schon ewig gibt, sie haben sich inzwischen an uns gewöhnt (an unseren Lebensstil, CPM) (eng7). 83 Bei unseren Ferien in England handelt es sich um Pflichtbesuche zu Hause (eng6). 84 Wenn ich in England bin, sodass SIE in ihrer gewohnten Umgebung sind, dann ist es unproblematisch (eng7). 85 Ich glaube, Menschen brauchen Gemeinschaften, ja, es gibt viel Getratsche in der Expat-Gemeinschaft, aber das ist in jedem Dorf genauso. Ja, es ist wie ein Dorf auf dem Lande in England. Ich glaube, es war Oscar Wilde, der sagte: Es ist viel besser, wenn über einen geredet wird, als wenn nicht über einen geredet wird. Ich bin schon immer an anderen Menschen interessiert gewesen, was sie machen, und ja, ich schätze es, wenn andere an mir interessiert sind. Es ist viel wert, man kann immer, wenn man ein Problem hat oder jemanden braucht, der auf ein Kind aufpasst, es ist immer jemand da. Und das ist in einem kleinen Dorf ähnlich, sagen wir in England, wo du dich auf deine Nachbarn verlassen kannst, deine Mutter oder irgendwen anders. Ganz einfach die Unterstützung, die man bekommt und die Hilfe, die man anderen geben kann. Das ist wirklich gut. Ich glaube, weißt du, die guten Seiten überwiegen wirklich die schlechten Seiten (eng2).

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Anmerkungen 86 Also Expat-Leben macht es so einfach, man hat diese funktionierende Gemeinschaft. Wenn ich da an London denke, dort dauert es sicher Jahre, bevor man sich irgendwo zugehörig fühlt (eng2). 87 Etwas Komisches passiert Expatriates, glaube ich: Man gehört nie richtig zu einer Gemeinschaft, das ist eine Art Befreiung – meine Freunde in England sind integriert (»eingeschlossen«), entweder in ihre Berufswelt oder, auf dem Lande, in den Landfrauenverein, wo sie dann Marmelade einkochen. Und Expat-Frauen sind ein wenig wie Schmetterlinge, man muss sich nie völlig vereinnahmen lassen von irgendeiner Gemeinschaft (eng7). 88 Ich denke, die Holländer ziehen mit ihrem ganzen Hausstand um, jedes Mal. Wenn man sich eine von einer holländischen Familie bewohnte Wohnung ansieht, ist da nichts von Shell, sie haben alles dabei; bei einer englischen Familie dagegen ist überall Shell-Mobiliar zu sehen. Die Holländer scheinen fast alles bei sich zu haben – und ich habe Holländer sagen hören: Das ist mein Leben, ich habe alles dabei – das gefällt mir. Engländer machen das eher anders, ja (eng8). 89 Wir haben Syrien gesehen, wir haben es wirklich gesehen. Gleich am Anfang haben wir Ross Burns Buch »Monuments of Syria« gekauft. Und dann sind wir losgefahren, und haben uns alle Sehenswürdigkeiten mit fünf Sternen angesehen, und zusätzlich eine Menge der kleineren Sehenswürdigkeiten. Wir waren an vielen Wochenenden weg, am Anfang jedenfalls, im letzten Jahr haben wir dann immer weniger gemacht: Wir hatten das meiste gesehen (eng1). 90 Selbst Reisen wird oft zu etwas Oberflächlichem: Wie viele Expats sind wirklich an Zusammenhängen interessiert, wie viele kennen tatsächlich den geschichtlichen Hintergrund (eng13). 91 Es wäre von größtem Interesse, die Alltagswirklichkeit eingeheirateter Frauen in Damaskus in einer eigenen Studie zu untersuchen. 92 Es schien keinen Grund zu geben, Arabisch zu lernen, weil mein Kontakt mit Syrern wirklich sehr begrenzt ist (eng3). 93 Ich glaube, es könnte mir später nützen, eine ungewöhnliche Sprache zu sprechen (dis). 94 Alle Syrer, die ich kennen gelernt habe, sind Musiker, sie sind alle gut ausgebildet oder sind herumgekommen oder beides (eng1). 95 Ich habe auch das Gefühl, dass wir so anders sind, es gibt solche Unterschiede, dass ich nicht glaube, dass man Freundschaften schließen könnte, in einer Kultur, die so anders ist (hol1). 96 Ich bin mit einer Syrerin befreundet, die in unserer vorigen Woh-

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nung unsere Nachbarin war. Und ich habe das Gefühl, dass ich ziemlich offen mit ihr reden kann, in manchen Situationen merke ich, dass wir nicht in die gleiche Richtung denken, ich denke auf westliche Art und sie auf östliche Art, und dann halte ich inne, weil ich das Gefühl habe, ich bin auf dem Holzweg. Aber das passiert nicht sehr oft (eng6). Es ließe sich argumentieren, dass auch das familienbezogene, das clanorientierte Verhalten der Syrer dazu beiträgt, dass sich die Expatriates auf die eigene Gemeinschaft konzentrieren. Um hier Klarheit zu gewinnen, wäre es von größtem Interesse, ähnliche wissenschaftliche Untersuchungen in anderen Kulturkreisen durchzuführen. Durch Vergleiche wäre es dann möglich, der höchst interessanten Frage nachzugehen, inwieweit die Gastkultur die innere Struktur der ExpatInsel beeinflusst. Aber das ist eines der Probleme des Expat-Lebens: Man lebt losgelöst vom richtigen Leben (eng6). Als Shell-Ehefrau ist man nie wirklich im Ausland, sondern lebt vielmehr innerhalb von Shell (sprich: auf einer »Shell-Insel«, CPM) (dis). Unter »Stereotypen« sind vereinfachte, relativ rigide und schwer veränderbare Denkmuster zu verstehen, die mit der äußeren Realität nicht übereinstimmen müssen, jedoch unser Verhalten stärker beeinflussen als die tatsächlichen Bedingungen (Gast-Gampe 1993: 129). Man gewöhnt sich an das Leben im Ausland. Man gewöhnt sich da so dran. In Holland sagen wir: Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Und das stimmt bei uns auch ein bisschen, wir sind nun schon so lange im Expat Leben, wir kennen das so gut, dass ich denke, oh, was sollen wir in Holland. Und genau davor hatte ich Angst: Und das sieht man bei anderen auch passieren. Und ich denke: Ich möchte das nicht. Und nun möchte ich zurück nach Holland, damit unsere Kinder dort als holländische Kinder aufwachsen, nicht als Expat-Kinder, sie sind schließlich Holländer. Und auf der andern Seite die Realität in Holland: In den Schulen dort sind die Klassen riesig, die Zeitung steht voll von Verbrechen usw (hol1). Ich hatte immer das Gefühl, dass für mich ein bisschen mehr zum Leben gehört als Kaffeekränzchen – ich bin keine typische BridgeSpielerin (eng1).

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Anhang I: Glossar

Anhang I: Glossar

boy – houseboy, s. maid camp posting – ein Auslandsaufenthalt, bei dem man in einer Enklave wohnt, die fast nur Ausländer bewohnen. city posting – ein Auslandsaufenthalt in einem Land, in dem man in einem Stadtteil inmitten der lokalen Bevölkerung wohnt cocktails – Frühabend-Einladungen zu leichten Erfrischungen, sprich: Häppchen, zu denen besonders Botschaftsangehörige einladen und eingeladen werden; Partner sind ebenfalls eingeladen (s. a. functions) crazy circle – die Expat-Bezeichnung für den Omayyad Roundabout in Damaskus cross-posting – s. local staff dinner party – besonders die Engländer nennen jede Einladung zum Abendessen eine dinner party, es kann sich genauso um eine Gruppe von vier Leuten handeln wie um hundert Personen. Dinner parties sind eine bei Expatriates besonders beliebte Form der Unterhaltung. driver – Fahrer syrischer Nationalität, die entweder Vollzeit für eine Familie arbeiten (sodass praktisch nur am Wochenende selber gefahren wird) oder Teilzeit für mehrere. Viele Frauen haben einen Teilzeit-Fahrer, der dann diverseste Einkäufe für sie erledigt. Expatriate bzw. Expat – jemand, der für begrenzte Zeit in einem anderen Land als der Heimat lebt. Für die meisten Expatriates besteht ein wesentlicher Teil ihres Lebens aus einer Reihe von Postings. Family Shop – Name eines »Minikaufhauses« in West Mezze; diese Übersetzung des arabischen Namens ist auch auf einem großen Schild über dem Laden angebracht. functions – für Botschaftsangehörige typische Veranstaltungen, an denen

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Heimat auf Zeit Partner nicht teilnehmen (s. a. cocktails). Sie können zu Hause oder auch in einem Restaurant stattfinden. German Store – inoffizieller Name für einen Laden in Malki, dessen Besitzer ein paar Worte Deutsch spricht; zudem gibt es deutsche Wurst. happy hour – es handelt sich um einen bestimmten Abend pro Woche in einem Club, an dem Getränke und Gerichte billiger sind. Solche Abende erfreuen sich in den Expat-Clubs großer Beliebtheit. hash – dieser Geländelauf ist eine typisch englische Veranstaltung, die der deutschen Schnitzeljagd vergleichbar ist; der outdoor-hash ist eine Wochenendveranstaltung mit einer Übernachtung im Freien und zwei Schnitzeljagden. houseboy – s. maid international staff – Angestellte, die einen Arbeitsvertrag haben, der besagt, dass sie fast ausschließlich international, also im Ausland, eingesetzt werden (s. a. local staff). Kodak Shop – inoffizieller Name für einen Laden in West Mezze, der durch eine auffällig große Leuchtreklame für Kodak-Filme am Eingang nicht zu verfehlen ist local staff – Angestellte, die für eine international tätige Firma arbeiten, aber im Gegensatz zu deren international staff im Wesentlichen im Heimatland eingesetzt werden. Ein internationaler Einsatz dieser Angestellten heißt cross-posting (s. a. international staff). maid/houseboy/boy – eine Haushaltshilfe, die in aller Regel selber aus einer anderen Kultur stammt (in Syrien sind es vornehmlich Frauen bzw. Männer aus Sri Lanka) open house coffee morning – eine Shell-Veranstaltung: ein Kaffeekränzchen, das reihum von verschiedenen Frauen vormittags jeweils zu Hause veranstaltet wird und zu dem alle Shell-Expat-Frauen und alle anderen Frauen, die diese Frau noch kennt, willkommen sind. Alle drei Monate steht es unter dem Motto: »old expats meet the new« (sprich: alte treffen neue Expats) 188

Anhang I: Glossar outdoor-hash – s. hash Posting – der Aufenthalt eines Expatriates in einem Gastland, wobei die Dauer von mehreren Monaten bis zu vielen Jahren variieren kann. In der Regel handelt es sich um einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren. (s. a. local staff) Restaurant Square – inoffizieller Name für einen Platz in Shalan, an dem sich einige Restaurants befinden Shellies – Fremd- und Eigenbezeichnung von allen Shell-Mitarbeitern und deren Familien SPARC – Syria Partners Resources Center (s. Kap. III.2.3.1) welcoming committee – ein Begrüßungsausschuss von Shell: eine freiwillige Gruppe von Frauen, die Neuankömmlinge begrüßen – mit Gesprächen, Blumen, Tipps usw. Yellow Bakery – inofizieller Name einer staatlichen Bäckerei in West Mezze, deren Eingangsfront leuchtend gelb gestrichen ist

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Heimat auf Zeit

Anhang II: Überblick über die interviewten Expat-Frauen

Britische Expat-Frauen Jane (eng1) – Typ »musikbegeisterte Expat-Frau« Jane ist 35 Jahre und Mutter zweier Kinder (7 und 5 Jahre). Jane hat zwei Jahre Kunst studiert, dann aber mit 19 angefangen zu arbeiten, bis sie einige Jahre später mit ihrem Mann nach Fernost gegangen ist und kurz darauf ihr erstes Kind bekommen hat. Von dort ist die Familie für Shell nach Syrien gezogen. Hier leben sie jetzt seit fast vier Jahren und werden demnächst vorerst nach England zurückgehen. Chris (eng2) – Typ »sozialorientierte Expat-Frau« Chris ist gut 40 Jahre und Mutter dreier Kinder (14, 11 und 9 Jahre). Chris hat insgesamt mehr als zehn verschiedene Schulen in aller Welt besucht, dann in London Archäologie studiert und als Archäologin selber einige Jahre im Ausland gearbeitet. Mit ihrem Mann lebt sie seit 15 Jahren im Ausland, davon seit fast vier Jahren für Shell in Syrien. Nadine (eng3) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 64 ff. Nadine ist Mitte 30 und Mutter dreier Kinder (4 und 2 Jahre, ein Baby). Nadine hat in England Marketing studiert und einige Jahre gearbeitet, dann aber aufgehört, als sie ihr erstes Kind bekam. Als das zweite Kind ein paar Wochen alt war, ist die Familie nach Syrien gekommen. Sie sind jetzt seit fast drei Jahren mit Shell in Syrien. Miriam (eng4) – Typ »sozialorientierte Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 80 ff. Miriam ist Mitte 40 und Mutter dreier Kinder (11, 9 und 7 Jahre). Sie ist ausgebildete Lehrerin und hat über viele Jahre hinweg Privatunterricht gegeben. Die Familie ist mehrfach im Heimatland umgezogen, aber Syrien ist ihr erstes Posting – hier sind sie seit gut zwei Jahren. Miriams Mann arbeitet für eine kleinere englische Firma. Tina (eng5) – Typ »sozialorientierte Expat-Frau« Tina ist Anfang 30 und kinderlos. 190

Anhang II: Die interviewten Expat-Frauen Sie kommt aus einem kleinen Dorf in Mittelengland, hat einen »arts degree« – und dann einige Jahre in der Administration gearbeitet, womit sie schon immer unzufrieden war. Als sie ihren Mann kennen lernte, sind sie sehr bald für Shell nach Syrien gekommen. In Syrien sind sie seit fast drei Jahren. Kate (eng6) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Kate ist Anfang 50 und kinderlos. Sie ist ausgebildete Sekretärin und bezeichnet sich selber als »typical small town girl« – bis sie auf eine Annonce hin spontan ins Ausland gegangen ist. Dort hat sie zehn Jahre später ihren Mann, der für eine internationale Organisation arbeitet, kennen gelernt und ist mit ihm, erstmals ohne eigenen Job, nach Syrien gegangen. Hier leben sie jetzt seit drei Jahren. Lisa (eng7) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Lisa ist Mitte 50 und hat zwei erwachsene Kinder (20 und 18 Jahre). Sie ist Journalistin und hat, als sie ihren Mann kennen lernte, ihre Karriere eingetauscht gegen Familienleben in den verschiedensten Teilen der Welt. Sie sind seit fast vier Jahren für eine internationale Organisation in Syrien. Deborah (eng8) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Deborah ist Ende 30 und hat einen zweijährigen Sohn. Sie ist als Kind mehrfach zwischen Afrika und England hin- und hergezogen und dann als ausgebildete Lehrerin selber wieder ins Ausland gegangen, wo sie vor einigen Jahren ihren Mann kennen gelernt hat. Sie sind vor fast vier Jahren für Shell nach Syrien gekommen, und Deborah hat bis zur Geburt ihres Sohnes als Lehrerin gearbeitet. Joanne (eng9) – Typ »wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau« Joanne ist Mitte 50 und Mutter von zwei erwachsenen Kindern (24 und 23 Jahre). Sie ist Kunsthistorikerin. Sie ist ihrem Mann durch die ganze Welt gefolgt, wobei sie zwischendurch drei Mal einige Jahre in England waren. Jetzt sind sie seit zwei Jahren für eine englische Institution in Syrien. Julia (eng10) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Julia ist Anfang 30 und Mutter eines dreijährigen Kindes. Sie ist im Ausland groß geworden, hat sich dann für eine internationa191

Heimat auf Zeit le Karriere entschieden und, selber schon im Ausland, ihren Mann kennen gelernt. Julia hat immer gearbeitet – allerdings seitdem sie ihren Sohn hat nur noch halbtags. Die Familie war erst in Indien und ist jetzt seit zwei Jahren in Syrien. Patricia (eng11) – Typ »wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 91 ff. Patricia ist Mitte 50 und Mutter von drei studierenden Kindern. Sie ist studierte Soziologin und Lehrerin und lebt seit fast 30 Jahren mit ihrem Mann für Shell im Ausland, war in Quatar, Venezuela, Norwegen und zwischendurch immer einige Jahre in Holland. Sie war drei Jahre in Syrien, lebt jetzt seit einem Jahr in Oman, kommt aber alle paar Monate für einige Wochen nach Syrien zurück. Sahra (eng 12) – Typ »sozialorientierte Expat-Frau« Sahra ist 40 und Mutter von drei Kindern (11, 8 und 4). Sie hat in England Volkswirtschaft studiert und einige Jahre gearbeitet, bevor sie mit ihrem Mann für Shell ins Ausland gegangen ist – Syrien ist ihr zweites, aber erstes außereuropäisches Posting. Sie hat hier anfangs drei Vormittage pro Woche im Shell-Kindergarten gearbeitet, damit aber, weil es sie zeitlich zu sehr einschränkte, vor einem Jahr aufgehört. Inzwischen ist sie seit fast vier Jahren in Syrien. Paula (eng13) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Paula ist Mitte 30 und Mutter von zwei Schulkindern (8 und 5). Sie ist direkt nach ihrem Sprachstudium mit ihrem Mann für Shell ins Ausland gegangen und hat vor Syrien in Nigeria und Oman gewohnt. Inzwischen hat ihr Mann gekündigt und die Familie ist in England. Paula hat immer versucht, stundenweise als Lehrerin zu arbeiten, und es ist ihr meistens geglückt. Sophie (eng14) – Typ »sportbegeisterte Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 77 ff. Sophie ist 50 und Mutter von zwei Kindern (14 und 16). Sie ist Lehrerin und Sport-Übungsleiterin. Sie lebt mit ihrem Mann seit 25 Jahren für Shell im Ausland und hat u. a. in Holland, in Brunei und in den USA gewohnt. Sie ist seit drei Jahren in Syrien und unterrichtet Tennis.

192

Anhang II: Die interviewten Expat-Frauen Deutsche Expat-Frauen Kim (deu1) – Typ »orientierungslose Expat-Frau« Kim ist Anfang 30 und Mutter von drei Kindern (7, 5 und 2 Jahre). Sie hat nach der Schule ein Jahr Amerika bereist und ist dann mit ihrem Mann für acht Jahre nach Den Haag gegangen. Von dort sind sie vor einem guten Jahr für Shell nach Syrien gekommen. Annalene (deu2) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Annalene ist Ende 30 und hat zwei Kinder (7 und 4 Jahre). Sie hat erst eine Ausbildung gemacht, dann noch studiert und ist mit ihrem Mann zum allerersten Mal im Leben umgezogen, allerdings innerhalb Deutschlands. Bevor sie vor drei Jahren für eine Partnerfirma von Shell nach Syrien gekommen sind, hat Annalene in Deutschland halbtags gearbeitet. Elisa (deu3) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Elisa ist Ende 30 und hat ein Kind (2 Jahre). Sie hat studiert und promoviert und ist dann mit ihrem Mann vor fünf Jahren für eine kleine Firma nach Syrien gekommen. Sie hat bis zur Geburt des Sohnes bei ihrem Mann im Projekt mitarbeiten können. Antonia (deu4) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 71 ff. Antonia ist Mitte 50 und hat eine erwachsene Tochter (18 Jahre). Sie hat eine abgeschlossene Ausbildung, aber nie gearbeitet. Die Familie hat viele Jahre in Afrika gelebt, dann einige Jahre in Deutschland, und jetzt sind sie für eine deutsche Institution seit fast vier Jahren in Syrien. Heike (deu5) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Heike ist Mitte 50 und hat zwei erwachsene Kinder (28 und 25 Jahre). Das Berufsleben ihres Mannes hat direkt im Ausland begonnen, und sie ist gleich mitgegangen: Tunesien, dann Westafrika, dann mit einjähriger Pause in Deutschland zwei Mal hintereinander je sechs Jahre Jordanien, jetzt seit drei Jahren Syrien für eine kleine Firma. Francesca (deu6) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Francesca ist Anfang 50 und hat zwei erwachsene Kinder (30 und 28 Jahre). 193

Heimat auf Zeit Sie hat eine künstlerische Ausbildung absolviert und dann viele Jahre in Deutschland gearbeitet. Ihr Mann ist zum zweiten Mal für eine deutsche Institution in Damaskus, sie ist aber erst dieses Mal mitgegangen und lebt jetzt seit fast drei Jahren hier. Lotte (deu7) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Lotte ist Ende 40 und kinderlos. Sie hat studiert und ist dann mit ihrem Mann nach Indien gegangen. Die darauffolgenden Jahre in China haben sie so fasziniert, dass sie daraufhin in Deutschland Sinologie studiert hat. Jetzt sind sie seit gut einem Jahr für eine kleine Institution in Syrien. Lea (deu8) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Lea ist Mitte 30 und hat ein Kind (3 Jahre). Sie hat ein Fachhochschulstudium absolviert, war dann in Barcelona und Paris an den Botschaften, hat ihren Mann kennen gelernt und ist mit ihm nach Bonn gegangen. Nach einem Jahr Babypause hat sie zunächst wieder halbtags gearbeitet. Jetzt sind sie seit zwei Jahren in Syrien. Kirsten (deu9) – Typ »berufsorientierte Expat-Frau« Kirsten ist Mitte 30 und hat drei Kinder (4 und 2 Jahre und ein Baby). Kirsten hat Kunstgeschichte studiert, davon ein Jahr im Ausland, ist nach der Promotion ein Jahr gereist. Dann hat sie, schon mit Kind, gearbeitet und ist schließlich ihrem Mann, der für eine kleine deutsche Firma arbeitet, nach Damaskus gefolgt. Sie sind seit drei Jahren in Syrien. Beate (deu10) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Beate ist Anfang 30 und hat zwei Kinder (4 und 2 Jahre). Sie ist als ausgebildete Fremdsprachensekretärin nach Frankfurt gegangen. Dort hat sie ihren Mann kennen gelernt und aufgehört zu arbeiten, als ihr erstes Kind kam. Jetzt ist die Familie für eine deutsche Institution seit zwei Jahren in Syrien. Marie (deu11) – Typ »kunstbegeisterte Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 85 ff. Marie ist fast 40 und hat zwei Kinder (3 Jahre und 1 Jahr) Sie hat ihren Mann nach dem Studium kennen gelernt, dann einige

194

Anhang II: Die interviewten Expat-Frauen Jahre gearbeitet. Sie sind erst für eine deutsche Firma zwei Jahre in Tripolis gewesen und sind jetzt seit zwei Jahren hier. Annika (deu12) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Annika ist Ende 30 und Mutter von drei Kindern (6, 4 und 2 Jahre). Sie ist, als ihr Mann für Shell nach Westafrika ging, in Deutschland geblieben, um ihr Studium zu beenden. Danach sind sie zusammen nach Venezuela gegangen und sind inzwischen seit drei Jahren in Syrien.

Holländische Expat-Frauen Elske (hol1) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Elske ist Mitte 30 und Mutter von zwei Schulkindern (7 und 5 Jahre). Sie hat in Holland Betriebswirtschaft studiert und ist dann mit ihrem Mann für Shell ins Ausland gegangen. Sie waren erst in Kolumbien, dann in England und sind jetzt seit fast vier Jahren in Syrien. Elske gibt ehrenamtlich Englisch im Palästinensercamp. Margareta (hol2) – Typ »wohltätigkeitsengagierte Expat-Frau« Margareta ist Mitte 50, Sekretärin und kinderlos. Sie und ihr Mann sind erst ins Ausland gegangen, als Margareta etwa 45 war. Sie waren erst in Indonesien, dann in Afrika und sind jetzt seit zwei Jahren in Damaskus. Margareta hat 25 Jahre in Holland gearbeitet und genießt jetzt das Leben ohne Arbeit in vollen Zügen, wie sie selber sagt. Rosie (hol3) – Typ »sportbegeisterte Expat-Frau« Rosie ist Anfang 40 und Mutter von zwei Kindern (9 und 7 Jahre). Sie hat Englisch studiert, dann auf Informatik umgeschult und gearbeitet. Als Familie sind sie dann für Shell nach Oman und von dort nach Syrien gekommen, wo sie seit fast drei Jahren leben. Mariolijn (hol4) – Typ »sozialorientierte Expat-Frau« Mariolijn ist Mitte 30 und Mutter von drei Kindern (9, 7 und 5 Jahre). Mariolijn ist Arzthelferin und hat viele Jahre gearbeitet, auch mit dem ersten Kind noch. Dann sind sie für Shell nach Gabun und London gegangen. Von dort sind sie vor zwei Jahren hergekommen.

195

Heimat auf Zeit Linda (hol5) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Linda ist 50 und Mutter von drei Kindern (16, 12 und 10 Jahre). Sie ist Krankenschwester und seit etlichen Jahren im Ausland: erst war sie in Quatar, dann in Holland, Aberdeen und Oman und jetzt ist sie seit drei Jahren mit ihrer Familie in Syrien. Jolanda (hol6) – Typ »familienzentrierte Expat-Frau« Jolanda ist 40 und Mutter von zwei Kindern (10 und 8 Jahre). Sie ist Friseurin und mit ihrer Familie in Damaskus auf einem einmaligen Auslandseinsatz für eine internationale Organisation. Sabine (hol7) – Typ »sozialorientierte Expat-Frau« Sabine ist Anfang 30 und kinderlos. Sie hat Wirtschaftswissenschaften studiert und ist danach sofort mit ihrem Mann nach England gegangen. Dort hat sie verschiedene Jobs gehabt. Jetzt sind sie seit zwei Jahren für Shell in Syrien. Leonore (hol8) – Typ »orientierungslose Expat-Frau« Selbstdarstellung S. 96 ff. Leonore ist Mitte 30 und kinderlos. Sie ist Krankenschwester und hat viele Jahre als solche gearbeitet, auch während des ersten Postings in Brunei. Von dort sind sie für Shell nach Amerika und gegangen und dann nach Syrien. Carla (hol9) – Typ »kunstbegeisterte Expat-Frau« Carla ist Anfang 40 und Mutter von zwei Kindern (14 und 12 Jahre). Sie hat Sozialwissenschaften studiert, hatte aber immer schon einen Hang zur Kunst. Sie hat vor Syrien in Nigeria, Kanada und England gelebt. Caroline (hol10) – Typ »kunstbegeisterte Expat-Frau« Caroline ist Ende 40 und Mutter von zwei Kindern (18 und 16 Jahre). Sie hat Kunst studiert und später, während eines Postings in England, begonnen, Anthropologie zu studieren. Sie lebt seit insgesamt zwei Jahrzehnten in den verschiedensten Teilen der Welt.

196

Anhang III: Karten und Abbildungen

Anhang III: Karten und Abbildungen

Karte 1: Wohngebiete der Expatriates in Damaskus Karte 2: Wohnstandorte britischer, holländischer und deutscher Expatriates in West Mezze Karte 3: Wohnstandorte britischer, holländischer und deutscher Expatriates in East Mezze Karte 4: Soziale Einrichtungen und Läden in West Mezze Karte 5: Soziale Einrichtungen und Läden in East Mezze Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7:

Abb. 8:

Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14:

Schematische Darstellung der Entstehung von Aktionsräumen Theoretische Konzeption der Studie Überblick über das kulturelle Angebot in Damaskus (Quelle: Ahlein 4/1998) Überblick über regelmäßige Aktivitäten im Shell-Club (Quelle: Ahlein 11/1998) Information zum »Progressive Dinner« (private Einladung) Damascus Hash House Harriers Hash-Karte (Quelle: Hash Committee 1998) Damascus Hash House Harriers Veranstaltungsprogramm (Quelle: Ahlein 6/1998) Aktionsraum, soziales Netz und Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen Nationalität und Firmenzugehörigkeit als Hauptmerkmale sozialer Kategorien Intensität der Sozialkontakte in Abhängigkeit von Nationalität und Firmenzugehörigkeit »Mental map« von Damaskus (von einer kunstbegeisterten Expat-Frau) Kontakte der Expat-Frauen mit der syrischen Gesellschaft Faktoren, die bei Expat-Frauen zur Neubestimmung von Heimat beitragen Modell der Rekonstruktion von Heimat bei Expat-Frauen

198 199 200 201 202

203 204 205 206 207 208

210

211 215 216 217 218 219 220

197

Heimat auf Zeit Karte 1: Wohngebiete der Expatriates in Damaskus

198

West Mezze

M

TO LEBANON

M

LAST TRAFFIC LIGHT

M

H

N

AL HYATT

100 m

Botschaft Shell Andere

Briten:

Botschaft Shell

Holländer:

Botschaft Shell Andere

Deutsche:

Legende:

Anhang III: Karten und Abbildungen

Karte 2: Wohnstandorte britischer, holländischer und deutscher Expatriates in West Mezze

199

TO LEBANO N

M

School

200 Botschaft Shell Andere

Deutsche:

M

TO SHERATON

YOUTH CITY

Botschaft Shell

Holländer:

Legende:

School

M

School

East Mezze

School

M

Botschaft Shell Andere

Briten:

School

200m

N

Heimat auf Zeit

Karte 3: Wohnstandorte britischer, holländischer und deutscher Expatriates in East Mezze

"Yellow Bakery"

West Mezze

M

TO LEBANON

M

LAST TRAFFIC LIGHT

M

H

KodakShop

N

AL HYATT

100 m

Läden: Bäckerei Krämerladen Schlachterei

SPARC Kindergärten

Soziale Einrichtungen:

Legende:

Anhang III: Karten und Abbildungen

Karte 4: Soziale Einrichtungen und Läden in West Mezze

201

TO LEBANO N

M

Shell-Schule

202 New Moca

School

M

YOUTH CITY

Legende:

School

M

School

Shell-Club Shell-Schule

Soziale Einrichtungen:

TO SHERATON

East Mezze

Bäckerei Krämerladen Schlachter

Läden:

School

School

M

200m

N

Shell-Club

La Noisette

Heimat auf Zeit

Karte 5: Soziale Einrichtungen und Läden in East Mezze

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 1: Schematische Darstellung der Entstehung von Aktionsräumen

Legende objektive Strukturelemente positiv wahrgenommene Elemente negativ wahrgenommene Elemente Objektive Stadtstruktur

Subjektiver Stadtplan

Aktionsraum

203

204 Verlust der sozialen Einbindung

Verlust aller räumlichen Bezüge

Infragestellung der personalen Identität

Verlust der Gesamtheit der Bezüge zum kulturellen, geographischen und sozialen Nahraum

Netzwerkkonzept

Aktionsraumkonzept

Identitätskonzept

Kap. V Lebenswirklichkeit der Expat-Frauen

Kap. VI Bindungspotential der Expat-Frauen

Kap. IV Typologie der Expat-Frauen in Damaskus

Aufbau eines Interaktionsmusters / Einbindung in Einzelnetzwerke

Aufbau neuer Beziehungen zur räumlichen Umwelt

Identitätsarbeit

Herausbildung neuer Routinen und Gewohnheiten an einem neuen Ort

Lebensstilkonzept

Lebensstile als relativ stabile Muster der Alltagsorganisation mit jeweils eigener Hauptlebensverwirklichung

Heimat als Identitäts- und Aktionsraum mit starker Betonung der Sozialbeziehungen

Heimatkonzept

Aktive Aneignung eines Raumes; ihn gestalten und einrichten

Aktionsraum Expat- Insel

HEIMAT AUF ZEIT

Heimat auf Zeit

Abbildung 2: Theoretische Konzeption der Studie

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 3: Überblick über das kulturelle Angebot in Damaskus

Quelle: Ahlein 4/1998

205

Heimat auf Zeit Abbildung 4: Überblick über regelmäßige Aktivitäten im Shell-Club

Quelle: Ahlein 11/1998

206

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 5: Information zum »Progressive Dinner« (private Einladung)

207

Heimat auf Zeit Abbildung 6.1: Damascus Hash House Harriers Hash-Karte (Vorderseite)

208

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 6.2: Damascus Hash House Harriers Hash-Karte (Rückseite)

Quelle: Hash Committee 1998

209

Heimat auf Zeit Abbildung 7: Damascus Hash House Harriers Veranstaltungsprogramm

Quelle: Ahlein 6/1998

210

1 mal pro Woche und mehr 1 mal pro Monat und mehr 1 mal pro Jahr und mehr

Soziale Kontakte Souk, Restaurants Einkaufen, Schule, Kindergarten Expat -Typ typische Ziele

Zuhause

stark ................... schwach

Intensität der Kontakte im Heimatland

stark .......................................... schwach

Intensität der Netzwerk-Beziehungen

Häufigkeit

Aktivitäten

Legende :

Heimatkontakte

Soziales Netz

Aktionsraum Shell Club

Familie Freundeskreis viele Bekannte

Nadine

eng Shellies

andere Shellies

Schule

MEZZE andere Shellies

Suk

Arbeit

Abb. 8a: Nadine (berufsorientiert, Shell, eng)

Anhang III: Karten und Abbildungen

Abbildung 8a: Aktionsraum, soziales Netz und Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen

211

212 Heimatkontakte

Soziales Netz

Aktionsraum

Freundin

Familie feste Freundin

Antonia

deu ihre Firma

Einkaufen

MEZZE

Reiten Tochter

Suk

Restaurants

Abb. 8b: Antonia (familienzentriert, kleine Firma, deu)

Heimatkontakte

Soziales Netz

Aktionsraum Shell Club Cafe Noisette

Einkaufen

Familie Freundeskreis viele Bekannte

Sophie

eng Shellies

eng Botschaft Shellies

Tennisplätze

MEZZE andere Shellies

Suk

Restaurants

Abb. 8c: Sophie (sportbegeistert, Shell, eng)

Heimat auf Zeit

Abbildung 8b&c: Aktionsraum, soziales Netz und Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen

Heimatkontakte

Soziales Netz

Aktionsraum

Familie wenige Bekannte

Heimatkontakte

Freunde/Bekannte

Familie

hol Shellies

Marie

deu Shellies

eng Expats

kl.Firma Miriam Antonia deu

Kiga

Shell Club

Syrer

Shellie

SPARC

Old Mezze

eng Shellies

Soziales Netz

Aktionsraum

Shellie

MEZZE

Syrer

Suk, Altstadt

Conservatoire

Chor

Restaurants sich ergebende Kontakte

sich ergebende Kontakte

Restaurants

Suk

Abb. 8e: Marie (kunstbegeistert, Shell, deu)

Expats

Shell Club

Einkaufen

Schule UN Club

andere expats

MEZZE

Abb. 8d: Miriam (sozialorientiert, kleine Firma, eng)

Anhang III: Karten und Abbildungen

Abbildung 8d&e: Aktionsraum, soziales Netz und Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen

213

214 Heimatkontakte

Soziales Netz

Aktionsraum

sich ergebende Kontakte

Familie

Syrer

Heimat kontakte

Shell Club

Freundeskreis

enge Freundinnen

Familie

Leonore

Shellies

Einkaufen

Hyatt

hol Shellies

Soziales Netz

Aktionsraum

Mt. Kassioun

Expats

Light House

Suk

MEZZE hol Shellies

Suk

Restaurants

Abb. 8g: Leonore (orientierungslos, Shell, hol)

eng Shellies

Shell Club

SPARC

kl.Firma Patricia Antonia deu

expats

MEZZE

Abb. 8f: Patricia (wohltätigkeitsengagiert, Shell, eng)

Heimat auf Zeit

Abbildung 8f&g: Aktionsraum, soziales Netz und Heimatkontakte der verschiedenen Expat-Typen

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 9: Nationalität und Firmenzugehörigkeit als Hauptmerkmale sozialer Kategorien

Nationalität

Firmenzugehörigkeit

Engländer

Shell

Deutsche

Botschaft

Holländer

kleine Firma

9a: Theoretisch denkbare Kategorien

Engländer

Shell

Deutsche

Botschaft

Holländer

kleine Firma

9b: Tatsächlich existierende soziale Gruppen (fett hervorgehoben)

215

Heimat auf Zeit Abbildung 10: Intensität der Sozialkontakte in Abhängigkeit von Nationalität und Firmenzugehörigkeit

Deutsche (deu)

Holländer (hol)

Engländer (eng)

Shell

Botschaften (bot)

Expats eng Expats

Expats

Expats

Shellies

bot Expats

eng Expats

eng Expats

Expats hol Expats

Expats

Shellies

bot Expats

hol Expats

Expats deu Expats

Expats

Expats

Shellies

bot Expats

deu Expats

deu Expats

Intensität der Kontakte

stark ......................................... schwach

216

Firmen mit kleinen Filialen

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 11: »Mental map« von Damaskus (von einer kunstbegeisterten Expat-Frau)

217

Heimat auf Zeit Abbildung 12: Kontakte der Expat-Frauen mit der syrischen Gesellschaft

syrische Gesellschaft

Christen Mischehen mit SyrerInnen expats

expat Insel

Muslime

12a: Theoretisch denkbare Kontakte

218

12b: Beobachtete Kontakte

Anhang III: Karten und Abbildungen Abbildung 13: Faktoren, die bei Expat-Frauen zur Neubestimmung von Heimat beitragen

Heimatland

Expat-Insel

Gastland

soziale Aspekte

Familie Freunde Bekannte (Karriere)

Expat-Freunde

Kontakte zur syrischen Bevölkerung

räumliche Aspekte

Geburtsort Wohnsitz Familie eigenes Haus

Zuhause

Verhältnis zu Mezze/ Damaskus/ Syrien

kulturelle Aspekte

Werte Normen

Expat-Kultur

kulturelle Neugier

Sozialisierung

angestammte Heimat

Neusozialisierung

Qualitäten, die Beheimatung zulassen

Heimat auf Zeit

219

220 14a: Grundmodell

Konstruktion von Heimat auf Zeit in der Expat-Gesellschaft

Festhalten am Heimatland

14b: Theoretisch abgeleitete Grundtypen

Konstruktion von Heimat auf Zeit in der Expat-Gesellschaft

Das ist es, mein Leben

Integrationstyp: Loyalitäten liegen in der Expat-Gemeinschaft

Situationstyp: Teilhaben an zwei Lebenswelten Ich möchte hier nicht weg und da nicht, fühle mich hier wohl und dort auch

Distanztyp: Loyalitäten liegen im Heimatland Für mich ist das Expat-Leben eine Phase, kein Dauerzustand

Festhalten am Heimatland

Situationstyp

sportbegeistert

familienzentriert

wohltätigkeitsengagiert

14c: Theoretisch abgeleitete und empirisch ermittelte Typen

Konstruktion von Heimat auf Zeit in der Expat-Gesellschaft

musikbegeistert

sozial engagiert

Integrationstyp

Distanztyp

orientierungslos

berufsorientiert

Festhalten am Heimatland

Heimat auf Zeit

Abbildung 14: Modell der Rekonstruktion von Heimat bei Expat-Frauen

Weitere Titel zum Thema Backlist Brigitte Holzer,

Alexander Horstmann,

Arthur Vreede,

Günther Schlee (Hg.)

Gabriele Weigt (eds.)

Integration durch

Disability in Different

Verschiedenheit

Cultures

Lokale und globale Formen

Reflections on Local Concepts 1999, 384 Seiten,

interkultureller Kommunikation

kart., 29,80 €,

2001, 408 Seiten,

ISBN: 3-933127-40-8

kart., 24,80 €, ISBN: 3-933127-52-1

Birte Rodenberg Lokale Selbstorganisation

Ayhan Kaya

und globale Vernetzung

"Sicher in Kreuzberg"

Handlungsfelder von Frauen in

Constructing Diasporas:

der Ökologiebewegung Mexikos 1999, 313 Seiten,

Turkish Hip-Hop Youth in Berlin

kart., 21,80 €,

2001, 236 Seiten,

ISBN: 3-933127-48-3

kart., 30,80 €, ISBN: 3-933127-71-8

Urs Peter Ruf Ending Slavery

Udo Göttlich,

Hierarchy, Dependency and

Lothar Mikos,

Gender in Central Mauritania 1999, 436 Seiten,

Rainer Winter (Hg.) Die Werkzeugkiste der

kart., 39,80 €,

Cultural Studies

ISBN: 3-933127-49-1

Perspektiven, Anschlüsse und Interventionen

Thomas Faist (Hg.)

(Cultural Studies 2, hrsg. von

Transstaatliche Räume

Rainer Winter)

Politik, Wirtschaft und Kultur

2001, 348 Seiten,

in und zwischen Deutschland

kart., 25,80 €,

und der Türkei

ISBN: 3-933127-66-1

2000, 430 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-933127-54-8

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Weitere Titel zum Thema Novitäten 2002 Rainer Winter,

Julia Lossau

Lothar Mikos (Hg.)

Die Politik der Verortung

Die Fabrikation des

Eine postkoloniale Reise zu

Populären

einer ANDEREN Geographie

Der John Fiske-Reader

der Welt

(Cultural Studies 1, hrsg. von

April 2002, 228 Seiten,

Rainer Winter)

kart., 25,80 €,

übersetzt von Thomas Hartl

ISBN: 3-933127-83-1

2001, 374 Seiten, kart., 25,80 €,

Anja Peleikis

ISBN: 3-933127-65-3

Lebanese in Motion Gender and the Making of a

Margret Spohn Türkische Männer in

Translocal Village Juni 2002, 250 Seiten,

Deutschland

kart., 29,80 €,

Familie und Identität.

ISBN: 3-933127-45-9

Migranten der ersten Generation erzählen ihre

Sybille Niekisch

Geschichte

Kolonisation und Konsum

Februar 2002, 474 Seiten,

Kulturkonzepte in Ethnologie

kart., 26,90 €,

und Cultural Studies

ISBN: 3-933127-87-4

Juli 2002, 104 Seiten,

Werner Friedrichs,

ISBN: 3-89942-101-9

kart., 13,80 €,

Olaf Sanders (Hg.) Bildung / Transformation

Andreas Ackermann,

Kulturelle und gesellschaftliche

Klaus E. Müller (Hg.)

Umbrüche aus

Patchwork:

bildungstheoretischer

Dimensionen multikultureller

Perspektive

Gesellschaften – Geschichte,

April 2002, 252 Seiten,

Problematik und Chancen

kart., 24,80 €,

Oktober 2002, 300 Seiten,

ISBN: 3-933127-94-7

kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-108-6

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