Auf der Suche nach der biologischen Zeit: Von der Erforschung der circadianen Uhr [1. Aufl.] 9783662615430, 9783662615447

Schlafen, Essen, Arbeit, Sport, ja sogar Sex – vieles findet stets zu denselben Tageszeiten statt. Innere, sogenannte ci

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German Pages XVIII, 201 [213] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVIII
Die Grundbegriffe der Zeitforschung in der Biologie (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 1-16
Wegbereiter und Gipfelstürmer – die Entdeckung des ersten Uhren-Gens (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 17-33
Was Fliegen haben, besitzen wir auch: Die Entdeckung der period-Gene und des clock-Gens bei Mensch und Maus (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 35-50
Der Uhrmacher kommt zum Zug (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 51-70
Circadiane Uhren im Laufe der Evolution (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 71-93
Uhrenkontrollierte Gene: Am Ende entscheidet der lange Arm der Uhr (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 95-110
Anatomie und Netzwerkorganisation im circadianen System (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 111-124
Uhren und Stoffwechsel – zwei Seiten derselben Medaille? (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 125-138
Uhren und Schlaf – nicht das gleiche, aber eng miteinander verbunden (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 139-157
Circadiane Regulation des Immunsystems (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 159-172
Die circadiane Uhr im Ozean: Regulation der Planktonwanderung (Gregor Eichele, Henrik Oster)....Pages 173-187
Back Matter ....Pages 189-201
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Auf der Suche nach der biologischen Zeit: Von der Erforschung der circadianen Uhr [1. Aufl.]
 9783662615430, 9783662615447

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Gregor Eichele Henrik Oster

Auf der Suche nach der biologischen Zeit Von der Erforschung der circadianen Uhr

Auf der Suche nach der biologischen Zeit

Die Zugangsinformationen zum eBook Inside finden Sie am Ende des Buchs.

Gregor Eichele · Henrik Oster

Auf der Suche nach der biologischen Zeit Von der Erforschung der circadianen Uhr

Gregor Eichele Abteilung Gene & Verhalten Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie Göttingen, Deutschland

Henrik Oster Institut für Neurobiologie Universität zu Lübeck Lübeck, Deutschland

ISBN 978-3-662-61543-0 ISBN 978-3-662-61544-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: Merve Evren PhD, Izmir, Türkei Planung/Lektorat: Sarah Koch Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Gewidmet meiner Frau Christina Thaller, eine ebenso leidenschaftliche Wissenschaftlerin (Gregor Eichele) Gewidmet meiner Frau Nadine, die meine wissenschaftlichen Eskapaden stets mit großer Nachsicht begleitet hat (Henrik Oster)

Vorwort

Ein Buch über wissenschaftliche Experimente mit Wissenschaftlern als Hauptdarstellern? Es gibt heute doch Google und Wikipedia, wo man alle Information leicht findet und die Dinge kurz und bündig erklärt bekommt. Ja schon. Doch das berühmte erste Thema des ersten Satzes von Beethovens Fünfter gibt es auch als Klingelton – dennoch wird einem das Wesentliche dieses Meisterwerks so verborgen bleiben. So wie die sprichwörtliche Schwalbe noch keine Sommer macht, machen Schnipsel von Wissen eben noch lange keine Symphonie. Wir haben uns deshalb vorgenommen, Sie auf eine Reise in und durch das Gebiet der biologischen Rhythmen mitzunehmen. Von diesen Rhythmen in Lebewesen gibt es viele; in diesem Buch geht es aber vorrangig um die 24-h-Rhythmen, die ihren Ursprung in der Drehbewegung der Erde haben. Unser Planet rotiert in 24 h einmal um seine eigene Achse. Somit sind wir Menschen, wie auch die meisten anderen Lebewesen, einem rhythmischen Wechsel von Hell und Dunkel, Wärme und Kälte und vielen anderen Änderungen in unserer Umwelt ausgesetzt. Um diese vielfältigen, aber letztlich vorhersehbaren Wechsel zu bewältigen, haben schon die Lebewesen der Urzeit – vor ca. zwei Milliarden Jahren und vermutlich im Ozean – biologische Uhrwerke entwickelt: die „circadianen Uhren“, vom Lateinischen circa diem – ungefähr ein Tag. Die circadianen Uhren sind, etwas barock formuliert, Bindeglieder zwischen dem Leben und einer kosmischen Größe, nämlich der Rotation unseres Planeten. Wenn es also irgendwo im All noch weitere belebte Planeten gibt, müssten die dort Lebenden wahrscheinlich auch solche Uhren besitzen. VII

VIII      Vorwort

Dieses Buch ist in zwei miteinander verwobenen Teilen organisiert. In den ersten Kapiteln geht es darum, wie die circadianen Uhrwerke überhaupt entdeckt wurden, und um die Frage, wie es Zellen fertigbringen, Erdumdrehung und biologische Vorgänge zu koppeln. Das herauszufinden war eine wissenschaftliche Meisterleistung und hat fast 300 Jahre gedauert. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es aber eine Folge fundamentaler Entdeckungen, die zusammen eine Art goldenes Zeitalter der Erforschung der circadianen Rhythmik ausmachen. Wir gehen daher tiefer auf diese Epoche ein: Wir legen nicht nur die damaligen Ergebnisse dar, sondern schauen auch den Entdeckern über die Schulter und in die Herzen. Was hat sie motiviert? Wie haben sie dieses Neuland betreten? Wieso konnten sie überhaupt Fortschritte erringen? Ein wichtiger Grund: In goldenen Zeitalter standen die verschiedenen Forscherteams in starkem Wettbewerb. Fundamentale Erkenntnisse wurden oft von zwei Teams beinahe gleichzeitig gemacht. Solche Konkurrenz ist eine treibende Kraft in der Forschung. Sie bringt zudem ganz nebenbei den Vorteil mit, dass sich wichtige Erkenntnisse gegenseitig bestätigen. Eine weitere treibende Kraft des goldenen Zeitalters war, dass neue Techniken der Genmodifikation aufkamen, die die Zeitforscher gierig aufgriffen. Im zweiten Teil des Buches führen wir das goldene Zeitalter in die Gegenwart. Wir beschreiben wichtige physiologische Konsequenzen und praktische Anwendungen der im ersten Teil dargelegten Erkenntnisse. Ganz zentral ist, dass praktisch alle Zellen und Gewebe circadiane Uhren besitzen. Das wirkt sich unmittelbare auf die Funktion dieser Zellen und die Gewebe und Organe aus, die sie bilden: Die zellulären Uhren steuern Hunderte, manchmal Tausende von Genen in ihrer Aktivität. Damit sitzen die Uhren also am zentralen Steuerpult des Organismus. Zum Beispiel organisieren circadiane Uhren mittels Genaktivierung den Stoffwechsel von Leber und Fettgewebe oder die Hormonausschüttung der Bauchspeicheldrüse. Uhren im Gehirn geben den Takt des Schlaf-Wach-Rhythmus‘ vor. Auch auf das Immunsystem nimmt die circadiane Uhr wichtigen Einfluss. Im zweiten Teil des Buches führen wir das goldene Zeitalter in die Gegenwart. Wir beschreiben wichtige physiologische Konsequenzen und praktische Anwendungen der im ersten Teil dargelegten Erkenntnisse. Ganz zentral ist, dass praktisch alle Zellen und Gewebe circadiane Uhren besitzen. Das wirkt sich unmittelbare auf die Funktion dieser Zellen und die Gewebe und Organe aus, die sie bilden: Die zellulären Uhren steuern Hunderte, manchmal Tausende von Genen in ihrer Aktivität. Damit sitzen die Uhren also am zentralen Steuerpult des Organismus. Zum Beispiel organisieren

Vorwort     IX

circadiane Uhren mittels Genaktivierung den Stoffwechsel von Leber und Fettgewebe oder die Hormonausschüttung der Bauchspeicheldrüse. Uhren im Gehirn geben den Takt des Schlaf-Wach-Rhythmus‘ vor. Auch auf das Immunsystem nimmt die circadiane Uhr wichtigen Einfluss. Natürlich hätte dieses Buch noch viel umfassender werden können. Aber wir wollten kein universales Nachschlagewerk abfassen. Vielmehr möchten wir Ihnen als Leser die wichtigsten Facetten des Themas vorstellen und ein Grundwissen über die circadianen Rhythmen und ihre Erforschung mitgeben. Als Wissenschaftler liegt es uns am Herzen, Sie mit in den Erkenntnisprozess einzubinden. Das ist gelegentlich herausfordernd. Hier und dort werden unsere Texte, Diagramme und Abbildungen Ihnen ein gewisses Mitdenken abverlangen: Wir wollen in einem Sachbuch auch die Sprache und Denkweise der modernen Wissenschaft verwenden und nicht bloß mit Verbildlichungen arbeiten. Denn wir betrachten Sie, unsere Leser, als mündige Partner und wollen den Entdeckern und Entdeckerinnen Respekt für ihre Arbeit zollen. „Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.“ Dieser Grundsatz von Albert Einstein ist auch unser Maßstab. Gregor Eichele Henrik Oster

Dankeschön

Das Manuskript schon – aber nicht das Buch als Ganzes – ist allein unser Werk. „Auf der Suche nach der biologischen Zeit“, kurz die „Suche“, hat einladende Gestalt angenommen, weil viele ihr Wissen, ihren Rat und ihre Erfahrung eingebracht haben. Gemeinsam bedanken wir uns bei den Mitarbeitern von Springer Nature. Barbara Lühker, Frank Wigger und Sarah Koch haben die Entstehung des Buches enthusiastisch begleitet. Als effiziente und fachkompetente Lektorin hat Cornelia Reichert die „Suche“ sprachlich veredelt und nach fachchinesischen Passagen durchforstet, um diese dann in verständlichen Text umzuwandeln. Die meisten unserer Graphiken haben Claus-Peter Adam und alsdann Hartmut Sebesse gestaltet. Sie arbeiten beim Medien-Service des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie. Großer Dank geht auch an Stefanie Teichmann, Dorothea Brennecke und Chaoqun Jiang für die Hilfe bei allen organisatorischen Aspekten der Manuskripterstellung und beim Einholen der Abbildungsrechte. Ich, Gregor Eichele, habe meine Faszination für circadiane Uhren spät entdeckt. Mein Verstehen dieser Uhren verdanke ich den mannigfaltigen Arbeiten der vielen Doktoranden und Postdoktoranden, die in meiner Gruppe geforscht haben. Diese und die großzügige finanzielle Unterstützung durch die Max-Planck-Gesellschaft haben vieles erst möglich gemacht. Bei einem von außen kommenden Akteur wie mir musste dem Schreiben der „Suche“ ein Lesen von allerlei klassischen und neueren Arbeiten zu diesem Forschungsgebiet vorausgehen. Bernhard Reuse hat mir die klassischen Arbeiten besorgt. Mein Lesen und Recherchieren ergänzend und bereichernd waren viele kürzere und längere Dialoge mit einem XI

XII      Dankeschön

Spektrum von Fachleuten, darunter Jay Dunlap, Rüdiger Hardeland, Bert van der Horst, Herbert Jäckle, Bettina Meyer, Michael Rosbash, Joseph Takahashi, und Annegret Wilde. Für diese Zwiegespräche möchte ich mich bedanken, sie haben mir geholfen, die historischen Zusammenhänge des Fortschrittes im Verstehen der circadianen Uhren zu sehen. Ich, Henrik Oster, erinnere mich noch recht genau an meine erste Begegnung mit der circadianen Uhr im Jahr 1999. Ich war damals Diplomand am Zentrum Biochemie der Medizinischen Hochschule Hannover. Urs Albrecht hielt in unserem Institutsseminar einen Vortrag über seine Arbeiten zum period-Gen, die er mit Gregor Eichele (!) in Houston durchgeführt hatte. Diese Begegnung veränderte mein Leben. Nur wenige Wochen später startete ich meine Doktorarbeit im Albrecht-Labor am Max-Planck-Institut in Hannover, wo ich dann auch meinen Koautoren zum ersten Mal in persona traf. Beide sind mir stets große Vorbilder und Förderer geblieben. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Meine Faszination für die circadianen Uhren unseres Körpers wird immer wieder aufs Neue inspiriert durch die engagierten Mitarbeiter und Studenten des Instituts für Neurobiologie. Ich danke Euch für die spannende Zusammenarbeit an unserem gemeinsamen Hobby „Innere Uhr“. Für das Schreiben der „Suche“ habe ich mit vielen Kollegen gesprochen, um Ansichten, Erkenntnisse wie auch Anekdoten auszutauschen, von denen viele in dieses Buch eingegangen sind. Besonderer Dank gilt John Hogenesch, Joe Bass und Paul Franken für die ausgiebigen Gespräche zu ihren Forschungen. Ich danke der Universität zu Lübeck für die Förderung und die Zeit, die sie mir zum Schreiben dieses Buches eingeräumt hat. Mein besonderer Dank gilt zudem der Volkswagenstiftung, die mich seit vielen Jahren finanziell wie auch ideell unterstützt und fördert.

Inhaltsverzeichnis

1

Die Grundbegriffe der Zeitforschung in der Biologie 1 1.1 Mit Dr. Google gegen den Jetlag 1 1.2 Der Werkzeugkasten der Chronobiologie 5 1.3 Das Aktogramm 7 1.4 Entrainment und Dämpfung 9 1.5 Praktische Auswirkungen 11 1.6 Biologische Prozesse verstehen – was heißt das eigentlich? 13 1.7 Zusammenfassung 14 Literatur 15

2

Wegbereiter und Gipfelstürmer – die Entdeckung des ersten Uhren-Gens 17 2.1 Die circadiane Uhr ist genetisch bedingt 17 2.2 Die Entdeckung von period, einem Schlüssel-Gen der circadianen Uhr 18 2.3 Die Kartierung der period-Mutation 23 2.4 Die Bedeutung der Pionierarbeit von Konopka und Benzer 25 2.5 Die molekulare Charakterisierung des period-Gens bei Drosophila 26 2.6 Das Period-Protein 30 2.7 Zusammenfassung 31 Literatur 32 XIII

XIV      Inhaltsverzeichnis

3

Was Fliegen haben, besitzen wir auch: Die Entdeckung der period-Gene und des clock-Gens bei Mensch und Maus 35 3.1 period-Gene gibt es auch bei Säugetieren 35 3.2 Das Verhalten von period-Mutanten der Maus 41 3.3 Die Entdeckung von clock – ein großer Schritt nach vorne 44 3.4 Das clock-Gen ausfindig machen 47 3.5 Zusammenfassung 49 Literatur 50

4

Der Uhrmacher kommt zum Zug 51 4.1 Ein epochales Experiment 51 4.2 Clock sucht einen Partner 55 4.3 Clock und Bmal1 bilden ein Aktivatorpaar 57 4.4 Bmal1 wird für die Funktion der circadianen Uhr gebraucht 58 4.5 Das circadiane Uhrwerk wird zusammengebaut 60 4.6 Timeless 62 4.7 Der circadiane Schrittmacher: ein Tanz der Gene und Proteine 64 4.8 Licht und period 65 4.9 Zusammenfassung 68 Literatur 69

5

Circadiane Uhren im Laufe der Evolution 71 5.1 Eine uralte circadiane Uhr bei Cyanobakterien 71 5.2 Der circadiane Schrittmacher der Cyanobakterien ist revolutionär 74 5.3 Der circadiane Schrittmacher als molekulare Proteinmaschine 78 5.4 Ohne Transkription geht nichts 81 5.5 Der Ursprung von KaiC 82 5.6 Auch Schimmel hat eine circadiane Uhr 83 5.7 Das frequency-Gen 86 5.8 Der Uhrmacher setzt den circadianen Schrittmacher von Neurospora zusammen 88 5.9 Zusammenfassung 90 Literatur 91

Inhaltsverzeichnis     XV

6

Uhrenkontrollierte Gene: Am Ende entscheidet der lange Arm der Uhr 95 6.1 Wie der Zusammenbruch der UdSSR die Chronobiologie beflügelte 95 6.2 Von Gen-Rhythmen zur Chronotherapie 100 6.3 In vitro ist nicht gleich in vivo 103 6.4 Das Chronom – was bringt uns das? 107 6.5 Zusammenfassung 108 Literatur 109

7

Anatomie und Netzwerkorganisation im circadianen System 111 7.1 Der SCN als Schrittmacher des circadianen Systems 111 7.2 Wohin man auch schaut, überall Uhren! 116 7.3 Ein gekoppeltes Netzwerk zellulärer Uhren 119 7.4 Zusammenfassung 122 Literatur 123

8

Uhren und Stoffwechsel – zwei Seiten derselben Medaille? 125 8.1 Uhr kaputt – na und? 125 8.2 (Über-)Leben ohne Zeitgefühl 127 8.3 Dicke Mäuse weisen den Weg 128 8.4 Man ist, was man isst – wie Nahrung unsere Uhren verstellt 134 8.5 Zusammenfassung 136 Literatur 137

9

Uhren und Schlaf – nicht das gleiche, aber eng miteinander verbunden 139 9.1 Warum müssen wir überhaupt schlafen? 139 9.2 Schlafanatomie und Regelkreise 144 9.3 Die Uhr bestimmt den Schlaf – nicht nur wann, sondern auch wie? 147 9.4 Schlaf und Licht 151 9.5 Schlaf und Lernen 153 9.6 Zusammenfassung 155 Literatur 156

10 Circadiane Regulation des Immunsystems 159 10.1 Gibt es eine richtige Zeit zum Impfen? 159 10.2 Mechanismen der Uhrensteuerung im Immunsystem 162

XVI      Inhaltsverzeichnis

10.3 Uhrensteuerung der adaptiven Immunität 165 10.4 Mikrobielle Regulation der circadianen Immunität 168 10.5 Synchronisation der Immunuhren 170 10.6 Zusammenfassung 170 Literatur 171 11 Die circadiane Uhr im Ozean: Regulation der Planktonwanderung 173 11.1 Tagesrhythmische aquatischer Lebewesen 173 11.2 Pionierarbeiten 175 11.3 Ist die Flucht vor dem Licht die Ursache der Vertikalwanderung? 177 11.4 Treiben Stoffwechselrhythmen die Vertikalwanderung? 181 11.5 Die Verknüpfung mit der circadianen Uhr 182 11.6 Die molekulare Uhr 183 11.7 Ausblick 185 11.8 Zusammenfassung 186 Literatur 186 Nachwort 189 Stichwortverzeichnis 193

Über die Autoren

Gregor Eichele studierte an der Universität Basel (Schweiz) Chemie und promovierte 1980. Bei einem Forschungsaufenthalt in San Francisco (USA) erlag er der Faszination der Embryonalentwicklung. Diesem Thema blieb er lange eng verbunden als Professor an Harvard und dann am texanischen Baylor College of Medicine in Houston. Ein glücklicher Zufall, die Entdeckung des Uhren-Gens period, zog Eichele in den Bann der circadianen Rhythmen, also dem Inhalt der „Suche nach der biologischen Zeit“. Nach beinahe 20 Jahren in den USA, wurde Eichele 2000 als Direktor in die Max-Planck-Gesellschaft berufen. Am ­Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen arbeitet er seit 2006. Als Jugend-forschtPreisträger gab Eichele während seines Studiums Vorträge zu biologischen Fragen beim Schweizer Radio. Heute engagiert er sich beim Göttinger Literaturherbst und spricht zu allgemein interessiertem Publikum und mit Journalisten über innere Uhren. Dabei diskutiert er auch die Vor- und Nachteile der saisonalen Zeitumstellung. Bei ARD-alpha erklärt er, welche Ströme und Stürme im Gehirn wüten. 2018 hielt er die Robert Mayer Lecture am Science Center der experimenta in Heilbronn. XVII

XVIII      Über die Autoren

Henrik Oster, geb. am 23.4.1973 in Trier, ist Direktor des Instituts für Neurobiologie an der Universität zu Lübeck. Er studierte Biochemie an der Leibniz-Universität Hannover und promovierte zum Thema „Innere Uhren“ bei Urs Albrecht an der Universität Fribourg, Schweiz. Nach Forschungsaufenthalten in Hannover und Oxford ging er als Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter ans MaxPlanck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen. 2011 erhielt er eine L ­ichtenbergProfessur der Volkswagenstiftung und wurde 2018 der erste Lichtenberg Endowed Chair Deutschlands. In seiner Forschung interessiert er sich insbesondere für die Rolle der circadianen Uhr in der Regulation von Energiestoffwechsel und Stressreaktion mit einem Fokus auf hormonelle Signalwege – in der Maus und beim Menschen.

1 Die Grundbegriffe der Zeitforschung in der Biologie

1.1 Mit Dr. Google gegen den Jetlag Wenn man den Begriff „Jetlag“ googelt, dann erscheinen derzeit fast 20 Mio. Treffer! Darunter sind vor allem allerlei Tipps, wie man am besten dagegen ankämpft. Und es gibt auch viele Anekdoten zum Thema. Da schreibt z. B. jemand, dass er von Los Angeles aus nach Paris geflogen sei, um an einem wichtigen Arbeitstreffen teilzunehmen. Am Tag der Ankunft schaut sich der Mann die Stadt an, und im Hotelzimmer arbeitet er ein wenig. Er legt sich zeitig zu Bett, damit er ausgeruht am Geschäftstreffen um 9 Uhr früh teilnehmen konnte. Es klopft an der Tür, und das Zimmerpersonal teilt dem Gast mit, dass er das Auschecken verpasst habe; es sei ja schon 12:30 Uhr. Was für ein Schock! Wecker überhört, Aufwachanruf verpasst – und den Geschäftstermin verschlafen! Die ganze Reise war für die Katz. Und noch eine Geschichte: Eine Dame macht aus Vergnügen zwischen dem 25. und 31. Dezember eine Rundreise von Buenos Aires über London, Tokyo und Chicago zurück nach Buenos Aires. Sie brüstet sich damit, dass sie während der Flüge Champagner getrunken und gut gegessen und höchstens einige kurze Nickerchen gehalten habe. Trotzdem sei sie bei der Ankunft in Buenos Aires topfit gewesen und habe die Neujahrsnacht durchgefeiert. Zwei Reisende, ganz unterschiedliche Erfahrungen! An der Flugdauer kann es nicht gelegen haben, denn Passagierin 2 ist insgesamt viel länger geflogen als Passagier 1. Beide sind wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt – also gibt es auch da kein Unterschied. Vielleicht liegt es an der © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_1

1

2     G. Eichele und H. Oster

Natur des Anlasses: dröger Termin in Paris versus fröhliches Feiern in Südamerika. Da steckt ein wenig Wahrheit dahinter, aber der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Reisen liegt anderswo. Der erste Reisende sollte an einem Treffen um 9 Uhr früh teilnehmen. „Innerlich“ ist der Mann aber noch in Los Angeles, und dort ist es gerade einmal Mitternacht, also eine Zeit, zu der er normalerweise schläft. Bei der Weltumfliegerin aus Buenos Aires ist das anders. Sie tritt ihre Herausforderung, das Durchfeiern der Neujahrsnacht, in Buenos Aires, am Abflugort, an. Der ist aber zugleich auch das Ziel. Daher befindet sie sich „innerlich“ an Silvester weitgehend genau dort, wo sie abgereist war. Die Vorstellung „innerlich“ in Los Angeles oder Buenos Aires verortet zu sein, ist allerdings wissenschaftlich unpräzise. Wir wollen damit ausdrücken, dass Körper und Geist sich auf die Lokalzeit einstellen, in der wir leben. Jemand aus Los Angeles hat eine andere Lokalzeit als ein Berliner. Wenn man entlang Breitengraden reist, dann nimmt man seine „innere“ Lokalzeit mit, und es dauert eben eine Weile, bis Körper und Geist die Lokalzeit am Zielort übernommen haben. Das Reprogrammieren während dieser Übergangsphase nennt sich dann Jetlag. Die Betrachtungsweise, dass man seine Lokalzeit in sich trägt, ist durch umfassende wissenschaftliche Literatur belegt. Die Forscher, die die dafür verantwortlichen biologischen Rhythmen untersuchen, heißen Chronobiologen. Ihr Metier ist die wissenschaftliche Beschreibung unterschiedlicher Rhythmen und das Entschlüsseln der zugrundeliegenden genetischen und molekularen Mechanismen. Nehmen wir einmal die Zeit des Einschlafens und Aufwachens. Bei vielen Menschen sind beide ziemlich fix. Wer nicht unter Schlafstörungen leidet, erwacht jeden Tag ziemlich genau zur gleichen Zeit. Das trifft z. B. auch für unsere Haustiere zu. Dieser Gleichtakt lässt sich auch bei vielen Substanzen im Urin und im Blut beobachten. Schauen wir uns in Abb. 1.1 die tageszeitlichen Schwankungen von Urinmetaboliten und der Rektaltemperatur an. Wie der Physiologe Jürgen Aschoff und seine Mitarbeiter herausfanden, sind diese Schwankungen sehr regelmäßig – und zwar über Tage und Wochen hinweg. Ein anders Beispiel für diese Regelmäßigkeit zeigt Abb. 1.2. Die Franzosen Selmaoui und Touitou (2003) bestimmten hier die tageszeitliche Änderung der Konzentration von zwei Hormonen im menschlichen Serum, Cortisol und Melatonin. Die Konzentration von Melatonin, einem Schlafhormon, ist erwartungsgemäß hoch in der späten Nacht und die des Cortisols ist gegenläufig mit höheren Werten am Tag, weil es Stoffwechselvorgänge aktiviert. So zeigen Dutzende von Substanzen und physiologischen Vorgängen wie

1  Die Grundbegriffe der Zeitforschung in der Biologie     3

Abb. 1.1  Rhythmik der Ausscheidung verschiedener Substanzen im Urin. Schwarze Linie: Messwerte gemittelt über sechs Versuchspersonen; die Standardabweichungen zwischen den Werten der einzelnen Probanden sind punktiert gezeichnet. Die Werte wurden über vier Tage alle drei Stunden erfasst. a–d Profile von Dopamin, Catecholaminen, deren Abbauprodukt Vanillinmandelsäure und von 17-Hydroxycorticosteroiden (17-OHCS). e Die tageszeitliche Schwankung der Rektaltemperatur. Der Wechsel zwischen Tag (16 h, weiß) und Nacht (8 h, grau) ist angezeigt. (Aus Wisser et al. 1973, S. 244; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 1973. All Rights Reserved)

4     G. Eichele und H. Oster

Abb. 1.2  Rhythmik der Serumkonzentration von a Melatonin und b Cortisol, gemessen über einen Tag bei drei Personen an drei durch mehrere Wochen voneinander getrennten Tagen. Die Tageszeit der Blutentnahme ist auf der x-Achse angezeigt. Das Licht war jeweils von 8 bis 23 Uhr eingeschaltet. In der Grafik repräsentieren offene Kreise die Mittelwerte der drei Probanden am ersten Versuchstag. Gefüllte Kreise und Dreiecke zeigen die gemittelten Konzentrationen am zweiten bzw. dritten Versuchstag. (Aus Selmaoui and Touitou 2003, S. 3342; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2003. All Rights Reserved)

visuelle Aufmerksamkeit, Muskelstärke, Energiestoffwechsel, Geweberegeneration und sogar Kopfrechnen zu jeweils bestimmten Tageszeiten ihr Maximum. Es macht ja keinen Sinn, gleichzeitig viel Cortisol und viel Melatonin im Blut zu haben, schließlich wirken beide entgegengesetzt. Also muss es irgendwo in uns eine Uhr geben, die alle diese physiologischen Rhythmen koordiniert und über den Tag sinnvoll verteilt. Dieses Uhrwerk ist die sog. circadiane Uhr (circa dies, lat. ungefähr ein Tag). Getaktet wird sie vom Hell-Dunkel-Rhythmus am Ort, an dem wir leben. Wenn wir mit dem Jet an einen weit entfernten Ort reisen, müssen alle diese Rhythmen der neuen Lokalzeit angepasst werden. Das dauert ein paar Tage und nennt sich Jetlag.

1  Die Grundbegriffe der Zeitforschung in der Biologie     5

1.2 Der Werkzeugkasten der Chronobiologie Eigentlich ist die Chronobiologie eine recht junge Wissenschaft. Zwar war lange bekannt, dass viele Phänomene in der Natur täglichen Rhythmen unterliegen. Um diese jedoch verlässlich zu analysieren, benötigte man erst einmal die passenden Hilfsmittel. Man musste das Ausmaß (Amplitude, Abb. 1.3) der Rhythmen messen können und brauchte auch genaue Uhren, um den Fortlauf der Rhythmen über Tage und Wochen zu erfassen. Zur Auswertung der dabei anfallenden langen Messreihen mussten Mathematiker zudem neuartige Formeln entwickeln. Dabei sind Tagesrhythmen, und vor allem darum geht es in diesem Buch, noch relativ leicht zu beschreiben. Allerdings treten bei langandauernden Messungen auch immer Ungenauigkeiten auf – man spricht hier vom Rauschen. Nehmen wir z. B. den Blutdruck. Mit der Erfindung der Blutdruckmanschette und der standardisierten Bestimmung des Blutdrucks nach Riva-Rocci war es prinzipiell leicht möglich, die Tagesrhythmik des

Abb. 1.3  Genaue Messungen und Auswertungen bringen Erkenntnisse. a Mittlerer Blutdruck bei einer Ratte vor und während der Verabreichung einer Substanz. b Eine durch die Schar der Messpunkte gezogene Sinuskurve (rot) erlaubt, Änderungen in der Rhythmik mengenmäßig zu bestimmen. Das Medikament führt zu einer geringeren Amplitude der Tagesrhythmik (A1 ist größer als A2) und zur Absenkung des Mittelwerts (horizontale blaue Linien). (Modifiziert nach Visser et al. 2006, S. 15; mit freundlicher Genehmigung von © American Society for Pharmacology and Experimental Therapeutics 2006. All Rights Reserved)

6     G. Eichele und H. Oster

Blutdrucks zu erforschen. Abb. 1.3a zeigt den Blutdruckverlauf bei einer Ratte vor (linke Hälfte) und während (rechte Hälfte) der Gabe einer blutdrucksenkenden Substanz Z. Obwohl hier recht genau gemessen wurde, ist es auf den ersten Blick schwer zu sagen, ob der Blutdruck des Tiers überhaupt einen Tagesrhythmus hat und ob dieser Rhythmus sich unter Medikamentengabe verändert. Die Antwort ist beide Male: ja. Die Schwierigkeit liegt vor allem daran, dass die einzelnen Datenpunkte stark schwanken. Die Messung ist verrauscht. Es sind also zusätzliche Schritte zu gehen, um mögliche Rhythmen entdecken und charakterisieren zu können. In diesem Fall hier bietet sich eine Annäherung in Form einer Sinuskurve an. Passt man diese so an, dass die Abstände zwischen ihr und den tatsächlichen Messwerten möglichst gering sind, ergibt sich die rote, gestrichelte Kurve (Abb. 1.3b). Aus dieser nun stark vereinfachten Verlaufskurve lassen sich jetzt Werte für den Rhythmus vor und während der Medikamentengabe ableiten. Es zeigt sich, dass das Medikament die Amplitude (vergleiche A1 mit A2 in Abb. 1.3b), um ca. 10 mmHg verringert (10 mmHg entsprechen 1330 Pa). Zudem sinkt der Mittelwert, also der Wert, um den die Sinuskurve im Tagesverlauf schwankt (horizontale Linien in Abb. 1.3b), um ca. 5 mmHg. Eine vom Medikament bewirkte Phasenverschiebung des Rhythmus oder sogar eine Veränderung in der 24-h-Rhythmik selbst lässt sich aus dieser einen Messung allerdings nicht ableiten. Je länger und genauer Messungen eines rhythmischen Vorgangs sind, desto genauer kann man die zugrundeliegenden Rhythmen bestimmen. Mit modernen, tragbaren Messgeräten wie z. B. Smartwatches lassen sich solche Daten ohne große Beeinträchtigung über Monate oder sogar Jahre aufzeichnen. Hier eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Forschung und medizinische Diagnostik. Gewiss birgt diese präzise und umfassende Vermessung der Physiologie einer Person aber auch das Risiko des Datenmissbrauchs. Ein klassischer Ansatz der Chronobiologie ist, die Bewegungsaktivität von Nagetieren mithilfe eines Laufrads zu messen. Dies kann man in einem sog. Aktogramm zusammenfassen (Abschn. 1.3), an dem sich die wichtigsten Eigenschaften der Bewegungsrhythmik ablesen lassen (Abb. 1.4). Auch Kaninchen, Streifenhörnchen oder gar Küchenschaben und Silberfischchen können im Laufrad untersucht werden. Die Bewegungsaktivität von Drosophila (Fruchtfliegen) erfasst man dagegen mit Lichtschranken (Abb. 2.2). Zudem gibt es passive Infrarotmelder für Mäuse, Insekten oder am Körper getragene Akzelerometer für Großtiere oder auch für Menschen. Diese Aktivitätsmessungen belasten das Tier nicht oder allenfalls minimal und es lassen sich die wichtigsten Charakteristika der circadianen Rhythmik eines Lebewesens bestimmen.

1  Die Grundbegriffe der Zeitforschung in der Biologie     7

Abb. 1.4  Doppelplot-Aktogramm einer Maus im Laufrad. Der 12-h-Licht:12-hDunkel-Wechsel (LD) ist mit weißem (L) bzw. grauem Hintergrund (D) angezeigt. Ab Tag 10 wurde das Tier in konstanter Dunkelheit (DD) gehalten. Abk. Aktivitätsphase (α), Ruhephase (ρ) Phasenverschiebung (Δφ)Periodenlänge (τ)

1.3 Das Aktogramm Das in Abb. 1.4 dargestellte Aktogramm illustriert die Bewegungsaktivität einer individuellen Maus in einem Laufrad. Auf der x-Achse ist die Tageszeit aufgetragen, und die y-Achse zeigt den Versuchstag. Hier wurde die Aktivität immer für eine Zeitspanne von jeweils fünf Minuten aufgezeichnet und dann als unterschiedlich langer senkrechter Balken an der entsprechenden Stelle aufgetragen (Jud et al. 2006). Bei dem in Abb. 1.4 gezeigten Aktogramm sind in jeder Zeile jeweils zwei aufeinanderfolgende Tage dargestellt, und die Daten vom zweiten Tag wurden auf der linken Seite der nächsten Zeile noch einmal aufgetragen. Diese Darstellung verdeutlicht den fortlaufenden Wechsel von Tag und Nacht und von Aktivitätsphase-(α) und Ruhephase (ρ) über die Tagesgrenze hinaus. Im oberen Teil des Aktogramms (Tag 1 bis 10) wurde die Maus in einem Lichtrhythmus von 12 h Licht gefolgt von 12 h Dunkelheit (LD) gehalten. Die Dunkelphase ist grau hinterlegt. Die Maus als nachtaktives Tier nutzt das Laufrad vor allem bei Dunkelheit. Zu beachten ist, dass die Aktivität kurz vor dem Beginn der Dunkelphase einsetzt (Phasenverschiebung Δφ im Diagramm). Die innere Uhr der Maus erwartet – der Fachausdruck ist antizipiert – das bevorstehende Ausschalten des Lichtes: Das Tier wird unbewusst schon etwas früher aktiv. Δφ hängt von der circadianen Uhr der einzelnen Maus sowie der Stärke des Lichts in der Hellphase ab. Im zweiten Teil des Versuchs (Tag 11 bis 20) wurde das Licht komplett ausgeschaltet; die Maus befindet sich in konstanter Dunkelheit

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(DD). In Abwesenheit von äußeren Zeitsignalen folgt sie nun dem von ihrer circadianen Uhr vorgegebenen Rhythmus, der in diesem Falle eine Periodenlänge (τ) von circa 23,5 h hat. So verschiebt sich der Aktivitätsrhythmus von Tag zu Tag immer mehr gegen die äußere Uhrzeit. Diesen Zustand nennt man Freilauf. Die innere Uhr arbeitet dabei sehr präzise. So lässt sich der Beginn der Aktivitätsphase (gestrichelte Linie) anhand eines solchen Aktogramms mit einer Genauigkeit von wenigen Minuten voraussagen. Die Maus durchlebt trotz fehlendem äußeren Zeitsignal einen normalen, jedoch leicht verkürzten Tagesrhythmus. Man spricht deshalb vom subjektiven Tag (die Ruhephase bei der Maus) und der subjektiven Nacht (die Aktivitätsphase). Bei Menschen (und Fruchtfliegen) konzentriert sich die Bewegungsaktivität dagegen auf den subjektiven Tag. Aus diesem einfachen Laufradexperiment lassen sich bereits drei wichtige Eigenschaften der circadianen Rhythmik ablesen: Phasenlage, Periodenlänge, und entrainment (wörtl. Übersetzung: „Einübung“). Die Phasenlage beschreibt die zeitliche Position eines Rhythmus relativ zu einem anderen, also z. B. der Beginn der Laufradaktivität relativ zum Beginn der Dunkelphase. Frühaufsteher unter den Mäusen beginnen mit der Laufradnutzung deutlich vor Einbruch der Dunkelheit. Ihre innere Uhr hat eine frühe Phasenlage. Bestimmte Faktoren können die Phasenlage der inneren Uhr beeinflussen. Dazu zählen z. B. Stress, Schlafentzug oder auch zahlreiche Erkrankungen. Die Periodenlänge ist das Zeitintervall, mit dem sich eine Rhythmik wiederholt. Im Fall der circadianen Rhythmik liegt die Periodenlänge per Definition in einem Bereich zwischen 20 und 28 h. Schnellere Rhythmen werden als ultradian, langsamere als infradian bezeichnet. Viele solche schnellen und langsamen Rhythmen sind in der Biologie beschrieben worden, von Oszillationen der Calciumionen-Konzentration in Nervenzellen bis hin zum Vogelzug. Allerdings konnte bis dato nur für die circadiane Rhythmik ein molekularer Mechanismus der internen Zeitmessung beschrieben werden. Das ist zum Teil Zufall, liegt aber zum anderen auch daran, dass Tagesrhythmen technisch vergleichbar leicht erfassbar sind. Wenn man als Durchschnittsdauer für eine naturwissenschaftliche Promotion vier Jahre ansetzt, kann man daher einem aufstrebenden, jungen Wissenschaftler nur davon abraten, sich mit den molekularen Grundlagen der Populationsrhythmen der Gattung Magicicada zu beschäftigen: Diese „magische Grille“ taucht nämlich nur alle 13 oder 17 Jahre – je nach Art – überhaupt auf. Sie erscheint quasi wie durch Magie. Die Tiere verpaaren sich, und es dauert dann wieder 13 bzw. 17 Jahre, bis die neue Grillengeneration aus der Puppe schlüpft. Da sind kurze Rhythmen

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experimentell weitaus greifbarer, und als Konsequenz wissen wir leider immer noch herzlich wenig über die Grillenuhren. Um die Rhythmik der inneren Uhr unabhängig von äußeren Faktoren zu analysieren, studiert man Tiere oder auch Menschen unter sog. Freilaufbedingungen, d. h. in konstanter Umgebung. Mäuse als nachtaktive Tiere bevorzugen dabei die Dunkelheit, während Pflanzen das Licht zum Überleben brauchen und deren Freilauf deshalb in konstantem Licht bestimmt wird. Dabei wird nicht nur der Lichtzyklus, sondern möglichst auch alle anderen Umweltbedingungen konstant gehalten. Man denke z. B. an Temperatur, Geräusche oder auch die Verfügbarkeit von Nahrung. Im circadianen Humanlabor verbringen die Probanden einige Tage in halbsitzender Haltung unter gedämpften Lichtbedingungen im Bett. Sie dürfen nur langweilige Bücher lesen oder Filme schauen und erhalten in Abständen von wenigen Stunden kleine, kalorisch identische Mahlzeiten. Dieses Experiment nennt sich entsprechend auch constant routine – „konstante Routine“. Auch unter solchen Bedingungen bleiben viele Körperrhythmen erhalten (z. B. Temperatur, Hormone oder die Urinausscheidung), ähnlich wie Abb. 1.1 und 1.2 gezeigt. Unter solchen Freilaufbedingungen ist die Periode τ individuell unterschiedlich und liegt in der Regel nur ungefähr bei 24 h. Die meisten Menschen besitzen eine etwas langsamere innere Uhr mit einer Periodenlänge zwischen 24,5 und 25 h. Es wurden im Labor aber auch schon Rhythmen von 28 bis 30 h gemessen. Mäuse dagegen besitzen eine etwas schnellere Uhr. Sie schwingt mit einem τ von ca. 23,5 h.

1.4  Entrainment und Dämpfung Das Prinzip des entrainments lässt sich besonders anschaulich beim Jetlag beobachten. Wenn wir z. B. für eine Urlaubsreise mit dem Flugzeug mehrere Zeitzonen überqueren, stimmt unsere innere Uhr, also unsere subjektive Zeit, am Zielort nicht mehr mit der physikalischen Lokalzeit überein (Abschn. 1.1). Wir sind mitten am Tag müde, und nachts können wir nicht gut ein- oder durchschlafen. Nach ein paar Tagen legt sich das; unsere innere Zeit hat sich an den Tag-Nacht-Rhythmus vor Ort angepasst, und wir haben den Jetlag überwunden. Dieser synchronisierte Zustand hält an, unsere Uhr ist eintrainiert, und wir fallen nicht irgendwann wieder auf die Zeit des Abflugortes zurück. Leider, muss man vielleicht sagen, denn nach der Rückkehr aus dem Urlaub meldet sich der Jetlag dann zu Hause erneut. Bei Mäusen im Labor lässt sich das entrainment durch Jetlag auch ohne teuren, CO2-erzeugenden Transkontinentalflug nachbilden. Die Nager

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werden einfach von einem Tag auf den anderen in einen anderen Raum mit verschobenem Licht-Dunkel-Zyklus gebracht. Ein solches Jetlag-Experiment zeigt Abb. 1.5. Der Tagesrhythmus wurde in diesem Experiment um sechs Stunden nach vorne verschoben, das entspricht in etwa einem Flug von Chicago nach Frankfurt. Wie man aus dem sich graduell verschiebenden Laufbeginn sieht, brauchen die Tiere mehr als eine ganze Woche, um komplett in der neuen Zeitzone anzukommen. Ein letztes Maß für die circadiane Rhythmik, das sich allerdings anhand der Laufradaktivität schlecht erklären lässt, ist die Amplitude und die damit verbundene Dämpfung. Das liegt daran, dass Verhaltensrhythmen normalerweise selbsterhaltend und deshalb nicht gedämpft sind. Außerdem eignet sich die Laufradrhythmik nicht so gut für eine Regressionsanalyse wie z. B. der Blutdruckrhythmus (Abb. 1.3). Viele molekulare circadiane Rhythmen sind jedoch deutlich gedämpft. So können wir die Uhr über sog. Reporter auch in einzelnen Geweben nachweisen. Beliebt sind Licht aussendende Reporter wie das Glühwürmchenenzym Luciferase, das dafür sorgt, dass die Glühwürmchenmännchen bei Nacht so romantisch leuchten. Transferiert man das Gen für dieses Enzym in eine Maus und koppelt es über einen genetischen Trick an deren circadiane Uhr, beginnen die Mauszellen und -gewebe im Tagesrhythmus zu leuchten. Man kann einzelne Zellen oder Gewebe in Zellkultur bringen und die Rhythmen so einzeln

Abb. 1.5  Jetlag-Simulation mit einer Maus. Das Tier wurde am Tag 0 in einen um sechs Stunden nach vorne verschobenen Licht-Dunkelzyklus transferiert, d. h. das Licht geht sechs Stunden früher aus (und wieder an; Pfeil). Es dauert ca. acht Tage, bis die Maus ihren Aktivitätsrhythmus an die neue Zeitzone angepasst hat. (Nach Kiessling et al. 2010, S. 2601; mit freundlicher Genehmigung von © American Society for Clinical Investigation 2010. All Rights Reserved)

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betrachten – quasi der inneren Uhr beim Ticken zuschauen. Allerdings sind diese molekularen Rhythmen außerhalb des intakten Tiers gedämpft, ein Maß für die Robustheit bzw. die Koppelung der einzelnen Zellrhythmen in einem Präparat. In Abb. 1.6 a–d. sieht man Luciferaserhythmen in dünnen Scheiben von verschiedenen Mausgeweben, die für eine Woche in Kultur gehalten wurden. Unter optimalen Bedingungen können solche Schwingungen mehrere Wochen anhalten.

1.5 Praktische Auswirkungen Bei der Erforschung von inneren Uhren und Rhythmen stößt man auf viel Faszinierendes und Interessantes. Neben dem reinen Wissensgewinn hat der Zweig der Chronobiologie bzw. die Untersuchung der circadianen Rhythmik aber auch für unseren Alltag wichtige Auswirkungen aufgedeckt, derer wir uns noch gar nicht richtig bewusst sind. Ja, es gibt Biolumineszenz-Rhythmen in Gewebekulturen – und viele der Gene in ­ allen Teilen unseres Körpers zeigen ebensolche Rhythmen. Darunter sind auch solche Gene, die Proteine kodieren. Manche Medikamente etwa wirken gezielt auf diese Gene (Arzneimittel-Targets). Auch unser Wissen über circadiane Variationen in der Wirkung von Medikamenten wächst

Abb. 1.6  Dämpfung von Biolumineszenz-Rhythmen in Gewebekultur. Gezeigt ist die circadiane Rhythmik in Gewebeschnitten, sichtbar gemacht mithilfe eines lichtaussendenden Reporterproteins. Der schwarz-weiße Balken mit dem Pfeil in der Abbildung (c) zeigt den Tag-Nacht-Rhythmus und den Zeitpunkt am Abend, an dem das Tier getötet und die Gewebe präpariert wurden. Cpm: counts per minute. (Nach Yoo et al. 2004, S. 5342; mit freundlicher Genehmigung von © National Academy of Sciences of the USA 2004. All Rights Reserved)

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stetig. Eine aktuelle Studie zeigt, dass viele Bestseller-Medikamente zur Behandlung von entzündlichen Erkrankungen, Stoffwechsel- oder auch psychischen Erkrankungen sowie Krebs direkt auf die Proteine abzielen, die selbst unter Uhrenkontrolle stehen (Abb. 1.7). Viele dieser Arzneien haben dabei eine typische Wirkdauer von weniger als sechs Stunden im Körper. Folglich könnte eine zeitgesteuerte Anwendung in Einklang mit der circadianen Rhythmik der jeweiligen Arzneimittel-Targets die Behandlungseffizienz deutlich verbessern (Ruben et al. 2018). Überraschenderweise finden solche chronotherapeutischen Behandlungsprinzipien bisher wenig Anwendung. Ein gutes Gegenbeispiel sind jedoch Glukokortikoide, mit denen rheumatoide Arthritis behandelt wird. Eine spezielle Formulierung von Prednison etwa wird vor dem Schlafengehen genommen, aber erst vier Stunden später freigesetzt. Die für die Krankheit typische Morgensteifigkeit der Gelenke hält dann weniger lang an (Buttgereit et al. 2008). So lassen sich die Wirkung und (vor allem metabolische) Nebenwirkungen von Glukokortikoiden zeitlich optimieren.

Abb. 1.7  Viele für die Wirkung bekannter Medikamente beim Menschen wichtige Gene sind tagesrhythmisch reguliert. a Von 16.906 analysierten Genen sind 44 % circadian rhythmisch reguliert und von diesen wiederum 917 (12 %) Ziele von Arzneimitteln (Arzneimittel-Targets). b Zahl rhythmisch regulierter (orange) und davon für die Wirkung von Medikamenten relevanter (blau) Gene in verschiedenen Organen. c Zahl der für kardiovaskuläre Therapien relevanten Gene mit robuster circadianer Rhythmik. (Nach Ruben et al. 2018, S. 5; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 2018. All Rights Reserved)

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Dieser kurze Ausflug in die Medizin mag Ihnen zeigen, dass es bei den in diesem Buch vorgestellten und diskutierten Erkenntnissen zur circadianen Uhr nicht nur um faszinierende Wissenschaft geht, sondern dass die Erkenntnisse durchaus Einwirkungen auf unser tägliches Leben haben.

1.6 Biologische Prozesse verstehen – was heißt das eigentlich? Wir alle haben schon persönliche Erfahrungen mit inneren Uhren und Rhythmen gemacht. Um sie mess- und damit wissenschaftlich erfassbar zu machen, braucht man aber zuverlässige Messinstrumente und mathematische Analysen. So lassen sich Kerneigenschaften von Rhythmen wie Periodenlänge, Phasenlage, entrainment und Dämpfung ausmachen und unter verschiedenen Bedingungen miteinander vergleichen. Diese Parameter zu bestimmen, war daher das klassische Ziel jeder chronobiologischen Forschung. Viel wichtiger noch, diese Kenntnisse haben es den Forschern ermöglicht, die in diesem Buch beschriebenen Zusammenhänge und Wirkweisen der inneren Uhr systematisch zu erforschen. Die Chronobiologie ist so zu einem der ausgereiftesten Gebiete der Neurobiologie geworden. In keinem anderen Feld der Neurobiologie ist es bis heute gelungen, alle Schritte von den Genen bis zum Verhalten auf eine solch präzise Weise zu entschlüsseln und zu verstehen. Die Vorstellungen davon, was es bedeutet, einen biologischen Prozess zu verstehen, haben sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts setzt man dies gewöhnlich damit gleich, biochemische, molekularbiologische und zelluläre Zusammenhänge aufzuklären. Man versucht also herauszufinden, welche Gene und Proteine einen Prozess regulieren und antreiben, wie diese Faktoren zusammenspielen und wo in den Zellen ein bestimmter Prozess verortet ist. Um auf diese Ebene zu gelangen, muss man oft entsprechende Werkzeuge erst entwickeln oder aus einem anderen Forschungsgebiet ausleihen. Genauso war es auch bei der Chronobiologie. Die Lebenswerke der Gründer der modernen Forschung über die circadiane Rhythmik – z. B. Hans Kalmus, Erwin Bünning, Jürgen Aschoff, Colin Pittendrigh und Franz Halberg – haben die Grundpfeiler der circadianen Uhr hervorgebracht. Ihre Forschung zeigte beispielsweise, dass circadiane Uhren in fast allen Lebewesen vorkommen, dass sie sehr präzise sind und von der Außentemperatur unabhängig ablaufen und dass sie vom Tag-Nacht-Rhythmus synchronisiert

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(entrained) werden. Doch welche Moleküle und zellulären Prozesse liegen der Uhr zugrunde? Die höchst anspruchsvolle Aufgabe, dies herauszufinden, hinterließen die Gründer der nachfolgenden Wissenschaftlergeneration. Bis in die 1980er-Jahre blieb daher unbekannt, wie circadiane Rhythmen erzeugt werden, warum sie so stabil sind und wie die diversen Uhren in unserem Körper zusammenspielen. Um diese für die Chronobiologen spannenden Fragen zu beantworten, galt es, zuerst einmal die daran beteiligten Moleküle identifizieren. Bloß wie? Springen wir in das Jahr 2010: Es ist mittlerweile klar, dass die circadiane Uhr auf ungefähr 20 Uhren-Genen und Uhren-Proteinen beruht, die sich gegenseitig beeinflussen und steuern, ähnlich den Zahnrädern in einer Uhr. In den nun folgenden Kapiteln werden wir uns mit der Entdeckung und dem Zusammenspiel der wichtigsten Uhren-Gene und Uhren-Proteine befassen. Dabei verfolgen wir zwei Stränge: Erstens legen wir wichtige, aber keineswegs alle zellulären und molekularen Aspekte der circadianen Uhren dar. Und zweitens berichten wir, wie dieses Wissen der Natur abgerungen wurde. An dieser Entdeckungsreise durch den „Uhrwald“ waren viele brillante Köpfe beteiligt. Zwangsläufig mussten wir wählen, wen wir auf diesen Streifzügen in das Unbekannte begleiten. Wir haben das Glück, viele der im Buch vorkommenden Forscher persönlich zu kennen, und versuchen Ihnen zu zeigen, wie deren innere Uhr tickt.

1.7 Zusammenfassung Eine circadiane Uhr zu besitzen, ist keineswegs Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Diesen Typ Uhr gibt es daher bei sehr vielen Lebewesen. Zudem hat die Natur während der Erdgeschichte unterschiedliche Varianten von circadianen Uhrwerken erschaffen (Kap. 5). Sie ermöglichen es ihren Besitzern, den durch die Erdumdrehung bewirkten Wechsel von ­Hell-Dunkel genau vorherzusagen und die vielen, damit verbundenen physiologischen Vorgänge richtig in den Tagesablauf einzuordnen. Die Tag-Nacht-Wechsel synchronisieren die circadiane Uhr tagtäglich auf ihren ungefähr einen Tag dauernden Rhythmus. Aber selbst bei fortwährender Dunkelheit oder konstantem Licht bleiben die circadiane Uhr und die von ihr gesteuerten Vorgänge lange rhythmisch. Daher ist diese Uhr nicht bloß ein von Hell und Dunkel angetriebenes Räderwerk. Vielmehr fußt sie auf einem im Körper verorteten Uhrwerk, dessen Merkmale und Eigenschaften in diesem Kapitel umrissen sind. Woraus dieses Wunder-

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werk besteht, ist seit seiner ersten Beschreibung um 1730 bis hin in die frühen 1970er-Jahre ein Rätsel geblieben. Da nämlich trat die Kenntnis von einem besonderen Gen auf den Plan, genannt: period. Im nächsten Kapitel berichten wir über seine die Entdeckung und darüber, wie es tief im Herzen des circadianen Uhrwerks ein ganzes Leben lang tickt.

Literatur Übersichtsartikel Jud C, Schmutz I, Hampp G, Oster H, Albrecht U (2006) A guideline for analyzing circadian wheel-running behavior in rodents under different lighting conditions. Biol Proced Online 7:101–116

Wissenschaftliche Orginalliteratur Buttgereit F, Doering G, Schaeffler A, Witte S, Sierakowski S, Gromnica-Ihle E, Jeka S, Krueger K, Szechinski J, Alten R (2008) Efficacy of modified-release versus standard prednisone to reduce duration of morning stiffness of the joints in rheumatoid arthritis (CAPRA-1): a double-blind, randomised controlled trial. Lancet Lond Engl 371:205–214 Kiessling S, Eichele G, Oster H (2010) Adrenal glucocorticoids have a key role in circadian resynchronization in a mouse model of jet lag. J Clin Invest 120:2600– 2609 Ruben MD, Wu G, Smith DF, Schmidt RE, Francey LJ, Lee YY, Anafi RC, Hogenesch JB (2018) A database of tissue-specific rhythmically expressed human genes has potential applications in circadian medicine. Sci Transl Med 10:8458– 8806 Selmaoui B, Touitou Y (2003) Reproducibility of the circadian rhythms of serum cortisol and melatonin in healthy subjects: a study of three different 24-h cycles over six weeks. Life Sci 73:3339–3349 Visser SA, Sällström B, Forsberg T, Peletier LA, Gabrielsson J (2006) Modeling drug- and system-related changes in body temperature: application to clomethiazole-induced hypothermia, long-lasting tolerance development, and circadian rhythm in rats. J Pharmacol Exp Ther 317:209–219 Wisser H, Doerr P, Stamm D, Fatranska M, Giedke H, Wever R (1973) Tagesperiodik der Ausscheidung von Elektrolyten, Katecholaminmetaboliten und 17-Hydroxycorticosteroiden im Harn. Klinische Wochenschrift 51:242–246 Yoo SH, Yamazaki S, Lowrey PL, Shimomura K, Ko CH, Buhr ED, Siepka SM, Hong HK, Oh WJ, Yoo OJ, Menaker M, Takahashi JS (2004) PERIOD2:

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LUCIFERASE real-time reporting of circadian dynamics reveals persistent circadian oscillations in mouse peripheral tissues. Proc Natl Acad Sci U S A. 101:5339–5346

Weitere Literatur Dunlap JC (2003) Chronobiology: biological timekeeping, 1. Aufl. Sinauer Associates, Sunderland

2 Wegbereiter und Gipfelstürmer – die Entdeckung des ersten Uhren-Gens

2.1 Die circadiane Uhr ist genetisch bedingt Angesichts des Wirrwarrs von Ideen und Vorstellungen zur Biochemie des circadianen Uhrwerks in den 1960er-Jahren ist die Entdeckung des ersten Uhren-Gens mit dem Namen period ein wirklicher wissenschaftlicher Meilenstein. Zur damaligen Zeit war das allerdings kaum jemandem bewusst. Die heute als Klassiker geltende Veröffentlichung über die Entdeckung des period-Gens wurde lange kaum beachtet und entsprechend selten von anderen Forschern in ihren Arbeiten erwähnt! Immerhin hatte Erwin Bünning in seinem Lehrbuch (1977, S. 18) Weitsicht bewiesen: „Neuere Versuche haben wesentliche Fortschritte gebracht. Bei Drosophila konnten durch experimentell bedingte Mutationen, die das X-Chromosom betreffen, verschiedenartige Beeinflussungen der circadianen Rhythmik des Schlüpfens (und gleichzeitig der Flugaktivität der Fliegen selber!) erzielt werden. Es gab eine Mutante ohne circadiane Rhythmik, eine mit Perioden von 19 h, eine andere mit 28-h-Perioden. Besonders bemerkenswert ist, dass die Änderung auf die Beeinflussung nur eines Gens zurückzuführen ist.“ Nur zur Information: Die normale circadiane Periode bei Drosophila beträgt 23,5 bis 23,8 h. In der Tat bilden die im Zitat erwähnten Mutanten die unentbehrliche Grundlage für jene Untersuchungen, die den Forschern Michael Rosbash, Jeffrey C. Hall und Michael W. Young 40 Jahre später den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin einbringen sollten.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_2

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2.2 Die Entdeckung von period, einem Schlüssel-Gen der circadianen Uhr Die Geschichte der Erforschung des period-Gens begann mit der Dissertation von Ronald Konopka bei Seymour Benzer am California Institute of Technology (kurz Caltech) in Pasadena in Südkalifornien. Das kleine Caltech galt damals wie heute als Kaderschmiede für Naturwissenschaftler und findet sich in der Liste der zehn besten Universitäten weltweit. Konopka begann seine Doktorarbeit im Sommer 1968 und schloss sie Anfang 1972 ab. Seymour Benzer, eine Koryphäe auf dem Gebiet der molekularen Genetik der Mikroorganismen, war 1967 ans Caltech gekommen und hatte dort das Forschungsgebiet der Neurogenetik begründet. Nachdem er zuvor an der Purdue University im Mittleren Westen der USA an Bakteriophagen gearbeitet hatte, wollte er am Caltech damit etwas ganz Neues ausprobieren. Die Neurogenetik befasst sich mit der Identifikation und Funktion von Genen, die im Nervensystem eine Rolle spielen. Nach einer damals weit verbreiteten Ansicht konnte das Verhalten nicht auf einzelne Gene reduziert werden. Das sah Benzer anders. Er entschied sich, seine neurogenetischen Experimente am Modellorganismus Drosophila melanogaster vorzunehmen – der Tau- oder Essigfliege (die wegen ihres englischen Namens fruit fly auch im Deutschen oft als Fruchtfliege bezeichnet wird). Die Wahl dieses genetisch gut erfassbaren Organismus erwies sich retrospektiv als enorm fruchtbar für die gesamte Verhaltensbiologie. Benzers Vorhaben wurde durch mehrere Umstände begünstigt: Edward Lewis, ebenfalls am Caltech, hatte gerade begonnen, durch die sog. chemische Mutagenese mit Ethylmethansulfonat Fliegen zu erzeugen, die einzelne Mutationen, also Veränderungen im Erbgut, in zufälligen Genen ihrer DNA trugen. Lewis war ein Schüler von Thomas Hunt Morgan, dem D ­ rosophila-Genetiker und Evolutionsbiologen, der 1928 die Fachrichtung Biologie am Caltech begründet hatte und 1933 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet worden war. Dann war da noch der Doktorand Ron Konopka mit seiner Überzeugung, mittels Drosophila-Genetik einen Frontalangriff auf den Mechanismus der circadianen Rhythmik einleiten zu können – ganz im Einklang mit den Interessen seines Doktorvaters. Es zeichnete sich damals deutlich ab, dass die circadiane Rhythmik selbst eine Form von Verhalten darstellt und zudem Verhalten beeinflusst. Darüber hinaus war eine andere Drosophila-Art, Drosophila pseudoobscura, bereits ein Forschungsobjekt der Chronobiologie. So hatte Colin Pittendrigh von der Stanford University 1954 nachgewiesen, dass ein temperaturkompensiertes inneres Uhrensystem das Schlüpfen dieser Fliegen steuert.

2  Wegbereiter und Gipfelstürmer …     19

Mitte der ­1960er-Jahre hatten Studien dann gezeigt, dass es den circadianen Rhythmus beeinträchtigt, wenn die Synthese der durch die Gene codierten Proteine gehemmt ist (Abschn. 5.7). Offenbar waren also bestimmte Gene und Proteine wichtig für den Mechanismus der circadianen Uhr. Aber welche? Und wie sollte man sie finden? Vorteilhaft war, dass Drosophila melanogaster genetisch gut charakterisiert war und sich im Labor zuverlässig vermehrt, und das bei geringem Kostenaufwand. Zudem dauert der Generationszyklus von Drosophila bei 25 °C Außentemperatur etwa zehn Tage. Damit lassen sich die Ergebnisse genetischer Kreuzungen recht schnell auswerten. Alles in allem schienen die Zeit reif und die Umgebung optimal für das C ­ altech-Team, um nach den Sternen zu greifen. Schauen wir nun einmal dem damals gerade einmal 21 Jahre alten Doktoranden Konopka bei seinem Experimentieren über die Schultern. Er behandelt Drosophila-Männchen vor der Paarung mit der mutagenen Substanz Ethylmethansulfonat. Dabei entstehen im Erbmaterial der Fliege meist Punktmutationen, also minimale Änderungen in der Sequenz von Genen, die wiederum dazu führen, dass die von diesen Genen codierten Proteine defekt oder zumindest nicht voll funktionsfähig sind. Es gibt eine Reihe von genetischen Tricks, mit denen sich derart mutierte Fliegen in größeren Mengen aufzüchten lassen. Weil bei einem typischen Mutagenese-Experiment unter den vielen Fliegen stets nur wenige den ­ gesuchten Verhaltensdefekt haben, sind die gewünschten Mutanten zunächst in einem screening („Durchmusterung“) zu identifizieren. Konopka kann dafür auf eine Vorrichtung von Colin Pittendrigh zurückgreifen: Von ­Drosophila-Weibchen gelegte Eier entwickeln sich innerhalb von sechs Tagen über Larvenstadien zu Puppen, aus denen wiederum nach etwa vier Tagen die erwachsenen Fliegen schlüpfen. Um die frisch geschlüpften Fliegen einzusammeln, hat Pittendrigh, der schon seit vielen Jahren die Rhythmik des Schlüpfens von Drosophila untersucht, eine für diesen Zweck geeignete Vorrichtung gebastelt, die sog. bang box. In diesem trichterförmigen Gefäß werden die Fliegenpuppen mit Kleister an der Trichterwand angeheftet und der Trichter oben verschlossen. Sobald eine Fliege schlüpft, kann sie sich in dem Trichterraum frei bewegen. Ein stündlich verabreichter kräftiger Schlag (bang) auf den Trichter befördert die Fliegen durch die Trichteröffnung direkt in ein darunter stehendes Auffanggefäß. Wenn man dieses vor jedem Schlag gegen ein frisches austauscht, lassen sich die in der jeweiligen Stunde geschlüpften Individuen leicht zählen. Pittendrigh beobachtete diesbezüglich eine massive Zunahme an geschlüpften Fliegen bei Tagesanbruch – selbst unter Dauerdunkelbedingungen (DD). Das Ganze wird also offenbar von der circadianen Uhr der Fliege gesteuert.

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Zurück zu Konopka. Er hat gerade Tausende von Fliegenmännchen mit Ethylmethansulfonat versetztem Futter versorgt. In den Zellen – und damit auch in den Spermien – dieser Männchen entstehen daraufhin Punktmutationen. Konopka verpaarte die Männchen mit jungfräulichen Weibchen, und die anschließend abgelegten Eier züchtet er bis zum Puppenstadium weiter. Zur Züchtung verwenden die Fliegengenetiker dabei immer frisch geschlüpfte Weibchen. Weibchen tragen in einem kleinen Behältnis im Unterleib Spermien. Bei älteren Weibchen stammen diese Spermien allerdings von früheren Verpaarungen. Dies ist natürlich zu vermeiden, wenn später noch nachvollziehbar sein soll, wer der Vater ist. Die Puppen werden also in die bang boxes gekleistert und die bald schlüpfenden Fliegen sammelt Konopka im Stundentakt ein. Jene Fliegen, die nicht wie erwartet bei Tagesanbruch schlüpfen, sind für ihn besonders interessant. Gerade unter ihnen könnten Uhren-Gen-Mutanten sein – also Tiere, bei denen eines der vermuteten Uhren-Gene so verändert ist, dass die innere Uhr nicht mehr normal tickt. Etwa 2000 der geschlüpften Männchen verpaart Konopka einzeln mit einem Weibchen, jeweils in einem separaten Züchtungsröhrchen. So stammen alle Nachkommen in diesem Röhrchen von den gleichen Eltern ab. Nach einigen Tagen gibt es wieder Puppen, und Konopka analysiert diese wiederum mithilfe der bang boxes. Aus den 2000 ursprünglich isolierten Männchen „erntet“ er drei Mutanten. Deren Schlüpfrhythmus unterscheidet sich markant von dem der normalen Fliegen – und dies vererbt sich auf die Tochtergeneration und ist damit genetisch codiert. Abb. 2.1 zeigt typische Ergebnisse. Bei den Kontrollfliegen (sog. Wildtypen) schlüpfen die Nachkömmlinge erwartungsgemäß meist bei Tagesanbruch, und die Zeitspanne zwischen den Spitzen des Diagramms, die Periodenlänge, beträgt circa 24 h. Die Fliegen der zweiten Gruppe sind arrhythmisch: Es lässt sich keinerlei Rhythmik im Schlüpfen erkennen, somit kann auch keine Periodenlänge angeben werden. In der dritten Gruppe ist die Periodenlänge auf 19 h verkürzt. In der vierten Gruppe schließlich findet Konopka eine Periodenlänge von etwa 28 h. Und diese Änderung der Periodenlänge vererbt sich bei allen drei Mutanten. Ein Experiment, das über drei Tage hinweg einen stündlichen Schlag auf die bang box erfordert, ist sicherlich dem gesunden Schlaf eines Doktoranden nicht zuträglich. Nun hatten andere Drosophila-Forscher bereits herausgefunden, dass eine Fliege in einem länglichen Glasrohr von einigen Millimetern Durchmesser nicht fliegt, sondern „promeniert“. Yoshiki Hotta, der zeitgleich mit Konopka in Benzers Labor Neurogenetik betreibt, rüstet solche Glasröhrchen mit jeweils einer Infrarotschranke

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Abb. 2.1  Schlüpfrhythmen der Fliegen aus ihren Puppengehäusen bei konstanter Dunkelheit bei Wildtypen (normalen, a) und mutierten Taufliegen (b–d) über eine Zeitspanne von 4 Tagen. a Die Wildtypen schlüpfen vorzugsweise bei Tagesanbruch. Die Maxima sind zeitlich gestaucht bei kurzer Periodenlänge (c) bzw. auseinandergezogen bei langer Periode (d). Arrythmische Mutanten (b) zeigen keine tageszeitliche Bevorzugung. (Aus Konopka und Benzer 1971, S. 2113; mit freundlicher Genehmigung von © National Academy of Sciences of the USA 1971. All Rights Reserved)

aus, die das laufende Insekt beim Passieren registriert und mit einer entsprechenden Elektronik die Bewegung aufzeichnet (Abb. 2.2). Eine frühe Version dieses Bewegungsmelders hatte Pittendrighs Doktorand Shepherd Roberts schon 1956 im Wissenschaftsmagazin Science vorgestellt (Roberts 1956). Die so generierten Diagramme der Bewegungsaktivität nennt man, wie bei der Maus, Aktogramme (Abb. 2.3, mehr dazu in Abschn. 1.3). Konopkas drei verschiedene Mutanten unterscheiden sich auch in ihren Aktogrammen markant. In konstanter Dunkelheit zeigen die Kontrollfliegen eine Periodenlänge von 24 h. Die Bewegung der arrhythmischen Fliegen war zufällig, und die beiden anderen Gruppen hatten, wie schon bei der Schlüpfrhythmik, eine kürzere bzw. längere Periodenlänge. Anders als bei der Analyse der Rhythmik des Schlüpfens, bei der jeweils ganze Kohorten von Fliegen einbezogen sind, schauen die Forscher sich bei den Experimenten mit den Lichtschranken in Glasröhrchen immer einzelne Fliegen an. Beide

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Abb. 2.2  Schema der Apparatur zur Messung der Bewegungsaktivität einer einzelnen Fliege. Sobald sie am Bewegungsmelder entlangläuft, sendet dieser einen Puls an einen Computer. Die Pulse werden über Tage und Wochen aufgezeichnet und ergeben letztendlich ein Aktogramm (Abb. 2.3 und Abb. 1.4)

Abb. 2.3  Darstellung der Bewegungsrhythmik von (a) Wildtypen (24-h-Periode) und arrhythmischen (b), kurze Perioden (c) und lange Perioden (d) Fliegen während mehreren aufeinanderfolgenden Tagen als Aktogramm. Die Bewegungsaktivität ist durch die senkrechten Linien bzw. schwarzen Balken gekennzeichnet. Die dünnen Linien markieren Ruhephasen. (Aus Konopka und Benzer 1971, S. 2114; mit freundlicher Genehmigung von © National Academy of Sciences of the USA 1971. All Rights Reserved)

Analysemethoden führen aber bezüglich der Ausgangsfrage zum gleichen Ergebnis – so wie es von guter Wissenschaft auch erwartet sein sollte. Wir haben Konopkas und Benzers Experimenten nun eine entscheidende Erkenntnis zu verdanken: Circadiane Rhythmen sind genetisch bedingt, und Mutationen in einem oder möglicherweise in mehreren Genen führen zu verschiedenen circadianen Verhaltensmustern!

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2.3 Die Kartierung der period-Mutation Konopkas Messergebnisse sind ermutigend. Jetzt musste er als Nächstes das oder die zugrundeliegenden Gene auf den Fliegenchromosomen finden, d. h. er muss die drei Mutationen innerhalb des Genoms kartieren bzw. einem gestimmten Genort zuordnen. Liegen die drei Mutationen in einem bereits bekannten Gen, oder hat er womöglich ein neues Gen gefunden? Ohne dies zu beantworten, kann Konopka weder promovieren noch seine Arbeit veröffentlichen. Drosophila, genauer gesagt Drosophila melanogaster, sein Versuchstier, hat vier Chromosomen: die beiden Geschlechtschromosomen X und Y sowie die Chromosomen 2, 3 und 4. Aufgrund der Art und Weise mit der Konopka die drei Mutationen auskreuzt, weiß er, dass alle drei auf dem X-Chromosom liegen müssen. Aber das ­X-Chromosom ist auch bei Drosophila immer noch 22 Millionen Basenpaare lang und beherbergt über 2300 Gene! Zu Konopkas Zeit, also Anfang der ­1970er-Jahre, wusste man das natürlich noch nicht. Damals waren etwa hundert Gene bereits charakterisiert worden, die sich ziemlich gleichmäßig entlang des X-Chromosoms aneinanderreihen. Die Herausforderung ist nun herauszufinden, welches der bekannten Gene in der unmittelbaren Nachbarschaft der Rhythmik-Mutationen liegt und ob diese eventuell am gleichen Ort sind – zumindest teilweise. In einer Abfolge von weiteren Kreuzungsexperimenten zeigt Konopka dann, dass alle drei Mutationen sehr nahe beieinander auf dem X-Chromosom liegen müssen. Schauen wir Herrn Konopka bei diesen Kreuzungsexperimenten weiter zu. Er verpaart die arrhythmischen Männchen mit Weibchen, die genetische Defekte in Genen aufweisen, die das Aussehen der Fliege verändern. Solche bereits kartierten Gene dienen als Markierungen auf der Genkarte des X-Chromosoms, ähnlich den Hausnummern entlang einer Straße. Konopka verwendet Marker, die an unterschiedlichen Stellen auf dem ­X-Chromosom liegen (Abb. 2.4). Die Körperfarbe von Weibchen mit einer Mutation im yellow-Gen ist gelblich und nicht wie üblich braun. Die whiteWeibchen haben weiße Augen statt der normalen roten Augen. Die singedWeibchen haben Borsten auf dem Rücken, die wie angesengt aussehen. Die Frage ist nun, wie häufig die unterschiedlichen Phänotypen, die von den yellow-, white- und singed-Mutationen erzeugt werden, mit den Rhythmikmutationen gekoppelt sind: Die Nachkommen eines arrhythmischen Männchens und eines markierten Weibchens untersucht Konopka deshalb

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Abb. 2.4  Genkarte des X-Chromosoms im Bereich zwischen den Genen yellow und white. In diesem Bereich vermutete Mutationen werden mittels Kreuzungen kartiert. Solche Kreuzungen platzieren das period-Gen relativ nahe am white-Gen

sowohl auf die circadiane Rhythmik als auch auf das Vorhandensein des Farb- bzw. Borstendefekts. Je näher die Arrhythmiemutante bei einem der ­Marker-Gene liegt, desto weniger Nachkommen findet er, die sowohl eine defekte Uhr als auch den Defekt im Aussehen zeigen. Wie genau sieht die Situation nun diesbezüglich aus? Wenn Konopka arrhythmische Männchen mit yellow-Weibchen kreuzt, gibt es einige Nachkommen, die sowohl gelblich gefärbt als auch gleichzeitig arrhythmisch sind. Im Gegensatz dazu finden sich nur sehr wenige Nachkommen, die arrhythmisch sind und zugleich weiße Augen haben. Daraus schließt er, dass die ArrhythmieMutation viel näher beim white- als beim yellow-Gen liegt (Kasten „Genetische Kartierung“). Konopka führt analoge Kreuzungen auch mit den Kurz- und Langperioden-Mutanten durch und findet, dass auch diese Mutationen nahe beim white-Gen kartieren. Die Rhythmusmutationen liegen also vermutlich alle drei in einem einzigen Gen, welches Konopka period tauft. Solche verschiedenen Zustandsformen eines Gens nennen Genetiker als Allele. Demnach gibt es drei period-Allele: per0 (0 steht für arrhythmisch), perS (s, short steht für eine kurze Periodenlänge) und perl (l, long steht für eine lange Periodenlänge). Konopka arbeitet stets gründlich. Daher will er noch weitere Beweise für die Richtigkeit der Kartierung von period beibringen. Er kreuzt per0-, perS-, perl-Männchen mit Weibchen, bei denen ganze Chromosomenabschnitte einschließlich des period-Gens fehlten (sog. Deletionen ). Die von ihm identifizierten Deletionen werden später wichtig bei der molekularen Identifikation des period-Gens.

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Genetische Kartierung Die genetische Kartierung innerhalb eines Chromosoms basiert darauf, dass sich bei der Meiose, also der Bildung der Ei- und Spermienzellen, die vom Männchen und Weibchen stammenden Chromosomen paarweise aneinanderlegen und dabei häufig Abschnitte von Chromosomen gegeneinander ausgetauscht werden. Dabei wird das Erbgut neu gemischt. Je weiter zwei Gene auseinanderliegen, desto wahrscheinlicher ist ein solcher Austausch. Wenn umgekehrt zwei Gene sehr nahe beieinanderliegen, ist deren Austausch selten. Weil bei Kreuzungen zwischen arrhythmischen Männchen und einem white-Weibchen nur wenige Nachkommen zu beobachten waren, die sowohl arrhythmisch sind als auch weiße Augen hatten, folgerte Konopka, dass die arrhythmische Mutante nahe am white-Gen liegen musste. Kreuzungen mit yellow- oder singed-Mutanten hingegen erzeugten häufiger Nachkommen mit defekten Rhythmen und gelber Körperfarbe bzw. abnormalen Borsten. Bei der Deletionskartierung, d. h. der Kartierung der Lücken im Genom, werden Fliegen wie die per0-Mutante mit einer Reihe von Fliegen gekreuzt, denen unterschiedliche Stücke des Chromosoms fehlen, die auch das periodGen enthalten. Falls man Nachkommen mit einem normalen circadianen Rhythmus findet, muss man schließen, dass die Mutation nicht mit einer der eingekreuzten Deletionen überlappt. Gibt es hingegen keine Nachkommen mit einem normalen circadianen Rhythmus, dann liegt die Mutation im Bereich der eingekreuzten Deletion auf dem entsprechenden Chromosom.

2.4 Die Bedeutung der Pionierarbeit von Konopka und Benzer Was bedeuten diese Befunde für die Chronobiologie nun? Sie zeigen, dass ein einziges Gen – period – sowohl den Bewegungsrhythmus als auch den Zeitpunkt des Schlüpfens der Fliegen steuert. Das heißt, eine gemeinsame, übergeordnete Uhr regelt beide rhythmischen Prozesse, und in dieser Regelung spielt das period-Gen eine wichtige Rolle. Die Strategie der chemisch induzierten Mutagenese bei Drosophila führte also zur Entdeckung des ersten Uhren-Gens. Weiter eingesetzt kann sie zu anderen ­Uhren-Genen führen, die sowohl auf dem X-Chromosom wie auch auf den restlichen Chromosomen liegen könnten. Genau diese Strategie von Benzer und Konopka konsequent anzuwenden, bildet die Grundlage der modernen Erforschung der circadianen Rhythmik.

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Noch einmal zurück zur Person Ron Konopka. Er ist außerordentlich jung, als er seine Doktorarbeit begann und im Alter von 25 Jahren abschließt. Anschließend geht er in das Labor von Colin Pittendrigh, dem Chronobiologen aus Stanford, und kehrt 1974 an das Caltech als Juniorprofessor zurück. Am Caltech lernt Konopka auch Jeffrey Hall kennen, einen Postdoktoranden von Seymour Benzer, über dessen Beiträge zur circadianen Rhythmik wir später noch mehr berichten. Weder in Kalifornien noch an der Clarkson University im Bundesstaat New York, an der Konopka nach seinem Aufenthalt am Caltech arbeitet, wird ihm eine feste Stelle angeboten. Daher kehrt er 1990 wieder zurück in sein kleines Haus in Pasadena und arbeitet als Tutor für High-School-Schüler in Mathematik und den Naturwissenschaften. Ronald Konopka wird als Perfektionist beschrieben. Seine Arbeit scheint ihm zum Publizieren nie vollendet genug, und das behindert seine Universitätskarriere stark. Diesen Hang zur Vollkommenheit teilt er mit Edward Lewis, der Konopka während dessen Dissertation oft beraten hat. Lewis aber ist einem der Autoren (Eichele) als ein sehr bescheidener und liebenswerter Mann in Erinnerung geblieben und hat zu Lebzeiten große Anerkennung erfahren: 1995 wird er zusammen mit Christiane NüssleinVolhard und Eric F. Wieschaus mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet, und zwar für seine wegweisenden Arbeiten in der Entwicklungsbiologie. Konopka hingegen ist 2015 gestorben, und die späteren Nobelpreisträger Jeffrey Hall (2015) und Michael Rosbash (2015) würdigt ihn in ausführlichen Nachrufen für seine bahnbrechende Forschung.

2.5 Die molekulare Charakterisierung des period-Gens bei Drosophila In der DNA-Doppelhelix fügen sich zwei komplementären Einzelsträngen, jeder bestehend aus einer langen Folge von Nukleotiden. Gene sind definierte Abschnitte auf dem einen oder dem andern Einzelstrang. Nur ein kleiner Teil der DNA repräsentiert Gene. An den Stellen wo dies der Fall ist, dient die Folge der Nukleotide als Vorlage für das vom Gen codierte Protein. Drei Nukleotide, ein Triplett, stehen für eine bestimmte Aminosäure des im Gen codierten Proteins. Es ist heutzutage eine Standardprozedur die Nukleotidsequenz eines Gens zu bestimmen. Wenn man diese kennt, kann man mit Hilfe des universellen genetischen

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Codes, die Nukleotidsequenz in die Aminosäuresequenz des zugehörigen Proteins übersetzen. Mit der Genkartierung von period wusste man zwar, wo ungefähr dieses Gen liegt, aber die Gensequenz – und damit die Aminosäuresequenz und damit die voraussichtlichen biochemischen Eigenschaften des Period-Proteins – hatte man damit noch nicht ermittelt. Diese wichtige Information konnte Konopka nicht beibringen. Die dazu benötigte Technologie wurde erst Ende der 1970er-Jahre entwickelt. Wir wissen heute, da wir die vollständige Genomsequenz von Drosophila melanogaster kennen, dass das period-Gen etwa 5000 Nukleotide- lang ist und sich in einer Distanz von ca. 100.000 Nukleotiden vom white-Gen befindet. Könnte man den Abschnitt des Chromosoms isolieren, der das period-Gen enthält, sollte es möglich sein, diesen in die per0-Mutanten einzubringen und dadurch deren Rhythmikdefekt zu reparieren – quasi eine gentherapeutische Behandlung des Uhrendefekts! Zwei Forscherteams haben diese Herausforderung Mitte der 1980er-Jahre angenommen und bewältigt. Das eine Team arbeitete an der Brandeis-Universität nördlich von Boston, geleitet von dem Biochemiker und Molekularbiologen Michael Rosbash sowie dem Neurogenetiker Jeffrey Hall. Das andere Team war das des Biologen Michael Young von der Rockefeller Universität in New York City. Inzwischen verfügte die Wissenschaft über zwei wichtige technische Voraussetzungen, die den beiden Gruppen Tür und Tor öffneten: Erstens, es gab eine Methode, um Gene effizient in das Fliegengenom einzuschleusen. Diese Technik hatten Gerald Rubin und Allan Spradling 1982 entwickelt. Die beiden konstruierten einen sog. Vektor, in den einerseits ein fremdes Gen gepackt werden konnte, und der sich anderseits nach Injektion in einen Fliegenembryo in dessen DNA einbaute. Solche Fliegen mit eingebauter fremder DNA nennt man Transformanten. Zweitens gab es inzwischen eine ganze Reihe von Fliegenstämmen mit unterschiedlichen Veränderungen im Bereich des period-Gens, die alle Rhythmusdefekte zeigten. Schon Konopka hatte Fliegen mit bekannten Defizienzen verwendet, um seine Kartierungsanalysen zu untermauern. Das period-Gen musste also dort liegen, wo diese Defizienzen überlappten. Man musste also mittels molekularer Scheren, den sog. Restriktionsenzymen, einen Genabschnitt präparieren und in den Rubin-Spradling-Vektor einbringen. Der eingesetzte Abschnitt war immerhin so groß, dass sich darin mehrere Gene wiederfanden. Das Team um Rosbash und Hall zeigte aber, dass eines dieser Gene rhythmisch aktiv ist und in der per0-Mutante fehlte. Das gab Vertrauen, auf der richtigen Spur zu sein. Die Fliegen mit diversen leicht

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unterschiedlichen Varianten des besagten DNA-Abschnitts waren rasch gezüchtet, und Jeffrey Hall und seine Mitarbeiter pilgerten zum Clarkson College in Potsdam im Bundesstaat New York, eine etwa 500 km lange Fahrt von der Brandeis-Universität weg. Dort arbeitete damals noch Ronald Konopka, der die circadiane Rhythmik der Transformanten akribisch untersuchte. Die Behälter mit den Fliegen waren codiert, und Konopka wusste damit nicht, ob Transformanten oder Kontrollen darin waren. Er führte die beschriebenen Bewegungsaktivitätsexperimente zur Bestimmung der Periodenlänge durch (Abschn. 2.2). Etwa einen Monat später übermittelte Konopka die Ergebnisse seiner Versuche und – bingo! – es war klar, dass auf der eingefügten DNA das ­ period-Gen enthalten sein musste. Wie erwartet, zeigten die per- Fliegen keine Rhythmik und die Wildtyp-Fliegen eine Periodenlänge von circa 24 h. Die transformierten Fliegen aber zeigten einen Rhythmus mit einer Periodenlänge zwischen 25 und 27 h, je nachdem welcher Abschnitt eingeführt worden war (Reddy et al. 1984; Zehring et al. 1984). Das von Michael Young geleitete Team gelangte mit einem ganz ähnlichen Ansatz und gleichzeitig mit Rosbash und Hall zu denselben Ergebnissen (Bargiello et al. 1984). Die Periodenlänge der Bewegungsaktivität der Transformanten lag bei Young im Bereich von 28 h. Das New Yorker Labor hat zudem die Periodenlänge der Schlüpfrhythmik bestimmt. Die Ergebnisse waren auch dort sehr eindeutig (Abb. 2.5): Wildtypen zeigten eine Periodenlänge von 25 h (Abb. 2.5a) und transformierte Fliegen eine von 27 bis 28 h (Abb. 2.5c). per0-Fliegen dagegen waren arrhythmisch (Abb. 2.5b). Bei den Transformanten mit einer beinahe normalen Periodenlänge war ein bloß 8000 Nukleotidpaare langer Abschnitt eingeführt worden. Ein wichtiger Befund der Rockefeller- und der Brandeis-Studien war die Entdeckung, dass in den transformierten Abschnitten eine 4500 Nukleotide lange mRNA codiert wird (Boten-RNA – sie enthält den aus dem Gen abgelesenen Bauplan für ein einzelnes Protein). Es sollte sich alsbald herausstellen, dass diese mRNA vom period-Gen stammte. Die beiden Forschergruppen konnten also die Position des period-Gens auf einen sehr kleinen Bereich von ein paar Tausend Basenpaaren einengen. Dieser Abschnitt des period-Gens korrigierte den Rhythmikdefekt der period-Mutante. Damit war der Weg zum Gipfel frei, das Period-Protein konnte nun identifiziert werden.

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Abb. 2.5  Analyse des zeitlichen Profils des Schlüpfens der Fliegen aus ihren Puppengehäusen. Die geschlüpften Fliegen wurden in 2-h-Intervallen eingesammelt und gezählt. Die entsprechende Fliegenzahl ist auf der y-Achse angegeben. Man beachte den 24-h-Rhythmus bei den Wildtypkontrollen (a) und die Abwesenheit eines solchen Rhythmus in der arrhythmischen per0-Mutante (b). Diese Resultate sind beinahe deckungsgleich mit jenen von Konopka (vergl. Abb. 2.1). c) P1.48 C-Fliegen sind auch per0-Mutanten, enthalten aber einen in die Fliege eingeschleusten Abschnitt des vermuteten intakten period-Gens. Die Schlüpfrhythmik tritt dadurch wieder auf und ähnelt der der Wildtypen. Während der ersten fünf Tage wurden die Fliegen einem12-h-Licht:12-h-Dunkel-Wechsel (LD) ausgesetzt (weißer Bereich) und anschlieβend in konstante Dunkelheit verbracht (grauer Bereich). (Aus Bargiello et al. 1984, S. 753; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 1984. All Rights Reserved)

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2.6 Das Period-Protein Wiederum traten die Teams von Brandeis und Rockefeller gegeneinander an, und wiederum fanden sie praktisch gleichzeitig sehr ähnliche Ergebnisse. Beide Teams berichteten in ihren Ende 1985 (Jackson et al. 1986) bzw. Frühjahr 1986 (Reddy et al. 1986) erschienenen Publikationen über eine 4500 Nukleotid lange mRNA, die mit großer Wahrscheinlichkeit vom period-Gen abgelesen wurde. Beide Teams konnten zügig die Sequenz bestimmen, d. h. die Abfolge der Nukleotide in dieser mRNA – und damit die Abfolge der Aminosäuren im daraus abgelesenen Protein. Abb. 2.6 zeigt die 1218 Aminosäuren lange Sequenz des Period-Proteins, wie wir es heute kennen. Das Young-Labor hat mit Ausnahme der ersten 62 Amino-

Abb. 2.6  Aminosäuresequenz des Period-Proteins von Drosophila melanogaster. Das Protein ist 1218 Aminosäuren lang. Jede Aminosäure ist mit einem Buchstabensymbol dargestellt. Die wiederholt auftretenden grün markierten Glycin-Threonin-Paare (abgekürzt als gt-Paare) findet man auch in Proteoglykanen. Die Aminosäurensymbole der PAS-Region sind in Rot hervorgehoben. Die PAS-Region ist zweigeteilt, und die beiden Teile werden mit einem kurzen, blau gekennzeichneten Verbindungsstück zusammengehalten

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säuren genau diese Sequenz ermittelt. Dem Brandeis-Team fehlten die ersten 497 und die letzten 130 Aminosäuren. Allerdings zeigte keine der beiden Sequenzen eine Ähnlichkeit zu Sequenzen anderer, bereits bekannter Proteine. Das wäre sehr hilfreich gewesen, und zwar deshalb, weil bestimmte Abfolgen von Aminosäuren spezifische Faltungen der Proteinkette bewirken, welche einen Fingerzeig auf die Proteinfunktion geben. Zum Beispiel gibt es Abfolgen von Aminosäuren, die ein Protein so falten, dass es an DNA bindet, oder die dazu dienen, zwei Proteine zusammenzufügen. Period war also ein Pionierprotein! Üblicherweise erwartet den erfolgreichen Gipfelstürmer ein spektakuläres Panorama, nämlich, einen Sinnzusammenhang zu erkennen. Aber manchmal sind am Berggipfel auch viele Wolken. So war es hier auch. Wenn man ein Pionierprotein findet, hat man schon etwas Unglück im Glück. Immerhin, es gab eine sich wiederholende Sequenz aus mehreren Glycin-Threonin-Abfolgen (zwei Aminosäuren) etwa in der Mitte des ­Period-Proteins (grün markiert in Abb. 2.6). Ein solches Motiv kannte man auch von den sog. Proteoglycan-Proteinen, an die Kohlenhydrate angedockt sind und die als Füllsubstanzen zwischen Zellen dienen. Wie soll das nun mit circadianen Uhr zusammenhängen? Wie wir im nächsten Kapitel darlegen, führten diese Glycin- und Threoninmotive auf eine falsche Fährte. Ein vielversprechender Fingerzeig waren hingegen die in Abb. 2.6 rot markierten Bereiche der Period-Proteinsequenz. Es handelt sich um die aus zwei Teilen bestehende PAS-Region. Aber: 1986 wusste man noch nichts von Proteinen mit PAS-Regionen. Man wusste auch nicht, dass diese PAS-Regionen zwei Proteine zusammenschweißen können und bei vielen regulatorischen Proteinen auftreten.

2.7 Zusammenfassung Um 1970 identifizierte und kartierte Ronald Konopka das period-Gen, das erste Uhren-Gen überhaupt. Das Spektakuläre daran war die Erkenntnis, dass komplexe Verhaltensäußerungen, wie die Tag-Nacht-Rhythmik von Tieren, genetisch bedingt sind. Gute zehn Jahre später hatte sich die genetische Technologie so weit entwickelt, dass Forscher an der Brandeis University (in Zusammenarbeit mit Konopka) und an der Rockefeller University DNA-Vektoren mit dem period-Gen ausstaffierten und damit period-Mutanten reparieren konnten. Ohne Frage: Konopka hatte das period-Gen korrekt identifiziert. Nun wurden die eingebrachten ­DNA-Abschnitte sequenziert und damit war das Period-Protein bestimmt.

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Das allein wäre eigentlich schon eine gute Geschichte gewesen – wenn sich die Sequenz des Period-Proteins nur etwas kooperativer gezeigt hätte. Aber ein Proteoglycan, also eine extrazelluläre Klebe- und Füllsubstanz, die auf der Oberfläche mit Kohlenhydraten dekoriert ist, das war nicht gerade das, was man von einem zentralen Zahnrad der circadianen Uhr erwartet hätte!

Literatur Übersichtsartikel Anderson D, Brenner S (2008) Obituary: Seymour Benzer (1921–2007). Nature 451:139 Hall JC (2015) Ronald J. Konopka. J Biol Rhythms 30:71–75 Nuzzo R (2005) Profile of Jeffrey C. Hall. Proc Natl Acad Sci U S A 102:16547– 16549 Rosbash M (2015) Ronald J. Konopka (1947–2015). Cell 161:187–188 Siwicki KK, Hardin PE, Price JL (2018) Reflections on contributing to „big discoveries“ about the fly clock: our fortunate paths as post-docs with 2017 Nobel laureates Jeff Hall, Michael Rosbash, and Mike Young. Neurobiol Sleep Circadian Rhythms 16:58–67 Tanouye MA (2008) Seymour Benzer 1921–2007. Nat Genet 40:121

Wissenschaftliche Orginalliteratur Bargiello TA, Jackson FR, Young MW (1984) Restoration of circadian behavioural rhythms by gene transfer in Drosophila. Nature 312:752–754 Jackson FR, Bargiello TA, Yun SH, Young MW (1986) Product of per locus of Drosophila shares homology with proteoglycans. Nature 320:185–188 Konopka RJ, Benzer S (1971) Clock mutants of Drosophila melanogaster. Proc Natl Acad Sci U S A 68:2112–2116 Reddy P, Zehring WA, Wheeler DA, Pirrotta V, Hadfield C, Hall JC, Rosbash M (1984) Molecular analysis of the period locus in Drosophila melanogaster and identification of a transcript involved in biological rhythms. Cell 38:701–710 Reddy P, Jacquier AC, Abovich N, Petersen G, Rosbash M (1986) The period clock locus of D. melanogaster codes for a proteoglycan. Cell 46:53–61 Roberts SK, De F (1956) Clock controlled activity rhythms in the fruit fly. Science 124:172 Zehring WA, Wheeler DA, Reddy P, Konopka RJ, Kyriacou CP, Rosbash M, Hall JC (1984) P-element transformation with period locus DNA restores rhythmicity to mutant, arrhythmic Drosophila melanogaster. Cell 39:369–376

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Online-Video https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/2017/rosbash-lecture. html https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/2017/young-lecture. html https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/2017/hall-lecture.html

Weitere Literatur Bünning E (1977) Die physiologische Uhr, circadiane Rhythmik und Biochronometrie, 3. Aufl. Springer, Berlin Pittendrigh CS (1993) Temporal Organization: reflections of a Darwinian ­clock-watcher. Annu Rev Physiol 55:17–54

3 Was Fliegen haben, besitzen wir auch: Die Entdeckung der period-Gene und des ­clock-Gens bei Mensch und Maus

3.1  period-Gene gibt es auch bei Säugetieren Die molekulare Charakterisierung des period-Gens bei Drosophila ist eine spannende Geschichte, die sich insgesamt über eine Zeit von etwa 15 Jahren erstreckt hat. Dies lag nicht daran, dass die wetteifernden Forscher zu langsam arbeiteten, sondern es bedurfte mehrerer technologischer Durchbrüche, um Gene allgemein und period im Speziellen charakterisieren zu können (Kap. 2). Die Wissenschaft muss fortwährend neue Techniken und Werkzeuge entwickeln, denn sonst gäbe es keinen Fortschritt in der Erkenntnis. Zwar gilt die Feststellung von Max Planck: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“ Aber in der täglichen Praxis gilt auch, dass das Entwickeln und Anwenden neuer Techniken dem Gewinnen neuer Erkenntnisse vorausgeht. Es ist geradezu typisch für die naturwissenschaftliche Forschung, dass neue, vielversprechende Techniken Trendwenden in ganzen Forschungsbereichen einleiten. Beispielsweise hat es die von Kary Mullis Anfang der 1980er-Jahre entwickelte Polymerasenkettenreaktion (PCR) ermöglicht, die DNA-Erbsubstanz im Reagenzglas zu vervielfältigen. Erst die von Frederick Sanger, Allan Maxam und Walter Gilbert Ende der 1970er-Jahre entwickelte Gensequenzanalyse hat es erlaubt, die in der DNA vorliegenden Nukleotidsequenzen zu bestimmen und anschließend in entsprechende Proteine zu übersetzen und damit das Erbmaterial zu entschlüsseln. Gerade diese beiden molekularbiologischen Techniken waren bei der Entdeckung und Charakterisierung der hinter der circadianen Rhythmik stehenden Gene und Proteine von überragender Bedeutung. Denn als das © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_3

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period-Gen bei der Taufliege entdeckt wurde, war keineswegs klar, ob Säugetiere ebenfalls ein entsprechendes Gen besitzen. Es wäre durchaus möglich, dass die circadiane Uhr bei Fliegen und Menschen ganz unterschiedlich konstruiert ist. Wir wissen heute, dass dem nicht so ist: Tatsächlich ticken die inneren Uhren von Fliegen und Menschen sehr ähnlich, wenn auch nicht gleich. Es gibt aber auch Organismengruppen, deren circadiane Uhr nicht auf period basiert (Kap. 5). Zum Zeitpunkt, als die DNA-Sequenz des period-Gens von Drosophila bekannt wurde, gab es einige Möglichkeiten, mit denen nach einem entsprechenden period-Gen beim Menschen gesucht werden konnte. Einerseits konnte man in einer elektronischen Bibliothek von bereits sequenzierten menschlichen Genen mittels computergestützter Vergleiche nach Genen suchen, deren Sequenz jener des period-Gens von Drosophila ähnlich ist. Man konnte eine Genbibliothek bestehend aus Teilstücken von menschlicher DNA mit einer Drosophila-period-Sonde durchmustern. Oder man konnte mittels der erwähnten Polymerasekettenreaktion in ­Nukleinsäure-Extrakten aus menschlichen Zellen jene Gensequenzen vervielfältigen, die jenen des Drosophila-period-Gens ähneln. Mehrere Forschergruppen setzten Mitte der 1990er-Jahre jeweils eine dieser Techniken ein, um humane period-Gene zu finden. Allerdings waren nur zwei dieser Teams erfolgreich. Im Zusammenhang mit dem zu der damaligen Zeit an verschieden Orten der Welt angestoßenem Humangenom-Projekt hatte sich Cheng-Chi Lee vom Baylor College of Medicine in Houston im Bundesstaat Texas mit der Herstellung und Analyse von Genbanken beschäftigt, in denen sich Gene von bestimmten menschlichen Chromosomen befinden. In einer Bank angereichert mit Genen des menschlichen Chromosom 17 fand Lee DNA Sequenzen, die nach Übersetzung in Proteinsequenz der PAS-Region (Abb. 2.6) des Period Proteines von Drosophila melanogaster entsprachen. Doch mit der PAS-Region alleine gab sich Lee nicht zufrieden, und er fischte alsbald aus einer vom menschlichen Herzmuskel abgeleiteten Genbank längere Stücke. Er bestimmte deren DNA-Sequenz, die er schnell zu einem Ganzen zusammenfügte. Nach dem Übersetzen der Nukleotidsequenz in das entsprechende Protein ergab ein Vergleich mit dem D ­ rosophila-Period-Protein eine passable Übereinstimmung von beinahe 50 %. Es gab zudem nicht bloß Übereinstimmungen in der PAS-Region, sondern auch in anderen Bereichen dieses Proteins. Das deutete darauf hin, dass das gefundene menschliche Gen durchaus das menschliche Schwestergen von period der Taufliege sein könnte. Der umtriebige Herr Lee prüfte auch, ob das menschliche periodGen nicht bloß im Herzen, sondern auch in anderen Gewebetypen aktiv

3  Was Fliegen haben, besitzen wir auch …     37

war. Dem war tatsächlich so. Period-mRNA fand sich auch im Gehirn, in der Lunge, in der Leber, in der Niere, in Skelettmuskeln und in den Hoden. Dieser frühe Nachweis eines Uhren-Gens in einem weiten Spektrum von Geweben bedeutet, dass circadiane Uhren im Körper weit verbreitet sind. Diese Erkenntnis sollte alsbald zur Grundlage vieler Forschungsprojekte verschiedener Laboratorien aus aller Welt werden (Kap. 6). Was noch wichtig war: Lee fand period auch bei der Maus. Die Maus ließ sich also für eine Reihe von wichtigen circadianen Versuchen einsetzen. Es war damals bekannt, dass period bei Drosophila circadian rhythmisch aktiv ist, d. h. mit einer Periodendauer von circa 24 h. Es war auch bekannt, dass bei Säugetieren die circadiane Rhythmik vom Nucleus suprachiasmaticus (SCN) ausgeht, einer kleinen Ansammlung von Nervenzellen im Hypothalamus des Gehirns (Abschn. 7.1). War das Lee’sche period-Gen rhythmisch im SCN aktiv? Um das herauszufinden, kollaborierte Lee mit dem Entwicklungsbiologen Urs Albrecht und mir (GE). Wir waren damals in der Technik der In-situ-Hybridisierung sehr versiert. Ich war zu der Zeit damit befasst, eine neue Abteilung am Max-Planck-Institut für experimentelle Endokrinologie in Hannover aufzubauen, hatte aber gleichzeitig auch noch ein Labor am Baylor College, also in direkter Nachbarschaft von Cheng-Chi Lee. Das mit dieser Doppelverantwortung verbundene Hin- und Herfliegen zwischen den USA und Deutschland äußerte sich in einem quasi permanenten Jetlag. So war ich ganz persönlich sehr motiviert, über circadiane Rhythmen zu forschen. Wir konnten damals neben Urs Albrecht auch auf Jennifer Bailey, Zhong Sheng Sun und Olga Zhuchenko zählen, die als junge Wissenschaftler im Lee- bzw. im ­Eichele-Labor arbeiteten und Expertise in den benötigten Techniken beisteuern konnten. Für die In-situ-Hybridisierung wird zuerst z. B. ein Gehirn aus einer frisch getöteten Maus seziert und gleich bei – 40 °C eingefroren. Bei dieser Temperatur sind die mRNA Moleküle vor jeglichem Zerfall geschützt und zudem ist das Gehirn so hart, dass man es in einem Gefriermikrotom in 20 µm dünne Scheiben schneiden kann. Die Schnitte werden auf einen kalten Glasträger übertragen und nach dem Auftauen sofort mit Formalin behandelt, das die mRNA-abbauende Enzyme zerstört. Danach wird ein radioaktiv markiertes Stück des Maus-period-Gens (die Sonde ) auf den Schnitten verteilt. Sollte in den Gehirnschnitten das period-Gen aktiv sein, d. h seine mRNA im Gewebe vorkommen, würde die Sonde daran haften (man nennt das im Fachjargon „hybridisieren“). Die gebundene Radioaktivität wird anschließend mittels einer über den Schnitten angebrachten Filmemulsion sichtbar gemacht.

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Schauen wir Albrecht direkt über die Schulter … Ausgerüstet mit der period-Sonde trägt Albrecht diese auf Schnitte von Mausgehirnen auf. Diese stammen von Mäusen, die Albrecht über den Tag hin in Abständen von sechs Stunden sammelt und seziert. Im Mausstall geht das Licht um 5 Uhr früh an. Als Albrecht die Ergebnisse seines Versuchs analysiert, staunt er nicht schlecht. Er sieht, dass Lee’s period-Gen im SCN aktiv ist, allerdings nicht über den ganzen Tag gleichmäßig verteilt, sondern nur in Gehirnen von 11 Uhr, d. h. sechs Stunden, nachdem in der Tierhaltung das Licht angeschaltet wurde. Das heißt, es gibt am späten Morgen eine starke period-Gen-Aktivität, die alsbald wieder erlischt, beinahe abrupt … Man könnte allerdings argumentieren, dass das morgens eingeschaltete Licht die period-Gen-Aktivität andreht. Dann wäre period einfach nur lichtgesteuert – und taugte so nicht als Uhren-Gen. Diesen Einspruch kannten die Forscher sehr wohl, deshalb wiederholten sie ihr Experiment mit einer kleinen, aber wichtigen Modifikation: Nachdem sie die Nager für einige Tage im Hell-Dunkel-Rhythmus gehalten hatten, stellten sie das Licht aus, und zwar permanent. Nach ein paar Tagen wurde wiederum die Zeit der maximalen period-Aktivität bestimmt (Abb. 3.1). Die Aktivitätsspitze lag nach wie vor bei 11 Uhr. Die rhythmische Aktivität des period-Gens wurde also nicht durch Licht induziert, sondern von der im SCN gelegenen Uhr. Im nächsten Versuch simulierten die Forscher aus Texas einen 6-h-Jetlag, wie er z. B. nach einem Flug von Frankfurt nach Bangkok erwartet wird. Wie die meisten aus eigener Erfahrung wissen, bedarf es geraumer Zeit, bis man den Jetlag überwunden hat (Abschn. 1.4). Die Wissenschaftler setzten

Abb. 3.1  Aktivitätsmuster des period-Gens im Gehirn von fortlaufend im Dunkeln gehaltenen Mäusen. Um die Strukturen des Gehirns sichtbar zu machen, wurden die Zellkerne blau angefärbt. Jedes der vier Bilder zeigt nur jenen Bereich des Gehirns, der den Nucleus suprachiasmaticus (SCN) mit einschließt. Die dichten Ansammlungen von Zellkernen im unteren Teil der Aufnahmen entsprechen der linken bzw. rechten Hälfte des SCN. Intensives Rot bedeutet eine starke Aktivität des period-Gens im SCN jener Maus, die sechs Stunden nach Beginn des circadianen Tages analysiert wurde, also um 11 Uhr. Die waagrechte Linie im rechten Bild entspricht einer Distanz von 0,5 mm. (Modifiziert nach Sun et al. 1997, S. 1008; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 1997. All Rights Reserved)

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Mäuse in einen Käfig, in dem das Licht morgens um 6 Uhr an- und um 18 Uhr (Frankfurter Lokalzeit) ausgeschaltet wurde. Dieses Beleuchtungsmuster wurde für einige Tage beibehalten, damit die circadiane Uhr der Nager sich genau auf diesen Rhythmus einstellen konnte. Nach etwa einer Woche wurde die Aktivität von period im SCN bestimmt, und wie erwartet war die stärkste Aktivität wieder sechs Stunden nach Anschalten des Lichtes zu beobachten (Abb. 3.2, obere Zeile). Jetzt wurde der Jetlag ausgelöst. Dafür flog man die Mäuse allerdings nicht für teures Geld von Frankfurt nach Bangkok, sondern das Licht im Mausraum ging einfach sechs Stunden früher an. Nach drei Tagen in Bangkok (Abb. 3.2, mittlere Zeile), ist period um 17 Uhr (Lokalzeit) aktiv, entsprechend der Frankfurter Lokalzeit 11 Uhr. Interessanterweise ist bereits eine starke Aktivität um Bangkok-Zeit 11 Uhr zu erkennen. Offenbar beginnen die Mäuse, sich bereits dem neuen Zeitschema anzupassen. Nach acht Tagen (Abb. 3.2, unterste Zeile) ist der Wechsel hin zum neuen Aufenthaltsort vollzogen. Es

Abb. 3.2  Ein Jetlag bewirkt eine zeitliche Umstellung der period-Aktivität (rote Färbung) im Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Der Versuch wurde mit Mäusen durchgeführt. Hier wird ein Jetlag simuliert, wie er bei einer Reise von Frankfurt nach Bangkok eintritt. Oberste Zeile: Vor dem Abflug findet man maximale Aktivität von period im SCN um 11 Uhr Frankfurt-Zeit in weißer Schrift und kaum Aktivität zu den anderen Tageszeiten. Mittlere Zeile: Drei Tage nach Ankunft in Bangkok. Zur Bangkok-Zeit (gelb) findet man eine period-Genaktivität um 17 Uhr, was ja der Frankfurt-Zeit von 11 Uhr entspricht. Zudem gibt es eine deutliche Aktivität zur Bangkok-Zeit 11 Uhr. Offenbar ist die period-Genaktivität, d. h. die circadiane Uhr, bereits am Umstellen. Unterste Zeile: Die period-Genaktivität zeigt ein einziges Maximum zur Bangkok-Zeit 11 Uhr. Die Umstellung ist vollzogen. Die waagrechte Linie links unten entspricht einer Distanz von 0,5 mm. (Modifiziert nach Sun et al. 1997, S. 1009; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 1997. All Rights Reserved)

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findet sich keine Aktivität mehr zur Frankfurt-11-Uhr-Zeit, aber eine starke Aktivität am thailändischen Morgen. Die Nager haben ihre innere Uhr auf die neue Umgebung justiert. Dieses recht einfache Experiment lässt ahnen, dass eine Umstellung der circadianen Uhr recht anstrengend sein kann, denn das Uhren-Gen period kontrolliert ein breites Spektrum von körpereigenen Prozessen. Diese müssen sich alle ebenfalls zeitlich verschieben. Dabei kommen die normalerweise gut abgestimmten Vorgänge außer Takt, und dies fühlt man dann als Jetlag. Das war ein weiteres wichtiges Ergebnis, weil sich darin period als eine vielversprechende molekulare Komponente des circadianen Uhrwerks bei Säugetieren offenbarte. Diese stufenweise Anpassung des Aktivitätsrhythmus von period ist ein Verhalten, dass einem Uhren-Gen gut ansteht. Alle diese Befunde publizierten Lee und Eichele sowie ihre Mitarbeiter Mitte September 1997 im Fachmagazin Cell (Sun et al. 1997) – und erregten weltweit großes Interesse: Die Studie wies nicht nur auf eine von Drosophila bis zum Menschen hin vorkommende circadiane Uhr hin, sondern ließ auch tiefe Einblicke in unsere eigene innere Rhythmik zu. Ursprünglich hatte sich Lee für das period-Gen der Säuger den Namen rigui ausgedacht, was im Chinesischen für „Sonnenuhr“ steht. Letztlich hat sich dann aber doch der an die Fliege angelehnte Name period durchgesetzt. Anfang Oktober 1997, also gerade einmal 14 Tage nach dem Erscheinen des Cell-Artikels, veröffentlichte die Zeitschrift Nature eine Arbeit von HajimeTei und Kollegen (1997) aus Japan, die ebenfalls die Entdeckung eines period-Gens bei Mensch und Maus berichtete. Diese Gruppe setzte die Polymerasekettenreaktion ein. Dahinter steckte folgende Idee: Eine hervorstechende Eigenheit des Period-Proteins bei Drosophila sind die beiden PAS-Regionen A und B (Abb. 2.6). Man kann guten Gewissens annehmen, dass ein mögliches Period-Protein beim Menschen ebenfalls PAS-A- und PAS-B-Regionen aufweist. Wenn dies stimmt, sind die D ­ NA-Sequenzen der dazugehörigen Gene ebenfalls ähnlich, jedenfalls ähnlicher als der Rest des Gens. Dieses Konzept hat sich Tei zunutze gemacht. Er entwarf mehrere komplementäre Paare von Oligonukleotiden, also kleine DNAStücke von wenigen Basenpaaren Länge, die jeweils zur PAS-A- bzw. PASB-Region passten. Diese Oligonukleotide mischte er mit genomischer DNA des Menschen. Mittels Polymerasekettenreaktion vervielfältigte er den durch die Oligonukleotidpaare eingegrenzten Bereich des Humangenoms. Anschließend bestimmte er die Sequenzen der Bereiche und fand dabei ein Stück DNA, das – in Proteinsequenz übersetzt – einem Teil der PAS-B-Region entsprach. Tei und Kollegen mutmaßten, dass dies die

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­ AS-B-Region des gesuchten period-Gens des Menschen sein könnte. Die P Forscher aus Japan fischten alsbald längere Stücke DNA aus Genbanken, sowohl vom Menschen als auch von der Maus. Die DNA-Sequenzen wurden bestimmt, und sie entsprachen tatsächlich dem period-Gen von Mensch bzw. Maus. Tei und seine Kollegen beobachteten ebenfalls eine tageszeitliche Veränderung der Aktivität des period-Gens im SCN mit einer maximalen Aktivität in der Zeitspanne von vier bis sechs Stunden nach dem Anschalten des Lichtes. Dieses Maximum zeigte sich auch bei in Dunkelheit gehaltenen Tieren. Die Ergebnisse der beiden Teams waren also weitestgehend identisch. Ende Dezember 1997 berichteten Urs Albrecht und seine Kollegen (Albrecht et al. 1997) über die Entdeckung eines zweiten period-Gens bei Säugetieren, das sie sinngemäß period2 benannten. Entsprechend wurde das hier ausführlich behandelte erste period von rigui zu period1 umgetauft. Ein Jahr später wurde dann noch ein drittes menschliches period-Gen entdeckt, dass folglich period3 heißt. Es ist übrigens nicht untypisch, dass es für einzelne Drosophila-Gene bei höheren Organismen wie dem Menschen mehr als ein gleichartiges Gen gibt. Denn im Laufe der Evolution von Insekten zu Säugern haben sich viele Gene ein oder mehrere Male verdoppelt. Diese Vervielfältigung findet man oft bei Genen, welche die Embryonalentwicklung steuern oder Regelfunktionen in physiologischen Prozessen bewältigen müssen.

3.2 Das Verhalten von period-Mutanten der Maus Es bestand kein Zweifel, dass period eine Komponente der circadianen Uhr von Drosophila ist. Die beträchtliche Übereinstimmung der Proteinsequenzen von Drosophila mit den drei menschlichen Period-Proteinen legte nahe, dass diese auch Komponenten der circadianen Uhr der Wirbeltiere sind. Unterstützt wurde diese Hypothese zudem durch die rhythmische Aktivität von period1 und period2 im circadianen Taktgeber, dem SCN. Gute Argumente lieferten auch die im Abschn.  3.1 beschriebenen Jetlag-Experimente mit Mäusen. Es gab aber auch eine rhythmische ­period-Aktivität in vielen anderen Geweben, also außerhalb des SCN. Daher meinten kritische Stimmen, dass diese Rhythmik außerhalb des circadianen Taktgebers die period-Gene als Uhren-Gene eher disqualifiziere. Diese seien zwar zweifelsfrei von der circadianen Uhr getaktet, aber ­ wahrscheinlich

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selbst nicht Taktgeber. Die Möglichkeit, dass eine rhythmische ­period-Genaktivität deshalb derart weit verbreitet sei, weil circadiane Uhren fast überall vorkämen, wäre eine alternative Erklärung gewesen. Diese Idee war damals aber nicht konsensusfähig; heute wird sie hingegen vollumfänglich akzeptiert. Schauen wir einmal wieder einem Wissenschaftlerteam direkt über die Schulter … Am Baylor College of Medicine arbeitet damals auch der Brite Alan Bradley, einer der Pioniere der gezielten Mutagenese bei Mäusen. Bei dieser Technik wird in embryonalen Stammzellen der Maus eine Mutation an einem bestimmten Ort in einem zu untersuchenden Gen eingefügt. Idealerweise sind das Deletionsmutationen, bei denen ein wichtiger Teil eines Gens fehlt, sodass das entsprechende Protein nicht mehr wirksam ist. Um genau solch eine Mutante mit einem defekten period2-Gen zu erzeugen, entfernen Bradley und Kollegen die Hälfte der PAS-B-Region und einen daran anschließenden Bereich. Sie führen das modifizierte Gen in embryonale Stammzellen ein, die das modifizierte Gen in ihre DNA einbauen. Und aus den dabei entstandenen modifizierten Stammzellen werden anschließend Mäuse gezüchtet. Zum Glück sehen diese Tiere normal aus, sind gesund und können weiter gezüchtet und auf ihre Aktivität im Laufrad hin untersucht werden (Abschn. 1.3 zur Analyse der Laufradrhythmik). Und? Bei Drosophila beeinträchtigt eine Mutation in period die Bewegungsrhythmik sehr markant (Abb. 2.3) – und genau dies ist weitgehend auch bei ­period2-mutanten Mäusen so. Die Periodenlänge der circadianen Rhythmik ist etwa 1,5 h kürzer, und viele der Mäuse verlieren nach einigen Tagen im Dunkeln ihren Laufrhythmus (Zheng et al. 1999). Man muss nun bedenken, dass es drei period-Gene gibt, die eventuell zumindest teilweise füreinander einspringen könnten, wenn eines der drei fehlt. Also mutiert das Baylor-Team auch noch period1 in der Maus, ähnlich wie  gerade für period2 beschrieben. Danach  verpaart man  Mäuse mit Mutationen in den period1- und period2-Genen und jene Nachkommen, die beide Mutationen enthalten, werden im Laufradexperiment analysiert (Zheng et al. 2001). Abb. 3.3a zeigt das Aktivitätsprofil einer Kontrollmaus (mit intakten period1- und period2-Genen). Bei einem ­12-h-Licht-12-h-Dunkel-Rhythmus (LD) laufen die Tiere nur nachts, ruhen aber tagsüber, so wie bei diesen Nagetieren üblich. In konstanter Dunkelheit (DD) sind die Laufradbewegungen immer noch regelmäßig, aber mit einer etwas kürzeren Periodenlänge von 23,7 h. Ganz anders aber bei

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Abb. 3.3  Aufzeichnung der rhythmischen Bewegungsaktivität von a Wildtypmäusen und b period1/period2-Doppelmutanten. Licht und Dunkelheit sind durch einen weißen bzw. grauen Hintergrund hervorgehoben. Im 12-h-Licht-12-h-Dunkel-Rhythmus zeigen Wildtyp und Mutante eine ähnliche Bewegungsrhythmik mit vorwiegend nächtlicher Aktivität. Während diese Rhythmik bei konstanter Dunkelheit beim Wildtypen nach wie vor vorhanden ist, wird die Doppelmutante sofort arrhythmisch. (Aus Zheng et al. 2001, S. 686; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2001. All Rights Reserved)

p­ eriod1/period2-Doppelmutanten (Abb. 3.3b): Zwar zeigen diese eine weitgehend normale Laufrhythmik in LD. Doch sobald das Licht ausgeknipst wird, d. h. die innere Uhr das Verhalten zu kontrollieren beginnt, verschwindet der Laufrhythmus abrupt … Dieses relativ einfache Experiment etablierte die Period1- und ­Period2-Proteine als wichtige Komponenten der circadianen Uhr von Säugetieren, inklusive des Menschen. Es ist erwähnenswert, dass die period3-mutanten Mäuse keinen markanten circadianen Defekt aufwiesen. Wahrscheinlich also spielt dieses dritte period-Gen, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle in der inneren Uhr (Shearmann et al. 2000). Wir wissen heute, dass es ein gutes Dutzend Proteine gibt, die zum Funktionieren der circadianen Uhr des Menschen oder der Maus gebraucht werden. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, über die Entdeckung und Funktionsanalyse all dieser Zahnräder des inneren Uhrwerks zu berichten. Generell aber kann man diese Proteine in zwei Gruppen unterteilen: Aktivatoren und Hemmer. Die Aktivatoren drehen in Zellen die Hemmer an, die dann in Form einer negativen Rückkopplung die Aktivatoren blockieren, bis die Hemmer in den Zellen abgebaut sind. Die Period-Proteine, zusammen mit den hier nicht näher besprochenen Cryptochromen, sind Hemmer der Aktivatoren, genannt Clock und Bmal1.

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3.3 Die Entdeckung von clock – ein großer Schritt nach vorne Der Ansatz, Uhren-Gene mittels Homologiesuche zu finden, hat bei period offensichtlich gut geklappt. Allerdings war es kritisch, und damals auch recht zeitraubend, anschließend mithilfe von Mausmutanten zu beweisen, dass die gefundenen period-Gene tatsächlich Komponenten der circadianen Uhr der Säugetiere sind. Dieses Vorgehen wird als reverse Genetik (engl. reverse genetics  ) bezeichnet, weil in ein bekanntes Gen (beispielsweise period1 oder period2 ) eine Mutation eingeführt wird. Anschließend wird die Mutante auf einen Phänotyp hin untersucht, z. B. wird mithilfe eines Laufradexperiments getestet, ob die circadiane Uhr tatsächlich defekt ist. Die Alternative ist die vorwärts-gerichtete Genetik (engl. forward genetics ). Hier beginnt man mit einer natürlich vorkommenden Mutation oder einer mittels Röntgenstrahlen oder Chemikalien erzeugte Mutation. Konopka etwa verwendete die vorwärts-gerichtete Genetik, denn er erzeugte Mutationen in männlichen Fliegen durch die Verabreichung einer mutagenen Substanz. Mittels Kreuzungen, Genkartierung, Chromosomenwanderung und DNASequenzanalyse machten er, Rosbash und Young dann schließlich das ursächliche period-Gen und das darin codierte Protein ausfindig. Joseph S. Takahashi und Mitarbeiter, damals an der Northwestern University in Evanston bei Chicago, veröffentlichten 1994 – und damit einige Jahre vor der Entdeckung von Maus-period – einen wegweisenden Artikel zur Anwendung der vorwärts-gerichteten Genetik bei der Identifikation von Genen, die das Verhalten von Säugetieren bestimmen (Takahashi et al. 1994). Wie sah seine Arbeit im Labor konkret aus? Gerade eben hat Takahashi die Effizienz der in dem besagten Artikel dargelegten Strategie in einem im Magazin Science erschienen Bericht brillant illustriert (Vitaterna et  al. 1994). Diese Publikation berichtet über die Charakterisierung des ersten circadianen Gens bei der Maus. Mausmännchen wurden mit dem chemischen Mutagen Ethylnitrosoharnstoff (ENU) behandelt und drei bis vier Monate später mit Weibchen verpaart (Abb. 3.4a). ENU bewirkt meist Punktmutationen in den Spermienzellen des Männchens, die das Erbgut an die Nachkommen weitergeben. Im Schema der Abb. 3.4a ist das Gen mit der ENU-induzierten Mutation mit einem Sternchen gekennzeichnet. Um den Effekt einer Mutation sehen zu können, müssen in den meisten Fällen sowohl das von der Mutter als auch das vom Vater vererbte Chromosom die Mutation tragen. Man spricht dann von einer rezessiven Vererbung. Die meisten Erbkrankheiten sind rezessiv, d. h. beide Eltern müssen das mutierte Gen über-

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Abb. 3.4  Entdeckung des clock-Gens mittels vorwärts-gerichtete Genetik. a) Das im Text beschriebene Schema der ENU-Mutagenese und die nachfolgenden Kreuzungen, die zum Nachweis einer dominanten Mutante notwendig sind. Das Mutagen ENU injiziert man in ein Wildtypmännchen, gegenzeichnet mit dem Kürzel +/+. Das führt zu Mutationen in den Spermatogonien, den Vorläufern der Spermien. Nach drei bis vier Monaten wird das behandelte Männchen mit mehreren Weibchen verpaart (Elterngeneration G0). Nachkommen (G1) mutierter Spermien (+*/+) zeigen einen Defekt, z. B. eine abnormale Periodenlänge. Typischerweise züchtet man mehrere hundert G1-Nachkommen, die entweder Wildtyp (+/+) oder heterozygot (+*/+) für die Mutation sind. Daher bedarf es einer einfachen Methode die Mutanten zu identifizieren, z. B. das Laufradexperiment. b) Aktogramme einer Wildtyp- (oben) bzw. einer clock/clock-homozygoten (unten) Maus. Anfänglich werden Wildtyp und Mutante bei 12 h Licht und 12 h Dunkelheit analysiert (LD) und dann in völlige Dunkelheit (DD) verbracht. Selbst in Dunkelheit bleiben die Aktogramme des Wildtyps rhythmisch mit einer Periodenlänge von 23,6 h. Die clock/clock-Maus hingegen zeigt in DD für die ersten zehn Tage einen 27-h-Rhythmus. Anschließend verlieren die Tiere ihren circadianen Rhythmus (aus Vitaterna et al. 1994, S. 721; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 1994. All Rights Reserved)

tragen um eien Effekt zu bewirken. Dagegen liegt eine dominante Vererbung vor, wenn z. B. das auf dem väterlichen Chromosom gelegene mutierte Gen zu einem abnormalen Protein führt, das mit dem auf dem mütterlichen Chromosom codierten normalen Protein interferiert. Daher erlaubt die im Schema 3.4a gezeigte Kreuzung ausschließlich die Entdeckung von dominanten Mutationen. Bei allen 304 Nachkommen der ersten Generation („G1“ in Abb. 3.4a) des ENU-behandelten Männchens messen Takahashi und seine Kollegen mittels Laufradversuchen (Abschn. 1.3) die Periodenlänge (τ) der circadianen Uhr. Die mittlere Periodenlänge beträgt dabei 23,7 h mit einer Abweichung von gerade einmal 10 Minuten. Es gab allerdings ein

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­ ännchen, bei dem τ sich bei 24,8 h einpendelt. Diese Periodenlänge ist M signifikant verschieden vom Mittelwert der 304 Tiere. Ist dieses längere τ womöglich erblich? Die Wissenschaftler verpaaren das betroffene Männchen mit drei unterschiedlichen Weibchen und untersuchen die 23 Nachkommen wieder im Laufrad. Es zeigt sich, dass es zwei Typen von Nachkommen gibt: 13 Tiere zeigen eine normale Periodenlänge (23,3 bis 24,0 h) und zehn Tiere, haben eine Periodenlänge von 24,5 bis 24,8 h – jeweils Männchen und Weibchen. Das heißt, das längere τ ist erblich, und zwar unabhängig vom Geschlecht. Takahashi tauft diese autosomale, semidominante Mutation clock (für circadian locomotor output cycles kaput). Autosomal bedeutet, das clock-Gen befindet sich nicht auf den Geschlechtschromosomen, sondern, wie Vitaterna und Kollegen durch Kreuzungen herausfanden, in der Mitte des Chromosoms 5. Semidominant ist eine abgeschwächte Form von dominant … Gen-Namen: Eine babylonische Sprachverwirrung In diesem Buch werden Namen von Genen kursiv und klein gedruckt. Proteine bzw. Proteinnamen sind in normaler Schrift und mit dem ersten Buchstaben als Großbuchstaben aufgeführt. Beispiel: Genname clock, Proteinname Clock. Namen, die Teile von DNA oder RNA benennen, sind kursiv. Die spezifischen Bindungsstellen von Clock und Bmal1 an die DNA werden als E-Box, also kursiv bezeichnet. Weil es eine riesige Zahl von Genen und Proteinen gibt und nicht selten das gleiche Gen oder Protein von mehreren Forschergruppen gleichzeitig entdeckt wurde, ist die Benennung von Genen und Proteinen in der wissenschaftlichen Literatur häufig verwirrend. Zum Glück bringt eine öffentlich zugängliche Gendatenbank (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/gene/) Ordnung in dieses Wirrwarr. Gibt man beispielsweise das häufig in der Literatur verwendete Gensymbol des Uhren-Gens „bmal1 mouse“ ein, so erhält man als den offiziellen GenNamen „arntl“, das Akronym von „aryl hydrocarbon receptor nuclear ­translocator-like“. Allerdings gibt es für das arntl der Maus noch viele andere Synonyme: arnt3, bmal1b, bmal1, mop3, bhlhe5. Wenn man in der Datenbank weiter nach einem dem arntl entsprechenden Drosophila-melanogaster-Gen sucht, erhält man das Gensymbol cyc, das für cycle steht. Synonyme für cycle sind mel_CG8727, BMAL1, Bmal1, CG8727, CYCLE, Cycle, Dmel\CG8727, MOP3, Mop3, TGO_CYC, bHLHe7, bMAL1, dBMAL, dBMAL1, dBma1, dBmal, dCYC, dbmal, dbmal1. Die Symbole der dazugehörenden Maus- bzw. DrosophilaProteine sind Arntl und Cyc. In diesem Buch folgen wir im Falle des arntl-Gens der Maus nicht der offiziellen Bezeichnung, sondern dem in der wissenschaftlichen Literatur gängigen Namen bmal1 (bzw. Bmal1 für das entsprechende Protein). Denn die Entdecker dieses Gens haben es bmal1 getauft. Erst später wurde klar, das bmal1 zur Familie der aryl-hydrocarbon-receptor-nuclear-translocator-Gene gehört.

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Die Zunahme der Periodenlänge um etwa eine Stunde in Mäusen mit einer Kopie des mutierten clock-Gens war bereits recht eindrücklich. Was geschieht aber bei Mutanten, bei denen sowohl das väterliche als auch das mütterliche Chromosom 5 die clock-Mutation tragen? Ein typisches Aktogramm eines Wildtyps (Kontrolle) ist im oberen Teil von Abb. 3.4b zu sehen. τ für dieses Tier war 23,5 h. Wie tickt nun die circadiane Uhr von clock/clock-homozygoten Mutanten? Bei einem normalen L ­D-Rhythmus waren homozygote Tiere rhythmisch (Abb. 3.4b, unteres Aktogramm). In DD verbracht, zeigen clock/clock-Tiere zuerst ein τ zwischen 26 und 29 h, und nach circa zwei Wochen werden sie arrhythmisch. Weil sowohl die Periodenlänge als auch die Beständigkeit des Rhythmus massiv beeinträchtigt waren, schlossen Takahashi und Kollegen, dass das vom clock-Gen codierte Clock-Protein ein Bestandteil des circadianen Uhrwerks sein musste (Vitaterna et al. 1994). Es sei noch angemerkt, dass sogar homozygote ­clock-Mäuse ein anatomisch normales Gehirn hatten und dass sich vor allem die SCN von homozygoten Mutanten und Kontrollen nicht unterschieden. Clock hatte also nichts mit der Anatomie des Schrittmachers zu tun.

3.4 Das clock-Gen ausfindig machen Begeben wir uns noch einmal ins Labor zu Takahashi und seinen Mitarbeitern … Beim Ansatz der vorwärts-gerichteten Genetik geht es den Forschern bei ihrem nächsten Schritt darum, den in der Mitte des fünften Mauschromosoms gelegenen Ort des clock-Gens genau zu bestimmen und der ­clock-DNA zu erhalten (King et al. 1997): Sie wissen quasi, in welcher Stadt (Chromosom 5) und in welchem Viertel (Mitte) sich clock befindet, nicht aber, in welcher Straße und in welchem Gebäude. Zwei Publikationen aus dem Takahashi-Labor (King et al. 1997; Antoch et al. 1997) zum Thema Klonierung des clock-Gens verraten, welche Herausforderungen mit dieser Frage einhergehen. Es soll sich herausstellen, dass clock sich über eine Distanz von etwa 100.000 Basenpaaren erstreckt. Damit ist es zehnmal größer als typische Säugetiergene. Hinzu kommt noch eine hochkomplexe interne Einteilung von clock: Es besteht aus 24 Exons (gencodierenden Abschnitten, die von langen, nicht-codierenden Bereichen unterbrochen werden), und damit sind die clock-mRNAs ebenfalls extrem lang. Wir befinden uns gerade Mitten in den 1990er-Jahren. Es gibt primär die positionelle Klonierung zur Kartierung und anschließenden Identifizierung eines Gens, dessen Lage auf dem Chromosom man ungefähr kennt. Das ist

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bei clock der Fall. Und Takahashi kennt auch Marker, die links und rechts von clock liegen. Das Haus, das er sucht, liegt also irgendwo zwischen Kirche und Tankstelle. Bei der positionellen Klonierung isolieren Takahashi und seine Kollegen zuerst Teilstücke von Maus-DNA von jeweils etwa 100.000 bis 150.000 Basenpaaren Länge aus dem mittleren Bereich des fünften Chromosoms. Derart große Teilstücke fischt man z. B. aus einer BAC-Genbank, die, eingefügt in künstliche Bakterienchromosomen, größere Genomabschnitte der Maus enthält. Das Kürzel „BAC“ steht hier für bacterial artifical chromosome. Die gefundenen Teilstücke mit den Genomabschnitten – nennen wir sie A, B, C, D, E etc. – überlappten teilweise und können deshalb aneinandergereiht werden. So bilden sie ein Kontinuum, in der Genomforschung auch contig genannt. Diese contigs bildeten in ihrer Gesamtheit eine Karte des Mittelbereiches des fünften Chromosoms. Nehmen wir wieder das Bild der Stadtkarte: Die Kirche liegt darin auf B, die Tankstelle auf D und clock irgendwo dazwischen, z. B. auf C. Im Artikel von King et al. (1997) heißen die BAC-Abschnitte allerdings nicht A, B, C etc., sondern BAC 51, 52, und 54. Auf diesen drei Stücken DNA liegt, und das ist klar, das ganze oder zumindest ein großer Teil des clock-Gens … Es würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, zu beschreiben, wie Takahashi und seine Kollegen die drei BAC-Fragmente bei der Suche nach clock im Detail einsetzten. Um dennoch einen Eindruck des Suchvorgangs zu geben, sei hier kurz eine typische Analyse dargestellt. Man würde erwarten, dass clock im Hypothalamus, dem Sitz des SCN, stark aktiv ist – allerdings weniger ausgeprägt bei einer clock/clock-Mutante. Deshalb wurde aus dem Hypothalamus von Wildtypen und clock-mutanten Mäusen mRNA isoliert. Diese wurde mittels Gel-Elektrophorese nach Größe aufgetrennt. Anschließend wurden die aufgetrennten mRNAs auf eine Membran übertragen. Die Membran wurde dann in einem Beutel mit radioaktiv markierten DNA-Fragmenten versetzt, die aus den BACs 51, 52 oder 54 stammten. Jene membrangebundenen mRNAs, die Basensequenzen aufwiesen, die komplementär zur DNA der BACs waren, offenbarten sich als radioaktives Signal. Es zeigten sich zwei starke Signale bei der mRNA aus dem Wildtypgewebe. Beide Signale wurden auch in der mRNA aus ­clock-mutantem Gewebe gefunden, aber die Signalstärke war dort wesentlich geringer. Also musste das clock-Gen auf den BACs liegen. Am Ende der Suche lag eine ganze Palette von clock-DNA-Sequenzen vor, die es ermöglichte, alle Exons und die dazwischenliegenden Bereiche, die Introns des clock-Gens präzise zu kartieren. Mit dieser Information konnten Takahashi und Kollegen letztendlich die Aminosäuresequenz des Clock-Proteins

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e­ ntschlüsseln. Es bestand aus 855 Aminosäuren und war ein neues Mitglied der Familie der HLH-PAS-Transkriptionsfaktoren. Transkriptionsfaktoren binden typischerweise an die Kontrollregion von Genen und unterstützen maßgeblich die Übersetzung dieser Gene in mRNA als ersten Schritt der Proteinsynthese (Kasten „Transkription bzw. Aktivität von Genen“ bei Abschn. 4.1). Das Kürzel „HLH“ im Familiennamen steht für einen Teilbereich in der dreidimensionalen Struktur dieser Proteine. Dieser Teilbereich besteht aus einer kürzeren und einer längeren Helix (H), die mittels einer Schlaufe (L, loop ) verbunden sind. Die längere Helix bindet direkt an die DNA der Kontrollregion, während die kürzere Helix dem Zusammenhalt des Clock-Proteins mit einem ähnlich strukturierten Partner dient. Die PAS-Region dient ebenfalls der Anlagerung an das Partner-Protein. Die Voraussage war demnach, dass Clock an DNA bindet und einen Partner mit ähnlichen Eigenschaften haben muss. Beim Partner es handelt sich dabei um Bmal1, das ebenfalls zur Familie der ­HLH-PAS-Transkriptionsfaktoren gehört. Mäuse ohne Bmal1 haben keinen circadianen Rhythmus (Abschn. 4.2 bis 4.4). Zur Erinnerung: Das Protein Period, das maßgeblich an der Regulierung der circadianen Uhr mitwirkt, besitzt ebenfalls eine PAS-Region (Kap. 2, Abb. 2.6). Offensichtlich gibt es bei den Schlüsselproteinen der circadianen Uhr eine Verwandtschaft in der Architektur.

3.5 Zusammenfassung Reverse und vorwärts-gerichtete Genetik waren die beiden technischen Ansätze, die zur Entdeckung der period- bzw. clock-Gene bei Maus und Mensch führten. Die große Stärke der Genetik ist es, kausale Zusammenhänge aufzudecken: Wenn ein Gen in einem kritischen Bereich mutiert wird oder gar ganz fehlt, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Prozesse, an denen dieses Gen beteiligt ist. Also ohne clock oder period sollte es keine funktionierende circadiane Uhr geben. Allerdings findet man gerade bei Säugetieren nicht selten mehr als eine Version eines Gens. Es gibt z. B. drei period-Gene, die ähnliche Aufgaben haben und sich teils ersetzen können. Auch solche Fälle lassen sich mittels genetischer Kreuzungen untersuchen und verstehen. Genetische Experimente helfen auch, die Hierarchie in Gennetzwerken zu verstehen. Zum Beispiel sind die zeitlichen Aktivitätsmuster von uhrenregulierten Genen (Kap. 6) in Mäusen stark verändert, denen clock oder period fehlen. Also sind clock und period den uhrenregulierten Genen übergeordnet.

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Die Genetik alleine reicht allerdings nicht, um den Mechanismus eines Prozesses auf molekularer Ebene aufzuklären. Es ist richtig, dass Clock-, Bmal1- und Period-Proteine für die circadiane Uhr unabdingbar sind. Doch warum ist das so? Das können nur biochemische, zellbiologische und neurobiologische Experimente beantworten.

Literatur Übersichtsartikel Takahashi JS, Pinto LH, Vitaterna MH (1994) Forward and reverse genetic approaches to behavior in the mouse. Science 264:1724–1733

Wissenschaftliche Orginalliteratur Albrecht U, Sun ZS, Eichele G, Lee CC (1997) A differential response of two putative mammalian circadian regulators, mper1 and mper2, to light. Cell 91:1055–1064 King DP, Zhao Y, Sangoram AM, Wilsbacher LD, Tanaka M, Antoch MP, Steeves TD, Vitaterna MH, Kornhauser JM, Lowrey PL, Turek FW, Takahashi JS (1997) Positional cloning of the mouse circadian clock gene. Cell 89:641–653 Shearman LP, Jin X, Lee C, Reppert SM, Weaver DR (2000) Targeted disruption of the mPer3 gene: subtle effects on circadian clock function. Mol Cell Biol 20:6269–6275 Sun ZS, Albrecht U, Zhuchenko O, Bailey J, Eichele G, Lee CC (1997) RIGUI, a putative mammalian ortholog of the Drosophila period gene. Cell 90:1003–1011 Tei H, Okamura H, Shigeyoshi Y, Fukuhara C, Ozawa R, Hirose M, Sakaki Y (1997) Circadian oscillation of a mammalian homologue of the Drosophila period gene. Nature 389:512–516 Vitaterna MH, King DP, Chang AM, Kornhauser JM, Lowrey PL, McDonald JD, Dove WF, Pinto LH, Turek FW, Takahashi JS (1994) Mutagenesis and mapping of a mouse gene, Clock, essential for circadian behavior. Science 264:719–725 Zheng B, Larkin DW, Albrecht U, Sun ZS, Sage M, Eichele G, Lee CC, Bradley A (1999) The mPer2 gene encodes a functional component of the mammalian circadian clock. Nature 400:169–173 Zheng B, Albrecht U, Kaasik K, Sage M, Lu W, Vaishnav S, Li Q, Sun ZS, Eichele G, Bradley A, Lee CC (2001) Nonredundant roles of the mPer1 and mPer2 genes in the mammalian circadian clock. Cell 105:683–694

4 Der Uhrmacher kommt zum Zug

4.1 Ein epochales Experiment Anfang 1990 erschien in der Fachzeitschrift Nature eine Arbeit von Paul E. Hardin, Jeffrey Hall und Michael Rosbash, die als ein weiterer Meilenstein auf dem Gebiet der Chronobiologie gewertet werden darf (Hardin et al. 1990). Hardin, heute Professor an der Texas A&M University, war damals postdoctoral fellow d. h. promovierter wissenschaftlicher Assistent von Michael Rosbash von der Brandeis University. Als postdoc war Hardin äußert erfolgreich. Er konnte zeigen, dass das Period-Protein von der Taufliege Drosophila melanogaster über eine Rückkopplungsschleife die Aktivität seines eigenen Gens reguliert. Die Grafik in Abb. 4.1a zeigt die von Hardin aufgezeichnete Rhythmik der period-mRNA bei Drosophila melanogaster. In besagtem Versuch verwendete Hardin, anders als andere Forscher auf diesem Gebiet, nicht ganze Fliegen, sondern ausschließlich deren Köpfe, weil darin Zellen mit untereinander synchronisierten circadianen Uhren angereichert sind. Das Mengenprofil der period-mRNA, eine Darstellung für die Aktivität dieses Gens, zeigte ausgeprägte Spitzen und Täler und war ganz offensichtlich rhythmisch und zwar mit einer 24-h-Periodenlänge –außer beim letzten Maximum, das etwa vier Stunden zu früh war. Dieser ­ 24-h-Rhythmus entsprach genau dem Rhythmus der Schlüpf- bzw. Bewegungsaktivität (Abb. 2.1 und 2.3). Als Harding das zeitliche Aktivitätsprofil mit der D ­ rosophila-period-Mutante mit der kürzeren Periodenlänge untersuchte (perS, Abb. 4.1b), war der

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_4

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Abb. 4.1  Rhythmische Herstellung von Wildtyp-period-mRNA und periodS-mRNA. a) Der Wildtyp hat eine Periodenlänge von 24 h, b) die periodS-Mutante eine von 20 h. Der horizontale Zebrastreifen am unteren Rand stellt das Beleuchtungsschema der Fliegen dar. Nach mehreren Tagen im Hell-Dunkel-Wechsel (LD) wurden die Fliegen in konstante Dunkelheit (DD) gebracht, die Bedingung, bei der die circadiane Uhr den Rhythmus der period-Genaktivität bestimmt. Die weißen, grauen und schwarzen Rechtecke symbolisieren Tag, subjektiver Tag und subjektive Nacht. (Nach Hardin et al. 1990, S. 537; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 1990. All Rights Reserved)

­ hythmus der perS-mRNA ebenfalls sehr ausgeprägt, wies aber eine R 20-h-Wiederholung auf. Das entsprach ziemlich genau der Periodenlänge der Schlüpf- und Aktivitätsrhythmik der perS-Mutante (Abb. 2.1 und 2.3). Die

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von Hardin beobachtete Übereinstimmung zwischen der period-Genaktivität und der Bewegungsaktivität deutete darauf hin, dass die rhythmische periodAktivität und das rhythmische Verhalten der Fliegen ursächlich verknüpft sind. Hardin ging noch einen Schritt weiter. Ihm stand eine arrhythmische period-Mutante zur Verfügung (bezeichnet als period 01). In ­Hell-Dunkel-Zyklen zeigte die period01-mRNA in den Fliegenköpfen keinen Rhythmus. Nun schleuste Hardin ein intaktes period-Gen in die period01Mutante ein. Um das normale vom mutierten Gen unterscheiden zu können, führte er eine genetische Markierung in das period01-Gen ein, die aber die Funktion des Proteins nicht beeinträchtigte. Wie erwartet zeigten diese Fliegen eine normale Aktivitätsrhythmik. Viel wichtiger, da überraschend, war allerdings, dass die mRNA der period01-Mutate plötzlich auch wieder einen charakteristischen Tag-Nacht-Rhythmus zeigte. Das ­Wildtyp-Period-Protein forcierte also eine rhythmische Aktivität von period01. Anders gesagt: Hardin hatte bewiesen, dass das Period-Protein über eine negative Rückkopplung die Aktivierung seines eigenen Gens regelt. Das erklärte das rhythmische Zu- und Abnehmen von period-mRNA bzw. vom Period-Protein und etablierte Period als zentralen Baustein der circadianen Uhr. Rosbash meinte in seinem Festvortrag zur Nobelpreis-Verleihung, dass diese N ­ ature-Publikation wohl die wichtigste von allen Arbeiten seines Labors sei. Hardin, Hall und Rosbash hatten sich in ihrem wegweisenden Artikel indes nicht ausdrücklich auf den Mechanismus der Rückkoppelung festgelegt. Sie spekulierten einerseits, dass Period direkt die Aktivität seines Gens steuert, d. h. selbst als Transkriptionsfaktor wirkt. Anderseits könnten andere, noch unbekannte Proteine dazwischengeschaltet sein, und damit wäre die Rückkoppelung indirekt. Schließlich könnte P ­eriod-Protein die rhythmische Bewegungsaktivität von Drosophila antreiben und diese Bewegungsaktivität könnte über neuronale Mechanismen auf die periodmRNA-Produktion einwirken. Es sollte sich herausstellen, dass der zweite Weg der von der Natur gewählte ist. Das Period-Protein kontrolliert die Transkription seines Gens nicht direkt, sondern hemmt die beiden Aktivator-Proteine Clock und Cycle, die aber 1990 noch nicht entdeckt worden waren. Es stellte sich heraus, dass Clock und Cycle beides Transkriptionsfaktoren sind. Der Kasten „Transkription bzw. Aktivierung von Genen“ gibt Hintergrundinformation zu den Begriffen Genaktivierung, Transkription, mRNA und Transkriptionsfaktoren.

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Transkription bzw. Aktivierung von Genen Die Transkription spielt bei vielen biologischen Vorgängen eine zentrale Rolle, und die circadiane Uhr ist da keine Ausnahme. Daher wollen wir an dieser Stelle etwas Hintergrundwissen zum Thema der Transkription von Genen einfügen. Wie kommt es dazu, dass Clock und Cycle (bei Wirbeltieren als Bmal1 bezeichnet) unter den Zigtausenden Genen vorzugsweise jene andrehen, die für die circadiane Rhythmik benötigt werden? Dazu bedarf es einer ausgeklügelten Strategie, bei der Clock und Cycle selektiv an den Kontrollbereich von circadianen Genen wie etwa period binden und dadurch dieses Gen aktivieren. Was meinen wir mit dem Begriff „Kontrollbereich“ des period-Gens, und was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff „Aktivierung bzw. Transkription eines Gens“? Zuerst zur Aktivierung von Genen. Menschen und Mäuse besitzen jeweils etwa 25.000 Gene, die Proteine codieren. Die Fliege Drosophila melonagaster hat etwa 16.000 Gene. Die Sequenzinformation für ein Gen liegt auf jeweils einem der beiden komplementären Desoxyribonukleinsäuresträngen (DNA-Strängen), die gemeinsam eine Doppelhelix bilden. Chemisch gesehen ­ besteht jeder DNA-Strang aus einer immens langen Kette von vier Nukleotiden, die jeweils aus Base-, Zucker- und Phosphatrest bestehen. Als Basen kommen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin (bei RNA Uracil) vor, weshalb die Nucleotide der DNA (RNA) Adenosin (A), Guanosin (G), Cytosin (C), Thymidin (T) bzw. (Uridin, U) genannt werden. Die Abfolge der Nukleotide stellt die genetische Information dar, die in jeder Zelle eines Organismus vorliegt. Ein zentraler Forschungsbereich der Molekularbiologie beschäftigt sich mit der Frage, wie diese aus einer Abfolge von vier Nukleotiden bestehende genetische Information in einer Zelle zu Proteinen umgesetzt wird. Das ist ein mehrstufiger, teils im Zellkern ablaufender Prozess. Er beginnt mit der Transkription der DNA. Dabei wird einer der beiden DNA-Stränge mittels einer molekularen Maschine, der RNA-Polymerase II, in prä-mRNA transkribiert. Diese prä-mRNA wird unmittelbar weiterverarbeitet und dadurch zur mRNA, wobei „m“ für den englischen Begriff messenger (Bote) steht. Bote deshalb, weil die genetische Information, enthalten in der mRNA, vom Zellkern ins Zytoplasma transportiert wird. Dort übersetzen die Ribosomen, ebenfalls eine Art molekularer Maschinen, die mRNA in Protein (der Fachbegriff dafür heißt Translation). Die Proteine sind dann jene molekularen Werkzeuge, welche die Verantwortung und die Hauptlast beim Herstellen und den Aufgaben von Zellen, Organen und Organismen tragen. Es versteht sich, dass viele dieser Proteine wieder in den Zellkern zurück transportiert werden. Dazu gehören alle Transkriptionsfaktoren und deren Modulatoren, also auch Period. Nun zu den Kontrollregionen, die entscheiden, welche Gene wo und wann im Organismus transkribiert werden. Unsere 25.000 Gene haben eine Gesamtlänge von mehreren Metern, die im 5 µm (=5 × 10−6 m oder 1/200 mm) winzigen Zellkern zu einer dichten Masse aus DNA und Proteinen zusammengepresst sind. Man nennt diese Masse auch Chromatin. Bereiche des Chromatins, in denen Genen transkribiert werden, sind aufgelockert. Dies ermöglicht den Zugang von bei der Transkription benötigten Proteinen, wie etwa den bereits erwähnten Transkriptionsfaktoren und der RNA-Polymerase II. In Nervenzellen befinden sich neuronale Transkriptionsfaktoren, die die Aktivierung von Genen bewirken, welche z.  B. Nervenzellen-spezifische ­

4  Der Uhrmacher kommt zum Zug     55 Ionenkanäle codieren. In Muskeln gibt es Transkriptionsfaktoren, die zur Aktivierung von Myosin- und Aktingenen führen. Myosin und Aktin sind wichtige Bestanteile von Muskeln. Allerdings gibt es auch viele Gene, die in fast allen Zelltypen transkribiert werden. Dazu gehören beispielsweise die UhrenGene. Das besondere bei ihnen ist ihre meist tagesrhythmische Transkription. Wo binden Transkriptionsfaktoren an Gene? Gene sind in einen Kontrollbereich, einen transkribierten Bereich und einen Terminationsbereich unterteilt. Abb. 4.2 zeigt ein Schema des period-Gens. Im oft sehr umfangreichen Kontrollbereich binden Transkriptionsfaktoren, einzeln oder im Verbund, an bestimmte Stellen. Das Clock-Protein z. B. paart sich mit dem Bmal1-Protein, und die beiden binden zusammen passgenau an die in der Kontrollregion gelegenen E-Boxen. Das „E“ steht für enhancer, zu Deutsch „Verstärker“. Die E-Boxen sind kurze Abfolgen von Nukleotidpaaren. Das Binden von Clock und Bmal1 an die E-Boxen ermöglicht erst die Aktivierung von period. Weitere Proteine, sog. Koaktivatoren, lagern sich ihrerseits an Clock-Bmal1 an. Koaktivatoren, unter Mithilfe von ringförmigen Cohesinproteinen, können die DNA biegen und dadurch beispielsweise D-Box-assoziierte Transkriptionsfaktoren (z. B. das D-Box-bindende Protein Dbp) in den Kontrollbereich hineinmanövrieren. Dbp hat dabei eine verstärkende Wirkung auf die Aktivierung des period-Gens. Zu guter Letzt hat auch der sog. Kernpromoter, eine Nukleotidsequenz in unmittelbarer Nähe zum transkribierten Bereich, eine wichtige Aufgabe bei der Transkription. Am Kernpromoter verankern sich allgemeine, d. h. nicht genspezifische, Transkriptionsfaktoren, und die bilden zusammen mit den an die E-Boxen und D-Boxen gebundenen Transkriptionsfaktoren und Koaktivatoren einen Anlegeplatz, von dem aus die RNA-Polymerase II ablegt, um anschließend in Pfeilrichtung der DNA entlang zu segeln, und zwar bis zum Ziel, dem Terminationsbereich, bei dem die Polymerase dann von der DNA abfällt. Die RNA-Polymerase II ist eines der wichtigsten Proteine im Zellkern. Roger Kornberg von der Stanford University hat 2006 für seine Forschung an der Struktur und dem Wirkmechanismus des RNA-Polymerase II den Nobelpreis für Chemie erhalten.

4.2 Clock sucht einen Partner Zwar hat das Period-Protein eine PAS-Region (Abb. 2.6), also einen Bereich, den Molekularbiologen schon bei einigen Transkriptionsfaktoren fanden, aber es gab Mitte der 1990er-Jahre einen besseren Kandidaten als Period, der das period-Gen aktivieren könnte. Das war das Clock-Protein. Erstens bewirkt eine Mutation im clock-Gen in der Maus einen massiven Defekt in der circadianen Uhr (Kap. 3). Zweitens enthält das Clock-Protein neben einer PAS-Region auch noch eine Helix-Loop-Helix-Region (HLH) (Abschn. 3.4.). Die HLHStruktur besteht aus zwei wendelartigen Helices, die über eine Schlaufe miteinander verbunden sind. Schon Anfang der 1990er-Jahre entdeckten mehrere Forschungsteams diese HLH-Struktur bei verschiedenen Transkriptionsfaktoren. Für diese H ­ LH-Proteine konnte ­nachgewiesen werden, dass eine der

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Abb. 4.2  Schema eines typischen circadian regulierten Gens beim Menschen. Im Beispiel binden Clock-Bmal1-Heterodimere (rot und blau) an E-Boxen (rot). Dbp-Protein (gelb) bindet an eine D-Box (gelb). Weitere Proteine wie Koaktivatoren (grün) und Cohesinringe assoziieren mit Clock, Bmal1 und Dbp und bilden zusammen mit den am Kernpromoter gebundenen allgemeinen Transkriptionsfaktoren eine Nische. In diese aus gewundener DNA und Proteinen bestehenden Nische bindet die RNAPolymerase II, die sich in Pfeilrichtung bewegt und dabei die Nukleotidsequenz des transkribierten Bereichs der period-DNA abliest. Dabei entsteht die period-prä-mRNA, die später in mRNA und dann am Ribosom in das Period-Protein umgewandelt wird

beiden Helices sich in die Furche zwischen den beiden DNA-Strängen einfügt. Dieses Einpassen findet allerdings nur an bestimmten Stellen der DNA statt, im Bereich der E-Boxen (Abb. 4.2). Hardin und seine Mitarbeiter Hao und Allen, zu jener Zeit an der University von Houston in Houston, identifizierten 1997ein 69 Nukleotidpaare langes Stück DNA aus der Kontrollregion des ­Drosophila-period-Gens, das für die rhythmische Transkription des period-Gens verantwortlich war und eine E-Box enthielt (Hao et al. 1997). Hardin machte diese Experimente in Drosophila, deren Zellen natürlich auch die anderen für die Aktivierung wichtigen Faktoren enthielten. Welche Faktoren genau für die Aktivierung des period-Gens wesentlich waren, wusste Hardin nicht. Hier setzte die Forschung von Charles J. Weitz, Joseph S. Takahashi und deren Mitarbeitern den Hebel an (Gekakis et al. 1998). Takahashi ist damals an der Northwestern University in Evanston tätig, und Weitz an der Harvard Medical School in Boston, wo er bis heute arbeitet. Die beiden vermuten, dass Clock nicht alleine, sondern zusammen mit einem noch nicht identifizierten Partner an die E-Box in jenem 69 Nukleotidpaare langen DNA-Stück bindet und dadurch konzertiert die Transkription von period anschiebt. Wie aber findet man diesen Partner? Die Forscher setzen das Hefe-Zwei-Hybrid-System ein, das gerade en vogue ist. Bei dieser Methode wird das Maus-Clock-Protein als Köder quasi

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an einem Angelhaken aufgespießt und den „Fischen“ dargeboten, d. h. der Gesamtheit aller Proteine einer Säugerzelle. Einige der anbeißenden Fische sind dann, so die Voraussage, potenzielle Partner von Clock. Die Experimentatoren finden gerade einmal drei Fische mit Appetit für den Clock-Köder. Dies sind die Bmal1-, Arnt- und Arnt2-Proteine. Alle sind schon bekannt, aber ihre biologische Funktion ist noch nicht entschlüsselt. Man würde erwarten, dass ein potenzieller Clock-Partner in den gleichen Zellen wie Clock selbst aktiv wird. Eine In-situ-Hybridisierung (erklärt in Abschn. 3.1) zeigt, dass in den Neuronen des SCN, dem Sitz des circadianen Schrittmachers, nur bmal1-, aber nicht arnt1- und ­arnt2-mRNAs vorhanden sind. Nun gilt es zu beweisen, dass Clock und Bmal1 nicht nur in den gleichen Zellen vorkommen, sondern kooperativ die Aktivität des period-Gens steuern …

4.3 Clock und Bmal1 bilden ein Aktivatorpaar Um diesen nächsten Schritt zu gehen, hat das ­Northwestern-University/ Harvard University-Team im nächsten Versuch aus dem 69 Basenpaare langen Stück Drosophila-DNA von Paul Hardin die E-Box herausgeschnitten und zusammen mit einem Kernpromoter an die DNA-Sequenz eines Reporter-Enzymes angedockt. Dadurch entstand ein künstliches Gen, bestehend aus einer E-Box, einem Kernpromoter (ähnlich wie in Abb. 4.2 dargestellt) und einem transkribierten Bereich, der das Reporterenzym codierte. Das Reporterenzym verwandelt eine farblose Substanz in einen blauen Niederschlag und ist daher leicht nachweisbar. Die so zusammengeschusterte DNA wurde zu guter Letzt im Reagenzglas in ein ringförmiges DNA-Molekül (einen sog. Plasmidvektor ) eingefügt, das anschließend in eine Hefezelle eingebracht wurde, wo es sich selbst stark vermehrte. Ja genau, in die Hefe, die beim Backen und beim Gären von Bier verwendet wird. Dann führten Weitz, Takahashi und ihre Mitarbeiter die Gene clock oder bmal1 einzeln in die Reporter-tragenden Hefezellen ein. Der Reporter wurde so nicht hergestellt, denn es fand kein Blaufärben statt. Das geschah nur, wenn clock und bmal1 gleichzeitig eingeführt wurden. Dies lässt sich offensichtliche dadurch erklären, dass das Clock- und ­ Bmal1-Protein zusammen als Paar an die E-Box binden und nur in dieser Form den Reporter andrehen. Solche aus unterschiedlichen Partnern bestehende Proteinpaare bezeichnet man als Heterodimere. Weitz, Takahashi und deren Mitarbeiter haben noch eine ganze Reihe ähnlicher Versuche durchgeführt. Sie isolierten die Kontrollregion des

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period1-Gens der Maus und fanden dort mehrere E-Boxen, die sie einzeln oder hintereinandergeschaltet in Säugetierzellen einbrachten und prüften, ob so der Reporter angedreht wurde. Was immer auch versucht wurde, weder Clock noch Bmal1 alleine waren wirksam, aber die Kombination der beiden Transkriptionsfaktoren war immer effektiv. Nur wenn die DNA-Sequenz der E-Box durcheinandergebracht wurde, war das ­ Clock-Bmal1-Heterodimer wirkungslos. Warum? In diesem Falle findet keine Bindung des Heterodimers an die DNA statt, und in der Folge wird die RNA-Polymerase II nicht binden und Reportergen-mRNA herstellen können. Zusammengenommen sind die gerade geschilderten, 1998 in der Fachzeitschrift Science publizierten Experimente (Gegakis et al. 1998) außerordentlich wichtig, um die circadiane Uhr zu verstehen. Der große Verdienst von Charles J.Weitz, Joseph S. Takahashi und Mitarbeitern war es, zu beweisen, dass Clock-Bmal1-Heterodimere den Aktivator im circadianen Schrittmacher darstellen, weil sie zusammen die Transkription des ­period-Gens direkt andrehen. Anders gesagt, Clock und Bmal1 (im Falle von Drosophila das Cycle-Protein) sind also die von Hardin, Hall und Rosbash schon 1990 postulierten (Abschn. 4.1), aber noch unbekannten Proteine, welche die Aktivität des period-Gens bei Drosophila bzw. bei Maus und Mensch anschalten. Zu beachten ist allerdings, dass die circadiane Uhr zyklisch ist. Es ist also nicht zielführend, wenn Clock-Bmal1-Heterodimere zu immer mehr period-mRNA und Period-Protein führen. An einem Punkt muss das Pendel in die andere Richtung schwingen, sonst wird die Menge an period nicht rhythmisch sein, so wie die Experimente, dargestellt in Abb. 3.1. und 4.1a, das eindeutig zeigen. Es könnte sein, dass das Period-Protein die aktivierende Wirkung des Clock-Bmal1-Heterodimers behindert und daher die Clock-Bmal1-Heterodimere aus dem Verkehr zieht. Diesem Verdacht müssen wir gleich nachgehen. Zuvor aber wollen wir uns Experimenten zuwenden, die beweisen, dass bmal1 bzw. cycle wirklich Uhren-Gene sind. Voraussetzung dafür ist ja, dass Mäuse bzw. Fliegen ohne bmal1 bzw. cycle ein arrhythmisches Verhalten zeigen müssen.

4.4 Bmal1 wird für die Funktion der circadianen Uhr gebraucht Gerade haben wir argumentiert, dass Clock-Bmal1-Heterodimere die Transkription des period-Gens steuern – zumindest in Hefe- oder Säugetierzellen, die man mit Clock, Bmal1 und einem genetisch manipulierten Reporter bestückt hat. Kann man diesen Ergebnissen trauen, die auf einem,

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das muss man gestehen, derart künstlich zusammengemischten Milieu basieren? Der Nachweis einer Rolle von Bmal1 im Ticken der circadianen Uhr in einem lebenden Organismus geht auf eine Zusammenarbeit der Laboratorien von Joseph S. Takahashi und Christopher Bradfield (McArdle Laboratorium der Universität von Wisconsin in Madison im US Bundesstaat Wisconsin) zurück. Wie die Forscher im Jahre 2000 in der Zeitschrift Cell berichteten (Bunger et al. 2000), hatten sie die damals übliche reverse Genetik der homologen Rekombination in embryonalen Stammzellen angewandt, um das bmal1-Gen in der Maus zu entfernen. Die so erzeugten bmal1-freien Mäuse – sog. bmal1-Knockout-Mäuse – waren bei permanenter Dunkelheit im Laufradexperiment vollständig arrhythmisch, weil sie im SCN keine circadiane Uhr besaßen. Dass dem so war, wurde klar, als im SCN die Zeitprofile der mRNA für period1 und period2 analysiert wurden. Abb. 4.3 zeigt in der Wildtypmaus das erwartete stark ausgeprägte Maximum für period1 und period2. Bmal1Mutanten hingegen zeigen aber kein period-Signal. Anders gesagt: Sowohl Zell- als auch ­ Organismus-basierende Versuche beweisen, dass es ohne Bmal1-Protein weder eine Aktivierung des period-Gens noch eine funktionierende circadiane Uhr gäbe.

Abb. 4.3  Bmal1 wird zur Aktivierung der period-Gene benötigt. Aktivitätsprofile von period1 (a) und period2 (b) im SCN in Wildtypmäusen (durchgezogene Linie) und in Mausmutanten, denen das bmal1-Gen fehlt (gestrichelt). Die Tiere wurden bei konstanter Dunkelheit gehalten. In den Mutanten sind weder period1 noch period2 angedreht. Der Balken am unteren Rand der Grafik zeigt die subjektive Nacht (schwarz) bzw. den subjektiven Tag (grau) an. (Nach Bunger et al. 2000, S. 1013; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2000. All Rights Reserved)

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4.5 Das circadiane Uhrwerk wird zusammengebaut Clock-Bmal1-Heterodimere bewirken die Aktivierung der period1und period2-Gene, und die anschließend gebildeten Period1- und ­Period2-Proteine behindern die Aktivierung der period1- und period2-Gene. Allerdings war Ende der 1990er-Jahre der Mechanismus dieser negativen Rückkopplung unklar. Die Aufgabe, dies aufzuklären, gab sich ein aus drei Forschungslaboratorien bestehendes Team, geleitet von Steve Kay vom Scripps Research Institute in La Jolla, USA, und seinen Kollegen Weitz und Takahashi aus Boston und Evanston. Für Weitz und Takahashi war dieses Projekt eigentlich eine Erweiterung ihrer Arbeiteten zur durch Clock-Bmal1 aktivierten period-Gen-Transkription bei der Maus. Es lag nahe, dieses gerade von Weitz und Takahashi gewonnene Wissen auf die D ­ rosophila-Uhr auszudehnen, bei der die negative Rückkoppelung von Period auf seine eigene Transkription ja bereits bedacht wurde. Schauen wir dem Team also von Nahem zu. Die zehn Personen suchen zuerst einmal in einer Drosophila-Kopf-cDNA-Bibliothek nach einem mit dem Maus-clock verwandten Drosophila-Gen. Technische Details zur Herstellung der cDNA-Bibliothek und zum Herauspicken des richtigen Gens wollen wir überspringen. Sie sind nachzulesen im entsprechenden im Juni 1998 erschienen Science-Beitrag (Darlington et al. 1998). Wesentlich ist nur, dass die Gen-Bibliothek DNA-Stücke enthält, die den in D ­ rosophila-Köpfen vorkommenden mRNAs entsprechen. Das Herauspicken des vermuteten Drosophila-clock-Gens mithilfe einer Maus-clock-Sonde gelingt den Wissenschaftlern. Die Nukleotidsequenz von mehreren herausgepickten ­DNA-Stücken zeigt, dass einige von ihnen das Drosophila Clock-Protein codieren. Bemerkenswert ist, dass die Gruppen von Jeffrey Hall und Michael Rosbash mittels vorwärts gerichteter Genetik zu dieser Zeit ebenfalls das Drosophila-clock-Gen isolieren (Allada et al. 1998). Den Spuren Konopkas folgend gelingt es ihnen mittels Mutagenese neue Drosophila-Mutanten zu finden, die keinen circadianen Rhythmus aufweisen. Hall, Rosbash und Mitarbeiter finden dabei ein Gen, dass sich als die Drosophila-Version des Maus-clock-Gens herausstellte. Zurück zu Kay, Weitz und Takahashi. Sie haben nun Drosophila-clock in den Händen und können untersuchen, ob das Einbringen dieses Gens in Drosophila-S2-Zellen das period-Gen anschaltet. Diese Zellen stammen von in Kultur gebrachten Drosphila-Embryonen. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt eine massive Aktivierung des period-Gens. Das ist auf den

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ersten Blick unerwartet, denn bei den beschriebenen Experimenten bedingt das Anschalten des period-Gens die Gegenwart sowohl von Clock als auch von Bmal1. Zur Erinnerung: Bei Drosophila heißt Bmal1 „Cycle“. Das Paradox wird aber alsbald aufgelöst: Die Wissenschaftler erkennen, dass die verwendeten Drosophila-S2-Zellen ihr eigenes Cycle-Protein mitbringen. Biolumineszenz Die Erzeugung von Licht durch Lebewesen nennt man Biolumineszenz. Sie beruht auf einer chemischen Reaktion, in der eine Ausgangssubstanz (z. B. Luciferin) mithilfe eines Proteins (z. B. Luciferase) zu einem energiereichen, instabilen Produkt umgewandelt wird. Dieses zerfällt unmittelbar und sendet dabei Licht aus. Biolumineszenz ist in der Natur weit verbreitet, z. B. beim Glühwürmchen aber auch bei vielen Bewohnern der Tiefsee. Daher wurden viele solche lichterzeugenden Proteine entdeckt, die sich in ihrer Lichtfarbe unterscheiden. In der Forschung wird im Reagenzglas die DNA einer bestimmten Luciferase an den Kontrollbereich (Abb. 4.2) eines zu untersuchenden Gens angedockt. Die so fusionierte DNA wird in eine Träger-DNA eingebaut (z. B. ein Plasmid), die in Zellen, ja sogar in ein Tier, eingeschleust wird. In den Zellen bzw. dem Tier wird die Luciferase hergestellt, die dann zugegebenes Luciferin umsetzt und dabei Licht freisetzt. Da die Menge an Licht in solchen Experimenten – anders als in der Natur – meist zu schwach ist, um vom menschlichen Auge gut erfasst zu werden, nimmt man ein Messgerät (Luminometer) zu Hilfe. Sollte der Kontrollbereich des fusionierten Gens von einem circadian rhythmischen Gen abstammen, dann beobachtet man eine solche circadiane Rhythmik auch in der Intensität des Leuchtens.

Jetzt ist das Team bereit zum Schlüsselexperiment, und das geht so: Man nehme das Drosophila-clock-Gen und führe es in S2-Zellen ein. Dann gebe man ein Reporter-Gen dazu, bestehend aus einer E-Box, einem Kernpromoter und der DNA-Sequenz der Luciferase. Letztere kann das den S2-Zellen zugegebene Luciferin in eine selbstleuchtende Form verwandeln, ein Phänomen, das als Biolumineszenz bekannt ist. Weil das ­Drosophila-Clock-Protein gemeinsam mit dem in den S2-Zellen bereits vorhandenen Drosophila-Cycle-Protein den Reporter andreht, leuchten die S2-Zellen intensiv (linker Balken in Abb. 4.4). Parallel zu diesem Experiment bringt man in S2-Zellen zusätzlich noch period und seinen Assistenten timeless (Abschn. 4.6) ein und misst wiederum die Biolumineszenz. Das Ergebnis frappiert: Durch die Zugabe von period und timeless verringert sich die Leuchtintensität auf gerade einmal ein Fünftel der Kontrolle (Abb. 4.4). Period oder timeless alleine bewirken eine 24 %ige bzw. keine Verminderung der Biolumineszenz. Die einfachste Erklärung ist, dass das Period-Protein

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Abb. 4.4  Negative Rückkoppelung des Period-Proteins auf seine eigene Aktivität. Im gezeigten Versuch induzieren Clock-Bmal1-Heterodimere die Aktivität von Luciferase über ein künstlich eingeführtes E-Box-Element, wie es auch im period-Gen gefunden wird. Bei Zugabe von Luciferin erzeugt Luciferase eine starke Biolumineszenz, willkürlich als 100 % gesetzt. Das gleichzeitige Einbringen von period und timeless führt zu einer markanten Reduktion dieser Biolumineszenz. Eine Komponente allein hat dagegen nur einen geringen (period) oder gar keinen Effekt (timeless). (Nach Darlington et al. 1998, S. 1602; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 1998. All Rights Reserved)

zusammen mit Timeless die Aktivierung seiner eigenen Herstellung durch Clock-Cycle-Heterodimere direkt verhindert. Damit hat sich der circadiane Kreislauf geschlossen: Clock-Bmal1 (bzw. Cycle) drehen das period-Gen an, und das sich daraus ergebende Period-Protein hemmt anschließend die Aktivität seines eigenen Gens. Wie wir gleich erklären werden, finden Aktivierung und Hemmung zeitlich gestaffelt statt: Die Aktivierung geschieht tagsüber, die Hemmung in der Nacht.

4.6 Timeless Gewissermaßen durch das Hintertürchen ist das D ­ rosophila-Timeless-Protein in den Uhrenmechanismus als Hemmerprotein hineingeschlüpft. Das zugehörige Gen hatten allerdings schon in den 1990er-Jahren Michael Young und seine Mitarbeiter von der Rockefeller Universität in New York entdeckt. Fliegen ohne das timeless-Gen zeigten keine circadiane Rhythmik, weder beim Schlüpfen noch bei der Bewegung. Das erinnerte das New

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Yorker Forscherteam stark an die Charakteristika der period-Mutanten, die Konopka und Benzer fast 25 Jahre früher entdeckt und beschrieben hatten. Das Rockefeller-Team stellte in zwei 1994 erschienen Arbeiten in der Tat einen direkten Zusammenhang zwischen den Timeless- und Period-Proteinen her (Seghal 1994). Die beim Wildtyp rhythmische ­ Transkription des period-Gens beobachtet man in timeless-Mutanten nicht (Abb. 4.5). In einer unmittelbar nachfolgenden Publikation wurde gezeigt, dass ohne das Timeless-Protein Period-Proteine nicht in den Zellkern transportiert werden – zum Ort, wo Period seine hemmende Wirkung entfaltet (Vosshall et al. 1994). Allerdings war es 1994 keineswegs ausgemacht, dass das ­Period-Protein seine Aufgabe im Zellkern wahrnimmt. Diese Erkenntnis erbrachten erst die 1998 erschienenen und soeben besprochenen Experimente von Weitz, Kay, Takahashi und Mitarbeitern. Gerade einmal sieben Seiten füllen diese bahnbrechenden, zeitlosen (timeless) Experimente in der am 18. März 1994 publizierten Ausgabe des Science-Magazins. Im November 1995 berichtete das Rockefeller-Team dann, ebenfalls in

Abb. 4.5  Aktivität des period-Gens in den Köpfen von Wildtypfliegen (a) und timeless-Mutanten (b). Im Wildtyp ist die period-Aktivität rhythmisch, aber in timeless-Mutanten erkennt man bloß unregelmäßige Schwankungen. Der Zebrastreifen symbolisiert den LD-Beleuchtungsrhythmus. (Nach Sehgal et al. 1994, S. 1605; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 1994. All Rights Reserved)

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Science, die Klonierung und Sequenzanalyse von timeless (Myers et al. 1995). Allerdings gab auch diese Proteinsequenz keine eindeutigen Hinweise auf eine bestimmte molekulare Funktion, wie etwa die Fähigkeit, an DNA zu binden. Trotz dieses Mangels waren Entdeckung und Untersuchungen des zweiten nach Period entdeckten circadianen Uhren-Gens sehr beeindruckend und gewiss einer von vielen Gründen für das Nobel-Komitee, Michael Young zusammen mit Rosbash und Hall 2017 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zu verleihen.

4.7 Der circadiane Schrittmacher: ein Tanz der Gene und Proteine Die meisten circadianen Gene zeigen ein sich über den Tag veränderndes Aktivitätsprofil. Sinnvollerweise sind die Gene der Aktivatoren immer vor den Genen der Hemmer angeschaltet. Diese tageszeitliche Verteilung muss sein, denn bei einer gleichzeitigen Aktivität von Aktivator und Hemmer gäbe es keinen circadianen Schrittmacher und keine circadiane Rhythmik. Über die Jahre hin hat sich das Wissen über den circadianen Schrittmacher enorm vertieft. Konzentrieren wir uns daher erst einmal auf die wesentlichen Punkte. Abb. 4.6a zeigt das Aktivierungsprofil des Aktivator-Gens

Abb. 4.6  mRNA-Rhythmen des circadianen Aktivator-Gens bmal1 (a) und des Repressor-Gens period2 (b). Hell und Dunkel werden mit einer weißen bzw. grauen Fläche angezeigt. Der Aktivator ist während der Nacht stark angedreht, während der Repressor sein Maximum tagsüber erreicht. period1 und period2 zeigen ein ähnliches Profil

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bmal1 im SCN der Maus über zwei Tage hinweg. Die bmal1-Aktivität erreicht einen Maximalwert ungefähr mitten in der Nacht von Tag 1. Das entsprechende Bmal1-Protein zeigt seinen Zenit, zeitlich verzögert, gegen Anbruch von Tag 2 (das Proteinprofil ist in Abb. 4.6 nicht dargestellt). Clock wird fortlaufend und konstant im SCN erzeugt. Daher sind in den frühen Morgenstunden von Tag 2 genügend Clock-Bmal1Heterodimere vorhanden, um das period2-Gen anzuschalten (Abb. 4.6b). Am Nachmittag von Tag 2 erreicht die Aktivität von period2-mRNA ihren Spitzenwert, gefolgt vom Period2-Protein, das die noch vom Morgen herstammenden ­ Clock-Bmal1-Heterodimere daran hindert, weiter period2mRNA zu produzieren. Das vorhandene Period-Protein wird dann langsam abgebaut. Dieses zyklische Werden und Vergehen von Bmal1 und Period2 ist schematisch mit der oberen Schlaufe von Abb. 4.7 dargestellt und in der Legende dazu weiter kommentiert. Fragen Sie sich auch, woher es denn kommt, dass die Aktivität von bmal1 cyclisch ist (Abb. 4.6)? Das ergibt sich aus der ebenfalls cyclischen Aktivität des hemmenden Transkriptionsfaktors RevErb. Die Aktivität des reverb-Gens wird von Clock-Bmal1-Heterodimeren geregelt. Das heißt, solange es genügend Bmal1-Protein im Zellkern gibt, wird die Aktivität des bmal1-Gens gehemmt, weil Bmal1 die Menge seines eigenen Hemmers ­(RevErb-Protein) hochschraubt (Abb. 4.7, untere Schlaufe).

4.8 Licht und period Bisher haben wir jene Gene und Proteine besprochen, die das konstant fortlaufende Ticken der circadianen Uhr verantworten. Diese verlässliche, rund um die Uhr arbeitende Zeitmaschine koordiniert die tägliche Wiederkehr vieler physiologischer Prozesse. Biologische Uhren muss man aber auch verstellen können! Eine besondere Herausforderung sind Reisen in Richtung Ost-West und umgekehrt über mehrere Zeitzonen hinweg (Abschn. 1.4). Offensichtlich muss sich die circadiane Uhr der Reisenden an den L ­icht-Dunkel-Rhythmus am Ziel adaptieren können. Unsere eigene Forschung zeigte, dass die Angleichung der circadianen Uhr an eine andere Zeitzone mit einer Verschiebung der Aktivität der periodGene beginnt (Kiessling et al. 2010), vermutlich deshalb, weil period1 und period2 die einzigen lichtgesteuerten Gene der circadianen Uhr der Säugetiere sind. Die ersten Hinweise auf die lichtinduzierte Aktivität von period1 und period2 kam aus unseren Forschungen (Albrecht et al. 1997) und den

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Abb. 4.7  Der circadiane Schrittmacher ist ein verwobenes Netzwerk von sich selbstregulierenden Genen und Proteinen. Zu Beginn des Tages binden Clock- und Bmal1Proteine an die E-Boxen der cryptochrome- (gelb), period- (blau) und reverb- (rot) Gene und drehen diese an. Obere schwarz-gestrichelte Rückkopplungsschleife: Die cryptochrome- und period-mRNAs werden im Zytoplasma in Cryptochrome- und Period-Proteine übersetzt und am Abend in den Zellkern importiert. Dort binden sie Clock-Bmal1-Heterodimere, hemmen diese Aktivatorproteine und schalten dadurch die cryptochrome- und period-Genaktivität wieder aus. Untere rot-gestrichelte Rückkopplungsschleife: Aktiviert durch Clock und Bmal1, wird reverb mRNA hergestellt und in RevErb-Protein übersetzt. Dieses Protein hemmt dann die Aktivität des bmal1Gens (rosa) indem es sich an dessen RORE-Box anlagert. Ein T-Symbol bedeutet Hemmung

­xperimenten, die im Labor des japanischen Chronobiologen Hitoshi E Okamura an der K ­ obe-Universität in Japan durchgeführt wurden und ebenfalls Ende 1997 in der Zeitschrift Cell erschienen (Shigeyoshi et al. 1997).

4  Der Uhrmacher kommt zum Zug     67

Okamuras Leute fanden, dass selbst bei konstanter Dunkelheit die period1-Transkription rhythmisch ist (Abb.  4.8a), in voller Übereinstimmung mit unseren Befunden (Abb. 3.1). Demnach beobachteten sie ein Maximum an period1-Genaktivität circa 4 h nach Tagesbeginn. Ein vor Mitternacht verabreichter Lichtpuls induzierte das period1-Gen innerhalb von 30 min (Abb. 4.8a, b). Der Licht-induzierte Peak der period1-Aktivität bei 16 h ist gleich hoch wie der natürlich vorkommende period1-Peak. Der Anstieg beginnt schon während des Lichtpulses, und wird gefolgt von einem raschen Abfallen (Abb. 4.8a). Im period1-Gen gibt es offenbar eine Kontrollregion, die direkt und rasch auf Licht anspricht. Es ist auffällig, dass bei den gepulsten Mäusen am Morgen danach das Aktivitätsmaximum von period1 um zwei Stunden verzögert ist (Abb. 4.8a). Aber verändert der verabreichte Lichtpuls auch die Bewegungsaktivität und damit die Uhr der untersuchten

Abb. 4.8  Ein nächtlicher Lichtpuls induziert die Aktivität des period1-Gens im SCN der Maus. Das Diagramm in a zeigt das Ausmaß an Aktivität von period1 im SCN für die Dauer von zwei Tagen. Die Stärke wurde mittels In-situ-Hybridisierung ermittelt. Die Tiere befanden sich in konstanter Dunkelheit. Im Beleuchtungsdiagramm ist der subjektive Tag grau eingezeichnet. Ein Lichtpuls induzierte period1 (a) und verzögerte die period1-Genaktivität am nachfolgenden Tag. Das erkennt man daran, dass die maximale Aktivität von period1 etwa zwei Stunden hinter dem entsprechenden Maximum am ersten Tag herhinkt. (b) zeigt die zunehmende Stärke (gelbes In-situ-Hybridisierungssignal) der period1- Aktivität im SCN nach Verabreichung eines 15-minütigen Lichtpulses. Nach einer Stunde erreichte das Ausmaß an Aktivität den Maximalwert. (a nach Shigeyoshi et al. 1997, S. 1045; b nach Albrecht et al. 1997, S. 1061; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 1997. All Rights Reserved).

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Mäuse? Wie im Kap. 1 erläutert, misst man diese Aktivität, indem man Mäuse in ein Laufrad bringt und die Umdrehung des Rades in Abhängigkeit der Zeit aufzeichnet. Das dabei entstehende Aktogramm zeigte, dass der Lichtpuls zur Stunde 16 eine Verzögerung der Laufradaktivität am kommenden Tag um zwei Stunden bewirkte. Wie ist das alles zu erklären? Die vom Lichtpuls erzeugte massive Erhöhung der period1-mRNA, gefolgt von einem proportionalen Anstieg des Period1-Proteins, bewirkt eine Verzögerung der vom Clock-Bmal1angeschalteten Transkription von period1 am nachfolgenden Morgen, und dies führt zu einer Verzögerung des circadianen Uhrwerks. Die circadiane Uhr wird sozusagen um ein paar Stunden zurückgedreht: Die Maus wacht später auf und startet ihren Sprint im Laufrad ebenfalls später.

4.9 Zusammenfassung Die einzelnen Bestandteile des circadianen Uhrwerks greifen eng ineinander. Wir haben mit bmal1 (cycle im Falle von Drosophila) und timeless zwei neue circadiane Gene kennengelernt und gesehen, wie sie zusammen mit period- und clock-Genen über Rückkopplung miteinander vernetzt sind. Die Rückkopplung ist sowohl positiv als auch negativ; es gibt Aktivierung und Hemmung, die zusammengenommen eine rhythmische Transkription der circadianen Uhren-Gene bewirken. Das Szenario ist also folgendes: Ein paar Stunden nach Tagesanbruch aktivieren die Transkriptionsfaktoren Clock und Bmal1 (bzw. Cycle) das period-Gen, indem sie sich gemeinsam an dessen Kontrollregion anlagern und so bewirken, dass dadurch die RNA-Polymerase II rekrutiert wird. Diese legt alsbald mit Ablesen des ­ ­period-Gens los und produziert period-mRNA, die in das Zytoplasma wandert und dort von Ribosomen in Period-Protein übersetzt wird. Das Period-Protein erreicht sein Maximum dann in den Abendstunden. PeriodProtein wird zu jener Zeit mithilfe des Timeless-Proteins (in Wirbeltieren übernimmt das Cryptochrome-Protein diese Aufgabe) in den Zellkern zurückbefördert und blockiert dort die Clock-Bmal1-Heterodimere (Clock-Cycle im Falle der Taufliege) in ihrer Aufgabe, das period-Gen zu transkribieren. Sobald die zelleigenen Enzyme Period und Timeless abgebaut haben, beginnt ein neuer circadianer Zyklus – ein nächster Tag. Herstellung und Abbau der circadianen Proteine sind zeitlich getaktet, und die circadianen Proteine sind kurzlebig. Ohne diese Eigenschaften würde keine 24-h-Rhythmik entstehen.

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Die circadiane Uhr läuft automatisch und stetig – das ganze Leben lang. Bei einer Lebensdauer von 90 Jahren werden jeden Tag – d. h. insgesamt ungefähr 33.000-mal – um die Frühstückspause herum die period-Gene angeschaltet. Bei Anlässen, bei denen sich die Rhythmik von Hell und Dunkel zeitlich verschiebt (Jetlag), werden bei Säugetieren die ­period-Gene direkt durch Licht aktiviert – und es verschieben sich die Aktivitätsprofile aller anderen Uhren-Gene. Damit einhergehend werden alle von der circadianen Uhr gesteuerten Körperfunktionen an den veränderten ­Hell-Dunkel-Rhythmus angepasst.

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5 Circadiane Uhren im Laufe der Evolution

Die Zeitspanne von 1940 bis etwa 1970 war die Epoche des systematischen Beschreibens circadianer Rhythmen. Es war auch die Zeit, in der circadiane Rhythmen bei vielen Organismen gesucht und gefunden wurden. Beispiele sind Cyanobakterien, Pilze und Pflanzen. Hier stellen wir die circadiane Uhr des Cyanobakteriums Synechococcus elongatus und des Schimmelpilzes Neurospora crassa vor. Beide Lebewesen stehen eher auf den unteren Sprossen der Evolution. Das will allerdings nicht heißen, dass sie biologisch weniger interessant sind. Beide Organismen haben zudem große Bedeutung bei global wirksamen Prozessen: Cyanobakterien beim Kohlen- und ­Stickstoff-Zyklus und Neurospora beim Abbau von totem Pflanzenmaterial z. B. nach Flächenbränden und als Brotschimmel in der Küche, wo der Pilz Speisen verdirbt. Das Bakterium nennt etwa 3000 Gene sein Eigen, der Pilz sogar ungefähr 10.000! Und beide Organismen sind genetisch umfassend erforschbar.

5.1 Eine uralte circadiane Uhr bei Cyanobakterien Mit zu den ältesten, aber heute noch existierenden Lebewesen gehören die Cyanobakterien. Wegen ihrer blaugrünen Färbung werden sie auch Blaualgen genannt, aber vom Standpunkt der Botanik aus sind sie gar keine Algen. Die Abteilung der Cyanobakterien umfasst etwa 2000 ein- oder vielzellige Arten. Cyanobakterien leben im Süß- und im Meereswasser, im © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_5

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feuchten Boden und auf biologischen Oberflächen, ja sogar auf Fels. Man findet reichlich fossile Cyanobakterien als feinlaminierte Stromatolithen, deren Alter auf 2,1 bis 2,7 Mrd. Jahre geschätzt wird. Die 3000 Gene der heute vorkommenden Cyanobakterien befinden sich auf einem einzigen Chromosom, das frei im Zellplasma vorliegt. Einen Zellkern gibt es bei Cyanobakterien und Bakterien als Prokaryonten nicht. Das Genom ist also recht klein verglichen mit den fünf- bis zehnfach umfangreicheren Genomen von Insekten und Wirbeltieren. Viele Cyanobakterien haben die Fähigkeit zur Photosynthese, die tagsüber mithilfe von Lichtenergie Kohlendioxid (CO2) aus der Luft in organische Substanzen wie etwa Zucker verwandelt, einen der Bausteine, die Cyanobakterien zum Leben brauchen. Hierbei entsteht quasi als Nebenprodukt molekularer Sauerstoff (O2). Bis in die Mitte der 1980er-Jahre war sich die Wissenschaft uneins, ob Cyanobakterien eine circadiane Uhr besitzen. Der einflussreiche Chronobiologe Erwin Bünning schreibt in seinem Lehrbuch „Die physiologische Uhr“ in der dritten Auflage von 1977 auf Seite 20 indes lapidar: „Oft ist nach circadianen Rhythmen bei Prokaryoten (Bakterien und blaugrünen Algen) gesucht worden. Die meisten dieser Bemühungen blieben erfolglos. Einigen Angaben über circadiane Rhythmen bei Bakterien sind Zweifel über mögliche Fehlerquellen entgegengebracht worden.“ Ob die in der Urzeit lebenden Cyanobakterien eine circadiane Uhr hatten, werden wir wohl nie wissen. Wir wissen aber, dass einige ihrer jetzt lebenden Nachkommen geradezu exquisite circadiane Zeitmesser besitzen – eine Rolex sozusagen. Der Zweck dieser Cyanobakterienuhr ist der gleiche wie bei der Uhr von Drosophila, Maus und Mensch: Es geht um die Organisation des Tagesablaufs in der Zelle und um die Notwendigkeit der Voraussage der durch den Tag-Nacht-Rhythmus vorgegebenen Veränderungen in der Umwelt. Eine circadiane Uhr ermöglichte den Cyanobakterien z. B., die für die Photosynthese benötigten Proteine schon kurz vor Tagesbeginn bereitzustellen, um so optimal von der Sonnenzeit zu profitieren. Die Entdeckung der circadianen Rhythmik bei Synechococcus, einer Blaualgengattung, war eher zufällig. Im Jahr 1982 initiierte Tan-Chi Huang vom Institut für Pflanzen- und mikrobielle Biologie der Academia Sinica in Taipei (Taiwan) ein Forschungsprojekt zum Thema der Stickstofffixierung in Reisfeldern. In diesem Zusammenhang wurde quasi nebenbei die circadiane Uhr der Blaualgen entdeckt. Einen kurzen historischen Bericht dazu findet man in einem von Huang und Lin in 2009 publizierten Artikel auf den Seiten 40 bis 42 (Huang und Lin 2009). Bei der Stickstofffixierung

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wird molekularer Stickstoff (N2) mithilfe des Nitrogenase-Enzymkomplexes in Ammonium umgewandelt. Huang isolierte Synechococcus-Cyanobakterien und charakterisierte verschiedene Isolate bezüglich ihrer Fähigkeit, Stickstoff zu fixieren. Eines der Isolate war das einzellige Cyanobakterium ­Synechococcus-RF-1 (RF steht für Reisfeld). Hier muss man eines bedenken: Cyanobakterien produzieren tagsüber in der Photosynthese Sauerstoff, der die Nitrogenase zerstören kann und die Stickstofffixierung somit unmöglich machen würde. Reiner Selbstmord für das Bakterium! Wie also könnten Photosynthese und Stickstofffixierung in einem einzelligen Organismus ablaufen, ohne sich gegenseitig zu stören? Der clevere Huang ist der Antwort schon auf der Spur …. Huang setzt die Synechococcus-RF-1-Kulturen einem Licht-Dunkel-Zyklus aus. Er ist erleichtert: Die Stickstofffixierung findet vor allem im Dunklen statt. Die beiden unvereinbaren Prozesse, die licht-getriebene Photosynthese und die Stickstofffixierung, sind also zeitlich voneinander getrennt. Huang schreibt in seinem Artikel von 2009, dass er zu jener Zeit nichts über ­Tag-Nacht-Rhythmen weiß … So ist es eine Fügung des Schicksals, dass 1986 Nathanael Grobbelaar dem Laboratorium von Huang einen dreimonatigen Besuch abstattet. Grobbelaar hat das Botanische Institut der Universität von Pretoria in Südafrika geleitet und ist just emeritiert. Er ist ein sachkundiger Pflanzenphysiologe und sammelt in seiner Freizeit Sagopalmfarne, die in ihren Wurzeln symbiontische, stickstofffixierende Cyanobakterien beherbergen … Grobbelaar weiß auch um die circadiane Uhr. Er zeigte als Gastwissenschaftler in Huangs Labor, dass bei den in LD gehaltenen und anschließend in konstantes Licht (LL) gebrachten Synechococcus-RF1-Kulturen die Stickstofffixierung immer in der subjektiven Nacht stattfindet und eine 22-h-Freilaufrhythmik zeigt (Abb. 5.1). Das Maximum der Nitrogenase-Aktivität wird also zu jenen Zeiten beobachtet, die der Nacht im vorangegangenen LD-Szenario entsprachen. Weil der Rhythmus bei konstanten Bedingungen (LL) stattfindet, muss die circadiane Uhr die ­Nitrogenase-Aktivität steuern … Damit hatten Grobbelaar und Kollegen die Existenz einer circadianen Uhr bei Cyanobakterien nachgewiesen und Bünnings Bedenken entkräftet. Die Experimente wurden in der Fachzeitschrift FEMS Microbiology Letters publiziert (Grobbelaar et al. 1986). Das ist ein spezialisiertes Fachjournal, das nur wenige Mikrobiologen lesen. Kein Rampenlicht, also. Dafür fehlte noch die Identifizierung der hinter der Synechococcus-Uhr stehenden Gene. Die Arbeiten von Rosbash, Hall und Young (Kap. 2) sind dagegen berühmt geworden: Sie veröffentlichten 1984 die Identifizierung des

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Abb. 5.1 Nitrogenase-Aktivität in einer Kultur von Synechococcus-RF-1 bei konstantem Licht (LL) ist circadian geregelt. Die Kultur wurde zuerst für einige Tage bei 16 h Licht und 8 h Dunkel (von 10:00 bis 18:00) getaktet und dann in konstantes Licht gebracht. (Nach Grobbelaar et al. 1986, S. 176; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 1986. All Rights Reserved)

p­ eriod-Gens von Drosophila in den äußerst renommierten Fachzeitschriften Nature bzw. Cell. Das steigerte deren allgemeine Beachtung enorm – und errichtete nicht zuletzt den Sockel für ihren Nobelpreis in 2017.

5.2 Der circadiane Schrittmacher der Cyanobakterien ist revolutionär Von der Entdeckung circadianer Rhythmen bei Synechococcus bis zur Identifizierung der Uhren-Gene bei Cyanobakterien vergingen zwölf Jahre. Was ist in dieser Zeit alles geschehen? Johnson und Yao Xu haben darüber eine ausführliche Reportage veröffentlicht (2009). Die meisten wichtigen Fortschritte lagen in den Händen von vier Personen: Susan Golden von der Texas-A&M-Universität, College Station, Texas, USA, Tako Kondo und Masahiro Ishiura von der Universität von Nagoya in Japan, und Carl Johnson von der Vanderbilt-Universität in Nashville, Tennessee, USA. Sie entdeckten die hinter der circadianen Uhr der Cyanobakterien stehenden Gene (Ishiura et al. 1998). In dieser bei Science veröffentlichten Arbeit berichten die vier Forscher und ihre jeweiligen Mitarbeiter über die Identifizierung der Uhren-Gene beim Cyanobakterium Synechococcus elongatus. Wie aber haben diese Teams gearbeitet …?

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Carl Johnson ist Mitte der 1980er-Jahre Postdoktorand im Labor von Woody Hastings in Harvard. Dort untersucht er die circadiane Rhythmik bei einer einzelligen Grünalge. Es ergibt sich, dass Tako Kondo in Japan – quasi am anderen Ende der Welt – gleichgelagerte Interessen hat. Kondo verbringt 1985 drei Monate im Labor von Hastings, um mit Carl Johnson zusammenzuarbeiten. Anschließend geht Johnson nach Japan, um die in Harvard begonnenen Experimente dort fortzusetzen. Kondo und Johnson kennen sich daher gut und sind auch in ihrer wissenschaftlichen Karriere etwa gleich weit. Im Jahr 1987 wird Johnson als Assistenzprofessor an die Vanderbilt University in Nashville im Bundesstaat Tennessee berufen und Kondo verbringt von 1990 bis 1991 zehn Monate in Johnsons Labor. Der nimmt an, dass Kondo weiter auf in dem Grünalgenprojekt arbeiten will. Doch das ist nicht so. Kondo und sein in Japan gebliebener Kollege Ishiura realisieren vielmehr, dass die Molekulargenetik der Grünalgen nicht wirklich ausgereift ist. Es fehlen gerade jene Werkzeuge, die zu dieser Zeit bei der Erforschung der Uhr von Drosophila gewaltige Fortschritte ermöglichten. Also gilt es, einen anderen Organismus zu finden. Es ist ein Wink des Schicksals, als Johnson beim Jahrestreffen der Amerikanischen Gesellschaft für Zellbiologie auf einen Kollegen von Huang trifft, in dessen Labor Grobbelaar die Nitrogenase-Rhythmik entdeckt hat. Johnson ist Feuer und Flamme und steckt mit seinem Enthusiasmus für die Blaualge auch Kondo an. Prompt erhalten die beiden von Huang eine ­Synechococcus-Kultur. Die Suche nach den molekularen Komponenten der Uhr kann losgehen. Doch es gibt eine unerwartete Komplikation … Auch Steve Kay und Andrew Millar im Labor von Nam-Hai Chua an der Rockefeller University arbeiten an Synechococcus-Kulturen. Sie wollen in ihren Stamm einen Biolumineszenzreporter (Abschn. 4.5) einbringen, der dann die Rhythmik von Synechococcus sichtbar macht. Hinsichtlich molekulargenetischer Methoden können Johnson und Kondo dem Chua-Labor zu jener Zeit nicht das Wasser reichen. In ihrer Not rufen sie Susan Golden an. Die Wissenschaftlerin hat gerade gerade den Effekt von Lichtintensität auf die Genaktivierung bei einem anderen Stamm von Synechococcus elongatus namens PCC7942 studiert. Im Gespräch stellte sich heraus, dass Golden eine Version dieses Stammes erzeugt hat (den AMC149-Stamm), bei der die Kontrollregion des psbAI-Gens von Synechococcus an das luxAB-Gen angedockt ist. Das luxAB-Gen codiert eine Luciferase des Bakteriums Vibrio harveyi, und diese Luciferase kann ebenfalls Biolumineszenzsignale erzeugen. Das von Johnson und Kondo

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so heiß begehrte Cyanobakterium mit dem leuchtenden Reporter existiert also bereits! Ein Glücksfall! Golden schickt den Stamm nach Tennessee zu Johnson und Kondo, der kurz vor seiner Rückreise on seine Heimtat Japan steht. Dort angekommen, verbessert er den Nachweis der Biolumineszenz – und zeigt, dass in Flüssigkulturen von Synechococcus elongatus die Leuchtrhythmen circadian sind … Natürlich war der Nachweis einer circadianen Uhr mittels eines leuchtenden Reportergenes toll. Aber inwiefern ging das über das, was Grobbelaar schon gezeigt hatte (Abb. 5.2), hinaus? Die Bedeutung der leuchtenden Cyanobakterien lag darin, dass Mutanten mit abnormalen Rhythmen durch das Messen der Biolumineszenz leicht auffindbar wurden. Und das erlaubt dann, über reverse Genetik, die ursächlichen Uhren-Gene zu identifizieren. Es war allerdings schwer vorstellbar, Zigtausend Glasbehälter mit Synechococcus nach Mutanten zu durchstöbern. Die zweite technologisch wichtige Entwicklung war daher, einen Ersatz für Flüssigkulturen in Glasbehältern zu entwickeln … Kondo baut deshalb das Kondotron, ein Gerät, das bei winzigen, auf Nähragar-Petrischalen gehaltenen Kolonien die Biolumineszenz vollautomatisch messen kann. Kondo vermisst in Vorversuchen die biolumineszenten Synechococcus-Kolonien alle paar Stunden – und er sieht einen typischen circadianen Rhythmus. Der Clou ist jedoch, dass Kondo mit seinem Apparat etwa 12.000 Kolonien in ein paar Tagen analysieren konnte. Damit war der Weg für Mutagenese-Experimente frei … Kondo und Ishiura behandelten Synechococcus elongatus mit der mutagenen Substanz Ethylmethansulfonat, um circadiane Mutanten zu erzeugen. Die entsprechenden Kolonien wurden anschließend mit dem Kondotron aufgrund ihrer abnormalen Leuchtrhythmik gefunden. Über die Jahre ergab dieses Mutagenese-Experiment einige Hundert Mutanten, die entweder keinen Rhythmus hatten oder eine längere oder kürzere Periodenlänge aufwiesen. Die Mutante C44a zeigte eine Periodenlänge von 44 h. Der Plan war, diese Mutante zu „retten“, wie die Genetiker das ausdrücken. Nach der Rettung sollte die Periodenlänge wieder etwa 24 h bemessen. Um dies zu erreichen, wurden kurze Stücke der Synechococcus-DNA im Reagenzglas in einen Plasmidvektor eingebaut, und die so beladenen Plasmide wurden in die mutierten C44a-Zellen eingebracht. Plasmide sind Transportvehikel, mit denen Forscher Fremd-DNA in einen Organismus einbringen. Einige wenige Mutanten reagierten mit Normalisierung der Periodenlänge auf etwa 25 h. Ihre Uhr wurde also „gerettet“. Mithilfe verschiedener Standardmethoden wurde das wirksame ­DNA-Stück isoliert und sequenziert. Sechs Gene befanden sich auf diesem

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Fragment. Drei davon entsprachen bereits bekannten Genen, und drei waren neu und auf dem Chromosom dicht hintereinander angeordnet. Sie wurden kaiA, kaiB und kaiC getauft, wobei kai auf Japanisch „Zyklus“ bedeutet. Nur die Aminosäuresequenz des größten Proteins, KaiC, mit seinen 519 Aminosäuren, gab einen Hinweis auf eine mögliche biochemische Funktion. Einige Bereiche in der Proteinsequenz deuteten an, dass das KaiC-Protein das energiereiche Adenosintriphosphat (ATP) bindet. Ein zweiter Bereich im KaiC-Protein ließ vermuten, dass dort vom ATP ein Phosphat abgespalten wird, das an KaiC bindet. Diese biochemische Reaktion nennt man Autophosphorylierung. Mit anderen Worten: KaiC ändert sich selbst ab. Bemerkenswert ist, dass die Entdecker diese vorhergesagten biochemischen Eigenschaften von KaiC nicht in die Deutung ihrer experimentellen Befunde einfließen ließen (Ishiura et al. 1998). Vielmehr diskutierten sie über KaiC als Komponente einer negativen Rückkopplung, ähnlich dem Period-Protein bei Drosophila und der Maus. Das war eben die Lehrmeinung Ende der 1990er-Jahre. In ihrer Publikation schrieben die Forscher allerdings, dass die Kai-Proteine von Synechococcus keinerlei Ähnlichkeiten mit den Uhren-Proteinen von Drosophila und Maus hätten. Zum Beispiel gab es keine Helix-Loop-Helix- oder PAS-Bereiche. Es schien daher, dass die Uhrwerke der beiden Organismengruppen voneinander unabhängige Ergebnisse der Evolution darstellten. Doch wie erzeugt nun der Kai-Protein-Komplex einen 24 ­h-Rhythmus? Es schien, dass die erwähnte Phosphorylierungsreaktion die Ursache des Rhythmus sein könnte. Kondo und seine Mitarbeiter wiesen nach, dass das KaiC-Protein phosphoryliert und dephosphoryliert werden kann. KaiA fördert diese Anheftung des Phosphats an KaiC, und KaiB wirkt dem entgegen … Mit diesem Gedanken im Hinterkopf mischen Kondo und seine Mitarbeiter biotechnologisch hergestellte, chemisch reine KaiA-, KaiB- und KaiC-Proteine in dem in der Zelle vorliegenden Verhältnis im Reagenzglas zusammen (Nakajima et al. 2005). Als Phosphatquelle fügten sie noch etwas ATP hinzu. Sie nehmen dann alle 2 h für drei Tage eine Probe aus diesem Gemisch und bestimmen jeweils die Mengen an KaiC mit und ohne gebundenes Phosphat: Sowohl die phosphorylierte als auch die nichtphosphorylierte Form des KaiC-Proteins oszillieren mit einem 24-h-Rhythmus (Abb. 5.2). Dabei wechseln sich die beiden Formen in ihrer Häufigkeit immer schön ab. Das bedeutet, dass das KaiC-Protein im Tagesrhythmus phosphoryliert und dephosphoryliert wird. Und das wiederum heißt, dass die drei Kai-Proteine notwendig und allein hinreichend sind,

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Abb. 5.2  Gegenläufige Oszillation der phosphorylierten (schwarze Kreise) und nichtphosphorylierten (offene Kreise) Variante von KaiC-Protein von Synechococcus elongatus PCC7942 im Reagenzglas. In einem Gemisch von ATP und chemisch reinen KaiA-, KaiB- und KaiC-Proteinen ergeben sich mehrere Tage andauernde Oszillationen mit einer Periodenlänge von circa 24 h. (Nach Nakajima et al. 2005, S. 414; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 2005. All Rights Reserved)

um einen circadianen Schrittmacher zu betreiben. Es bedarf also nicht einer durch Genaktivierung kontrollierten Feedback-Schlaufe – oder gar einer Zelle –, um das circadiane Uhrwerk dieses Cyanobakteriums zu betreiben …

5.3 Der circadiane Schrittmacher als molekulare Proteinmaschine Die bisher beschriebenen Experimente markieren die wichtigsten Wegpunkte bis zum Verstehen des Schrittmachers in Cyanobakterien. Ein weiterer Meilenstein war es, die dreidimensionalen Strukturen der Kai-Proteine zu bestimmen, um zu erkennen, wie diese Proteine zusammenwirken. Um die Struktur der Kai-Proteine aufzuklären, kamen Röntgenkristallographie, Kernspinresonanzspektroskopie und ­ Cryo-Elektronenmikroskopie zu Ein-

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satz. Zusammen ermöglichen es diese Methoden, alle Atome der drei KaiProteine zu verorten. Es würde hier zu weit führen, in die Techniken und die atomaren Feinheiten der damit entschlüsselten Strukturen einzusteigen. Wer sich dafür interessiert, kann die wissenschaftlichen Publikationen in den Fachzeitschriften lesen (z. B. Tseng et al. 2017 oder Swan et al. 2018). Hier beschränken wir uns auf das Schema in Abb. 5.3: Es fasst zusammen, wie man sich aus diesen atomaren Strukturen und den dazugehörigen biochemischen Experimenten ein realistisches Bild des circadianen Schrittmachers zusammengepuzzelt hat.

Abb. 5.3  Der circadiane Schrittmacher von Synechococcus elongatus. Das Schema zeigt die Veränderungen in der Struktur des Kai-Oszillators und der Phosphorylierung der CII-Domäne im Laufe des Tag-Nacht-Zyklus. Die weißen Buchstaben „S“ oder „T“ bedeuten, dass die Aminosäuren Serin bzw. Threonin keine Phosphatgruppe tragen. „S“ oder „T“ in orangem Hintergrund bedeutet, dass Serin bzw. Threonin eine Phosphatgruppe angeheftet haben. Grafiken sind inspiriert von Darstellungen des UC San Diego BioClock Studio. Nguyen, Thao A., et al. „Cyanobacterial circadian oscillator animation.“ YouTube, 14 Jul. 2016. Siehe  https://www.youtube.com/ watch?v=DcuKifCRx_k

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Das Herzstück dieser Maschine ist der in Abb. 5.3 blau gezeichnete KaiCProtein Komplex. Er besteht aus sechs einzelnen K ­ aiC-Protein-Molekülen, jedes davon ist in eine CI- und eine CII-Domäne unterteilt. Eine Domäne ist ein kompakter Bereich eines Proteins, der sich von benachbarten Bereichen abhebt und meist eine bestimmte biochemische Funktion ausübt. Die sechs dunkelblauen CI- und CII-Domänen sind ringförmig angeordnet und bilden dadurch einen oberen (CII) und einen unteren (CI) Torus. Diese Struktur heißt umgangssprachlich und treffend double doughnut. Sowohl Domäne CI als auch CII sind ATPasen, d. h. sie haben die Fähigkeit, ATP in Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat zu spalten. ATP-Moleküle sind im Komplex angelagert. Im Fall der CI-ATPase wird die Phosphatgruppe an Wasser abgegeben, vermutlich um damit Energie für den Schrittmacher zu erzeugen. Die CII-ATPase spaltet ebenfalls ATP, aber das Phosphat wird an die Seitenkette gehängt, zuerst an die Aminosäure Threonin 432 und anschließend an die Aminosäure Serin 431, die beide zur CII-Domäne gehören. Anders gesagt: Jede der sechs KaiC-CII-Domänen hängt sich selbst zwei Phosphate an – genau die Phosphate, die Kondo in seinem in Abb. 5.2 gezeigten Experiment beobachtete. Allerdings ist diese Reaktion nur möglich, wenn ein KaiA-Molekül auf dem CII-doughnut sitzt. KaiA ist dort an einen schwanzartigen Fortsatz der CII-Domäne geheftet, an die A-Schlaufe. Diese Anhaftung beginnt im Laufe des Morgens und erstreckt sich bis zur Dämmerung. Entsprechend ist das Anhängen von Phosphat an die Serin- und Threonin-Seitenketten auf diese Zeit beschränkt. Bei Dämmerung geschieht folgendes: Es senkt sich der CII-doughnut auf den aus den CI-Domänen bestehenden unteren doughnut ab. Das bewirkt eine Ausbuchtung der sog. B-Schlaufe (Abb. 5.3). An jede diese B-Schlaufen bindet ein KaiB-Protein, und es bildet sich dadurch ein dritter Torus. Mitten in der Nacht entsteht also ein „leckerer“ triple doughnut. Zudem löst sich KaiA von den A-Schlaufen und assoziiert sich mit KaiB am unteren Ende des Komplexes. Die CII-Domäne reagiert auf den Verlust von KaiA: Die Phosphate werden entfernt, erst von den Threoninen und dann von den Serinen. Bei Sonnenaufgang sind dann alle Phosphate entfernt, auch die KaiA und KaiB Proteine sind abgelöst, keine B-Schlaufen ragen mehr heraus und die CI- und C2-dougnuts haben ihre ursprüngliche Gestalt wieder angenommen – der nächste Tag kann beginnen. Der circadiane Schrittmacher der Cyanobakterien ist demnach grundlegend anders aufgebaut als jener von Drosophila oder des Menschen (Abb. 4.7): Bei den Cyanobakterien erzeugt der Schrittmacher einen 24-h-Rhythmus im Reagenzglas mit nur drei Proteinen und ATP. Dieser

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Schrittmacher braucht keine Zelle. Die Struktur der Kai-Proteine hat keine Ähnlichkeit mit der von Transkriptionsfaktoren wie Clock oder Bmal1. Experimente zeigen allerdings, dass einige Hundert der circa 3000 Gene des Synechococcus-elongatus-Genoms ein circadianes Aktivitätsmuster aufweisen. Wir legen noch dar, wie der Kai-Schrittmacher und die circadiane Genaktivierung miteinander gekoppelt sind.

5.4 Ohne Transkription geht nichts Sicher, der Schrittmacher reguliert die tageszeitabhängige Physiologie der Cyanobakterien,– und das geht am leichtesten durch eine Steuerung der Aktivität von Genen der Cyanobakterien. Welche Proteine also verknüpfen Schrittmacher und Genaktivierung? Die kurze Antwort lautet: SasA, CikA und RpaA. Aber alles der Reihe nach. Das Protein Synechococcus adaptive sensor A (kurz SasA) besteht aus zwei Domänen. Eine davon gleicht dem KaiB-Protein, das bei der Dämmerung an die B-Schlaufen des KaiC­ Proteins bindet (Abb. 5.3). KaiB und SasA streiten sich vor Sonnenuntergang um die B-Schlaufen, wobei SasA gewinnt. Die zweite Domäne von SasA ist eine sog. Kinase, also ein Enzym, das eine Phosphatgruppe an das Protein Regulator of phycobilisome-associated A (kurz RpaA) anbringt. RpaA Protein wird dadurch zu einem aktiven Transkriptionsfaktor, der an den Promoter von etwas mehr als 100 uhrenkontrollierten Genen von Synechococcus elongatus bindet und diese damit aktiviert (Marson et al. 2013). Diese Aktivierung ist zeitlich begrenzt, weil ein anderes Protein, bekannt unter dem Namen circadian input kinase A (CikA), nachts an das am ­ KaiC-Komplex gebundene KaiB-Protein bindet. CikA entfernt das Phosphat des RpaA-Transkriptionsfaktors, der damit seine Fähigkeit verliert, Gene anzudrehen. Die von RpaA angeschalteten Gene codieren Proteine mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften, z. B. Energieerzeugung, Transport von organischen Molekülen und Stoffwechsel. Zwei weitere Befunde sind bemerkenswert. Erstens, unter den RpaA-kontrollierten Genen sind auch einige, die selbst rhythmisch hergestellte Transkriptionsfaktoren sind, die dann ihrerseits die rhythmische Aktivität von vielen weiteren S­ ynechococcus-Genen bewirken. Zweitens bindet RpaA-Protein an den Promoter, der die Aktivierung der kaiB- und kaiC-Gene kontrolliert. Somit gibt es auch bei den Cyanobakterien eine positive, allerdings indirekte, Rückkopplung zwischen den KaiB- und KaiC-Proteinen und ihren Genen.

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5.5 Der Ursprung von KaiC Die drei Domänen, in die alle zellulären Lebewesen (also nicht die Viren) eingeteilt werden, sind die Eukaryonten (sie haben einen Zellkern), die Bakterien und die Archeabakterien (Urbakterien). Im Laufe der Jahre wurden von vielen Lebewesen aus diesen drei Domänen die Gen- und Proteinsequenzen bestimmt. So lässt sich mihilfe von computergestützten Sequenzvergleichen heute leicht herausfinden, ob es bei anderen Organismen auch Kai-ähnliche Proteine gibt. Die Suche nach Verwandten hat interessante Ergebnisse gebracht. Erstens: KaiC gehört zu einer Gruppe von Proteinen, benannt als RecA/Rad51/DMC1-Familie. Diese Proteine beteiligen sich an der Reparatur von beschädigter DNA und an der Neuanordnung von Genabschnitten. Also kommt KaiC aus der Sparte jener Proteine, die mit der Umwandlung der Erbsubstanz zu tun haben. Zweitens: Es scheint, dass das KaiC-Stammprotein aus nur einer Proteindomäne bestand, die dem RecA-Protein der Bakterien sehr ähnelt. Diesen Vorfahren gaben dann Bakterien an Archaebakterien weiter. Im neuen Organismus angekommen, hat sich das Kai-Gen vor etwa 3,5 Mrd. Jahren verdoppelt, und die beiden Kopien wurden, eine Milliarde Jahre später, miteinander fusioniert. Das war die Geburtsstunde des modernen, aus zwei Domänen bestehenden KaiC-Proteins. Anschließend fand ein zweiter Gentransfer vom Archaebakterium in ein Cyanobakterium statt (Leipe et al. 2000). Es sei vermerkt, dass es in der Evolution viele Beispiele solcher Genverdoppelungen gefolgt von Genverschmelzung gibt. KaiC gilt als das älteste Protein in der KaiABC-Triade. Es wird vermutet, dass KaiB vor 2,3 Mrd. Jahren entstand. KaiA ist dagegen relativ jung, bloß eine Milliarde Jahre alt. Im ­Synechococcus-Schrittmacher sind KaiA, -B und -C eines nach dem andern auf dem Chromosom angeordnet, und man vermutet, dass sich diese Anordnung vor 500 Mio. Jahren ergab. Damals entstanden die ersten Insekten mit ihrem auf Transkription aufgebauten Schrittmacher. Die Jahresangaben sind übrigens nicht als präzise Zahlen zu verstehen. Sie sollen aber ein Gefühl für die gewaltigen Zeiträume geben, die der Evolution zur Verfügung stehen, wenn sie neue Konzepte realisiert. Wozu ist die Forschung über die circadianen Rhythmen von Mikroben nun wichtig? Besonders die ozeanischen Cyanobakterien – auch sie haben eine Kai-basierende Uhr (Axman et al. 2013) – spielen eine zentrale Rolle im globalen Kohlenstoff- und Stickstoffzyklus. Die in den Ozeanen weit verbreiteten Prochlorococcus- und Synechococcus-Arten produzieren etwa ein Drittel der Biomasse unseres Planeten. Daher ist es wichtig zu wissen, ob

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diese Mikroben Uhren haben und wie diese ticken. Denkbar wäre sogar die Transplantation von circadianen Uhren-Genen in uhrenlose Mikroben, um so deren Biomasseproduktion zu optimieren. Man würde damit quasi den natürlich vorgekommenen Gentransfer nachahmen.

5.6 Auch Schimmel hat eine circadiane Uhr Der rote Schimmelpilz wurde 1843 erstmals wissenschaftlich beschrieben, und zwar anlässlich einer Untersuchung von verdorbenem Kommissbrot. Eine Expertenkommission verfasste dazu ein mehrseitiges Referat mit dem Titel: „Une Alteration Extraordinare du Pain de Munition“. Der Bericht erschien in den Annales de chimie et de physique und war an Frankreichs Kriegsminister, den Duc de Dalmatie, persönlich adressiert. Der Bericht enthält detaillierte Zeichnungen des mit rotorangen Sporen dekorierten Pilzes. Zwei herbeigezogene Experten, der Botaniker Charles Brisseau de Mirbel und der Mykologe Joseph Léveillé, identifizierten den Brotschimmel als Oïdium aurantiacum, heute auch als Neurospora sitophila bekannt. In den 1920er-Jahren erforschte dann Bernard Ogilvie Dodge die Zytologie, Morphologie und Genetik von Pilzen. Und 1924 wurde das orange Pigment von Oïdium aurantiacum als ein Carotin identifiziert. Zu jener Zeit begannen Genetiker wie etwa Thomas Hunt Morgan, ein naher Bekannter von Dodge, Neurospora als Modellorganismus für ein breites Spektrum von biologischen Fragen zu entwickeln. Ein Beispiel: In den frühen 1940er-Jahren experimentierten George Beadle und Edward Tatum von ­ der Stanford University an Neurospora. Mittels Röntgenstrahlen induzierten sie Mutationen und zeigten, dass ein Stamm mit einer Mutation in einem bestimmten Gen die Fähigkeit verloren hatte, Vitamin B6 herzustellen. Der Stamm wies daher Wachstumsdefekte auf. Offenbar war ein Gen jeweils für eine spezifische biochemische Funktion verantwortlich. Dies findet sich in der sog. Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese wieder. Für die im Herbst 1941 publizierte Entdeckung, also kurz vor dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor, wurden Tatum und Beadle 1958 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Im Jahr 1943 publizierten Ryan, Beadle und Tatum dann Gebrauchsanweisungen, wie man Neurospora crassa in sog. race tubes züchtet und analysiert. Race tubes sind ca. 40 cm lange Glasröhrchen mit einem Innendurchmesser von 15 mm, die an jedem Ende abgebogen sind (Abb. 5.4, oben). Die Röhrchen werden waagrecht gelagert und sind mit einem sich verfestigenden Nährmedium teilweise gefüllt.

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Abb. 5.4  Seitenansicht eines gebogenen race tubes mit einer Zucht von Neurospora Pilz (oben). Zu Beginn des Experimentes wird das Nährmedium (rot) links im Röhrchen mit Mycel geimpft. Der Pilz wächst parallel zur Längsachse des Röhrchens und bildet in regelmäßigen Abständen senkrecht dicht wachsende Konidien aus. Unten ist die Pilzdichte entlang des Röhrchens ist aufgezeichnet. Die Aufzeichnung zeigt einen rhythmischen Wechsel von geringer (Spitzen) und hoher Pilzdichte (Täler). Der Abstand zwischen den Tälern bzw. Spitzen entspricht 22 h. (Nach Pittendrigh et al. 1959, S. 170; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 1959. All Rights Reserved)

Durch die linke Öffnung wird das Medium mit Mycelien oder ­ ilz-Sporen beimpft, und anschließend werden die beiden Enden jeweils mit P einem Wattebausch verschlossen. Neurospora crassa wächst entlang der Achse des Röhrchens um etwa 3 bis 4 cm pro Tag. In regelmäßigen Abständen bilden sich sporentragende Konidien, die senkrecht aus dem Medium herausragen. Ryan, Beadle und Tatum wussten natürlich nicht, dass die circadiane Uhr des Neurospora-Pilzes die Konidienbildung regelt. Die ersten vagen Hinweise auf diese circadiane Uhr finden sich in der Masterarbeit von William Brandt (1953) von der Ohio State University … Brandt belichtet Neurospora-Mycel-Gewebe und bringt es dann in race tubes ein, die er anschließend bei konstanter Dunkelheit lagert. Er beobachtet, wie sich in regelmäßigen Zeitintervallen Hyphen bilden – wurmförmige Fortsätze, die sich aus dem Nährmedium emporheben und an ihren Enden sporentragende Konidien bilden. Diese Konidien erscheinen als dichte Wachstumszonen.

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Zu der Zeit sind Colin Pittendrigh und Victor Bruce an der Princeton University. Sie nehmen Brandts interessanten Befund genauer unter die Lupe. Zunächst schauen sie sich die Abbildungen in Brandts Publikation genauer an. Sie vermuten, dass die Abstände zwischen den Zonen einem Wachstumsrhythmus von etwa 24 h entsprechen. Pittendrigh und Bruce verwenden für ihre eigene Studie dann den gleichen Pilzstamm und das gleiche Nährmedium wie Brandt. Nach Beimpfung der race tubes wird die Kultur für 40 h mit weißem Licht beleuchtet und anschließend bei 24 °C in einen mit rotem Licht beleuchten Inkubator gelegt. Rotes Licht ist für die Pilze gewissermaßen wie Dunkelheit; für den Menschen ist es aber hell genug, die Kulturen fortlaufend beobachten zu können. Wie erwartet, wächst das Mycel entlang dem Röhrchen über die Zeit hin konstant. Als es das Ende der Röhrchen erreicht, untersuchen die Forscher die Kulturen. Die von Brandt beobachteten dichten Konidien sind auch hier gut sichtbar. Mit einem optischen Messgerät wird die Pilzdichte entlang des Röhrchens bestimmt und aufgezeichnet, wobei die erhöhte Dichte über den Konidien als Tal in der Grafik in Abb. 5.4 (unten) erscheint. Nun ist absolut klar: Alle 22 h bilden sich Konidien. Es muss also eine circadiane Uhr mit einem 22-h-Rhythmus dahinterstecken … Diese sehr interessanten Befunde über den circadianen Rhythmus in einem genetisch zugänglichen Organismus sollten unbedingt weiterverfolgt werden! Allerdings dauerte das eine ganze Weile … In den frühen 1970er-Jahren nahm Jerry Feldman, ein Doktorand von Pittendrigh, sich des Problems an, und zwar als Postdoktorand im Caltech-Laboratorium von Norman Horowitz. Horowitz hat nicht nur ­ den Begriff „Ein-Gen-ein-Enzym“ geprägt, sondern zusammen mit Beadle wichtige Experimente zu diesem Konzept durchgeführt. Das ­Horowitz-Laboratorium war also so etwas wie das Mekka der NeurosporaForschung. Der prominente Neurospora-Chronobiologen Jay C. Dunlap lieferte ein Stimmungsbild aus dieser Anfangsphase der Forschung zur circadianen Rhythmik: „It was through Bruce’s influence that Jerry came up with the idea of looking for clock mutants in Neurospora, a more genetically tractable organism, and this was the project Jerry took to Caltech where he worked in the lab of Norm Horowitz, a big name in the Neurospora field. Horowitz was, however, not even a little interested in rhythms or in Jerry. During his first year at Caltech, Ron Konopka met Jerry and Jerry introduced him to the idea of making mutants, so Ron went and did a rotation [ein ­ „Schnupper-Praktikum“, Anmerkung der Autoren] with Benzer and took that on as a project. The idea that Ron went to Caltech with this project in mind is pure fantasy.“

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Die Chronobiologenwelt war doch (damals noch) sehr klein. Es sei noch vermerkt, dass Konopka in seiner Dissertation über die Entdeckung des period-Gens von Drosophila dem „clockologist“ Feldman für die stimulierenden Diskussionen und die Klarstellung von Konzepten dankt. Dieses Dankeschön und das Dunlap-Zitat zeigen, wie in einem geeigneten Umfeld in den Köpfen junger Wissenschaftler bedeutende Forschungsprojekte aufkeimen können – selbst dann, wenn die Bosse scheinbar desinteressiert sind. Was also tat Jerry Feldmann? Feldman isolierte Neurospora-Mutanten, die einen kürzeren bzw. längeren Rhythmus zeigten. Diese Arbeiten fing er zwar bei Horowitz an, führte sie dann aber an der State University von New York in Albany weiter, bis er schließlich 1973 im Fachblatt Genetics publizierte. In dieser Veröffentlichung charakterisierte Feldman drei frequency-Mutanten (frq), deren Rhythmik der Konidienzonen von jener der Wildtypkontrollen maßgeblich abwichen. Bei den Kontrollen betrug die Periodenlänge 21,6 h, frq-1 zeigte 16,5 h, frq-2 19,3 h und frq-3 hatte einen Rhythmus von 24 h. Feldman zeigte zudem, dass frq-1, frq-2 und frq-3 Mutationen nicht in drei unterschiedlichen Gene lagen, sondern Varianten – Allele (Abschn. 2.3) – des gleichen Gens waren. Er ordnete das frq-Gen dem Chromosom 7 zu. Das Drosophila-period-Gen wurde Anfang der 1970er-Jahre entdeckt, frq ein klein wenig später. Im Falle der Fliege publizierten die Rockefellerbzw. Brandeis-Forscher das Klonieren und Sequenzieren von period 1984 (Kap. 2). Wie lange würde es dauern, bis das frq-Gen gleichzog, und wer würde sich an dieses recht riskante, aber auch sehr interessante Projekt wagen? Das war der bereits erwähnte Jay C. Dunlap, heute Professor an der Dartmouth Medical School in Hanover im US Bundesstaat New Hampshire.

5.7 Das frequency-Gen Jay C. Dunlap wollte eigentlich Meeresforscher werden, aber aus einer Laune heraus bewarb er sich als Doktorand bei der Graduiertenschule für Biologie der Harvard-Universität. Er wurde angenommen und erforschte im Laboratorium seines Doktorvaters J. W. („Woody“) Hastings, wie Hemmer der Proteinsynthese auf den Fortgang der circadianen Uhr wirken: Eine Blockade der Proteinsynthese spät in der Nacht konnte das Ticken der Uhr beeinflussen. Heute wissen wir, dass die Aktivator- und Hemmerproteine zu bestimmten Tageszeiten hergestellt werden. In diesem kritischen Zeitintervall verabreichte Hemmstoffe der Proteinsynthese können daher auf die Uhr

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wirken. Aber mit den damals vorhandenen Ansätzen war es nicht möglich, die ursächlichen Proteine zu identifizieren … Als Jay Dunlap 1979 promoviert, ist ihm bewusst, dass eigentlich nur eine Kombination von biochemischen und genetischen Ansätzen zu den Uhren-Genen und -Proteinen führen kann. Drosophila und Neurospora waren die einzigen Modellorganismen, deren Erforschen damals Aussicht auf Erfolg hatte. Dunlap wählt Neurospora, weil beim Pilz die Biochemie besser bekannt ist als bei der Fliege. Dann heuert er als postdoctoral fellow bei Jerry Feldman an (inzwischen an der University of California in Santa Cruz), um das frequency-Gen zu klonieren. In seinem Bericht und dem auf YouTube gezeigten Interview zur Wissenschaftsgeschichte der Neurospora-Uhr bedauert Dunlap, dass im Feldmann-Labor Expertise in Biochemie und Molekularbiologie fehlt. ­ Diese sei sehr wichtig für sein Klonierungsprojekt. Glücklicherweise nimmt ihn damals das Nachbarlabor, geleitet von Harry Noller, unter die Fittiche. Dort werden Dunlap die Grundlagen der Molekularbiologie vermittelt. Sich diese Expertise in Santa Cruz anzueignen, ist eigentlich paradox für einen Doktoranden aus Harvard, weil viele Techniken der Molekularbiologie ursprünglich in Harvard entwickelt werden. Aber ohne den Exkurs nach Santa Cruz hätte Dunlap vermutlich nie Jennifer J.Loros kennengelernt, die bei Feldman promoviert und später Dunlaps Ehefrau werden soll. Loros begleitet Dunlap auf seiner wissenschaftlichen Entdeckungsreise. Fazit: Dunlap erreicht sein Ziel, das frequency-Gen zu klonieren, bei Feldman nicht, findet dafür aber seine Lebensgefährtin. Außerdem hat er großes Glück, dass er trotz seiner begrenzten wissenschaftlichen Erfolge im Feldman-Labor 1984 als Assistenzprofessor nach Dartmouth berufen wird. Dort krempelt er die Ärmel hoch: Mithilfe der Chromosomenwanderung fischen er und seine Mitarbeiter McClung und Fox zusammenhängende Stücke der Neurospora-DNA aus einer entsprechenden Genbibliothek. Eines der Stücke „rettet“ die circadiane Rhythmik von frq-Mutanten. Während die Mutante eine Periodenlänge von 18 h aufweist, zeigt die gerettete Mutante einen Wert von 21 h, was ungefähr der Periodenlänge des Wildtyps entspricht. Das rettende Stück DNA musste das frq-Gen enthalten. Eine Sequenzanalyse des DNA-Fragments führt zum Frequency-Protein (FRQ), das ähnlich den ­ Period- und Timeless-Proteinen von Drosophila zunächst keine auffälligen Aminosäureabfolgen zeigt, die auf eine bestimmte biochemische Funktion hindeutet. Allerdings findet sich selbst im Titel der 1989 in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Arbeit aus dem Dunlap-Team ein Hinweis auf Ähnlichkeiten zwischen FRQ und dem Drosophila-Period-Protein

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(McClung et al. 1989). Bei dieser vergleichbaren Region handelte sich um einen Bereich des Proteins, an den Kohlenhydrat-Moleküle angehängt werden könnten. Doch das erweist sich als eine ganz falsche Fährte! Fünf Jahre später, also 1994, konnte Dunlaps Gruppe berichten, dass FRQ die Aktivierung des frequency-Gens hemmt (Aronson et al. 1994). FRQ war also verantwortlich für die negative Rückkopplung bei der Neurospora-Uhr. Ob die Hemmung direkt erfolgte oder eventuell andere Faktoren mitspielten, war damals unklar. Diese Ungewissheit erinnert an jene beim Drosophila-Period-Protein (Abschn. 4.1). Dieser Schwebezustand wurde 1997 beendet, als Susan Crosthwaite, Dunlap und Loros zeigten, dass die white collar-1 und white collar-2 Gene zwei Transkriptionsfaktoren (WC-1 und WC-2) codierten, die zur Aktivierung des frq-Gens notwendig sind (Crosthwaite et al. 1997). Die beiden White Collar (WC)-Proteine binden in der Form eines WC-1/2 heterodimeren Komplexes an den Kontrollbereich des frq-Gens und aktivieren es. Damit wirken WC-1 und WC-2 ähnlich wie Clock und Bmal1 bei Drosophila, Maus und Mensch. Im Falle von Neurospora drehen WC1/2 das frequency-Gen an; bei Fliegen und Säugern drehen ­Clock-Bmal1die Period-Gene an. Die Ähnlichkeit geht noch weiter: Die heterodimeren Partnerproteine WC-1/2 bzw. Clock-Bmal1 sind beide durch PAS-Regionen zusammenhalten.

5.8 Der Uhrmacher setzt den circadianen Schrittmacher von Neurospora zusammen Die wichtigsten Zahnräder des circadianen Schrittmachers von Neurospora sind also die Proteine Frequency (FRQ), White Collar 1 (WC-1-Protein), und White Collar 2 (WC-2-Protein). Dazu gesellen sich zwei weitere Proteine, bekannt unter den Namen FRQ-interacting RNA helicase (kurz FRH) und Casein kinase 1 (CK1). Die Choreografie der Faktoren im Laufe des Tages ist in Abb. 5.5 dargestellt. Spät nachts bindet der ­WC-1/2-Komplex an die sog. clock-Box in der Kontrollregion des frequency-Gens. Die WC-1und WC-2-Proteine haben dazu jeweils eine spezielle Struktur ausgebildet, bei der ein Teil des Proteins sich um ein Zinkatom windet und dabei eine fingerförmige Struktur bildet. Dieser Zink-Finger greift in die DNA der clockBox und bewirkt eine Anhaftung von WC-1 und WC-2. Das ermöglicht der RNA-Polymerase II, das frequency Gen zu transkribieren. Frq-mRNA wird vom Zellkern ins Zytoplasma exportiert und dort in F ­ RQ-Protein übersetzt.

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Abb. 5.5 Der circadiane Schrittmacher von Neurospora crassa. Die beiden aktivierenden Transkriptionsfaktoren WC-1 und WC-2 binden nachts an die clockBox in der Kontrollregion des frq-Gens. Dadurch wird dessen Aktivität eingeschaltet. Die frq-mRNA wird in das FRQ-Protein übersetzt. Mittels Komplexbildung mit den FRH- und CK1-Proteinen und Phosphorylierung von FRQ ordnet sich das im nativen Zustand ungeordnete FRQ. Das erlaubt FRQ zur Mittagszeit im Zellkern an den WC1-WC-2 Komplex zu binden und dadurch diese beiden Transkriptionsfaktoren zu hemmen. Folglich endet die Aktivität des frq-Gens (negative Rückkoppelung). Mit zunehmender Phosphorylierung löst sich FRQ vom WC-Komplex ab und damit ist der der Schrittmacher für den nächsten Zyklus bereit. FRQ wird nicht wiederverwendet, sondern abgebaut, hier dargestellt mit Bruchstücken von FRQ

FRQ ist in mancher Hinsicht ein einzigartiges Protein, und es gibt vermutlich nichts dergleichen bei anderen circadianen Schrittmachern. Erstens ist FRQ ist ein ungeordnetes Protein, will heißen, dass es keine charakteristische räumliche Faltung aufweist. Es ist gewissermaßen ein ungeordneter Knäuel (Abb. 5.5). Derartig ungeordnete Proteine werden

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in der Zelle normalerweise schnell abgebaut. Diesem Schicksal entkommt FRQ, weil es an das FRH-Protein bindet und dadurch vom Abbau verschont bleibt. Zwei FRQ binden jeweils an ein FRH. Dieser Dreiteiler begibt sich in den Zellkern, und dort angekommen hat FRQ eine zweite Überraschung für uns bereit: Die Kinase CK1, also das Protein, welches FRQ mit Phosphatgruppen versieht, lagert sich an FRQ-FRH an und phosphoryliert nacheinander die etwa 100 Serine und Threonine von FRQ. Man vermutet, dass die Bindung von Phosphatgruppen die ungeordnete Struktur von FRQ lokal ordnet. In der Folge kann der FRQ-FRH-Komplex an andere Komponenten der circadianen Uhr binden. Tagsüber haftet sich moderat phosphoryliertes FRQ-Protein an WC-1 und WC-2 an, also an die beiden Transkriptionsfaktoren, die an die clock-Box des ­frequency-Gens gebunden sind (Abb. 5.5). Die Konsequenz dieser Anhaftung ist eine Hemmung der frequency-Aktivität. Abends und in der ersten Hälfte der Nacht ist FRQ sehr stark phosphoryliert; das bewirkt dann sein Loslösen vom WC-1/2-Komplex, gefolgt vom Abbau von FRQ. Damit ist der Zyklus wieder im Ausgangszustand angekommen, und ein nächster Tag beginnt.

5.9 Zusammenfassung Bei Drosophila und beim Menschen offenbaren sich circadiane Uhren als wahre Wunderwerke der biologischen Regulation. Charakteristisch für die circadiane Uhr von Wirbeltieren sind die miteinander verwobenen positiven und negativen transkriptionellen Regelkreise (Abb. 4.7). Circadiane Uhren sind für die Regulierung zahlreicher, physiologischer Vorgänge vorteilhaft. Es wäre von der Evolution daher nicht klug gewesen, den einfacheren Organismen eine Uhr vorzuenthalten. Dem Cyanobakterium Synechococcus elongatus hat sie einen ingeniösen Schrittmacher mitgegeben, der gerade einmal aus den drei Kai-Proteinen besteht. Abb. 5.3 zeigt, wie biochemische und strukturelle Veränderungen des KaiC-Proteins den 24-h-Rhythmus erzeugen. Weil bei Synechococcus elongatus alle Lebensvorgänge in einer einzigen Zelle ablaufen, sind die Anforderungen an den Schrittmacher auch beschränkter als bei vielzelligen Organismen mit ihren zahlreichen Organen. Der Pilz Neurospora crassa liegt irgendwo dazwischen. Dort findet in regelmäßiger Abfolge ein Wechsel von Längswachstum der Mycelien und Bildung von Sporen statt. Uhrenrhythmik erzeugt also eine Balance zwischen Wachstum und Verbreitung des Organismus. Es gibt auffällige Ähnlichkeit zwischen den Schrittmachern von Pilz und Mensch. Beide beruhen auf regulierter Transkription. Bei Neurospora dreht der

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Aktivator, bestehend aus den WC-1 und WC-2 Proteinen, das freq-Gen von an. Das FRQ-Protein reprimiert anschließend den Aktivator. Dieses Gen-Protein-Wechselspiel treibt den Schrittmacher von Neurospora an. ­ Bei uns besteht der Aktivator aus Clock und Bmal1, und die beiden drehen dann das p­ eriod-Gen an. Das Period-Protein hemmt genau wie das Frequency-Protein den Aktivator. Während Frequency- und Period-Proteine keine Verwandtschaft in ihren Strukturen zeigen, sind die Aktivatoren in ihrer räumlichen Struktur verwandt. Das mag wohl daran liegen, dass sie als Heterodimere aneinander binden müssen und gemeinsam an DNA binden.

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Wissenschaftliche Orginalliteratur Aronson BD, Johnson KA, Loros JJ, Dunlap JC (1994) Negative feedback defining a circadian clock: autoregulation of the clock gene frequency. Science 263:1578– 1584 Axmann IM, Hertel S, Wiegard A, Dörrich AK, Wilde A (2014) Diversity of ­KaiC-based timing systems in marine Cyanobacteria. Marine Genomics 14:3–16 Beadle GW, Tatum EL (1941) Genetic control of biochemical reactions in Neurospora. Proc Natl Acad Sci U S A 27:499–5106 Brandt WH (1953) Zonation in a proline less strain of Neurospora. Mycologia 45:194–208

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Crosthwaite SK, Dunlap JC, Loros JL (1997) Neurospora wc-1 and wc-2: transcription, photoresponses, and the origins of circadian rhythmicity. Science 276:763–769 De Joinville M, Brault B, Chartier D, Pelouze P (1843) Sur une altération extraordinaire du pain de munition. Annales de Chimie et de Physique. 3. Serie 9:5–21 Feldman JF, Hoyle MN (1973) Isolation of circadian clock mutants of Neurospora crassa. Genetics 75:605–613 Grobbelaar N, Huang TC, Lin HY, Chow TJ (1986) Dinitrogen-fixing endogenous rhythm in Synechococcus RF-1. FEMS Microbiol Lett 37:173–177 Ishiura M, Kutsuna S, Aoki S, Iwasaki H, Andersson CR, Tanabe A, Golden SS, Johnson CH, Kondo T (1998) Expression of a gene cluster kaiABC as a circadian feedback process in Cyanobacteria. Science 281:1519–1523 Leipe DD, Aravind L, Grishin NV, Koonin EV (2000) The bacterial replicative helicase DnaB evolved from a RecA duplication. Genome Res 10:5–16 Markson JS, Piechura JR, Puszynska AM, O’Shea EK (2013) Circadian control of global gene expression by the cyanobacterial master regulator RpaA. Cell 155:1396–1408 Nakajima M, Imai K, Ito H, Nishiwaki T, Murayama Y, Iwasaki H, Oyama T, Kondo T (2005) Reconstitution of circadian oscillation of cyanobacterial KaiC phosphorylation in vitro. Science 308:414–415 Pittendrigh CS, Bruce VG, Rosenzweig NS, Rubin ML (1959) Growth patterns in Neurospora: a biological clock in Neurospora. Nature 184:169–170 Ryan FJ, Beadle GW, Tatum EL (1943) The tube method of measuring the growth rate of Neurospora. AJB 30:784–799 McClung RC, Fox BA, Dunlap JC (1989) The Neurospora clock gene frequency shares a sequence element with the Drosophila clock gene period. Nature 339:558–562 Tseng R, Goularte NF, Chavan A, Luu J, Cohen SE, Chang Y-G, Heisler H, Li S, Michael AK, Tripathi S, Golden SS, LiWang A, Partch CL (2017) Structural basis of the day-night transition in a bacterial circadian clock. Science 355:1174–1180

Online Video Animation der circadianen Uhr der Cyanobakterien: https://www.youtube.com/ watch?v=DcuKifCRx_k https://www.youtube.com/watch?v=o3pI-UIHcnQ Interview mit JC Dunlap: https://youtu.be/hCa4vpH8zSY

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Weitere Literatur Bünning E (1977) Die physiologische Uhr, circadiane Rhythmik und Biochronometrie, 3. Aufl. Springer, Berlin

6 Uhrenkontrollierte Gene: Am Ende entscheidet der lange Arm der Uhr

6.1 Wie der Zusammenbruch der UdSSR die Chronobiologie beflügelte Es war alles Gorbatschows Schuld! John Hogenesch hatte gerade seinen ersten Abschluss in Geschichte an der Universität von Süd-Kalifornien in San Diego erhalten, als der Kreml Ende der 1980er-Jahre die Perestroika einleitete – und damit letztlich das Ende der UdSSR. Hogenesch wollte eigentlich ein „Cold Warrior“ werden, ein kalter Krieger – doch der Kalte Krieg löste sich vor seinen Augen gerade in Luft auf. Hogenesch muss sich wohl oder übel nach einer anderen Herausforderung umsehen … Er entscheidet sich für ein anderes zahlenmächtiges Thema, die Genetik, und so wechselt er von der Historik zur Biologie. Gleich in seiner ersten dortigen Vorlesung kommt er das erste Mal mit dem Thema „innere Uhr“ in Berührung. Diese Vorlesung hält nämlich kein Geringerer als Joseph Takahashi, der bereits für dieses Thema brennt. Wenige Jahre später wird er das erste Uhren-Gen, clock, in der Maus isolieren und charakterisieren (Kap. 4). Auch Hogenesch fängt sofort Feuer – und landet nach einem Praktikum im Labor von Takahashi schließlich als Doktorand bei Chris Bradfield, einem ebenfalls bekannten Chronobiologen. Ein Zufall, dem die Chronobiologie einiges zu verdanken hat. Nach seiner Doktorarbeit heuert Hogenesch zunächst beim Pharmakonzern Novartis an. Im kalifornischen La Jolla gründet das Unternehmen gerade das Novartis Institute, einen stark akademisch ausgerichteten Ableger der eigenen Pharmaforschung. Zusammen mit Peter Schultz befasst sich © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_6

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Hogenesch dort mit der Integration der damals noch neuen Disziplin der Genomik in pharmakologisch- medizinischen Fragestellungen. Ein wichtiges Werkzeug ist dabei die frisch entwickelte microarray-Technologie. Microarrays sind daumennagelgroße Chips, auf denen definierte Muster (die namensgebenden „arrays“ ) von genau charakterisierten DNA-Molekülen schachbrettartig aufgetragen sind (Abb. 6.1a). Die mRNA-microarrays sind für die Pharmaforscher besonders interessant, weil sich hiermit bestimmen lässt, welche Gene in einer Zelle oder einem Gewebe aktiv abgelesen werden. Weil mRNA-Moleküle sehr schnell abgebaut werden, bedeutet das Vorhandensein einer bestimmten mRNA, dass das zugehörige Gen gerade aktiv ist. Alle zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle bzw. einem Gewebe vorliegenden mRNAs bezeichnet man als das „Transkriptom“ der Zelle. Hogenesch und Schultz nutzen diese Technologie, um so das Transkriptom des menschlichen Genoms in 100 verschiedenen Organen und Geweben zu

Abb. 6.1  Microarray-Technologie. a) Herstellung des microarrays. Das gesamte Transkriptom eines Organismus wird zu cDNA umgeschrieben, was eine cDNABibliothek ergibt. Anschließend wird die cDNA mit der Polymerasekettenreaktion (PCR) vervielfältigt und das Produkt auf einen Chip aufgetragen. b) Das Transkriptom aus einer oder mehrerer Proben (im Beispiel die zu verschiedenen Zeitpunkten gesammelten Proben 1 und 2) wird mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert und mit dem Chip hybridisiert. Nur komplementäre, d. h. in ihrer Sequenz zueinander passende, RNA-Sequenzen binden und können anschließend c) als fluoreszierende Signale ausgelesen werden. Durch diese Technologie können alle bekannten Transkripte eines Organismus parallel quantifiziert werden. In der Chronobiologie werden so die Transkriptomveränderungen in einer Zelle oder einem Gewebe im Tagesverlauf analysiert. (Nach Ehrenreich 2006, S. 256; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2006. All Rights Reserved)

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kartieren. Dieser 2004 publizierte Gen-Atlas (Su et al. 2004) ist immer noch das Referenzwerk für die Regulation des Genoms im menschlichen Körper. Auch der Chronobiologie standen mit dieser Technologie völlig neue Türen offen. Bisher war es sehr mühsam gewesen, circadiane Rhythmen auf molekularer Ebene nachzuweisen. Einzelne Transkripte oder Proteine konnte man mithilfe von Northern oder Western Blot oder den moderneren Methoden der realtime-PCR oder der Massenspektrometrie nachweisen. Jetzt war es aber möglich, die Aktivitätsrhythmen Hunderter oder sogar Tausender Gene gleichzeitig zu messen und so ganze Stoffwechselwege gleichzeitig zu charakterisieren. Steve Kay ist einer der Ersten, der das große Potenzial dieser Technologie für die Chronobiologie erkennt. Da kommt es gelegen, dass er ebenfalls in La Jolla arbeitet – und zwar an dem auf der anderen Straßenseite gelegenen Scripps Research Institute. Zusammen beginnen Hogenesch und Kay, den genetischen Output der circadianen Uhr in verschiedenen Organismen und Geweben zu charakterisieren. Der erste einer ganzen Reihe von wegweisenden wissenschaftlichen Artikeln zu diesem Thema erscheint schon im Jahr 2000 in der renommierten Zeitschrift Science. Es geht darin um die Untersuchung der Rhythmik uhrenkontrollierter Gene in einem beliebten biologischen Modellorganismus, der zur Gattung der Schaumkressen zählenden ­Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) (Harmer et al. 2000). Kay hat einige Jahre zuvor genetisch veränderte Arabidopsis-Mutanten gezüchtet, die in der Lage waren, abhängig von der Aktivität eines Uhren-Gens tagesrhythmisch zu leuchten. So wurde es quasi möglich, der inneren Uhr dieser Pflanzen beim Ticken zuzuschauen. Mithilfe der microarray-Technologie können Kay, Hogenesch und ihre Kollegin Stacey Harmer nun nachweisen, dass mehr als 8000 Arabidopsis-Gene circadian sind, d. h. tagesrhythmisch reguliert. Sie zeigen zudem, dass viele dieser Gene für Proteine codieren, die für die Regulation der Lichtwirkung und des Energiestoffwechsels von Bedeutung sind – zwei Prozesse, die bei photosynthetisch aktiven Pflanzen natürlich eng zusammenhängen und für die Pflanze überlebenswichtig sind. Es folgten Studien an Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) und Mäusen (Mus musculus). Auch hier ergibt sich das gleiche Bild: Tausende von Genen zeigen klare circadiane Aktivitätsrhythmen – selbst unter konstanten Umweltbedingungen. Die Tiere wurden dafür für einige Tage im Dauerdunkel gehalten und unter schwachem Rotlicht zur Organentnahme getötet. Die Mausstudie zeigt neben dem großen Einfluss der circadianen Uhr auf den Energiestoffwechsel noch etwas anderes. Die Forscher haben nämlich für diese Studie zwei unterschiedliche Gewebe miteinander verglichen:

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den SCN als zentralen Schrittmacher des circadianen Systems und die Leber als Hauptstoffwechselorgan (Abb. 6.2). Dabei stellt sich heraus, dass in beiden Geweben jeweils mehr als 5 % aller Gene rhythmisch reguliert sind, aber das sind jeweils unterschiedliche Gene (Panda et al. 2002). Ähnliches finden auch Kai-Florian Storch und Chuck Weitz aus Harvard, die in einem ganz ähnlichen Ansatz zeitgleich Gen-Rhythmen in der Leber mit denen im Herzen vergleichen. Auch im Herzen sind Hunderte von Genen rhythmisch aktiv – allerdings wieder andere als in der Leber oder gar im SCN. Offenbar sind jeweils die für die Funktion des untersuchten Gewebes wichtigen Signalwege circadian reguliert (Storch et al. 2002). Die Uhr – die ja molekular in jeder Zelle eines Lebewesens aus den gleichen Genen und Proteinen aufgebaut ist – erkennt also irgendwie, welche Gene für die physiologische Regulation des jeweiligen Organs wichtig sind, und steuert diese dann gezielt an. Wie das genau geschieht, ist auch heute noch nicht ganz verstanden. Die Annahme ist, dass bestimmte die Gewebsfunktion definierende Faktoren dafür sorgen, dass Bereiche der Erbsubstanz für die Transkriptionsfaktoren der Uhr zugänglich werden. Dazu muss man wissen, dass das Erbgut – die DNA – normalerweise in einer sehr kompakten Form vorliegt. Nur so kann die ganze Länge des Erbmaterials im Zellkern untergebracht werden (Abschn. 4.2). Um Gene abzulesen, müssen Bereiche der DNA quasi aufgeschlossen werden. Dies geschieht

Abb. 6.2  Rhythmisch aktive Gene sind weitgehend organspezifisch. a) Verteilung der Gen-Rhythmen im Verlauf des circadianen Tages im SCN und in der Leber. Gezeigt ist die Zahl der rhythmischen Gene mit maximaler Aktivität zu der auf der Abszisse angegebenen Zeit. Die Tiere wurden bei konstanter Dunkelheit (DD) gehalten. b) Das Venn-Diagramm zeigt, dass jeweils etwa 360 Gene in den jeweiligen Geweben rhythmisch aktiv sind, aber nur 28 davon in beiden Geweben – darunter die Uhren-Gene per2 und rev-erbß. (Nach Panda et al. 2002, S. 309; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2002. All Rights Reserved)

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durch die Bindung bestimmter Proteine, die das DNA-Paket lokal aufschnüren. Gene, die in dem entpackten Bereich liegen, werden nun für Transkriptionsfaktoren zugängig und können abgelesen werden (Abb. 6.3). Diese offenen Genbereiche – man sprich von Euchromatin – sind in jedem Gewebe anders. So sind bestimmte Bereiche des Genoms für Uhrenproteine wie Clock und Bmal1 einfach nicht zugänglich, können also auch nicht rhythmisch abgelesen werden. Öffnet man diese Bereiche künstlich, können Clock und Bmal1 binden und Transkriptionsrhythmen erzeugen. So konnten Forscher um Joe Bass von der Universität Chicago zeigen, dass der ­Bauchspeicheldrüsen-Faktor Pdx1 essenziell ist, um für die Bauchspeicheldrüse typische uhrenkontrollierte Gene rhythmisch abzulesen. Pdx1 wirkt als sog. Pionierfaktor für die circadiane Regulation des Genoms der Bauchspeicheldrüse, indem er bestimmte Gene für die Transkriptionsfaktoren der Uhr erschließt (Perelis et al. 2015) (Abb. 6.3).

Abb. 6.3  Pdx1 dient als Pionierfaktor für die rhythmische Genaktivierung in der Bauchspeicheldrüse. Viele Gene sind durch dicht gepackte Histonproteine (geschlossenes Heterochromatin; grün) inaktiviert. Sog. Pionierfaktoren wie Pdx1 (orange) in der Bauchspeicheldrüse bewirken eine Lockerung (oder Öffnung) der Chromatinstruktur (weiße Zylinder und Kreise) und machen lokal Gene zugänglich für z. B. die Uhrenproteine Clock und Bmal1 (blaues Sechseck). Diese beiden steuern dann die rhythmische Aktivität gewebsspezifischer circadianer Gene. (Modifiziert nach Golson und Kaestner 2016, S. 4562; mit freundlicher Genehmigung von © The Company of Biologists Ltd. 2016. All Rights Reserved)

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6.2 Von Gen-Rhythmen zur Chronotherapie 2014 trieb Hogenesch – inzwischen Professor mit eigenem Labor an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia – diese Studien auf die Spitze mit der Veröffentlichung eines weiteren Transkriptom-Atlas-Projekts (Zhang et al. 2014). Die Forscher hatten dafür zwölf unterschiedliche Mausgewebe zu 24 verschiedenen über zwei Tage gleichförmig verteilten Zeitpunkten auf ihre Transkriptomregulation hin untersucht. Anwendung fand hier zusätzlich die damals noch neuartige Methode des next generation sequencing. Diese Technologie erlaubt es, Millionen Sequenzen von zigtausend ­ RNA-Transkripten aus winzigen Gewebeproben direkt zu bestimmen. Dieser Sequenzierung folgt anschließend eine bioinformatische Analyse, welche die Zahl der Transkripte jedes aktiven Gens in der Probe berechnet. Anders als die microarray-Technologie erfasst und quantifiziert das next generation sequencing sogar bisher unbekannte Transkripte. Es bestätigte sich auch hier, dass in jedem Gewebe zwischen 3 und 16 % aller Gene rhythmisch reguliert sind (Abb. 6.4). Die Uhren-Gene waren in allen Geweben rhythmisch. Die uhrenkontrollierten Gene hingegen waren meist jeweils andere in den zwölf Geweben. Über das gesamte Genom gesehen waren ca. 45 % aller Gene in zumindest einem Gewebe rhythmisch reguliert, also knapp 11.000. Darunter befanden sich eine ganze Reihe von krankheitsrelevanten und therapeutisch interessanten Genen. Das deutet darauf hin, wie wichtig circadiane Rhythmen auch für die Medizin sind, regulieren sie doch nicht nur viele der biochemischen Stoffwechselfunktionen, die bei Krankheiten

Abb. 6.4 Ein circadianer Transkriptomatlas der Maus. Hierfür wurden die circadianen Rhythmen aller mRNAs in zwölf Geweben der Maus miteinander verglichen. Zwischen 3 und 16 % aller Gene waren in jeweils einem Gewebe rhythmisch aktiv. (Nach Zhang et al. 2014, S. 16220; mit freundlicher Genehmigung von © National Academy of Sciences of the USA 2014. All Rights Reserved)

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betroffen sind, sondern bestimmen auch, wie Zellen und Gewebe zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Medikamente reagieren. Mehr als 60 % aller Gene, die bekanntermaßen durch Medikamente beeinflusst werden (sog. drug targets –Abb. 10.5), zeigen circadiane Aktivitätsrhythmen (Zhang et al. 2014). Vor allem gewebespezifische Rhythmen sind bei Krankheit häufig stark verändert. So haben z. B. viele Tumore kaum circadiane Rhythmen der Genaktivität. Also ist der Zeitpunkt der Medikamentengabe für die Wirkung auf die Tumore selbst irrelevant. Für die Effekte des Wirkstoffs auf gesundes Gewebe – und damit die Nebenwirkung vieler Chemotherapeutika –  kann der Zeitpunkt dagegen entscheidend sein. Die tageszeitlich optimierte Verabreichung von Medikamenten nennt man Chronotherapie. Ein Beispiel dafür ist in Abb. 6.5 dargestellt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von medizinischen Gebieten, die sich das Wissen um die circadiane Uhr und circadian regulierte biologische Prozesse zu eigen machen. Dazu zählen neben der Onkologie auch die Psychiatrie und die Immunologie, die wir in Kap. 10 ausführlicher diskutieren.

Abb. 6.5  Chemochronotherapie. Beispiel für einen chronotherapeutischen Ansatz in der Chemotherapie von Dickdarmkrebs. Patienten erhielten eine kombinierte tageszeitlich optimierte Infusion von drei Chemotherapeutika – Fluorouracil (5-FU), Leucovorin (LV), und Oxaliplatin (L-OHP). Da die Zellteilung bei gesundem Gewebe nachts am stärksten ist, das Tumorgewebe aber keinen Tagesrhythmus in seiner Teilung zeigt, wurde Oxaliplatin tagsüber verabreicht. Parallel wurde Glucose zur Erholung des gesunden Gewebes vor allem gegen Abend infundiert. Insgesamt konnte eine Verbesserung der Überlebensrate um 30 bis 40 % im Vergleich zu herkömmlichen Therapien erreicht werden. (Nach Levi 2001, S. 311; mit freundlicher Genehmigung von © The Lancet Publishing Group 2001. All Rights Reserved)

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Wie reguliert das innere Uhrwerk diese Tausende von Genen, und wie wirkt sich das Ganze auf biologische Prozesse aus? Wie in Abschn. 4.8 beschrieben, basiert das molekulare Uhrwerk auf miteinander verschachtelten transkriptionell-translationalen Rückkopplungsschleifen (sog. feedback loops ) bestehend aus Uhren-Genen und -Proteinen. Einige diese Uhren-Proteine sind Transkriptionsfaktoren: Clock und Bmal1 aktivieren als Heterodimere Gene, die sog. E-Box-Regulatorsequenzen besitzen (Abb. 4.2). Die spezifische Basensequenz der E-Boxen wird vom Clock/Bmal1-Komplex erkannt und gebunden, was wiederum die Ablesung des assoziierten Gens aktiviert. Auch Rev-Erb-Proteine sind solche Transkriptionsfaktoren. Sie binden an RORE-Regulator-Sequenzen, z. B. von Bmal1, und inhibieren deren Transkription (Abb. 4.7). Das dritte circadiane Regulatorelement ist die D-Box (Abb. 4.2). Diese wird durch die Uhren-Transkriptionsfaktoren Dbp und E4bp4 erkannt und reguliert. Enthält ein Gen eine oder mehrere dieser Boxen in seiner Kontrollregion, ist es ein potenzieller Kandidat für eine direkte Steuerung durch die lokale circadiane Uhr. Je nachdem, welche Kontrollelemente im Gen vertreten sind, bestimmt dies, wann am Tag ein Gen aktiv abgelesen wird. Gene unter E-Box-Kontrolle sind meist in den Tagesstunden aktiv. RORE-kontrollierte Gene zeigen ihre stärkste Aktivität in der Nacht. Das Aktivitätsmaximum von D-Boxen-kontrollierten Genen liegt irgendwo dazwischen. Durch eine entsprechende Kombination von Boxen kann die circadiane Uhr zeitlich sehr genau abgestimmte Programme von rhythmischen Genen steuern. So ist eine Feinabstimmung der durch diese Gene codierten Stoffwechselprozesse im Tagesverlauf möglich. Ein Beispiel findet sich in Abb. 6.6 mit über 3400 rhythmisch regulierten Genen in der Nebenniere der Maus. Neben diesen direkt uhrenkontrollierten Genen (ccg, clock-controlled genes ) gibt es auch Gene, die nicht direkt durch die Uhren-Proteine, sondern durch ccg-codierte Proteine gesteuert werden. Diese bezeichnet man als sekundäre ccgs. So kontrollieren Clock und Bmal1 beispielsweise die Bildung des Transkriptionsfaktors Fxr (Farsenoid-X-Rezeptor) in der Leber. Dieser wiederum steuert die Ablesung des Genes cyp7a1 (Cytochrom P450, Familie 7a, Mitglied 1) und die Bildung des dazugehörigen Proteinprodukts, welches wiederum die Bildung der Gallensäuren ermöglicht, die bei der Verdauung gebraucht werden. fxr ist hier also das direkte ccg, während die Transkription von cyp7a1 (das sekundäre ccg ) und die Regulation des Gallensäurestoffwechsels sekundär nachgesteuerte Prozesse sind. Ist das fxr-Gen durch eine Mutation beschädigt, kann diese dazu führen, dass der Gallensäurestoffwechsel nicht mehr tagesrhythmisch reguliert wird. Nicole Kettner und Kollegen haben dies in Mäusen experimentell nachgestellt. Mäuse mit einer

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Abb. 6.6 Die heatmap zeigt die rhythmische Geneaktivität in der Nebenniere der Maus. Ähnlich einem Wärmebild einer Wärmebildkamera wird die Stärke der Genaktivität mittels Farbcodes dargestellt. Grün bedeutet schwache, schwarze mittlere und rot starke Aktivität eines Gens. Und so ist dieses dieses Wärmebild zu „lesen“: Bei 50 h nach Ausschalten des Lichtes im Mausraum gibt es in der heatmap der Nebenniere im oberen Drittel eine Ansammlung vieler stark aktiver Gene (rot). Genau 24 h später lässt sich erneut ein Maximum beobachten. Auch Minima (grün) wiederholen sich: Bei 42 h ist ein stark grün markierter Bereich zu erkennen, der bei 66 h erneut erscheint

Störung in der Leberuhr oder im fxr-Gen zeigen einen gestörten Gallensäurestoffwechsel und ein erhöhtes Risiko der Fettleber-Bildung. Das Risiko, eine solche nicht-alkoholische Fettleber (non-alcoholic fatty liver disease – NAFLD) zu bilden, ist übrigens auch bei Nachtschichtarbeitern deutlich erhöht. Fxr-stimulierende Wirkstoffe sind zurzeit für die Behandlung von NAFLD in der Erprobung. Vielleicht sehen wir hier bald einen chronotherapeutischen Ansatz zur Behandlung der nicht-alkoholischen Fettleber.

6.3  In vitro ist nicht gleich in vivo Die Feststellung ist: In vivo, also in den direkt von Tieren entnommenen Geweben sind Tausende Gene uhrenkontrolliert. In Experimenten mit Zellen in Kultur (=in vitro ) wurden ebenfalls zahlreiche rhythmische Gene

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nachgewiesen. Allerdings erscheinen in Zellkultur auf einmal nur noch knapp ein Drittel der in Geweben tagesrhythmisch aktiven Gene weiterhin uhrenkontrolliert. Woran kann das liegen? Dazu muss man sich klarmachen, dass Zellen im Gewebeverbund ja nicht nur eigene Zeitsignale bilden. Sie empfangen auch rhythmische Signale von benachbarten Zellen, über die Blutbahn oder das Nervensystem. Diese vom Gesamtorganismus stammenden, d. h. systemischen Faktoren wirken auf die Zellen ein und können dann ebenfalls die Ablesung von Zielgenen beeinflussen (Abb. 6.7).

Abb. 6.7 Die lokalen Uhren-Proteine zusammen mit systemischen Faktoren regulieren die rhythmische Genaktivität. Neben den Uhren-Proteinen Clock und Bmal1, die direkt in der Zelle vorliegen, gibt es im Organismus von außen wirkende tagesrhythmische Signale, welche die Genaktivität in den verschiedenen Geweben steuern. Beispiele sind die Rhythmen von Cortisol (Maximum morgens) und Melatonin (Maximum nachts). Ferner beeinflussen Nahrungsaufnahme (Maximum tagsüber) und Schlaf (Maximum nachts) die Aktivität von uhrenkontrollierten Genen. Einige dieser Faktoren können zudem direkt die Uhrengen-Aktivität beeinflussen. So kommt es zu einem komplexen Zusammenspiel, über das zelluläre Prozesse im Gewebe mit den äußeren Anforderungen synchronisiert werden. Solche globalen Netzwerke lassen sich nur beschränkt in Zellkultur studieren

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So geben z. B. Zellen der Nebenniere das Steroidhormon Cortisol tagesrhythmisch in die Blutbahn ab (Abb. 1.2). Cortisol spielt eine überragende Rolle in der Regulation des Energiestoffwechsels und des Immunsystems. Es ist Teil der Stressantwort (Stichwort „fight or flight“ ), hilft uns aber auch morgens beim Wachwerden. Cortisol bindet an Glukokortikoidrezeptoren in Zielzellen. Diese Rezeptoren finden sich in fast allen Geweben unseres Körpers. Cortisol gelangt leicht ins Zellplasma. Dort bindet es an den Glukokortikoidrezeptor. Folglich wandert dieser Rezeptor in den Zellkern und aktiviert dort Gene. Es ist nämlich so, dass der Glukokortikoidrezeptor nach dem Andocken des Hormons zu einem Transkriptionsfaktor wird und dann Gene anschaltet. Auch unter völlig stressfreien Bedingungen ist der Cortisolblutspiegel morgens hoch und abends eher niedrig (Abb. 1.2). Diese Tagesrhythmik sorgt deshalb im Lebewesen auch für eine tagesrhythmische Aktivierung von cortisolregulierten Genen. Deren Rhythmik fällt in Zellkultur weg, weil sich dort die Cortisolkonzentration nicht ändert. Andere Beispiele für solche rhythmischen Hormone sind Melatonin, Prolactin oder Testosteron. Neben diesen über Blut oder Nervensystem vermittelten Zeitsignalen spielen auch Verhaltensweisen eine wichtige Rolle in der Orchestrierung des circadianen Genoms. Wann etwa wird Nahrung aufgenommen? Das beeinflusst die Genaktivität metabolischer Organe wie Leber, Bauchspeicheldrüse und Fettgewebe. Dazu später mehr in Kap. 7. Insgesamt ist jeweils ein Drittel des rhythmischen Genoms durch das zelleigene Uhrwerk, durch Hormone und Nervenimpulse sowie über Essen, Bewegungsaktivität, oder Licht reguliert. Diese Werte variieren dabei natürlich von Gewebe zu Gewebe. Jerome Menet und Kollegen von der Universität von Houston konnten zeigen, dass in der Leber von Mäusen, die rund um die Uhr jede Stunde nur einen kleinen Brocken Futter erhielten, nur noch rund 40 % der ursprünglich rhythmischen Gene weiter rhythmisch aktiv sind (Greenwell et al. 2019). Allein die Aufhebung des täglichen Futter-Rhythmus hat also einen ausgeprägten Effekt auf die rhythmische Genaktivität der Leber. Satchin Panda und Kollegen vom Salk Institute in La Jolla haben die Idee noch einen Schritt weitergetrieben. Sie konnten zunächst zeigen, dass Mäuse, denen man das Futter immer am Tag wegnimmt und die man so zwang, eine Art Intervallfasten einzuhalten, weniger anfällig waren, unter Hochfettdiät dick zu werden. In Folgestudien zeigten die Wissenschaftler dann, dass diese Art erzwungener rhythmischer Ernährung auch positive Effekte auf Immunität, Lernvermögen und Alterungsprozesse hat.

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Alle diese Prozesse unterliegen offensichtlich einer Regulation durch das circadiane Uhrensystem. Es scheint also so zu sein, dass eine Stabilisierung der circadianen Rhythmik einen vorbeugenden Einfluss auf eine ganze Reihe von Erkrankungen hat. Ein möglicher Mechanismus dafür wäre die verlässlich getaktete Regulation der Gen-Transkription in verschiedenen Geweben. Zurzeit laufen Studien in dieser Richtung beim Menschen. Ein Beispiel dafür findet sich in Abb. 6.8: Es wurde nachgewiesen, dass bei gleichbleibender Kalorienmenge eine Einschränkung des täglichen Essensfensters auf 10 h einen moderaten Gewichtsverlust von 3 bis 4 kg bewirkt. Trotz dieser ermutigenden Ergebnisse bleibt abzuwarten, inwieweit sich die breit gefächerten Erkenntnisse aus der ja sehr viel kleineren und deshalb mit einem feineren Stoffwechsel ausgestatteten Maus auf den Menschen und seine zahlreichen Zivilisationskrankheiten übertragen lassen. Bezüglich Energiestoffwechsel und Gewichtskontrolle hat die Anwendung die Wissenschaft allerdings bereits rechts überholt: Die Regale im Buchhandel sind voll mit Beraterliteratur zu „Intervallfasten“ und „Chronodiät“.

Abb. 6.8  Intervallfasten beim Menschen. a) Eine Gruppe von Probanden hat über drei Wochen alle Mahlzeiten mithilfe einer Smartphone-App dokumentiert. Die Mahlzeiten und Snacks für jeden Probanden sind als konzentrische Kreise auf das Zifferblatt einer Uhr aufgetragen. Nur zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens befindet sich ein essensfreies Zeitfenster. Anschließend wurden die Probanden gebeten, das Essensfenster auf 10 h am Tag (frei wählbar) zu beschränken (blaue Balken (b) für acht Probanden). Vor und nach 16 Wochen Intervallfasten sowie ein halbes Jahr später wurde das Gewicht protokolliert. b) Die statistische Analyse zeigt, dass die Probanden im Schnitt 3 bis 4 kg abgenommen hatten. Die meisten hielten ihr neues Gewicht auch ein Jahr später. (Nach Gill et al. 2015, S. 791; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2015. All Rights Reserved)

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6.4 Das Chronom – was bringt uns das? Ein anderer wichtiger Anwendungsbereich der „Chronomics“ liegt in die Pharmakologie. Mithilfe der zeitlichen Kartierung von Organsystemen lassen sich genauere Voraussagen über die Wirksamkeit von Medikamenten und deren Abbau machen. So kann uns das Wissen über die rhythmische Aktivität eines bestimmten Rezeptorgens oder -proteins helfen, eine optimale Tageszeit für die Gabe eines passenden Wirkstoffs zu finden. Das gleiche gilt für andere Zielmoleküle von pharmakologischen Wirkstoffen wie z. B. Ionenkanäle und Enzyme. John Hogenesch und seine Kollegen haben in ihrem circadianen Gewebsatlas der Maus gezeigt, dass die meisten der Medikamente auf dem Markt solche tagesrhythmischen Zielproteine im Körper ansteuern. So sollten beispielsweise Lipidsenker nachts effektiver wirken, sodass die Autoren empfehlen, diese am Abend einzunehmen. Andere Wirkstoffe können im Körper umgewandelt werden und so zum Teil giftige Nebenprodukte bilden, die ungewollte Nebenwirkungen erzeugen. Ein Beispiel hierfür ist das schmerz- und entzündungshemmende Paracetamol, dass durch das Leberenzym Cytochrom P450 2E1 (CYP2E1) in N-Acetyl-Benzochinonimin (NAPQI) umgewandelt wird. NAPQI wiederum reagiert nun mit Struktur- und Funktionsproteinen der Leberzellen, was bei zu hoher Konzentration zu Leberzellnekrose und klinischem Leberversagen führen kann. Deshalb stehen auf dem Beipackzettel von Paracetamol Warnhinweise zur Überdosierung. Das cyp2e1-Gen ist morgens besonders stark aktiv. Es ist daher davon auszugehen, dass giftige Konzentrationen von NAPQI zu dieser Zeit schneller auftreten als zu anderen Tageszeiten. In Zukunft könnte das Chronogenom also helfen, das Verhältnis von Wirkung und Nebenwirkung neuer Medikamente zu optimieren und auch die Effektivität bereits zugelassener Wirkstoffe zu verbessern. Erfolgreiche Ansätze in dieser Richtung gibt es bereits beim Einsatz von Chemotherapeutika in der Behandlung von Darmkrebs. Nun sind die RNA-Transkripte selbst in der Regel biologisch unwirksam. Sie dienen allein als Bauplan für die Bildung der entsprechenden Proteine. Dieser Prozess, die Translation, bietet deshalb eine zusätzliche Möglichkeit der Regulation durch das circadiane System. Ähnlich wie die m ­ icroarray-Technologie für Nukleinsäuren macht die moderne Massenspektrometrie es möglich, die Gesamtheit aller Proteine oder verschiedener Stoffwechselprodukte (Lipide, Steroide etc.) im Tagesverlauf zu charakterisieren. Einfach gesagt: Per Massenspektrometrie werden die Moleküle in einer Lösung, z. B. dem Homogenat eines Gewebes, in einem

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starken Magnetfeld anhand ihrer Masse und Ladung aufgetrennt und mengenmäßig bestimmt. Durch einen Abgleich mit Referenzdatenbanken lassen sich – anhand des Flugverhaltens und des Auftreffens der Substanzen auf einem Detektor nach Ablenkung durch das Magnetfeld – die Signale bestimmten Molekülen und Molekülfragmenten zuordnen. Durch solche Verfahren ließ sich zeigen, dass auch die Proteinbildung stark circadian reguliert ist. Man geht sogar davon aus, dass auf der Ebene der Proteine der Anteil an rhythmischer Regulation noch höher ist als bei den Transkripten. Ähnlich verhält es sich mit Stoffwechselprodukten, den sog. Metaboliten. Vergleichende Studien auf verschiedenen Ebenen der omics-Regulation offenbaren eine interessante Perspektive: Während die Transkriptionsrhythmen offenbar eher durch das zelleigene molekulare Uhrwerk reguliert sind, sind Rhythmen der Stoffwechselmoleküle und der Proteine deutlich stärker durch externe Rhythmen beeinflusst. Ein Beispiel: Der in der Schweiz lebende Amerikaner Steve Brown und seine in München forschende Landesgenossin Charo Robles haben die Tagesrhythmik von Transkripten und Proteinen in den Nervenenden, den Synapsen, bei der Maus verglichen. Dabei stellten sie fest, dass der Schlaf-Wachrhythmus die Proteine stark bestimmt, die Transkripte selbst auf Störungen im S­ chlaf-Rhythmus der Tiere aber nur wenig reagierten (Noya et al. 2019). Die Forscher interpretierten ihre Daten so, dass das Uhrwerk der Nervenzellen zwar die mRNA für synaptische Proteine tagesrhythmisch bereitstellt, der eigentlich Bedarf an diesen Proteinen aber über den Schlaf-Wach-Rhythmus bestimmt wird. Dieser bestimmt dann, wie effizient mRNAs abgelesen und in die entsprechenden Proteine translatiert werden. Dieses Wechselspiel kombiniert eine tagesrhythmische Optimierung auf Höhe der Transkription mit einer bedarfsorientierten Auslese auf translatorischer Ebene. Das ist auch sinnvoll, da es den Körper in die Lage versetzt, auf akute Änderungen in der Tagesrhythmik zu reagieren, ohne gleich den Gesamtrhythmus umzustellen. Eine durchwachte Nacht beeinträchtigt uns so am Folgetag, stürzt uns aber noch nicht gleich in einen schweren Jetlag. Es ist wahrscheinlich, dass solche kombinatorischen Regulationen auch auf anderer Ebene auftreten, wie z. B. zwischen Transkripten und Stoffwechselmolekülen.

6.5 Zusammenfassung Dieses Kapitel zeigt, dass die Uhren-Gene eine enorme Ausstrahlung auf die Physiologie und das Verhalten von Mensch und Tier haben. Der Mechanismus ist dabei relativ einfach. In den Kontrollregionen der

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Tausenden von ccgs findet man jene Steuersequenzen, die die Uhr selbst antreiben. Der vergleichsweise simple Schrittmacher überträgt seinen 24-h-Takt so auf den Gesamtorganismus und treibt damit ein weit umfangreicheres, umfassenderes Räderwerk der Zeit an. Über das Zusammenspiel mit gewebsspezifischen Pionierfaktoren gelingt es dabei, ganz individuelle transkriptionelle Programme in all den unterschiedlichen Organen und Geweben des Körpers tagesrhythmisch zu koordinieren. Kaum ein biologischer Prozess unseres Körpers ist nicht zumindest in einem gewissen Maße circadian reguliert – und diese Breitenwirkung führt unausweichlich in das Gebiet der Medizin.

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7 Anatomie und Netzwerkorganisation im circadianen System

7.1 Der SCN als Schrittmacher des circadianen Systems Bei Säugetieren gibt es praktisch in allen Geweben und Organen eine circadiane Uhr. Damit diese Uhren miteinander sprechen, bilden sie ein geordnetes Netzwerk (Abb. 7.1). In dessen Zentrum sitzt ein Schrittmacher, der schon öfter erwähnte Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Der tief im Gehirn angesiedelte SCN kommandiert die untergeordneten zellulären Uhren, die sowohl in Organen als auch in peripheren Geweben liegen (Abb. 7.1). Allerdings ist nur gerade der SCN des Gehirns ein genau verorteter Schrittmacher, während sich die untergeordneten Uhren jeweils über die ganzen Organe verteilen. Durch die Vernetzung ist sichergestellt, dass alle Uhren aufeinander abgestimmt sind und die von ihnen kontrollierten physiologische Vorgänge im Takt mit der Umwelt ablaufen. Im Beispiel von Abb. 7.1 ist es Nachmittag, und alle Uhren zeigen 15 Uhr. Das Netzwerk der Uhren ermöglicht es dem Körper, sich auf zeitlich vorhersehbare Umweltveränderungen vorzubereiten, z. B. die Nahrungsverfügbarkeit. Schon lange bekannt war, dass Licht als wichtigster Faktor zur Synchronisation der circadianen Uhr wirkt. Unter natürlichen Licht-Dunkel-Bedingungen läuft die innere Zeit im Gleichtakt mit der ­ physikalischen Zeit. Das merken wir eigentlich erst so richtig, wenn das einmal nicht der Fall ist, z. B. beim Jetlag. Dieser tritt auf, wenn wir uns beispielsweise mit dem Flugzeug sehr schnell west- bzw. ostwärts bewegen. Wenn wir dabei mehrere Zeitzonen überqueren, kann unsere innere © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_7

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Abb. 7.1 Organisation des circadianen Netzwerks bei Säugetieren und Synchronisation des circadianen Netzwerks durch Licht. Der natürliche Licht-DunkelRhythmus synchronisiert den circadianen Schrittmacher im SCN. Über Nervenbahnen und Hormone im Blut werden von dort aus Uhren in anderen Teilen des Gehirns, in Organen und Blutzellen untereinander und mit der Uhrzeit synchronisiert. Diese Synchronisation heißt photisches Eintrainieren (auf Englisch entrainment ). ANS: autonomes Nervensystem; SCN: Nucleus suprachiasmaticus

Uhr nicht sofort adaptieren. Dadurch stimmen am Zielort die Uhr in den Organen und die äußere Zeit nicht mehr überein. Es dauert ein paar Tage, bis auch die inneren Uhren am Zielort angekommen sind. In dieser Übergangszeit fühlen wir uns oft müde und leicht reizbar. Das Denken funktioniert irgendwie nicht so gut, und auch die Verdauung macht häufig Probleme. Umgekehrt fällt es nachts schwer zu schlafen. Vor allem das Sonnenlicht sorgt dann dafür, dass unsere inneren Uhren sich an die neue Zeit angleichen. Wenn Bob Harris (gespielt von Bill Murray) im Film „Lost in Translation“ eigentlich die ganze Handlung des Films mit Jetlag durch das Tokioter Nachtleben geistert, ist das nicht weiter verwunderlich. Würde er mehr Zeit tagsüber im Freien verbringen, hätte er seinen Jetlag schneller überwunden. Das Licht wird in der Netzhaut des Auges von speziellen Lichtantennen aufgefangen, den intrinsisch photorezeptiven Ganglienzellen, und über den Sehnerv an den SCN weitergleitet. Der SCN liegt denn auch vorteilhaft direkt über der Kreuzung der beiden Sehnerven unterhalb des Hypothalamus. Das erklärt auch seinen Namen: Nucleus suprachiasmaticus, der „Kern

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über der Kreuzung“. Diese intrinsisch photorezeptiven Ganglienzellen enthalten ein Pigment, das Melanopsin, welches besonders empfindlich für blaues Licht ist, auf langwelliges gelbes oder sogar rotes Licht aber fast gar nicht reagiert. Deshalb ist es für unsere innere Uhr auch wichtig, dass wir ausreichend Zeit im Freien verbringen. Das weiße Tageslicht enthält sehr viel blaue Anteile. Die Beleuchtung in vielen Gebäuden ist in der Regel eher gelblich oder warm weiß, was auf einen geringen Blaulichtanteil hindeutet. Zudem ist es selbst an Tagen mit eher schlechtem Wetter draußen in der Regel deutlich heller als drinnen. Wenn wir viel Zeit in Gebäuden verbringen, z. B. im Winter, kann es deshalb geschehen, dass unsere innere Uhr aus dem Takt gerät. Das wiederum kann den Schlafrhythmus stören und verursacht auch die in skandinavischen Ländern verbreitete Winterdepression (im Englischen „seasonal affective disorder“ oder SAD). Dass es spezielle Lichtantennen für die circadiane Uhr gibt, war lange Zeit umstritten. Man hatte schon früh festgestellt, dass das Licht über die Augen auf die innere Uhr wirken muss. So haben viele blinde Menschen, wenn auch nicht alle, Probleme bei der Synchronisation ihrer ­Schlaf-Wach-Rhythmen. Sie leiden unter „Non-24“. Ihre innere Uhr läuft mit ihrer eigenen Periode „frei“ (also 24,5 h), und die betroffenen Menschen driften von Tagen, in denen sie einigermaßen synchron mit ihrer Umwelt ticken, hin zu Tagen, an denen ihr Schlafbedürfnis entgegengesetzt zur Tageszeit ist. Ein Beispiel findet sich in Abb. 7.2. Die Briten Russell Foster und Rob Lucas vom Imperial College in London fanden in den 1990er-Jahren heraus, dass zwar das Auge, nicht aber die klassischen Photorezeptoren, die Zapfen und Stäbchen, für die Synchronisation der inneren Uhr verantwortlich ist. Sie studierten die Uhrenfunktion bei Mäusen, die durch eine Mutation keine Zapfen und Stäbchen mehr hatten und deshalb blind waren. Interessanterweise hatten diese Tiere jedoch einen perfekt synchronisierten Schlaf-Wach-Rhythmus. Mehr noch, mithilfe von gezielten Lichtpulsen zeigten die Forscher, dass die blinden Mäuse genauso gut auf Licht reagieren, wenn nicht sogar etwas besser (Lucas et al. 1999). Es musste also noch andere Antennen im Auge geben. Diese Vorstellung stand der damals gültigen Lehrmeinung klar entgegen und brachte den Forschern viel Kritik, aber auch Beachtung ein. Entdeckt und erstmalig funktionell charakterisiert wurden diese circadianen Antennen Anfang der 2000er-Jahre – wie so häufig zeitgleich von zwei unterschiedlichen amerikanischen Laboratorien. Satchin Panda und Steve Kay (La Jolla) bzw. Samer Hattar und King-Wai Yau (Baltimore) sowie ihre Mitarbeiter hatten, nach Vorarbeiten u. a. von Iggy Provencio

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Abb. 7.2  Gleitende Schlafphasen bei Non-24-Patienten. a Dargestellt ist das Schlafaktogramm eines Gesunden und b eines Non-24-Patienten. Es ist leicht zu sehen, wie der Schlafrhythmus des Patienten, geleitet durch seine freilaufende innere Uhr, in den normalen Tag hinein und wieder hinausgleitet. Es ist immer noch sehr schwierig, solche lichtresistenten Patienten mit dem 24-h-Rhythmus zu synchronisieren. (Mit freundlicher Genehmigung von Vanda Pharmaceuticals Inc. 2020. All Rights Reserved) http://www.hetliozpro.com/what-is-non-24-hour-sleepwake-disorder/timing

und Russell Foster, ein neuartiges Photopigment, das Melanopsin, in der Netzhaut identifiziert und Mäuse mit genetisch ausgeschaltetem Melanopsin hergestellt. Und diese Tiere konnten normal sehen. Allerdings hatten sie große Probleme, die nicht direkt für das Sehen benötigten Aufgaben des Auges zu bewerkstelligen, z. B. den Pupillenreflex, aber auch das Synchronisieren der circadianen Uhr (Panda et al. 2002; Lucas et al. 2003). Erstes Ziel der in den Melanopsinzellen erzeugten und entlang des Sehnervs wandernden Nervenpulse ist der SCN (Abb. 7.1). Schon in den 1980er-Jahren hatte man durch Experimente an Ratten festgestellt, dass der SCN für die Aufrechterhaltung von Tagesrhythmen unabdingbar war. Die Forscher gingen damals nicht gerade feinfühlig mit ihren Tieren um. Auch vieles von dem, was wir heute über das menschliche Gehirn wissen, wurde nach dem gleichen Prinzip ermittelt: Man entfernte systematisch Teile des Gehirns und schaute dann, ob sich Änderungen im Verhalten oder anderen Gehirnfunktionen zeigten. Beim Menschen war ein solcher Eingriff

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­ atürlich nicht zulässig. Die Neurologen forschten aber an unfallbedingten n Gehirnverletzungen und an Menschen mit gezielter Zerstörung einzelner Gehirnregionen – über lange Zeit eine gängige Methode bei der Behandlung von Epileptikern. Diesen Patienten haben wir u. a. auch unser Wissen über die an der Gedächtnisbildung beteiligten Regionen wie dem Hippocampus zu verdanken. Im Tierversuch brauchte es eine solche Erkrankung hingegen nicht. Man wusste also, dass der SCN notwendig für die circadiane Rhythmik war. War er aber auch der Taktgeber, oder leitete er das Signal nur weiter? Um dies zu beantworten, brauchte es die Genetik. Begeben wir uns in das Labor des amerikanischen Physiologen Mike Menaker in Charlotteville, Virginia … Dort entdeckt man Ende der 1980er-Jahre eher zufällig eine bemerkenswerte Hamstermutante mit einem seltsamen Aktivitätsmuster. Anders als ihre Geschwister wird sie häufig schon mitten am Tag aktiv, während Hamster sonst eigentlich strikt nachtaktiv sind, man sagt nocturnal. Wer selbst als Kind einen Hamster zu Hause hatte, kann davon ein Lied singen: Tagsüber lässt der Knabe sich eigentlich nie blicken, doch kaum ist man selbst eingeschlafen, rattert er ausgiebigst im Laufrad. Der eine Hamster in Menakers Kolonie ist jedoch ein echter Frühaufsteher. Als die Forscher die Laufradaktivität dieses Tier testweise für längere Zeit im Dauerdunkel beobachten, zeigt sich, dass dessen innere Uhr im 20-h-Takt schlägt. Damit läuft sie 4 h schneller als die Uhr seiner Geschwister. Um zu schauen, ob dieses Aktivitätsmuster genetisch bedingt war, kreuzten die Forscher das Tier mit normal-rhythmischen Weibchen. Es stellte sich heraus, dass 50 % der Nachkommen ebenfalls eine schnellere Uhr hatten. Damit war klar: Die Forscher hatten das erste ­ Uhren-Gen bei Säugetieren entdeckt. Die nach dem griechischen Buchstaben für die Periodenlänge einer Schwingung als tau benannte Mutation wurde dominant über ein einziges Gen vererbt (Ralph und Menaker 1988). Immer wenn ein Tier mindestens in einem seiner zwei Partnerchromosomen das tau-Allel trägt, tickt die Uhr schneller, egal ob das andere Allel ebenfalls tau oder aber Wildtyp (=normal) ist. Menaker und sein Postdoc, Martin Ralph, kommen nun auf eine verwegene Idee: Wenn sich der SCN eines tau-Hamsters in einen Wildtyphamster transplantieren ließe, müsste der transplantierte SCN den Aktivitätsrhythmus des Empfängertieres bestimmen – sofern der SCN wirklich der Schrittmacher des circadianen Systems ist. Und das ist tatsächlich so: Den Forschern gelingt es, Teile des SCNs zwischen Tieren verschiedenen Genotyps hin- und herzutransplantieren. Dabei bestimmt dann

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Abb. 7.3  Die Periode des SCNs bestimmt die Gesamtperiode des Uhrennetzwerks. Dargestellt sind Aktogramme von Hamstern mit transplantiertem SCN-Gewebe entweder aus a tau-Hamstern (Mutante mit schneller Uhr) in Wildtyptiere (WT, mit normaler Uhr) oder b umgekehrt (SCNX – Zeitpunkt der Entfernung des SCNs; T – Zeitpunkt der Transplantation). Deutlich ist zu erkennen, wie die lange Periodik der WT-Tiere (ganz oben im Diagramm) einige Zeit nach der Transplantation in die kurze tau-Rhythmik übergeht (untere Hälfte des Diagramms). c Die Periode des Aktivitätsrhythmus der transplantierten Tiere richtete sich stets nach der Periodenlänge des (implantierten) SCNs. Alle anderen Uhren und die Aktivitätsrhythmen passten sich entsprechend an. (Nach Ralph et al. 1990, S. 247; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 1990. All Rights Reserved)

immer das Transplantat die Periodenlänge: Wildtyphamster mit tau-SCN haben schnelle Uhren, tau-Hamster mit Wildtyptransplantaten langsame (Abb. 7.3). Die Lage des circadianen Systems ist gefunden!

7.2 Wohin man auch schaut, überall Uhren! Lange Zeit galt die Uhr des SCNs als wesentlich für die Erzeugung von Tagesrhythmen im ganzen Körper. Dabei stützte man sich primär auf die gerade beschriebenen chirurgischen Läsionen und Transplantationen. Wurde der SCN herausgeschnitten, brach der Rhythmus zusammen. Zu Beginn der 2010er-Jahre musste dieses Bild allerdings revidiert werden. In

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unserem Labor verwendeten wir Mäuse, bei denen die SCN-Uhr genetisch ausgeschaltet wurde, ohne dabei den SCN selbst in irgendeiner Art zu verletzen. Wir beobachteten, dass die Uhr und deren Rhythmus im SCN fehlten, aber in anderen Geweben durchaus weiterliefen, solange es immer wieder ein rhythmisches Signal aus der Umgebung gab. Das konnte ein regelmäßiger Licht-Dunkel-Zyklus sein oder die regelmäßige Aufnahme von Nahrung. Nicht auszuschließen, dass auch noch andere Zeitgeber in der Lage sind, das circadiane Uhrennetzwerk zu synchronisieren, ohne dabei auf den ­SCN-Schrittmacher angewiesen zu sein – z. B. Aktivität oder Stress (Husse et al. 2014). Der SCN ist demnach eher so etwas wie ein Dirigent: Die einzelnen Musikanten – also die Uhren in den verschiedenen Geweben – können ihren eigenen Part ganz gut alleine spielen. Damit das Orchester aber insgesamt im Takt bleibt, braucht es den SCN als Koordinator. Der kommt vor allem dann zum Tragen, wenn die äußeren Bedingungen keine klare Rhythmik vorgeben, was in der freien Natur eigentlich immer der Fall ist. Beispielsweise wird kaum einer von uns wegen der künstlichen Beleuchtung einem regelmäßigen 12-h-Licht-12-h-Dunkel-Rhythmus ausgesetzt sein. Mithilfe des SCNs ist unser Uhrennetzwerk scheinbar in der Lage, die innere Zeit an den externen Tagesrhythmus anzupassen. Dieses Vermögen, mit nicht-idealen Umständen umzugehen, mag einem belanglos vorkommen. Es gibt aber gewichtige Hinweise darauf, dass gerade in unser modernen 24-h-Gesellschaft eine Adaption nicht immer möglich ist, mit durchaus schwerwiegenden Folgen. Ein Beispiel dieser sog. Chronodisruption ist die Winterdepression oder Seasonal Affective Disorder (SAD). Besonders in den im Norden liegenden Ländern, aber auch bei uns tritt diese Erkrankung im Winter vermehrt auf. Das liegt daran, dass wir gerade in dieser dunkleren Jahreszeit noch weniger Zeit im Freien und damit unter Sonnenlichteinfluss verbringen. Stattdessen leben wir weitestgehend im Dämmerlicht der Innenbeleuchtung. Dabei kann die elektrische Beleuchtung den biologischen Rhythmus prinzipiell komplett vom Sonnenstand entkoppeln. Das Uhrensystem gerät so aus dem Takt, was die Steuerung verschiedener Botenstoffe im Gehirn, der sog. Neurotransmitter, durcheinanderbringt, was wiederum depressive Episoden auslösen kann. Anders als eine normale Depression lässt sich SAD jedoch wirksam behandeln, etwa durch Tageslichtlampen oder einer regelmäßigen Gabe des Nachthormons Melatonin. Wirklich gut verstanden sind die in Abb. 7.1 skizzierten Wege des circadianen Netzwerks allerdings noch nicht. So galt z. B. lange Zeit das von der Zirbeldrüse (Epiphyse) immer nachts ausgeschüttete Melatonin als primäres Zeitsignal des Körpers. Der SCN steuert die Epiphyse über eine

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indirekte neuronale Verkabelung. Auch das Sehpigment Melanopsin spielt hierbei eine wichtige Rolle: Wenn wir nachts Blaulicht ausgesetzt sind, signalisieren die Ganglienzellen in der Netzhaut dies über den SCN an die Epiphyse und sorgen dafür, dass das Melatoninsignal innerhalb weniger Minuten abgestellt wird. Diese lichtinduzierte Hemmung ist wahrscheinlich einer der Faktoren, der bei Nachtschichtarbeitern gesundheitliche Probleme verursacht. So haben Nachtschichtarbeiter z. B. ein deutlich erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Ob Melatonin hierbei allerdings über die inneren Uhren wirkt oder vielleicht direkt dank seiner anti-oxidativen Eigenschaften zellschützend wirkt, weiß man noch nicht. In den 1990er-Jahren stellten die Forscher um Prof. Menaker überraschend fest, dass die meisten Labormausstämme gar kein Melatonin herstellen. Die dafür nötigen Proteine waren im Laufe der Züchtung von den in der Forschung bevorzugt verwendeten Inzuchtstämmen durch Mutation verlorengegangen. Inzuchtstämme sind wie eineiige Zwillinge: Das Erbgut der Tiere ist weitestgehend identisch. Das ist in der Forschung nützlich, weil so die Unterschiede in Physiologie und Verhalten zwischen einzelnen Tieren geringer werden. Das „Rauschen“ im Ergebnis eines Experiments wird geringer, und so lassen sich auch kleine Unterschiede im Verhalten verlässlich nachweisen, z. B. auch nach der Behandlung mit einem bestimmten Medikament. Im Falle der melatoninfreien Mäuse zeigte sich im Tagesrhythmus nun allerdings keinerlei Effekt – zumindest bezüglich ihrer Laufradaktivität. Offenbar war, zumindest in der Maus, Melatonin nur eines der Signale, über die der SCN mit der Peripherie kommuniziert. Wir wissen inzwischen, dass auch andere Hormone dabei eine Rolle spielen, z. B. Cortisol. Die Forscher um den Schweizer Molekularbiologen Ueli Schibler stellten um die Jahrtausendwende fest, dass sich Zellen in Kultur durch die Gabe von synthetischen Cortisolanaloga (z. B. Dexamethason), den sog. Glukokortikoiden, synchronisieren lassen. Auch bei Mäusen konnten die Schweizer die Uhren-Gen-Rhythmen in verschiedenen Geweben mithilfe des Dexamethasons verstellen. Dabei hing der Effekt davon ab, zu welcher Tageszeit das Medikament injiziert wurde (Balsalobre et al. 2000). Das hat durchaus medizinische Relevanz. Glukokortikoide sind nämlich sehr wirksame Hemmer des Immunsystems und werden z. B. bei Allergien und Autoimmunerkrankungen wie Rheuma in der Praxis verwendet. Wenn diese Glukokortikoidgaben jetzt neben ihrer Wirkung auf das körpereigene Abwehrsystem gleichzeitig die circadianen Uhren beeinflussen, könnte man durch zeitlich koordinierte Gabe versuchen, beide Effekte optimal zu koordinieren. Die Forschung auf diesem Gebiet der Chronotherapie steckt aber noch in den Kinderschuhen.

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7.3 Ein gekoppeltes Netzwerk zellulärer Uhren Das Uhrennetzwerk unseres Körpers ist riesig. Es umfasst Hunderte von zellulären Zeitmessern, die mithilfe des SCN untereinander und mit der äußeren Zeit koordiniert werden. Dabei spielt das Phänomen der Kopplung auf allen Ebenen dieses Netzwerks eine wichtige Rolle. Aus der Physik wissen wir, dass gekoppelte Schwingungssysteme robuster und stabiler sind. Sie weisen ein höheres Maß an Kohärenz auf und sind widerstandsfähiger gegen äußere Störungen. Die circadiane Kopplung erfordert, dass Signale in beide Richtungen übertragen werden, also zwischen zwei oder mehreren Einheiten innerhalb des Uhrennetzwerks. Bei Säugetieren finden wir Kopplung auf drei Ebenen: Erstens führen die Rückkopplungsschlaufen der molekularen Uhr in jeder rhythmischen Zelle (Abb. 4.7) zu einer genau getakteten Zeitmessung. Zweitens können Zellen innerhalb eines Gewebes über Signalmoleküle miteinander kommunizieren, damit Zellrhythmen sich über ein ganzes Organ ausbreiten. Eine solche zelluläre Kopplung wurde beim SCN entdeckt. Diese Kopplung ist äußerst zuverlässig und qualifiziert den SCN als Schrittmacher des ganzen Körpers. Drittens können die verschiedenen Gewebe können miteinander „sprechen“. Das geschieht mittels Signalen, die über das Nervensystem oder mit dem Blut (Hormone) verteilt werden. So werden circadiane Rhythmen über den gesamten Körper miteinander gekoppelt. Der SCN-Schrittmacher umfasst 10.000 bis 20.000 dicht gepackte, miteinander synchronisierte, aber verschiedenartige Gruppierungen von Nervenzellen. Wegen der gerade erwähnten Kopplung führt das dazu, dass SCN-Zellen tagsüber aktiver sind, d. h. die Nervenzellen sind dann elektrisch leichter aktivierbar. Das ist übrigens bei nachtaktiven und tagaktiven Arten so. Das Einteilen, ob ein Lebewesen in die eine oder andere Klasse fällt, erfolgt also nicht im SCN, sondern danach. Während sich die Forscher über die Kopplung innerhalb des SCN-Schrittmachers weitestgehend einig sind und diese als eines der kritischen Merkmale der Schrittmacherfunktion angesehen wird, ist der Begriff der Kopplung zwischen den zellulären Uhrwerken für andere Gehirnregionen oder für Herz, Niere etc. weiterhin umstritten. Beispielsweise enthält die Netzhaut des Auges eigenständige Schrittmacher, die unabhängig vom SCN funktionieren können und daher möglicherweise gekoppelte zelluläre Netzwerke erfordern. Man konnte mithilfe eines genetischen Tricks zudem zeigen, dass auch Uhren außerhalb des SCNs durchaus über längere Zeiten rhythmisch

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bleiben. Dazu manipulierten die Forscher um den Genetiker Joseph Takahashi das Erbgut einer Maus so, dass diese ein lichtproduzierendes Eiweiß, die Luciferase, unter Kontrolle des Uhren-Gens period2, und damit im Tagesrhythmus, bildete. In dieser Reportermaus spaltet die Luciferase den verabreichten Wirkstoff Luciferin und erzeugt dabei Licht. Daher leuchten alle uhrenhaltigen Gewebe der Reportermaus hell auf, und zwar mit einer circadianen Rhythmik. Dieses Aufleuchten lässt sich messen, ohne dass das Tier dafür getötet werden muss. So konnte man der molekularen Uhr direkt bei der Arbeit zuschauen. Takahashi und Kollegen wollten nun aber wissen, ob die Uhren in den einzelnen Geweben auch unabhängig vom SCN rhythmisch sind. Sie töteten die Tiere dann doch und schnitten die Gewebe auf schonende Art in dünne Scheiben. Diese lebenden Gewebescheiben lassen sich in einer Nährlösung für mehrere Tage bis Wochen weiter am Leben erhalten (Abb. 7.4). Es stellte sich heraus, dass viele Gewebe in Kultur noch lange deutlich erkennbare Licht- und damit Uhrenrhythmen zeigen – und damit unabhängig vom SCN (Yoo et al. 2004). Dies war ein deutlicher Hinweis auf das bereits erwähnte Orchestermodell des circadianen Systems. Neben den hormonellen Faktoren wie Cortisol oder Melatonin können Stoffwechselprodukte und Signalstoffe die Taktregulation in benachbarten Geweben steuern. Hierbei spielen besonders Faktoren des

Abb. 7.4  Uhren-Gen-Rhythmen in PER2-LUC-Nebennieren-Schnittkulturen. Nebennieren von lichtabgebenden Reportermäusen in Kultur leuchten im 24-h-Takt. a Lichtemission von Nebennierenschnitten in Kultur über einen Tag. Abb. b zeigt die Rhythmik der Lichtemission in Nebennierenkortex (rot) und -medulla (schwarz) über mehrere Tage quantifiziert

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­ ahrungsstoffwechsels eine wichtige Rolle. Beispielsweise erzeugen Glucose N (ein Zucker) und Glutamin (eine Aminosäure) Rückkopplungssignale mit der circadianen Uhr und können so die Aktivität von Uhren-Genen in verschiedenen Geweben direkt beeinflussen. Lipide sind eine andere Klasse von Stoffwechselmolekülen, die sowohl direkt als auch indirekt die U ­ hren-Gene beeinflussen können. In der Fastenphase der Nacht werden Fettsäuren (eine Lipidklasse) aus dem weißen Fettgewebe unter Kontrolle der dortigen circadianen Uhr freigesetzt. Diese Fettsäuren können wiederum ­Uhren-Gene in anderen Geweben wie der Leber aber auch dem Gehirn in ihrer Rhythmik beeinflussen. Sie wirken so als Signale des körperlichen Energiezustands und können so z. B. das Verlangen nach Nahrung im Gehirn tageszeitlich anpassen. Der SCN steuert die ihm untergeordneten Uhren im Rest des Gehirns und in peripheren Organen an, damit diese sich an der externen Zeit ausrichten. Gewissermaßen als Echo senden periphere Organe Signale an die Uhren im Gehirn, die dann unseren täglichen Verhaltensrhythmus modulieren. Eine solche periphere Rückkopplung lässt sich am besten im Zusammenhang mit dem Energiestoffwechsel dokumentieren. Aus evolutionärer Sicht ist es für einen Organismus sinnvoll, das Verhalten als Reaktion auf Veränderungen z. B. im Stoffwechsel anzupassen. Ueli Schibler und Kollegen etwa zeigten, dass der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ein wichtiger Taktgeber für Uhren in peripheren Geweben ist … Die Forscher machen dafür folgendes Experiment: Normalerweise nehmen Mäuse den Großteil ihrer Nahrung in ihrer Aktivitätsphase zu sich, also in der Nacht. Schibler und Kollegen entfernen jetzt bei ihren Mäusen jede Nacht das Futter aus den Raufen. Das zwingt die Tiere, ihre Nahrungsaufnahme komplett auf den Tag zu verlegen. Dabei zeigt sich zweierlei: Zum einen ändern die Tiere ihren Aktivitätsrhythmus. Sie werden jetzt immer zum Ende der Nacht besonders aktiv, weil sie quasi erwarten, dass die Fütterungszeit beginnt. Weiterhin zeigen die Forscher, dass sich die ­Uhren-Gen-Aktivität in peripheren Organen wie der Leber komplett an den Futterrhythmus anpasst, der SCN aber 100 %ig an den Licht-DunkelZyklus gekoppelt bleibt (Damiola et al. 2000) (Abb. 7.5). Die Tiere waren also circadian entkoppelt. Sie litten quasi unter einem internen Jetlag, weil die Uhrzeiten von SCN und Leber nicht mehr übereinstimmten. Wir nehmen inzwischen an, dass diese interne Entkopplung ein wichtiger Faktor bei den Gesundheitsfolgen der Schichtarbeit ist. So neigen die tagsüber gefütterten Mäuse zu Übergewicht und Insulinresistenz, gewichtige Symptome der Zuckerkrankheit (Diabetes). Beides tritt auch bei Schichtarbeitern deutlich häufiger auf als bei Menschen mit regelmäßigen (Tag-)Arbeitszeiten.

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Abb. 7.5  Circadiane Entkoppelung von SCN und Leber durch Futter. a Uhren-GenAktivitätsrhythmen in der Leber von tag- und nachtgefütterten Mäusen. Die UhrenGen-Aktivtität richtet sich komplett nach der Futterphase aus. b, c Aktivität des per2-Gens im SCN, bestimmt durch die Markierung der per2-mRNA mit einer radioaktiven Sonde auf Gehirnschnitten (In-situ-Hybridisierung). In Abb. b ist ein Überblick über das gesamte Gehirn gezeigt. Der SCN ist der Doppelpunkt ganz unten in der Mitte. Die rechte Abbildung ist ein Kontrollexperiment, bei dem kein Signal zu erkennen ist. In Abb. c erkennt man, dass sich die Tagesrhythmik des per2-Signals im SCN (schwarze Punkte am unteren Rand der Schnitte) durch die Futterverschiebung nicht ändert. Bei Tagesfütterung sind SCN (c) und Peripherie (a) um 12 h entkoppelt. (Nach Damiola et al. 2000, S. 2952; mit freundlicher Genehmigung von © Cold Spring Harbor Laboratory Press 2000. All Rights Reserved)

7.4 Zusammenfassung Mehrere wichtige Hormone sowie Regulatoren des Energiegleichgewichtes beeinflussen die Uhrenfunktion in peripheren und zentralen Geweben. Interessanterweise ist der SCN nicht sonderlich empfindlich, was diese vielen Signale betrifft: Er orientiert sich ganz primär am Licht. Die tatsächlichen Zielgewebe der peripheren Signale und ihre circadiane Auswirkung auf das Verhalten sind deshalb immer noch schlecht verstanden. Das verzweigte und genau eingestellte Netzwerk der circadianen Rhythmen ist ein vielversprechender Ansatzpunkt zur Vorbeugung und Behandlung vieler chronischer Krankheiten. Darunter fallen beispielsweise Stoffwechsel- und Schlafstörungen, aber auch psychiatrische Krankheiten wie die ­(Winter-) Depression oder sogar Krebs. So ist der entsprechende medizinische Ansatz der Chronotherapie ein vielversprechendes neues Feld der Medizin. Diese mehrdimensionale Netzwerkkopplung innerhalb der Uhrensystems hat wichtige Implikationen, denn es wird immer deutlicher, dass Zell- und

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Gewebeuhren unseres Körpers nicht unabhängig voneinander funktionieren. Die Beeinflussung einer Uhr oder sogar nur einer Uhrenkomponente hat Auswirkung auf das gesamte Netzwerk und führt zu Anpassungen im gesamten Organismus. Dies verleiht dem Uhrensystem Stabilität und unterstützt die Lebewesen bei der optimalen Anpassung an eine vielschichtige und komplexe Umgebung.

Literatur Wissenschaftliche Originalliteratur Balsalobre A, Brown SA, Marcacci L, Tronche F, Kellendonk C, Reichardt HM, Schütz G, Schibler U (2000) Resetting of circadian time in peripheral tissues by glucocorticoid signaling. Science 289:2344–2347 Damiola F, Le Minh N, Preitner N, Kornmann B, Fleury-Olela F, Schibler U (2000) Restricted feeding uncouples circadian oscillators in peripheral tissues from the central pacemaker in the suprachiasmatic nucleus. Genes Dev 14:2950–2961 Husse J, Leliavski A, Tsang AH, Oster H, Eichele G (2014) The light-dark cycle controls peripheral rhythmicity in mice with a genetically ablated suprachiasmatic nucleus clock. FASEB J 28:4950–4960 Lucas RJ, Freedman MS, Muñoz M, Garcia-Fernández JM, Foster RG (1999) Regulation of the mammalian pineal by non-rod, non-cone, ocular photoreceptors. Science 284:505–507 Lucas RJ, Hattar S, Takao M, Berson DM, Foster RG, Yau KW (2003) Diminished pupillary light reflex at high irradiances in melanopsin-knockout mice. Science 299:245–247 Panda S, Sato TK, Castrucci AM, Rollag MD, DeGrip WJ, Hogenesch JB, Provencio I, Kay SA (2002) Melanopsin (Opn4) requirement for normal ­light-induced circadian phase shifting. Science 298:2213–2216 Ralph MR, Menaker M (1988) A mutation of the circadian system in golden hamsters. Science 241:1225–1227 Ralph MR, Foster RG, Davis FC, Menaker M (1990) Transplanted suprachiasmatic nucleus determines circadian period. Science 247:975–978 Yoo SH, Yamazaki S, Lowrey PL, Shimomura K, Ko CH, Buhr ED, Siepka SM, Hong HK, Oh WJ, Yoo OJ, Menaker M, Takahashi JS (2004) PERIOD2:LUCIFERASE real-time reporting of circadian dynamics reveals persistent circadian oscillations in mouse peripheral tissues. Proc Natl Acad Sci U S A 101:5339–5346

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Übersichtsartikel Husse J, Eichele G, Oster H (2015) Synchronization of the mammalian circadian timing system: light can control peripheral clocks independently of the SCN clock: alternate routes of entrainment optimize the alignment of the body’s circadian clock network with external time. BioEssays 37:1119–1128

8 Uhren und Stoffwechsel – zwei Seiten derselben Medaille?

8.1 Uhr kaputt – na und? Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte die Chronobiologie bereits viel erreicht: Die wichtigsten Uhren-Gene waren entdeckt, und der molekulare Mechanismus des Uhrwerks war in weiten Teilen verstanden. Mit der Entdeckung der auf Melanopsin basierenden Lichtantennen in den Ganglienzellen der Netzhaut konnte auch endlich geklärt werden, wie die Lichtinformation auf das zentrale Uhrwerk des SCNs übertragen wird und sich die innere an die äußere Zeit anpasst. Man konnte zufrieden sein: Erstmals gab es ein biologisches System, bei dem man die komplette Wirkkette vom Gen bis zum Verhalten erklären konnte. Zum Beispiel ließ sich unter Laborbedingungen der Beginn der Aktivitätsphase einer Maus mit wenigen Minuten Abweichung für mehrere Tage im Voraus abschätzen. Mehr noch, bestimmte Mutationen in Uhren-Genen führten zu verfrühtem oder verspätetem Aktivitätsbeginn. Das ließ sich ganz leicht durch eine Beschleunigung oder Verlangsamung der Schwingungen des zellulären Uhrwerks erklären, die man selbst in kultivierten Zellen nachweisen konnte. Neben der Fruchtfliege und Säugetieren wurden Uhren in vielen weiteren Arten wie etwa Blaualgen und Schimmelpilzen (Kap. 5) bis hin zu Vögeln und Pflanzen gefunden. Apropos Pflanzen, Wilhelm Pfeffer, der Begründer der modernen Pflanzenphysiologie, veröffentlichte schon 1875 und 1915 zwei Bücher, die sich mit der tagesrhythmischen Blattbewegung von Pflanzen befassten. Von dieser kuriosen Erscheinung berichtete 1729 erstmals der französische Geophysiker Jean-Jacques d’Ortous de Mairan. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_8

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Ganz unbeabsichtigt wurde der Franzose dadurch zum Begründer der ­Chronobiologie. Die Arbeitsweise der circadianen Uhren ist in vielen Fällen die gleiche: Rückkopplungsschleifen von Uhren-Genen steuern über uhrenkontrollierte Gene viele zelluläre Prozesse im Tagesrhythmus. Die einzelnen Zahnräder dieser Uhrwerke sind allerdings häufig sehr verschieden. Außerdem gibt es Uhren, die nicht auf Gentranskription basieren, z. B. bei Cyanobakterien (Kap. 5). Dies deutet darauf hin, dass sich circadiane Uhren im Laufe der Evolution mehrfach und unabhängig voneinander entwickelt haben. Das wiederum zeigt, die Uhr muss eine wichtige Funktion für die Ausbreitung eines Lebewesens haben. Der große Evolutionsbiologe Charles Darwin beschrieb in seinem letzten Buch die circadiane Rhythmik der Regenwürmer wie folgt: „Although worms cannot be said to possess the power of vision, their sensitiveness to light enables them to distinguish between day and night; and they thus escape extreme danger from the many diurnal animals which prey on them. Their withdrawal into their burrows during the day appears, however, to have become an habitual action; for worms kept in pots covered by glass plates, over which sheets of black paper were spread, and placed before a north-east window, remained during the daytime in their burrows and came out every night; and they continued thus to act for a week.“ (Darwin 1881). Diese innere Uhr, folgert er richtig, sei das Ergebnis einer natürlichen Auslese, da sie den Würmern einen Vorteil im Überlebenskampf beschere, indem sie sie vor tagaktiven Räubern („diurnal animals which prey on them“) schütze. Beobachtungsstudien bei Schichtarbeitern zeigen ebenfalls ganz klar, dass sich dauerhafte Störungen des natürlichen Tagesrhythmus negativ auf deren Gesundheit auswirken. So erkranken Schichtarbeiter häufiger an Diabetes, Depressionen und sogar Krebs als am Tage Beschäftigte. Allerdings: Wenn Forscher im Labor die inneren Uhren ihrer Versuchstiere stören, verlieren diese zwar ihre Rhythmik, aber sonst sind sie von ihren normal rhythmischen Geschwistern nicht zu unterscheiden. Sind die Uhren vielleicht doch nicht – oder nicht mehr – wirklich wichtig? Lassen sich die Erkrankungen von Schichtarbeitern vielleicht allein auf Schlafmangel oder erhöhten Stress zurückführen? Dieses Fehlen eines physiologischen Defekts, der sich eindeutig auf eine Fehlfunktion der circadianen Uhr zurückführen lässt, hat lange Zeit verhindert, dass chronobiologische Erkenntnisse Einzug in die medizinische Praxis finden konnten. Hardcore-Mediziner haben Chronobiologen oft belächelt, und das Fach hatte einen überschaubaren Einfluss auf benachbarte Fachgebiete. Das änderte sich grundlegend und dramatisch im Jahr 2005: Im renommierten Fachmagazin Science erschien

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ein kurzer Artikel über dicke Mäuse (Turek et al. 2005). Dazu gleich mehr. Doch zunächst einmal zu einer anderen Frage: Wie lebt es sich eigentlich ohne innere Uhr?

8.2 (Über-)Leben ohne Zeitgefühl Frühe Berichte zu Langzeitexperimenten in Isolation – z. B. in Höhlen – deuteten darauf hin, dass Menschen mit einer Umgebung ohne äußere Zeitsignale schlecht umgehen können. In vielen Ländern wurde die Isolation im Dunkeln sogar als Bestrafung oder Foltermethode eingesetzt. Relativ schnell verlieren Betroffene unter solchen Bedingungen ihr Gefühl für die Zeit. Dies führt zu einer allgemeinen Orientierungslosigkeit, verbunden mit Konzentrationsstörungen und depressiven Symptomen. Wir wissen nicht, inwiefern die Abwesenheit von Licht einhergehend mit der sozialen Isolation ursächlich sind. In kontrollierten Studien unter selbstbestimmten Beleuchtungsbedingungen, wie sie z. B. Jürgen Aschoff und seine Kollegen bei den Andechser Bunkerexperimenten verwendeten (Aschoff 1965), zeigen die Versuchspersonen keine psychischen Probleme. In Andechs durften die Probanden das Licht nach Belieben ein- und ausschalten, was wiederum die innere Rhythmik, zumindest zu Beginn des Experiments, stabilisiert haben könnte. Problematisch oder nicht, es lässt sich feststellen: Ohne circadiane Uhr zu leben, ist prinzipiell möglich. Fliegen und Mäuse mit genetisch ausgeschalteter Uhr verhalten sich unter rhythmischen Licht-Dunkel-Bedingungen (LD-Bedingungen) weitestgehend normal. Mäuse schlafen als sog. nokturnale Tiere am Tag und sind nachts aktiv. Beeindruckend lässt sich das bei Mäusen mithilfe von Laufrädern im Käfig darstellen. Mäuse, und noch viel mehr Hamster, lieben Laufräder! Eine gesunde erwachsene Maus legt in dem Rad jede Nacht zwischen 5 und 10 km an Strecke zurück. Tagsüber herrscht im Maushaus dagegen Ruhe (Abb. 8.1). Auch andere Verhaltensweisen wie Nahrungsaufnahme, Schlaf und Fortpflanzung sind prinzipiell ebenfalls unbeeinträchtigt unter LD-Bedingungen. Erst wenn äußere Zeitsignale wegfallen, bricht bei Mutanten die 24-h-Rhythmik des Verhaltens zusammen. Im Labor lässt sich das einfach zeigen: Man bringt die Versuchstiere in einen Raum, der entweder fortlaufend dunkel oder hell ist. Die uhrenlosen Mäuse zeigen dann stark verkürzte und unregelmäßige Schlaf-Wach-Rhythmen, während ihre Geschwister mit funktioneller Uhr weiterhin einen normalen Tagesrhythmus mit einer Periode von etwas unter 24 h aufweisen (z. B. van

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Abb. 8.1  Laufradaktogramm einer Wildtypmaus (a) und einer clock-Mutante (b) unter rhythmischen Licht-Dunkel-Bedingungen. Der Zebrastreifen oben symbolisiert den 12-h-Licht-12-h-Dunkel-Rhythmus. Wildtypen und Mutanten zeigen einen ausgeprägten Tag-Nacht-Rhythmus. Die Tiere nutzen das Laufrad, dargestellt durch senkrechte Balken, nachts wesentlich häufiger

der Horst 1999). Heißt das, dass unsere innere Uhr unter normalen ­LD-Bedingungen nicht benötigt wird? Wir haben ja Wecker, Smartphones und künstliche Beleuchtung. Anderseits hat der Fuchs, der ja nachts auf die Jagd geht, keine dieser zivilisatorischen Errungenschaften. Er muss sich auf die innere Uhr verlassen, die ihn nachts hungrig macht und ihm mitteilt, dass seine nachtaktive Beute im Dunkeln aus dem Erdloch kommt. Diese scheinbar verwirrenden Beobachtungen bezüglich des Nutzens einer circadianen Uhr unter natürlichen LD-Bedingungen hielten viele Forscher und Ärzte lange davon ab, sich näher mit biologischen Rhythmen zu befassen.

8.3 Dicke Mäuse weisen den Weg Zu Beginn des Jahrhunderts begann sich der Stoffwechselbiologe Joseph Bass in Chicago für Tagesrhythmen zu interessieren. Er wusste, dass viele Funktionen des Energiestoffwechsels – von der Nahrungsaufnahme über deren Verarbeitung bis hin zum Energieverbrauch – tagesrhythmisch reguliert sind. Joseph Takahashi und Fred Turek, zwei renommierte Chronobiologen, die ebenfalls in Chicago lehrten, hatten zudem beobachtet, dass einige ihrer uhrenlosen Mutantenmäuse an Gewicht leicht zunahmen. Man

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sprach darüber, tat das aber zunächst als Nebeneffekt der genetischen Veränderung oder einen Inzuchteffekt ab. Bass allerdings wurde aufmerksam … Er schlägt vor, bei einem dieser Mausstämme den Stoffwechsel zu untersuchen. Gesagt, getan. Erste Untersuchungen des Blutes dieser Tiere liefern eine große Überraschung: Die Tiere hatten sehr viel Zucker, aber nur sehr wenig Insulin im Blut. Normalerweise sorgt ein erhöhter Zuckerspiegel dafür, dass die Betazellen der Bauchspeicheldrüse das Peptidhormon Insulin ausschütten. Das wiederum dafür sorgt, dass die Zuckermoleküle in Speichergewebe wie Leber, Muskel und Fettgewebe transportiert werden. Ein dauerhaft überhöhter Blutzuckerspiegel schadet dem Körper, da er den Blutfluss in den kleinen Gefäßen (den Kapillaren) behindert, was eine Mangelversorgung des Gewebes mit Sauerstoff nach sich zieht. Die Folge sind Wundheilungsstörungen, das Absterben von Zellen (Nekrose) und Blindheit. Die uhrenlosen Tiere haben also viel Zucker im Blut – die Bauchspeicheldrüse reagiert aber offenbar nicht mehr wirklich darauf, und der Zucker wird nicht in die Speichergewebe abtransportiert. Bass‘ Interesse ist geweckt. Das Erscheinungsbild erinnert stark an frühe Stadien des Typ-1-Diabetes. Bei dieser selteneren Form des Diabetes kommt es aufgrund von Immundefekten zu einer Zerstörung der Betazellen. Die Patienten können dann nicht mehr genug Insulin produzieren, und der Blutzuckerspiegel steigt. Die Betroffenen nehmen oft ab, weil der Körper die Nahrungsenergie nicht mehr verwerten kann. Stattdessen wird der Zucker mit dem Urin ausgeschieden. Daher stammt auch der Name Diabetes mellitus – lateinisch für „honigsüßer Durchfluss“. Allerdings sind die uhrenlosen Mäuse nicht dünn, sondern eher etwas moppelig. Was geht hier vor? Bass und seine Kollegen beschließen, den Stoffwechsel der uhrenlosen Tiere genauer auszuloten. Unter genau kontrollierten Bedingungen bekommen die Tiere verschiedene Diäten vorgesetzt. Stets werden Nahrungsaufnahme, Stoffwechselrate (siehe Kasten „Kalorimetrie“) sowie Körpergewicht und -zusammensetzung (also Fett, Muskeln, Knochen etc.) akribisch aufgezeichnet. Man entscheidet sich für die Experimente aus technischen Gründen zunächst für Tiere mit einer Punktmutation im clock-Gen, die sog. clock-Mutanten (Abschn. 3.3und 3.4). Schon die ersten Untersuchungen bringen weitere Überraschungen: Obwohl auch die ­clock-Mutanten unter normalen Licht-Dunkel-Zyklen das Laufrad am Tage meiden, schlafen sie nicht. Stattdessen wanderten sie immer mal wieder zur Futterraufe und fressen. Beim Menschen hat solch ein Nachthunger einen

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Namen – Night Eating Syndrome („Nächtliches-Essen-Syndrom“) – und man weiß, dass das meist zusammen mit anderen Stoffwechselstörungen wie Übergewicht auftritt. Auch die clock-Mutanten sind ja etwas dicker als ihre rhythmischen Geschwister. Dieser Unterschied wird noch deutlicher, wenn die Forscher die Tiere auf eine Hochfettdiät mit 60 % Fettanteil setzten. Als Bezugspunkt: Der Fettanteil der US-amerikanischen Durchschnittsdiät beträgt auch schon 40 %. Unter diesen Bedingungen nehmen die clock-Mutanten deutlich stärker zu als ihre Geschwister. Mehr noch, sie verlagern die Nahrungsaufnahme immer mehr in den Tag, sodass nach kurzer Zeit in Bezug auf das Essen kein Unterschied zwischen Licht- und Dunkelphase mehr festzustellen ist. Insgesamt nehmen sie so fast doppelt so viele Kalorien auf wie ihre rhythmischen, genetisch normalen Geschwister. Als Folge sind ihre Blutfett- und Zuckerwerte erhöht, und sie zeigen eine ganze Reihe typischer Kennzeichen des Metabolischen Syndroms (Turek et al. 2005) (Abb. 8.2). Der Artikel schlägt ein wie eine Bombe: Plötzlich gibt es einen circadianen Phänotyp bei Tieren, die im Wechsel von Licht und Dunkel leben! Eine funktionierende Uhr ist also doch wichtig für das Energiegleichgewicht. Auch in anderen Forschungsgebieten finden die Daten große Beachtung. In den ersten zehn Jahren nach seinem Erscheinen wird der Artikel mehr als tausendmal von anderen Autoren zitiert. Ein neues Forschungsfeld ist geboren: der Chronometabolismus – mit Wirkungen auf eine ganze Reihe von weiteren Feldern, von der Endokrinologie bis hin zur Kardiologie. Zum Zeitpunkt des Druckes dieses Buches ist Chronometabolismus der bei Weitem prominenteste Teilbereich der Chronobiologie.

Abb. 8.2  a Nahrungsaufnahme bei Wildtypmäusen und clock-Mutanten. Die Mutanten fressen deutlich mehr in der Lichtphase. b Röntgenaufnahme einer Wildtypmaus und einer clock-Mutante nach zehn Wochen Hochfettdiät. (Nach Turek et al. 2005, S. 1043; mit freundlicher Genehmigung von © American Association for the Advancement of Science 2005. All Rights Reserved)

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Kalorimetrie Um die Stoffwechselrate eines Organismus zu bestimmen, gibt es zwei experimentelle Methoden, die direkte und die indirekte Kalorimetrie. Im Energiestoffwechsel wird, vereinfacht gesprochen, die aufgenommene Nahrung mithilfe von Sauerstoff zu CO2 und Wasser unter Freisetzung von Wärme oxidiert („verbrannt“). Misst man nun die freiwerdende Wärme, lässt sich daraus auf die Menge an oxidierten Energieeinheiten (im Volksmund „Kalorien“) zurückschließen. In der direkten Kalorimetrie misst man die freiwerdende Wärme, indem man die Versuchsperson oder das Versuchstier in einen gut isolierten und temperaturkontrollierten Raum bringt. Die Körperwärme sorgt dafür, dass sich die Raumluft langsam erwärmt. Über eine aktive Gegenkühlung wird die Temperatur allerdings konstant gehalten. Der Energieaufwand dafür ist dabei ein Maß für die freigesetzte Körperwärme. Man kann sich vorstellen, dass ein solches Verfahren aufgrund der extrem geringen Temperaturveränderungen technisch extrem anspruchsvoll ist. In der sehr viel verbreiteteren indirekten Kalorimetrie misst man deshalb stattdessen den Sauerstoffverbrauch. Man verwendet dazu eine Technik zur Sauerstoffmessung in Autoabgasen. Wenn wir viel Energie verbrauchen – z. B. beim Sport – steigt unsere Atemfrequenz, und wir verwandeln mehr Sauerstoff in CO2, um unseren Muskeln zusätzliche Energie zu liefern. Ein Messkäfig für die Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs bei Mäusen ist in Abb. 8.3. gezeigt.

Abb. 8.3  Anlage zur Messung des Sauerstoffverbrauchs bei Mäusen (indirekte Kalorimetrie; http://www.irmes.eu/ea7329/index.php/facility/). Das komplette Käfigsystem ist gasdicht. Im hinteren Bereich (verdeckt) befinden sich die Ein- und Auslassventile für die Luft, über die der Käfig mit der Sauerstoffsonde verbunden wird. Die oben aufsitzenden Zylinder beherbergen absenkbare, an Waagen aufgehängte Futterraufen (links) und Wasserflaschen (rechts). Gleichzeitig können Laufradaktivität sowie Körpergewicht der Maus (über den an einer Waage aufgehängten Tunnel) gemessen werden. (Mit freundlicher Genehmigung von © TSE Systems GmbH Deutschland 2020. All Rights Reserved)

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Die Futterdaten aus dem Bass’schen Science-Artikel (Turek et al. 2005) stellen einen klaren Zusammenhang zwischen Uhrenfunktion und Gewichtsregulation her. Sie liefern damit auch eine mögliche Erklärung für den hohen Übergewichtsanteil bei „Nachtessern“ und Schichtarbeitern. Warum die clock-Mutanten allerdings solch niedrige Insulinspiegel haben, wurde so nicht erklärt. Joe Bass hatte damals allerdings einen Verdacht: Es musste an den Betazellen der Bauchspeicheldrüse liegen. Was wäre, wenn die Uhren in diesen Zellen selbst die Insulinausschüttung regulierten? Um das zu testen, greifen die Forscher tief in die genetische Trickkiste. Da die clock-Mutanten ja einen genetischen Defekt in allen ihren Zellen tragen, eignen sie sich nicht für die Untersuchung bestimmter Gewebsuhren. Bass und Kollegen setzen deshalb das sog. C ­ re-loxP-Rekombinations-System ein. Hier werden z. B. in das Uhren-Gen bmal1 (codiert den Partner von clock, Abschn. 4.3 bis 4.5) zwei Schnittstellen (genannt loxP ) eingeführt. Die so hergestellte Maus wird mit einer Maus verpaart, die ein Gen für eine molekulare Schere enthält (genannt cre-Gen), die an beiden Schnittstellen schneidet und so das bmal1-Gen aus dem Erbgut eintfernt. Man muss allerdings sicher sein, dass die molekularen Scheren ausschließlich in den Betazellen vorkommen, aber das ist für den versierten Genetiker heutzutage keine allzu große Herausforderung. Mithilfe dieses genetischen Drahtseilaktes züchten Bass und Kollegen Mäuse, bei denen das ­Uhren-Ggen bmal1 nur in den Betazellen entfernt ist und die Uhr damit nur in diesen Zellen ausgeschaltet wird. Alle anderen Zellen des Körpers haben weiterhin funktionierende Uhren und die Nager zeigen daher normale Tagesrhythmen. Wie die beleibteren clock-Mutanten haben die Tiere nur sehr niedrige Insulinspiegel, d. h. die Betazelluhren steuern die Insulinausschüttung. Sie sind also auch für den niedrigen Insulinspiegel in den ­clock-Mutanten verantwortlich. Nahrungsaufnahme und Körpergewicht sind bei den bmal1-Betazell-Mutanten aber normal. Für diese Funktionen müssen demnach Uhren in anderen Geweben verantwortlich sein (Marcheva et al. 2010) … Mit den Aufgaben verschiedener Gewebeuhren für Nahrungsaufnahme und Energiestoffwechsel haben sich seitdem viele weitere Forschergruppen auseinandergesetzt. So wissen wir heute, dass auch andere Uhrengendefekte den Essensrhythmus beeinflussen. Uhren in Leber- und Fettzellen regulieren dagegen die Aufnahme und Freisetzung von Energieäquivalenten (Fett und Zucker) und beeinflussen so die Verfügbarkeit von Energie im Körper und darüber indirekt auch den Appetit. Es stellte sich schnell heraus, dass die Bestandteile des Uhrennetzwerks in den verschiedenen Organen beim Energiestoffwechsel besonders eng zusammenarbeiten. Uhren im Gehirn

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Abb. 8.4  Uhren und Energiestoffwechsel. Das Zusammenspiel zahlreicher Gewebeuhren reguliert das Energiegleichgewicht

beeinflussen die Ausschüttung u. a. von Hormonen, die wiederum die circadianen Rhythmen in peripheren Organen steuern. Umgekehrt geben circadiane periphere Signale (darunter Hormone wie Leptin und ­ FGF21, aber auch Stoffwechselprodukte wie z. B. Fettsäuren) Rückmeldung an das Gehirn und modulieren dort Regelkreisläufe und deren circadiane Rhythmik (Abb. 8.4). Selbst auf zellulärer Ebene sind Uhrenfunktion und Metabolismus aufs Engste miteinander verzahnt. Einige Forscher verfechten die Idee, dass Zellstoffwechsel und Zelluhrenfunktion in Wirklichkeit zwei Seiten derselben Medaille sind (siehe Kasten „Alternative Modelle der molekularen Uhr“). Alternative Modelle der molekularen Uhr Das aktuelle Modell des zellulären circadianen Uhrwerks basiert auf transkriptionell-translatorischen Rückkopplungsschleifen. Dabei aktivieren Clock-Bmal1-Heterodimere die Transkription der (per- und cry-Gene), deren Proteinprodukte wiederum Clock-Bmal1 hemmen. Dieser Zyklus von Aktivierung und Hemmung hat dabei eine Periode von 24 h. Bei Säugern und vielen anderen vielzelligen Organismen verläuft die Aktivierung des Hemmers auf der Ebene der Transkription der Hemmergene (per und cry ). In Einzellern wie Cyanobakterien ist das nicht unbedingt der Fall. Hier kommt es zu einer zyklischen Modifikation des Proteins KaiC durch das Enzym KaiA (Aktivator).

134     G. Eichele und H. Oster Dies wiederum aktiviert KaiB (Hemmer), welches die Modifikation an KaiC wieder rückgängig macht (Abschn. 5.2). Dieser Prozess kommt ganz ohne Transkription aus und lässt sich sogar im Reagenzglas völlig ohne Zellsystem nachstellen. Einzig ein wenig Energie in Form von ATP muss zugegeben werden, und die Uhr läuft von ganz alleine (Nakajima et al. 2005). Auch in Säugetieren gibt es Tagesrhythmen, die ganz ohne Transkription auskommen, z. B. in roten Blutkörperchen. Diese Zellen haben keinen Zellkern – und damit auch keine Uhren-Gene. Allerdings besitzen sie Proteine, die sog. Peroxiredoxine, die tagesrhythmisch oxidiert und reduziert werden. Dieser Rhythmus bleibt sogar außerhalb des Körpers in Zellkultur erhalten. Akilesh Reddy und John O’Neill beschrieben diesen Prozess 2011 zum ersten Mal und vermuten, dass die Vorläufer der modernen biologischen Uhren auf sog. Redoxzyklen basierten, also rhythmischen, gegenläufigen chemischen Reaktionen (Oxidationen und Reduktionen). Diese wurden aber im Laufe der Evolution und der Entwicklung von Eukaryonten (Zellen mit Zellkern) durch die vielseitigeren und robusteren Transkriptionsuhren ersetzt (O’Neill und Reddy 2011). Das Überdauern der Redoxuhr in roten Blutzellen wäre demnach ein Wiederauftreten von längst Vergangenem. Wer weiß: Andere Zelltypen beherbergen vielleicht ebensolche Uhren? Wir haben sie nur noch nicht gefunden.

8.4 Man ist, was man isst – wie Nahrung unsere Uhren verstellt Mit der Entdeckung von Uhren in peripheren Geweben stellte sich die Frage, wie diese mit dem Licht-Dunkel-Zyklus synchronisiert werden. Man konnte davon ausgehen, dass der SCN dabei eine Rolle spielt. Aber könnten auch andere Zeitgeber beteiligt sein? Dazu erinnere man sich an das Experiment von Ueli Schibler und seine Kollegen an der Universität Genf (Kap. 7). Die Mäuse hatten zeitlich beschränkten Futterzugang. Die Uhren in metabolisch aktiven Organen wie der Leber stellten sich unter Tagfutterzugang komplett auf die Nahrungsaufnahme ein und verschoben ihren Bewegungsrhythmus um fast 12 h (Damiola et al. 2000). Die ­ SCN-Zentraluhr dagegen blieb weiter an den Licht-Dunkel-Zyklus gekoppelt (Abb. 7.5). Also entkoppelt eine verschobene Fütterung die Uhren von Gehirn und Körper. Wir wissen heute, dass dies auch beim Menschen so funktioniert. Mit der Uhrenverschiebung werden aber auch wichtige Stoffwechselprozesse in den jeweiligen Organen gegeneinander verschoben. Die Feinabstimmung des Körpers wird gestört. Man nimmt inzwischen an, dass viele der schlechten gesundheitlichen Effekte der Schichtarbeit durch diese interne Entkopplung entstehen. Nicht nur wann, sondern auch was wir essen, beeinflusst unsere circadianen Uhren. Bass und Kollegen beobachteten bei ihren Experi-

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menten mit unterschiedlichen Diäten nicht nur erstaunliche Effekte bei clock-Mutanten, sondern auch bei den Kontrolltieren mit funktioneller Uhr. Normalerweise fressen Mäuse 80 bis 90 % ihres Futters in der Nacht, weil die Tiere dann aktiv sind. Unter Hochfettdiät verschiebt sich die Nahrungsaufnahme aber immer weiter in den Tag hinein, bis die Tiere dann, ähnlich wie die clock-Mutanten, am Tag fast genauso viel futtern wie in der Nacht. Könnte also auch hier die Diät die Uhr stören? Schnell zeigte sich: Die Hochfettdiät sorgt für eine Störung der Uhren besonders in den Gehirnregionen, die für die Appetitkontrolle verantwortlich sind. Die vermehrte Aufnahme von Hochfettdiät am Tag ist damit doppelt obesogen, also Übergewicht fördernd: Zum einen werden mit jeder Nahrungsportion mehr Kalorien aufgenommen, zum anderen wird der Uhrenrhythmus gestört, was wiederum die Verdauung der Nahrung beeinflusst (Kohsaka et al. 2007). Diese Rückkopplung ist in Abb. 8.5 schematisch dargestellt. Unter normalen Bedingungen sorgen die inneren Uhren dafür, dass wir nachts

Abb. 8.5  Wechselwirkung zwischen circadianen Rhythmen und Nahrungsaufnahme. Circadiane Uhren regulieren den Appetit im Tagesverlauf. Umgekehrt können der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme sowie bestimmte Nahrungsmittel das circadiane System beeinflussen. Unter Hochfettdiät kommt es so zu einem Teufelskreis, der die Entwicklung von Übergewicht stark begünstigt

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schlafen und tagsüber Energie in Form von Nahrung zu uns nehmen. Dadurch ergibt sich ein regelmäßiger Essen-Fasten-Rhythmus. Diese rhythmische Nahrungsaufnahme wiederum kann über ihre Wirkung auf die Uhren in peripheren Organen das circadiane System stabilisieren. Störfaktoren wie sehr fettreiche Nahrung oder das Essen in der eigentlichen Fastenphase stören dieses Gleichgewicht. Fettreiches Essen sorgt für eine Dämpfung der Uhrenrhythmik auf molekularer Ebene, was sich wiederum auf den Schlaf- und Essensrhythmus auswirkt. Nächtliches Essen verstellt die Uhren in peripheren Organen, aber nicht die SCN-Zentraluhr. Es kommt zu einer internen Desynchronisation, was sich ebenfalls auf die Schlaf- und Appetitsteuerung auswirkt und so letztendlich dafür sorgt, dass wir zu viel zur falschen Zeit essen – und so Gefahr laufen, dick zu werden. Aber lässt sich das Argument auch umdrehen? Genau das tun Satchin Panda und seine Kollegen am Salk-Institute for Biological Studies in Kalifornien. Sie fragen sich, ob ein gezieltes Fasten in der Ruhephase – die Nacht beim Menschen, der Tag bei der Maus – dem gewichtstreibenden Effekt bestimmter Diäten entgegenwirken kann. Setzt man Mäuse auf eine Hochfettdiät, lässt sie aber nur während 8 h in der Nacht essen, nehmen sie zwar nicht weniger Kalorien zu sich, diese setzten aber nicht mehr so sehr an. Die Tiere bleiben fast so schlank wie ihre Artgenossen auf gesunder Kost (Hatori et al. 2012). Beim Menschen stellen Panda und Kollegen ähnliches fest: Die Forscher bitten eine Gruppe von Versuchsteilnehmern, für einige Wochen strikt darauf zu achten, nur während eines selbstgewählten Fensters von 10 h zu essen und dazwischen 14 h zu fasten (Abb. 6.8). Im Schnitt nehmen die Probanden so 3 bis 4 kg ab und können das Gewicht auch nach Ablauf der Testphase leichter halten. Dabei fühlen sie sich besser in Schuss und können zudem ruhiger schlafen (Gill und Panda 2015).

8.5 Zusammenfassung Die letzten Jahre haben offengelegt, wie eng circadiane Uhren und Energiestoffwechsel miteinander verwoben sind. Uhren beeinflussen, wann und wahrscheinlich auch was wir essen wollen und wie wir die Nahrungsenergie anschließend verstoffwechseln. Umgekehrt können Nahrungszusammensetzung und Essenszeit unser circadianes Uhrensystem beeinflussen. In unserer modernen Überflussgesellschaft formt sich daraus ein Teufelskreis. Gestörte circadiane Rhythmen (wie z. B. bei Schichtarbeitern) und das permanente Angebot an Nahrung lassen uns mehr essen – und das zu

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Zeiten, an denen unser Körper die für die Verwendung der Nahrung notwendigen Enzyme nicht in ausreichender Menge herstellt. Das wiederum stört unsere inneren Uhren und die durch diese gesteuerte Nahrungsrhythmik. Diese interne Desynchronisation ist sicher nicht der einzige, doch ein gewichtiger Grund für die zunehmende Verfettung der Menschen in unserer modernen Gesellschaft.

Literatur Wissenschaftliche Originalliteratur Aschoff J (1965) Circadian Rhythms in Man. Science 148(3676):1427–1432 Damiola F, Le Minh N, Preitner N, Kornmann B, Fleury-Olela F, Schibler U (2000) Restricted feeding uncouples circadian oscillators in peripheral tissues from the central pacemaker in the suprachiasmatic nucleus. Genes Dev 14:2950–2961 Darwin CR (1881) The formation of vegetable mould, through the action of worms, with observations on their habits. John Murray, London Gill S, Panda S (2015) A smartphone app reveals erratic diurnal eating patterns in humans that can be modulated for health benefits. Cell Metab 22:789–798 Hatori M, Vollmers C, Zarrinpar A, DiTacchio L, Bushong EA, Gill S, Leblanc M, Chaix A, Joens M, Fitzpatrick JA, Ellisman MH, Panda S (2012) Time-restricted feeding without reducing caloric intake prevents metabolic diseases in mice fed a high-fat diet. Cell Metab 15:848–860 Kohsaka A, Laposky AD, Ramsey KM, Estrada C, Joshu C, Kobayashi Y, Turek FW, Bass J (2007) High-fat diet disrupts behavioral and molecular circadian rhythms in mice. Cell Metab 5:414–421 Marcheva B, Ramsey KM, Buhr ED, Kobayashi Y, Su H, Ko CH, Ivanova G, Omura C, Mo S, Vitaterna MH, Lopez JP, Philipson LH, Bradfield CA, Crosby SD, JeBailey L, Wang X, Takahashi JS, Bass J (2010) Disruption of the clock components CLOCK and BMAL1 leads to hypoinsulinaemia and diabetes. Nature 466:627–631 Nakajima M, Imai K, Ito H, Nishiwaki T, Murayama Y, Iwasaki H, Oyama T, Kondo T (2005) Reconstitution of circadian oscillation of cyanobacterial KaiC phosphorylation in vitro. Science 308:414–415 O’Neill JS, Reddy AB (2011) Circadian clocks in human red blood cells. Nature 469:498–503 Turek FW, Joshu C, Kohsaka A, Lin E, Ivanova G, McDearmon E, Laposky A, Losee-Olson S, Easton A, Jensen DR, Eckel RH, Takahashi JS, Bass J (2005) Obesity and metabolic syndrome in circadian Clock mutant mice. Science 308:1043–1405

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van der Horst GT, Muijtjens M, Kobayashi K, Takano R, Kanno S, Takao M, de Wit J, Verkerk A, Eker AP, van Leenen D, Buijs R, Bootsma D, Hoeijmakers JH, Yasui A (1999) Mammalian Cry1 and Cry2 are essential for maintenance of circadian rhythms. Nature 398:627–630

Weitere Literatur Panda S (2018) The circadian code: lose weight, supercharge your energy and sleep well every night. Vermillion (Penguin Random House UK), London

9 Uhren und Schlaf – nicht das gleiche, aber eng miteinander verbunden

9.1 Warum müssen wir überhaupt schlafen? Ungefähr ein Drittel unseres Lebens verbringen wir mit Schlafen – oder zumindest sollten wir das. Denn neuen Untersuchungen zufolge schlafen die meisten von uns dauerhaft zu wenig, in Deutschland im Schnitt ein bis eineinhalb Stunden jeden Tag. Das hat zahlreiche gesundheitliche Folgen, steigert es doch das Risiko für eine ganze Reihe von chronischen Erkrankungen, von Übergewicht über Herzkreislauferkrankungen bis hin zu Krebs. Auch bei diesen Leiden spielt ein gestörtes circadianes System eine wichtige Rolle. Doch was passiert eigentlich mit uns im Schlaf? Und warum müssen wir, wie auch die meisten unserer tierischen Verwandten, überhaupt schlafen? Diese beiden Fragen hängen eng miteinander zusammen, wir beantworten sie deshalb auch gemeinsam. Im Schlaf ist das Bewusstsein eingeschränkt, die körperliche Aktivität herabgesetzt und die Sinne sind vermindert empfindlich. Menschen legen sich zum Schlafen in der Regel ins Bett, am besten in einen dunklen und ruhigen – also sensorisch abgeschirmten – Raum. Dort sind sie zwar nicht regungslos, wie viele genervte Ehepartner überzeugend berichten können. Im Vergleich zum Wachzustand ist das Bewegungsspektrum jedoch deutlich eingeschränkt. Dies nutzen z. B. viele Schlaf-Apps, die mit Bewegungssensoren im Smartphone oder speziellen Zusatzgeräten arbeiten, um anhand der Bewegung des Handgelenks oder über Erschütterungen der Matratze das Schlafmuster des Anwenders zu bestimmen. Untersuchungen im Schlaflabor zeigen, dass bei vielen dieser © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_9

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Apps die Schlaferkennung selbst inzwischen recht gut funktioniert – auch wenn man die ausgefeilten, detaillierten und bunten Schlafanalysen, die viele dieser Apps dem Nutzer liefern, eher mit einem Augenzwinkern betrachten sollte. Sind wir erst einmal eingeschlafen, sind viele unserer Sinnesorgane funktionell deutlich eingeschränkt. So erwachen wir in der Regel nicht, wenn im Raum leise gesprochen wird oder sich die Lichtverhältnisse ändern. Hör- und Sehsinn sind also herunterreguliert. Das gleiche gilt für den Tastsinn der Haut. Es braucht schon mehr als eine sanfte Berührung, um einen Schlafenden aufzuwecken. Am stärksten betroffen ist, entgegen landläufiger Annahme, der Geruchssinn, der im Schlaf fast vollständig ausgeschaltet wird. Als logische Konsequenz gilt in vielen Ländern inzwischen eine Feuermelderpflicht in Wohnhäusern. So kam es in der Vergangenheit immer wieder zu fatalen Bränden, weil Menschen z. B. mit einer brennenden Zigarette im Bett einschliefen oder Schlafende Wohnungsbrände einfach nicht bemerkt haben. Experimente im Schlaflabor zeigen: Probanden wachen selbst dann nicht auf, wenn neben dem Bett ein Holzfeuer entfacht wird. Auch andere starke Gerüche werden im Schlaf nicht bewusst wahrgenommen, was aber nicht heißt, dass sie keine Wirkung haben können. Der Feuermelder dient also quasi der Umschaltung von einem stark (Geruch) auf einen weniger stark eingeschränkten Sinn (Gehör) und kann so Leben retten. Lange Zeit nahm man an, dass nur höher entwickelte Lebewesen schlafen. Inzwischen wissen wir, die meisten Tiere, von Fadenwürmern über Insekten bis hin zum Menschen, zeigen regelmäßige, schlafähnliche Episoden mit den genannten Merkmalen. Der nur 50 µm (ein zwanzigstel Millimeter!) lange Fadenwurm Caenorhabditis elegans (lateinisch für „eleganter neuer Stab“ – auch Biologen haben Humor) ist dabei ein Extremfall. Er ist ein sehr beliebtes Forschungsobjekt in der Biologie, da sein Körperaufbau bis auf zelluläre Ebene beschrieben ist, sein Erbgut entschlüsselt und sein Nervensystem sehr übersichtlich aufgebaut ist. Der Fadenwurm hat eine Lebenspanne von wenigen Wochen bis Monaten, je nach Umweltbedingung, und er schläft in dieser Zeit genau viermal (Abb. 9.1). In seiner Jugend durchläuft der Fadenwurm mehrere Larvenstadien, und am Übergang zwischen ihnen fällt er für einige Zeit in einen inaktiven Zustand, den sog. Lethargus. In dieser Zeit ist der Tastsinn des Tieres eingeschränkt, und auch ein weiterer wichtiger Aspekt des Schlafes lässt sich beobachten, den wir bis hier noch nicht besprochen haben, der sog. Homöostat. Der Schlafhomöostat sorgt dafür, dass wir normalerweise immer ausreichend Schlaf bekommen. Er misst quasi die Zeit, die wir

9  Uhren und Schlaf …     141

Abb. 9.1  Schlafende Würmer. Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans schläft in seinem Lebenszyklus a genau viermal, immer am Übergang zwischen zwei Larvenstadien. b Gezeigt ist die Inaktivität eines Wurms während der ersten drei Tage seines Lebens. Jedem Larvenstadium (L1-4) folgt eine Phase der Ruhe („Lethargus I-IV“). Als erwachsenes Tier schläft der Wurm dann nicht mehr. (Nach Raizen et al. 2008, S. 569; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2008. All Rights Reserved)

am Stück wach bleiben und passt Schlafdauer und -tiefe in der folgenden Nacht entsprechend an. Wer einmal eine Nacht durchgemacht hat, konnte die Wirkung des Homöostats sehr gut an sich selbst beobachten: In der nächsten Nacht schlafen wir in der Regel deutlich fester und nach Möglichkeit auch länger. Wir kompensieren damit den vorhergehenden Schlafverlust. Das Gleiche passiert beim Wurm, wenn Forscher ihn während einer Lethargusphase künstlich wachhalten, z. B. indem sie die Petrischale, in der er lebt, regelmäßig mit dem Finger anschnippen. Beim nächsten Lethargus wird der Wurm dieses Schlafdefizit dann durch einen längeren – und wahrscheinlich auch tieferen – Schlaf wieder ausgleichen. Damit zeigt auch der Wurm, wie die meisten anderen Tiere, alle wichtigen Charakteristika des Schlafs: Bewegungslosigkeit, Sinneseinschränkung und Homöostat (Raizen et al. 2008). Wie viel Schlaf ein bestimmtes Tier benötigt, ist recht unterschiedlich. Der Mensch schläft unter natürlichen Bedingungen im Schnitt sieben bis acht Stunden pro Nacht. Gewisse Tiere kommen mit sehr viel weniger aus, der Fadenwurm mit ein bis zwei Stunden pro Lethargus. Aber auch viele große Pflanzenfresser wie Giraffen, Pferde und Kühe brauchen nur zwei bis vier Stunden Schlaf pro Tag. Viel Schlaf brauchen dagegen Hunde (11 h), Katzen (13 h) und Fledermäuse (20 h pro Tag). Auch beim Menschen ist der individuelle Schlafbedarf sehr unterschiedlich. Zudem ändert er sich im Laufe des Lebens. Je älter wir werden, desto weniger Schlaf benötigen wir auch.

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Aber müssen wir wirklich schlafen? In den 1980-Jahren haben Forscher an Ratten untersucht, ob eine völlige Schlaflosigkeit mit dem Leben vereinbar ist. Die Tiere wurden dazu in Aquarien auf kleine umgestülpte Blumentöpfe gesetzt, gerade groß genug, dass sie stets darauf achten mussten, nicht über den Rand ins Wasser zu fallen. Nach wenigen Wochen wurden die Ratten zusehends kränklicher, bis schließlich das Immunsystem zusammenbrach und sie an einer Sepsis verstarben, also einer körperübergreifenden unkontrollierten Entzündung (Everson et  al. 1989). Solche brutalen Experimente an Säugetieren sind ethisch nicht mehr vertretbar und streng verboten, weshalb es im Nachhinein nicht eindeutig zu klären ist, ob die Tiere unter modernen hygienischen Bedingungen vielleicht überlebt hätten. Doch auch heute kann man die Folgen dauerhaften Schlafentzugs beobachten, sogar beim Menschen. Die sog. tödliche familiäre Schlaflosigkeit (auch letale familiäre Insomnie  ) ist eine seltene, erbliche Form der spongiformen Enzephalopathie. Letztere ist eine sog. Prionenerkrankung, bei der falsch gefaltete und dadurch hyperstabile Eiweiße im Gehirn Ablagerungen bilden, woran irgendwann die Nervenzellen zugrunde gehen. Bekanntere Beispiele für Prionenerkrankungen sind der Rinderwahn (BSE), die Schafskrankheit Scrapie sowie die humane ­Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Bei der familiären Schlaflosigkeit sind vor allem schlafregulierende Nervenzellen betroffen. Die Patienten leiden mit fortschreitender Krankheit an massiven Schlafstörungen. Irgendwann können sie gar nicht mehr oder nur noch sehr kurz schlafen. Im Extremfall kommt es zum apallischen Syndrom: Die Patienten erscheinen wach, sind aber nicht mehr ansprechbar. Die Krankheit endet nach wenigen Monaten unausweichlich mit dem Tod, meist ausgelöst durch opportunistische Infektionen wie eine Lungenentzündung. Man kann also ziemlich sicher sagen, dass dauerhafte Schlaflosigkeit mit dem Leben nicht vereinbar ist. Aber warum? Die vorgestellten Experimente und Studien deuten auf einen Zusammenhang mit dem Immunsystem hin. Interessanterweise spielt dieser Aspekt bei den gängigen Theorien des Schlafs aber nur eine untergeordnete Rolle. Man geht zurzeit davon aus, dass Schlaf wichtig ist, um die Funktionalität der Nervenzellen aufrecht zu halten. Eine populäre Theorie, die sog. synaptic downscaling-Theorie besagt, dass die elektrischen Verknüpfungen zwischen den einzelnen Nervenzellen im Schlaf neu sortiert und dabei insgesamt auf ein eher niedrigeres Niveau eingestellt werden (Abb. 9.2). Das ermöglicht es dem Gehirn, am nächsten Tag neue Eindrücke und Reize besser aufzunehmen und mithilfe neuer elektrischer Verschaltungen zu verarbeiten. Dauerhafter Schlafentzug führt demnach zu einer Art Hyperaktivierung der Nervenschaltkreise, wodurch das Gehirn irgendwann überreizt wird und damit seine Funktion verliert.

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Abb. 9.2  Synaptic downscaling während des Schlafs. Während der Wachphase steigert sich die synaptische Intensität, z. B. über eine Verstärkung der synaptischen Stärke (W) an den Synapsen. Im Schlaf kommt es zu einer Rekalibrierung der synaptischen Verbindungen. Viele Synapsen werden inaktiviert, einzelne Verbindungen können auch verstärkt werden. Insgesamt sinkt die synaptische Aktivität, was sich als allgemeines downscaling beobachten lässt. (Nach Diekelmann und Born 2010, S. 121; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2010. All Rights Reserved)

Zwei Entdeckungen neueren Datums stützen die Idee einer Art Regeneration des Nervensystems im Schlaf … Forscher um Maiken Nedergaard an der Universität von Rochester, NY in den USA stellen 2012 fest, dass die Gehirne von Mäusen im Schlaf durchlässig werden für Farbstoffe, die in die sog. Zerebrospinalflüssigkeit (der Liquor, der das gesamte Gehirn umspült und so u. a. vor Quetschungen an den Schädelknochen schützt) injiziert werden (Iliff et al. 2012). Unter dem Mikroskop sehen die Forscher, dass sich im Schlaf kleine Kanäle bilden, die einen Stoffaustausch zwischen Nervenzellen und Spinalflüssigkeit und dem Lymphsystem ermöglichen. So werden Farbstoffe, die man in die Spinalflüssigkeit bei Ratten injiziert, im Schlaf bis weit ins Gehirn transportiert (Abb. 9.3). Dieses glymphatische System (ein Zusammenzug der Begriffe Glia und Lymphe ) dient wahrscheinlich dazu, nicht mehr benötigte und potenziell toxische Substanzen abzubauen und aus dem Gehirn abzutransportieren. Dies könnte entscheidend dazu beitragen, die Gehirnfunktion aufrecht zu erhalten und vor Ablagerungserkrankungen wie ­Creutzfeldt-Jakob- oder Alzheimer-Krankheit zu schützen. Solche Effekte sind schon nach einer einzigen Nacht Schlafentzug messbar. Die Forscher um Nora Volkow vom NIH in Bethesda, Maryland, konnten mithilfe der Kernspintomografie an Probanden zeigen, dass zu wenig Schlaf zu einer Anreicherung des an der Alzheimer’schen Krankheit beteiligten ß-Amyloid-Proteins führt (Shokri-Kojori et al. 2018). Ob dies über eine Beeinträchtigung des glymphatischen Systems geschieht, wurde dabei leider nicht untersucht.

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Abb. 9.3 Glymphatisches System. Ein vorher in den Liquor injizierter fluoreszierender Farbstoff (orange) dringt während des Schlafs tief in das Gewebe ein. Im Schlaf öffnen sich feine Kanäle, über die die Nervenzellen Stoffe mit dem Liquor austauschen können (Nach Xie et al. 2013, S. 373; mit freundlicher Genehmigung von © Maiken Nedergaard 2020. All Rights Reserved)

9.2 Schlafanatomie und Regelkreise Wo und wie wird der Schlaf nun eigentlich reguliert? Drei wichtige Bereiche des Gehirns spielen dabei eine entscheidende Rolle (Abb. 9.4). Das primäre schlaffördernde Zentrum des Gehirns liegt im sog. basalen Vorderhirn. Hier, und zwar vor allem im ventrolateralen präoptischen Nukleus (VLPO), befinden sich Nervenzellen, deren Aktivierung akut schlaffördernd wirkt. So hemmen die VLPO-Neuronen aktiv Nervenzellen im Hirnstamm, die zum sog. aufsteigenden Erregungssystem gehören, hier vor allem im „blauen Kern“ (Locus coeruleus – LC). Diese Zellen, die den Botenstoff Noradrenalin ausschütten, machen uns wach und steigern allgemein die Aufmerksamkeit. Sie sind besonders am Tag aktiv und hemmen dann wiederum die VLPO-Neuronen. Das Zusammenspiel von VLPO auf der einen und ­ LC auf der anderen Seite bestimmt den Schlaf- bzw. Wachzustand des Organismus. Da sich beide Zentren gegenseitig sehr stark in ihrer Aktivität unterdrücken, gibt es kaum Übergangsphasen zwischen beiden Zuständen. Wir sind entweder wach, mit aktiven LC-Neuronen, oder wir schlafen mit aktiven VLPO-Neuronen. Eine Stabilisierung dieses Wippenmechanismus wird über eine dritte Klasse von Neuronen erreicht, die sich im Hypothalamus befinden, u. a. verantwortlich für die Appetit- und Temperaturregulation des Körpers. Diese Neurone produzieren das Neuropeptid Orexin (ORX) (auch Hypocretin genannt). Die Orexinbildung wird

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Abb. 9.4 Schlafanatomie. a In der Wachphase sind neuronale Schaltkreise im Hirnstamm, besonders im Locus coeruleus (LC), aktiv. Diese senden (schwarze Pfeile) den Botenstoff Noradrenalin (NA) ins Vorderhirn und die Hirnrinde (Neocortex). Verstärkt werden sie durch Orexin (ORX) ausschüttende Neurone im lateralen Hypothalamus (LH). b Im Schlaf werden Gamma-Aminobuttersäure (GABA)- und Galanin (Gal)- produzierende Neurone im ventrolateral-präoptischen Nucelus (VLPO) im basalen Vorderhirn aktiv. Diese hemmen die Zellen in LH und LC und stabilisieren so den Schlaf. (Nach Saper et al. 2005, S. 1258; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2005. All Rights Reserved)

durch LC-Neurone aktiviert. Orexin selbst hemmt bei seiner Ausschüttung die Neuronen im VLPO und stabilisiert so den Wachzustand. Menschen mit einem Mangel an Orexin leiden unter der Krankheit Narkolepsie. Narkoleptiker haben einen stark erhöhten Schlafbedarf. Zusätzlich kommt es bei ihnen, hervorgerufen z. B. durch emotionale Reize, zu einer plötzlichen Erschlaffung der Muskulatur (Kataplexie) und einem Bewusstseinsverlust. Dieser Zustand hält in der Regel nur wenige Sekunden bis Minuten an; danach kommen die Betroffenen wieder zu sich. Mit unserem Wissen über die Schlafanatomie lässt sich die Narkolepsie leicht erklären: Durch den Mangel an Orexin-Signal kommt es zu einer Destabilisierung der LC-VLPO-Schlafwippe. Zum einen fällt mit dem Orexin ein wichtiger Wachfaktor weg, wodurch die Patienten einen höheren Schlafdruck entwickeln. Zum anderen können nun schon leichte Störungen zu einem Umschwung der Wippe und damit zu einem Übergang vom Wach- in den Schlafzustand führen. Die Patienten schlafen quasi „auf freier Strecke“ ein.

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Abb. 9.5  2-Prozess-Modell des Schlafs. In der Wachphase am Tag signalisiert die innere Uhr (Prozess C) Wachheit. Parallel steigt mit zunehmender Wachzeit der Schlafdruck (Prozess S) an. Zu Beginn der Nacht wechselt Prozess C auf Schlaf; zugleich ist der Schlafdruck S hoch, und wir schlafen ein. In der Nacht sinkt Prozess S schnell ab, während Prozess C die Schlafphase verlängert. Das Zusammenspiel beider Regelkreise sorgt für das konsolidierte Schlafverhalten mit je einer Schlaf- und Wachphase pro Tag beim Menschen. Prozess C wird vom SCN reguliert. Die anatomische Grundlage von Prozess S ist noch nicht verstanden. (Nach Borbély 1982, S. 145; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature/Alexander Borbély 1990. All Rights Reserved)

Die Steuerung dieses Schlafsystem lässt sich vereinfacht über das sog. zwei-Prozess-Modell des Schweizer Schlafforschers Alexander Borbély beschreiben (Borbély 1982) (Abb. 9.5). Laut Borbély bestimmen zwei Prozesse (C und S), wann und wie lange wir schlafen. Prozess C (circadian) ist dabei die innere Uhr. Sie sorgt dafür, dass beim Menschen die Schlafphase normalerweise in die Nacht fällt. Bei nachtaktiven Tieren wie der Maus arbeitet Prozess C genau umgekehrt. Er sorgt dafür, dass Mäuse nachts besonders aktiv sind. Zentrum von Prozess C ist der schon öfters erwähnte Nucleus suprachiasmaticus (SCN), der zentrale Schrittmacher des circadianen Systems. Die SCN-Neuronen im Hypothalamus senden direkt oder indirekt Zeitsignale an alle drei schlafregulierenden Zentren und synchronisieren so den Schlaf-Wach-Zyklus mit dem Tagesrhythmus. Weniger gut verstanden ist der Prozess S (sleep drive). Prozess S ist ein anderer Name für den Schlafhomöostat, den wir schon am Beispiel des Fadenwurms Caenorhabditis elegans besprochen haben. Prozess S misst die Dauer einer Wachphase. Je länger wir wach bleiben, desto stärker steigt der Schlafdruck. Am Morgen nach einer Nacht mit ausreichend Schlaf stehen sowohl Prozess C als auch Prozess S auf „wach“. Im weiteren Tagesverlauf steigt der durch Prozess S vermittelte Schlafdruck immer weiter an, Prozess C zeigt aber den ganzen Tag hindurch auf „wach“ und verhindert so ein frühes Einschlafen. Mit Beginn der Nacht schlägt Prozess C auf „Schlaf“ um. Da Prozess S bereits starken Schlafdruck signalisiert, können wir gut einschlafen. Im Laufe der Nacht sinkt Prozess S dann schnell ab, und wir würden bald wieder aufwachen, wenn Prozess C nicht über die ganze Nacht

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hinweg weiterhin „Schlaf“ signalisieren würde. Dies bezeichnet man als Schlafkonsolidierung. Welche Gehirnbereiche Prozess S steuern ist nicht bekannt. Es gibt Vermutungen, dass das basale Vorderhirn dabei eine Rolle spielt. So konnten Forscher zeigen, dass bei Nagern nach langen Wachphasen in dieser Region vermehrt Adenosinmonophosphat (AMP), ein Abbauprodukt des Adenosintriphosphats (ATP, der Energiewährung der Zelle), anfällt. Mehr noch: Der Texaner Cheng-Chi Lee publizierte 2006 einen aufsehenerregenden Versuch (Zhang et al. 2006) … Cheng-Chi Lee staunt: Immer wenn er Mäusen eine hohe Dosis AMP verabreicht, hören diese auf sich zu bewegen und senken ihre Körpertemperatur um mehrere Grad. Genau das, allerdings in geringerem Umfang, ist auch im Schlaf zu beobachten. Der AMP-Effekt entspricht jedoch eher einem Phänomen namens Torpor, bei dem überwinternde Nagetiere wie z. B. Hamster in der Lage sind, ihre Körpertemperatur vorübergehend um mehr als 10 °C zu reduzieren, um durch den so stark reduzierten Stoffwechsel Energie zu sparen. Zu Cheng-Chi Lees Zeit spekuliert man sogar, mit dieser Methode bald ­ Astronauten auf dem Weg zu fernen Planeten in eine Art Kryoschlaf gemäß Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ versetzen zu können. Leider lassen sich die Ergebnisse in anderen Spezies nicht replizieren, und so muss die Anwendung beim Menschen wohl noch etwas warten. Am eigenen Leibe beobachten lässt sich das Zusammenspiel von Prozess S und C, wenn man einmal eine Nacht durchmacht. Die Müdigkeit am frühen Morgen nach der durchwachten Nacht hält sich durchaus in Grenzen. Das liegt an Prozess C, der ja unabhängig von der Wachdauer am Morgen wieder auf „wach“ schaltet. Erst am kommenden Nachmittag bzw. frühen Abend holt uns das Schlafdefizit ein, nun aber umso heftiger. Prozess C schaltet auf „Schlaf“ um, während Prozess S schon lange quasi im roten Bereich dreht. Die kommende Nacht nutzt der Körper zur Kompensation, indem er tiefer und länger schläft.

9.3 Die Uhr bestimmt den Schlaf – nicht nur wann, sondern auch wie? Bis hierhin war das Zusammenspiel zwischen innerer Uhr und Schlaf scheinbar ganz klar: Die Uhr (Prozess C) reguliert den Zeitpunkt, der mysteriöse Homöostat (Prozess S) Dauer und Tiefe des Schlafs. Anfang des

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Jahrhunderts erschüttern die Arbeiten zweier Labore in der Schweiz und in den USA dieses Modell jedoch … In Lausanne arbeitet der Niederländer und Borbély-Schüler Paul Franken seit Jahren erfolgreich an der Analyse der Schlaffunktion in verschiedenen Nagetierspezies. Dabei brachte er eine solide Ausbildung in Chronobiologie aus seiner Zeit als Master-Student im Labor von Serge Daan in Groningen mit, was bei der Schlafforschung auch heute noch eher unüblich ist. Zusammen mit seinem Kollegen Mehdi Tafti hat er soeben begonnen, an genetisch veränderten Mäusen molekulare Einflüsse auf die Schlafregulation zu charakterisieren. Anfang der 2000er-Jahre wird Franken dann von seinem ehemaligen Kollegen Dale Edgar aus dem kalifornischen Stanford kontaktiert. Dieser hatte sich gerade mit einer Firmengründung selbständig gemacht und deshalb nur noch begrenzt Zeit für die wissenschaftliche Arbeit. Einer seiner Doktoranden aber, Jonathan Wisor, hat in Kooperation mit dem späteren Nobelpreisträger Asiz Sancar begonnen, sich mit der Schlafregulation in Mäusen mit einer Mutation in den beiden Uhren-Genen cry1 und cry2 (sog. cry1/2-Doppel-Knockouts ) zu befassen. Edgar bringt Wisor in Lausanne unter und bittet Franken, ihn für den Rest seiner Promotion unter seine Fittiche zu nehmen – und der stimmt zu. Wisor und die Knockout-Mäuse fliegen nach Lausanne, wo die Wissenschaftler sie im Maus-Schlaflabor untersuchen. Bei den Uhren-Mutanten ist das Timing des Schlafs gestört, das ist allerdings zu erwarten gewesen. Doch welche Überraschung! Auch der Schlafhomöostat ist verändert: Die cry-Knockout-Mäuse reagieren viel stärker auf Schlafentzug als ihre Geschwister mit intakter Uhrenfunktion (Wisor et al. 2002) (Abb. 9.6). Das unterscheidet sich deutlich von den Effekten, die man bei Tieren mit chirurgisch entferntem SCN beobachtet hat. Diese schliefen zwar auch zu eher unregelmäßigen Zeiten; Prozess S schien aber normal reguliert zu sein. Wisor und Franken beobachten zudem, dass die Regulation der Uhren-Gene als solche, z. B. in der Hirnrinde (Neocortex), nach Schlafentzug stark verändert ist. Die Ursache dieser Effekte ist Franken und seinen Kollegen zunächst unklar. Offenbar gibt es eine Rückkopplung vom Schlaf auf die Funktion der circadianen Uhr. Zu Hilfe kam ihnen eine zeitgleich erschienene Arbeit des amerikanischen Biochemikers Steve McKnight. Im McKnight-Labor hat man herausgefunden, dass der metabolische Status der Zelle die Regulation der Uhren-Gene beeinflusst. Die McKnight-Gruppe hat zeigt, dass der sog. Redoxstatus der Zelle die Bindung des Proteinkomplexes aus Bmal1 und Npas2 (quasi ein Ersatzspieler für Clock) reguliert (Rutter et al. 2001). Der

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Abb. 9.6 Schlafentzug bei Mäusen ohne innere Uhr. Gezeigt ist der Deltawellenanteil im Elektroenzephalogramm (EEG) – ein Maß für den Schlafdruck (Prozess S) – bei Wildtypmäusen (schwarz) und Mäusen ohne innere Uhr (cry1/2Doppel Knockouts; rot). Deutlich zu erkennen ist, dass in den Wildtypmäusen der Deltawellenanteil immer in der Wachphase (=Dunkelphase) stärker wird. Unter Schlafentzug (SE) steigt der Wert dann zusätzlich deutlich an (grüner Pfeil). Die Mutanten zeigen dagegen keinen Tagesrhythmus in ihrer Wachheit und damit auch nicht im Deltawellenanteil (linke Hälfte). Nach Schlafentzug steigt der Schlafdruck hier noch deutlich höher als in den Wildtypen, und die Mutanten erholen sich von dem Schlafentzug auch schlechter. (Nach Wisor et al. 2002, S. 3; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2002. All Rights Reserved)

Redoxstatus bezeichnet das Gleichgewicht zwischen Zellmolekülen, die durch chemische Reduktion oder Oxidation ineinander überführt werden können. Ein Beispiel dafür sind NAD + (oxidierte Form) und NADH (reduzierte Form), zwei wichtige Kofaktoren in vielen enzymatischen Reaktionen. Der Redoxstatus der Zelle schwankt im Tagesverlauf und verändert sich auch akut aufgrund von äußeren Signalen. Franken, wenn auch nicht McKnight, weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass auch Schlaf einen starken Einfluss auf den Redoxstatus von Nervenzellen nimmt. Könnte es also sein, dass eine Manipulation des Schlafs über den Redoxstatus die Regulation der Uhren-Gene beeinflusst? Dann gäbe es eine bidirektionale Kommunikation zwischen Uhr und Schlaf. Franken kontaktiert McKnight. Er bittet ihn um Mäuse mit einer Deletion im npas2-Gen (npas2-Knockouts). Im Schlaflabor zeigen dann auch diese Tiere deutliche Veränderungen im Schlafverhalten – die Lücke zwischen Schlaf und Uhrenfunktion ist geschlossen. Die McKnight/Franken-Arbeit erscheint sehr prominent in der renommierten Fachzeitschrift Science und sorgt so für ein gewisses Aufsehen in den bis dato eher getrennt agierenden Feldern Chronobiologie und

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Schlafforschung (Dudley et al. 2003). Franken erzählt: „Ein gängiger Witz unter Kollegen war damals: Chronobiologen sehen Schlaf nur als einen von vielen Effekten der Uhr. Schlafforscher dagegen betrachten die Uhr allenfalls als Störfaktor, den es in ihren Experimenten zu vermeiden gilt.“ Es sollte noch einige Jahre dauern – und der Prozess dauert weiter an – bis beide Felder sich deutlich aufeinander zubewegten. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erschienen Arbeiten mit Mäusen und Menschen aus Laboren der Universitäten Surrey (UK) und Lübeck, die klar zeigten, dass eine Störung im Schlaf-Wach-Rhythmus vor allem in peripheren Geweben wie der Leber molekulare circadiane Rhythmen massiv stören (Abb. 9.7). Die Zahl der uhrenkontrollierten Gene reduzierte sich stark. Dabei blieben die Uhren-Gene beispielsweise der Leber weitgehend rhythmisch. Das bedeutet, dass der Schlaf einen

Abb. 9.7  Transkriptomrhythmen nach zeitverschobenem Schlaf. Gezeigt ist hier die Verteilung der Genaktivität in Blutzellen beim Menschen unter normalen Schlafbedingungen (schwarz) und mit inverser Schlafphase (rot). Aufgetragen ist die Zahl der aktiven Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt. Eine exakt kreisförmige Kurve würde eine gleichmäßige Verteilung der Genaktivität über den 24h-Zyklus bedeuten. Je weiter die Kurve vom Zentrum entfernt ist, desto mehr Gene sind zu dem jeweiligen Zeitpunkt aktiv. Unter Normalbedingungen sind besonders viele Gene um 4 Uhr herum und noch einmal um 16 Uhr herum aktiv (Ausbuchtungen der schwarzen Kurve in diesem Bereich). In der verschobenen Schlafgruppe sind dagegen nur noch ganz wenige Gene rhythmisch – die rote Kurve schmiegt sich eng an den Nullpunkt an. Die Phasenverteilung, also der Zeitpunkt, zu dem die meisten Gene aktiv sind (um 4 und um 16 Uhr herum), bleibt aber erhalten und passt sich nicht an den Schlaf an. (Nach Archer und Oster 2015, S. 486; mit freundlicher Genehmigung von © John Wiley & Sons Inc. 2015. All Rights Reserved)

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stärkeren Einfluss auf die rhythmische Genaktivität in der Leber hat als deren eigenes Uhrwerk. Franken glaubt, dass lokale Uhren gleichzeitig als Zeitgeber für den Schlaf als auch als Homöostat dienen könnten. Dies ist wahrscheinlich eine stoffwechselvermittelte Funktion, z. B. über Veränderungen im zellulären Redoxstatus. In ähnlicher Richtung argumentieren Forscher aus dem Feld des Chronometabolismus: Änderungen im allgemeinen Energiestatus des Körpers, z. B. durch eine zeitliche Restriktion der Nahrungsaufnahme oder Änderungen in deren Zusammensetzung, führen zu Änderungen im zellulären Redoxstatus sowie in der Uhren-Gen-Aktivität in metabolisch aktiven Geweben wie Leber und Pankreas. Was, wenn beide Effekte – Änderungen im Redoxstatus und in der Uhrenfunktion – eigentlich das gleiche Phänomen beschreiben? Schließlich kann man nur essen, wenn man auch wach ist, und umgekehrt kann eine Änderung der Essenszeiten oder dessen Zusammensetzung Schlafdauer und -tiefe deutlich beeinflussen. Es werden wohl noch einige Experimente nötig sein, um den Einfluss dieser drei Faktoren – Uhr, Essen und Schlaf – klar auseinanderdividieren zu können. Findet Schlaf also auch in Geweben außerhalb des Gehirns statt? Das hängt davon ab, wie man Schlaf definiert (siehe Abschn. 9.1). Bewusstsein, und damit auch Bewusstlosigkeit im Schlaf, ist eine Funktion des Gehirns, somit bleibt Schlaf im engeren Sinne ein Geschehen im Gehirn. Klar ist aber, dass der Schlaf umfangreiche Auswirkungen auf die Funktion peripherer Organe hat. Umgekehrt können Veränderungen in diesen Organen auf den Schlaf rückkoppeln. Jeder, der einmal spät abends noch besonders fett und reichlich gegessen hat, wird das bestätigen können.

9.4 Schlaf und Licht Ein anderer Faktor, der den Schlaf beeinflusst, ist das Licht – und auch hier spielt das circadiane System eine wichtige Rolle. Wie wir bereits in Kap. 7 angesprochen haben, spielt vor allem blaues Licht, das auch im Spektrum von weißem Sonnenlicht mit hohen Anteilen enthalten ist, eine wichtige Rolle bei der Synchronisation der inneren Uhr mit der äußeren Zeit. Die Melanopsin-Ganglienzellen der inneren Netzhaut detektieren das blaue Licht und synchronisieren die SCN-Schrittmacher über direkte neuronale Verschaltungen mit dem äußeren Licht-Dunkel-Zyklus. Als tagaktive Art schläft der Mensch primär nachts, also in der Dunkelphase. Über die Uhrenregulation und die Steuerung von Prozess C wird der Schlaf in die Nachtphase gelenkt.

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Allerdings hat Licht auch einen tageszeit- und u ­hren-unabhängigen Effekt auf den Schlaf: In hell erleuchteten Räumen schlafen wir schlechter ein und umgekehrt fällt es vielen auch mitten am Tag schwer, in dunkler Umgebung wach und aufmerksam zu bleiben. Viele unserer Professorenkollegen können davon ein Lied singen: Im gedämpften Licht des Hörsaals geht die Aufmerksamkeit der Studierenden, zumal am frühen Morgen, schnell gegen null. Interessanterweise ist dieser Einfluss des Lichts auf Aufmerksamkeit und Schlafverhalten in tag- und nachtaktiven Tieren genau gegenläufig: Während bei tagaktiven Menschen Licht schlafhemmend wirkt, reagieren nachtaktive Mäuse oder Katzen, wenn sie Licht ausgesetzt werden, mit einer Unterdrückung ihrer Aktivität. Man spricht dabei von negativer Maskierung, weil die Veränderung im Schlaf-Wach-Verhalten eine Verstellung der inneren Uhr um mehrere Stunden vorgaukelt, die Uhr aber nur sehr unwesentlich auf eine kurze Lichtexposition von einigen Minuten reagiert. Interessanterweise funktioniert aber auch diese Maskierung am besten mit blauem oder stark blaulichthaltigem weißem Licht. Forscher um den Briten Russell Foster an der Universität Oxford haben sich drei verschiedene Mausstämme und deren Reaktion auf einen Lichtpuls in der Mitte Nacht angeschaut … Dazu bilden die Forscher drei Gruppen von Mäusen: Die erste Gruppe sind Wildtyptiere mit funktionierender Uhr und funktionierender Lichtdetektion. Gruppe 2 sind Mäuse, die aufgrund eines genetischen Defektes keine Zapfen und Stäbchen besitzen und damit blind sind. Gruppe drei wiederum sind Tiere, in denen man genetisch den Melanopsinphotorezeptor in den Ganglienzellen ausgeschaltet hatte, die aber ansonsten normal sehen können (opn4-Knockout-Mäuse). Und die Wissenschaftler erleben eine Überraschung: Sowohl die Wildtyptiere als auch die blinden Tiere legen sich nach einigen Minuten bei nächtlichem Licht in ihr Nest zum Schlafen (Lupi et al. 2008). Die opn4-Knockouts dagegen reagieren fast gar nicht auf das Licht und bleiben weiterhin, gemäß ihrer inneren Uhr, wach und aktiv. Es musste also neben der Regulation der SCN-Uhr einen weiteren Signalweg geben, über den die Ganglienzellen den Schlaf beeinflussen können. Es stellt sich heraus, dass die Opn4 enthaltenden Zellen in der Netzhaut nicht nur Signale an den SCN senden, sondern auch direkt mit schlafinduzierenden Nervenzellen im basalen Vorderhirn verbunden sind. Licht stimuliert diese Schlafzellen ganz unabhängig von der SCN-Uhr und kann so bei den Mäusen Schlaf induzieren (Abb. 9.8). In den opn4-Knockouts können die Ganglienzellen das Licht nicht mehr detektieren und das Schlafsignal bleibt aus. Noch ist unbekannt, mit welchen Gehirnregionen die Opn4-Ganglienzellen beim Menschen kommunizieren. Hemmt das Licht direkt Neuronen im basalen Vorderhirn und unterdrückt so den Schlaf? Womöglich sind auch noch andere Gehirnregionen daran beteiligt.

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Abb. 9.8  Schlafinduktion durch Licht. Licht aktiviert lichtempfindliche retinale Ganglionzellen (ipRGCs) der inneren Netzhaut. Diese signalisieren direkt in die schlafregulierenden Zentren des Gehirns und induzieren (Maus) oder inhibieren (Mensch) dort die Schlafaktivität. Dies lässt sich elektrophysiologisch in einem Elektroenzephalogramm (EEG) oder Elektromyogramm (EMG) ablesen. Im EEG sorgt das Licht bei der Maus für eine für den Schlaf typische längerwellige Rhythmik (mit weniger Ausschlägen pro Zeiteinheit), während beim Menschen das für den Wachzustand typische kurzwellige Muster zu erkennen ist. Parallel dazu nimmt die Muskelaktivität (EMG) in der Maus ab, während die Muskeln beim Menschen aktiv bleiben. In den opn4-Mutanten hat das Licht die schlafinduzierende Wirkung verloren. Die Tiere bleiben wach

9.5 Schlaf und Lernen Experimente aus den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass eine wichtige Funktion von Schlaf ist, Erlerntes im Langzeitgedächtnis festzuschreiben: Im Laufe des Tages nehmen unsere Sinne eine Unzahl von Information auf und leiten diese ans Gehirn weiter. Der erste Gedächtnisspeicher des Gehirns, das sensorische Gedächtnis, hat eine extrem große Kapazität, ist aber für den Abruf, also die Nutzung von Gelerntem, weitestgehend unzugänglich. Das

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Gehirn verarbeitet und bewertet die sensorischen Informationen und transferiert sie in das Kurzzeitgedächtnis. Dieses hat allerdings eine viel kleinere Kapazität, sodass das Gehirn nur ausgewählte Informationen an das Kurzzeitgedächtnis weitergibt. Wollen wir uns an Dinge für länger erinnern, vielleicht für den Rest unseres Lebens, müssen sie vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis transferiert werden. Das Langzeitgedächtnis hat wiederum eine recht große Kapazität, wobei auch diese im Laufe eines langen Lebens begrenzt ist. Deshalb sorgt das Gehirn dafür, dass nur wichtige Inhalte vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis transferiert werden. Was dabei als relevant eingestuft wird, hängt von vielen Faktoren ab, z. B. von wiederholtem Lernen oder assoziierten Emotionen. Die meisten von uns, die die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 miterlebt haben, werden sich ohne Schwierigkeiten auch an andere, nicht direkt dem Terrorakt zusammenhängende Ereignisse an diesem Tag erinnern. Doch was haben Sie am 10. September 2001 erlebt? Wenn nicht auch dieser Tag irgendwie emotional für Sie wichtig war, werden Sie wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, sich an Einzelheiten zu erinnern. Dieser Prozess der Gedächtnisfestschreibung nennt sich Konsolidierung, und der Schlaf spielt dabei eine wichtige Rolle. Im Schlaf kommt es, so die derzeitige Annahme, zu einer Rekapitulation von vorherigen Erlebnissen. Mithilfe von Elektroden an der Schädeldecke lassen sich dabei gezielte Kommunikationen zwischen zwei für das Gedächtnis wichtigen Gehirnregionen beobachten, dem Hippocampus (Kurzzeitgedächtnis) und der Hirnrinde (Langzeitgedächtnis). Nur im Schlaf findet diese Kommunikation effizient statt, somit ist gesunder und ausreichender Schlaf wichtig für die Gedächtniskonsolidierung (Abb. 9.9). Sollten Sie also für eine Prüfung lernen, planen Sie für die folgende Nacht keine größeren Feierlichkeiten oder Ähnliches ein! Legen Sie Sich stattdessen zeitig ins Bett, und helfen Sie so Ihrem Gehirn, das Gelernte zu konsolidieren. Wie spielen die Uhren in diesen Prozess hinein? Zum einen können innere Uhren helfen, Gelerntes mit einer Art Zeitstempel zu versehen und so den Abruf von Gedächtnisinhalten zu bestimmten Tageszeiten optimieren. Zum anderen scheint auch die Funktionalität der Uhrenrhythmen in an der Gedächtnisbildung beteiligten Gehirnregionen sowie der Einfluss der Uhr auf die Schlaffunktion selbst eine wichtige Rolle zu spielen. Mäuse mit defekten Uhren-Genen lernen schlechter, sie schlafen aber auch anderes als ihre genetisch normalen Geschwister. Es wird noch weitere Studien brauchen, um die unterschiedlichen Einflüsse dieser beiden Faktoren voneinander zu trennen.

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Abb. 9.9  Gedächtniskonsolidierung im Schlaf. Schlaf fördert die Gedächtnisbildung. Sinneseindrücke und Gelerntes vom Vortag werden im Schlaf – hier besonders in den Tiefschlafphasen (S3 und S4) der ersten Nachhälfte – rekapituliert und verfestigt. Man sprich auch von Gedächtniskonsolidierung. Das Diagramm in der Mitte der Abbildung ist ein Hypnogramm. Dieses zeigt die Abfolge der unterschiedlichen Schlafphasen im Verlaufe der Nacht. Nach dem Einschlafen (ganz links) geht der Körper relativ schnell in eine erste Tiefschlafphase. REM- (rapid eye movement)-Schlaf und Nicht-REM (S1–4)-Schlafphasen wechseln sich dann immer wieder ab. In der ersten Nachthälfte finden sich mehr Tiefschlafphasen (S3/4), in der zweiten Nachthälfte dann immer mehr traumreiche REM-Schlafphasen. Je mehr Tiefschlafphasenanteile wir haben, desto effektiver wird das Gedächtnis konsolidiert. (Nach Diekelmann und Born 2010, S. 119; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature/Tanja Lange 2020. All Rights Reserved)

9.6 Zusammenfassung In der Rückschau lässt sich sagen: Die circadiane Uhr ist ein wichtiger Regulator des Schlafs. Dabei beeinflusst sie nicht nur das Timing, sondern auch Tiefe und Dauer des Schlafs sowie die Anfälligkeit des Organismus für Schlafentzug. Umgekehrt können Störungen im Schlafrhythmus die Regulation der inneren Uhren im Gehirn stark beeinflussen, aber auch in peripheren Geweben. Wie diese in beide Richtungen gehende Kommunikation vermittelt wird, ist noch nicht ganz klar. Eine Rolle dabei scheinen Stoffwechselprozesse wie der Redoxstatus zu spielen. Eine intakte Uhr ist ein wichtiger Überlebensfaktor, aber auch ohne molekulares

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­ hrwerk sind Tiere prinzipiell lebensfähig. Beim Schlaf sieht das dagegen U anders aus. Die Geschichten von fernöstlichen Asketen, die ganz ohne Schlaf auskommen – und zum Teil auch ganz ohne Nahrung! –, kann man sicher in den Bereich der Mythen und Märchen verbannen. Warum Schlaf aber lebenswichtig ist, bleibt weiterhin offen und bietet ein spannendes Beschäftigungsfeld für kommende Forschergenerationen.

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10 Circadiane Regulation des Immunsystems

10.1 Gibt es eine richtige Zeit zum Impfen? Die Übereinstimmung der circadianen Rhythmik mit dem äußeren Tag-Nacht-Zyklus ist ein wichtiger Faktor für das körperliche Wohlbefinden. So zeigen Tierexperimente, dass eine Störung dieser Harmonie durch abnormale Beleuchtungszyklen oder Fütterungszeiten oder aufgrund einer genetischen Mutation der circadianen Uhren-Gene krankhafte Veränderungen begünstigt. Auch beim Menschen führt eine solche Chronodisruption – z. B. durch unnatürliche Beleuchtungszyklen bei andauernder Schichtarbeit – zu einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Umgekehrt weisen viele menschliche Entzündungskrankheiten eine gewisse Tagesrhythmik in ihrem Krankheitsbild auf. Beispiele sind Asthma und rheumatoide Arthritis, aber auch die Reaktion auf Infektionen und bakterielle Gifte. Diese Rhythmen wurden schon Mitte des letzten Jahrhunderts beschrieben. Doch erst in den vergangenen Jahren konnten experimentelle Studien den Zusammenhang zwischen Uhren- und Immunzellfunktion auch auf molekularer Ebene aufklären. Die Chronoimmunologie ist also ein noch recht junges Gebiet – dafür aber von enormer medizinischer Bedeutung. Prinzipiell lässt sich das Immunsystem in zwei Formen unterteilen, das unspezifische (oder angeborene) und das spezifische (oder adaptive) Immunsystem. Beide arbeiten bei der Abwehr von Krankheitserregern eng zusammen: Das angeborene Immunsystem verfügt über verschiedenste Abwehrmechanismen, etwa Barrieren in der Form der Mukus-Sekretion © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_10

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des Verdauungssystems oder die ausgefeilten biochemischen Abwehrstoffe der Granulozyten, eine Art weißer Blutkörperchen. Die adaptive Immunantwort wird über zwei spezifische Zelltypen, die T- (T für Thymus) und B-Zellen (B wie bone marrow – Knochenmark) vermittelt. Das adaptive Immunsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es nur ganz spezifische Erreger anhand deren Oberflächenproteine erkennt und diese dann gezielt angreift. Es muss dafür zunächst aktiviert und ausgerichtet werden. Dafür ist eine bestimmte Abfolge von Ereignissen notwendig: Sogenannte dendritische Zellen befinden sich überall im Körper auf der Suche nach Eindringlingen. Stoßen sie auf einen Erreger, z. B. ein Bakterium, nehmen sie dieses auf und zerstückeln es in kleine Teile. Sie verdauen dabei einen Teil der bakteriellen Proteine jedoch nicht vollständig, sondern präsentieren deren Bruchstücke, die sog. Epitope, auf ihrer Oberfläche zusammen mit einem Rezeptormolekül, dem MHC-Komplex (MHC – major histocompatibility complex ). Anschließend wandern die dendritischen Zellen in die Lymphknoten. Dort erkennen zwischen den im Blut und Lymphsystem patrouillierende T-Zellen den MHC-Komplex und binden an die dendritischen Zellen. Jede T-Zelle trägt einen individuellen Oberflächencode aus Eiweißen, quasi ein Schloss, das sich nur durch bestimmte Epitope, die Schlüssel, öffnen lässt. Finden sich ein passendes Epitop-T-Zell-Paar, wird die T-Zelle aktiviert. Sie teilt und vermehrt sich und kann nun wiederum über ein ähnliches Schlüssel-Schloss-Prinzip passende B-Zellen aktivieren. Die B-Zellen ­ produzieren Antikörper, kleine Proteine, die spezifisch solche Pathogene (Bakterien, Viren etc.) binden, die das entsprechende Epitop tragen. Diese Pathogene werden so mithilfe der Antikörper für weitere Immunzellen wie die Makrophagen markiert, die diese dann aufnehmen und zerstören. Die Aktivierung einer solchen spezifischen Immunantwort erstreckt sich über mehrere Tage. Ist die Reaktion wieder abgeklungen, sterben die meisten beteiligten Immunzellen ab. Es bleiben jedoch einzelne der aktivierten Tund B-Zellen erhalten. Diese sog. Gedächtniszellen können dann im Falle einer erneuten Infektion mit demselben Erreger sehr schnell wieder weitere B-Zellen aktivieren und die Antikörperproduktion anwerfen. So kommt es zu einer raschen und sehr gezielten Immunantwort. Dieses immunologische Gedächtnis macht man sich beim Impfen zunutze: Dabei werden abgeschwächte Erreger oder epitoptragende Teile von Erregern injiziert, die das Immunsystem aktivieren und für die Ausbildung von passenden Gedächtniszellen sorgen. Im Falle einer echten Infektion ist das Immunsystem dann bereits gewappnet. Es kann schnell reagieren und den Erreger noch vor Ausbruch der eigentlichen Krankheit beseitigen.

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Dieser Impfschutz kann, je nach Art der Impfung und des Erregers, ein Leben lang vorhalten. Anhand einer Impfung konnten englische Forscher auch die Wirkung der Uhrenfunktion auf das Immunsystem recht deutlich nachweisen. In der ersten groß angelegten Studie zur Bestimmung der besten Tageszeit fürs Impfen analysierten Forscher der Universität Birmingham zwischen 2011 und 2013 insgesamt 276 ältere gesunde Erwachsene ohne Störungen des Immunsystems. Die Versuchspersonen wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt und entweder morgens (9 bis 11 Uhr) oder nachmittags (15 bis 17 Uhr) mit einem Kombipräparat gegen drei unterschiedliche Grippestämme geimpft. Dabei erwiesen sich zwei der Impfungen gegen die Grippeerreger H1N1A und H1N1B bei den Studienteilnehmern, die sie in den Morgenstunden erhielten, als signifikant besser wirksam. Dies stellten die Forscher fest, indem sie einen Monat nach den Impfungen die Konzentrationen der spezifischen durch die B-Zellen gebildeten Antikörper im Blut bestimmten. Die Impfung für ein weiteres Grippevirus, H3N2A, zeigte allerdings keinen Unterschied im Hinblick auf den Impfzeitpunkt (Long et al. 2016). Dass hierbei der Schlaf als eine wichtige Funktion des circadianen Systems eine entscheidende Rolle spielt, konnten die deutschen Schlafforscher um Tanja Lange und Jan Born anhand einer kleineren Impfstudie nachweisen, diesmal für Hepatitis A (Abb. 10.1): 27 Versuchspersonen erhielten – alle zur gleichen Uhrzeit – dreimal über einen Zeitraum von 16 Wochen eine Impfung gegen den Erreger. Allerdings wurden die Teilnehmer an den jeweiligen Impftagen anschließend nicht nach Hause entlassen, sondern für jeweils eine Nacht in einem Schlaflabor untersucht. Die eine Hälfte der Versuchspersonen schlief normal, während die andere Hälfte während der auf die Impfung folgenden Nacht wach bleiben musste. Die Versuchspersonen lagen zwar im Bett, sie blieben jedoch stets unter Beobachtung und wurden sanft geweckt, sollten ihnen doch einmal die Augen zugefallen sein. Anschließend wurden die ­Hepatitis-Antikörper-Spiegel im Blut nach 8 und 16 Wochen untersucht. Die Unterschiede fielen mehr als deutlich aus: Versuchspersonen aus der Schlafgruppe hatten im Schnitt doppelt so hohe Antikörperspiegel wie die der Wachgruppe. Sie sollten damit deutlich besser vor einer Infektion mit Hepatitis A geschützt sein – und das nur aufgrund des ausreichenden Schlafs in der Nacht nach der Impfung (Lange et al. 2011). Ein drittes anschauliches Beispiel für den Einfluss der Uhrenfunktion auf das Immunsystem kommt aus dem Bereich der Epidemiologie. Zusammen

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Abb. 10.1  Schlaf in der Nacht nach einer Impfung steigert die Immunantwort. Zwei Gruppen von Versuchspersonen wurden zu Beginn der Studie und nach 8 und 16 Wochen gegen Hepatitis A geimpft. Die Kontrollgruppe (schwarze Symbole) durfte in der Nacht der Impfung normal schlafen. Die andere Gruppe wurde in dieser Nacht wachgehalten. Jeweils um die Impftermine und ein ganzes Jahr nach der ersten Impfung wurde die Immunisierung in beiden Gruppen anhand der Antikörperspiegel bestimmt. In der Schlafgruppe waren die Antikörperspiegel im Schnitt doppelt so hoch wie in der Wachgruppe. (Nach Lange et al. 2011, S. 286; mit freundlicher Genehmigung von © The American Association of Immunologists 2011. All Rights Reserved)

mit einer großen deutschen Krankenkasse werteten Christian Sina und seine Kollegen von der Universität zu Lübeck in den Jahren 2010 bis 2013 die Krankschreibungen von mehr als zehn Millionen Versicherten auf den Einfluss möglicher Rhythmusstörungen im Rahmen der Sommerzeitumstellung hin aus. Es zeigte sich, dass im Monat nach der Zeitumstellung die Zahl der Krankschreibungen aufgrund von entzündlichen Darmerkrankungen von ca. 28 auf 32 pro 1000 Versicherte stieg – insgesamt fast 40.000 zusätzliche Krankschreibungen jedes Jahr. Eine beachtliche Zahl, bedenkt man, dass hierbei der Tagesrhythmus nur um jeweils 60 min verschoben wird (Föh et al. 2019).

10.2 Mechanismen der Uhrensteuerung im Immunsystem Immer mehr Studien zeigen, dass circadiane Signale Ausmaß und Effizienz der Immunantwort im Tagesverlauf steuern – eine Erkenntnis, die lange Zeit in Immunologenkreisen sehr umstritten war, sollte die Reaktivität der

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Immunantwort doch primär vom Erreger selbst und nicht vom Zeitpunkt seines Auftretens abhängen. Diese traditionelle Ansicht wurde im Laufe der Jahre zusehends unterlaufen, zunächst primär aufgrund molekularbiologischer Befunde. So wurden molekulare Uhren in vielen Immunzellen anhand der Aktivitätsrhythmen der Uhren-Gene beschrieben und charakterisiert. Uhren-Gen-Rhythmen finden sich in vielen Zellen des angeborenen Immunsystems wie z. B. Monozyten, Makrophagen, Mastzellen, Neutrophilen, Eosinophilen und natürlichen Killerzellen (NK). Diese Timer beeinflussen die Funktion dieser Zellen, indem sie deren Reaktionsbereitschaft auf äußere Signale modulieren. Man spricht in diesem Fall von einem von der circadianen Uhr festgelegten Zeitfenster, in dem die Zelle auf äußere Signale empfänglich ist. Es kommt also nicht aus sich heraus zu einem uhrengesteuerten Ausschütten von Enzymen durch Granulozyten. Aber die Bereitschaft der Zellen, als Reaktion auf äußere Signale zu degranulieren, ist tageszeitlich gesteuert. Andere Beispiele dafür sind die phagozytotische Aktivität der Makrophagen oder die Histaminfreisetzung durch Mastzellen bei allergischen Reaktionen. So leiden Asthmatiker besonders unter Atemnot, wenn sie in der Nacht mit Allergenen in Kontakt kommen. Ein anderer wichtiger Aspekt der Uhrenregulation im Immunsystem ist die Bewegung der beteiligten Zellen. Anders als die meisten anderen Körperfunktionen ist das Immunsystem nicht durch eine Beschränkung auf ein bestimmtes Organ charakterisiert. Natürlich gibt es auch Immunprozesse, die nur in bestimmten Geweben stattfinden, z. B. die Immunzellreifung in Milz und Knochenmark. Prinzipiell sind die meisten Immunzellen aber sehr beweglich und können in den Blut- oder den Lymphgefäßen in verschiedene Organe wandern, um dort gezielt Erreger zu bekämpfen. Circadiane Uhren beeinflussen diese Immunzellbeweglichkeit oder -bewegungsfähigkeit, sowohl im angeborenen als auch im adaptiven Immunsystem. Dabei steuert das Uhrensystem die Wanderung von Immunzellen zwischen Knochenmark, Blut und Immunorganen auch unter nicht-infektiösen, sog. homöostatischen Bedingungen. So variieren die Zahlen der weißen Blutkörperchen im Blut im Tagesverlauf, was bei Menschen, Mäusen und Hamstern nachgewiesen wurde. Auch in einigen Geweben wie z. B. der Lunge konnten diese Leukozytentagesrhythmen nachgewiesen werden. Im Fall einer akuten Entzündung ändern sich diese Rhythmen. Die Lymphozyten werden in ihrer Wanderungsrhythmik schwächer und halten sich jetzt bevorzugt in den betroffenen Organen auf. Die Granulozyten dagegen verstärken ihre rhythmische Wanderbewegung und unterstützen

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die Lymphozyten so wellenförmig in ihrer Bekämpfung der Infektion (Haspel et al. 2014). Doch warum ist das so? Das ist bisher noch nicht gut verstanden. Vielleicht ist es eine Taktik, mit der die Anpassungsfähigkeit der Erreger überfordert werden soll. Auch in der Wanderung beobachten wir den Effekt von circadianen Zeitfenstern. Die englischen Forscher um Andrew Loudon und Julie Gibbs haben z. B. gezeigt, dass die Einwanderung von Neutrophilen, quasi die berittene Kavallerie des Immunsystems und stets die Ersten am Ort des Geschehens, in die Lunge nach akuten Entzündungen stark von der Tageszeit abhängt: Zellen im Lungenepithel, die sog. Clara-Zellen, schütten tagesrhythmisch den CXCL5-Lockstoff für die Neutrophilen aus. Wenn Infektion und CXCL5-Tagesmaximum zusammenfallen, können die Neutrophilen schneller reagieren, in das Lungengewebe einwandern und dort ihre abwehrende Wirkung entfalten. Dieser Effekt ließ sich im Mausmodell sowohl für bakterielle Infektionen als auch Parasitenbefall nachweisen (Gibbs et al. 2014). Unter homöostatischen Bedingungen patrouillieren viele Immunzellen also im Tagesrhythmus zwischen dem Blut und den verschiedenen Geweben. Der Übergang vom Blut ins Gewebe, die Extravasation, von angeborenen Immunzellen wird durch die tagesrhythmische Ausschüttung von Wanderungsfaktoren durch die die Gefäße ummantelnden und abdichtenden Endothelzellen gesteuert. Diese tragen auf ihrer Oberfläche das Adhäsionsmolekül 1 (ICAM1) sowie den Chemokin-Liganden 2 (CCL2). Sind viele dieser Moleküle auf der Endotheloberfläche vorhanden, wird diese quasi klebrig für die mit dem Blut vorbeiströmenden Neutrophilen. Diese bleiben dann vermehrt an der Gefäßwand hängen und „rollen“ nur noch langsam an ihr entlang. Der verlängerte Kontakt der Neutrophilen mit der Endotheloberfläche während des Rollens führt zur Lockerung der Bindungen zwischen den einzelnen Endothelzellen. Der Neutrophile kann dann zwischen zwei Endothelzellen hindurch aus dem Gefäß in das dahinterliegende Gewebe schlüpfen. Diese Uhrenfunktion bleibt im Entzündungsfall erhalten, sodass je nach Tageszeit mehr oder weniger viele Neutrophile an den Ort des Geschehens gelangen. Zwar sind die Neutrophilen nur die Vorhut der Immunantwort; sie sind aber entscheidend wichtig, um weitere Immunzellen an den Entzündungsherd zu locken. Mäuse, die mit Bruchstücken von Bakterien infiziert wurden, zeigten je nach Tageszeit der Infektion Überlebensraten zwischen 0 und 64 %, abhängig von der Effektivität der Neutrophilenextravasation (Marpegan et al. 2009) (Abb. 10.2).

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Abb. 10.2  Die Stärke der Immunantwort hängt von der Tageszeit ab. Zwei Gruppen von Mäusen wurden entweder zum Ende des Tages (ZT11) oder mitten in der Nacht (ZT19) mit hohen Dosen eines bakteriellen Endotoxins (Lipopolysaccharid; LPS) infiziert. a Bei der Infektion zu ZT11 überlebten alle Tiere die ersten sechs Tage nach der Behandlung, während 65 % der zu ZT19 infizierten Tiere zu diesem Zeitpunkt gestorben waren. b Überlebenskurve für beide Gruppen über eine Zeitspanne von 100 h. (Nach Marpegan et al. 2009, S. 1434; mit freundlicher Genehmigung von © Informa Healthcare USA Inc. 2009. All Rights Reserved)

10.3 Uhrensteuerung der adaptiven Immunität Eine tagesrhythmische Regulation des unspezifischen Immunsystems macht evolutionär durchaus Sinn, wenn man bedenkt, dass einerseits die Immunabwehr energetisch sehr aufwendig ist und andererseits ein überreaktives Immunsystem auch für den eigenen Körper gefährlich werden kann. Die Uhr sorgt deshalb dafür, dass zu Zeiten erhöhter Infektionsgefahr die Immunabwehr gestärkt ist. Das ist in der Regel der Tag, wenn wir mit anderen Menschen in Kontakt kommen und auch mit der Nahrung Mikroorganismen in unseren Körper gelangen. In der Nacht bleibt nur eine Art immunologische Grundversorgung bestehen. Das erklärt auch, warum Schlafentzug oder andere Rhythmusstörungen wie z. B. der Jetlag uns anfälliger machen für Infekte: Wenn innere und äußere Zeit nicht übereinstimmen, kann es sein, dass uns der Erreger ohne Deckung erwischt. Wenn man dann zusätzlich noch viel Zeit in eng gepackten Flugzeugen und Wartebereichen verbringt, kann das das Immunsystem leicht überfordern und uns den Urlaubsbeginn verderben. Mit dem adaptiven (B- und T-Zell-vermittelten) Immunsystem sieht die Sache etwas anders aus. Hier wird ja durch das Maßschneidern der Immunantwort bereits eine Optimierung des K ­ osten-Nutzen-Verhältnisses der Erregerabwehr erreicht. Außerdem müssen die Gedächtniszellen

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über Monate und Jahre verfügbar sein, wodurch eine tagesrhythmische Regulation nur noch wenig Sinn hätte. Zudem verfügen T- und B-Zellen zwar ebenfalls über Uhren-Gene; deren Aktivität ist tagesrhythmisch allerdings im Vergleich zu anderen Geweben nur schwach reguliert. Man nahm deshalb lange an, dass die Uhrenfunktion im adaptiven Immunsystem nur eine untergeordnete Rolle spielt. Tatsächlich liegt der Schlüssel zum Uhreneinfluss im adaptiven Immunsystem ganz am Anfang der beschriebenen immunologischen Aktivierungsprozesse: Um die T- und B-Zellen dazu zu bringen, spezifische Antikörper zu produzieren, müssen diese zunächst von antigenpräsentierenden Zellen stimuliert werden – und dazu müssen sie diese mit den Epitopen beladenen Zellen, vor allem dendritische Zellen, aber auch Makrophagen, überhaupt erst einmal finden. Der gemeinsame Treffpunkt des adaptiven Immunsystems sind die Lymphknoten. Dort formen antigenpräsentierende Zellen (APCs) und T-Zellen sog. immunologische Synapsen (in Anlehnung an die engen Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn), quasi die Schnittstellen zwischen der spezifischen und unspezifischen Form des Immunsystems. Die Wanderung in und aus den Lymphknoten heraus ist dabei bei allen beteiligten Zellen stark tageszeitabhängig (Abb. 10.3). Zeigen alle Immunzelluhren die gleiche Tageszeit, ist es wahrscheinlicher, dass passende Zellen im Lymphknoten zusammentreffen und die immunologische Synapse aktiviert wird. Um bei der Nervenanalogie zu bleiben: Der Funke springt quasi vom angeborenen auf das adaptive Immunsystem über (Scheiermann et al. 2018). Unter den T-Zellen gibt es zudem verschiedene Unterklassen. Eine davon sind die TH17-Zellen, die für die Aktivierung von B-Zellen besonders wichtig sind. T-Zellen, die tagsüber isoliert werden, neigen eher dazu, sich bei Stimulation in TH17-Zellen umzuwandeln, als solche, die in der Nacht isoliert werden. An dieser Regulation scheint ein wichtiges Uhrenhormon beteiligt zu sein, das Melatonin. Tagsüber ist der Melatoninspiegel im Blut niedrig. Behandelt man tagsüber isolierte T-Zellen aber in der Zellkultur mit Melatonin, hemmt dies die TH17-Zellumwandlung – ganz so wie in nachts isolierten Zellen. Umgekehrt fördert Melatonin die Entwicklung von sog. Typ1-regulatorischen (TR1) T-Zellen. Diese sind wichtig, um eine Überreaktion der Immunantwort zu verhindern. Mäuse, bei denen die Uhrenfunktion genetisch gestört ist, zeigen reduzierte Konzentrationen von TH1-Zellen im Darm und eine erhöhte Anfälligkeit für entzündliche (autoimmune) Darmerkrankungen. Umgekehrt neigen Mäuse, deren circadiane Rhythmik durch einen wiederholten Jetlag – dazu wird der Licht-Dunkel-Rhythmus im Mausraum alle paar Tage um mehrere Stunden

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Abb. 10.3  Lymphozyten (B- und T-Zellen) und antigenpräsentierende Zellen (APCs) wandern tagesrhythmisch in den Lymphknoten. Am Tag wandern nur wenige Immunzellen in den Lymphknoten. In der Nacht treten jedoch vermehrt T- und B-Lymphozyten sowie antigenpräsentierende Zellen (APCs) aus den kleinen Blutkapillaren in den Lymphknoten und formen dort immunologische Synapsen, in denen die Epitopinformation von den APCs auf die T- und B-Zellen übertragen wird. Dadurch wird das adaptive Immunsystem nachts effektiver alarmiert. (Nach Scheiermann et al. 2018, S. 429; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2018. All Rights Reserved)

verschoben – erhöhten Anteile von ­TH17-Zellen, wodurch die Tiere ebenfalls anfälliger für experimentelle Colitis werden (Yu et al. 2013). Kontrollierte Studien am Menschen sind bisher nicht bekannt. Man weiß aber, dass auch bei uns ein Jetlag häufig mit gastrointestinalen Beschwerden wie Verstopfung und Reizungen einhergeht. Es lässt sich also sagen, dass die Tageszeit bzw. die innere Uhr sowohl die Reaktion von Gefäßwand- und Immunzellen als auch die Wanderung von Immunzellen zwischen Blut- und Lymphgefäßen beeinflusst. Dies resultiert in rhythmisch regulierten unspezifischen wie auch adaptiven Immunantworten und damit in einer tagesrhythmischen Effektivität z. B. bei akuten Infektionen oder Impfungen. Inwieweit die circadiane Uhr auch chronische entzündliche Prozesse beeinflussen kann, ist dagegen weniger gut verstanden. Es gibt zahlreiche umfassende Studien, die zeigen, dass Rhythmusstörungen, wie sie z. B. bei Schichtarbeitern auftreten, chronische (Auto-) Immunkrankheiten wie Colitis oder rheumatoide

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Arthritis begünstigen können. Wie oben anhand des allergischen Asthmas bereits erwähnt, können auch die Beschwerden solcher Krankheiten tagesrhythmischen Schwankungen unterliegen. So leiden Rheuma-Patienten besonders in den Morgenstunden unter Gliederschmerzen und Gelenksteifigkeit.

10.4 Mikrobielle Regulation der circadianen Immunität Jüngste Studien belegen, dass auch die Mikroorganismen in unserem Darm, das Mikrobiom, eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung der Immunhomöostase spielen. Zwischen den Mikroorganismen im Darmlumen und den Darmepithelzellen kommt es zu tagesrhythmischen Wechselwirkungen. Dabei spielen vor allem Botenstoffe des Immunsystems, die Zytokine, eine Rolle. Die Darmbakterien aktivieren über die Zellen des Darmepithels das angeborene Immunsystem und sorgen so für eine entzündliche Reaktion. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Ausschüttung der Entzündungsbotenstoffe Interkleukin (IL-)1ß und IL-6. Abhängig auch vom Rhythmus der Nahrungsaufnahme kommt es zu Oszillationen in der Zusammensetzung des Mikrobioms. Dies ist verständlich, sind bestimmte Darmbakterien doch entscheidend am Aufschluss verschiedener Nahrungsbestandteile für den Körper beteiligt. Diese Mikrobiomrhythmik führt wiederum zu einer Oszillation der Zytokinspiegel im Blut. Auch tagesrhythmische Wanderungsbewegungen zwischen Darmwand und Darmlumen konnten für einige Mikroorganismen nachgewiesen werden – vergleichbar mit den im nächsten Kapitel beschriebenen Planktonwanderungen im Meer (Thaiss et al. 2016) (Abb. 10.4). Durch die Mikroorganismen gebildete Stoffe regulieren zudem die Uhren-Gen-Aktivität in den Epithelzellen selbst, welche wiederum die physiologischen Funktionen dieser Zellen beeinflussen. So kann die Tagesrhythmik der Darmaktivität über das Mikrobiom an die Nahrungsrhythmik angepasst werden. Antibiotika können die Mikrobiomrhythmik stören. Am Mausmodell etwa wurde gezeigt, dass der dauerhafte Einsatz solcher Antibiotika u. a. das prädiabetische Syndrom auslösen kann, eine Art Vorläufer des Diabetes, gekennzeichnet durch erhöhten Blutzucker- und verminderte Insulinspiegel. Interessanterweise ließen sich Mikrobiomrhythmik und Insulinsensitivität durch die Verabreichung von

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Abb. 10.4  Tagesrhythmische Wanderung von Darmbakterien zwischen Lumen und Epithel. a Mäuse wurden zu unterschiedlichen Tageszeiten getötet und Darmwand und -lumen präpariert und auf Bakterienkonzentrationen hin untersucht. Unten gezeigt ist die Quantifizierung der Bakterienadhäsion am Darmepithel im Tagesverlauf. b Elektronenmikroskopische Aufnahmen von den Epithelpräparaten zu vier Tageszeitpunkten. Deutlich sind die anhaftenden Bakterien (weiße Stäbchen) in der zweiten Hälfte der Ruhephase (18 und 0 Uhr) zu erkennen. (Nach Thaiss et al. 2016, S. 1496; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2016. All Rights Reserved)

bakteriellen Z ­uckermolekülen wiederherstellen (Mukherji et al. 2013). Ähnlich verhält es sich für viele Krankheiten des Immunsystems, besonders Autoimmunerkrankungen wie Lupus, rheumatoide Arthritis und Colitis. Könnte also eine tageszeitlich optimierte Therapie mit Darmbakterien – eine sog. ­Chrono-Probiose-Therapie – beim Menschen dazu beitragen, solche Erkrankungen zu verhindern? Entsprechende Studien stehen bis heute noch aus. Nun könnte man einwenden, dass diese Mikrobiomrhythmen einzig von der Nahrungsaufnahme abhängen. Ganz so einfach ist das jedoch nicht, wie eine noch sehr vorläufige Studie aus dem Elinav-Labor suggeriert: Die Forscher schickten zwei Kollegen mit dem Flugzeug über den Atlantik und bestimmten vor und nach dem Flug deren Mikrobiomrhythmik. Es zeigte sich, dass ähnlich wie der Mensch selbst auch das Mikrobiom unter solchen Bedingungen unter Jetlag leidet: Es dauert einige Tage, bis sich die Mikrobiomrhythmik an die neue Tageszeit angepasst hat (Thaiss et al. 2016). Inwiefern dieser Jetlag im Darm aber zur Infektanfälligkeit beiträgt, lässt sich noch nicht sagen.

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10.5 Synchronisation der Immunuhren Rhythmische Uhren wurden inzwischen in fast allen Zellen des Immunsystems nachgewiesen. Allerdings sitzen diese Zellen ja nicht in einem festen Gewebeverband, und so ist nicht ganz klar, wie die Zeitinformation vom SCN eigentlich dort ankommt. Mögliche Botenstoffe sind rhythmisch abgegebene Hormone wie das Melatonin oder das Cortisol. Es wurde auch spekuliert, dass das die Lymphknoten innervierende autonome Nervensystem eine wichtige Rolle spielen könnte. Zu guter Letzt könnten auch die erwähnten Immunsignale aus den Darmmikroben eine Rolle spielen. Beschäftigung in der Schichtarbeit ist verbunden mit einem erhöhten Risiko, entzündliche Erkrankungen wie Psoriasis, Arthritis oder Colitis zu entwickeln. Welcher Faktor dabei die entscheidende Rolle spielt – Schlafqualität, -quantität, Ernährung, Stress, Licht oder Bewegung – ist dabei noch wenig verstanden. Dies ist jedoch ein wichtiges Anliegen der Gesellschaft. Zusammen bestätigen Tier- und klinische Studien, dass eine gesunde, intakte Rhythmik notwendig ist für die Immunhomöostase und der Entwicklung von Immunerkrankungen vorbeugt. Es gibt zudem auch Hinweise darauf, dass das Immunsystem jahreszeitlichen Schwankungen bei Menschen und Tieren unterliegt (Scheiermann et al. 2018). Auch viele chronische entzündliche Erkrankungen haben eine zusätzliche saisonale Komponente. Inwieweit die circadiane Uhr mit dieser Rhythmik in Zusammenhang steht, ist jedoch noch kaum verstanden. Herpesviren und Influenza-A-Viren vermehren sich stärker in Abwesenheit des Uhren-Gens bmal1, welches wiederum im Winter etwas weniger stark aktiv ist. Dies könnte zum Teil erklären, warum die Verbreitung von Viruserkrankungen im Winter häufiger ist. Auch sind Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) während der Wintermonate anfälliger für eine Verschlechterung der Symptome. Umgekehrt zeigt die Krankheitsaktivität bei Patienten mit Multipler Sklerose Maxima im Vorfrühling und Täler im Herbst. Hier scheint das Melatonin beteiligt zu sein, dessen nächtliche Sekretion stark von der Tageslänge abhängt.

10.6 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Immunsystem stark von der Tageszeit beeinflusst wird. Dies zeigt sich sowohl unter homöostatischen Bedingungen als auch in der Reaktion auf Entzündungen und Infektionen.

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Die Regulation des Immunsystems wird dabei wahrscheinlich entsprechend der Tageszeit optimiert, einen angepassten Schutz zu bestimmten Zeiten zu bieten. Verschiebungen von wenigen Stunden in der inneren Zeit können dramatische Folgen auf nachfolgende Immunantworten und pathologische Ergebnisse haben – und dies nicht nur bei akuten Immunantworten, sondern auch bei chronischen Erkrankungen.

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11 Die circadiane Uhr im Ozean: Regulation der Planktonwanderung

11.1 Tagesrhythmische aquatischer Lebewesen In Seen oder im Meer lebende Organismen zeigen häufig eine tagesrhythmische, synchronisierte Auf- und Abwärtsbewegung. Bei marinen Planktonarten erstreckt sich diese tägliche vertikale Wanderung zum Teil über mehrere 100 m. Plankton, eine vom deutschen Meeresforscher Victor Hensen eingeführte Bezeichnung, besteht aus Mikroorganismen, aber auch aus 10 bis 200 µm großen pflanzlichen und tierischen Organismen sowie Millimeter bis Dezimeter großen anderen Lebewesen. Wir befassen uns hier primär mit tierischem Plankton, das ca. 1500 Arten umfasst. Die tägliche Vertikalwanderung (in der Fachliteratur diel vertical migration, DMV) erkennt man mittels ­ Ultraschall-Doppler-Profil-Strömungsmesser, einem speziell in der Planktonforschung eingesetzten Echolot (Abb. 11.1): Wenn die das Echo reflektierenden Schichten nicht statisch, sondern beweglich sind, weiß man, dass es sich nicht um Meeresboden handeln kann, sondern um bewegliche, dicht bevölkerte Planktonschichten und Fischschwärme. Die reflektierenden Schichten liegen nachts nahe an der Oberfläche und am Tag in der Tiefe. Diese Tiefenverteilung, gleich dem Aktogramm eines Laufradexperiments, zeigt eine ausgeprägte 24-h-Rhythmik. Die Meeresbiologen sehen den Sinn für die energetisch aufwändige tägliche Vertikalwanderung primär in der Vermeidung, gefressen zu werden. Das Argument geht ungefähr so: Wenn Planktontierchen sich tagsüber nahe an der Oberfläche aufhalten, finden sie zwar viel pflanzliches Plankton, an © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7_11

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Abb. 11.1  Rhythmus der täglichen vertikalen Wanderung von Zooplankton bei Bonawe Deep, Loch Etive, Schottland, bestimmt mit zwei Ultraschall-Doppler-ProfilStrömungsmessern in 45 m bzw. 120 m Tiefe. Die beiden Profile erstrecken sich über die Zeit vom 5. bis 11. Mai 2015. Die Stärke des vom Plankton zurückgeworfenen Schalles ist ein Maß der Konzentration des Zooplanktons. Das Farbenprofil rechts repräsentiert die Stärke der zurückgeworfenen Schallwellen, wobei rot ein starkes Signal bedeutet und dunkelblau für ein schwaches Signal steht. Die gelb und schwarz gemusterte Linie markiert den Tag (gelb) und die Nacht (schwarz) bei Loch Etive am angegebenen Datum. Nachts befindet sich viel Zooplankton nahe an der Oberfläche (rote Färbung). Tagsüber liegt der Schwerpunkt der Zooplanktonverteilung bei etwa 60 m Tiefe. (Aus Häfker et al. 2017, S. 2195; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2017. All Rights Reserved)

dem sie sich satt fressen können. Zugleich aber werden sie dort gut von Fischen gesehen und selbst gefressen. Daher ist es vorteilhaft, sich tagsüber in die Tiefe zu begeben. Für diese „Dem-Räuber-entfliehen“-Hypothese gibt es empirische Evidenz. Zum Beispiel konnte Maciej Gliwicz (1986) zeigen, dass eine ausgeprägte vertikale Wanderung des Ruderfußkrebses Cyclops abyssorum nur in jenen alpinen Seen stattfindet, in denen auch der vom Plankton lebende Bachsaibling vorkommt. Faszinierend war der Befund, dass in Seen, in denen der Planktonfresser vor 25 Jahre heimisch wurde, die vertikale Wanderung um die 10 m beträgt, während in einem See mit einer alteingesessenen Population von Bachsaiblingen die Distanz beim Doppelten liegt. Eine weitere Begründung für das tägliche Auf und Ab ist das Meiden von ultravioletten Strahlen im Spektrum des Sonnenlichtes. UV-Strahlung dringt 10 bis 20 m tief in klares Wasser ein. Der UV-Anteil am Sonnenlicht war besonders intensiv im Präkambrium (die Epoche vor 600 Mio. Jahren und davor). Denn damals gab es keine Ozonschicht und es kam nur wenig Sauerstoff in der Erdatmosphäre vor – beides Faktoren, die UV-Licht

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absorbieren. UV-Strahlung beschädigt die DNA, also das Erbgut. Walter Gehring und Michael Rosbash (2003) haben darauf hingewiesen, dass es in den Zellen vieler Organismen sog. lichtaktivierte Photolyasen gibt, Enzyme, die bei der Reparatur der UV-induzierten DNA-Schäden mitwirken. Die Autoren merken weiterhin an, dass Verwandte der Photolyasen, die Cryptochrome, nicht nur als Empfänger von blauem Licht dienen, sondern auch eine wichtige Komponente des circadianen Uhrwerks sind (Abb. 4.7). Eine herausragende Aufgabe dieses Uhrwerks ist – wie wir bereits wissen – die Steuerung von Bewegungsrhythmen (Kap. 1), also möglicherweise auch der Rhythmik der vertikalen Wanderung des Planktons. „Dem Räuber zu entfliehen“ und „sich vor dem UV-Licht schützen“, sind beides plausible und nicht unbedingt widersprüchliche Erklärungen für die Funktion der vertikalen Wanderung. Aber bedenkt man, dass Plankton nicht wie Johnny Weissmüller als Tarzan einfach vor dem gefräßigen Krokodil davonschwimmen kann, macht es durchaus Sinn, eine innere Uhr zu besitzen, die einem rechtzeitig den Weg in die sichere Tiefe weist.

11.2 Pionierarbeiten Die Vertikalwanderung wurde 1874 gleichzeitig im Genfer See und im Bodensee entdeckt, und zwar von Francois-Alphonse Forel bzw. August Weismann (Weismann 1876; Forel 1882). Forel gilt als Begründer der Limnologie, jenem Zweig der Wissenschaft, der sich mit der Erforschung der Seen befasst. Weismann war ein bedeutender Evolutionsbiologe. Er entwickelte die Theorie, dass genetische Veränderungen nur dann vererbt werden, wenn sie in den Keimbahnzellen stattfinden. Als Zoologe befasste sich Weismann auch ausführlich mit der Entwicklung aquatischer Kleintiere, wie etwa den planktonischen Krebstieren, Wasserflöhen, und Rüsselkrebsen, die alle in unseren Seen vorkommen (Abb. 11.2). Im Wintersemester 1875/76 hält Weismann in der Aula der Universität zu Freiburg einen Vortrag vor einem „zum größeren Theil aus Damen bestehenden Publikum“ berichtet er in anschaulicher Manier über die Tierwelt des Bodensees (Weismann 1876). Er erzählt, wie er mittels eines feinmaschigen Netzes winzige Planktontierchen einsammeln konnte. Dabei ist ihm aufgefallen, dass er bei hellem Sonnenschein kaum Plankton im Netz hat, und er mutmaßt, dass Plankter lichtscheu sein könnten, sich deshalb tagsüber in die Tiefe absenkten und nur nachts an die Oberfläche aufstiegen. Er fährt fort: „Ich fischte nun in einer ruhigen dunkeln Nacht.“ Bei der mikroskopischen Untersuchung seines Fanges am frühen Morgen „fand

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Abb. 11.2  Heterocope saliens, ein Copepode (Ruderfußkrebs) aus dem Bodensee. Mit den am Kopf angebrachten Ruderfühlern bewegt sich das Tier fort. Der schwarze Punkt am vorderen Ende ist das Auge. Die ringförmigen Strukturen sind Körpersegmente. Das Tier ist vom Rücken her gezeichnet, daher sind die am Bauch angebrachten Füße nicht sichtbar. Der Ruderfußkrebs ist etwa 3 mm lang. (Nach Weismann 1876, Abb. 3; mit freundlicher Genehmigung von © Verein für die Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 1876. All Rights Reserved)

ich das Wasser mit Tausenden von Thierchen gefüllt. […] Das hüpfte, stieß und flog durcheinander, dass man schwindlig wurde beim Hineinsehen in die wirbelnden Scharen“ (Weismann 1876, S. 143). Weismann fragte sich auch, wohin denn das Plankton tagsüber verschwindet. In große Tiefen oder bloß ein paar Meter unterhalb der Oberfläche? Weismann berichtet, dass im Uferbereich Plankton tagsüber in einer Tiefe von bis zu 20 m gefunden wird. Forel meldet ähnliche vertikale Wanderungen für den Genfer See. Was könnte ein Vorteil dieser vertikalen Wanderung sein? Beide Wissenschaftler gehen der Frage nach. Forel vermutet den Wind als

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Grund: ­Tagsüber weht Wind vom See in Richtung der durch die Sonne erwärmten Küste, und die Winzlinge würden daher ans Land getrieben und dort zugrunde gehen. Nachts wäre das nicht zu befürchten, den dann pustet der Wind meist seewärts, weil sich die Luft über dem Wasser langsamer abkühlt als über Land (Forel 1882, S. 303). Allerdings, so wendet Weismann ein, gebe es selbst mitten im Ozean das periodische Auf- und Absteigen von marinem Plankton. Daher liege Forel mit seiner Küstenwind Theorie vermutlich falsch (Weismann 1876, S. 149). Weismann sieht den Grund für die vertikale Wanderung vielmehr darin, dass die Augen der winzigen Wanderer vergleichsweise stark ausgebildet und empfindlich sind. Er argumentiert, dass diese Empfindlichkeit sie zur Flucht vor dem grellen Tageslicht zwinge. Andererseits ermöglichen gute Augen ein Erkennen der Nahrung bei schwachem Licht. Sonnenlicht erzwinge also ein Herabsteigen in die Tiefe am Tage, wo gewissermaßen zur Belohnung die Nahrung erkannt und eingenommen werden kann. Nachts hingegen sei es dunkel in der Tiefe und eine Gegenbewegung werde ausgelöst: Die Tierchen steigen auf und sehen und vertilgen ihre Nahrung nahe der Oberfläche. Die Theorie von Weismann erklärt auch, wieso Plankter nicht in große Tiefen des Sees absteigen, sondern eine untere Grenze respektieren. In großer Tiefe sei gar kein Licht, und auch ein empfindliches Auge könnte die Nahrung dort nicht mehr erspähen. Aus Sicht des Evolutionsbiologen, der Weismann eben ist, ist die Fähigkeit, einen reich gedeckten Tisch vorzufinden, kombiniert mit der Fähigkeit, die Speise zu sehen, ein großer Vorteil für das Gedeihen der kurzlebigen und sehr fruchtbaren Krebschen. Allerdings sind die Winzlinge auch gesuchte Beute vieler Fische und eine weitverbreitete zeitgenössische Begründung für die Wanderbewegung ist die Flucht der Beute vor Jägern. Weismann will sich nicht missverstanden wissen. Er teilt dem versammelten Publikum mit, dass ein kontinuierliches Fressen keine Garantie fürs Überleben sei. Ganz im Gegenteil „mit dem Fressen zu pausiren, (sei) freilich, vom Standpunkt des Menschen aus beurtheilt, nicht mehr als recht und billig!“ (Weismann 1876, S. 19).

11.3 Ist die Flucht vor dem Licht die Ursache der Vertikalwanderung? Vom Bodensee geht es jetzt nach Südkalifornien, nach San Diego, wo sich die 1903 gegründete Scripps Institution of Oceanography befindet. Zum Gründungsteam gehörte der damals erst 24 Jahre alte Calvin Esterly, ein

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Spezialist für Ruderfußkrebse, den marinen Verwandten der von Weismann und Forel erforschten Süßwasserkrebse … Esterly promoviert soeben in Harvard im Fachbereich Zoologie. Für seine Arbeit sammelte er den Ruderfußkrebs Cyclops albidu in den Weihern rund um Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts, wo Harvard liegt, und untersucht das Reaktionsverhalten der Cyklopen auf Licht (Esterly 1907). In Kalifornien ist Esterly hauptamtlich Professor der Zoologie am Occidental College in Los Angeles. Im Nebenamt ist er an der Scripps Institution tätig, wo er zusammen mit seinem Kollegen E. L. Michael die vertikale Wanderung des Meeresplanktons erforscht. Zum Zeitpunkt, als Esterly seine Arbeiten beginnt, herrscht die Meinung vor, dass mäßig starkes Licht, wie etwa das vom Mond, das Plankton zum Aufsteigen anregt und dass das Plankton vor dem starken Licht des Tages mittels Absteigen flieht – ein im Wesentlichen ein auf den Gedanken von Weismann beruhendes Konzept. Es ist allerdings auch beobachtet worden, dass die Abwärtsbewegung bei einigen Planktonarten schon gegen Mitternacht beginnt, also deutlich vor Sonnenaufgang. Eine umfangreiche Untersuchung von Chancey Juday (1903) zur Planktonverteilung in den Seen des US-Bundesstaates Wisconsin kommt zum Schluss, dass Licht zwar ein wichtiger Faktor beim Phänomen der vertikalen Wanderung sei, aber eben nur einer von mehreren. Wichtig sei auch, auf welcher Ebene im See sich Nahrung in Form von pflanzlichem Plankton befinde. Auch die Anwesenheit von nicht weiter benannten Substanzen im Wasser beeinflusse die Verteilung von Plankton. Juday hat damit gute Denkansätze, doch seine empirischen Belege sind eher spärlich. Es ist der Verdienst von Esterly, zahlreiche und umfassende Planktonfänge im Pazifik in der Region westlich von San Diego vorzunehmen. Die Fangstellen waren circa 20 km von der Küstenlinie entfernt, und die Meerestiefe war im Bereich von 750 m. Plankton wird mit Planktonnetzen mit engen Maschen zwischen 50 und 200 μm gesammelt. Die Netze sind kegelförmig gestaltet und am vorderen Ende an einem Ring befestigt, wie ein Schmetterlingsnetz. Am hinteren Ende befindet sich ein abnehmbares Behältnis, das sich mit Plankton füllt, sobald man das Netz hinter einem Boot an einer Leine befestigt herzieht. Esterly verwendet bei seinen Erkundungen der Planktonmenge in bestimmten Tiefen vorne verschließbare Netze. Schließbare Netze werden in die gewünschte Tiefe gelassen, mittels eines Mechanismus geöffnet und dann geschleppt. Das Netz kann dann

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v­erschlossen und an die Oberfläche hochgehievt werden, ohne dass der tiefere Fang durch Plankton aus oberen Schichten verunreinigt wird. Esterly ist Experte für Ruderfußkrebse, daher quantifiziert hat er bei seinen Expeditionen nicht Plankton generell, sondern genau die Zahl der Ruderfußkrebse mit dem zoologischen Namen Calanus finmarchicus. Die Quintessenz der 1909 veröffentlichten Studie ist wie folgt: Tagsüber (6 bis 18 Uhr) sind 90 % der Krebslarven in einer Tiefe von 200 bis 450 m zu finden. Zwischen 18 und 21 Uhr findet man eine relativ homogene Verteilung zwischen 10 und 300 m. Aber zwischen 23:30 und 0:40 Uhr sind praktisch alle Individuen in einer Tiefe von 10 bis 20 m zu finden. Am frühen Morgen zwischen 3:30 und 6:30 Uhr finden sich die Krebse dann wieder auf 180 m Tiefe. Schaut man dies alles kritisch an, dann fällt einem auf, dass Esterly nicht gerade die optimalen Messungen durchführt. Eigentlich hätte er in regelmäßigen Abständen durch den 24-h-Tag in unterschiedlichen Tiefen Proben nehmen sollen. Aber das tut er nicht. Des Weiteren berücksichtigt Esterly weder das Entwicklungsstadium noch das Geschlecht der Ruderkrebse. Seine Jagd nach Calanus finmarchicus findet Ende Juni bis Anfang Juli statt, und andere Jahreszeiten werden nicht untersucht. Seit den Arbeiten von A. G. Nicholls von der ehemaligen Marine Station in Millport im Vereinigten Königreich ist indes bekannt, dass alle die gerade genannten Faktoren die vertikale Wanderung von Calanus finmarchicus sehr deutlich beeinflussen. Lediglich für erwachsene Calanus-Weibchen ergeben die sorgfältigen Studien von Nicholls (1933) Ergebnisse, die jenen von Esterly in etwa entsprechen. Abb. 11.3 zeigt die tageszeitliche Verteilung von ­Calanus-finmarchicus-Weibchen am 11. und 12. Juli 1932. Nicholls hat ebenfalls Schließnetze verwendet und in sechs Tiefenbereichen gesammelt. Man erkennt aus der Abbildung eine markante tageszeitabhängige Umverteilung von Calanus finmarchicus. Wie Esterly hat auch Nicholls eine Verminderung der Anzahl der Individuen an der Oberfläche vor dem Sonnenaufgang beobachtet. Eine ähnliche Verteilung wie in Abb. 11.3 hat Nicholls auch Ende Januar beobachtet. Nebenbei bemerkt: Die vertikale Wanderung ist ziemlich kompliziert. Nicholls weist z. B. nach, dass erwachsene Calanus-finmarchicus-Männchen über alle Tiefenzonen ungefähr gleich verteilt sind, es also keine tageszeitliche Verschiebung dieser Population gibt. Ganz junge Männchen bleiben dabei in den obersten Zonen, während spätere Entwicklungsstadien meist ganztags in den unteren Zonen verweilen.

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Abb. 11.3  Diagramm der vertikalen Verteilung von Calanus-finmarchicus-Weibchen am 11. und 12. Juli 1932. Die erste Verteilung wurde am 11. Juli um 16 Uhr bestimmt, die letzte zur gleichen Zeit ein Tag später. Sonnenuntergang am 11. Juli war 20:27 Uhr und Sonnenaufgang am 12. Juli war 03:58 Uhr. Das Plankton wurde in sechs Zonen gesammelt, markiert mit Punkten und horizontalen Linien. Zone I: Meeresboden bis 120 m Tiefe, Zonen II bis IV umfassen jeweils 20 m und Zonen V und VI umfassen jeweils 30 m. (Aus Nicholls Nicholls 1933, S. 150; mit freundlicher Genehmigung von © Marine Biological Association of the UK 1933. All Rights Reserved)

Was zeigen diese Beobachtungen also nun im Fall der erwachsenen Calanus-Weibchen? Sie deuten darauf hin, dass die vertikale Migration zumindest bei dieser Art nicht strikt von Licht getrieben wird, denn der Abstieg beginnt bei Dunkelheit, d. h. weit vor Sonnenaufgang. Die Tierchen sind demnach nicht durch Lichtscheue zum Hinabwandern motiviert. Wahr ist aber auch, dass die Ruderkrebsweibchen tagsüber in der Tiefe weilen und somit das Licht meiden. Der bedeutende Meeresbiologe Sir Frederick Russell aus Plymouth äußert sich 1927 in einem Übersichtsartikel ausführlich zum Thema der Wirkung des Lichtes. Er meint, Licht habe auf die tägliche vertikale Wanderung einen entscheidenden Einfluss. Licht ist in seinen Augen der „ultimate decider“ (Russel 1927, S. 252) und bewirke im Plankton photochemische Reaktionen. Russel schließt aber auch andere Faktoren wie etwa die Temperatur nicht gänzlich aus. In seinem für ein allgemeines Publikum verfassten Buch „Life in the Sea“ (1971) beschreibt Gunnar Thorson die Vorstellungen seines Kollegen Sir Frederick (S. 95): Plankton bevorzugt eher schwaches Licht, welches es tagsüber im Halbdunkeln in mäßiger Tiefe antrifft. Gegen Abend und nachts findet es dieses Dämmerlicht dann in den oberen Meeresschichten. Bei Sonnenaufgang wird dort das Licht zu grell, also beginnt der Abstieg in den Wohlfühlbereich mäßiger Beleuchtung. Thorson ist klar, dass diese Theorie der direkten Lichteinwirkung die vertikale Wanderung nicht wirklich erklärt, es muss neben der unmittelbaren Reaktion auf Licht noch andere Faktoren geben.

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11.4 Treiben Stoffwechselrhythmen die Vertikalwanderung? Auf der Suche nach einer besseren Erklärung wenden wir uns nochmals den Experimenten mit Plankton von Esterly zu, die er im Herbst 1916 an der Scripps Institution of Oceanography durchgeführt hatte und dann 1917 publizierte … Esterly fängt in der Nähe des Stegs vor der Scripps Institution morgens Plankton und sortiert gleich danach in seinem Laboratorium zwei Arten von Ruderfußkrebsen aus: Acartia tonsa und Acartia clausi. Er verbringt diese jeweils in senkrecht stehende, 50 cm lange und 3 cm weite und mit Meerwasser gefüllte Glasrohre. Diese Rohre stehen dann im Dunkeln, um Lichteinflüsse auszuschließen. Esterly teilte die Rohre vertikal in fünf Zonen zu je 10 cm ein und studiert so die Verteilung der Krebschen über die Zeit hin. Anfangs, also am Morgen, sind die Acartia-tonsa-Tierchen vorwiegend in der untersten Zone der Glasrohre. Zwischen Mittag und 16 Uhr weitgehend ebenso. In den anschließenden zwei Stunden findet er 40 % der Individuen ganz oben, 60 % verbleiben in der Tiefe. Zwischen 18 und 20 Uhr befinden sich 70 % der Tierchen in den beiden obersten Zonen. Bei Acartia clausi findet Esterly ähnliche, wenn auch etwas weniger augenfällige Werte. Im Falle von Acartia clausi verlängert Esterly das Experiment auf drei Tage. Er berichtet, dass der Aufstieg in die oberen Zonen immer etwa um 20 Uhr stattgefunden habe und dass in der übrigen Zeit die ­Acartia-clausi-Tierchen sich am Boden des Rohrs befanden. Leider liefert der Experimentator keine Zahlen zur prozentualen Verteilung, die diese Feststellung untermauern würden. Trotzdem, der kalifornische Forscher erkennt, dass die Tiefenverteilung der Plankter selbst in Abwesenheit von Licht eine 24-h-Rhythmik zeigt. Er vermutet, die Tiere hätten einen physiologischen Rhythmus, welcher die vertikale Migration regelt. Esterly zitierte in diesem Zusammenhang eine 1911 publizierte Arbeit des Koblenzer Physiologen Heinrich Menke. Der hatte sich ausführlich mit 24-stündigen periodischen Veränderungen der Ausdehnung von Pigmentzellen der marinen Schachtassel (Idothea tricuspidata) befasst. Diese rhythmischen Veränderungen geschehen im Gleichtakt mit dem Hell-Dunkel-Rhythmus des Tag-Nacht-Zyklus, finden aber auch bei im ­ Dunkeln gehaltenen Tieren statt. Den Rhythmus konnte Menke verschieben, wenn er Tiere in einen Raum brachte, in dem der Tag-NachtZyklus umgedreht war. Menke vermutete hinter diesem Phänomen einen der Schachtassel innewohnenden Stoffwechselrhythmus, der autonom

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und ohne direkten Lichtreiz gesteuert sei. Diese Sichtweise hat Menke in seiner 1911 erschienen Arbeit auf die periodische Vertikalwanderung planktonischer Organismen erweitert, ganz ohne Experimente, also rein spekulativ. „Es fragt sich“, so Menke, „durch welche Faktoren dieses rhythmische Wandern zustande kommt, ob wir es hier mit einer autonomen Bewegung zu tun haben, oder ob hier eine einfache Reizbewegung mit dem täglichen Lichtwechsel als Reizursache vorliegt“ (Menke 1911, S. 79). Menke favorisiert aufgrund seiner eigenen Forschung einen autonomen Prozess und schlägt in seiner Publikation sogar vor, man solle Planktontiere bei konstanten Lichtbedingungen aussetzen oder ihren Rhythmus umdrehen, wie er das mit den Schachtasseln gemacht hatte. Das Erstere hat Esterly einige Jahre später ansatzweise getan. Menke generalisiert: Den bei unterschiedlichen Lebewesen beobachteten periodischen Vorkommnissen müssten die gleichen autonomen Stoffwechselvorgänge zugrundeliegen. Weder die Experimente von Esterly noch die eloquente Logik von Menke hat die Planktonforscher damals überzeugt. Der einflussreiche Sir Frederick befasste sich ausführlich mit den Arbeiten von Esterly in einem 1927 erschienen Übersichtsartikel und kritisierte dessen Forschung und die dahinterliegenden Konzepte. Er schreibt z. B.: „Der physiologische Rhythmus ist nicht verantwortlich für die diurnalen Wanderungen; es sind die Änderungen in der Umwelt, welche die periodischen Wanderungen bedingen und dabei den physiologischen Rhythmus im Tier bewirken“ (Russel 1927, S. 255). Am Ende dieses Buches angekommen wissen wir jetzt, dass es weit verbreitete, autonome Uhrwerke gibt, die durch Zeitgeber wie etwa den Licht-Dunkel-Rhythmus synchronisiert werden. Esterly stirbt 1928; er kann auf die Kritik von Russell nicht mehr antworten.

11.5 Die Verknüpfung mit der circadianen Uhr Sind die Forschungsergebnisse der Marinebiologen zur vertikalen Wanderung bei den Chronobiologen auf Resonanz gestoßen? Nur sehr beschränkt. So schreibt H. Remmert (1965, S. 369): „Bei der Wanderung von Daphnia magna (Großer Wasserfloh) liegt möglicherweise eine rein exogene Steuerung vor“ – also keine autonome Rhythmik, weil sich das Auf- und Absteigen beliebig mit Licht auslösen lässt. „Es bleibt aber offen“, meint Remmert noch, „ob diese Beobachtungen sich auf andere Wanderbewegungen anwenden

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lassen, und man sollte voreilige Schlüsse bezüglich eines autonomen Rhythmus vermeiden“. In seinem 1973 veröffentlichtem Lehrbuch „Biologische Rhythmen und Regulation“ erwähnt der Göttinger Zoologe Ludger Rensing (1973, S. 229) die Vertikalwanderung und meint: „Es ist nicht sicher, ob diese Vertikalwanderung jeweils von einer endogenen Rhythmik gesteuert wird.“ In der 1977 erschienenen dritten Auflage des Lehrbuchs „Die physiologische Uhr“ widmet sich Erwin Bünning ausführlich den tidalen und lunaren Rhythmen bei Meeresorganismen, aber zur vertikalen Wanderung sagt er nichts. Offenbar war den drei Experten nicht bekannt, dass John E. Harris, Mitglied der Britischen Royal Society, vom Zoologischen Institut der Universität zu Bristol bereits 1963 Experimente mit Daphnia magna und dem Ruderfußkrebs Calanus helgolandicus publiziert hatte, die einen endogenen 24-h-Rhythmus der vertikalen Wanderung nachweisen: Werden diese beiden Krebse im Dunkeln gehalten, zeigen sie beide über Tage hinweg einen klaren 24-h-Rhythmus in der Auf- und Abbewegung. Selbst bei konstantem Licht wird ein Bewegungsrhythmus beobachtet. Damit stellte Harris die von Esterly bei Acartia vermuteten endogenen Rhythmen auf eine solide wissenschaftliche Grundlage und widerlegte Russells Konzept von Licht als dem ultimate decider der vertikalen Wanderung.

11.6 Die molekulare Uhr In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts suchten mehrere Forscher bei tierischen Planktonorganismen nach den bei Drosophila und den Säugetieren nachgewiesenen Uhren-Genen. Und letztlich war die Suche nach diesen Genen auch bei Zooplankton erfolgreich. Exemplarisch für derartige Studien soll hier eine 2017 erschienene Arbeit von N. Sören Häfker und Kollegen vorgestellt werden. Abb. 11.1 zeigt eine Ultraschall-Doppler-Profil-Strömungsmessung in einem Fjord an der ­ schottischen Westküste. Man erkennt eine ausgeprägte 24-h-Rhythmik der vertikalen Wanderung des Zooplanktons. An diesem Ort sind das vor allem Ruderfußkrebse der Art Calanus finmarchicus. Fängt man einige davon, sieht man, dass sie selbst im Aquarium mit einem circadianen Rhythmus vertikal wandern. Noch interessanter ist die Beobachtung, dass der Sauerstoffverbrauch, also ein Maß der Stoffwechselaktivität, ein paar Stunden vor

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dem energetisch aufwendigen Aufsteigen ein Maximum erreicht. Das ist typisch für circadian kontrollierte Vorgänge: Die Uhr erahnt, was in Kürze gebraucht werden wird. Die Stoffwechselaktivität wird zuerst hochgefahren, um den anschließenden Aufstieg energetisch zu unterstützen. Abb. 11.4a zeigt eindrücklich, wie das clock-Gen (codiert das A ­ktivator-Protein Clock) bei Tagesbeginn aktiviert wird und das period1-Gen (codiert das Inhibitor-Protein Period1) erst gegen das Ende des Tages angedreht wird (Abb. 11.4c), so wie das bei anderen Organismen der Fall ist. Diese Ergebnisse stammen von im Labor gehaltenen Krebsen; aber selbst im Meer gefangene Individuen zeigen ein circadianes Muster der Aktivität für die clock- und period1-Gene, sowohl im flachen als auch im tiefen Wasser (Abb. 11.4b, d). Dieser Nachweis der Uhren-Gen-Oszillation im natürlichen Umfeld ist deshalb wichtig, weil er ausschließt, dass die im Aquarium

Abb. 11.4  Zeitliches Aktivitätsmuster der Uhren-Gene clock (clk) und period1 (per1) in Calanus finmarchicus. Stadium V im Aquarium (a und c) und im Meer (b und d). Die durchgezogenen Linien in (b und d) bedeuten 5 bis 50 m Tiefe, gestrichelte Linien entsprechen 50 bis 150 m Tiefe. In allen vier Diagrammen erkennt man deutlich einen Rhythmus der Genaktivität. Im Aquarium wurde Calanus zuerst einem Hell-Dunkel Zyklus ausgesetzt (schwarze und weiße Balken) und Mitten in der Nacht (vertikale gestrichelte Linie) in konstante Dunkelheit verbracht. Die grauen Balken in (a) und (c) bedeuten, dass die circadiane Uhr diese Zeitspannen als Tag betrachtet, obwohl die Tiere sich im Dunkeln befinden. In der Natur (b, d) erkennt man ebenfalls einen Rhythmus beider Uhren-Gene sowohl in der Tiefe wie auch weiter oben im Meer. (Nach Häfker et al. 2017, S. 2197; mit freundlicher Genehmigung von © Elsevier Inc. 2017. All Rights Reserved)

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beobachteten Rhythmen Artefakte sind. Diese Studien ziehen nun vielleicht einen Schlussstrich unter die beinahe 100 Jahre dauernde Kontroverse zur autonomen Steuerung der tagesperiodischen vertikalen Wanderung in Gewässern. Es gibt tatsächlich einen physiologischen Rhythmus im Organismus, nämlich die circadiane Uhr.

11.7 Ausblick Aus der Sicht der Chronobiologie ist es erfreulich, dass die sehr umfangreichen Migrationsbewegungen in den Ozeanen und in den Binnengewässern als unter Kontrolle der circadianen Uhr erkannt wurden. Wie genau das Uhrwerk sich in die Mechanismen der Bewegung einbringt, ist eine weiterhin offene spannende Frage. Werden aktive Schwimmbewegungen reguliert, oder wird möglicherweise der Auftrieb des Planktons mittels Uhren-gesteuerter Ionenpumpen bewirkt? Wie in anderen Kapiteln schon diskutiert, koordiniert die circadiane Uhr die Aktivität von hunderten von Genen, die praktisch in jeden Aspekt der Physiologie eines Organismus eingreifen. Damit wird impliziert, dass die circadiane Uhr nicht bloß die Motilität des Planktons reguliert, sondern auch viele andere Aufgaben, mit denen das Plankton in den diversen Tiefen konfrontiert wird. Die Nahrungsaufnahme findet ja primär in oberen Wasserbereichen statt, entsprechend müsste die Fähigkeit, Futter zu finden, aufzunehmen und zu verdauen, zu diesem Zeitpunkt optimal sein. Plankton ist Teil einer Nahrungskette. Diese beginnt mit dem pflanzlichen Plankton und führt über das Zooplankton zu Fischen und Meeressäugern. Auf die Bedeutung des Räuber-Beute-Mechanismus in dieser Nahrungskette wurde schon hingewiesen. Es ist recht unwahrscheinlich, dass Ruderfußkrebse bewusst einem Bachsaibling nach unten schwimmend ausweichen. Vielmehr ist das Vermeiden, gefressen zu werden, mittels der inneren Uhr der Beute vorprogrammiert. Die circadiane Uhr steuert das Meidungsverhalten automatisch und autonom. Es gibt kein Fluchtverhalten, wie es bei Katz und Maus der Fall ist. In jeder Schicht von Plankton, die man mittels Netzfang sondiert, befindet sich eine große Artenvielfalt. Diese eingefangene Diversität repräsentiert eine Momentaufnahme eines Ökosystems, in dem Beziehungen zwischen den beteiligten Arten bestehen. Die Situation erinnert an unseren eigenen Körper in dem vielerlei Typen von Zellen und Geweben zusammenkommen und miteinander kommunizieren müssen. Circadiane Uhren sind an dieser Kommunikation beteiligt. Damit aus dem Gemisch von

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­ inzelinteressen in ein paar Kubikmetern Ozean ein gemeinsamer LebensE raum entsteht, könnten Uhren einen wichtigen Beitrag leisten. Dies alles zu erforschen ist durchaus möglich.

11.8 Zusammenfassung Es hat lange gedauert, bis die vertikale Wanderung von Zooplankton als Manifestation der circadianen Uhr akzeptiert wurde. Das mag teilweise daran liegen, dass Laborexperimente mit diesen Organismen nicht üblich waren. In der Weite und Tiefe der Ozeane ist die Erforschung physiologischer Prozesse jedoch weiterhin eine enorme Herausforderung. Offensichtlich haben viele Meeresbiologen deshalb noch nicht ausreichend Notiz von angrenzenden Bereichen der Biologie genommen. Bei Pflanzen und Insekten war das Vorhandensein endogener Tagesrhythmen Mitte der 1930er-Jahre weitgehend akzeptiert, obwohl man die dahinterstehenden Mechanismen noch gar nicht verstand. So vermutete Esterly einen nicht weiter beschriebenen physiologischen Rhythmus, und Pflanzenphysiologen wie Erwin Bünning implizierten periodische Änderungen der Kohlendioxidkonzentration, was Auswirkung auf den Stoffwechsel hat. Retrospektiv betrachtet zielten diese Gedanken und die dahinterstehenden Experimente durchaus in die richtige Richtung, denn circadiane Uhr und Energiestoffwechsel sind – wie wir heute wissen – aufs Engste miteinander verwoben (Kap. 8).

Literatur Wissenschaftliche Orginalliteratur Esterly CO (1907) The reactions of Cyclops to light and to gravity. Am J Physiol 18:47–57 Esterly CO (1911) Diurnal migrations of Calanus finmarchicus in the San Diego region during 1909. Int Rev d ges Hydrobiol Hydrogr 4:140–151 Esterly CO (1917) The occurrence of a rhythm in the geotropism of two species of plankton copepods when certain recurring external conditions are absent. Univ Calif Publ Zool 16:393–400 Esterly CO (1919) Reactions of various plankton animals with reference to their diurnal migrations. Univ Calif Publ Zool 19:1–83

11  Die circadiane Uhr im Ozean: Regulation der Planktonwanderung     187

Forel FA (1882) Pelagrische Fauna der Süßwasserseen. Biologisches Centralblatt 2:299–305 Gliwicz MZ (1986) Predation and the evolution of vertical migration in zooplankton. Nature 320:746–748 Gehring W, Rosbash M (2003) The coevolution of blue-light photoreception and circadian rhythms. J Mol Evol 57:286–289 Harris JE (1963) The role of endogenous rhythms in vertical migration. J Mar Biol Ass U K 43:153–166 Häfker NS, Meyer B, Last KS, Pond DW, Hüppe L, Teschk M (2017) Circadian clock involvement in zooplankton diel vertical migration. Current Biol 27:2194–2201 Nicholls AG (1933) On the biology of Calanus finmarchicus. III. Vertical distribution and diurnal migration in the Clyde Sea area. J Mar Biol Ass U K 19:139–164 Russell FS (1927) The vertical distribution of plankton in the sea. Biol Reviews 2:213–262

Weitere Literatur Bünning E (1935) Zur Kenntnis der endonomen Tagesrhythmik bei Insekten und bei Pflanzen. Ber. Deutsch Bot Gesell 53:594–623 Bünning E (1973) Die physiologische Uhr, 3. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg, New York Juday C (1903) The diurnal movement of plankton crustacean. Transactions of the Wisconsin Academy of Sciences Arts and Letters 14:534–568 Menke H (1911) Periodische Bewegungen und ihr Zusammenhang mit Licht und Stoffwechsel. Pflüger’s Arch 140:37–91 Naylor E (2010) Chronobiology of marine organisms. Cambridge University Press, New York Remmert H (1965) Biologische Periodik. In: Bertalanffy L, Gessner F (Hrsg) Handbuch der Biologie, vol 5. Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, Frankfurt, S 335–411 Rensing L (1973) Biologische Rhythmen und Regulation. Verlag, VEB Gustav Fischer, Jena Thorson G (1971) Life in the sea. McGraw – Hill Book Co, New York Weismann A (1876) Das Thierleben im Bodensee. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 7:132–161

Nachwort

Die biomedizinischen Wissenschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen enorme Fortschritte gemacht. Neue technische Entwicklungen – z. B. bei der Herstellung von genetisch veränderten Organismen, der Gensequenzanalyse, der Mikroskopie und der computergestützten Datenverarbeitung – ergaben ein immer tieferes und detaillierteres Verständnis dessen, was da im Maschinenraum des Lebens alles geschieht. Die Chronobiologie, vor allem die circadiane Rhythmik, ist ein Paradebeispiel dafür, was neue Techniken für den Gewinn von Erkenntnis bedeuten. Zwar wurden schon vor 50 Jahren Rhythmen des Verhaltens und der physiologischen Vorgänge beobachtet; doch wie diese Rhythmen entstanden, blieb ein Rätsel. Heute dagegen lassen sich die meisten von circadianen Uhren gesteuerten Vorgänge gänzlich verstehen – und das nicht nur bei Menschen und anderen Wirbeltieren, sondern auch bei Pflanzen, Pilzen und Blaualgen. Unser Verständnis hat in dieser Zeitspanne einen für die experimentellen Wissenschaften typischen Reifeprozess durchlaufen. Zuerst waren da die bahnbrechenden Entdeckungen in den 1960er- und 1970er-Jahren. Sie beruhten meist auf herkömmlichen Methoden. Beispiele sind der Nachweis innerer Uhren beim Menschen durch Jürgen Aschoff, die Entdeckung des suprachiasmatischen Kerns des Hypothalamus als Sitz der Zentraluhr der Säugetiere und die Charakterisierung der ersten Uhrengene bei der Fruchtfliege durch Ron Konopka und Seymour Benzer. Um noch weiter fortzuschreiten, brauchte es zunächst neue technische Entwicklungen, ehe das Fachgebiet wieder Fahrt aufnahm. Die goldenen Zeiten der Chronobiologie waren dann sicher die späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre: © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7

189

190     Nachwort

Die Methoden zur Gensequenzierung wurden besser, und es kamen Techniken zur genetischen Veränderung von Fliegen und Mäusen auf. Weil das die Uhren-Gene zu verschiedenen Tageszeiten aktiv sind, war z. B. die Anwendung von In-situ-Hybridisierung und der quantitativen Polymerase-Kettenreaktion angesagt. Sie erst ermöglichten es, die ­ wichtigsten U ­ hren-Gene bei Säugetieren und anderen Organismen zu identifizieren und deren Funktion und Zusammenspiel in der biologischen Zeitmessung zu charakterisieren. Die – wie so oft leicht verspätete – Krönung dieser Ära war die Verleihung des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin im Jahr 2017 an die drei Amerikaner Michael Rosbash, Jeffrey C. Hall und Michael W. Young, die mit ihren umfangreichen Arbeiten an der Fruchtfliege Drosophila das Fundament für die Entschlüsselung des molekularen Uhrwerks gelegt hatten. Der bis dato letzte große Durchbruch in der Uhrenforschung war sicher die Entdeckung und Charakterisierung Hunderter uhrenkontrollierter Gene, die hinter der zeitlichen Steuerung von Dutzenden Prozessen in den verschiedensten Geweben des Körpers stehen. Dieser Sprung gelang mit Hochdurchsatzmethoden zur Charakterisierung der Genaktivität, wie etwa die Microarray-Analyse und die nun weit häufiger eingesetzte ­RNA-Sequenzierung. Allerdings beobachten wir im Kernforschungsbereich der circadianen Rhythmik eine gewisse Konsolidierung. Nur noch ganz selten wird von einem neuen Uhren-Gen berichtet, und welcher Anteil unserer Gene in zumindest einem der vielen Gewebe rhythmisch reguliert ist, mag sicher nur noch echte Spezialisten ernsthaft vom Hocker reißen. Kann man also sagen, dass die Chronobiologie ihre Blütezeit bereits hinter sich hat und wir uns jetzt wichtigeren und drängenderen Themen zuwenden sollten? Ein Abgesang wäre sicher verfrüht! Es ist doch vielmehr so, dass das durch die Charakterisierung des molekularen Uhrwerks gewonnene Wissen erst jetzt auch für andere wissenschaftliche Disziplinen und die Medizin nutzbar geworden ist. Fast wöchentlich erscheinen neue Berichte dazu, welche Rolle die circadiane Uhr in wichtigen anderen Lebensprozessen spielt – von der Gedächtnisfunktion bis hin zur Knochenbildung. Über einige davon haben wir im zweiten Teil dieses Buches ausführlicher berichtet. In der Medizin sickert zudem so langsam die Erkenntnis durch, dass es durchaus nicht egal ist, zu welchem Tageszeitpunkt ein Medikament verabreicht wird. Auch der Einfluss der (inneren) Tageszeit bei der Diagnose und Prävention von verschiedensten Erkrankungen gewinnt immer mehr Beachtung. Nur ein Beispiel: Ein Blut-Cortisolwert von 50 nmol/L liegt deutlich unter dem Referenzwert von ca. 100 bis 600 nmol/L für gesunde

Nachwort    191

Erwachsene. Leide ich mit einem solchen Wert nun an zu wenig Cortisol, also einer defekten Cortisolproduktion? Das hängt tatsächlich ganz davon ab, wann der Cortisolwert gemessen wurde. Am Morgen wäre der Wert sicher zu niedrig, am Abend jedoch deutlich zu hoch, also eher ein Zeichen von zu viel Cortisol, einer Cortisolüberproduktion. Ursache dafür könnte z. B. Stress sein. Solche Verwirrungen lassen sich aus chronomedizinischer Sicht leicht vermeiden, und beim Cortisol ist das schon lange gängige Praxis. Hier wird normalerweise die Blutprobe immer am frühen Morgen um 8 Uhr herum abgenommen. Viele Menschen in der modernen Gesellschaft leiden unter Chronodisruption, also einer Störung ihrer natürlichen circadianen Rhythmik. Klassische Beispiele sind Schichtarbeiter, aber auch Jugendliche, die Tag für Tag entgegen ihrer inneren Uhr früh am Morgen in die Schule taumeln. Was das für den Körper auf Dauer bedeutet und wie es zur Entwicklung von Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und Typ-2-Diabetes beiträgt, erforschen viele Chronobiologen und -mediziner ganz aktuell. Hier werden in den kommenden Jahren sicher viele neue Ansätze entwickelt, mithilfe derer auf der Grundlage der in diesem Buch vorgestellten Forschungsergebnisse neue Therapien entwickelt und alte Behandlungsmethoden chronobiologisch optimiert werden können – from bench to bedside, wie wir Wissenschaftler gerne sagen. Es gibt also noch einiges zu tun, und das Feld der Chronobiologie ist sicher noch nicht abgeerntet. Vermutlich gibt es neben der anwendungsbezogenen Zukunft auch auf dem Gebiet der chronobiologischen Grundlagenforschung noch einiges zu entdecken. Der amerikanische Krebsforscher Yuri Lazebnik hat vor 18 Jahren einmal einen provokativen Essay verfasst mit dem Titel „Can a biologist fix a radio?“ – „Kann ein Biologe ein Radio reparieren?“. Er hat dort auf recht unterhaltsame Weise beschrieben, wie unterschiedlich Biologen und Ingenieure an komplexe Zusammenhänge herangehen. Fazit: Biologen sind sehr gut darin, die Dinge auseinanderzunehmen – hier ein Enzym hemmen, da ein Gen mutieren – und so die für den Lebensvorgang notwendigen Teile zu identifizieren. Eine Handvoll Metallteile machen aber noch keinen Mähdrescher, und beim Identifizieren der Teile, die reichen, damit das System funktioniert, geraten Biologen schnell an ihre Grenzen. Hier braucht es den Ingenieur, der aus den Einzelteilen die funktionierende Maschine zusammensetzt. In der Chronobiologie ist es uns erfolgreich gelungen, viele wichtige Teile der inneren Uhr – die Uhren-Gene und die zugehörigen Proteine – zu identifizieren und charakterisieren. Welche davon aber wirklich für eine rudimentäre Uhr benötigt werden, wissen wir nicht. Hier setzt ein spezieller Zweig der

192     Nachwort

Naturwissenschaft an, die synthetische Biologie. Hier nehmen Wissenschaftler die Bauteile der Zelle, die Gene und Proteine, und basteln daraus biologische Maschinen. Eine Uhr bietet sich als Ziel für ein solches Projekt geradezu an. Vielleicht können wir irgendwann solche biologischen Uhren bauen, vielleicht mit unterschiedlichen Laufzeiten. Vielleicht können diese synthetisch-biologischen Uhren sogar mit denen unseres Körpers kommunizieren, sie in ihrer Funktion unterstützen oder über einen Zeitabgleich ganz gezielt Wirkstoffe freisetzen. Womöglich lassen sich so chronische Krankheiten effektiv und mit minimalen Nebenwirkungen lindern oder sogar dauerhaft heilen. Das wird noch dauern aber erste Schritte sind getan, wie ein bekannter Werbespot des Esso-Konzerns der 1980er Jahre dies treffend zusammenfasst: „Es gibt viel zu tun – packen wir’s an.“

Literatur Weitere Literatur Lazebnik Y (2002) Can a biologist fix a radio? – or, what I learned while studying apoptosis. Cancer Cell 2:179–182 Levi F, Schibler U (2007) Circadian rhythms: mechanisms and therapeutic implications. Annu Rev Pharmacol Toxicol 47:593–628

Stichwortverzeichnis

In diesem Buch werden Namen von Genen kursiv und klein gedruckt. Proteinnamen sind in normaler Schrift und mit dem ersten Buchstaben als Großbuchstaben aufgeführt. A

Acartia clausi 181 Acartia tonsa 181 Acker-Schmalwand 97 Adaptives Immunsystem 160 Adenosinmonophosphat (AMP) 147 Adenosintriphosphat (ATP) 77 Aktivator 43 Aktivator-Protein 53 Aktivitätsphase 7 Aktogramm 7, 21, 47 Albrecht, Urs 37, 41 Allel 24, 86 Allergie 118 Alterungsprozesse 105 Alzheimer-Krankheit 143 Amplitude 5 Angeborenes Immunsystem 159 Antibiotika 168 Antigenpräsentierende Zelle 166 Antikörper 160 Antikörperspiegel 161 Apallisches Syndrom 142 Appetitkontrolle 135 Arabidopsis thaliana 97 Arzneimittel-Target 12

Aschoff, Jürgen 13, 127 Asthma 159 ATP 77 ATPasen 80 Autoimmunerkrankung 118 Autophosphorylierung 77 B

Bang box 19 Bass, Joseph 99, 128, 132 Bauchspeicheldrüse 99, 129 Beadle, George 83 Benzer, Seymour 18 Betazellen 129 Bewusstsein 139 Biolumineszenz 61, 62 Blattbewegung 125 Blaualgen 71 Blutdruck 5 Blutzuckerspiegel 129 Bmal1 49, 57, 59 Borbély, Alexander 146 Born, Jan 161 Bradfield, Christopher A. 59, 95 Bradley, Alan 42

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Eichele und H. Oster, Auf der Suche nach der biologischen Zeit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61544-7

193

194     Stichwortverzeichnis

Brandt, William 84 Brown, Steve 108 Bruce, Victor 85 Bünning, Erwin 13 B-Zellen 160

Cycle 46, 53, 61 Cytochrom P450 2E1 107 Cytochrom Familie 7a, Mitglied 1 102 D

C

Caenorhabditis elegans 140 Calanus finmarchicus 179 Calanus helgolandicus 183 Casein kinase 1 88 Chemische Mutagenese 18 Chemochronotherapie 101 Chemotherapeutika 101 Chiasma opticum 112 Chromatin 54 Chronobiologie 5 Chronodiät 106 Chronodisruption 117 Chronogenom 107 Chronoimmunologie 159 Chronometabolismus 130 Chronomics 107 CikA 81 Circadian input kinase A 81 circadian locomotor output cycles kaput 46 Circadiane Uhr 4 Clock-Bmal1-Heterodimer 58, 60 clock-Box 88 clock-Gen 46, 184 clock-Mutation 46 Clock-Protein 53, 55 Colitis 167 Copepode 176 Cortisol 4, 105 Cre-loxP-Rekombinations-System 132 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 142 Crosthwaite, Susan 88 Cryptochrome 43, 66, 175 Cryptochrome-Protein 68 Cyanobakterien 71

D-Box 102 d’Ortous de Mairan, Jean-Jacques 125 Daan, Serge 148 Dämpfung 10 Daphnia magna 182 Darmerkrankung, entzündliche 162 Darmkrebs 107 Darwin, Charles 126 DD 8, 98 Dem-Räuber-entfliehen 174 Dendritische Zelle 160 Depression 126 Diabetes 121 Diabetes mellitus 129 Diät 135 Diel vertical migration 173 Dodge, Bernard O. 83 Domäne 80 Dominante Vererbung 45 Doppelplot-Aktogramm 7 Double doughnut 80 Drosophila melanogaster 18, 23, 97 Drosophila pseudoobscura 18 Drug targets 101 Dunlap, Jay C. 85, 86 E

E-Box 55, 102 Edgar, Dale 148 Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese 83 Elektroenzephalogramm 149 Elinav, Eran 169 Embryonale Stammzellen 42, 59 Endotoxin 165 Energiestoffwechsel 97, 128 Entkopplung 121

Stichwortverzeichnis    195

entrainment 9, 112 Enzephalopathie, spongiforme 142 Esterly, Calvin O. 177 Ethylmethansulfonat 19 Ethylnitrosoharnstoff 44 Euchromatin 99 Extravasation 164 F

Farsenoid-X-Rezeptor 102 Fastenphase 121 Feldman, Jerry 85 Fettgewebe 105, 121, 129 Fettleber 103 Fettsäure 121 FGF-21 133 Forel, Francois-Alphonse 175 Fortpflanzung 127 Foster, Russell 113 Franken, Paul 148 Freilauf 8 Freilaufbedingungen 9 Frequency-Protein 87 FRQ 87 FRQ-interacting RNA helicase 88 frq-1 86 frq-2 86 frq-3 86 Fuchs 128 Futterrhythmus 121 G

Gallensäurestoffwechsel 103 Ganglienzellen 112 Gedächtniskonsolidierung 154 Gedächtniszellen 160 Gehring, Walter 175 Gen-Atlas 97 Gen-Namen 46 Gen-Rhythmen 98 Gene aktivieren 54

Genetische Kartierung 25 Genom 100 Gensequenz 27 Gewichtskontrolle 106 Gibbs, Julie 164 Gift 159 Glucose 121 Glukokortikoid 12, 118 Glukokortikoidrezeptor 105 Glutamin 121 Glymphatisches System 143 Golden, Susan 74, 75 Grippevirus 161 Grobbelaar, Nathanael 73 Großer Wasserfloh 182 H

Häfker, N. Sören 183 Halberg, Franz 13 Hall, Jeffrey 26–28, 51, 60 Hamster 115 Hardin, Paul E. 51 Harmer, Stacey 97 Harris, John E. 183 Hastings, Woody 75, 86 Hattar, Samer 113 heatmap 103 Hefe-Zwei-Hybrid-System 56 Helix-Loop-Helix-Region 49, 55 Hemmer 43 Hensen, Victor 173 Hepatitis A 161 Herz 98 Heterochromatin 99 Heterodimer 56 HLH 49, 56 Hochfettdiät 130, 135 HLH-PAS-Transkriptionsfaktoren 49 Hogenesch, John 95 Homöostat 140 Horowitz, Norman 85 Huang, Tan-Chi 72

196     Stichwortverzeichnis

Hypocretin 144 Hypothalamus 144 I

Idothea tricuspidata 181 Immunologische Synapsen 166 Immunsystem 105, 159 Immunzellbeweglichkeit 163 Impfen 160 In-situ-Hybridisierung 37, 122 Infektionen 159 infradiane 8 Insulin 129 Insulinresistenz 121 Intervallfasten 105 Intrinsisch photorezeptive Ganglienzellen 112 Inzuchtstämme 118 Ishiura, Masahiro 74 Isolation 127 J

Jetlag 1, 111 Johnson, Carl 74 K

KaiA 77, 133 KaiB 77, 134 KaiC 77, 133 Kalmus, Hans 13 Kalorimetrie 129, 131 Kapillare 129 Kataplexie 145 Kay, Steve 60, 75, 97 Kernpromoter 55 Kinase 81 Koaktivatoren 55 Kondo, Tako 74

Konidien 84 Konopka, Ronald 18, 26, 28 Konstante Dunkelheit 7, 98 Konstante Routine 9 Kontrollbereich 54 Kopplung 119 Krebs 118, 126 Kryoschlaf 147 Kurzzeitgedächtnis 154 L

Lange, Tanja 161 Langzeitgedächtnis 153 Läsion 116 Laufrad 7, 42 Laufradaktogramm 128 LD 7 Leber 98, 129 Leberuhr 103 Leberzellnekrose 107 Lee, Cheng-Chi 36, 147 Leptin 133 Lernen 153 Lernvermögen 105 Lethargus 140 Lichtrhythmus 7 Lipid 121 Liquor 143 LL 73 Locus coeruleus 144 Loros, Jennifer J. 87 Loudon, Andrew 164 Lucas, Rob 113 Luciferase 10, 61, 75, 120 Luciferin 61, 120 Luminometer 61 Lunge 164 Lupus 169 Lymphknoten 166

Stichwortverzeichnis    197 M

Magische Grille 8 Makrophagen 160 Massenspektrometrie 107 Maus 37, 41, 97 McKnight, Steven 148 Medikamentengabe 101 Melanopsin 113 Melanopsin-Ganglienzellen 151 Melatonin 4, 105 Menaker, Michael 115 Menet, Jerome 105 Menke, Heinrich 181 Metabolisches Syndrom 130 Metaboliten 108 MHC-Komplex 160 Microarray 96 Mikrobiom 168 Millar, Andrew 75 Morgan, Thomas H. 83 Multiple Sklerose 170 Muskel 129 Mutagenese-Experiment 19

Neurospora crassa 71, 83 Neurospora sitophila 83 Neurotransmitter 117 Neutrophile 164 Next generation sequencing 100 Nitrogenase 73 Nitrogenase-Rhythmik 75 nocturnal 115 Non-24 113 Non-alcoholic fatty liver disease (NAFLD) 103 Nucleus suprachiasmaticus 37–39, 59, 98, 111 Nukleotidsequenz 26 O

O’Neill, John 134 Oïdium aurantiacum 83 Okamura, Hitoshi 66 Orexin (ORX) 144 Ozeanische Cyanobakterien 82 P

N

nachtaktiv 119 Nächtliches-Essen-Syndrom 130 Nachtschichtarbeiter 118 Nahrungsaufnahme 128 Narkolepsie 145 Nebenniere 120 Nebenwirkung 101 Nedergaard, Maiken 143 Negative Rückkopplung 43, 53, 60, 77, 88 Nekrose 129 Netzhaut 112 Netzwerk 111 Neurogenetik 18

Panda, Satchin 105 Paracetamol 107 Parasitenbefall 164 PAS-Region 31, 36, 49, 55, 88 Pdx1 99 period 17, 24 period-Gen 17, 25, 31, 35 period-Mutantion 23, 41 Period-Protein 30 period1 41, 42, 184 period2 41, 42 period3 41 period1/period2-Doppelmutanten 43 Periode 116 Periodenlänge 8, 9, 20, 45

198     Stichwortverzeichnis

Peroxiredoxin 134 Phasenlage 8 Phasenverschiebung 7 Photosynthese 72 Pionierfaktor 99 Pittendrigh, Colin 13, 85 Plankton 173 Planktonnetz 178 Polymerasekettenreaktion 40 prä-mRNA 54 Prolactin 105 Proteoglycan-Proteine 31 Provencio, Ignacio 113 Prozess C 146 Prozess S 146 Punktmutation 19, 44 Pupillenreflex 114 R

Race tubes 83 Ralph, Martin 115 Räuber 126 RecA-Protein 82 Reddy, Akilesh 134 Redoxstatus 148 Redoxzyklen 134 Regenwürmer 126 Regulator of phycobilisome-associated A 81 Rektaltemperatur 2 REM (rapid eye movement)-Schlaf 155 Reportermaus 120 RevErb 65 reverb-Gen 65 Reverse Genetik 44, 59, 76 Rheuma 118, 168 Rheumatoide, Arthritis 159 Rhythmen 5, 6

rigui 40 Rinderwahn (BSE) 142 RNA Polymerase II 54, 55 Robles, Charo 108 RORE-Regulator-Sequenz 102 Rosbash, Michael 27, 51, 60, 175 Rote, Blutkörperchen 134 RpaA 81 Ruderfußkrebs 178 Ruhephase 7 Russell, Frederick S. 180 S

Sancar, Asiz 148 SasA 81 Sauerstoff 129 Sauerstoffverbrauch 131 Schachtassel 181 Schibler, Ueli 118 Schichtarbeit 121 Schlaf-Apps 139 Schlaf-Wachrhythmus 108 Schlafbedarf 141 Schlafdruck 146 Schlafen 139 Schlafforschung 150 Schlafhomöostat 140 Schlafinduktion 153 Schlafkonsolidierung 147 Schlaflosigkeit 142 Schlaganfall 159 Schlüpfrhythmus 20 Schrittmacher 111 Schultz, Peter 95 SCN 37, 60, 97 Seasonal affective disorder 113 Sekundäre ccgs 102 Sina, Christian 162

Stichwortverzeichnis    199

Smartphone-App 106 Smartwatch 6 Sommerzeitumstellung 162 Stäbchen 113 Stammzellen 42 Storch, Kai-Florian 98 Stress 126 Stressantwort 105 Stromatolithen 72 Subjektive Nacht 8 Subjektiver Tag 8 Synapse 108 Synaptic downscaling-Theorie 142 Synchronisation 112 Synechococcus adaptive sensor A 81 Synechococcus elongatus 71 Systemische Faktoren 104

Tumor 101 Turek, Fred W. 128 Typ-1-Diabetes 129 T-Zellen 160 U

Übergewicht 121 Überlebensrate 101 Uhren-Gen 31 Uhrenkontrollierte Gene 95 ultradian 8 ­Ultraschall-Doppler-ProfilStrömungsmesser 173 Urinmetaboliten 2 UV-Strahlung 174 V

T

Tafti, Mehdi 148 tagaktiv 119 Tageslicht 113 Takahashi, Joseph S. 44, 58, 59, 95, 120 Tatum, Edward 83 tau-Mutante 115 Tei, Hajime 40 Testosteron 105 TH17-Zellen 166 Timeless 62 Torpor 147 Transformanten 27, 28 Transkription 54 Transkriptionsfaktoren 99, 102 Transkriptom 96 Translation 54, 107 Transplantation 116

Vektor 27 Ventrolateraler präoptischer Nukleus 144 Vertikalwanderung 173 Volkow, Nora 143 Vorwärts-gerichtete Genetik 44 W

WC-1/2 heterodimer Komplex 88 WC-1-Protein 88 WC-2-Protein 88 Weismann, August 175 Weitz, Charles J. 56, 58, 98 white collar-1-Gen 88 white collar-2-Gen 88 Wildtypen 20 Winterdepression 113 Wisor, Jonathan 148

200     Stichwortverzeichnis Y

Yau, King-Wai 113 Young, Michael 28, 62 Z

Zapfen 113 Zeitgeber 117 Zeitzonen 9

Zerebrospinalflüssigkeit 143 Zirbeldrüse 117 Zucker 129 Zuckerkrankheit 121 Zwei-Prozess-Modell 146