Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten 9783161603686

Mit dem ersten Weltkrieg brach die Geschichte in das Vertragsrecht ein. Die Gerichte waren in einer epidemischen Vielzah

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German Pages 490 [494] Year 2022

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Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
Einleitung
Erster Teil: Der Rechtsprechung vorgegeben
Kapitel I. Die Antipoden des Leistungsstörungsrechts
1. Die Deduktion der Unmöglichkeit bei Friedrich Mommsen
a) Das Unmögliche
b) Die Nichtigkeit des Vertrages
c) Der Untergang der Verpflichtung
Zusammenfassung
2. Die analytische Obligationenlehre Gustav Hartmanns
a) Der Imperativ
b) Bei Vertragsschluß vorliegende Hindernisse
c) Nach Vertragsschluß auftretende Hindernisse
Zusammenfassung
3. Ein erster Blick auf Windscheid
Kapitel II. Der Lösungsvorschlag des Gesetzgebers
1. Der Teilentwurf von Franz Ph. F. v. Kübel
a) Die vertragliche Verpflichtung
b) Folgerungen für die Nichtleistung
c) Folgerungen für die Gattungsschuld
Bilanz: Teilentwurf
2. Der Entwurf der Ersten Kommission
a) Die Leistungserschwerung
b) Der Leistungsbegriff
Bilanz: Erster Entwurf
3. Der Entwurf der Zweiten Kommission
a) Leistungspflicht und Unmöglichkeit
b) Leistungspflicht nach Treu und Glauben
c) Die Rückkehr der subjektiven Unmöglichkeit
Bilanz: Zweiter Entwurf
4. Der Dritte Entwurf
5. Das Bürgerliche Gesetzbuch
Kapitel III. Die Lösungsvorschläge der Literatur
1. Die immanente Begrenzung der Leistungspflicht
a) August Ubbelohde
b) Feodor Kleineidam
c) Wilhelm Kisch
d) Rezeption
Erste Zwischenbilanz
2. Die gesetzliche Begrenzung der Leistungspflicht
a) Heinrich Titze
b) Der Systembegriff der Unmöglichkeit
c) Der Systembegriff des Unvermögens
d) Hans Albrecht Fischer
Zweite Zwischenbilanz
3. Eigenständige Haftungstheorien
a) Heinrich Siber
b) Paul Krückmann
c) Friedrich Endemann
d) Rezeption
4. Reine Billigkeitslösungen
Resümee
Zweiter Teil: Der Rechtsprechung aufgegeben
Kapitel I. Das Prinzip der wirtschaftlichen Individualfreiheit
1. Der Grund der Vertragsbindung
a) Die Versprechenstreue
b) Natürliche Freiheit und Nützlichkeit
c) Die Selbstbindungskraft des freien Willens
Ein Ausblick: Die Bindungsgrenzen des freien Willens
2. Selbstbeschränkung des Willens: Die Voraussetzungslehre
a) Die Voraussetzung
b) Das Vorausgesetzte
c) Rezeption der Voraussetzungslehre
3. Ergänzung des Willens: Rebus sic stantibus
a) Partielle Anwendungsbereiche der clausula rebus sic stantibus
b) Die Dekonstruktion der clausula rebus sic stantibus (insbes. im ALR)
Der Endzweck beider Teile (§ 378, I, 5 ALR)
Der einseitige Parteizweck (§ 380, I, 5 ALR)
Zusammenfassung
c) Die Rekonstruktion der clausula rebus sic stantibus
Kapitel II. Das Prinzip der wirtschaftlichen Gerechtigkeit
1. Äquivalenzkontrolle
a) Die laesio enormis
b) Der Wucher
c) Subjektive und funktionale Äquivalenz
2. Wirtschaftlichkeitskontrolle
a) Der Leistungswert: Der Erfolg auf seiten des Gläubigers
b) Die Leistungsopfer: Die Lasten auf seiten des Schuldners
c) Die Allokation: Das gesellschaftliche Interesse an der Effektivität
3. Sittlichkeitskontrolle
a) Die schlichte Ergebniskontrolle
b) Die Wende zur Sittlichkeitskontrolle
c) Die Aufnahme in der Literatur: Renaissance der Moral?
Resümee
Kapitel III. Das Prinzip der Billigkeit
1. Richter und Recht
2. Billigkeit und Recht
3. Prinzipien richterlicher Rechtsfortbildung
Dritter Teil: Die Rechtsprechung der Krisenzeit
Kapitel I. Die erste Phase: Die Rechtsprechung hält sich zurück
1. Lösung durch die Parteien?
a) Der Freizeichnungsvorbehalt und seine Grenzen
b) Der Geltungsvorbehalt der Klausel „freibleibend“
c) Die Gefahrtragungsklauseln
2. Die höchstrichterliche Begrenzung der Leistungspflicht
a) Die Leistungskosten
b) Die Konkretisierung der Erfüllungshandlung
c) Die Konkretisierung der Erfüllungszeit
3. Die höchstrichterliche Begrenzung der Gegenleistungspflicht
Bilanz der ersten Phase
Kapitel II. Die zweite Phase: Die Rechtsprechung greift kassierend ein
1. Verträge für die Nachkriegszeit: Die frustrierte Erfüllungsplanung
a) Die Baumwollverträge und der Kriegseintritt der USA
b) Die Verträge der verarbeitenden Industrie und die Revolution
c) Die Entwicklung einer originären Unzumutbarkeitslehre
2. Nachkriegsverpflichtungen: Die frustrierte Ertragsplanung
a) Der Einwand der wirtschaftlichen Existenzvernichtung
b) Die Gegenbewegung im Zeichen scheinbarer Konsolidierung
c) Die schrittweise Anerkennung des gesunkenen Geldwerts
Bilanz der zweiten Phase
3. Ein Blick auf die Nachbarländer
a) Österreich
b) Frankreich
c) Schweiz
Kapitel III. Die dritte Phase: Die Rechtsprechung greift korrigierend ein
1. Ein Sonderfall: Die Mietrechtsrechtsprechung des 3. Senats
2. Ansätze der Vertragskorrektur in Rechtsprechung und Lehre
a) Der Gedanke prästabilierter Äquivalenz
b) Eine Frage des Geldes
c) Eine Frage der Prärogative
3. Die Aufwertungsentscheidung und ihre Folgen
a) Die politischen Folgen
b) Die Opposition aus der Richterschaft
c) Die zivilrechtlichen Folgen
Ausblick
Quellen- und Literaturverzeichnis
Entscheidungsregister
Personen- und Sachregister
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Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten
 9783161603686

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Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts herausgegeben von Knut Wolfgang Nörr, Joachim Rückert, Bernd Rüthers und Michael Stolleis

32

ARTIBUS

INGS„N 5«

J>9C2B AM18.0.

Jochen Emmert

Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten Die Rechtsprechung des Reichsgerichts 1914-1923

Mohr Siebeck

JocHEN EMMERT, geboren 1967; 1988-93 Studium der Rechtswissenschaften in Tübin­ gen; 1993-95 wissenschaftliche Mitarbeit an der Universität Tübingen; 1995-97 wissen­ schaftliche Mitarbeit an der Forschungsstelle für internationale Privatrechtsgeschichte in Tübingen; derzeit juristischer Mitarbeiter in einer Revisionspraxis.

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Emmert, Jochen: Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten : die Rechtsprechung des Reichsgerichts 1914-1923 / Jochen Emmert. - 1. Aufl. Tübingen : Mohr Siebeck, 2001 (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts ; 32) ISBN 3-16-147663-8 / eISBN 978-3-16-160368-6 unveränderte eBook-Ausgabe 2022

© 2001 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­ wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über­ setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektroni­ schen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0934-0955

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2000 von der rechtswis­ senschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dis­ sertation angenommen. Die Literatur ist bis Dezember 1999 berücksichtigt. Professor Dr. Dres. h.c. Nörr danke ich für eine geduldige Förderung und wohlwollende Bewertung der Arbeit. Besondere Erwähnung verdient der freundschaftliche Austausch mit Dr. Greiner, Priv. Doz. Dr. Pöggeler und F. Utz. Dem Engagement meines Vaters Jürgen Emmert verdanke ich weite­ re wichtige Anregungen. Den Herausgebern sowie dem Mohr Siebeck Verlag schulde ich Dank für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Beiträge zur Rechtsge­ schichte des 20. Jahrhunderts“. Tübingen, im Juli 2001

Jochen Emmert

Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen............................................... XI

Einleitung......................................................................................................

1

Erster Teil: Der Rechtsprechung vorgegeben

Kapitel L Die Antipoden des Leistungsstörungsrechts..............................

9

1. Die Deduktion der Unmöglichkeit bei Friedrich Mommsen.............. 10 a) Das Unmögliche.......................................................................................... 12 b) Die Nichtigkeit des Vertrages................................................................... c) Der Untergang der Verpflichtung.............................................................. Zusammenfassung.......................................................................................................

14 15

18 19 Der Imperativ............................................................................................. 20 Bei Vertragsschluß vorliegende Hindernisse........................................... 24

2. Die analytische Obligationenlehre Gustav Hartmanns.......................

a) b) c) Nach Vertragsschluß auftretende Hindernisse.......................................... Zusammenfassung.......................................................................................................

26

29 3. Ein erster Blick auf Windscheid........................................................... 30

Kapitel II. Der Lösungsvorschlag des Gesetzgebers.................................

33

1. Der Teilentwurf von Franz Ph. F. v.Kübel..........................................

36 38

a) Die vertragliche Verpflichtung................................................................. b) Folgerungen für die Nichtleistung............................................................. c) Folgerungen für die Gattungsschuld......................................................... Bilanz: Teilentwurf....................................................................................................

39 40

42 2. Der Entwurf der Ersten Kommission................................................... 43 a) Die Leistungserschwerung......................................................................... 45 b) Der Leistungsbegriff.................................................................................. Bilanz: Erster Entwurf...............................................................................................

47

48

3. Der Entwurf der Zweiten Kommission...............................................

49

a) Leistungspflicht und Unmöglichkeit......................................................... 50 b) Leistungspflicht nach Treu und Glauben................................................. 51 c) Die Rückkehr der subjektiven Unmöglichkeit......................................... 54 Bilanz: Zweiter Entwurf............................................................................................. 56

4. Der Dritte Entwurf................................................................................ 5. Das Bürgerliche Gesetzbuch................................................................

57 58

Kapitel III. Die Lösungsvorschläge der Literatur....

61

1. Die immanente Begrenzung der Leistungspflicht a) August Ubbelohde............................................ b) Feodor Kleineidam................................................... c) Wilhelm Kisch.............................................................. d) Rezeption...................................................................... Erste Zwischenbilanz.........................................................

2. Die gesetzliche Begrenzung der Leistungspflicht a) Heinrich Titze..................................................... b) Der Systembegriff der Unmöglichkeit..................... c) Der Systembegriff des Unvermögens.......................... d) Hans Albrecht Fischer.................................................. Zweite Zwischenbilanz.....................................................

3. Eigenständige Haftungstheorien......................... a) Heinrich Siber........................................................... b) Paul Krückmann........................................................ c) Friedrich Endemann...................................................... d) Rezeption...................................................................

4. Reine Billigkeitslösungen.................................. Resümee......................................................................

66 66 67 70 72 74 75 76 79 83 86 88 89 89 93 98 100 101 104

Zweiter Teil: Der Rechtsprechung aufgegeben

Kapitel I. Das Prinzip der wirtschaftlichen Individualfreiheit.................... 109 1. Der Grund der Vertragsbindung.............................................................114 a) Die Versprechenstreue................................................................................. 115 b) Natürliche Freiheit und Nützlichkeit...........................................................118 c) Die Selbstbindungskraft des freien Willens............................................... 123 Ein Ausblick: Die Bindungsgrenzen des freien Willens............................................ 132

2. Selbstbeschränkung des Willens: Die Voraussetzungslehre................ 133 a) Die Voraussetzung........................................................................................137

139 143 3. Ergänzung des Willens: Rebus sic stantibus........................... 147 a) Partielle Anwendungsbereiche der clausula rebus sic stantibus. 150 b) Die Dekonstruktion der clausula rebus sic stantibus (insbes. im ALR) 152 154 Der Endzweck beider Teile (§ 378,1,5 ALR)................................... 156 Der einseitige Parteizweck (§ 380,1,5 ALR).................................... 159 Zusammenfassung................................................................................ 159 c) Die Rekonstruktion der clausula rebus sic stantibus.................. b) c)

Das Vorausgesetzte...................................................................... Rezeption der Voraussetzungslehre............................................

Kapitel II. Das Prinzip der wirtschaftlichen Gerechtigkeit......................... 165 1. Äquivalenzkontrolle............................................................................... 171 a) Die laesio enormis....................................................................................... 178 b) Der Wucher.................................................................................................. 186 c) Subjektive und funktionale Äquivalenz..................................................... 192 2. Wirtschaftlichkeitskontrolle ................................................................... 196 a) Der Leistungswert: Der Erfolg auf Seiten des Gläubigers.........................198 b) Die Leistungsopfer: Die Lasten auf Seiten des Schuldners....................... 202 c) Die Allokation: Das gesellschaftliche Interesse an der Effektivität......... 205 3. Sittlichkeitskontrolle.............................................................................. 206 a) Die schlichte Ergebniskontrolle.................................................................. 208 b) Die Wende zur Sittlichkeitskontrolle......................................................... 212 c) Die Aufnahme in der Literatur: Renaissance der Moral?......................... 215 Resümee..........................................................................................................221

Kapitel III. Das Prinzip der Billigkeit.......................................................... 225 1. Richter und Recht...................................................................................226 2. Billigkeit und Recht............................................................................... 233 3. Prinzipien richterlicherRechtsfortbildung............................................. 238

Dritter Teil: Die Rechtsprechung der Krisenzeit

Kapitel I. Die erste Phase: Die Rechtsprechung hält sich zurück

247

1. Lösung durch die Parteien?.....................................................

251 252 258 262 266 270

a) b) c)

Der Freizeichnungsvorbehalt und seine Grenzen.................... Der Geltungsvorbehalt der Klausel „freibleibend".................. Die Gefahrtragungsklauseln......................................................

2. Die höchstrichterliche Begrenzung der Leistungspflicht...... a)

Die Leistungskosten...................................................................

b) c)

Die Konkretisierung der Erfüllungshandlung........................................... 276 Die Konkretisierung der Erfüllungszeit.................................................... 285

3. Die höchstrichterliche Begrenzung der Gegenleistungspflicht.......... 294 Bilanz der ersten Phase................................................................................ 302

Kapitel II. Die zweite Phase: Die Rechtsprechung greift kassierend ein.. 309

1. Verträge für die Nachkriegszeit: Die frustrierte Erfüllungsplanung a) Die Baumwollverträge und der Kriegseintritt der USA............................ b) Die Verträge der verarbeitenden Industrie und die Revolution................ c) Die Entwicklung einer originären Unzumutbarkeitslehre............................

2. Nachkriegsverpflichtungen: Die frustrierte Ertragsplanung......... a) Der Einwand der wirtschaftlichen Existenzvernichtung................... b) Die Gegenbewegung im Zeichen scheinbarer Konsolidierung................. c) Die schrittweise Anerkennung des gesunkenen Geldwerts...........................

Bilanz der zweiten Phase....................................................................... 3. Ein Blick auf die Nachbarländer..................................................... a) Österreich..................................................................................................... b) Frankreich .................................................................................................... c) Schweiz.............................................................................................................

313 313 319 324 333 336 341 347 355 358 358 365 369

Kapitel III. Die dritte Phase: Die Rechtsprechung greift korrigierend ein 379 1. Ein Sonderfall: Die Mietrechtsrechtsprechung des 3. Senats............ 380 2. Ansätze der Vertragskorrektur in Rechtsprechung und Lehre........... 385 a) b) c)

Der Gedanke prästabilierter Äquivalenz.................................................... 386 Eine Frage des Geldes................................................................................ 390 Eine Frage der Prärogative........................................................................ 394

3. Die Aufwertungsentscheidung und ihre Folgen .................................. 399 a) Die politischen Folgen ...............................................................................405 b) c)

Die Opposition aus der Richterschaft......................................................... 408 Die zivilrechtlichen Folgen........................................................................ 412

Ausblick..........................................................................................................417

Quellen- und Literaturverzeichnis................................................................ 427 Entscheidungsregister................................................................................... 459 Personen- und Sachregister........................................................................... 471

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

AA

ABGB AcP ADHGB ALR ArchBürgR ARSP ARWP BayRpflZ BGB-KE BGE

BGHZ BVerfGE Dalloz DJZ EI, II

EuGRZ Fuchs

Gerichtshalle Gruchot Grünhut GZ HansGerZ HansRZ Holdheim HRG IVRA

Akademieausgabe: Johann Gottlieb Fichte, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch v. 1. 6.1811, Österreich Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch ab 1861 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Archiv für bürgerliches Recht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern Entwurf der Kommission zur Überarbeitung des Schuld rechts, Ab­ schlußbericht, hg. v. Bundesminister der Justiz, 1992 Bundesgerichtliche Entscheidungen. Amtliche Entscheidungs­ sammlung des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Dalloz, Jurisprudence Generale. Recueil periodique et critique Deutsche Juristen-Zeitung Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, 1. Entwurf 1888 (E I), 2. Entwurf 1895 (E II) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Gustav Fuchs, Der Einfluß des Krieges auf bestehende Liefe­ rungsverträge und verwandte Vertragsverhältnisse nach der Recht­ sprechung des Obersten Gerichtshofes Gerichtshalle. Organ für Rechtspflege und Volkswirtschaft Gruchots Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Grünhuts Zeitschrift Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung Hanseatische Gerichtszeitung, Hauptblatt Hanseatische Rechts-Zeitschrift Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Rivista intemazionale di diritto romano e antico

Jakobs/Schubert

JB1 Jherings Jahrbücher JuS JW JZ KGB1 KrVJS

LZ Motive Mugdan MünchKomm NJW Oertmann

OGHE

OLGE Planck RabelsZ

Recht RGBl RGZ ROHGE Schubert

SeuffertsArch

SeuffertsBI SJZ Soergel

Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, hg. v. H. H. Jakobs und W. Schubert. Juristische Blätter Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts. Organ für Veröffentlichungen der Anwaltskammer zu Berlin Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissen­ schaft Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Amtliche Ausgabe Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, hg. v. B. Mugdan Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Neue Juristische Wochenschrift Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und seinen Nebenge­ setzen Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen. Veröffentlicht von seinen Mitgliedern Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Plancks Kommentar zum BGB Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begr. v. E. Rabel Zeitschrift „Das Recht“ Reichsgesetzblatt Reichsgericht, amtliche Sammlung der Reichsgerichtsrechtspre­ chung in Zivilsachen Reichsoberhandelsgericht, Entscheidungssammlung Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausar­ beitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, hg. v. W. Schubert J. A. Seuffert’s Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten J. A. Seuffert’s Blätter für Rechtsanwendung in Bayern Schweizerische Juristen-Zeitung Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Ne­ bengesetzen

Staudinger TE Wameyer WW

ZB1 ZGB ZHR ZNR ZPO ZRG ZSR

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Teilentwurf, Vorlagen der Redaktoren der Erste Kommission Warneyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Wilhelm Weischedel: Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, hg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1968 Zentralblatt für die Juristische Praxis Zivilgesetzbuch, Schweiz Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zivilprozeßordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zeitschrift für Schweizerisches Recht

Einleitung

Das Leistungsstörungsrecht war seiner bislang größten Belastungsprobe in der Zeit zwischen 1914 und 1923, also in der Katastrophe des Ersten Welt­ kriegs und des darauffolgenden militärischen, politischen und monetären Zusammenbruchs des deutschen Kaiserreichs ausgesetzt. In jener bewegten Zeit entwickelte das Reichsgericht zwei Rechtsinstitute, die als „Einrede der Unzumutbarkeit“ und „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ das gesetzliche Leitbild einer buchstäblich bis zu den Grenzen des Möglichen reichenden Leistungsverpflichtung korrigierten. Bei der anvisierten Reform des Rechts der Leistungsstörungen sollen die „dem Schuldner zuzumutenden Anstren­ gungen“ (§ 275 Abs. 2 des Regierungsentwurfs)1 und die „Umstände, die zur Grundlage des Vertrages gewordenen sind,“ (§ 313 Abs. 1 des Regie­ rungsentwurfs) nunmehr die Weihen des Gesetzgebers erhalten. Nach dem 1992 vorgestellten Kommissionsentwurf wurde die bislang das Leistungs­ störungsrecht beherrschende Unmöglichkeit nicht einmal mehr erwähnt.2 War die Unmöglichkeit ein Irrweg? In dem Regierungsentwurf ist sie nach einer lebhaften Auseinandersetzung wieder zu finden; der Begriff hat aber neben einem weit gefaßten Leistungsverweigerungsrecht die beherrschende Postition, die er bislang im System des Leistungsstörungsrechts einnahm, eingebüßt. Die Wurzeln des Problems liegen ohnehin tiefer, als die Ausein­ andersetzung um das alte Rechtsinstitut vermuten läßt. Ein fundamentales Phänomen des Vertragsrechts gilt es zu ergründen: Die Grenze vertraglich übernommener Leistungspflichten. Die Jahre 1914 bis 1923 brachten eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten vor das höchste deutsche Gericht, in denen eine der Parteien sich schlicht 1 Erwähnenswert ist bei § 275 Abs. 2 BGB-RE die besondere Betonung der Interessen des Gläubigers: „Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit und solange diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläu­ bigers steht. [...]“ 2 Vgl. §§ 275, 306 BGB-KE; Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 117 und 146. Der Begriff der Unmöglichkeit sollte durch folgende Formu­ lierung in § 275 BGB-KE ersetzt werden: „Besteht die Schuld nicht in einer Geldschuld, kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit und solange er diese nicht mit denjeni­ gen Anstrengungen zu erbringen vermag, zu denen er nach Inhalt und Natur des Schuldver­ hältnisses verpflichtet ist. [...]“

weigerte, die Leistung in der versprochenen Form zu erbringen. Die Ursache für diese massenhafte Flucht aus den Verträgen ist in der wirtschaftlichen Entwicklung der Zeit zu suchen. Die von einem beachtlichen wirtschaft­ lichen Aufschwung und langanhaltender politischer Stabilität verwöhnten Parteien waren, sofern sie sich vorausblickend gebunden hatten, von den Unbillen der Zeit überrascht worden. Zwei Zäsuren sind hervorzuheben, die Anfang und Ende der Entwicklung einleiteten: Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bislang einmali­ ge Hyperinflation. Dazwischen lagen neun Jahre, die für den Zeitgenossen ebenfalls manch überraschende Wendung parat hielten. Zunächst wurde der Kriegszustand selbst von den Betroffenen falsch eingeschätzt. Der unbe­ schreibliche Jubel, der bei Kriegsausbruch herrschte, ist in das deutsche Ge­ schichtsbewußtsein eingegangen. Hier brach sich nicht nur ein deutscher Patriotismus Bahn, der heute gern kritisch wie plakativ hinterfragt wird; hier zeigte ein Volk, wie wenig es von einem modernen Krieg wußte. Die kon­ sequente wirtschaftliche Kriegsführung der Feindmächte, die zunehmenden kriegswirtschaftlichen Maßnahmen der eigenen Staatsgewalt und die bloße Dauer des Krieges, all das waren Kennzeichen einer Eskalation, deren Tragweite nur allmählich in das Bewußtsein der Zeitgenossen eindrang. Zu­ dem sollte das Kriegsende selbst die pessimistischer gewordenen Prognosen noch deutlich in den Schatten stellen. Nur wenige schienen sich ernsthaft Gedanken über die wirtschaftlichen Konsequenzen einer Kriegsniederlage gemacht zu haben. Die revolutionäre Umwälzung der staatlichen, aber auch sozialpolitischen und innerbetrieblichen Verhältnisse und die anfangs noch wenig beachtete Geldentwertung bildeten den Rahmen für eine Nach­ kriegswirtschaft, die von der Vorkriegssituation, deren baldige Rückkehr gemeinhin erwartet worden war, grundlegend abwich. Die Gerichte sahen sich vor die Frage gestellt, ob Verträge, die diese Entwicklungen nicht be­ rücksichtigt hatten, sie zum Teil nicht einmal berücksichtigen konnten, gleichwohl sanktioniert werden sollten. Versprechen ist vorhersehen. Wer etwas verspricht, der hat bestimmte Erwartungen an die Zukunft.3 Er erwartet, die Leistung in der geplanten Art und Weise sowie zu den kalkulierten Kosten erbringen zu können. Er er­ wartet weiter, daß die im Gegenzug versprochene Leistung ihm einen kon­ 3 Vgl. die Systematisierung von Jürgen Schmidtj in: Staudinger, BGB, 12. Auflage, § 242 BGB, Rn. 966-1158. Schmidt unterscheidet je zwei Planungsrealisierungsrisiken. Aus Sicht des Beschaffungspflichtigen: (1.1) Abweichung der Beschaffungsplanung von der Beschaf­ fungsmöglichkeit, (1.2) Abweichung der Kosten-(Ertrags-)planung von den tatsächlich an­ fallenden Kosten; aus Sicht des Empfängers: (2.1) Abweichung der Verwendungsplanung von der tatsächlichen Verwendungsmöglichkeit und (2.2) Abweichung der Kosten-(Ertrags-) planung von den tatsächlich anfallenden Kosten.

kreten Nutzen bringt oder wenigstens einen objektivierbaren Wert darstellt. Der Schuldner, der in jenen bewegten Zeiten eine Leistung versprach oder an ein Versprechen bereits gebunden war, hatte sich dabei gleich mehrerer Probleme zu vergegenwärtigen. Er riskierte erstens, daß seine Beschaf­ fungsplanung frustriert werden würde, weil der Leistungserfolg mit den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erwarteten Leistungshandlungen nicht mehr erbracht werden konnte. Der Kriegsausbruch schuf hier eine Fülle an Pro­ blemen. An erster Stelle sind die Märkte zu nennen, die kriegsbedingt nicht mehr existent oder erreichbar waren. Betroffen war jeder Händler, der eine Sache versprochen hatte, die er sich auf einem dieser Märkte erst noch be­ schaffen mußte. Um zu erfüllen müßte er nun neue Märkte erschließen oder, nach der langen Zeit des Krieges, den Zugang zu den alten Märkten erneut suchen. Auf ähnliche Probleme stieß der Händler, der die zu liefern verspro­ chene Ware zwar sein eigen nennen konnte, sie aber über eine räumliche Di­ stanz hinweg zum Erfüllungsort bringen mußte. Da die Transportwege, ins­ besondere die grenzüberschreitenden, durch den Krieg gestört wurden, drohten organisations- und zeitaufwendige Umwege oder Zwischenlagerun­ gen. Auch Produzenten waren betroffen, sofern das versprochene Produkt erst noch hergestellt werden mußte. Denn der Krieg veränderte durch den massenhaften Entzug der Arbeitskräfte und durch die Rohstoffbewirtschaf­ tung die Produktionsbedingungen nachhaltig. Selbst für die Nachkriegszeit versprochene Produkte erforderten aufgrund der Revolution, der Streikfreu­ de der Arbeiterschaft und des neuen Arbeits- und Betriebsrechts ganz andere organisatorische Leistungen als die mit einer Lieferung aus laufender Pro­ duktion verbundenen. Häufiger noch als die Erfüllungsplanung litt, zwei­ tens, die Kosten- und Ertragsplanung unter dem Kriege. Bereits die be­ nannten Probleme wirkten sich kostensteigemd aus. Der Händler wurde mit steigenden Marktpreisen konfrontiert; den Unternehmer wiederum trafen die steigenden Arbeits-, Energie- und Materialkosten. Der allgemeine Preisan­ stieg zog weite Kreise. Zahlreiche Schuldner knapp gewordener Güter litten unter der Preisentwicklung. Selbst schlichte Vermieter waren betroffen, so­ fern sie so unvorsichtig gewesen waren, Gas-, Wasser- und Stromkosten in einen festen Mietzins einzuberechnen. Nach dem Ende des Krieges wurde anstelle der Kosten der Sachleistung zunehmend die im Gegenzug erwartete Geldleistung zum Problem. Infolge der Inflation versprach sie nur mehr selten den erwarteten Ertrag. Für den Schuldner der Geldleistung sah es na­ turgemäß viel besser aus.4 Planung und Kalkulation einer Geldleistung sind in Zeiten sinkenden Geld- und steigenden Sachwerts eben weniger gefähr­ 4 Ein Problem, das hier nicht weiter interessieren soll, stellt freilich die Zahlung ausländi­ scher Valuta und die Leistung konkreter Wechselakzepte oder Bankrembours dar; vgl. RG v. 19. Oktober 1917, RGZ 91,46; RG v. 19. Februar 1918, RGZ 92,225.

det. Dafür konnte er, angesichts der seinerseits zu erwartenden Leistung, oft mit satten Gewinnen rechnen. Anders stand es allenfalls mit der geplanten Verwendung dieser Leistung. Die konnte durch den Krieg durchaus auch an Nutzen und Wert einbüßen. Hier tat sich ein dritter Problemkreis auf. So beeinträchtigten kriegsbedingte Sperrstunden, Zuzugssperren und andere behördliche Eingriffe die vorgesehene Nutzung gemieteter Lokalitäten zum Teil recht drastisch. Auch eine erkaufte Reklameleistung verlor nicht selten an Nutzen, da die Reklame kriegsbedingt weniger potentielle Interessenten erreichte; oder es wurde ein Produkt beworben, welches aufgrund des Krie­ ges nicht mehr angeboten werden konnte. Selbst die kriegsbedingte Verzö­ gerung der Leistung konnte den Warengläubiger treffen, sofern er gezwun­ gen war, sich zwischenzeitlich anderweitig einzudecken. Das Interesse an der Leistung sank hier aber nicht zwangsläufig, da Warenlieferungen zu al­ ten Preisen in einer Zeit knapper Waren und steigender Preise immer lukra­ tiv waren. Immer häufiger stellte sich aber die Frage: Sollte auf die gestör­ ten Planungen und frustrierten Erwartungen zivilrechtlich reagiert werden? Versprechen heißt auch sich binden. Die Bindung erfaßt grundsätzlich auch unvorhergesehene und selbst unvorhersehbare Ereignisse. Das Recht kennt für dieses Phänomen den Begriff des Risikos. Regelmäßig trifft das Risiko der Leistungsbeschaffung den Versprechenden, das der Leistungs­ verwendung den Gläubiger. Dennoch ist kein Risiko grenzenlos. Zwei Au­ toritäten drängen sich auf, die der vertraglichen Leistungspflicht Grenzen zu setzen vermögen. Da ist zum einen der Wille der Vertragsparteien, der die Bindung hervorbringt und sie folglich auch begrenzen kann. Die Leistungs­ pflicht kann zudem von der staatlichen Rechtsordnung, von der die Parteien die Anerkennung und notfalls auch Sanktionierung ihres Vertrages erwar­ ten, eingegrenzt werden. Selbst die liberalste Zivilrechtsordnung kommt nicht ohne ein zivilrechtliches Gerüst aus. Es ist notwendig, den erfahrungs­ gemäß unvollständigen Abreden der Parteien ein subsidiär geltendes Rege­ lungswerk beiseite zu stellen. Die Rechtsordnung kann aber auch diese sub­ alterne Position verlassen und eigene, vom Willen der einzelnen Parteien unabhängige Positionen einnehmen. Aus übergeordneten gesellschaftlichen Gesichtspunkten und auch aus gemeinschaftsstiftenden ethischen Wertvor­ stellungen wird die Rechtsordnung auf eine mehr oder weniger weitreichen­ de Kontrolle rechtsgeschäftlichen Verhaltens wie vertraglicher Inhalte nicht verzichten können. Selbst inmitten des 19. Jahrhunderts war das Zivilrecht nie frei von materialen Prinzipien. Lange Zeit stand aber der freie Wille im Zentrum der WertVorstellungen, so daß eine Kollision nur selten zu be­ fürchten war. Das sollte sich ändern, als Ende des Jahrhunderts andere Werte nach vorne drängten. Im Widerstreit zwischen den gesellschaftlichen Ordnungs- und Moralvorstellungen und der rechtsgeschäftlichen Autonomie

bezog das Bürgerliche Gesetzbuch zwar noch einmal eindrucksvoll Position zugunsten der letzteren; die weitere Materialisierung des Privatrechts wurde dadurch aber nicht verhindert. Sie wurde sogar ausgesprochen erleichtert. Denn mutiger als bis dahin üblich hatte der Gesetzgeber durch die allgemei­ nen Tatbestände von Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB) und den guten Sitten (§ 138 Abs. 1, 826 BGB) eine nicht unerhebliche Unschärfe in Kauf genommen. Neben dem individuellen Willen und dem objektiven Recht ist noch eine dritte Autorität zu nennen, die der Leistungspflicht Grenzen set­ zen könnte: die Person des zur Entscheidung berufenen Richters. Da der Richter an die vertraglichen wie an die gesetzlichen Regelungen gebunden ist, liegt es allerdings nicht unbedingt nahe, ihm hier eine besondere kon­ trollierende Autorität zuzugestehen. Unmittelbar nach der Jahrhundertwende avancierte die Frage der richterlichen Autorität dennoch, ohne daß ein ech­ tes aktuelles Bedürfnis erkennbar ist, zum juristischen Modethema. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit sollten vorwiegend gesetzliche Regelun­ gen dem Einzelfall wie dem Wandel der Zeit angepaßt werden. Es ist aber ebenso denkbar, dieselbe Freiheit dem Richter im Hinblick auf vertraglich begründete Regelungen zuzugestehen. Ein Rechtsinstitut für den Umgang mit der prinzipiell offenen Zukunfts­ entwicklung sucht man im Bürgerlichen Gesetzbuch vergebens. Während das Vertragsrecht eine ganze Reihe erheblicher Irrtumstatbestände aufstellt, scheint die einmal in das Rechtsleben getretene Verpflichtung eine robuste Konstitution zu haben. Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert war das an­ ders. Damals kannte das gemeine Recht die Rechtsfigur der clausula rebus sic stantibus. In dem hier zu behandelnden Zeitraum war das bereits Rechts­ geschichte. Der Gesetzgeber hatte bewußt auf die clausula rebus sic stanti­ bus verzichtet. Die Rechtssicherheit sollte absolute Priorität haben. Drei Prinzipien schützten den Vertrag zusätzlich vor rechtlichen und richterli­ chen Eingriffen. Der Schuldner sollte, so das erste Prinzip, im Zweifel den Erfolg und nicht ein Bemühen versprochen haben.5 Die den Erfolg herbei­ führenden Mittel und Wege interessierten in der Regel wenig. Jede Ver­ tragsauslegung, insbesondere aber die ergänzende, kam in Begründungsnot, wenn sie Umstände der Erfüllung berücksichtigen wollte. Für den Bestand der Leistungspflicht galt ein bestechend einfaches, zweites Prinzip: der Schuldner sollte im Rahmen des Möglichen an der Leistungspflicht festge­ halten werden. Auftretende Störungen sollten nach der gesetzlichen Syste­ matik allein die besonderen Folgen der Nichtleistung, insbesondere die Ver­ zugshaftung, betreffen, die Leistungspflicht selbst aber nicht beeinträchti-

5 Wieacker, Leistungshandlung und Leistungserfolg im bürgerlichen Schuldrecht, S. 783-813.

gen. Nicht das Recht, allein die faktischen Umstände erzwangen darüber hinaus die Auflösung der vertraglichen Pflicht. Das Recht sollte hieraus nur die Konsequenzen ziehen, indem es auf eine subsidiäre Haftung (§ 275 Abs. 1 BGB) wie auf die versprochene Gegenleistung (§ 323 Abs. 1 BGB) ausdrücklich verzichtete. Besonders originell ist das hier zum Vorschein kommende Vertragsverständnis nicht. Für die vom französischen Code civil geprägten Rechtsordnungen sowie für das österreichische Zivilrecht galt im Grunde nichts anderes.6 Als Hemmnis erwies sich schließlich noch das Prinzip der Naturalvollstreckung. Der Vertrag sollte notfalls mittels eines dem Schuldner die Naturalerfüllung gebietenden Leistungsurteils durchge­ setzt werden. Es liegt in der Logik dieses Systems, daß es nur einen einheit­ lichen Tatbestand der Nichterfüllung geben kann. Eine Beteiligung des Gläubigers an erhöhten Beschaffungskosten und anderen zeitbedingten Erfüllungsopfem ist ebenso ausgeschlossen wie eine entsprechende Reduktion der schuldnerischen Pflicht. Bekanntlich ist es bei der gläubigerfreundlichen Systematik nicht geblie­ ben. Selbst das BGB setzt, in § 275 Abs. 2 BGB, mit dem Begriff des Un­ vermögens der vertraglichen Leistungspflicht engere Grenzen. Als Ausnah­ me konzipiert und sofort mit der Schranke des § 279 BGB versehen, war das noch keine bedeutende Durchbrechung der geschilderten Grundprinzipien. Immerhin war ein erster Schritt getan. Weitere sollten noch vor dem Krieg in der Literatur folgen. Verborgen hinter den Begriffen von Unmöglichkeit und Unvermögen waren die Leistungsopfer bereits vor dem Krieg Gegen­ stand einer freilich eher akademisch geführten Auseinandersetzung. In den Jahren 1914 bis 1923 hatte dann die Rechtsprechung die Aufgabe und die Chance, dezidiert zu der Frage der Grenzen vertraglich begründeter Pflich­ ten Stellung zu nehmen. Ungeachtet der Systematik des erst wenige Jahre alten Bürgerlichen Gesetzbuchs war die Entwicklung 1914 durchaus offen. Das Gesetz war noch jung und von der Rechtslehre wie der Rechtspraxis nur wenig vorgeprägt. Literatur und Rechtsprechung sollten parallel zu der Es­ kalation der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung nach und nach alle benannten Autoritäten zur Lösung der anstehenden Probleme heranzie­ hen: den Willen der Parteien, die Werte und Regeln der Rechtsgemeinschaft sowie die Person des Richters.

6 Zweigert, Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 472-477 und S. 494-501.

Erster Teil

Der Rechtsprechung vorgegeben

Kapitel I

Die Antipoden des Leistungsstörungsrechts Die Richter der Kriegs- und Krisenzeit sahen sich häufig vor die unange­ nehme Wahl gestellt, entweder in größerem Umfang vertraglich übernom­ menen Pflichten die Rechtskraft versagen oder einer immer kritischer wer­ denden Öffentlichkeit erklären zu müssen, warum Verträge selbst in dieser bewegten Zeit nahezu unbegrenzt einzuhalten seien. In jedem Fall existierte ein Rechtfertigungsdruck; ein rechtlicher, sollten die Verträge vor Gericht scheitern, und ein moralischer, sollte dies nicht geschehen. Möglich, daß ein halbes Jahrhundert zuvor die zum Urteil aufgerufenen Richter nicht in die Verlegenheit gekommen wären, hier abwägen zu müssen. Schließlich wog die Vertragsfreiheit und die aus der Freiheit hervorgehende Selbstbindung schwer, inmitten des 19. Jahrhunderts. Seitdem hatten sich aber die Ge­ wichte verschoben, galt die Freiheit weniger, der Einfluß des Staates und damit auch der des Richters mehr. Möglich auch, daß die Zeitgenossen we­ nig Mitleid mit dem Schicksal der Betroffenen gehabt hätten, wären diese aus individuellen Gründen und nicht aus solchen der gesamtgesellschaftli­ chen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an der Leistung gehindert und darob vor die Gerichte gezerrt worden. Eines jedenfalls wird bei der Lektüre der Fachzeitschriften sofort deutlich: die mit ideeller Kraft ausge­ staltete BindungsWirkung der Verträge, schlagwortartig ausgedrückt in dem Satz „pacta sunt servanda“, hatte keine mächtige Lobby mehr. Eine immanente Grenze findet die Leistungspflicht aufgrund ihrer ver­ traglich und objektivrechtlich geformten Gestalt. Der Vertrag fordert nun im Zweifel den Erfolg der versprochenen Leistung, ohne besondere Schranken hinsichtlich der Leistungshandlung zu nennen, und das Gesetz gewordene objektive Recht gebietet diese Leistung im Rahmen des Möglichen. Beide, Vertrag und objektives Recht, begründen primär die Bindung. Beide tun dies aber natürlich nicht unbegrenzt. Der Vertrag sieht unter Umständen nur bestimmte Leistungshandlungen und Erfüllungsbemühungen vor. Das ob­ jektive Recht wiederum versagt einer unmöglich zu erbringenden und, in Ausnahmefällen, auch der möglichen Vertragspflicht die Rechtskraft. Diese beiden Ansatzpunkte lassen sich, zumal in einer wirtschaftlichen und mo­

netären Krise, erweitern, können dabei aber aufgrund ihrer strukturellen Andersartigkeit auch miteinander in Konflikt geraten. Wohin wird der Richter sich wenden? Auf der einen Seite steht eine dem Recht entnommene Wertung, die an vertragsfremde Umstände anknüpft und beispielsweise nach der faktischen Leistungsfähigkeit oder dem objektiv Vorhersehbaren fragt. Im Vertrag wird demnach nur das unmittelbare Ziel der Pflicht, die auszu­ tauschenden Leistungen, gesucht. Wollen die Parteien auf die Intensität der Pflicht und auf die Verteilung des Risikos Einfluß nehmen, so bleibt ihnen das unbenommen, sie sind aber gehalten, dies explizit zu tun. Auf der ande­ ren Seite findet eine direkte Auseinandersetzung mit dem individuell er­ zeugten Sollen statt. Die Grenze der Leistungspflicht wird, unmittelbar oder in Synthese mit allgemeinen Anschauungen - auch solchen des Rechts -, der Leistungsvereinbarung entnommen. Ein gesetzlicher Eingriff, wie der durch das Unmöglichkeitsrecht vorgenommene, ist hier unnötig, ja er kann sogar ausgesprochen dysfunktional wirken. Diese beiden Lösungen stehen am Beginn der Betrachtung. Und sie sind untrennbar verbunden mit den Namen zweier Vertreter der historisch-romanistischen Denkrichtung: Fried­ rich Mommsen und Gustav Hartmann.

1. Die Deduktion der Unmöglichkeit bei Friedrich Mommsen Die Monographie von Friedrich Mommsen ist die einzige umfassende Un­ möglichkeitslehre, die vor Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs publi­ ziert wurde. Vielleicht wurde sie deshalb, trotz einer schon frühzeitig ein­ setzenden Kritik, weitgehend von Windscheid und später vom Gesetzgeber übernommen. Dabei wollte Mommsen keine eigene Unmöglichkeitslehre begründen. Sein Ziel sei es, teilt er dem Leser mit, „die Bestimmungen in den Quellen, welche auf die Unmöglichkeit der Leistung und ihre Wirkun­ gen sich beziehen zu sammeln und den inneren Zusammenhang derselben nachzuweisen.“1 Mit Quellen meint Mommsen das Corpus Iuris Civilis und dessen zentralen Teil, die Digesten. Mommsen befindet sich, ganz Kind sei­ ner Zeit, auf dem Boden der historischen Rechtswissenschaft. Die Mono­ graphie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts publiziert, in der Zeit der Entste­ hung großer Pandektenlehrbücher. Statt des lateinischen Begriffs Digesten bevorzugte man die Bezeichnung Pandekten, von pandektes abgeleitet, was soviel wie „alles enthaltend“ bedeutet.2 Der Name ist durchaus Programm.

1 Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Ver­ hältnisse, Vorwort S. VI. 2Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, Stichwort Pandekten.

Das Ziel war, aus den vielen Einzelfallentscheidungen der Digesten ein vollständiges System zu entwickeln, weshalb diese Denkrichtung auch als historisch-systematische bezeichnet werden kann. Diesem Ziel ist auch Mommsen verpflichtet. Hier soll nicht verfolgt werden, inwieweit die Lehre Mommsens den methodischen Ansprüchen der historischen Rechtsschule gerecht wird.3 Das so gewonnene begriffliche System, das blanke Ergebnis also, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. Mommsen führt die uns vertraute Differenzierung von „sogleich vorhan­ dener“ und „nachfolgender" Unmöglichkeit ein. Auch die Behandlung der verschiedenen Unmöglichkeitsarten ist aus dem BGB bekannt. Eine ur­ sprünglich unmögliche Leistung soll nach Mommsen weder die Forderung nach einem Äquivalent noch nach einer Gegenleistung nach sich ziehen. Sie bewirke die „Nichtigkeit der ganzen Obligation“.4 Ersetzbar sei allenfalls „das Interesse, welches der Gläubiger daran hatte, über die wahre Beschaf­ fenheit der Leistung nicht getäuscht zu sein“.5 Die nachträglich eintretende Unmöglichkeit wird grundlegend anders behandelt. Das einmal wirksam entstandene Schuld Verhältnis begründe Verhaltenspflichten, welche auf die Vermeidung der Unmöglichkeit gerichtet seien. Deshalb, so Mommsen weiter, könne der Schuldner allenfalls nachträglich von seiner Leistungs­ pflicht befreit werden, was aber den unverschuldeten Eintritt der Unmög­ lichkeit voraussetze. Die verschuldet eingetretene Unmöglichkeit sei dage­ gen nicht geeignet, den Schuldner von der Leistungspflicht zu befreien. In diesem Fall bliebe er auf den ursprünglichen Gegenstand des Vertrages ver­ pflichtet.6 Zwei Punkte sollen hier besonders hervorgehoben werden. Erstens setzt ein Verschulden eine verletzte Pflicht voraus. In der bloßen Nichtleistung will Mommsen offensichtlich noch keine solche begründet wissen. Zweitens hat das Merkmal des Verschuldens im Recht eine ganz besondere struktu­ relle Bedeutung. Es dient der ersatzweisen Begründung einer Pflicht, etwa 3 Aus Sicht der historischen Rechtswissenschaft wurde Mommsen schon umfassend von Gustav Hartmann, Die Obligation, kritisiert. So z.B. für das Problem des Untergangs eines Forderungsrechts durch den sog. concursus causarum lucrativarum, a.a.O., S. 13; zum Begriff der Unmöglichkeit a.a.O., S. 175. 4 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 103, 106-108: „Impossibilium nulla obligatio“ mit Hin­ weis auf „Celsus L. 185. D. de R. J. (50.17)“; vgl. § 306 BGB. 5 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 107; Der Gläubiger müsse sich hierbei schuldlos in einem Irrtum befunden, der Schuldner die nichtige Verpflichtung schuldhaft herbeigeführt haben, a.a.O., S. 108 f; vgl. § 307 Abs. 1 BGB. 6 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 228-232; vgl. § 275 Abs. 1 BGB. Die Verpflichtung auf den ursprünglichen Gegenstand soll dem Gläubiger die Klage erleichtern. Stellt sich im Pro­ zeß die verschuldete Unmöglichkeit heraus, kann der Gläubiger im selben Verfahren das (Geld-)Äquivalent der geschuldeten Leistung verlangen.

einer Schadensersatzpflicht. Hier soll dagegen eine bereits vertraglich be­ stehende Pflicht aufrechterhalten werden. Das kann nur eines bedeuten: Durch das Verschulden wird eine Leistungspflicht bestätigt, die wegen des Eintritts einer unmöglichkeitsbegründenden Situation an sich nicht mehr existent ist. Die Entscheidung steckt bereits in der Unmöglichkeit. Dem Schuldner bleibt die Beweislast. Kann er den Leistungserfolg nicht wie ver­ sprochen herbeiführen, so muß er nachweisen, daß die Leistung als Folge einer Unmöglichkeit und eben nicht als Folge seines mangelnden Lei­ stungswillens ausgeblieben ist. Damit rückt der Begriff der Unmöglichkeit in das Zentrum des Interesses. Faßt man die Unmöglichkeit als das Gegen­ teil des faktisch Möglichen auf, so ist das Ergebnis völlig unspektakulär: Die Primärleistungspflicht findet ihre natürliche Grenze, und eine Überlei­ tung in einen Sekundäranspruch erfolgt nur im Falle einer schuldhaften Verletzung vertraglicher Nebenpflichten - womit die einzige substantielle Einschränkung der Leistungspflicht genannt wäre. Das Bild ändert sich in­ dessen vollständig, wenn man die Unmöglichkeit in Bereiche ausdehnt, die nicht jenseits des Menschenmöglichen liegen. Dann begrenzt nicht mehr die Natur, sondern das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit die Primärleistungs­ pflicht. Und auch das Kriterium des Verschuldens entscheidet nicht mehr über die Überleitung zur Sekundär-, sondern über den Fortbestand der Pri­ märleistungspflicht. Genau diesen Schritt hat Mommsen getan.

a) Das Unmögliche Mommsen nennt „objektive“, in der Natur der Sache liegende Leistungshin­ dernisse und „subjektive“, mit der Person des Schuldners verbundene.7 Subjektiv und objektiv - das klingt nach der juristischen Eigenheit, in ana­ lytischer Intention Gegenbegriffspaare zu bilden. So harmlos ist Mommsens Differenzierung aber nicht. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht das Urteil der Unmöglichkeit für die Beschaffenheit eines Hindernisses. Eine Hand­ lung kann allgemein oder für konkrete Personen unmöglich vorzunehmen und ein Erfolg allgemein oder konkret unmöglich zu erreichen sein. In die­ sem Zusammenhang ist es denkbar, von objektiver und subjektiver Unmög­ lichkeit zu sprechen. Begrifflich klarer wäre es, „allgemeine“ und „indivi­ duelle“ Hindernisse zu scheiden. Denn der Begriff des Subjektiven hat einen entscheidenden Nachteil: er geht weit über die Charakterisierung des Hin­ dernisses hinaus. Er individualisiert nicht nur den Bestand des Hindernisses, 7 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 5: „Unter der ersteren [objektiven Unmöglichkeit] verste­ hen wir die Unmöglichkeit, welche ihren Grund in dem Gegenstände der Obligation an sich hat, unter subjektiver Unmöglichkeit diejenige, deren Grund entweder in den rein persönli­ chen Verhältnissen des Schuldners oder in dessen Verhältniß zu dem Gegenstände der Obli­ gation liegt.“

sondern auch die für dessen Überwindung notwendigen Fähigkeiten. Letzte­ res hat aber mit der Unmöglichkeit an sich nichts zu tun. Je weiter Momm­ sen den Versprechenden in seiner individuellen Situation berücksichtigen will, um so mehr dehnt er den Begriff der Unmöglichkeit in den Bereich des Möglichen aus. Nicht ohne Grund verläßt das Gesetz heute den Begriff der subjektiven Unmöglichkeit und bevorzugt statt dessen den des Unvermö­ gens. Obwohl Mommsen das Problem der Leistungserschwerung als solches nicht aufgegriffen hat,8 läuft sein System der Unmöglichkeit genau auf diese Thematik hinaus. Im Bereich des noch faktisch Möglichen und des bereits rechtlich Unmöglichen entscheidet die Leistungsschwere, nicht die Lei­ stungsmöglichkeit. Mommsen schafft sich damit ein veritables Abgren­ zungsproblem zur unbeachtlichen Leistungserschwerung. Erst diese Weite des Unmöglichkeitsbegriffs gestattet es Mommsen, den Satz „impossibilium nulla obligatio“ aus seinem Schattendasein zu führen. Die Unmöglichkeit entwickelte sich zu einem Systembegriff, mit dessen Hilfe die rein faktischen Probleme der Leistungserbringung zu rechtlichen umgewandelt werden konnten. Der Gedanke ist verführerisch für alle, die aus historischen Rechtssätzen ein begriffliches System entwickeln wollen und dadurch einen Erkenntnisgewinn für weitere Fälle zu erlangen hoffen. Aber die Unmöglichkeit verliert auch ihre Konturen. Mommsen sieht das damit verbundene Problem. Er erkennt, daß er mit seiner subjektiven For­ mulierung der Unmöglichkeit weit über das Ziel hinauszuschießen droht. Also formuliert er eine zweite, engere Form der Unmöglichkeit. Sie soll die eben skizzierte, weit verstandene Unmöglichkeit auf einen Ausschnitt redu­ zieren. Er nennt den Ausschnitt „wahre Unmöglichkeit“. Welche Unmög­ lichkeit nun eine „wahre“ ist, soll anhand der Beschaffungsschuld erläutert werden. Verpflichtet sich ein Schuldner zur Beschaffung einer Sache, so kann ein Hindernis in der Sache selbst oder in der Beziehung des Schuld­ ners zu der Sache begründet sein. Ist die Sache aus Rechtsgründen oder aus faktischen Gründen der vertraglichen Beschaffungspflicht nicht zugänglich, so ist dies laut Mommsen nicht nur eine objektive, sondern immer auch eine „wahre“ Unmöglichkeit. Alle anderen Hindernisse sind nicht von der Person des Schuldners zu trennen und daher subjektiver Provenienz. Kann der Schuldner über die Sache nicht disponieren, so liegt nach der Begriffs­ bildung Mommsens generell eine subjektive Unmöglichkeit vor. Eine be­ rücksichtigenswerte, „wahre“ Unmöglichkeit will Mommsen damit noch nicht begründet wissen. Er trennt vielmehr den faktischen und den rechtli­ chen Mangel der Dispositionsfähigkeit und kommt, wie noch zu zeigen sein wird, durchaus zu divergierenden Ergebnissen. Damit deutet sich ein weit 8 So auch Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 120.

weniger schematisches Vorgehen an, als das in den §§ 275, 279 BGB ange­ legte. Mommsen unterscheidet weiter die natürliche von der juristischen, die absolute von der relativen und die dauernde von der zeitweiligen Unmög­ lichkeit, ohne daß sich dies klärend auf die Grenzen des Unmöglichkeitsbe­ griffs auswirken würde. b) Die Nichtigkeit des Vertrages

Wie bereits dargelegt, folgt für Mommsen aus der ursprünglichen Unmög­ lichkeit die Nichtigkeit des Vertrages. Das gilt aber nur für die sehr eng ge­ faßte objektive Unmöglichkeit. Die subjektive Unmöglichkeit soll dagegen nie zu einer Nichtigkeit des Vertrages führen. Fehlt dem Schuldner das zur Leistung der versprochenen Sache notwendige Recht, so sei die Beschaf­ fung zunächst allenfalls „schwierig“, nicht aber zwingend unmöglich, teilt er uns mit. Und weiter: Unmöglich sei die Beschaffung nur, „wenn der Ei­ genthümer jede Mitwirkung versagt“.9 Aber selbst in dieser Ausnahme­ situation will Mommsen die Unmöglichkeit nicht zur „wahren“ adeln.10 Beim Kaufvertrag ergebe sich diese Folge schon aus dem Umstand, daß eine Verschaffungsverpflichtung durchaus auch für Sachen begründbar ist, die in fremdem Eigentum stehen.11 Bekannte Schwierigkeiten sind zu überwinden, das leuchtet unmittelbar ein. Mommsen geht aber leider nicht darauf ein, warum diese strenge Haftung auch dann gelten soll, wenn beide Seiten bei Vertragsschluß davon ausgingen, daß die Sache dem Versprechenden tat­ sächlich gehört. Oder wenn sie davon ausgehen durften, daß der Schuldner den Mangel der fehlenden Rechtsmacht wird beheben können. Ist dem Schuldner nur der zur Leistung erforderliche faktische Zugriff auf die Sache verwehrt, während er rechtlich durchaus über die Sache disponieren könnte, so ist Mommsen gnädiger. Er attestiert dem Schuldner eine „wahre“ Un­ möglichkeit. Dem Schuldner wird also die Leistung eines Äquivalents nicht auferlegt.12 Gleichwohl ist der Vertrag nicht nichtig. Den Fortbestand der Forderung erklärt Mommsen aus der theoretischen Möglichkeit, den fakti­ schen Zugriff zu einem späteren Zeitpunkt doch noch realisieren zu können. 9Mommsen, Unmöglichkeit, S. 13; Hervorhebung im Original. Auf S. 28 führt Mommsen aus: „Von einer Unmöglichkeit kann also nicht schon die Rede sein, wenn der Schuldner au­ ßer Stande ist, die Leistung persönlich vorzunehmen; es ist nöthig, daß er auch für eine Ver­ tretung nicht sorgen könne [...]“ Mommsen erkennt a.a.O., S. 15, nur eine Ausnahme an: wenn die zu leistende Sache sich in feindlichem Eigentum befindet. Hier sei „die Leistung nicht bloß für den Schuldner, sondern für jeden Unterthan gleich unmöglich“. 11 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 16. Mommsen, Unmöglichkeit, S. 20.

Die Unmöglichkeit ist nur eine zeitweilige. Damit ist die zweite Rechtsfolge angesprochen: der Untergang der wirksam begründeten Verpflichtung.

c) Der Untergang der Verpflichtung Nachträglich eingetretene Umstände, ob nun objektiv in der Sache einge­ treten oder subjektiv in der Person des Schuldners, sind laut Mommsen ge­ nerell geeignet, als „wahre“ Unmöglichkeit berücksichtigt zu werden. „Jede Veränderung in den Verhältnissen des Schuldners zur Sache, wodurch die­ sem die zur Vornahme der Leistung erforderliche faktische Disposition über dieselbe entzogen wird“, findet bei Mommsen Beachtung.13 Den Verlust der rechtlichen Dispositionsfähigkeit beurteilt er nicht anders.14 Die Rechts­ macht ist nun ein klar umgrenzter Bereich. Was unterscheidet aber den fak­ tischen Entzug von anderen faktischen Hindernissen? Nach Mommsen soll selbst die „nähere Aussicht auf Wiedererlangung der Disposition“ den zu­ mindest zeitweiligen Eintritt der Unmöglichkeit nicht hindern.15 Der fakti­ sche Entzug wird sehr weit verstanden. Es genügt, daß der Schuldner im Moment nicht auf die Sache zugreifen kann. Bevor nun mittels des „faktischen Entzugs“ die subjektive Unmöglich­ keit als eine nur unglücklich formulierte Leistungserschwerung gedeutet wird,16 sollte noch ein genauerer Blick auf die Beschaffungsverpflichtung geworfen werden. Diese weist insofern eine Besonderheit auf, als der Schuldner erst nach erfolgreichen Beschaffungsbemühungen leisten kann. Der Leistung stehen bei Vertragsschluß rechtliche oder faktische Hindernis­ se entgegen. Ursprüngliche Hindernisse im Recht sollen aber nie zu einer „wahren“ Unmöglichkeit führen, das hat Mommsen erst dargelegt. Momm­ sen vermeidet hier Widersprüche zu seiner Lehre von der ursprünglichen Unmöglichkeit, indem er die ursprünglichen rechtlichen Hindernisse bei seiner Betrachtung konsequent ausblendet. Der faktische Entzug dürfe nicht lediglich Ergebnis des ursprünglichen Mangels im Recht sein, teilt er seinen Lesern mit. Eine geänderte Disposition des Eigentümers gehe immer zu La­ sten des Schuldners.17 Die Folgen sind erheblich: Für die Beziehung zum Vorlieferanten und, sollte dieser nicht der Eigentümer sein, für eine ganze 13 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 32.; dieser Gedanke stellt ausdrücklich eine allgemeine Regel dar: „Die aufgestellte Regel haben wir als solche zu betrachten, welche gleichmäßig für alle Obligationen gilt, die auf Leistung einer bestimmten Sache gehen.“ 14Mommsen, Unmöglichkeit, S. 34. ^Mommsen, Unmöglichkeit,S.32. 16 So aber Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 129. 17 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 297, sofern der Eigentümer die Sache faktisch und a.a.O., S. 37, sofern der Eigentümer die Sache rechtlich verliert; für den Fall der Vindikation durch den Eigentümer vgl. a.a.O., S. 35.

Lieferantenkette bis hin zum Inhaber der Rechte übernimmt der Schuldner die in der engen Fassung der ursprünglichen Unmöglichkeit angelegte Ga­ rantie. Ein nachträgliches Hindernis befreit nur, wenn es sowohl für den Schuldner als auch für die Vorlieferanten die subjektive Unmöglichkeit nach sich zieht. Die personelle Basis der subjektiven Unmöglichkeit wird nicht nur beträchtlich erweitert; gerade die praktisch wichtigsten Probleme der Beschaffungsschuld werden vollständig ausgeklammert und im Ergebnis beim Schuldner belassen. Sofern das Problem nicht in der fehlenden Rechtsmacht des Schuldners begründet liegt, ist Mommsen großzügig. Ein Widerspruch zu der Lehre von den ursprünglichen Hindernissen ist nun nicht mehr zu befürchten, denn faktische Hindernisse sollten ja auch als ursprüngliche keine Garantie nach sich ziehen. Das schafft Freiraum, auch für die Fälle der Beschaffungs­ schuld. Dennoch ist eine Begrenzung unumgänglich. Indem Mommsen die „wahre“ Unmöglichkeit in den Bereich des Subjektiven und damit des fak­ tisch Möglichen ausdehnt, müßte sonst eine Befreiung schon bei kleinsten Hindernissen angenommen werden. Mommsen vermeidet das unerwünschte Ergebnis, indem er dem Schuldner lediglich eine zeitweilige Unmöglichkeit zugesteht. Die anerkannten Fälle der Leistungserschwerung sollen nur zu einer vorübergehenden Verweigerung des Rechtsschutzes führen. Der Schuldner bleibt verpflichtet, was sich nach einer Beseitigung des Hinder­ nisses, insbesondere aber bei den Beseitigungsbemühungen selbst auswir­ ken kann. So stellt Mommsen fest: „Der Schuldner ist ungeachtet der zeit­ weiligen Unmöglichkeit fortwährend zur Prästation derjenigen Diligenz verpflichtet, welche er nach der Natur der Obligation oder nach der getrof­ fenen Verabredung zu leisten hat; dies ist mit Beziehung auf die zur Besei­ tigung des eingetretenen Hindernisses vorzunehmenden Schritte nicht un­ wichtig.“18 Leider verrät uns Mommsen nicht genauer, welche Beschaffungsbemü­ hungen er der „Natur der Obligation“ oder der „getroffenen Verabredung“ entnehmen will. Der Begriff der Unmöglichkeit, etwa im Sinne einer wirt­ schaftlichen Unmöglichkeit, sollte es jedenfalls nicht sein. Einige Anhalts­ punkte lassen sich aber doch finden. Zunächst darf der Schuldner der Besei­ tigung des faktischen Hindernisses nicht entgegenwirken. Bei zu vertreten­ dem Eintritt der Unmöglichkeit bleibt der Schuldner zur Primärleistung ver­ pflichtet. Da ist es naheliegend, diesen Gedanken auch anzu wenden, wenn die Beseitigung eines Hindernisses schuldhaft vereitelt wird. Darüber hinaus ist der Schuldner aber auch zur aktiven Beseitigung des Hindernisses ver­

18 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 295 f.

pflichtet.19 Und das nicht unbeschränkt, denn sonst wäre die Einordnung der subjektiven Unmöglichkeit unter die „wahre“ konterkariert. Mommsen spricht das freilich nicht ausdrücklich aus. Immerhin favorisiert er die An­ passung der Erfüllungszeit, wenn die Leistung dem Schuldner in der vorge­ sehenen Zeit nur unter stark erschwerten Bedingungen möglich ist: „Es wird nämlich vorausgesetzt, daß der Gläubiger dem Schuldner nichts Unbilliges zugemuthet habe, und deshalb nicht das äußerste Maß der Anstrengung menschlicher Kräfte von dem Schuldner verlangt.“20 Es ist kein Grund er­ sichtlich, warum dieser Gedanke nicht auch bei nachträglich auftretenden Hindernissen greifen sollte. Anders stellt Mommsen die Situation bei sogenannten generischen Ver­ pflichtungen dar. In diesen Fällen will er ausschließlich objektive, in der Sache liegende Umstände berücksichtigt wissen: „Insofern die Gattung vor­ handen und nicht etwa dem Verkehr entzogen ist, wird eine Unmöglichkeit der Leistung nicht angenommen, auch wenn der Schuldner keine Sache die­ ser Gattung in seinem Vermögen hat und kein Eigentümer einer solchen Sa­ che Willens sein sollte, ihm dieselbe zu überlassen.“21 Angesichts der eben vorgestellten Leistungserschwerung mag dieses Ergebnis zunächst überra­ schen. Es ist bei näherem Hinsehen aber nichts anderes als die konsequente Fortführung der schon für die Beschaffungsverpflichtung geäußerten Ein­ schränkung. Die Gattungsschuld erfaßt eben immer auch Sachen, die dem Schuldner nicht gehören. Folglich ist es konsequent, wenn Mommsen jeden Genus-Schuldner im Ergebnis so behandelt wie einen Species-Schuldner, dem die rechtliche Dispositionsbefugnis über die zu liefern versprochene Sache bereits bei Vertragsschluß fehlt. Natürlich erkennt Mommsen auch für den ursprünglichen Mangel im Recht eine nachträgliche faktische Un­ möglichkeit an. Anders als bei der oben behandelten Stückschuld existiert hier aber regelmäßig eine derartige Vielzahl von potentiellen Lieferungsbe­ fähigten, daß im Ergebnis die subjektive faktische Unmöglichkeit nie ein­ treten kann. Diese Argumentation funktioniert - man muß wegen des § 279 BGB betonen - völlig unabhängig von der Frage nach der Bereitschaft des Dritten, die fragliche Leistung an Stelle des Schulderns zu erbringen. Mommsen verweigert zwar dem Geldschuldner den Einwand der Unmög­

19 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 221 f., hergeleitet aus einer Digestenstelle, die dem Schuldner die Verpflichtung auferlegt, den entflohenen Sklaven zu verfolgen. Ein allgemei­ nerer Hinweis findet sich auf S. 295 f. 20 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 213 f. War ein bestimmter Erfüllungszeitpunkt verein­ bart, helfen statt der Vertragsauslegung die bonae fidei, a.a.O., S. 219, was freilich eine sog. bonae fidei Obligation voraussetzt. 21 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 47.

lichkeit mit dem Argument „Geld zu leisten ist immer möglich“.22 Er kann diesen Gedanken aber für die Gattungsschuld nicht fruchtbar machen, würde dieser doch die Haftung für den ursprünglichen Mangel im Recht von der Käuflichkeit der Leistung abhängig machen und damit relativieren. Die Übertragung der Geldschuld auf generische Verpflichtungen wäre auch des­ halb wenig hilfreich, weil Geldschulden immerhin auf einen festen Betrag lauten, während bei der Beschaffungsverpflichtung die Beschaffungskosten naturgemäß variieren.

Zusammenfassung

Wenn wir nun die Regelungen von Mommsens System Revue passieren las­ sen, so zeigt sich die geringe Bedeutung der Regel „impossibilium nulla obligatio“. Die apodiktische Aussage wird auf ursprüngliche, ausschließlich in der Sache liegende, also objektive Hindernisse beschränkt. Ist die ver­ tragliche Bindung einmal entstanden, so erfolgt zwar formal eine Ausdeh­ nung der Regel durch einen auch subjektiv verstandenen Unmöglichkeitsbe­ griff; inhaltlich überwiegen aber die Einschränkungen. Veränderte Umstän­ de werden nur berücksichtigt, wenn sie nicht aus einer ursprünglich fehlen­ den Rechtsmacht des Schuldners resultieren. Insbesondere bei Gattungs­ schulden deutet sich damit die Lösung des § 279 BGB bereits an. Bei noch nicht beschafften oder aber noch nicht konkretisierten Sachen bleiben sämt­ liche aus der Beschaffung des Rechts resultierenden Hindernisse unberück­ sichtigt. Auch eine „wahre Unmöglichkeit“ beseitigt die vertragliche Ver­ pflichtung in der Regel nicht. Faktische Hindernisse führen - im Einklang mit der Lehre vom Verzug - nur zu einem zeitlichen Aufschub. Der Schuld­ ner ist gehalten, die Leistung nach Wegfall des Hindernisses zu erbringen. Auf die Überwindung des Hindernisses geht Mommsen leider nicht genauer ein. Es wird aber angedeutet, daß den Schuldner hier Handlungspflichten treffen. Zudem ist die Befreiung immer dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner die Situation hätte vermeiden können, die zum Eintritt einer „wahren Unmöglichkeit“ geführt hat 23 Bei dieser engen Auffassung drängt sich die Frage auf, ob die Leistungs­ erschwerung nach anderen Grundsätzen befreiend wirken kann. Nein, lautet die Antwort Mommsens. Er kennt nur drei Zustände: 22 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 232: „So tritt z. B. eine Befreiung des Schuldners nicht ein, wenn er das geliehene Geld ohne sein Verschulden verloren hat; denn Geld zu leisten ist immer möglich.“ 23 Ein erster Vergleich mit den §§ 275, 279 BGB zeigt: bei Gattungsschulden ist Momm­ sen großzügiger, da entgegen § 279 BGB faktische Hindernisse den Schuldner befreien kön­ nen; bei Stückschulden ist er insoweit strenger, als eine vollständige Gleichsetzung subjekti­ ver Hindernisse mit den objektiven nicht erfolgt.

1. Der Schuldner will nicht erfüllen [...] 2. Der Schuldner kann nicht leisten [...] a. Die Unmöglichkeit wird vom Recht nicht als eine wahre anerkannt [...] b. Die Unmöglichkeit der Leistung ist eine solche, welche vom Recht als eine wahre anerkannt wird.24

Nur im letzten Fall ist eine Lösung von der vertraglichen Pflicht möglich. Im ersten Fall „beruht die Nichterfüllung auf seinem [des Schuldners] Wil­ len“, der zweite Fall wird „rechtlich so angesehen [...], als ob der Schuldner leisten kann“. Die „wahre Unmöglichkeit“ ist conditio sine qua non. Mommsen beschränkt seinen Blick vollständig auf das Objekt der Leistung. Andere Umstände, wie etwa die Gegenleistung oder die von den Parteien verfolgten Ziele, treten zurück. Mit Abschluß des Vertrags schränkt der Schuldner seine Willensmacht ein, um die des Gläubigers entsprechend zu erweitern. Vice versa bei gegenseitigen Verträgen. Damit hat der Vertrag auch schon seine Schuldigkeit getan. Fortan wird nur noch die einzelne Willensbindung betrachtet. Mommsen interessiert lediglich, ob das Aus­ bleiben der Leistung auf den gebundenen Willen des Schuldners zurückge­ führt werden kann. Die Unmöglichkeitslehre ist eine solche der Leistungs­ störung. Für eine umfassende Theorie der Vertragsstörung bleibt kein Raum. Das ist der eigentliche Inhalt der Unmöglichkeitslehre. Und so wurde sie auch von den Zeitgenossen verstanden.

2.

Die analytische Obligationenlehre Gustav Hartmanns

Das Gegenmodell zu der Unmöglichkeitslehre wurde starke zwanzig Jahre später, 1875, von Gustav Hartmann aufgestellt. Angesichts des zwischen­ zeitlich weitverbreiteten und rezipierten Begriffs der Unmöglichkeit sind seine Darlegungen durchaus als Antwort auf Mommsen zu verstehen. Schon der Titel der Schrift, „Die Obligation - Untersuchungen über ihren Zweck und Bau“, weist auf einen völlig anders gelagerten Zugang zu dem Problem hin. Nicht ein Begriff und die aus diesem deduzierbaren Inhalte sollen die Grenzen privatautonom erzeugter Rechtspflichten aufzeigen. Hartmann in­ teressiert sich vielmehr für die „Obligation“ als den Ursprung der Pflicht. Ihr will er die Reichweite und Grenzen der Bindung entnehmen. Die schuld­ rechtliche Verpflichtung, von Mommsen noch verschämt am Rande seines Systems zu dessen Korrektur eingesetzt, wird in den Vordergrund gerückt. Eine Analyse der schuldrechtlichen Vereinbarung anstelle einer Deduk­ tion rechtlicher Begriffe - so könnte man den systematischen Ansatz Hart­ manns im Vergleich zu dem Mommsens in wenigen Worten umreißen. Ob­ wohl Hartmann ebenfalls der historisch-romanistischen Rechtsschule zuge­ 24 Mommsen, Die Lehre von der Mora, S. 17-19

ordnet werden kann, schlägt sich sein Ansatzpunkt im Argumentationsbild deutlich nieder. Neben den in der damaligen rechtswissenschaftlichen Lite­ ratur kaum wegzudenkenden Belegstellen des Corpus Iuris Civilis zitiert Hartmann in größerem Umfang auch höchstrichterliche Entscheidungen. Das ist ein durchaus moderner Zug. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wur­ den Urteile in der rechtswissenschaftlichen Literatur gemeinhin nicht zur Kenntnis genommen. Das mag mit einem negativen Richterbild Zusammen­ hängen oder mit der Überzeugung, Gerichte hätten sich - zumal im Staat der Gewaltenteilung - auf die Rechtsanwendung zu beschränken. Eher aber ist es ein Ausdruck des methodischen Selbstverständnisses der Zeit.25 Das Recht wurde - sieht man von dem positivierten Gesetz einmal ab - nicht er­ zeugt, es wurde aufgefunden, mittels induktiver Systematisierung des histo­ risch vorgefundenen Rechtsmaterials und logischdeduktiver Ableitung des konkreten Ergebnisses (oder was immer man dafür hielt). In letzter Konse­ quenz setzte sich die Rechtswissenschaft mit ihren Konstruktionen an die Stelle des Gesetzgebers. „Rechtsschöpferische Konstruktionsjurisprudenz“ nannte Wieacker das.26 In diesem System gab es keinen Platz für eine freie richterliche Rechtsdeutung oder gar Rechtsschöpfung. Hartmann will wie Mommsen auch das Problem der Reichweite der vertraglichen Verpflich­ tung über das System des vorgefundenen Rechts ermitteln. Indem er sich aber auf die Vereinbarung der Parteien verwiesen sieht, macht er den mo­ dernen Schritt hinein in die Rechtstatsachen. Nicht der in das Barbarenland geflohene Sklave ist sein Anschauungsobjekt, sondern die während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 nur erschwert herbeizuschaf­ fende Ware. Gerade diese Nähe zur wirtschaftlichen Situation der Zeit si­ chert dem wissenschaftlichen Außenseiter Hartmann unser Interesse. a) Der Imperativ Schuldrechtliche Verpflichtungen äußern sich in einer Handlungsanwei­ sung, einem „Sollen“, wie Hartmann sich ausdrückt. Die Rechtspflicht als Imperativ - dieser Gedanke ist nicht neu. Er steht in Gegensatz zu einer Ableitung der Rechtspflicht aus dem unmittelbaren Zwang oder, um Hart­ mann ein entsprechendes Schlagwort entgegenzusetzen, aus dem „Müssen“. Hartmann will die Rechtspflicht nicht auf die Frage reduzieren, ob der Gläubiger mit Hilfe des Staates den Inhalt des Rechtsgeschäfts unmittelbar durchsetzen kann. Nun ist damit noch nicht viel gewonnen. Natürlich richtet sich der Imperativ an den Willen einer Person. Und natürlich orientiert man sich in Fragen der faktischen Durchsetzbarkeit an dem objektiven Inhalt des 25 Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, S. 39-169 26 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 431.

in Frage stehenden Rechtsgeschäfts. Es kann aber nicht zwingend geschlos­ sen werden, daß im ersten Fall nur gewisse Handlungen, im zweiten nur der Erfolg die Rechtspflicht ausmachen bzw. ausmacht. Hartmann hat es sich auch nicht so leicht gemacht. Analytisch entnimmt er der Obligation zwei Bestandteile: den Zweck und den Zwang. Die Parteien bedienen sich des Vertrages, um ihrer Vereinbarung neben einem unmittelbaren Inhalt noch einen „Rechts- und Machtinhalt“ zu geben. „Der rechtlich bindende Apparat ist für die juristische Betrachtung naturge­ mäß der substantielle Körper der Obligation“,27 erläutert er den Ausgangs­ punkt seiner Betrachtung. Dem jedem Imperativ innewohnenden ethischen, inneren Zwang stellt er einen faktischen, äußeren zur Seite. Das Zwangs­ moment ist nicht identisch mit dem eben angesprochenen „Müssen“. Dem Imperativ soll lediglich Gehör verschafft werden. Die unmittelbare Durch­ setzung der vertragsgegenständlichen Leistung ist nur ein Weg, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Die Verbindung von Imperativ und Zwang er­ möglicht es Hartmann, den Zwang auch auf das hinter der unmittelbaren Vertragsleistung stehende, bloße Interesse auszudehnen.28 Im Ergebnis wird die Haftung auf das Interesse in den Vertragsbegriff inkorporiert; als Se­ kundärleistungspflicht tritt sie hinter die vertraglich bedungene, nun primäre Leistungspflicht. Bereits hier deutet sich der Gegensatz zu Mommsen an. Der Satz „Impossibilium nulla obligatio“ hat nur dann Anspruch auf logi­ sche Folgerichtigkeit, wenn die obligatio auf die Primärleistung beschränkt wird. Die Leistung eines Interesses wird dagegen regelmäßig möglich sein. Der Primärleistung entgegenstehende Hindernisse auch der Sekundär­ leistungspflicht entgegenzuhalten ist zwar nicht ausgeschlossen, aber eben nicht logisch zwingend. Es kann daher nicht verwundern, wenn Hartmann selbst einer auf die „negative Nothwendigkeit“ reduzierten Unmöglichkeit die Eignung abspricht, den Vertrag bereits per se an der Entstehung hindern zu können 29 Wenn Hartmann von der „Gebundenheit einer speciellen Willens- oder Vermögenssphäre als solcher“ spricht,30 braucht er sich nicht allzu einsam 27Hartmann, Die Obligation, S. 44 f. ^Hartmann, Die Obligation, S. 162: „Es ist nun klar, dass eine solche Anforderung, sei­ ne Handlungsweise im Dienst des Obligationszweckes mit der guten Treue in Einklang zu bringen, durch kein Recht der Welt in direktem Zwang realisiert werden kann. Das Recht kann hier sein oportet nur in der Weise denken, dass es dasselbe sofort eventuell, d. h. falls das dare facere wider die gute Treue ausbleibe, auf die Interesseleistung abstellt. Gerade durch diesen Gedanken ist es begründet, daß hier die Identität der Obligation bei der eventu­ ellen Richtung auf das Interesse doch ungestört bleibt.“ Hartmann spricht auf S. 253 von dem „die Naturalerfüllung nach Anlage und Bau der Obligation vertretende[n] Geldinteresse“. ^Hartmann, Die Obligation, S.172 f.; ein Anwendungsbeispiel findet sich auf S. 189 f. ^Hartmann, Die Obligation, S. 37.

zu fühlen. Er befindet sich durchaus im Einklang mit der Ansicht, die Mitte des 19. Jahrhunderts als die verbreitetste gelten kann. Kant hatte von der „Erwerbung einer aktiven Obligation auf die Freiheit und das Vermögen des anderen“ gesprochen.31 Aus Sicht des Schuldners sieht Friedrich Carl von Savigny „die obligatorischen Handlungen als ausscheidend aus der eigenen Freiheit des Handelnden“.32 In engem Schulterschluß zu Savigny erklärt Mommsen, der Schuldner beschränke seinen Willen, um so den Wirkungs­ bereich des Willens des Gläubigers zu erweitern. Auch andere verstehen das vertraglich geschaffene Recht primär als „Recht auf eine Handlung“ (Sohrn), auf „die Handlung, zu welcher das Forderungsrecht den Schuldner verpflichtet“ (Windscheid) oder als „Rechte an Menschen als solchen d. h. als handlungsfähigen Individuen“ (Bekker).33 Allen diesen Ansichten ist gemein, daß sie die Pflicht von der privatautonomen Herkunft emanzipieren. Der einmal mit rechtlicher Relevanz geäußerte Wille wird zum Gegenstand des Rechts und die ihm entnommene Pflicht wird fortan im Grunde nicht anders behandelt als eine gesetzlich auferlegte Handlungspflicht. Der für den Vertrag typische Konnex wechselseitiger Rechte und Pflichten löst sich in einzelne Handlungspflichten auf - eine Verengung des Blickwinkels, die es geradezu nahelegt, die einzelne Pflicht zu isolieren und lediglich an dem Menschen- und Schuldnermöglichen zu messen. Hartmann mißbehagt diese Deduktion des Schuldverhältnisses aus dem Willen. Er konstatiert „die ge­ wöhnliche Überschätzung des Moments der Handlung, wonach man sie aus der Rolle des gewöhnlichsten Mittels zu der des Selbstzwecks erhob“. Die Gebundenheit des Willens, die Erzwingbarkeit des Handelns, das alles taugt in Hartmanns Obligation nur zum Mittel. Die Vertragspartner gehen die Bindungen nie ohne einen konkreten Grund ein. „Der wesentliche Zweck der Obligation“, hält Hartmann fest, „ist die Stillung eines bestimmt begrenzten, durch den Entstehungsgrund in­ dividualisierten, privaten Interesses einer Person.“34 Damit ist als des Schuldverhältnisses zweiter Bestandteil das Zweckmoment des Imperativs formuliert. Die Zwecke, Ziele und Motive der Parteien bleiben auch bei der zeitgenössischen Rechtswissenschaft nicht ganz unerwähnt. Sie wurden für das schuldbegründende Rechtsgeschäft herangezogen, um einen Irrtum, eine Drohung, Täuschung oder Sittenwidrigkeit inhaltlich fassen und rechtlich abgrenzen zu können. Die lückenfüllende Auslegung der Willenserklärung, der Rekurs auf hypothetische Parteiwillen, werden ebenfalls für den Fall

31 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 20 = WW IV 386. 32 Savigny, Obligationenrecht § 3. 33 Nachweise bei Hartmann, Die Obligation, S. 38-40. ^Hartmann, Die Obligation, S. 37.

diskutiert, daß die Parteien nicht an alles gedacht hatten, was der Geschäfts­ zweck mit sich bringt.35 Hartmann geht einen entscheidenden Schritt weiter und nimmt den Zweck in den Begriff der Obligation auf.36 Formal bedeutet dies, Inhalt und Fortbestand des Schuldverhältnisses von weiteren Bedin­ gungen als nur einem wirksam geäußerten Willen abhängig zu machen. Je nachdem was man unter Zweck versteht, wird das Schuldverhältnis derge­ stalt inhaltlich ausgedehnt oder eingeengt. Zwei Extrempositionen können ausgeschlossen werden. Zum einen will Hartmann die vertragliche Ver­ pflichtung nicht in einer diffusen Motivbetrachtung auflösen. Begrifflich hebt er sogenannte „Endzwecke“ und „Endziele“ von den unbeachtlichen Zwecken und Zielen ab.37 Frustrierte Erwartungen werden dem Schuldver­ hältnis also nicht ohne weiteres gefährlich. Auf der anderen Seite soll der Zweck nicht auf den bloßen Leistungserfolg reduziert werden. Nicht jeder Erfolgseintritt erfüllt das Schuld Verhältnis38 und nicht jedes dem Erfolg ent­ gegenstehende Hindernis ist zu überwinden. Die von den Parteien gesetzten Zwecke und die darin zum Ausdruck kommende gute Treue relativieren den Erfolgsbezug der Schuld. So kann Hartmann feststellen: „Das innere Wesen der Obligation besteht in dem rechtlichen Soll, welches verschiedener Erscheinungs- und Realisierungsformen fähig ist und verschiedener Grade der Entschiedenheit und Intensität.“39 Dem vertraglich begründeten Imperativ werden Gegenstand und Subjekte der Schuld entnommen und nun eben auch die Intensität der Bindung. Der Gedanke ist nur zum Teil neu. Nicht nur Orts- und Zeitbestimmungen, Zusi­ cherungen und Bedingungen erweitern oder verengen die Bindung des Schuldners, auch über das Verschulden finden Verhaltenspflichten Eingang in die rechtliche Würdigung. Bislang handelte es sich aber durchweg um er­ satzbegründende Nebenpflichten. Hartmann erweitert den Gedanken auf die Leistungspflicht selbst. Anhand der vertraglichen Vereinbarung und der guten Treue will er ermitteln, mit welcher Intensität der Vertragszweck die Erfüllung fordert. Im Zweifel sei der Schuldner nicht mehr absolut zur Her­ 35 Hartmanns Obligation ist nicht auf ein ethisches Prinzip wie die Vertragstreue ange­ wiesen. Zu den zeitgenössischen Theorien der ergänzenden Vertragsauslegung vgl. Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 151-164. 36 „Die Obligation kann zwar auch noch ihre weiteren rein factischen Zwecke haben. Aber das Zweckmoment bricht bei ihr auch in den Begriff selbst ein, wird geradezu juristi­ scher Natur.“ Im Gegensatz hierzu: „Die beim Eigentum vorhandenen Zwecke liegen we­ sentlich ausserhalb seines Rechtsbegriffs, bleiben thatsächlicher Natur und sind unendlicher Mannigfaltigkeit zugänglich.“ Hartmann, Die Obligation, S. 44. 37Hartmann, Die Obligation, S. 45, Fn. 11. 38 Hartmann formuliert seine Lehre vom Zweck zunächst zum concursus causarum. ^Hartmann, Die Obligation, S. 165. „Aber die äussere Haftung, wie wir sahen, ist nur Sanctionsmittel der Obligation.“

beiführung des vertraglich geschuldeten Erfolges, sondern lediglich zu ei­ nem gewissen „Maß an Kraftanstrengung“ verpflichtet.40 Wer inhaltliche Grenzen der Leistungspflicht sucht, darf also nicht bei dem Gegenstand der Leistung stehenbleiben. „Unter gänzlicher Femhaltung der schiefen Vor­ stellung von subjektiver Unmöglichkeit' ist direkt durch Untersuchung der speziellen obligations-begründenden Thatsache, insbesondere kraft Wil­ lensinterpretation, festzustellen: in welchem Umfange und mit welchem Aufwand von Mitteln das Soll der Obligation auf die Hinwegräumung be­ stimmter rechtlicher (oder factischer) Hindernisse sich erstreckt, die der wirklichen Erfüllung des Endzwecks im Wege stehen. Hat dann der Ver­ pflichtete erweislich diesem Maß von Kraftanstrengung genügt, so ist er frei und entlastet, - ganz einerlei, ob eine wahre Unmöglichkeit vorliegen mag oder nicht.“41

b) Bei Vertragsschluß vorliegende Hindernisse Hartmann verweist seine Leser auf die Willensinterpretation, was naturge­ mäß materiale Aussagen erschwert 42 Dennoch wird er erstaunlich konkret. Das hat zwei Gründe. Zum einen werden die Parteien regelmäßig keine De­ tails geregelt haben. Hier nimmt Hartmann in einer ergänzenden Auslegung auch Verkehrsgewohnheiten in seine Interpretation hinein 43 Und dann dif­ ferenziert er zwischen absolut verpflichtenden Rechtsgeschäften und sol­ chen, die dies nur in den Grenzen der guten Treue tun. Hierzu nutzt er eine im römischen Recht angelegte Zweiteilung der Rechtsgeschäfte, die er in Anschluß an die Begriffsbildung bei Savigny „verborum obligationes" und „obligationes bonae fidei“ nennt. Die verborum obligationes gehen auf den Verbalkontrakt des klassischen römischen Rechts zurück, welcher in der stipulatio seine verbreitetste Gestalt erhalten hat. Der Verbalkontrakt ist ein Akt einseitiger Unterwerfung. Er konstituiert primär ein Klagerecht des Versprechensempfängers und nicht die Leistungspflicht des Versprechen­ 40 Hartmann, Die Obligation, S. 199. Für obligationes bonae fidei wird auf S. 250 festge­ stellt: „Das Soll der Obligation läßt sich in erster Linie dahin fassen, dass, mit grösserer oder geringerer Kraftanspannung, die äusseren Bedingungen für die Verwirklichung des End­ zwecks der Obligation aufrecht zu erhalten beziehentlich herbeizuführen sind.“ 41 Hartmann, Die Obligation, S. 199. 42 Hartmann, Wort und Wille im Rechtsverkehr, Jherings Jahrbücher 20 (1882), 31: „Es sollen die Lücken und Unebenheiten der äußeren Fassung verbessert und ergänzt werden aus dem inneren Zusammenhang des Ganzen, unter Berücksichtigung auch der Vorverhandlun­ gen und der Intentionen, welche aus der schließlichen Abfassung zutate treten, unter Berück­ sichtigung überhaupt des erkennbaren Zweckes, mit welchem und zu welchem auch die er­ forderlichen Mittel als gewollt gelten müssen.“ 43 Hartmann, Die Obligation, S. 202: „Verkehrsbedürfnis“; S. 209: „der vernünftige all­ gemeine Wille“.

den. In seiner modernen Adaption spricht Hartmann von einem „stricten Soll“. Hier soll der Schuldner sich auf die bloße Schwierigkeit der Leistung nicht berufen können.44 Die Regel sei aber die obligatio bonae fidei, und die soll grundsätzlich anders behandelt werden. Der römische Ursprung der ob­ ligationes bonae fidei ist der Konsensualvertrag. Anders als bei § 242 BGB ist die bona fides konstitutives Element, kein begrenzendes. Entsprechend positiv bestimmt sie die Grenzen der vertraglichen Pflicht mit. Kein einheitliches Bild ergibt sich im Falle anfänglicher, in der fehlenden Rechtsmacht des Schuldners begründeter Hindernisse. Immerhin drei Abstu­ fungen sind Hartmanns Ausführungen zu entnehmen. Der durch ein Ver­ mächtnis belastete Erbe sei allenfalls verpflichtet, „wie ein ordentlicher ge­ wissenhafter Mann um die Erwerbung der Sache sich zu bemühen“ 45 Dem heutigen Leser ist der Gedanke nicht fremd; in § 2170 BGB wurde eine ähnliche Lösung positiviert. Bereits für den Verschenker fremder Sachen sieht die Lage ernster aus. Der soll selbst dann nicht von der „Haftung für das positive Erfüllungsinteresse“ frei sein, „wenn sich [...] der wahre Ei­ gentümer weigert, von der Sache zu weichen oder wenn er sich nur für einen unmässigen Preis dazu bereit erklärt“. Die Differenzierung leuchtet ein, denn der Schuldner hat die ihn treffende Pflicht diesmal unmittelbar selbst begründet. War das Hindernis bekannt, so ist dessen Überwindung eben Teil der Pflicht geworden. Wurde die vertragliche Verpflichtung entgeltlich übernommen, so Hartmann weiter, garantiere der Schuldner darüber hinaus die Beseitigung auch unbekannter Hindernisse. Grund sei „das innere, zwingend nach Sicherheit verlangende, Verkehrsbedürfnis“, aus welchem sich ein fester Rechtssatz gebildet habe 46 Dies soll auch gelten, wenn aus­ drücklich eine Sache als eine schuldnerfremde Vertragsgegenstand gewor­ den ist, der Gläubiger also selbst die fehlende Rechtsmacht des Schuldners kannte. Der Schuldner bleibt verpflichtet, „trotz seiner bona fides und trotz des entschuldbarsten Irrtums“.47 Dem Vertragszweck will Hartmann, aus Gründen der Tradition und im Interesse der Verkehrssicherheit, keine zu­ sätzlichen Haftungsbeschränkungen entnehmen. Fehlt dem Schuldner nicht das Recht, wohl aber die Möglichkeit der fak­ tischen Verschaffung, so ist Hartmann etwas gnädiger. Nur bei den „ver­ borum obligationes“ soll der Versprechende immer für die Überwindung 44 Hartmann^ Die Obligation, S. 196: „Das stricte Soll der verborum obligationes hat hier nur das zur Folge, dass von vornherein der Zweifel abgeschnitten ist, als ob die Spannungs­ kraft vor einer solchen blossen Schwierigkeit erlahmen könnte, wie wir es bei anderen Obli­ gationen in der Tat finden werden.“ ^Hartmann, Die Obligation, S. 198. ^Hartmann, Die Obligation, S. 202. ^Hartmann, Die Obligation, S. 201.

des faktischen Hindernisses haften.48 Ansonsten, also bei den weniger strikten „obligationes bonae fidei“, wird anhand des Kenntnisstands des Gläubigers differenziert: Kannte der Gläubiger das Hindernis, müsse der Schuldner sich lediglich um dessen Überwindung bemühen; war ihm das Hindernis unbekannt, so hafte der Schuldner schlechthin. Die Kenntnis des Schuldners ist für Hartmann dagegen unerheblich.49 Die Sicherheit des Ver­ kehrs gebiete die Haftung selbst dann, wenn beiden Parteien der Eintritt des Hindernisses unbekannt gewesen sein sollte. Zweck hin, Zweck her: hier ist Hartmann deutlich restriktiver als Mommsen.

c) Nach Vertragsschluß auftretende Hindernisse

Interessanter ist Hartmanns Behandlung der nach Vertragsschluß auftreten­ den Hindernisse. Auch hier gilt die Trennung von „verborum“ und „bonae fidei obligationes“. Die verborum obligationes sollen den Versprechenden unabhängig von nachträglich eintretenden Hindernissen zu der Leistung des Versprochenen verpflichten.50 Dem Zweck des Gesamtgeschäfts zugänglich seien aber die bonae fidei obligationes. Deren Grundgedanken formuliert Hartmann wiefolgt: „Wie der Gläubiger vom Schuldner alles verlangen kann, was die bona fides gebietet: so darf er andererseits auch nicht mehr und nicht eine stärkere Anspannung fordern, als es das Mass der schuldigen guten Treue mit sich bringt.“51 Wie haben wir uns die praktischen Auswir­ kungen der guten Treue vorzustellen? Zweimal hat sie sich zu bewähren: im Moment des Eintritts des Hindernisses und bei dessen prospektiver Über­ windung. Nun trägt die Zweckbetrachtung Früchte. „Mit der guten Treue kann es regelmäßig nicht als vereinbar erscheinen, dass man als Verpflichteter schlechthin einzustehen habe für alle, gar nicht vorhersehbaren Wechselfälle einer blinden und oft tückischen Zukunft,“ hält Hartmann fest. Im Zweifel sei anzunehmen, „dass die Verpflichtung hinsichtlich der Zwischenfälle der

^Hartmann, Die Obligation, S. 205: „[...] es müßte denn in der Stipulation ausdrücklich auf das obwaltende Hindernis Rücksicht genommen und dem Promittenten die Haftung für dessen sofortige Überwindung abgenommen sein.“ 49 Die Obligation, S. 209 f. Die Parallele zu den anfänglichen rechtlichen Hindernissen wird mit den Worten betont: „Wenn es im Interesse der Sicherheit des Verkehrs als der ver­ nünftige allgemeine Wille beim Kaufe gilt, dass der Verkäufer einzustehen hat für den, ob­ schon noch so sehr entschuldbar von ihm übersehenen, Mangel der rechtlichen Verfügungs­ gewalt über die Sache: so wird es nicht minder als der vernünftige allgemeine Wille erschei­ nen, dass das Soll der Obligation sich auch richtet auf die sofortige Beseitigung des sofort empfindlichen Mangels der faktischen Verfügungsgewalt über die Sache.“ ^Hartmann, Die Obligation, S. 226 f. 51 Hartmann, Die Obligation, S. 243.

Zukunft nicht über das Gebiet eigener Zurechnung hinaus gewollt war“.52 Unter Zurechnung versteht man gemeinhin die Rückführbarkeit eines Erfol­ ges auf eine Handlung (sog. objektive Zurechnung) und auf den Willen (subjektive Zurechnung) einer Person. Nun äußert sich ein der Erfüllung entgegenstehendes Hindernis in der Regel dadurch, daß die Leistung schlicht unterbleibt. Blickt man auf die Entstehung eines der Erfüllung ent­ gegenstehenden Hindernisses, so ist ein Zurechnungsurteil durchaus denk­ bar. Für die unterlassene Überwindung des Hindernisses ist die Zurechnung dagegen ein inhaltsleerer Begriff. Sie muß ausgefüllt werden mit Handlungs- und Sorgfaltspflichten. Der „innere Geist und Sinn eines Verpflich­ tungsaktes“, wie Hartmann den Vertragszweck nun umschreibt, soll über diese Pflichten aufklären. Der erste Zweck des Vertrages ist die Naturalerfüllung, die ein bestimm­ tes Gläubigerinteresse befriedigen soll. Hartmann fragt weiter, ob der Ver­ trag das Interesse beider Seiten oder aber, etwa bei der unentgeltlichen Ver­ wahrung oder der Schenkung, nur das Interesse einer Seite befriedigen soll. Dient das Schuldverhältnis ausschließlich dem Interesse einer Partei, so faßt Hartmann den Vertragszweck durchaus eng. Der Schuldner hafte, wie im außervertraglichen Bereich, nur für dolus und culpa lata, für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit also. Das kennen wir. In § 521 ist für die Schenkung und in den §§ 690, 277 BGB für die unentgeltliche Verwahrung eine ähnli­ che Haftungsreduktion vorgesehen. Soweit der Schuldner nicht ausdrücklich besondere Bemühungen zur Überwindung des Hindernisses versprochen ha­ be, schulde er diese nicht. Bereits die geringste Schwierigkeit sei dann ge­ eignet, ihn zu entlasten.53 Anders bei wechselseitigen, in der Regel entgelt­ lichen Verpflichtungen. Hier soll der Schuldner bereits im Falle der culpa haften. Das fahrlässig verursachte Hindernis ist zu überwinden, so Hart­ mann wenig originell. Bei unverschuldet bestehenden Hindernissen kann der Schuldner sich aber nicht zurücklehnen. Die culpa kann nämlich auch die Überwindung betreffen. Hartmann stellt fest: „Sehr häufig wird ihn [...] die schuldige Sorgfalt eines diligens pater familias verpflichten, Schritte zu thun und Mühe anzuwenden zur Überwindung des Hindernisses“.54 Der

52Hartmann, Die Obligation, S. 243. 53 Hartmann, Die Obligation, S. 244: „Gerade aber wo Jemand nun blos für dolus haftet, zeigt es sich am klarsten, dass auch schon eine geringe Schwierigkeit, die der Erfüllung spä­ ter entgegentritt, befreiend für den Verpflichteten wirken kann. Denn das Soll der Obligation geht hier gar nicht auf eine besondere Bemühung zur Überwindung von Hindernissen und Schwierigkeiten.“ 54 Hartmann, Die Obligation, S. 247; für den Klassiker des gestohlenen Kaufobjekts will er die Verfolgung „je nach dem Werth und der leichten oder schweren Ersetzbarkeit der ab­ handengekommenen Sache“ anordnen.

Schuldner ist also gehalten, die aufgetretenen Schwierigkeiten zu überwin­ den. Jedoch nicht um jeden Preis. Verlangt werden eine „grössere oder ge­ ringere Kraftanstrengung“55 sowie ein „zweckgemäßes Handeln mit redli­ cher Überlegung“.56 Konkreter wird Hartmann leider nicht. Immerhin für Gattungsschulden werden die Haftungsanforderungen et­ was erläutert. Und reduziert. Hartmann erkennt die Gefahr, die darin liegt, daß man mit der Gattung eine Vielzahl von erfüllungstauglichen Gütern und damit auch eine Vielzahl unterschiedlicher Hindernisse hat. Hier auf das ge­ ringste denkbare Hindernis abzustellen, würde den Schuldner übermäßig belasten; ganz zu schweigen von einer sämtliche Gattungsgüter umfassen­ den Exculpationslast. Hartmann meint deshalb, eine Gattungsschuld müsse „schon an geringeren Hinderungsgründen sich brechen können“. Und im Hinblick auf den deutsch-französischen Krieg von 1870 führt er aus: „Gera­ de die bewegten Ereignisse der letzten Jahre haben doch eine Menge höchst handgreiflicher Beispiele geliefert, wo das Soll der generischen Lieferungs­ obligation an gleich starken Hindernissen brechen musste, wie es gegenüber der Schuld individuell bestimmter Sachen das Abhandenkommen der letzte­ ren ist.“57 Einen ersten Lösungsansatz (der später in der Reichsgerichts­ rechtsprechung zu § 279 BGB aufgegriffen werden sollte) sieht Hartmann im Zeitfaktor. Es biete sich an, die Rechtsnachteile des Verzugs auszu­ schließen und dem Schuldner zumindest einen Aufschub der Erfüllung zu­ zugestehen. Auch ohne ausdrückliche Fixierung der Leistungszeit könne für die meisten Verträge als vereinbart gelten, „dass die Lieferung innerhalb ei­ ner bestimmten Maximalfrist beschafft werde“,58 59 bei Agrarprodukten bei­ spielsweise in der Zeit der Jahresemte. Sei die Lieferung innerhalb dieses Zeitrahmens nicht möglich, sieht er „das Soll der Obligation überhaupt ge­ scheitert“. Die Schuld erlösche selbst dann, wenn sich später die vertragli­ che Verpflichtung problemlos realisieren ließe. Bei Geldschulden kennt Hartmann indessen kein Erbarmen: „Es hängt dies zusammen mit der ganz abstrakten Natur des Geldes, als der fungibelsten Sachenart unter allen Fungibilien."59 Hartmann meint hier nur die pri­ mär zu leistende Geldschuld, beispielsweise den zu zahlenden Kaufpreis oder den zu leistenden Schadensersatz. Eine Übertragung auf die bloße Be55 Hartmann, Die Obligation, S. 250: „Das Soll der Obligation lässt sich in erster Linie dahin fassen, dass, mit grösserer oder geringerer Kraftanstrengung, die äusseren Bedingungen für die Verwirklichung des Endzweckes der Obligation aufrecht zu erhalten beziehentlich herbeizuführen sind.“ 56Hartmann, Die Obligation, S. 243. 57Hartmann, Die Obligation, S. 254 f. ^Hartmann, Die Obligation, S. 256. 59Hartmann, Die Obligation, S. 257.

Schaffungsverteuerung verbietet sich. Die in Gesetzgebungsverfahren und auch später immer wieder auftauchende Überlegung, wenn ein Geldmangel nicht zu berücksichtigen sei, müsse ein Schuldner nach einem wertenden oder gar logischen Schluß auch alle mit Geld zu beseitigenden Hindernisse überwinden, blendet die vertragliche Vereinbarung komplett aus und wird dem Hartmann'sehen System nicht gerecht. Nur im Falle der reinen Geld­ schulden geht der Bindungszweck auf die vollständige Haftung.

Zusammenfassung

Hartmann steht der Unmöglichkeitsdogmatik völlig ablehnend gegenüber. Die Grenzen der vertraglich übernommenen Pflicht sollen dem Schuldver­ hältnis selbst entnommen werden. Hierzu analysiert er das Schuldverhältnis und entdeckt den Imperativ als zentrale Kategorie. Das muß noch keine an­ dere Lösung als die Mommsens herbeiführen. Der Imperativ richtet sich an den Willen der gebundenen Person; auch hier könnte geprüft werden, ob die Leistung dem Adressaten des Imperativs, dem Willen des Schuldners, über­ haupt zugänglich ist. Doch Hartmann argumentiert anders. Eng verbunden mit dem Imperativ sieht er den Zweck der Selbstverpflichtung. Nicht nur das Ziel des Imperativs, den versprochenen Leistungserfolg, findet er mit­ tels der Zweckbestimmung im Vertrag niedergelegt, sondern auch die Inten­ sität, mit der dieses Ziel angestrebt werden soll. Wer wegen des Zweckgedankens befürchtet, die vertragliche Bindung könne dergestalt ausgehöhlt werden, der sieht sich getäuscht. Inhaltlich bringt diese Konzeption nicht zwingend eine schuldnerfreundlichere Lösung mit sich. So entfällt etwa die Unmöglichkeit als ein die Schuldnerpflicht per se begrenzendes Element. Für ursprüngliche Hindernisse sieht Hartmann ei­ ne volle Haftung vor, mit Ausnahme unentgeltlich übernommener und er­ blasserseits aufgetragener Pflichten. Wie wenig originell diese Ausnahmen sind, zeigt bereits ein Blick in das BGB. In den §§ 2170,523 Abs. 2 wurden ganz ähnliche Wertungen positiviert. Im Falle nachvertraglich eintretender Hindernisse wird Hartmann noch kulanter. Unentgeltliche Verträge bezwekken demnach nicht mehr als das, was der Schuldner auch hat. Dieser Ge­ danken liegt auch dem § 523 BGB zugrunde. Die Leistungsfähigkeit muß der Schuldner zudem nur mit verminderter Sorgfalt aufrechterhalten, vgl. §§ 521, 690, 277 BGB. Die Entgeltlichkeit verändert die Zwecksetzung und damit das Pflichtengefüge. Zum einen wird die Pflicht hinsichtlich der Auf­ rechterhaltung der Leistungsfähigkeit erweitert; nun schadet dem Schuldner jedes Verschulden. Das war damals nicht neu60 und ist auch heute nicht un­ bekannt: §§ 275, 285 und 276 BGB. Zum anderen werden dem Schuldner 60 Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 366 sowie § 265 Ziff. 4,

besondere Anstrengungen abverlangt, wenn es darum geht, ein unverschul­ det eingetretenes Hindernis zu überwinden. Es ist das originäre Verdienst Hartmanns, für diese Anstrengungen eine neue und eigenständige Wertung ermöglicht zu haben. Mommsen und auch das BGB in den §§ 275, 279 ha­ ben sich für eine ganz andere Lösung entschieden. Sie kennen die Über­ windungspflicht nicht als eigenständiges Institut. Der dahinter liegende Ge­ danke ist klar: überwindbare Hindernisse müssen immer überwunden wer­ den. Ganz anders Hartmann. „Verschiedene Grade der Entschiedenheit und Intensität“ konstatiert er angesichts des Imperativs. Auch überwindbare Hindernisse können befreiend wirken. Der Gattungsschuldner wird es gerne vernehmen. Die Grenze der Leistungspflicht wird also wertungsmäßig im Vertrag an­ gelegt. Das klingt gut, ist aber nur schwer zu realisieren. Wurde die Pflicht auch in der Erfüllungshandlung näher ausgestaltet, haben wir ja gar keinen Problemfall. Problematisch ist allein die fehlende Abrede. Hartmann schlägt im Ergebnis eine ergänzende Vertragsauslegung vor, und die muß notge­ drungen auf externe Wertungen wie die der Verkehrssitten und der guten Treue zurückgreifen. Und auf die Verkehrssicherheit, die auch Hartmann hochhält.61 Unter den Termini „juristische Unmöglichkeit“, „relative Un­ möglichkeit“ etc. wurde später positivistisch versucht, dem im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegten Rechtsinstitut der Unmöglichkeit ähnliche Wege zu öffnen. Der entscheidende Unterschied - und Fortschritt - ist woanders zu suchen. Die Zweckbetrachtung ermöglicht es, die wertende Einschrän­ kung der Leistungspflicht auf eine breitere Basis zu stellen, die insbesonde­ re auch die Höhe der Gegenleistung und den Grund, warum eine Gegenlei­ stung in der fraglichen Höhe versprochen wurde, mit umfaßt. Die Unmög­ lichkeit ist eben nur ein Rechtsinstitut der Leistungsstörung; Hartmann bie­ tet dagegen eine Theorie für Vertragsstörungen an.

3.

Ein erster Blick auf Windscheid

Windscheid ist es maßgeblich zu verdanken, daß die Unmöglichkeitslehre Mommsens die starke Verbreitung gefunden hat, die ihr letztlich den Sprung in das Zentrum des Leistungsstörungsrechts des BGB ermöglichte. In sei­ nem Lehrbuch des Pandektenrechts bietet Windscheid dem Leser eine stark vereinfachte Version dieses Systems dar. Die anfängliche objektive Un­ möglichkeit soll umfassend von der Pflicht zur Leistung befreien. Anders

61 Hartmann, Werk und Wille bei dem sogenannten stillschweigenden Konsens, AcP 72 (1888), 215-220. Hartmann spricht sich gegen eine reine Willenstheorie aus.

als bei Mommsen wird allerdings der ursprünglichen subjektiven Unmög­ lichkeit jegliche Relevanz abgesprochen.62 Nachträglich auftretende Hin­ dernisse werden berücksichtigt, sofern sie eine subjektive oder objektive Unmöglichkeit zur Folge haben. Da Windscheid eine inhaltliche Erörterung der subjektiven Unmöglichkeit meidet, lassen sich leider keine seriösen Aussagen über die Einbeziehung überwindbarer Leistungshindernisse tref­ fen. Wer die Unmöglichkeit verschuldet herbeigeführt hat, bleibt auch bei Windscheid verpflichtet; bei subjektiver Unmöglichkeit sogar auf den ur­ sprünglichen Gegenstand, ansonsten auf das Interesse.63 Allerdings wird man Windscheid schwerlich gerecht, sieht man in ihm nur einen Rezipienten von Mommsens Unmöglichkeitslehre. Drei eigen­ ständige Einschränkungen der vertraglichen Pflicht dürfen hier nicht uner­ wähnt bleiben. Bekannt geworden ist die Voraussetzungslehre Windscheids. Ähnlich wie Hartmann stellt er Zweckbetrachtungen an, um nachvertragli­ che Ereignisse bewerten zu können 64 Übersteht die Leistungspflicht die Windscheidschen Voraussetzungen, wird sich der Gläubiger mit der subjek­ tiven Unmöglichkeit schwertun. Denn Windscheid ist der Ansicht, daß eine „Zahlungsunfähigkeit, wenn sie durch unverschuldete Unglücksfälle herbei­ geführt worden ist,“ als „Entschuldigungsgrund“ anzusehen sei.65 Wind­ scheid bespricht hier, das sei zugegeben, die Geldschuld, für die auch nur die besonderen Verzugsfolgen ausgeschlossen werden. Dennoch wird die Argumentation die Anhänger der Ruintheorie freuen. Die subjektive Un­ möglichkeit kann zumindest nicht mit dem Argument der Käuflichkeit einer fast jeden Leistung marginalisiert werden.66 Als dritte Hürde steht die Ver­ hältnismäßigkeit. „Ist dem Schuldner die Erfüllung nur mit unverhältnismä­ ßigen Opfern möglich, so braucht er dem Gläubiger nicht das Interesse, sondern nur den wahren Sachwert zu leisten“,67 ist bei Windscheid noch zu lesen. Hat das Hindernis ein Steigen des Sachwerts zur Folge, ist dem Schuldner freilich wenig geholfen. 62 Windscheid, Pandekten, § 264 Ziff. 1 für die Unmöglichkeit und a.a.O., § 277, Ziff. 4 für den Verzug. 63 Windscheid, Pandekten, § 264 Ziff. 2 und Anm. 7: „Auch in dem Leistungsgegenstand hat sich, wenn die Unmöglichkeit bloß eine subjektive ist, rechtlich nichts geändert; ver­ pflichtet ist der Schuldner nach wie vor auf die Leistung des ursprünglichen Gegenstandes“; noch ein Indiz für die zumindest partielle Berücksichtigung von Leistungserschwernissen. 64 Windscheid, Pandekten, § 98; zur Voraussetzungslehre: S. 133-147. 65 Windscheid, Pandekten, § 277, Ziff. 4. 66 Ein weiteres Indiz: a.a.O. § 264, Ziff. 1: „Eine Sache, welche nicht im Eigentum des Schuldners steht, kann nicht gegeben werden.“ Da nicht erörtert wird, ob der Eigentümer vielleicht zu bewegen ist, für den Schuldner zu leisten, könnte man auf eine sehr weite Fas­ sung der subjektiven Unmöglichkeit schließen. 67 Windscheid, Pandekten, § 264 Ziff. 2 Lit. b.

Das BGB ist Windscheid in vielen Punkten nicht gefolgt. Der § 279 BGB wurde in das Gesetz aufgenommen; das Verhältnismäßigkeitsprinzip wurde allenfalls in Einzelfällen aufgegriffen und die Voraussetzungslehre glatt ab­ gelehnt. Dem Wortlaut nach ist das BGB viel zurückhaltender als alle bis­ lang dargestellten Ansichten. Wie es dazu gekommen ist, soll im folgenden Kapitel dargelegt werden.

Kapitel II

Der Lösungsvorschlag des Gesetzgebers Mit der Kriegs- und Krisenzeit wurde ein noch junges Bürgerliches Gesetz­ buch konfrontiert. Ein Gesetzbuch zumal, welches die nachvertragliche Lei­ stungserschwerung als solche für nicht besonders regelungsbedürftig hielt. Auslöser für das Leistungsstörungsrecht war die Nichtleistung. Der Schuld­ ner solle, so der zentrale Gedanke, bis zur Grenze des Möglichen haften. Das Verschulden würde dann darüber entscheiden, ob er diesseits wegen ei­ ner Verzögerung, §§ 284, 285 BGB, oder jenseits wegen einer Verunmöglichung, §§ 275, 279, 283 Abs. 1, Satz 3 BGB, zu haften habe. Auf den ersten Blick ist das eine bestechend einfache Lösung. Aber sie wirft schon bald Fragen auf. Die erste Frage gilt der Nichtleistung. Neben der vollständigen Nichtleistung gab es fraglos auch eine quantitative. Darüber hinaus war man sich im Gesetzgebungsverfahren einig, auch die qualitative Nichtleistung in dieses System aufgenommen zu haben - ein Punkt, den spätere Kritiker und Befürworter der positiven Vertragsverletzung nicht sehen wollten oder konnten.1 Eine zweite Frage wirft die Möglichkeit der Leistung auf. Man kann auf das Menschenmögliche, das Schuldnermögliche oder aber das in speziellen Verkehrskreisen Mögliche abstellen. Das BGB benutzt in § 275 die Termini Unmöglichkeit und Unvermögen. Das spricht für das Schuld­ nermögliche als Regelschuld und für das Menschenmögliche in den ge­ wichtigen Fällen der Gattungsschuld, § 279 BGB, sowie bei den ursprüngli­ chen Hindernissen des § 306 BGB. Andererseits sind da noch die §§ 242, 157 BGB, die mit Treu und Glauben auf die beteiligten Verkehrskreise ab­ zielen und eine vermittelnde Lösung nahelegen. Zwingend ist das freilich nicht. Dem Wortlaut nach regelt der § 242 nur die Art und Weise, wie die Leistungspflicht zu bewirken ist; das setzt eine solche als bestehend bereits voraus. Zudem werden Pflichten des Schuldners begründet, nicht reduziert.2

1 Eine Schlechtleistung galt als (partielle) Nichtleistung; vgl. Wollschläger, Die Entste­ hung der Unmöglichkeitslehre, S. 176 f. 2 Noch deutlicher wird der verpflichtende Charakter von Treu und Glauben in Art. 1225 des bayrischen Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches von 1808 ausgedrückt: „Alle Ver­ träge werden auf Treu und Glauben eingegangen. Sie verpflichten nicht nur zu demjenigen,

Mit dem Bestand der Leistungspflicht beschäftigt sich ausdrücklich also nur der § 157 BGB, allerdings im Rahmen der Vertragsauslegung. Klärungsbe­ dürftig ist drittens das Kriterium des Verschuldens. Nach der Wortwahl der §§ 275, 279 BGB bleibt im Falle des Verschuldens die Leistungspflicht schlicht bestehen. Das Verschulden beeinflußt also unmittelbar den Bestand der Leistungspflicht mit. Andererseits setzt ein Verschulden einen Pflich­ tenverstoß voraus, der wiederum ohne eine Klärung des Inhalts der Lei­ stungspflicht schwerlich begründet werden kann. Hier droht eine veritable petitio principii. Ungeachtet der klaren Struktur sind viele Fragen offen geblieben. Des weiteren ist erkennbar, daß das BGB zurückhaltender als die vorgestellten Ansichten von Mommsen und Windscheid den Schuldner aus der einmal eingegangenen Verpflichtung entlassen will. Hier scheint sich zu bestätigen, was dem BGB anderweitig vorgeworfen wird: eine einseitige Ausrichtung auf den Verkehrsschutz, die Rechtssicherheit und die wirtschaftliche Frei­ heit zu Lasten von wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit. Der Vorwurf wurde damals freilich nur von ausgesprochenen Außenseitern der zeitgenös­ sischen Rechtswissenschaft erhoben.3 Und wer nun im nachhinein dem Urteil zuneigt, die Inhalte des überkommenen Zivilrechts hätten stärker hinterfragt und gestaltet werden können, darf den begrenzten Regelungswillen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen nicht aus den Augen verlieren. Die frühen Kodifikationen, das preußische ALR, der Code civil und das öster­ reichische AB GB, waren noch der Vernunft des Gesetzgebers verpflichtet. Das erklärte Ziel war es gewesen, das Recht mit den Mitteln der Vernunft zu gestalten.4 Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte man nicht nur ein distan­ zierteres Verhältnis zu den Möglichkeiten der Vernunft im Recht, man hatte ein anderes Ziel. Nicht etwa aus Unzufriedenheit mit dem geltenden Rechte wurde ein Gesetzeswerk angestrebt, sondern weil man die nationale Rechts­ zersplitterung beenden und eine sichere Grundlage für die Rechtsprechung schaffen wollte. Der Blick des Gesetzgebers war folglich in viel stärkerem Maße auf das geltende Recht und auf die zeitgenössischen Rechtsanschau­ ungen gerichtet, als dies bei Gesetzgebungsverfahren gemeinhin der Fall ist.

was darin ausgedrückt ist, sondern auch zu allen Folgen, welche die Natur der Sache, das Herkommen oder das Gesetz damit verknüpft hat.“ 3 Bekannt sind die Schriften von Otto Gierkey Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetz­ buchs und das deutsche Recht von 1888/89 und von Anton Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen, 1891. 4 Freilich noch ohne soziale Ziele; das rationale Naturrecht war geprägt von Freiheits-, Gleichheits- und Eigentumsrechten; vgl. Coing, Allgemeine Züge der privatrechtlichen Ge­ setzgebung im 19. Jahrhundert, S. 3-16; insbes. S. 5; zum Einfluß der Prinzipien von Freiheit und Gleichheit auf die Leistungspflicht ausführlich: Zweiter Teil, Kapitel I und II.

Wer dem Blick des Gesetzgebers folgt, der erkennt in der umfassenden, nur den Grenzen des Möglichen gehorchenden Vertragsbindung einen Zug der Zeit. Alle unmittelbaren Vorbilder in der Gesetzgebung, der bayrische Ent­ wurf von 1861/64, das sächsische BGB von 1865 und der Entwurf eines all­ gemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1865/66, der so­ genannte Dresdener Entwurf, sehen in Unmöglichkeit und Verzug die zen­ tralen Rechtsinstitute für den Fall der Nichtleistung.5 Selbst im Detail for­ muliert die schließlich Gesetz gewordene Regelung der Unmöglichkeit kei­ ne grundsätzlich neuen Gedanken. Die in § 275 Abs. 2 BGB angelegte weite Anwendung der Unmöglichkeitsfolgen findet sich ausdrücklich und viel ausführlicher in § 1010 des sächsischen BGB; für die Gattungsschuld er­ folgte in § 1011 sächsisches BGB, ganz wie in § 279 BGB, ein Rückzieher.6 Die Übereinstimmungen sind kein Zufall. All diese Gesetzbücher beruhen vorwiegend auf dem Gemeinen Recht in der durch die historische Schule und insbesondere die Pandektenwissenschaft ausgebildeten Form. Die Ent­ scheidung für die Unmöglichkeit und damit für die grundsätzliche Haftung des Schuldners im Rahmen des Möglichen war bereits hier vorentschieden und im Verlauf der Entstehung des Gesetzbuches auch nicht weiter in Frage gestellt worden. In der konkreten Ausgestaltung des Unmöglichkeits- und Leistungsbegriffs finden sich aber durchaus unterschiedliche Ansichten, wie insbesondere der Blick auf die Entstehung des § 242 BGB zeigt. Im Folgen­ den soll durch eine verbundene Darstellung der Entstehungsgeschichte der §§ 275, 279 BGB und der des § 242 BGB der innere Zusammenhang zwi­ schen den unterschiedlichen Unmöglichkeits- und Leistungsbegriffen unter­ sucht werden.7

5 Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen: §§ 721-733, 1109-1014; insbes. § 1009: „Wird die Leistung, zu welcher der Schuldner verpflichtet ist, unmöglich, so erlöscht die Forderung, soweit die Leistung unmöglich geworden ist, vorbehaltlich der Verantwort­ lichkeit des Schuldners für Verschuldung und für einen etwa eingetretenen Verzug [...]“; vgl. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, 1861, Art. 119 Abs. 1; Dresdener Entwurf, Art. 388 S. 1. 6 § 1010 sächs. BGB: „Die Forderung gilt als erloschen bei jeder Art der Unmöglichkeit, gleichviel ob der Gegenstand derselben untergegangen, außer Verkehr gesetzt, dem Schuld­ ner abhanden gekommen, oder, soviel die auf ein Thun gerichteten Forderungen betrifft, eine persönliche Unfähigkeit des Schuldners eingetreten [...] ist. [...]“ § 1011: „Die Leistung ei­ nes der Gattung nach bestimmten Gegenstandes gilt als unmöglich, wenn die Unmöglichkeit rücksichtlich sämmtlicher zu der fraglichen Gattung gehörigen Gegenstände eingetreten ist.“ 7 In der Literatur wurde die Entstehungsgeschichte der §§ 275, 279 BGB wiederholt dar­ gestellt; im Zentrum des Interesses stand freilich der § 279 BGB, den es zu delegitimieren (so H. H. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 150 ff; MünchKomm/Emmerich, § 279 Rdn. 1 f.) oder zu verteidigen galt (so Weber-Will/Kern, JZ 1981, 257, 259 f.; U. Huber, Zur Auslegung des § 275, S. 217,230 f.).

Das Gesetzgebungsverfahren ging vom Bundesrat aus. Es läßt sich an­ hand der ausgearbeiteten Entwürfe in vier Abschnitte einteilen. Den Tei­ lentwürfen der Redaktoren folgte der Entwurf der Ersten Kommission, der sogenannte Erste Entwurf. Dessen Überarbeitung durch die Vorkommission des Reichsjustizamtes, die Zweite Kommission und deren Subkommissio­ nen, insbesondere der Redaktionskommission, führte zum Zweiten Entwurf. Im Bundesrat geringfügig verändert und vereinzelt auch leicht euphemi­ stisch als Dritter Entwurf bezeichnet, wurde er abschließend im Reichstag beraten.

1. Der Teilentwurf von Franz Ph. F. v. Kübel Die Erste Kommission ließ von einzelnen Mitgliedern Teilentwürfe erar­ beiten, die aufgrund der ausführlichen Erläuterungen, der sog. Redaktoren­ Motive, und der klaren personellen Zuständigkeiten einer eingehenden hi­ storischen Interpretation zugänglich sind. Das Schuldrecht wurde von Kübel bearbeitet, dem Vertreter Württembergs in der Kommission. Noch während der Arbeiten erkrankte er ernsthaft und verstarb kurz darauf; sein Teilent­ wurf blieb unvollendet. Das allgemeine Schuldrecht und hier insbesondere das Leistungsstörungsrecht waren zum Zeitpunkt der Erkrankung Kübels bereits umfassend erarbeitet. Für die fehlenden Teile des besonderen Schuldrechts konnte die Kommission auf den Dresdener Entwurf von 1866 zurückgreifen.8 Gleichwohl, der Einfluß seiner bis dahin geleisteten Arbeit war deutlich gemindert. Die Erste Kommission sollte in ihrem Kommission­ sentwurf ganz erheblich von seinem Entwurf ab weichen. Mit Folgen gerade auch für die hier aufgeworfene Problematik. Der Entwurf von Kübel ist unter allen Entwürfen der schuldnerfreund­ lichste. Der Form nach handelt es sich um eine reine Unmöglichkeitsdog­ matik; inhaltlich versucht er jedoch Überlegungen Hartmanns einzubauen. Das Ergebnis ist dergestalt ein vermittelndes. Gerade hier kommt die Inten­ tion Kübels und auch der gesamten Ersten Kommission zum Vorschein. Kübel sah es nicht als seine Aufgabe an, etwas vollständig Neues zu schaf­ fen. Er verglich die Lösungen der älteren, noch dem aufklärerischen Ver­ nunftrecht verpflichteten Gesetzeswerke9 mit dem Gemeinen Recht in der Gestalt, die es durch die historische Rechtswissenschaft erhalten hat, und mit den neueren, eben diesem Gemeinen Recht verpflichteten Gesetzeswer­ 8 Kübel war bereits am Dresdener Obligationenrechtsentwurf beteiligt: Dölemeyer, in: Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, Teilbd. 2, S. 1581-1585. 9 Das preussische ALR, das österreichische AB GB, der französische Code Civil.

ken.10 Sein Ziel war es, das Gemeinsame herauszufiltern und nur bei wirkli­ chen Gegensätzen eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Das Schöpfe­ rische trat hinter die rechtsvergleichende und -vereinheitlichende Erfassung des Rechtsstoffes zurück. Eine „konservative Tendenz“,11 die sich auch in der Auswahl des Rechtsstoffes niederschlägt. Fast unbeachtet blieb die Rechtsprechung. Der Obertribunaldirektor Stuttgarts hatte keinen Bedarf für die Erkenntnisse der Gerichte. Wer die Entwürfe zum Unmöglichkeitsrecht liest, wird unweigerlich an Windscheid erinnert und an dessen vereinfachte Version der Unmöglich­ keitslehre Mommsens. Stößt der Schuldner aufgrund nachvertraglicher Ent­ wicklungen an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und unterbleibt darob die Leistung, so soll das Verschulden entscheiden, ob er zur Leistung ver­ pflichtet bleibt. Der Redaktor schlägt in Abschnitt I, Titel 3 III folgende Re­ gelung vor: § 1. Kann der Schuldner die ihm obliegende Verbindlichkeit nicht oder nicht vollstän­ dig erfüllen, weil er eine ihm ganz oder theilweise unmögliche Leistung versprochen hat, oder weil die Leistung zufolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes ganz oder theilweise unmöglich geworden ist, so besteht die Verbindlichkeit demungeachtet [...] § 10. Ist dem Schuldner die Leistung [...] infolge eines von ihm nicht zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden, so wird er, soweit dies zutrifft, von seiner Verbindlich­ keit befreit und hat dem Gläubiger für den daraus entstandenen Schaden nicht zu haften.

Kübel sieht, wie Mommsen und Windscheid auch, in der nachträglichen subjektiven Unmöglichkeit einen beachtenswerten, den Pflichten des Schuldners Grenzen ziehenden Umstand.12 Damit rückt die Grenzziehung zwischen der subjektiv unmöglichen und der nur erschwerten Leistung in das Zentrum des Interesses. Kübel will das Urteil den „Modalitäten des ein­ zelnen Schuldverhältnisses“ und dem „Inhalt und Gegenstand der Obligati­ on“13 überlassen. Das läßt aufhorchen. Ersichtlich meint Kübel der vertrag­ lichen Vereinbarung weitere Aussagen über die Leistung entlocken zu kön­ nen. Dazu paßt die inhaltliche Nähe, die er zu Hartmann feststellt. Hartmann lehne zwar den Begriff der subjektiven Unmöglichkeit ab, erkennt Kübel, 10 Insbesondere das sächsische BGB, der Dresdener Entwurf eines Obligationenrechts und der bayerische Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. 11 So Dölemeyer, in: Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäi­ schen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, Teilbd. 2, S. 1580. 12 „Auf die Art der Unmöglichkeit, ob dieselbe als objektive, also an sich für Jedermann bestehende, eingetreten ist [...] oder nur als eine subjektive, welche nur dem Schuldner die Leistung unmöglich macht, kommt es hierbei also nicht an.“ Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 4 = Schubert, Bd. 2/1, S. 860. 13 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 2,4 = Schubert, Bd. 2/1, S. 858,860.

doch sei ansonsten kein großer Unterschied zu erkennen: „Er [Hartmann] hat nur schärfer hervorgehoben, daß in dieser Hinsicht auf die Natur und den Inhalt der Obligation zu sehen ist ."14 Der Rekurs auf das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit greift ersichtlich zu kurz.

a) Die vertragliche Verpflichtung Hartmann sucht die Reichweite vertraglicher Bindungen nicht in dem Be­ griff der subjektiven Unmöglichkeit, sondern durch eine Einschränkung des Imperativs aus dem Vertrag selbst und der verfolgten Vertragszwecke. Wie sieht bei Kübel die vertragliche Verpflichtung aus? Der Entwurf Kübels hilft in Abschnitt I unter Titel 2 I Ziff. 3 (§ 1) und Titel § 3 I (§ 196) weiter: § 1. Ein Vertrag verpflichtet den Vertragschließenden zu demjenigen, was sich als In­ halt seiner Verbindlichkeit aus den besonderen Vertragsbestimmungen und aus der Natur des Vertrages dem Gesetze oder Herkommen gemäß ergibt. § 196. Die in einem Schuldverhältnisse Stehenden sind sich gegenseitig verpflichtet, die daraus für sie entspringenden Verbindlichkeiten redlich und treu und unter Aufwen­ dung desjenigen Grades der Sorgfalt zu erfüllen, welchen sie versprochen haben oder zu welchem sie gesetzlich verpflichtet sind.

Über die aufzuwendende Sorgfalt geben uns die Motive Auskunft. Das „Wesen des Schuldverhältnisses“ sieht Kübel darin, „daß der Verpflichtete seinen durch dasselbe gebundenen Willen in der durch den Inhalt und Ge­ genstand des Schuldverhältnisses vorgeschriebenen Richtung bethätige und hierauf den entsprechenden Fleiß und die nöthige Aufmerksamkeit und Sorgfalt verwende“. Kübel verlangt von dem Schuldner lediglich „ein ge­ wissenhaftes Anspannen seiner Kräfte zur Bewirkung der nach dem kon­ kreten Schuldverhältniß ihm obliegenden Leistungen innerhalb eines gewis­ sen Maßes“.14 15 Neben der ,Anspannung [...] der Kraft“ spricht Kübel auch von der ,Aufwendung des nöthigen Fleißes, der nöthigen Achtsamkeit und Sorgfalt“, die er als äußere Elemente der rein innerlich verstandenen „Wil­ lensanspannung“ zur Seite stellt.16 Die vertraglich geschuldete Sorgfalt be­ gleitet nicht bloß den Erfüllungsvorgang, sie gestaltet auch die versprochene Leistung näher aus. Im Ergebnis wird so die Leistungsverpflichtung nicht

14 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 3 = Schubert, Bd. 2/1, S. 859 für das ur­ sprüngliche Unvermögen; vgl. Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 5 = Schubert, Bd. 2/1, S. 861 für die nachträgliche Unmöglichkeit. 15 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 I, S. 4 = Schubert, Bd. 2/1, S. 740. Zu Beginn des Abschnitts stellt Kübel fest: ,Jedes bestehende Schuldverhältniß verpflichtet den demselben Unterworfenen zur Anwendung eines bestimmten Maßes von Fleiß und Sorgsamkeit auf die Bewirkung der schuldigen Leistung.“ 16Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 I, S. 5 f. = Schubert, Bd. 2/1, S. 740 f.

unerheblich relativiert. Geschuldet ist laut Kübel eben nicht ein vertraglich versprochener Erfolg, sondern die Herbeiführung eines Erfolgs mit vertrag­ lich versprochenen Mitteln.17 Die Folgen für den Umfang der vertraglichen Bindung muß man nicht erst erraten. Kübel spricht sie an: „Auf Erfüllung in diesem Sinne hat der aus dem Schuldverhältnis Berechtigte ein Recht. Was mit Aufwendung desjenigen Maßes von Fleiß und Sorgfalt, welches der Verpflichtete kraft des Schuldverhältnisses zu leisten hat, nicht erreicht oder nicht abgewendet werden kann, ist von Jenem nicht zu vertreten.“18 Das hätte Hartmann nicht schöner formulieren können. b) Folgerungen für die Nichtleistung

Für nachträglich eingetretene Hindernisse eröffnet sich eine doppelte Ver­ schuldensprüfung. Nicht nur der Eintritt des die Leistung hindernden Um­ standes, auch dessen Nichtüberwindung kann Ansatzpunkt einer Überprü­ fung des Schuldnerverhaltens sein. Relevant wird diese Überlegung aber nur, wenn der Schuldner nicht von sich aus das Hindernis überwindet, wenn also die Leistung schlicht unterbleibt. Denn nur dann stellt sich die Frage, ob der Schuldner mit dem richtigen, das heißt mit dem vertraglich geschul­ deten „Maß von Fleiß und Sorgfalt“ und dem ,Anspannen seiner Kräfte“ das Hindernis hätte überwinden müssen. Unklar ist, welche Funktion der subjektiven Unmöglichkeit zukommt. Soll sie eine weitere Schranke vor dem Ausstieg aus dem Vertrag aufbauen? Soll in den Fällen einer subjekti­ ven Möglichkeit die Verschuldensüberprüfung zu Lasten des Leistungs­ pflichtigen unterbleiben? Wohl kaum. Will man die im Sinne Kübels reduzierte Leistungsverpflichtung nicht durch eine rein begrifflich verstandene subjektive Unmöglichkeit aushebeln, so muß die Prüfung in jedem Fall einer Nichtleistung stattfinden. Der zen­ trale Punkt in Kübels Lehre von der Nichtleistung ist eben die Frage nach der Pflichtverletzung. Der Begriff der subjektiven Unmöglichkeit läßt sich hiervon gar nicht trennen: „Ob eine Unmöglichkeit vorliegt, bestimmt sich vielmehr nach dem Inhalt und dem Gegenstand der Obligation, und ist somit wesentlich Thatfrage, gerade wie von ihr abhängt, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat.“19 Kübel verweigert einen rein begrifflichen 17 Dieser Gedanke findet sich auch in den Eingangsbemerkungen des Titels 2 I Ziff. 3 „Rechte und Verpflichtungen aus Verträgen“, S. 1 = Schubert, Bd. 2/1, S. 379. Kübel spricht von dem „Wesen des Vertrags“, aus dem sich ergebe, daß der einen Erfolg versprochen ha­ bende Schuldner „seinen Willen auch dementsprechend bethätigen muß, daß er dem Gläubi­ ger auf die Herbeiführung des Erfolges vermittelst der hierzu nöthigen, durch die Natur und den Inhalt des konkreten Vertrags bestimmten Leistung verpflichtet ist“. 18Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 I, S. 5 = Schubert, Bd. 2/1, S. 741. 19Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 5 = Schubert, Bd. 2/1, S. 861.

Ausstieg aus der Problematik und nähert sich nicht erst im Ergebnis, son­ dern bereits in der Argumentation Hartmann an. Während Hartmann fragt, welche Hindernisse der Schuldner zu überwinden versprochen habe, interes­ siert Kübel sich dafür, ob die mangelnde Überwindung vom Schuldner zu vertreten sei. Kübel setzt erst beim Verschulden an, während Hartmann be­ reits die Verpflichtung negiert.20 Die dahinterstehende Wertung ist in beiden Fällen identisch. Kübel übertreibt also nicht, wenn er mit Blick auf die Hartmannsche Lehre feststellt: „[...] so stimmen seine Ausführungen min­ destens im Resultat mit den Anschauungen des gegenwärtigen Entwurfs überein.“21

c) Folgerungen für die Gattungsschuld

Kann mit Hartmann auch angenommen werden, „dass auch bei generischen Obligationen, trotz des Fehlens einer wirklichen Unmöglichkeit, doch das Soll der Obligation an mancherlei nachfolgenden Hindernissen sich brechen ... kann“?22 In der Frage der Beschaffung einer nur der Gattung nach be­ stimmten Sache wich Hartmann bekanntlich erheblich von der aus begriffli­ chen Gründen sehr engen Ansicht Mommsens ab. Kübels Versuch der Har­ monisierung dieser beiden Ansichten muß deshalb spätestens hier scheitern. Eine Entscheidung ist gefragt. Die von Kübel vorgesehene Lösung kennt ei­ ne dem § 279 BGB entsprechende Vorschrift nicht. Lediglich in Abschnitt I unter Titel 3 III des Teilentwurfs schränkt Kübel die für sein System zen­ trale Verschuldensprüfung ein: § 11. Unverschuldet eingetretene Zahlungsunfähigkeit gilt nicht als Unmöglichkeit im Sinne des § 10. [...]

20 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 5 = Schubert, Bd. 2/1, S. 861 wie folgt: „Hartmann verwirft das Moment des Verschuldens oder der Schuldlosigkeit als Kriterium da­ für, ob der Schuldner für die Unmöglichkeit einzustehen habe oder nicht, und will an dessen Stelle auch hier die durch den Obligierungsgrund bestimmte innere Natur der Obligation und das hierdurch bedingte Maß der Verpflichtung des Schuldners zur Ueberwindung äußerer Schwierigkeiten und Hindernisse gesetzt wissen.“ 21 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 5 = Schubert, Bd. 2/1, S. 861: „Da er [Hart­ mann] diese Verpflichtung [zur Überwindung äußerer Schwierigkeiten und Hindernisse] heutzutage an der die jeweilige Obligation beherrschenden bona fides messen will und die nach Verschiedenheit der Obligation zu prästierende culpa als einen Ausfluß jener bona fides betrachtet, wobei er überdies sich mit der im gemeinen Recht geltenden Abstufung der culpa je nach der Art des obligatorischen Verhältnisses einverstanden erklärt, so stimmen seine Ausführungen mindestens im Resultat mit der Anschauung des gegenwärtigen Entwurfes überein.“ 22Hartmann, Die Obligation, S. 256.

Mit der Verschuldensprüfung verweigert Kübel zugleich jegliche Wer­ tung der Zahlungsverpflichtung. Begründet wird diese rigorose Haltung mit der „Natur des Geldes“ und dem „mit der Zwangsvollstreckung zu führen­ den Gegenbeweis“, den Kübel dem Gläubiger nicht vorenthalten zu können glaubte.23 Diese Einschränkung wäre weder sehr bedeutsam noch sonderlich originell, beträfe sie, wie bei Hartmann,24 nur Fälle der reinen Geldschuld. Das ließe sich auch begründen: Die Geldschuld lautet auf einen festen Be­ trag und ist deshalb für den Schuldner zumindest in der Höhe kalkulierbar. Ganz anders eben als die Höhe der Beschaffungskosten. Aus den Motiven ergibt sich indessen überraschend, daß nicht nur reine Geldschulden, son­ dern alle „Obligationen, nach deren Inhalt der Schuldner einen Geldaufwand zur Bewirkung der schuldigen Leistung machen muß“25, dem Einwand der unverschuldet eingetretenen Zahlungsunfähigkeit standhalten sollen. Es wäre allerdings voreilig, nun zu schließen, Gattungsschulden sollten einer Verschuldensprüfung nur zugänglich sein, wenn die Gattung nicht mehr existiert oder zumindest nicht mehr marktgängig ist. Ausdrücklich ausgeschlossen ist eben nur der Einwand, der Schuldner könne die Gat­ tungssache nicht beschaffen, weil er die - fixen oder gestiegenen - Beschaf­ fungskosten nicht tragen könne. „Dagegen lassen sich, abgesehen vom gänzlichen Abhandenkommen oder von der Außerverkehrsetzung, Umstän­ de und Komplikationen denken, welche dem Schuldner die Leistung eines generisch bestimmten Gegenstandes in der Tat unmöglich machen [...]“26 Es ist also auch in den Fällen der Gattungsschuld zu prüfen, ob eine unterlasse­ ne Leistung deshalb unverschuldet ist, weil sie wegen nachträglich ver­ änderten Aufwandes nicht erbracht zu werden brauchte. Lediglich zwei Ausreden will Kübel vom Schuldner nicht hören: die bloße Frustration der Kosten- und Gewinnerwartung sowie die ohnehin vertragsferne Solvenz. Darüber hinaus bleibt es bei dem Umkehrschluß, den Kübel selbst in den Motiven zu § 10 des Teilentwurfs anführt: „Zugleich ist hiermit in genü­ gend bestimmter Weise angedeutet, daß alle anderen Gründe der Unmög­ 23Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 29 f. = Schubert, Bd. 2/1, S. 886 f. 24Hartmann, Die Obligation, S. 257. 25 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 30 = Schubert, Bd. 2/1, S. 886. Kübel for­ muliert die Norm sogar gerade im Hinblick auf diese Fälle: „Man wird also den Einwand un­ verschuldet eingetretener Zahlungsunfähigkeit gegenüber dem Vorwurf der mora als unstatt­ haft bezeichnen müssen, um so mehr, als derselbe nicht bloß bei Geldschulden gestattet wer­ den müßte, sondern ebenso bei allen Obligationen, nach deren Inhalt der Schuldner einen Geldaufwand zur Bewirkung der schuldigen Leistung machen muß [...]“ 26 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 4 f. = Schubert, Bd. 2/1, S. 860 f.; Kübel fährt fort: „z.B. wenn der Leistung zu bestimmter Zeit an dem bestimmten Ort äußere unab­ wendbare und vom Schuldner nach dem Schuldverhältnis nicht zu vertretende Hindernisse entgegenstehen“, mit Hinweis auf Hartmann, Die Obligation, S. 253 f.

lichkeit der Leistung, sofern sie der Schuldner nicht zu verantworten hat, als Liberations- bzw. Entschuldigungsgründe zulässig sind.“27 Eine apodikti­ sche Lösung im Sinne des § 279 BGB liegt Kübel fern.

Bilanz: Teilentwurf

Kübel kennt im Anschluß an Mommsen zwei Kategorien für die Einordnung des Tatbestands einer ausgebliebenen Leistung: die Unmöglichkeit und den Verzug. Gleichwohl versucht er eine von dem bloßen Begriff der Unmög­ lichkeit gelöste, am konkreten Vertrag orientierte Wertung zu ermöglichen. Ansatzpunkte bieten dabei die Tatbestandsvariante der subjektiven, nur in der Person des Schuldners vorliegenden Unmöglichkeit sowie das Erforder­ nis des Verschuldens. Obwohl Hartmann weder die Unmöglichkeit noch das Verschulden als Anknüpfungspunkte akzeptieren will, meint Kübel, derge­ stalt eine im Ergebnis gleiche Wertung ermöglicht zu haben. Der Form nach bietet Kübel also eine sehr schematische Lösung, die den Schuldner bis zu den Grenzen seiner faktischen Leistungsfähigkeit an der Pflicht festhält, verbindet diese aber mit einer inhaltlich flexiblen Lösung, die auch eine rechtliche Leistungsfähigkeit berücksichtigen will. Diese Kombination ist in mehrfacher Hinsicht verwirrend. So ist es wi­ dersprüchlich, im Falle des Ausbleibens der Leistung eine am einzelnen Vertrag orientierte Lösung vornehmen zu wollen, gleichzeitig aber typisiert nur zwei Möglichkeiten anzubieten: eben die Unmöglichkeit und den Ver­ zug. Nimmt man die subjektive Unmöglichkeit als Kriterium ernst, so ist unabhängig von dem konkreten Vertrag die Erfüllung der Primärleistung bis zu dieser Grenze geschuldet, jenseits davon aber nicht mehr. Will man da­ gegen am konkreten Vertrag feststellen, ob eine Leistung noch subjektiv möglich ist, so birgt der Begriff der subjektiven Unmöglichkeit weder ein Befreiungs- noch ein Verpflichtungsargument in sich und ist streng genom­ men überflüssig. Nach den Motiven zu urteilen, drängt sich die letztere Lö­ sung auf. Eine unverschuldete Nichtleistung ist - auf Zeit oder auf Dauer eben nicht zu erbringen. Die Unmöglichkeit wird hier nur noch benötigt, um im Falle einer verschuldeten Nichtleistung den Primäranspruch vom Sekun­ däranspruch, also den Anspruch auf die geschuldete Leistung von dem auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu trennen. Unglücklich ist auch die zentrale Rolle, die plötzlich dem Verschulden zukommt. Ansatzpunkt ist ja regelmäßig die ausgebliebene Leistung, also ein Unterlassen. Ein Verschul­ den setzt nun eine Pflicht voraus, gegen die der Nichthandelnde verstoßen haben könnte. Auch das Kriterium des Verschuldens bringt keinen eigentli­

27 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 3 III, S. 30 = Schubert, Bd. 2/1, S. 886.

chen Erkenntnisgewinn. Den Ausflug in das Unmöglichkeitsrecht hätte Kü­ bel sich sparen können.

2. Der Entwurf der Ersten Kommission Die Erste Kommission veränderte den Vorentwurf erheblich. Erhalten blieb der Grundsatz der befreienden Wirkung einer nachträglich eingetretenen Unmöglichkeit. Durch einen Zusatz wurde klargestellt, daß dies nur noch für diejenige Unmöglichkeit gelten solle, die Kübel in Einklang mit dem damals üblichen Sprachgebrauch als objektive bezeichnet hatte. Dem sub­ jektiven Gegenpart wurde lediglich in einer eng formulierten Fallgruppe ei­ ne befreiende Wirkung zugestanden. Der Vorschlag des Ersten Entwurfs lautete: § 237 (1) Der Schuldner ist zur Leistung nicht verpflichtet, so lange die Leistung in Folge eines nach Entstehung des Schuldverhältnisses eingetretenen, von ihm nicht zu ver­ tretenen Umstandes unmöglich ist [... ] (2) Dasselbe gilt, wenn der Schuldner, welcher einen in sich bestimmten Gegenstand zu leisten hat, diesen in Folge eines von ihm nicht zu vertretenen Umstandes zu leisten außer Stand gesetzt worden ist.

Die Motive bringen das Ziel der neuen Regelung klar zum Ausdruck: „Ein [...] subjektives Unvermögen ist weder als ein bei der Entstehung des Schuldverhältnisses vorhandenes noch als ein nachträglich eingetretenes von Einfluß auf die Verbindlichkeit des Schuldners.“ Damit wird ein wich­ tiger Stein aus Kübels Entwurf gebrochen. Als Begründung folgt lapidar, „das entgegengesetzte Prinzip würde zu unhaltbaren Konsequenzen füh­ ren“.28 Leider wurden keine offiziell von der Kommission genehmigten Motive zum Ersten Entwurf verfaßt, was eindeutige Aussagen über die An­ sichten, die für die Kehrtwendung maßgebend gewesen sind, erschwert.29 Die Protokolle gewähren dagegen tiefere Einblicke in den Gang der Ent­ scheidungsfindung. Noch in den Beratungen zu dem § 1 des Teilentwurfs war unter Ziffer 3 beschlossen worden, „in Ansehung der nachfolgenden Unmöglichkeit keinen Unterschied zwischen der sogenannten subjektiven und der objektiven Unmöglichkeit zu machen, so daß der Schuldner auch im Falle der nachfolgenden subjektiven Unmöglichkeit nur hafte, wenn der Eintritt derselben seiner Verschuldung oder einem sonst von ihm zu vertre­ 28 Motive, Bd. 2, Recht der Schuldverhältnisse, S. 45 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 25. 29 Die Motive des Schuldrechts stellten die Hilfsarbeiter Kübels, Ege und Struckmann, zusammen. Zugrunde liegen Teile der Protokolle, der Motive des Teilentwurfs sowie eigene Zusammenfassungen. Vgl. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 49.

tenden Umstand zuzuschreiben sei“.30 Wie kam es bereits wenige Sitzungen später zu dem Meinungsumschwung? Es war der oben zitierte § 11 Abs. 1 des Teilentwurfs, der die ausdrückli­ che und im Ergebnis restriktive Regelung der subjektiven Unmöglichkeit veranlaßte. Bereits in der Begründung des Beschlusses wurde eine „aus praktischen Gründen unbedingt nöthige Modifikation“ angesprochen, auf die man nicht verzichten zu können glaubte. Man sah sie damals allerdings in dem § 11 Abs. 1 des Entwurfs - noch - ausreichend formuliert: ,„Allein über diese Modifikation noch hinauszugehen und die nachträgliche subjek­ tive Unmöglichkeit der anfänglichen völlig gleichzustellen [und damit als Befreiungstatbestand zu kassieren], führe zu weit.“31 Später wurde dennoch ein Präzisierungsbedarf erkannt. Denn: „Werde sie [die Vorschrift des § 11 Abs. 1 TE] auf alle Fälle bezogen, in welchen das subjektive Unvermögen durch eine Geldaufwendung zu heben sei, so werde die Regel fast völlig be­ seitigt [!]. Beziehe man sie nur, was richtiger erscheine, auf Geldschulden, so greife sie nicht weit genug.“32 Daraus wird nun zweierlei ersichtlich. Zum einen beabsichtigte die Kommission bereits durch die Fassung der Norm die Fälle der beachtlichen Leistungserschwerung von denen der unbe­ achtlichen zu trennen, ein Vorhaben, das Kübel gar nicht durch den § 11 Abs. 1 seines Teilentwurfs gelöst haben wollte. Zum anderen erlag sie nicht der Versuchung, das Problem durch eine sehr enge Interpretation des Kübel­ sehen Entwurfs zu lösen. Der Gedanke, eine Leistung sei immer möglich, sofern der Schuldner leistungsfähige Dritte durch Geldaufwendungen zu der Vornahme der Leistung bewegen könne, ging der Kommission ersichtlich zu weit. Die Trennlinie wurde dort gezogen, wo sie noch heute zu finden ist: bei der Gattungsschuld. „Den Geldschulden müßten sichtbar diejenigen Verbindlichkeiten gleichstehen, deren Gegenstand eine fungible Sache oder 30 Protokolle der 1. Kommission, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 1116 f. = Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 260. Diese Ansicht herrschte auch noch bei den ersten Beratun­ gen der Unmöglichkeitsfolgen vor. So wurde in den Protokollen a.a.O., S. 1124 = Ja­ kobs/Schubert, a.a.O., S. 263, angeführt: „Werde im ersten Absätze nur der Fall der nach­ träglichen Unmöglichkeit gedeckt, so könnte es nöthig werden, in § 10 des Entwurfs klarzu­ stellen, daß das nachträgliche subjektive Unvermögen gerade so und unter denselben Voraus­ setzungen, wie die nachträgliche objektive Unmöglichkeit liberirend wirke.“ 31 Protokolle der 1. Kommission, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 1119 = Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 261. Es wurde fortgeführt: „Die Gleichstellung sei zwar uner­ heblich, wenn es bei der Leistung auf die Persönlichkeit des Schuldners ankomme, weil in einem solchen Falle das subjektive Unvermögen stets auch ein objektives sei. Desto erhebli­ cher werde die Gleichstellung in anderen Fällen. Sie führe zu einer ungerechtfertigten und unbilligen Behandlung des Schuldners.“ Die „Aufwendung eines unverhältnismäßigen Geld­ opfers“ sollte dem Schuldner nicht zugemutet werden, a.a.O., S. 1120. 32 Protokolle der 1. Kommission, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 1159 = Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 213.

Handlung sei“, ließ die Kommission im Anschluß an die eben zitierte Stelle für die Nachwelt festhalten, so „daß für die Regel nur übrig blieben die Fälle, in welchen ein individuell bestimmter Gegenstand zu leisten sei.“ Die Folgen sind gravierend. Sowohl der Entwurf Kübels als auch der die­ sen bestätigende Eingangsbeschluß der Ersten Kommission wurden in ihr Gegenteil gewandelt. An die Stelle der am einzelnen Vertrag orientierten Prüfung tritt eine pauschale Lösung, die dem Schuldner zudem gesetzlich eine weitreichende Leistungsgarantie aufbürdet: „Im Falle der Begründung des Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft unter Lebenden ist im Ver­ sprechen die Übernahme einer Garantie für die Leistungsfähigkeit zu fin­ den.“33 Eine Garantie allerdings, die nicht mehr nur den vom Schuldner noch eher beherrschbaren Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern den ge­ samten Zeitrahmen bis zur Erfüllung umfaßt. a) Die Leistungserschxverung

Die befreiende subjektive Unmöglichkeit wurde zur Ausnahme. Die Fas­ sung des § 237 Abs. 2 des Ersten Entwurfs sah sie kasuistisch nur noch vor, [...] wenn der Schuldner, welcher einen in sich bestimmten Gegenstand zu leisten hat, diesen in Folge eines von ihm nicht zu vertretenden Umstandes zu leisten außer Stand ge­ setzt worden ist.

Maßgebend für diese Regelung war die Überlegung, daß ein nur indivi­ duell bestehendes Leistungshindernis regelmäßig durch den Einsatz von Geld behoben werden kann.34 Die Erste Kommission strebte hier eine ge­ setzliche Lösung an. Nur in der geschilderten Situation wollte man dem Schuldner angesichts erhöhter Beschaffungskosten helfen. In allen anderen Fällen sollte - methodisch mittels eines argumentum e contrario - jede durch den Einsatz von finanziellen Mitteln möglich werdende Leistung dem Schuldner den Einwand der Leistungsstörung nehmen. Insbesondere für Gattungs- und Herstellungsverpflichtungen ergibt sich damit eine umfas­ sende Haftung für erschwerte Leistungsbedingungen. Diese schematische Lösung ist auf den ersten Blick klarer als Kübels Vorschlag. Bei genauerem Hinsehen wird der Vorteil aber erheblich relativiert. Zunächst ist unklar, ob der Schuldner den Gegenstand seines Verspre­ chens leistungsbereit in Händen gehabt haben mußte, um sich auf den § 237 Abs. 2 des Ersten Entwurfs berufen zu können, oder ob eine wie auch im­ mer konkretisierte Erwerbs- oder Beschaffungsaussicht genügen sollte. Mit 33 Motive, Bd. 2, Recht der Schuldverhältnisse, S. 45 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 25. Hervor­ hebung nicht original. 34 Protokolle der 1. Kommission, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 1159 = Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 213.

anderen Worten: Kann der Schuldner sich nur für den Falle einer Wiederbe­ schaffung exculpieren? Ist ihm also die Erstbeschaffung um jeden (pekuniä­ ren) Preis zuzumuten? Daran schließt sich die Frage an, welche Umstände der Schuldner im Sinne des § 237 Abs. 2 zu vertreten hat. Entschuldigt es den Schuldner, wenn er die neu eingetretenen Umstände nicht verhindern konnte? Oder muß er sich auch noch wegen der Nichtbeseitigung dieser Umstände rechtfertigen? Der Wortlaut der Norm legt es nahe, dem Schuld­ ner keinerlei Beschaffungsbemühungen mehr anzusinnen, sofern er nur un­ verschuldet in die neue Situation geraten sei. Verbindet man den Begriff des „außer Stand gesetzt worden"-Seins mit den Möglichkeiten der Überwin­ dung dieses Zustands, so ergibt sich ein weit weniger klares Bild. Im Wort­ sinne unüberwindbar ist der fragliche Zustand erst dann, wenn der faktisch oder rechtlich zur Leistung Befähigte vollständig unbekannt oder gegen kei­ nen Geldbetrag zur Vornahme der erforderlichen Leistungshandlung zu be­ wegen ist. Die Kübels Teilentwurf vorgeworfene Unschärfe setzt sich in den Fällen des § 237 Abs. 2 fort. Lösen wollte die Erste Kommission primär die Fälle, die gar nicht ge­ nannt wurden und für die deshalb eine Exculpationsmöglichkeit nicht vor­ gesehen war. Auch hier tauchen Bedenken auf. Als Argument für die insbe­ sondere alle Gattungsschuldner treffende rigorose Haftung bietet uns die Kommission die vermeintliche Nähe der Gattungsschuld zu den Geldschul­ den an. Unbestreitbar kann man mit Geld marktgängige Gattungssachen immer beschaffen, so daß zumindest begrifflich die Annahme einer (subjek­ tiven) Unmöglichkeit fernliegt. Sieht man aber auf die Beschaffungsopfer, so ist der Vergleich mit den schlichten Geldschulden weit weniger tragfähig. Beschaffungsopfer für Geldschulden sind in unvergleichlich stärkerem Ma­ ße kalkulierbar. Sie lauten regelmäßig auf einen festen Betrag und sind schon wegen des Kreditgeschäfts im Grunde, also unabhängig von der Kre­ ditfähigkeit, immer verfügbar.35 Die Opfer für Leistungen, die mittelbar durch Geld erbracht werden können, sind dagegen schon in ihrem Grundbe­ stand eine offene Größe. Der Schuldner weiß eben nicht, welchen Betrag er aufwenden muß. Zudem: Ist eine zu beschaffende Gattungssache nicht mehr marktgängig, so werden dem Schuldner neben der bloßen Aufwendung von Geld weitere Beschaffungsopfer auferlegt, die einem Vergleich mit Geld­ 35 Selbst Hartmann, der die Abkehr vom Vertrag auch bei der erschwerten Beschaffung von vertretbaren Sachen ermöglichen wollte, sieht für Geldschulden eine umfassende Haf­ tung vor: „Es hängt dies zusammen mit der ganz abstrakten Natur des Geldes, als der fungibelsten Sachenart unter allen Fungibilien; als welche nur, durch ihre ganz allgemeine Tauschkraft zu fungiren, von Verkehrswegen und von Rechtswegen die ordentliche Bestim­ mung hat, und welche an und für sich mittelst der Anpassung des Credits allgemein zugäng­ lich ist“, Hartmann, Die Obligation, S. 257.

schulden noch weit weniger standhalten. Wäre nicht zumindest hier eine re­ striktive Interpretation angebracht? Es wird sich zeigen, daß die höchstrich­ terliche Rechtsprechung an diesem Punkt die erste Korrektur anbringen sollte. b) Der Leistungsbegriff

Mit der Reduktion der subjektiven Unmöglichkeit ging die Änderung des Leistungsbegriffs einher. War Kübel noch bemüht, in dem zitierten § 196 seines Teilentwurfs einen Leistungsbegriff zu formulieren, der nicht nur das Ziel der Gläubigerbefriedigung vor Augen hat, so stellt die Erste Kommis­ sion lapidar fest: § 224 (1) Der Schuldner ist verpflichtet, die ihm nach dem Schuldverhältnisse oblie­ gende Leistung vollständig zu bewirken. [...]

Die Motive ergänzen: „Wer zu einer Leistung verpflichtet ist, hat auch dasjenige aufzuwenden, was erforderlich ist, um die Leistung zu bewir­ ken.“36 An die Stelle des versprochenen Aufwandes tritt der für die voll­ ständige Erfüllung erforderliche Aufwand. Der Leistungsbegriff beinhaltet also nicht länger die Leistungshandlung, sondern nur noch den Leistungser­ folg. Was ist aus Kübels Vorschlag geworden? Den Mitgliedern der Ersten Kommission war es nicht entgangen, daß sich in § 196 des Teilentwurfs „die fraglichen Worte im Grunde auf Umfang und Inhalt der Obligation“ bezogen.37 Sie hielten dann in den Protokollen fest: „[...] in dieser Hinsicht sei aber in § 61 der Zusammenstellung der beschlossenen Bestimmungen des Obligationenrechts für die aus Verträgen oder einseitigen Versprechen entstehenden Obligationen bereits genügende Vorsorge getroffen“.38 Der angesprochene § 61 ging nur leicht verändert in den Ersten Entwurf ein: § 359. Der Vertrag verpflichtet den Vertragschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte, sowie mit Rücksicht auf Treu und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergibt.

Der Wortlaut dieser Norm könnte durchaus für eine Begrenzung der Lei­ stungspflicht herangezogen werden. Sowohl die Stellung der Norm als auch die Motive der Ersten Kommission deuten indessen dahin, daß nur eine Auslegungs- und Bewertungsregel für den unmittelbaren Vertragsgegen­ stand formuliert werden sollte. Es werde „vor Allem der wichtige und prak­ tische Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß der heutige Geschäftsverkehr 36 Motive, Bd. 2, Recht der Schuldverhältnisse, S. 26 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 15. 37 § 196 im Wortlaut oben S. 38. 38 Protokolle der 1. Kommission, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 1061 = Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 239.

von der Rücksicht auf Treu und Glauben beherrscht wird, und, wo die Er­ mittlung des Inhalts eines Vertrages und der einzelnen hieraus für die Par­ teien fließenden Verrichtungen in Frage steht, jene Rücksicht in erster Linie zur Richtschnur zu nehmen ist“,39 erfährt der Leser der Motive. Wir haben den Vorläufer der §§ 157, 242 BGB vor uns. Und den Nachfolger des be­ reits angesprochenen § 1 des Teilentwurfs.40 Selbst Kübel wollte hier nur eine allgemeine Auslegungshilfe geben.41 Einen an der Intensität der Ver­ pflichtung orientierten Leistungsbegriff, eine Emanzipation vom Leistungs­ erfolg, sollte die Norm nicht bieten. Dafür hatte Kübel den § 196 vorgese­ hen. Aber gerade darauf glaubte die Erste Kommission verzichten zu kön­ nen.

Bilanz: Erster Entwurf Die Kommission reduzierte den Begriff der Unmöglichkeit auf die objektive Unmöglichkeit und befreit ihn damit von der Person des Schuldners. Der subjektiven Unmöglichkeit blieb nur ein schmales Feld, ein Sonderfall. Der Erste Entwurf verläßt damit eine mit Mommsen beginnende Rezeption der Unmöglichkeit, die diesem Begriff gerade über eine weite, an der Person des Schuldners orientierte Auslegung einen bedeutenden Anwendungsbe­ reich sichern wollte. Noch der Dresdener Entwurf hatte in Art. 388 Satz 1 vorgesehen: „Ist dem Schuldner durch Zufall die Erfüllung der Verbindlich­ keit unmöglich geworden, so wird er von seiner Verbindlichkeit befreit.“ Auch der bayrische Entwurf schaute auf den Schuldner. Der Art. 119 des Schuldrechts lautete: „Ist dem Schuldner die Erfüllung durch Zufall un­ möglich geworden, so wird derselbe von seiner Verbindlichkeit frei [...]“ Das sächsische BGB erklärte in § 1010 sogar: „Die Forderung gilt als erlo­ schen bei jeder Art der Unmöglichkeit, gleichviel ob der Gegenstand dersel­ ben untergegangen, außer Verkehr gesetzt, dem Schuldner abhanden ge­ kommen, oder, soviel die auf ein Thun gerichtete Forderung betrifft, eine persönliche Unfähigkeit des Schuldners eingetreten [...] ist.“ Die Protokolle lassen auch weniger historische und rechtsvergleichende als vielmehr lo­ 39 Motive, Bd. 2, Recht der Schuldverhältnisse, S. 198 = Mugdan, Bd. 2, S. 109. Mugdan ordnet den § 359 des ersten Entwurfs dem § 157 BGB zu. 40 Der § 1 des Teilentwurfs von Kübel lautet: „Ein Vertrag verpflichtet den Vertrag­ schließenden zu demjenigen, was sich als Inhalt seiner Verbindlichkeit aus den besonderen Vertragsbestimmungen und aus der Natur des Vertrages nach dem Gesetze oder dem Her­ kommen gemäß ergiebt." 41 Kübel, Entwurf, Abschnitt I, Titel 2.1.3 , S. 2 = Schubert, Bd. 2/1, S. 380: „Selbstver­ ständlich soll der Schuldner nicht zu mehr verpflichtet sein, als wozu er durch den Vertrag verpflichtet werden sollte; allein der Vertragswille wird, soweit er nicht vollständig ausge­ drückt ist und vielleicht nur unvollständig ausgedrückt werden konnte, ex fide bona ergänzt durch das Herkömmliche, welches, als von den Parteien gewollte subsidiäre Norm, eingreift.“

gisch-deduktive Gründe für den Meinungswandel erkennen. Auch der Ehr­ geiz einer klaren, mehr Vertragssicherheit versprechenden gesetzlichen Re­ gelung hat eine große Rolle gespielt. Es ist nun nicht verwerflich, die Un­ möglichkeit auf das zurückzuführen, was sie dem allgemeinen Sprachge­ brauch immer schon war: eine wertungsfreie, rein empirische und, in den Worten des Juristen, objektive Aussage. Dann muß aber, wie bei Hartmann und (in Grenzen) bei Kübel, die Reichweite der vertraglichen Bindung an­ derweitig problematisiert und einer Lösung zugeführt werden. Das ist nicht geschehen.

3. Der Entwurf der Zweiten Kommission Die Fassung des Ersten Entwurfs war nicht von Bestand. Bekanntlich wurde der Entwurf in Fachkreisen sehr ungnädig aufgenommen. Eine Flut der Kri­ tik und zahlreiche Verbesserungsvorschläge spätberufener Rechtspolitiker überschwemmte den Zeitschriften- und Buchmarkt.42 Gleich mehrere Kom­ missionen sollten den Entwurf überarbeiten: erst die Vorkommission des Reichsjustizamtes, dann die Zweite Kommission und schließlich, als Sub­ Kommission der letzteren, die Redaktionskommission. 43 Das Ergebnis der Bemühungen war der Zweite Entwurf. Und die Wiederkehr der subjektiven Unmöglichkeit in der neuen begrifflichen Gestalt des Unvermögens. An die Stelle des § 237 Abs. 2 trat nun folgende Regelung: § 235. Das Unvermögen des Schuldners zur Bewirkung der noch möglichen Leistung steht der Unmöglichkeit gleich. Ist der geschuldete Gegenstand nur der Gattung nach be­ stimmt, so hat der Schuldner, so lange die Leistung aus der Gattung möglich ist, sein Un­ vermögen auch dann zu vertreten, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last fällt.

Das Unvermögen wird der Unmöglichkeit gleichgesetzt. Eine Rückkehr zur einheitlichen Unmöglichkeitsdogmatik ist mit dem Normentwurf also nicht verbunden. Unmöglich ist fortan nur noch das, was die Grenzen des Möglichen auch tatsächlich überschreitet. Das muß kein Nachteil sein. Das Unvermögen ließe zumindest eine freiere, unbelastete Grenzziehung der schuldnerischen Leistungspflicht vermuten. Deren Präzisierung im zweiten Satz hebt diese neue Freiheit aber sofort wieder auf für die gewichtigen Fälle der Gattungsschuld. Es drängt der Verdacht sich auf, daß die ganze Kehrtwendung in der Sache nichts bewirken sollte. Nun formuliert man 42 Übersicht über die zahlreichen zeitgenössischen Stellungnahmen bei: Maasy Bibliogra­ phie des bürgerlichen Rechts, ArchBürgR 16 (1899). 43 Übersicht über die Entstehung: Dölemeyer, in: Coing, Handbuch der Quellen und Lite­ ratur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, Teilbd. 2, S. 1588-1594.

nicht mehr die ausnahmsweise bestehende Exculpation des zur Leistung un­ vermögend gewordenen Stückschuldners; statt dessen wird die Exculpati­ onsmöglichkeit des Gattungsschuldners eingeschränkt. Das Glas ist nicht länger halb voll, nun ist es halb leer. Eine sprachlich motivierte Neufassung desselben Gedankens? a) Leistungspflicht und Unmöglichkeit

Eine Diskussion, die die technische Frage der Regelungsfassung verlassen und sich inhaltlich mit der Reichweite der Leistungspflicht, insbesondere mit der Frage der Leistungsschwere befaßt hätte, läßt sich den Protokollen nicht entnehmen.44 Nicht einmal die problematische Gleichsetzung des Gattungsschuldners mit dem Geldschuldner und die daraus resultierende umfangreiche Haftung des Gattungsschuldners wurde in Frage gestellt. Die Beratungen drehten sich statt dessen um die Frage, ob die Unmöglichkeit in der gewünschten Form überhaupt regelungsbedürftig sei. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht Karl Jacubezky, der wegen seiner zahllosen An­ träge gefürchtete Vertreter Bayerns 45 Bereits bei der Beratung des § 224 schwebte ihm eine den § 237 vollständig ersetzende Präzisierung des Ver­ schuldensmaßstabs vor. Beantragt wurde als Ergänzung des § 224: § 224 (3). Auch außerhalb des Verschuldens haftet der Schuldner wegen Nichterfül­ lung, wenn dieselbe durch Umstände herbeigeführt wird, welche nach Inhalt des Schuld­ verhältnisses der Schuldner zu vertreten hat. Der Schuldner haftet insbesondere, wenn ein nur der Gattung nach bestimmter Gegenstand zu leisten ist, für Umstände, welche, ohne die Leistung unmöglich zu machen, ihn außerstande setzen, dieselbe zu bewirken 46

Der Änderungsvorschlag klingt harmloser, als er in Wirklichkeit war. Zunächst fällt auf, daß die Unmöglichkeit in systematische Nähe zu einer den Inhalt des Schuldverhältnisses regelnden Norm gebracht wurde. Es sei, so der zum Ausdruck kommende Gedanke, eben keine Störung einer an sich bestehenden Pflicht. In diesem Sinne solle die befreiende Wirkung der ob­ jektiven Unmöglichkeit nicht mehr explizit ausgesprochen, sondern dem „Inhalte des Schuldverhältnisses“ entnommen werden. Der die Unmöglich­ keit regelnde § 237 Abs. 1 des Ersten Entwurfs beinhalte, so die Begrün­ dung des Antrags, „keinen Rechtssatz, sondern nur eine werthlose und nicht 44 Zu § 237 des Ersten Entwurfs wurde angemerkt: „Einverständnis bestand darüber, daß der Schuldner, wenn seine Verbindlichkeit auf Leistung eines lediglich der Gattung nach be­ stimmten Gegenstandes geht, ohne Rücksicht auf Verschulden dafür zu haften hat, daß er die Leistung, (sofern sie überhaupt noch möglich ist,) zu bewirken nicht außer Stande gesetzt Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 231. 45 Zum „Problem“ Jacubezky vgl. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 58 f.; insbes. Fn. 140. 46 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 230: Antrag Nr. 3 zu § 237.

einmal richtig ausgedrückte Reflexion“.47 Selbst den in § 237 Abs. 2 gere­ gelten Sonderfall des Unvermögens wollten die Antragsbefürworter dem In­ halt des Schuldverhältnisses unmittelbar entnehmen.48 Damit wird die Un­ möglichkeit als zentrales Argument verabschiedet und ganz im Sinne Hart­ manns auf den Inhalt des Schuldverhältnisses gesehen. Leider wurden dar­ aus keine inhaltlichen Konsequenzen gezogen. Im Gegenteil. Der Kemgedanke des Ersten Entwurfs, die verschuldensunabhängige Haftung des Gat­ tungsschuldners, sollte ausweislich der Protokolle sogar besser formuliert werden. Daß diese Haftung in der fraglichen Norm „nur durch ein argum. e contrario zu finden sei“, wurde ausdrücklich bemängelt. Die Mehrheit der Zweiten Kommission lehnte den Antrag ab. Die befrei­ ende Wirkung der Unmöglichkeit solle „im Interesse der Deutlichkeit und der praktischen Handhabung des Gesetzes“ zum Ausdruck gebracht werden. Das ist noch keine andere Lösung; auch ohne besondere Regelung wäre die unmögliche Leistung nicht geschuldet. Die Kommission wollte aber auch das Unvermögen nicht als Annex des Verpflichtungsumfangs behandelt wissen. Hier widerspricht die Mehrheit den Antragstellern explizit. Das Un­ vermögen solle dem Grunde nach gerade nicht von der Leistungspflicht be­ freien. Dem Gesetz bleibe es vorbehalten, von diesem „wichtigen Grund­ satz“ die Ausnahme zu regeln.49 Die Mehrheit der Zweiten Kommission ging von einem Vertragsinhalt aus, der dem Unvermögen standhalten sollte. b) Leistungspflicht nach Treu und Glauben

Mit dem Änderungsvorschlag Jacubezkys rückt der § 224 des Ersten Ent­ wurfs auch für die Fragen nach der Leistungserschwere und den Grenzen der Leistungspflicht in das Zentrum des Interesses. Der die Vollständigkeit 47 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung S. 630 = Mugdan, Bd. 2, S. 528: „Die Ausdrucksweise jener Vorschrift sei schief, indem sie sage, daß der Schuldner durch die nicht zu vertretende Unmöglichkeit ,von seiner Verbindlichkeit befreit werde4, während nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses (§ 224) seine Verbindlichkeit sich von vorne herein auf den Fall einer solchen Unmöglichkeit nicht erstreckt, für diesen Fall eine Verbindlichkeit, von welcher er ,befreit werden4 konnte, überhaupt nicht bestanden habe.44 48 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 631 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 529: „Zu Abs. 2 war die Minderheit der Ansicht, daß der von ihm ausgesprochene Satz sich aus dem § 224 unmittelbar ergebe, der in ihm enthaltene wichtige Rechtssatz dagegen, daß bei einer Genusschuld der Schuldner für die Folgen einer subjektiven Unmöglichkeit der Erfül­ lung auch ohne ein ihm zur Last fallendes Verschulden einzustehen habe, nur durch ein arg. e contrario zu finden sei.44 49 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 632 = Mugdan, Bd. 2, S. 529: „Die Mehrheit ging dagegen von der Ansicht aus, daß der Abs. 2 des Entw. gleichfalls einen wichtigen Grundsatz ausspreche, indem er den Fall bezeichne, in welchem ausnahmsweise die subjektive Unmöglichkeit der objektiven hinsichtlich der befreienden Wirkung für den Schuldner gleichstehen soll.44

der Erfüllung anordnende Abs. 1 Satz 1 wurde „als selbstverständlich“ ge­ strichen.50 In dem Abs. 1 Satz 2 hatte die Erste Kommission die Ersatz­ pflicht bei verschuldeter Nichtleistung angeordnet, allerdings nur, um klar­ zustellen, daß die Haftung für einfache Fahrlässigkeit die Regel sein solle.51 Die Norm bekam ein völlig anderes Antlitz und Gewicht, als die Zweite Kommission beschloß, den § 359 zu dem § 224 zu ziehen und wie folgt neu zu fassen: § 224 (1). Zu welcher Leistung das Schuldverhältniß den Schuldner verpflichtet und wie die Leistung zu bewirken ist, ist nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Ver­ kehrssitte zu beurtheilen. (2) Der Schuldner haftet wegen Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit, wenn die Erfül­ lung vorsätzlich oder wenn sie in Folge Außerachtlassung der im Verkehr üblichen Sorg­ falt (Fahrlässigkeit) unterbleibt. [...]52

Die Treu-und-Glauben-Richtschnur des § 359 des Ersten Entwurfs sollte fortan nicht mehr nur die Erbringung der Leistung näher ausgestalten, son­ dern bereits über den Inhalt der Leistung mitbestimmen. Diese Verschie­ bung wurde in der Vorkommission des Reichsjustizamtes vorbereitet und beruht - man ahnt es schon - auf einer Anregung Jacubezkys 53 Inhaltlich sind zwei Änderungen festzustellen. Der Rechtsgedanke von „Treu und Glauben“ gestaltete nicht mehr hilfsweise die Erbringung der Leistung in Form einer naturalia negotii-Norm näher aus, sondern setzt nun zwingendes Recht. Zudem sollte der neue § 224 Abs. 1 deutlich sowohl den Inhalt als auch die Erbringung ^Leistung „beurtheilen“ helfen. Diese Formulierung wirft Fragen auf: Was ist unter einer Beurteilung zu verstehen? Und: Setzt die Erbringung der Leistung einen vom Erfüllungsakt unabhängig ermittel­ ten Inhalt bereits voraus oder kann die Erfüllungshandlung in den Inhalt der geschuldeten Leistung integriert werden? Die Protokolle lassen den Leser im Stich. Nebulös wird erklärt, die inhaltliche Ausdehnung des alten § 359 sei erforderlich, „um das ganze zwischen Gläubiger und Schuldner beste­ hende Verhältniß seinem wahren Inhalt nach zur Anerkennung zu brin­ gen“ 54 50 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 608 = Mugdan, Bd. 2, S. 521. 51 Motive, Bd. 2, S. 27 = Mugdan, Bd. 2, S. 15. 52 Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 255: Anträge Nr. 1 und 2 zu §§ 224, 225. 53 Jacubezky hat diesen Vorschlag bereits in seinen Bemerkungen 1892 unterbreitet, S. 55 zu § 224 und S. 83 zu § 359. Der entsprechende Antrag in der Vorkommission des Reichsju­ stizamtes geht auch auf Jacubezky zurück; vgl. Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 48. Für die Zweite Kommission vgl. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 608 = Mugdan, Bd. 2, S. 521. 54 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 608 = Mugdan, Bd. 2, S. 521.

Bei dieser Regelung ist es nicht geblieben. Die erneute Änderung ist ein Verdienst der Redaktionskommission. Diese, für die sprachliche Überar­ beitung zuständige Sub-Kommission hatte den Auftrag, explizit zu klären, wie die Vorschrift zusätzlich als Auslegungsregel in den Allgemeinen Teil integriert werden könnte.55 Die Redaktionskommission ging über diesen Auftrag hinaus und schränkte in ihrer Vorlage gleichzeitig den erst neu ge­ faßten § 224 Abs. 1 ein. In der Vorlage der Redaktionskommission sah die neue Regelung wie folgt aus: § 224. Der Schuldner ist zur Bewirkung der Leistung in solcher Weise verpflichtet, wie es Treu und Glauben und der Verkehrssitte entspricht 56

Der mitgeteilte Grund für die Einschränkung: Die Art der Erfüllung solle bei allen Schuldverhältnissen an Treu und Glauben orientiert werden, für den Inhalt der Verpflichtung sei diese Orientierung dagegen nur bei Verträ­ gen erforderlich 57 Das Vertrauen in außervertraglich begründete Pflichten in allen Ehren, aber mußte die Kommission so weit gehen? Der neue Abs. 1 des § 224, der nur noch leicht verändert in Form des § 242 BGB in das BGB eingegangen ist, sollte eindeutig nicht den Inhalt des Vertrages betreffen, sondern auf den Akt der Erfüllung beschränkt bleiben. Die ungleich span­ nendere, den Inhalt der vertraglichen Verpflichtung betreffende Regelung wanderte von dem § 359 des Ersten Entwurfs über den § 224 in den allge­ meinen Teil und kann heute in § 157 BGB nachgelesen werden. Die syste­ matische Nähe zu der Haftung aus verschuldeter Nichtleistung wurde dabei ebenso aufgegeben wie die Einheit von Leistungsinhalt und Leistungser­ bringung. Die erst beschlossene Ausdehnung von Treu und Glauben ist im Ergebnis vollständig rückgängig gemacht worden. Damit ist konkludent auch die Frage beantwortet, inwieweit die Erfüllungshandlung mittels Treu und Glauben in den Leistungsbegriff aufgenommen werden kann. Der Ver­ tragsinhalt sollte mittels Treu und Glauben nur ausgelegt, nicht aber zwin­ gend ausgestaltet werden. Die Zweite Kommission hatte neben der Ausle­ gung des Wortlauts auch die ergänzende Vertragsauslegung im Auge.58 55 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 49; die vorgeschlagene Fassung ent­ spricht § 157 BGB. Jakobs/Schubert, Schuld Verhältnisse Bd. 1, S. 256. 57 „Es sei auch sachlich zu billigen, daß die RedKom. die für alle Schuldverhältnisse be­ stimmte Vorschrift des § 224 Abs. 1 auf die Art der Erfüllung beschränkt habe; denn nur be­ züglich dieser Frage passe die Bezugnahme auf Treu und Glauben und auf die Verkehrssitte allgemein, während hinsichtlich der Frage, ob eine Verpflichtung entstanden sei, und welche, nur bei vertragsmäßigen Schuldverhältnissen zutreffe.“ Protokolle der Kommission für die zweite Lesung S. 1251 = Mugdan, Bd. 2, S. 522. 58 In den Protokollen wurde festgehalten: „Theoretisch sei zwar zuzugeben, daß es sich bei der Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte nicht selten nicht um

Unter der Bedingung unklarer oder lückenhafter Vereinbarungen sollte ein beachtlicher Spielraum verbleiben. Eine Auslegung kann den dem Gläubi­ ger zu bewirken versprochenen Erfolg allerdings nur im Einzelfall relativie­ ren; eine allgemeine Grenze der Pflicht wird nur schwer zu begründen sein. Geradezu ausgeschlossen ist eine an Treu und Glauben orientierte Inhalts­ kontrolle.59 Die Präzisierung erfolgte also ganz im Sinne der Ersten Kommission. Der objektive Maßstab von Treu und Glauben sollte nur als Auslegungshilfe der Willenserklärung der Parteien dienen. Ziel der Auslegung war die Kon­ kretisierung des versprochenen Erfolges. Ausgeblendet wurde dagegen, wie schon in der Ersten Kommission, die hierfür notwendige Erfüllungshand­ lung. Diese bekam in dem (späteren) § 242 BGB eine Fassung, die lediglich die konkrete Art und Weise des zu bewirkenden vertraglichen Erfolges re­ geln konnte, ihn aber nicht mehr in Frage stellen sollte. Eine Kontrolle des vertraglich Geschuldeten anhand von Treu und Glauben sollte in keinem der Fälle stattfinden.

c) Die Rückkehr der subjektiven Unmöglichkeit Die Redaktionskommission hat nicht nur die Treu-und-Glaubensvorschrift des § 359 des Ersten Entwurfs aufgesplittet und im Wortlaut präziser gefaßt, sie hat auch die erneute, uns aus dem § 275 Abs. 2 BGB bekannte Gleich­ stellung des Unvermögens mit der objektiven Unmöglichkeit vorgeschla­ gen. Wie konnte es zu diesem Meinungswandel kommen? Oder war es gar keiner? Wie dargelegt, wollte die Zweite Kommission ursprünglich den § 237 des Ersten Entwurfs nicht ändern. Niemand äußerte Bedenken gegen die hier vorgesehene weitreichende Haftung des Schuldners. Nur der sprach­ lichen Fassung war man sich noch nicht ganz sicher. Kleinere Änderungen waren bereits während der Beratungen des § 237 von der Kommission be­ schlossen worden.60 Nun hatte man der Redaktionskommission die Frage vorgelegt, ob die gewünschte umfassende Haftung des Gattungsschuldners

Auslegung des Parteiwillens im streng wissenschaftlichen Sinne handle, sondern um Ergän­ zung des fehlenden Willens durch das Gesetz. Indessen ergreife der Sprachgebrauch auch die hierauf gerichtete Tätigkeit des Richters ...", Protokolle der Kommission für die zweite Le­ sung S. 1252 = Mugdan^ Bd. 2, S. 522. 59 Ich will eine in den Protokollen niedergelegte Ansicht hier nicht verschweigen, die ei­ nen Änderungsantrag zu § 157 BGB damit begründete, „daß als Vertragsinhalt nur das gelten dürfe, was den Anforderungen von Treu und Glauben entspreche“. Der § 157 BGB als „ab­ solute Vorschrift“? Der Antrag wurde abgelehnt, freilich ohne daß dieser weitreichenden An­ sicht explizit widersprochen worden wäre. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 1252 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 522. 60 Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 230: Antrag Nr. 1 zu § 237.

in dem § 237 des Ersten Entwurfs auch hinreichend klar zum Ausdruck ge­ kommen sei.61 Die Redaktionskommission löste das ihr aufgetragene Problem durch die schlichte Umkehrung der Regelung des § 237 Abs. 2 des Ersten Entwurfs. Dieser Kniff erlaubte es, sowohl die Ausnahme der befreienden Wirkung des Unvermögens als auch die Haftung des Gattungsschuldners, gewisser­ maßen als Ausnahme von der Ausnahme, ausdrücklich festzuschreiben. Die Gleichstellung des Unvermögens mit der Unmöglichkeit war ein Abfallpro­ dukt der auftragsgemäßen Klarstellung der rigorosen Haftung des Gattungs­ schuldners und beinhaltete keine sachlich neue Entscheidung. Die vorge­ schlagene Regelung lautete: § 224 a. (1) Der Schuldner ist von der Verpflichtung zur Leistung befreit, soweit diese in Folge eines nach Entstehung des Schuldverhältnisses eingetretenen, von ihm nicht zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden ist. (2) Das Unvermögen des Schuldners zur Bewirkung der noch möglichen Leistung steht der Unmöglichkeit gleich, wenn ein nicht lediglich der Gattung nach bestimmter Gegenstand geschuldet ist. § 224 d. Ist der geschuldete Gegenstand nur der Gattung nach bestimmt, so hat der Schuldner, solange die Leistung aus der Gattung möglich ist, sein Unvermögen zur Lei­ stung auch dann zu vertreten, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last fällt.62

Gleich zwei Regelungen sollten den zur Leistung unvermögend gewor­ denen Gattungsschuldner in die Pflicht nehmen. Es scheint als sei die Re­ daktionskommission wieder einmal über das Ziel hinausgeschossen. Hat sie beide Male dasselbe geregelt? Die Zweite Kommission sah es so. Sie faßte den § 224 a Abs. 2 mit § 224 d zusammen und schuf dergestalt den eingangs zitierten § 235 des Zweiten Entwurfs 63 Eine doppelte Regelung lag indes­ sen gar nicht vor. Die Redaktionskommission hatte sich nur geschickt zwei­ er Probleme entledigt. Das eine Problem hieß Verzug, das andere Jacu­ bezky. Zunächst zum sachlichen Problem. Der § 224 a Abs. 2 hielt die Lei­ stungspflicht im Falle der Gattungsschuld aufrecht. Der § 224 d wurde nun eingefügt, um daraus die Konsequenzen für weitere, aus der Nichtleistung resultierende Ansprüche zu ziehen. Ausweislich der Protokolle wurde in der Zweiten Kommission erkannt, daß ein zur Leistung unvermögender Gat­ tungsschuldner „im Verkehrsinteresse nothwendig" auch in Verzug geraten sollte. Weiter wurde festgehalten: „Aus dem Fortbestehen des Schuldver­ hältnisses folge aber nicht ohne Weiteres, daß der Schuldner die subjektive Unmöglichkeit in gleicher Weise wie ein Verschulden zu vertreten habe, und aus dem § 224 [des Ersten Entwurfs] ergebe sich auch für generische 61 Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse, Bd. 1, S. 23 L 62 Jakobs /Schubert, Schuld Verhältnisse, Bd. 1, S. 232. 63 Im Wortlaut wiedergegeben auf S. 49.

Schuldverhältnisse als Regel nur die Haftung wegen verschuldeter Nichter­ füllung.“64 Daraufhin wurde der Redaktionskommission aufgegeben, für ei­ ne entsprechende Klarstellung zu sorgen.65 Dies ist durch den § 224 d ge­ schehen. Die etwas mißglückt wirkende Vorschrift des § 279 BGB erhellt sich aus dem erstrebten Gleichklang von Leistungspflicht und Verzug. Nur am Rande wird eine zweite Begründung mitgeliefert.66 Offensicht­ lich wollte man der von Jacubezky vorgetragenen Ansicht entgegenkom­ men. Wie oben dargelegt, sollte nach Ansicht Jacubezkys die befreiende Wirkung des Unvermögens bereits dem Leistungsbegriff zu entnehmen sein. Durch den § 224 d ist die umfassende Verpflichtung des Gattungsschuldners auch insofern eindeutig zum Ausdruck gebracht worden. Jacubezky schaffte es, durch die Hintertüre der Redaktionskommission die ihm vorschwebende Formulierung doch noch einzubringen. Ob die später vorgenommene Kür­ zung auch auf ihn zurückzuführen ist, bleibt unklar. Im Ergebnis jedenfalls hat sich seine Formulierung durchgesetzt.

Bilanz: Zweiter Entwurf

Zahlreiche Kommissionen hatten sich mit der Überarbeitung des Ersten Entwurfs beschäftigt: die Vorkommission des Reichsjustizamtes, die Zweite Kommission, deren Redaktionskommission und schließlich wieder die Zweite Kommission. Diese Beratungsabfolge führte zu einer Vielzahl an Präzisierungsvorschlägen und zu zahlreichen Korrekturen am Normengefü­ ge. Auch die hier interessierenden Normen wurden oftmals geändert. So wurde (wie bei § 279 BGB) ein zunächst abgelehnter Vorschlag wieder auf­ gegriffen und (wie bei den §§ 157, 242 BGB) eine einmal beschlossene Än­ derung partiell wieder rückgängig gemacht. Um so mehr erstaunt die sich herauskristallisierende Konstante: Inhaltlich wollte niemand etwas ändern. Die nun Unvermögen getaufte subjektive Unmöglichkeit sollte wie gehabt allen außer dem Gattungsschuldner für den Einwand nachträglich eingetre­ tener Umstände zur Verfügung stehen. Der Begriff des Unvermögens wurde darüber hinaus nicht weiter präzisiert, eine Abgrenzung zu den Fällen unbe­

64 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 651 = Mugdan, Bd. 2, S. 536. 65 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. S. 303 = Mugdan, Bd. 2, S. 537: Der Redaktionskommission wurde explizit aufgegeben „zu prüfen, ob und wie (durch einen Zu­ satz zu § 224 oder zu § 237 [jew. des Ersten Entwurfs]) klargestellt werden könne, daß bei Gattungsschuldverhältnissen der Schuldner auch unverschuldete subjektive Unmöglichkeit der Leistung zu vertreten habe“. 66 „Der Antragsteller bemerkte zu seinem Hauptantrage, es müsse der RedKom. freige­ stellt bleiben, einen dem abgelehnten Anträge 3 zu § 237 (Prot. 629) [dem Antrag Jacu­ bezkys] entsprechenden Satz in den Entwurf aufzunehmen.“ Die Kommission nahm den fraglichen Antrag „unter Billigung dieser Bemerkung“ an.

achtlicher Leistungserschwerung gar nicht erst versucht. Am Herzen lag den Kommissionen einzig und allein die umfassende Haftung des Gattungs­ schuldners.67 Die durch die Redaktionskommission vorgeschlagene, rein sprachlich motivierte Neufassung sollte die Haftung des Gattungsschuldners auch für Unvermögen klar- und den Gleichlauf mit den Verzugsvorschriften sicher­ stellen. Dies erfolgte in zwei Normen. Der Vorgänger des § 275 Abs. 2 BGB regelte das Unvermögen, aber für den Gattungsschuldner entsprechend eingeschränkt durch einen zweiten Halbsatz; die Verzugsfolgen sollten durch den Vorläufer des heutigen § 279 BGB sichergestellt werden. Zurück in der Zweiten Kommission wurde die vermeintlich doppelte Regelung be­ seitigt. Der Wille blieb: die Lösung der Ersten Kommission sollte nur ein­ deutiger gefaßt werden. Die Kürzung hinterließ dem zukünftigen Anwender in der verbleibenden Regelung des § 275 Abs. 2 BGB einen Torso, der den Gleichlauf von Unvermögen und Unmöglichkeit anordnet, dies aber weder im begrifflichen System noch im inhaltlichen Ergebnis richtig ernst meint. Der § 279 BGB nimmt, soll der übereinstimmende Wille der diversen Kommissionen gewahrt bleiben, dem Gattungsschuldner umfassend die Möglichkeit, sich auf den nachvertraglichen Eintritt leistungserschwerender Umstände zu berufen.

4. Der Dritte Entwurf Der mangelnde Änderungswille der Zweiten Kommission wird vollends in den Beratungen des Justizausschusses des Bundesrats deutlich. Der Justi­ zausschuß hatte über einen Antrag zu befinden, der die Regelung des § 237 des Ersten Entwurfs wiederherstellen sollte. Die Sorge war, es sei „an die Stelle des Abs. 2 ein neuer § 235 mit diametral entgegengesetztem Inhalt in den Entwurf aufgenommen“ worden. Man befürchtete offenbar, der Rechts­ satz „Das Unvermögen des Schuldners steht der Unmöglichkeit gleich“ las­ se die in der Tat entgegengesetzte Lösung Kübels Wiederaufleben. Die Sor­ ge der Antragsteller war nach Ansicht des Justizausschusses völlig unbe­ gründet. Der Ausschuß fand vielmehr bestätigt, daß der beantragte § 237 des Ersten Entwurfs „nur in der Fassung vom [Zweiten] Entwurf abweiche, 67 Sogar die Gleichstellung des Gattungsschuldners mit dem Geldschuldner wurde wie­ derholt. Zu der Frage, ob der unverschuldet unvermögend gewordene Gattungsschuldner in Verzug geraten soll, steht in den Protokollen: „Sachlich müsse diese Frage im Verkehrsinter­ esse nothwendig bejaht werden; es sei insbes. nicht angängig, bei Geldschulden den Verzug für die Dauer einer unverschuldeten Zahlungsunfähigkeit auszuschließen.“ Protokolle der Kommission für die zweite Lesung, S. 651 = Mugdan, Bd. 2, S. 536.

letzterer aber sachlich übereinstimme“.68 Die Beratungen im Bundesrat führten lediglich zu der Aufteilung des § 235 des Zweiten Entwurfs in zwei Paragraphen, die in den §§ 275, 279 BGB Gesetz geworden ist: § 275 BGB. (1) Der Schuldner wird von der Verpflichtung zur Leistung frei, soweit die Leistung infolge eines nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Umstan­ des, den er nicht zu vertreten hat, unmöglich wird. (2) Einer nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Unmöglichkeit steht das nachträglich eintretende Unver­ mögen des Schuldners zur Leistung gleich. § 279 BGB. Ist der geschuldete Gegenstand nur der Gattung nach bestimmt, so hat der Schuldner, solange die Leistung aus der Gattung möglich ist, sein Unvermögen zur Lei­ stung auch dann zu vertreten, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last fällt.

Die weiteren, geringfügigen Änderungen beruhen auf der Suche nach dem treffendsten Wort, nicht aber auf einer erneuten Reflexion der auszu­ drückenden Inhalte.

5. Das Bürgerliche Gesetzbuch Wirkungskraft hat auch das Unterlassene. Die an der Gesetzgebung betei­ ligten Kommissionen weisen hier beachtliche Versäumnisse auf. Eine grundsätzliche Betrachtung der Schuldnerpflichten wurde nicht angestellt. Weder fand eine Klärung des Leistungsbegriffs statt, noch wurde gefragt, welche inhaltlichen Aspekte der Pflicht ein Festhalten des Schuldners nach einem grundlegenden Wandel der Umstände rechtfertigen können. Es fehlt auch eine stimmige Gesamtkonzeption der immanenten Grenzen privatauto­ nom übernommener Verpflichtungen. Was wir finden, ist eine Einzelregelung, und die sieht eine ernüchternd harte Haftung des Gattungsschuldners vor. Der § 279 BGB läßt durch seine sprachliche Fassung einen Freiraum, der von der Rechtsprechung schon bald genutzt werden sollte, der aber, das sei noch einmal hervorgehoben, von dem Gesetzgeber so nicht gewollt war. Allen anderen Schuldnern soll in den Fällen des Unvermögens geholfen werden können. Das verrät der § 275 Abs. 2 BGB und das lassen auch die Protokolle erkennen. Vergeblich sucht man aber Äußerungen darüber, wann dieses ominöse Unvermögen vorliegen soll. Der Begriff des Unvermögens ist aus dem der subjektiven Unmöglich­ keit hervorgegangen, soviel wenigstens ist klar. Die Protokolle lassen an­ sonsten nur Debatten über die Frage erkennen, ob etwas als unmöglich be­ zeichnet werden kann, was noch diesseits der Grenze des Möglichen liegt.

68 Jakobs /Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1, S. 235

Daher die begriffliche Abkehr von einer subjektiv verstandenen Unmög­ lichkeit. Eine inhaltliche Kontroverse ist mit dieser Entscheidung nicht ver­ bunden. Es wurde nicht einmal problematisiert, daß zwischen dem § 237 Abs. 2 des Ersten Entwurfs und dem § 235 des Zweiten ein himmelweiter Unterschied liegt. Die Kommissionen sahen das offenbar nicht so. Gingen sie davon aus, daß in anderen Fällen als denen der Lieferverpflichtung ein Unvermögen nie eintreten könne? Die Antwort kann man allenfalls erahnen. Eine inhaltliche Stellungnahme fehlt. Die alten inhaltlichen Probleme der subjektiven Unmöglichkeit blieben nicht nur ungelöst, sie blieben unange­ sprochen. Auch der Leistungsbegriff wurde nicht länger herangezogen. Es gab zwar Ansätze, diesen für die Unmöglichkeitsproblematik fruchtbar zu machen, doch haben sie sich nicht durchgesetzt. Der in späterer Zeit von der Recht­ sprechung gern herangezogene § 242 BGB sollte den Inhalt der Leistung ge­ rade nicht begrenzen, sondern ausschließlich die Art und Weise der Lei­ stungserbringung konkretisieren helfen. Für die Inhaltsermittlung sollten Treu und Glauben mittels des § 157 BGB Eingang in das Recht finden. Doch wird aus dessen Verbannung in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre ersichtlich, daß dem erklärten Willen nur in Fällen unklarer oder unvoll­ ständiger Erklärungen ein vermuteter Wille zu Hilfe eilen soll. Eine gesetz­ liche Grenze der Leistungspflicht ist hier nicht beabsichtigt und auch später nicht gesucht worden. Die im folgenden geschilderten Versuche der Fachli­ teratur, die Leistungserschwerung positivistisch und dennoch ausgewogen in den Griff zu bekommen, können sich auf den Willen des Gesetzgebers nicht stützen.

Kapitel III

Die Lösungsvorschläge der Literatur Das neue Gesetz forderte die Rechtswissenschaft gleich in mehrfacher Hin­ sicht. Zunächst galt das Augenmerk der Bekanntgabe und Erläuterung der Regelungen des Gesetzeswerks. Dieser Aufgabe widmeten sich zahlreiche Lehrbücher sowie die entstehende Kommentarliteratur. Das Leistungsstö­ rungsrecht wurde, angesichts der Intention nicht weiter verwunderlich, rein deskriptiv behandelt. Eine kritische und eigenständige Würdigung folgte je­ doch überraschend schnell. Unabhängig voneinander erschienen bereits im Jahre 1900 drei Monographien über die Unmöglichkeit.1 In schneller Abfol­ ge wurden weitere konstruktive Stellungnahmen in den Fachzeitschriften publiziert. Das Leistungsstörungsrecht erfreute sich fortan in der rechtswis­ senschaftlichen Forschung steigender Beliebtheit. Der in das Gesetz über­ nommene Begriff der Unmöglichkeit hatte, wie sich bald herausstellen sollte, das Problem der nachträglichen Leistungserschwerung nicht hinrei­ chend klar gelöst. Der Weg von der umgangssprachlichen Bedeutung zu ei­ nem juristischen Systembegriff war noch weit. Eine schwankende begriffli­ che Verwendung der Termini „Leistungspflicht“ und „Haftung“ sorgte für zusätzlichen Diskussionsstoff, ja erwies sich immer mehr als belastende Hypothek für eine Rechtswissenschaft, die es gewohnt war, begrifflich und systematisch zu argumentieren. Die begriffliche Unsicherheit wurde überschattet von einer methodi­ schen. Die deutsche Rechtswissenschaft stand, nachdem sie über ein Jahr­ hundert lang die frühen, einer Vemunftethik verpflichteten Kodifikationen2 1 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit der Erfüllung bei gegenseitigen Verträgen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich, Jena 1900; Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung nach deutschem bürgerlichen Recht, Leipzig 1900, sowie Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen nach dem Bürgerlichen Gesetz­ buch für das deutsche Reich, Jena 1900. 2 Auf dem Gebiet des deutschen Bundes sind (mit zum Teil nur subsidiärer Geltung) fol­ gende Kodifikationen zu nennen: Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (seit 1756), das Allgemeine Landrecht der Preußischen Staaten (seit 1794), das Österreichische Allge­ meine Bürgerliche Gesetzbuch (Seit 1811) und der Code civil (seit 1804 in französischer Sprache sowie, als Badisches Landrecht, in deutscher Übersetzung).

weitgehend ignoriert und der Praxis überlassen hatte, vor der Frage, wie mit einem kodifizierten Recht zu verfahren sei. Mit der Begriffsjurisprudenz war bis dahin eine Methode entwickelt worden, welche das an der juristi­ schen Einzelfrage orientierte Gemeine Recht, insbesondere soweit es auf dem Corpus Iuris Civilis fußte, handhabbar machen sollte. Dem Recht wur­ den Systembegriffe extrahiert, denen mittels einer logischen Deduktion weitere Aussagen entlockt werden sollten. Die Rechtswissenschaft ver­ suchte überwiegend, die begriffsjuristische Methode auch unter den neuen Bedingungen einer modernen Kodifikation aufrechtzuerhalten. Aufgrund der Nähe des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu den von der Pandektistik ent­ wickelten Begriffen und Inhalten bot dieser Weg durchaus einen sinnvollen Einstieg in das Gesetz. Gerade die Unmöglichkeitslehre verdankt ja ihre Entstehung einer begrifflich-systematischen Rechtsschöpfung. Problema­ tisch ist aber der Anspruch, über den im Gesetz zum Vorschein gekomme­ nen Regelungswillen des Gesetzgebers hinaus mittels logischer Schlüsse ei­ ne als unzureichend empfundene Lösung des Gesetzes klären, das Gesetz gewissermaßen fortschreiben zu können. Gerade dies sollte aber geschehen. Der von der Literatur zäh verfolgte Anspruch auf begriffslogische Folge­ richtigkeit lenkte dabei von den inhaltlichen Problemen ab. Anstatt etwa die Reichweite vertraglicher Selbstverpflichtung zu diskutieren, suchte man lo­ gische Schranken zwischen Unmöglichkeit, Unvermögen und unbeachtli­ cher Leistungserschwerung aufzurichten. Der mangelnde Konsens über de­ ren konkrete Ausgestaltung zeigte bald die methodische Sackgasse, in wel­ che die Rechtswissenschaft hier geraten war. Deutlich wird dies insbesonde­ re angesichts der Fülle von Gesetzesvorschlägen und anderen de-legeferenda-Betrachtungen, welche in dieser frühen Phase die Literatur geradezu prägten.3 Hier kündigte sich an, daß der Positivismus ausgerechnet in dem Moment in die Krise geraten sollte, in dem das Recht endlich in größerem Umfang in positivierter Form vorlag. Als methodische Denkrichtung kam die Freirechtslehre auf.4 Zaghaft zunächst, mit der sophistischen Begrün­ dung, man müsse zwar die in der Norm steckende Einzelfallentscheidung respektieren, nicht aber das dahinter stehende System.5 Das klingt zunächst

3 In dem hier interessierenden Bereich sind etwa zu nennen: Brecht, in: Jherings Jahrbü­ cher 53 (1908), 242-300; Krückmann, in: AcP 101 (1907), 281-298; ders, in: Jherings Jahr­ bücher 59 (1911), 366-368, sowie Eckstein, in: ArchBürgR 37 (1912), 485-498. 4 Ausführlich hierzu S. 225 ff. 5 „Ich denke“, leitet Brecht seine Ausführungen in: Jherings Jahrbücher 53 (1908), 218, ein, „das Gesetz zieht uns nur Grenzen durch die von ihm aufgestellten positiven Normen. An das System, das die Gesetzgeber ihrer Fixierung der Rechtsnormen zu Grunde gelegt ha­ ben, sind wir nicht gebunden. Vielmehr, wenn wir erkennen, daß eine Gruppe von Rechts­ fällen zu ihrer klaren Lösung ein anderes System verlangt, so dürfen, ja so müssen wir das

harmlos. Methodisch war es indessen die genaue Umkehrung der auf Voll­ ständigkeit bedachten begriffsjuristischen Lehre. Das Gesetz wird auf Inseln ausdrücklicher Regelungen reduziert, um so einen Freiraum zu schaffen für die eigenen Überlegungen. Das Abenteuer eines vollständig kodifizierten Privatrechts hätte man sich demnach sparen können. Interessant sind die in­ haltlichen Konsequenzen. Die diesem methodischen Ansatz huldigenden Theorien drängten verständlicherweise von dem gesetzlich vorgegebenen System der Unmöglichkeit weg. Wer das Gesetz nicht marginalisieren wollte, der mußte sich der dritten Herausforderung stellen und die Frage nach dem Ziel der Interpretation be­ antworten. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wollte jede Auslegung le­ diglich den in der Norm zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzge­ bers nachvollziehen. In zeitlicher Parallele zu einer Entwicklung in der all­ gemeinen Hermeneutik wurde auch in der Rechtswissenschaft Mitte des Jahrhunderts diese Bindung an die Person des Textschaffenden überdacht.6 Stärker noch als der Hermeneutik war es hierbei der Rechtswissenschaft verwehrt, die textliche Basis, die Normen also, hinter sich zu lassen. Die vom Gesetzgeber wegstrebenden Juristen fanden sich auf das Gesetz selbst verwiesen. Sie suchten es als eigenständige, im Vergleich zum Subjekt des Gesetzgebers gleichsam objektive Größe zu verstehen und zu nutzen. So entstand neben der hergebrachten, nun subjektiv genannten Auslegung die objektive. Unumstritten war diese Entwicklung nicht. Für die Zeit des In­ krafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann man sogar die Bildung zweier Lager konstatieren.7 Mehrere Gründe wurden für den Übergang von der subjektiven zur objektiven Auslegung angeführt. Am beliebtesten war der Hinweis auf die neuen parlamentarischen Weihen der Gesetze und die damit verbundene Vielfalt der am Entstehungsprozeß beteiligten Personen. Das Argument schießt aber weit über das Ziel hinaus. Bei genauerem Hin­ sehen läßt sich dergestalt die Möglichkeit einer subjektiven Interpretation nicht leugnen, ja nicht einmal relativieren. Denn mit der Parlamentarisie­ rung des Gesetzgebungsverfahrens werden auch zunehmend die tragenden Gedanken der an der Entstehung beteiligten Personen in Protokollen und

vervollkommnete System mit seinen Obersätzen als geltendes Recht verwenden, - vorausge­ setzt, daß sich die inhaltlichen Normen des Gesetzes darin wiederfinden.“ 6 Zu der vergleichbaren Entwicklung in der Hermeneutik vgl. J. Schröder, Gesetzesausle­ gung und Gesetzesumgehung, S. 49-68. Schröder untersucht hier insbesondere die Parallelen zu der Hermeneutik von Schleiermacher und Dilthey. 7 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 31-35; als Vertreter der subjektiven Auslegungstheorie nennt Larenz unter anderem: Bernhard Windscheid und Emst Rudolf Bierling; für die objektive Theorie werden genannt: Josef Kohler, Karl Binding und Adolf Wach.

Motiven publiziert und so wird eine subjektive Interpretation eigentlich erst möglich gemacht. Man müßte hier schon, etwas vorsichtiger, theoretischer, den Übergang vom monarchischen Prinzip zu dem dualistischen der kon­ stitutionellen Verfassungen heranziehen. Das monarchische Prinzip legiti­ miert alle Akte über die Person des Monarchen, auch die der Gesetzgebung. Die Rechtskraft entspringt also in erster Linie dem Willen des Monarchen; die Niederschrift gibt diesen nur den herrschaftsunterworfenen Untertanen kund. Mit dem Aufkommen konstitutioneller Verfassungen verschoben sich die Gewichte. Auf den Willen des Monarchen kommt es in einem konstitu­ tionellen System nicht mehr entscheidend an, da nur die in Gesetzesform gegossene Niederschrift des monarchischen Willens die Weihen parlamenta­ rischer Zustimmung erhalten kann. Und noch ein weiteres Argument sprach gegen eine rein subjektive Auslegung. Eine personale Verengung der Aus­ legung bedarf eines Auffangrechts, will man nicht den Grundfehler des auf­ geklärten Vemunftrechts wiederholen und den Gesetzgeber überfordern. Bei vielen Kodifikationen war das nicht weiter problematisch, da sie, wie etwa das Handelsrecht, von vornherein nur einen Spezialbereich regeln sollten. Das Zivilgesetzbuch erhob nun aber den Anspruch, als umfassende Kodifi­ kation das Gemeine Recht vollständig verdrängen zu können. Nun blieb als einzige realistische Alternative zur offenen richterlichen und freirechtlichen Rechtsfortbildung die Objektivierung des Gesetzes im Rahmen der Ausle­ gung.8 In der tatsächlichen Auslegungspraxis relativiert sich der Richtungsstreit sehr schnell. Die hier untersuchte Literatur weist, bei aller methodischen Widersprüchlichkeit, in diesem Punkt eine erstaunlich hohe Übereinstim­ mung auf. Anders als bei Mitgliedern der beiden Kommissionen wurde in der Literatur - sofern sie sich intensiver mit dem Problem beschäftigt hatte - fast ausnahmslos auch im Falle der Möglichkeit des Leistungserfolgs die Leistungspflicht hinterfragt. Zumindest im Ergebnis ist also durchaus eine Emanzipation von dem gesetzgeberischen Willen zu beobachten. Gerade in dem als unbefriedigend empfundenen Leistungsstörungsrecht entschied sich auf unspektakuläre Weise ein Streit, ehe er richtig entstanden war. Im Rückblick erstaunt weniger das Aufkommen einer freieren Auslegungspra­ xis als vielmehr das starre Festhalten vieler Juristen an der Fiktion einer rein subjektiven Interpretation. Welche Wege wurden nun eingeschlagen, um die Fixierung auf die fakti­ sche Leistungsfähigkeit zu lösen? Vier Grundrichtungen lassen sich unter­ scheiden:

8 Zur Methodendebatte ausführlich S. 226-244.

(1) Am ältesten ist die auf Hartmann zurückgehende Kritik an der Un­ möglichkeit. Hartmann bevorzugte bekanntlich die Leistung selbst als Gradmesser für die Pflicht. Nicht nur der Inhalt und die Qualität der Lei­ stung, auch deren Intensität sei der vertraglichen Übereinkunft zu entneh­ men. Die Haftung ist zu begründen und nicht die Haftungsbefreiung. Me­ thodisch ließ sich diese Theorie in das Gesetz inkorporieren, indem die Lei­ stungspflicht als eigener Systembegriff eingeführt wird. Hier hatte das schon bald sehr populäre und auch jenseits dieser Theorie verwendete Argument der Kraftanstrengung seinen Ursprung. (2) Am populärsten war der Gedanke, das System der Unmöglichkeit aus sich heraus nach wertenden Kriterien zu korrigieren. Das Gesetz nahm ja selbst partiell eine Wertung vor, indem es mit dem Unvermögen den Schuldner auch bei faktischer Leistungsmöglichkeit entlastete. Allerdings erwies sich der § 279 BGB als hohes Hindernis. Gängig war deshalb das Bemühen, in die Unmöglichkeit hinein zu flüchten. Damit haben wir das Vorbild für den (damals noch nicht so genannten) Systembegriff der wirt­ schaftlichen Unmöglichkeit. Der strukturelle Unterschied zu dem ersten Weg besteht darin, daß nun von einer an sich unbedingten Erfolgspflicht ausgehend der Schuldner explizit befreit werden muß. (3) Am ausbaufähigsten erwiesen sich diejenigen Theorien, welche den einseitigen Blick auf die Pflicht verließen und die Differenzierung von Pflicht und Haftung zu nutzen gedachten. Anstatt die Leistungspflicht von vornherein oder nachträglich zu reduzieren, wurde ein eigenständiges Sy­ stem der Haftung aufgebaut. Dergestalt war es möglich, der Enge der Lei­ stungspflicht zu entkommen und an die Stelle des Leistungsstörungsrechts ein Vertragsstörungsrecht zu setzen. Im Ergebnis erinnert hier - kaum ein Zufall - vieles an die Theorie Hartmanns.9 Der Weg war freilich weitaus steiniger und wurde vor dem Kriege nur selten begangen. Die systembe­ griffliche Differenzierung von Leistensollen und Leistenmüssen bei Hein­ rich Siber ist zu nennen und der schon bewußt auf Wertungen des Gesetzge­ bers rekurrierende doppelte Haftungsbegriff Paul Krückmanns. (4) Auch reine Billigkeitslösungen werden vertreten. Schon damals be­ liebt war der pauschale Hinweis auf den § 242 BGB, seltener auch auf den eigentlich näher liegenden § 157 BGB. Im Unterschied zu den systembe­ grifflichen und haftungssystematischen Lösungen erfährt hier das Erforder­ nis des Treu und Glaubens die Aufwertung zum eigenständigen Rechtsin­ stitut. Esser hat diesen Schritt am schönsten formuliert: „Aus der regulati­ ven Funktion des § 242 ist damit eine dem Gesetz fremde korrektive Funkti­

9 Zu Hartmann oben S. 19-30.f

on geworden.“10 Auf enger Basis kündigte sich hier die Wiederkehr der clausula rebus sic stantibus an.

1. Die immanente Begrenzung der Leistungspflicht Das Alternativprogramm zur Unmöglichkeitslehre war von Gustav Hart­ mann zu Zeiten des Gemeinen Rechts und angesichts der Gestalt, die dieses durch die historische Rechtsschule erhalten hatte, formuliert worden. Doch auch nach der entgegenstehenden Entscheidung des Gesetzgebers wollten sich nicht alle mit dem Gedanken anfreunden, daß fortan ein gänzlich ver­ tragsfernes Kriterium wie das der (individuellen oder generellen) Leistungs­ fähigkeit eine vertraglich begründete Pflicht soll beeinflussen können. Die ersten kritischen Gedanken wurden bereits zum Zweiten Entwurf formuliert. In einer kurzen, damals nicht weiter beachteten Abhandlung suchte August Ubbelohde noch im letzten Moment Einfluß auf die gesetzgeberische Ent­ scheidung zu nehmen.11 a) August Ubbelohde

Stein des Anstoßes war der Begriff des Unvermögens, dessen Vorgänger, die subjektive Unmöglichkeit, bereits Hartmann als logisches Unding ent­ larvt zu haben glaubte. Und auf der Lehre Hartmanns beruht auch der von Ubbelohde formulierte Gegenvorschlag: „Nicht sein Unvermögen zur Lei­ stung befreit den Schuldner, sondern die Thatsache, daß er alles zwecks Er­ bringung der Leistung ihm Obliegende gethan hat.“ So falsch wie der Be­ griff der subjektiven Unmöglichkeit, so überflüssig sei auch die Restriktion des heutigen § 279 BGB. „Denn die von der Behandlung der Speziesschulden abweichende Behandlung dieser Schulden beruht nicht sowohl darauf, daß beide nach verschiedenen Grundsätzen beurtheilt werden, als vielmehr darauf, daß dem Schuldner hinsichtlich des Gegenstandes der Erfüllung bei diesem eine weitergehende Kraftanstrengung obliegt, als bei jenen.“12 Aber eben nicht, ist man geneigt hinzuzufügen, eine weitestgehende Kraftan­ strengung. Interessant ist, daß Ubbelohde sich den Vorstellungen des Tei­ lentwurfs von Kübel annähert, jedoch ohne dessen konziliante Haltung ge­ genüber der vorherrschenden Terminologie. Die Obligationenlehre Hart­

10Esser, § 242 BGB und die Privatautonomie, JZ 1956,557. 11 Ubbelohde, Die Befreiung des Schuldners bei Vereitelung der Leistung nach dem Ent­ würfe des Bürgerlichen Gesetzbuchs in zweiter Lesung, §§ 232 und 235, AcP 85 (1896), 118, 122. 12 Ubbelohde, Die Befreiung des Schuldners, AcP 85 (1896), 121.

manns in die Unmöglichkeitsdogmatik schlicht einzufügen, wie es Kübel vorschwebte, dieser Weg wird abgelehnt. Zwar könne man sagen, „wie durch Unmöglichkeit der Leistung wird der Schuldner durch jedes Hinder­ nis der Leistung befreit, das zu überwinden er nicht vermag oder nicht ver­ pflichtet ist“, anerkennt Ubbelohde, doch hieße das, dem § 235 Satz 1 des Zweiten Entwurfs - also auch dem § 275 Abs. 2 BGB - Zwang anzutun.13

b) Feodor Kleineidam

Schon kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes äußerte sich Kleineidam in ganz ähnlicher Weise.14 Auch er sucht die Lösung des Problems in der Ver­ pflichtung selbst und nicht in rein begrifflicher Analyse von Unmöglichkeit und Unvermögen. Bei Kleineidam liest sich das so: „Ob im einzelnen Falle überhaupt ein Nichterfüllenkönnen - sei dies nun eine Unmöglichkeit oder ein bloßes Unvermögen zur Leistung - vorliegt, das bestimmt sich nach den Besonderheiten jedes Falles und dem dadurch bedingten Inhalt der Lei­ stung, dem durch sorgfältige Auslegung zu erfassenden Umfange des Solls.“ Für die Ermittlung der Leistungsinhalte sollte „auch das Maß der von der in Frage kommenden Leistungspflicht, sei es gemäß erkennbarer Partei Verein­ barung, sei es gemäß allgemeiner Verkehrsanschauung, geforderte Kraftan­ strengung berücksichtigt werden“. Nur diese Erfüllungsbemühungen seien geschuldet; „daß aber der Schuldner mit einer Kraftanstrengung, zu der ihn kein Soll nötigt, erfüllen könnte, ist für das allein in Betracht kommende Schuldverhältnis [...] bedeutungslos.“15 Kleineidam emanzipiert die Leistungspflicht von der Leistungsfähigkeit. Die Leistungspflicht kann schon vor den Grenzen des Schuldnermöglichen enden - das ist die bedeutsamste und leider auch konkreteste inhaltliche Aussage Kleineidams. Quelle der Erkenntnis ist die vereinbarte Leistungs­ pflicht. Dieser will Kleineidam nicht nur den versprochenen Leistungserfolg entnehmen, sondern auch und primär den Leistungsvorgang selber. In dem Begriff der „Kraftanstrengung“ hat Kleineidam seine Idee auf den Punkt ge­ bracht. Gefragt wird nach derjenigen Kraftanstrengung, die geschuldet sei, um der Leistung entgegenstehende Hindernisse zu überwinden. Die ge­ schuldete Anstrengung ist so individuell wie die Person des Verpflichteten. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, daß Kleineidam neben allgemei­ 13 Ubbelohde, Die Befreiung des Schuldners, AcP 85 (1896), 120. 14Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Jena 1900. 15 Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen, S. 14 und 15; an anderer Stelle ermittelt er das geschuldete „Maß der Kraftanstrengung“ aus „der ausdrücklichen Parteivereinbarung, den begleitenden Umständen und der Billigkeit“: Einige Streitfragen aus der Unmöglich­ keitslehre des BGB, Jherings Jahrbücher 43 (1901), 111.

nen Hindernissen auch individuelle berücksichtigt haben will und deren Überwindbarkeit gerade für die Person des Schuldners erfragt. Könne der Schuldner, so sein Beispiel, deshalb nicht leisten, weil die zu leisten ver­ sprochene Sache ihm nicht gehöre, so sei zu klären, „ob die Spannung der betreffenden Leistungspflicht eine derartige ist, daß der Schuldner auch eventuell zur Beschaffung der fremden Sache verpflichtet ist oder nicht“.16 Erreiche die Leistungspflicht des Schuldners diese Beschaffungshandlung nicht, so liege „ein Nichterfüllenkönnen und zwar speziell ein Unvermögen des Schuldners zur Leistung vor“.17 Müsse der Schuldner dagegen die Lei­ stung nicht nur verschaffen, sondern notfalls auch über Dritte beschaffen, so sei eine Erfüllung so lange möglich und geschuldet, als der Eigentümer zur Überlassung der versprochenen Sache bereit sei. Leider verrät Kleineidam nicht, ob die Leistungspflicht auch auf die hier regelmäßig anfallenden Be­ schaffungsopfer begrenzend einwirkt. Anders als Ubbelohde hat Kleineidam keine Bedenken, diesen Inhalt in die durch das Gesetz vorgegebene Form zu gießen: „In dem Umstande, daß das aus der ausdrücklichen Parteivereinbarung, den begleitenden Umständen und der Billigkeit sich ergebende Maß der Kraftanstrengung ein wesentli­ ches Moment des Leistungsinhalts selber ist, findet meine Schrift also die Berechtigung auch rein logisch betrachtet, die Leistung schon dann für un­ möglich zu erklären, wenn ihr Erfolg durch eine überobligationsmäßige Kraftanstrengung gleichwohl zu erreichen wäre. Das Leisten ist dann, auch rein logisch betrachtet, unmöglich, weil zwei wesentliche Momente seines Inhalts - Kraftanstrengung und Ziel - in einem solchen Mißverhältnisse zu­ einander stehen, daß ihre gleichzeitige Verwirklichung ausgeschlossen ist.“18 Wer den Schuldner auf die mögliche höhere „Kraftanstrengung“ ver­ weise, der verwechsele den durch das Leisten herbeizuführenden Erfolg mit dem Leisten selbst. Denn: „Ein Leisten mit höherer Kraftanstrengung ist kein obligationsmäßiges Leisten mehr.“19 Kleineidam entgeht der schemati­ schen Lösung des Gesetzes, indem dem „Nichtleistenkönnen “, wie er Un­ möglichkeit und Unvermögen begrifflich zusammenfaßt, eine rein formale Funktion zugewiesen wird. Die Frage nach der Reichweite der vertraglichen

16 Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen, S. 16: Ein Kunsthändler verkauft ein Bild, welches ihm, ohne daß der Kunde dies weiß, nicht gehört; Kleineidam: Der „Wille der Parteien“ müsse „wenigstens als eventueller dahin ausgelegt werden, daß jedenfalls der Kunsthändler sich zur Beschaffung des Bildes verpflichte“. ^Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen, S. 17. ^Kleineidam, Einige Streitfragen aus der Unmöglichkeitslehre des BGB, Jherings Jahr­ bücher 43 (1901), lllf. 19 Kleineidam, Einige Streitfragen aus der Unmöglichkeitslehre, Jherings Jahrbücher 43 (1901), 125 f.; auf S. 112 wird die höhere Kraftanstrengung als „aliud“ bezeichnet.

Verpflichtung wird, ganz unabhängig von dem § 275 BGB, anhand des Lei­ stungsbegriffs gestellt und beantwortet Den Inhalt des § 275 BGB, der die vertragliche Verpflichtung an die Leistungsfähigkeit binden, das Sollen über das Können ermitteln will, ignoriert Kleineidam dagegen vollständig. Die Norm bleibt allein deshalb formal unberührt, weil Kleineidam die Fähigkeit zur Leistung begrifflich anhand der Pflicht zur Leistung entwickelt - in ge­ nauer Umkehrung der gesetzgeberischen Intention. Es heißt nicht mehr: Der Schuldner muß nicht leisten, was er nicht leisten kann, sondern: Der Schuldner kann nicht leisten, was er nicht leisten soll. Streng weiter gedacht erklärt der § 275 BGB damit aber nur: Der Schuldner muß nicht leisten, was er nicht leisten kann, weil er nicht leisten soll. Die Norm wird schlicht über­ flüssig. Die gesetzliche Regelung erschöpft sich freilich nicht in dem § 275 BGB. Das Gesetz scheidet von der Unmöglichkeit das Unvermögen, welches es in § 306 BGB absichtsvoll unerwähnt läßt und in den §§ 275 Abs. 2, 279 BGB der Unmöglichkeit eben nur partiell gleichstellt. Diese inhaltliche Differen­ zierung anhand des Vermögens eines Dritten zur Leistung, also eines lei­ stungsfremden Moments, müßte eigentlich den Widerspruch einer Theorie herausfordem, deren zentrales Anliegen gerade die Analyse der individuel­ len Leistungspflicht ist. Es überrascht daher zu lesen, daß Kleineidam hier kein Problem sieht. „Die Person des Erfüllenden ist eben kein Moment des Leistungsinhalts“, teilt er dem Leser mit. Denn es könne natürlich auch ein Dritter leisten, soweit die Schuld nicht höchstpersönlich zu erbringen sei; das beleuchte schon der § 267 BGB: „Im Allgemeinen ist also die Person des Erfüllenden für die Vornahme der Leistung belanglos und deshalb auch ein Mangel am Können, der nur in der Person des zunächst für die Bewir­ kung der Leistung in Betracht Kommenden, des Schuldners, liegt, für die Frage der Bewirkbarkeit der Leistung ohne Bedeutung.“20 Von einem Lei­ stungsbegriff, der zwischen dem Leistungserfolg und dem Leistungsvorgang differenziert, wäre zu erwarten gewesen, daß gerade in Fällen der Gattungs­ schuld die Frage, ob ein Dritter faktisch und rechtlich leisten kann, getrennt beantwortet wird von der Frage, ob der Schuldner notfalls auf diese Art und Weise leisten muß. Um seine Theorie in die Begrifflichkeit des Gesetzes zu zwängen, knüpft Kleineidam ausgerechnet für die rechtstatsächlich wichti­ gen Fälle des Unvermögens das Urteil über die Leistungspflicht an die Lei­

20 Kleineidam, Einige Streitfragen aus der Unmöglichkeitslehre, Jherings Jahrbücher 43 (1901), 123 f. Kleineidam fährt fort: „Denn was der Schuldner wegen solcher Hindernisse nicht selbst zu leisten vermag, das kann er durch Personen bewirken lassen, denen dies Hin­ dernis nicht im Wege steht; ja das können diese Personen ohne sein Wissen und Willen be­ wirken/'

stungsmöglichkeit. Seine Lehre implodiert gerade im kritischen Fall der Be­ schaffungsschuld . c) Wilhelm Kisch Ganz ähnlich erläutert Wilhelm Kisch in seiner fast zeitgleich erschienenen Monographie21 22 die Grenzen der Leistungspflicht. Da Kisch von Kleinei­ dams Theorie zunächst keine Kenntnis hatte, fehlen eine einheitliche Ter­ minologie und auch der vergleichende Seitenblick. Um so frappierender ist der Grad der inhaltlichen Übereinstimmung. Die Nähe zu der Kraftanstren­ gungslehre von Kleineidam wird vollends ersichtlich in einer späteren Stel­ lungnahme. Dort resümiert Kisch: „Gerade in der Beziehung des erstrebten Erfolges auf einen bestimmten Menschen als seinen Urheber, und gerade in der Begrenzung der von diesem Menschen zu bethätigenden Kraft liegt der relative Charakter der Unmöglichkeit im rechtlichen Sinne dieses Wortes begründet. Denn das Maß der dem Schuldner obliegenden Kraftanstrengung (das „Soll’ im Sinne Hartmanns) ist naturgemäß kein unbegrenztes. "22 Aus dem relativen Charakter der Unmöglichkeit zieht Kisch zwei Folgerungen. Zum einen erscheint ihm eine unterschiedliche Behandlung von Unmög­ lichkeit und Unvermögen nicht angebracht zu sein. „Denn die obligatorische Leistungspflicht besteht nur für den Schuldner persönlich. Kann er nicht er­ füllen, so darf der Umstand, daß irgendein Dritter die ihm unmögliche Lei­ stung zu bewirken vermag, für ihn regelmäßig nicht erheblich sein.“23 Die maßgebende Trennlinie verlaufe zu der bloßen, sprich unbeachtlichen Schwierigkeit. Diese lasse sich aber, so die zweite Folgerung, nicht trenn­ scharf abgrenzen. „Es handelt sich dabei lediglich um quantitative Unter­ schiede.“ Erforderlich sei ein „Vergleich zwischen Art und Maß der ge­ schuldeten Leistung einerseits, und den Mitteln, über die der Schuldner zu ihrer Bewirkung verfügt, auf der anderen Seite.“24 In der inhaltlichen Ausgestaltung der beiden abwägungsrelevanten Um­ stände bleibt Kisch überaus blaß. Mit Blick auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners räsoniert er: „Regelmäßig wird eine Leistung, die nur unter äu­ ßerster Kraftanstrengung und unter Aufwendung ganz unverhältnismäßiger Mittel noch bewirkt werden kann, im Sinne der Rechtsordnung nicht mehr als möglich zu behandeln sein.“25 Kisch interessiert sich dafür, was dem 21 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit der Erfüllung, Jena 1900. 22 Kisch, Besprechung zu Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, KrVJSchr 44 (1903), 507 f. 23 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 10. 24Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 11. 25 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 12.

Schuldner zugemutet werden dürfe, sorgt sich dabei aber mehr um dessen Leben, Gesundheit und Sittlichkeit als um realitätsnähere Leistungsschwie­ rigkeiten. Später erwähnt er „Conflicte mit anderen rechtlichen Vorschriften oder höhere Interessen anderer Art“.26 Neben der Leistungsfähigkeit des Schuldners wirkt nach Kisch auch die vertragliche Verpflichtung selbst un­ möglichkeitsbegründend: „Je nach Inhalt, Art und Maß der Leistung ist im Einzelfalle, bei sonst gleichen Verhältnissen, die Unmöglichkeit zu bejahen oder zu verneinen.“27 Explizit wendet er sich gegen eine bloße Billigkeits­ korrektur: „Unmöglichkeit im Rechtssinne liegt [...] überall dort vor, wo der Schuldner bei obligationsmäßiger Anspannung den versprochenen Er­ folg nicht herbeizuführen im Stande ist, wobei es gleichgültig erscheint, welche Gründe im Einzelfalle für die Bestimmung des Maßes dieser An­ spannung entscheidend sind, ob Billigkeitsrücksichten oder - was der über­ wiegend häufigste Fall sein wird - unmittelbare vertragliche oder gesetzli­ che Normen, oder etwaige Conflicte mit anderen rechtlichen Vorschriften oder höheren Interessen anderer Art.“28 Begrifflicher Kristallisationspunkt ist nicht die vereinbarte Leistung, sondern, schon deutlich näher an der Intention des Gesetzgebers, die Un­ möglichkeit. Er schafft dies mit einem einfachen, zukunftsträchtigen Kniff. Kisch unterscheidet zwei Ebenen der Unmöglichkeit. Auf der einen tum­ meln sich die Begriffe der Unmöglichkeit und des Unvermögens, die beste­ hende Hindernisse nach Bestand (allgemeine Hindernisse, individuelle Hin­ dernisse) und Überwindbarkeit (allgemeine Mittel, individuelle Mittel) cha­ rakterisieren. Auf der anderen Ebene haben wir eine ganz neue „relative Unmöglichkeit“, die einer eigenständigen juristischen Wertung zugänglich ist. Die Wertung kann aus dem objektiven Recht kommen, vor allem aber, wie bei Kleineidam, aus dem Vertrag selbst. Diese zweite Ebene wollte Kisch jedoch gerade in den häufigen und wirtschaftlich relevanten Fällen der Gattungsschuld nicht betreten. Als Begründung gab er den § 279 BGB an, aber auch das Interesse des Verkehrs und die - vermeintliche - Nähe der Gattungsschuld zur bloßen Geldleistungsverpflichtung 29 Die Grenze zwi­ schen der Unmöglichkeit und der bloßen Schwierigkeit wurde unabhängig vom konkreten Schuldner gezogen und damit zu Lasten des Schuldners ver­ schoben. Ganz pragmatisch erkennt Kisch in § 279 BGB die gesetzliche 26 Kisch, Besprechung zu Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, KrVJSchr 44 (1903), 509. 27 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 14. In einer späteren Stellungnahme lehnt er sich hier deutlich an die Terminologie Kleineidams an: Kisch, Besprechung, KrVJSchr 44 (1903), 507 f. 28Kisch, Besprechung, KrVJSchr 44 (1903), S. 508 f. 29Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 11,108-110.

Anordnung einer verschuldensfreien Haftung.30 Die Möglichkeit einer in­ haltlichen Korrektur ist damit noch nicht ausgeschlossen, wohl aber ganz erheblich erschwert. Dem Untergang der Gattung stellt Kisch die rechtliche Außerverkehrsetzung, den vollständigen Aufkauf der Gattung durch den Staat in Kriegszeiten oder auch die infolge eines Arbeiteraufstandes unter­ lassene Herstellung gleich.31 Konsequent verschließt er sich dagegen der Anerkennung solcher Schwierigkeiten, die gerade von der besonderen Si­ tuation des Schuldners herrühren 32 Will der Schuldner sich für eine Nicht­ leistung exculpieren, so muß er Umstände geltend machen, die jeden ande­ ren Schuldner auch getroffen hätten. Er garantiert den Fortbestand der eige­ nen Leistungsfähigkeit, nicht den der Gattung. § 279 BGB verbaut Kisch den Weg der wertenden Unmöglichkeit. Den­ noch will er den Schuldner einer gattungsmäßig bestimmten Sache nicht bis zum vollständigen Untergang der Gattung an der Leistungspflicht festhalten. Deshalb relativiert Kisch hier anstelle der Unmöglichkeit die Gattungsver­ pflichtung der Schuld. Deren Gleichbehandlung mit der Stückschuld sei an­ gebracht, so Kisch, „wenn die Gattung nur einen kleinen Kreis von Gegen­ ständen umfaßt, wenn ein erheblicher Teil der Gattung geschuldet ist oder von Unfällen betroffen wird, wenn Gegenstände der fraglichen Art in weni­ gen Händen vereinigt oder aus anderen Gründen schwer zugänglich sind“. Nicht nur aus der Besonderheit der Gattung, auch aus der vertraglichen Ver­ einbarung lasse sich eine Gleichbehandlung rechtfertigen, so „wenn die Parteien bei Abschluß des Geschäftes wissen, daß die Leistung von der Mitwirkung bestimmter Dritter abhängig ist, oder wenn sie zu dem Ver­ tragsschluß gerade durch den Umstand veranlaßt wurden, daß der Schuldner damals die später abhanden gekommenen nötigen Waaren besaß“.33

d) Rezeption Der Gedanke einer vertraglich geschuldeten Kraftanstrengung fand den Weg in die Kommentare von Staudinger und Planck. Zu § 275 BGB erläutert Planck: „Die Möglichkeit, daß die Leistung durch eine größere als die obli­ 30Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 112. 31 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 113 f. 32 Er führt beispielhaft an: „Das zu liefernde ausländische Getreide darf z.B. nicht mehr eingeführt werden, ist aber noch im Inlande vorrätig [...] Der verkaufte Zucker kann nicht in den belagerten Lieferungsort geschafft werden, ist jedoch in einer zur Erfüllung genügenden Menge dort vorhanden [...]; von den drei Gruben, aus denen sich eine gewisse Sorte Kohle gewinnen läßt, wird eine erschöpft [...] In solchen Fällen haftet der Schuldner gemäß § 279 BGB, solange aus der verringerten Gattung die Leistung noch möglich ist, auf diese selbst.“ Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit der Erfüllung, S. 114 f. 33 Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, S. 112.

gationsmäßige Kraftanstrengung bewirkt werden kann, kommt für die Fra­ ge, ob die kraft des Schuldverhältnisses geschuldete Leistung möglich oder unmöglich ist, nicht in Betracht.“34 Das hätte so auch bei Kleineidam stehen können. Plancks Anliegen ist aber ein begrenztes. Nicht der schuldnerischen Leistungspflicht gilt sein Interesse, sondern dem Begriff des Unvermögens. „Subjektiv unmöglich ist eine Leistung auch dann“, stellt er fest, „wenn sie von dem Schuldner durch diejenige Kraftanstrengung nicht bewirkt werden kann, welche ihm nach dem Inhalte des Schuldverhältnisses obliegt.“35 In der zweiten Auflage des Staudinger schließt sich Kuhlenbeck wortwörtlich dieser Formulierung an.36 Die Reminiszenzen an Kleineidams Kraftanstren­ gungslehre dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß nur der Begriff des Unvermögens ausgelegt werden soll. Eine dem Vertrag entnehmbare Grenze der Leistungspflicht muß aber unabhängig von den Beschränkungen gelten, die das Gesetz für das Unvermögen vorgesehen hat. Warum sollte hier für die Gattungsschuld, warum für die bei Vertragsschluß vorliegenden Hinder­ nisse etwas anderes gelten? Diese Beschränkungen werden dem Gesetz ent­ nommen, nicht mehr der Leistungspflicht. Es verwundert nicht, daß bereits in den Folgeauflagen beider Kommentare die Kraftanstrengungslehre nicht mehr zu finden ist. Der von Siber in Plancks Kommentar ersatzweise ge­ prägte Begriff der überobligationsmäßigen Leistungsschwierigkeit ist gänz­ lich anders strukturiert. Er konkretisiert allgemeine Haftungsgrenzen und keine individuellen Vertragspflichten.37 Der Gedanke der Kraftanstrengung wurde auch von Brecht gepflegt. Konsequent nutzt er ihn für eine vollkommen auf die Handlungspflichten bezogene Leistungslehre, die wegen ihres umfassenden Anspruchs die Idee einer vertraglichen Korrektur der Leistungspflicht weit hinter sich läßt. Brecht ist der Ansicht, „daß der Schuldner nicht größere Anstrengungen zu machen braucht, als ihm nach dem Charakter des abgeschlossenen Vertrages zugemutet werden kann“. Der Schuldner sei deshalb nur gehalten, „ein ge­ wisses Höchstmaß von Sorgfalt, Kraft und Mitteln zwecks Befriedigung des Gläubigers aufzuwenden, so wie es sich aus dem Vertrage ergibt“ 38 „Erfüllt

34Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 275 (S. 69). ^Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 275 (S. 69). 36 Staudinger/Kuhlenbeck, BGB, 2. Auflage, Vorbem. XXL. 2 zu §§ 275-282 (S. 77). 37Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. III 3 b) a zu §§ 275-292, (S. 208). 38 Brecht, System der Vertragshaftung, Jherings Jahrbücher 53 (1908), 230; Brecht for­ muliert sein Ergebnis auf S. 242 im Stile einer Norm: „(1) Der Schuldner hat die rechtliche Pflicht, nach Maßgabe des Rechtsgeschäfts, auf dem das Schuldverhältnis beruht, zwecks Be­ friedigung des Gläubigers sich anzustrengen und Aufwendungen zu machen. (2) Ergeben sich aus dem zu Grunde liegenden Rechtsgeschäft keine Anhaltspunkte, so entscheidet über das Maß der geschuldeten Anstrengung und Aufwendung die Verkehrsanschauung. An Sorg­

der Schuldner seine vertragliche Pflicht (nämlich zur Anstrengung, Sorgfalt und Vermögensaufwendung), so ist er aus dem Vertrag nicht mehr zu be­ langen.“39 Diese Lösung ergebe sich, erfährt der Leser, „auf logischem We­ ge aus dem Grundsätze der Vertragsfreiheit“.40 Den Gedankengang skizziert Brecht wie folgt: „Indem der Schuldner rundweg die Leistung verspricht, nimmt er einen erheblichen Teil der Gefahr dessen, was die Zukunft birgt, auf sich.“ Dies gelte insbesondere für alle Umstände, die der Schuldner bei Vertragsschluß voraussehen konnte. Der Schuldner nehme aber nicht jede Zukunftsgefahr auf sich. Jenseits der Grenze der Voraussehbarkeit habe der Schuldner, so Brecht weiter, nur unwesentliche Hindernisse zu überwinden versprochen. „Insoweit trägt für die Verwirklichung seiner Wünsche der Gläubiger selbst die Gefahr der Zukunft, wie er sie tragen würde, wenn das Hindernis unüberwindbar, die Leistung also unmöglich wäre.“41 *Das Gesetz erkennt in § 275 BGB aber bewußt nur unüberwindbaren Hindernissen eine leistungsbefreiende Wirkung zu. Brecht spricht selbst von einem „prinzipi­ ellen Gegensatz“ zwischen der Unmöglichkeitslehre und seiner Kraftan­ strengungslehre. Das hindert ihn nicht daran, sein System als ein System des geltenden Rechts zu bezeichnen .42 Diese Unbekümmertheit erklärt sich aus der freirechtlichen Anschauung Brechts. Seine Lösung widerspricht nicht der positiven Regelung des § 275 BGB; sie spricht der Norm nur die ab­ schließende Wirkung ab.

Erste Zwischenbilanz

Wie Ubbelohde verstehen auch Kleineidam und Kisch die Grenze der Lei­ stungspflicht nicht als etwas, das aus einem Systembegriff der Unmöglich­ keit deduziert werden könnte. Beide wollen die Leistungspflicht unmittelbar für die Problemlösung heranziehen. Lediglich bei der Integration in das Ge­ setz werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Kisch schlägt den Un­ möglichkeitsbegriff vor, Kleineidam will den Leistungsbegriff nutzbar ma­ chen. Nutzen beide noch die in § 275 BGB angelegte Unschärfe, um ihre Grundthese vom Gesetz unbehelligt umzusetzen, so ist dies in den Fällen des § 279 BGB nicht mehr möglich. Kleineidam und Kisch akzeptieren die damit verbundene harte Haftung des Schuldners. Kisch zeigt sich aufgrund falt hat der Schuldner, sofern nicht ein anderes bestimmt ist, das im Verkehr erforderliche Maß anzuwenden.“ 39Brecht, System der Vertragshaftung, Jherings Jahrbücher 53 (1908), 231. ^Brecht, System der Vertragshaftung, Jherings Jahrbücher 53 (1908), 243. 41 Brecht, System der Vertragshaftung, Jherings Jahrbücher 53 (1908), 244; Vorausset­ zung war, daß der Schuldner mit dem Auftreten eines erschwerenden Hindernisses „wirt­ schaftlich nicht zu rechnen“ brauchte. ^Brecht, System der Vertragshaftung, Jherings Jahrbücher 53 (1908), 217 f.

einer flexibleren Gattungsvorstellung in der Lage, dennoch der Wertung ei­ nen gewissen Spielraum zu eröffnen. Die Theorien wurden nicht als einheitliche Lehre rezipiert und als solche wollten sie sich, anders als noch Gustav Hartmann, auch gar nicht verstan­ den wissen. Der Begriff der Obligationsgemäßheit machte dagegen Karriere. Eine überobligationsmäßige Kraftanstrengung wurde von Kuhlenbeck und Planck im Unvermögen ausgemacht; Siber bezeichnete Leistungsschwierig­ keiten als überobligationsmäßig, deren Überwindung er dem Schuldner nach § 242 BGB nicht zumuten wollte. Außer Brecht wollte freilich niemand die Leistungspflicht auf einzelne Leistungshandlungen reduzieren. Nicht ganz zu Unrecht. Gerade aus § 275 BGB wird ersichtlich, daß das Gesetz nur im versprochenen Erfolg die geschuldete Leistung begründet sieht.43

2. Die gesetzliche Begrenzung der Leistungspflicht Den Parteien blieb es unbenommen, die Leistungspflicht im Sinne der bis­ her dargestellten Theorien zu regeln. Niemand würde eine dahingehende Vertragsklausel mißachten. Aber es stellt sich doch die Frage, ob darüber hinaus auch dem schlichten Leistungsversprechen immanente Grenzen ent­ nommen werden können. Die überwiegende Mehrzahl der in der Literatur geäußerten Ansichten meinten, hier keine Überlegungen anstellen zu müs­ sen. Denn der Gesetzgeber habe, so der tragende Gedanke, diese Arbeit be­ reits übernommen und den Inhalt des Schuldverhältnisses ex lege geregelt. Wer sich mit den Grenzen der Erfüllungspflicht beschäftigt ist demnach ge­ halten, sie als objektive Grenze in der Rechtsordnung aufzusuchen. Der Rechtssuchende wird auf den § 275 BGB verwiesen, der als Regelinhalt ei­ nes Schuldverhältnisses die Leistungspflicht des Schuldners bis zu den Grenzen seines Leistungsvermögens ausdehnt, sowie auf den § 279 BGB, der dem Gattungsschuldner eine noch weitreichendere Leistungspflicht auf­ bürdet. Wer hier naturalia-negotii-Normen vermutet, der wird den Inhalt dort suchen und nicht in dem individuellen Umfeld der vertraglichen Ver­ einbarung. Allenfalls typisiert lassen sich die Rechtsgeschäfte in die Be­ trachtung einfügen, denn fortan interessiert allein der von der Rechtsord­ nung vorgesehene Inhalt des Rechtsgeschäfts. Das heißt nun nicht, daß dem Schuldner nicht geholfen werden könnte. Bereits Kisch hat aufgezeigt, was mit einem eigenständigen Unmöglichkeitsbegriff alles erreicht werden kann.

43 So schon Himmelschein, Erfüllungszwang und Lehre von der positiven Vertragsverlet­ zung, AcP 135 (1932), 284 f.; grundsätzlich zum Leistungsbegriff: Wieacker, Leistungs­ handlung und Leistungserfolg im bürgerlichen Schuldrecht, S. 786-795.

Letztlich durchgesetzt hat sich eine Kreation von Heinrich Titze, die Juristi­ sche Unmöglichkeit. a) Heinrich Titze Titze ist der Ansicht, daß in den Begriff der Unmöglichkeit „auch die an sich mögliche, aber überaus schwierige und darum vom Schuldner billiger Weise nicht zu verlangende Leistung einbezogen werden muß“.44 Im Ergeb­ nis sollen Umstände berücksichtigt werden, die weder die Möglichkeiten des Menschen noch das Vermögen des konkreten Schuldners überschreiten. Eine schlichte Leistungserschwerung will Titze in das Gesetz hinein lesen. Er begründet das wie folgt: „Es gehören nämlich zu den unmöglichen Lei­ stungen im Rechtssinn nicht nur diejenigen Leistungen, deren Bewirkung gänzlich ausgeschlossen ist, sondern es fallen darunter auch solche, die an sich zwar prästiert werden können, deren Bewirkung aber ein solches Über­ maß an Opfern erfordert, dass sie dem Schuldner billigerweise nicht zuge­ mutet werden darf.“45 Das tragende Argument entnimmt Titze dem § 242 BGB. „Denn wie hier dem Schuldner einerseits auferlegt wird, alles zu thun, was die bona fides des Verkehrs von ihm verlangt, so wird er andrerseits durch diesen Paragraphen auch davor geschützt, dass Anforderungen an ihn gestellt werden, die er billigerweise nicht erfüllen kann.“46 Allgemeine Billigkeitsüberlegungen werden bei Titze mit der Unmög­ lichkeitsdogmatik kombiniert. Das ist nicht per se verwerflich. Das Gesetz enthält in § 275 Abs. 1 BGB ja ebenfalls einen billigen Interessenausgleich. Dem Interesse des Schuldners entspricht es, aus der Pflicht entlassen zu werden, sobald die Leistung nur noch besonders schwer zu erbringen ist. Solange der Leistungserfolg noch eintreten kann, wird jedoch das Interesse des Gläubigers an der versprochenen Leistung stärker gewichtet. Jenseits des Möglichen kippt die gesetzliche Wertung. Natürlich mag der Gläubiger ein Interesse an einer Ersatzleistung haben, doch wird dieses Interesse eben geringer veranschlagt als das an der Primärleistung bestehende. Die §§ 275 Abs. 2, 279 BGB ermöglichen dem Schuldner, sich in etwas engeren Gren­ zen auch auf individuelles Unvermögen zu berufen. Auch hier werden die Interessen des Gläubigers hintangestellt, angesichts dessen, daß er die pri­ 44 Titze, Besprechung zu Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmög­ lichkeit der Erfüllung bei gegenseitigen Verträgen, KrVJSchr 45 (1904), 349. 45 Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung nach deutschem bürgerlichen Recht, S. 2; Titze resümiert a.a.O., S. 9: „Eine Leistung ist im Rechtssinne dann unmöglich, wenn ihrer Bewir­ kung entweder unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder doch wenigstens Hinder­ nisse, deren Überwindung dem Schuldner billigerweise nicht zugemutet werden kann [statt: dar^ 46 Titze, Unmöglichkeit der Leistung, S. 3.

mär versprochene Leistung vom Schuldner nicht wird bekommen können. Es wäre konsequent, die billige Lösung hierauf zu beschränken und im Falle einer Leistungsfähigkeit des Schuldners die Interessen des Gläubigers an der Primärleistungspflicht höher zu bewerten als eventuelle Beschaffungs­ schwierigkeiten des Schuldners. Der Gesetzgeber hat der Billigkeit eben keinen weiteren Spielraum gelassen. Planck wenigstens sah das so: „Wollte man dem Schuldner wegen der im einzelnen Falle zur Bewirkung der Lei­ stung erforderlichen unverhältnismäßig hohen Aufwendungen von seiner Verpflichtung ganz befreien, so würde dadurch in unbilliger Weise dem Rechte des Gläubigers zu nahe getreten.“47 Ganz anders Titze. Um anderen Billigkeitsüberlegungen als den in §§ 275, 279 BGB angelegten die Rechts­ folge des § 275 BGB zu eröffnen, erfindet er neben der faktischen Unmög­ lichkeit eine solche „im Rechtssinn“. Diese Juristische Unmöglichkeit er­ möglicht es Titze, den Begriff der Unmöglichkeit unabhängig von dem all­ gemeinsprachlichen Gebrauch des Unmöglichkeitsurteils hinaus zu gestal­ ten. Eine rechtliche Unmöglichkeit ist auch den Zeitgenossen nicht völlig un­ bekannt gewesen. Sie liegt vor, wenn die versprochene Leistung aus Rechtsgründen nicht erbracht werden kann.48 Zum Teil wurde die juristische Ursache der Unmöglichkeit ausgedehnt auf Leistungen, die aus Rechtsgrün­ den nicht versprochen werden dürfen, also auf die Fälle, die heute unter die §§ 134, 138 BGB fallen 49 Dieser Schritt mag inhaltlich unproblematisch sein, begrifflich ist er es nicht. Denn möglich ist die Leistung allemal. Titze geht noch einen Schritt weiter. Seine Juristische Unmöglichkeit erfaßt Lei­ stungen, die auf Grund von Treu und Glauben oder anderer gesetzlicher Vorgaben nicht gefordert werden sollten. Es sieht nun so aus, als verlöre das Erfordernis der Unmöglichkeit durch den weiten Ausflug in das Juristische jeden inhaltlichen Wert. Dem ist nicht so. Das die Unmöglichkeit auslösen­ de juristische Urteil muß in der Rechtsordnung verankert werden. Des wei­ teren ist der Ausnahmecharakter der Juristischen Unmöglichkeit zu betonen. Aus § 275 BGB folgert Titze - ganz im Sinne des Gesetzgebers - die Regel einer bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit gehenden Verpflichtung des Schuldners. Wie sieht nun der schmale Bereich zwischen der zumutbar möglichen und der faktisch unmöglichen Leistung aus, in dem die Billigkeit walten soll? Titze zählt Fälle auf, in denen die Leistung mit ethischen Pflichten kollidiert. Aber auch der Leibes- und Lebensgefahr wird eine be­ 47Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 275 (S. 70). 48 Vgl. Oertmann, BGB, 1. Auflage, Vorbem. 1 zu §§ 275/83; in diesem Sinne äußerte sich bereits Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung, S. 4 f. 49 Mommsen lehnte, a.a.O., S. 4 f., diese Ausdehnung der juristischen Unmöglichkeit ab; er bevorzugte den Terminus „moralische Unmöglichkeit“.

freiende Wirkung zugeschrieben. Interessanter sind die Fälle, in denen ein „pekuniäres Opfer, wenn es sehr erheblich ist“, die Leistungspflicht zum Erlöschen bringen soll.50 Das sei etwa der Fall, wenn die Erfüllung Opfer erfordere, die in keinem Verhältnis zum Wert der erbrachten Leistung stün­ den. Es ist typisch für die Billigkeitslösung Titzes, daß er - wie in den §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 2, 948 Abs. 2 BGB - auf den Wert der Lei­ stung und nicht den der Gegenleistung abstellt. Die Gegenleistung dürfte für den Schuldner regelmäßig interessanter sein. Eine Divergenz zwischen dem Wert der zu erbringenden Leistung und dem der Gegenleistung ist ausweis­ lich der gesetzlichen Konzeption des Leistungsstörungsrechts eben ein Pro­ blem des Schuldners. Titze will die Gegenleistung nur heranziehen, um die Leistungspflicht zu Lasten des Schuldners zu erweitern. Sofern dem Schuld­ ner die Leistung durch eine entsprechende Gegenleistung entgolten wird, soll der Schuldner an der Leistungspflicht auch bei objektiver Unverhält­ nismäßigkeit festgehalten werden.51 Das leuchtet ein. Die wirtschaftlichen Verluste, auf die der Schuldner sich berufen könnte, gehen dann zu Lasten des Gläubigers. Dieser Ausflug in das vertragliche Leistungsgefüge ist die Ausnahme. Anders als Kisch sucht Titze die Grenzen der Erfüllungspflicht nicht in der vertraglichen Vereinbarung. Die Rechtsordnung soll von außen, ex lege, der Erfüllungspflicht Grenzen setzen. Das Gesetz differenziert bekanntlich zwischen Unmöglichkeit und Un­ vermögen. Titze paßt diese begriffliche Unterscheidung geschickt in sein System ein. Er spricht zwar nirgends von einem Juristischen Unvermögen; im Ergebnis läuft seine Argumentation aber genau darauf hinaus. Denn Tit­ ze trennt die mit der Situation des konkreten Schuldners verbundene unbil­ lige Erfüllungslast von derjenigen, die auch andere an dessen Stelle mit un­ billiger Härte treffen würde. So kann er, unbehelligt von § 279 BGB, eine objektive Unmöglichkeit annehmen, „wenn entweder die Gattung als solche aufgehört hat zu existieren oder doch die Beschaffung von Gegenständen des fraglichen genus eine so schwierige ist, dass sie billigerweise niemand zugemutet werden kann“.52 Die Überlegung Titzes geht weg von der Frage, 50 Titze, Unmöglichkeit der Leistung, S. 5. 51 Titze, Unmöglichkeit der Leistung, S. 7: „Denn es ist klar, dass der Schuldner, der von vornherein die Opfer kennt, ohne welche ihm die Erfüllung seiner Verbindlichkeit nicht möglich ist, sich hinterher nicht über die Opfer beschweren kann. Und ebenso zweifellos dürfte es sein, dass an den Schuldner, der sich aus Liberalität verpflichtet hat oder nur ein ge­ ringes Entgelt für seine Leistung zu erwarten hat, nicht dieselben Anforderungen gestellt werden können, wie an denjenigen, der sich für seine Leistung ein hohes oder doch jedenfalls ein entsprechendes Äquivalent gesichert hat.“ 52 Titze, Unmöglichkeit der Leistung, S. 66. Auf S. 14 f. bezeichnet er eine „Leistung aus der Gattung dann als unmöglich, wenn [...] die Beschaffung von Gegenständen der fragli­ chen Art eine so schwierige geworden ist, dass die Leistung dem Schuldner nach guten Treu­

ob irgendein Dritter, und sei es ein weithin unbekannter Privatkonsument oder der durch die Lehrbücher geisternde Dieb, die Gattungsware beschaf­ fen könnte. Der § 279 BGB soll vielmehr nur dann angewendet werden, wenn die Leistung an sich möglich ist, die Leistungshindernisse also gerade den Schuldner betreffen, während die Gattungssache „überall oder doch so gut wie überall“ zu haben sei.53 So stellt er angesichts des versprochenen Imports größerer Mengen von Getreide oder Wein, der sich über die „in Betracht kommenden Exportfirmen und Handlungshäuser“ nicht realisieren lasse, fest: „Nachforschungen darüber, ob sich nicht vielleicht in irgendwel­ chem Privatbesitz oder bei irgendwelchen Kleinhändlern Stücke der betref­ fenden Gattung befinden, braucht der Schuldner in aller Regel nicht anzu­ stellen.“54 Das Reichsgericht sollte nur wenige Jahre später ganz ähnlich ar­ gumentieren 55 b) Der Systembegriff der Unmöglichkeit

Die Differenzierung zwischen einem engen, an dem sprachlichen Gebrauch orientierten Begriff der Unmöglichkeit und einem unabhängig daneben ste­ henden, juristisch gestalteten fand schon bald den Weg in die Kommentare und Lehrbücher. Der methodische Kniff, den Kisch und Titze zeitgleich, unabhängig voneinander und mit entgegengesetzten inhaltlichen Vorstel­ lungen entwickelten, kam den praktischen Bedürfnissen der Rechtswissen­ schaft entgegen. Er vereinigte in idealer Weise den Wunsch nach einer po­ sitivistischen Begründung mit der Möglichkeit eines korrigierenden Ein­ griffs in eine als zu starr empfundene gesetzliche Regelung. Die Verschie­ bung der Unmöglichkeit in den Bereich des Möglichen hinein bot die Chan­ ce, ein eigenständiges System von Leistungsstörungen aufzubauen und mit der Rechtsfolge des § 275 Abs. 1 BGB zu versehen. Selbst dem Gattungs­ schuldner konnte dergestalt geholfen werden, ohne offen mit dem § 279 BGB in Konflikt zu geraten. Die Begriffsbildung erfolgte nicht einheitlich, was inhaltliche Aussagen ebenso erschwert wie die zeitgenössische Eigenheit, Begriffe ohne konkrete Beispiele in abstrakter Form zu erläutern. Neben Titze verwendete noch Kuhlenbeck den Begriff der Juristischen Unmöglichkeit. Der Begriff fand allerdings keine einhellige Zustimmung. Im Anschluß an die überkommene, en nicht mehr zugemutet werden kann“. Aber auch hier meint Titze nicht einen konkreten Schuldner, sondern einen ideellen. 53 Beispiel für einen Fall des § 279 BGB auf S. 67: Der auswärtige Lieferant kann den Transport unverschuldet nicht ausführen; ein am Ort ansässiger Händler könnte die Ware dem Gläubiger aber vor Ort besorgen. 54 Titze, Unmöglichkeit der Leistung, S. 15, Fn. 28a. 55 RG v. 23. Februar 1904, RGZ 57,116 (119).

von Mommsen geprägte Begriffsbildung meinten viele Autoren, juristisch unmöglich sei nur das auf nicht existente Rechtsformen gerichtete Verspre­ chen.56 57 Allenfalls verbotene Rechtshandlungen und Rechtsfolgen sollten darunter gefaßt werden. Crome und Kohler sprachen aus diesem Grunde lie­ ber von relativer Unmöglichkeit?1 Auch diese Begriffswahl brachte nicht die gewünschte Klarheit. Denn seit Mommsen wurde mit dem Begriff der Relativität dem Umstand Rechnung getragen, daß die Leistung in einer be­ stimmten Situation zu erfolgen habe.58 So soll mit dem Begriff der relativen Unmöglichkeit eine Leistung bezeichnet werden, die unter anderen Umstän­ den wohl möglich wäre, in der konkreten Situation aber an den besonderen Umständen, wie etwa Erfüllungszeit und -ort, scheitert. Bei anderen findet sich der Begriff der Unerschwinglichkeit, eine in Österreich aufgekommene Formulierung.59 Obwohl diese Terminologie unbelastet ausgestaltet werden konnte, setzte sie sich in Deutschland nicht durch. Zu sehr schien sie an rein finanzielle Probleme des Schuldners zu erinnern, die doch einhellig außen vor gehalten werden sollten. Nicht selten wurde überhaupt auf eine neue Begrifflichkeit verzichtet und pauschal die Möglichkeit der Leistung von § 242 BGB abhängig gemacht.60 Binder setzte auf den Begriff des Unver­ mögens und wähnte sich so näher am Gesetz.61 Doch wer den Begriff des Unvermögens bevorzugte, der mußte mit den Konsequenzen leben, die das BGB in den §§ 275 Abs. 2, 279 BGB daraus zieht. Anders als bei der Wahl der Begriffe ist in der inhaltlichen Ausgestaltung eine weitreichende Übereinstimmung zu beobachten. Die Lösung des Geset­ zes, den Schuldner bis zum Eintritt des versprochenen Erfolges haften zu lassen, wurde als Grundsatz respektiert. Alle suchten die Leistungsstörung sehr eng zu fassen. Die Befreiung von der Leistungspflicht blieb eine erklä­ rungsbedürftige Ausnahme und sollte möglichst an anderen Normen des 56 Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung, S. 3 f.; Oertmann, BGB, 1. Auflage, Vor­ bem. 1 zu §§ 275-283. 57 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 34; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, § 26 I und § 26 II 2, S. 68-70; Staudinger/Kuhlenbeck, BGB, 3./4. Auflage, Vorbem. I 2 a) zu §§ 275-282 (S. 100 f.). 58 So schon Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung, S. 4 f.; vgl. noch Dernburg, Das bürgerliche Recht, Bd. 2, § 60 I, S. 138 f.; Oertmann, BGB, 1. Auflage, Vorbem. 3 zu §§ 275-283. 59Kipp, in: Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, Bd. 2, Anm. zu § 246 b (S. 97); Rabel, Über Unmöglichkeit der Leistung und heutige Praxis, S. 64 f.; für die öster­ reichische Begriffsbildung vgl.: Kornfeld, Leistungsunmöglichkeit, Wien 1913, S. 97-104. 60 Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 1, S. 332; Enneccerus, Lehr­ buch des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Halbbd. 2, 6.-8. Auflage, § 253 Nr. 1 a) und § 268 Nr. 2. 61 Binder, Besprechung zu H. Titze und W. Kisch, ZHR 52 (1902), 601-603.

BGB angelehnt werden. Am beliebtesten war der Hinweis auf § 242 BGB, aber auch die §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 2, 948 Abs. 2 BGB wurden gerne zitiert. Der Hinweis auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte war schon beinahe Allgemeingut.62 Ein Freibrief sollte dem Schuldner damit aber nicht erteilt werden. Ganz im Gegenteil. Goldmann und Lilienthal hielten ausdrücklich fest: „Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Ver­ kehrssitte erfordern in erster Reihe, daß die geschuldete Leistung auch unter erschwerenden Umständen bewirkt wird.“63 Das traf die vorherrschende Meinung. Konkret wurde es meist nur in einem einzigen Punkt: unverhältnismäßige Opfer sollten dem Schuldner nicht zugemutet werden.64 Die vertragliche Pflicht wurde einer Güterabwägung unterzogen. Das Leben und die Ge­ sundheit des Schuldners wurden regelmäßig höher eingestuft als das Interes­ se des Gläubigers an der Leistung. Selbst die Sittlichkeit der beteiligten Per­ sonen galt über den § 138 BGB hinaus als ein Gut, welches den Vertrag zu verdrängen geeignet war. Unverhältnismäßig konnten auch die wirtschaftli­ chen Folgen einer Vertragsdurchführung sein. Die von dem Schuldner zu erbringenden wirtschaftlichen Opfer wurden verglichen mit dem wirtschaft­ lichen Wert der Leistung. Je größer die Diskrepanz, um so geringer wurde das Interesse des Gläubigers an der (Primär-)Leistung veranschlagt. Der Gedanke, in extremen Fällen den Vertrag aufzulösen, war keineswegs neu. Erinnert sei an Windscheid, der ihn bereits zum Gemeinen Recht formuliert hatte.65 Dem Interesse des Gläubigers sollte mit einer Ersatzleistung Rech­ nung getragen werden. Für den Gläubiger spricht aber nicht nur das Indivi­ dualinteresse an der Primärleistung; hinter ihm steht auch das allgemeine Interesse an der Vertragssicherheit. Das Gesetz kennt zudem eine wirt­ schaftliche Abwägung nur in Ausnahmefällen,66 die in der Regel nur ge­ setzlich begründete und gesetzlich ausgestaltete Pflichten betreffen. In der Literatur war das Bild deshalb keinesfalls einheitlich. Planck und Kuhlen­ beck bevorzugten den Gegenschluß und ließen nur ausnahmsweise die „be­

62 Mit dem Hinweis auf Treu und Glauben und auf die Verkehrssitte begnügen sich: Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 34; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 1, S. 332. 63 Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 1, S. 332 Fn. 7. 64Enneccerus, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 1 Halbbd. 2, 6.-8. Auflage, § 253 Nr. 1 a) und § 268 Nr. 2; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, § 26 I und § 26 II 2, S. 69 f.; Cosack, Lehrbuch des deutschen bürgerlichen Rechts, § 98a I; Kipp, in: Wind­ scheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, Bd. 2, Anm. zu § 246 b), S. 97. 65 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, Bd. 2, § 246 b, S. 96. 66 §§ 251 Abs. 2,383 Abs. 1 Satz 2,633 Abs. 2 Satz 2, 948 Abs. 2, 966 Abs. 2 Satz 1 und 2170 Abs. 2 BGB.

sondere Natur des Schuldverhältnisses“ anders entscheiden.67 Es überwog aber doch die Zustimmung. Offenkundig unwirtschaftlichen, geradezu un­ sinnigen Erfüllungsvorgängen wurde das Instrument des Rechts verweigert. Das galt nicht, das ist hervorzuheben, für unvorteilhafte Geschäfte. Die Dis­ krepanz zwischen Leistung und Gegenleistung rechtfertigte nirgends die Auflösung des Vertrags. Allein Kohler geht über die rein quantitative Prü­ fung der Verhältnismäßigkeit hinaus. Er will auch eine Sachlage der Rechtspflicht entziehen, „die nicht durch die üblichen Mittel des Verkehrs überwunden werden kann“.68 Der Klassiker des gestohlenen Vertragsgegen­ stands wird so zur Unmöglichkeit: „[...] denn bei der Entwendung ist nicht der fremde Besitz als solcher das Wesentliche, sondern der Umstand, daß die Sache dem redlichen Verkehr entzogen ist, und dies ist ein objektiver Mißstand.“ Größere Widersprüche traten nur bei der Gattungsschuld auf. Eine nach juristischen Kriterien gestaltete Unmöglichkeit müßte strenggenommen un­ abhängig von dem § 279 BGB ermittelt werden, denn die Norm setzt als Tatbestandsmerkmal voraus, daß „die Leistung aus der Gattung möglich ist“. Dennoch hat sich kaum jemand zu dieser klaren Schlußfolgerung durchgerungen.69 Verbreitet war die Ansicht, soweit eine Gattung im Sinne des § 279 BGB existiere, habe der Schuldner die Nichtleistung eines Gat­ tungsgutes immer zu vertreten.70 Das weite Verständnis der Unmöglichkeit vermochte zwar die vertragliche Leistungspflicht nach § 275 BGB einer ethischen und wirtschaftlichen Betrachtung auszusetzen, nicht aber die Haftung des § 279 BGB. Im Gegenteil. Gerade wegen § 279 BGB sollte die Erfüllung dem Gattungsschuldner regelmäßig zuzumuten sein. Erstrebt wurde allenfalls eine restriktive Interpretation des § 279 BGB. So teilt etwa Berndorff mit: „Dem Untergang der Gattung muß man den Fall gleichstel­ len, wenn nur wenige Stücke der Gattung noch vorhanden und dieselben nur mit unverhältnismässig grossen Opfern zu erlangen sind.“71 Ergo sei nicht jedes irgendwo bestehende, irgendwie zu beschaffende Gattungsgut geeig67 Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 275 (S. 70); Staudinger/Kuhlenbeck, BGB, 3./4. Auflage, Anm. 2 zu § 275. ^Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Teilbd. 1, § 26 II. 2 (S. 69). 69 Etwa: Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 123, Fn. 14. 70Enneccerus, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teilbd. 2, 6.-8. Auflage, § 269, S. 123: „Der Schuldner einer Gattungs- insbesondere einer Geldschuld wird also nur dann frei, wenn die ganze Gattung untergeht [...]/ 71 Berndorff, Die Gattungsschuld, S. 46; ähnlich Staudinger/Kuhlenbeck, BGB, 3./4. Auflage, Anm. 1 zu § 279. Die Gattungssache sollte hiernach dann nicht zu einer Haf­ tung führen, wenn „die Beschaffung derselben mit so aussergewöhnlichen Schwierigkeiten verknüpft ist, daß diese nach der Auffassung des Verkehrs der Unmöglichkeit gleichgeachtet werden müssen“. Vgl. noch Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 279 (S. 79).

net, den Schuldner entgegen § 275 BGB an der Verpflichtung festzuhalten. Der § 279 BGB solle eben nur zum Ausdruck bringen, so Berndorff weiter, daß ein „jeder Zufall, der die in Vorbereitung der Leistung vom Schuldner ausgewählte Sache trifft, ihn nicht befreit“.72 In diesem Sinne argumentier­ ten auch Goldmann und Lilienthal: „Nicht jedes unverschuldete Unvermö­ gen ist [...] beim Gattungsschuldverhältnis zu vertreten, sondern nur das Unvermögen zur Leistung einzelner Gegenstände der Gattung.“73

c) Der Systembegriff des Unvermögens

Die weite Auslegung der Unmöglichkeit erfreute sich keiner ungetrübten Zustimmung. Besonders die frühen Stellungnahmen sind noch von dem überkommenen Unmöglichkeitsbegriff geprägt. Auch die später geäußerten Bedenken gegen eine weite Fassung der Unmöglichkeit waren primär be­ grifflicher Natur, nicht inhaltlicher. Heilfron weist in einem 1900 erschiene­ nen Lehrbuch darauf hin, „daß nur die wirkliche Leistungsunmöglichkeit, nicht eine nachträgliche Leistungserschwerung von Bedeutung ist“.74 Auch Biermann sah die großzügige Annahme der Unmöglichkeit nur ungern. Der Logik müsse es vorbehalten bleiben, das Verdikt der Unmöglichkeit zu fäl­ len, das ist seine feste Ansicht. Und da die Logik frei von Werten und Wer­ tungen ist, will er der Leistungspflicht nur sehr weite Grenzen gezogen wis­ sen;75 „außergewöhnliche Schwierigkeiten“ sollten „stets nur eine subjekti­ ve, nicht aber eine objektive Unmöglichkeit herbeiführen können.“76 Binder brachte in einer Doppelrezension der Monographien von Kisch und Titze das Unbehagen auf den Punkt: „In Wahrheit handelt es sich darum, eine konkrete Leistungspflicht aus Billigkeitsgründen zu negieren und diese Bil­ ligkeit aus Mangel an einem anderen Grunde in den Mantel der Unmöglich­ keit des positiven Rechts einzukleiden.“77 Explizit wendet er sich gegen die Annahme einer Unmöglichkeit im Falle unverhältnismäßig großer Erfül­ 72Berndorff, Die Gattungsschuld, S. 47. 73 Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 1, S. 335 Fn. 19. Und weiter: „[...] als anderenfalls die Worte ,so lange die Leistung aus der Gattung möglich ist", ohne je­ de Bedeutung wären. Sie wären völlig überflüssig, wenn alle Fälle des Unvermögens von der Bestimmung getroffen werden sollten [...]“ 74Heilfron, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 107 Fn. 3. 75 Biermann, Zur Lehre von der Unmöglichkeit der Leistung im bürgerlichen Recht, AcP 91 (1901), 80. Selbst eine verbotene oder unsittliche Leistung sei logisch möglich. „Zwar ist ein Rechtsgeschäft, welches auf eine derartige Leistung gerichtet ist, nichtig. [...] Dagegen kann die verbotene und unsittliche Leistung als solche, wenn sie nicht aus natürlichen Grün­ den ausgeschlossen ist, nach den Regeln der Logik sehr wohl vorgenommen werden.“ 76 Biermann, Zur Lehre von der Unmöglichkeit, AcP 91 (1901), 99 f. 77 Binder, Besprechung von Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, und von Kisch, Die Wirkungen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, ZHR 52 (1902), 600.

lungsopfer.78 Auch eine Vertragsauslegung könne keine andere Ansicht be­ gründen helfen, erklärt Binder gegen Kisch, weil die Unmöglichkeit ein ius strictum sei. Und Titze hält er entgegen, die befreiende Wirkung der Un­ möglichkeit erfolge nicht nach Treu und Glauben, sondern von Rechts we­ gen.79 Wer die Unmöglichkeit dergestalt eng faßte, der mußte sich naturgemäß um so eingehender mit dem Unvermögen auseinandersetzen. Gerade Binder ist bereit, das Unvermögen sehr weit zu fassen und in Bereiche vordringen zu lassen, die er der Unmöglichkeit eben noch verwehrt hatte. Das Unver­ mögen sei, so Binder, „etwas durchaus relatives, von veränderlichen Um­ ständen abhängiges, hin- und herschwankendes, mit anderen Worten: das Unvermögen ist Möglichkeit“.80 Er bemüht sogar den Umkehrschluß: Da das Unvermögen die Fälle der „Zahlungsunfähigkeit“ und der „Schwierig­ keit der Erfüllung“ bereits beinhalte, könne man hier keine neuen Fallgrup­ pen der Unmöglichkeit mehr bilden 81 Auch Biermann will außergewöhnli­ che Schwierigkeiten unter das Unvermögen subsumieren 82 Betrachtet man nur die beiden in § 275 BGB verwendeten Begriffe, so bietet das unschärfe­ re Unvermögen tatsächlich viel mehr Raum für die Berücksichtigung von Erfüllungsopfern als die schon in der Umgangssprache sehr klar verwendete Unmöglichkeit. Eine historische Interpretation läßt aber gerade für das Un­ vermögen ernsthafte Zweifel aufkommen. Denn bislang wurde unter dem Unvermögen immer etwas Individuelles verstanden. Der Schuldner wird von der Erfüllung abgehalten, weil gerade ihm ein Hindernis sich in den Weg stellt; oder er kann nicht leisten, weil ein Hindernis, welches allgemein der Leistung entgegensteht, gerade von ihm nicht überwunden werden kann. In jedem Fall ist die Leistung aus der Sicht des Schuldners erst einmal un­ möglich zu erbringen. Nur insofern kann eine bloße Leistungserschwernis angenommen werden, als der Schuldner theoretisch einen leistungsfähigen Dritten zur Leistung bewegen könnte, dies aber regelmäßig schwierig sein dürfte. Wer wie Binder das Unvermögen zu einer allgemeinen Leistungser­ schwerung ausdehnt, der verläßt die überkommene Vorstellung einer sub­ jektiven Unmöglichkeit. Denn schwierig kann die Leistung auch objektiv sein, für alle. Und eine bloß schwierig gewordene Leistung kann für den 78 Binder, ZHR 52 (1902), 599: „Für jeden Fall aber widerstreitet es meines Erachtens dem Begriff der sogenannten »objektiven Unmöglichkeit*, daß eine Leistung dann unmöglich sein soll, wenn die Opfer, welche der konkrete Schuldner erbringen muß, um die Leistung zu ermöglichen, unverhältnismäßig große sind.“ ^Binder, ZHR 52 (1902), 600 f. 80Binder, ZHR 52 (1902), 602. 81 Binder, ZHR 52 (1902), 601 f. Biermann, Zur Lehre von der Unmöglichkeit, AcP 91 (1901), 99f.

Schuldner selbst möglich bleiben. Das Unvermögen wird von seiner Her­ kunft gelöst und bekommt mit der Leistungserschwerung einen eigenständi­ gen Gehalt. Selbst der auf Logik bedachte Biermann hat diese begrifflichen Widersprüche nicht aufgelöst. Heilfron lehnt die Fassung des Unvermögens als Leistungserschwerung ab.83 Auch Binder ist es sichtlich unwohl dabei. Er hat die „unsinnigsten Er­ gebnisse“ vor Augen und empfiehlt - de lege ferenda - die Abschaffung des § 275 Abs. 2 BGB. Ihm schwebt statt dessen eine Lösung vor, bei der die Pflichtengrenze dem „Inhalt des einzelnen Schuldverhältnisses“ entnommen wird.84 Auch der § 242 BGB könne helfen. Denn selbst „wenn keine Un­ möglichkeit, ja nicht einmal ein Unvermögen vorliegt, kann das Verlangen der Leistung gegen Treu und Glauben verstoßen, und hier eröffnet sich dem billigen Ermessen des Richters ein weites Feld.“85 Der von Binder als rechtspolitisches Ziel anvisierte Rückgriff auf die einzelnen Schuldverhält­ nisse wurde von Planck de lege lata vorgenommen. „Subjektiv unmöglich“ soll eine Leistung laut Planck sein, „wenn sie von dem Schuldner durch diejenige Kraftanstrengung nicht bewirkt werden kann, welche ihm nach dem Inhalte des Schuldverhältnisses obliegt“ 86 Damit wurde, reduziert auf den Begriff des Unvermögens, auf die eingangs beschriebenen Theorien zu­ rückgegriffen. Tatsächlich ist eine vertragsferne Fassung des Unvermögens nicht sachgerecht. Es muß zumindest geklärt werden, ob der Schuldner nur eine eigene Leistung versprochen hat, ob er also überhaupt einen leistungs­ fähigen und -bereiten Dritten zur Leistung bewegen muß. Hier kann nur der Vertrag eine Klärung bringen. Auch Oertmann neigt deshalb einer am Ver­ trag orientierten vermittelnden Auslegung zu. Gegen ein zu enges Verständ­ nis des Unvermögens wendet er ein: „[...] der Schuldner, der nur eigene Leistung versprochen hat, ist doch keineswegs ohne weiteres verpflichtet, bei eingetretenem Unvermögen nunmehr für die ihm in der Regel viel be­ schwerlichere, kostspieligere Leistung durch einen Dritten zu sorgen.“87 83Heilfron, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 107 Fn. 3. 84 Binder, ZHR 52 (1902), 603. Der Vorschlag erinnert an Hartmann. Namentlich wird Hartmann zwar nicht erwähnt, wohl aber wird das Gemeine Recht in seinem Sinne interpre­ tiert. Binder schließt die historische Betrachtung mit den Worten: „Ich glaube denn auch nicht, daß § 275 II dem bisherigen Rechte entspricht, nach welchem es mir vielmehr auf den Inhalt der einzelnen Obligation angekommen zu sein scheint.“ 85 Binder, ZHR 52 (1902), 601. Gar so weit, wie Binder hier meint, soll das Feld dann doch nicht sein: „Aber nie wird man sagen dürfen, daß das Verlangen der Leistung gegen Treu und Glauben sei, wenn der Schuldner mit der Möglichkeit rechnen mußte, andere als die zur Zeit voraussehbaren Opfer zur Ermöglichung der Leistung erbringen zu müssen, wie dies z.B. stets bei den kaufmännischen Lieferungsgeschäften der Fall ist.“ ^Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 275. 87 Oertmann, BGB, 3. und 4. Auflage, Vorbem. 3 b) zu § 275.

Das Unvermögen bietet nicht nur einen wachsweichen begrifflichen In­ halt, es hat auch einen überaus harten Kern. Im Falle der Gattungsschuld greift der § 279 BGB ein. Nun hatten auch die Vertreter der Juristischen (oder: relativen) Unmöglichkeit Hemmungen, den § 279 BGB und die hier zum Ausdruck gebrachten Intentionen der gesetzgebenden Kommissionen durch eine begrifflich weite Fassung der Unmöglichkeit an den Rand zu drängen. Der inhaltliche Unterschied ist also weniger dramatisch, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Dem Schuldner wäre es gleichwohl an­ genehmer, wenn er sich in die objektive Unmöglichkeit hinüber retten könnte. Planck steht dem Gedanken durchaus aufgeschlossen gegenüber. Der Nichtexistenz der ganzen Gattung solle es gleichstehen, so Planck, wenn „die Beschaffung von Gegenständen der fraglichen Art [...] mit so außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden ist, daß diese Schwierig­ keiten nach der Auffassung des Verkehrs der Unmöglichkeit gleichgeachtet werden“.88 Während Binder sich zu dem Problem nicht äußert, liegen Bier­ mann solche Ausnahmen fern. Biermann erkennt zwar, daß eine strikte An­ wendung des § 279 BGB „zu höchst unbilligen Entscheidungen“ führen könne;89 anders als Planck fährt er aber fort: „Als Ausnahme von der Regel des § 275 Abs. 2 ist sein Inhalt strikt zu interpretieren. Seine Anwendung darf daher keine Einschränkung aus Billigkeitsgründen erleiden, welche der klare Wortlaut nicht zuläßt.“90 d) Hans Albrecht Fischer Wohltuend hebt sich Fischer vom Trend der Zeit ab.91 Fischer verzichtet auf begriffsjuristische Aufgliederungen der Unmöglichkeit. Die von der Litera­ tur gebildeten Gegenbegriffspaare der relativen und absoluten sowie der ju­ ristischen und faktischen Unmöglichkeit ignoriert er. Nicht einmal die im Gesetz angelegte Trennung der objektiven Unmöglichkeit von deren sub­ jektivem Gegenpart, dem Unvermögen, wird durch begriffliche Konstruk­ tionen geadelt. Im Gegenteil. Fischer betont das Gemeinsame der beiden Rechtsbegriffen zugrunde liegenden Konzeption. Auch bei der objektiven Unmöglichkeit wird letztlich auf den Schuldner abgestellt, betont Fischer. Denn: „An sich wohnt jedem Obligationsband die Eigenschaft des Individu­ ellen inne. Gerade dieser Schuldner soll an diesen Gläubiger leisten. Kann dieser Schuldner nicht leisten, was hat es für eine Bedeutung, ob andere zu

^Planck, BGB, 3. Auflage, Anm. 1 zu § 279. 39 Biermann, Zur Lehre von der Unmöglichkeit, AcP 91 (1901), 100. 90Biermann, Zur Lehre von der Unmöglichkeit, AcP 91 (1901), 102. 91 Fischer, Ein Beitrag zur Unmöglichkeitslehre, in: FS J. v. Arnsberg (1907), Rostock 1907.

leisten vermögen? Und wenn der Schuldner zwar zu leisten vermag, was hat es für eine Bedeutung, ob andere leichter leisten können?“92 In modern anmutender Form begibt Fischer sich auf die Suche nach dem Telos der Gesetz gewordenen Regelung. Der Gedanke der Unmöglichkeit habe dort seinen Ausgang genommen, erkennt Fischer, wo der Schuldner ungeachtet seiner individuellen Leistungsfähigkeiten an der Leistungspflicht festgehalten werden sollte. „Der treibende civilpolitische Gedanke war of­ fenbar der, daß im großen wirtschaftlichen Verkehrsleben sich der Gläubi­ ger muß darauf verlassen können, daß ihm Leistungen, wie sie nach dem Durchschnittsmaß von jedem Menschen bzw. von einer größeren oder klei­ neren Gruppe von Menschen sehr wohl erbracht werden können, auch wirk­ lich prästiert werden.“93 Eine solche Objektivierung der - an sich ja indivi­ duellen - Leistungspflicht sei nun insbesondere bei , fungiblen Verkehrsob­ ligationen“ angenommen worden. Die zur Befreiung wegen Unmöglichkeit führenden Umstände setzten ein Leistungshindernis voraus, welches „für den großen Kreis der Rechtsgenossen und nicht nur für die Person des Schuldners“ bestehe.94 Das Unvermögen treffe dagegen gerade den Schuld­ ner, während die Leistung an sich von anderen, also von vergleichbaren Schuldnern, erbracht werden könne. Gattungsschulden seien deshalb beson­ ders stark an der Haftung festzuhalten, „weil durch Geld, wenn nicht alles, so doch vieles möglich zu machen ist“ 95 Eine analoge Überlegung hatte tat­ sächlich den Gesetzgeber zu dem § 279 BGB veranlaßt. Anders als der Ge­ setzgeber würde Fischer auch in anderen Fällen an der objektiven Konzepti­ on festhalten. Der § 275 Abs. 2 BGB sei insbesondere bei solchen Verträgen unglücklich, „welche wie der Werkvertrag das Merkmal objektiver Natur auf der Stirn tragen“, läßt er seine Leser wissen 96 Er empfiehlt sogar die vollständige Streichung der Norm. Der Schuldner könnte insoweit ganz gut damit leben, als nur die Verkehrskreise und nicht irgendein zufällig zur Lei­ stung befähigter Dritter für das Urteil der Erbringbarkeit der Leistung her­ angezogen werden sollen. Dennoch, Fischer bleibt der Unmöglichkeit verhaftet. Überlegungen für die von den Verkehrskreisen zu erwartenden Erfüllungsopfer sucht man in seiner kleinen Schrift vergebens; auch die von dem einzelnen im Rahmen ^Fischer, Ein Beitrag zur Unmöglichkeitslehre, a.a.O., S. 11. 93Fischer, Ein Beitrag zur Unmöglichkeitslehre, a.a.O., S. 13. 94 Fischer, Ein Beitrag zur Unmöglichkeitslehre, a.a.O., S. 19; Fischer stellt hier bewußt nicht auf alle Rechtsgenossen ab. Mit Blick auf das Beispiel des Diebstahls stellt Fischer fest: „[...] es wäre eine gekünstelte Auffassung, wollte man sagen, der Schuldner kann zwar nicht leisten, wohl aber vermag es der Dieb oder der Hehler.“ 95 Fischer, Ein Beitrag zur Unmöglichkeitslehre, a.a.O., S. 29. ^Fischer, Ein Beitrag zur Unmöglichkeitslehre, a.a.O., S. 31.

des § 275 Abs. 2 BGB von dem Schuldner zu erwartenden Opfer werden nicht näher erläutert. Zweite Zwischenbilanz Ungeachtet der Entscheidung des Gesetzgebers vertrat kaum jemand die Ansicht, daß der Schuldner tatsächlich bis zur Grenze des ihm Möglichen für die Erfüllung des Versprochenen einzutreten habe. Wer das Unvermögen eng im Sinne einer für den Schuldner bestehenden, also subjektiven Un­ möglichkeit auslegte, korrigierte in der Regel den Unmöglichkeitsbegriff. Durchaus mögliche Leistungen wurden aus Billigkeitsgründen der Unmög­ lichkeit zugerechnet und so der Rechtsfolge des § 275 Abs. 1 BGB zugäng­ lich gemacht. Ein grundsätzlich anderer Weg bestand darin, das Unvermö­ gen sehr weit zu fassen und als gesetzlichen Spezialfall der Leistungser­ schwerung von der Unmöglichkeit zu emanzipieren. Wer diese Ansicht ver­ trat, der brauchte - abgesehen von § 279 BGB - keine Korrektur an der Unmöglichkeit vorzunehmen. Im Gegenteil. Nun schien die gesetzliche Be­ freiung des § 275 Abs. 2 BGB viel zu weit geraten zu sein. So erklärt es sich, daß der Leser in der zeitgenössischen Literatur auf beide Phänomene stößt: auf die ausgedehnte Interpretation des § 275 Abs. 1 sowie auf die Forderung nach einer Abschaffung des § 275 Abs. 2 BGB. Inhaltlich wurden dagegen gar nicht so unterschiedliche Positionen ver­ treten. Das ist ein Punkt, der Beachtung verdient. Alle wollten den Schuld­ ner nur in seltenen Ausnahmefällen von der Leistungspflicht befreien. Ein bloß unvorteilhaftes Geschäft sollte keine befreiende Wirkung entfalten. Niemand interessierte sich für das Verhältnis von Leistung und Gegenlei­ stung oder für andere Aspekte des Gesamtgeschäfts. Selbst die oft ange­ führte Unverhältnismäßigkeit hatte zwar unwirtschaftliche Erfüllungshand­ lungen, nicht aber unvorteilhafte Verträge im Auge. Diese begrenzte Sicht auf die Dinge war im Gesetz angelegt. Einer Möglichkeitsbetrachtung sind wohl einzelne, faktisch vorzunehmende Leistungen zugänglich, nicht aber das rechtliche Band, mit dem sie verbunden wurden. Aus denselben Grün­ den taten sich auch alle schwer, sobald die Leistungspflicht näher zu thema­ tisieren war. Dem Schuldner die Leistungsbefähigung jedes beliebigen Dritten entgegenzuhalten, wie es die objektive Unmöglichkeit nahelegt, konnte zu absurden Ergebnissen führen; wer andererseits alle individuellen Probleme des Schuldners in die Betrachtung miteinbezieht, der verliert den Gläubiger aus den Augen. Vermittelnde Lösungen wurden nur von Fischer und Kohler vertreten, die beide letztlich auf die Verkehrskreise abstellen wollen, in denen das Geschäft anzusiedeln war.

3. Eigenständige Haftungstheorien Bislang wurden nur die von Hartmann und Mommsen vorgezeichneten We­ ge weiter beschritten. Neben der Analyse der vertraglichen Vereinbarung findet sich die begriffliche Deduktion aus einer wie auch immer gearteten Unmöglichkeit. Einige Jahre nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs wurde ein neuer, dritter Weg eingeschlagen. Auf unterschiedli­ cher Grundlage unterschieden Heinrich Siber und Paul Krückmann kunst­ voll zwischen Schuld, Pflicht und Haftung und schufen so Freiraum für ein eigenständiges Haftungsrecht. Der bis dahin eher unscheinbare Begriff der Haftung bekommt eine neue, zentrale Bedeutung. Das BGB selbst verwen­ det die Formulierung „Haftung" uneinheitlich. Die auf die versprochene Leistung gerichtete Primärpflicht des Schuldners wurde ebenso mit dem Begriff der Haftung belegt wie der eine gebotene Handlung durchsetzende rechtliche Zwang oder, genau umgekehrt, das gesetzliche Einstehenmüssen für Handlungen, die man besser unterlassen hätte. Wenn im folgenden von „Haftung“ die Rede ist, dann ist damit etwas anderes gemeint. Die Haftung bezeichnet nun die Sanktion für eine ausgebliebene Leistung.97 Während sich die Unmöglichkeitslehren Gedanken darüber machen, wann diese Haf­ tung nicht eintreten soll, gehen die nun zu schildernden Ansichten genau umgekehrt vor. Sie wollen die Haftung positiv begründen. Das läßt schon eine erste inhaltliche Aussage zu: Die Schuld impliziert nicht länger die Haftung. Die Leistungspflicht wird zum bloßen Tatbestandsmerkmal eines komplexeren Haftungssystems, das eigenständig formuliert und ausgestaltet sein will. a) Heinrich Siber

Eine erste vollständige Theorie der Haftung formulierte Siber in einem Bei­ trag in Jherings Jahrbücher aus dem Jahr 1906. Es war das Anliegen Sibers, die Schuld von der Haftung möglichst konsequent zu scheiden. Sprachlich elegant werden das Sollen der Schuld und das Können des Möglichen abge­ trennt vom Müssen der Haftung. Diese unterschiedlichen Anforderungen an den Schuldner werden so geschickt gegliedert, daß der Betrachter am Ende vor einer dualen Pflichtenstruktur steht. Mit einem Sollen kennzeichnet Siber die Primärleistungspflicht. Der Schuldner sei gehalten, den Leistungserfolg herbeizuführen, denn: „[...] nur

97 Zu den unterschiedlichen Haftungsbegriffen Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 4 I 2, S. 64 f.

dieser Erfolg ist das Äquivalent für die Gegenleistung.“98 Allein maßgebend ist demnach, was der Gläubiger als Leistungserfolg erwarten darf, nicht das, was der Schuldner als Leistungsmühen prognostizieren durfte. Siber spricht prägnant von einem Bekommensollen. Nun sei aber die Schuld mit dem Lei­ stungserfolg nicht hinreichend umschrieben. Die Leistung, fährt Siber fort, bezeichne eben „auch das Leistungsverhalten des Schuldners, d. h. die Ge­ samtheit der zur freiwilligen Herbeiführung des Leistungserfolges von sei­ ner Seite notwendigen Handlungen und Unterlassungen“.99 Siber nennt die­ sen Aspekt der Schuld das Leistensollen. Der begrifflichen Differenzierung folgt hier noch keine inhaltliche. In jedem Fall ist der Leistungserfolg der Maßstab der Pflicht. Der Schuldner wird die Pflicht, das Sollen, nicht los, ohne den Erfolg herbeigeführt zu haben.100 Gegen eine immanente Redukti­ on der Leistungspflicht malt Siber das Schreckgespenst des die Gegenlei­ stung nach erfolglosen Erfüllungsbemühungen begehrenden Schuldners an die Wand. Das ist ein beliebtes und oft vorgetragenes Argument. Und ein falsches dazu. Denn dem Schuldner nur bestimmte Leistungsbemühungen anzusinnen heißt nicht, ihm bereits für diese Mühen die Gegenleistung zu­ zusprechen. Auch die Vertreter der immanenten Pflichtengrenze wollten den Mühen des erfolglos gebliebenen Schuldners allenfalls eine befreiende, nicht aber eine erfüllende Wirkung zugestehen.101 Heinrich Siber befindet sich mit dem weit ausgreifenden Sollen in bester Gesellschaft. Auch der Gesetzgeber ist bekanntlich von einem Leistungsbe­ griff ausgegangen, der den Erfolg des Versprochenen mit umfaßt. Eine al­ lein auf den Erfolg bezogene Pflicht findet auch bei Siber dort ihre Grenze, wo der Erfolg nicht mehr bewirkt werden kann. Das Urteil ist aber ein rein faktisches. Die Unmöglichkeit bleibt als Nichtbekommenkönnen, das Un­ vermögen als Nichtleistenkönnen unbehelligt von jeder Wertung.102 Der In­ 98 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung nach Reichsrecht, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 175; die Folgerung für den fehlgeschlagenen Leistungsversuch zieht Siber auf S. 215; zum Leistungsbegriff N^..PlancklSiber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. B zu Bd. 2 (S. 20-23). 99 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 177. 100 Da eine Verpflichtung nur ein Verhalten zur Folge haben kann, folgert Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. B 2 zu Bd. 2 (S. 22): „Die Schuld ist kein Rechtsgebot an den Schuldner, sondern eine durch ein solches Rechtsgebot gesicherte Erfolgsanwartschaft [...]“ 101 Einzige mir bekannte Ausnahme: Stintzing, Über vis major im Zusammenhang mit periculum und Haftung, AcP 81 (1893), 427-469; Stintzing stellt auf S. 469 fest: „Der Schuld­ ner wird also frei, wenn er seinerseits alles thut, um das angestrebte Resultat zu erreichen. Das heißt aber nichts anderes als: der Schuldner erfüllt gerade durch die Anwendung der nöthigen Sorgfalt.“ Stintzing folgert: „Er [der Schuldner] hat also, weil er in Wahrheit erfüllt hat, auch einen Anspruch auf die Gegenleistung.“ 102 Für die Unmöglichkeit: Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. III 1 b) y) zu §§ 275-292 (S. 205); zum Unvermögen a.a.O., Vorbem. III 2 b) zu §§ 275-292 (S. 206).

halt der Schuld gebiete, läßt Siber auf der anderen Seite wissen, „die Über­ windung gewisser zwischen Entstehung der Schuld und Erfüllung liegender Hindernisse“.103 Diese Einschränkung läßt aufhorchen; zu sehr scheint sie einer rein erfolgsorientierten Leistungspflicht zu widersprechen. Und Siber geht sogar noch weiter. Er unterteilt die Leistungspflicht in Beschaffungsund Herstellungsverpflichtungen auf der einen und bloßen Herausgabever­ pflichtungen auf der anderen Seite. Wird hier die Erfolgsorientierung also doch bereits im Leistungsbegriff aufgegeben? Zum Teil wurde Siber so ver­ standen. Zu Unrecht. Die Leistungspflicht sollte nur in Fällen der Bereiche­ rungsschuld auf die Herausgabe beschränkt bleiben. Bereits der schlichte Kaufvertrag verpflichtet nicht nur zur Herausgabe, sondern notfalls auch zur Anschaffung der versprochenen Sache. Da argumentiert Siber durchaus konventionell.104 Allein im Falle der Wiederbeschaffung ist er kulanter. Ha­ be der Schuldner den Gegenstand der Schuld bereits beschafft, dann aber ohne Verschulden verloren, so soll die Beschaffungspflicht sich in eine Pflicht auf bloße Herausgabe der Bereicherung wandeln.105 Die Wiederbe­ schaffung ist kein Teil der Leistungspflicht mehr; ein Gedanke, der uns aus der Entstehungsgeschichte der §§ 275 Abs. 2, 279 BGB vertraut ist. So weit zur Leistungspflicht. Wenden wir uns der Haftung zu. Wer nun erwartet, Siber werde die Leistungspflicht großzügig durch eine parallel lau­ fende Haftung absichern, der wird enttäuscht. Die Nichterfüllung der Schuld, der Verstoß gegen das Leistensollen, um in Sibers Terminologie zu bleiben, ist laut Siber nur notwendige, nicht hinreichende Bedingung der Haftung. Als zusätzliches Tatbestandsmerkmal nennt Siber die „Diligenz­ pflicht“. Diese besage, so Siber, „daß er [der Schuldner] wegen einer trotz Aufwendung der erforderlichen Diligenz ausgebliebenen Erfüllung der Schuld im Sinne des Bekommensollens nicht haftet, d.h. nicht ersatzpflich­ tig ist“.106 Eine trotz Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt ausgebliebene Erfüllung der Schuld führt demnach nicht zu einer Haftung. Da die Lei­ stungspflicht ihrerseits durch die Befreiung von der Haftung nicht beein­ trächtigt wird, schafft Siber im Ergebnis zweierlei Pflichten: eine Lei­ stungspflicht und eine haftungsbewehrte Handlungspflicht. Ist die Lei­

103 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 233. 104 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 235 f.; Siber faßt für Auftrag, Kauf- und Werkvertrag a.a.O., S. 238, zusammen: „Da aber die Her­ stellung überall mindestens eventuell zu dem geschuldeten Verhalten gehört, so ist der ge­ schuldete Erfolg in allen drei Fällen nicht schon dann unmöglich, wenn die zu verschaffende Sache dem Schuldner noch nicht gehört oder das Werk noch nicht hergestellt ist, sondern nur wenn dieser zur Anschaffung oder Herstellung unfähig ist.“ 105 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 244. 106 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 214.

stungspflicht noch dem Erfolg der Leistung verpflichtet, so bleibt die haf­ tungsbewehrte Pflicht weit dahinter zurück. Die Frage, „wonach sich die Befreiung oder Ersatzpflicht des Schuldners wegen Nichtüberwindung jener höchst mannigfaltigen Schwierigkeiten bestimme, die Frage nach dem Haf­ tungsgrade“, betont Siber, „beantwortet sich nach der einfachen Skala der positiv ausgedrückt - zu vertretenden Sorgfalt oder - negativ - des zu ver­ tretenden Verschuldens; nur wo eine Garantieübernahme für den Erfolg vorliegt, ist die Haftung wegen Nichtüberwindung eines Hindernisses hier­ von unabhängig“.107 Eine duale Pflichtenstruktur - das stimmt mißtrauisch. Man mag eine en­ ge rechtliche Pflicht mit einer weiteren, moralischen kombinieren. Aber im Falle zweier Rechtspflichten stellt sich zwangsläufig das Problem der Kon­ kurrenz. Die rein begriffliche Trennung von Schuld und Haftung verhindert das Problem der Konkurrenz nicht, denn spätestens der § 283 Abs. 1 BGB stellt die Verbindung zwischen beiden her. Dem nach dieser Norm vorge­ henden Gläubiger, der ja Rechte aus der Schuld geltend macht, kann nicht die schuldnerseitige Beachtung der erforderlichen Sorgfalt entgegengehalten werden. In der Kommentierung des Schuldrechts bei Planck wird Siber auf das Problem aufmerksam. Anstatt nun aber den naheliegenden Weg von der Erfolgsverpflichtung zu einer Ausweitung der Haftung zu gehen, die Hand­ lungspflicht also der Leistungspflicht unterzuordnen, schlägt Siber die ge­ nau entgegengesetzte Richtung ein. Er korrigiert über die Haftung die Schuld, reduziert also mittels der Haftungsmaßstäbe die Leistungspflicht.108 Zum Vorschein kommt der völlig eigenständige Befreiungstatbestand der überobligationsmäßigen Schwierigkeit. Die Idee beruht im Ursprung auf dem auch von den anderen Zeitgenossen gern herangezogenen Mißverhält­ nis zwischen den Erfüllungskosten und dem Wert der Leistung. In seiner Haftungstheorie geht Siber aber weit darüber hinaus. Die Haftungsvoraus­ setzungen werden deckungsgleich auf die Primärleistungsverpflichtung übertragen. Siber resümiert: „[...] es ist jede Schwierigkeit als überobligati­ onsmäßig anzusehen, deren Nichtüberwindung nach den §§ 276-278 nicht vom Schuldner zu vertreten ist.“109

107 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung, Jherings Jahrbücher 50 (1906), 248. 108 Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. III. 3. b) a) zu §§ 275-292 (S. 208): „So­ dann folgt mittelbar aus § 283, daß jede Schwierigkeit, deren Nichtüberwindung den Schuld­ ner nicht zum Ersatz verpflichten kann, auch schon eine dauernde oder zeitweilige Befreiung von der primären Verpflichtung zur Folge haben muß, sei es ipso iure oder mittels einer Ein­ rede; denn ohne das würde die rechtskräftige Verurteilung für die Vergangenheit zu einer Haftungssteigerung für Zufall führen.“ 109Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. III 3 b) a) zu §§ 275-292 (S. 208).

Dogmatisch wird der Schritt mit § 242 BGB legitimiert. Aus dem § 242 BGB, der bei unbefangenem Lesen eine als bestehend vorausgesetzte Lei­ stungspflicht lediglich näher konkretisieren will, soll sich „mittelbar auch eine Norm über das Ob der Leistung ergeben“.110 Der § 242 BGB wirke nicht nur zugunsten des Gläubigers, sondern auch zugunsten des Schuldners auf die Schuld ein, erklärt Siber, mit dem Resultat, „daß eine objektiv und subjektiv mögliche Leistung nach den §§ 157, 242 ipso iure oder kraft Ein­ rede nicht geschuldet ist“.111 Hinter dieser Lösung dürften indessen eher pragmatische als dogmatische Erwägungen stehen. Die nachträgliche Er­ schwerung der Leistung - durch die Entscheidungen RGZ 57, 118 und OLGE (Hamm) 23, 33 erneut in das Bewußtsein gerückt - läßt-sich so in das eigene System einbauen, ohne die Ausrichtung der Schuld auf das Be­ kommensollen und die daran anknüpfende enge Auslegung der Unmöglich­ keitsvorschriften explizit aufgeben zu müssen. Das Ergebnis ist eindeutig. Die Unmöglichkeit und das Unvermögen werden nicht länger als Schranken aufgefaßt, die mit negativem Charakter regeln, was gerade noch befreien soll. Der Schuldner kann auch jenseits davon die Leistung verweigern, und das eben nicht nur in den Ausnahmefällen eines objektiven Mißverhältnisses zwischen dem Wert und den Kosten des zu erbringenden Leistungserfolgs. Selbst der § 279 BGB soll nicht beengend auf die Möglichkeiten der Ver­ weigerung der Erfüllungshandlung einwirken.112

b) Paul Krückmann

Ein vollständiges System von Schuld und Haftung wird auch von Krück­ mann aufgestellt. Und obwohl Krückmann von einem gänzlich anderen Ausgangspunkt ausgeht, kommt er doch zu einem frappierend ähnlichen Er­ gebnis. Krückmann bevorzugt einen engen Unmöglichkeitsbegriff. Er lehnt es strikt ab, dem Schuldner in Fällen tatsächlicher Möglichkeit mittels der Annahme einer Unmöglichkeit oder eines Unvermögens zu helfen. Dennoch will Krückmann, ganz wie Siber, den Schuldner nicht vollständig bis zur Grenze des Möglichen haften lassen. Sein hierfür eigens konstruiertes Rechtsinstitut nennt er Einrede aus wichtigem Grundy oder auch Einrede aus entgegenstehendem Interesse. Die Einrede beinhaltet den Begriff der Unmöglichkeit nicht. Der im Sin­ ne einer „Notwendigkeit des Nichtgeschehens“ verstandenen Unmöglichkeit 110 Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Anm. 1 zu § 242 (S. 40); Siber fährt fort: „Das läßt sich nicht um deswillen ablehnen, weil § 242 nicht sagt, der Schuldner habe die Leistung ,nur‘ so zu bewirken: Dieses nur durfte nicht ausgesprochen werden, weil sonst der § 242 nur dem Schuldner zustatten käme.“ ^Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Vorbem. III 3 zu §§ 275-292 (S. 207). 112Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Anm. 1 b) zu § 279 (S. 235).

wird in bewußtem terminologischem Gleichklang die „Notwendigkeit über­ obligationsmäßiger Kraftanstrengung“ gegenübergestellt .113 An anderer Stelle ist von Unzumutbarkeit und Unerschwinglichkeit die Rede.113 114 Was Krückmann im Ergebnis anstrebt, ist keine Vertragsauslegung im Hartmannschen Sinne, sondern eine umfassende Interessenabwägung. Mit Blick auf den § 228 BGB formuliert er: „Der Schuldner darf, um von sich einen unverhältnismäßigen Schaden abzuwenden, den Gläubiger, von dessen For­ derungsrecht ihm ein unverhältnismäßiger Schaden droht, schädigen durch Verweigerung der Leistung.“115 Welche Umstände sollen solch einer Ver­ hältnismäßigkeitskontrolle zugrunde liegen? Auch Krückmann denkt an ei­ nen Vergleich des Leistungswerts mit den Leistungskosten, wie er etwa in den §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 3 und § 2170 Abs. 2 BGB zum Tragen kommt. Darüber hinaus will Krückmann auch das Verhältnis der Leistung zur Gegenleistung heranziehen. Aber nicht wie Titze nur negativ, um dem Schuldner bei hoher Gegenleistung auch unverhältnismäßige Aufwendun­ gen zuzumuten, sondern erstmals in der zeitgenössischen Diskussion auch positiv. So stellt er die Frage, „ob objektiv, wenn Leistung gegen Gegenlei­ stung abgewogen wird, [...] die Leistungspflicht des Schuldners für ihn eine unverhältnismäßige Beschwerung bedeutet“.116 Später geht Krückmann noch einen Schritt weiter. Nun soll sogar die laesio enormis berücksichtigt werden, also ein ursprüngliches Mißverhältnis zwischen Leistungswert und Gegenleistung, „soweit dies in den Forderungen der Gerechtigkeit liegt“.117 Die weitere Ausgestaltung des Befreiungstatbestandes erfolgt nicht min­ der kreativ. Schwankte noch Siber zwischen der Befreiung ipso iure und der kraft Einrede, so legt sich Krückmann auf die Einredelösung fest. Das hat neben prozessualen Vorteilen zwei handfeste materiale Gründe. Dem Schuldner wird die - von keiner Theorie ernstlich in Frage gestellte - Mög­ lichkeit der Erfüllung belassen, und der Gläubiger kann in Form einer Ge­ geneinrede eigene, höherstehende Interessen einbringen und so dem Schuldner die Einrede wieder nehmen. „Es darf dem Schuldner auf keinen 113 Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 62. 114Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 283; das Er­ gebnis wird als Norm zusammengefaßt: „Stellt sich die Leistung des Schuldners als derart be­ schwerlich oder unerschwinglich heraus, daß ihm nach Treu und Glauben gerechterweise nicht zugemutet werden kann, bei seinem Worte zu bleiben, so darf er die Leistung so lange, als sie unerschwinglich bleibt, verweigern.“ 115 Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 37. 116 Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 52; ders., Nachlese zur Unmöglichkeitslehre, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 243: „Wir erlauben dem Schuldner, sich gegen die ihm angesonnene Leistung zu wehren, weil sie im Verhältnis zur Gegenleistung für ihn zu beschwerlich ist.“ 117 Krückmann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 114.

Fall gestattet werden, dem Gläubiger einen größeren Schaden zuzufügen, um sich vor einem kleineren zu bewahren“, klärt Krückmann seine Leser auf.118 Ob ein Verschulden geeignet sein soll, dem Schuldner die Einrede zu nehmen, bleibt dagegen unklar. „Verschulden gibt kein Leistungsverweige­ rungsrecht“, erklärt Krückmann apodiktisch in seiner ersten Schrift zur Un­ möglichkeitslehre.119 Und in einer „Nachlese zur Unmöglichkeitslehre“ ist zu lesen: „Unerschwingliche Leistungen kann der Schuldner verweigern, solange sie ohne sein Verschulden unerschwinglich sind.“120 Unter dem Vorwand der Präzisierung wird diese Aussage prompt erheblich einge­ schränkt. Zumindest soweit der Vorwurf des Verschuldens nur die fahrlässi­ ge Übernahme der Verpflichtung betreffe, solle der Schuldner die Einrede gleichwohl geltend machen können. Lediglich den „durch dieses unvorsich­ tige Versprechen begründeten Schaden“ soll er tragen müssen.121 Und noch eine weitere zweite Einschränkung wird in der „Nachlese“ angedeutet. Die schuldhafte Verursachung eines Rechtsmangels soll nicht zu unerschwingli­ chen Maßnahmen der Mangelbeseitigung verpflichten. Die Haftung auf das pekuniäre Erfüllungsinteresse bleibt dem Schuldner jedoch nicht erspart.122 Krückmann legt wenig Wert auf die präzise inhaltliche Ausgestaltung seiner Einrede. Eingehende Ausführungen widmet er dafür der dogmati­ schen Begründung des die Einrede tragenden Haftungssystems und dessen Verankerung im Gesetz, und das ist kein Fehler, verliert doch das Gesetz über die Einrede aus entgegenstehendem Interesse kein Wort. Wie kommt Krückmann nun darauf, daß es neben der Unmöglichkeit und dem Unver­ mögen noch Platz für eine solche Einrede geben soll? Der methodisch sau­ bere Weg beginnt natürlich bei der engen Auslegung der §§ 275, 279 BGB. Der unmittelbare Anwendungsbereich der Normen muß begrenzt und, damit einhergehend, den Normen eine abschließende Wirkung abgesprochen wer­ den. Auch Krückmann schlägt diesen Weg ein. Aus der Sicht des Prozesses argumentiert er gegen die Tendenz der Ausweitung des Unmöglichkeitsbe­ 118 Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 19. 119 Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 143; weiter führt Krückmann aus: „[...] die Einrede aus entgegenstehendem gewichtigem eigenen Inter­ esse steht dem Beklagten im Falle des Verschuldens überhaupt nicht zu, die Tatsache der be­ haupteten Unerschwinglichkeit kann daher in materiell und prozessual beachtlicher Weise überhaupt nicht vorgebracht werden [...]“ 120Krückmann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 367. 121 Krückmann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 242; a.a.O., S. 279 f. faßt er zu­ sammen: „Der unvorsichtig das Unerschwingliche versprechende Schuldner hat gegenüber der Klage auf Erfüllung die Einrede aus entgegenstehendem gewichtigem Interesse, er hat sie aber nicht gegenüber der Forderung auf das Anzeigeninteresse [d.h. das negative Interesse]“; Vorschlag einer gesetzlichen Fassung, a.a.O., S. 367. 122Krückmann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 250 f. und 259.

griffs in den Bereich des faktisch Möglichen hinein. In der „Nachlese zur Unmöglichkeitslehre“ erweitert er diesen Ansatz zu einem vollständig auf den Prozeß und die Vollstreckung zugeschnittenen Haftungssystem. Nun erklärt er, eine Pflicht sei nur insoweit rechtlich existent, als ein Titel auf den Leistungserfolg ergehen und in der Vollstreckung auch durchgesetzt werden könne. Eine Pflicht ohne die Möglichkeit zu zwingen sei für das Recht dagegen ohne Bedeutung: „Fehlt die Grundlage allen Rechtes, näm­ lich die staatlich gewährte Sicherheit, kann eine Rechtsverweigerung nie Rechtsverweigerung sein, kurz es stürzt alles zusammen, was wir mit dem Begriffe Recht zu verbinden gewohnt sind.“123 Die Folgen dieser Machttheorie reinsten Wassers sind eklatant. Zum ei­ nen scheidet die Macht die ethisch begründete Pflicht trennscharf von der rechtlichen Pflicht. Die in der Literatur oft vorgetragene Abwägung einer ethisch verstandenen Erfüllungspflicht mit ethischen oder wirtschaftlichen Leistungsopfern des Schuldners sowie die Präferenz für ethisch untermau­ erte Pflichten sind Krückmann fremd. Den großen Worten: „Wer Ver­ pflichtungen übernimmt soll sein Wort halten, er soll es halten, wenn es sein muß, bis zum Verbluten“ braucht er deshalb keine Taten folgen zu lassen. So schließt er: „Diese Verantwortung, die eine moralische ist, trägt mit Fug und Recht der Schuldner, nicht aber bürde man sie dem Gesetz auf.“124 Na­ türlich ist das Recht nicht zwingend moralfrei, nur weil es von einer Macht ausgefüllt werden muß. Aber wirtschaftliche Argumente tun sich in solch einem System leichter, den Grundsatz pacta sunt servanda zu relativieren. Er ist nur noch ein Gesichtspunkt unter vielen, in der tatsächlichen Abwä­ gung Krückmanns sogar einer von nachgeordneter Art. Zweitens bietet die Machttheorie die Möglichkeit, die Haftung von der Primärleistungspflicht zu lösen. Aus der Sicht des bloßen Zwanges reicht die Primärleistungspflicht eben gerade so weit, wie die Befriedigung des Gläubigers durch die Zwangsvollstreckung herbeigeführt werden kann. Krückmann spricht deshalb auch lieber von einer „Haftung auf die Lei­ stung“. Könne dagegen allenfalls ein finanzieller Ersatz für das Leistungs­ interesse durchgesetzt werden, so sei dies nicht die hinter der Primärlei­ stungspflicht lauernde Sekundärleistungspflicht, sondern schon vom An­ spruch her etwas völlig anderes. Eben eine „Haftung für die Leistung“. Die begriffliche Scheidung muß nicht notwendig zu einem anderen Ergebnis führen. Ein Grund der Haftung für die Leistung könnte die Pflicht auf die Leistung sein, die ja auf den Erfolg geht. Die Leistungspflicht wäre dann doppelt haftungsbewehrt. Krückmann will hiervon aber nichts wissen:

123 Krückmann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 57 (1909), 29. 124Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 55

„Wenn die Haftung auf die Leistung aus irgend einem Grund nicht durchge­ setzt werden kann, so ist aus der Tatsache, daß den Schuldner eine Haftung auf die Leistung trifft noch nicht zu schließen, daß er auch unbedingt für die Leistung haften müsse, d.h. Haftung auf den Erfolg bedeutet noch nicht Haftung für den Erfolg. Im Grunde eine Selbstverständlichkeit. [!]"125 Man kann sagen, der Schuldner haftet auf den Erfolg, aber er garantiert ihn nicht. Angesichts der reduzierten Pflicht des Schuldners besteht indessen die Ge­ fahr einer schrankenlosen Auflösung vertraglicher Pflichten. Als dritte Folge der Machttheorie Krückmanns winkt die in der Zeit so beliebte logische Erklärung der Unmöglichkeitsrelevanz. 125 126 Aus der Sicht des Machtanhängers gibt es jenseits des Möglichen keine Pflicht, da eine Vollstreckung keinen Erfolg verspricht. Krückmann folgert: „Untergang der Haftung auf die Leistung, Unmöglichkeit der Verurteilung auf die Leistung, sobald die Unmöglichkeit der Leistung prozeßordnungsgemäß feststeht“.127 Den § 275 Abs. 1 BGB benötigt er nur für die ersatzweise Haftung auf das Leistungsinteresse, die nach seinem Ansatz ja nicht in der Primärleistungs­ pflicht enthalten ist. Diese Auslegung wird durch den Wortlaut der Norm allerdings nur bedingt getragen. Nach Krückmann müßte die Haftung bei verschuldeter Unmöglichkeit angeordnet werden und nicht, wie es in § 275 Abs. 1 BGB geschehen ist, die Befreiung bei unverschuldeter Unmöglich­ keit. Mit dem Unvermögen tut sich Krückmann noch schwerer. Der Gedan­ ke an die Vollstreckung trägt hier nur begrenzt. Ein durch Vollstreckung herbeigeführter Erfolg ist im Falle des Unvermögens weder logisch noch sonstwie zwingend ausgeschlossen. Vor allem wenn die Schuld ein Zuwar­ ten erlaubt, ist eine spätere Vollstreckung keinesfalls aussichtslos, wie Krückmann selbst zugibt.128 Nun stellt Krückmann deswegen nicht gleich sein Haftungssystem in Frage. Dem § 275 Abs. 2 BGB fehle es an Anwen­ dungsfällen, läßt er wissen. Totschweigen will er deshalb den zweiten Ab­

125 Krüchnann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 245. Selbst für das ursprüngli­ che Unvermögen solle nichts anderes gelten; vgl. hierzu a.a.O., S. 279: „Die Haftung für den Bestand der Willenserklärung ist etwas anderes als die Haftung auf und für die Leistung und darum kann aus allen Normen, die eine solche Haftung für den Bestand der Erklärung fest­ setzen, noch nicht notwendig auf eine Haftung für die Leistung und in Folge auf das Erfül­ lungsinteresse als solches geschlossen werden, insbesondere läßt sich nicht behaupten, daß die zweite in der ersten enthalten sei und von ihr verdeckt werde.“ 126Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 62. 127Krückmann, Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 138. 128 Krückmann, Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 57: „Bei ihm [dem Unvermögen] ist, durch die Leistungsmöglichkeit des Dritten eine Erfüllungsmög­ lichkeit des Schuldners, wenn nicht gegenwärtig gegeben, so doch möglicherweise jeden Au­ genblick herstellbar oder doch als herstellbar denkbar.“

satz der Norm.129 Selbst für die Haftung auf das Leistungsinteresse benötigt er die Norm nicht. Soweit der Schuldner sich für die konkrete Leistungszeit von der Haftung befreien will, genügt bereits der § 285 BGB.130 Die Machttheorie schafft also Raum für die Einrede aus entgegenstehen­ dem Interesse, positiv begründet ist sie damit aber noch nicht. Krückmann setzt auf den Gedanken der Interessenabwägung, den er mittels eines induk­ tiven Schlusses dem Bürgerlichen Gesetzbuch entnehmen zu können glaubt.131 Neben dem § 242 BGB führt er die §§ 251 Abs. 2, 383 Abs. 1 Satz 2, 633 Abs. 2, 948 Abs. 2, 1023, 1246, 2170 Abs. 2 und 2288 Abs. 2 BGB an, die unwirtschaftliche Aufwendungen verhindern wollen. Möglich­ keiten der Reduktion vertraglicher Pflichten nach den §§ 343 Abs. 1, 655 BGB fanden ebenso Erwähnung wie die rein dinglichen Rechtsabgrenzun­ gen und -begrenzungen der §§ 228, 904, 867, 1005, 912 und 997 Abs. 2 BGB. Dieser eher zeitbedingte Drang nach begrifflich-logischer Folgerich­ tigkeit und wissenschaftlicher Unangreifbarkeit vermischt sich mit dem Wunsch nach einer gerechten und billigen Entscheidung. Die Rechtsfindung sei eine „Temperamentsfrage “, erfährt der Leser etwas überraschend, eine „Frage des schaffenden Künstlertums“. Der Begriff der „wissenschaftlichen Gerechtigkeitskunst“ sei deshalb eher angebracht als der der Rechtswissen­ schaft.132 Bleiben wir bei der Rechtswissenschaft. Krückmann bedient sich methodischer Mittel, die ihn deutlich von den freirechtlichen Strömungen der Zeit trennen. Das Gesetz wird, anders als bei Brecht etwa, nicht nur als eine Folge von Einzelfallentscheidungen begriffen. Die Bausteine für sein Gedankengebäude entnimmt Krückmann dem materiellen und prozessualen Recht mit dem Anspruch, sie zumindest widerspruchsfrei eingebaut zu ha­ ben. Die entscheidende Frage nach der Reichweite und Grenze vertraglicher Verpflichtungen wird aber auch nicht aus dem System heraus beantwortet. Das unterscheidet ihn wiederum von den begriffsjuristischen Lösungen der Zeit. Indem Krückmann die beteiligten Interessen werten und gegeneinander abwägen will, ist er noch am ehesten als Vorläufer der Wertungsjurispru­ denz einzuordnen.

c) Friedrich Endemann Die Haftungstheorien hatten einen Vorläufer: Endemann. Es war nicht En­ demanns Bestreben, den Schuldner in kritischen Fällen aus der Vertrags­ pflicht zu entlassen. Er wollte vielmehr die Konsequenz ziehen aus über­ 129Krückmann, 130Krückmann, 131 Krückmann, 132Krückmann,

Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 237. Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 237. Unmöglichkeit und Unmöglichkeitsprozeß, AcP 101 (1907), 31-53 Nachlese, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 289-292.

kommenen, Gesetz gewordenen Anschauungen, welchen er vorwarf, das Schuldrecht „im Wesentlichen als ein System der Folgen der Vertragswid­ rigkeit“ zu betrachten. In seinem Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts formu­ liert er die „Vertragspflichten“ deshalb konsequent spiegelbildlich zu der „obligatorischen Verschuldung“.133 Das ergänzende Gegenstück zum Ver­ schulden ist die Sorgfaltspflicht. Die „kraft des Leistungsversprechens zu vertretende Sorgfaltspflicht“134 bestimmt die Art und Weise der Vertrags­ durchführung und kann widrigenfalls eine Ersatzhaftung begründen. Das ist nicht neu. Nach Endemanns Vorstellung soll die Sorgfaltspflicht nun auch für die versprochene Leistung selbst eine zentrale Stellung einnehmen. „Der Grund für die Befreiung des Schuldners beruht nicht in dem Eintritt der Unmöglichkeit“, erläutert Endemann zu § 275 BGB, „sondern ausschließ­ lich in der Begrenzung seiner obligatorischen Vertretungspflicht.“135 Wenn die Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten den Schuldner entlasten kön­ nen, was soll dann noch das Tatbestandsmerkmal der Unmöglichkeit? En­ demann sieht in der Tat eine „Doppelordnung“. Nur die Haftung für Zufall sollte mittels des § 275 BGB ausgeschlossen werden.136 Wer den Zufall in seinem Lehrbuch aufsucht, der erfährt: „Unter Zufall sind die Ereignisse zu verstehen, die außerhalb des gesetzlichen oder vertragsmäßig abgesteckten Haftungsgebietes eintreten.“137 Aus einer vergleichsweise scharfen „Un­ möglichkeit“ ist ein diffuses „Haftungsgebiet“ geworden. Die Folgen für die Reichweite der Leistungspflicht werden bei Ende­ mann bestenfalls angedeutet. Die Haftung, soviel ist klar, will positiv be­ gründet sein. Der Schuldner haftet nicht für die übernommene Verpflich­ tung. Er haftet sofern und weil er dieser schuldhaft nicht nachkommt - das ist die Konsequenz der von Endemann vermuteten „Spiegelbildkonstrukti­ on“. Die geschuldete Sorgfalt soll „in erster Linie durch den Inhalt der Ver­ tragsabrede“ bestimmt werden, beispielsweise durch den „Gegenstand der Leistung“, die „Persönlichkeit des Schuldners“ und den „Preis“.138 Die Ver­ bindung, die das Gesetz zwischen der Leistungsfähigkeit und der Leistungs­ pflicht knüpft, wird dabei nicht völlig ignoriert. Wer einen Schuldvertrag eingehe, der versichere, „daß er der übernommenen Leistungspflicht ge­

133 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 111 Fn. 1. ^Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 111 Nr. 1 (S. 634). 135Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 124 Nr. 2 (S. 696). 136 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 124 Fn. 23. Endemann hätte anstelle der §§ 275, 279 BGB eine Norm mit folgendem schlichten Inhalt favorisiert: „Der Schuldner haftet nicht für Zufall.“ ^Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 115 Nr. 1, S. 646. ^Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 111 Nr. 2 und Fn. 5.

wachsen sei“, stellt Endemann fest.139 Für alle nachvertraglichen Entwick­ lungen gilt zwar der Vorbehalt des Sorgfaltsverstoßes, aber Endemann deu­ tet an, daß übermäßige Aufopferungen den Schuldner nicht zwingend entla­ sten.140 Andererseits soll nicht einmal der § 279 BGB über die dem Vertrag zu entnehmende Sorgfalt hinaus verpflichtend wirken: „Nach m. E. bezieht sich § 279 nur auf die aus dem Untergang gewisser Leistungsgegenstände entstehende Leistungsschwierigkeit [...], denn das Schuldversprechen sieht hiervon ja gerade ab.“141 d) Rezeption Die vorgestellten Haftungslehren haben einer Vertragstheorie, welche faszi­ niert von der Kraft logischer Schlüsse die Leistungspflicht nur im Falle der Erfüllung und deren Unmöglichkeit erlöschen lassen wollte, einen Ausweg aufgezeigt. Durch den bis dahin völlig unspezifisch verwendeten Begriff der Haftung schien ein neuer, von den begrifflichen und historischen Problemen der Unmöglichkeit völlig unbelasteter Anfang möglich. Auch wenn Krück­ mann und Siber in der konkreten Ausgestaltung der Haftung nicht gefolgt wurde, so gab es doch erste Äußerungen in der Literatur, welche diese Durchtrennung des gordischen Knotens begrüßten. Insbesondere die von Krückmann in die Diskussion eingeführte Einredelösung hatte schon bald Freunde gewonnen. Die Einrede wurde von Oertmann in die Unmöglich­ keitslehre eingebaut, und auch v. Tuhr verschloß sich dem Gedanken nicht.142 Einen methodischen Schulterschluß mit Krückmann kann man darin aber schwerlich sehen. Die clausula rebus sic stantibus, der Krück­ manns Einrede doch sehr nahe kommt, sei „eine viel zu weit gehende und die Sicherheit des geschäftlichen Lebens gefährdende Theorie“, läßt v. Tuhr wissen. Und er ergänzt etwas später: „Nur bei ganz außergewöhnlichen Ver­ änderungen der Sachlage verlangt die Billigkeit, dem Schuldner zu Hilfe zu kommen.“143 Nur Ernst Eckstein war bereit, die inhaltlichen Vorstellungen Krück­ manns voll mitzutragen. Eckstein kennt gleich zwei Befreiungstatbestände: die Unerschwinglichkeit und die Leistungserschwernis. Unerschwinglich sei, was nach einem Urteil der „praktischen Vernunft“ unmöglich erbracht 139 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 113, sowie, für die Gattungs­ schuld, § 124, Fn. 27. ^Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 124 Fn. 24. 141 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, § 124 Fn. 27 c). 142 v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Teilbd. 1, S. 185, Fn. 55; Oertmann, BGB, 3. und 4. Auflage, Vorbem. Nr. 1 a) y) zu § 275. 143 v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Teilbd. 1, S.202.

werden könne.144 Völlig unabhängig daneben steht nach Ansicht Ecksteins das Phänomen der nachvertraglichen Leistungserschwerung. Da der Gesetz­ geber hier nichts geregelt habe, fühlt er sich berechtigt, als eigenständige Lösung die Einrede der Leistungserschwernis zu entwickeln.145 Die Einrede soll eingreifen, sofern die Leistung unvorhersehbar dergestalt erschwert wird, „daß sie zwar möglich bleibt, ihm [dem Schuldner] aber nicht zuge­ mutet werden kann“. Die „physische“ und die „pekuniäre Kraftanstrengung“ können dabei ebenso unzumutbar sein wie die „Überwindung unvorherge­ sehener psychischer Widerstände“.146 Völlig unbelastet von methodischen Zweifeln und bestenfalls sporadisch angelehnt an die Anfechtung irrtums­ behafteter Willenserklärungen gestaltet er die Einrede näher aus.147 So will er dem Gläubiger einen Ersatzanspruch zugestehen, gerichtet auf das nega­ tive Interesse. Die Schuld selbst soll daneben bestehen bleiben und gegebe­ nenfalls - d.h. nach dem Fortfall der Erschwerung - einredefrei geltend ge­ macht werden können.

4. Reine Billigkeitslösungen An die Stelle logischer Schlüsse in Form begrifflich-deduktiver und syste­ matisch-induktiver Ableitungen setzten andere schlicht inhaltliche Aussa­ gen. Sie bezogen sich auf „Treu und Glauben“ und damit unmittelbar auf die Verkehrsmoral. Das war bescheiden und ambitioniert zugleich. Beschei­ den war der dogmatische Anspruch. Es wurden keine Haftungssysteme aus dem BGB herbeigezaubert, und auch die Parteiabreden wurden nicht über­ strapaziert. Auf der anderen Seite fehlte ein fester Rahmen, sowohl für die

144 Eckstein, Der Untergang der Obligation durch Unmöglichkeit, Leistungserschwerung und verwandte Umstände und das Schicksal der Gegenleistung, Arch BürgR 37 (1912), 415 f. und 446; a.a.O., S. 416, legt Eckstein dar: „Sobald die Leistung einen solchen Grund von Schwierigkeit erreicht hat, daß sie schlechthin unerschwinglich ist, kommt es auf ihre logi­ sche Möglichkeit nicht an; für die Wirklichkeit ist sie unmöglich 145 Eckstein, Der Untergang der Obligation, ArchBürgR 37 (1912), 438-446 und 458; vgl. Gesetzesvorschlag auf S. 486: „Kann dem Schuldner wegen Erschwerung oder wegen eines anderen Umstandes die Leistung nicht zugemutet werden, so kann er die Leistung ver­ weigern, wenn er die Erschwerung nicht zu vertreten hat. Er kann sie auch in letzterem Fall verweigern, wenn ihm die Leistung unter keinen Umständen zugemutet werden kann.“ 146Eckstein, Der Untergang der Obligation, ArchBürgR 37 (1912), 441. 147 Eckstein, Der Untergang der Obligation, ArchBürgR 37 (1912), 443 f.; Eckstein er­ kennt als Eigenschaftsirrtum auch den Irrtum in der Preiskalkulation, ja sogar den* Irrtum über den Wert eines Leistungsgegenstands an. Damit ergibt sich für ihn partiell eine Überschnei­ dung zwischen seiner Einrede der Leistungserschwernis und der Möglichkeit der Irrtumsan­ fechtung, die er im Wege der Idealkonkurrenz lösen will.

Voraussetzungen als auch für die Rechtsfolgen. Wer in „Treu und Glauben“ ein übergeordnetes Prinzip erkennt, der muß sich der Herausforderung stel­ len und dieses Prinzip handhabbar gestalten. Der Gesetzgeber hat nur in § 157 BGB der Rechtsfigur „Treu und Glauben“ ausdrücklich gestattet, auf den Inhalt des Vertrages Einfluß zu nehmen. Der § 157 BGB wurde von der Literatur aber nur selten herangezogen. Durch die systematische Stellung im Normengefüge und den Wortlaut schien die Norm zu sehr mit den tatsäch­ lich geäußerten Willenserklärungen verhaftet zu sein. Extensive Interpreta­ tionen sind nicht zu finden. Auf die Idee, daraus den Gegenschluß zu ziehen und den Schuldner ohne besonderen Anhalt in der Willenserklärung an der Leistungspflicht unbedingt festzuhalten, ist jedoch auch niemand gekom­ men. Es blieb dem § 242 BGB überlassen, der Pflicht des Schuldners Gren­ zen zu setzen. Bereits in der Auslegung des § 275 BGB war von vielen anerkannt wor­ den, daß „Treu und Glauben“ über den Wortlaut des § 242 hinaus eine in­ haltlich gestaltende Wirkung zukommen kann.148 Der Schritt hin zu einer unmittelbaren Anwendung des § 242 BGB war nur klein angesichts der all­ gemeinen Tendenz, Grundsätze der Verkehrsmoral in ein Machbarkeitsurteil hineinzulesen. So hat Binder, bekanntlich ein Kritiker der weiten Auslegung des § 275 Abs. 1 BGB und - rechtspolitisch - der Regelung des § 275 Abs. 2, auf § 242 BGB hingewiesen, der zur Not helfen könne.149 Der unmittelba­ re Bezug auf § 242 BGB resultierte nicht immer aus einer ablehnenden Haltung gegenüber den zur Unmöglichkeit formulierten Überlegungen. Oertmann etwa war durchaus mit der Unmöglichkeitslehre Titzes einver­ standen.150 Wenn er dennoch den § 242 BGB vorzog, so hatte dies funktio­ nale Gründe. Der unmittelbare Zugriff auf den § 242 BGB bot den Vorteil, daß neben den Voraussetzungen auch die Folgen flexibler gestaltet werden konnten. Insbesondere die nach § 275 Abs. 1 BGB ipso iure eintretende Be­ freiung konnte vermieden und durch eine Einrede ersetzt werden.151 Die nach § 242 BGB dem Schuldner gewährte Hilfe sollte die Ausnahme blei­ ben. Der von Stammler ausgesprochene Gedanke, alle Parteiabreden nur in­ soweit gelten zu lassen, als sie zu einem dem § 242 BGB entsprechenden Ergebnis führen,152 wurde weitgehend abgelehnt.153 Oertmann und Binder vertreten für Fälle besonderer Leistungsschwere eine Zumutbarkeitskorrek­ 148 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, § 142, S. 22 f.; Planck/Siber, BGB, 4. Auflage, Anm. 1 zu § 242. 149 Binder, Besprechung, ZHR 52 (1902), 601. 150 Oertmann, BGB, 3./4. Auflage, Vorbem. 1 a) ß) zu § 275. 151 Oertmann, BGB, 3./4. Auflage, Vorbem. 1 a) y) zu § 275. 152 Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse, S. 39-42,49 f. 153 Vgl. nur: Oertmann, BGB, 3./4. Auflage, Anm. 1 zu § 242.

tur, wie sie sich über alle methodischen Gegensätze hinweg als weitgehend konsensfähig erwiesen hat. Oertmann nennt die , AufOpferung oder außer­ gewöhnliche Gefährdung eines im Sinne der Rechtsordnung gegenüber dem Gläubigerinteresse höherwertigen Schuldnerinteresses“. Es folgen, wie all­ gemein üblich, die „Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit“. Fi­ nanzielle Interessen, „ungewöhnlich hohe Geldopfer u. dgl.", sollen dagegen keine abwägungsrelevanten Belange sein.154 Rabels Anliegen war es, die Überlegungen zu der Vertragslösung vom Kopf auf die Beine zu stellen. Ausgangspunkt ist deshalb nicht die faktische Möglichkeit der Leistung, sondern das Versprechen und der hieraus resultie­ rende Anspruch auf „Vertragstreue“. Auch Rabel erkennt an, daß die Ver­ tragstreue keine „unbedingte Opferwilligkeit“ nach sich zieht.155 Der Schuldner müsse sich „entschuldigen“, also Gründe angeben, die über die bloße Leistungsschwere hinausgingen.156 Den „Gedanken der Haftung we­ gen Verschuldens bei Vertragsschluß“ aufgreifend will Rabel nicht nur die verursachten, sondern alle vorhergesehenen und vorhersehbaren Hindernisse dem Schuldner anlasten.157 Die erkennbar vorliegende Zukunftsentwick­ lung, „der beim Kontraktschluß bestehende Keim“,158 wie Rabel in schöner Metapher darlegt, sollte per se die Entschuldigung verhindern. Die Parteien können freilich nicht alles überblicken. Sie zögen, stellt Rabel fest, „nur ei­ nen beschränkten Tatsachenkreis in Betracht, ehe sie kontrahieren“. Ein Prognosefehler gehe zu Lasten der Partei. Beruhe das Leistungshindernis aber auf der prinzipiell offenen Zukunftsentwicklung, so soll eine Entschul­ digung möglich sein. Hier müsse die vertragliche Bindung „eine naturge­ mäße Einschränkung erfahren, wieder wie es Treu und Glauben uns an die Hand geben“.159 Damit ist ein eigenständiges Argument gegen die Vertrags­ bindung formuliert worden: die Unvorhersehbarkeit. Neu ist dieser Gedanke nicht. Er findet seinen methodischen Vorläufer in der Rechtsfigur der clau­ sula rebus sic stantibus. 154 Oertmannj BGB, 3./4. Auflage, Vorbem. 1 a) Y) zu § 275. 155 Rabel, Über Unmöglichkeit der Leistung und heutige Praxis, in: Gesammelte Aufsät­ ze, Bd. 1, S. 64. 156Rabel, Unmöglichkeit der Leistung, in: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, S. 50. 157Rabel, Über Unmöglichkeit der Leistung und heutige Praxis, a.a.O., S. 65. 158 Rabel, Unmöglichkeit der Leistung, a.a.O., S. 50; vgl. a.a.O., S. 49: hier befreien „Hinderungsgründe, die der Schuldner bei seiner Obligierung nicht voraussehen mußte“. 159 Rabel, Über Unmöglichkeit der Leistung und heutige Praxis, a.a.O., S. 64; vgl. auch Rabel, Unmöglichkeit der Leistung, a.a.O., S. 49: „Gerade so, wie die Parteien bei Eingehung des Schuldverhältnisses nicht alle gegenwärtigen Tatumstände überblicken können, ist ihnen auch nicht die Voraussicht aller künftig eintretenden Umstände zuzutrauen. Man hat den Parteien nur die im Verkehre erforderliche Umsicht und Übersicht über die Sachlage zuzu­ muten.“

Rabel setzt dort an, wo das Problem in der Praxis auftritt. Im Kern geht es darum, das Risiko der offenen Zukunftsentwicklung zu verteilen. Der Schuldner hat laut Rabel nicht das volle Zukunftsrisiko übernommen. Er­ schwernisse, die er nicht gesehen hat und die er bei Vertragsschluß auch nicht sehen mußte, können befreiend wirken. Automatisch soll die Befrei­ ung jedoch nicht eintreten. Neben der Unvorhersehbarkeit wird als zweite Voraussetzung die Unerschwinglichkeit angeführt. Rabel zieht (erst) hier die eingangs dargestellte Kraftanstrengungslehre heran. Unerschwinglich ist, was mit den gebotenen Mühen nicht überwunden werden kann. Nach dem Eintritt überraschender Leistungshindernisse ist der Schuldner also nur noch „zu einer durch Parteivereinbarung, Vertragszweck, Gesetz bestimmten Kraftanstrengung verpflichtet“.160 Beide Kriterien, übernommenes Zu­ kunftsrisiko und geschuldete Kraftanstrengung, erinnern stark an Brecht und seine freirechtlich entwickelte Haftungslehre. Wie stellt Rabel sich die Lö­ sung de lege lata vor? Eine gesetzlich vorgegebene Grenzziehung sei, so Rabel, nicht vorhanden und könne auch durch die Unmöglichkeit und das Unvermögen nicht geleistet werden. Anstelle der Deduktion wählt er die In­ duktion und fordert zu Analogiebildungen auf. Natürlich bietet sich auch für Rabel die Analogie zu § 275 BGB oder zu § 306 BGB an. Um die Umstände des Vertragsschlusses besser integrieren zu können, zieht Rabel aber die §§ 251, 633 Abs. 2 und 2170 Abs. 2 Satz 2 BGB als Analogiebasis vor.161

Resümee Vier Anknüpfungspunkte wurden vorgestellt, mit Hilfe derer die Grenzen der Leistungspflicht ergründet werden können: die Leistungspflicht selbst, das gesetzliche Rechtsinstitut der Unmöglichkeit, die Sanktion der Haftung sowie das materiale Prinzip von Treu und Glauben. In der praktischen Um­ setzung stimmen diese Theorien weitgehend überein. Insbesondere wollte niemand dem § 275 BGB den Gegenschluß entnehmen, wonach bis zur Grenze des Möglichen allein die Erfüllung geeignet ist, die Pflicht zu been­ den. Wer beim Vertrag oder dem gesetzlichen Zwang, der Haftung ansetzte, wie die unter Ziff. 1 und 3 dargestellten Theorien, war prinzipiell geneigt, der Pflicht enge Grenzen zu ziehen, während die Unmöglichkeitslehren und der Rekurs auf Treu und Glauben, unter Ziff. 2 und 4 erläutert, hier eher Ausnahmen vorsahen. Doch das sind nur graduelle Unterschiede, die in 160 Rabel, Unmöglichkeit der Leistung, a.a.O., S. 27; vgl. ders., Über Unmöglichkeit der Leistung und heutige Praxis, a.a.O., S. 65. 161 Rabel, Unmöglichkeit der Leistung, a.a.O., S. 51 f.; ders., Über Unmöglichkeit der Leistung und heutige Praxis, a.a.O., S. 73.

konkreten Beispielfällen oft konterkariert werden. Die Entscheidungskriteri­ en sind, wie immer sie im Einzelfall gewichtet sein mögen, erstaunlich ein­ heitlich. Pacta sunt servanda wird als ethische Aufforderung verstanden und mit Gründen der Vertragsfreiheit und der Verkehrssicherheit verstärkt. Da­ gegen sprechen nur wenige Gründe für eine Lösung der vertraglichen Bin­ dung. Den bereits in dem Rechtsinstitut der Unmöglichkeit angelegten Er­ füllungsopfern treten oft moralische Grenzen zur Seite, insbesondere Fälle, in denen Anstand und Sitte eine andere Priorität erheischen als die Erfüllung vertraglicher Pflichten. Beliebt ist zudem der Vergleich der Erfüllungsopfer mit dem Wert der Leistung. Offensichtlich unsinnige Opfer sollen vermie­ den werden. Erstmals wird, von Krückmann, auch die Disproportionalität zwischen Leistung und Gegenleistung berücksichtigt. Das ist freilich eine (noch) selten rezipierte Ansicht. Neu ist auch die stärkere Betonung der Un­ vorhersehbarkeit. Sie wurde bislang allenfalls als negatives Kriterium ver­ wandt, welches die befreiende Wirkung der Unmöglichkeit auszuschließen in der Lage war. Rabel entwickelt die Vorhersehbarkeit zu einem positiven Faktor, dessen Fehlen grundsätzlich Anlaß bietet, die Bindung des Schuld­ ners zu hinterfragen. Damit tauchen inmitten der Unmöglichkeitsdiskussion zwei Rechtsinstitute auf, die schon längst vergessen zu sein schienen: die laesio enormis und die clausula rebus sic stantibus.

Zweiter Teil

Der Rechtsprechung aufgegeben

Kapitel I

Das Prinzip der wirtschaftlichen Individualfreiheit „Privatautonomie nennt man das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechts­ verhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen.“ Mit diesem bekann­ ten Satz leitet Werner Flume seine Rechtsgeschäftslehre ein.1 Der Begriff der Privatautonomie ist durchaus neu.2 „Autonomie" ist im Ursprung ein Ausdruck der Rechtsquellenlehre; er weist hin auf die Befugnis einer „auto­ nomen Selbstgesetzgebung“. Die Germanisten verstanden unter der „Pri­ vat“-Autonomie nahezu einhellig die Selbstgesetzgebung des Adels. Auf das Schuldrecht und die reine inter-partes-Wirkung der Schuldverträge schien der Begriff dagegen nicht recht zu passen. Erst allmählich wandelte sich die Begriffsbedeutung. Heute ist die Privatautonomie ein Begriff der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Weit weniger umstritten als der Begriff der Privatautonomie war im 19. Jahrhundert dessen Kernaussage: die Ver­ tragsfreiheit. In den Motiven der Ersten Kommission wird die Vertragsfrei­ heit als ein Prinzip hervorgehoben, „von welchem das Recht der Schuldver­ hältnisse beherrscht wird“.3 Gründe werden nicht vorgebracht und auch sonst in der zivilrechtlichen Literatur der Zeit nur selten genannt.4 Kübel, der Redaktor des Schuldrechts, spricht schlicht von einer „Erkenntnis der Notwendigkeit“.5 Dernburg immerhin erläutert die Vertragsfreiheit mit wirt­ schaftlichen Argumenten: „Indem sie jedem gestattet, das eigene Interesse

1 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, S. 1. 2 Zur Geschichte des Begriffs: Mayer-Maly, Privatautonomie und Selbstverantwortung, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14 (1989), S. 271-273. 3 Motive, Bd. 2, S. 2 (in der allgemeinen Einleitung) = Mugdan, Bd. 2, S. 1. 4 Zur dürftigen Quellenlage: Rückert, Zur Legitimation der Vertragsfreiheit im 19. Jahr­ hundert, S. 145-150. 5 Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die 1. Kommission, Schuldrecht, Teil 1, S. 136: „Der die Rechtsordnung zur Anerkennung der rechtsgestaltenden Kraft der Willens­ erklärung bestimmende Grund beruht in der Erkenntniß der Nothwendigkeit der Autonomie der Person im Privatrecht und der Vertragsfreiheit insbesondere im Verkehrsrecht [...]“ Vgl. noch a.a.O., S. 144: Es sei dargelegt worden, „daß die Anerkennung der rechtlichen Wirkung der Willenserklärung durch die Rechtsordnung auf dem Prinzip der Autonomie der Person im Privatrecht beruht“.

rücksichtslos zu wahren, spornt sie die Kräfte und fördert sie die Entwicke­ lung des Verkehrs.“6 Man hat sich daran gewöhnt, mit dem Begriff der Freiheit die Abwesen­ heit derjenigen Umstände zu umschreiben, welche dem Willen oder den daraus resultierenden Handlungen Grenzen zu setzen geeignet sind. Je nachdem, welche Form der Freiheitsbehinderung man in den Blick des Be­ trachters rückt, kann ein Vertrag Ausdruck von Freiheit oder Unfreiheit sein. Die Abschlußfreiheit umschreibt etwa das Vermögen der Parteien, be­ liebig Verträge abschließen und sich hierbei geeignete Vertragspartner selbst aussuchen zu können. Die Formfreiheit bezeichnet die freie Wahl der äußeren Form einer auf rechtliche Wirkungen gerichteten Willenskundgabe. Im Zentrum des Interesses steht die Gestaltungsfreiheit, d.h. die Befugnis der Parteien, den Inhalt von Verträgen nach eigenem Gutdünken gestalten zu können. Die juristische Diskussion der Vertragsfreiheit bewegt sich fast ausschließlich in diesen Bahnen. Die Abschlußfreiheit wird in § 305 BGB vorausgesetzt, vornehmlich begrenzt durch die §§ 104-106 BGB; der Form­ freiheit wird der Formzwang etwa der §§313, 125 BGB gegenübergestellt; das Gegenstück zu der Gestaltungsfreiheit findet sich in den §§ 134, 138 BGB und in anderen, der Disposition der Parteien entzogenen Vorschriften. Es ist bezeichnend, daß die erste größere Abhandlung über die Vertragsfrei­ heit im BGB, der 1911 im Handwörterbuch der Staatswissenschaften er­ schienene Artikel “Vertrag und Vertragsfreiheit“ von Rudolf Stammler, sich praktisch ausschließlich mit den Beschränkungen der Vertragsfreiheit be­ faßt.7 Diese Sicht auf die Vertragsfreiheit ist sicherlich nicht falsch, und sie mag auch im Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs verankert sein. Die einzig mögliche Fassung der Freiheit ist es aber nicht. Es ist nicht einmal die naheliegendste. Die Freiheit kann auch als etwas positiv zu Schaffendes verstanden werden. Gerade im Vertragsrecht bietet sich dieser Ansatz an. Die Vertragschließenden wollen von der Gemeinschaft, daß sie ihnen die Freiheitsausübung durch Vertrag ermöglicht. Sie wollen nicht nur Freiheit von der Gemeinschaft, sie wollen, ja brauchen Unterstützung. „Das Maß der Vertragsfreiheit“, hält Max Weber fest, sei „der von der Zwangsgewalt als , gültig’ garantierte Inhalte von Rechtsgeschäften.“8 Er bezeichnet den Ver­ trag prägnant als „Quelle zwangsrechtlich garantierter Ansprüche“.9 Man ^Dernburg, Pandekten, Bd. 2,7. Auflage, § 16a Nr. 1 (S. 48). 7 Stammler, Vertrag und Vertragsfreiheit. Artikel aus: Handwörterbuch der Staatswissen­ schaften, 3. Auflage, Jena 1911. 8 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Zweiter Teil, Kapitel VII: Rechtssoziologie, S.398. 9Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 399.

muß den soziologischen Standpunkt nicht teilen, um einen Zusammenhang zwischen der „Zwangsgewalt“ und der Vertragsfreiheit herstellen zu kön­ nen. Meistens nur werden schönere Worte gefunden. Von „Vertragsbin­ dung“ ist die Rede, von „Vertragssicherheit“ oder, das ethische Moment stärker betonend, von „Vertragstreue“. Die Gesellschaft soll vertragliche Bindungen nicht nur anerkennen, sie soll Mechanismen zu ihrer Durchset­ zung zur Verfügung stellen. Wer sich auf die Vertragsfreiheit beruft, der will immer auch die Intervention der widrigenfalls anzurufenden Gerichte und ist damit notwendig auf die Formen angewiesen, die hierfür zur Verfü­ gung gestellt werden. Dieser Standpunkt liegt in der Freiheit selbst begrün­ det, welche, zumindest in der Ausübung, notwendig die Freiheit anderer einschränkt. Und er ist historischer Ausgangspunkt für unsere, auf dem rö­ mischen Recht basierende Rechtsordnung. Das Denken der römischen Juri­ sten war ganz auf den Prozeß ausgerichtet, auf die Erlangung einer Klage­ formel, einer actio. Limitierte und formalisierte Verpflichtungstypen ver­ mittelten diese Klageformel. Unfrei kann man ein solches System nicht be­ zeichnen. Ihm liegt nur ein anderes Freiheitsverständnis zugrunde. Die Frei­ heit besteht darin, die bestehenden Rechtsmittel nutzen zu können. Frei ist, wer die daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten erkennen, auswählen und im wirtschaftlichen Verkehr einsetzen kann, ohne durch jenseits der be­ nützten Rechtsform liegende materiale Erfordernisse gehindert zu werden.10 Neben dem intellektualistischen Erfassen und Werten von Handlungs­ alternativen trieb die neuzeitliche Philosophie ein weiteres, weit weniger praktisches Erkenntnisinteresse voran. Gestellt wurde die Frage nach den Grenzen menschlicher Freiheit. Als frei bezeichnete man im rationalen Na­ turrecht der Neuzeit die unbeeinflußt von der Natur oder anderen Zwängen verwirklichte Handlung.11 In mehreren Schritten sollte die Freiheit in das Zentrum des im Anspruch rational werdenden Denkens rücken. Zunächst wurde die Freiheit als Kriterium des natürlichen Zustands, des sogenannten Naturzustands, entdeckt. Das Gedankengebäude des Naturzustands war ein Akt früher Vemunftkritik und markiert den Beginn des posttheologischen Naturrechts. Das führte nicht zwingend zu einem größeren praktischen Frei­

10 Auf dieser Trennung von Erkenntnis und Umsetzung beruht die antike Unterscheidung von Willens- und Handlungsfreiheit. Zum unterschiedlichen Freiheitsverständnis in der Phi­ losophie der Antike und der Neuzeit vgl.: Steinvorth, Freiheitstheorien in der Philosophie der Neuzeit, S. 24-33. 11 Zu den unterschiedlichen Freiheitsbegriffen in der neuzeitlichen Philosophie: Spaemann, Art. Freiheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Sp. 1088-1098; aus­ führlich: Steinvorth, Freiheitstheorien in der Philosophie der Neuzeit; insbes. zum Freiheits­ begriff im deutschen vorkritischen Naturrecht Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, S. 31-71.

raum für die Individuen - historisch ist sogar das Gegenteil feststellbar aber es setzte zumindest jede Form der Herrschaft unter Legitimationsdruck. Die pure Faktizität der Herrschaft genügte nicht länger den rationalen An­ sprüchen. Populär wurde die Idee des Gesellschaftsvertrags, die den ge­ dachten Zustand natürlicher Freiheit mit der empirisch vorgefundenen Bin­ dung in Einklang bringen sollte. Die Freiheit war durch eine ganze Reihe ethischer und utilitaristischer Gründe eingrenzbar. Für die Vertragstheorie ist eine ähnliche Wendung zu beobachten. Doch dazu später. Der nächste Schritt war getan, als die Freiheit zum Selbstzweck erhoben wurde. Die Freiheit diente fortan nicht nur als Ausgangspunkt theoretisierender Ver­ nunft, sondern als praktische Leitlinie. Der Umschwung hatte mehrere Gründe. Zum einen lag sie bereits in der Idee des Naturzustands oder, wie man weniger mißverständlich formuliert hatte, des Urzustands begründet. Gerade im deutschen vorkritischen Naturrecht waren als weitere überaus praktische Vertragsformen Herrschafts- und Unterwerfungsverträge hinzu­ gedacht worden, die einen Teil des Naturzustands in die praktische Welt hinüberretten sollten. Zudem wurde - ganz utilitaristisch - die praktische Nützlichkeit der Freiheit erkannt. Schließlich ist Immanuel Kant zu nennen, der vemunftkritisch die ganze Morallehre über den inneren Willen aufbaute, der nur insofern moralisch sein konnte, als er frei war. Bei Kant wurde die Freiheit zur freien Willkür; ethische und utilitaristische Momente verblas­ sen. Diese neue Wandlung des Freiheitsverständnisses sollte sich in der Vertragslehre niederschlagen. „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen inwohnenden, Kraft sichert.“12 Das ist schon die Ansicht Savignys. Es sollte nicht länger Aufgabe des Rechts sein, morali­ sche Pflichten durchzusetzen. Dieser Gedankengang klingt kantisch und so war er auch gemeint.13 Der Durchbruch der wirtschaftlichen Gestaltungsfreiheit kam erst im 19. Jahrhundert. Aber auch nicht bedingungslos, wie es in mancher ex post­ Betrachtung den Anschein hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte der Soziologe Max Weber feststellen: „Die Vertragsfreiheit ist [...] in keiner Rechtsordnung eine schrankenlose, dergestalt, daß das Recht für jeden be­ liebigen Inhalt einer Vereinbarung seine Zwangsgarantie zur Verfügung stellt.“14 Gleichwohl, im 19. Jahrhundert setzte eine Wende ein. Die Ver­ tragsfreiheit wurde Bestandteil einer umfassenderen wirtschaftlichen Frei­ heit. Vor allem außerhalb des Zivilrechts setzte der Abbau wirtschaftlicher ^Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 332. 13 Vgl. Kiefner, Der Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahr­ hundert, S. 7-13. 14Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 399.

und rechtlicher Hemmnisse ein. Der personale Numerus clausus des Zunft­ systems fiel als erstes. Quantitative und qualitative Produktionsvorgaben wurden weitgehend abgebaut. Grundstücke und Arbeitsleistungen wurden voll verkehrsfähig und im Grundsatz frei aushandelbar.15 In den sechziger Jahren folgte eine letzte große Deregulierungswelle. In Sachsen wurde 1861, in Württemberg und Baden 1862 und in Bayern 1868 die Gewerbe­ freiheit ausdrücklich festgeschrieben. Der eben frisch geschaffene Nord­ deutsche Bund beschloß 1867 die völlige Aufgabe der Zinsbeschränkungen. Selbst der Zinswucher sollte keine zivil- und strafrechtlichen Folgen mehr nach sich ziehen - sieht man von einem Kündigungsrecht ab sechsprozenti­ gem Zinssatz einmal ab. Damit war der Höhepunkt erreicht. Bereits 1880 wurde gegen den Wucher wieder vorgegangen. Nun häuften sich auch die kritischen Stellungnahmen zur wirtschaftlichen Individualfreiheit. Bereits Mitte des Jahrhunderts war in der Volkswirtschaftslehre eine historische Schule aufgekommen, die in Sitte, Moral und Recht Faktoren der wirt­ schaftlichen Entwicklung der Vergangenheit wie der Zukunft erblickte. Die mit dem Namen Gustav Schmöller verbundene jüngere historische Schule betonte die psychologisch-ethische Komponente menschlicher Entscheidun­ gen. Selbst die Frage nach dem gerechten Preis wurde wieder aufgewor­ fen.16 Auch wenn die historische Betrachtungsweise der Volkswirtschaft nie unumstritten war, so distanzierten sich doch die meisten Volkswirtschafts­ lehrer von dem „Dogma [...] der ,Unfehlbarkeit" und ,Allwissenheit4 der Menschen in wirtschaftlichen Dingen“,17 welches im Anschluß an Adam Smith bis dahin die volkswirtschaftlichen Lehren beherrscht und vor jeder Empirie bewahrt hatte.18 Auf juristischer Seite sind die kritischen Schriften von Anton Menger und Otto Gierke zum BGB bekanntgeworden.19 Die hier geäußerte Kritik darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch im Bür­ gerlichen Gesetzbuch der Meinungsumschwung bereits erkennbar ist. So wurde noch nachträglich, in den Beratungen des Reichstags, die Regelung des § 138 Abs. 2 BGB aufgenommen. In der Kriegs- und Inflationskrise der Jahre 1914 bis 1923 sollte die Skepsis ihren Höhepunkt erreichen. Die 15 D. Grimm, Soziale, wirtschaftliche und politische Voraussetzungen der Vertragsfrei­ heit, S. 165-168, zu Preußen speziell S. 182-187. 16 Schmöller, Die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft, Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver­ waltung und Volkswirtschaft 5 (1881), S. 46-49. 17 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, S. 74. 18 Übersicht bei: Winkel, Der Umschwung der wirtschaftswissenschaftlichen Auffassun­ gen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, S. 3-18; ders., Grundlagen nationalökonomischen Denkens um die Jahrhundertwende, S. 18-28. 19 A. Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890; Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Leipzig 1889; ders., Die soziale Aufgabe des Privatrechts, Berlin 1889.

Weimarer Reichsverfassung hat in einem für sie typischen Kompromiß in den Artikeln 151 und 152 Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit garantiert und relativiert. Nach Maßgabe der Gesetze sollten die Freiheiten gelten und ins­ besondere „den, Grundsätzen der Gerechtigkeit“ und „dem Ziele der Ge­ währleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle“ verpflichtet sein.20 Spät reagierte auch die Rechtsphilosophie. In kantischer Vemunftkritik be­ fangen hatte sie auf der Suche nach Apriorischem die tatsächlichen Ent­ wicklungen in Recht, Wirtschaft und Gesellschaft lange ignoriert. Erst nach der Jahrhundertwende wurde mit dem Neothomismus, in der Rechtsphiloso­ phie verbunden mit dem Namen Victor Cathrein, und dem Neuhegelianis­ mus vereinzelt auf andere ethische Werte als die der Freiheit und der Auto­ nomie hingewiesen. Fritz Beroldsheimer suchte den Schulterschluß mit den Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Ersten Weltkrieg fanden materiale Werte auch Eingang in die Phalanx der kantisch und positivistisch gepräg­ ten Rechtsdenker. Vertragsfreiheit sei Heteronomie, erklärte Gustav Rad­ bruch21 - immerhin Neukantianer südwestdeutscher Schule und der wohl meistgelesenste Rechtsphilosoph der Weimarer Zeit.

1. Der Grund der Vertragsbindung Der mit einem Vertrag betraute Jurist begibt sich üblicherweise auf die Su­ che nach einer Anspruchsgrundlage. Gilt es einen Kaufvertrag durchzuset­ zen, so wird er auf den § 433 Abs. 1 BGB verweisen. Man könnte meinen, der Kaufvertrag sei nicht bindend, würde es diese Norm nicht explizit an­ ordnen. Den Versprechenden binde, so drängt es sich auf, das Gesetz. So­ lange nur den im Gesetz vorgedachten Versprechenstypen eine Klagemög­ lichkeit eröffnet werden soll, ist diese Einstellung nicht weiter problema­ tisch. Das Gesetz ordnet an, was die Parteien vereinbart haben. Darüber hin­ aus enthebt es die Parteien der Mühe, die Details selbst regeln zu müssen. Ganz anders stellt die Situation sich dar, wenn die Parteien die gesetzlich vorgegebenen Vertragstypen abwandeln oder gar völlig verlassen und ei­ genständig atypische Ansprüche formulieren. Daß diese Vereinbarungen auch binden können, dafür sucht man im Gesetz vergeblich eine Norm. Das Gesetz übt Enthaltsamkeit. Das ist kein Mangel; es weist eher darauf hin,

20 Art. 151 Abs. 1 WRV: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen zu sichern.“ Art. 152 WRV: „Im Wirtschaftsverkehr gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze.“ 21 Radbruch, Rechtsphilosophie, § 19.

wie selbstverständlich der Gedanke der freien Vertragsbindung mittlerweile geworden war. Das war schon einmal anders.

a) Die Versprechenstreue Die Versprechenstreue ist unbestritten nur als Pflicht der Ethik. Im Recht steht die Pflicht der Versprechenstreue in Konkurrenz zu formalen Anforde­ rungen an die pflichtenbegründende Handlung sowie zu der Herausbildung klagbarer Vertragstypen. Gerade die Vertragstypen erlangten im ausgehen­ den Mittelalter eine besonders wichtige und, für den Gedanken der Verspre­ chenstreue, hemmende Bedeutung. Man tat sich schwer, der schlichten Ver­ einbarung, dem sogenannten pactum nudum, die Klagbarkeit zu geben. Zu deutlich schien hier das eben erst wiederentdeckte römische Recht entge­ genzustehen.22 Nach Ansicht der Glossatoren mußte zu der Einigung ein vestimentum hinzutreten, um einen Vertrag klagbar zu gestalten.23 Durch die beständige Erweiterung der Zahl der vestimenta entstand ein gegenüber dem Corpus Iuris völlig eigenständiges System der Versprechensbindung. Die Kommentatoren entdeckten ein anderes Moment, welches der Vereinbarung Statur geben konnte, die causa. Die Idee der causa entstammt der bereits angesprochenen Vorleistung, welche nicht ohne Grund erbracht zu werden pflegt. An Stelle einer Vorleistung genügte bald eine (klagbare) Obligation, schließlich sogar ein vernünftiger Grund.24 Nicht in der Theorie, wohl aber im praktischen Einzelfall wurde der vertragsrechtliche Typenzwang immer mehr abgebaut. Während theoretisch am Grundsatz der Unklagbarkeit des pactum nudum festgehalten wurde, konnte praktisch jede Vereinbarung mit Rechtsverbindlichkeit ausgestattet werden. Den Typenzwang theoretisch überwunden zu haben, das ist eine Lei­ stung, die den Kanonisten zugeschrieben wird.25 Das einseitige eidliche Gelöbnis diente als Basis für einen Vergleich mit dem schlichten Verspre­ chen des pactum nudum.26 Gott mache zwischen einem Eid und einem un­ eidlichen Versprechen keinen Unterschied. Wer seine Versprechen nicht

22 Nicht ganz ohne Grund: Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, S. 527, Fn. 47. 23 Dilcher, Der Typenzwang im Mittelalterlichen Vertragsrecht, ZRG Rom. Abt. 77 (1960), S. 273-281; die Vestiturtheorie wird zurückgeführt auf Placentinus, a.a.O., S. 278. 24 Söllner, Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrecht des Mittelalters bei den Glos­ satoren, Kommentatoren und Kanonisten, ZRG Rom. Abt. 77 (1960), S. 231. 25 Behrends, Treu und Glauben. Zu den christlichen Grundlagen der Willenstheorie im heutigen Vertragsrecht, S. 270-277; zum Versuch einer deutsch rechtlichen Begründung: Sie­ gel, Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht, Berlin 1873. 26 Dilcher, Der Typenzwang im mittelalterlichen Vertragsrecht, in: ZRG Rom. Abt. 77 (1960), S. 281-286; als Väter des Gedankens werden die Dekretisten Huguccio sowie Johan­ nes Teutonicus genannt, a.a.O., S. 283 f.

einhalte, der verletze die christliche Wahrheitspflicht, so die tragenden Ge­ danken. Alle Verträge wurden mit dieser Begründung kanonisch verbind­ lich, auch wenn der Weg von der Drohung mit Exkommunikation zur Er­ füllungsklage noch zurückgelegt werden mußte. Der juristische Grund für die Bindung an ein Versprechen fiel zusammen mit dem moralischen Grund. Das Prinzip der Vertragstreue ersparte es den Kanonisten nicht, das rechtlich bindende Versprechen dennoch vom schlichten Versprechen tren­ nen zu müssen. Auf diese Abgrenzungsversuche geht maßgeblich die causa­ Lehre zurück. Die Kanonisten trafen sich hier mit den Legisten; nur kamen sie gewissermaßen von der anderen Seite. Mit der Versprechenstreue kam ein moralischer Aspekt in das Recht und mit diesem ein völlig neues Ver­ ständnis von der Bindungsfähigkeit des Menschen. Die allgemeine Fähig­ keit der Bindung verschob die Gewichte des Vertragsrechts. Tevenar hat die praktischen Folgen benannt: „Wenn daher einer eine Handlung vorgenom­ men, oder ein Vertrag geschlossen worden: so ist derjenige, der ein Recht daraus behauptet, nicht schuldig, zu erweisen, daß diese Handlung oder die­ ser Vertrag durch das Gesetz bestätigt sey; sondern derjenige, welcher eine gesetzliche Einschränkung vorgiebt, muß solches darthun."27 Was hier als Beweis- und Darlegungslast beschrieben wird, ist Resultat einer in der Richtung geänderten Denkweise. Instrumente, die bislang die Ver­ tragsbindung begründen sollten, wurden weiter verwendet, aber mit umge­ kehrten Vorzeichen. Nicht die Geltung einer Vereinbarung und die daraus abgeleitete Klagbarkeit sollten erklärt werden; die Bindung galt es gegebe­ nenfalls zu verhindern. Statt Klagerecht bei causa nun Verlust der materiell­ rechtlichen Position bei fehlender causa. Mittels der fides wurde nicht län­ ger die Bindung legitimiert, wie dies bereits im römischen Recht vorgedacht und in der Kanonistik umgesetzt wurde; 28 die bona fides sollten nun primär die Grenzen der vertraglichen Bindung beleuchten. Der Gedanke der Versprechenstreue stößt schnell an Grenzen. Da der Vorwurf der Treuwidrigkeit an das Verhalten des Promittenten anknüpft und nicht an den hierdurch gesetzten Akt, steht und fällt die Bindungskraft mit der Zurechnung. Das Recht ist aber ein gesellschaftliches Phänomen. Es ist nicht nur individualethischen, sondern auch sozialethischen Wertungen zugänglich. Selbst aus ethischer Sicht muß die Versprechenstreue ergänzt und relativiert werden können. Und noch ein zweites Problem harrt der Lö­ sung. Die Vertragstreue besteht im Kern aus der Wahrheitspflicht. Damit ist 27 Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, Magdeburg und Leipzig 1777, Einleitung, S.20. 28 Auf den Wandel der Bedeutung der fides weist hin: Behrends, Treu und Glauben. Zu den christlichen Grundlagen der Willenstheorie im heutigen Vertragsrecht, S. 264-270 und 282-285.

die Vertragstreue aber nicht hinreichend umschrieben. Erst die Pflicht der Beständigkeit weist in die Zukunft und führt zur Bindung. Bereits Cicero sprach von veritas und constantia.29 An diesem Punkt sollte auch die zu­ kunftsweisende Ergänzung erfolgen. Hugo Grotius stellt sich der Frage, welcher Art das Versprechen ist, dessen Einhaltung die Treue fordert. Nicht jeder Mitteilung sollte diese Qualität zukommen. Heute würde man sagen: nicht jede Erklärung führt zu einem bindenden Vertragsangebot. Die bloße Mitteilung der Handlungsabsicht ist nicht bindend, so lautet die erste Stufe der grotianischen Versprechenslehre. Auf der zweiten Stufe verdichtet sich die Handlungsabsicht zu einer Selbstverpflichtung, deren Einhaltung die Moral fordert. Erst wer zusätzliche Erklärungen abgebe, habe die dritte Stu­ fe erreicht und sei auch rechtlich gebunden.30 Erst der Akt der Frei­ heitsübertragung macht bei Grotius also aus der moralischen eine rechtliche Bindung. Er ergänzt den materialen Wert der Versprechenstreue um ein neues, rechtliches Kriterium. Ein erheblicher Teil der Pflicht, sein Wort zu halten, sollte der Moral überlassen bleiben. Der Gedanke der Versprechenstreue bringt nicht zwingend einen Fort­ schritt an materialer Freiheit. Gerade ein Vergleich der Vertragslehre des Grotius mit dem römischen Recht zeigt dies plastisch. Das römische Recht kannte die inhaltliche Freiheit innerhalb des Aktionensystems nahezu schrankenlos an. Bezeichnend ist die Gestattung des invicem se circumscribere zumindest für die Höhe des Entgelts einer Leistung.31 Das grotianische Vertragsrecht baut dagegen maßgeblich auf dem Äquivalenzgedanken auf und nimmt so einen Teil der formal gewährten Freiheit inhaltlich wieder weg 32 33 Dasselbe gilt auch für die Kanonistik, welche neben dem pacta sunt servanda weitere, konkurrierende Pflichten kannte, auch den Vertragsinhalt betreffende Gerechtigkeitsideale, wie z. B. die laesio enormis?2 Man kann sogar von einem Verlust an wirtschaftlicher Gestaltungsfreiheit sprechen.

b) Natürliche Freiheit und Nützlichkeit Die Idee, aus der Freiheit die Geltung von Verträgen abzuleiten, kam erst spät auf. Es war Hugo Grotius, dessen Versprechenslehre auf die Entwick­ 29 Cicero, de officiis, Buch I, Kapitel 7 (23). 2QHugo Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel 11, § 4. 31 Die Übervorteilung des Vertragspartners ist an zwei Stellen gestattet worden: D. 4. 4. 16. 4 (Ulp. 11 ad ed.) sowie D. 19. 2. 22. 3 (Paul. 34 ad ed.). Zur Auslegung: Mayer-Maly, Privatautonomie und Vertragsethik im Digestenrecht, IVRA 6 (1955), S. 128-138. 32Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel 12, §§ 8-12. 33 Behrends, Treu und Glauben. Zu den christlichen Grundlagen der Willenstheorie im heutigen Vertragsrecht, in: Christentum und modernes Recht, S. 276 f.; zur lesio enormis als Figur der Legistik unten S. 178.

lung maßgebenden Einfluß hatte. Grotius benützte hierzu eine ältere, akzep­ tierte Form der Freiheit: die Eigentumsfreiheit. 34 Die Eigentumsfreiheit be­ inhalte das Recht, das Eigentum auch zu übertragen.35 Weshalb, so fragt er, sollte die Eigentumsübertragung nicht versprochen werden können? Ein ar­ gumentum a maiore ad minus und ein fragwürdiges dazu. Denn natürlich besteht ein Unterschied zwischen der Rechtsübertragung und dem Verspre­ chen, dies in Zukunft tun zu wollen. Es ist derselbe Unterschied, der die Aktualität von der Potentialität trennt. Im Falle der unmittelbaren Übertra­ gung ist der Gegenstand da, er ist greifbar. Ein Vertrag begründet dagegen lediglich die Hoffnung, einmal auf den Leistungsgegenstand zugreifen zu können. Grotius ist diese neue Qualität nicht entgangen. Deshalb spricht er auch nicht von der Veräußerung des Eigentums, sondern von der „Veräuße­ rung eines Teils unserer Freiheit“.36 Nun ist der Weg frei zu einem umge­ kehrten Schluß. En passant und a minore ad maius folgert Grotius, daß ne­ ben der Übertragung von Eigentum auch weitere Handlungen versprochen werden können. Im Zentrum der Überlegung steht eine Freiheitsvorstellung, die nicht nur scharf abgegrenzt, sondern auch fragmentiert und übertragen werden kann. Diese Vorstellung von Freiheit als ein partiell übertragbares Rechtsgut sollte Karriere machen. Auch in der Folgezeit, während der Aufklärung, wurde die Versprechen­ streue mit der Freiheit verknüpft. Die Freiheit entwickelte sich zu einem ei­ genständigen materialen Wert und konnte sich schließlich sogar von der Versprechenstreue ganz lösen. Am Ende der Entwicklung hatte sich das Verhältnis von Freiheit und Treue vollständig umgekehrt. Nicht der Grund, wohl aber eine wichtige Voraussetzung hierfür war der eingangs bereits an­ gesprochene Wandel in der Freiheitsvorstellung. Die begriffliche Entwick­ lung wäre ohne größere Folgen für das Recht geblieben, wäre die Freiheit nicht von der Naturrechtslehre aufgegriffen worden, um die Denkfigur des natürlichen Zustands mit Inhalten zu füllen. Das Naturzustandstheorem war eine originäre Schöpfung des posttheologischen Naturrechts. In ihm ver­ schmolz der Naturalismus der aufkommenden Naturwissenschaften mit den Ansprüchen, die eine aufgeklärte Zeit an die Vernunft richten zu können glaubte. Der Naturzustand konnte unter den Bedingungen der Rationalität nur als ein Zustand der Freiheit gedeutet werden. Hobbes wirkte hier vor­

34 Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen; Lipp, Die Bedeutung des Naturrechts für die Ausbildung der allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts, S. 136­ 141; Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vemunftrechts, S. 11-13. 35 Grotius geht von einer Rechtsordnung aus, in der Eigentum bereits durch die Ver­ pflichtungserklärung übertragen wird, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel 11, § 1. ^6Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel 11, § 4.

bildgebend.37 Die richtungsweisenden deutschen Naturrechtsdenker der Aufklärung sahen das im Grunde nicht anders.38 Selbst das der ständischen Gesellschaft verpflichtete preußische Allgemeine Landrecht erwähnt eine natürliche Freiheit in § 83 der Einleitung.39 Frei und gleich sei der im Na­ turzustand befindliche Mensch; Herrschaftsverhältnisse sollten folglich als Produkt einer freien Vereinbarung aller Betroffenen gedacht werden - so lauteten weitgehend übereinstimmend die präsentierten Lösungen. Im Detail trennten sich freilich die Wege. Hobbes hatte einen Gesellschaftsvertrag vorgedacht, der dem Herrscher nur wenig Pflichten und dem einzelnen kaum Rechte gewährte. Während Hobbes’Theorie des Gesellschaftsvertrags schnell aufgegriffen wurde, mochte sich seinen praktischen Folgerungen niemand anschließen. Locke etwa sah es genau umgekehrt. Der Staat ist bei ihm „organisierte Grundrechtspflege “.40 Damit waren zwei kontradiktori­ sche Aussagen derselben Grundidee entsprungen. Den Denkern der deut­ schen Aufklärung behagten beide Wege nicht recht. Sie stellten dem Gesell­ schaftsvertrag einen Herrschaftsvertrag zur Seite. Eine „Sackgasse“, wie Kersting urteilt?41 Dieses vernichtende Urteil kann bestenfalls für die Idee der kontraktualistischen Herrschaftslegitimation gelten, deren erkennt­ nistheoretischer Gewinn tatsächlich durch den vertikalen Herrschaftsvertrag in Frage gestellt wird. Doch der Grund lag tiefer. Während die englischen Denker zu individualistischen Betrachtungen neigten, ging im deutschen Naturrecht namentlich Samuel Pufendorf von einer natürlichen Anlage des Menschen zur Sozialität aus.42 Auch betrachtete man hierzulande die Natur weit weniger mechanistisch; selbst anthropologischen Erwägungen stand man aufgeschlossen gegenüber. Aus der Idee des Naturzustands wurde ein Naturrechtszustand, den überwunden zu haben nicht mehr das Maß aller Dinge sein konnte. Nicht nur staatsrechtliche, auch zivilrechtliche Bindungen harrten der ra­ tionalen Begründung. Als erster Gedanke drängt sich der einer Analogie auf: Wenn der einzelne durch Vertrag seine Freiheit umfassend der Gesell­ schaft oder dem Staatswesen übereignen kann, dann müßte ihm das in ge­

37 In Hobbes' Naturzustand haben „alle ein Recht auf alles“, d.h. die umfassende „Frei­ heit, etwas zu tun oder zu unterlassen“, Leviathan, ch. 14. 38 Übersicht: Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 217-249. 39 „Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freyheit, sein eignes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Andern, suchen und befördern zu können.“ ^Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 125. 41 Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 221. 42 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 139-141; ders., Die Naturrechtsleh­ re Samuel Pufendorfs, S. 40-44; Hügli, Art. Naturrecht IV, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Sp. 590.

ringerem Umfang und inter partes doch auch möglich sein. Diese Argu­ mentation ist nicht ohne Tücken. Der Gesellschaftsvertrag ist, anders als der zivilrechtliche Vertrag, eben kein empirischer Tatbestand, sondern ein Theorem. Er ist ein Produkt der Vernunft, nicht einer Willenserklärung. Dennoch ist es bezeichnend, daß als Kategorie der Vernunft ein Vertrag be­ nutzt wurde. Die Bindung durch Vertrag wurde als etwas Natürliches ange­ sehen. Gerade in der Staatstheorie neigte man dazu, den Gesellschaftsver­ trag an faktische Verträge sehr weit anzunähern. Da finden sich Spekulatio­ nen über einen stillschweigenden Abschluß des Gesellschaftsvertrags und selbst die generationenübergreifende Bindung wollten einige explizit geklärt wissen.43 Vor allem ist die Funktion vergleichbar. In beiden Fällen soll der Mensch als frei und gebunden zugleich gedacht werden. Berühmt wurde Fichtes Abhandlung über die Französische Revolution, in welcher er diese als Kündigung des Gesellschaftsvertrags verstanden und - unter anderem mit zivilrechtlichen Prinzipien legitimiert hatte.44 Erstmals ähneln sich bei Pufendorf zivil- und staatsrechtliche Legitimati­ onsbemühungen. Mittels empirischer Nützlichkeitserwägungen erklärt Pu­ fendorf die soziale Natur des Menschen 45 Sein Vertragsrecht ist die Fortset­ zung dieses Gedankens. Er erwähnt den Nutzen des Güter- und Dienstlei­ stungsverkehrs, der sonst nicht ausgeschöpft werden könne. Vor allem aber warnt er vor Nachteilen, die entstünden, wenn kein Mensch bei der Verfol­ gung eigener Ziele auf die Unterstützung anderer Menschen bauen könne.46 Dem empirischen Befund folgt eine rationale Ableitung der Vertragsgel­ tung. Voraussetzung für die verpflichtende Wirkung von Verträgen sei der Selbstbindungswille der Person. Da ein Vertrag regelmäßig mit einer Bela­ stung einhergehe, so sein Gedankengang, könne nur die freiwillige Zustim­ mung den Menschen binden 47 Mit der freien Selbstbestimmung führt Pu­ fendorf ein neues Element in sein Naturrecht ein. Es bleibt aber eingebun­ den in die soziale Natur des Menschen. Freiheit ist nicht Ungebundenheit; Pufendorfs Freiheit ist ein sozialer, kein individualistischer Wert.48 Nur ver­

43 Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahr­ hunderts, S. 43-48. ^Fichte, Beiträge zu einer Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution; als politisches Streitschrift anonym publiziert 1793. 45Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo, lib. II, cap. 3, § 15. ^Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo, lib. III, cap. 4, §§ 1 f.; ders., De offi­ cio hominis et civis iusta legem naturalem, cap. 9, § 3; vgl. Diesselhorst, Zum Vermögens­ rechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 25 f., 53 f. ^Pufendorf, De officio hominis et civis iusta legem naturalem, Kapitel 9, § 8. 48 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 132 f. und 140-142; ders., Die Na­ turrechtslehre Samuel Pufendorfs, S. 20-25 und 49.

bunden mit der Pflicht der friedlichen Sozialität gegenüber anderen kommt ihr eine eigenständige Bedeutung zu. Der Vertrag vermittelt hier. Das gilt für das Privatrecht; das gilt aber vor allem für gesellschaftliche und staatli­ che Herrschaftsverhältnisse. In der Methode schwankt Pufendorf zwischen einer empirischen Erläuterung überkommener Naturrechtsanschauungen und rationalen Deduktionen.49 Diese Durchmischung kennzeichnet seine ganze naturrechtliche Lehre. Dafür ist er nicht selten kritisiert worden. Praktisch hat sich dieser Ansatz aber durchaus bewährt. So war es Pufendorf möglich, individualethische Zwecke mit sozialethischen Werten zu kombinieren und, etwa in Fragen der Erklärungshandlung und des Erklärungsirrtums, gegen­ einander abzuwägen. Selbst die Idee der Äquivalenz vermochte er in ein formales System freier Willenserklärungen einzubauen. Im späten 18. Jahrhundert wurde es geradezu Mode, das Zivilrecht von der natürlichen Freiheit eines Naturzustandes aus gedanklich zu (re-)konstruieren. Die Fähigkeit zu vertraglicher Bindung wurde aus der natürlichen Freiheit abgeleitet, indem die natürliche Freiheit entweder als partiell über­ tragbar oder als zugunsten anderer beschränkbar angesehen wurde. Der Ge­ danke der Freiheitsdeduktion setzt freilich voraus, daß im gesellschaftlichen und selbst im staatlichen Zustand diese Freiheit nicht aufgegeben wurde. In seinem „Versuch über die Rechtsgelahrheit“ führt Tevenar aus: „Die Men­ schen haben durch Einführung der Oberherrschaft, und einer Regierungs­ form, von welcher Beschaffenheit auch solche seyn mag, nicht die Gewalt verloren, über ihre eigenen Geschäfte, über ihre Person, und Vermögen, in so weit die gemeine Wohlfahrt dadurch nicht gekränket wird, Gesetze zu machen; sondern nur die Freyheit aufgegeben, ihre eigenen Richter zu seyn.“50 Wer Verträge nicht einhielt, geriet schnell in Verdacht, den Ver­ tragspartner in dessen natürlicher Freiheit beschränkt zu haben. Ludwig Ju­ lius Friedrich Höpfner, der wohl bekannteste Zivilrechtler des ausgehenden 18. Jahrhunderts, begründete das so: „Denn sobald ich einen Vertrag einge­ he, so will ich, daß auf den andern ein Recht übergehe [...]; es geht also wirklich auf ihn über, und das Objekt des Vertrags ist nicht mehr mein, son­ dern dem andern; ich entziehe folglich diesem etwas von dem Seinen, wenn ich den Vertrag nicht halte, ich beleidige ihn.“51 Die Bindung an eine ver­ tragliche Vereinbarung wurde Teil des natürlichen Zustands, den zu vertei­ digen auch der Staat aufgerufen war52 Einschränkungen der vertraglichen 49 Die rationale Deduktion beleuchtet: Diesselhorst, Zum Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, S. 4—6. 50 Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, Einleitung des II. Teils (S. 143). 51 Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaft und der Völker, § 64. 52 Die Verteidigung der privatrechtlichen Vereinbarung wird bezeichnerderweise wieder­ um aus Vertrag abgeleitet: in staatsrechtlichen Verträgen werde der „Oberherr“ verpflichtet,

Bindung bleiben möglich, mußten aber, wie alle Freiheitsschranken, durch höherrangige Gesichtspunkte legitimiert werden. Die überkommenen Schranken der Vertragsbindung wurden einer Nützlichkeitskontrolle unter­ zogen. Andere Werte traten dagegen zurück. Anläßlich der laesio enormis verschwendeten weder Tevenar noch Höpfner einen Gedanken an den mo­ ralischen Gehalt der Äquivalenz. Für Tevenar ist allein maßgebend, daß die Wertermittlung schwierig und zweifelhaft ist, „weshalb gemeiniglich über die Restitutionsprocesse, wegen einer Verletzung, weitläufige, mißliche, und kostbare Processe entstehen“. Deshalb, so sein Schluß, sei es „der ge­ meinen Wohlfahrt zuträglicher“, wenn man auf dieses Rechtsinstitut ver­ zichte.53 Das Naturzustandstheorem war geeignet, das vertragsrechtliche Denken zu revolutionieren. Die Rechtsgeschäftslehre konnte plötzlich ohne gesetzli­ chen Akt gedacht werden. Der in dieser Zeit aufkeimende Streit, ob die Bindung des Versprechenden dem Vertrag und damit unmittelbar seinem Versprechen entspringt oder erst noch eines Rechtssatzes bedarf, ist erst vor diesem Hintergrund verständlich. Praktisch wichtiger war das allgemeine Bestreben, wenigstens einen Teil der natürlichen Freiheit in den Zustand der Gesellschaft und des Staates hinüberzuretten.54 Eine Einschränkung sollte nur durch höherrangige Gesichtspunkte erfolgen. Im vorkritischen Natur­ recht zählten Glückseligkeit, allgemeine Wohlfahrt oder auch schlichte Nützlichkeit zu den freiheitsbeschränkenden Kriterien. Im Staatsrecht war diese Argumentation durchaus ambivalent. Die Freiheit ließ sich unter Hin­ weis auf gesellschaftsrelevante Belange fast völlig nehmen. Das Zivilrecht mit seiner inter-partes-Wirkung war diesen Schranken aber nur begrenzt ausgesetzt. Eine Nützlichkeitskontrolle mußte hier der Liberalisierung sogar entgegenkommen 55 Die Annahme Pufendorfs, der Mensch sei als persona moralis mit einer spezifischen Moral begabt, mochte hier noch Grenzen zie­ hen. Je mehr aber die Natur des Menschen als rein physisches Faktum be­ griffen wurde, um so mehr verabschiedeten sich die überkommenen Moral„dem Bürger Sicherheit gegen Beleidigungen zu verschaffen“, Höpfner, Naturrecht des ein­ zelnen Menschen, der Gesellschaft und der Völker, § 182. 53 Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, III. Teil, I. Hauptstück, Kapitel 7 (S. 359). 54 Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaft und der Völker, §§ 38­ 43; etwas allgemeiner A. D. Weber, Systematische Entwickelung der Lehre von der natürli­ chen Verbindlichkeit, § 58; vgl. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, S. 124-131. 55 Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, III. Teil, I. Hauptstück, Kapitel 7 (S. 358): „Die gemeine Wohlfahrt erfordert die Erfüllung der Zusagen; damit öffentliche Treue und Redlichkeit, das gegenseitige Vertrauen befestiget, und das Beste der Gesellschaft befördert werde. Credit, Treue und Glauben gründen sich auf den guten Namen, den sich einer durch die genaue Erfüllung seines Versprechens erworben hat.“

Vorstellungen. Freiheits- und Utilitätsbetrachtungen ersetzten schon in vor­ kritischer Zeit mehr und mehr die traditionellen Werte.

c) Die Selbstbindungskraft des freien Willens

Mit Kant wird gemeinhin eine Zäsur angenommen. In der Philosophiege­ schichte mag das unabdingbar sein; für das natürliche Privatrecht trifft es aber kaum zu. Die entscheidenden Fortschritte waren mit der Übernahme der natürlichen Freiheit in den Zustand des Rechts bereits erzielt. Vor wie nach Kant wurde gemeinhin ein Zustand natürlicher Freiheit vorgedacht. Es bürgerten sich nur andere Termini ein. Nun war oft von einem Urzustand und von Urrechten die Rede. Des weiteren wurde die Freiheit gern durch den Begriff der freien Willkür ersetzt. Letzteres mit einiger Berechtigung, wurden doch die materialen Voraussetzungen der vertraglichen Bindung unter vernunftkritischen Vorzeichen weiter ausgedünnt. Selbst Nützlichkeits- und Wohlfahrtsargumente fanden sich nun aus der ersten Reihe ver­ bannt. Aber auch dies traf auf Strömungen der Zeit, welche gerade in der Freiheit das Nützliche sahen. Eine echte Wende wurde durch Kant also nicht eingeleitet. Wohl aber wurde der Schritt hin zu einer materialen Gestal­ tungsfreiheit beschleunigt. Die Vertragslehre Kants hielt sich in vielem in den vorgefundenen Bah­ nen. Wie Grotius auch beginnt Kant seine zivilrechtlichen Überlegungen mit dem Eigentum. Ebenfalls grotianischen Ursprungs ist der Gedanke, den Vertrag als Akt einer Übertragung zu fassen. Gegenstand der Übertragung ist nicht die versprochene Leistung, sondern das Vermögen der Willkür - so wie Grotius die Freiheit in einzelnen Partikeln übertragen haben wollte. Schließlich verwendet Kant noch die seit Hobbes beliebte Denkfigur des „Naturzustands“. Damit enden aber auch die Parallelen. Kant liegt ein Natu­ ralismus ebenso fern wie eine empirische Sammlung bekannter Naturrechts­ sätze. Sein Ziel ist die allgemeingültige, von dem zufälligen Erfahrungs­ stand des einzelnen Menschen unabhängige Erkenntnis. Das Recht wird konsequent der empirischen Gesetzgebung und anderer erfahrungsabhängi­ ger Gegenstände entkleidet. Es bleibt ein Recht übrig, „das aus lauter Prin­ zipien a priori beruht“.56 Kant sind Wege verbaut, die Grotius noch be­ schritten hatte. Kants Naturrecht ist ein puristisches Gedankengebäude, in dessen Zen­ trum die „Freiheit der Willkür“ steht. Immanuel Kant formuliert den Vertrag als Akt der Übertragung - das wurde bereits angesprochen. Eine schlichte Entäußerung, wie sie von Grotius vorgedacht worden war, lag Kant aber fern. Denn ein zentrales Problem galt es aus vernunftkritischer Sicht zu 56 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 44 (= WWIV 345).

überwinden. Mit der Wucht des kategorischen Imperativs fordert Kant, daß Versprechen einzuhalten seien. Sein Appell richtete sich aber nicht an den Gesetzgeber, sondern an die selbstbestimmte Sittlichkeit des Menschen. Der soll sich autonom, aus freien Stücken, für die Erfüllung des Versprechens entscheiden. Nur das freie, autonome Handeln kann ein sittliches Handeln sein, so will es die kantische Ethik. Eine dem Zwang gehorchende Handlung soll dagegen, selbst wenn die Ergebnisse identisch sind und die Verträge eingehalten werden, nie den Anspruch des Moralischen erheben können. Es gibt also gute Gründe, den rechtlichen Zwang von der sittlichen Pflicht der Vertragstreue femzuhalten. Welchen apriorischen Grund gibt es aber, die sittliche Pflicht mit rechtlichem Zwang zu verbinden? Nur den, befindet Kant, die freie Willkür und damit die prinzipielle Möglichkeit moralischen Handelns dem anderen offen zu halten.57 Es gilt Freiheitssphären voneinan­ der abzugrenzen. Kant löst das Problem elegant, indem er den Vertrag von den einzelnen Versprechen emanzipiert. Der Vertrag ist laut Kant ein „Akt der vereinigten Willkür zweier Personen, wodurch überhaupt das Seine des einen auf den anderen übergeht“.58 Die Idee einer Vereinigung macht aus zwei Willen einen gemeinsamen. Mit Folgen. Wer sich vom Vertrag ab­ wendet, verletzt zwangsläufig den anderen Teilhaber der vereinigten Will­ kür. Nun fordert auch die von aller Empirie befreite, praktische Vernunft, daß die Erfüllung des Vertrages notfalls zu erzwingen sei. Die Idee der Ver­ einigung ermöglicht es zudem, den vertraglich gebundenen Willen unge­ achtet des rechtlichen Zwangs weiter als frei denken zu können. Normativ bleibt jeder Promittent beteiligt. Die Freiheit der Willkür wurde nicht auf­ gegeben, sie wurde übertragen auf die Gemeinschaft der Vertragspartner. Für das Staatsrecht wird dieser Gedanke wiederholt. Hier greift Kant die Idee des Gesellschaftsvertrags auf, „nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. i. des Volks als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzu­ nehmen“59 Die rechtliche Bindung ist nicht ein Ergebnis des rational moti­

57 Das Privatrecht wird wie folgt definiert: „Der Besitz der Willkür eines anderen, als Vermögen, sie, durch meine, nach Freiheitsgesetzen zu einer gewissen Tat zu bestimmen“, Kantj Metaphysik der Sitten, S. 97 (= WW IV 382). Die allgemeine Rechtsdefinition Kants lautet: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“, a.a.O., S. 33 (= WW IV 337). Kant, Metaphysik der Sitten, S. 98 (= WW IV 383). 59 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 199 (= WW IV 434). Vgl. a.a.O., S. 195 (= WW IV 432): „Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn, da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings nie­ mand unrecht tun können.“ Selbst das - von der Gesetzgebung ideal zu trennende - Staats­

vierten Willens sich vertraglich bindender Individuen, sondern eine Forde­ rung der praktischen Vernunft. Von Hobbes bis Locke, von Pufendorf bis Christian Wolff wird der Vertragsgedanke benutzt, um von Natur aus freie Menschen als gebunden denken zu können. Kant denkt genau umgekehrt. Kant sieht den faktisch gebundenen Menschen als frei an, sofern die bin­ dende Instanz den Forderungen der praktischen Vernunft gehorcht und im Sinne seiner Vertragsidee handelt. Das Ziel ist nicht die Legitimation der Bindung, sondern die praktische Aufhebung der falschen, heteronomen Bin­ dung. Weniger die Rechtslehre als vielmehr die einige Jahre zuvor entfaltete allgemeine Morallehre Kants erweckte die Aufmerksamkeit der Zeitgenos­ sen. Der Wille, nicht die konkrete Tat sollte über den Wert einer Handlung entscheiden, so lautet der Gedanke Kants. Demnach fordere die praktische Vernunft die Autonomie des Willens, „d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“.60 Noch bevor Kant in der „Metaphysik der Sitten“ seine Rechtslehre niederlegen konnte, hatten andere seine Moralleh­ re auf das Recht angewandt. Der Gedanke, daß der Wille nur dann absolut gut sein könne, wenn er von äußeren Beschränkungen möglichst frei gehal­ ten werde, führte anfangs freilich zu einigen Irritationen. Der Schritt, die Bindung der Verträge gleich ganz zu negieren, lag nahe. Theodor Schmalz etwa reduzierte konsequent das Vertragsrecht auf den Aspekt der Erhaltung der Freiheit. Pflichten werden nur in Kollision mit der Freiheit anderer be­ gründet. So weit dachte er durchaus in den Bahnen Kants. Doch das Ergeb­ nis ist konträr: Durch die schlichte Erklärung sollten keine Pflichten entste­ hen. Die Freiheit anderer sei erst beeinträchtigt, teilt Schmalz mit, wenn sie im Vertrauen auf den Vertrag durch konkrete Handlungen ihre eigenen Freiheitsrechte geschmälert61 oder gar vorgeleistet hätten.62 „Wenn aber auf Oberhaupt solle „nach Freiheitsgesetzen betrachtet, kein anderer als das vereinigte Volk selbst sein“. 60Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 98 (= WW IV 81). 61 Schmalz, Das reine Naturrecht, § 118: „Nur wenn durch Abgehen des einen vom Ver­ trage der andre einen Schaden an seinem Urrecht leidet: so ist der erste zum Ersatz desselben verbunden. Denn der Leidende hatte ein Recht, dem Worte des andern zu glauben, und im Zutrauen auf ihn Anstalten zu treffen. Wenn also durch die Nichterfüllung diese Anstalten und Unkosten vergeblich gemacht sind, so ist er wider Willen zu handeln, wider Willen sein Eigenthum hinwegzugeben, bestimmt, also als bloßes Mittel gebraucht, welches wider äusse­ res vollkommnes Recht ist. [...]“ 62 Schmalz, Das reine Naturrecht, § 115: „Ist aber eine Sache gegeben worden, hat der Versprechende sie wirklich abgetreten (§ 87), der Annehmende aber sie wirklich occupirt und so an sein Urrecht geknüpft: so ist es moralisch unmöglich, vom Vertrage abzugehen.“ § 116: „Der wortbrüchige Annehmer der Leistung hat also den, der redlich leistete, wider seinen eigenen Willen handelnd oder gebend gemacht, und also gegen seine äussere vollkommne Pflicht gehandelt.“

einen Vertrag hin noch keine Leistung geschehen, sondern nur zukünftige Leistungen versprochen sind: so bleibet an sich beyden Theilen frey, ihren Willen auch wider Willen des andern zu ändern. Denn der Gegenstand der Leistung ist noch nicht an das Urrecht des andern geknüpft; dieses kann also auch nicht durch die Nichthaltung verletzt werden.“63 Schmalz fand bereits ein Jahr nach der Publikation seiner Naturrechtsleh­ re einen noch heute bekannten Befürworter, Johann Gottlieb Fichte. Ange­ regt durch die Französische Revolution, insbesondere anläßlich der Hin­ richtung des französischen Königs Ludwig XVI., macht sich Fichte 1793 Gedanken über den Gesellschaftsvertrag und - en passant - auch über zivil­ rechtliche Verträge. Den Gesellschaftsvertrag bezeichnet er als eine „fort­ dauernde Verbindung zu gegenseitigen Leistungen“.64 Fichte ist geneigt, dem Gesellschaftsvertrag mit allgemeinen Vertragsgrundsätzen zu Leibe zu rücken. Hierzu macht er Ernst mit der kantischen Autonomie. Recht sei Zwang und damit der sittlichen Selbstbindung grundsätzlich entgegenge­ richtet; das Recht habe allein den Zweck, die für sittliches Handeln notwen­ dige Freiheit des Willens zu gewährleisten. Aus diesen durchaus kantischen Grundsätzen folgt für Fichte, daß der Vertrag keine natürliche Bindung für sich in Anspruch nehmen kann. Dennoch spricht er dem freien Willen die Fähigkeit der vertraglichen Selbstbindung zu 65 Der Wille sei aber, so sein revolutionsfreundliches Urteil, auflösend bedingt. Bereits die bloße Wil­ lensänderung soll die rechtliche Bindung zum Erlöschen bringen 66 Ziel des Rechts sei es eben, sittlich selbstbestimmtes, autonomes Handeln zu ermög­ lichen. Binde sich jemand unbedingt für die Zukunft, so nehme er sich im Wirkungsbereich dieser Bindung die Möglichkeit der sittlichen Handlung. Damit zerstöre er, was Grundlage seiner umfassenden Freiheit sei.67 Die 63 Schmalz, Das reine Naturrecht, § 117. ^Fichte, Beiträge zu einer Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution, in: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (= AA), Abt. I, Bd. 1, S. 264. 65 Fichte, AA, Abt. I, Bd. 1, S. 261: „Wenn über natürliche Menschenrechte kein Vertrag Statt findet, wie er denn nicht Statt findet; so bekomme ich durch Vertrag auf jemanden ein Recht, das ich nach den bloßen Vemunftgesetzen nicht hatte, und er gegen mich eine Ver­ bindlichkeit, die er nach diesem Gesetze eben so wenig hatte. Was ist es, das ihm diese Ver­ bindlichkeit auflegt? Sein Wille; denn nichts verbindet, wo das Sittengesetz schweigt, als un­ ser eigner Wille. Mein Recht gründet sich auf seine Verbindlichkeit; mithin zuletzt auf seinen Willen auf den diese sich gründet.“ 66Fichte, AA, Abt. I, Bd. 1, S. 261-264 und 300. 67 Fichte, AA, Abt. I, Bd. 1, S. 301: „Die Willkür an sich, sofern und weil sie da ist, ist vom verbindenden Vemunftgesetze völlig befreit; ihre Richtung hängt ab von physischen Ur­ sachen, die das Maas unsrer Einsichten bestimmen. Ich ergreife die Entschließung, die mir jedesmal die nüzlichste und zuträglichste scheint, und ich habe durch die Erlaubniß des Sit­ tengesetzes dazu das vollkommenste Recht. Meine Willkür ändert sich notwendig, so wie

Begründung ist auf andauernde und umfassende Vertragsverhältnisse abge­ stimmt. Das ist angesichts der politischen Intention Fichtes auch durchaus richtig. Fichte hatte aber keinen Anlaß, den in punktuellen Leistungen sich erschöpfenden Vertrag zu erschüttern. Gleichwohl erklärt er apodiktisch: „Es ist ein unveräußerliches Recht des Menschen, auch einseitig, so bald er will, jeden seiner Verträge aufzuheben.“68 Die Transzendierung der Freiheit konfrontierte die Zeitgenossen mit zwei Extrempositionen. Auf der einen Seite konnte mit dem Argument der freien Willkür jede temporale Bindung verweigert werden. Gelang es dagegen, die Willkür mit dem Gedanken der Bindung zu versöhnen, so mußte das Pendel in das Gegenteil ausschlagen. Das liegt in der Logik der transzendentalen Überhöhung der Freiheit. Während die Versprechenstreue sich immer wie­ der in der konkreten Situation legitimieren und durchsetzen mußte, ist die Freiheit aus sich heraus bereits legitimiert. Die Versprechenstreue konkur­ rierte als ethische Kategorie zudem mit anderen ethischen Vorstellungen. Die Freiheit konnte allenfalls mit einer anderen transzendentalen Idee kolli­ dieren. Die aus der vereinigten Willkür deduzierte Bindung vermag jedoch, von jeder Empirie befreit, inhaltliche Schranken nicht mehr anzugeben. Ins­ besondere konnte ein Wertungswiderspruch mit überkommenen morali­ schen Anschauungen das der Freiheit entsprungene Vertragsgefüge nicht mehr erschüttern. Die frühen Kantianer Christian Weiß, Karl Ludwig Pörschke, Franz v. Zeitler und Anton Bauer beschritten diesen Weg.69 Der Gedankengang ist im Grunde immer derselbe. Die freie Willkür wird, wie bei Kant, zum zentralen ursprünglichen Recht erklärt. Anschließend werden die Grundprinzipien des Rechts herausgearbeitet. Das erste Prinzip lautet, daß die Freiheit eingeschränkt werden muß, um die Freiheit anderer nicht zu meine Einsichten ab- oder zunehmen. Das Versprechen, sie nicht zu ändern, wäre ein Ver­ sprechen, seine Einsichten nicht zu vermehren und zu vervollkommnen. Ein solches Verspre­ chen aber darf kein Mensch geben. Jeder hat die Pflicht, mithin auch das unveräußerliche Recht, in's Unendliche an seiner Vervollkommnung zu arbeiten, und seinen besten Einsichten jedesmal zu folgen. Er hat demnach auch das unveräußerliche Recht, seine Willkühr nach dem Grade seiner Vervollkommnung abzuändem; keineswegs aber das Recht, sich zu ver­ binden, daß er sie nie ändern wolle. Die Klausel in einem Vertrage, von welcher Natur er auch sey, daß er unabänderlich seyn solle, ist demnach völlig leer und nichts bedeutend, weil sie gegen ein unveräußerliches Menschenrecht verstößt; es ist völlig so gut, als ob sie nicht da wäre.“ 68Fichte, AA, Abt. I, Bd. 1, S. 300. 69 Weiß, Lehrbuch der Philosophie des Rechtes, Leipzig 1804, § 47; Pörschke, Vorberei­ tungen zu einem populären Naturrechte, Königsberg 1795, 88 f.; Zeiller, Das natürliche Pri­ vat-Recht, Wien 1802, § 42 f.; Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, Marburg 1808, §§ 91-97; vgl. noch Zachariä, Anfangsgründe des philosophischen Privatrechtes, Leipzig 1804, §§ 2,3, 24; Mellin, Grundlegung zur Metaphysik der Rechte oder der positiven Gesetzgebung, Züllichau 1796, §§ 165,169-171.

vernichten.70 Inhaltliche Aussagen werden einer Verallgemeinerung dieses Gedankens entnommen. Konkret soll sich jede Schranke der individuellen Freiheit, auch der Vertragsfreiheit, aus einer Kollision mit der verallgemei­ nert gedachten Freiheit ergeben. Selbst die Pflicht der Wahrhaftigkeit, aus der einmal die Vertragstreue entstanden war, ist keine ursprüngliche Pflicht. Sie entspringt eben nicht unmittelbar der Freiheit, sondern muß über die Ge­ sellschaft hergeleitet werden.71 Die Freiheitsabgrenzung soll, so das zweite Prinzip, nach dem Grundsatz der Gleichheit vonstatten gehen. Jedem soll die Achtung der gleichen Freiheitssphäre zukommen 72 Das heißt, daß jeder einer Einschränkung seiner Freiheit nach Vernunftgesetzen zustimmen kön­ nen muß. Ob er das faktisch tut, ist freilich eine andere Frage. Weiß formu­ liert das Prinzip wie folgt: „Bei jedem Verkehre zwischen mehreren Perso­ nen kann Keiner den Andern nach eignem Belieben allein, oder einseitig, sondern nur mittelst der freien Einwilligung des andern Theiles, zu irgend einer rechtlich möglichen Handlung bestimmen.“73 In der Konsequenz die­ ser beiden Prinzipien war jede Vereinbarung - sofern sie formal auf einen Akt freier Willkür zurückgeführt werden konnte - voll bindungsfähig. Weiß postuliert für den Vertrag, „daß ein Jeder sich der Objekte desselben [des Rechts] zwar nur unter den Schranken gesetzlicher Gleichheit und willkürli­ cher Übereinkunft, aber doch dann mit der völligen Ungebundenheit des freien Beliebens bedienen könne“.74 Selbst vor unmoralischen Vertrags­ pflichten schreckte Pörschke nicht zurück: „Das Bürgertum sorgt nicht für ihre mit der ganzen Welt nicht zu bezahlende, unsichtbaren Seelen, sondern nur für das, was eine Taxe hat, was sichtbar ist [...] Als bloße Bürger kämp­

70 Pörschke^ Vorbereitungen zu einem populären Naturrecht, S. 89; Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, §§ 38 f. und § 44; Weiß, Lehrbuch der Philosophie des Rechtes, §§ 75, 130; et­ was anders Mellin: Das Versprechen sei eine Sache, das Vertragsrecht wie das Eigentums­ recht zu entwickeln: Mellin, Grundlegung zur Metaphysik der Rechte oder der positiven Ge­ setzgebung, §§ 165,169-171. 71 Weiß, Lehrbuch der Philosophie des Rechtes, §§ 59,126 f.; Zeiller, Das natürliche Pri­ vat-Recht, § 95; Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 100; Zachariä, Anfangsgründe, § 81. Weiß a.a.O., § 59: „Wahrhaft in allen Aeusserungen zu seyn und die Lüge zu meiden, ist zwar unbedingte Pflicht eines Jeden [...] Allein als ursprüngliche Rechtspflicht könnte die Wahrheit nur dann aufgeführt werden, wenn bewiesen wäre, daß durch Unterlassung dersel­ ben der beliebige Gebrauch der Willkühr oder die äußere Freiheit gehindert werden; und dieß ist hier so wenig als bei Verletzung der äußern Ehre der Fall. Wir kennen also kein Urrecht auf Wahrheit.“ 72Bauer, Naturrecht, §§ 44 f.; Zachariä, Anfangsgründe, §§ 30,38. 73 Weiß, Lehrbuch der Philosophie des Rechtes, § 130. 74 Weiß, Lehrbuch der Philosophie des Rechtes, § 237; vgl. noch Pörschke, Vorbereitun­ gen zu einem populären Naturrecht, S. 158-160.

fen wir nur gegen den Einbruch in unsre Grenzen, aber nicht gegen die Feinde der Weisheit und innern Glückseligkeit.“75 Am einfachsten wäre es natürlich gewesen, die Geltung und Bindung von Verträgen schlicht über das staatliche Recht zu begründen, wie dies Gustav Hugo vorschwebte.76 Doch würde dies den Rückzug des ganzen zivilistisehen Naturrechts bedeuten, eine Konsequenz, die erst ab der Jahrhundert­ mitte gezogen wurde. Einstweilen genoß die von Kant in die Rechtslehre eingebrachte freie Willkür eine große Anziehungskraft. Die Idee einer ver­ einigten Willkür wurde zwar nur selten rezipiert; die darin enthaltene ältere Annahme einer Übertragung von Freiheitsrechten wurde aber nahezu All­ gemeingut. Zeiller sprach von einer Rechtsübertragung; Rotteck vertrat die Idee einer Entsagung von Freiheitsrechten, und Pölitz bevorzugte die Selbstbeschränkung 77 Friedrich Carl v. Savigny ist in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall. Zwar bevorzugt auch er den Gedanken der Freiheitsübertra­ gung zur Erklärung vertraglicher Bindung, doch weigert er sich, dies über Urrechte zu begründen, wie es vornehmlich die frühen Kantianer getan hat­ ten. 78 Überhaupt will Savigny die Urrechte von seiner zivilrechtlichen Leh­ re fernhalten.79 Eher den vorkritischen Termini verhaftet, erwähnt er die „natürliche Freiheit der Person“. Eine natürliche Geltung von Verträgen leitet er hieraus nicht ab. Der Vertrag soll diese Freiheit vielmehr künstlich aus weiten: „Durch beide Arten der Rechte also, das Eigentum wie die Obli­ gation, wird die Macht der berechtigten Person nach außen, über die natürli­ chen Gränzen ihres Wesens hin, erweitert.“80 Bei Savigny fehlt der Gedanke der Allgemeinheit, der es den kantischen Naturrechtsdenkern ermöglicht hatte, den einzelnen zu binden und die Freiheit im Ganzen dennoch unan­ getastet zu lassen. Auch den Gedanken der Willkürvereinigung, die Lösung Kants, sucht man vergebens. Wer nun ein inhaltlich gebundenes Freiheits­ konzept im Sinne des vorkritischen Naturrechts erwartet, wird ebenfalls enttäuscht. Savigny trennt dem Zeitgeist entsprechend konsequent zwischen 75 Pörschke, Vorbereitungen zu einem populären Naturrecht, S. 167 f.. ^^Hugo, Lehrbuch des Naturrechts, Berlin 1819, §§ 335 f. 77 Zeiller, Das natürliche Privatrecht, §§ 94 f.; Rotteck, Lehrbuch des Vemunftrechts und der Staatswissenschaften, Stuttgart 1829, § 28; Pölitz, Die Staatswissenschaften im Lichte un­ serer Zeit, Leipzig 1823, § 22. 78 Savigny, Das Obligationenrecht, Bd. 1, Berlin 1851, § 2, S. 5; ders., System des heuti­ gen Römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840, § 53, S. 339. 79 Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 335 und 344. 80 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 339. Vgl. ders., Das Obli­ gationenrecht, Bd. 1, § 2, S. 5: „Auf der einen Seite erscheint die persönliche Freiheit erwei­ tert über ihre natürliche Gränze hinaus, als Herrschaft über eine fremde Person; auf der ande­ ren Seite erscheint die natürliche Freiheit eingeschränkt, als ein Zustand der Unfreiheit oder Nothwendigkeit.“

Recht und Moral. „Das Recht dient der Sittlichkeit“, hält er fest, „aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen inwohnenden, Kraft sichert.“81 Für das Familien­ recht sieht er das zwar schon wieder anders, doch angesichts des Vertrags kann er festhalten: „Der Stoff der Obligation ist willkürlicher Natur.“82 Von Kant und seinen frühen Epigonen blieben zwei Gedanken. Zum ei­ nen übte die Idee einer erfahrungsunabhängigen, dem Zufall entzogenen und damit allgemeingültigen Erkenntnis eine ungebrochene Anziehungskraft aus. Das an der freien Willkür ausgerichtete, unter vernunftkritischen Be­ dingungen gestaltete Recht ließ sich aber kaum näher ausgestalten. Die bei­ den Extrempositionen zu der Frage der bindenden Wirkung vertraglicher Vereinbarungen zeigen bereits, wie schwer es wurde, konkrete Aussagen abzuleiten. Dennoch stehen wir vor dem Phänomen, daß die Vernunftkritik gerade im Zivilrecht eine wahre Welle naturrechtlicher Betrachtungen aus­ löste. Es war vor allem die kantische Trennung von Recht und Moral, so der zweite bleibende Gedanke, die den Weg wies. Versuche einer Trennung gab es schon zuvor. Das Naturrecht, das Recht wie es sein sollte, war aber bis­ lang mit den moralischen Anforderungen wenigstens teilidentisch. Wer dem Recht einen Freiraum sichern wollte, der leitete folglich immer auch den Rückzug der Moral ein. Die konsequente Trennung von juridischer und mo­ ralischer Pflicht, wie sie in der Metaphysik der Sitten entfaltet wurde,83 än­ derte die Situation grundlegend. Zwischen Rechtswissenschaft und rechts­ bezogener Moralphilosophie schob sie eine eigenständige Rechtslehre. So konnte vollständig zwischen moralischen und rechtlichen Anforderungen getrennt werden, ohne auf das geltende Recht in dessen zufälliger Gestalt Bezug nehmen zu müssen. Gerade für das Vertragsrecht ist dies keine bloße Gedankenspielerei. Die Pflicht, wonach Versprechen einzuhalten sind, fand sich plötzlich in die Tugendlehre verbannt. Auf Seiten der Rechtslehre wur­ de dagegen ein völlig eigenständiges Vertragsrecht angedacht. Der Wechsel von der Treue zur Freiheit brachte den Übergang von der überkommenen Versprechens- zur Vertragslehre. Vor allem brachte er aber die materiale Gestaltungsfreiheit. Grenzen für vertragliche Bindungen aufzustellen war wenig populär zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der vernünftige Mensch hatte nicht nur für sein sittliches Wohl autonom zu sorgen, sondern auch für sein wirtschaftliches. „Wenn aber Klugheit und Weisheit nicht zu helfen

81 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 332. 82Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 343. Noch deutlicher a.a.O., S. 371: „Es bleibt also demnach wahr, daß dem Vermögensrecht als einem privatrechtlichen Institut kein sittlicher Bestandteil zuzuschreiben ist [...]“ 83 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 6 (= WW IV, S. 318), S. 14 f. (= WW IV, S. 324).

vermögen?“ fragt Pörschke84 und antwortet zynisch: „Dann ist es besser, die Armen als die Gerechtigkeit umkommen zu lassen.“ Den Armen untergehen zu lassen ist auch bei Savigny dem Gläubiger gestattet, doch verweist Sa­ vigny wenigstens auf das öffentliche Recht, welches dem Schuldner helfen könne 85 86 Natürlich gab es auch kritische Stimmen. Gottlob Ernst Schulze9,6 be­ mängelte schon 1813, inmitten der Euphorie der frühen Kantianer, die Tren­ nung von Recht und Moral. Vehement sprach er sich für die ethische Pflicht der Versprechenstreue auch im Recht aus. Später zog auch der konservative Philosoph Friedrich Julius Stahl die Treue zur Begründung vertraglicher Verbindlichkeiten heran.87 *In* der Jahrhundertmitte gab es sogar eine kleine Naturrechtswelle, die wieder verstärkt auf empirische Erfahrung setzte. Ge­ meinhin trat nun die Vertragstreue wieder als ethisches Moment stärker her­ vor. So bei Karl David August Röder" und Friedrich Adolph Schilling." Lediglich Leopold August Warnkönig, bis dahin aufgefallen als Vertreter der historischen Rechtsschule, neigte der Ansicht von Schmalz zu.90 Mit der Treue kamen auch andere Werte zurück und mit diesen weitere Schranken der vertraglichen Freiheit.91 Einer großen Beachtung konnten sich diese späten Naturrechtslehren ge­ nausowenig erfreuen wie eines nennenswerten methodischen Ansatzes. Als eklektizistisch wurden sie ab wertend beschrieben, und so sahen sie sich zum Teil auch selber. Einen großen Einfluß haben sie weder auf die Philosophie­ geschichte noch auf das Privatrecht genommen. Der Gedanke der freien Willkür blieb vorherrschend. Diese war freilich weniger ein Produkt er­ kenntniskritischer Rationalität als vielmehr die konsequente Fortsetzung rechtspolitisch motivierter Freiheitsströmungen. Was die Denker der Auf­ klärung auf gesellschaftlicher Ebene begannen, setzte sich nun im Zivilrecht fort. Die Hypothese eines natürlichen Zustandes diente zunächst der Be­ gründung einer Gesellschaft ohne historisch entwickelte Herrschaft und oh­

"Pörschke, Vorbereitungen zu einem populären Naturrecht, S. 159. 85 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 371. 86 Schulze, Leitfaden der Entwickelung der philosophischen Prinzipien des bürgerlichen und peinlichen Rechts, Göttingen 1813, §§ 130-132 sowie § 133 Note 4. "Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. 2,3. Auflage, Heidelberg 1854, S. 414. "Röder's Grundzüge des Naturrechts oder der Rechtsfilosofie, Leipzig 1846, § 174. "Schilling, Lehrbuch des Naturrechts, Leipzig 1859, § 117. 90 Warnkönig, Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts, Freiburg 1839, §§ 176-179. Über großzügigen, Schadensersatz wegen enttäuschten Vertrauens sorgte er aber doch für in­ direkten Leistungszwang. 91 Bsp.: Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, §§ 107 f. zur laesio enor­ mis und Wucher.

ne göttlichen Willen. Mit dem selben Gedanken konnte nun auch das Zivil­ recht unabhängig von staatlicher Willkür legitimiert und ausgestaltet wer­ den.92 Es gab mehrere Interessenten für diesen Kahlschlag. Da ist natürlich der politische Liberalismus zu nennen, dessen herausragende Vertreter, Rotteck und Pölitz, bereits angesprochen wurden. Auch die aufkommende historische Rechtsschule hatte ein Interesse daran, in der wissenschaftlichen Arbeit durch die aus ihrer Sicht falsche Rezeption römischen Rechts sowie durch überkommene Moral Vorstellungen nicht gebunden zu sein. Schließ­ lich war es der ökonomische Liberalismus eines Adam Smith, der nach der Jahrhundertwende, mit einiger zeitlicher Verzögerung also, auch in Deutschland Fuß faßte.93 94 Nicht nur wirtschaftlichen, auch moralischen Er­ folg versprach man sich von einer Liberalisierung. Bezeichnend ist die Prä­ ambel des Edikts über die Bauernbefreiung. Dort wurde festgestellt, „daß eben sowohl den unerläßlichen Forderungen der Gerechtigkeit, als den Grundsätzen einer wohlgeordneten Staatswirthschaft gemäß sey, alles zu entfernen, was den Einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu erlangen, den er nach dem Maaß seiner Kräfte zu erreichen fähig war [...]“94 Auch wenn die Zeitgenossen diese Ansichten gern mit kantischen Grundsätzen garnierten, dringt hier doch der Freiheits- und Nützlichkeitsgedanke der späten Aufklärung durch. Schon 1777 hatte Tevenar festgestellt: „Das wahre Interesse des Staats wird mehr durch Industrie, und Freyheit in Geschäften, als durch viele Einschränkungen der Privatangelegenheiten befördert.“95 Ein Ausblick: Die Bindungsgrenzen des freien Willens

Dem freien Willen lassen sich durchaus auch Bindungsschranken entneh­ men. Das überrascht beim ersten Hinsehen. Die Privatautonomie soll ja ge­ rade die inhaltliche Gestaltungsfreiheit sichern und steht damit in struktu­ rellem Gegensatz zur Inhaltskontrolle. Autonomie bedeutet aber auch Selbstbindung. Die Bindungswirkung wird mit dem Willen des Verspre­ chenden, genauer mit dem im Versprechen zum Ausdruck gekommenen Willen begründet. Die vor einem Vertragsschluß stehenden Parteien haben ein praktisches Interesse daran, den jeweils anderen zu binden. Nur soweit eine Bindung reicht, können die Parteien von ihrer Vertragsfreiheit wirt­ schaftlich vollen Gebrauch machen. Bereits der Abschluß des Vertrages 92 Klippel, Das „natürliche Privatrecht" im 19. Jahrhundert, S. 230-243. 93 Zur Aufnahme der Lehre Smiths: Winkel, Die deutsche Nationalökonomie im 19. Jahr­ hundert, S. 7-20. 94 Edikt, den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums so wie die persönlichen Verhältnisse der Land-Bewohner betreffend, vom 9. Oktober 1807; abgedruckt bei Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 41. 95 Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, Einleitung, S. 20.

verändert die Perspektive. Bei Radbruch liest sich das so: „Der gebundene Wille ist der wankelmütige, empirische, der bindende der als konsequent gedachte Wille, der heute will, was er gestern wollte - und also ein fingier­ ter Wille. Der Wille bindet sich also nicht selbst, vielmehr wird der wandel­ bare Wille an den fingierten Dauerwillen gebunden. Vertragsbindung ist nicht Autonomie, sondern Heteronomie.“96 Radbruch nimmt den gebunde­ nen Willen zum Maßstab. Das ist nicht ganz korrekt. Der vorausgegangene, bindende Wille ist schließlich auch eine Tatsache, und dieser Wille konnte sich gerade und nur in der Bindung autonom entfalten. Steht die Autonomie des bindende Wille in Frage, so kann die Antwort aber auch im gebundenen Willen gesucht werden. Das war Radbruchs Intention. Radbruch erläutert die Vertragsfreiheit anhand des Problems der wirtschaftlichen Macht. Wird der Konflikt zugunsten des Schwächeren gelöst, so ersetzt eine heteronome, sozialethische Wertung den individualethischen Gedanken der freien Selbst­ bindung. Mit dieser Auffassung befindet sich Radbruch neuerdings in bester Gesellschaft. 1993 hat das Bundesverfassungsgericht zum Schutz der Privat­ autonomie - nach Ansicht des BVerfG Teil der allgemeinen Handlungsfrei­ heit - die Pflicht des Gesetzgebers abgeleitet, zugunsten des schwächeren Vertragspartners in eben jene Privatautonomie begrenzend einzugreifen.97 Die im Vertrag angelegte Antinomie von Freiheit und Bindung gewinnt an Gewicht, sobald nachvertraglich geänderte Umstände Einfluß auf die Ver­ tragsausführung nehmen. Zumindest für unvorhergesehene Entwicklungen ist der Bezug auf den alten Willen rein hypothetisch. Oder kann man wirk­ lich sagen, die Parteien hätten eine jeder Entwicklung standhaltende Bin­ dung gewollt? Causa- und clausula-Lehren sahen das anders.

2. Selbstbeschränkung des Willens: Die Voraussetzungslehre Bei dem Gedanken der freien Willkür konnte man es in der praktischen Rechtswissenschaft schwerlich belassen. Der Wille ist abhängig von Ort und Zeit, von Kenntnissen und Erfahrungen. Des weiteren gewinnt der Wille erst durch eine Äußerung an Gestalt. Ernst Immanuel Bekker stellte in einem der letzten Pandektenlehrbücher lapidar fest: „Unter Inhalt einer WE. aber verstehn wir sowenig das Wollen selber wie das konkret Gewollte, sondern dasjenige, was als gewollt angenommen wird.“98 Auf dem Weg von der Idee zur sozialen Tatsache kann der Wille schon einmal ein ganzes

96 Radbruch, Rechtsphilosophie, § 19. 97 Beschluß des 1. Senats v. 19. Oktober 1993, BVerfGE 89,214 (231 f.) ^Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, Bd. 2, § 99, S. 141.

Stück der Freiheit verlieren. Zudem regeln die Vertragsparteien nicht unbe­ dingt jede Frage, die während der Vertragsabwicklung auftauchen kann. Selbst die vernunftrechtlichen Ansätze des späten 18. Jahrhunderts griffen hier schlicht auf das rezipierte römische Recht zurück. Die historische Rechtsschule brachte keinen grundlegenden Wandel. Der Umgang mit dem römischen Recht wurde aber quellentreuer und systematischer, eben wissen­ schaftlicher, wie es das erklärte Ziel war. Den essentialia negotii, welche die Parteien beizusteuern hatten, wurden die naturalia negotii ergänzend zur Seite gestellt, die es in der praktischen Rechtswissenschaft zu erkennen galt. Fast einhellig war man der Ansicht, daß die erklärten Rechtsfolgen den Willen erschöpfen. Nur wenige waren bereit, wirtschaftliche Folgen mitein­ zubeziehen.99 Aber auch wer sich auf die Rechtsfolgen kaprizierte, mußte klären, inwieweit diese gewollt waren. Die Mehrheit nahm eine Bindung bis zur Grenze des Möglichen an; die differenziertere Ansicht Hartmanns fand dagegen nur wenig Zustimmung. Dem Willen war es natürlich möglich, die­ se rechtlichen Vorgaben zu ignorieren und - privatautonom - die Details selbst zu regeln. Man sprach von accidentalia, welche die Vertragsparteien ihren dürren essentialia hinzufügen konnten. In der Pandektistik des 19. Jahrhunderts versuchte man die Nebenabreden zu systematisieren. Der erste Schritt bestand darin, eine Nebenabrede als solche zu erkennen und begrifflich von dem weiteren Vertragsinhalt zu trennen. Bernhard Windscheid griff eine Formulierung Savignys auf und sprach von den „Selbstbeschränkungen der Wirkungen der Rechtsgeschäf­ te Bereits diese Terminologie stieß auf Kritik.100 Gerade bei den Nebenab­ reden wurden die römisch-rechtlichen Quellen allgemein als dünn angese­ hen. Hinzu kam ein weiteres Problem. Der Numerus clausus klagbarer Ver­ einbarungen war längst überwunden und die Ausdehnung der Gestaltungs­ freiheit auf Nebenabreden nur dessen konsequente Folge. Zudem hatten viele Nebenabreden früher den Sinn gehabt, den Numerus clausus der Ver­ tragstypen zu umgehen oder, freundlicher ausgedrückt, für eine atypische wirtschaftliche Folge fruchtbar zu machen. Diese Nebenabreden sind sinn­ los geworden. Der Weg über das historisch gefundene Material war also steinig. Gemeinhin wurde ein dreistufiges Modell angenommen. Neben der Bedingung und der Befristung wurde die Auflage den Quellen entnommen,

99 Windscheid zitiert in: Lehrbuch des Pandektenrechts, § 84: Ehrlich, Die stillschwei­ gende Willenserklärung und Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte. 100 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 3, § 116; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 86; kritisch: Wächter, Pandekten, § 75; Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, § 115, Beilage 2. Zu der Kritik eingehend Gebhard, Vorlagen der Redakto­ ren = Schubert, Allgemeiner Teil, Bd. 2, S. 208, Fn. 1.

der ominöse modus.101 In Zeiten freier vertraglicher Gestaltung stieß dieses Modell schnell an Grenzen. Einige der Pandektisten führten den modus im weiteren Sinne ein. So definiert Carl Georg von Wächter: „Im weiteren und eigentlichen Sinne bedeutet modus jede Modalität, welche die Parteien ei­ nem Rechtsgeschäft beifügen [...]“101 102 Auch von einer Auflage im weiteren Sinne war die Rede oder, noch schillernder, von condicio.^3 Wieder findet Wächter die passenden Worte: „Im weitesten (uneigentlichen) Sinne be­ zeichnet Bedingung (condicio) eines Rechtsgeschäfts jeden Umstand, von dem die Existenz oder Wirksamkeit des Geschäfts abhängt.“104 Bernhard Windscheid prägte schließlich den Begriff der Voraussetzung.105 Eine ein­ heitliche Terminologie hat sich bis zum Schluß nicht durchgesetzt. Das ist keine gering zu achtende Hypothek für eine begriffsjuristische Wissen­ schaft. Denn hinter der begrifflichen Auseinandersetzung verbarg sich eine beachtliche inhaltliche. Es ging um die grundsätzliche Frage, inwiefern man geneigt ist, dem Willen auch jenseits der ausdrücklich erklärten Rechtsfol­ gen rechtlich relevante Inhalte zu entlocken. Sehr häufig stößt man in der zeitgenössischen Literatur auf den Begriff der causa. Die causa bezeichnet dabei den materialen Grund einer Leistung oder Verpflichtung. Nicht selten wird sie erklärt; in den übrigen Fällen ist sie zumeist erkennbar. Fraglich ist, ob sie Bestandteil des Willens, noch fragwürdiger, ob sie konstitutiver Teil der Willenserklärung ist. Das aktuelle Recht kennt die causa lediglich im Kondiktionenrecht. Hier wurde qua Ge­ setz festgelegt, daß Zuwendungen sine causa kondiziert werden können. Sobald eine Verpflichtungserklärung vorliegt, gibt sich das aktuelle Recht mit dieser zufrieden. Nur bei der condictio ob rem (causa data causa non se­ cuta), § 812 Abs. 2 Fall 2 BGB, wird diskutiert, inwieweit man Motive bei bestehender Verbindlichkeit über den Umweg des Bereicherungsrechts in Rechtsgeschäfte aufnehmen kann. Versuche über die sogenannte Zweckstaf­ felung eine sachgerechte Lösung herbeizuführen stehen allerdings auf unsi­ cherem Boden. Man könnte den Gedanken der causa theoretisch auch vor­ verlagern und dergestalt bereits die Verpflichtungserklärung hinterfragen. 101 Regeisberger, Pandekten, § 166; Wendt, Lehrbuch der Pandekten, § 58; Dernburg, Pandekten, § 115 sowie Scheuri, Zur Lehre von den Nebenbestimmungen, § 71, setzen den modus mit der Auflage gleich; von modus im engeren Sinne sprechen: Wächter, Pandekten, § 80; Arndts, Lehrbuch der Pandekten, 9. Auflage, § 74; Bekker, System des heutigen Pan­ dektenrechts, § 118. 102 Wächter, Pandekten, § 80, S. 401. 103 Gleichsetzung von causa, condicio und modus im weiteren Sinne bei: Arndts, Lehr­ buch der Pandekten, 9. Auflage, § 74; Bekker sieht dagegen die condicio als Bedingung i.w.S., System des heutigen Pandektenrechts, § 113, Beil. II. 104 Wächter, Pandekten, § 75, S. 364. 105 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, §§ 97-100.

Den Juristen des 19. Jahrhunderts war dieser Gedanke mitnichten fremd: „Zur Entstehung einer Obligation durch Vertrag ist die formelle Rechtsbe­ ständigkeit des Versprechens und der Acceptation keineswegs hinreichend, es muß auch ein materieller Grund für die Obligation [...] vorhanden seyn [...]"106 Das ist nicht die vorherrschende Meinung, aber die von Adolf Au­ gust Friedrich Rudorff, der sie immerhin in den beachteten Pandekten von Puchta verbreiten konnte. Gesucht wird ein vernünftiger und nachvollzieh­ barer Grund für die vertragliche Selbstbindung, eine causa obligationis. Der Gedanke impliziert weitreichende Folgen. Ein Wille, der außer dem Ver­ sprechen gebunden zu sein noch materiale Inhalte transportiert, verspricht nicht länger kategorisch. Er wird abhängig von Umständen, die nicht mehr allein im Versprechen aufzufinden sind. Da läßt sich vieles denken. Das Versprechen zu einer Leistung mag an ein Gegenversprechen gebunden sein. Das Synallagma, heute gesetzlich ausgestaltet, wäre unabhängig vom Gesetz begründet. Das Versprechen könnte auf den wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung abzielen, etwa die Verwendungsfähigkeit und Fehlerfrei­ heit beinhalten oder, individueller, die Tauglichkeit zu bestimmten, indivi­ duellen Zwecken. Man kann natürlich auch an die versprochene Leistung selbst denken, an die Beschaffungsplanung oder an die Beschaffungskosten. Selbst eine erwartete Verwendung der Leistung durch den Empfänger mag der Erklärende ausgesprochen haben. Einmal ins Wasser geworfen, zieht der Stein immer weitläufigere Kreise. Da mußten Schranken her. Schranken der Schranken gewissermaßen. Die Pandektistik suchte die Lösung in den Begriffen. Wer den modusBegriff in dessen engerer Bedeutung verfolgt, erkennt sehr schnell, daß er nur bei Schenkungen, Erbverträgen und letztwilligen Verfügungen ange­ wandt wurde.*107 Zudem wird das Versprechen mit Modalitäten belastet, die in der Hand des Versprechensempfängers liegen, etwa die Verwendung der Leistung zu einem gewissen Zweck. Die Bedingung erfaßte in ihrer engeren Auslegung Zukunftsentwicklungen, die den Parteien entzogen sind. In strukturellem Gegensatz zum modus wird das Versprechen mit der Bedin­ gung belastet, weil die Lösung der Frage den Parteien entzogen und deshalb ungewiß ist. Ansonsten half die Wahl der Begrifflichkeit nicht weiter. Ein­ mal ausgedehnt vermögen weder modus noch Bedingung einer Nebenabrede Statur zu geben. Wer der causa folgt, stößt auf ähnlich begrenzte Anwen­ dungsbeispiele wie beim modus. Der Begriff der causa findet sich vorwie­

Puchta, Pandekten, § 257. 107 Scheuri erwähnt „freigebige Geschäfte“, Zur Lehre von den Nebenbestimmungen bei Rechtsgeschäften, § 71, S. 247; Wächter spricht von einem Geschäft, „durch welches man jemandem eine Liberalität erweisen will“, Pandekten, Bd. 1, § 80, S. 401.

gend bei abstrakten Schuldversprechungen.108 109 Man benötigt nicht erst eine wirtschaftliche Analyse, um zu erkennen, daß der Versprechende hier ein­ seitig Positionen aufgibt. Es existiert kein unmittelbares Gegenversprechen. Am klarsten formuliert Baron den daraus resultierenden Gedanken: „Da das Rechtsgeschäft die Handlung eines vernünftigen Wesens ist, so verfolgt der Handelnde mit demselben stets einen besonderen Zweck. Aber manches Rechtsgeschäft ist so gestaltet, daß der besondere Zweck des Handelnden im Rechtsgeschäft selbst nicht zum Ausdruck gelangt und also nicht sichtbar ist [...]"109 Besteht eine Gegenleistungsvereinbarung, so sieht die Situation an­ ders aus. Der Versprechende hat nun zumindest eine eigene Rechtsposition; er ist auch Berechtigter. Das ist, unabhängig vom wirtschaftlichen Wert die­ ser Position, wenigstens ein vernünftiger erster Grund für das Versprechen. Die diversen causa-Lehren wurden im Austauschvertrag nicht rezipiert. Die Diskussion der Zeit ging eher in die Richtung, ob auf die causa im abstrak­ ten Schuldversprechen angesichts des freien Willens nicht ganz verzichtet werden könne. Für eine Liberalisierung plädierte etwa Otto Bähr.110 In der Krise von Krieg und Inflation sollte ein Gedanke aufgegriffen werden, der viel weitreichender den Willen der Vertragsparteien für die Beschränkung hinzuzog: Windscheids Lehre von der Voraussetzung.

a) Die Voraussetzung

Die Voraussetzung wird von Windscheid als „unentwickelte Bedingung“111 zwischen der ausdrücklich die Willenserklärung beschränkenden Bedingung und dem bloßen Motiv eingefügt. Fehle diese Voraussetzung, so Wind­ scheid weiter, dann sei die vertragliche Verpflichtung, „obgleich formell ge­ rechtfertigt, doch materiell ohne rechtfertigenden Grund“. Es ist unbestrit­ ten, daß eine Willenserklärung ausdrücklich in ihren Auswirkungen be­ grenzt werden kann. Auf diese Weise können auch Zweckbestimmungen und andere Motive in den Vertrag inkorporiert werden. Ob man das Ergeb­ nis nun Bedingung, Klausel, Nebengeschäft oder schlicht Nebenerklärung nennt, ändert nichts an diesem Umstand. Schon weniger klar, aber vorherr­ schend war die Ansicht, daß ein Motiv an sich unbeachtlich sei und die 108 Eingehend: Bähry Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund, S. 31 ff. 109Baron, Pandekten, § 67, S. 128. 110Bähr, Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund, S. 155: „Ist aber überhaupt die freie Bewegung des Willens das Grundprincip des heutigen Obligationenrechts, so muß dieser Wille auch die Fähigkeit haben, jene Verbindung [des obligatorischen Versprechens mit sei­ nem Rechtsgrunde] aufzugeben und das einfache Versprechen isoliert zu einem vollendeten Vertrage zu erheben.“ 111 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 1; ders., Lehrbuch des Pandekten­ rechts, § 97.

Willenserklärung in der Regel nicht einmal durch eine Anfechtung beseitigt werden könne. Zwischen diesen beiden Polen ist nun die Lehre von der Voraussetzung angesiedelt. Nach Windscheid kann sich der Erklärende gleichwohl auf unerklärte Motive berufen, „wenn aus seiner Willenserklä­ rung erkannt werden kann, daß hinter dem erklärten Willen ein anderer, der eigentliche, stand, d.h. eben, wenn in seiner Willenserklärung der Beweg­ grund als Voraussetzung hervorgetreten ist“.112 Aus dem Zitat geht es be­ reits hervor: Ein wesentliches Merkmal der Voraussetzung ist die Erkenn­ barkeit. Das Vorausgesetzte dürfe „niemandem gegenüber behauptet wer­ den, dem nicht diese Beschränkung des Willens erkennbar entgegengetreten ist, der nicht den unbedingt erklärenden Willen als einen dennoch be­ schränkten erkannt hat oder doch zumindest erkennen mußte“.113 Einer dem Erklärungsempfänger nicht erkennbaren Voraussetzung soll keine willens­ beschränkende Wirkung zukommen. Windscheid überbrückt mit der Vor­ aussetzung die fehlende Mitteilung des Willens, nicht aber den Willen selbst. Deshalb bezeichnet er den erkennbar gewordenen Willen auch als ei­ gentlichen oder inneren Willen. Davon zu trennen ist der mitgeteilte Wille, den er den wirklichen Willen nennt, den durch eine Mitteilung wirklich ge­ wordenen Willen. Nun hat es jeder Erklärende in der Regel selbst in der Hand, den eigentlichen Willen zu formulieren und so wirklich werden zu lassen. Deshalb sollen, so das zweite Merkmal der Voraussetzung, nur sol­ che Umstände mit rechtlicher Relevanz vorausgesetzt werden können, die der Versprechende als etwas Selbstverständliches in seine Willenserklärung aufzunehmen unterlassen hat: „Das Vorausgesetzte ist nicht das nicht Aus­ gesprochene, sondern dasjenige, von dem man, obgleich man ohne dasselbe nicht will, die Existenz seiner Willenserklärung nicht abhängig gemacht hat, weil man es eben als seiend, oder gewesen seiend, oder sein werdend vor­ ausgesetzt hat.“114 Windscheid berücksichtigt ausschließlich den Erfah­ rungshorizont des Erklärenden. Eine objektive Unvorhersehbarkeit wird nicht gefordert. Das als selbstverständlich Vorausgesetzte erschöpft sich nicht in ungewissen zukünftigen Entwicklungen, sondern kann sich auch auf einen gegenwärtigen oder vergangenen Zustand beziehen.115

112 Windscheidj Die Lehre von der Voraussetzung, S. 6. 113 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 83. 114 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 8; vgl. noch ders., Die Vorausset­ zung, AcP 87 (1892), S. 162 f.: „Wer etwas voraussetzt, nimmt dessen Wirklichkeit an. Auf Grund des Gesetzten baut er die Abgabe der Willenserklärung. Wer eine Willenserklärung unter einer Bedingung abgibt, geht von der Ungewißheit des in der Bedingung bezeichneten Umstandes aus.“ 115 Dies war Windscheid so wichtig, daß er in der Ersten Kommission eine entsprechende Präzisierung beantragte. Vgl. Protokolle der Ersten Kommission, S. 1595 f. = Jakobs/Schu­

Fehlt ein als vorausgesetzt zu beachtender Umstand, so soll dies die Willenserklärung nicht vernichten. Die Voraussetzung ist kein konstitutiver Bestandteil des erklärten Willens; der Erklärende hat es eben versäumt, das Vorausgesetzte auszusprechen und so, in der Terminologie Windscheids, wirklich werden zu lassen. Die Willenserklärung bleibt formal bestehen. Da sie aber nicht dem eigentlichen, inneren Willen entspricht, kann die Erklä­ rung ihre Wirkung einbüßen. Dieses Kunststück gelingt Windscheid über eine begriffliche Aufspaltung des Willens. Er trennt die Existenz von der Wirksamkeit des Willens. Der erklärte Wille soll lediglich die Existenz des Willens begründen. Für dessen Wirksamkeit bedarf es laut Windscheid zu­ sätzlich des inneren, eigentlichen Willens, sofern dieser innere Wille als Voraussetzung erkennbar hervorgetreten ist. Steht der eigentliche Wille, die oben aufgeführten Merkmale erfüllend, dem wirklich erklärten entgegen, so soll aus dem erklärten Willen weder ein Forderungsrecht noch eine Recht­ fertigung hinsichtlich bereits erlangter Gegenstände oder Rechtspositionen abgeleitet werden. Da der erklärte Wille existent bleibt, neigt Windscheid selbst dann zu einer bereicherungsrechtlichen Lösung, wenn die Leistung noch nicht erbracht worden ist. Als Konsequenz des zweifachen Willens muß der Erklärende sich „durch Einrede gegen die aus derselben hergelei­ teten Ansprüche schützen“ oder „seinerseits einen Anspruch auf Wiederauf­ hebung der rechtlichen Wirkung gegen denjenigen, zugunsten dessen sie eingetreten ist, erheben“.116 Windscheid spricht auch von indirekter Un­ wirksamkeit.117 b) Das Vorausgesetzte Mit der Annahme eines eigentlichen Willens kann theoretisch jeder für die Abgabe der Willenserklärung ursächliche Umstand in den Vertrag einge­ führt werden. Die ersten Stellungnahmen in der Literatur und der Recht­ sprechung sehen die Voraussetzungslehre tatsächlich weitgehend grenzen­ bert, Recht der Schuld Verhältnisse Bd. 3, S. 805. Der Antrag lautete: „In gleicher Weise kann zurückgefordert werden, was unter der ausdrücklichen oder stillschweigend erklärten Vor­ aussetzung einer vergangenen oder gegenwärtigen Thatsache geleistet worden ist, wenn die Voraussetzung sich nicht bewährt.“ 116 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 97; vgl. a.a.O., § 423: „Wer einen Wil­ len unter einer Voraussetzung erklärt, macht zwar nicht die Existenz der gewollten rechtli­ chen Wirkung von der Wirklichkeit des Vorausgesetzten abhängig; aber dennoch ist es wahr, daß bei Nichtwirklichkeit des Vorausgesetzten das Bestehen der gewollten rechtlichen Wir­ kung seinem eigentlichen Willen nicht entspricht. Dieser Zwiespalt zwischen dem wirklichen und dem eigentlichen Willen wird eben dadurch ausgeglichen, daß dem Bereicherten die Verpflichtung auferlegt wird, dasjenige, was er hat und fortfährt zu haben, zurückzugewäh­ ren.“ 117 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 9.

los. Lenel stellt fest: „Jede Vorstellung, die für die Partei wirklich entschei­ dendes Motiv gewesen ist, ist Voraussetzung in Windscheid’s Sinne.“118 Das Reichsgericht spricht sogar von „einer beliebig gesetzten sogenannten , Vor­ aussetzung4“, ohne dies jedoch ausdrücklich auf die Voraussetzungslehre Windscheids zu beziehen.119 Andere sehen in der Voraussetzung eine über den Willen begründete Lehre von der clausula rebus sic stantibus, die Vor­ aussetzung also als Möglichkeit, nahezu die gesamte Lebenswirklichkeit in die vertragliche Vereinbarung zu integrieren.120 Kann die Leistungsschwere von einer Voraussetzung erfaßt werden? Oder besteht sogar eine Regelvor­ aussetzung dergestalt, daß die Umstände, in die der Vertrag eingebettet ist, sich nicht grundlegend ändern dürfen? Die Fragen deuten bereits die Ten­ denz der Antwort an. Die Lehre von der Voraussetzung ist für die Fälle ex­ terner Störungen nicht nur nicht gemacht worden, sie taugt hierzu überhaupt nicht.121 Grund ist eine dritte Einschränkung, die bislang noch nicht ange­ sprochen und in der zeitgenössischen Literatur nicht hinreichend ernst ge­ nommen wurde. Relevant ist eben nicht jeder dem Erklärenden wichtige Umstand. „Die Absicht an und für sich involvirt eine Voraussetzung durch­ aus nicht“, stellt Windscheid fest. Welche Absichten tun es denn? „Es sind, um es sogleich zu sagen, die ersten Absichten, vor denen keine anderen ste­ hen.“ Die erste Absicht haben wir uns nun als diejenige Absicht vorzustel­ len, auf die „unmittelbar und zunächst der Wille gerichtet“ sei.122 Später be­ nutzte Windscheid auch den Begriff des ersten Zwecks, ohne damit eine in­ haltliche Änderung vornehmen zu wollen. Ein Zweck ist nach Windscheid das Beabsichtigte, also das nach außen tretende Resultat der Absicht.123 Aber auch hier gilt: „Daraus, daß die Willenserklärung in einer bestimmten Absicht, welche nicht die erste und somit Bestandteil des Willens ist, abge­ geben worden ist, darf so wenig wie daraus, daß sie aus einem bestimmten 118Lenel, Die Lehre von der Voraussetzung, AcP 74 (1889), S. 222. 119 RGZ 24,169. 120 Pfaff, Die Clausula: Rebus sic stantibus in der Doctrin und der österreichischen Ge­ setzgebung, S. 296. 121 Vorsichtig spricht Simshäuser, Windscheids Voraussetzungslehre revidiva, AcP 172 (1972), 38, von einem Gedanken der Voraussetzungslehre, „für den sie von Hause aus ohne­ hin nicht entwickelt worden ist“. 122 'Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 85: „In einer bestimmten Absicht wollen und unter der Voraussetzung der Erreichung dieser Absicht wollen, sind zwei durch­ aus nicht identische Dinge.“ 123 Windscheid, Die Voraussetzung, AcP 87 (1892), 174 f.; vgl. ders,, Pandekten, § 98 Fn. 1: „Ob man sagt: erste Absicht, oder, wie andere tun, erster Zweck, kommt auf dasselbe hinaus. Mit dem Ausdruck Absicht wird hingewiesen auf den betreffenden Vorgang in der Seele des Urhebers der Willenserklärung, mit dem Ausdruck Zweck auf das diesen Vorgang hervorrufende [...] Tatsächliche.“

Beweggrund gemacht worden ist, geschlossen werden, daß sie unter einer Voraussetzung - der Erreichung dieses Beweggrundes - gemacht worden sei.“124 Eine Klärung dieser durchaus noch unscharfen Terminologie versprechen die von Windscheid angeführten Beispielsfälle. Windscheid beschäftigt sich fast durchweg mit der bereits erbrachten Leistung. Seine Untersuchung wird nur dort eingehender, wo die Leistung nicht auf einer Verpflichtung beruht. Der Grund ist offensichtlich: besteht eine vertragliche Schuld, so erschöpft sich die erste Absicht regelmäßig in der Erfüllung der vertraglich übernom­ menen Verbindlichkeit.125 Sofern eine Verbindlichkeit nicht besteht, sucht Windscheid anderweitig nach Motiven. Selbst von der Schenkung läßt er sich nicht abschrecken, „denn sie kann nicht nicht erreicht werden, da ihre Erreichung kein von der Vermögensaufopferung selbst verschiedenes thatsächliches Verhältniß erfordert“.126 Es gibt also noch weitere erste Absich­ ten. In der allgemeinsten Formulierung lauten sie so: „Wer etwas leistet und dabei dem Empfänger eine Verpflichtung auferlegt, leistet es unter der Vor­ aussetzung, daß diese Verpflichtung werde erfüllt werden [...]“127 Wind­ scheid ist durchaus vorsichtig. Er anerkennt die Erwartung, der Empfänger möge mit dem Empfangenen in gewisser Weise verfahren. Weiter soll es er­ heblich sein, wenn der Leistende zu erkennen gibt, daß der Empfänger sich gegenüber dem Leistenden in gewisser Weise verhalten, etwa seinerseits ei­ ne Leistung erbringen soll. Auch die Sicherung einer Forderung wird als Voraussetzung einer Leistung anerkannt, so bei Hingabe eines Pfandes oder bei der Abgabe eines abstrakten Schuldversprechens.128 Die anerkannten Zwecke sind durchgängig solche, die mittels einer Auflage, einer Gegenlei­ stungsvereinbarung oder eines Sicherungsvertrages dem Zweck einer schlichten Vertragserfüllung hätten zugeführt werden können. Im klassi­ schen römischen Recht war die Kondiktion solcher Leistungen bedeutsamer, da der Numerus clausus klagbarer Vertragstypen oftmals eine unmittelbare Gegenleistungsvereinbarung verhinderte. In einem Rechtssystem vertragli­ cher Gestaltungsfreiheit wird dieser Weg freilich zur Ausnahme. So führt 124 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 109. 125 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 93: „Die erste Absicht, in welcher eine Leistung gemacht wird, kann auch die sein, dadurch eine Verbindlichkeit zu tilgen“; vgl. noch a.a.O., S. 12: „Wer etwas zahlt, leistet es unter der Voraussetzung, daß es schuldig sei“; sowie a.a.O., S. 14: „Wer zahlt leistet auch unter der Voraussetzung, daß dasjenige, was er leistet, im Stande sei, ihn zu liberieren." 126 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 88. 127 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 19. 128 Zur Auflage: Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 24—31 und 103-107; zur Erwartung einer Gegenleistung: a.a.O., 88 f.; zur Voraussetzung einer Sicherung: a.a.O., S. 15-17,98 f. und 102.

die condictio ob renij § 812 Abs. 2 Fall 2 BGB, zu Recht nur ein Schatten­ dasein im modernen Recht. Bis hierher ist die Voraussetzung nichts anderes als ein Sammelbegriff für bekannte und anerkannte Motive einer Zuwendung oder eines freigebi­ gen Versprechens. Die Lehre wäre kaum weiter beachtet worden, hätte Windscheid es dabei belassen. Das war aber nicht der Fall. Windscheid hat zusätzlich nach dem ersten Zweck für die Eingehung der Verbindlichkeit gefragt. Aus Sicht des Leistenden ist das bestenfalls die zweite Absicht. Seine erste Absicht wird es sein, die Verbindlichkeit zu erfüllen und so sei­ ne Schuld zu tilgen. Die Frage nach dem ersten Zweck für die eingegangene Verbindlichkeit führt weiter, hinein in die Motive des Versprechens. Ge­ meinhin erwartet der Versprechende eine Gegenleistung. Besteht ein An­ spruch auf die Leistung des Erklärenden, so hat dieser in der Regel auch ei­ nen unmittelbaren Anspruch auf die Gegenleistung; dies noch vorauszuset­ zen ist überflüssig. Windscheid versteht die Gegenleistung deshalb nicht formal, sondern material. Sie soll ein taugliches Gegenstück zur Leistung sein: „Die Leistung und die Handlung, welche durch dieselbe hervorgerufen werden soll, erscheinen hier als gleiche Werthe. Der Leistende leistet nicht mehr, als ihm die Handlung werth ist, der Empfänger empfängt nicht weni­ ger, als sie ihm werth ist.“129 In Fortführung dieses Gedankens ist Wind­ scheid bereit, die Fälle der beachtenswerten Zwecksetzung weiter zu fassen und auf die Qualität der Gegenleistung auszudehnen. So will er die Fehler­ freiheit der Leistung oder eine erwartete Eigenschaft in die erste Absicht des Vertrages miteinbeziehen.130 Die vorausgesetzte Mangelfreiheit sollte Windscheid scharfe Kritik eintragen.131 Hier interessiert der Gegenschluß. Windscheid blickt auf die Gegenleistung, nicht auf die vom Versprechenden selbst zu erbringende Leistung. Nur in den seltenen Fällen des Irrtums über eine Eigenschaft berücksichtigt er die von dem Versprechenden zugesagte Leistung.132 In keinem der dargelegten Fälle geht Windscheid so weit, auch die Begleitumstände dieser Leistung als berücksichtigenswert anzuerken­ nen. In Abgrenzung zu der Lehre von der clausula rebus sic stantibus stellt er sogar ausdrücklich fest: „Kein Vertragsschließender darf behaupten, daß er die übernommene Verpflichtung nur unter der Voraussetzung übernom­ 129 Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 89. 130 Ist Vertragsgegenstand mangelhaft vgl. Windscheid, Die Lehre von der Vorausset­ zung, S. 111-115; für die fehlende Eigenschaft vgl. a.a.O., S. 115-119. 131 Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 202-205. 132 Das einzige Beispiel findet sich in Windscheid, Die Lehre von der Voraussetzung, S. 120: Hier irrt sich der Leistende indem er eine wertsteigernde Eigenschaft der geleisteten oder zu leisten versprochenen Sache übersieht. Heute würde man hier eine Lösung über §119 Abs. 2 anstreben.

men habe, daß der Inhalt derselben sich nicht als über Erwarten groß her­ ausstellen werde.“133 Die Lehre von der Voraussetzung kann also nicht zu einer umfassenden „Lehre vom Einfluß veränderter Umstände auf den Ver­ trag“ aufgebläht werden.134 Mit der Figur des eigentlichen Willens kann natürlich weiträumig das vertragliche Umfeld in den Vertrag inkorporiert werden. Die Lehre ist insofern ausbaufähig. Indessen: von Windscheid war dies nicht beabsichtigt. Das Erfordernis des ersten Zwecks ist vielmehr ernst zu nehmen, was die Lehre für die Fälle der Leistungserschwerung disquali­ fiziert und ihr allenfalls bei Mängeln der Gegenleistung ein größeres An­ wendungsfeld eröffnet.

c) Rezeption der Voraussetzungslehre

Die Rezeption der Voraussetzungslehre ist belastet durch die hinsichtlich Reichweite und Einordnung bestehenden Unsicherheiten. 1953 stellte Kegel in einem Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag fest: „Windscheids Voraussetzungslehre steht also für ihn [Windscheid] mit beiden Füßen in der Lehre von der causa [...]“ Kegel selbst sieht das ganz anders. Er meint, die Voraussetzungslehre stehe „mit einem Fuß in der Lehre von der causa, mit dem anderen in der Lehre vom Einfluß veränderter Umstände auf den Vertrag“.135 Ein Spagat lag Windscheid indessen fern. Sowohl die causa als auch die Umstandsänderung sind Versuche, den inhaltlichen Umfang der Voraussetzung zu beschreiben. Windscheid dachte zeitgemäß in Begriffs­ strukturen. Nach eigenen Angaben wollte Windscheid nur den modus kon­ sequent fortgedacht haben. Die zeitgenössischen Befürworter der Windscheidschen Lehre bezeichneten die Voraussetzung als „modus im weiteren Sinne“ oder faßten sie gleich unter die „condicio“ als die allgemeinste For­ mulierung der Bedingung.136 Wächter sah die Voraussetzung als „etwas we­ sentlich Verschiedenes“ an, ordnet sie aber gleichwohl der Modalität „im weiteren und eigentlichen Sinne“ unter.137 Die Gegner der Lehre neigten da­ zu, die Voraussetzung wie Kegel inhaltlich zu fassen. Von Bestimmungs­ grund, Zwecksetzung und Motiv war die Rede, manchmal auch schlicht von

133 Windscheid, Die Voraussetzung, AcP 78 (1892), 194. Zugrunde liegt die Besprechung des RG-Urteils SeuffertsArch. 44 (1889), Nr. 37. 134 In diesem Sinne aber Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag (1953), S. 149: Windscheid gehe fehl, „wenn er sich mit seiner subjektiven Voraussetzung auf das allgemeine Feld der veränderten Umstände vorwagt“. 135Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag (1953), S. 147. 136 Pfaff und Hoffmann, in: Arndts, Lehrbuch der Pandekten, 14. Auflage, § 74, S. 118 f. (im Sinne Windscheids noch die 9. Auflage); Baron, Pandekten, § 61, S. 115. 137 Wächter, Pandekten, Bd. 1, § 80, S. 403.

causa.138 Das war bequem. So konnte man die Voraussetzung weit dehnen und je weiter es gelang, um so gerechtfertigter schien die Warnung vor einer drohenden Verunsicherung des Rechtsverkehrs.139 *Die als Befürworter der Lehre geltenden Pandektisten waren vorsichtiger. Bekker konstatiert, in der Lehre stecke ein „richtiger haltbarer und zu brauchbaren Konsequenzen aus­ zunutzender Kern [...]"140 Baron will die Voraussetzung nur bei „lucrativen Rechtsgeschäften“, also unentgeltlichen, und bei „abstracten Rechtsge­ schäften“ anwenden. Im Falle entgeltlicher Austauschgeschäfte sollen (weitere) Voraussetzungen dagegen nur dann angenommen werden können, „wenn es die Personen zum Bestandtheil des Rechtsgeschäfts machen“.141 In der Rechtsprechung erfreute sich die Voraussetzungslehre einiger Po­ pularität.142 Selbst das Reichsoberhandelsgericht und der dritte Senat des Reichsgerichts neigten in mehreren Urteilen der Voraussetzungslehre zu.143 Zieht man die zahlreichen Anwendungsfälle im Bereich freigebiger Erklä­ rungen wie Schenkungen und letztwillige Verfügungen einmal ab, so redu­ zieren sich die Anwendungsfälle sehr schnell. Gerade die neuen Reichsge­ richte weigerten sich regelmäßig, inhaltliche Konsequenzen zu ziehen. In einem Urteil des Reichsoberhandelsgerichts zeichnete ein Handelsvertreter Aktien eines Unternehmens, welches ihm daraufhin die Alleinvertretung ei­ ner noch zu gründenden Stuttgarter Zweigstelle versprach. Aus rechtlichen Gründen konnte in Württemberg keine Zweigstelle betrieben werden, so daß das Reichsoberhandelsgericht mit der Frage konfrontiert wurde, ob der Ak­ tienkauf rückabgewickelt werden müsse. Die Vorinstanz, das Oberhandels­ gericht Stuttgart, sah den Aktienkauf belastet mit der Voraussetzung, daß der zwischen den Parteien geschlossene Agenturvertrag auch ausführbar sei. 138 Regeisberger, Pandekten, Bd. 1, § 143, S. 527; Wendt, Lehrbuch der Pandekten, § 58, S. 157; Böcking, Pandekten des römischen Privatrechts, Bd. 1, § 110, lit. ee). 139 Eingehend äußerte sich nur Adickes zu Windscheids Voraussetzungslehre; er kritisiert den kondiktionenrechtlichen Ansatz sowie die Differenzierung von „wirklichem“, „wahrem“ und „eigentlichem“ Willen: Zur Lehre von den Bedingungen, S. 78 f. ^Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, Bd. 2, § 119, Beilage 1, S. 374 f. Auf S. 376 sagt er hinsichtlich der polemischen Fälle Lenels: „Auch ms. Es. geht W. in dieser Richtung viel zu weit, und berücksichtigt nicht genügend die gerade in dieser Beziehung we­ sentliche Verschiedenheit der rein einseitigen (insonderheit leztwilligen) Geschäfte und der Verträge.“ 141 Baron, Pandekten, § 60 II, S. 115. 142 Auf obergerichtliche Urteile verweist Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 211 in Fn. 813 sowie S. 212 in Fn. 821. Weitere Fundstellen bei Bekker, System des heutigen Pan­ dektenrechts, § 119, Beilage 1, S. 375. 143 ROHG, SeuffertsArch 27 (1872), Nr. 112; SeuffertsArch 29 (1874), Nr. 143 (= ROHGE 7, 433); SeuffertsArch 31 (1876), Nr. 110 (= ROHGE 19, 50); RGZ 14, 217 (226); RGZ 19, 260 (262). Weitere Hinweise bei Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 212 Fn.818.

Das Reichsoberhandelsgericht verneinte zwar nicht die Rechtsfigur der Vor­ aussetzung, faßte aber das Vorausgesetzte enger. Zwei causae anerkannte das Gericht: der Käufer habe seiner Pflicht auf Zeichnung der Aktien nach­ kommen und seine Anstellung als Generalagent erreichen wollen. Beide Ziele, so das Gericht, habe er auch erreicht. Die naheliegende Erwartung, „der Agenturvertrag werde auch dauernd thatsächlich verwirklicht werden“, sei dagegen nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht worden; „sie hätte als Voraussetzung dieser Art unzweideutig erklärt werden müssen, sie zu supponieren ist durchaus unzulässig.“144 Aktienerwerb und Generalvertre­ tungsmacht wurden verknüpft. Insoweit wurde die Voraussetzungslehre tat­ sächlich angewandt. Ob der Generalvertretung ein wirtschaftlicher Wert zu­ kommt, mochte das Gericht freilich nicht mehr prüfen. Die Vertreterstellung galt als vorausgesetzt, deren materieller Wert nicht. Ähnlich formal judi­ zierte wenige Jahre später der dritte Senat des Reichsgerichts. Diesmal wur­ de ein Grundstück erworben. Vor Abschluß des Kaufvertrags hatte der Käu­ fer den zuständigen Bürgermeister hinzugezogen und im Beisein des Ver­ käufers von diesem die Erschließungskosten erfragt. Die tatsächlichen Er­ schließungskosten sollten später um 3.000 M über dem angegebenen Betrag liegen; bei einem Kaufpreis von 6.000 M. Das Oberlandesgericht Frankfurt sah hierin einen vorausgesetzten Umstand, der den Vertrag auflösen könne, nahm allerdings zusätzlich einen Irrtum an. Das Reichsgericht verneinte Irrtum und Voraussetzung. Es sah die Erschließungskosten nicht in einer minderen Qualität des Landes begründet. Es sei allein der Wert der Sache betroffen, weshalb allein ein unerheblicher „Irrtum im Beweggründe“ vor­ liege.145 Die obersten Reichsgerichte waren viel vorsichtiger, als Wind­ scheid recht war. In beiden Fällen hätte er eine gescheiterte Voraussetzung angenommen und die Verträge rückabgewickelt.146 Der sechste Senat des Reichsgerichts fühlte sich schließlich berufen, in einer Entscheidung vom Mai 1889 die Voraussetzungslehre deutlich abzulehnen.147 Er vermisse „je­ de quellenmäßige Begründung“ - so der dürre Befund des eigentlich für das Allgemeine Landrecht zuständigen Senats. Als die Erste Kommission an den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbu­ ches ging, war die Lehre von der Voraussetzung noch nicht durch die Rechtsprechung desavouiert. Aber bereits im Teilentwurf sprach der Re­ daktor des Allgemeinen Teils, Albert Gerhardj von dem „Wagniß, die aus diesem Begriffe erschlossene Gedankenreihe in Rechtssätzen von allgemei­ 144 ROHG v. 9. November 1872, SeuffertsArch 29, Nr. 143 (= ROHGE 7,433 (437)). 145 RGZ 19,260 (264 f.). 146 Besprechung der Urteile bei: Windscheid, Die Voraussetzung, AcP 78 (1892), 190­ 192. 147 RGZ 24,169.

ner Bedeutung auszuprägen".148 Die Diskussion verlagerte sich in das Be­ reicherungsrecht, da der hier zuständige Redaktor Kübel der Vorausset­ zungslehre weniger ablehnend gegenüberstand. Allerdings wollte er „zwei­ seitige Verträge“, also Austauschverträge, davon ausnehmen.148 149 Zunächst erfolgreich versuchte Windscheid, seine Lehre dennoch als Allgemeine in das Gesetzbuch einzufügen.150 Windscheid scheiterte dennoch. Das lag an der Zweiten Kommission, in der niemand (!) mehr für die Voraussetzungs­ lehre eingetreten war. Woher dieser drastische Meinungswandel? In der Zweiten Kommission war Windscheid nicht mehr vertreten, das mag eine Rolle gespielt haben. 1889 waren zudem zwei vernichtende Urteile über die Voraussetzungslehre gefällt worden. Das eine kam vom Reichsgericht, des­ sen Entscheidung RGZ 24, 169 sogar in den Protokollen der Zweiten Kom­ mission vermerkt wurde. Das andere fällte Lenel in einem Aufsatz des Ar­ chivs für civilistische Praxis. Die Rechtssicherheit sah er in Gefahr und sprach das bekannte Verdikt von der „offensichtlich unhaltbaren Lehre“ aus.151 152 Auch dieser Gedanke griff. Ausweislich der Protokolle wurde vor der „Gefahr“ gewarnt, „daß sich für die Beurtheilung der Unterschied zwischen Voraussetzung und Motiv verwische und daß die Praxis irrthümlicherweise dahin gelangen könne, die Einwirkung eines außerhalb des Vertrags liegen­ den Umstandes zu beachten. [...] Im Allgemeinen aber müsse sich der Ge­ setzgeber mit der Verweisung auf Treu und Glauben und auf die Ver­ kehrssitte begnügen, und müsse erwarten, daß die Rechtsanwendung damit auskommen werde [...]"152 148 Vorlagen der Redaktoren, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Abschnitt 2, Titel 2, S. 206 = Schubert, Bd. 2, S. 226: „So fruchtbar sich auch der Begriff der Voraussetzung für die Wis­ senschaftliche Forschung erweist, und so gewiß es auch ist, daß der Gesetzgeber mannigfa­ chen Anlaß haben wird, mit demselben zu rechnen, so wird doch von dem Wagniß, die aus diesem Begriffe erschlossene Gedankenreihe in Rechtssätzen von allgemeiner Bedeutung auszuprägen, Umgang genommen werden müssen.“ 149 Nr. 10 des Teilentwurfs Obligationen recht sah unter § 14 vor: „Hat Jemand, ohne hierzu durch einen zweiseitigen Vertrag verpflichtet zu sein, aus einem erlaubten Grund unter der ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen sich ergebenden Voraussetzung des Ein­ tritts eines künftigen Ereignisses einem Andern etwas geleistet, so ist er, wenn dieses Ereignis nicht eintritt, das Geleistete von dem Empfänger zurückzufordern berechtigt.“ Zu den Moti­ ven Kübels: Vorlagen der Redaktoren, Recht der Schuldverhältnisse Bd. 3, Abschnitt 2, Titel 8, S. 5-7 = Schubert, Bd. 2/3, S. 665-667. 150 In der 159. Sitzung der Ersten Kommission beantragte Windscheid folgende Ände­ rung: „Hat Jemand einem andern etwas geleistet unter der ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Voraussetzung des Eintritts oder Nichteintritts einer Thatsache, so kann er das Ge­ leistete von dem Empfänger zurückfordem, wenn die Voraussetzung sich nicht erfüllt.“ Vgl. Jakobs/Schubert, Recht der Schuldverhältnisse Bd. 3, S. 799 f. 151 Lenel, Die Lehre von der Voraussetzung, AcP 74 (1889), 220-226. 152 Protokolle der Zweiten Kommission S. 2953 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 1174.

Am Ende steht die strikte Ablehnung der Voraussetzungslehre. Weniger die quellenmäßige Feme wurde der Theorie zum Verhängnis als vielmehr die Angst um die Sicherheit des Rechtsverkehrs. In zeittypischem Stil wur­ de der Gedanke der Voraussetzung bis ins Absurde übersteigert und so dis­ kreditiert. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet der schärfste Kritiker, Lenel, selbst weitere Zwecke berücksichtigt haben wollte. Lenel wollte wirtschaftliche Zwecke in den Vertrag auch jenseits der ausdrücklichen Erklärung einfügen. Ein wirtschaftlicher Zweck soll aber nur dort vorliegen, „wo das Aequivalent, um deßwillen die Leistung erfolgt, im wirthschaftlichen Verkehr als solches anerkannt ist".153 In der angesproche­ nen Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts hätte auch er den Aktien­ kauf gerne rückgängig gemacht. Nur die tatsächliche Nutzung der General­ vertretung bilde das wirtschaftliche Äquivalent des Aktienkaufs, so lautet die Lösung Lenels.153 154 Auf die Idee, hier die Voraussetzungslehre für seinen wirtschaftlichen Zweck fruchtbar zu machen, ist er offenbar nicht gekom­ men. „Juristische Psychologie“, wie er die Voraussetzungslehre abtat, lag ihm fern. Die eigene Idee war wichtiger. Am Ende sind beide Theorien un­ tergegangen.

3. Ergänzung des Willens: Rebus sic stantibus In der Krise des Ersten Weltkriegs wurde in Rechtsprechung und Literatur neben Windscheids Lehre von der Voraussetzung ein weiteres, älteres Rechtsinstitut diskutiert: die clausula rebus sic stantibus. Die zugrundelie­ gende Idee ist höchst einfach. Die Vertragsschließenden haben nur einen begrenzten Erkenntnis- und Erfahrungshorizont. Insbesondere über nach­ vertragliche Entwicklungen können die Parteien allenfalls Prognosen an­ stellen und selbst bei besten Prognosemöglichkeiten bleibt immer ein all­ gemeines Zukunftsrisiko bestehen. Die clausula rebus sic stantibus nimmt dem Schuldner einen Teil dieses Risikos. Ändern sich die den Vertrag be­ gleitenden Umstände, so soll geprüft werden, ob die Parteien den Vertrag auch unter den geänderten Umständen abgeschlossen hätten. Abgesehen von diesem Grundgedanken ist vieles unklar. Schon der systematische Ansatz wirft Fragen auf. Sollen die Vertragsparteien bei unveränderter Sachlage an der vertraglichen Bindung festgehalten werden oder wird, in exakt umge­ kehrter Systematik, bei veränderter Sachlage ein Aufhebungsgrund begrün­

153 Lenel, Nochmals die Lehre von der Voraussetzung, AcP 79 (1892), 70; vgl. noch ders., Die Lehre von der Voraussetzung, AcP 74 (1889), 230-239. 154 Lenel, Nochmals die Lehre von der Voraussetzung, AcP 79 (1892), 88 f.

det? Daran schließt sich die zweite Frage nach dem Geltungsgrund der clau­ sula an. Liegt diese im objektiven Recht begründet? So konnte man allen­ falls im Geltungsbereich des Preußischen Allgemeinen Landrechts argu­ mentieren. Wird sie miterklärt, wie es der Name nahelegt, als tacita conditione rebus sic stantibus, oder wird sie gar - man denke an Windscheid vorausgesetzt? Als dritte, vermittelnde Lösung könnte man sie auch ergän­ zend in das Rechtsgeschäft hineinlesen, mittels der Verkehrssitte beispiels­ weise. Unterschiedliche Meinungen bestanden auch in punkto Art und Er­ kennbarkeit der die clausula auslösenden Umstandsänderung. Welcher Qua­ lität und welcher Intensität mußten die Auswirkungen auf den Vertrag sein? Die oft geäußerte Unzufriedenheit mit der Rechtspraxis läßt vermuten, daß die Hürden nicht sehr hochgesteckt worden waren. In der Hochphase des clausula-Gedankens, im 16. und 17. Jahrhundert, galt es sogar als ausrei­ chend, wenn sich lediglich die Kenntnislage über unveränderte Umstände geändert hatte.155 Selbst in der Rechtsfolge bestand keine Einigkeit. Zum Teil wurde ein Rücktrittsrecht propagiert, zum Teil die ipso iure eintretende Vernichtung des Rechtsgeschäfts. Einzelne erwogen gar eine Vertragsan­ passung.156 Es gibt keine clausula-Lehre, es gibt lediglich den Rechtsgedan­ ken rebus sic stantibus. Die clausula hat zwei Nachteile, die ihre Aufnahme in das BGB verhin­ dert haben. Die Anfänge der clausula-Lehre werden gemeinhin bei den Glossatoren gesucht.157 Ein Geburtsfehler, der in einer von der historischen Rechtsschule beherrschten Rechtswissenschaft schon an sich Grund genug war, die Lehre zu ignorieren. Gewichtiger und älter ist aber der Einwand mangelnder Bestimmtheit und Handhabbarkeit. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ist der Gedanke der clausula rebus sic stantibus einer zu­ nehmenden Kritik ausgesetzt. Die mißbilligten Auswüchse der Anwen­ dungspraxis führten zu punktuellen Eingrenzungsvorschlägen. Am ältesten und in der Folge unbestrittensten ist die Einschränkung der clausula auf sol­ che Veränderungen, die nach Vertragsschluß und vor der vertraglich vorge­ 155 Zum Usus Modemus: Rummel, Die „clausula rebus sic stantibus“, S. 154-175; vgl. Köbler, Die „clausula rebus sic stantibus“ als allgemeiner Rechtsgrundsatz, S. 30 f. 156 Eine Vertragsanpassung sehen u.a. vor: Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, 3. Teil, 1. Hauptstück, 8. Kapitel (S. 363); Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, 4. Teil, 15. Kapitel, § 12. 157 Pfaff, Die Clausula: Rebus sic stantibus in der Doctrin und der österreichischen Ge­ setzgebung, in: FS Unger, S. 224,227; Fritze, Clausula rebus sic stantibus, in: ArchBürgR 17 (1900), S. 22. Die Details sind streitig. Spätestens bei den Kommentatoren ist die clausulaLehre ausführlich belegt bei: Rummel, Die „clausula rebus sic stantibus“, S. 24-78; für einen früheren Ursprung: Beck-Mannagetta, Die clausula rebus sic stantibus und die Geschäfts­ grundlage in der Dogmengeschichte, in: La formazione storica del Diritto modemo in Euro­ pa, Bd. 3, S. 1267-1270.

sehenen Erfüllung eintreten und nicht vorhersehbar gewesen waren. Beson­ ders die Rechtslehre des rationalistischen Naturrechts pochte energisch auf eine Eingrenzung der clausula. Bereits 1777 kritisierte Tevenar die allge­ meine Verwendung der clausula rebus sic stantibus: „Es kommt in jedem Fall darauf an, wie die Veränderung beschaffen, und wer daran Schuld ist? ob sie so beträchtlich, daß nach der Natur des Geschäfts, oder Gesetze, der Vertrag aufgerufen werden kann, oder die Verbindlichkeit nur modificirt, vermindert, oder vermehrt werden muß? Diejenigen, welche Verträge schließen, müssen dabey die nöthige Vorsicht gebrauchen, und die Auf­ merksamkeit auch auf die Zukunft richten.“158 Ähnlich, aber einflußreicher kritisierte Adolph Dieterich Weber die weitreichende Anwendungspraxis. In den beiden maßgeblichen zivilrechtlichen Werken der Zeit, in den Pandek­ ten Glücks und im Theoretisch-practischen Commentar über die Heineccischen Institutionen von Höpfner, wurde er ausführlich zitiert, und selbst Thibaut erwähnt Webers Kritik.159 Die Kritik zeigte Wirkung. Der einzige Versuch, den Kerngedanken der clausula rebus sic stantibus für alle Ver­ tragstypen zu kodifizieren, wurde vom Codex Maximilianeus Bavaricus civilis unternommen.160 Das preußische Allgemeine Landrecht vermied eine allgemeingültige Formulierung der clausula, mochte sich aber von diesem Rechtsinstitut noch nicht trennen.161 Man versuchte die maßgebenden Um­ stände näher einzugrenzen - mit ersten Erfolgen der Judikatur, die den in der Inflation entwickelten Kriterien erstaunlich nahekam. Das österreichi­ sche AB GB begnügte sich schließlich mit der punktuellen Anerkennung des clausula-Gedankens in einzelnen Vertragstypen des besonderen Schuld­ rechts.162 Hier wurde die clausula für bestimmte Fälle konkretisiert, in de­ nen die Natur des Vertrages eine Auflösung nahelegt. Es war der historische 158 Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, 3. Teil, 1. Hauptstück, 8. Kapitel (S.363). 159 Weber, Systematische Entwickelung der Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, § 90, S. 386 ff.; Glück, Pandekten, Bd. 4, Erlangen 1796, § 316, S. 309; Höpfner, Commentar über die Institutionen, § 1010; Thibaut, System des Pandektenrechts, § 1177 der 1. Auflage 1803 (§ 671 der 8. Auflage 1834). 160 Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, 4. Teil, 15. Kapitel, § 12. 161 § 377,1,5 ALR: ,Außer in dem Fall einer wirklichen Unmöglichkeit kann wegen ver­ änderter Umstände die Erfüllung nicht verweigert werden.“ Ausnahme insbesondere in § 378,1, 5 ALR. Zu den weiteren zahlreichen Ausnahmen vgl. die Aufzählung bei Pfaff, Die Clausula: Rebus sic stantibus in der Doctrin und der österreichischen Gesetzgebung, S. 310­ 316. 162 § 901 ABGB: „Haben die Parteien den Beweggrund oder den Endzweck ihrer Einwil­ ligung ausdrücklich zur Bedingung gemacht; so wird der Bewegungsgrund oder Endzweck wie eine andere Bedingung angesehen. Außerdem haben dergleichen Äußerungen auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluß. Bei den unentgeltlichen aber sind die bei den letzten Anordnungen gegebenen Vorschriften anzuwenden.“

Anspruch der Pandektistik, der schließlich jegliche Diskussion um eine sinnvolle Grenzziehung erstickte. Nur Thibaut macht sich noch die Mühe, die clausula mit konkreten Fallkonstellationen in Verbindung zu bringen. Für die späteren Pandektisten ist sie bereits Geschichte.163 a) Partielle Anwendungsbereiche der clausula rebus sic stantibus

Bereits das österreichische ABGB konnte sich nur zu einer partiellen Rege­ lung der clausula rebus sic stantibus durchringen.164 Auch im BGB findet sich der Rechtsgedanke in einzelnen Vorschriften des besonderen Schuld­ rechts. Drei Normen reagieren auf eine Vermögensverschlechterung auf Seiten des Vertragspartners. Nach § 610 BGB hat der Darlehensversprecher die Möglichkeit des Widerrufs, wenn sein Rückerstattungsanspruch gefähr­ det wird. § 321 BGB gestattet dem Vorleistungspflichtigen, die Vorleistung im Falle einer Gefährdung des Gegenanspruchs zu verweigern. § 775 Abs. 1 Nr. 1, 2 BGB gibt dem Bürgen einen gegen den Hauptschuldner gerichteten Befreiungsanspruch, sofern sein (potentieller) Regreßanspruch durch eine Vermögensverschlechterung auf Seiten des Hauptschuldners gefährdet ist. Die Fälle sind alle ähnlich. Es geht um einen Kredit. Das Darlehen kre­ ditiert Geld, die Vorleistung kreditiert die gelieferte Waren und die Bürg­ schaft Sicherheit. Und als Kredite weisen sie für den Kreditgeber besondere Risiken auf. Das Reichsoberhandelsgericht wollte hier gar „eine allgemeine kaufmännische Ansicht“ erkannt haben. Es sei „eine selbstverständliche Voraussetzung wirksam bleibender Verbindlichkeit des Promittenten, daß nicht, bevor die Creditzusage zur Ausführung gelangt, Umstände in Betreff der Vermögensstellung des Promissars bekannt werden, welche diesen als so unsicher und die Gefährdung des zugesagten Credits als so gefährdet er­ scheinen lassen, daß mit Bestimmtheit angenommen werden darf, der Pro­ mittent würde, wenn ihm diese Lage schon bei dem Geschäftsabschlusse bekannt gewesen wäre, zu diesem sich nicht verstanden haben“.165 So das Gericht im Jahr 1877. Um die Jahrhundertwende entbrannte ein Streit, ob

163 Thibaut, System des Pandekten-Rechts, 1. Auflage, § 1177 (§ 671 der 8. Auflage); ablehnende Erwähnung bei: Wächter, Pandekten, Bd. 1, § 84, S. 439 f.; Windscheid, Lehr­ buch des Pandektenrechts, Bd. 1, § 98, Fn. 5; Baron, Pandekten, § 64, S. 123; Regeisberger, Pandekten, § 175, S. 123. 164 § 936 Satz 1 ABGB: „Die Verabredung, künftig erst einen Vertrag schließen zu wol­ len, ist nur dann verbindlich; wenn [...] die Umstände inzwischen nicht dergestalt verändert worden sind, daß dadurch der ausdrücklich bestimmte, oder aus den Umständen hervor­ leuchtende Zweck vereitelt, oder das Zutrauen des einen oder anderen Teils verloren wird.“ Zu den weiteren Ansätzen der clausula im ABGB vgl. noch Pfajf, Die Clausula: Rebus sic stantibus in der Doctrin und der österreichischen Gesetzgebung, S. 330-337. 165 ROHGE 23,137.

die genannten Normen im Sinne des Urteils weit ausgelegt werden kön­ nen.166 Selbst das Reichsgericht schwankte zunächst, sprach sich aber schließlich für eine enge Anwendung der Normen aus.167 Die restriktive In­ terpretation liegt durchaus im Interesse der Verfasser des Gesetzes. Kübel, der Redaktor des Teilentwurfs des Obligationenrechts, wollte weder im Sin­ ne des § 610 noch des § 321 BGB in den Vertrag eingreifen. „Regelmäßig wird derjenige, welcher Kredit giebt, z.B. Waaren auf Kredit verkauft, dies mit Rücksicht auf die zur Zeit des Vertragsschlusses bestehende oder ange­ nommene Vermögenslage des Schuldners thun", anerkennt Kübel. „Es liegt im Wesen des Kredits“, fährt er etwas später fort, „daß, wer solchen gibt oder zu geben verspricht, damit das Risiko eines Verlustes übernimmt, und es fehlt an einem zureichenden Grunde, gerade Demjenigen, der ein Darle­ hen verspricht, dieses Risiko abzunehmen.“168 Kübel wollte nur die aus­ drückliche Abrede anerkennen. Die Regelung des heutigen § 610 BGB wur­ de durch die Erste Kommission, die des § 321 BGB erst durch die Zweite Kommission als ausdrückliche Ausnahmen in das Gesetzbuch integriert.169 Der Gedanke der clausula findet sich noch in diversen außerordentlichen Kündigungsrechten des besonderen Schuldrechts. Dienstvertrag (§§ 626, 627), Auftrag (§ 671) und Verwahrungsvertrag (§ 696), die Gesellschaft (§ 723) und die schlichte Gemeinschaft (§ 749 Abs. 2 BGB) können privi­ legiert gekündigt werden, sofern ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Für die Miete wurden in den §§ 553, 569 und 570 BGB und für die Leihe in § 605 BGB wichtige Gründe näher bestimmt. Die Widerrufsrechte bei Schenkung und Erbvertrag in den §§ 530, 2294 BGB sowie die Schenkungseinreden des §519 Abs. 1 BGB konstituieren bei formal anderer Rechtstechnik ebenfalls konkrete wichtige Gründe für die Vertragslösung. Zwei Fallgruppen lassen sich unterscheiden: Dauerschuldverhältnisse und gegenleistungsfreie Ver­ sprechungen. Dauerschuldverhältnisse wie Miete, Dienstvertrag oder Rechtsgemeinschaften sind in besonderer Weise Zukunftsrisiken ausgesetzt. 166 Hierzu: Silberschmidt, Die clausula rebus sic stantibus im BGB, SeuffertsBl 67 (1902), S. 149-159; Regeisberger, Anspruch des Gläubigers auf Leistung von Sicherheit für betagte oder bedingte Forderungen wegen Eintritts einer Verschlechterung in der Vermö­ genslage des Schuldners, Jherings Jahrbücher 40 (1899), S. 451-483; Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse, S. 88-94. 167 Weite Auslegung: RGZ 60, 56 (58 f.); enge Auslegung: RGZ 50, 255 (257) und 65, 185 (188 und 192). 168 Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB: Kübel, Obligationenrecht Bd. 2, Abschnitt 2, Titel 2.1., S. 12 = Schubert, Bd. 2/1, S. 530. 169 Protokolle der Ersten Kommission vom 2. Februar 1883 und 30. Mai 1885, S. 1677­ 1682 = Jakobs/Schubert, Schuldrecht Bd. 2, S. 722-724; Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 199 und 314 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 109 und 175; Protokolle der Zweiten Kommis­ sion, S. 1263 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 636.

Im Einzelfall mag man sich darüber streiten, ob hier wirklich Prinzipien der clausula-Lehre normiert wurden. Es ist aber evident, daß bei außerordentli­ chen Kündigungsmöglichkeiten ein allgemeines Rücktrittsrecht wegen ver­ änderter Umstände nicht mehr nötig ist. Leistungen unentgeltlicher Art wie Schenkung, Auftrag und Leihe genießen schon von sich aus einen geringe­ ren Rechtsschutz. Bereits die modus-Lehren der Pandektisten beruhten auf diesem Gedanken wie auch die Voraussetzungslehre Windscheids. Das ak­ tuelle BGB kennt noch § 593 BGB. In dem hier interessierenden Zeitraum war die Norm freilich nicht im BGB. Als remissio mercedis geisterte sie zwar noch durch die Pandektenlehrbücher,170 bereits der Dresdener Entwurf eines Obligationenrechts von 1866 sah aber keinen Anlaß mehr, dem Land­ pächter die Gefahr von Mißernten abzunehmen. Ein versicherbares Risiko, wie die Dresdener Kommission meinte, für das der Pächter selbst Vorsorge zu tragen habe.171 Ein Bedürfnis nach einer Verteilung des Risikos mochte die Kommission jedenfalls „nach den gegenwärtigen landwirtschaftlichen Verhältnissen“ nicht anerkennen. b) Die Dekonstruktion der clausula rebus sic stantibus (insbes. im ALR) Die clausula rebus sic stantibus ist ein Instrument, welches vertragliche Verpflichtungen an die sie begleitenden äußeren Umstände bindet. Soweit besteht Einigkeit. Über die inhaltlichen Kriterien ist damit noch nichts aus­ gesagt. Selbstverständlich würde eine umfassende Berücksichtigung der den Vertrag begleitenden Umstände die Vertragserfüllung weitgehend in das Belieben des Schuldners stellen und so dessen vertragliche Bindung nicht unerheblich aufweichen. Bereits im Usus Modernus Pandektarum wurde der Versuch unternommen, die clausula einzugrenzen. Die von Augustinus Ley­ ser formulierten Voraussetzungen der clausula haben insofern Bedeutung erlangt, als sie sämtlich in den Codex Maximilianeus Bavaricus aufgenom­ men wurden.172 Die clausula soll nach dem Codex „alle Verbindungen“ auf­ heben, jedoch unter drei Voraussetzungen, „wenn nämlich erstens sothane Veränderung weder mora noch culpa aut facto debitoris veranlaßt worden, selbe auch zweytens nicht leicht voraus zu sehen gewesen, und endlich drittens von solcher Beschaffenheit ist, daß, wenn debitor solche voraus ge­ wußt hätte, er sich nach unpartheyisch- und redlichem Gutachten verständi­ 170 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, Bd. 2, § 400, S. 738; Dern­ burg, Pandekten, Bd. 2, § 111, S. 306; Arndts, Lehrbuch der Pandekten, 9. Auflage, § 312 Anm. 1. 171 Kübel, Redaktorenvorlage zum Obligationen recht, Bd. 2, Tit. Pacht S. 184-187 = Schubert, S. 434-437. Statt dessen sorgte man sich um zahlreiche und schwierige Prozesse, obwohl die Praxis gerade darüber nichts zu berichten wußte. 172 Zu Leyser: Rummel, Die „clausula rebus sic stantibus“, S. 178-181.

ger Leute nimmermehr hierauf eingelassen haben würde [...]"173 Mangeln­ des Verschulden, fehlende Vorhersehbarkeit und Wesentlichkeit, so könnte man knapp die Tatbestandsmerkmale umreißen. Probleme bereitet insbe­ sondere die Wesentlichkeit. Wiguläus Xaverius Aloysius von Kreittmayrj Schöpfer und Kommentator der Kodifikation, merkte hierzu an: „Am si­ chersten und billigsten dünkt uns die Meynung zu seyn, welche die Clausul zwar nicht völlig hierin verwirft, aber auch nicht allzuweit ausdehnt, son­ dern solche nur cum grano salis und auf solche Veränderungen applizirt, bey welchen kein verständiger und unpartheyischer Mensch so leicht ermessen könnte, daß Paciscentes doch noch auf den Kontrakt in totum vel tantum einverstanden gewesen seyn sollten.“173 174 Adolph Dieterich Weber schlug vor, die Natur des Vertrages entscheiden zu lassen. In seiner Schrift „Systematische Entwickelung der Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit und deren gerichtliche Wirkung“ führt Weber aus: „Eigentlich wird dazu, um von der Clausul, rebus sic stantibus, als ei­ ner allgemeinen Regel Gebrauch zu machen, erfordert, daß die entstandene Veränderung einen Umstand betreffe, welchen entweder die Natur des Ver­ trages, oder ausdrückliche Verabredung der Parteien dergestalt wesentlich erfordert, daß ohne ihn der Vertrag wegfällt. Alle übrigen besonderen Ver­ hältnisse eines oder des anderen Contrahenten kommen hier gar nicht in Betrachtung [...]“175 Weber schlug also die „ausdrückliche Vereinbarung“ und die „Natur des Vertrages“ vor. Der Vertrag soll von den ihn konstituie­ renden einzelnen Willenserklärungen und Motiven gelöst und als eigenstän­ dige Regelung analysiert werden. Leider verrät uns Weber nicht, wie diese Analyse im einzelnen auszusehen habe, insbesondere wie wir uns die Natur der einzelnen Vertragstypen vorstellen dürfen. Das preußische Allgemeine Landrecht versucht, den Ansatz Webers aufgreifend, aus dem Vertrags­ zweck objektive Kriterien für die Grenzen der vertraglichen Bindung her­ auszufiltern.176 Das ALR unterscheidet hierzu verschiedene Arten von Zwecken. Da findet sich zunächst der allen Vertragsparteien gemeinsame „Endzweck“ in § 378,1, 5 ALR, der die vertragliche Bindung im Sinne ei­

173 Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, 4. Teil, 15. Kapitel, § 12. 174 Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum civilem, 4. Teil, München 1821, zu Kapitel 15 § 2, S. 727. 175 Weber, Systematische Entwickelung der Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, §90, S. 387. 176 Zu der Entstehungsgeschichte des § 378,1, 5 ALR vgl. Schoop, Die clausula rebus sic stantibus in der Zivilgesetzgebung des deutschen Sprachkreises, S. 3-5; Pfaff, Die Clausula: Rebus sic stantibus in der Doctrin und der österreichischen Gesetzgebung, S. 303-308 sowie RGZ 1,109 (110 f.).

ner clausula rebus sic stantibus beschränken soll.177 Weiter beachtet das ALR die von einer Partei qualifiziert gesetzten Zwecke, verbunden aller­ dings mit einer nachteiligen Schadensersatzregelung in den §§ 380, 381 I, 5 ALR.178 Schließlich gibt es noch bloße Motive. Diese ermöglichen es dem Erklärenden nicht, von der vertraglichen (Primär-)Verpflichtung Abstand zu nehmen.

Der Endzweck beider Teile (§ 378,1, 5 ALR)

Kann man sich bereits über den Begriff des gemeinsamen Vertragszwecks streiten, so wird die Regelung des ALR durch die neue Terminologie „End­ zweck" nicht gerade klarer. Gemein ist den Parteien bei Vertragsschluß ei­ gentlich nur der Wille, die versprochenen Leistungen miteinander zu ver­ knüpfen und die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Abseits dieses Zwecks verfolgen Schuldner und Gläubiger gewöhnlich unterschiedliche Ziele. Stampe sieht deshalb ausschließlich individuelle „Parteizwecke“ am Werke, womit er den Anwendungsbereich des § 378, I, 5 ALR zugunsten des § 380, I, 5 ALR drastisch beschneidet.179 Mit entgegengesetzter Ten­ denz stellt Schoop auf einen objektiv gearteten „Wesenszweck“ ab, der auch über die bloße Erfüllung hinaus notwendig gemeinsam im Sinne des § 378, I, 5 ALR sei.180 Damit schließt er sich dem RG an, das feststellte: „Sind die eingetretenen Umstände derart, daß sie, wenn sie bei Abschluß des Vertra­ ges vorhanden gewesen wären, den Vertrag als einen seinem wirtschaftli­ chen Wesen nach ganz anderen hätten erscheinen lassen, als er sich nach den beim Abschlusse wirklich vorhandenen Umständen darstellte, so ist eben nach Eintritt dieser Umstände die Erfüllung des Vertrages in seiner ur­ sprünglichen Beschaffenheit nicht mehr möglich, der Endzweck beider Teile ist nicht erreichbar.“181 In der angeführten Entscheidung sieht das RG das wirtschaftliche Wesen eines Kaufs in der „Lieferung einer Sache gegen Zahlung eines Äquiva­

177 § 378,1, 5 ALR: „Wird jedoch durch eine solche unvorhergesehene Veränderung die Erreichung des ausdrücklich erklärten oder aus der Natur des Geschäfts sich ergebenden Endzwecks beyder Theile unmöglich gemacht, so kann jeder derselben von dem noch nicht erfüllten Vertrage wieder abgehn.“ 178 § 380,1,5 ALR: „Wird durch die Veränderung der Umstände nur der ausdrücklich er­ klärte oder sich von selbst verstehende Zweck des einen Theils ganz vereitelt, so kann dersel­ be zwar von dem Vertrage zurücktreten“; § 381,1,5 fügt an: „Er muß aber, wenn die Verän­ derung in seiner Person sich ereignet hat, den Anderen vollständig entschädigen.“ 179Stampe, Aus einem Freirechtslehrbuch, AcP 110 (1913), S. 153 f. 180 Schoop, Die clausula rebus sic stantibus in der Zivilgesetzgebung des deutschen Sprachkreises, S. 7. 181 RGZ 22,81 (87); bestätigt in: Gruchot 33 (1889), 933.

lents“. Das RG geht dabei, das von den Parteien dem Vertrag zugrunde ge­ legte Wertverhältnis berücksichtigend, von einer subjektiven Äquivalenz aus. Es wird nicht die tatsächliche Wertidentität erfragt, sondern dasjenige, was „nach der davon etwa abweichenden Auffassung der Beteiligten als ,Äquivalent4 erscheint".182 Solange die Gegenleistung objektiv irgendein Äquivalent beinhalte, so lange sei ein Kauf gewollt. Werde nun dieses von den Parteien erzeugte Äquivalenzgefüge gestört, so sei dieser - wirtschaft­ lich erweiterte - Endzweck beeinträchtigt. Er entfalle allerdings erst dann, wenn die Äquivalenz durch die unvorhergesehenen Umstände so gestört werde, daß von einer Gegenleistung nicht mehr gesprochen werden könne, wenn also das als Kauf vereinbarte Rechtsgeschäft nach objektiver Be­ trachtung zu der Zeit der Erfüllung einer Schenkung gleichkomme.182 183 Mit der wirtschaftlichen Komponente ist von dem Reichsgericht ein in­ teressantes Kriterium eingeführt worden. Der Wesenszweck wird nicht mehr auf die juristische Verbindung von Leistung und Gegenleistung reduziert, sondern anhand der zugrundeliegenden wirtschaftlichen Zielvorstellung er­ weitert. Indem das Reichsgericht den wirtschaftlichen Zweck erst dann als entfallen ansieht, wenn die Art der juristischen Verbindung dadurch ihren Rechtscharakter ändert, bleibt es aber der - einer wirtschaftlichen Betrach­ tungsweise eigentlich zu statischen - rein juristischen Begrifflichkeit ver­ haftet. Immerhin nimmt das Reichsgericht einen gewissen, der wirtschaftli­ chen Wertung zugänglichen Spielraum in Anspruch. Zwei Fälle kamen in dieser Zeit verstärkt vor die Gerichte. Der Übergang vom Freihandel zum Protektionismus brachte viele Kaufleute in die Verlegenheit, zu Preisen er­ füllen zu müssen, die noch ohne die neuen „Schutzzölle“ kalkuliert worden waren. Vom Finanzbedarf des neuen Reiches wurden des weiteren die Spi­ rituosenhändler überrascht. Da das Reich nur über wenige Steuerkompeten­ zen verfügte, wurden großzügig Verbrauchssteuern eingeführt, unter ande­ rem eine nahezu hundertprozentige auf Spirituosen. Das Reichsgericht half dem Spirituosenhändler, nicht aber den schutzzollgeplagten Kaufleuten.184 Maßgebend für die unterschiedliche Behandlung war die Überlegung, daß die Spirituosensteuer den Leistungsgegenstand unmittelbar traf, während der Zoll nur den Import, also die der Erfüllung vorgelagerten Beschaffungs­ 182 RGZ 22,81 (88): „Zum Begriffe des Kaufes gehört nur, daß eine Gegenleistung zuge­ sagt wird, welche nach der allgemeinen wirtschaftlichen Auffassung, bzw. im besonderen Falle nach der davon etwa abweichenden Auffassung der Beteiligten als »Äquivalent* er­ scheint. Ob bei der Erfüllung die Leistungen sich als wirklich gleichwertig herausstellen, ist gleichgültig.“ 183 RGZ 22,81 (87 f.). 184 Einführung einer Verbrauchssteuer nach Vertragsschluß: RG Gruchot 33 (1889), 932; RGZ 21,178; RGZ 22,81; Einführung von Schutzzöllen: JW 1895,342, Nr. 56.

opfer, verteuerte. Probleme des Leistungsgegenstandes galten als wechsel­ seitige, solche des Erfüllungsvorgangs als schuldnerseitige. Das Gericht führte aus: „An dem Gelingen dieses Transportes überhaupt oder zu dem bisherigen Zoll hatte die Kl. [= Käuferin] keinerlei rechtliches Interesse, und es geht deshalb nicht an, dieses Gelingen als den auch von der Kl. vorausge­ setzten Endzweck des Geschäfts anzusehen.“185 Für die Hauptpflicht wurde die oben beschriebene gemäßigte Äquivalenzkontrolle bestätigt: „Die Un­ möglichkeit, das Geschäft als Kauf aufzufassen, wurde in jenen Urtheilen nicht nur für den Fall angenommen, daß der Verkäufer einen höheren Betrag als Steuer hätte bezahlen müssen, als der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis betrug, sondern auch dann, wenn er von dem als Kaufpreis vereinbarten Betrag nur einen solchen geringen übrig behalten haben würde, daß derselbe nicht mehr als wirtschaftliches Äquivalent angesehen werden konnte.“186

Der einseitige Parteizweck (§ 380,1, 5 ALR) Der § 380,1,5 ALR begnügt sich sogar mit einer einseitigen Zwecksetzung. Hätte das Reichsgericht dasselbe Ergebnis also auch ohne die Konstruktion eines notwendig gemeinsamen Wesenszwecks erreichen können? Auffällig ist, daß kaum eine Entscheidung auf die voraussetzungsärmere Norm Bezug nimmt. Allein Stampe bevorzugt den Weg über § 380,1, 5 ALR, freilich oh­ ne im Ergebnis zu anderen Rechtsfolgen zu gelangen; das Problem der Haftung umgeht er durch eine enge Auslegung des § 381, I, 5 ALR.187 Stampe glaubt, die Grenze zum Motiv vermieden oder doch auf die Haftung geschoben und so entschärft zu haben. Was Stampe übersieht oder überse­ hen will: Auch der § 380,1,5 ALR läßt nicht jeden Parteizweck zu, sondern nur ausdrücklich erklärte und sich von selbst verstehende. Eine Abgrenzung des beachtlichen Zwecks vom bloßen Motiv erübrigt sich auch bei dieser Norm nicht.188 Ungeachtet der unterschiedlichen Wortwahl wurde die hier in Frage stehende Abgrenzung gemeinhin nicht anders als bei § 378, I, 5 ALR vorgenommen. Der in diesem Punkt unveränderte Revisionsentwurf zum Allgemeinen Landrecht von 1848 spricht einheitlich von dem „sich von selbst ergebenden Zweck des Geschäfts für beide oder doch für den einen 185 RG JW 1895,342, Nr. 56. 186 Gruchot 33 (1889), 935. 181 Stampe, Aus einem Freirechtslehrbuch, AcP 110 (1913), 158,153. Stampe vermißt ei­ ne Regelung für „die vielen Fälle, wo die Veränderung der Umstände sich nicht in der Person einer der Parteien abspielt; man vergleiche die Beispiele [...], wo Änderungen der Rechts­ ordnung den Wert oder die Lieferbarkeit einer Ware verändern“. 188 Hierauf beruht die Ablehnung des § 380, I, 5 ALR im Fall der von einer Partei ur­ sprünglich gewollten, dann aber im Interesse einer Einigung unterlassenen Bedingung durch das RG in JW 1891, S. 99, Nr. 32.

Theil“.189 Auch die Literatur führt nur die Einseitigkeit der Zwecksetzung als Unterschied der Normen auf. Bornemann beispielsweise fragt nach der „Erreichung des [...] aus der Natur des Geschäfts sich ergebenden End­ zwecks eines oder beider Kontrahenten“.190 Selbst das Reichsgericht bezieht sich einheitlich auf die „Natur des Geschäfts“.191 Die geringe Beachtung des § 380,1, 5 ALR erklärt sich aus der Natur der Natur. Zwecke, die sich aus der Natur des Geschäfts ergeben sollen, sind in aller Regel dem Vertrag ob­ jektiv immanent und werden deshalb notwendigerweise von beiden Parteien bezweckt. Einseitige und aus der Natur des Vertrages abzuleitende Zwecke lassen sich dagegen nur schwer begründen. Hauptanwendungsfälle des § 380, I, 5 ALR sind die erklärten Zwecke. Für diese Variante der Norm beinhaltet das Erfordernis der ,Ausdrücklich­ keit“ eine nicht gering zu schätzende Einschränkung. Die generelle Erwar­ tung des Verpflichteten, die Situation möge so bleiben wie sie sich bei Ver­ tragsschluß darstellte, genügt eben nicht. Andererseits ist auch eine aus­ drückliche Gefahrtragungsabrede, wie beispielsweise eine Kriegsklausel, nicht erforderlich. In der Rechtsprechung wurde die Norm fast durchweg auf mitgeteilte Verwendungszwecke angewandt.192 Wie weit sollten mitgeteilte Zwecke berücksichtigt werden? Klärung verspricht ein Blick in die unmit­ telbar folgenden Vorschriften des ALR. Das ALR kennt zwei Fälle verän­ derter Umstände, die eine Störung einseitig gesetzter Zwecke nach sich zie­ hen können: die in der Person des Zwecksetzenden eingetretenen und die in der Person des Vertragspartners begründeten. Liegt die Störung an der man­ gelnden Eignung des Vertragspartners, den gesetzten Zweck erfüllen zu können, gelten die §§ 382-384, I, 5 ALR; ist die Störung dagegen in der Person des Zwecksetzenden begründet, dann gibt der § 381,1, 5 ALR dem Vertragspartner einen Anspruch auf das positive Interesse.193 Gemeint ist ^Schubert (Hg.), Gesetzesrevision (1825-1848), II. Abteilung, 3. Band, S. 213. 190 Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Zivilrechts, Bd. 1, § 165, S. 362; vgl. noch: Heydemann, Einleitung in das System des Preußischen Civilrechts, S. 269; Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, Bd. 2, § 100, S. 247, sowie Eccius, Preu­ ssisches Privatrecht, Bd. 1, § 87, S. 530. 191 RG Gruchot 37 (1893), 995 (997). 192 Pr. Obertribunal, in: Entscheidungen, Bd. 26, S. 239: geschenktes Grundstück sollte der Lebensgemeinschaft mit der (nun verstorbenen) Frau dienen; Pr. Obertribunal, in: Striethorst, Bd. 24, S. 302: gekauftes Viehfutter sollte bestimmtem (nun veräußerten) Betrieb dienen; RGZ 1,109: Kaufgegenstände sollten einem bestimmten Restaurationsbetrieb dienen (für den die Lizenz verweigert wurde) und Gruchot 37 (1893), 995: Mietobjekt sollte die Be­ treuung einer bestimmten ebenfalls dort wohnenden Patientin ermöglichen (der gekündigt wurde). Rein theoretisches Beispiel noch in RGZ 22,86. 193 Zum Begriff der vollständigen Entschädigung. Eccius, Preussisches Privatrecht, Bd. 1, §87, S. 530.

ersichtlich die Verwendungsstörung. Der Vertragspartner muß entschädigt werden, sofern der Vertrag allein deshalb zwecklos geworden ist, weil die Bedürfnissituation auf Seiten des Zwecksetzenden nicht mehr besteht. Exi­ stiert diese noch, ist aber die Vertragserfüllung nicht mehr geeignet, das Be­ dürfnis zu befriedigen, so entfällt die Haftung. Jede Auslegung des § 380,1, 5 ALR, die den Zweck über das von dem Zwecksetzenden primär zu befrie­ digen getrachtete Bedürfnis hinaus ausdehnt, koppelt den Zweck von den Personen des Vertragsverhältnisses ab. Die Folge ist, daß die erweiterten Fälle der Zweckstörung nicht mehr in das Raster der §§ 381-384,1, 5 ALR passen. Stampe schloß deshalb auf eine Regelungslücke in den Schadenser­ satzregelungen.194 Es liegt aber näher, mit Hilfe der §§ 381-384, I, 5 ALR den § 380,1, 5 ALR eng auszulegen. Nicht jeder Umstand kann, einmal er­ klärt, die Vertragswirkungen bedingungsgleich beschränken. Vielmehr müs­ sen solche Umstände tangiert sein, deren Wegfall das mit dem Vertrag zu befriedigen getrachtete Bedürfnis betreffen. Der Vorgang der Vertragser­ füllung ist ebensowenig gemeint wie die Frage nach der Wertrelation von Leistung und Gegenleistung. Bestätigt wird diese restriktive Interpretation des § 380,1, 5 ALR durch einen Vergleich mit zwei weiteren Regelungen des Allgemeinen Landrechts, die ebenfalls den Begriff des Zwecks aufgreifen. (1) Für Lieferungsverträge findet sich im Allgemeinen Landrecht eine ausdrückliche Eingrenzung der beachtenswerten Umstände. Nach § 982, I, 11 ALR sind diejenigen Um­ stände nicht zu berücksichtigen, die es dem Lieferanten nachträglich er­ schweren, die bestellte Ware zu liefern.195 Eine Zweckstörung wird nur in­ soweit als beachtlich anerkannt, als die zu liefernde Sache von dem Bestel­ ler nicht mehr wie ursprünglich erwartet verwendet werden kann, § 984,1, 11 ALR.196 Jenseits der vom Besteller angestrebten Verwendung sind geäu­ ßerte Erwartungen also unbeachtliche Motive. (2) In den §§ 152-162, I, 4 ALR gilt als Zweck eine aus der Willenserklärung resultierende Möglichkeit der Verpflichtung des Erklärungsempfängers.197 Ganz einhellig wird hier

194 Stampe, Aus einem Freirechtslehrbuch, AcP HO (1913), 158,153. 195 § 982, I, 5 ALR: „Der Lieferant kann sich der übernommenen Verpflichtung nicht entziehen, wenn auch die Lieferung durch nachher eingetretene Umstände erschwert wird.“ 196 § 984,1, 5 ALR: „Wenn wegen veränderter Umstände die versprochene Lieferung zu dem Zwecke, wozu der Besteller sie bedungen hat, unnütz oder unbrauchbar wird: so kann zwar derselbe den Vertrag widerrufen“; angeordnet wird aber nur eine Schadensersatzpflicht für bereits gemachte Bemühungen. 197 § 152,1, 4 ALR: „Wenn aus dem Inhalt der Willenserklärung, oder aus den Umstän­ den erhellet, daß der Erklärende bey demjenigen, was er dem Andern zu thun oder zu unter­ lassen auferlegt; den eigenen Vorteil desselben zur Absicht gehabt habe, so ist eine solche Bestimmung eher für einen Endzweck, als für eine Bedingung zu achten.“ Die Sanktion fin­ det sich in § 158,1,4 ALR.

unter „Zweck“ die vom Erklärenden intendierte Verwendung einer dem Er­ klärungsempfänger zugesprochenen Sache durch diesen verstanden. Alles andere sei Bedingung oder unbeachtliches Motiv.198 Die eigenständige Stellung des Zwecks zwischen der Bedingung und dem bloßen Beweggrund, so der Ausdruck für das Motiv im ALR, wird durch den § 226, I, 5 ALR nochmals bestätigt.199 Hieraus wird ersichtlich: Es besteht im ALR eine en­ ge Verbindung zwischen dem Zweck einer Zuwendung und der Verwen­ dung des Zugewendeten. Eine erschöpfende Definition des Zwecks sucht man allerdings auch hier vergebens.

Zusammenfassung Das ALR wollte den für alle Vertragstypen geltenden clausula-Gedanken auf Zweckstörungen beschränken. Dabei legt die systematische Auslegung nahe, daß nur die erwartete Verwendung der Leistung berücksichtigt werden sollte, nicht aber sonstige mitgeteilte Motive oder gar der Leistungsvorgang selbst. Das RG hat sich in den Besteuerungsfällen von dieser engen Inter­ pretation gelöst und zusätzlich einen „wirtschaftlichen Zweck“ anerkannt. Insbesondere für Kaufverträge wurde der Begriff der Äquivalenz vorsichtig eingeführt, um so zumindest in krassen Fällen Probleme der Leistungser­ bringung berücksichtigen zu können. Dieser ausbaufähige Gedanke wurde später nicht weiter verfolgt. Das BGB hat eine genauere Ausformulierung der als berücksichtigenswert anzuerkennenden wirtschaftlichen Zwecke verhindert.

c) Die Rekonstruktion der clausula rebus sic stantibus Kurz vor der Jahrhundertwende, schon unter den Vorzeichen des kommen­ den Bürgerlichen Gesetzbuchs, wuchs das Interesse der Rechtswissenschaft an der clausula rebus sic stantibus. Rudolf Stammler gab im Recht der Schuldverhältnisse 1897 einen überraschend ausführlichen Abriß der clau­ sula rebus sic stantibus. Ihm folgte Leopold Pfaff in einem 1898 publizierten Festschriftbeitrag mit dem Titel: „Die Klausel: rebus sic stantibus in der Doktrin und der österreichischen Gesetzgebung“, der weit über das ABGB hinauswies. 1900 publizierte O. Fritze im Archiv für bürgerliches Recht den Aufsatz „Clausula rebus sic stantibus“. Es folgten zahlreiche Dissertationen 198 Eccius, Preußisches Privatrecht, Bd. 1, § 38, S. 186; Bornemann, Systematische Dar­ stellung des preußischen Zivilrechts, Bd. 1, § 35, S. 173; Heydemann, Einleitung in das Sy­ stem des Preußischen Civilrechts, S. 190. 199 § 226,1, 5 ALR: „Die Contrahenten können die Rechte, welche sie einander einräu­ men, durch Beyfügung von Bedingungen, Zwecken, Beweggründen, oder sonst, sowohl in dem Haupt- als in Nebenverträgen, nach Gutfinden bestimmen, erweitern oder einschrän­ ken.“

zu dem Thema.200 1914 erschien eine Arbeit von Paul Oertmann über „Rechtsordnung und Verkehrssitte“, die erstmals die Geschäftsgrundlage ansprach. Was steckte hinter diesem neuerwachten Interesse? Offensichtlich hatte die Rechtswissenschaft die historischen Bedenken abgelegt. Ein neuer Ausgangspunkt wurde gewählt: das Gesetz. Man machte sich nun Gedanken über den jenseits der historischen Zufälligkeiten bestehenden, vernünftigen Grund der einzelnen, vom Gesetz anerkannten Anwendungsfälle der clau­ sula rebus sic stantibus. Inhaltlich nähert sich die Literatur einer Position an, die schon Carl Gottlieb Svarez dazu bewogen hatte, die Aufnahme der clau­ sula rebus sic stantibus in das ALR zu betreiben: „Die clausula rebus sic stantibus ganz mit Stillschweigen zu übergehen, scheint nicht ratsam. An und für sich hat dieselbe in der Natur der Sache ihren vollkommenen Grund und hebt die großen Unbilligkeiten, welche aus einem uneingeschränkten Bestehen auf Erfüllung der Verträge in unzähligen Fällen entstehen.“201 Wer dem Schuldner mittels der clausula helfen wollte, dem bot sich die­ selbe Instanz an, die für die Bindung gesorgt hatte: der Wille. Der Weg ist allerdings steinig, das hatte bereits Windscheid mit seiner Voraussetzungs­ lehre erfahren müssen. Die clausula-Lehre bezieht sich auf Umstände, die jenseits des Erklärungszeitraums liegen. Die erklärenden Parteien werden mit einer Vielfalt an überraschenden und unvorhersehbaren Ereignissen konfrontiert, die in ihrem ganzen Spektrum nur von außen in den Vertrag hineingetragen werden können. Maßgebend war diese Hürde in den Prozes­ sen, die eine den Sachwert beinahe erreichende Nachsteuer auf Brennspiri­ tus zwischen den steuerpflichtigen Verkäufern und den Käufern auslösten. Das Reichsgericht bestand nach gemeinem Recht zu Lasten des Verkäufers auf der vertraglichen Verpflichtung, da eine Willensbeschränkung „in einer dem anderen Kontrahenten erkennbaren Weise hätte zum Ausdruck gebracht werden müssen“. Es sah sich gleichwohl nicht gehindert, bei identischer Sachlage nach ALR die clausula rebus sic stantibus anzuerkennen und ge­ nau umgekehrt die Vertragsauflösung zuzulassen.202 Eine am Willen anset­ zende, subjektive clausula-Lehre hätte den Willen ebenso vorsichtig ergän­ 200 Paul Bindewald: „Rechtsgeschichtliche Darstellung der clausula rebus sic stantibus und ihre Stellung im Bürgerlichen Gesetzbuch“, Leipzig 1901; Max Matthias dissertierte 1902 in Merseburg mit der Arbeit: „Rechtswirkungen der clausula rebus sic stantibus und der Voraussetzung rebus sic stantibus in den Reichszivilrechten“; 1909 folgte Leo Stahl mit einer Erlanger Dissertation über „Die sogenannte clausula rebus sic stantibus“; ebenfalls in Erlan­ gen erschien 1915 „Die Lehre von der clausula rebus sic stantibus“ von Fritz Grub. Zuvor, 1911, hatte Erich Kaufmann in Tübingen über „Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus“ gearbeitet. 201 Zitiert nach RGZ 1,109 (110). 202 Nach Gemeinem Recht entschied das RG in RGZ 21, 178 (180); nach preußischem ALR in RGZ 22,81, sowie in RG Gruchot 33 (1889), 932-935.

zen müssen wie die Voraussetzung von Windscheid. Kritikwürdig war auch dieser Weg. Kegel formulierte in einem Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag die Bedenken wie folgt: „Gerade die als sicher angenommene Tatsachengestaltung dringt nicht ins Bewußtsein, wird nicht in den Vertrag eingefügt. Von der subjektiven Seite, vom Parteiwillen her, ist deswegen das Problem des Einflusses veränderter Umstände auf den Vertrag gerade in den Fällen nicht lösbar, die am wichtigsten sind, nämlich wenn sich die Verhältnisse umstürzend geändert haben.“203 Kegel kritisierte mit diesen Worten zwar nicht die clausula-, sondern die Voraussetzungslehre, dennoch ist sie als Kritik einer subjektiv begründeten clausula-Lehre an sich berech­ tigt. Als Kritik an der Voraussetzungslehre geht sie aus den oben genannten Gründen fehl; mißbilligt wird eben nicht die Lehre von der Voraussetzung, sondern die Eignung einer Voraussetzung oder eines ähnlich begründeten Willensmoments, die durch eine nachträgliche Leistungserschwerung auf­ geworfenen Probleme lösen zu können. Windscheid selbst wollte die clau­ sula rebus sic stantibus von seiner Voraussetzungslehre fernhalten. Eine subjektive clausula-Lehre ging auch Windscheid viel zu weit.204 Fritze hat die Unterschiede zwischen den beiden subjektiven Lehren etwas später auf den Punkt gebracht: „Bei der Voraussetzung handelt es sich um Etwas, das schon bei dem Geschäftsschluß in Berücksichtigung gezogen wurde, und zwar in einer beiden Theilen erkennbaren Form; bei der Klausel dagegen um ein Etwas, an das beim Vertragsschluß, und zwar entschuldbarer Weise, noch gar nicht gedacht worden. [...] Muß die Voraussetzung daher aus­ drücklich oder stillschweigend erklärt sein, so ist das bei der Klausel nicht der Fall; hier knüpft sich die Rechtsfolge an einen nackten Thatbestand, dessen bloßes Vorhandensein zu ihrer Erzeugung ausreicht.“205 Der Wille allein konnte es nicht richten. Völlig vom Tisch ist die clausula damit aber noch nicht. Die Erste Kom­ mission sah immerhin die „im Einzelfalle veranlaßte Prüfung“ vor, „ob nicht nach der Absicht der Parteien der Rücktritt wegen veränderter Um­ stände der einen oder anderen Partei zustehen soll“ 206 Eine Absicht ist et­ was anderes als eine Erklärung und läßt Raum für Spekulationen. Die Re­ gelung des § 610 BGB wurde in den Protokollen der Ersten Kommission damit begründet, im allgemeinen sei bei Darlehensgeschäften eine entspre­ chende „stillschweigende Voraussetzung“ anzunehmen. Im vorsichtigeren Sprachgebrauch der Motive ist nur noch von einem „Vorbehalt“ die Rede.

203 Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag (1953), S. 148. 204 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, § 98, Fn. 5. 205 Fritze, Clausula rebus sic stantibus, in: ArchBürgR 17 (1900), 44. 206 Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 199 = Mugdan, Bd. 2, S. 109

Eine ,Auslegungsregel“ wollte man jedenfalls geschaffen haben.207 Die Zweite Kommission begründete die Aufnahme des späteren § 321 BGB nicht viel anders. Diesmal ist schlicht von einer „Voraussetzung“ die Re­ de.208 Ein spätes Zugeständnis an Windscheid? Wohl kaum. Weniger die er­ kennbaren Individualzwecke interessierten die beiden Kommissionen als vielmehr die „im Verkehre herrschenden Anschauungen“. Die Zweite Kommission bemüht gar noch die Billigkeit. Der Vertrag wird also von den ihn konstituierenden einzelnen Erklärungen gelöst und als eigenständige Regelung analysiert. Beide Kommissionen heben zudem den Ausnahmecha­ rakter der Normen hervor. Das Reichsgericht hat diese Vorgaben durchaus ernst genommen. In RGZ 60, 56 wurde ein Versicherungsvertrag nach Grundsätzen der clausula aufgehoben. Das Reichsgericht untersuchte hierzu den „erkennbare[n] Zweck des Versicherungsnehmers “. Der Zweck eines Versicherungsvertrages gehe dahin, stellte das Gericht fest, „sich gegen die Folgen eines irgendwie wirtschaftlich nachteiligen Ereignisses zu schützen, die Gewißheit zu haben, daß er [der Versicherer] durch die Versicherung gegen die befürchteten Nachteile bei deren Eintritt ohne weiteres Deckung finde“. Die Leistungsfähigkeit des Versicherers soll nach der Verkehrsan­ schauung ein wesentlicher Teil des Versicherungsvertrags sein. Eine aus­ drückliche Abrede benötigte das Reichsgericht dagegen nicht. Denn: „Es würde wider die denselben im weitesten Umfange beherrschten Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen, wenn man den Versicherten an einem Vertrage festhalten wollte, den er mit der Gesellschaft in ihrer gegenwärti­ gen Lage niemals abgeschlossen haben würde.“209 Das Reichsgericht ist also geneigt, bei einer ganzen Gattung von Verträgen den Gedanken der clausula ergänzend in Verträge hineinzulesen. Beachtenswerte Umstände sind aber, dem Vorbild des Gesetzes folgend, beschränkt. Die Veränderung muß in der Sphäre des Versprechensempfängers, d. h. des Begünstigten, stattgefunden haben. Der Weiterbestand neutraler Umstände verbleibt im Risikobereich des Leistungspflichtigen. In der Literatur wurde zum Teil forscher argumentiert. Paul Oertmann wollte mittels einer ergänzenden Auslegung helfen. Dies clausula beruhe, so Oertmann mit Blick auf den Willen, „nicht auf einer Einwirkung der noch unübersehbaren Verhältnisse der Zukunft auf das Geschäft, sondern auf der Annahme eines Fortbestehens der übersehbaren und übersehenen Verhält­ nisse der Gegenwart“.210 Die Willenserklärung soll deshalb um „objektive 207 Protokolle der Ersten Kommission, S. 1678-1680 = Jakobs/Schubert, Schuldrecht Bd. 2, S. 722 f.; Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 315 = Mugdan, Bd. 2,175. 208 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 1263 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 636. 209 RGZ 60,56 (59 f.). 210 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 202.

Vertragszwecke“ ergänzt werden, um das, wie er sich ausdrückt, „was nach der Verkehrsanschauung bei Geschäften dieser Art als entscheidender Ver­ tragszweck erscheint“.211 In Details verliert Oertmann sich nicht. Soviel aber ist klar: der wirtschaftliche Erfolg soll nicht zum objektiven Vertrags­ zweck gehören.212 Ändert sich die wirtschaftliche Konjunktur, so ist dies laut Oertmann unerheblich. Erst wenn „die als unveränderlich erachtete Grundlage“ sich geändert habe, soll auch die Rechtslage dem angepaßt wer­ den 213 Ganz ähnlich argumentiert Rudolf Stammler. Seine Überlegung nimmt ihren Ausgang mit der Erkenntnis, „daß Verträge und Schuldverhält­ nisse nur bedingte Mittel zur Erzielung eines rechten sozialen Zusammen­ wirkens sein können“ 214 Auch Stammler will deshalb objektive Inhalte in die vertraglichen Abreden hineintragen. Später sollte er seine „Grundsätze des richtigen Rechts“ heranziehen. „Ein wichtiger Grund“, faßt er die au­ ßerordentlichen Kündigungsrechte des BGB zusammen, „ist ein Umstand, der die Erreichung des von der Sonderverbindung gewollten Zieles nach den Grundsätzen des richtigen Rechts unmöglich macht.“215 Richtiges Recht lie­ ge vor, wenn die notwendig auseinandergehenden subjektiven Bestrebungen den idealen Gedanken grundsätzlicher Harmonie zum maßgeblichen Richt­ punkt nehmen.216 Ermöglichen soll diese Wertung der „thatsächliche Unter­ bau des Vertragsverhältnisses“ 217 Stammler spricht auch von „gerechtfer­ tigter Rücksichtnahme“. Er sieht die Gefahr, daß der Schuldner der Willkür des anderen - und nicht seiner selbst - anheimfalle 218 Auch Erich Kaufmann steht dem clausula-Gedanken aufgeschlossen ge­ genüber. „Standpunkt, Einsicht und Voraussicht“ der erklärenden Parteien seien „unvollkommen“ und „empirisch beschränkt“, erklärt Kaufmann die

211 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 209. 212 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 203: „Entscheidend ist vielmehr der objektive Vertragszweck, der die Vermutung eines ihn entsprechenden Parteiwillens so lange rechtfertigt, bis das Gegenteil nachgewiesen ist.“ 213 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 213. 214 Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 561 f.; vgl. noch ders., Recht der Schuldverhältnisse, S. 92 f. 215 Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 565. Positiv formuliert: „Es kommt ausschlaggebend darauf an, ob das besondere Ziel der Sondergemeinschaft unter Wahrung der Grundsätze des richtigen Rechts erreicht werden kann“, a.a.O., S. 575. 216 Stammler, Wirtschaft und Recht, § 65: „Ein berechtigter Zweck ist dann zu behaupten, wenn das empirisch erwachsene Begehren eines einzelnen nicht bloß ein subjektiv gültiges Getrieben werden bleibt, sondern als allgemeingültiges bestimmt, mithin auch wieder in dem Sinne einer für alle grundlegend einheitlichen Art der Zwecksetzung gerichtet wird.“ 217Stammler, Recht der Schuldverhältnisse, S. 89. Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, Berlin 1902, S. 564 f.

Notwendigkeit einer Korrektur.219 Er bevorzugt hierzu nach eigenem Be­ kunden die „stillschweigende Willenserklärung“, die er auch „stillschwei­ gene Voraussetzung“ nennt. Eine rein subjektive Willensauslegung verbirgt sich freilich nicht hinter dieser Begrifflichkeit. Denn laut Kaufmann steckt hinter jeder individuellen Willenserklärung eine „normative Gesetzlichkeit“, welche „die Zufälligkeiten des augenblicklichen Wollens ausgleicht“. Zu­ dem sei in jedem rechtlichen Wollen „eine formale Anerkennung des Rechtswerts“ mitenthalten, also auch die objektiven Rechtswerte, die er selbst in das Recht hineinlesen will: „Erstens steckt in jedem individuellen Willen eine über das bewußt und aktuell tatsächlich Gewollte hinausgehen­ de und dessen fragmentarische und unvollkommene Natur erweiternde nor­ mative Gesetzlichkeit, die selbst aber noch auf der Linie, noch innerhalb des Rahmens dieser bestimmten empirischen Individualität verbleibt, und die nur die Zufälligkeiten des augenblicklichen Vorstellens und Wollens aus­ gleicht. Zweitens steckt in jedem rechtlichen Wollen eine allgemeine Bezie­ hung auf das Recht als solches: eine formale Anerkennung des Rechtswer­ tes, der Wille, ihn im gegebenen Falle zur Geltung zu bringen, also die Willensbeziehung auf eine normative Gesetzlichkeit überindividueller Art.“220 Was Erich Kaufmann hier als stillschweigende Willenserklärung bezeichnet, ist nichts anderes als das, was Zivilrechtler gemeinhin unter ei­ ner Willensergänzung verstehen. Richtmaß der Ergänzung ist für Kaufmann, „was dem verpflichteten Kontrahenten auf Grund seines den , Wesenszweck 4 eines bestimmten ,Vertragstypus4 erstrebenden ,Wirkungswillens4 ,zugemutet4 werden darf“.221 Ob nun mit Oertmann das „Gesamtgeschäft“, mit Stammler das „von der Sonderverbindung gewollte Ziel“ oder der „Wesenszweck“ Kaufmanns den Ausgangspunkt bildet, eines haben sie alle gemeinsam: Immer werden die den Vertrag konstituierenden Willenserklärungen ergänzend ausgelegt. Noch einen Schritt weiter geht Leo Stahl, Er ortet die clausula rebus sic stantibus außerhalb des Willens. Sie sei ein objektiver Tatbestand, geschaf­ fen aus zwei Grundsätzen: aus Treu und Glauben im Rechtsverkehr und aus dem objektiven „Wesenszweck “ des abgeschlossenen Vertrags, den er dem „Privatrechtsorganismus“ entnehmen will 222 Stahl wurde darob viel zitiert und wenig beachtet. Zu Recht. Angesichts der dürftigen normativen Situati­ on hilft die Auslegung gerade nicht weiter. Durchgesetzt haben die anderen Theorien sich freilich auch nicht. 219E. Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, S. 83. 220E. Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts, S. 95. 221E. Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts, S. 110. 222 Stahl, Die sogenannte clausula rebus sic stantibus, S. 48 ff., 62 ff. und 80; hier zitiert nach E. Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, S. 76.

Kapitel II

Das Prinzip der wirtschaftlichen Gerechtigkeit Der Vertrag ist das Produkt einer Rechtsschöpfung. Die Betroffenen haben das Rechtsverhältnis selbst gestaltet oder der Gestaltung anderer zumindest zugestimmt. Widerstritten im Falle der Rechtsnorm zu Beginn unseres Jahr­ hunderts normative und faktische Geltungstheorien mit Anerkennungstheo­ rien unterschiedlichster Schattierung, so wurde der Geltungsgrund der ver­ traglichen Rechtsschöpfung einhellig im freien Willen ausgemacht. Neben dem Willen wurde noch im ausgehenden 18. Jahrhundert als ethisches und utilitaristisches Prinzip die Vertragstreue betont, doch war dies nurmehr ein unterstützendes Element. Jede Inhaltskontrolle muß sich gegen das rechtsschöpferische Potential des Willens durchsetzen. Den formalen Idealen der Willensfreiheit und Vertragstreue standen inhaltliche, etwa der Gerechtigkeit oder der Nützlich­ keit, gegenüber. Bis die vernunftkritische Transzendierung der freien Will­ kür durch die kantische Morallehre einen Rückzug materialer Werte einlei­ tete, galt hier eine prinzipielle Gleichwertigkeit. Der freie Wille setzte sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch, aber nicht als wichtigster ethi­ scher Gedanke unter mehreren, sondern als eine alles überstrahlende Idee. Es sei besser, die Armen als diese Idee umkommen zu lassen, hatte der Kantianer Karl Ludwig Pörschke geschrieben1 und damit schonungslos den Unterschied zwischen einem moralischen Prinzip und einer Idee offenge­ legt. Noch Friedrich Carl v. Savigny war fasziniert von dieser apodiktische Folgerung.2 Eine „Entsittlichung des Privatrechts“,3 die ausgerechnet durch die sittliche Idee der Autonomie legitimierte wurde. Nun hat selbst Savigny nicht zu einer reinen Umsetzung der Autonomie des Willens aufgerufen. Seine Volksgeistlehre und die darauf fußenden historischen Forschungen stehen sogar in ausgesprochenem Gegensatz zu der erkenntniskritischen Haltung kantischer Prägung. Die Nagelprobe blieb Savigny erspart, aus Gründen, die in der Eigenart des römischen Rechts und nicht in einer er­ ^Pörschke, Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte, Königsberg 1795, S. 159 2 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, § 56, S. 371. 3 So Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 22.

kenntniskritischen Überprüfung der Volksgeistlehre zu suchen sind. Nur wenige, wie Friedrich Julius Stahl, entzogen sich ganz den vernunftkriti­ schen Strömungen der Zeit. Stahl verlangte einen objektiven Zweck, der erst den Vertrag zu einem „notwendigen Bestandteil des Gemeinlebens“ erheben und ihm so die Weihen allgemeiner Anerkennung verschaffen konnte.4 Eine auf freien Willensentscheidungen beruhende Rechtsordnung tut sich in jedem Fall schwer damit, die wirtschaftlichen Resultate einer vertragli­ chen Betätigung zu überprüfen. Die juristische Terminologie für diese Hemmung heißt subjektives Recht. In der Sache älter5 stieg das subjektive Recht durch die begrifflichen Systembildungen der historischen Rechts­ schule zum zentralen Begriff der Privatrechtsordnung auf.6 Eine „Zauber­ formel“, dazu ausersehen, das Privatrecht ohne jede philosophische oder weltanschauliche Lehre zu erfassen?7 Wissenschaftlich und wertneutral im selbstgesetzten Anspruch, verbirgt sich hinter dem Begriff des subjektiven Rechts der Versuch, den Einfluß des Individuums auf das objektive Recht zu klären. Ein wichtiger, hier zu vernachlässigender Aspekt des subjektiven Rechts zielte auf dingliche Rechte, vorzugsweise auf das Eigentum. Hinter dem Begriff verbirgt sich aber auch der Anspruch der Parteien, das objekti­ ve Recht möge die von ihnen inter partes gesetzten Regelungen in Gestalt einklagbarer Rechtspositionen anerkennen. Das Spannungsverhältnis zwi­ schen Individuum und Gesellschaft sollte also begrifflich erfaßt und gelöst werden. Die Würfel waren damit noch keinesfalls zu Lasten der Inhaltskon­ trolle gefallen. Natürlich ist das subjektive Recht ein Produkt der Willen­ sidee. Im Falle idealer Willensgeltung ist das objektive Recht mit dem sub­ jektiven identisch. Eine begriffliche Abgrenzung ist in diesen Fällen nicht notwendig, zumindest steht sie nicht im Zentrum der Diskussion. Gerade die zentrale Bedeutung, die dieser Begriffsbildung in jener Zeit zugemessen wurde, zeigt deshalb eher die Schwäche der Willensidee auf. So wird das subjektive Recht erstmals von Friedrich Julius Stahl, einem der Willensidee

4 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. 2, Teilbd. 1, S. 415 f.; a.a.O., S. 414 Fn.: „Leitet man, wie die meisten Naturrchtsdenker seit Kant, z.B. [...], die Verbindlichkeit des Vertrages bloß aus der Freiheit (,der Möglichkeit jedweder Kausalität*) ab, so kann man nur die ge­ genwärtige Uebertragung- und Leistungsmöglichkeit deduciren, nicht aber die zukünftige Gebundenheit.“ 5 Nörr, Zur Frage des subjektiven Rechts in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, S. 193-204; Coing, Zur Geschichte des Begriffs „subjektives Recht“, S. 7-23; Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, S. 69-89. 6 Die inhaltlichen Divergenzen waren freilich vielgestaltiger als die gängige Einteilung in Willens-, Interessen- und Kombinationstheorie nahelegt. Vgl. noch Kasper, Das subjektive Recht - Begriffsbildung und Bedeutungsmehrheit, S. 62-69. 7 So Kasper, Das subjektive Recht, S. 78.

unverdächtigen, christlich-konservativen Philosophen, eingehend erläutert.8 Die Juristen machten sich zumindest Gedanken über dessen konkrete Ge­ stalt und damit nolens volens über dessen Reichweite. Lange kaprizierte man sich auf die Rechtsdurchsetzung und klärte, daß die objektive Rechtsordnung dem Individuum einen Anspruch auf Gewäh­ rung ihres Schutzes bieten sollte. Die durchzusetzenden Inhalte interessier­ ten weniger. Den entscheidenden Anstoß bekam die Diskussion dann von einem, der sich selbst auch mit nichts anderem als mit der Frage der Rechts­ durchsetzung beschäftigte: von August Thon. Der dachte den prozessualen Ansatz konsequent zu Ende und kam zu dem Ergebnis, das subjektive Recht sei nur relevant für den Fall des Rechtsbruchs. Die rechtlichen Pflichten, Imperative, wie Thon sich ausdrückt, bestünden kraft objektiven Rechts. Erst im Fall des Rechtsbruchs könne der materiell Berechtigte entscheiden, ob er den kraft objektiven Rechts bestehenden Imperativ durchsetze oder nicht. Davor sei diese Entscheidungsbefugnis allenfalls als Anwartschaft denkbar.9 Dem Willen des einzelnen ist demnach die objektive Rechtsord­ nung vorgelagert. Diese hat erst zu entscheiden, ob ein rechtlicher Imperativ besteht, ob also ein Rechtsinhaber existiert, der im Falle der Verletzung von einem subjektiven Recht Gebrauch machen und den Imperativ durchsetzen könnte.10 Um den Begriff „Recht“ zu meiden, spricht Thon von „Befugnissen“.11 Die Begriffswahl zeigt es schon: die Befugnis wird gewährt; sie exi­ stiert nicht kraft übergeordneter Willensautonomie. Dieser Ansatz ist von Windscheid aufgegriffen worden. Der „im subjektiven Recht gebietende Wille“ sei „nur der Wille der Rechtsordnung [...], nicht der Wille des Be­ rechtigten“, teilt er in seinen Pandekten mit und kann sich damit auf die vorherrschende Ansicht stützen.12 Der bis dahin einheitliche Begriff zerfällt damit in zwei Bereiche. Da ist zum einen die von Thon geschilderte prozes­ suale Ermächtigung, die konsequent auszuüben Jhering in dem Vortrag „Der 8 Stahlj Die Philosophie des Rechts, Bd. 2, Teilbd. 1, Kap. 6, § 32, S. 109 f. Stahl sucht das subjektive Recht sittlich-religiös zu begründen; vgl. noch Kasper, Das subjektive Recht, S.59-62. 9 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 202-218. 10 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 371: „Von einem Rechtsgeschäft reden wir nur dann, wenn die Rechtsordnung den Eintritt oder das Aufhören ihrer Imperative davon abhängig macht, dass die von ihr bestimmte Vorbedingung durch die freie That eines hand­ lungsfähigen Menschen verwirklicht wird.“ 11 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 350. 12 'Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, Bd. 1, § 37, S. 158, Fn.3. Ähnlich Brinz, Lehrbuch der Pandekten, 1. Auflage, Bd. 2, § 312, S. 1388 f.: „Nicht irgend eine Absicht oder der Wille des Handelnden, sondern wie schon der Name andeutet, der Wille des Rechtsgeschäfts, der Wille des Rechtes gibt einer Handlung den Charakter eines Rechtsgeschäfts ...“; vgl. 2. Auflage, Bd. 1, § 66, S. 214 und 216.

Kampf ums Recht“ zur sittlichen Pflicht erhoben hatte. Auf der anderen Seite steht die inhaltliche Ausgestaltung des objektiven Willens. Die Rechtsordnung habe, so Windscheid weiter, „den Willen des Berechtigten selbst entscheidend gemacht. Sein Wille ist maßgebend für das Verhalten der ihm gegenüberstehenden, weil er maßgebend ist für einen für ihr Ver­ halten maßgebenden Rechtsbefehl“.13 Der „Wille der Rechtsordnung“ steht also im Zentrum einer Transformation, die aus dem individuellen Willen subjektives Recht machen soll. Inhaltlich ist das zwar kein Fortschritt zu dem von Donellus bis Savigny gepflegten subjektiven Recht; immerhin ist aber eine Transformation als notwendig anerkannt worden. Die Möglichkeit einer rechtsgeschäftlichen Willensbetätigung wird durch die Rechtsordnung erst gewährt. Der von Windscheid ab der 7. Auflage des Lehrbuchs (1891) eingeschla­ gene Weg ist nicht zuletzt der Versuch, der vielfältig geäußerten Kritik an einer Reduktion des Privatrechts auf den Willen Rechnung zu tragen, ohne das dahinterstehende Prinzip aufgeben zu müssen. Rudolf von Jhering war nur der bekannteste und exaltierteste der Kritiker.14 Dem Willen will auch Jhering sich „zur Erklärung des Rechts im subjektiven Sinne“ nicht ver­ schließen. Die Wendung zum „allgemeinen Willen“ wird sogar begrüßt. Auf Kritik stößt aber die unbekümmerte Annahme eines Bezugs des individuel­ len Willens auf den allgemeinen. „Nur soweit dieses Kongruenzverhältnis reicht, kommt die Macht, mit der letzterer ausgerüstet ist, auch jenem zu­ gute“, hält Jhering fest und impliziert damit, daß diese inhaltliche Überein­ stimmung nicht zwingend sei.15 Wörtlich fährt er fort: „[...] nur soweit schlägt das objektive Recht zum subjektiven nieder, darüber hinaus offen­ bart sich die Ohnmacht des individuellen Willens, indem die Macht des all­ gemeinen Willens ihn zu Boden wirft.“ Die Antwort auf die Rechtsfrage sieht Jhering „nicht in dem, was der Wille an sich kann, sondern in dem, was er muß, wenn er in der Welt seinen Zweck erreichen will“.16 In der Welt des Rechts aber trifft der individualistische Zweck auf Zwecke der Ge­ sellschaft. Jhering schlägt deshalb als Korrektiv die „Interessen, Bedürfnis­ se, Zwecke des Verkehrs“ vor.17 Sein Zweckgedanke sollte Karriere ma­ 13 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, Bd. 1, § 37, S. 158, Fn. 3; vgl. Schuppe, Der Begriff des subjektiven Rechts, S. 44 f. 14 Darstellung der vertretenen Ansichten bei Kasper, Das subjektive Recht, S. 78-96. Kasper nennt neben Jhering noch Heinrich Dernburg, Georg Karl Neuner, Alois Brinz, Sieg­ mund Schlossmann und Gustav Schwarz. 15 Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, § 60, S. 329. ^Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, S. 208. ^Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, § 60, S. 338; vgl. ders., Der Zweck im Recht, Bd. 1, S. 208: „Seinen Zweck - das heißt nicht alles, was er denkbarerweise sich vor­

chen. Ferdinand Regeisberger spricht von der „Verwirklichung des aner­ kannten Zwecks“ und formuliert damit eine Ansicht, die für die Jahrhun­ dertwende als die herrschende bezeichnet werden kann.18 Mit der Aufnahme des Zwecks in den Rechtsbegriff war noch nicht viel an inhaltlicher Klarheit gewonnen. Selbst die Willenstheorie Windscheids kennt bei Lichte be­ trachtet zumindest einen relevanten Zweck: die mittels der Willenserklärung herbeizuführende Rechtsfolge. Jhering will weitere Zwecke der Individuen anerkennen, gleichzeitig aber die der Gemeinschaft diesen vorziehen, soviel ist klar. Kann die Gesellschaft damit freizügig andere Zwecke setzen? Jhe­ ring wird hier selten konkret.19 Die Mehrheit suchte eine praktikable, beide Ansätze verbindende Lösung. Ausgangspunkt und Maßstab für den Inhalt bleibt der Wille. Aber, resümiert Andreas v. Tuhr: „Das Gesetz sanktioniert nicht rechtsgeschäftliche Bindungen jeglichen Inhalts, sondern nur solche, die mit unseren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen vereinbar sind.“20 Um die Präponderanz des Willens zu erhalten, suchte man besondere Anknüpfungspunkte, die eine objektive Kontrolle des Vertragsinhalts aus­ nahmsweise legitimieren sollten. Mehrere Anknüpfungspunkte wurden in dieser Zeit benannt. Die wichtigste Vertragskontrolle basierte auf den Pflichten der Parteien der Gesellschaft gegenüber. Der Vertrag wirkt inter partes. Dennoch kann ein Vertrag gesellschaftliche Belange betreffen; man denke an die Möglichkeit der Klage oder an die rein faktischen Folgen der Durchführung des Versprochenen. Im BGB ist die allgemeine Vertragskon­ trolle in den §§ 134, 138 Abs. 1 geregelt. Diese Normen waren in der Ent­ stehung des BGB mit der Frage belastet, ob auch die öffentliche Ordnung ein Aufhebungsgrund sein sollte. Die Erste Kommission bejahte diese Fra­ ge, um die „Interessen des Staats“ wahren zu können. Die Kommission des Reichsjustizamts und die Zweite Kommission hatten sich dagegen ausge­ sprochen.21 Insgesamt war man sehr um eine Restriktion bemüht. Zweiter setzen kann, das törichtste und unsinnigste, sondern solche Zwecke, die sich mit denen der übrigen, in deren Gemeinschaft er lebt, vertragen.“ 18 Regeisberger, Pandekten, § 14, S. 76; vgl. Bekker, System des heutigen Pandekten­ rechts, Bd. 1, § 18 Beil. 1: „Ein vernünftiges (obj.) Recht wird mit jedem (subj.) Recht das es statuirt einen angemessenen Interessenschutz bezwecken.“ Zur Kombinationstheorie: Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, S. 86-89. 19 Zum „gesellschaftlichen Charakter“ von Jherings Privatrechtsbegriff: Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 40 f. 20 v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Teilbd. 1, S. 183 f.; vgl. a.a.O., Teilbd. 2, S. 38. 21 Die Erste Kommission sah das noch anders, Protokolle S. 216 = Jakobs/Schubert, All­ gemeiner Teil, Bd. 1, S. 714 f.; die „öffentliche Ordnung“ wurde auf Vorschlag des Reichsju­ stizamtes gestrichen, „da dem Begriffe der öffentlichen Ordnung jede feste Umgrenzung fehle“, Jakobs/Schubert, a.a.O., S. 730.

Anknüpfungspunkt einer Inhaltskontrolle ist die Ungleichheit der Parteien. Der § 138 Abs. 2 BGB zeigt, welche Beispiele der Gesetzgeber vor Augen hatte. Im neuen Jahrhundert wurde der Schutz des wirtschaftlich Schwäche­ ren zu einem Modethema. Gustav Radbruch, Neukantianer südwestdeut­ scher Provenienz und der wohl meistgelesene Rechtsphilosoph der Weima­ rer Zeit, sieht hier das zentrale Problem der Vertragslehre. 22 Moderne Ab­ handlungen zur Vertragskontrolle benützen fast durchweg diesen Anknüp­ fungspunkt.23 Das Privatrecht soll besondere Ordnungsaufgaben überneh­ men, etwa Entscheidungsalternativen sichern oder wenigstens sachfremde Interessen von dem Rechtsgeschäft fernhalten.24 Erst jüngst hat das Bundes­ verfassungsgericht diese Ordnungsfunktion als Verfassungspostulat ent­ deckt 25 Für die Kriegs- und Krisenzeit der Jahre 1914 bis 1923 war ein dritter Anknüpfungspunkt von Interesse, der bereits im vorigen Kapitel, bei der Bemessung des Willens, eine große Rolle gespielt hat: die nachvertrag­ liche Änderung der Umstände. Der Vertrag bindet eben auch in der Zeit. Je mehr Zeit zwischen dem rechtlichen Versprechen und dessen Erfüllung ver­ geht, um so anfälliger ist der vertraglich festgelegte Leistungsinhalt. Das BGB läßt insgesamt keine große Neigung zur nachvertraglichen Inhaltskon­ trolle erkennen. Im Vergleich mit dem überkommenen Recht fällt auf, wie konsequent die Rechtsinstitute vermieden wurden, die bislang nachvertrag­ lich eingetretene Umstände berücksichtigt hatten. Auf die clausula rebus sic stantibus verzichteten die Gesetzgeber ebenso wie auf Windscheids Voraus­ setzungslehre. Als Leitprinzip einer Inhaltskontrolle galt lange Zeit unangefochten die Gerechtigkeit. Für das objektive Recht formulierte Radbruch zwei weitere Leitprinzipien: die Zweckmäßigkeit und die Rechtssicherheit. Im Zivilrecht 22 Radbruch, Rechtsphilosophie, § 19. 23 Umfassende Nachweise bei Fastricht, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 216 f., Fn. 10; mit besonderem Bezug zur Leistungsäquivalenz: Bartholomeyczik, Äqui­ valenzprinzip, Waffengleichheit und Gegengewichtsprinzip in der modernen Rechtsent­ wicklung, AcP 166 (1966), 64-73; Olshausen, Zivil- und wirtschaftsrechtliche Instrumente gegen überhöhte Preise, ZHR 146 (1982), 259-295. Kramer, Die „Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 19, 51-55 und 63-66; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 756-766; umfassender Ansatz bei: Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 121 f. und 167-180; für die Rechtsprechung des BVerfG bedeutsam: Limbach, Das Rechtsver­ ständnis in der Vertragslehre, JuS 1985,10-15. 25 Beschluß des 1. Senats v. 19. Oktober 1993, BVerfGE 89, 214 (231-234). Die Privat­ autonomie wird als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit zum Verfassungsgut geadelt. In „praktischer Konkordanz“ will das BVerfG die Interessen der gleichrangigen Grund­ rechtsträger ausgleichen. „Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen“, a.a.O., S. 234.

wird die Rechtssicherheit zur Vertragssicherheit. Sie fordert von den Ver­ tragsparteien Verträge ein- und vom Rechtsanwender sie aufrechtzuerhalten. Tatsächlich wurde die Idee der Rechtssicherheit zu einer bequemen All­ zweckwaffe der juristischen Puristen. Selbst die Vertragsfreiheit hatte mit der Rechtssicherheit zu kämpfen. Immer wenn es galt, den inneren (und freien) Willen zugunsten des erklärten zurückzudrängen, wird auf die Rechtssicherheit verwiesen. Insbesondere die Voraussetzungs- und clausulaLehren mußten dieser Idee weichen. Nur der erklärte Wille ist eben empi­ risch und damit sicher faßbar. Bevor die freie Willkür von der Rechtssicher­ heit verdrängt wurde, hatte diese selbst die utilitaristischen Ansätze des Vernunftsrechts zur Seite gedrängt. In leicht verwandelter Form taucht die Utilität jetzt unter dem Begriff der Zweckmäßigkeit wieder auf. Ein Vertrag ist objektiv zweckmäßig, wenn die Durchführung wirtschaftlich sinnvoll ist. Ein Vertrag kann in zweierlei Hinsicht wirtschaftlich sein. Er mag wirt­ schaftlich sein im Hinblick auf einen späteren Prozeß. Hier reicht die Wirt­ schaftlichkeit der Rechtssicherheit die Hand. Denn je eher die Rechtspre­ chung an dem formal Erklärten festhält, um so eher wird ein langer Rechts­ streit vermieden. Die Flut von höchstgerichtlichen Entscheidungen zu den Vertragsstörungen der Jahre 1914 bis 1923 ist nicht zuletzt auf die flexible Haltung des Reichsgerichts zurückzuführen. In Frankreich, wo die höchst­ richterliche Rechtsprechung hart auf der Vertragserfüllung beharrte, ebbte die Zahl der Urteile schnell ab. In zweiter Hinsicht kann die wirtschaftliche Konsequenz der Vertragserfüllung einer Kontrolle unterzogen werden. Im BGB gibt es durchaus Regelungen, die wirtschaftlich sinnlose Pflichterfül­ lungen vermeiden wollen. Die wichtigste findet sich in § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB (§ 633 Abs. 2 Satz 2 a.F.).26 Die Inhaltskontrolle par excellence ist freilich die Gerechtigkeit. In der Morallehre mag sie schillernd und vielge­ staltig sein; im Vertragsrecht dominiert eine Form der Gerechtigkeit: die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung.

1. Äquivalenzkontrolle Hervorgegangen ist der Gedanke einer Äquivalenzkontrolle aus dem Postu­ lat der Gleichheit. An dieser Stelle wird gern auf die Nikomachische Ethik von Aristoteles verwiesen und seine dort ausgebreitete Theorie einer aus­ gleichenden Gerechtigkeit.27 Die iustitia commutativa, wie sie später ge­ nannt wurde, beruht auf dem Prinzip arithmetischer Gleichheit. Die Vermö­ 26 Vgl.: §§ 251 Abs. 2,383 Abs. 1 Satz 2,948 Abs. 2,966 Abs. 2,2170 Abs. 2 BGB 27 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, Kapitel 5.

genswerte vor und nach dem zu beurteilenden Ereignis sollen gleich sein, so lautet die Forderung. Widrigenfalls sei ein Ausgleich zu gewähren. Für den Austauschvertrag folgt, daß jeder Leistung eine im Wert äquivalente Ge­ genleistung gegenüberstehen soll. Damit ist die Gerechtigkeit selbst bei Aristoteles noch nicht hinreichend umschrieben. Der iustitia commutativa wird die iustitia distributiva zur Seite gestellt. Die Gleichheit kann also auch eine geometrische sein, gebro­ chen im Verhältnis anderer, der Person zukommenden Werte. Über diesen beiden Formen der iustitia particularis wölbt sich die iustitia universalis. Diese umfaßt die Tugenden des Gemeinschaftslebens. 28 Aufrichtigkeit und Großzügigkeit sind also ebenfalls Teile der Gerechtigkeit.29 Sogar die Ver­ tragstreue findet sich hier wieder.30 Der Gedanke der Äquivalenz tritt also in Konkurrenz zu anderen Werten. Und in einer weiteren Hinsicht muß die ausgleichende Gerechtigkeit relativiert werden. Aristoteles legt eine Moral­ lehre dar, keine Rechtslehre. In Zeiten unangefochtenen Naturrechtsdenkens mag die Trennung von Recht und Moral weniger scharf gewesen sein, aber sie war immer da. In der Scholastik wird namentlich durch Thomas von Aquin das Postulat äquivalenten Ausgleichs in die Morallehre aufgenom­ men.31 Die späteren Rezipienten der aristotelischen Lehre beschritten eben­ falls den Weg der Moral. Es liegt in der Konsequenz dieser Unterform der Gerechtigkeit, wenn der auf die Gewinnspanne ausgerichtete Handel als unmoralisch gebrandmarkt wird.32 Auf die Idee, dem Händler den Anspruch zu nehmen und den Vertrag rückabzuwickeln, ist freilich keiner der beiden Philosophen gekommen. Thomas von Aquin reduziert den moralischen Vorwurf sogar noch erheblich. Ein mäßiger Gewinn (lucrum moderatum) für ein notwendiges oder ehrenhaftes Ziel wird anerkannt, sofern der Händ­ ler ihn als Ertrag seiner Arbeit und nicht als Ertrag seines Kapitaleinsatzes anstrebt. Weiter werden drei Gründe aufgezählt, die den gewinnbringenden Verkauf einer Sache moralisch rechtfertigen können: (1) wenn die Ware verbessert wurde, (2) wenn durch eine zeitliche oder räumliche Entwicklung eine andere Konjunktur eingetreten ist und (3) als Entgelt für die Gefahren

28 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, Kapitel 3. 29 Zur Großzügigkeit: Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch IV, Kapitel 1-3; zur Auf­ richtigkeit ebenda Kapitel 13. 30Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch IV, Kapitel 13. 31 Thomas von Aquin, Summa theologiae 11/2, qu. 61, 62 und 77; vgl. noch: Hagenauer, Das iustum pretium bei Thomas von Aquin, Stuttgart 1931; Kaulla, Die Lehre vom gerechten Preis in der Scholastik, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 60 (1904) 579-602. 32 Aristoteles, Politik, Buch I, Kapitel 9 und 10; Thomas von Aquin, Summa theologiae II/2,qu.77,4.

eines Transports der Ware.33 Die rechtlichen Schranken werden noch groß­ zügiger formuliert. Das Recht solle erst dann eingreifen, wenn Gemein­ schaftsinteressen ernsthaft betroffen seien.34 In zweiter Konsequenz dieser Morallehre muß der Preisbildung eine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wie hat ein gerechter Preis auszusehen? Winfried Trusen hat darauf aufmerksam gemacht, daß im Mittelalter überwiegend der Marktpreis als gerecht angesehen wurde.35 Auch Thomas von Aquin scheint in diese Richtung gedacht zu haben, denn anders ist es kaum zu erklären, daß er die aufgrund örtlicher und zeitlicher Schwankungen des Preises erzielten Ver­ äußerungsgewinne partiell anerkennt. Auch hier setzt sich die vorsichtige Ausgestaltung im Recht fort. Der gerechte Preis lasse sich nicht immer ex­ akt berechnen, gibt er zu. Nicht zuletzt deshalb neigt er, ungeachtet der ari­ stotelischen Grundkonzeption, der laesio enormis zu, einem Rechtsinstitut, welches in jener Zeit bei Legisten wie Kanonisten hoch im Kurs stand.36 Das rationale Naturrecht brachte einen neuen Begriff für die alte Idee: aequalitas. Den Sprung ins Recht schaffte die Leistungsäquivalenz freilich auch unter der Herrschaft rationaler Vernunft nicht. Im Gegenteil. Ein steti­ ger Niedergang des Äquivalenzprinzips ist festzustellen. Ursache dieses Ab­ stiegs ist der Wille, der in der Vertragslehre allmählich eine bestimmende Stellung einnimmt. Gesteht man dem Willen die Kraft der rechtlichen Ge­ staltung zu, so muß eine Inhaltskontrolle naturgemäß an Gewicht verlieren. Nur Hugo Grotius fordert eine reine Äquivalenzkontrolle spätscholastischer Provenienz. Gleich drei Formen der Gleichheit will er der Natur der Verträ­ ge entnehmen: das Gleichgewicht der Kontrahenten, die Vergleichbarkeit der wesentlichen Vertragsbedingungen und die Gleichwertigkeit der unmit­ telbaren Vertragsgegenstände 37 Da Grotius zudem den freien Willen als Gültigkeitskriterium für den Vertrag einführt, entsteht ein erheblicher Erklä­ rungsbedarf. Hugo Grotius löst den Widerspruch von Willensgestaltung und Inhaltskontrolle mittels einer Fiktion. Die Äquivalenz sei regelmäßig ge­ wollt, hält er fest 38 Ein psychologisches Argument soll also helfen. Aus der

33 Thomas von Aquin, Summa theologiae II/2, qu. 77,4. 34 Thomas von Aquin, Summa theologiae 1/2, qu. 96,2. 35 Trusen, Äquivalenzprinzip und gerechter Preis im Spätmittelalter, in: FS Küchenhoff, S.247-263. 36 Thomas von Aquin, Summa theologiae 11/2, qu. 77,1 ad primum. 37Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, lib. 2, cap. 12, §§ 8,10-12. 38 Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, lib. 2, cap. 12, § 11: „Denn wer etwas verspricht oder gibt, der will es versprechen oder geben als Äquivalent für das, was er erhalten soll, und als eine durch die Rücksicht auf diese Gleichheit begründete Schuld.“ Auch a.a.O., § 12: „Denn die beiderseitige Absicht ging dahin oder hätte dahin gehen sollen, daß der eine so viel wie der andere erhielt.“

vertraglichen Einheit von Geben und Nehmen wurde auf eine wirtschaftli­ che Einheit der betroffenen Güter geschlossen. In der modernen Rechtsspra­ che würde man sagen, für Grotius folgt aus dem vereinbarten Synallagma der Wille zur materialen Äquivalenz. Ein nicht unbedenklicher Schluß, der in der Krisenzeit wieder auftauchen sollte und noch heute in Gestalt der subjektiven Äquivalenz vertreten und bekämpft wird. Auch Samuel Pufendorf ließ sich durch die Freiheit des Willens nicht von der aequalitas ab­ bringen. Pufendorf sucht nach den Ursachen der Disproportionalität. In drei Fällen will er einer Inäquivalenz abhelfen: wenn sie auf einem verheim­ lichten Umstand, einem Irrtum oder auf einem versteckten Mangel der Sa­ che beruht.39 Jenseits dieser Ursachen will er keine rechtlichen Konsequen­ zen ziehen.40 Die aequalitas hat nur noch eine Hilfsfunktion. Sie setzt ein, wenn der Wille aus konkreten Gründen nicht frei gebildet werden konnte. Der Abstieg der aequalitas setzt sich bei Christian Wolff fort. Im Falle disproportionaler Leistungen liege eben ein teilweise freigiebiges Geschäft vor, erklärt er lapidar.41 Deutlicher wird Christian Thomasius. Moral und Freundschaft seien hier fehl am Platze, kann man bezüglich des Kaufs nachlesen, es komme allein darauf an, was die Parteien vereinbart hätten 42 Den Schlußpunkt setzt Kant. Konsequent deduziert er die Geltung des Ver­ trags aus einer formalen Willenseinheit der Parteien. Für die wirtschaftliche Leistungsäquivalenz bleibt kein Raum mehr 43 Die Epigonen Kants gingen sogar so weit, denjenigen Preis als gerecht zu bezeichnen, auf den die Par­ teien sich frei geeinigt hatten 44 Die Idee der Leistungsäquivalenz erlebte noch eine kurze Renaissance. Von der Rechtswissenschaft weitgehend unbeachtet begründete Georg Wil­ helm Friedrich Hegel eine völlig eigenständige Vertragslehre. Hegel geht zeitgemäß von dem Begriff der Freiheit aus. Schon die Definition des Rechts zeigt, daß er die Freiheit als inhaltlichen Auftrag versteht. „Das Recht“, erläutert Hegel, „ist zuerst das unmittelbare Dasein, welches sich die Freiheit auf unmittelbare Weise gibt.“45 In dem Recht schlage die Frei­

^SamuelPufendorf De officio hominis et civis iusta legem naturalem, cap. 15, § 4. 40Samuel Pufendorf De iure naturae et gentium, lib. 5, cap. 2, § 1. 41 Christian Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, pars 2, cap. 12, § 584. 42 Christian Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, zu cap. 11. 43 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 296. 44 Zeiller, Das natürliche Privat-Recht, § 128; Rotteck, Lehrbuch des Vemunftrechts, Bd. 1, § 45; ähnlich: Pörschke, Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte, S. 181. 45 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 40; zur Person ebenda: „Die Person, sich von sich unterscheidend, verhält sich zu anderen Personen und zwar haben beide nur als Eigentümer für einander Dasein. Ihre an sich seiende Identität erhält Existenz durch das Übergehen des Eigentums des einen in das des anderen mit gemeinsamen Willen und Erhal­

heit sich „unmittelbar“ nieder. Es ermögliche nicht den freien Willen, es realisiere ihn. Kant, daran sei erinnert, wollte mittels des Rechts lediglich die Sphären individueller Freiheit gegeneinander abgrenzen. Das Recht ist hier ein bloßes Mittel für die Freiheit. Anders als Kant hegt Hegel den Ehr­ geiz, materiale Inhalte erzielen zu können. Das Ergebnis steht damit eigent­ lich schon fest: das Recht kann keinen Freiraum für Freiheiten sichern, wie bei Kant, sondern ist materialer Bestandteil der Freiheit selbst und soll als solcher auch erkannt und benannt werden können. Aus Sicht der Privatrechtswissenschaft hat der Gedanke der materialen Freiheit einiges für sich, und tatsächlich gilt der erste Teil der in dialekti­ scher Trichotomie aufgebauten Philosophie des Rechts - das „Zuerst“ des Rechtsbegriffs Hegels - dem Privatrecht. Der Inhalt privatautonomer Re­ gelungen entspringt der freien Willkür. Das ist auch bei Hegel nicht anders. Wie kommt er nun von der privaten Regelung zum Recht? Drei Schritte sind hierzu zurückzulegen. Erstens: Das Recht geht vom Willen und der Wille wiederum geht vom einzelnen aus. Das Recht wird konsequent individuell verstanden. Hegel postuliert ein „absolutes Zueignungsrecht des Menschen auf alle Sachen“.46 Man merkt es sofort: wir befinden uns im thetischen Teil. In einer zweiten Überlegung kommt der Vertrag ins Spiel. Der Vertrag macht das individuell Gewollte zum gemeinsam Gewollten. „Diese Ver­ mittlung, Eigentum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und meines sub­ jektiven Willens zu haben, sondern ebenso vermittelst eines anderen Wil­ lens, und hiermit in einem gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrags aus.“47 Durch den Abschluß wird eben nicht nur festgelegt, was sein soll, sondern auch das anerkannt, was war. Der individualistische Ansatz wird um die Person des Vertragspartners erweitert. Der Wille des Vertragspartners soll den Eigentumszustand aber nur dann vollständig aner­ kannt haben, wenn er den Wert der Sache erfasse, ergo, wenn im Fall eines Austauschvertrags eine äquivalente Gegenleistung festgesetzt werde.48 tung ihres Rechts, - im Vertrag.“ Der Vertrag wurde antithetisch der Freiheit „einer nur zu sich verhaltenden Person“ gegenübergestellt. 46 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 44; aber nur für den ersten Zugriff: § 50: „Daß die Sache dem in der Zeit zufällig Ersten der sie in Besitz nimmt, angehört, ist, weil ein Zweiter nicht in Besitz nehmen kann, was bereits Eigentum eines anderen ist, eine sich unmittelbar verstehende, überflüssige Bestimmung.“ 47 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 71. In § 71 wird diese Vermittlung beschrieben als ein Prozeß, „in welchem der Widerspruch, daß Ich für mich seiender, den an­ deren Willen ausschließender Eigentümer insofern bin und bleibe, als Ich in einem mit dem anderen identischen Willen aufhöre Eigentümer zu sein, sich darstellt und vermittelt“. 48 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 77: „Indem jeder im reellen Vertrage [d. i. der Tauschvertrag] dasselbe Eigentum behält, mit welchem er eintritt und welches er zugleich aufgibt, so unterscheidet sich jenes identisch bleibende, als das im Vertrage an sich

Fehle ein Äquivalent, so habe die Vereinbarung zwar „nach ihrer unmittel­ baren Einzelnheit, seine Richtigkeit“, es fehle aber „die Seite des an sich seienden Allgemeinen“.49 Mit dem Postulat der Äquivalenz legt Hegel die möglichen Vertragsinhalte fest. Inwieweit dies im konkreten Vertrag ge­ schehen sollte, ob ein „Minimum an Äquivalenz“ genügt, wie Landau meint,50 oder aber nur die vollständige Äquivalenz den Vertragsparteien die Anerkennung des Vertrags und des dahinter stehenden Eigentums sicher­ stellen kann, bleibt dagegen unklar. Unklar ist auch, ob damit bereits die Synthese erreicht ist. Für Peter Landau ist jedenfalls der Vertrag synthetischer Natur.51 Vittorio Hösle neigt ebenfalls dieser Auffassung zu. Er sieht eine dialektische Trichotomie von Freiheit, Eigentum und Vertrag.52 Der Leser wird im ersten Teil der „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ aber mit einer anderen Gliede­ rung konfrontiert. Im dritten Abschnitt - nach Hegels üblicher Systematisie­ rung an synthetischer Stelle - steht das Unrecht. Das überrascht zwar Hösle, ist aber konsequent. Wer das Recht streng individualistisch denkt, dessen Recht bewährt sich eben erst, wenn es der Willkür des Unrechts standhält. Der „Inhalt des abstrakten Rechts“, hält Hegel fest, sei „nur eine Möglich­ keit, die rechtliche Bestimmung daher nur eine Erlaubnis oder Befugnis. Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt sich aus demselben Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsgeboten hat in ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen“ 53 Später erwähnt Hegel den „bürgerlichen Rechtsstreit“ an zumin­ dest formal entscheidender Stelle. Dieser enthalte „die Anerkennung des Rechts als des Allgemeinen und Entscheidenden, so daß die Sache dem ge­ hören soll, der das Recht dazu hat“.54 Erst hier wird die dialektische Auflö­ sung vollzogen. Im Eigentum des ersten Zugriffs ist das abstrakte Recht seiende Eigentum, von den äußerlichen Sachen, welche im Tausche ihren Eigentümer verän­ dern. Jenes ist der Wert, in welchem die Vertragsgegenstände bei aller qualitativen äußeren Verschiedenheit der Sachen einander gleich sind, das allgemeine derselben [...]“ 49 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 88. 50 Landau, Hegels Begründung des Vertragsrechts, S. 185. 51 Landau, Hegels Begründung des Vertragsrechts, a.a.O., S. 184. 52 Hösle, Hegels System, Bd. 2, S. 492. Hösle verweist auf die dialektische Struktur in Hegels Organik: Subjekt; Relation Subjekt-Objekt; Relation Subjekt-Subjekt. 53 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 38; möglich wird diese praktische Sicht der Dinge durch die Differenzierung zwischen zwei Momenten des Rechtsbegriffs: auf der einen Seite „das Recht an sich, oder der Wille als allgemeiner“, durch das Unrecht ge­ kennzeichnet, auf der anderen das „Recht in seiner Existenz, welche eben die Besonderheit des Willens ist“, also der einzelne Vertrag, a.a.O., § 81. 54 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 85.

zwar allgemein, aber noch substanzlos. Jeder kann auf alles zugreifen. Der Vertrag gibt dem abstrakten Recht Substanz, aber eine willkürliche, abhän­ gig von dem Willen der Vertragspartner. Die Allgemeinheit geht verloren. Nur wenn der Vertragsgegenstand der individuellen Willkür, insbesondere dem Unrecht der Disproportionalität, entzogen wird, ist das gesetzte Recht allgemein und substantiell. Verträge mit asymmetrischen Leistungen wirken zwar inter partes, nicht aber allgemein. Sie bleiben auf der zweiten Stufe stehen und dürfen deshalb auf eine allgemeine Anerkennung nicht hoffen. Karl Rosenkranzy früher Hegelianer und Herausgeber von dessen Werken, nennt das Unrecht sogar an antithetischer Stelle, um in der Strafe die syn­ thetische Auflösung zu suchen.55 Wie immer man die synthetische Auflö­ sung sich vorstellen darf, eines wird ersichtlich: die bloße Übereinstimmung der Parteiwillen oder gar der schlichten Erklärungen genügt für Hegels ab­ straktes Recht nicht. Die privatrechtliche Willensfreiheit taucht im dritten und letzten Teil der Grundlinien, in der „Sittlichkeit", nicht wieder auf. Für die dialektische Überwindung von abstraktem Recht und individueller Mo­ ral wird das Privatrecht offenbar nicht benötigt. Der Vertrag übrigens auch nicht. Weder Familie noch Gesellschaft oder Staat werden mittels der Ver­ tragsidee legitimiert.56 Nacheiferer fand Hegel für seine Vertragslehre nur wenige. Eduard Gans kann hier genannt werden,57 *und insbesondere Carl Ludwig Michelet.5^ Michelet weist schon in eine neue Epoche der Rechtsphilosophie. In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts wandte sich eine Reihe von Rechtsdenkern von dem als inhaltsleer empfundenen kategorischen Liberalismus ebenso ab wie von der rein technischen historischen Rechtsschule. Auf (zum Teil bewuß­ ter) eklektizistischer Grundlage suchte man das Recht, wie es sein sollte, zu formulieren. Der in seiner Zeit bekannteste Vertreter dieser materialen

55 Rosenkranz schlägt vor: „1) das persönliche Recht (persönliche Freiheit, Eigenthum und Vertrag); 2) das Unrecht; 3) die Strafe“: Rosenkranz, Hegel als deutscher Nationalphilo­ soph, Leipzig 1870, S. 158. Damit gewinnt Rosenkranz in der Stufe des persönlichen Rechts mit „persönliche Freiheit, Eigenthum und Vertrag“ eine vollständige dialektische Trichoto­ mie, die im Vertrag endet; vgl. noch Hösle, Hegels System, S. 492. 56 Schnädelbach, Hegel und die Vertragstheorie, in: ders., Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen, Bd. 2, S. 185-204. 57 Gans, Naturrecht und Universalgeschichte, Nachschrift der Vorlesung, S. 62. Gans spricht nur die laesio enormis an. ^Michelet, Naturrecht oder Rechts-Philosophie, Bd. 1, S. 226.: „Da im lästigen Vertrage durch die Gegenseitigkeit des Versprechens und der Annahme ein Jeder Eigenthümer dessel­ ben Werths bleiben soll, so hat, insofern der Tausch keine Schenkung sein soll, die Willkür des Einen den Vertrag verletzt, wenn die ausgetauschten Sachen nicht gleichen Werth haben. Ein solcher Vertrag kann also von der verletzten Partei angefochten werden.“

Rechtslehren war Leopold August Warnkönig.59 Es wundert nicht, daß hier der Gerechtigkeitsgehalt der Leistungsäquivalenz wiederentdeckt wurde. Insbesondere Adolf Trendelenburg und Karl Röder wiesen mit Nachdruck auf dieses Rechtsprinzip hin.60 Die Rechtswissenschaft beachtete diese viel­ gestaltigen Naturrechtslehren nicht. Die positivistische Grundhaltung der Zeit wird bei Ernst Landsberg deutlich, der in dem epochalen Werk „Ge­ schichte der deutschen Rechtswissenschaft“ diesen Lehren ein „flaches und geistloses Raisonnement" bescheinigte und einen „Rückfall ins ärgste Na­ turrecht“ konstatierte.61 Andere waren aufgeschlossener. Gustav Schmöller etwa, Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik und einflußreicher Ver­ treter der neueren historischen Schule der Nationalökonomie. In seinen Schriften forderte Schmöller die Berücksichtigung ethischer Werte in der Wirtschafts- und Vertragslehre und bezieht sich unter anderem auf Tren­ delenburg.62 So mag man in den letzten Naturrechtslehren zumindest Vor­ boten eines Wertewandels erkennen, der freilich erst Jahrzehnte später unter völlig anderen wirtschaftlichen Verhältnissen einsetzen sollte.

a) Die laesio enormis Das Recht kannte nie ein Postulat äquivalenten Ausgleichs. Aber es gab ein Rechtsinstitut, das wenigstens auf eine Disproportionalität gewissen Aus­ maßes reagierte: die laesio enormis. Keimzelle des Gedankens ist ein im Codex lustinianus überliefertes Preisedikt Diocletians (dessen Zuordnung zu Diocletian allerdings umstritten ist).63 Größere Bedeutung erlangte das Rechtsinstitut durch die Legisten und Kanonisten des späten Mittelalters, bei letzteren sogar mit der Tendenz zum iustum pretium und damit zur voll­ ständigen Äquivalenz.64 Das iustum pretium ist nicht statisch zu verstehen. 59 Warnkönig, Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts, Einleitung. 60 Röder 's Grundzüge des Naturrechts, Bd. 2, § 148; Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, §§ 107 f. 61 Landsberg, in: Stintzing-Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Abt. 3, Halbbd. 2, S. 655. 62 Schmöller, Die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 5 (1881), S. 47 und 48; ders., Einige principielle Erörterun­ gen über Werth und Preis, in: Sitzungsberichte der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften, 27 (1901), S. 23. 63 Genzmer, Die antiken Grundlagen der Lehre vom gerechten Preis und der laesio enor­ mis, S. 25-64; Becker, Die Lehre von der laesio enormis in der Sicht der heutigen Wucher­ problematik, S. 10-15; zur Geschichte noch: Ziegler, Art. Laesio enormis, in: HRG, Bd. 2, Sp. 1350 f. 64 Endemann, Studien in der romanistisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, Bd. 2, S. 66-71; Kalb, Objektive Äquivalenzstörung und Arglist bei der laesio enormis, ZRG 105 (1988) Kan. Abt., S. 184-299.

In aller Regel orientierte man sich am Marktpreis und ließ sogar noch eini­ gen Spielraum. So wurden Ober- und Untergrenzen des angemessenen Prei­ ses festgelegt, was im Ergebnis der laesio enormis durchaus nahekommen konnte. Auch in einigen Stadtrechten ist die laesio enormis belegt, seit dem 16. Jahrhundert sogar in zunehmendem Maße.65 Im usus modernus pandectarum hatte das Rechtsinstitut einen festen Platz. Glück widmete ihm in sei­ nen Pandekten gleich mehrere Paragraphen.66 Noch weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde die laesio enormis einträchtig von Romanisten wie Germani­ sten angeführt 67 Wann das Prinzip der Leistungsäquivalenz hinreichend verletzt worden sei, darüber gingen die Meinungen auseinander. Windscheid wollte sie nur dem Verkäufer zugestehen, sofern der Kaufpreis „die Hälfte des wahren Wertes“ nicht überschritt 68 Andere suchten den Käufer vor dem „doppelten Betrag des Werths“ zu schützen wie das ALR in I, 11, § 59. Das ABGB wiederum erkannte beiden Seiten das Recht der Vertragsauflösung zu und verzichtete sogar auf das Tatbestandsmerkmal des Kaufvertrags, §§ 1060, 934, 935. Auch in der gemeinrechtlichen Praxis gab es Tendenzen, die lae­ sio enormis über den Kauf hinaus auch auf andere Verträge auszudehnen 69 Weitgehend einig war man sich bei den subjektiven Merkmalen. Gegen Schenkungen hatte niemand etwas einzuwenden und so war auch die laesio enormis disponibel. Selbst die Kenntnis der Wertverhältnisse sollte das Rechtsinstitut ausschließen. Eine besondere Arglist seitens des Vertragsbe­ günstigten war - insofern anders als bei § 138 Abs. 2 BGB - aber nicht er­ forderlich. Die Flut an Nennungen und Meinungen steht in auffallendem Wider­ spruch zu der Kritik, der das Rechtsinstitut der laesio enormis ab dem aus­ gehenden 18. Jahrhundert ausgesetzt war. Die Idee des freien Willens stand in kontradiktorischem Gegensatz zu dem Postulat ausgleichender Gerech­ tigkeit und entzog damit auch der laesio enormis ein Stück Legitimität. Die 65 Trusen, Äquivalenzprinzip und gerechter Preis im Spätmittelalter, S. 262 f. 66 Glück, Pandekten nach Hellfeld, Bd. 17, Erlangen 1815, §§ 1028-1032. 67 Romanisten: Arndts, Lehrbuch der Pandekten, 9. Auflage, § 307, S. 526 f.; Keller, Pan­ dekten, § 333, S. 631 f.; Mühlenbruch, Lehrbuch des Pandekten-Rechts, Bd. 2, § 408, S. 381-383; Puchta, Pandekten, § 364, S. 523 f.; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Auflage, § 396 Anm. 2, S. 448. Germanisten: Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts, § 123 II, S. 504; Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 147, Fn. 20; Stobbe, Handbuch des Deutschen Privatrechts, Bd. 3, § 232 II, 312-318. 68 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 396 Nr. 1 69 Nachweise bei Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 396, Fn. 10, und Stobbe, Deutsches Privatrecht, Bd. 3, § 185. Zum Meinungsstand ausführlich: Schulze, Die laesio enormis in der deutschen Privatrechtsgeschichte, Diss. Münster 1973, S. 114 ff.; speziell zum Mittelalter und der frühen Neuzeit: Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 44-82.

utilitaristischen Argumente des rationalen Naturrechts setzten diesem Rechtsinstitut ebenfalls zu. „Die Frage, ob einer über die Hälfte verletzt worden ist? läßt sich nur selten mit Gewißheit ausmitteln stellt etwa Tevenar fest, „weshalb gemeiniglich über die Restitutionsprocesse, wegen einer Verletzung, weitläufige, mißliche, und kostbare Processe entstehen. Es würde daher der gemeinen Wohlfahrt zuträglicher seyn, wenn bey allen Verträgen, nur wegen Irrtum, oder Betrug, oder wenn es der Sache an der versprochenen Güte fehlt, niemals aber wegen einer Verletzung über die Hälfte [...] die Wiederrufung des Vertrages gestattet würde [...]“7° Ludwig Julius Friedrich Höpfner argumentiert ähnlich: „Wollte man jede Läsion in Betrachtung ziehen, so würde selten ein Kauf geschlossen werden, über den nicht ein Proceß entstünde, und wer könnte diese Processe entscheiden, da der Werth der Dinge sich nicht genau bestimmen läßt? Wer kann es bis auf einen Thaler, Groschen, Pfenning bestimmen, was dieses Haus, dieser Akker, dieses Pferd werth ist?“70 71 Adolph Dieterich Weber spricht von der „hei­ ligen Einfalt“ des römischen Imperators; die „so abgeschmackte Vorschrift“ sei „schwierig in der Anwendung“ und habe „keinen wahren Rechtsgrund“ für sich 72 Diese kritischen Bemerkungen darf man freilich nicht überbewerten. Das ALR (I, 11, § 59) und das ABGB (§ 934) zeigen auf, wie ungern man auf diese Korrekturmöglichkeit verzichten wollte. Der Widerspruch zur An­ nahme einer freien Selbstbindung wurde nicht übersehen. Man suchte des­ halb den Grund in der Erklärung selbst. Das ALR begründete bei einer ent­ sprechenden Disproportionalität von Leistung und Gegenleistung die (wi­ derlegbare) Vermutung eines Irrtums.73 74 Franz von Zeillerj Kommentator und herausragender Mitverfasser am ABGB, rückte die laesio enormis in Richtung des Wuchers. „Der Grund des zugestandenen Rechtsmittels“ sei, teilt Zeiller mit, „theils der Irrthum und die Unwissenheit des Unternehmers, [...], teils die Noth oder Zwangslage [...]“74 Der historische Impetus der 70 Tevenarj Versuch über die Rechtsgelahrheit, Teil 3, Hauptstück 1, Kapitel 7 (S. 361 f.). 71 Höpfner, Theoretisch-practischer Kommentar über die Heineccischen Institutionen, § 870; in seinem „Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaft und der Völker“ hat Höpfner sich gegen jede Äquivalenzkontrolle ausgesprochen, a.a.O., § 92. 72 A. D. Weber, Systematische Entwickelung der Lehre von der natürlichen Verbindlich­ keit, § 41, S. 116 f. 73 ALR I, 11, § 58: „Der Einwand, daß der Kaufpreis mit dem Werthe der Sache in kei­ nem Verhältnisse stehe, ist für sich allein den Vertrag zu entkräften nicht hinreichend.“ § 59: „Ist jedoch das Mißverhältniß so groß, daß der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt, so begründet dieses Mißverhältniß, zum Besten des Käufers, die rechtli­ che Vermuthung eines den Vertrag entkräftenden Irrthums.“ 74 Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Anm. zu § 934, Bd.3, S. 144. Im § 934 ABGB finden sich derartige Beschränkungen nicht. Anders als der

aufkommenden Rechtsschulen, seien sie nun römischrechtlich oder deut­ schrechtlich ausgerichtet, bescherte der laesio enormis eine zusätzliche Gnadenfrist. Die Verbindung mit dem Irrtum und dem Wucher wurde auf­ gelöst und die laesio enormis als das Rechtsinstitut restituiert, als das es hi­ storisch aufgefunden worden war. Irrtum, Wucher und laesio enormis gin­ gen von nun an getrennte Wege. Während der Irrtum über den Wert einer Leistung schon von den Pandektisten und später in § 119 Abs. 2 BGB in nur sehr schmalen Grenzen anerkannt wurde, erfolgte in § 138 Abs. 2 BGB eine neue, völlig eigenständige Formulierung des Wuchers. Und die laesio enor­ mis? Die zweite Kodifikationswelle rollte vollständig ohne die laesio enormis. Im „Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Preussischen Staaten“ von 1857 wurde ebenso wie im späteren „Allgemeinen deutschen Handelsge­ setz-Buch“ die laesio enormis ausdrücklich verworfen.75 Das Bürgerliche Gesetzbuch Sachsens von 1863 und der „Entwurf eines allgemeinen deut­ schen Obligationenrechts“, der sogenannte Dresdener Entwurf von 1866, verzichteten ebenfalls auf das Rechtsinstitut. Auch im BGB sucht man die laesio enormis vergebens. In den Motiven der Ersten Kommission wird nur lapidar festgestellt, daß sie nicht zu den „heutigen Verkehrsanschauungen“ passe und wegen der unklaren Grenzen die Rechts- und Verkehrssicher­ heit gefährde.76 Ausführlich wurde das Problem nur bei der Ausarbeitung des Dresdener Entwurfs diskutiert. Kübel, als Vertreter Württembergs so­ wohl an der Ausarbeitung des Dresdener als auch des ersten BGB-Entwurfs

§ 138 Abs. 2 BGB benötigt man für den Vorwurf des Wuchers im österreichischen Recht keine über den Inhalt hinausgehenden Tatbestandsmerkmale. Die Norm lautet noch heute: „Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem andern gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Werte erhalten; so räumt das Gesetz dem verletzten Teile das Recht ein, die Aufhebung, und die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Dem andern Teile steht aber bevor, das Geschäft dadurch aufrecht zu erhalten, daß er den Abgang bis zum gemeinen Werte zu ersetzen bereit ist. [...]“ 75 Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten, § 229, später Art. 219: „Wegen Verletzung über die Hälfte können Handelsverträge nicht angefochten werden.“ Die Protokolle über die Berathungen mit kaufmännischen Sachverständigen und praktischen Juri­ sten betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Berlin 1856, vermerken auf S. 57, die Regelung habe „zu keinerlei Bemerkung“ Anlaß gegeben. In den Motiven wird auf den fehlenden „sicheren Maaßstabe“ sowie auf das ebenso vermißte „eigentlich rechtliche Fundament“ verwiesen: Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten, Bd. 2, Berlin 1857, S. 108. Die „Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs“ merken noch zusätzlich an, „daß man bei Kaufleuten eine gründliche Kenntniß des Werthes der verkauften Waaren vorausset­ zen könne [...]“ 76 Motive, Bd. 2, S. 321 = Mugdan, Bd. 2, S. 178.

beteiligt, weist auf diese Beratungen ausdrücklich hin.77 Dort wurde die „große Schwierigkeit der zum Nachweise der laesio enormis erforderlichen Werthsermittlung" angesprochen. „Kein Gegenstand [habe] einen absoluten Wert“, fügte ein anderer hinzu. Der Marktpreis wurde für nicht ausreichend erachtet, da dieser nicht zwingend identisch mit dem „objektiven Werth“ sei und subjektive Momente, wie etwa die „Liebhaberei“ auf die Preisvereinba­ rung ebenfalls einwirken würden 78 79 Zur Erinnerung: Der Idee der Rechtssi­ cherheit waren bereits die clausula rebus sic stantibus und die Vorausset­ zungslehre zum Opfer gefallen. Bei der laesio enormis befremdet das Ergebnis besonders. Die, wie der Name schon sagt, enorme Verletzung des Äquivalenzgedankens sollte ja ge­ rade von dem Problem der eindeutigen Preisfestsetzung entbinden. Thomas von Aquin hatte bereits auf diesen Aspekt der Lehre hingewiesen. Bei Gro­ tius ist anläßlich der laesio enormis ein Cicero-Zitat zu lesen, das die Dis­ krepanz zwischen dem Vernünftigen und dem vorgefundenen rechtlichen Zustand erklären soll: „leges, quatenus manu tenere possunt, philosophi, quatenus ratione et intelligentia."79 Mit den Händen greifbar ist eben nur die klare Disproportionalität. Die akzeptierten Preise pendelten zwischen dem halben und dem doppelten Betrag des als äquivalent angenommenen Lei­ stungswerts. Die Grenzen zum iustum pretium wurden also in beiden Rich­ tungen möglicher Abweichung unterschiedlich weit gezogen. Das scheint willkürlich, ist es aber nicht. In der laesio enormis sollte vielmehr die ge­ rechte Mitte zwischen dem gerechten Preis und der Vertragstreue gefunden werden. Wenn der Verkäufer mehr als die Hälfte des Wertes der hergegebe­ nen Sache in Geld erlangt, so überwiegt die Vertragstreue ebenso wie im Falle des Käufers, der mehr als die Hälfte des hergegebenen Geldwerts in Sach- oder Nutzwerten zurückbekommt. Vice versa sollten diese Grenzen überschritten werden. Die Denkweise der Mitte ist nicht neu. Sie entspricht der Mesotes-Lehre und war in der antiken Philosophie, nicht erst seit Ari­ stoteles, ein völlig gebräuchliches Argumentationsmuster.80 Als scharfe 77 Teilentwurf im Schuldrecht (v. Kübel), Abschnitt II, Titel 1.1, S. 8: „Bei der Berathung des Dresdener Entwurfes wurde die legislative Räthlichkeit der Beibehaltung dieses Rechts­ mittels eingehend besprochen, dasselbe jedoch als unhaltbar aus sehr beachtenswerten Grün­ den verworfen [...]“ 78 Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen Deutschen Obligatio­ nenrechts, 122. Sitzung, S. 1702-1708. 79 Cicero, De officiis, lib. 3, cap. 17 (68). Cicero sorgt sich freilich nicht um die Äquiva­ lenz der Leistungen. In den angeführten Fällen stellt sich die Frage der Aufklärungspflicht. Eine Notlage (lib. 3, cap. 12: Hungersnot in Rhodos) kann durchaus zur Erzielung besonders hoher Preise genutzt werden. 80 Zur Mesotes-Lehre allgemein: Dirlmeier, Anmerkung 30, 2 zu Aristoteles, Nikomachi­ sche Ethik, S. 304 f. der Ausgabe des Akademieverlags Berlin; Ottmann, Art. Mesotes-Lehre,

Grenze darf man die Mesotes-Lehre nicht verstehen. Auch die laesio enor­ mis bietet nur eine Näherungslösung. Der Einwand, der exakte Wert der Leistung und damit die exakten Grenzen der laesio enormis seien schwer zu bestimmen, ignoriert diesen Ursprung und führt schnell ins Absurde. Selbst dem evident disproportionalen Vertrag müßte das Argument zugute gehalten werden. Natürlich ist der Vertrag ungerecht, ruft man dem Gebundenen zu. Aber da es unmöglich sei, völlig exakt festzustellen, wann die zumutbare Äquivalenzverletzung zur übermäßigen wurde, wann also der Vertrag die gerechte Mitte überschritten hatte, müsse er sich eben behandeln lassen, als sei der Vertrag vollständig korrekt. Eine wahrhaft sophistische Argumenta­ tion. Auf solch krasse Fälle hatte die Rechtsprechung der Kriegs- und Kri­ senzeit der Jahre 1914 bis 1923 aber zu reagieren, nicht auf ziselierte Theo­ rien von Herstellungs-, Markt- und Nutzwert. Die ablehnende Haltung zur laesio enormis hatte aber noch ein zweites Standbein. Einen „Riß in die Vertragsfreiheit" hätte die Anerkennung der laesio enormis zur Folge, gibt ein Kommissionsmitglied zu bedenken. Von einem anderen wurde die Frage aufgeworfen, „ob das mehrgedachte An­ fechtungsrecht auf einem legislativ haltbaren Grund beruhe?“ Gesucht wur­ de eine „innere Begründung“,81 die offenbar in der bloßen Disproportiona­ lität der auszutauschenden Leistungen nicht (mehr) gesehen wurde. Dabei hätte sich hier die Idee der auf dem Gedanken der Äquivalenz beruhenden vertraglichen Gerechtigkeit durchaus angeboten. Nicht einmal eine Debatte war dieser Aspekt der Gerechtigkeit dem Gesetzgeber wert. Woran lag dies? Wieder müssen wir auf die Protokolle des Dresdener Entwurfs zurück­ greifen. Dort wurde bemerkt, die laesio enormis sei „bei den jetzigen Ver­ kehrsverhältnissen vollständig entbehrlich“. Die in ihr enthaltene „Unter­ stellung eines Nothstandes“ habe „in den jetzigen Verkehrsverhältnissen keinen thatsächlichen Boden“.82 Neben den „Verkehrsmittel[n] der Jetzt­ zeit“, dem 1864 schon weit vorangeschrittenem Eisenbahnnetz, wurde die „Presse“ genannt, womit das durch die Erfindung der Schnellpresse aufblü­ hende Zeitungswesen gemeint sein dürfte. Die Herausbildung größerer in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Sp. 1158-1161; vgl. noch Manthey Bei­ träge zur Entwicklung des antiken Gerechtigkeitsbegriffes I: Die Mathematisierung durch Pythagoras und Aristoteles, ZRG Rom. Abt. 113 (1996), S. 1-31, insbes.: S. 5; bei der Re­ zeption findet sich der Gedanke der Mitte nur selten; Carolus Molinaeus sieht hier die Mitte zwischen summa aequalitas und summa inaequalitas; zitiert bei Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 53. 81 Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen Deutschen Obligatio­ nenrechts, S. 1702, 1707 und 1704. Kübel greift in den Motiven seines Teilentwurfs dieses Argument auf und verlangt eine „innere juristischen Begründung“; a.a.O. S. 8. 82 Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen Deutschen Obligatio­ nenrechts, S. 1704 und 1705.

Märkte und die gesteigerte Preistransparenz sollten das Problem also lösen. Das paßt gut in eine Zeit, in der die Gewerbefreiheit ihren endgültigen Durchbruch schaffte83 und in der die mit dem Zollverein verbundene weit­ reichende Abschaffung der Binnenzölle gekrönt wurde durch Freihandels­ verträge mit den wesentlichen Nachbarstaaten.84 85 Ein anderes Kommissi­ onsmitglied sprach die Erwartungen an, die mit der Liberalisierung verbun­ den wurden: „Je größer endlich die Concurrenz der Verkäufer sei, desto we­ niger werde ein Käufer der Gefahr ausgesetzt sein, zu übermäßig hohen Preisen kaufen zu müssen, und je größer die Concurrenz der Käufer sei, de­ sto weniger werde der - auch oft noch zur Rechtfertigung des gedachten Preises angeführte - Fall sich ereignen, daß ein Verkäufer aus Noth um ei­ nen übermäßig geringen Preis verkaufen müsse ."85 Es soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden, ob die hier zum Ausdruck kommende wirtschafts­ liberale Argumentation richtig ist. Anders als die Ideen der Rechtssicherheit und der Vertragsfreiheit mußte sie aber in einer wirtschaftlichen Krise an Gewicht verlieren. Die laesio enormis ist das einzige Rechtsinstitut, das rückstandslos ver­ schwand. Es wurden immer wieder drei pragmatische Argumente gegen die laesio enormis angeführt. Am ältesten ist der Hinweis auf die mit der Wer­ termittlung verbundenen Probleme. Galt der Marktwert oder der Nutzwert? Oder war gar auf die Beschaffungs- und Herstellungskosten abzustellen? Und welche Arbeitsleistungen sind hier in Anschlag zu bringen? Alles Fra­ gen, die seit der Scholastik die Suche nach dem iustum pretium begleite­ ten.86 Besonders im 19. Jahrhundert forderte man gern einen exakten Wert. Davor war man pragmatischer und ließ in aller Regel eine Preisspanne gel­ ten. Im ausgehenden 18. Jahrhundert kam ein neues Argument hinzu. Die Vertragsfreiheit wurde nun immer wichtiger. Man wollte eine Inhaltskon­ trolle nur noch im Falle eines mängelbehafteten Willens zulassen, insbeson­ dere bei Irrtum oder Betrug. Die gleiche Logik führte freilich zu einer Ein­ schränkung der irrtumsfähigen Tatbestände. Man nahm sich die Möglich­ keit, auf nachvertragliche Entwicklungen zu reagieren. Sowohl das ALR als

83 In Sachsen 1861, Baden 1862, Württemberg 1862 und Bayern 1868. Österreich konnte sich 1860 nur zu einer teilweisen Gewerbefreiheit durchringen. Preußen hatte bekanntlich schon viel früher diesen Schritt gewagt, 1810, wenn auch die Umsetzung auf sich warten ließ. 84 1862 mit Frankreich, 1863 mit England und Belgien und 1865 mit Italien und Öster­ reich. 85 Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen Deutschen Obligatio­ nenrechts, S.1707. 86 Eine Zusammenfassung zu den scholastischen Ansichten bietet Kaulla, Die Lehre vom gerechten Preis in der Scholastik, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 60 (1904), S. 579-602, insbes. S. 592 ff.

auch das ABGB beschränkten die Äquivalenzkontrolle auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Für den Usus Modernus teilt Glück ebenfalls eine zeitliche Grenze mit.87 Das entsprach dem Codex (C.4.44.8), erstickte aber die zaghaften Versuche, die laesio auch auf nachvertragliche Entwicklungen anzuwenden.88 Man benötige das Rechtsinstitut nicht mehr, liest man Mitte des 19. Jahrhunderts immer häufiger als drittes Argument. Damit wird nicht nur auf die mangelnde Anwendung des Rechtsinstituts in der Rechtspraxis angespielt, für die in der Tat kaum Fälle bekannt sind 89 Auch und vor allem zeigt sich hier der liberale Zeitgeist. Mit der Erwartung einer Selbstregulie­ rung wurden die Zinsen im Norddeutschen Bund (Nov. 1867) und in Öster­ reich (Juni 1868) freigegeben - eine für die Rechtspraxis viel wichtigere Entscheidung.90 Selbst die Grenzen der Vertragsstrafe, bis dahin üblicher­ weise auf das Doppelte des Interesses fixiert,91 und das Verbot der lex commissoria, die eine ähnlich wirkende Verfallsvereinbarung bei Hingabe eines Pfandes verhindern sollte, ließ man zugunsten des Kredits fallen. Noch während der Diskussion um den Ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs nahm man freilich Abschied von der Vorstellung eines zum Wohle aller ungebremsten Kapitalmarkts. Deutlich vorsichtiger zwar, aber im Kem doch erhalten, findet sich die inhaltliche Begrenzung der Vertrags­ strafen in § 343 BGB wieder.92 Das Verbot der lex commissoria überlebte in § 1229 BGB wenigstens als Rudiment. Auch die Freigabe des Zinses wurde schnell als Mißgriff erkannt. Hier mied man indessen die deutlichen Gren­ zen und das weite Anwendungsfeld der überkommenen laesio. Der SPD­ Abgeordnete Gröber versuchte noch, die laesio enormis in das Bereiche­ rungsrecht hineinzuschmuggeln. Der Antrag wurde von keiner Seite unter­

87 Glück, Pandekten nach Hellfeld, Bd. 17, § 1030, S. 80: „Die Veränderung muß durch den Vertrag, nicht durch die Umstände eingetreten sein.“ 88 Nachweise bei Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 31; nicht einmal die aequitas sollte helfen: J. Schröder, Aequitas und rechtswissenschaftliches System, ZNR21 (1999) 36. 89 So Schulze, Die laesio enormis in der deutschen Privatrechtsgeschichte, S. 141. 90 Zur Reaktion der zeitgenössischen Rechtsprechung und Literatur auf die Zinsfreigabe: Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip im gemeinen Recht und im BGB. S. 175-182. 91 ALR I, 5, § 301: „Wird jedoch dadurch [Verabredung der Parteien gern. § 300] der doppelte Betrag des wirklich auszumittelnden Interesses überschritten, so muß der Richter die Strafe bis auf diesen doppelten Betrag ermäßigen.“ 92 Die Möglichkeit einer Begrenzung von Vertragsstrafen wurde auf Empfehlung der Kommission des Reichsjustizhauptamtes von der Zweiten Kommission in das Gesetzbuch aufgenommen. Zur Entstehungsgeschichte: Sossna, Die Geschichte der Begrenzung von Vertragsstrafen, S. 166-173. Sossna führt die Empfehlung auf einen Vortrag von Gierke, ge­ halten auf dem 20. Deutschen Juristentag, zurück.

stützt.93 Richten sollte es ein anderes, ebenfalls altes Rechtsinstitut: der Wu­ cher. b) Der Wucher Die Sanktion des Wuchers, obschon bereits im römischen Recht bekannt, ist fest im Zinsverbot des kanonischen Rechts verwurzelt. Hier traf eine spezi­ fisch christliche Ethik mit älteren Theorien der begrenzten Funktion von Geld zusammen. Das Geld sei ein bloßer Wertmaßstab und könne folglich keine Früchte tragen, so die damalige christliche Überzeugung. Der zeitlich begrenzten Verfügungsmacht über Kapital wurde deshalb ein eigenständiger Wert abgesprochen. Der Zins konnte nicht als Äquivalent einer Darlehens­ hingabe verstanden werden.94 Galt zunächst jeder Zins als wucherisch, so wurden in der frühen Neuzeit feste Zinstaxen üblich.95 Die Vertragsfreiheit setzte sich im Kapitalverkehr erst spät durch. 1868 glaubte man im frisch gegründeten Norddeutschen Bund schließlich, den Zins ganz freigeben zu können. Die Einstellung prägte auch die ersten gesetzgeberischen Bemü­ hungen um ein bürgerliches Gesetzbuch.96 Das Verbot des Wuchers erzeuge den Wucher erst, wurde ernsthaft noch in der Ersten Kommission des BGB vertreten. Der Redaktor des Schuldrechts, Kübel, betonte das Prinzip der Vertragsfreiheit. Dieses diene auch den „Bedürfnissen des Geldverkehrs“, auch denen des Kreditsuchenden. Denn: „Gerade umgekehrt wird dem schlimmsten Wucher durch die Schranken der Zinstaxe in die Hände gear­ beitet.“97 Und völlig femliegend war der Gedanke in der Tat nicht. Denn wer einen Kredit benötigt, aber wenig Sicherheit bieten kann, der findet auf einem festgelegten Markt kaum einen Kreditgeber. Er wird abgedrängt in die Schattenwirtschaft, in der die Gefahr, nicht nur risikobedingt erhöhte, sondern gleich wucherische Zinsen zahlen zu müssen, erheblich größer ist. Der schöne Gedanke erwies sich im rauhen Alltag freilich als wenig be­ 93 Gröber schlug als Regelung vor: „Übersteigt bei einem gegenseitigen Vertrage der Werth der Leistung den Werth der Gegenleistung um das Doppelte oder mehr, so kann der Geschädigte gegen Rückgewähr der empfangenen Gegenleistung das Geleistete nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern. Die Herausgabe kann durch Zahlung des Unterschiedes zwischen dem wirklichen und dem ver­ einbarten Werthe beider Leistungen abgewendet werden.“ Jakobs /Schubert, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. 3, S. 857; Begründung und Ablehnung a.a.O., S. 858. 94 Eingehend zu den christlichen Ursprüngen des Wuchers: Endemann, Studien in der romanistisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre, Bd. 2, S. 9-71 (insbes. S. 14-20). 95Landau, Art. Zins, in: HRG, Bd. 5, Sp. 1710. 96 Zur Entstehung der Wuchergesetze und des § 138 Abs. 2 BGB eingehend: Luig, Ver­ tragsfreiheit und Äquivalenzprinzip im gemeinen Recht und im BGB, S. 182-201. 97 Vorlagen der Redaktoren, Obligationenrecht, Teil 1, Abschn. 1, Tit. 2, S. 52 = Schu­ bert, Schuldrecht Bd. 1, S. 282.

gründet. Gerade im Kreditgeschäft hatte das Prinzip der freien Preisbildung in offensichtlich kürzester Zeit zu schwerwiegenden Mißständen geführt. Schon 1880 sah man sich genötigt zu reagieren. Die 1879 eingesetzte Reichstagskommission konstatierte: „Die Erfahrung hat bewiesen, daß alle Mittel, welche die natürlichen Heilkräfte der ökonomischen Gestaltung bei Mißständen [...] bieten, auf diesem Feld wirkungslos sich erweisen, und daß die schrankenlose Herrschaft des Kapitals gegenüber den übrigen Fak­ toren der Gütererzeugung [... ] die Möglichkeit zu einer Ausbeutung anderer bietet.“98 Der § 138 Abs. 2 BGB verdankt seinen Bestand ebenfalls den schlechten Erfahrungen, die mit der völligen Freigabe des Zinses zwischen 1868 und 1880 gemacht worden waren. Man hätte nur Rudolph v. Jhering genau lesen müssen. Der unkonventio­ nelle Denker hatte das Äquivalenzprinzip zeitgerecht mit der egoistischen Grundhaltung der vertragsschließenden Individuen verbunden. Einerseits schreibt er: „Das Äquivalent ist die Verwirklichung der Idee der Gerechtig­ keit auf dem Gebiete des Verkehrslebens.“99 Dann heißt es aber über die „Logik des Vertrags“: ,Jeder sucht seinen Vorteil und weiß, daß der andere es tut, und das Recht erkennt ihnen diese Befugnis zu.“100 Wie paßt beides zusammen? „Der Egoismus“, so Jhering, „gestaltet sich hier zu seinem ei­ genen Korrektiv.“ In zweierlei Hinsicht: sozial und individuell. Das soziale Korrektiv heißt Konkurrenz. Die wirtschaftliche Konkurrenz sorge dafür, daß sich die Egoismen beider Seiten paralysierten, erklärt Jhering. Denn beide würden lieber einen mäßigen Gewinn als gar keinen machen. So ent­ stünde ein erfahrungsmäßiges Gleichgewicht: „Der Indifferenz- oder Null­ punkt, bei dem beide miteinander ins Gleichgewicht kommen, ist das Äqui­ valent.“101 Die übermäßige Ausnutzung einer günstigen Situation solle ebenfalls durch den Egoismus unterbunden werden, und zwar durch eine in­

98 Zitiert nach Luig, FS Coing, S. 186. ^Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 2, S. 103. 100 Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 2, S. 94; Jhering argumentiert nicht wirtschaftlich, sondern psychologisch: „Eine Gegenleistung, die für die Partei nichts weiter ist als ein Äqui­ valent, d. i. der Leistung gleichwertig, hat psychologisch nicht die Kraft, eine Änderung des bestehenden Zustandes zu bewirken, dazu bedarf es vielmehr eines Übergewichts, eines Plusvalents, selbstverständlich nicht im objektiven, sondern nur im subjektiven Sinn, beide Teile müssen überzeugt sein, daß sie beim Tausch gewinnen“, S. 93. 101 Vollständig heißt es: „Dem Egoismus des einen stellt sich der des andern entgegen, jener darauf gerichtet, möglichst viel zu nehmen, dieser darauf, möglichst wenig zu geben. Der Indifferenz- oder Nullpunkt, bei dem beide miteinander ins Gleichgewicht kommen ist das Äquivalent. Äquivalent ist das erfahrungsmäßig ermittelte Gleichgewicht zwischen Lei­ stung und Gegenleistung, ein Betrag des Lohnes (der Realleistung), bei dem beide Teile zu ihrem Recht kommen, keiner von beiden verliert.“ Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 2, S. 103.

nere, individuelle Schranke des Egoismus. Der Egoismus, so Jhering, blicke in die Zukunft. Deshalb sei ihm ein geringer, aber andauernder Gewinn wichtiger als ein kurzzeitiger, hoher.102 Das klingt nach einer wirtschaftsli­ beralen Einstellung reinsten Wassers. So naiv war Jhering aber nicht. Er er­ kennt die Schwäche insbesondere des zweiten, individuellen Korrektivs. Der Stärkere mag den augenblicklichen sicheren Gewinn höher schätzen als den ungewissen fernen; der Schwächere mag unfähig sein, Alternativen aufzu­ tun. Hier schlägt die Stunde des Gesetzes. Das Gesetz hat die an sich beste­ henden Korrektive zu unterstützen. Die übermäßige Ausnutzung von Notla­ gen muß unterbunden, die Konkurrenzsituation sichergestellt werden. Es wird eine Entwicklung skizziert, welche die Vertragskontrolle später tat­ sächlich genommen hat. Eindrücklich warnt Jhering vor den liberalen Ten­ denzen, die seit der Jahrhundertmitte die erste große Industrialisierungspha­ se begleiten: „Daß die Wölfe nach Freiheit schreien, ist begreiflich; wenn aber die Schafe, wie es bei jener Frage so oft der Fall gewesen ist, in ihr Ge­ schrei einstimmen, so beweisen sie damit nur, daß sie Schafe sind.“103 Jherings wirtschaftspsychologische Überlegungen ähneln den freilich fundierteren Analysen der „jüngeren historischen Schule“ der Nationalöko­ nomie. Die historische Schule wandte sich gegen die Wirtschaftslehre Smith’scher Provenienz. Dabei hatte die Nationalökonomie lange gebraucht, um erst einmal die Fesseln der Kameralistik abzustreifen und die modernere Lehre von Adam Smith zu rezipieren. Die erste Welle der Liberalisierung bestimmte insbesondere in Preußen eine liberal eingestellte Beamtenschaft. Die Wirtschaftslehre war eher getriebene als treibende Kraft. Mitte des Jahrhunderts hatte sich aber auch hier das Ideal frei wirtschaftender Indivi­ duen in der Gestalt der Freihandelslehre durchgesetzt.104 Gustav Schmöller beschrieb und kritisierte diese Lehre, die das „Ideal der Gerechtigkeit aus­ schließlich in der Freiheit der Verträge“ suchte, wie folgt: „Von der Vor­ stellung ausgehend, daß von Natur alle Menschen gleich seien, forderte sie nur Freiheit für diese gleichen Menschen, und hoffte, dann würden nur Ver­ träge über gleichen Werth mit gleichem Gewinn für beide Theile sich erge­ ben. Sie kannte weder die gesellschaftlichen Klassen, noch die gesellschaft­ lichen Institutionen in ihrer Bedeutung für das volkswirtschaftliche Leben; 102 „Der egoistischen Ausnutzung der Gegenwart stellt sich die Rücksicht auf die Zukunft entgegen, der Egoismus wägt die beiden möglichen Vorteile gegeneinander ab und opfert den vorübergehenden, vielleicht noch so hohen des Moments, um sich den geringeren, aber dau­ ernden des ganzen übrigen Lebens zu sichern - der Blick in die Zukunft ist die individuelle Selbstregulierung des Egoismus in Fällen, wo die soziale: die Konkurrenz ihre Dienste ver­ sagt.“ Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 2, S. 104 f. 103 Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 2, S. 106. 104 Winkel, Die deutsche Nationalökonomie im 19. Jahrhundert, S. 7-20 und 38—48.

das soziale Getriebe setzte sich ihr ausschließlich aus der Thätigkeit der ein­ zelnen Individuen und den einzelnen Verträgen derselben zusammen. Und daher konnte sie keine andere Gerechtigkeit fordern. Es war nicht falsch; aber es war nur ein Theil des Gerechten, was sie forderte.“105 Der Lösung des Problems sollten historische Untersuchungen vorangehen, gerichtet auf das empirische Verhalten des wirtschaftenden Menschen. Wirtschaftliche Erscheinungen, so die Erwartung, seien ein Produkt der Gesellschaft, ihrer Werte und ihrer Geschichte, ähnlich wie der einzelne wirtschaftende Mensch ein Produkt der geistigen und wirtschaftlichen Faktoren der Gesell­ schaft sei. Konkret warf dies folgende Fragen auf: Wie sind die Vorstellun­ gen über richtige Preise zustande gekommen? Nach welchen Kriterien be­ mißt der wirtschaftende Mensch Leistung und Gegenleistung eines pro­ spektiven Vertrags? Untersucht werden sollten Gemeinsinn, Nächstenliebe, Sitte, Rechtsgefühl und andere soziale Kriterien, die den wirtschaftenden Menschen beeinflussen konnten. Unumstritten war weder die empirische Methode noch die konkreten Untersuchungsgegenstände. Aber selbst Kriti­ ker der historisch-ethischen Lehren waren bereit, „das Dogma von dem stets gleichbleibenden Eigennutze“ und „von der Unfehlbarkeit und Allwissen­ heit der Menschen in wirthschaftlichen Dingen“ in Frage zu stellen.106 Der homo oeconomicus war Geschichte geworden. Die Unzufriedenheit mit der Zinsentwicklung ist Symptom einer kriti­ scher gewordenen Zeit. Inmitten der Vorarbeiten für das BGB brechen plötzlich auch in der Rechtswissenschaft Strömungen durch, die den libera­ len Ideen der Zeit soziale Ideale entgegenhalten. Der Erste Entwurf löste ei­ ne Flut von Streitschriften aus, die neben formaljuristischen Besserwisserei­ en überraschend häufig sozialpolitische Stellungnahmen enthielten. Her­ kunft und Motive der Kritiker sind überaus unterschiedlich. Otto Gierke hat das Verbindende zusammengefaßt: „Man vermißt den Schutz des Schwa­ chen gegen den Starken, die Rücksichtnahme auf den kleinen Mann, die billige Angleichung der aus der starren Rechtskonsequenz entspringenden Härten; man beklagt die Übertreibungen des Eigentumsbegriffes, der Ver­ tragsfreiheit, des Formalismus der abstrakten Rechtsgeschäfte und des

105 Schmöller, Die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 5 (1881), S. 28 f. 106 So Carl Menger, der Begründer der österreichischen Grenznutzenschule: Untersu­ chungen über die Methode der Socialwissenschaften und der politischen Ökonomie, Leipzig 1883, S. 74; Übersicht bei: Winkel, Grundlagen nationalökonomischen Denkens um die Jahr­ hundertwende, S. 18-28; zum Methodenstreit: Issing (Hg.), Geschichte der Nationalökono­ mie, 3. Auflage, S. 146 f.

Grundbuchwesens [...]“107 Diese Kritik und auch die offensichtlichen Miß­ stände einer ungebremsten Geldwirtschaft zeigten Wirkung. In einem ersten Wuchergesetz wurde 1880 der Zinswucher unter Strafe gestellt. Zwei wich­ tige Schranken der Privatautonomie, § 138 Abs. 2 und § 343, fanden Auf­ nahme in das BGB. Während der die Vertragsstrafenvereinbarung begren­ zende § 343 BGB bereits von der Zweiten Kommission aufgenommen wur­ de, zierte sich die Zweite Kommission, den Wucher ausdrücklich in das Ge­ setzbuch aufzunehmen. Inhaltliche Bedenken konnten es nicht gewesen sein, denn die Wuchergesetze regelten nicht nur die strafrechtlichen, son­ dern unmittelbar auch die zivilrechtlichen Folgen des Kreditwuchers.107 108 Es stand eher in Frage, ob eine solche Vorschrift in ein Bürgerliches Gesetz­ buch gehöre. Kübel sprach in den Redaktorenmotiven von der ,„Anerkennung der rechtsgestaltenden Kraft der Willenserklärung“, weshalb es der Person möglich sei, „insbesondere also auch durch Vertrag sich beliebig zu ver­ pflichten“.109 Dem Wucher solle „nicht durch Änderung des Prinzips, son­ dern durch andere Mittel entgegengetreten werden“, wie dies eben in den strafrechtlichen Bestimmungen des Wuchergesetzes geschehen sei.110 Das Gegenprogramm wurde von Anton Menger und Otto Gierke formuliert. Der Sozialist und der Germanist forderten unisono die an der Gesetzgebung Be­ teiligten auf, sich am öffentlichen Recht ein Vorbild zu nehmen und Schutzvorschriften unmittelbar in das Gesetzbuch aufzunehmen.111 Die im bürgerlichen Recht gewährte Freiheit verstehe sich nicht von selbst, sondern bedürfe eines öffentlichen Interesses, so der dahinterstehende Gedanke. Die privaten Interessen seien abzuwägen mit öffentlichen Interessen und ande­ ren Werten. Diese Äußerungen stehen in krassem Gegensatz zum Ersten Entwurf und der diesem zugrundeliegenden Ideengeschichte. Ein letztlich unausgetragener Meinungsstreit. Inmitten des Gesetzgebungsverfahrens war 107 Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Leipzig 1889, S. 23 f. mit zahlreichen Zitaten; vgl. noch ders., Die soziale Aufgabe des Privatrechts, mit dem bekannten „Tropfen sozialistischen Öles“, S. 10. ^Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, FS Coing zum 70., S. 188. 109 Redaktorenvorlagen, Obligationenrecht, Teil 1, Abschn. 1, Tit. 2, S. 8 = Schubert, Schuldrecht Bd. 1, S. 135. 110 Redaktorenvorlagen, Obligationenrecht, Teil 1, Abschn. 1, Tit. 2, S. 54 = Schubert, Schuldrecht Bd. 1, S. 284. 111 Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 11: „Hineingebannt in die doctrinäre Schablone des abstrakten Individualismus verliert der dem Privatrecht zugewandte Teil des Juristenstandes die letzte Fühlung mit dem öffentlichen Recht.“ A. Menger, Das Bürgerliche Gesetzbuch und die besitzlosen Volksklassen, 5. Auflage, S. 154: „[...] es wäre hoch an der Zeit, wenn auch das Privatrecht seinen trägen Konservativismus überwinden und dem vom öffentlichen Recht gegebenen Beispiel folgen würde.“

es zu spät, grundsätzliche Fragen zur Stellung des Zivilrechts im normativen Gesamtgefüge zu beantworten. Weniger radikal meldeten sich Gustav Hartmann und Otto Bähr zu Wort. Hartmann will die Vertragsfreiheit zu­ mindest nach Gesichtspunkten der Billigkeit begrenzen. Gegen die Aus­ wüchse des Kredit- wie des Sachwuchers schlägt er eine Regelung vor, die der tatsächlich Gesetz gewordenen weitgehend entspricht.112 Auch Bähr will das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Idee der Vertragsfreiheit wird nicht bezweifelt. Er fragt aber, „ob bei der Unvollkommenheit menschlicher Verhältnisse und der Schwäche menschlicher Erkenntnisse es wohlgetan ist, jeden Rechtsgedanken bis auf die äußerste Consequenz zu treiben“.113 Es war schließlich der Reichstag, der in einer der wenigen poli­ tischen Entscheidungen zum Gesetzbuch mit den Stimmen des Zentrums, der Sozialdemokraten und der Nationalliberalen die Regelung des § 138 Abs. 2 in das BGB aufnahm.114 Ein Blick in die Regelung des § 138 Abs. 2 BGB zeigt, in welch beschei­ denem Ausmaß sie dem Äquivalenzgedanken verpflichtet ist. Die Notlage, die dem Bewucherten den Schutz der Norm verschafft, wird näher spezifi­ ziert. Hinzu muß, so legt es zumindest der Wortlaut nahe, eine wucherische Gesinnung des Versprechensempfängers kommen. Beide Beschränkungen, die objektive Notlage des Bewucherten wie die Schuld des Wucherers, wei­ sen auf ein Verhalten bei Vertragsschluß hin. Nicht allein Schutz für den Bewucherten, eine Strafe für den Wucherer sollte hier ausgesprochen wer­ den. Dieses Moment der Schuld ist Relikt der strafrechtlichen Herkunft der Bestimmung. Die Inhaltskontrolle litt unter diesem strafrechtlichen Cha­ rakter der Norm. Für das Postulat äquivalenten Leistungsaustausches wirkte die Norm sogar ausgesprochen kontraproduktiv. Das wurde in der Literatur schnell erkannt. ,Jeder Versuch seiner Verteidigung würde schon durch den § 138 zu Boden geschlagen“, schreibt Oertmann zur laesio enormis. Mit dieser Ansicht war er nicht alleine.115 Zurückhaltend reagierte auch die Ju­ 112 Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Aequitätsprinzip und die Richterstellung, AcP 73 (1888), S. 354-359. 113 Bähr, Zur Beurteilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, S. 181. 114Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, FS Coing zum 70., S. 201. 115 Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, S. 47. Gegen eine reine Äquivalenzkontrolle noch: Staudinger/Riezler, BGB, 3./4. Auflage, Anm. II. 5 zu § 138; Planck/Flad, BGB, 4. Auflage, Anm. 2 a zu§ 138; v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Teilbd.2, S. 40; Kohler, Lehrbuch, Bd. 2, § 37, S. 100. Ebenso, aber kritisch hinsichtlich der ratio legis: Dick, Der Verstoß gegen die guten Sitten, ArchBürgR 33 (1909), 96, Fn. 36. Ausnahmen: Eckstein, Studien zur Lehre von den unsittlichen Handlungen, Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften, insbesondere Verträgen, ArchBürgR 41 (1915), 202 f., 219-221 und - etwas vorsichtiger - Enneccerus, Das Bürgerliche Recht, Bd. 1,6.-8. Auflage, § 179 III 4 (S. 489).

dikatur.116 Erst in neuerer Zeit gibt es gegenläufige Tendenzen. Im Jahre 1979 entschied das OLG Stuttgart sogar, daß „ein besonders grobes Miß­ verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung allein ausreicht, die Nich­ tigkeit zu begründen“.117 Mayer-Maly wittert hier sogleich eine „Renais­ sance der laesio enormis“,118 doch hat sich diese Ansicht bislang nicht durchsetzen können.

c) Subjektive und funktionale Äquivalenz Der § 138 Abs. 2 BGB verschloß sich nachvertraglichen Entwicklungen. Eine wucherfrei erlangte Rechtsposition kann selbst bei krassester Äquiva­ lenzstörung nicht mittels dieser Norm abgewehrt werden. Das galt in gerin­ gerer Schärfe auch für die laesio enormis. Die Verletzung müsse durch den Vertrag, nicht durch andere Umstände eingetreten sein, so hatte es Glück in den Pandekten zur „Verletzung über die Hälfte“ begründet.119 Für den Ver­ pflichteten bedeutete das nicht unbedingt eine Belastung. Glück faßte im wesentlichen die Ansichten des usus modernus pandectarum zusammen, und damals stand man dem Rechtsinstitut der clausula rebus sic stantibus noch aufgeschlossen gegenüber.120 Die historische Rechtslehre hatte sich von der clausula aber gerade gelöst. Hätte es sich nicht angeboten, nun wenigstens die laesio enormis auf nachvertraglich eingetretene Umstände auszudehnen? Der Romanist mußte über C.4.44.8 stolpern, da dort der Zeitpunkt des Ver­ tragsschlusses als maßgebend benannt wurde. Diskutiert wurde zwar die Erweiterung des Rechtsgedankens auf andere Verträge; eine zeitliche Aus­ dehnung der Kontrolle wurde aber nirgends vertreten. Mit der Kodifikation verschwand das Postulat objektiver Äquivalenz aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Dafür kam ein neuer Äquivalenz­ begriff auf. Aus dem Synallagma des Austauschvertrages wurde die Idee der subjektiven Äquivalenz geboren. Die Parteien, so der Gedanke, wollten Äquivalente tauschen. Für die Inhaltskontrolle bedeutet das: Die Äquivalenz bleibt als Zielvorstellung für den Austauschvertrag erhalten, der Maßstab für die Bewertung des Vertrags wird nun aber der Parteivereinbarung über­ lassen. Welchen Sinn sollte es haben, eine Äquivalenzkontrolle anhand der Parteivereinbarung durchzuführen? Die Kontrolle des Vertrags durch den Vertrag ein circulus vitiosus? Nicht ganz. Wenigstens im Falle eines beid­

116 RGZ 64,181 (182); 83,110 (112); schon zur Kriegsnot: RGZ 90,400 (402). 117 NJW 1979,2409,2410. 118Mayer-Maly, Renaissance der laesio enormis?, S. 395-409. 119 Glück, Pandecten, Bd. 17, § 1030, S. 80. Nachweise zu älteren, gegenläufigen Ten­ denzen bei: Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 31. 120 Für Glück selbst galt dies freilich nicht: Glück, Pandecten, Bd. 4, § 316, S. 309.

seitigen Irrtums konnte die subjektive Äquivalenz durchaus helfen. Auch bei unvorhergesehenen nachvertraglichen Entwicklungen bot die subjektive Äquivalenz eine Handhabe, um anhand der Leistungsproportionalität der Erklärungszeit die Leistungen der Erfüllungszeit zu bewerten. Die synal­ lagmatischen Regeln der Risikoverteilung werden damit freilich in Frage gestellt. Anders als der Vertragsinhalt beruht die Risikoverteilung regelmä­ ßig nicht auf einer ausdrücklichen Abrede der Parteien, sondern auf einer Wertung des objektiven Rechts. Eine Korrektur des Risikos ist also in viel geringerem Maße mit dem Verdikt des Eingriffs in privatautonome Ent­ scheidungen belastet. Oertmann sollte in der Krise der Hyperinflation einer subjektiv begründeten Geschäftsgrundlage das Wort reden, und in der Rechtsprechung sollte der Gedanke einer prästabilierten Äquivalenz inmit­ ten der Inflation Halt versprechen. Mitten im Frieden mochte man an eine Verbindung der subjektiven Äquivalenz mit nachvertraglichen Umständen aber noch nicht denken. Das Ziel der zeitgenössischen Debatte war beschei­ dener. Der Kaufvertrag sollte von der Schenkung getrennt werden. Hinter dem Begriff der subjektiven Äquivalenz verbarg sich zunächst nur ein Aus­ legungskriterium für die jeweils einschlägigen Normen, welches den Partei­ en im Hinblick auf die normativen Folgen ein erhebliches Äquivalenzer­ messen zugestand.121 Selbst diese bescheidene Kanalisierung des rechtsge­ schäftlichen Willens wurde bekämpft.122 Die subjektive Äquivalenz konnte sich als Rechtsbegriff nicht allgemein durchsetzen. Immerhin eine Regelung gab es, welche die formal-synallagmatische Ri­ sikoverteilung anhand einer Wertbetrachtung durchbrach: die remissio mer­ cedis. Gemeines Recht, ALR und AB GB gaben dem Pächter eines landwirt­ schaftlich genutzten Grundstücks einen Anspruch auf Minderung des Pacht­ zinses, sofern der Fruchtertrag durch außerordentliche Ereignisse erheblich

121 „Entgelt ist also diejenige Leistung, die eine andere Leistung als ihr Äquivalent dem Werthe nach auszugleichen bestimmt ist [...]“ Cosack, Das Anfechtungsrecht des Gläubigers, S. 134 f. Die subjektive Äquivalenz räumt den Parteien also einen zusätzlichen Spielraum ein. Dieses Äquivalenzermessen konnte durchaus auch zu Lasten Dritter gehen, so bei der Frage der Anfechtung unentgeltlicher Leistungen im Konkurs. Cosack ist das Problem nicht entgangen. Er will deshalb zusätzlich prüfen, „ob überhaupt nach der Auffassung des Ver­ kehrs die streitige Gegenleistung als Äquivalent der anzufechtenden Zuwendung des Schuld­ ners aufgefaßt werden konnte“, a.a.O., S. 137. Zum Konkurs: van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, S. 32-36. 122 Zum zeitgenössischen Meinungsstand: Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, S. 47-51. Oertmann selbst lehnt das Kriterium subjektiver Äquivalenz ab. Noch heute streitig; vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, S. 320 f.; kritisch insbesondere Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 97-101 und van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, S. 8-14.

geschmälert oder gar vernichtet worden war.123 Der Verpächter sollte an dem wirtschaftlichen Risiko einer Mißernte beteiligt werden. Gedacht wur­ de an außergewöhnliche Unglücksfälle wie Überschwemmung, Dürre und Hagelschlag, aber auch an Kriegsverwüstungen. Ein solcher Umstand mußte die Fruchtziehung erheblich beeinträchtigt haben. Das ALR orientierte sich an sozialen Grundsätzen. Geholfen wurde dem Pächter, wenn er nicht ein­ mal die „Wirtschaftsnotdurft" und die Aussaat für das kommende Wirt­ schaftsjahr erwirtschaften konnte.124 Dem Pächter erließ man in dieser Höhe den Pachtzins, sog. Partialremission. Eine patriarchalische Lösung also. Die Grenze wurde in späteren Gesetzesentwürfen schematischer und durchaus im Einklang mit der laesio enormis gezogen. Der Pächter sollte den Pacht­ zins verweigern dürfen, wenn die Möglichkeit der Nutzung des Grundstücks nicht den halben Wert hatte, den die Parteien aufgrund durchschnittlicher Ernten erwarten durften.125 Nicht erst das BGB, schon der vorangegangene Dresdener Entwurf ver­ zichtete auf diese Form der Risikoteilung. Die Gründe lesen sich fast wie die zur laesio enormis vorgebrachten, für die ebenfalls bereits durch den Dresdener Entwurf die Vorentscheidung gefallen war. Erneut wurde ein „genügendes rechtliches Fundament“ vermißt. Man fürchtete erneut die „Schwierigkeit der Beurtheilung", galt es bei der remissio mercedis doch zu klären, „welcher Ertrag als mittlerer Jahresertrag eines Grundstücks anzuse­ hen und in welcher Weise der Schaden, welcher den Pächter betroffen habe, zu bemessen sei [...]“ Als zentrales Argument diente die Freiheit des Ver­ trags und des Wirtschaftens. Es sei geratener, wurde in den Protokollen vermerkt, „es der Privatwillkür zu überlassen, durch Vereinbarung im Vor­ aus für die Beseitigung jener Härten zu sorgen, welche sich ausnahmsweise, namentlich bei Verpachtungen auf kurze Zeit, ergeben können“. Ansonsten möge der Pächter sich selbst helfen. Für die Gefahr des Hagelschadens wur­ de auf die Möglichkeit einer „Versicherung bei einer hierfür zahlreich be­ stehenden Versicherungsanstalten“ verwiesen. Belehrend wird noch ein Rat zur Selbsthilfe erteilt: Das Risiko einer Mißernte könne durch „ökonomi­ sche Verwertungen anderer Art“ gemindert werden, wie etwa „Schafzucht, Viehwirtschaft“ oder - was für den wirtschaftlich weniger Leistungskräfti­ gen etwas zynisch wirken mag - den „Betrieb von Brennereien und Ziege­

123 Dernburg, Pandekten, Bd. 2, § 111, S. 306; Windscheid, Lehrbuch des Pandekten­ rechts, 9. Auflage, Bd. 2, § 400, S. 738; ALR 1,21,307 und 478-596; § 1105 ABGB. 124 ALR 1,21, §§ 500-508,519-523 und 571. 125 § 1105 ABGB; Art. 473 Bayrischer Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der vorbereitende Ausschuß der Dresdener Kommission schlug unter Art. 612 ebenfalls die Hälfte der Ernte als Maßstab vor.

leien“.126 Die Ablehnung durch die Dresdener Kommission war entschei­ dend. Der für den Vorentwurf des BGB maßgebende Redaktor Kübel legte seinen Motiven die Regelung des Dresdener Entwurfs bei. Gesundheitliche Probleme verhinderten eine grundlegende Überarbeitung, wobei offenbleibt, ob sie erfolgt wäre. Die beiden Kommissionen sahen keinen Grund, die re­ missio zu retten.127 Das BGB wurde ohne die remissio erlassen. Genutzt hat es nichts. Das Reichsgericht sollte gerade bei Miet- und Pachtverträgen die Hemmungen vor Vertragskorrekturen überwinden. Heute gibt es die remis­ sio mercedis wieder, in Gestalt des § 593 BGB. Die remissio mercedis kippte die synallagmatische Risikoverteilung ab einem bestimmten Grad der Störung. Angesichts des vertraglichen Synal­ lagmas war der konkrete Nutzwert der Leistung das Problem des Leistungs­ empfängers, der Nutzwert der Gegenleistung ein solches des Leistenden. Bei einer krassen Störung des Nutzwertes wurde diese einseitige Verteilung des Risikos zugunsten des Pächters modifiziert und partiell auf den Ver­ pächter abgewälzt. Der Vertrag selbst war dagegen nicht Bestandteil der Kontrolle. Sogar das Risiko konnte hier anders verteilt werden. Die remissio mercedis stand zur Disposition der Parteien. Mit der Annahme einer subjek­ tiven Äquivalenz hätte man das Ergebnis also durchaus auch erreichen kön­ nen. Allerdings ist der Begriff der subjektiven Äquivalenz belastet durch die Prämisse, daß die Parteien von einer Wertidentität ihrer Leistungen auch tatsächlich ausgehen. Was ist, wenn dies erkennbar nicht der Fall war? Der wirtschaftende Mensch soll, so will es die wirtschaftsliberale Theorie, doch gerade den größtmöglichen Nutzen suchen. Eine beabsichtigte Inäquivalenz dürfte auch kaum das rechtliche Synallagma sprengen.128 Dem kann man entgegenhalten, die subjektive Äquivalenz sei ein durch den Austauschver­ trag mitgesetzter juristischer Tatbestand und kein psychologisches Phäno­ men. In der Tat muß man zwischen der psychologischen und normativen Komponente des Austauschvertrags differenzieren. Nicht die Sachwerte der auszutauschenden Güter werden im Austauschvertrag gleichgesetzt, wohl aber deren Funktionswerte. Die Leistung hat den Funktionswert, den An­ spruch auf die Gegenleistung auszulösen. Insofern sind die in einem rechtli­ chen Synallagma stehenden Leistungen tatsächlich äquivalent.129 Von Gern­ 126 Protokolle der Dresdener Kommission, S. 2180-2189; abgedruckt bei: Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Schuldrecht, Bd. 2, S. 184-187. 127 Obwohl auch hier Stimmen für die remissio mercedis eintraten: Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, S. 243; Hartmann, Der Civilgesetz­ entwurf, das Aequitätsprinzip und die Richterstellung, AcP 73 (1888), 358 f. 128 Bartholomeyczik, Äquivalenzprinzip, Waffengleichheit und Gegengewichtsprinzip in der modernen Rechtsentwicklung, AcP 166 (1966), 59. 129 Van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, S. 13 f.

huber stammt der viel treffendere und zudem unbelastete Begriff der funk­ tionalen Äquivalenz^

2. Wirtschaftlichkeitskontrolle Das Postulat der Äquivalenz schaut nur auf die vertraglich versprochenen Erfolge. Es interessiert allein, ob die Gegenleistung geeignet ist, den Wert der Leistung auszugleichen. Was ist mit den Kosten und den weiteren Op­ fern der Leistung? Wie wichtig ist die konkrete Verwendbarkeit der Lei­ stung? Beide Fragen fließen nur mittelbar in die Bewertung ein, insofern als sie Kriterien benennen, die den objektiven Wert der Leistungen erhöhen oder mindern können. Die Parteien sehen das naturgemäß anders. Da ist zum einen die Sicht des Schuldners. Nicht der Wert, sondern die Kosten der Leistung stehen bei ihm auf der Soll-Seite. Im Haben-Bereich kann er die Befreiung von der Schuld und, damit synallagmatisch verbunden, den An­ spruch auf die Gegenleistung verbuchen. Der Gläubiger kalkuliert anders. Als Einsatz übernimmt er die Pflicht, eine Gegenleistung erbringen zu müs­ sen. Diese kann sich in Form von Kosten einer Naturalerfüllung und in er­ satzweise drohenden Schadensersatzleistungen niederschlagen. Dafür kann er mit der Leistung rechnen; er bekommt einen individuellen Nutz- und ei­ nen objektiven Verkehrswert. Die dritte Sichtweise ist die der zum Rechts­ schutz aufgerufenen Gesellschaft. Der Vertrag ist darauf ausgerichtet, die bei Vertragsschluß bestehende wirtschaftliche Situation zu ändern. Hier kann durchaus die Frage berechtigt sein, ob es sinnvoll ist, den versproche­ nen Erfolg herbeizuführen und notfalls mit gesellschaftlichen Machtmitteln zu erzwingen. Je höher die Kosten und je geringer die Verwendbarkeit der Leistung, um so unwirtschaftlicher ist die Durchführung des Vertrags. Diese Überlegung steht im Zentrum der Wirtschaftlichkeitskontrolle. Wurden im vorangegangenen Kapitel noch Erfolge verglichen, die von Leistung und Gegenleistung, so interessiert nun der versprochene Erfolg im Vergleich mit dem ihm zugrundeliegenden Aufwand. Wirtschaftliche Überlegungen fanden in der zeitgenössischen Rechtswis­ senschaft allenfalls mittelbar statt, versteckt hinter historischen, begrifflich­ systematischen und logischen Argumenten. Auch die moderneren Ansätze einer ergänzenden, vom telos der Norm geleiteten Auslegung und dessen Pendant, die interessengeleitete ergänzende Vertragsauslegung berücksich­ tigen wirtschaftliche Argumente nur in Form erkennbarer Ziele. Wirtschaft-

130 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, S. 321; ähnlich van den Daele, Probleme des ge­ genseitigen Vertrages, S. 13 f.

liehe Effizienz ist kein eigenständiges Ziel. Nach Ansicht neuerer Rechts­ strömungen soll das anders werden. Angeregt von amerikanischen Vorbil­ dern der ökonomischen Theorie wird nun zum Teil gefordert, das Zivilrecht und dessen primärer Ausfluß, der Vertrag, mögen verstärkt unter wirt­ schaftlichen Aspekten betrachtet werden. Unter den Termini „effizienter Vertragsbruch" und, weniger euphemistisch, „opportunistischer Vertrags­ bruch“ sollen die rechtlichen Folgen ausbleibender Erfüllung anhand wirt­ schaftlicher Überlegungen analysiert werden.131 Die Analyse sieht wie folgt aus: Die ausgebliebene Erfüllung führt zu einem Vertrauensverlust, welcher höhere Transaktionskosten in Gestalt risikoausgleichender Sicherheiten mit sich bringt. Also stellt sich dem wirtschaftlich denkenden Rechtsgestalter die Frage, wie eine Schadensersatzregelung beschaffen sein muß, damit sie den Schuldner effektiv zur Naturalerfüllung veranlaßt. Andererseits kann eine rigorose Vertragsdurchführung auch zu einer Fehlallokation von Res­ sourcen führen. Plötzlich ist es effizienter, dem Schuldner die anderweitige wirtschaftliche Verwertung der vertraglich gebundenen Mittel zu ermögli­ chen. Der Gläubiger mag einen Ersatz bekommen, besondere Erfüllungsan­ reize wird ihm eine auf den Gesichtspunkt der Effizienz reduzierte Rechts­ ordnung jedoch versagen. Rechtspolitisch steht solch nüchternen Kosten­ Nutzenberechnungen nichts im Wege. Aber sind sie nach geltendem Zivil­ recht denkbar? Ansatzpunkt für die wirtschaftliche Analyse des Vertragsbruchs ist der für das deutsche Recht eher befremdliche Gedanke, der Schuldner habe die Wahl zwischen Naturalerfüllung und der Leistung von Schadensersatz. Das deutsche Zivilprozeßrecht kennt, anders als die anglo-amerikanischen Rechtsordnungen, die Klage auf Naturalerfüllung als Regel (und eben nicht in Gestalt der specivic performance als Ausnahme). Selbst im Schadenser­ satzrecht wird primär die Restitution angestrebt; nur hilfsweise ist eine Kompensation vorgesehen. Auch der Gedanke der Vertragsfreiheit wider­ spricht ökonomischen Analysen. Die ökonomische Effizienz ist Sache der Parteien. Die Rechtsordnung befördert sie allenfalls durch Enthaltsamkeit. Ein neutraler gesamtwirtschaftlicher oder gesamtgesellschaftlicher Stand­ punkt wurde damals nicht eingenommen. Der Anspruch der Parteien auf Anerkennung ihrer Rechtsmacht bekam sogar einen Namen: subjektives Recht. Uneingeschränkt sollten die Parteien die Gesellschaft gleichwohl nicht in Anspruch nehmen können. Zum einen ist der voluntative Indivi­ dualismus in die Krise geraten. Hier sei erinnert an die Diskussion um den Begriff des subjektiven Rechts. Selbst der „allgemeine Wille“ eines Wind­ 131 Schäfer, Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 371-383; Köndgen, v. Randow, Sanktionen bei Vertragsverletzung, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 122-140.

scheid wendet sich von einer reinen Willensdeduktion ab. Zudem gab es zumindest für zwei Extremfälle Vorbilder in Gesetz und Rechtsgeschichte: Sobald der wirtschaftliche Nutzen gegen null oder der wirtschaftliche Auf­ wand gegen unendlich tendierte, häuften sich die kritischen Stimmen. a) Der Leistungswert: Der Erfolg aufseiten des Gläubigers

Oft findet sich die Ansicht vertreten, eine Obligation könne begrifflich nur die Regelung eines Vermögensinteresses zum Inhalt haben. Zumindest die Ausübung der Rechte sollte, so eine zweite, vorsichtigere Ansicht, von ei­ nem wirtschaftlichen Interesse abhängig gemacht werden. Diese Schranke ist in den sehr engen Grenzen des § 226 BGB geregelt worden, jene findet sich nicht im BGB.132 Das Schikaneverbot des § 226 BGB war den Zeitge­ nossen nicht neu. Bereits im ALR133 und im gemeinen Recht134 sind ent­ sprechende Lösungen anzutreffen. Eine Kontrolle wirtschaftlicher Interes­ sen solle, so die gemeinsame Überzeugung, nur mittelbar stattfinden. Feh­ lende wirtschaftliche Interessen des Rechtsinhabers hinderten die Rechts­ ausübung nicht per se. Verlangt wurde eine besondere Schädigungsabsicht. Wie beim Wucher sollte erst die verwerfliche Gesinnung den Ausschlag ge­ ben. Ungeachtet der historischen Vorläufer und des sehr engen Anwendungs­ bereichs fand das Schikaneverbot erst spät den Weg in das BGB. Die Erste Kommission hatte bewußt auf eine entsprechende Regelung verzichtet,135 und auch die Zweite Kommission sah dies, ungeachtet der Angriffe in der Literatur,136 nicht anders.137 Kommissionsmitglied Jacubezky faßte die lei­

132 Es gibt neben § 226 BGB noch einige Spezialregelungen. Dingliche Berechtigungen werden nicht selten eingeschränkt, um sinnloses Rechtsbeharren zu verhindern. Bsp.: §§ 228, 867,912 Abs. 1,1246 BGB. 133 ALR I, 6, § 37: „Er muß aber denselben [den Schaden] vergüten, wenn aus den Um­ ständen klar erhellet, daß er unter mehreren möglichen Arten der Ausübung seines Rechts diejenige, welche dem Andern nachteilig wird, in der Absicht denselben zu beschädigen ge­ wählt habe.“ 134 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, § 121: „Die Ausübung eines Rechts ist deswegen nicht widerrechtlich, weil ein anderer dadurch Schaden hat; nur das ist unerlaubt, ein Recht lediglich zu dem Ende auszuüben, um dadurch einem Andern zu scha­ den.“ 135 Übersicht über den Gang der Gesetzgebung: Haferkamp, Die heutige Rechtsmiß­ brauchslehre, S.86-95. 136 Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, S. 182; Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Aequitätsprinzip und die Richterstellung, AcP 73 (1888), 341-346. 137 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 476-478 und 3619-3621 = Mugdan, Bd.2, S. 78 f.

tenden Gedanken wie folgt zusammen: „Die Ausschließung chikanöser Rechtsausübung ist ein Grundsatz, der den Gesetzgeber leiten muß, aber nicht ein zu unmittelbarer und unbeschränkter Anwendung geeigneter Rechtssatz.“138 Der Bundesrat sorgte für die Aufnahme eines Schikanever­ bots wenigstens hinsichtlich des Eigentums. Als allgemeingültige Schranke wurde die Schikane schließlich in den Beratungen des Reichstags formu­ liert, auf Antrag des Zentrumsabgeordneten Gröber und nach heftiger Dis­ kussion.139 Die Aufregung während der Gesetzgebung und die bald einset­ zende Flut an Literatur140 stehen in auffälligem Gegensatz zu der geringen praktischen Bedeutung der Norm. Die Norm war weitgehend blockiert durch die materiellrechtlich wie prozessual hohe Hürde der Schädigungsab­ sicht. Schon ein geringstes Gläubigerinteresse sollte geeignet sein, den Vorwurf der Schädigungsabsicht auszuräumen. Die Rechtsprechung wich deshalb schon früh auf den § 826 BGB aus, der so ein unerwartetes Gewicht bekam.141 Verallgemeinern ließ sich der Gedanke um so schwerer, als im Gesetzgebungsverfahren eine exceptio doli generalis von den das Gesetz vorbereitenden Kommissionen abgelehnt worden war.142 Dem heutigen Rechtsanwender ist dieses Rechtsinstitut wieder vertraut. Über den § 242 BGB wird verwerfliches Gläubigerverhalten zum Teil mit dem Entzug des subjektiven Rechts bedroht, so bei anstößigem Rechtserwerb, bei wider­ sprüchlichem Verhalten des Rechtsinhabers oder bei eigenem Rechtsbruch. Unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB war dies freilich eine in der Lite­ ratur äußerst umstrittene Ansicht.143 Erst die Rechtsprechung des Reichsge­ richts sicherte hier die Kontinuität.144

138 Jacubezky} Zur Frage des allgemeinen Schikaneverbots, Gruchot 40 (1896), 596. 139 Zu den Beratungen: Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 99-102. 140 Übersicht über die Literatur bei Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 110, Fn. 390; Haferkamp benennt zehn Dissertationen, die zwischen 1902 und 1919 allein zu § 226 BGB erschienen sind. 141 Allerdings nicht als Regel: „Denn an sich besteht keine allgemeine sittliche Ver­ pflichtung, die Ausübung des Rechts zu unterlassen, wenn dieselbe einem anderen zum Schaden gereicht, und damit das eigene berechtigte Interesse dem Interesse des anderen nachzusetzen.“ RGZ 58,214 (217). 142 Zur Gesetzgebung: Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 86-103. 143 Enge Ansicht: Schneider, Treu und Glauben im Recht der Schuldverhältnisse, S. 155 ff; ders., Abänderliches Recht und Verkehrssitte, Jherings Jahrbücher 59 (1911), 384; Henle, Treu und Glauben im Verkehr, S. 3 ff; weite Ansicht: Hager, Chikane und Rechtsmißbrauch im heutigen bürgerlichen Rechte, S. 123-130 und 139-144; Wendt, Die exceptio doli gene­ ralis im heutigen Recht, AcP 100 (1906), 85-102 m.w.N. 144 Nachweise bei Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre: S. 112-115 zur Lite­ ratur und S. 125-138 zur Rechtsprechung des Reichsgerichts.

Interessanter als die exakte Analyse des durch § 226 BGB und - später wieder - im Rahmen der exceptio doli sanktionierten Gläubigerverhaltens ist die Übersicht dessen, was zu regeln unterlassen wurde. Der Rechtsinha­ ber mußte nicht weichen, sofern er lediglich seine Rechte geltend machen wollte, mochte sein wirtschaftliches Interesse auch noch so gering sein. Er­ neut scheute man die reine Inhaltskontrolle. Nur sofern ein Unwerturteil über die Person des Rechtsinhabers gefällt werden konnte, sollte der Weg zu einer Korrektur der privatautonom geschaffenen Rechtslage freigegeben werden. Auf einen wirtschaftlichen Mindestwert der durch das Recht anzu­ erkennenden Forderung wurde ebenfalls verzichtet. Der Begriff der Obliga­ tion war bereits in der Pandektistik umstritten. Sollte die saubere Analyse der historischen Quellen Vorrang haben oder galt es der reinen Willensde­ duktion zum Durchbruch zu verhelfen? Anfangs wurde nahezu einhellig ein Vermögenswert gefordert.145 Später, unter maßgeblichem Einfluß von Windscheid, verblaßte diese Ansicht zusehends.146 Die Erste Kommission folgte Windscheid. „Ein vermögensrechtliches Interesse des Gläubigers ge­ hört nicht zum Wesen der Obligation", wurde in den Protokollen festgehal­ ten.147 Die Zweite Kommission stimmte gleich mehrere Anträge, die das Kriterium des wirtschaftlichen Wertes in den Begriff des SchuldVerhältnis­ ses einfügen wollten, nieder. Die Mehrheit wolle „ideelle Güter“ nicht von den Schuldverhältnissen femhalten, so die Protokolle. Nur schutzwürdige Interessen gelte es anzuerkennen, „aber schutzwürdig sei jedes Interesse, welches sich innerhalb des vom Gesetze der individuellen Freiheit gewähr­ ten Gebietes halte“.148 Gesetze vermochten zwar der individuellen Freiheit Grenzen zu ziehen; das zu schaffende Zivilgesetzbuch aber, so der unausge­ sprochene Gedanke, war hierzu nicht aufgerufen. Das sahen nicht alle so. Nicht allein der Wille der Parteien, sondern die Rechtsordnung habe zu be­ stimmen, wann eine Verpflichtung rechtliche Wirkung habe, lautet die von dem Staatsrechtler Paul Laband geäußerte Gegenposition.149 Die Zivil­ 145 Für den Vermögenswert: Savigny, Obligationenrecht, Bd. 1, S. 9; Puchta, Pandekten, § 220 Anm. i; Arndts Lehrbuch der Pandekten, 9. Auflage, § 202 Anm. 3; Wächter, Pandek­ ten, Bd. 2, § 167; Dernburg, Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2, § 1; Hartmann, Die Obligation, S. 54. Zum Schadensersatzrecht: Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S. 122-133. 146 Gegen den Vermögenswert: Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, § 251, Anm. 3; Jhering, Gutachten, Jherings Jahrbücher 18 (1880) 41-80 (sehr ausführlich und grundlegend); Baron, Pandekten, § 208 ad. 3, S. 358 f.; Regeisberger, Pandekten, § 50 III, S. 201 f.; zurückhaltend noch: Keller, Pandekten, § 223, S. 440 f. 147 Protokolle der Ersten Kommission, S. 465 = Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse Bd. 1,S.4O. 148 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 561 f. = Mugdan, Bd. 2, S. 502. 149 Laband, Zum zweiten Buch des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches, AcP 73 (1888), S. 171.

rechtler waren vorsichtiger. Hellwig räsonierte, „wie weit es der Autonomie der Privaten möglich ist, die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen die Hilfe der Gerichte zur Durchsetzung von gegebenen Versprechungen ange­ rufen werden kann“.150 Er konstatierte „eine Übertreibung des Willensmo­ ments“, welche dazu verleitet habe, „bei den verschiedensten Rechtsfragen die Antwort lediglich aus der Natur des Willens zu konstruieren und alle Rechtsfolgen auf diesen zurückzuführen“.151 Angesichts gerichtlicher Erzwingbarkeit forderte Hartmann ein anderweitiges, „nach der Auffassung des Verkehrs“ schutzwürdiges Interesse.152 Noch nach Inkrafttreten des BGB wurde als Ansicht vertreten, nur ein Vermögenswert könne Gegen­ stand eines Schuldverhältnisses sein. Um dem Schuldverhältnis dennoch fe­ ste Grenzen zu geben, wurde vereinzelt das Kriterium der Geschäftsmäßig­ keit vorgeschlagen. Die überwiegende Mehrheit hat sich der gesetzgeberi­ schen Intention angeschlossen.153 Die Frage, ob der Vermögenswert erforderliches Merkmal eines schuld­ rechtlichen Anspruchs ist, beschäftigte die Literatur der Kriegs- und Krisen­ zeit weniger. Auch die bei einem allzu geringen Eigeninteresse zu vermu­ tende Schikane stand nicht zur Debatte. Während der Jahre 1914 bis 1923 gab es das genau umgekehrte Phänomen. Mit steigenden Beschaffungshin­ demissen und sinkendem Geldwert wuchs das Interesse des Gläubigers an der Leistung. In demselben Maße, in dem der Schuldner auf Erfüllungspro­ bleme hinwies, konnte der Gläubiger auf einen Gewinn hoffen. War der Gläubiger seinerseits Schuldner in einer Lieferkette, so blieb ihm zumindest das anfängliche Erfüllungsinteresse erhalten. Allenfalls wenn die Naturaler­ füllung zwingend ausfallen mußte, wenn etwa der Anspruch den Schuldner in den Ruin treiben würde, kam man den Fallgruppen nahe. Dennoch ist die Diskussion um den Vermögenswert richtungsweisend. Wenigstens in die­ sem Grenzbereich wurde nach wirtschaftlichen Interessen differenziert. Der schlichte Privatwille der Parteien schützte nicht länger vor einer objektiven Nützlichkeitskontrolle. Die reine Willensdeduktion erreichte ihre Grenzen. Die Suche nach materialen Kriterien lenkte den Blick der Rechtswissen­ schaftler auf Jherings Zweckgedanken,154 und die um den Begriff des sub­ Hellwig, Über die Grenzen der Vertragsmöglichkeit, AcP 86 (1896), 228. 151 Hellwig, Über die Grenzen der Vertragsmöglichkeit, AcP 86 (1896), 236. 152 Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, das Äquitätsprinzip und die Richterstellung, AcP 73 (1888), 372 f. 153 Zum Meinungsstand: Oertmann, BGB, 5. Auflage, Anm. 1 b) zu § 241. 154 Ramdohr sieht den Zweck des „Rechts im objektiven Sinne“ und der „subjektiven Be­ rechtigung“ im „Schutz menschlicher Interessen“. Für den § 226 BGB folgt: „Nicht weil das Chikanieren unmoralisch ist, wird es verboten, sondern deshalb, weil der Gebrauch einer Be­ rechtigung nur zum Zwecke der Beschädigung der Idee des Rechts zuwiderläuft und darum

jektiven Rechts geführte Diskussion bekam erstmals eine praktische Be­ deutung.

b) Die Leistungsopfer: Die Lasten aufseiten des Schuldners Das BGB sieht auch für Leistungsopfer eine Grenze vor. Der Anspruch soll dem Gläubiger nur im Rahmen des tatsächlich Realisierbaren, der Möglich­ keit des Leistungserfolgs, zustehen. Bezogen auf den Zeitpunkt des wech­ selseitigen Versprechens war das unumstritten und sogar als naturrechtliche Regelung formuliert worden.155 Im rationalen Naturrecht bezog sich der Be­ griff der Unmöglichkeit auf die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Schuld­ ners. Wie im scholastischen Naturrecht vorgedacht, sollte der leistungs­ schwache Schuldner vor dem Zugriff des Gläubigers geschützt werden.156 Die historische Rechtsschule erarbeitete sich in Gestalt Mommsens ein an­ deres Unmöglichkeitskonzept. Hier wurde die Unmöglichkeit begrifflich eingeengt und logisch verknüpft mit der Pflicht der Naturalerfüllung. Der Gedanke des Schuldnerschutzes verblaßte hinter dem begrifflich-logischen Unmöglichkeitskonzept, verschwand aber nie ganz. Im ersten Teil der Ar­ beit wurde dargelegt, wie der Unmöglichkeitsbegriff ausgedehnt wurde. Jen­ seits der dogmatischen Widersprüche war man bereits vor dem Krieg zu der Überzeugung gelangt, daß die Rechtsordnung eine Grenze für Erfüllungsop­ fer vorsehen sollte. Unterschieden wurden moralische und wirtschaftliche Opfer. Die juristi­ sche Literatur behandelt vornehmlich die moralischen Erfüllungsopfer, die im Moment nicht weiter interessieren sollen. Die wirtschaftliche Opfergren­ ze galt als erreicht, wenn die Naturalerfüllung offenkundig völlig unsinnige wirtschaftliche Aufwendungen zur Folge haben würde, insbesondere, wenn die durch eine Naturalerfüllung verursachten Kosten kein vernünftiges Ver­ hältnis zu dem geschaffenen Wert mehr aufwiesen.157 Die österreichische Rechtslehre entwickelte hier sogar ein eigenständiges Rechtsinstitut: die LeistungsSchwierigkeit. Anders als die deutsche Doktrin hielt man sich auf österreichischer Seite nicht mit Fragen der Möglichkeit der Leistung auf. rechtswidrig ist." Ramdohr, Rechtsmißbrauch, Gruchot 46 (1902), 587 und 590; kritisch auch Hellwig, Über die Grenzen der Vertragsmöglichkeit, AcP 86 (1896), 236. 155 Pufendorf, De officio hominis et civis iusta legem naturalem, cap. 9, § 17; Tevenar, Versuch über die Rechtsgelahrheit, S. 359; Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaft und der Völker, §§ 64 und 75. 156 Wolhchläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S. 76-88. 157 Köndgen und Randow konstatieren: „Unter Effizienzgesichtspunkten ist die wirt­ schaftliche Unmöglichkeit geradezu der eigentliche Kem des Unmöglichkeitseinwandes.“ Sanktionen bei Vertragsverletzung: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 129. Zu­ rückhaltender: Ott, Schäfer, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 377 f.

„Es kommt darauf an, ob das Opfer des Schuldners so groß ist, daß dessen Inanspruchnahme seitens des Gläubigers illoyal (contra bonos mores) wä­ re“, schreibt Felix Kornfeld in der maßgebenden Monographie.158 Unum­ stritten war diese Rechtsfigur im Habsburgerreich nicht. Nach Kriegsaus­ bruch sollte sie aber schnell und unangefochten zur Stütze richterlicher Vertragsaufhebung werden. In einer reinen Unmöglichkeitslehre, wie der im BGB Gesetz geworde­ nen, konnten jenseits des Unmöglichkeitsbegriffs keine wirtschaftlichen Überlegungen angestellt werden. Das Rechtsinstitut war eben nicht als wirt­ schaftliche Grenze der Leistungspflicht, sondern als logische Grenze der Naturalerfüllung konzipiert worden. So herrscht im Bereich des Möglichen im Grundsatz eine unbeschränkte Vermögenshaftung. Der Schuldner ist ge­ halten, alle Mittel auszuschöpfen. Mit seinem gesamten Vermögen hat er dafür einzustehen, daß die Leistungspflicht erfüllt wird. Ob die Erfüllungs­ opfer als wirtschaftlicher Wert in der Leistung zum Vorschein kommen, in­ teressiert diesseits der Möglichkeitsgrenze nicht. Genausowenig ist es von Belang, ob der Schuldner noch eine angemessene Gegenleistung erhält. Im Falle einer Unmöglichkeit kippt das an der Naturalerfüllung ausgerichtete System völlig. Der Anspruch lebt nicht, wie man vermuten könnte, als wirt­ schaftlicher Wert weiter. Der Gläubiger erhält in der Regel nicht einmal ei­ nen bescheidenen Ersatz. Der Übergang von der Naturalleistung zur Lei­ stung eines wie auch immer berechneten Interesses setzt stets besondere Umstände, allem voran ein Verschulden des Schuldners voraus. Liegen die­ se vor, droht gleich die umfassende Haftung; ansonsten lockt die vollständi­ ge Befreiung. Eine Minderung von Zufallsgewinnen, eine Teilung von Zu­ fallsschäden wird nirgends vorgedacht. Dieser salomonische Weg, der in der Krise immerhin von dem schweizerischen Bundesgericht und von der öster­ reichischen Justiz begangen wurde, blieb der deutschen Rechtsprechung versagt. Das Prinzip der Naturalerfüllung wendete sich gegen den Gläubi­ ger.159 Das BGB hat sich wirtschaftlichen Erwägungen nicht völlig verschlos­ sen. In einzelnen Fällen werden Rechte eingeschränkt und Pflichten modifi­ ziert, weil es unverhältnismäßige Aufwendungen verursachen würde, diesen vollständig nachzukommen. Kann ein Schaden nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen beseitigt werden, so verhindert der § 251 Abs. 2 BGB die Restitution. Der Geschädigte muß sich mit der Kompensation begnügen. ^Kornfeld, Leistungsunmöglichkeit,S. 101. . 159 Die wirtschaftlichen Folgen der Unmöglichkeitsdoktrin werden dargestellt von Wag­ ner, Ansprüche auf Unmögliches? JZ 1998, 485-490. Eine Analyse wirtschaftlicher Folgen der durch die Unmöglichkeit vorgenommenen Risikoverteilung bei Koller, Die Risikozu­ rechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 13-17.

§ 633 Abs. 2 BGB nimmt dem Werkunternehmer die Pflicht der Nachbesse­ rung, sofern diese unverhältnismäßig aufwendig sein würde. Dem Besteller des Werkes bleibt es aber unbenommen, den Werklohn zu mindern oder (in den Grenzen des § 634 Abs. 2 BGB) gleich zu wandeln. An unverhältnis­ mäßigen Kosten kann die Verwahrungspflicht beim Fund scheitern, § 966 Abs. 2 BGB. Einer schuldbefreienden Hinterlegung können ähnliche Hin­ dernisse entgegenstehen, § 383 Abs. 1 BGB. In beiden Fällen tritt die Ver­ steigerung der Sache an die Stelle der Hinterlegung. Der § 2170 Abs. 2 BGB gibt dem Erben die Möglichkeit, ein Verschaffungsvermächtnis durch Hingabe des bloßen Werts zu erfüllen. § 948 Abs. 2 BGB verhindert eine wirtschaftlich unsinnige Trennung vermischter, in unterschiedlichem Ei­ gentum stehender Sachen. Ähnlich wirkt § 912 Abs. 1 BGB hinsichtlich des geringen Überbaus eines fremden Grundstücks. Bereits eine Überschau zeigt, wie schwierig es ist, diese Fälle fruchtbar zu machen. Zwei Punkte verdienen Erwähnung. Erstens: Das Recht wird nur modifiziert, aber nicht beseitigt. Zumindest wirtschaftlich erhält der Berechtigte das, was er zu for­ dern berechtigt war. Abstriche muß er nur bei der konkreten Form der Er­ füllung machen. Zweitens: Mit Ausnahme des § 633 BGB werden zudem durchweg Pflichten begrenzt, die nicht vertraglich übernommen wurden. Abgesehen vom Verschaffungsvermächtnis resultieren die eingeschränkten Pflichten durchweg aus gesetzlichen Anordnungen. Das Interesse des Gläu­ bigers an der konkreten Gestalt der Pflichterfüllung ist eben, so die Essenz der beiden Punkte, denkbar gering. Eine Kollision mit den Prinzipien der Vertragstreue und Gestaltungsfreiheit droht nicht. Ausnahmsweise weicht das Gläubiger- dem Schuldnerinteresse. Der Bundesgerichtshof sah sich dennoch nicht gehindert, hieraus einen „allgemeinen Rechtsgedanken“ abzuleiten. „Danach erweist sich das Ver­ langen nach Herstellung eines an sich gebotenen Zustandes dann als rechts­ mißbräuchlich, wenn ihm der in Anspruch genommene nur unter unverhält­ nismäßigen, vernünftigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen entspre­ chen könnte.“160 Die vom Bundesgerichtshof dergestalt entschiedenen Fälle betrafen bislang nur vertragliche Nebenpflichten. Ist die Leistungspflicht selbst zu beurteilen, weicht der BGH auf § 242 BGB und die dieser Norm entwachsene Geschäftsgrundlage aus.161 Die Geschäftsgrundlage ist (zu­ mindest als Rechtsinstitut) kein Bestandteil der historisch aufzufindenden Diskussion. Dieses Rechtsinstitut ist erst das Resultat der noch vorzustel­ 160 BGH NJW 1974, 1552 (1553); vgl. noch BGH NJW 1976, 235 (236); BGH NJW 1988, 699 (700); älterer Versuch, diese Normen vorbildlich des öffentlich-rechtlichen Ver­ hältnismäßigkeitsprinzips zu systematisieren, bei: Metzner, Das Verbot der Unverhältnismä­ ßigkeit im Privatrecht, Diss. Erlangen 1970. 161 BGH NJW 1994,515 (516).

lenden Kriegs- und Krisenzeit. Vor dem Kriegsausbruch wurde eine ver­ gleichbare Position namhaft nur von Krückmann vertreten.162 Die Annahme einer Geschäftsgrundlage ermöglicht wirtschaftliche Überlegungen, die über die Kosten der Naturalerfüllung hinausgehen. 1979 hat Ingo Koller eine all­ gemeine wirtschaftliche Analyse der Risikoverteilung in die Diskussion eingebracht. Koller schlägt vor, die Risiken nach Gesichtspunkten der Effi­ zienz zu verteilen. In erster Linie soll derjenige das Risiko tragen, der es am besten beherrschen kann. Der Eintritt des Risikos soll so möglichst vermie­ den werden. Ist das Risiko unbeherrschbar, so soll diejenige Seite belastet werden, die den eintretenden Schaden am besten steuern und, etwa durch eine Versicherung, streuen kann, das sogenannte Absorptionsprinzip.163 Den Zeitgenossen waren rein wirtschaftliche Risikoabwägungen freilich noch völlig fremd. Im Grunde galt selbst die wirtschaftliche Opfergrenze als ethi­ sche Kategorie.

c) Die Allokation: Das gesellschaftliche Interesse an der Effektivität Die Ende des 19. Jahrhunderts heftig geführte Diskussion um den Begriff des subjektiven Rechts wäre durchaus geeignet gewesen, hier Impulse zu geben. Individuelle Rechtsmacht versteht sich eben nicht von selbst, son­ dern muß erst zugewiesen werden. Der individuelle Wille mag ein Kriteri­ um für eine Zuweisung sein; unbeschränkt galt diese Form der Willenstheo­ rie im ausgehenden 19. Jahrhundert aber längst nicht mehr. Bereits Windscheids „Wille der Rechtsordnung“ setzte sich von dem individuellen Wil­ len ab und ließ systematischen Raum für objektive Wertungen. Besonders der von Jhering benutzte Zweckgedanke wies auf Interessen der Gesell­ schaft hin. „Nicht alles“ wollte Jhering anerkannt wissen, „was er [der Ver­ sprechende] denkbarerweise sich vorsetzen kann, das törichtste oder unsin­ nigste, sondern solche Zwecke, die sich mit den übrigen, in deren Gemein­ schaft er lebt, vertragen“.164 Viel konkreter wurde Jhering zwar nicht, ließ aber immerhin eine utilitaristische Argumentation erkennen, die anhand psychologischer und soziologischer Fakten die anzustrebenden Zwecke ein­ zugrenzen suchte. Insbesondere sobald die Handlungsfreiheit auf dem Spiel stand, sollte eingegriffen werden. Jhering dachte vorzugsweise an die frei­ heitsvernichtende Wirkung wirtschaftlicher Macht.165 Ähnlich sah v. Tuhr 162 Zu Krückmanns „Einrede aus entgegenstehendem Interesse“ oben S. 93-98. ^Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 77-98. ^Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, S. 207; vgl. noch Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, § 60, S. 338: „Die Rechte sind nicht dazu da, um die Idee des abstrakten ,Rechtswillens* zu verwirklichen, sondern um den Interessen, Bedürfnissen, Zwecken des Verkehrs zu dienen.“ ^Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, § 60, S. 336 f.

in der langfristigen, die Bewegungsfreiheit des Menschen einschränkenden „übermäßigen Bindung [...] eine aus sozialen und ökonomischen Gründen nicht zu duldende Erscheinung des Wirtschaftslebens“.166 Eine darüber hin­ ausgehende Wirtschaftlichkeitskontrolle wurde zwar nirgends formuliert; sie war aber nicht länger ausgeschlossen. Das Interesse der Gesellschaft an einer effektiven Verwendung vorhan­ dener Ressourcen nimmt in Zeiten des Mangels naturgemäß zu. Im Krieg stand die Rechtsprechung vor der Frage, ob die Ressourcenverwendung in den Urteilen berücksichtigt werden sollte. Das staatliche Interesse an einer Erfüllung von Kriegslieferungsverträgen war immerhin im Strafrecht aner­ kannt worden. Laut § 329 StGB war die schuldhafte Verletzung dieser Ver­ träge strafbar. Die französischen Gerichte erkannten ein leistungsbefreien­ des Unvermögen an, sofern der Schuldner infolge angenommener Rüstungs­ aufträge nicht in der Lage war, ältere Verträge zu erfüllen. Es war der Ver­ schuldensvorwurf, den auszusprechen man sich scheute.167 Die rasche Be­ wirtschaftung der kriegswichtigen Rohstoffe sollte das Reichsgericht vor der Verlegenheit bewahren, unter mehreren zivilrechtlichen Verträgen eine ähnlich patriotische Gewichtung vornehmen zu müssen. Wirtschaftliche Rechtsfolgenüberlegungen zeigten sich erst in der Ruinrechtsprechung des 3. Senats, der in der Krise der Inflation aus gesamtwirtschaftlichen Erwä­ gungen den wirtschaftlich Schwachen dort schützte, wo der wirtschaftlich Starke noch leisten mußte. Plötzlich scheute man sich, den Schuldner in den Ruin zu treiben. Heinrich Klang merkte anläßlich der Ruinrechtsprechung an, die auf den Leistungswettbewerb abstellende liberale Gegenauffassung sei „auf eine einigermaßen veraltete Wirtschaftsauffassung zurückzuführen“ und bedürfe „kaum ernstlicher Widerlegung“.168 In der wirtschaftlichen Kri­ se war mit dem Gedanken eines gesellschaftlichen Zwecks vieles möglich.

3. Sittlichkeitskontrolle Die zivilrechtlichen Maßnahmen der Gesetzgebung ab der Jahrhundertmitte zielten alle auf eine möglichst ungetrübte Vertragsfreiheit. Der Zins wurde freigegeben, die Gewerbefreiheit nun auch in Süddeutschland gesetzlich ge­ regelt und last and least schaffte man sogar die überkommenen Rechtsmittel gegen den Wucher ab. Der Erste Entwurf des BGB machte hier keine Aus­

166 v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Teilbd. 2, S. 38. 167 Dalloz 1916, Part. II, S. 24 f.; zur französischen Rechtsprechung der Kriegsjahre vgl unten S. 365-369. 168Klang, Die Unerschwinglichkeit der Leistung, Wien 1921, S. 29, Fn. 70.

nähme. Zum Teil bedurfte es erst heftiger Kritik, bis im Gesetzgebungsver­ fahren altbekannte Korrektive wie die der §§ 343 und 138 Abs. 2 BGB auf­ gegriffen wurden. Angesichts dieses Zeitgeistes ist es überraschend, mit dem § 138 Abs. 1 BGB eine Generalklausel im Gesetz vorzufinden, die eine Inhaltskontrolle in viel nebulöseren Grenzen vorsieht als dies bei der laesio enormis je der Fall gewesen war. Die Norm verweigert der privatautonom erzeugten Pflicht ihren Segen, soweit die „guten Sitten^ dieses fordern. Ist es möglich, über den Rechtsbegriff der guten Sitten die Idee der vertragli­ chen Gerechtigkeit doch noch in das Gesetzbuch einzubringen? Oder präzi­ ser gefragt: Kann anhand des § 138 BGB überprüft werden, ob sich die ver­ sprochenen Leistungen auch nach einem Wandel der Umstände noch eini­ germaßen gleichgewichtig gegenüberstehen? Zwei handfeste Gründe systematischer Provenienz machen es schwer, den § 138 BGB für das Problem des Umstandswandels heranzuziehen. Da ist erstens der Zeitfaktor. Die Einordnung der Norm unter den Titel „Wil­ lenserklärung“ im Allgemeinen Teil zeigt, daß der Vorwurf der Sittenwid­ rigkeit auf den Abschluß des Vertrages zielt. Zu diesem Zeitpunkt, das sei vorausgesetzt, ist der Inhalt des Geschäfts aber noch kein problematischer. Das wurde er erst nach Vertragsschluß, durch eine veränderte Wirtschafts­ situation oder auch, denkt man an das kriegsbedingte Verbot des Kettenhan­ dels, durch einen Wandel in den Wertvorstellungen. 169 Der Vorwurf müßte also umgedeutet werden in den der sittenwidrigen Ausnutzung einer vor­ wurfsfrei erlangten Rechtsposition. Die Rechtsfrage zielt nicht mehr auf den wirksamen Abschluß des Rechtsgeschäfts, sondern auf dessen weitere Gül­ tigkeit; ihre Beantwortung ist im Schuldrecht, nicht in der Rechtsgeschäfts­ lehre anzusiedeln. Der systematische Ausweg dürfte darin bestehen, den § 242 BGB hinzuzuziehen - mit allerdings eigenen Problemen.170 Der zweite systematische Einwand zielt auf den zweiten Absatz der Norm. Hier ist ausdrücklich von einem „auffälligen Mißverhältnis“ die Rede, das, zwi­ schen der Gegenleistung und den versprochenen Vermögensvorteilen beste­ hend, als Wucher sittlich anstößig sein könne. Das Rechtsgeschäft soll aber nur dann nichtig sein, wenn aufgrund einer der konkret angeführten Situa­ tionen die freie Willensbildung des Versprechenden behindert war und der Vertragspartner dies ausgenutzt hatte. Der sittliche Vorwurf des Wuchers richtet sich also nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich an das rechtsge­ schäftliche Verhalten der Parteien. Auch der auf die Generalklausel des Ab­ 169 Auf diese beiden Aspekte der Kriegs- und Krisenzeit weist Schmoeckel hin: Der maß­ gebliche Zeitpunkt zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB, AcP 197 (1997), 9, Fn. 40. Übersicht über den Weg der Rechtsprechung a.a.O., S. 1-79. 170 Vgl. Staudinger/Sack, BGB, 13. Auflage, Rn. 83 zu § 138; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Auflage, Rn. 43 zu § 138.

satz 1 ausweichende Normanwender wird um diese Wertung nur schwer herumkommen.171

a) Die schlichte Ergebniskontrolle

Die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs hatten weder den Begriff der „Guten Sitten“ noch dessen Einsatz als Schranke des Rechtsgeschäfts erfun­ den. Die Grenze der Sittlichkeit wurde, sporadisch zwar, aber immerhin, selbst in der Pandektistik erwähnt.172 Auch die unmittelbaren Vorläufer des Gesetzbuchs, der Entwurf eines BGB für Bayern (1860/64), das BGB für das Königreich Sachsen (1863) und der Dresdener Entwurf (1866), sahen eine Sittlichkeitskontrolle vor. Neu ist aber der generalklauselartige Cha­ rakter der Sittlichkeit. Die Vorläufer wollten zumeist nur eine sehr enge Kontrolle. Das Recht sollte unsittliche Handlungen nicht mit einem Rechts­ zwang belegen. Nicht bezweckt war eine allgemeine Sanktion für unsittli­ ches Handeln. Ganz deutlich wird dies im sächsischen BGB, das in § 90 an­ ordnet: „Rechtsgeschäfte sind nichtig, wenn sie dem Gesetze oder den guten Sitten widerstreitende Handlungen zum Gegenstand haben.“173 Die mit der Ausarbeitung des BGB beauftragte Erste Kommission griff diese Ansätze auf. Der von ihr vorgelegte Entwurf sah eine Kontrolle anhand der „guten Sitten“ an drei Stellen vor: in der Rechtsgeschäftslehre, im Bereicherungs­ recht und im Recht der unerlaubten Handlungen. Wichtig sind: § 106. Ein Rechtsgeschäft, dessen Inhalt gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstößt, ist nichtig. § 705. Als widerrechtlich gilt auch die kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte Handlung, wenn sie einem anderen zum Schaden gereicht und ihre Vornahme gegen die guten Sitten verstößt.

In den Protokollen wird zu § 106 ausgeführt: „Man war der Ansicht, eine solche Bestimmung verdeutliche in genügender Weise, daß zur Nichtigkeit der Verstoß gegen die Grundsätze der Moral nicht ausreiche, daß vielmehr 171 Ein zusätzliches Sittenwidrigkeitsindiz wird fast durchgehend gefordert; vgl. MünchKommtMayer-Maly, BGB, 3. Auflage, Rn. 98-105 zu §138; SoergellHefermehl, BGB, 12. Auflage, Rn. 86 zu § 138; Staudinger/Sack, BGB, 13. Auflage, Rn. 230 zu § 138; vgl. noch Mayer-Maly, Renaissance der Laesio enormis?, S. 395-409. 172 Ausführlich: Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, § 314, Seuffert, Prak­ tisches Pandektenrecht, Bd. 1, § 74 und Bd. 2, §§ 258 f.; kurze Erwähnung bei: Dernburg, Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2, § 16, Regeisberger, Pandekten, § 147, Wendt, Pandekten, § 59, und Baron, Pandekten, § 61. Überblick bei H. Schmidt, Die Lehre von der Sittenwid­ rigkeit der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht, S. 93-103. 173 Vgl. noch Art. 3 des Dresdener Entwurfs: „Die Leistung kann in einem Thun oder Unterlassen bestehen; sie muß möglich sein und darf nicht den Gesetzen oder den guten Sit­ ten widerstreiten.“

der Inhalt des Geschäfts unmittelbar, in objektiver Hinsicht und unter Aus­ scheidung der subjektiven Seite, die guten Sitten [...] verletzen müsse.“174 Ausgeklammert werden sollten demnach der mit dem Geschäft verfolgte Zweck sowie - falls man da trennen will - das hinter dem Geschäft stehende Motiv. Diese „subjektive Seite“ kann nun in zweierlei Hinsicht aus den Be­ trachtungen ausgeschieden werden: als Prüfungsmaßstab und als Tatbe­ standsmerkmal. Gemeinhin wird die Kommission so verstanden, daß sie hier auf subjektive Tatbestandsmerkmale verzichten wollte.175 Im Falle des objektiven Verstoßes gegen die guten Sitten solle eine Korrektur anhand subjektiver Momente wie Zweck und Motiv also nicht mehr möglich sein; der Verzicht auf den subjektiven Tatbestand erweitere den Anwendungsbe­ reich der Norm. Diese Interpretation ist aber nicht zwingend. Denkbar ist auch, daß die Erste Kommission den Prüfungsmaßstab meinte, also die gu­ ten Sitten selbst. Deren „subjektive Seite“ ist der im einzelnen Subjekt ent­ standene, autonome Imperativ. Auf den soll es nach dieser zweiten Lesart gerade nicht ankommen, sondern „nur“ auf den äußeren, objektiven Nieder­ schlag der guten Sitten. Der Verzicht auf die Erforschung der inneren Ein­ stellung, der Motive und Zwecke, beschränkt demnach den Anwendungsbe­ reich der Norm. Die zitierte Stelle legt eine solch einschränkende Auslegung nahe, werden doch die „Grundsätze der Moral“ unmittelbar mit der „sub­ jektiven Seite“ in Verbindung gebracht. Letzte Klarheit erhalten wir von der Ersten Kommission aber nicht. Erhellend ist ein Blick in die niedergelegten Motive des Redaktors des Allgemeinen Teils, Albert Gebhard. Gebhard trennte zwei Formen der Sit­ tenwidrigkeit, deren Verschiedenheit er in der gemeinrechtlichen Doktrin nicht hinreichend gewürdigt fand. Da sei zum einen die Sittenwidrigkeit des Geschäftsinhalts und zum anderen die des Geschäftsabschlusses. Diese Un­ terscheidung finde, so Gebhard, ihre Entsprechung in der Trennung der ob­ jektiven von der subjektiven Seite.176 Gebhard empfahl der Kommission, den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur hinsichtlich des Geschäftsinhalts an­ zuerkennen: „Als Grenze der rechtsgeschäftlichen Wirksamkeit stellt sich 174 Protokolle der Ersten Kommission, Bd. 1, S. 215 f. = Jakobs /Schubert, Allgemeiner Teil Bd. 1, S. 714. Vgl. noch: Motive zum Allgemeinen Theile, S. 211 = Mugdan, Bd. 1, S.469. 175 So die Interpretation von Schmoeckel, Der maßgebliche Zeitpunkt zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB, AcP 197 (1997), 26 f. 176 Gebhard, Redaktorenentwurf zum Allgemeinen Teil, Abschnitt II: Das Rechtsge­ schäft, Titel 2: Inhalt des Rechtsgeschäfts, S. 137-144. Die rechtsvergleichende Untersu­ chung leitet Gebhard wie folgt ein: „Während in Beziehung auf die Ungültigkeit der Rechts­ geschäfte wegen ihres Zweckes [...] große Unsicherheit herrscht, findet bezüglich der Un­ wirksamkeit der Ausstellung von Verpflichtungen wegen der objektiven Eigenschaft der Lei­ stung weit weniger Zwiespalt statt“, a.a.O., S. 138.

heraus, daß nicht Imperative geschaffen werden können, welche höheren Imperativen derogiren würden“,177 erklärt er den Sinn der Regelung. Infolge dieses Ansatzes sei bei der Sittlichkeitskontrolle zu klären, ob der durch den Vertrag begründete und auf die Erfüllungshandlung gerichtete „rechtliche Imperativ“ im Widerspruch steht zum „sittlichen Imperativ“. Eine Kollision kann nur auftreten, wenn der sittliche Imperativ sich auf der Ebene des rechtlichen bewegt, also ebenso wie dieser auf die „Handlung an sich“ be­ zogen, der „subjektiven Seite“ entkleidet wird. Die Kehrseite der Medaille ist die reduzierte Kontrolle des Geschäftsabschlusses selbst. Gebhard warnt ausdrücklich davor, bloße rechtsgeschäftliche Erklärungen zu sittlich ver­ botenen Handlungen zu stempeln. Dies, so Gebhard, sei nur mittels einer Überprüfung der „Zwecke und Motive“ zu erreichen und würde damit „ei­ nen jeden Vertrag einer sittenrichterlichen Censur aussetzen“.178 Für die hier aufgeworfenen Probleme der Kriegs- und Krisenzeit von 1914 bis 1923 er­ gibt sich ein wichtiger Nebeneffekt: Mit der subjektiven Seite wird in letzter Konsequenz der Bezug zu den Handlungen, insbesondere zu der zum Ge­ schäftsabschluß führenden, aufgegeben. Die Inhaltskontrolle besteht als Er­ gebniskontrolle über den ganzen Erfüllungszeitraum hinweg und kann im Grunde auch nachvertragliche Entwicklungen einschließen. Geplant war ei­ ne zeitliche Ausdehnung freilich nicht. In den Motiven der Ersten Kommis­ sion wird ausdrücklich der Zeitpunkt des Vertragsschlusses als der allein maßgebende benannt.179 Die Erste Kommission sprach sich noch in zwei weiteren Fällen gegen eine Kontrolle unsittlicher Motive aus. Auch die von der Ersten Kommissi­ on vorgeschlagene Regelung des § 747 blendete, anders als der Gesetz ge­ wordene § 817 BGB, die subjektive Seite bewußt aus. Eine Leistung solle nach Ansicht der Kommission zurückgefordert werden können, wenn „von dem Empfänger einer Leistung durch deren Annahme nach dem Inhalte des Rechtsgeschäfts gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung versto­ ßen worden [ist]“. Es gelte Bedenken Rechnung zu tragen, wonach „es thunlichst vermieden werden müsse, den Richter in die Lage zu bringen, als Sittlichkeitsrichter zu urtheilen“.180 Die sittliche Einstellung soll in einer Handlung, hier der Annahme der Leistung, zum Ausdruck kommen. Wie bei § 106 wird der „Inhalt des Rechtsgeschäfts“ hinzugezogen. Diese Überein177 Gebhard, Redaktorenentwurf zum Allgemeinen Teil, Abschnitt II: Das Rechtsge­ schäft, Titel 2: Inhalt des Rechtsgeschäfts, S. 139. 178 Gebhard, Redaktorenentwurf zum Allgemeinen Teil, Abschnitt II: Das Rechtsge­ schäft, Titel 2: Inhalt des Rechtsgeschäfts, S. 143. 179 Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 180 = Mugdan, Bd. 2, S. 99. 180 Protokolle der Ersten Kommission, S. 1559 = Jakobs /Schubert, Schuldrecht, Bd.3, S.820.

Stimmung ist gewollt. Es sei „räthlich", auf diesen Inhalt hinzuweisen, ver­ merken die Protokolle, „zur Verdeutlichung, daß es auf die causa der Lei­ stung und nicht etwa bloß auf ihre Beschaffenheit ankomme“.181 Ersichtlich sollte der § 106 E I ergänzt werden. Der Hingabe einer Leistung wurde de­ ren Annahme zur Seite gestellt. Ein schlichter Austausch von Leistungen wird einer Inhaltskontrolle im Sinne des § 106 E I ausgesetzt. Kein förmli­ cher Vertrag, ja nicht einmal die Vornahme der Gegenleistung ist für die Kontrolle des Gesamtgeschäfts notwendig. Auch eine an sich unbedenkliche Leistungshandlung kann unterbunden werden, wenn sie Teil eines Geschäfts ist, das im Ergebnis einem den guten Sitten widersprechenden Vertrag ent­ spricht. Der Prüfungsmaßstab wurde von dem § 106 E I übernommen. Ist die causa im Sinne des § 106 E I in Ordnung, so soll eine Überprüfung der (weiteren) Motive nicht stattfinden. Die dritte mittels der guten Sitten vorzunehmende Kontrolle betrifft die von der Kommission so genannte „allgemeine Freiheit“. Die Erste Kommis­ sion sah an Stelle des § 826 BGB eine Generalklausel vor, die einen Ersatz­ anspruch bei jedem schuldhaft verursachten Schaden vorsah, „es sei denn, daß er [der Schädiger] in Ausübung eines besonderen Rechts oder einer mit den guten Sitten übereinstimmenden Ausübung der natürlichen Freiheit ge­ handelt habe“. In den Protokollen wurde hierzu vermerkt: „Wer ein beson­ deres Recht ausübe, müsse immer haftfrei sein, auch wenn er aus Schikane handele, wer aber nur kraft seiner natürlichen Freiheit handele, dürfe diese nicht zum Schaden anderer mißbrauchen [...]“182 Auch in der gewandelten Form des § 705 des Ersten Entwurfs, dem Vorläufer des § 826 BGB, wur­ den die rechtsgeschäftlich begründeten Ansprüche gemieden. ,„Allgemein" im Sinne der Norm sollte nur diejenige Freiheit sein, die nicht durch die Rechtsordnung gewährt wurde. Ausweislich der Motive wollte die Erste Kommission in bestehende Rechte gerade nicht eingreifen.183 Die mit der

181 Protokolle der Ersten Kommission, S. 1559 = JakobsISchubertt Schuldrecht, Bd.3, S. 820; vgl. Motive: „Indem der Entw. daher in Übereinstimmung mit letzterer Vorschrift [§ 106] hervorhebt, die Annahme müsse nach dem Inhalte des Rechtsgeschäftes einen Ver­ stoß gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung enthalten, wird zugleich klargestellt, daß es auf die causa der Leistung, nicht etwa blos auf die Beschaffenheit ankomme [...]" Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 849 = Mugdan, Bd. 2, S. 474. 182 Protokolle der Ersten Kommission, S. 966 f. = Jakobs/Schubert, Schuldrecht, Bd. 3, S.875. 183 Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 726 = Mugdan, Bd. 2, S. 405: „Mit gewisser Beschränkung sollen nämlich als widerrechtlich auch solche Handlungen gelten, deren Vor­ nahme gegen die guten Sitten verstößt. Die Beschränkung ist die, daß dem Handelnden nicht ein subjektives Recht zur Vornahme der Handlung zustehen darf [...]“

Rechtsausübung verbundenen Motive interessieren nicht weiter. Eine allge­ meine Kontrolle des Rechtsmißbrauchs war nicht vorgesehen.184

b) Die Wende zur Sittlichkeitskontrolle Der Zweiten Kommission mißfiel die Beschränkung der guten Sitten auf objektive Kriterien. „Es genüge nicht“, wird in den Protokollen bemängelt, „wenn nach dem Entwurf die Nichtigkeit nur bei solchen Rechtsgeschäften eintrete, deren Inhalt unmittelbar in objektiver Hinsicht und unter Ausschei­ dung der subjektiven Komponente die guten Sitten verletze.“185 Der über die Moral zu ermittelnde sittliche Wert des rechtsgeschäftlichen Handelns soll nicht mehr allein durch den äußeren Erfolg bestimmt werden. Auf den äuße­ ren Erfolg will die Zweite Kommission notfalls sogar verzichten, sofern nur die innere Einstellung sittlichen Werten widerspricht. Die Zweite Kommis­ sion wollte keinen werttheoretischen Diskurs entscheiden. Die Frage, ob ein fremdgesetzter Imperativ sittliches Handeln überhaupt erzeugen könne, wurde nicht länger gestellt. Selbst der Einbruch rechtlicher Pflichten in Welten innerer Einstellungen und Motive war keine Diskussion wert. Allein das praktische Ziel stand den Kommissionsmitgliedem vor Augen. Sie wollten den Vorwurf des Sittenverstoßes auch bei solchen Geschäften erhe­ ben können, die an sich sittlich neutral sind. Geschaffen wurde hierzu eine Fassung, die als § 138 Abs. 1 BGB Gesetz geworden ist. Die harmlos aus­ sehende Kürzung der Formulierung des § 106 sollte den Anwendungsbe­ reich der guten Sitten subjektiven Tatbestandsmerkmalen öffnen und derge­ stalt ausdehnen. Es wurde sogar der Antrag gestellt, die volle Konsequenz zu ziehen und den Begriff der guten Sitten durch den der Sittlichkeit zu er­ setzen. Der Antrag fand keine Mehrheit. Aber nicht, wie noch die Erste Kommission angenommen hatte, weil der Sittenverstoß zu umfassend sei. Im Gegenteil. Die Zweite Kommission sah gerade in den guten Sitten den „umfassenderen Geltungsbereich“ gewährleistet und zog deshalb diese Ter­ minologie dem Begriff der Sittlichkeit vor!186 Die guten Sitten fanden sich auf die innere Sittlichkeit verwiesen. Damit wurde nicht nur ein zusätzli­ ches, subjektives Tatbestandsmerkmal geschaffen, sondern ein völlig neuer Katalysator für moralische Anschauungen. Selbst ein unerwünschter Erfolg konnte nicht länger allein über die Sozialmoral abgelehnt werden. Es sei

184 Zum Rechtsmißbrauch und dessen Berücksichtigung in der Entstehung des BGB aus­ führlich: Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 86-103. 185 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 257 = Mugdan, Bd. 1, S. 725. 186 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 258 = Mugdan, Bd. 1, S. 725. Bereits die Vorkommission des Reichsjustizamts sprach von dem „engeren Gesichtspunkte der Sittlich­ keit“, der nicht zu billigen sei; Jakobs /Schubert, Allgemeiner Teil Bd. 1, S. 730.

„unerlässlich“, vermerken die Protokolle, 187 „die verwerfliche Gesinnung der Betheiligten nicht außer Acht zu lassen, weil erst durch die Hinzunahme dieses subjektiven Momentes der Inhalt des Rechtsgeschäfts in das rechte Licht gerückt werde“. Das Unwerturteil klebt nun an der inneren Einstel­ lung. Die Rechtsordnung verweigerte sich nicht länger nur der unsittlichen Vollstreckung, sie bestrafte nach Kriterien der Moral. Die zurückhaltende Konzeption der Ersten Kommission war vollständig auf den Kopf gestellt worden. Mit Folgen. Als erste und offensichtlichste Konsequenz rückte das Verhalten der Parteien in das Zentrum der Betrachtung. Bislang interessierte nur, ob das Ergebnis der Vertragserfüllung den Grundsätzen der Sozialmoral derart wi­ derspricht, daß der Gesellschaft Schutz und Vollstreckung des Vertrages nicht zugemutet werden können. Von nun an konnte auch die Einstellung der Parteien einer sittlichen Kontrolle unterzogen werden. Das Unwerturteil traf die Person, nicht länger den objektiven Gegenstand des Rechtsge­ schäfts. Man benötigte also Anknüpfungspunkte, welche geeignet waren, die Verbindung zwischen dem Rechtsgeschäft und den Personen herzustel­ len. Zwei boten sich an: die zum Vertragsschluß führenden Handlungen so­ wie diejenigen Handlungen, mit denen die Erfüllung vorangetrieben wurde. In beiden Fällen wurde die Zweite Kommission mit den Folgen ihrer Theo­ rie konfrontiert. Beide Male weigerte sie sich, konkrete Folgen zu normie­ ren; beide Male tat dies später der Reichstag. Die Rede ist vom Wucher und dem Rechtsmißbrauch. Auffallend ist insbesondere die Diskrepanz zwischen der freimütigen Formulierung von § 138 Abs. 1 BGB und dem Gerangel um den viel klarer konturierten Abs. 2. Es mag mit dem schon fast ideologisch zu nennenden Kampf gegen die Zinsbeschränkungen Zusammenhängen. Oder damit, daß man glaubte, eine solche Regelung passe nicht in ein Zivil­ gesetzbuch. Jedenfalls schlug die Redaktionskommission vergeblich vor, den Wucher explizit zu fassen.188 Erst als im Reichstag der Wucher disku­ tiert und sanktioniert wurde, machte man sich klar, daß mit der weiten Fas­ sung des § 138 Abs. 1 BGB die Würfel bereits gefallen waren.189 187 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 257 f. = Mugdan, Bd. 1, S. 725. 188 Die Redaktionskommission schlug folgende Norm vor: „Ein Rechtsgeschäft, das ge­ gen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das Jemand unter Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvortheile versprechen oder gewähren läßt, welche den Werth der Leistung dergestalt überschreiten, daß den Umständen nach die Vermögensvortheile in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen.“ Ja­ kobs/Schubert, Allgemeiner Teil Bd. 1, S. 736. 189 Luig, Vertragsfreiheit und Äquivalenzprinzip, S. 199-201; auf S. 200 wird insbeson­ dere auf den Zentrumsabgeordneten Gröber hingewiesen, insbes. Sten. Ber., IX. Legislatur­ periode, IV. Session, Berlin 1896, S. 2770 ff.; Teilabdruck bei Mugdan, Bd. 1, S. 1010-1023.

Schwieriger gestaltete sich die Überprüfung des Gebrauchs der Rechte. Die Erste Kommission hatte, wie eben dargelegt, die Sittlichkeitskontrolle verweigert, sofern bestehende Rechte geltend gemacht werden. Die Lehre des Rechtsmißbrauchs war dabei sogar ausdrücklich abgelehnt worden. Die Zweite Kommission sah keinen Anlaß, diese Zurückhaltung aufzugeben. Im Gegenteil. Der Zweite Entwurf fügte sogar eine ausdrückliche Begrenzung in den § 705 des Ersten Entwurfs ein.190 Die Diskrepanz zu der weiten Kon­ trolle des § 138 Abs. 1 BGB wurde bewußt in Kauf genommen. Selbst über einen Vorschlag der Kommission des Reichsjustizamtes setzte man sich hinweg.191 Woran lag diese Zurückhaltung? „Prinzipiell müsse man fordern, daß das Gesetz, wenn es die Entstehung von Rechten ermögliche, auch de­ ren Ausübung gestatte“, beginnen die Protokolle den fraglichen Teil. Dann wird es Grundsätzlicher: „Das Gesetz könne nicht die Gebote der Moral zu Rechtssätzen erheben. Eine solche Verwischung der Grenzen zwischen Recht und Moral führe zu der größten Unsicherheit. [...] Auch sei es sehr mißlich und führe zu Schwierigkeiten, wenn man gezwungen sei, die inne­ ren Beweggründe einer Handlung zu prüfen.“192 Das klingt erstaunlich ver­ traut nach den Ansichten der Ersten Kommission und Gebhards. Warum blieb die Sittlichkeitskontrolle, die von der Zweiten Kommission für die Begründung der Rechte vorgenommen worden war, für den Fall des Ge­ brauchs der Rechte aus? Eine unmittelbare Antwort ist den Quellen nicht zu entnehmen. Immerhin so viel: Die Entscheidung gegen eine Überprüfung bestehender Rechte war schon vor der eingangs dargelegten „Wende“ ge­ fallen; sie wurde nun nicht mehr in Frage gestellt. Bereits in der Beratung des Allgemeinen Teils war über den Vorschlag, die Ausübung von Rechten einer Sittlichkeitskontrolle zu unterziehen, abge­ stimmt worden. Zur Debatte stand: § 185 a. Ein Anspruch kann von demjenigen, gegen welchen er geltend gemacht wird, zurückgewiesen werden, wenn die Geltendmachung unter Umständen des Falles gegen die guten Sitten verstößt.

Der Vorschlag wurde von Mandry damit begründet, „daß das Gesetz nicht im Stande sei, die Voraussetzungen des subjektiven Rechtes so zu 190 Der Zweite Entwurf lautete: „Wer durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung ei­ nes ihm zustehenden Rechtes vomimmt, in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens ver­ pflichtet.“ 191 Die Kommission des Reichsjustizamtes wollte die Norm auf Handlungen ausdehnen, die ein besonderes Recht für sich in Anspruch nehmen können. Die allgemeine Handlungs­ freiheit sei schließlich auch ein Recht, wurde in einem argumentum a maiore ad minus fest­ gehalten. Jakobs/Schubert, Schuld recht Bd. 3, S. 893. 192 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 2731 = Mugdan, Bd. 2, S. 1079.

normieren, daß die Geltendmachung desselben nicht doch im einzelnen Falle einen Verstoß gegen die guten Sitten enthalte“. Und er vergißt nicht hinzuzufügen, der Erste Entwurf biete selbst „Anhaltspunkte in den §§ 106 und 705".193 Entgegen der weiten, an die exceptio doli generalis erinnernden Formulierung dachte Mandry aber nur an ein enges Schikaneverbot. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Die „Grenze zwischen Recht und Moral“ wolle man nicht verwischen, ist erneut in den Protokollen zu lesen. Und: „Aus dem § 106 lasse sich für die beantragte Vorschrift kein Argument entneh­ men; es sei ein wesentlicher Unterschied, ob es sich erst darum handele, ei­ nem Thatbestande rechtliche Anerkennung zu Theil werden zu lassen oder nicht, oder ob die Ausübung einer rechtlich anerkannten Befugniß in Frage stehe.“193 194 Offenbar hatte man Hemmungen, einmal begründete Rechte zu verwerfen. Erst die Beratungen im Reichstag brachten eine Wende. In den engen Grenzen der §§ 226 und 826 BGB wurde „mit großer Mehrheit“ auch der Rechtsmißbrauch sanktioniert.195 Eine exceptio doli generalis, die konse­ quent den Gleichlauf mit § 138 Abs. 1 BGB hergestellt hätte, wurde gleich­ wohl nicht aufgenommen.

c) Die Aufnahme in der Literatur: Renaissance der Moral?

Die Rechtswissenschaft wurde mit keinem unbekannten Begriff konfron­ tiert. Die guten Sitten sind eine Übersetzung der boni mores. Doch da fängt das Problem schon an. Die Pandektenlehrbücher beschäftigten sich mit der Frage der Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften nur sporadisch.196 Eine Sy­ stembildung fand nicht statt. Als Rechtsbegriff mußten die guten Sitten erst mit Inhalten aufgefüllt werden. Hier tauchte ein zweites Problem auf. Die Lösung der Gesetzgeber lag abseits des Sprachgebrauchs. Seit der Rezeption kantischer Schriften war es üblich, Sitte und Sittlichkeit zu unterscheiden. Sittlich ist laut Kant nur der innere, autonome, d. h. selbstgesetzte Impera­ tiv. Dieser Rückzug auf das Individuum erfreute sich großer Beliebtheit. 193 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 477 = Mugdan, Bd. 1, S. 796. 194 Protokolle der Zweiten Kommission, S. 478 = Mugdan, Bd. 1, S. 797. 195 Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 99-102. Der Antrag stammte von dem Zentrumsabgeordneten Gröber, der sich bereits bei der Fassung des § 138 Abs. 2 BGB hervorgetan hatte. Vgl.: Jakobs /Schubert, Schuldrecht Bd. 3, S. 901 f. 196 Romanisten: Seuf/ert, Praktisches Pandektenrecht, Bd. 2, § 258 Fn. 1, Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, § 317, m.w.N. unter Fn. 5; von germanistischer Seite ist zu nennen: Stobbe, Zur Geschichte des deutschen Vertragsrechts, Leipzig 1855, ders., Handbuch des Deutschen Privatrechts, Bd. 3, 3. Auflage, Berlin 1898, § 212 IV, Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, Leipzig 1895, §§ 32 II, 33 III. Übersicht bei H. Schmidt, Die Lehre von der Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften in historischer Sicht, S. 93-103, 113­ 117.

Hier auch rechtlich anzuknüpfen wäre aber nicht nur kontraproduktiv für die Sittlichkeit, sondern würde, als normierter kategorischer Imperativ, jedes Maß sprengen. Als Gegenmodell zu der kantischen Individualethik boten sich die in der Gesellschaft zum Vorschein kommenden Moralvorstellungen an, allen voran die christliche Ethik, wie sie von Friedrich Julius Stahl in zeitgemäßem philosophischem System dargelegt wurde. Diese inhaltlichen Fragen wurden überlagert von sprachlichen. An Stelle von Sittlichkeit wur­ de gern von Moral, Morallehren oder Moralanschauungen gesprochen. Eine inhaltliche Präferenz war mit der Begriffswahl nur selten verbunden. Nur wer Hegel folgte, der trennte scharf zwischen Sittlichkeit und Moral. Zu al­ lem Überfluß benutzte Hegel den Begriff der Moral im Sinne der kantischen Sittlichkeit, um in seinen eigenen Sittlichkeitsbegriff eine materiale Moral­ lehre hineinschreiben zu können. Das sorgte zusätzlich für begriffliche Un­ sicherheit und verführte namentlich die Hegelianer unter den zeitgenössi­ schen Philosophen dazu, beide Lehren zu harmonisieren. Die Juristen, in diesen philosophischen Welten nicht mehr heimisch, ta­ ten sich hier besonders schwer. Völlig ernsthaft wurde die Ansicht vertreten, die guten Sitten bezögen ihre Inhalte aus den Sitten und Gebräuchen.197 Auch von , Anstand" ist die Rede.198 Einige nutzten bewußt die Freiheit des neuen Begriffs und suchten spezifische Gesellschaftsinteressen unter die guten Sitten zu fassen. Ganz utilitaristisch wird die „gesellschaftliche Wohl­ fahrt“ genannt.199 Sogar Jherings „Egoismus der Gesellschaft“ kam zu neu­ en Ehren und, etwas moderater, der ordre public.200 Konsequent gestaltete Rudolf Stammler den neuen Freiraum. Stammler inkorporierte die guten Sitten in eine Lehre vom richtigen Rechte. Leicht macht er es sich nicht. Die sittliche Lehre sei auf die reine Gesinnung gerichtet, während das richtige Recht auf gutes Sozialverhalten abziele, teilt er dem Leser seiner „Lehre von dem richtigen Recht“ mit. Beide hätten aber etwas gemein: Das Recht und die Sittlichkeit basierten beide auf dem Wollen und das Wollen wieder­ um verbinde Mittel zu einem konkreten Zweck.201 Richtiges Recht sei Mit­ tel für berechtigte Zwecke. Wie sehen diese Zwecke aus? „Ein berechtigter Zweck ist dann zu behaupten“, hält Stammler in „Wirtschaft und Recht“ fest, „wenn das empirisch erwachsene Begehren eines einzelnen nicht bloß 197 Leonhard, Der Verstoß gegen die guten Sitten; ähnlich Dernburg, Das bürgerliche Recht, Bd. 2, § 125 II, der den „guten sozialen Zustand“ sucht. 198 Hagen, Die guten Sitten als Rechtsbegriff, Gruchot 52 (1908), 500. 199 Fuld, Recht und Moral im neuen Gesetzbuche, SeuffertsBl 64 (1899), 173. Ziel sei die „Begrenzung des individuellen Egoismus durch das Interesse der Gesamtheit“. 200 Steinbach, Die Moral als Schranke des Rechtserwerbs und der Rechtsausübung, S. 40-43. 201 Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 416 f.

ein subjektiv gültiges Getriebenwerden bleibt, sondern als allgemeingültiges bestimmt, mithin auch wieder in dem Sinne einer für alle grundlegend ein­ heitlichen Art der Zwecksetzung gerichtet wird.“202 Stammlers Ziel ist die „Gemeinschaft frei wollender Menschen“. Dieses „soziale Ideal“ bedürfe einer Regelung, nach welcher „ein jeder die objektiv berechtigten Zwecke des anderen als die seinigen achtet und behandelt“. In seiner „Lehre von dem richtigen Recht“ nimmt Stammler die konkrete Durchführung dieser sozialen Ethik in Angriff. Er postuliert „Grundsätze des Achtens“ und des „Teilnehmens“ 203 Ein Rechtsgeschäft, welches diese Grundsätze mißachte, sei „inhaltlich unrichtig“ und, in technischem Sinne, sittenwidrig 204 Die Mehrheit nahm die Intention der Gesetzgeber doch ernster und suchte die Lösung in der Sittlichkeit. Durchweg sah man die in der Gesell­ schaft empirisch erfahrbaren Moralanschauungen als maßgebend an.205 Wie sollten nun subjektive Vorstellungen von Sittlichkeit mit den Anforderun­ gen der Objektivität, die an einen Rechtssatz gestellt werden müssen, ver­ bunden werden? Der Gesetzgeber hat eine Formel geprägt, die wegweisend sein sollte: Sittenwidrig sei, was „den in den guten Sitten sich ausprägen­ den Auffassungen und dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denken­ den widerspricht“.206 Die „billig und gerecht Denkenden“ hatten es auch dem Reichsgericht angetan. Der Richter habe „aus dem (sittlichen) Volks­ bewußtsein, dem Anstandsgefühle aller billig und gerecht Denkenden“ zu, schöpfen.207 Plancks Kommentar begnügte sich mit der „Denkweise eines anständigen Durchschnittsmenschen“ 208 Der Weg führte über die Summe individualethischer Anschauungen hin zu der herrschenden Sozialmoral. Nicht jede dieser Anschauungen durfte sich angesprochen fühlen. Ein Aus­

202 Stammler, Wirtschaft und Recht, § 65. 203 Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 208 und 211. ^Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 416-419; vgl. ders., Das Recht der Schuldverhältnisse, S. 49 f.; zur Methode eingehend: C. Müller, Die Rechtsphilosophie des Marburger Neukantianismus, S. 64-80. 205 Lotmar, Der unmoralische Vertrag, S. 95; Gierke, Recht und Sittlichkeit, in: Logos 6 (1916/17), S. 213-216; Jacobi, Recht, Sitte und Sittlichkeit, Jherings Jahrbücher 41 (1900), 93 und 104-111; Planck/Flad, BGB, 4. Auflage, Erl. 1.1 zu § 138; Staudinger/Riezler, BGB, 3./4. Auflage, Erl. I. 2 zu § 138 BGB; Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 2, § 37, S. 93-105; Biermann, Bürgerliches Recht, Bd. 1, § 53, S. 175-185; v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Teilbd. 2, § 70, S. 21-49. Literaturübersicht: Herzog, Zum Begriff der „guten Sitten“ im Bürgerlichen Gesetzbuche, S. 2-12. 206 Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S. 727 = Mugdan, Bd. 2, S. 406. 207 RGZ 48,114 (124 f.); vgl. noch RGZ 55, 368 (372 f.); 58, 214 (217); 67, 101 (102). Zustimmend: Enneccerus, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 6.-8. Auflage, Bd. 1, § 178 I, S.485. 208Planck/Flad, BGB, 4. Auflage, Erl. 1 b zu § 138; vgl. RGZ 67,101 (102).

schnitt sollte es sein, so viel war klar. Vorsichtige Juristen wollten den § 138 Abs. 1 BGB marginalisieren.209 Dem standen die wenig großzügigen sozialmoralischen Überzeugungen der Zeit entgegen. Nach welchen Kriteri­ en sollte die Auswahl also stattfinden? Die vielzitierte Monographie von Philipp Lotmar unterschied drei Fälle: Der Vertragsschließende handele ge­ gen die guten Sitten „1) wenn er eine Handlung, Duldung oder Unterlassung vereinbart, die unmoralisch ist. [...] 2) ist der Vertrag contra bonos mores, wenn er zum Gegenstand einer Vereinbarung macht eine Handlung, Duldung oder Unterlassung, die zwar nicht unmoralisch ist, aber von Moral wegen nicht vertraglich vorgenommen oder zugesichert und damit dem Rechts­ zwang unterstellt werden darf. [...] 3) ist der Vertrag contra bonos mores, wenn er eine ökonomische Leistung in Kausalbeziehung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung setzt, welche - mag sie moralisch oder unmoralisch sein - von Moral wegen nicht in sol­ cher Kausalbeziehung zu Geld oder Geldwert stehen soll“ 210

Hieran anknüpfend wurden in der Literatur weitere Fallgruppen entwikkelt.211 In den konkreten Beispielen gab es überraschend viel Gemeinsames. Streit entbrannte bei der Frage, ob Motive und Absichten selbst bei an sich neutralem Handeln in das Urteil miteinbezogen werden könnten. Die sittli­ chen Vorbilder der Zeit hatten wenig Hemmungen, über bloße Gedanken, Wünsche und, juristisch ausgedrückt, Motive und Zwecke Unwerturteile zu fällen. Welches Interesse nur konnte die Rechtsordnung haben, diese Auf­ fassungen zu sanktionieren? Hatte sie die Gesellschaft zu schützen vor der Verlegenheit, ein als sittlich anstößig empfundenes Ziel stützen zu müssen? Oder galt es das Individuum zu erziehen, gar zu bestrafen? Die Gesetzgeber ab der Zweiten Kommission wollten die Sittlichkeitskontrolle jedenfalls nicht ausgeschlossen haben. Die Literatur hielt sich dennoch stark zurück.212

209 Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, S. 15: nur „bei Verletzung von In­ teressen, die nur aus juristisch-technischen Gründen nicht zu Rechten werden konnten“; in Bd. 2 allerdings viel großzügiger. 210 Lotmar, Der unmoralische Vertrag, S. 68-73. 211 Wie Lotmar: Biermann, Bürgerliches Recht, Bd. 1, § 53, S. 175-185; Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 6.-8. Auflage, Bd. 1, § 178, und Planck/Flad, BGB, 4. Auflage, Anm. 2 a-c zu § 138; weitreichender: Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 2, § 37, S. 93-105; v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Teilbd. 2, § 70, S. 21—49, und Dick, Der „Verstoß gegen die guten Sitten“ in der ge­ richtlichen Praxis, ArchBürgR 33 (1909), 108-135. 212Staudinger/Riezler, BGB, 3./4. Auflage, Anm. 1.5 zu § 138; v. Tuhr unterscheidet, ob die Motive auf einer oder auf beiden Seiten der Sittlichkeit widerstreiten: v. Tuhr, Allgemei­ ner Teil, Bd. 2, Teilbd. 2, S. 27-30. Ebenso Dick, Der Verstoß gegen die guten Sitten, ArchBürgR 33 (1909), 126 f.; für die bezweckte unsittliche Verwendung des Leistungsge­ genstands ähnlich Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 2, § 37 II, S. 94. Für eine

In der Praxis war der Streit von eher geringer Bedeutung. Auf Andeutungen der Motivation im objektiven Rechtsgeschäft konnte praktisch niemand ver­ zichten. Im konkreten Fall stellte sich nur noch die Frage, wie deutlich ein verwerfliches Motiv sich im Rechtsgeschäft niedergeschlagen haben mußte. In zwei zentralen Bereichen war die Norm bereits durch das Recht kana­ lisiert worden. § 138 Abs. 2 BGB verlangte bei disproportionalen Aus­ tauschverträgen noch besondere objektive und subjektive Unwertmerkmale. Niemand wollte mehr eine rein objektive Äquivalenzkontrolle vorneh­ men.213 Hedemann ging noch weiter. „Die ganze Welt des sittlichen Egois­ mus“ solle von der Sittlichkeitskontrolle ausgenommen werden, teilt er mit. Und weiter: „Es genügt nicht das bloße Entstehen eines Schadens, es genügt nicht die bloße Ausnützung einer günstigen Gelegenheit im Konkurrenz­ kampf, es genügt nicht die bloße egoistische Gesinnung. Vielmehr muß zu allen diesen Voraussetzungen immer noch etwas Besonderes, eine eigene Tönung, hinzutreten.“214 Diese „eigene Tönung“ sollte dem Vertragsschluß anhaften. Der zweite gesetzliche Sonderfall betrifft die sittliche Kontrolle des Rechtsausübenden. Der Rechtsmißbrauch war nur in den engen Grenzen des § 226 BGB anerkannt worden. § 826 BGB mochte noch helfen, und manchmal wurde sogar der § 242 BGB benützt, um die exceptio doli gene­ ralis wieder ins Gespräch zu bringen. § 138 Abs. 1 BGB wurde dagegen nicht verwendet.215 Die subjektiven Voraussetzungen der Norm fokussierten das Interesse auf den Vertragsschluß. Die Kontrolle der Vertragsinhalte be­ schränkte sich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Allenfalls anläßlich eines Wandels der sittlichen Anschauungen war man bereit, über einen spä­ teren Beurteilungszeitpunkt nachzudenken 216 Einen Ausweg bot hier die Annahme einer nachträglichen rechtlichen Unmöglichkeit aus sittlichen Gründen. Das Bedürfnis nach einer allgemeinen Kontrolle der Rechtsaus­ weitreichende Berücksichtigung von Motiven nur: Dernburgt Das bürgerliche Recht, Bd. 1, § 125 IV und Bd.2, §90 III5. 213 Aber: Eckstein, Studien zur Lehre von den unsittlichen Handlungen, Rechtshandlun­ gen und Rechtsgeschäften, insbesondere Verträgen, ArchBürgR 41 (1915), 202 f., 219-221. Für ausdehnende Interpretation: Enneccerus, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 6.-8. Aufla­ ge, Bd. 1, § 179 III 4, S. 489; gegen eine reine Äquivalenzkontrolle: Planck/Flad, BGB, 4. Auflage, Anm. 2 a zu § 138; Staudinger/Riezler, BGB, 3./4. Auflage, Anm. II. 5 zu § 138; v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Teilbd. 2, S. 40. 214 Hedemann, Sittenwidrige Schädigung der Kartelle durch Gründung eines Außen­ werks, Jherings Jahrbücher 63 (1913), 34-36. 215 Nur Dick war bereit, den § 138 Abs. 1 BGB unmittelbar heranzuziehen: Dick, Der Verstoß gegen die guten Sitten, ArchBürgR 33 (1909), 132-135. 216 So: Planck/Flad, BGB, 4. Auflage, 1 c zu § 138 BGB; dagegen: Staudinger, BGB, 2. Auflage, Erl. I 2 d zu § 138; Erste Kommission: Motive der Ersten Kommission, Bd. 2, S.180 Mugdan, Bd.2,S.99.

Übung wurde durch § 242 BGB gestillt. Die hier entwickelten Einreden kontrollierten aber eher die Art der Ausübung als den materialen Gehalt des Geschäfts. Bei dieser vorsichtigen Haltung ist es bis heute geblieben. Eine rückwirkende Sittenwidrigkeit wird, ungeachtet der Objektivierungstenden­ zen in Rechtsprechung und Literatur, nahezu einhellig abgelehnt.217 Daß es auch anders gehen kann, zeigte Ravit 1875 für das Gemeine Recht. Auf ver­ änderte Umstände reagiert er wie folgt: „Entweder ist es als die stillschwei­ gende Absicht der Parteien anzusehen, daß sie für die jetzt eingetretene Eventualität die Erfüllung des Vertrages selbst nicht gewollt haben, oder die Parteien haben wirklich selbst für diesen Fall die Erfüllung gewollt, und der Vertrag stellt sich daher, soweit er jenen Fall einschließt, als ein unsittlicher heraus.“218 Die Rechtsphilosophie hat bislang keine große Rolle gespielt. Wo bleibt die „Wiedergewinnung eines rechtsphilosophischen Standortes“, die Her­ mann Klenner für das späte Kaiserreich konstatierte?219 Gleich drei neue Strömungen spricht Klenner an: einen „Neo-Thomismus“, einen „Neo­ Hegelianismus“ und den „Neo-Kantianismus“. Dem Leser werden noch vier Gemeinsamkeiten mit an die Hand gegeben. Diese Neo-Strömungen seien (1) von und für Juristen geschrieben, ,Juristenphilosophien“ eben, die (2) das „Arrangement zwischen Adel und Bourgeoisie“ des neuen Obrigkeits­ staates widerspiegeln, sich folglich (3) mit den geistigen Lebensverhältnis­ sen statt mit gesellschaftlichen Realitäten beschäftigten und (4) in einem „Gegensatz zu Materialismus und Marxismus“ wurzeln.220 Diese kritische Analyse Klenners ist schon sprachlich belastet durch das latente Vor- und Gegenbild des historischen Materialismus. Zunächst: Die neuen rechtsphilo­ sophischen Strömungen sind eingebunden in die neu aufkommenden philo­ sophischen Wertlehren und gehen damit weit über eine Juristenphilosophie hinaus. Die neuen rechtsphilosophischen Strömungen verstanden sich hier als Teil Wissenschaft, genauer als diejenige Wissenschaft, die sich mit den Rechts-Werten befaßt. Dieses Teilgebiet war dann in der Tat eine Domäne der Juristen. 217 Staudinger/Sack, BGB, 13. Auflage, Rn. 82-84 zu § 138, und Soergel/Hefermehlf BGB, 12. Auflage, Rn. 43 zu § 138 verweisen auf den § 242 BGB; zur Änderung sittlicher Anschauungen: Schmoeckelf Der maßgebliche Zeitpunkt zur Bestimmung der Sittenwidrig­ keit nach § 138 I BGB, AcP 1997 (197), 41-60; vgl. noch Koziol, Sonderprivatrecht für Kon­ sumentenkredite? AcP 188 (1988), 208-211; zur Tendenz der „Objektivierung der Sitten­ klausel“: Damm, Kontrolle von Vertragsgerechtigkeit durch Rechtsfolgenbestimmung, JZ 1986,917 f., m.w.N. 218 Ravit, Zur Lehre von den unsittlichen Bedingungen und unsittlichen Verträgen, AcP 58 (1875), 67. 219Klenner, Rechtsphilosophie im Deutschen Kaiserreich, S. 14. 220Klenner, Rechtsphilosophie im Deutschen Kaiserreich, S. 15.

Ein Blick auf die Wertlehren der Zeit zeigt eine andere Gewichtung. Der Neu-Hegelianismus wird ebenso zur Randerscheinung wie der Neo­ Thomismus eines Victor Cathrein. Neben den transzendentalen Wertlehren genoß statt dessen die von Klenner ignorierte Phänomenologie großen Zu­ spruch. Auch war der Gegensatz zu dem marxistischen Materialismus nicht politisch motiviert, wie Klenner suggeriert, sondern Produkt einer Rückbe­ sinnung auf Kant. Der „naturalistische Fehlschluß“ sollte vermieden wer­ den.221 Deshalb die gewundenen Gedankengänge eines Hermann Lotze und der nachfolgenden neukantianschen und phänomenologischen Wertphiloso­ phien. „Die Werte, die das Kantische und Fichtesche Sollen systematisch ersetzen sollten“, so das Resümee Schnädelbachs, „nehmen eine prekäre Zwischenstellung zwischen Sein und Sollen, Fakten und Normen ein; man hat ihnen, um sie dem Relativismus des subjektiven Wertens gänzlich zu überlassen, ein eigenes „Sein’ zugesprochen, das sich aber vom Sein des üb­ rigen, Seienden unterscheiden muß.“222 Ein Widerspruch, dessen Auflösung nur schwer vermittelt werden konnte. Hier liegt auch eine Ursache für den geringen praktischen Einfluß der zeitgenössischen Rechtsphilosophie. Ab­ gesehen von Stammler wurde in der praktischen Rechtswissenschaft kaum einmal ein rechtsphilosophisches Werk zitiert. Außer Stammler machte sich auch kaum ein Rechtsphilosoph die Mühe, auf das normative Gefüge des Zivilrechts näher einzugehen. Nicht einmal § 138 Abs. 1 BGB weckte das Interesse, eine Norm, die für eine als Wertphilosophie sich verstehende Rechtsphilosophie eigentlich ein Aufruf hätte sein müssen, sich in die Dis­ kussion einzumischen.

Resümee Das Zivilrecht ist Ende des 19. Jahrhunderts von zwei gegensätzlichen Prin­ zipien geprägt. Auf der einen Seite steht das Prinzip der rechtsgeschäftli­ chen Autonomie des Individuums. Diese Form der Freiheit fördert die staatliche Enthaltsamkeit, ist mit dieser aber nicht zwingend identisch. Die Lösung der sozialen Probleme konnte durchaus in der Gemeinschaft und im Recht gesucht werden, nur eben nicht im Zivilrecht. Der Gesetzgeber hat bei seinen ersten Schritten zunächst in diesem Sinne gehandelt. Wendet man den Blick von dem Bürgerlichen Gesetzbuch ab, so fällt auf, wie viele Ge­ 221 Am schönsten dargestellt von Gustav Radbruch: „Die Kantische Philosophie hat uns über die Unmöglichkeit belehrt, aus dem, was ist, zu erschließen, was wertvoll, was richtig ist, was sein soll. Niemals ist etwas schon deshalb richtig, weil es ist oder weil es war - oder auch, weil es sein wird.“ Rechtsphilosophie, § 2. 222 Schnädelbach, Philosophie in Deutschland 1831-1933, S. 230.

setze der Zeit bereits sozial motiviert waren. Am 1. Juni 1891 ist die Ge­ werbeordnung durch das Arbeiterschutzgesetz novelliert worden. Auch die Bismarckschen Sozialversicherungsgesetze fallen in die Entstehungszeit des BGB. Bedenken bestanden primär gegen zivilrechtliche Lösungen. Das ist in den Beratungen zum Wucher ersichtlich geworden. Deutlich wird die Scheu vor zivilrechtlichen Lösungen vollends in den Beratungen des Reichstags zu den §§ 611 ff. BGB.223 Auf der anderen Seite tritt eine Entwicklung zum Vorschein, die man als Rematerialisierung des Privatrechts bezeichnen kann. Diese Entwicklung blieb aber lange Zeit verdeckt, weil just der freie Wille im Zentrum der ma­ terialen Überlegungen stand. Die Freiheit des Individuums wurde als not­ wendiger Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beschworen. Aus ethischer Sicht handelt es sich um eine Form des Systemutilitarismus. Bezeichnet wurde diese Strömung freilich nicht so. Die kantische sittliche Autonomie bot eine viel bequemere und angesehenere Legitimation. Erst als die Harmonie von materialen Werten und sittlicher Autonomie endete, kam die Widersprüchlichkeit beider Prinzipien zum Vorschein. Im Widerstreit zwischen gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen und liberaler Zurück­ haltung bezog das BGB noch einmal Position zugunsten der letzteren. Die weitere Materialisierung des Privatrechts wurde dadurch aber nicht verhin­ dert. Die Diskussion verlagerte sich zu den generalklauselartigen Tatbestän­ den von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie den Guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB). Die hier verwendeten Begriffe und Prinzipien waren damals nicht neu. Der Gesetzgeber hat aber - nur zum Teil bewußt - eine nicht unerheb­ liche Unschärfe in Kauf genommen. Die neuen, generalklauselartigen For­ mulierungen des Gesetzbuchs erweiterten den Anwendungsbereich dieser Prinzipien teilweise unmittelbar; zum Teil erleichterten sie eine spätere Entwicklung in diesem Sinne. Hedemann sah darin bereits 1910 zu Recht eine entscheidende Neuerung.224 Der Weg über die Generalklauseln war allerdings belastet mit einer Hy­ pothek. Denn diese dienen, ganz im Sinne der privatautonomen Entschei­ dung, primär der Verhaltenskontrolle. Im Vordergrund steht der Vorwurf des unsittlichen respektive treuwidrigen Verhaltens der an sich berechtigten Seite. Wenn einer unredlich erlangten oder einer unredlich geltend gemach­ ten Rechtsposition die Rechtskraft verweigert werden soll, muß deshalb re­ gelmäßig die subjektive Seite des Rechtsgeschäfts mitgeprüft werden. Noch im Falle des objektiven Wuchers gilt nichts anderes. Der Wucherer müsse die Situation des Bewucherten „ausgenutzt“ haben, so das Diktum der

223 Beratungen im Reichstag zum Arbeitsverhältnis bei Mugdan, Bd. 2, S. 1327-1353. 224Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert, Bd. 1, S. 118-124.

Rechtsprechung, nur dann sei ihm ein Verhaltensvorwurf zu machen. Für weitere mögliche Vorbilder gilt nichts anderes. § 226 BGB nimmt nicht die Rechtsposition, sondern sanktioniert ein Verhalten, das nur der Schädigung des anderen dienen kann; § 826 BGB knüpft an ein Handlungsunrecht an, das zudem entfallen soll, wenn dem Schädiger das Bewußtsein fehlt, das ei­ gene Verhalten werde zu einem Schaden führen. Selbst die sogenannte Op­ fergrenze, vom BGH später institutionalisiert, wird je nach Verschulden, Wissen oder Vorhersehbarkeit unterschiedlich gezogen.225 Die Inhaltskon­ trolle ist untrennbar verbunden mit der Verhaltenskontrolle. Der Widerstreit von freiheitlichen Vorstellungen und der Errichtung von Schranken gegen die Freierklärung, sei es aus individuellem Freiheitsschutz, sei es aus ordnungspolitischen mithin gesamtgesellschaftlichen Gründen, prägte auch die anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen im aus­ gehenden 19. Jahrhundert 226 In Deutschland war die Entwicklung insofern etwas anders, als just in dem Moment des Übergangs das Zivilrecht kodifi­ ziert wurde. Zudem schuf die Diskussion um den Begriff des subjektiven Rechts zusätzlichen methodischen Freiraum für die Materialisierung des Privatrechts. Die Begriffsjurisprudenz verlor an Autorität, allen voran die reine Willensdeduktion. Das erleichterte die Emanzipation von dem Willen der Parteien wie von dem des Gesetzgebers. Objektive Interessen und ande­ re Wertungen fanden den Weg in die Diskussion, schließlich in die Metho­ denlehre. Der kommende Methodenstreit zeichnete sich bereits ab.

225 BGH NJW 1988,699 (700). 226 Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert, Bd. 1, S. 10-17 zur Entwicklung hin zur Freiheit, insbesondere den Abbau von Zinsbeschränkungen und der Verwerfung der laesio enormis; a.a.O., S. 118-124 zu den Generalklauseln in deren Funktion als „Schranke gegen die Freierklärung der Person“; speziell zur Wucherproblematik, die fast zeitgleich in den Nachbarländern des deutschen Reichs auftauchte: a.a.O., S. 131-134.

Kapitel III

Das Prinzip der Billigkeit Wer in Verträgen und Gesetzen nicht fündig wird, wer auch keine aner­ kannten Rechtsprinzipien zu seinem Schutz anführen kann, der wird sich auf die Billigkeit berufen. Die Billigkeit ist kein materiales Prinzip, sondern ein personales. Sie setzt ihre Erwartung auf die Person des Rechtsanwenders, regelmäßig des zur Entscheidung berufenen Richters.1 Das wirft Fragen auf. Ist der Richter überhaupt aufgerufen, anders als vertraglich und gesetzlich vorgegeben zu entscheiden? Und: Woran soll er sich bei seinem Billigkeits­ urteil orientieren? Als Vorbild für eine personale Öffnung des Rechts kön­ nen das prätorianische ius aequum und die equity angelsächsischer Richter gelten.2 Aber beide Vorbilder betreffen Rechtssysteme, die sich über die Rechtsprechung respektive den Prätor entwickelt haben. Kodifizierte Rechtsordnungen stehen dagegen in ausgesprochenem Gegensatz zu perso­ nalen Korrektiven. Hier muß schon der Gesetzgeber selbst eine Öffnung vorsehen, und das tut der naturgemäß nur ungern. Auch das BGB nennt nur wenige Fälle des Ermessensspielraums. Überlassen die Parteien es einem Dritten, die Leistung zu bestimmen, so wird von diesem eine billige Ent­ scheidung erwartet, §§ 315, 317, 319 BGB. Durch den Erblasser kann ein Dritter angewiesen werden, die Erbschaft mit billigem Ermessen auseinan­ derzusetzen, § 2048 BGB. Ex lege hat der Richter im Schadensersatzrecht eine ähnlich gebundene Gestaltungsbefugnis hinsichtlich immaterialer Schäden, § 847 BGB, im Falle eines nur schwer zu ermittelnden materialen Schadens auch für diesen, § 287 ZPO.3 Vertragliche Abreden sollen zumin­ dest im Rahmen der Auslegung einer an Treu und Glauben orientierten richterlichen Gestaltung zugänglich sein, § 157 BGB. Für gesetzliche Re­ gelungen glaubte man auf dieses Korrektiv verzichten zu können, da die Norm selbst Ausfluß von Treu und Glauben sei. Aufgabe der Gerichte sollte die Erkenntnis, nicht die Gestaltung des Rechts sein. Heute wird das anders gesehen. 1 Max Rümelinf Die Billigkeit im Recht, S. 39. 2Ridder, Aequitas und equity, ARSP 39 (1950/51), 181-200. 3 Richterliche Gestaltungsbefugnis früher auch in § 1300 BGB

Es war der § 242 BGB, der eine richterliche Rechtsbildung in positivisti­ schem Gewände ermöglichte. Von Wieacker wurde die Norm deshalb auch despektierlich als „Eselsbrücke der richterlichen Rechtsschöpfung“ bezeich­ net.4 Die Omnipotenz wurde dem § 242 nicht in die Wiege gelegt. Dem Wortlaut und dem Willen der beiden gesetzesvorbereitenden Kommissionen gemäß sollte nur ein Maßstab für das von Natur aus vielfältige Erfüllungs­ verhalten des Schuldners geschaffen werden.5 Bereits sehr früh wurde aber das Potential der Norm erkannt und genutzt. Das Reichsgericht verwies auf den § 242 BGB, um Prinzipien der gemeinrechtlichen exceptio doli genera­ lis zu retten. Auch bei der Suche nach einer Grenze für die dem Schuldner zuzumutenden Erfüllungsopfer wurde der Paragraph herangezogen. Auf dem Höhepunkt der Krise, 1923, sollte die Norm schließlich die rechtsge­ staltenden Eingriffe der Justiz in bestehende Vertragsverhältnisse legitimie­ ren helfen. Der Richterverein des Reichsgerichts drohte sogar damit, auch zukünftige gesetzliche Regelungen - gemeint waren die Aufwertungsgeset­ ze - dem Prinzip von Treu und Glauben unterzuordnen und so eine richterli­ che Gesetzeskontrolle durchzuführen.6 Zwei Hürden mußten bis zu diesem Punkt genommen werden. Zunächst galt es die Vorstellung zu überwinden, wonach das Recht die vertraglichen Inhalte den Parteien frei zu überlassen habe und insbesondere ein vertragsgestaltender Eingriff keinesfalls erfolgen sollte. Da der Gesetzgeber, anders als in Frankreich,7 nicht in diesem Sinne tätig wurde, mußte zudem die Einsicht reifen, daß auch der Richter diesen Vorstellungswandel in Recht umzusetzen befugt sei.

1. Richter und Recht Heftige und polemische Diskussionen der unmittelbaren Vorkriegszeit gal­ ten der Stellung des Richters im frisch kodifizierten Rechtssystem. Freirecht vs. Begriffsjurisprudenz - so könnte man mit den Zeitgenossen dieses Ka­ pitel der Rechtsgeschichte überschreiben. Hinter der Auseinandersetzung verbarg sich aber mehr, als diese Überzeichnung der methodischen Positio­ nen ahnen läßt. Die Rechtssoziologie und die Rechtstatsachenforschung, die 4 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 70. 5 Zur Entstehungsgeschichte von § 242 vgl. S. 51-54. 6 Begründung: „Dieser Gedanke von Treu und Glauben steht außerhalb des einzelnen Ge­ setzes, außerhalb einer einzelnen positivrechtlichen Bestimmung. Keine Rechtsordnung, die diesen Ehrennamen verdient, kann ohne jenen Grundsatz bestehen. Darum darf der Gesetz­ geber nicht ein Ergebnis, das Treu und Glauben gebieterisch fordern, durch sein Machtwort vereiteln.“ Mitgeteilt in: JW 1924,90. 7 Unten S. 365-369.

Interessen- und auch die Wertungsjurisprudenz sind mittelbar oder unmit­ telbar aus dieser Diskussion hervorgegangen.8 Treibende Kraft war die Be­ fürchtung, durch historische Untersuchungen und begriffliche Konstruktio­ nen das Recht nicht mehr sachgerecht erfassen und gestalten zu können. Vor allem die „Unwirtschaftlichkeit“ des rechtlichen Denkens wurde nun be­ mängelt.9 Woher kam diese plötzliche Kritik? In der Kodifikationsphase im letzten Jahrhundertdrittel überwog noch die historische Methode. Auch die später kritisierten begriffsjuristischen Konstruktionen galten als nützliche Methode, mit welcher der vielfältige, zum Teil disparate historische Stoff erfaßt und ergänzt werden konnte. Aber beide Methoden galten doch nicht ausschließlich. Zumindest in der Gesetzgebung fehlten wirtschaftliche Ar­ gumente und andere praktische Prinzipien nie völlig. Die Protokolle der Dresdener Kommission lassen sogar ausgesprochen häufig wirtschaftliche Motive erkennen. Althergebrachte Rechtsinstitute wie die remissio mercedis und die laesio enormis fielen nicht zuletzt wirtschaftlichen Bedenken zum Opfer. Der liberale Zeitgeist forderte außer wirtschaftlicher Freiheit und Rechtssicherheit aber nur wenig vom Recht. Kollisionen mit den herge­ brachten Formen der Rechtswissenschaft waren daher lange Zeit selten und mußten nicht besonders problematisiert werden. Ein kritisch gewordener Zeitgeist beendete dieses traute Nebeneinander. In die Kritik gerieten der Liberalismus, der Individualismus und schließlich auch der Gesetzespositi­ vismus. Die Wirtschaft wurde mit der überaus dynamischen Industrialisierung ab der Jahrhundertmitte immer komplexer und verlangte neue Lösungen für neue Probleme. Erstmals ertönte auch aus Kreisen der Rechtswissenschaft Kritik an den Auswüchsen des liberalen Wirtschaftssystems. Diese Kritik belastete bereits die Vorarbeiten für das BGB, konnte das Gesetz aber nicht mehr entscheidend prägen. Anders als die heute weitgehend positive Ein­ schätzung des Gesetzbuchs vermuten läßt, war deshalb unmittelbar nach Abschluß der Gesetzgebungsarbeiten die Unzufriedenheit mit dem neuen Gesetz groß.10 Viele der bis dahin an den Gesetzgeber gerichteten Erwar­ tungen und Wünsche wurden nun an die Rechtswissenschaft und die Richterschaft herangetragen. Eine weitere, nach der Jahrhundertwende ein­ 8 Versuch, die Freirechtsbewegung als „rechtsmethodologische Schule“ abzugrenzen bei Riebschlägerf Die Freirechtsbewegung, S. 90-105; Riebschläger spricht von einer aus einer „antithetischen Grundhaltung“ geborenen Auffassung, a.a.O., S. 108, und kann darüber hin­ ausgehende Gemeinsamkeiten nicht nennen. Dennoch vertritt er die These einer methodolo­ gischen „Freirechtsschule“, These 2, a.a.O., S. 115. 9 Rumpf, Recht und Wirtschaft, RuW 1912,89. 10R. Schröder, Die deutsche Methodendiskussion um die Jahrhundertwende, Rechtstheo­ rie 19 (1988) 337 f.

setzende Phase des wirtschaftlichen Wachstums ließ das Gesetz zudem schnell alt aussehen. Die deutsche Volkswirtschaft war nicht nur vorange­ schritten, sie hatte sich auch in der Struktur grundlegend geändert. Das neue „Zeitalter der Syndikate und Kartelle, der Gewerkschaften und der Arbeit­ geberverbände, der Riesenstreiks und der Massenaussperrungen, der immer stärker werdenden allseitigen Gebundenheiten“ galt es juristisch zu bewälti­ gen.11 Der Individualismus des vergangenen Jahrhunderts wie das hierauf ausgerichtete Recht schienen überholt zu sein. Die Rechtswissenschaft sah sich mit neuen, bislang unbekannten sozial- und ordnungspolitischen Wün­ schen konfrontiert. Auch in der Methode wurde die Rechtswissenschaft auf­ gerüttelt. Aufgrund des nunmehr weitgehend und mit Anspruch auf syste­ matische Vollständigkeit kodifizierten Privatrechts hatte sie ihre Aufgabe als rechtsbegründende Instanz weitgehend eingebüßt. Das Denken war, zu­ mindest bei den das Vertragsrecht beherrschenden Romanisten, geschult an dem sprachlichen, historischen und systematischen Umgang mit einer um­ fangreichen und alten Kompilation vereinzelter Rechtserkenntnisse. Nun galt es plötzlich, ein knappes und präzises Gesetz zu bearbeiten. Wer von der vertrauten Methode nicht lassen wollte, suchte mit begriffssystemati­ schen und historischen Ausführungen die verbliebenen Zweifelsfragen zu klären. Der rechtswissenschaftliche Positivismus mutierte zum Gesetzespo­ sitivismus. Nicht wenigen war dieser neue Anzug zu eng. Eine Juristische Oppositionsbewegung“12 machte sich auf die Suche nach neuen Methoden. Die Lücken des Gesetzes interessierten nun, der nicht kodifizierbare Einzel­ fall und die andere Seite des Rechts, die Wirtschaft, die Lebenswirklichkeit. Große Erwartungen wurden an die Person des Richters geknüpft. Die Versäumnisse, die dem Gesetzgeber vorgeworfen wurden, sollte er beseiti­ gen, dessen Fehler korrigieren. Immer auf der Höhe der Zeit befindlich sollte er das noch druckfrische Gesetz dem Wandel der Zeit anpassen. Na­ türlich sollte er auch dem Einzelfall gerecht werden, gar „unbeabsichtigte Härten“ des Gesetzes mildem.13 Blindes Vertrauen in die Justiz darf man hier nicht vermuten. Im Gegenteil. In demselben Maße, in dem die Erwar­ tungen an die Rechtsprechung größer wurden, wuchs auch die Unzufrieden­ heit mit den Richtern.14 Die Fachzeitschriften überhäuften ihre Leser mit zahllosen kritischen Abhandlungen zu Fragen der Justiz- und Ausbildungs­ 11 Rumpf Recht und Wirtschaft, RuW 1912, 90; mit besonderem Bezug auf das Arbeits­ recht: Sinzheimer, Die soziologische Methode in der Privatrechtswissenschaft: „Unsere Zeit ist voll an Ideen und arm an Schöpfungen. [...] Die sozialpolitische Frage unserer Zeit aber ist reif, von der Rechtswissenschaft aufgenommen zu werden.“ 12 So Nörr, Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit, S. 1 f. 13 Düringer, Richter und Rechtsprechung, FS Leipzig 1909, S. 196. 14R. Schröder, Die Richterschaft am Ende des zweiten Kaiserreiches, S. 204-224.

reform.15 Der Richter, so schien es, war auf dem Tiefpunkt seines Ansehens angelangt. In der Rechtstheorie wurde die gerichtliche Entscheidung dage­ gen aufgewertet. Oskar Bülow konnte mit der 1885 erschienenen Schrift „Gesetz und Richteramt“ eine gewisse Vorreiterrolle beanspruchen. Das Ge­ setz schaffe nur mittelbar Recht; es sei, so Bülow, „eine Vorbereitung, ein Versuch zur Verwirklichung einer rechtlichen Ordnung“.16 Die eigentliche Rechtsbestimmung erlasse der zur Entscheidung berufene Richter.17 Einige Jahre zuvor hatte Franz Adickes in der Schrift „Zur Lehre von den Rechts­ quellen“ für die „subjektive Vernunft“ des Richters als eine eigenständige Rechtsquelle plädiert.18 Vorherrschende Ansichten wurden hier nicht geäu­ ßert. Die viel zitierten Schriften kündigten aber einen freieren Umgang mit Person und Entscheidung des Richters an. Der leitende Gedanke lautete: Da der Richter zur Entscheidung berufen sei, müsse für die Fälle, in denen das Gesetz keine Antwort wisse, der Richter notgezwungen selbst rechtsbildend tätig werden.19 Dieses Phänomen wollte man offenlegen. Die überkomme­ nen Methoden der gesetzesimmanenten Lückenfüllung, die begrifflichen Systembildungen samt ihren logischen Erstrecht- und Gegenschlüssen, wur­ den in scharfen Worten abgelehnt. Sie würden die rechtsfortbildende Funk­ tion der gerichtlichen Entscheidung verschleiern und eine sachgemäße Aus­ einandersetzung nicht zulassen, so der häufig zu lesende Vorwurf.20 Mit „Wetterregeln der Bauern“21 wurden diese Methoden polemisch verglichen, zumindest deren praktischer Wert in Zweifel gezogen. Zum Teil wurde ver­ sucht, das Recht primär über den Rechtsanwender zu definieren. Die Rechtssicherheit eine Chimäre, die hergebrachte Methode nichts als „ratio­ nalistischer Irrwahn“?22 Hier wurde nicht wenig übertrieben. Die in der ge­ meinrechtlichen Methode vorherrschenden begrifflichen Systembildungen und logischen Schlüsse waren viel flexibler, als ihre Kritiker wahrhaben wollten. 15 R. Schröderf Die Richterschaft am Ende des zweiten Kaiserreiches, FS Gmür 1983, S. 207, Fn. 19 f.: zur Justizreform; ebenda S. 208-210, Fn. 27-34: zur Juristenausbildung. 16Bülow, Gesetz und Richteramt, S. 41. 17Bülow, Gesetz und Richteramt, S. 45 f. 18Adickes, Zur Lehre von den Rechtsquellen, S. 8 f. 19 So Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 14 f.; insofern zustimmend Joseph Unger in der gleichnamigen Besprechung in der DJZ 1906,784. 20 Danz, Rechtsprechung und Volksanschauung nach dem Gesetz, Jherings Jahrbücher 54 (1909), 72 f.; Rumpf, Gesetz und Richter, S. 150; Stampe, Rechtsfindung durch Konstruktion, DJZ 1905, 419 f.; ders., Rechtsfindung durch Interessenwägung, DJZ 1905, 714; Kantoro­ wicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 23-26; Düringer, Richter und Rechtspre­ chung, S.194. 21 Unger, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, DJZ 1906,785. 22Bendix, Das Problem der Rechtssicherheit, S. 16.

Die vielgeschmähte Begriffsjurisprudenz mochte methodische Bedenken auslösen, sie bot indessen den eindeutigen Vorteil der organischen Lösung. Wer statt dessen auf die richterliche Rechtsschöpfung setzte, der mußte auch klären, wann genau das Gesetz keine eigene Lösung mehr parat hatte. Und tatsächlich galt der Gesetzeslücke ein bis dahin ungekanntes Interesse. Gern verwies man zudem auf den Art. 1 des schweizerischen Zivilgesetzbuchs. Drei „Quellen des Rechts“ werden dort benannt: das Gesetz selbst, die Ge­ wohnheit und die Lehre. Sollte keine dieser Rechtsquellen eine Entschei­ dung herbeiführen, so soll der Richter rechtsbildend tätig werden. Das liest sich flott. Selbstverständlich ist die richterliche Befugnis der Rechtsbildung aber selbst bei einem Schweigen des Gesetzes nicht. Die Überlegungen nahmen ihren Ausgang angesichts des Entscheidungszwangs des Richters. Das ist angesichts des Rechtsverweigerungsverbots nicht zu beanstanden,23 aber alleine kaum ausreichend. Hinzutreten muß die Erkenntnis, daß nicht nur der Richter, sondern auch das Recht eine inhaltliche Entscheidung zu treffen habe. Im Zivilrecht ist gerade das nicht selbstverständlich. Hier hat der Richter regelmäßig eine ganz andere Entscheidungsgrundlage: den Ver­ trag. Gebietet das Gesetz keine anderslautende Lösung, so wird der Richter schlicht nach dem vertraglich Vereinbarten entscheiden. Wer dem Richter dennoch die Position des Lückenausfüllers zugesteht, gibt ihm auch das Recht, wie ein Gesetzgeber in vertragliche Verhältnisse einzugreifen. Doch hatte sich der Gesetzgeber im Falle des BGB nicht bewußt zurückgehalten? Wenige Jahre nachdem die beiden gesetzesvorbereitenden Kommissionen sich geziert hatten, allzusehr in vertragliche Verhältnisse einzugreifen, wur­ de diese Konsequenz nicht länger problematisiert. Ein erstaunlicher Um­ stand. Allein Alfons Roth dachte an die Freiheit der Parteien. Zur Machtbe­ schränkung benötige man das Recht, teilt er mit, und weil das Vertragsver­ hältnis ebenso unfertig und im Fluß sei wie das Gesetzesrecht auch: „Es handelt sich um die von den Parteien oder dem Gesetz nicht vorbedachten Phasen der innerhalb des Vertragsverhältnisses sich abspielenden Entwick­ lung.“24 Gemeinhin suchte man die Lösung des Problems im Lückenbegriff. 23 Zum Rechtsverweigerungsverbot: Schumann, Das Rechtsverweigerungsverbot. Histori­ sche und methodologische Bemerkungen zur richterlichen Pflicht, das Recht auszulegen, zu ergänzen und fortzubilden, ZZP 81 (1968), 89-92; S. 90 Fn. 41 m.w.N. zur zeitgenössi­ schen Literatur. Grundlegend: Radbruch, Rechtsnorm als Rechtsschöpfung, Archiv für Sozi­ alwissenschaft und Sozialpolitik 22 (1906) 355-370, insbes.: 355 f. und 363 f. 24 Roth, Recht und Billigkeit, WuR 1914, 50 f.: „Den Parteien obliegt es, bei der Erklä­ rung ihres Willens ihre Interessen zu wahren. [...] Indem die ordnende Macht des Vertrags­ rechts von vornherein auf dem ausgleichenden Elemente der Willensfreiheit der Parteien auf­ baut, liegt regelmäßig keinerlei Veranlassung vor, den Beweggründen, welche die Parteien zum Vertragsschlusse geführt haben, [...] nachzuspüren.“

Ernst Zitelmann vertrat die Ansicht, wo das Gesetz schweige, enthalte es sich einer Sonderregelung. In diesem Falle sollten die allgemeinen Grund­ sätze gelten. Zitelmann prägte deshalb den Begriff der „unechten Lücke“. Eine „echte Lücke“ sei nur dort anzunehmen, wo das Gesetz auf jenseits der gesetzlichen Ordnung liegende Umstände verweise, etwa auf Treu und Glauben.25 Diese sehr zurückhaltende Konzeption wurde leider nur für die Frage der Haftung näher erläutert. Im Ergebnis ähnlich argumentierte Hans Elze. Das Vorhandensein „lückenausfüllenden Rechts“ gehört nach Elze zum Begriff der Gesetzeslücke.26 Maßgebend sei, ob das Gesetz dieses Recht neben sich dulde. Widrigenfalls könne es „in diesem Gesetz auch kei­ ne Lücken geben, sondern nur etwa Mängel“.27 Diese beiden rigorosen Po­ sitionen haben sich nicht durchgesetzt. Ernst Rudolf Bierling verlangte im­ merhin noch, „dass dieses Recht selbst die rechtliche Beurteilung eines ge­ wissen Tatbestandes fordert“. Unbeabsichtigt sollte die Lücke sein, stellt Bierling weiter klar. 28 Damit ist der heute noch vorherrschende Lückenbe­ griff erreicht. Bereits das Erkennen einer Lücke erfordert ein Werturteil.29 Nicht alle wollten sich auf eine Lückendiskussion einlassen. Den origi­ nellsten Ansatz vertrat Franz Adickes. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, das einmal erlassene Gesetz den sich ständig ändernden Lebensverhältnissen anzupassen, erläutert Adickes. Und er fährt fort: „Versäumt er diese Pflicht, läßt er die anfangs segensreichen Bande zu drückenden Fesseln erstarren, so begeht er eine Schuld, die sofort weiteres Unrecht, den Bruch des Gesetzes erzeugen muß.“30 Der das Gesetz mißachtende Richter begehe zwar eine „formelle Widerrechtlichkeit“, doch könne diese mit der Zeit rechtmäßig werden. Radikaler äußerte sich Eugen Ehrlich. Für „freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft“ sprach er sich in der gleichnamigen Schrift aus und prägte so den Begriff der Freirechtslehre. Die privatrechtlichen Gesetz­ bücher bestünden, erklärt Ehrlich, „teils aus eigentlichen Gesetzen, teils aus kodifiziertem Juristenrecht“. Zumindest letzteres müsse einer besseren Er­ kenntnis jederzeit weichen. Denn: ,Juristenrecht ist eben schon deswegen, weil der Staat als solcher an dem Inhalte seiner Regeln kein Interesse hat,

25 Zitelmann, Lücken im Recht, S. 18-20 und 23-25; zur „echten Lücke“: S. 27. 2^Elze, Lücken im Gesetz, S. 53. 27Elze, Lücken im Gesetz, S. 44 f. ^Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 4, S. 383; vgl. Philipp Heck: „Gesichtspunkte, welche der Gesetzgeber bei der Entscheidung der gesetzlich gewerteten Interessenkonflikte ausschaltet, dürfen auch in den nicht geregelten gleichartigen Fällen nicht in Anschlag ge­ bracht werden.“ Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 231. 29 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, insbes. S. 16 f.; vgl. noch: Larenz, Methodenlehre, S. 358; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 473 f. 30Adickes, Zur Lehre von den Rechtsquellen, S. 78.

immer mehr Belehrung, mehr raison ecrite, als Befehl.“31 Auch Ernst Stam­ pe sprach sich für die Befugnis des Richters aus, Gesetze nicht nur ergän­ zen, sondern auch abändern zu können. In engen Grenzen freilich. Voraus­ setzung für eine Abkehr vom Gesetz sei erstens, „daß der Gesetzesinhalt wichtige Interessen der Allgemeinheit so schwer verletzt, daß eine Abhilfe unumgänglich Not tut“. Zweitens will Stampe geklärt wissen, „ob die Sache der Legislative entzogen werden darf“, was er bejaht, sofern der Fall zu ge­ ringfügig oder die Legislative für die Entscheidung „minder geeignet“ sei.32 Nur an den klaren Wortlaut des Gesetzes wollte Hermann U. Kantorowicz den Richter gebunden wissen. Ja nicht einmal diesen, sofern es unwahr­ scheinlich sei, „daß die zur Zeit der Entscheidung bestehende Staatsgewalt die Entscheidung so getroffen haben würde, wie es das Gesetz verlangt“ 33 Ernst Fuchs vertrat die Ansicht, der Richter dürfe vom Gesetz abweichen, wenn dieses in dem zu entscheidenden Fall „bei Abwägung aller gegenüber­ stehenden Interessen“ zu einem Ergebnis führe, das „offenbar ungerecht“ sei. Man könne in solch einem Fall annehmen, „das Gesetz habe trotz all­ gemeiner Fassung an einen solchen speziellen Fall gar nicht gedacht“.34 Den Schlußpunkt setzte Hans ReicheL Das Gesetz diene der Ordnung. Folglich sei dessen Autorität auch dann zu achten, wenn es ungerecht oder un­ zweckmäßig sei. Spreche aber das Gesetz „allem Rechtsempfinden Hohn“, so könne durch ein Festhalten am Gesetz die Autorität des Gesetzes erheb­ lich mehr leiden als durch eine Außerachtlassung. Vorausgesetzt, der Rich­ ter habe die begründete Hoffnung, „dass auch andere verständige Fachge­ nossen im gleichen Fall ebenso handeln würden“, dürfe er von der gesetzli­ chen Regel Gesetz abweichen. „Antezipiertes Gewohnheitsrecht“ nennt Reichel dies 35 Die Empörung über diesen großzügigen Umgang mit dem Gesetz war groß. Selbst Gegner der Begriffsjurisprudenz, wie Oskar Bülow und Philipp Heck} distanzierten sich deutlich 36 Der Zweite Deutsche Richtertag fühlte sich sogar aufgerufen, ausdrücklich auf die Bindung des Richters an das Ge­ 31 Ehrlich, Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft, S. 20-27 (Zitat S. 27); vgl. ders., Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 348. 32Stampe, Gesetz und Richtermacht, DJZ 1905,1017 und 1020. 33 Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 41. 34Fuchs, Die Gemeinschädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz, S. 14 und 18 f. 35 Reichel, Gesetz und Richterspruch, S. 139-142,144 und 145. 36 Heck, Interessenjurisprudenz und Gesetzestreue, DJZ 1905, 1140-1142; Bülow, Über das Verhältnis der Rechtsprechung zum Gesetzesrecht, Recht 1906, 769-780; Unger, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, DJZ 1906, 785 f.; Danz, Die Entwicklung der Auslegung des BGB, Recht 1907, 20 f.; ders., Rechtsprechung nach der Volksanschauung und nach dem Gesetz, Jherings Jahrbücher 54 (1909), 66 f.; Düringer, Richter und Rechtsprechung, FS Leipzig 1909, S. 199.

setz hinzu weisen.37 Kantorowicz machte gar einen Rückzieher. Er habe le­ diglich den Fall gemeint, daß ein „klarer Wortlaut“ des Gesetzes fehle, er­ klärt er nun in freier Interpretation des eigenen Textes. Die Rechtsfortbil­ dung habe ergänzend neben das Gesetz zu treten, so der geläuterte Kanto­ rowicz, praeter legem eben. Geschickt spricht er von einer „Contra-legemFabel“.38 Kritik wie Verteidigung sind maßlos übertrieben dargestellt wor­ den. Ein Zug der Zeit. Jenseits der polemischen Überspitzung stritt man sich um Nuancen. Der Richter habe das Gesetz zu achten, darin waren sich alle einig. Vielen war ebenfalls klar, daß in Einzelfällen der Richter nicht rein nach dem Wortlaut des Gesetzes entscheiden sollte. Vorsichtig sprach sich Max Rumpf für eine „rechtsabändernde Rechtsprechung“ aus, da „das Ge­ setz den Richter an einer Umbiegung allgemeiner Rechtsnormen in Berück­ sichtigung zwingender Billigkeitsgründe insbesondere im Wege analoger Erweiterung enger Ausnahmenormen weder hindern kann noch will“39 Nach Düringer sollte die Rechtsprechung „unbeabsichtigte Härten des Ge­ setzes“ mildem,40 und selbst der Systemfreund Philipp Heck wollte zumin­ dest ,Anschauungslücken und Gebotsfehler“ ausgeschaltet wissen.41 Zwei Fälle werden immer wieder angeführt, in denen die Bindungskraft des Ge­ setzes hinterfragt wird. Da ist erstens der Einzelfall, an den der Gesetzgeber nicht gedacht habe,42 und zweitens die nach Erlaß des Gesetzes eingetretene Entwicklung, die dieser nicht habe vorhersehen können.43 Beide Fälle wei­ sen auf einen uralten Rechtsgedanken: die Billigkeit.

2. Billigkeit und Recht Es galt schon im gemeinen Recht als unbestrittener Vorzug der Billigkeit, gerade auf diejenigen Fälle eine Antwort zu wissen, für die das Gesetz we­ gen seiner allgemeinen Fassung als mangelhaft empfunden wurde; in der 37 Die Beiträge der Diskussion finden sich abgedruckt in: DRiZ 1911,779-790. 38 Kantorowicz, Die Contra-legem-Fabel, DRiZ 1911, 258-263; insbes. Sp. 262. Ein er­ ster Rückzieher erfolgte bereits 1910 auf dem ersten deutschen Soziologentag: Vortrag Kan­ torowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie, S. 287 des Tagungsbands. 39 Rumpf; Zum jetzigen Stande der Lehre von der adäquaten Verursachung im Zivilrecht, Jherings Jahrbücher 49 (1905), 406. ^Düringer, Richter und Rechtsprechung, FS Leipzig 1909, S. 196. 41 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 232. ^Düringer, Richter und Rechtsprechung, FS Leipzig 1909, S. 196; Fuchs, Die Gemein­ schädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz, S. 18 f.; Brie, Billigkeit und Recht, ARWP 3 (1909/10), 528 f. 43 Danz, Rechtsprechung nach der Volksanschauung und nach dem Gesetz, Jherings Jahrbücher 54 (1909), 50; Reichel, Gesetz und Richterspruch, S. 135.

Rechtsphilosophie sind ähnliche Vorstellungen von der Billigkeit aufzufin­ den.44 Für die zeitgenössische Literatur stellt Brie fest: „Unter Billigkeit" verstehen wir, dem herrschenden Sprachgebrauch gemäss, die Forderung, dass das auf den konkreten Fall zur Anwendung zu bringende Recht der Be­ schaffenheit des Falles entspreche“; und Geza Kiss erläutert, billig sei „dasjenige Recht, in welchem jedes Moment der jeweiligen individuellen Verhältnisse, das auf Berücksichtigung Anspruch machen kann, Berück­ sichtigung wirklich findet“ 45 Als philosophische Quelle wird Aristoteles benannt, häufig die Nikomachische Ethik, seltener dessen Rhetorik 46 In beiden Quellen hat die Billigkeit die Funktion, die Nichtanwendung einer gesetzlichen Regel zu rechtfertigen. Beide Male geschieht dies mit Hinweis auf den einzelnen Fall, dem gerecht zu werden das vornehmlichste Ziel sei. Die aristotelische Lehre soll unter dem Begriff der aequitas im römischen Recht rezipiert worden sein. Ganz zweifelsfrei ist dies nicht. In neuerer Zeit wird darauf hingewiesen, daß die griechischen Juristen der Spätantike für die aequitas einen anderen Begriff benutzten als den der aristotelischen Bil­ ligkeit 47 Zudem will Aristoteles die zwischen dem formellen Gesetz und dem Willen des Herrschers gesehene Aporie im Sinne der Ethik lösen; eine Intention, die dem römischen Recht fremd gewesen sein dürfte. Die Zeitge­ nossen sahen hier jedenfalls keine Diskrepanz. Dem Vorbild des römischen Rechts folgend stellten sie das billige Recht (ius aequum) dem strengen (ius strictum) gegenüber; nach aristotelischem Vorbild sollte dabei das gesetzte Recht anhand der konkreten Verhältnisse des Falles beurteilt werden. Seltsamerweise bezog sich die Literatur nie auf die aequitas der frühen Neuzeit. Dabei stand sie damals in einer freirechtsgleichen Funktion hoch im Kurs. Sie wich erst dem rationalen Naturrecht, genauer dessen Anspruch auf strukturelle Vollständigkeit, wie Jan Schröder jüngst belegte 48 Nun ist das rationale Naturrecht, anders als niedergelegtes Recht oder als gefundene Rechtsprinzipien, einer Regelabweichung durchaus aufgeschlossen. Die ra­ tionale Erkenntnis des Menschen, auch die des zur Entscheidung berufenen Richters, konnte im Einzelfall ähnliche Lösungen herbeiführen. Das Natur­ recht hatte die aequitas nicht verdrängt, sondern in sich aufgenommen. Es ^Rümelin, Die Billigkeit im Recht, S. 20 f., Fn. 2 mit Literaturhinweisen; Binder, Philo­ sophie des Rechts, S. 396-408; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 182; Rad­ bruch, Rechtsphilosophie, § 4; Henkel, Einführung in die Philosophie des Rechts, S. 421. 45 Brie, Billigkeit und Recht, ARWP 3 (1909/10), 527; Kiss, Billigkeit und Recht, ARWP 3 (1909/10), 540 f.; Nachweise zur gemeinrechtlichen Literatur bei: Rümelin, Die Billigkeit im Recht, S. 20 f.; Fn. 3. 46Aritoteles, Nikomachische Ethik V, 1136 a-1138 a; Rhetorik 1,1374 a-1374 b. 47Frosini, Struktur und Bedeutung des Billigkeitsurteils, ARSP 53 (1967), 184. 48 J. Schröder, Aequitas und rechtswissenschaftliches System, ZNR 21 (1999), 33 f.

verblaßte aber der Begriff. Warum dieser historische Vorläufer in der neuen Billigkeitsdiskussion ignoriert wurde und man sich statt dessen lieber auf zweifelhafte Bezüge zum klassisch-römischen Recht einließ, ist unklar. Es liegt aber im Trend einer Zeit, die das vorkritische Naturrecht wie das vor Savigny betriebene Zivilrecht geringschätzte. Die Inhalte der Billigkeit sind schwer zu fassen. Schon in der Struktur sperrt sich ein Prinzip, das der Allgemeingültigkeit des Gesetzes entgegen­ gesetzt wird, einer allgemeinen Charakterisierung. Summum ius, summa iniuria: das kann man überall lesen, wo es um die Billigkeit geht. Damit wä­ re geklärt, was die Billigkeit nicht sein soll. Wie aber steht es mit positiven Inhalten? Das Billigkeitsurteil setzt die Kenntnis dessen voraus, was dem konkreten Fall angemessen ist. In reiner Form wird die Bewertung unmittel­ bar, das heißt ohne Umweg über gesetzliche oder andere syllogistische Obersätze, aus dem Sachverhalt gewonnen.49 *Man kann hier all diejenigen Ansichten aufzählen, die das Billigkeitsurteil, das Rechtsgewissen oder -gefühl, den gesunden Menschenverstand oder die subjektive Vernunft ent­ scheiden lassen wollen. Gerade die Rechtspraktiker betonten, regelmäßig zuerst ein Billigkeitsurteil zu fällen. Reichsgerichtsrat Adelbert Düringer erläutert: „Wenn mir ein Fall’ vorgetragen ist, oder wenn ich ihn auf Grund der Akten studiert habe, so habe ich von ihm einen bestimmten Eindruck, ähnlich, wie wenn ich ein Buch gelesen oder mir ein Theaterstück angese­ hen habe. Und aus diesem Eindruck ergibt sich unwillkürlich und meistens sofort mein erstes bestimmtes Urteil: Diese Partei hat Recht, jene Unrecht. Es ist Ausdruck meines Rechtsgefühls."50 Auch der Präsident des österrei­ chischen Reichsgerichts, Joseph Unger, gesteht freimütig: „Auch ich schöp­ fe, wenn mir ein Rechtsfall zur Entscheidung vorgelegt wird, mein Urteil zunächst und unmittelbar aus meinem Rechtsgefühl (Rechtsbewußtsein) und suche erst hinterher nach der gesetzlichen Begründung und Rechtfertigung meines »Vorurteils4.“51 Karl Schmölder beschwor die „unmittelbare Rechts­ Vernunft“ und Alfons Roth das „gefühlsmäßige Rechtsempfinden“. 52 Max Rümelin resümiert 1921 die in der juristischen Literatur vertretenen An­ ^Henkel, Einführung in die Philosophie des Rechts, S. 424; Vittorio Frosini bezeichnet diese Form des Urteilens als „rhetorischen Syllogismus [...], das bedeutet ein verkürzter Syllogismus, in dem die obere Prämisse fehlt“; in: Struktur und Bedeutung des Billigkeitsur­ teils, ARSP 53 (1967), 192. ^Düringer, Richter und Rechtsprechung, FS Leipzig 1909, S. 187. 51 Unger, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, DJZ 1906,786, Fn. 1. 52 Schmölder, Die Billigkeit als Grundlage des bürgerlichen Rechts, S. 36; S. 20 spricht Schmölder von dem Jebendigen Rechtsgefühle“; Roth, Recht und Billigkeit, RuW 1914, 47: Roth erwähnt die „Billigkeit, die grundsätzlich die Besonderheit jedes einzelnen Falles zu be­ rücksichtigen sich bestrebt und dabei weitgehend anknüpft an das gefühlsmäßige Rechtsemp­ finden“.

sichten wie folgt: „Den Ausgangspunkt für den Billigkeitsbegriff auf dem Gebiete des Rechtslebens bildet überall die Inanspruchnahme des Rechtsge­ fühls oder des Rechtsbewußtseins der Person, die berufen ist, einen Interes­ senkonflikt zu beurteilen. Sie soll in unparteiischer Weise die Interessen ge­ geneinander abwägen und nach bestem Gewissen ihre Entscheidung fällen."53

Das Billigkeitsurteil, man muß es betonen, galt nur als eine Art Richtig­ keitskontrolle. Kam das nach strengem Recht zu fällende Urteil, das Lega­ litätsurteil, dem nahe, dann sprach das für die Billigkeit des Gesetzes, re­ spektive die des Gesetzgebers. Widrigenfalls mag man methodische Wege finden, beide Urteile in Einklang zu bringen. Als rechtliches Urteil war das Billigkeitsurteil dagegen verpönt. Kant gönnte der Billigkeit in seiner Rechtslehre keinen Raum.53 54 Das galt im Grunde noch immer. Laut Wind­ scheid bezeichnet die Billigkeit zwar ein Ideal. „Bevor aber dieses Ideal verwirklicht ist, bevor die Rechtsquelle die Aussprüche der Billigkeit aner­ kannt hat, ist die Billigkeit eben nicht Recht, und der Richter würde sich schwer verfehlen, wenn er das positive Recht seines Volkes zugunsten der Billigkeit oder dessen, was er für die Billigkeit hält, hintansetzen wollte.“55 Ernst Landsberg polterte bei einer Besprechung der oben zitierten Position Rumpfs los: „Sind wir wirklich mit unserem Billigkeitsgefühl so neurasthe­ nisch geworden, daß wir nicht mehr die notwendige Härte aufbringen kön­ nen, um den Einzelfall der herrschenden Rechtsregel unterzuordnen?“56 Gillis will die Billigkeit nur anwenden, sofern das Gesetz per ausdrückli­ chem Verweis einen Ermessensspielraum öffnet 57 Ähnlich wird auch von S. Brie, Geza Kiss und Paul Oertmann der Billigkeit ausschließlich im Rah­ men der methodischen Auslegung ein Platz im Recht eingeräumt.58 Selbst die Lückenfüllung wurde kritisch beäugt. Deren Auflösung wurde wahlwei­ se dem Willen des Gesetzgebers oder dem Geist des Gesetzes anvertraut, nicht aber der Billigkeit.59 Paul Oertmann entwickelte eigens besondere Billigkeitsbegriffe. Die Billigkeit des Gesetzgebers nennt Oertmann „ab­

53 Rümelin, Die Billigkeit im Recht, S. 39; vgl. Oertmann, Billigkeit und freies Recht, BayRpflZ 1915,176. 54 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 40 = WWIV 342. 55 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, § 28. 56Landsberg, Das entgegengesetzte Extrem?, DJZ 1905,925. 57 Gillis, Die Billigkeit. Eine Grundform des freien Rechts, S. 33 und 87. 58 Brie, Billigkeit und Recht, ARWP 3 (1909/10), 532 f.; Kiss, Billigkeit und Recht, ARWP 3 (1909/10), 546-550; Oertmann, Das Billigkeitsprinzip im Bürgerlichen Gesetz­ buch, Recht 1900,3-5; ders., Billigkeit und freies Recht, BayRpflZ 1915,174 f. 59 Oertmann, Gesetzeszwang und Richterfreiheit, S. 27: „der erkennbare juristische Grund“; S. 29: aus dem „Geiste der Rechtsordnung“.

strakte Billigkeit". Und er erläutert weiter: „Die Billigkeit ist hier weniger Inhalt, als vielmehr Motiv des Rechtssatzes, und dieser kommt selbst dann zur Anwendung, wenn er dem subjektiven Billigkeitsgefühl des Richters und der sonstigen Beteiligten nicht entspricht“.60 Die richterliche „konkrete Billigkeit“ soll laut Oertmann eingreifen, sofern das Gesetz ein eigenständi­ ges Billigkeitsurteil zulasse, wie in den §§ 315, 317, 319, 660 und 847 BGB.61 Diesem positivistischen Billigkeitsverständnis mußte um so mehr Raum bleiben, je großzügiger der § 242 BGB ausgelegt wurde. Gerade da­ gegen sträubte sich Oertmann. Aber er ließ die Bereitschaft erkennen, zu­ mindest in Ausnahmen die gesetzliche Billigkeit mittels der richterlichen zu korrigieren.62 Alfons Roth setzt auf die Freiheit der Parteien, die für ihre In­ teressen selbst Sorge zu tragen hätten. Sein normativer Anhaltspunkt für die Billigkeit ist folglich der § 157 BGB. Die Norm ermögliche „eine richterli­ che Korrektur der aus dem erklärten Willen abzuleitende[n] Rechtsregel“63 Entsprechend vorsichtig agiert auch er. Im „Rahmen der durch die Causa contrahendi gekennzeichneten Interessen“ sei die Billigkeit anzuwenden.64 Das im Gesetz oder Vertrag niedergelegte Wort gebe die Richtung vor für die Lösung des nicht vorbedachten Falles. Damit sind die vorherrschenden Positionen beschrieben. Anders sah das Karl Schmölder'. „Im Vermögensrechte als dem eigentlichen bürgerlichen Rechte [...] muß die Billigkeit vorherrschen; das Gesetz und die Rechtsge­ wohnheit können nur der Billigkeit in dieser oder jener einzelnen Beziehung eine bestimmte Richtung geben.“65 Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß das Gesetz, wie alles Recht, erst aus der Billigkeit hervorgegangen sei und deshalb dieser stets zu weichen habe 66 Weniger dogmatisch taucht dieser Gedanke auch bei den Vertretern der noch jungen Rechtssoziologie Eugen Ehrlich^ Hermann U. Kantorowicz und Ernst Fuchs auf. Sie traten auf mit dem Anspruch, die in der Gesellschaft vertretenen Rechtsüberzeugungen empirisch erfassen und so die richtige wie billige Fallösung ermitteln zu können. Nun besteht ein nicht zu übersehender Widerspruch zwischen der Ermittlung allgemeiner Rechtsüberzeugungen und dem konkreten Fall. Die Rechtsüberzeugung ist entweder selbst so allgemein wie das Gesetz oder sie 60 Oertmann, Das Billigkeitsprinzip im Bürgerlichen Gesetzbuch, Recht 1900, 3; vgl. noch a.a.O., S. 25-27. 61 Oertmann, Das Billigkeitsprinzip im Bürgerlichen Gesetzbuch, Recht 1900,4 f., 27. 62 Oertmann, Das Billigkeitsprinzip im Bürgerlichen Gesetzbuch, Recht 1900,5 f. 63 Roth, Recht und Billigkeit, RuW 1914,46. 64 Roth, Recht und Billigkeit, RuW 1914,51. 65 Schmölder, Die Billigkeit als Grundlage des bürgerlichen Rechts, S. 37. 66 Schmölder, Die Billigkeit als Grundlage des bürgerlichen Rechts, S. 20 f.; auf S. 147 empfiehlt er noch die ergänzende Vertragsauslegung.

muß für jeden Fall konkret ermittelt werden. Die kantisch geprägte Rechts­ philosophie hatte noch einen anderen Einwand. „Allein durch eine Neben­ einanderstellung und analytische Vergleichung vieler Willensinhalte“, so Stammler in der Lehre vom richtigen Rechte, „kann doch höchstens ein Durchschnitt dessen festgelegt werden, was wirklich einmal gewollt gewe­ sen. Ob dieses tatsächlich dagewesene Wollen in seinem Inhalte richtig ist, folgt aus jener Zusammenstellung noch gar nicht.“67 Ähnlich kritisierte Gu­ stav Radbruch den Schluß vom Sein auf das Sollen.68 Erst nach dem Krieg sollte der Neu-Hegelianer Julius Binder in der „Philosophie des Rechts“ die Billigkeit in ein rechtsphilosophisches System einbetten. Binder führt den Weg des Billigkeitsurteils vom besonderen zum allgemeinen. Das Legali­ tätsurteil gehe dagegen vom allgemeinen zum besonderen, so Binder; Beide Lösungen befriedigen ihn nicht. In methodischer Anlehnung an Hegel sucht er das eine als These, das andere als Antithese zu fassen. Ziel sei die in dia­ lektischer Aufhebung beider Urteile zu ermittelnde Gerechtigkeit 69

3. Prinzipien richterlicher Rechtsfortbildung Die neue Diskussion barg ein altes rechtstheoretisches Problem: die Er­ kenntnis des richtigen Rechts. Unbefangen, ja geradezu naiv machte man sich Gedanken über das heikle Thema. Weder die alten, zum Naturrecht vertretenen philosophischen Positionen noch aktuellere Ansätze einer mate­ rialen Rechtsphilosophie wurden beachtet. Mit der Volksgeistlehre setzte man sich genausowenig auseinander wie mit den materialen Positionen des Rechtspositivismus. Selbst voluntaristische Theorien wurden ohne Bezug zu den philosophischen Strömungen der Zeit vertreten. Dabei hätte sich gerade hier einiges angeboten. Die Willensmetaphysik von Schopenhauer etwa oder das sittliche Bewußtsein Eduard von Hartmanns,70 vielleicht noch Nietzsches Machtwillen. Aber allenfalls ein diffuser Neu-Hegelianismus71

^Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 35 f. 68 Radbruch, Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung. Ein Beitrag zum juristischen Me­ thodenstreit, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 22 (1906), S. 364. Noch deutli­ cher in einem Brief an E. Fuchs, zitiert bei: Gängel, Der Richter und seine Rechtsfindung im Licht der Freirechtslehre, in: Deutsche Rechts- und Sozialphilosophie um 1900, S. 131. 69Binder, Philosophie des Rechts, S. 401,407 f. 70 Eduard von Hartmann will freilich dem Richter keine eigenständigen Billigkeitsurteile zugestehen: Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, S. 536 und 542. 71 Kohler, Vom Positivismus zum Neu-Hegelianismus, ARWP 3 (1909/10), 167-172; Beroldteimer, Die Gefahren einer Gefühlsjurisprudenz in der Gegenwart, ARWP 4 (1910/11), 595-610.

läßt bei einigen wenigen den Wunsch nach einer philosophischen Grundlage erkennen. Fritz Berolzheimer wollte das Recht als Herrschaftsform in „Synthese mit der ethischen Idee der Freiheit“ gesetzt sehen.72 Thetischer Teil und Ausgangspunkt der Synthese ist die Herrschaftsmacht. Verträge binden al­ lein kraft der Rechtsordnung, teilt Berolzheimer mit. „Das Problem lautet daher in Wahrheit nicht: Worin wurzelt die bindende Kraft der Verträge?, sondern richtig: Was veranlaßt den Gesetzgeber, im allgemeinen den Ver­ trägen bindende Kraft zuzuerkennen?“ Man muß nicht lange weiterlesen, um die Antwort zu erfahren: „Der innere Grund ist die Idee der Entgeltung, des Äquivalents.“73 Das Ergebnis ist etwas überraschend, da der von Be­ rolzheimer vorgefundene Gesetzgeber ja gerade die Freiheit zum Prinzip er­ hoben hatte und die Frage der Äquivalenz allein im Bereich des Wuchers behandeln wollte. Das ist auch Berolzheimer nicht entgangen. Der „Tendenz der obrigkeitlichen Bevormundung“ stellt er - antithetisch - die „Tendenz der allgemeinen wirtschaftlichen Freiheit“ entgegen. Die historische Erfah­ rung zeige aber die negativen Auswirkungen einer rein formal verstandenen Rechtsfreiheit. Das Ergebnis: „Die sittlich-rechtliche Synthese heischt Be­ kämpfung jeder Ausbeutung in Wirtschaft und Recht.“74 Beide Tendenzen, die Freiheit wie die Bekämpfung mißliebiger Folgen, sind in der Rechtsge­ schichte vorhanden und ja auch in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt worden. Berolzheimer spricht der historischen Methode die Existenzberech­ tigung nicht ab, will sie aber ergänzen durch aktuelle wirtschaftliche Erwä­ gungen.75 Man kann auch sagen: er will sie fortschreiben. Der neuhegelianische Ansatz Berolzheimers war in der erkenntnistheore­ tischen Methode wie in der inhaltlichen Präzision eine ausgesprochene Aus­ nahme in der fachjuristischen Diskussion. Einig war sich die Bewegung al­ lein in der Kritik an der Begriffsjurisprudenz und der Forderung, daß an Stelle der Begriffe juristische Tatsachen zu ermitteln seien 76 Der zentrale und kritische Punkt blieb die Frage der Bewertung der ermittelten Tatsa­ chen. Woher sollten die Werte genommen werden, wenn nicht aus den Be­ griffen? Aus dem Willen der Gesetzgeber meinten die einen und vergaßen 72 Berolzheimer, Die Gefahren einer Gefühlsjurisprudenz in der Gegenwart, ARWP 4 (1910/11), 608. 73Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 4, S. 102. 74Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 4, S. 120. 75 Berolzheimer, Die Gefahren einer Gefühlsjurisprudenz in der Gegenwart, ARWP 4 (1910/11), 607-610. 76 Moench, Die soziologischen Bestrebungen der Freirechtsbewegung auf dem Weg zur Methodenlehre der Gegenwart, S. 93 f.; Haney, Soziologische Rechtswissenschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts, S. 29-31.

dabei zu erwähnen, daß just dieser Gesetzgeber in den zu überwindenden begrifflichen Systemen gedacht hat.77 Sie wollten aus den Gesetzesmateria­ lien herauslesen, was der Gesetzgeber über den Wortlaut hinaus gewollt hatte oder was er vernünftigerweise gewollt haben mußte. Andere bevor­ zugten die dem Gesetz selbst immanente Teleologie, eine objektive Größe also, die nicht minder schwer zu ermitteln war 78 Wie bei der Auslegung konkurrierte auch bei der Rechtsfortbildung der überkommene subjektive mit dem neugefundenen objektiven Ansatz. Das Gegenmodell zu diesen immerhin gesetzesnahen Lösungen beruht auf Wertungen jenseits des Ge­ setzes. Larenz sollte hier später nach gesetzesimmanenter und gesetzesüber­ steigender Rechtsfortbildung differenzieren79 Jenseits des Gesetzes herrschte noch weniger Eintracht. Die einen setzten auf die Rechtsanschau­ ungen der Gesellschaft oder wenigstens eines maßgebenden Teils von ihr;80 andere ließen lieber den richterlichen Willen walten.81 Gerade das Rechtsge­ fühl wird gern betont.82 Kantorowicz sah die „Zwecke der Rechtsordnung“, ohne näher erläutern zu können, wie diese ermittelt werden sollten 83 Ein gewisses Vorbild bot noch der bereits erwähnte Art. 1 Abs. 2 ZGB, der den Richter anwies, im Falle der Rechtslücke „sein Urteil nach den Regeln, die er als Gesetzgeber aufstellen würde“, zu fällen, weshalb die Norm auch von den Befürwortern soziologischer wie freirechtlicher Methoden gern zitiert wurde - in Abs. 3 wurde dem Richter freilich auch aufgegeben, die be­ währte Lehre und Überlieferung zu beachten 84 Andere erwähnten schlicht und unspezifiziert ein außergesetzliches Recht 85

77 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 232; Oertmann, Gesetzes­ zwang und Richterfreiheit, S. 27: „der erkennbare gesetzgeberische Grund“. 78 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 4, S. 403 f.; Danz, Rechtsprechung nach der Volksanschauung und nach dem Gesetz, Jherings Jahrbücher 54 (1909), 50 und 66 f., 72 f.; Oertmann, Gesetzeszwang und Richterfreiheit, S. 29 und S. 53, Fn. 23. 79Larenz, Methodenlehre, S. 354 f. und 397 f. 80 Wüstendörfer, Die deutsche Rechtsprechung am Wendepunkt, AcP 110 (1913), 321­ 325; Danz, Rechtsprechung nach der Volksanschauung und nach dem Gesetz, Jherings Jahrbü­ cher 54 (1909), 46; Gareis, Vom Begriff der Gerechtigkeit, FS Giessen 1907, S. 302; Oert­ mann, Gesetzeszwang und Richterfreiheit, S. 53, Fn. 23. 81 Stampe, Rechtsfindung durch Interessenwägung, DJZ 1905,714 und 717; Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 41; Fuchs, Recht und Wahrheit in unserer heutigen Justiz, S. 16. 82 Moench, Die soziologischen Bestrebungen der Freirechtsbewegung auf dem Weg zur Methodenlehre der Gegenwart, S. 109-118 m.w.N. 83 Kantorowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie, S. 295. 84 Art. 1 ZGB lautet vollständig: „(1) Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwen­ dung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. (2) Kann dem Ge­ setz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo

Die Inhalte sind weit weniger disparat, als die diffusen Ansätze erwarten lassen. In beinahe allen Stellungnahmen ist zu lesen, der Richter habe wi­ derstreitende Interessen gegeneinander abzuwägen. „Die richterliche Inter­ essenwägung vollzieht sich auf Grund eines Werturteils“, resümiert Hans Wüstendörfer einen häufig zu lesenden Gedanken, „d. h. 1. auf Grund einer Höherbewertung der typischen Interessen der einen Partei gegenüber den typischen Interessen der anderen Partei um eines bestimmten sozialen Zweckes willen, und 2. auf Grund einer Inbeziehungsetzung dieser Vor­ stellung von einem normativen Mittel zum Zweck.“86 Alfons Roth sieht die Interessenwägung sogar an zentraler Stelle des Rechts selbst. Er benennt zwei Zwecke des Rechts: die Ordnung des menschlichen Handelns und, als obersten Zweck, den Interessenausgleich. Die Wahrung der wechselseitigen Interessen will er primär der vertraglichen und ersatzweise der gesetzlichen Regel überlassen. Es sei die Aufgabe des Rechtsanwenders, „aus dem ver­ stehenden Erkennen der Interessen der Streitenden heraus die Tragweite der Rechtsregel zu begreifen und zu begrenzen“.87 Das im Vertrag oder Gesetz niedergelegte Wort solle auch „Richtung geben, für die Lösung des nicht vorbedachten Falles“. Durch den Verweis des Gesetzes auf Treu und Glau­ ben, § 275 BGB, sei jenseits der vertraglichen oder gesetzlichen Regel zu­ sätzlich die „Billigkeit berufen, im Widerstreit konkreter Parteiinteressen deren Ausgleich insoweit zu bewirken, als die abstrakte Regel unzulänglich ist, ihn hervorzubringen“.88 Philipp Heck durfte sich bestätigt fühlen. Er hatte schon früh einen offe­ nen Umgang mit den im Gesetz zum Vorschein kommenden Werturteilen gefordert und dabei die These aufgestellt, jede Regel ziele letztlich auf eine bestimmte Ordnung sozialer Interessen. Das Gesetz nehme eine Interessen­ wägung vor, die vom Richter nachzuzeichnen sei 89 Nach Ansicht Hecks soll der Richter auch im Fall der Regelungslücke entlang der gesetzlichen Interessenordnung judizieren. Heck spricht von einer „Femwirkung“ der im Gesetz enthaltenen Werturteile.90 Diese Werturteile seien zu übertragen auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. (3) Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“ ^Reichel, Gesetz und Richterspruch, S. 48; Elze, Lücken im Gesetz, S. 53. 86 Wüstendörfer, Die deutsche Rechtsprechung am Wendepunkt, AcP 110 (1913), 313; ähnlich: Stampe, Rechtsfindung durch Interessenwägung, DJZ 1905, 717; Zahlreiche Nach­ weise bei: Moench, Die soziologischen Bestrebungen der Freirechtsbewegung auf dem Weg zur Methodenlehre der Gegenwart, S. 101-104. 87Roth, Recht und Billigkeit, RuW 1914,48. ^Roth, Recht und Billigkeit, RuW 1914,49 und 51. 89 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 31 f.; Heck weist in: Interessenjurispru­ denz und Gesetzestreue, DJZ 1905,1140, Fn. 2, auf eigene, ältere Schriften hin. 90Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 230.

mittels einer „Vergleichung des entscheidungsbedürftigen Interessenkon­ flikts mit dem autoritativ entschiedenen“.91 Das liest sich leicht. Dennoch interessiert natürlich, wie der Vergleich auszusehen habe. Erfolgt die Aus­ dehnung? Kommt der Gegenschluß? Die Fragen hatte sich auch Hans Elze gestellt. Und er kritisiert: „Diesen Wertmaßstab aus dem Gesetz entnehmen zu wollen, hieße sich eine petitio principii zuschulden kommen zu lassen, denn daß die Wertungen des Gesetzes auch in Lückenfällen maßgeblich sind, soll ja durch den Analogieschluß erst bewiesen werden.“92 Die Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Ernst Stampe will eine eigenständige In­ teressenwertung des Richters,93 Hans Wüstendörfer bevorzugt, bei prinzipi­ ell gleicher Interessenwertung, das „Werturteil führender Kulturschich­ ten“.94 Selbst Philipp Heck will sich dem „in der Rechtsgemeinschaft herr­ schenden Werturteile“ nicht ganz verschließen 95 „Der Unterschied besteht nur darin“, erläutert Heck, „dass bei der völlig freien Rechtsfindung es die eigenen Wertideen und Werturteile der Laien oder des Richters sind, die den Maßstab für die Abwägung liefern, während bei der Gesetzesanwendung und der abhängigen Gebotsergänzung der Richter an diejenigen Werturteile gebunden ist, die sich aus dem Gesetz ergeben und eventuell an diejenigen, die in der Rechtsgemeinschaft herrschen, so dass die Eigenwertung des Richters nur ganz subsidiär greift.“96 Auch von anderer Seite kam Kritik an der Interessenlehre. Die im Gesetz enthaltenen Werte könnten nicht auf die Entscheidung über den Vorrang kollidierender Interessen reduziert werden, wurde gerade von Vertretern der teleologischen Auslegung vorgetragen.97 Wer bereit war, die Basis des Ge­ setzes zu verlassen, der hatte naturgemäß noch weniger Anlaß, bei einer bloßen Interessenwägung stehenzubleiben. Das Tor zu rechtspolitischen Lö­ sungen schien weit offen zu stehen. Warum also nicht hindurchschreiten? Hugo Sinzheimer sprach vorsichtig von der „Auffindung der Rechtsfolgen“. Darunter versteht Sinzheimer dasjenige, „was die Parteien tatsächlich ge­ wollt haben“.98 Als Kriterien für die Ermittlung dieses tatsächlichen Willens

91 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 32. 92Elze, Lücken im Gesetz, S. 80. 93 Stampe, Rechtsfindung durch Interessenwägung, DJZ 1905,717. 94 Wüstendörfer, Die deutsche Rechtsprechung am Wendepunkt, AcP 110 (1913), 321 ff. 95 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 238. 96 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 32. 97 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 4, S. 426; S. 417 f.; Oertmann, Gesetzes­ zwang und Richterfreiheit, S. 53, Fn. 23; Danz, Rechtsprechung und Volksanschauung nach dem Gesetz, Jherings Jahrbücher 54 (1909), 69 f. ^Sinzheimer, Die soziologische Methode in der Privatrechtswissenschaft, S. 16-19; Zitat S.17.

nennt er die „Kenntnisnahme der geschichtlichen Entwicklung solcher Le­ bensverhältnisse“, die „Kenntnis der Wertvorstellungen, die über das fragli­ che Verhältnis bestehen“ sowie die „Interessenlage“ der Beteiligten." Ernst Fuchs geht über die Werte und Wünsche der individuellen Parteien hinaus. Er fordert eine breit angelegte „soziologische Interessenwägung“. Hierbei habe „der Richter [...] selbst die sozialen Elemente zu erforschen, aus denen er eine Regel bilden will“. Leiten lassen solle der Richter sich von dem „Standpunkt der allgemeinen Wohlfahrt“.99 100 Am Rande spielen auch bei den Vertretern der Interessentheorie gesellschaftliche Interessen eine Rolle. Stampe integrierte die „Interessen der Allgemeinheit“ und das „Interesse des Staates“ in das richterliche Urteil,101 und selbst Heck spricht von dem „Schutze der Gemeinschaftsinteressen“.102 In der so harmlos wirkenden In­ teressenwägung, einem Element der Billigkeit wohlgemerkt, wurden immer häufiger öffentliche Interessen und Wertentscheidungen in das Gesetz inte­ griert. Die freiheitsschützende Funktion des Rechts wird dagegen kaum noch erwähnt, allenfalls negativ, als Schutz der Freiheit vor der Freiheit.103 Der hinter dem Freiheitsgedanken stehende Individualismus war verpönt. Diese Entwicklung war nicht die vorherrschende, es war aber eine wich­ tige und vielbeachtete. Und sie war bei Kriegsausbruch noch längst nicht abgeschlossen. Bedenklich war, daß die Diskussion auf methodologischer und soziologischer Ebene geführt wurde und damit eines festen Rahmens entbehrte. Der Neukantianismus hielt sich weitgehend zurück, während der Neu-Hegelianismus eines Fritz Berolzheimer und (freilich erst nach dem Krieg) Julius Binder zu der weitrechenden Überlagerung des Zivilrechts mit gesellschaftlichen oder staatlichen Interessen und Werten tendierte. Die als soziologisch oder rein methodologisch einzuordnenden Beiträge gingen un­ terschiedlich weit auf individuelle und gesellschaftliche Zwecke ein. Karl Gareis gab zu bedenken, man solle nicht die Grenzen zwischen dem äuße­ ren Recht und der inneren Moral verwischen.104 Ein Gedanke, der bereits die gesetzesvorbereitenden Kommissionen an der Kodifizierung der excep­ tio dolis generalis gehindert hatte, nun aber nur noch selten anzutreffen war.

99 Sinzheimer, Die soziologische Methode in der Privatrechtswissenschaft, S. 18. 100 E. Fuchs, Recht und Wahrheit in unserer heutigen Justiz, S. 15 f.; ders., Die Gemein­ schädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz, S. 14 f. 101 Stampe, Gesetz und Richtermacht, DJZ 1905,1020; ders., Rechtsfindung durch Inter­ essenwägung, DJZ 1905,718. 102 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 232. 103 Roth, Recht und Billigkeit, RuW 1914,49 und 51. 104 Gareis, Vom Begriff der Gerechtigkeit, FS Giessen 1907, S. 301 f.

Die Bedenken galten, sofern sie überhaupt geäußert wurden, der Erkennt nistheorie.105 Die Freiheitsethik befand sich auf dem Rückzug.

105 Unger, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, DJZ 1906, 786; Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 35 f.; Radbruch, Rechtswissenschaft als Rechtsschöpfung. Ein Beitrag zum juristischen Methodenstreit, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 22 (1906), S. 364.

Dritter Teil:

Die Rechtsprechung der Krisenzeit

Kapitel I

Die erste Phase: Die Rechtsprechung hält sich zurück „Wirtschaftlich begann der Krieg am 31. Juli 1914, dem Tag, an dem die Reichsbank ihrer gesetzlichen Verpflichtungen, die von ihr ausgegebenen Banknoten gegen Goldmünzen einzulösen, nicht mehr nachkam.“1 Was den Zeitgenossen als kurzzeitige und angesichts eines Krieges nicht ungewöhn­ liche Maßnahme zur Verhinderung von Panikreaktionen erschien,2 mar­ kierte den Beginn einer nahezu zehnjährigen Epoche wirtschaftlicher Ab­ normität. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs schuf eine wirtschaftliche Ausnahmesituation, die in ihrer Intensität weit über kriegerische Beein­ trächtigungen hinausging und die das Kriegsende gleich um mehrere Jahre überdauern sollte. Erst ab November 1923, mit der Einführung der Renten­ mark, wurden sukzessive wieder stabile, der Vorkriegswirtschaft vergleich­ bare Bedingungen geschaffen. Allein der seit dem 1. August 1914 bestehende Kriegszustand veränderte in dreierlei Weise die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. An erster Stelle ist die kriegsbedingte Isolierung der Märkte zu nennen. Zuerst griff die durch die Mobilmachung hervorgerufene Störung der innerstaatlichen Verkehrswege, später zunehmend auch die von den Feindmächten rigoros durchgeführte Blockade in das wirtschaftliche Leben ein.3 Allein die neu­ 1 Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914-1918 und ihre Folgen, S. 421. Nach § 18 des Bankgesetzes vom 14. März 1875 (in der Fassung vom 1. Juni 1909) war die Reichsbank verpflichtet, ihre Noten bei Vorlage gegen deutsche Goldmünzen umzutauschen. Legalisiert wurde das eigenmächtige Vorgehen der Reichsbank erst durch § 2 des Gesetzes, betreffend die Reichskassenscheine und die Banknoten, vom 4. August 1914, RGBl. 1914, S. 347. Mit der Bekanntmachung über die Unverbindlichkeit gewisser Zahlungsvereinbarun­ gen vom 28. September 1914, RGBl. 1914, S. 417, wurden vor dem 31. Juli 1914 vereinbarte Goldklauseln außer Kraft gesetzt. 2 Vom 23. bis zum 31. Juli 1914 sank der Goldbestand der Reichsbank infolge der Einlö­ sung von 1.356,8 Millionen Mark auf 1.253,2 Millionen Mark (also um 7,64 %). Quelle: Kriegsbuch 1 (1915), S. 368. 3 Vgl. Michalka, Kriegswirtschaft und Wirtschaftskrieg, S. 177; Hardach, Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 19-43.

tralen Nachbarstaaten der Mittelmächte, vorwiegend das bis 1916 neutrale Italien, die Niederlande und Schweden, verhinderten zunächst den vollstän­ digen Zusammenbruch des internationalen Handels. Nicht nur die Blockade, auch die von den Mittelmächten eingeführten staatlichen Ausfuhrkontrollen und -verböte trennten die Märkte.4 Nachdem der Krieg in Fronten erstarrt war, erreichten die Kriegsgegner die Vervollkommnung der Blockade. Aus wirtschaftlicher Sicht war der Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente­ mächte besonders gravierend. Zudem gelang es den Ententemächten, mit praktisch allen neutralen Nachbarstaaten des Reichs Verträge abzuschließen, die sicherstellen sollten, daß diese Staaten nicht Waren einführten, die spä­ ter in die Hände der Mittelmächte gelangen konnten. Im Gefolge dieser Er­ eignisse änderten sich die Handelswege erheblich. Die Beschaffung der be­ troffenen Waren erforderte nun völlig neue Aktivitäten und auch erheblich größere finanzielle Aufwendungen. Rasch und grundlegend änderte sich auch das Nachfrageverhalten auf den Inlandsmärkten. Es bildeten sich zwei völlig unterschiedliche Märkte heraus. Der private Konsum ging stark zu­ rück und konzentrierte sich fortan auf die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens. Viele Produzenten und Händler versuchten anfangs, sich von den Verträgen mit ihren Vorlieferanten und Zwischenhändlern zu lösen, da sie fürchteten, die Waren ihrerseits nicht mehr absetzen zu können. Auf der an­ deren Seite stieg die Nachfrage nach kriegstauglichen Produkten stark an. Bereits lange vor Kriegsbeginn für den Kriegsfall abgeschlossene Liefer­ verträge wurden aktiviert und brachten die mit Friedensverträgen ausgela­ steten Unternehmen in Lieferschwierigkeiten. Erstaunlicherweise wurde die gestiegene Nachfrage nach kriegstauglichen Gütern von der Industrie nur zögernd zu einer Umstellung der Produktion genutzt. Da man gemeinhin mit einem kurzen Krieg rechnete, fürchtete man das Versiegen der Nachfrage, noch bevor die neuen Maschinen sich amortisiert hatten. Die Dauer des Krieges und die staatlichen Anreize sollten schließlich eine weitreichende Umstrukturierung der Produktion im Sinne einer Kriegswirtschaft nach sich 4 Die Ausfuhrkontrollen wirkten viel drastischer als die Blockade der Feindmächte. Der Import sank von 1913 bis 1915 von 10,8 nur auf 7,1 Mrd. Goldmark, während für die glei­ chen Jahre der Export von 10,1 auf 3,1 Mrd. Goldmark zurückging: Hardach, Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 42. Durch Verordnungen vom 31. Juli 1914 wurde u. a. die Ausfuhr folgender Produkte verboten: Tiere und tierische Erzeugnisse, Verpflegungs-, Streu- und Futtermittel, Kraftfahrzeuge und Flugzeuge sowie Teile davon, Mine­ ralrohöle und Steinkohlenteer sowie alle aus diesen hergestellten Öle, Waffen, Munition, Pulver, Sprengstoffe sowie andere Artikel des Kriegsbedarfs, Eisenbahnmaterial aller Art und schließlich generell Rohstoffe, die bei der Herstellung und dem Betrieb von Gegenständen des Kriegsbedarfs zur Verwendung gelangen, RGBl. 1914, S. 259-268; vgl. Kriegsbuch 1 (1915), S. 919 f.; zu den Phasen der Exportbeschränkung: Roth, Staat und Wirtschaft im Er­ sten Weltkrieg, S. 257-267.

ziehen. Infolge des geänderten Nachfrageverhaltens, der Isolierung der Märkte und der allgemeinen Mangelsituation änderte sich die Preisbildung nachhaltig. Die vorhandene Kaufkraft konzentrierte sich auf die lebensnot­ wendigen und die kriegswichtigen Güter. Im Falle unverändert freier Preis­ bildungen führte dies zu einer nachfrageinduzierten Inflation, was wiederum die Kalkulation der Preise für zu beschaffende oder herzustellende Waren stark belastete. Immer häufiger wurden deshalb Verträge preislich gar nicht erst fixiert, sondern mit der Klausel „freibleibend im Preise" oder ähnlichen Vorbehaltsklauseln versehen.5 Auch unmittelbare staatliche Eingriffe veränderten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nachhaltig.6 Die Ausfuhrbeschränkungen sind bereits angesprochen worden. Schnell und effektiv wurde auch die Bewirtschaftung der Rohstoffe in die Hand genommen. Das preußische Kriegsministerium richtete unter der Regie von Walther Rathenau bereits im August 1914 eine Kriegsrohstoffabteilung ein. Die Beschaffung und Verteilung der kriegs­ wichtigen Rohstoffe wurde von privatrechtlich organisierten Kriegsroh­ stoffgesellschaften übernommen, die von den betroffenen (und daher auch besonders interessierten) Handels- und Industriekreisen mit Eigenkapital ausgestattet wurden.7 Diese Gesellschaften sollten die vorhandenen Roh­ stoffe sichten, aufkaufen und verteilen. Durch die Bekanntmachung über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juni 1915 wurde großzügig die Übertragung von Übernahme- und Beschlagnahmerechten ermöglicht.8 Es war nicht das Ziel, die Rohstoffe vom Markt zu nehmen; sie sollten aber möglichst effektiv der Rüstung zugeführt werden.9 Selbst Beschlagnahmen beendeten deshalb nicht die Handlungsmöglichkeiten des betroffenen Liefe­ ranten. Wer nachweisen konnte, daß seine Rohstoffe überwiegend der Rü­ stungsproduktion zugute kommen würden, der konnte in aller Regel selbst 5 RGZ 103, 414 (415): „[...] eine im heutigen Verkehr typisch gewordene Klausel“; Mit­ teilung der Handelskammer zu Berlin 1920, S. 329 f., Auszug: JW 1921, S. 158 f. 6 Übersicht bei: Huberj Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5, S. 73-94. 7 Kriegschemikalien-AG, Kriegsmetall-AG, Kriegswollbedarfs-AG, Kammwoll-AG, Kriegsleder-AG, Deutsche Rohhaut-AG u. a.; ein umfassendes Verzeichnis der Kriegswirt­ schaftsgesellschaften findet sich bei Schröter, Krieg-Staat-Monopol, S. 154-157. Verzeichnis über die im ersten Kriegsjahr gegründeten Gesellschaften in: Kriegsbuch 1 (1915), S. 558 f.; Zur inneren Organisation der Kriegsmetall-AG und der Kriegschemikalien-AG ausführlich: Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg, S. 116-146. 8 RGBl. 1915, S. 357; erfaßt wurden alle Gegenstände, „die bei der Herstellung und dem Betriebe von Kriegsbedarfsartikeln zur Verwendung gelangen können“, § 1; bis dahin konn­ ten die bezeichneten Gegenstände nur durch das Reichsgesetz über Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 in Anspruch genommen werden. 9 Eingehend: Michalka, Kriegswirtschaft und Wirtschaftskrieg, S. 169-192; Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914-1918, S. 52-58.

disponieren. Allerdings setzte dies die Kenntnis voraus, wie der Abnehmer die Rohstoffe zu verarbeiten gedachte. Sofern dieser bereit und fähig war, an der Rüstungsproduktion teilzunehmen, stand der Vertragserfüllung nicht zwingend das neue Recht entgegen. Der Markt funktionierte noch. Es war sogar ausgesprochenes Ziel der Organisatoren der Kriegswirtschaft, den Markt und das Gewinnstreben für die Rüstungsproduktion nutzbar zu ma­ chen. Anders war die Situation bei den Nahrungsmitteln und Textilien. Hier fühlte der Staat sich aufgerufen, zugunsten privater Verbraucher einzugrei­ fen. Am 4. August 1914 wurde das erste Höchstpreisgesetz erlassen.10 Zahl­ reiche Höchstpreisverordnungen und -gesetze sollten folgen. Selbst mit strafrechtlichen Mitteln wollte das Reich der Preisentwicklung Einhalt ge­ bieten. Mit Strafe bedroht wurde, wer “für Gegenstände des täglichen Be­ darfs, insbesondere für Nahrungs- und Futtermittel aller Art, für rohe Na­ turerzeugnisse, Heiz- und Leuchtstoffe, sowie für Gegenstände des Kriegs­ bedarfs“ - also für praktisch alles, was damals besonders nachgefragt wurde - Preise vereinbarte, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse, insbesondere der Marktlage, einen „übermäßigen Gewinn“ enthielten.11 Durch eine Verordnung vom 24. Juni 1916 begann die massive Bekämpfung des Zwischenhandels für Lebens- und Futtermittel.12 Die Bekanntmachung vom 8. Februar 1917 stellte den sogenannten „Kettenhandel“ von Textilien und Textilersatzstoffen unter Strafe.13 Anders als bei der Rüstungswirtschaft scheute man sich in diesen Fällen nicht, den Markt entscheidend zurückzu­ drängen.14 Gegen den Zwischenhandel tauchen Argumente auf, welche auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts noch eine Rolle spielen sollten. Der Händler wurde offenbar als unproduktiv angesehen; Händlergewinne galten als Spekulationsgewinne. Der wirtschaftliche Wert der Marktkenntnis und die Leistung der Zusammenführung von Anbieter und Nachfrager ge­ nossen offenbar keinen hohen Stellenwert. Das Ziel des von den Zeitumständen gebeutelten Schuldners wird es sein, sich von der vertraglichen Verpflichtung - zumindest in deren ursprüngli­ cher Form - zu lösen. Natürlich kann er auch den moralischen Imperativ in 10 RGBl 1914, S. 339. § 1 lautet: „Für die Dauer des gegenwärtigen Krieges können für Gegenstände des täglichen Bedarfs, insbesondere für Nahrungs- und Futtermittel aller Art sowie für rohe Naturerzeugnisse, Heiz- und Leuchtstoffe Höchstpreise erlassen werden.“ Übersicht über die höchstpreisgebundenen Güter bei: Heymann, Die Rechtsformen der mili­ tärischen Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen Industrierechts, S. 59 f. 11 Bekanntmachung gegen übermäßige Preissteigerung vom 23. Juli 1915, RGBl. 1915, S.467. 12 RGBl. 1916, S. 581. 13 RGBl. 1917, S. 112 f. ^Feldman, Kriegswirtschaft und Zwangswirtschaft: Die Diskussion des „Sozialismus“ in Deutschland während des Ersten Weltkriegs, S. 460-475.

sich spüren, der ihm befiehlt, Verträge einzuhalten. Je wirtschaftlich nach­ teiliger eine Vertragsausführung wird, desto schwächer ertönt freilich diese innere Stimme. Ist der Schuldner Optimist, so hofft er auf bessere Zeiten und wird lediglich den anvisierten Erfüllungszeitrahmen beseitigen, den Vertrag also in der Substanz über die Zeit retten wollen. Das Regelbegehren ist das aber nicht. In der Regel wird er die vollständige Lösung der vertrag­ lichen Bindungen bevorzugen. Der moderne Schuldner würde unter Um­ ständen noch weiter gehen und eine Anpassung der Hauptpflichten, etwa in Form einer höheren Gegenleistung, anstreben. Bis zur Inflation ist freilich niemand auf den Gedanken gekommen, der Privatautonomie derartiges zuzumuten.

1. Lösung durch die Parteien? Die Krise traf den Handel und die Wirtschaft nicht völlig unvorbereitet. Häufig wird darauf hingewiesen, daß sogenannte „Kriegsklauseln" in den allgemeinen Verkaufs- und Lieferungsbedingungen der „großen kaufmänni­ schen und industriellen Verbände“ fast durchweg enthalten seien.15 Auch darüber hinaus waren allgemeine Gefahrtragungsklauseln, insbesondere sol­ che, die eine Befreiung von den vertraglichen Pflichten bei force majeure aussprachen, durchaus gängig. In den Handelskreisen war sogar die Vor­ stellung verbreitet, der Krieg habe bereits kraft Handelsbrauch eine suspen­ dierende oder gar kassierende Wirkung auf Handelsverträge.16 Die Handels­ kammer zu Berlin sah sich genötigt, auf die grundsätzliche Weitergeltung der Verträge explizit hinzuweisen.17 Neben vertraglichen Leistungsvorbe­ halten mochte auch ein vorzeitiger Übergang der Leistungsgefahr dem Pflichtigen helfen. Im Überseehandel waren drei Klauseln verbreitet, die auf einen vorzeitigen Gefahrübergang hinweisen konnten: die fob-Klausel, die cif-Klausel und die Ablade-Vereinbarung. Groß war die Hilfe, insbesondere für den inländischen Verkehr, aber nicht. In vielen Branchen waren besondere Kriegsklauseln völlig unüblich.

15 Staadecker, Die Kriegsklausel in Lieferungsverträgen, JW 1914, S. 848; Starke, Liefe­ rungsverträge, S. 84 f. 16 So zumindest Starke, Lieferungsverträge, S. 85: „Einen dahingehenden Handelsbrauch stellt z. B. Dove-Meyerstein, Gutachten über Handelsbräuche Berlin II 455 § 7, für den Che­ mikalien-, Drogen-, Lack- und Farbenhandel Deutschlands fest.“ Vgl. ders., Kriegsklauseln in Lieferungsverträgen, LZ 1915,669. 17 Mitteilungen der Handelskammer zu Berlin 12 (1914), S. 226-228; vgl. die Hinweise in den Fachzeitschriften, etwa: JW 1914, S. 798 f.; Mansfeld, Einfluß des Krieges auf Rechte und Verbindlichkeiten des Bürgerlichen Rechts, BayRpflZ 1914, S. 348.

Auch bestehende Klauseln führten nicht zwingend zur sofortigen Aufhe­ bung der Verträge. Nicht selten wurde die Klausel vom Verwender gar nicht geltend gemacht, da man hoffte, den Vertrag ungeachtet des ausgebrochenen Krieges erfüllen zu können. Selbst nach Kriegsbeginn wurden neue Verträge abgeschlossen oder alte neu verhandelt, die unter der gegebenen Kriegssi­ tuation kaum erfüllt werden konnten. Man fügte die übliche Kriegsklausel bei oder prolongierte schlicht die Erfüllung. Der Erfahrungshorizont der Zeitgenossen war eben, man muß es nach zwei Weltkriegen betonen, ein völlig anderer. Der Wirtschaftsverkehr rechnete durchaus mit Kriegen und ernsten politischen Krisen. In Zeiten kolonialer Expansion waren kleinere Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen nicht selten. Diese Krisen hatten aber nur begrenzte Auswirkungen. Sofern Rohstoffe aus einer vom Krieg betroffenen Gegend zu liefern waren, gab es alternative Angebote aus ruhigeren Gegenden. Widrigenfalls mochte die Lieferung nach Beendigung der Auseinandersetzung nachgeholt werden. Als Vorbilder für europäische Auseinandersetzungen boten sich dem Zeitgenossen die 1866 und 1870/71 geführten Kriege an. Beide waren kurz und hatten außerhalb des eigentli­ chen Kampfgebietes keine besonders gravierenden Folgen für Bevölkerung und Wirtschaft. Der Krieg war in der Regel nur dort präsent gewesen, wo auch gekämpft wurde. Man denke an Theodor Fontane, der als Kriegsbe­ richterstatter 1870 weitgehend ungehindert durch Frankreich reisen konnte. Die Fachleute des Kriegsgewerbes prognostizierten für einen großen euro­ päischen Krieg eine entsprechend kurze und schnelle Entscheidung, die nur das unmittelbare Kriegsgebiet gravierend treffen würde. Selbst die Reichs­ leitung begann den Krieg, ohne die Frage der kriegswichtigen Rohstoffe ge­ klärt zu haben. Mußte ein Händler oder ein Unternehmer vorsichtiger kal­ kulieren? a) Der Freizeichnungsvorbehalt und seine Grenzen Zurück zur Kriegsklausel. Was in der zeitgenössischen Literatur als Kriegs­ klausel bezeichnet wurde, war im Ergebnis ein mehr oder weniger weit for­ mulierter Freizeichnungsvorbehalt.18 Eine Partei behielt es sich vor, bei Eintritt besonderer Umstände die Vertragsbindung für die Zeit des Um­ stands oder auf Dauer zu lösen. Überraschend viele dieser Klauseln sind Gegenstand höchstgerichtlicher Entscheidungen geworden. Die Entschei­ dungsbedürftigkeit hatte ihren Grund zum Teil in den Klauseln selbst, die in den Voraussetzungen und in den Rechtsfolgen nicht selten unpräzise for­ muliert worden waren. Die Klauseln vermischten beispielsweise kriegeri­ 18 Übersicht über die vielfältigen Kriegsklauseln von Großmühlen bei: Breit, Die Kriegs­ klausel in den Kontrakten der deutschen Großmühlen, RuW 1916,228-232.

sehe Ereignisse mit Natureinwirkungen, Arbeitskämpfen und politischen Unruhen. Oder es wurden schlichte force-majeure-Klauseln bevorzugt, in denen der Krieg gar keine Erwähnung fand. Zudem hob die Klausel den Vertrag nicht immer auf; oftmals sollte die Vertragserfüllung nur ausgesetzt werden. Dann lag es auch an den Parteien, daß die Klauseln nicht griffen. Nicht selten hatten diese aus wirtschaftlichen oder ethischen Gründen Hemmungen, sich auf derartige Klauseln zu berufen. Schließlich waren die Gerichte selbst nicht unwesentlich an der Entscheidungsfülle beteiligt, da sie durchaus zu Einschränkungen neigten, die dem Gläubiger Hoffnung ma­ chen konnten, ungeachtet der Klausel die Leistung bekommen zu können. Da die fragliche Klausel die Freizeichnung von besonderen Umständen abhängig macht, richtet sich das Interesse vornehmlich auf diese. Der Krieg, es wurde schon erwähnt, war selten der einzige Umstand, der genannt wur­ de. Weitere befürchtete Betriebsstörungen wurden aufgelistet. Ein Beispiel bildet folgende Klausel: Krieg, Arbeiterstreik, Betriebsstörungen, Mangel an Rohmaterial, Feuersbrunst und an­ dere Fälle höherer Gewalt bei Verkäufer und Verkäufers Lieferanten, welche die Erfüllung gegenwärtigen Vertrages unmöglich machen, befreien den Verkäufer von den eingegange­ nen Vertragsverpflichtungen.19

Der Krieg als auflösendes Ereignis wurde hier gleich doppelt relativiert. Zum einen wird er mit Fällen unmittelbarer Betriebsstörungen wie dem Streik und der Feuersbrunst in einem Atemzug genannt. Die höhere Gewalt, die gleichsam als Oberbegriff verwendet wird, verstärkt den Eindruck, hier seien vergleichbare Umstände zusammengefaßt worden.20 In den Augen des Lesers wird die Erheblichkeit des Krieges entscheidend relativiert. Zudem wird besonders unglücklich der Bestand der Forderung an die Möglichkeit der Leistung geknüpft. Entfällt die Möglichkeit der Erfüllung, so ist aber der Schuldner ex lege befreit. Was soll die Klausel darüber hinaus noch bewir­ ken? Eine Umkehr der Beweislast, könnte man annehmen. Vielleicht eine Freizeichnung für den Fall der verschuldeten Unmöglichkeit. Es liegt aber nahe, daß die penibel aufgelisteten Umstände auch diesseits des Möglichen befreiend wirken sollen. Das Reichsgericht hat sich von der Rechtsfigur der Unmöglichkeit auch nicht beeindrucken lassen und ausgeführt: „Betriebs­ störungen, Feuersbrunst - in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch Streik der Arbeiter - kommen nicht bei allen Produzenten gleichzeitig vor, 19 Die Klausel liegt dem Urteil RG v. 26. November 1915, Wameyer 1916,55, zugrunde. 20 So Oßwaldf Auslegung der Kriegsklauseln in Lieferungsverträgen, JW 1915, 230; Saenger, Die Bedeutung der Kriegsklausel in Lieferungsverträgen, Holdheim 1914, 237; Bundschuh, Die Bedeutung der sog. Kriegsklauseln bei Lieferungsverträgen, DJZ 1915, 274; dagegen explizit: Starke, Kriegsklauseln in Lieferungsverträgen, LZ 1915,671 f.

sondern in einzelnen Fabriken und, was Streiks angeht, in Fabriken eines bestimmten Bezirkes. Sie sind also keine Ereignisse, von denen zu befürch­ ten war, daß sie der Verkäuferin, die nicht eine Ware bestimmten Ursprungs verkaufte, die Lieferung unmöglich machen konnte. Dagegen sind sie offen­ sichtlich Ereignisse, welche die von der Verkäuferin für die Lieferung ge­ troffenen Vorbereitungen vereiteln konnten. Danach ist es ausgeschlossen, daß die Beklagte als Verkäuferin durch die streitige Vertragsabrede sich nur für den Fall eines solchen Krieges, Streiks, usw. hat freizeichnen wollen, der ihr die Lieferung unmöglich machte. Sie hat vielmehr bei Eintritt der einzelnen aufgeführten Ereignisse schlechthin frei werden wollen, weil die­ se Ereignisse sehr leicht ihre Vorausberechnungen und Vorbereitungen zur Lieferung vereiteln konnten.“21 Die Klausel sollte also die Lösung der vertraglichen Pflicht erleichtern. Damit ist das Problem erst aufgeworfen. Erkennbar ist, daß nicht jeder Krieg relevant sein kann. Macht die Klausel die Freizeichnung von einem Einfluß des Krieges auf die konkrete Leistung abhängig? Oder ist der gesi­ cherte Schuldner in seiner Entscheidung völlig frei? In den ersten Monaten des Krieges wurde hierüber, vornehmlich in der Juristischen Wochenschrift, eine muntere Debatte geführt.22 Das Reichsgericht formulierte schon früh, in einem Urteil des 2. Senats vom Mai 1915, eine vermittelnde Position. Nur ein solcher Krieg sei für den Schuldner relevant, „von dem sein Betrieb in erheblicher Weise betroffen wurde“, teilt der 2. Zivilsenat mit. Habe der Krieg dieses Gewicht erreicht, dann sei es gleichgültig, ob der Schuldner den konkreten Vertrag, etwa aus bestehenden Vorräten, erfüllen könnte. Denn dieser habe „sich nicht für den Fall seines durch den Krieg hervorge­ rufenen Unvermögens, sondern für den Fall des Krieges freigezeichnet“23 21 RG v. 26. November 1915, Wameyer 1916, 55 (56); ähnlich schon RG v. 16. Novem­ ber 1915, Wameyer 1916,5 (7) für die Klausel: ,Arbeitsausstände ... ferner Mobilmachung, Krieg, Blockade von Ein- und Ausfuhrhafen, unvorhergesehene Unfälle, welche die Produk­ tion verringern oder unmöglich machen, gelten als höhere Gewalt.“ Ergänzend wurde argu­ mentiert, der Relativsatz bezöge sich nur auf den jeweils letztgenannten Umstand. Etwas en­ ger RG v. 8. Juni 1916, Wameyer 1916, 387 (388). Das RG verlangt für die Klausel „Krieg ... und andere unvorhergesehenen Hindernisse, welche die Produktion verringern, verzögern oder unmöglich machen, befreien uns ..." auch im Falle des Kriegs eine tatsächliche Verrin­ gerung oder Verzögerung der Produktion. Bestätigt in: RG v. 4. Juli 1917, Wameyer 1917, 293 (295). 22 Für eine großzügige Freizeichnung: Reiche, JW 1914, 903; Löwenstein, JW 1914, 948; Starke, LZ 1915, 673; für eine enge Auslegung der Klauseln: Bundschuh, DJZ 1915, 274; Düringer, LZ 1915, 10-13; gegen eine Freizeichnung, sofern der Lieferant die Ware unge­ hindert liefern kann: Staadecker, JW 1914, 848; Reigers, JW 1914, 951; Oßwald, JW 1915, 203 und 230; Saenger, Holdheim 1914,220 f. und 237 f. 23 RG v. 20. Mai 1915, RGZ 87, 92 (94); dem Urteil liegt zugrunde: „Feuer, Streik, Be­ schädigung der Maschinen, Mobilmachung, Krieg, Blockade, Aus- und Einfuhrverbot sowie

Das nunmehr anerkannte Recht des Schuldners, unabhängig von konkreten Leistungsschwierigkeiten den Vertrag auflösen zu können, ist zum Teil mit Befremden aufgenommen worden. Man sah, daß der gesicherte Schuldner selbst vorhandene Warenlager zu neuen, regelmäßig bedeutend höheren Preisen verkaufen konnte, anstatt sie seinen alten Gläubigern zur Verfügung stellen zu müssen.24 Ein Gewinn auf Kosten der Gläubiger also? Die Frage wurde tatsächlich gestellt. Aber nur der einzelne Vertrag kann zu solch einer Frage verleiten. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht waren gerade die Ver­ wender der Klausel nicht selten die eigentlichen Opfer. Die Kriegsklausel wurde im entschiedenen Fall in einer Großmühle verwendet, die zum größ­ ten Teil ausländisches Getreide vermahlen hat. Ein in hohem Maße impor­ tabhängiges Gewerbe also. Wirtz erläutert in einer Besprechung des Urteils die in der Branche angestellten Überlegungen: „Wenn der Verkäufer die Kriegsklausel in seine Verträge aufnimmt, sich also für den Fall des Krieges den Rücktritt vorbehält, so geschieht dies deshalb, weil er sich sagt, daß der Krieg regelmäßig völlig veränderte Verhältnisse bringt, die sich im Voraus nicht überblicken lassen. Gegenüber diesen veränderten Verhältnissen will er nicht durch alte Verträge gebunden sein. Er will berechtigt sein, alte Ver­ träge aufzuheben, um sich alsdann zunächst neu orientieren zu können. Auf Grund dieser Neuorientierung wird er seine Verfügungen treffen und, soweit es möglich ist, von neuem anfangen, Geschäfte zu machen.“25 Selbst der schlichte Vorbehalt der „höheren Gewalt“ oder, wie in Fern­ handelskreisen üblicher, der „force majeure“ ist in diesem Sinne ausgelegt worden 26 Das Reichsgericht gestattete dem Schuldner die Berufung auf derartige Vorbehalte, „wenn sein Betrieb durch den Krieg ernstlich betrof­ fen oder gestört worden ist“.27 Kritisch wurde es für den Schuldner nur, sonstige Fälle höherer Gewalt vorbehalten.“ Bestätigt in RG v. 14. Dezember 1915, Warneyer 1916, 57 (58) für gleichlautende Klausel; RG v. 23. Juni 1916, Holdheim 1916, 186; RG v. 23. Januar 1917, Holdheim 1916,149 (151); RG v. 9. Februar 1917, Holdheim 1917, 94 (96); RG v. 19. Oktober 1917, Holdheim 1918, 144 (145). Enger RG v. 8. Juni 1916, Wameyer 1916,387 (388) für die Klausel: „Krieg ... befreien uns für die Dauer der Behinde­ rung von der Einhaltung der vereinbarten Lieferzeit.“ 24 Kritisch insbesondere: Dicken, JW 1915,741; Saenger, Holdheim 1914,238. 25 Wirtz, Zur Frage der Auslegung der Kriegsklausel, JW 1915,900. 26 Für die Klausel: „Streik, Betriebsstörungen, force majeure befreien die Verkäuferin von der Verbindlichkeit rechtszeitiger Lieferung“: RG v. 17. Dezember 1915, Wameyer 1916, 58 (59); bestätigt in: RG v. 14. April 1916, Holdheim 1916, 167; RGv. 19. Oktober 1917, Holdheim 1918,144 (145); für die Klausel „Betriebsstörungen, Streiks sowie alle Fälle höhe­ rer Gewalt entbinden uns von der Erfüllung der Lieferung": RG v. 24. Oktober 1916, Hold­ heim 1917,69. 27 Für die Klausel: „Force majeure befreit den Verkäufer von der Erfüllung des Kontrak­ tes“: RG v. 7. Juli 1916, JW 1916,1408 (1409); bestätigt in: RG v. 11. Juli 1916, Holdheim 1916, 249 (250); RG v. 13. Juli 1916, JW 1916, 1333 (1334). Die Vorinstanzen verlangten

wenn seine Klausel weder den Krieg noch die force majeure aufführte und sich statt dessen mit einer Auflistung einzelner, besonders typischer Be­ triebsstörungen begnügt hatte. Der 2. Senat wollte diese Betriebsstörungen dann sehr eng verstanden haben; der 1., der 3. und der 6. Senat urteilten hier großzügiger.28 Schrankenlos wurde die Klausel freilich nicht anerkannt. Eine erste Schranke wurde bereits benannt. Die Kriegs- wie die force-majeure-Klausel ermöglichen in der Regel die Freizeichnung nur im Falle einer erheblichen Betriebsstörung. Auch für die eingangs zitierte Vertragsklausel hat das Reichsgericht festgestellt, der Krieg müsse auf den Betrieb des Schuldners „erheblich störend einwirken“.29 Besonders wichtig wurde das Kriterium der erheblichen Störung nicht. Bereits zum Zeitpunkt der ersten Urteile hatte sich der Krieg als ein umfassendes, die wirtschaftliche Lage grundle­ gend änderndes Ereignis herausgestellt. Mit der Begründung konnte also kaum eine Freizeichnung abgelehnt werden, und in der Tat gibt es kein höchstinstanzliches Urteil, das den Schuldner wegen mangelnder Erheblich­ keit der Störung zur Leistung angehalten hätte. Bedeutung erlangte eine an­ dere Schranke. Das Reichsgericht sprach sich dafür aus, daß „Fabrikations-, Betriebs- oder sonstige Lieferungserschwerungen, die schon zur Zeit des Vertragsschlusses bestanden, von der Freizeichnung ausgeschlossen sein sollen“.30 Das Problem stellte sich, weil die bereits in den Vorkriegsverträ­ gen formularmäßig vorgesehenen Kriegsklauseln nach Kriegsausbruch weiter verwendet wurden.31 Das Gericht stand vor der Wahl: Sollte die Klausel den Schuldner von der Lieferpflicht vollständig freistellen oder sollten nur neue, womöglich nur unvorhergesehene Probleme die Leistungs­ pflicht beseitigen können? Das Reichsgericht tendierte zu einer engen Aus­ hier sämtlich Unmöglichkeit. Ähnlich das OLG Hamburg v. 14. Februar 1916, LZ 1916,701, Nr. 8 angesichts der Klausel: „Force majeure befreit den Verkäufer von der Erfüllung des Kontraktes“. Der Schuldner sei befreit, „wenn und soweit infolge des Krieges einem Teile ohne eigenes Verschulden die Erfüllung gar nicht oder nur unter Aufwendungen möglich ist, deren Höhe jedes verständige Maß überschreitet“. 28 2. Zivilsenat: RG v. 4. Juli 1917, Wameyer 1917, 293 (295); LZ 1918, 377; 1. Senat: RG v. 26. Januar 1918, Wameyer 1918, 71 (73); 3. Senat: RG v. 29. Oktober 1918, RGZ 94, 80 (81 f.); 6. Senat: RG v. 21. März 1921, Wameyer 1921,102 (102 f.). 29 RG v. 26. November 1915, Wameyer 1916, 55 (56 f.); vgl. noch: RG v. 17. Dezember 1915, Wameyer 1916, 58 (59); RG v. 14. April 1916, Holdheim 1916, 167; RG v. 11. Juli 1916, Holdheim 1916, 249 (250); RG v. 24. Oktober 1916, Holdheim 1917, 69; RG v. 23. Januar 1917, Holdheim 1916,149 (150); RG v. 19. Oktober 1917, Holdheim 1918, 144. Restriktiv urteilte insbesondere das OLG Stuttgart: Urteil v. 4. Mai 1916, Recht 1916, 400, Nr. 748: kein Fall der Kriegsklausel, wenn trotz Betriebsstörung der Schuldner den konkreten Vertrag aus Lagerbeständen oder sonst ohne erhebliche Opfer erfüllen kann. 30 RG v. 18. März 1920, Wameyer 1920,169. 31 Darauf weist hin: Starke, Lieferungsverträge, S. 91.

legung der Klauseln. Das erste Opfer war ein Händler, der am 3. August 1914 die Lieferung russischer Ware versprach und mit der Klausel: un­ vorhergesehene Vorfälle entbinden uns von jeder Verpflichtung ..." hinrei­ chend geschützt zu sein glaubte. Die deutsche Kriegserklärung an Rußland war bei Vertragsschluß bereits zwei Tage alt. Der Händler hoffte, die Waren via England dennoch beziehen zu können. Nun begann aber just am 3. Au­ gust 1914 der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien, worauf prompt, am 4. August, die britische Kriegserklärung erfolgte. Berufungs- und Reichsge­ richt stellten sich auf den Standpunkt, angesichts der Lage sei „jedenfalls mit weiteren kriegerischen Verwicklungen, besonders auch mit der Mög­ lichkeit der Kriegserklärung Englands allgemein gerechnet worden, möch­ ten auch die Auslassungen einzelner Zeitungen anders gelautet haben“. Ergo sei der Händler „nicht in der Lage, irgendwelche durch den Krieg [...] ein­ getretene Erschwerungen geltend zu machen“.32 Später wurde nicht mehr ganz so rigoros geurteilt. Doch das Kriterium der nachvertraglichen und unvorhergesehenen Entwicklung blieb.33 Noch eine dritte Hürde wurde von dem Reichsgericht aufgestellt. Die Rechte aus der Klausel sollten in angemessener Zeit geltend gemacht wer­ den, das gebiete Treu und Glauben, das sei aber auch dem regelmäßig be­ grenzten Zweck der Klausel zu entnehmen: „Gemäß dem Zwecke der Kriegsklausel muß ihm [dem Freizeichnungsberechtigten] also eine Frist zur Erklärung zustehen, die ihm ermöglicht, die für ihn durch den Krieg ge­ schaffene Lage zu überblicken. Keineswegs aber fordert das durch die Klau­ sel zu schützende Interesse, daß er die weitere Entwicklung der Verhältnisse unbestimmte Zeit hindurch ab wartet und sein Entschluß danach einrichtet, ob die spätere Bewegung der Preise die Erfüllung oder die Aufhebung des Vertrags vorteilhafter macht.“34 Nicht selten bescheinigten die Gerichte dem 32 RG v. 26. September 1916, Wameyer 1916, 436 (437); ähnlich schon OLG Kiel in OLGE 32,325; vgl. noch RG DJZ 1916,1166 (1167). 33 Der 1. Zivilsenat verweigerte einem Händler ostindischen Zwirns die Freizeichnung mit den Worten: „Der Abschluß sei während der Dauer des Krieges (Anfang September 1914) erfolgt. Deshalb könne sich die Klausel nicht auf solche Störungen beziehen, mit deren Eintritt oder Steigerung die Parteien bei Abschluß schon hätten rechnen müssen.“ RG v. 1. Mai 1918, Wameyer 1918,162 (163); vgl. noch RG v. 30. Oktober 1917, Holdheim 1919, 28; RG v. 18. März 1920, Wameyer 1920, 169; RG v. 1. Juli 1920, Wameyer 1921, 6; nach RG v. 6. Juni 1916, Wameyer 1916, 390 (392) erfaßte die Klausel „... Ausfuhrverbot und si­ chere Ankunft der Ware in Deutschland vorbehalten“ nur unbekannte Hindernisse im Handel mit Holland, nicht aber die bereits bekannten Risiken der Lieferung von Indien nach Holland. 34 RG v. 29. Februar 1916, RGZ 88, 143 (145); RG v. 8. Dezember 1916, Holdheim 1917,69 (70): drei Monate waren demnach zuviel; RG v. 9. Februar 1917, Holdheim 94 (95): 6 Wochen wurden zugelassen; ähnlich wie ein langes Zuwarten konnte auch die Ankündi­ gung der Leistung wirken: RG v. 21. November 1916, Wameyer 1917, 3 (4); RG v. 4. April 1922, Wameyer 1922,110 (111).

Freizeichnungsberechtigten, er habe die ihm in der Klausel eingeräumte Ge­ staltungsmöglichkeit mißbraucht, um auf Kosten des Vertragspartners zu spekulieren.35 Die verzögerte Berufung auf die Klausel konnte aber natür­ lich auch ganz andere Gründe haben. Hatte der Berechtigte sich nur beson­ ders lange darum bemüht, den Vertrag solange und soweit wie möglich zu erfüllen, so sollte ihm dies nicht zum Verhängnis werden.36 Zudem sollte die Präklusion nach dem Willen des Reichsgerichts allenfalls bereits einge­ tretene und überschaubare Umstände erfassen. Tauchten später neue und für die Klausel relevante Umstände auf oder waren die durch den Krieg einge­ tretenen konkreten wirtschaftlichen Schwierigkeiten erst später richtig zu überblicken, dann konnte der Schuldner durchaus auf die Klausel zurück­ kommen.37

b) Der Geltungsvorbehalt der Klausel „freibleibend''

Die Kautelarjurisprudenz reagierte auf die immer unsicherer werdende wirt­ schaftliche Lage mit einer neuen Klausel. Die Klausel „freibleibend" sollte den Versprechenden nun vor den Unbillen der Zeit schützen. Der Begriff war nicht neu. Schon länger wurde er gebraucht, wenn der Anbieter die Bindung an seine Offerte noch etwas hinauszögern wollte. Bereits vor dem Krieg war umstritten, in welchem Umfang das mit einem „freibleibend" mitgeteilte Angebot möglich war. Nach der einen Ansicht sollte der Anbie­ ter die Gestaltungsmacht lediglich bis zur Annahme seiner Offerte behalten. Nach anderer Ansicht sollte das freibleibende Angebot dem Anbieter er­ möglichen, die eingegangenen Bestellungen nach eigenem Belieben anzu­ nehmen oder zu verweigern.38 Völlig ungebunden durfte er sich aber auch hier nicht fühlen. Wenigstens eine Ablehnung sollte er unverzüglich mittei­ len, da er sonst riskierte, daß der Vertrag gleichwohl als zustande gekom­ men betrachtet werden würde. Eine Umfrage bei 30 deutschen Handels- und Gewerbekammern brachte für 1920 ein disparates Bild zum Vorschein. Le­ 35 RG V. 19. Januar 1917, LZ 1917, 729, Nr. 3; RG v. 25. September 1917, Holdheim 1918,65 (65 f.); RG v. 9. November 1917, RGZ 91,108 (109); der Vorwurf konnte auch die andere Seite treffen, wenn ein verspätetes Berufen auf die Klausel nicht rechtzeitig gerügt wurde: RGZ v. 23. Mai 1916, RGZ 88,261 (263). 36 3. Zivilsenat: RG v. 6. Dezember 1918, Wameyer 1919, 35 (36); 1. Zivilsenat: RG v. 20. Dezember 1919, Wameyer 1920, 91 (92); RG v. 20. November 1920, RGZ 100, 258 (263). 37 RG v. 28. Juni 1918, Wameyer 1918,260 (261). 38 Übersicht bei Oertmann, BGB, 5. Auflage, Anm. 3 b) zu § 145 BGB; Planck, BGB, 4. Auflage, Anm. 5 zu § 145; v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teilbd. 1, S. 467 f.; für die Freiheit über die Annahme hinaus sprachen sich insbesondere aus: ROHG v. 1. Oktober 1874, ROHGE 14, 81; OLG München v. 1. Mai 1916, OLGE 32,353 (354); OLG Hamburg, LZ 1915,1330, Nr. 8.

diglich zwei Kammern teilten mit, die von ihnen vertretenen Firmen wollten damit bis zur definitiven Annahme frei bleiben. Von den restlichen 28 wollten immerhin 16 Kammern einen Vertragsschluß annehmen, sofern der Anbieter sich auf eine Annahmeerklärung nicht unverzüglich erklärt. Sieben Kammern wollten dem Anbietenden noch darüber hinaus freie Hand lassen, während vier von verschiedenen Anschauungen der von ihnen vertretenen Firmen berichteten.39 Das Reichsgericht entschied schließlich, daß der An­ bietende nach „Treu und Glauben“ verpflichtet sei, „auf eine dem „freiblei­ benden’ Angebote entsprechende unverzügliche Bestellung gleichfalls ohne schuldhaftes Zögern zu antworten“.40 In der wirtschaftlichen Situation bei Kriegsende barg selbst eine Ent­ scheidung kurz nach der Angebotsannahme noch erhebliche Risiken. Je län­ ger die Erfüllung sich hinzuziehen drohte, um so unkalkulierbarer wurde das Risiko. Insbesondere wenn die versprochene Ware erst noch hergestellt werden mußte, konnte der Pflichtige kaum überschauen, wieviel ihn die Herstellung tatsächlich kosten würde. Die Preise für Rohstoffe und Energie stiegen beständig, und die Entwicklung der Löhne für die knapp werdenden Arbeitskräfte ging ausgesprochen sprunghaft vonstatten. Eine Kalkulation, die diese Risiken berücksichtigte, trieb zwangsläufig die Preise unangemes­ sen in die Höhe und beeinträchtigte die Konkurrenzfähigkeit. Viele Anbieter wollten deshalb nicht schon kurz nach der Annahmeerklärung, sondern erst unmittelbar vor der Lieferung entscheiden, ob und zu welchen Konditionen der Vertrag gelten solle. Mit dem Vorbehalt „freibleibend“ hofften sie, nicht nur das Angebot, sondern den geschlossenen Vertrag selbst relativieren zu können. Nun sollte der gesamte, bis zur Erfüllung reichende Zeitrahmen unter Vorbehalt stehen. Die Klausel wurde also ein fester Bestandteil des Vertrags selbst. Zum Teil wurden die festgelegte Preisvereinbarung oder die Erfüllungszeit von der Bindungskraft ausgenommen und dem Schuldner zur späteren Gestaltung zugewiesen. Insbesondere nach dem militärischen Zu­ sammenbruch und der mit diesem einhergehenden Phase der politischen Umwälzungen wurden diese Fälle des Vorbehalts häufig verwendet, so häu­ fig, „daß man sagen muß, daß sie in vielen Geschäftszweigen zur Regel ge­ worden sind“.41 Die Erfüllung schien im Belieben des Schuldners zu stehen.

39 Mitgeteilt von: Starke, „Freibleibend“, JW 1920,473. 40 RG v. 28. Januar 1921, JW 1921, 393; bestätigt in: RG v. 3. Juni 1921, RGZ 102, 227 (229 f.); vgl. noch K. H. Maier, „Freibleibend“, HansGerZ 1923,1 f. 41 Starke, „Freibleibend", JW 1920, S. 473; vgl. noch: Mitteilung der Handelskammer zu Berlin 18 (1920), S. 329 f., auszugsweise in: JW 1921, S. 158 f.; Dove, Die Krisis des Ver­ tragsrechts II. Die Klausel „Freibleibend“, RuW 1921, 98-101; RG v. 3. Juni 1921, RGZ 102,227 (228); RG v. 14. Februar 1922, RGZ 103,414 (415 f.).

Man kann durchaus Zweifel haben, ob dergestalt vorbehaltene Verträge überhaupt wirksam zustande gekommen sind. Zwar ist gegen freie Kündi­ gungsrechte nichts einzuwenden, und die Vertragsfreiheit läßt sich auch noch zugunsten dieser Vertragsklausel anführen. Die Klausel begnügt sich aber regelmäßig nicht mit einem schlichten Rücktrittsrecht. Lautet die Klau­ sel „Zeit und Art der Lieferung freibleibend“, dann will der Lieferant eine Gestaltungsmacht, die über die Kündigung des Vertrags weit hinausgeht. Mit den Klauseln „Preise freibleibend“, „Preiserhöhung vorbehalten“, „Prei­ se am Tag der Lieferung“42 soll die Gestaltungsmacht sogar die essentialia des Vertrages erfassen. Der Gläubiger weiß noch gar nicht, wieviel ihn die Leistung kosten wird. Und dennoch soll er gebunden sein? Nach Gemeinem Recht hatte das Reichsgericht entschieden, ein Vertrag, der die Erfüllung in die „nackte Willkür“ des Schuldners stelle, sei nichtig. Nur sofern der Be­ rechtigte sein Gestaltungsrecht nach „billigem Ermessen“ auszuüben habe, war das Reichsgericht damals geneigt, anders zu entscheiden.43 Das BGB sah hier keine besondere Regelung vor. In § 315 Abs. 1 BGB wird aber im­ merhin von einem hinsichtlich der Leistung bestimmungsberechtigten Ver­ tragspartner wenigstens „im Zweifel“ eine billige Entscheidung erwartet. Widrigenfalls soll, Abs. 3 der Norm, das Gericht gestaltend eingreifen. In der Literatur wurde deshalb angeregt, die Klausel im Grunde anzuerkennen, aber von dem Gestaltungsberechtigten generell eine billige Entscheidung zu fordern 44 Das Reichsgericht sollte durchweg in diesem Sinne judizieren. Noch im November 1922 bestätigte der 2. Senat: „Auch die Vereinbarung gleitender Preise ist durchaus zulässig, wenn nur die schließliche Preisbe­ stimmung objektiver Nachprüfung standhält, und jede Willkür des Verkäu­ fers zum Schaden des ihm ohnmächtig gegenüberstehenden Käufers ausge­ schlossen ist.“45 Teilweise wurden die Klauseln von dem Reichsgericht aber

42 Mitteilungen der Handelskammer zu Berlin 18 (1920), S. 330. 43 RGZ 40, 195 (199); nach BGB ähnlich: RG v. 22. September 1906, RGZ 64, 114 (116); RG v. 14. Februar 1922, RGZ 103,414 (415). 44 Hueck, Vorbehalt der Preiserhöhung bei Lieferungsverträgen, Holdheim 1919, 50; Starkef „Freibleibend“, JW 1920, 474 f.; Dove, Die Krisis des Vertragsrechts II. Die Klausel „Freibleibend“, RuW 1921, 100; zumindest für den Preis: K. H. Maier, „Freibleibend“, HansGerZ 1923,3 f. 45 RG v. 17. November 1922, RGZ 105, 368 (370 f.); für den 6. Zivilsenat: RG v. 26. Januar 1922, RGZ 104,114 (116); RG v. 9. März 1922, Wameyer 1922, 71 (72); für den 3. Zivilsenat: RG v. 9. Mai 1922, RGZ 104, 306 (307); für den 1. Zivilsenat: RG v. 22. Februar 1922, RGZ 104, 98 (102); in diesem Sinne schon: RG v. 22. September 1906, RGZ 64,114(116).

sehr eng ausgelegt;46 zum Teil bevorzugte es eine reine Mißbrauchskon­ trolle47 Darüber hinaus war die Rechtsprechung großzügig. Der Geltungsbereich der Klauseln wurde, anders als bei den Kriegsklauseln, nicht auf unvorher­ sehbare Entwicklungen begrenzt. Die Klausel beinhaltete eben keinen Freizeichnungs-, sondern einen Geltungsvorbehalt und als solcher wurde er auch von den Gerichten akzeptiert. Man suchte lediglich das Bestimmungsrecht des Verwenders einzugrenzen. Ein einmaliges Bestimmungsrecht sollte re­ gelmäßig genügen. Wer „zu einer Zeit, wo die Lieferung in naher Aussicht steht“, die Vereinbarung konkretisiert, etwa einen höheren Preis mitteilt, muß sich nun daran festhalten lassen. Der andere solle sich „im Interesse der Sicherheit des Verkehrs nun darauf verlassen können, daß er die Lieferung zu dem geforderten Preise auch wirklich erhält“.48 Anfangs neigte man da­ zu, die Klausel im hergebrachten Sinne zu interpretieren. Die Absicht der Geltungsbeschränkung sollte „in klarer, nicht mißzuverstehender Weise“ zu erkennen gegeben werden49 und sei „als Freizeichnung eng auszulegen“.50 Doch mußten diese Kriterien um so großzügiger gehandhabt werden, je weiter die Klauseln Verbreitung fanden und je wichtiger sie wurden, um vertragliche Bindungen im Handels- und Wirtschaftsverkehr wenigstens ru­ dimentär aufrechterhalten zu können. Schließlich wurde es dem Schuldner gar zum Vorwurf gemacht, wenn er es unterlassen hatte, sich dergestalt zu sichern. Einen entsprechenden Handelsbrauch mochte die Rechtsprechung aber bis zuletzt nicht anerkennen, weil „eine solche Handelssitte wegen der damit verbundenen Gefährdung der Verkehrssicherheit einen Mißbrauch darstellen und deshalb keine Berücksichtigung finden würde“.51 Soweit mußte es nicht kommen. Die Berliner Handelskammer sah hierin nur eine Übergangserscheinung und empfahl, die Klausel nur dann anzuwenden, wenn sie infolge der unsicheren wirtschaftlichen Grundlagen nicht vermie­ den werden könne.52 Auch die verarbeitende Industrie drängte im Winter

46 RG v. 26. Januar 1922, RGZ 104,114 (116); RG v. 9. März 1922, Wameyer 1922, 71 (72); RG v. 9. Mai 1922, RGZ 104,306 (307). 47 RG v. 22. Februar 1922, RGZ 104,98 (102). 48 RG v. 7. März 1922, Wameyer 1922, 108 (109) = RGZ 104, 170 (171); vgl. RG v. 11. Juli 1922, Wameyer 1922,139 (140). 49 RG v. 3. Juni 1921, RGZ 102,227 (228). 50 RG v. 14. Februar 1922, RGZ 103, 414 (415); vgl. RG v. 8. Dezember 1920, RGZ 101, 74 (75): im Zweifel bezieht sich der Vorbehalt nur auf das Angebot und reicht nicht über den Vertragsschluß hinaus. 51 RG v. 11. Mai 1920, JW 1920, 642, Nr. 8; vgl. RG v. 11. Juli 1922, Wameyer 1922, 139 (140). 52 Mitteilungen der Handelskammer zu Berlin, 18 (1920), S. 331.

1921/22 bereits wieder zu festen Preisen zurück, was sie wenige Monate später bitter bereuen sollte. c) Die Gefahrtragungsklauseln Vor Zukunftsrisiken konnten nicht nur Freizeichnungs- und Bindungsvor­ behalte schützen. Die Parteien haben auch die Möglichkeit, die mit der Lei­ stungserbringung einhergehenden Risiken zu regeln. Man spricht in diesen Fällen gern von einem Gefahrübergang. Der Begriff der Gefahr hat mit dem Vertragsrecht an sich nichts zu tun. Er besagt lediglich, daß der Eigentümer einer Sache, aber auch der Inhaber einer sonstigen wirtschaftlichen Position die mit der Innehabung, Realisierung und dem Verlust dieser Position zu­ sammenhängenden Risiken zu tragen hat. Das ist nicht Ergebnis eines Rechtssatzes, sondern pure Faktizität. Das Recht setzt erst dort ein, wo dies nicht mehr der Fall sein soll, etwa bei einem Drittverschulden oder bei einer abweichenden vertraglichen Regelung. Ein Vertrag schafft eine wirtschaftliche Position, die eigenen Gefahren ausgesetzt sein kann. Der Gläubiger trägt eine Gefahr hinsichtlich der Fä­ higkeit des Schuldners, die versprochene Leistung bewirken zu können. Nur in diesem Bereich hat er eine risikobehaftete Position; erst wenn die Lei­ stung erbracht ist, lebt das mit der Person des Schuldners verbundene Risiko in der Sache fort. Der Schuldner wiederum behält, solange er den Lei­ stungsgegenstand nicht zur Erfüllung eingesetzt hat, die mit diesem verbun­ denen Risiken. Der Eingriff des Krieges ist hier wenig dramatisch. Die Si­ tuation ändert sich erst, wenn die mit dem Leistungsgegenstand verbundene Gefahr auf den Gläubiger übergeht, ohne daß dieser von der vertragsbe­ dingten Gefahr erlöst wird. Im Kaufrecht droht aber genau diese Situation. Das Risiko der Sache übernimmt der Käufer bereits mit der Übergabe, § 446 Abs. 1 BGB. Auf die Übereignung, also die vollständige Erfüllung, will das Gesetz nicht warten. Das ist nicht gravierend, da insofern die Gefahr gerade nicht übergeht. Für die Freiheit von Rechtsmängeln bleibt der Zeitpunkt der Eigentumsverschaffung maßgeblich, § 434 BGB. Wenn der Käufer das Ri­ siko noch früher übernimmt, wird dieser Zusammenhang von Risiko und Er­ füllung - Huber nennt es das synallagmatische Prinzip53 - allerdings gelöst. § 447 Abs. 1 BGB setzt an die Stelle der Übergabe die Versendung, sofern der Käufer diese verlangt hatte. Die Parteien können weitere Distanzge­ schäfte in diesem Sinne regeln. Der Gläubiger gibt sich im Bereich des übernommenen Risikos mit einem Bemühen des Schuldners zufrieden, un­ abhängig davon, ob bei ihm der im Grunde immer noch geschuldete Erfolg eintreten wird oder nicht. Mit Folgen. Der Gläubiger riskiert nicht allein die 53 Soergel/Huber, BGB, 12. Auflage, Vor § 446, Rn. 14.

erwartete Leistung, er riskiert auch und vor allem, die Gegenleistung fruchtlos weggeben zu müssen. Die Wirkung auf die Gegenleistungspflicht, die sogenannte Gegenlei­ stungsgefahr, läßt die Parteien nur selten zu dem Mittel des vorzeitigen Ge­ fahrübergangs greifen. § 447 BGB gibt aber den Weg vor. Durch diese Norm wurden die Parteien gezwungen, eine hiervon abweichende Regelung selbst zu treffen. Vorwiegend im Überseehandel der Zeit waren besondere Transportabreden gängig. Hier wurde differenziert zwischen Ablade- und Ankunftsgeschäften. Im Abladegeschäft ist der Hafen, in dem abgeladen, al­ so die Ware an Bord des Schiffes gebracht wird, Erfüllungsort; das An­ kunftsgeschäft sieht dagegen den benannten Bestimmungshafen vor. Die Rechtsprechung hatte sich infolge des Kriegsausbruchs verstärkt damit zu beschäftigen, in welchem Sinne die gängigen Vertragsklauseln verwandt wurden. Zwei Grundtypen herrschten vor: die cif- und die fob-Klausel; da­ neben gab es noch diverse frei- und franco-Klauseln. Alle Klauseln be­ schäftigen sich vorderhand mit den Transportkosten. Durch die fob-Klausel verspricht der Verkäufer, die Ware auf eigene Kosten zum Schiff zu liefern (free cm board). Die Rechtsprechung wollte einen reinen Versendungskauf annehmen, d. h. der Käufer sollte das Risiko tragen, auch wenn die Ware das Schiff noch nicht erreicht hatte.54 Das wurde nicht selten kritisiert, unter Hinweis auf ein abweichendes Verständnis im Handel. Seit einem Urteil des Reichsgerichts vom Januar 1923 erkannte auch die Rechtsprechung in der fob-Klausel eine Gefahrtragungsklausel, die bis zum Schiff die Gefahr dem Verkäufer und von da an dem Käufer aufbürdet.55 Mit der cif-Klausel über­ nimmt der Verkäufer zusätzlich die Kosten der Verladung, der Transport­ versicherung und der Verfrachtung (cost, Insurance, freight). Unisono woll­ ten die Gerichte dem Verkäufer dennoch die Gefahr des Transports nicht aufbürden. In aller Regel wurde das cif- Geschäft wie ein Abladegeschäft behandelt 56 Die Klauseln „franco", „frei" betrafen ebenfalls die Transport­ kosten. In Verbindung mit einem Bestimmungsort sollten diese Klauseln, insofern gerade anders als das cif-Geschäft, einen vorzeitigen Gefahrüber­ gang abwenden können; sie wurden also als Ankunftsgeschäfte interpretiert.

54 Adler, Kriegsunmöglichkeit, Fob-Klausel und Versendungspflicht des Verkäufers, JW 1916, 1106 f.; OLG Hamburg v. 7. Dezember 1915, Recht 1916, 81, Nr. 141; vgl. Leo, Übersicht der Kriegsrechtsprechung zum Abladegeschäft, HansGerZ 1918, 283-287; aus neuerer Zeit noch: Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf, S. 136, mit Nachweis der älteren Rechtsprechung in Fn. 272. 55 RG v. 19. Januar 1923, RGZ 106,212 (213). 56 RG v. 2. Juli 1915, RGZ 87, 134 (135); RG v. 9. Mai 1916, Wameyer 1916, 250, 251 f.; RG v. 12. Mai 1916, Wameyer 1916, 303 (304); vgl. Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf, S. 112.

Anders bei der Klausel „frachtfrei", die eine reine Spesenklausel bleiben sollte. Generell neigte das Reichsgericht dazu, ungeachtet der Kostenklau­ seln möglichst weitgehend auf § 447 BGB zuzugreifen.57 Die großzügige Anwendung des § 447 BGB korreliert mit einer restrikti­ ven Interpretation der hierdurch ausgelösten Rechtsfolgen. Mehrmals be­ tonte das Reichsgericht, der Käufer solle nur bestimmte Risiken tragen: „Die Gefahr, die beim Versendungskaufe nach § 447 BGB auf den Käufer übergeht, ist die Gefahr der Versendung.“58 Mit dem Begriff der Versen­ dungsgefahr verband man zwei einschränkende Kriterien. Die Gefahr sollte einen unmittelbaren Bezug zu der Versendung aufweisen. Sie sollte aber auch, so wurde der systematische Zusammenhang zu § 446 BGB gesehen, aus dem körperlichen Bestand der Sache selbst resultieren.59 Diese Diffe­ renzierung nach der Herkunft der Risiken findet sich noch heute in der Lite­ ratur, wenn sie auch längst umstritten ist.60 In der Tat ist der partielle Über­ gang der Gefahr nicht unangreifbar. Wenn der Schuldner durch eine ord­ nungsgemäße Versendung bzw. Abladung erfüllen durfte, dann darf er sich so behandeln lassen, wie wenn er die Sache dem Käufer übergeben hätte. Er hat im Falle ordnungsgemäßer Versendung bzw. Abladung alles Erforderli­ che getan. Hier zusätzlich nach Versendungs- und allgemeinen Risiken zu unterscheiden scheint unangebracht. Bei Lichte betrachtet hat das Reichsge­ richt dies aber auch nicht getan. Aufgeworfen wurde die Frage nur in einem ganz speziellen Fall: dem der Beschlagnahme. In der Beschlagnahme reali­ siert sich zunächst gar kein Risiko. Die Beschlagnahme ist ein bewußter Rechtsakt, der dem Verkäufer die Rechtsmacht völlig entzieht oder aber, was damals häufiger passierte, mit einem Veräußerungsverbot belegt. Der Verkäufer wird gehindert, die Sache zu übereignen und einer Pflicht nach­ zukommen, die unabhängig von der Übergabe und der mit dieser einherge­ henden Gefahr existierte. Die Rechtsprechung vermißte in diesen Fällen zu­ nächst auch nur die Übereignung, ohne den Gefahrübergang zu thematisie­ ren.61 Später wurde hervorgehoben, daß § 447 BGB an der Übereignungs­ 57 Vgl. RG V. 19. Januar 1923, RGZ 106,212 (214). 58 RG v. 1. Oktober 1918, RGZ 93, 330 (331 f.); RG v. 7. Februar 1920, Wameyer 1920, 121 (122 f.); RG v. 23. November 1922, RGZ 106,16 (17). 59 In diesem Sinne schon: OLG Hamburg v. 7. Dezember 1915, Recht 1916, 81, Nr. 141; OLG Hamburg v. 10. Februar 1917, HansGerZ 1917,191 (192): „Die §§ 447, 446 BGB be­ handeln nur die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung der Sache.“ OLG Stuttgart v. 4. April 1917, Recht 1917,519, Nr. 965; OLG Stuttgart v. 13. April 1917, Recht 1917,268, Nr. 539. 60 Zum Meinungsstand: Staudinger/Köhler, BGB, 13. Auflage, § 447, Rn. 17; Soergel/Huber, BGB, 12. Auflage, Rn. 63-68; Reinhard, Die Gefahrtragung beim Kauf, S. 171 f. 61 OLG Dresden v. 18. Januar 1917, DJZ 1917,619; RG v. 12. Dezember 1917, JW 1918, 218 (219): in beiden Fällen war die Klausel „Game aus verwendungsfreiem Material“ streit­

pflicht nichts ändern könne.62 Auf ungeteilte Zustimmung stieß diese Recht­ sprechung nicht.63 Die Kritiker sahen in der Rechtsänderung eine Gefahr, die durchaus kraft § 447 BGB auf den Käufer übergehen könne. Der Ver­ käufer solle bereits mit der Versendung so gestellt werden, als habe er er­ füllt. Auch wenn man diese großzügige Auslegung des § 447 BGB nicht teilt, so warf doch die von der Rechtsprechung bevorzugte Isolierung der Übereignungspflicht Fragen auf. Eine Beschlagnahme der Sache verhinderte nicht nur deren Übereignung, sie vereitelte regelmäßig auch die Übergabe. Nicht selten ging die Beschlagnahme durchaus mit einem faktischen Entzug einher. Spätestens diese Gefahr war aber nach § 447 BGB zu beurteilen. Das Problem wurde zuerst vom OLG Hamburg64 und, freilich erst viel später, vom Reichsgericht65 angesprochen. Beide Gerichte kamen allerdings nicht in die Verlegenheit, zwischen dem faktischen und dem rechtlichen Charak­ ter der Beschlagnahme gewichten zu müssen. Nach Casper sollte § 447 BGB nur bei solchen Beschlagnahmen wei­ chen, die gemäß § 134 BGB das Rechtsgeschäft vernichteten. Er glaubte, in diesem Sinne die entschiedenen Fälle erklären zu können.66 Dabei verkannte Casper aber die damalige Praxis der Beschlagnahme. § 134 BGB wurde nur ganz selten angewandt, in den zitierten Entscheidungen nicht einmal er­ wähnt. Das hatte seinen Grund. Der Eigentümer konnte die Sache durchaus freibekommen. Nicht selten wurden die Beschlagnahmen schon nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. Das Gut war dann entweder für die Kriegswirt­ schaft unwichtig oder aber der Eigentümer vermochte zu belegen, daß es der Kriegswirtschaft ohnehin zugeführt werden würde.67 Gleichwohl: hier steckt entscheidend, der § 447 BGB wurde nicht problematisiert; vgl. noch RG v. 1. Oktober 1918, JW 1919,182 (183). 62 RG v. 7. Februar 1920, Wameyer 1920, 121 (122 f.); RG v. 30. Mai 1921, Wameyer 1921, 137 (138); dort wurden noch erwähnt: RG v. 28. April 1920, V 468/19; RG v. 29. September 1920, V 145/20; RG v. 23. November 1922, RGZ 106, 16 (17); so schon: OLG Hamburg: OLG Hamburg v. 10. Februar 1917, HansGerZ 1917,191 (192); OLG Ham­ burg v. 5. Dezember 1918, HansGerZ 1919, 46 (47); OLG Hamburg v. 28. April 1920, HansGerZ 1920,167 (168). 63 Zustimmend äußerten sich: König, Der Eigentumsübergang bei dem Versendungskau­ fe, HansRZ 1919,118; Plum, Anmerkung zu RG v. 12. Dezember 1917, JW 1918, 218; aus­ gesprochen kritisch dagegen: Geiler, Anmerkung zu RG v. 1. Oktober 1918, JW 1919,182 f.; Casper, Beschlagnahme und Gefahrtragung beim Versendungskauf, JW 1925,590-592. 64 Sehr deutlich: OLG Hamburg v. 28. April 1920, HansGerZ 1920,167 (168). 65 RG v. 16. Oktober 1926, RGZ 114,405 (407). 66 Casper, Beschlagnahme und Gefahrtragung beim Versendungskauf, JW 1925, 590­ 592. 67 Aus dem Bescheid des preußischen Kriegsministeriums v. 26. Juni 1916 an den Zen­ tralverband des deutschen Großhandels: Es wird festgestellt, „daß die Beschlagnahme von Kriegsbedarfsgegenständen im allgemeinen keineswegs unter allen Umständen zur Uber-

ein Gedanke, den später das Reichsgericht aufgreifen sollte. Solange das Gut durch die Kriegsbewirtschaftung dem freien Markt partiell entzogen war, konnte es nur in dem verbliebenen Freiraum Gegenstand eines Ge­ schäftes sein. Anders mochte man bei Gütern urteilen, auf die punktuell, et­ wa als Feind vermögen, zugegriffen wurde. Hier drängt der faktische Zugriff stärker in den Vordergrund, auch wenn dieser rechtlich eingekleidet sein mochte. Bei einer Beschlagnahme durch die Feindmächte sank die Akzep­ tanz für den Rechtsakt naturgemäß weiter. Allein der Umstand, daß man aufgrund der faktischen Lage den Zugriff der Feindmacht nicht verhindern konnte, vereitelte die Erfüllung. Den Rechtsakt selbst mochte man als sol­ chen nicht anerkennen. Tatsächlich urteilten die Gerichte bei feindlichen Beschlagnahmen völlig anders. Ohne große Umstände wurde § 447 BGB angewandt.68 Bei der inländischen Kriegsbewirtschaftung überwog dagegen die Billigung der damit einhergehenden Beschränkungen der Privatautono­ mie. Der Gefahrübergang sorgte also nur selten für eine Lösung der mit der Sachleistungspflicht verbundenen Probleme. Die Frage der Gefahr taucht nur bei bestimmten, mit dem Gegenstand der Sache eng verbundenen Risi­ ken auf. Das Reichsgericht hatte hier zusätzlich sehr enge Grenzen gezogen. Daneben gab es noch einen zweiten Grund für die geringe Bedeutung des vorzeitigen Gefahrübergangs in den hier interessierenden Problemfällen. Der Gegenstand der Leistung muß regelmäßig konkretisiert sein. Der Schuldner konnte in diesen Fällen aber einfacher kraft Unvermögens befreit werden.

2. Die höchstrichterliche Begrenzung der Leistungspflicht Die Rechtsprechung sah sich vor die Frage gestellt, ob sie auch diesseits des Gefahrübergangs und jenseits der Vorbehaltsklauseln der veränderten wirt­ schaftlichen Lage Rechnung tragen sollte. In zwei Aufsätzen betonten die Reichsgerichtsräte Neukamp (6. Zivilsenat) und Mansfeld (2. Zivilsenat) das gesetzliche Rechtsinstitut der Unmöglichkeit. Die im Grundsatz ange­ nahme der betreffenden Gegenstände durch Kauf oder Enteignung zu führen brauchen und daß ein Rechtsanspruch auf Übernahme nicht besteht. Die Beschlagnahme ist vielmehr ledig­ lich eine Sicherungsmassnahme, durch welche der Verbrauch von Gegenständen für andere Zwecke als militärische insoweit verhindert wird, wie es das Heeresinteresse gebietet“; aus: Kriegsbuch, Bd. 3, S. 733 f. 68 RG v. 16. Oktober 1926, RGZ 114, 405 (407); Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf, S. 245, mit Nachweis der jüngeren Rechtsprechung in Fn. 29; Soergel/Huber, BGB, 12. Auflage, § 447, Rn. 66, Fn. 22.

ordnete, bis zur Grenze des Möglichen reichende Haftung des Schuldners sollte weder durch den Kriegsausbruch noch durch die freilich erst anlau­ fenden Bewirtschaftungsmaßnahmen der Staatsgewalt einen Abbruch erlei­ den.69 Andere frühe Stellungnahmen wiesen ebenfalls in diese Richtung.70 Der Schuldner war damit nicht völlig schutzlos gestellt. Die Unmöglich­ keitslehre hatte bereits vor dem Kriege eine Entwicklung genommen, in der die vertragliche Pflicht teilweise deutlich vor der Grenze des tatsächlich Möglichen ihre Kraft verlieren sollte.71 Auch die Rechtsprechung hatte in dieser Frage bereits Position bezogen. Im Jahre 1904 urteilte das Reichsge­ richt über eine Leistungspflicht, deren gattungsmäßig bestimmter Vertrags­ gegenstand, Mehl aus einer konkreten Mühle, nicht untergegangen, wohl aber nur noch überaus schwer zu beschaffen war. An sich befreit den Gat­ tungsschuldner erst der Untergang der ganzen Gattung, § 279 BGB. Mit Hil­ fe des § 242 BGB urteilte das Reichsgericht anders. Nach Ansicht des Reichsgerichts „ist im Sinne des § 279 a.a.O. die Leistung aus der Gattung nicht bloß dann unmöglich, wenn die ganze Gattung untergegangen, son­ dern auch dann, wenn die Beschaffung von Gegenständen der fraglichen Gattung eine so schwierige geworden ist, daß sie billigerweise niemandem zugemutet werden kann“ 72 Die Leistungsschwierigkeit müsse aber so au­ ßergewöhnlich sein, daß sie nach der Auffassung des Verkehrs der Unmög­ lichkeit gleichgeachtet werde. Das Reichsgericht nahm diesen Umstand im entschiedenen Fall aus zwei Umständen an. Zum einen habe der Schuldner nur verprochen, Mehl der in der vorgesehenen Mühle vermahlene Marke „Eichenlaub“ zu liefern. Dieses konkrete Mehl sei aber, so der zweite Um­ stand, nach einem Brand in der fraglichen Mühle nicht mehr auf dem Markt erhältlich gewesen. Allenfalls bei früheren Abnehmern konnte das Mehl noch beschafft werden. Zu solchen atypischen Beschaffungsbemühungen sei der Schuldner nicht verpflichtet gewesen. Das Reichsgericht hatte den Vertrag restriktiv ausgelegt und zusätzlich objektive Kriterien der Billigkeit und der Zumutbarkeit eingeführt. Metho­ 69 Mansfeld, Einfluß des Krieges auf Rechte und Verbindlichkeiten des Bürgerlichen Rechts, BayRpflZ 1914, 349 f.; Neukamp, Der Einfluß des Krieges auf Lieferungsverträge, LZ 1914,1825-1829, insbes. S. 1827 f. 70 Saenger, Der Einfluß des Krieges auf abgeschlossene Lieferungsverträge, Holdheim 1914, 213-221; Hueck, Einfluß des Krieges auf schwebende Lieferungsverträge, DJZ 1914, 1169-1171; Lemberg, Der Krieg und die Unmöglichkeit der Erfüllung von Kauf- und kauf­ ähnlichen Verträgen, RuW 1915,101-105; Bittinger, Von der Wirkung des Krieges auf Ver­ tragspflichten, DRiZ 1915, 370-377, insbes. S. 374 f.; für den Werkvertrag: Vogels, Krieg und Werkvertrag, LZ 1915,1084; für die Miete vorsichtig die clausula rebus sic stantibus ins Auge fassend: Schneider, Vom Rechte in Kriegszeiten, DJZ 1914,1034 f. 71 Erster Teil, Kapitel III. 72 RG v. 23. Februar 1904, RGZ 57,116 (118).

disch setzte man auf das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit. Das hatte meh­ rere Vorteile. Zum einen konnte man an vorhandene Normen und Literatur­ ansichten anknüpfen, verbunden mit der erhöhten Chance allgemeiner Ak­ zeptanz. Des weiteren war es dergestalt möglich, die Schuld zu begrenzen, ohne zugleich die im Grunde bestehende Erfolgshaftung des Schuldners aufgeben zu müssen. Die Vorkriegsrechtsprechung machte von der unmög­ lichkeitsgleichen Leistungsschwierigkeit aber nur zögernd Gebrauch. In ei­ nem nahezu identischen Fall hielt das OLG Kiel den mühlenbetreibenden Schuldner an der Leistungspflicht fest. Das geschuldete Mehl sei überaus marktgängig, wurde dem Verkäufer entgegengehalten, er möge eben das Mehl einer anderen Mühle liefern. Anders als bei der Reichsgerichtsent­ scheidung wurde eine Beschränkung auf eine bestimmte (hier: die eigene) abgelehnt. Im Falle des Reichsgerichts, hielt das OLG Kiel süffisant fest, sei eben nur „die geheimnisvolle Marke Eichenlaub“ geschuldet gewesen.73 Auch das OLG Hamm wollte den Verkäufer, diesmal waren Zündhölzer belgischer Herkunft geschuldet, nicht wegen einer Produktionsstörung in der zur Eindeckung vorgesehenen Fabrik befreien. Obwohl die anderweitige Beschaffung „sehr erschwert“ war und der Verkäufer einen höheren Ein­ kaufspreis hätte anlegen müssen, als er selber zu fordern berechtigt war, wurde er an seiner Pflicht festgehalten.74 Das OLG Hamburg half anderer­ seits einem Fabrikanten, dessen Fahrradfabrik niedergebrannt war. Er mußte seinen Lieferungsvertrag nicht erfüllen. Der „Sinn des Vertrags“ ginge da­ hin, daß der Fabrikant Fahrräder aus der eigenen Produktion liefern sollte. Er mußte sich also nicht anderweitig eindecken. Auch war er nicht ver­ pflichtet, die Fabrik wiederherzustellen, um aus dieser leisten zu können 75 Zu Beginn des Krieges wurde in das Urteil des Reichsgerichts, vielzitiert unter RGZ 57, 116, dennoch große Hoffnungen gesetzt. Besonders weit ging Saengerf der dem Urteil folgenden Grundsatz entlockt haben wollte: „Der Schuldner hat die Pflicht, in dem durch die Verkehrsanschauungen ge­ botenem Maße sich anzustrengen und auch unter erschwerten und verän­ derten Umständen die versprochene Leistung zu bewirken, soweit die ein­ getretenen Hindernisse ihm seine Leistungspflicht nicht unbillig erschwe­ ren.“76 Damit wurde aber der Zungenschlag des Urteils ganz erheblich ver­ ändert. Es blieb die schuldnerfreundliche Billigkeit, während die anderen, begrenzenden Kriterien von Saenger nicht weiter erwähnt werden. Nicht je­ der mochte der Einschätzung Saengers folgen, doch die Hoffnung, mit der 73 OLG Kiel v. 5. März 1908, OLGE 16,359 (360). 74 OLG Hamm v. 20. Mai 1911, OLGE 23,33. 75 OLG Hamburg v. 23. Mai 1914, OLGE 33,208 (208 f.). 76 Saenger, Der Einfluß des Krieges auf abgeschlossene Lieferungsverträge, Holdheim 1914,216.

Unmöglichkeitslehre ein ausreichendes Instrument in der Hand zu halten, war groß. Erst als sich die längere Dauer des Krieges und seine umfassende Einwirkung auf das Wirtschaftsleben abzeichneten, häuften sich Stimmen, die eine grundlegende methodische Neuorientierung forderten. Rechtsan­ walt Haußmann plädierte für eine objektive Begrenzung der Zurechnung. So wie im Strafrecht eine Handlung nicht rein nach Kausalität zugerechnet werde, so solle auch der geäußerte Wille nur eingeschränkt dem Schuldner angelastet werden. Der Richter solle sich bei der Beurteilung von Verträgen fragen, „ob die Wirkungen der Ereignisse auf den Vertragsinhalt das Maß der typischen Veränderungen, mit welchen die Parteien nach objektiver Auffassung rechnen müssen, übersteigen [...]“77 Diese in der Begründung fragwürdige These entspricht im Ergebnis der clausula rebus sic stantibus. Der clausula rebus sic stantibus näherten sich, von der subjektiven Seite kommend, noch andere. Paul Krückmann empfahl wieder einmal seine „Einrede aus entgegenstehendem Interesse“,77 78 um diese nach nur wenigen Modifikationen - augenscheinlich eine Konzession an den vorherrschenden Sprachgebrauch - als eigenständige Version der clausula rebus sic stantibus auf eine breitere Grundlage zu stellen.79 Heinrich Siber redet einer „still­ schweigenden Kriegsklausel“ das Wort80 und Max Cohen entdeckte die Windscheidsche Voraussetzungslehre wieder81 Carl Crome schließlich suchte einen „Irrtum in der Voraussetzung“ zu begründen, der ausnahms­ weise beachtlich sei, sofern nämlich „eine gemeinschaftliche Voraussetzung beider Parteien, die den Vertragsinhalt mitbestimmt“, betroffen ist 82 Die Rechtsprechung ließ sich zunächst nicht beirren. Sie bewegte sich in den gesetzlich vorgezeichneten Bahnen der Unmöglichkeit und war sogar ausgesprochen bemüht, diese nicht zu inflationär zu verwenden. Die kriegs­ bedingt gehäuft auftretenden Störungen boten der Rechtsprechung immerhin die Chance, dem in der Vorkriegsphase erarbeiteten, nach wertenden Ge­ sichtspunkten erweiterten Unmöglichkeitsbegriff feste Konturen zu geben. 77 Haußmann, Die Zumutbarkeit der Leistung bei Veränderung der Vertragsgrundlagen. Zur Lehre von der clausula rebus sic stantibus, JW 1915,636. 78 Krückmann, Der Zuckerrübensamenprozeß und die herrschende Unmöglichkeitslehre, LZ 1915,101 f.; ders., Das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und die Sit­ tenwidrigkeit des Leistungsvertrages, BayRpflZ 1916, 280 f.; ders., Die stillschweigende und die ausdrückliche Kriegsklausel, LZ 1918,1310-1322. 79Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 157-481. 80Siber, Die stillschweigende Kriegsklausel, Gruchot 60 (1916), 458-479. 81 Cohen, Die Windscheidsche Voraussetzung infolge des Krieges „rediviva"!, JW 1916, 109-111. 82 Crome, Der Konzessionsvertrag und seine Ausführung im Kriege, AcP 115 (1917), 47 f.

Diese Chance hat sie genutzt. Drei Bereichen soll im folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden: den erhöhten Erfüllungskosten, der fehlgeschlagenen Erfüllungsplanung und der verzögerten Leistung. a) Die Leistungskosten Die erste große Leitentscheidung fällte das Reichsgericht im März 1916. Ein Großhändler hatte noch vor dem Kriegsausbruch englisches Zinn zu liefern versprochen. Die geschuldeten Marken waren ungeachtet des Krieges auf dem inländischen Markt, via Holland, noch greifbar, allerdings zu einem Preis, der das Doppelte des Verkaufspreises überschritt. Der Großhändler mochte an einen so ungünstigen Vertrag nicht länger gebunden sein und wandte ein, die Leistung sei ihm unerschwinglich geworden. Ohne Erfolg. Der 2. Senat judizierte, der Verkäufer werde weder kraft der §§ 275, 279 noch gemäß § 242 BGB von seiner Verbindlichkeit befreit. Es wurde viel­ mehr ein „Grundsatz“ formuliert, wonach „der Verkäufer niemals von der Leistung frei wird, solange die Ware am Markte gehandelt wird und zu ha­ ben ist“.83 An dieser Rechtsprechung hielt das Reichsgericht den Krieg hin­ durch fest. Der 2. Senat stellte noch Anfang 1919 fest, der Händler über­ nehme schlechthin die Gefahr für Preisschwankungen, selbst für solche, die durch einen Weltkrieg verursacht werden: „Die durch die hohen Preise her­ vorgerufene Schwierigkeit ist niemals eine objektive Unmöglichkeit, son­ dern immer nur ein subjektives Unvermögen. Der Gesetzgeber hat aber in § 279 BGB bewußt dieses bloße subjektive Unvermögen unberücksichtigt gelassen.“84 Wer im Gesetz nachblättert, wird an diesen Urteilen nichts auszusetzen finden. Angesichts der Vorkriegstheorien zur Unmöglichkeit und der eben mitgeteilten Entscheidung vom Februar 1904 überrascht dieser harsche Ton gleichwohl. In der Literatur hatten sich Stimmen erhoben, die auch Preis­ steigerungen zu den außergewöhnlichen Leistungsschwierigkeiten zählen wollten. Saenger verwies auf den Schaden, der dem Verkäufer bei einer übermäßigen Preissteigerung drohe. Es sei eine „unbillige Zumutung, ihm einen im Verhältnis zum Preis übermäßigen Verlust erleiden zu lassen“.85 Unmittelbar vor der Verkündung des Urteils meldete sich Starke zu Wort: „Ist aber der starre Begriff der Unmöglichkeit erweitert oder umgangen, so besteht kein grundsätzliches Bedenken, unter die Fälle übermäßiger Liefe­ 83 RG v. 21. März 1916, RGZ 88,172 (177). 84 RG v. 25. Februar 1919, RGZ 95, 41 (44). Der 3. Zivilsenat entschied am 15. März 1918, RGZ 92, 322, in demselben Sinne; ähnlich im übrigen schon OLG Hamm v. 20. Mai 1911, OLGE 23,33. 85 Saenger, Der Einfluß des Krieges auf abgeschlossene Lieferungsverträge, Holdheim 1914,216 (für Stückschulden) und 217 (für Gattungsschulden).

rungserschwerung auch diejenigen einzureihen, bei denen die Beschaffung von Waren infolge von Preissteigerungen nur zu außergewöhnlichen Unko­ sten möglich ist.“86 Erste Urteile ergingen, die sich mit konkreten Prozent­ sätze beschäftigten. Die meisten Oberlandesgerichte urteilten vorsichtig. Oft genügte die Preissteigerung den Gerichten nicht87 oder es wurden aus­ nahmsweise andere Gründe vorrangig berücksichtigt.88 In RGZ 88, 172, wandte sich das Reichsgericht entschieden gegen jede Form der Arithmetik. Eine Kehrtwendung kann man hierin nicht sehen, eher eine Präzisierung. Das Ausgangsurteil vom Februar 1904, RGZ 57,116, beschäftigte sich nicht primär mit der Preissteigerung, sondern mit deren Ursache. Der Markt, auf dem der Schuldner sich einzudecken hatte, war damals aufgrund eines Un­ glücks, einem Brand, zusammengebrochen. Hier knüpft das neue Urteil an. Diesmal existierte eine marktmäßige Preisbildung noch, wenn auch die dort gehandelten Preise erheblich gestiegen waren. Für das Reichsgericht war dieser Unterschied von zentraler Bedeutung. Denn: „Das Bestehen eines Marktpreises ergibt, daß eine Mehrheit von Kaufleuten die Ware zu diesem Preis kauft. Solange dies geschieht, kann nicht die Rede davon sein, daß der Ankauf zu solchem Preise niemand zuzumuten wäre.“89 Mit gleich mehreren Argumenten wird die Rechtsprechung untermauert. Der Hinweis auf die Bedeutung eines geordneten Wirtschaftslebens durfte natürlich nicht fehlen. Das Reichsgericht verweist weiter auf die besonderen 86 Starke, Können Preissteigerungen während des Krieges Lieferungsunmöglichkeit be­ gründen? DJZ 1916, 287; in diesem Sinne: B. Mayer, Das Privatrecht des Krieges in materi­ eller und formeller Beziehung, S. 30. 87 OLG Rostock v. 8. Juli 1915, OLGE 31,180 (181): eine Preissteigerung von 70 % be­ wirkt noch keine Unzumutbarkeit; KG v. 21. September 1915, JW 1915, 1271 (1272): um 25 % gestiegene Herstellungskosten sind unerheblich; OLG Stuttgart v. 30. September 1915, Recht 1915, 618, Nr. 1174: ein Verlust von 4.100 M noch zumutbar; OLG Hamburg v. 14. Februar 1916, HansGerZ 1916, 81 (82): Preissteigerung von 58 % ist unerheblich; OLG Stuttgart v. 14. April 1916, Recht 1916, 350, Nr. 581: Erhöhung der Beschaffungs­ kosten um 50 % ist noch zumutbar; anders aber: OLG Kiel v. 3. Februar 1916, Recht 1916, 401, Nr. 753: Aufhebung des Vertrags bei einer Preissteigerung von 50-90 %. 88 LG Mannheim v. 26. März 1915, LZ 1915, 653, Nr. 1: Preissteigerung von 100 % bei geringem Warenwert, 500-600 M, unerheblich; OLG Hamburg v. 14. Dezember 1915, HansGerZ 1916, 31 (32): Steigerung um 75 % unerheblich, da der Abschluß erst nach Kriegsbeginn erfolgte und deshalb mit Preissteigerungen gerechnet werden mußte; ähnliche Begründung bei Preissteigerung von 100 % in: OLG Hamburg v. 3. Juni 1916, HansGerZ 1916, 275 (276); OLG Hamburg v. 14. Februar 1916, HansGerZ 1916, 81 (82): Steigerung von 58 % unerheblich, da für die konkrete Ware eine „ungewöhnliche Hausse“ auch außer­ halb der Weltkriegssituation eintreten könne; OLG Hamburg v. 9. Juni 1916, HansGerZ 1916, 219 (221): Steigerung von 150 % unerheblich, da der Verkäufer auf niedrigere Preise nach der Jahresemte spekuliert habe und ihm zudem vorzu werfen sei, daß er sich nicht un­ mittelbar bei Beginn der Krise - also noch vor der Fälligkeit - eingedeckt habe. 89 RG v. 21. März 1916, RGZ 88,172 (174 f.).

Strukturen des Großhandels. Hier gehe die Ware von Hand zu Hand; die Interessen von Verkäufer und Käufer seien daher grundsätzlich von glei­ chem Betrage. Ein Schaden, den man von dem Verkäufer glücklich abwen­ de, treffe geradewegs den Käufer; einem gesteigerten Interesse des Verkäu­ fers an der Auflösung des Vertrages stünde ein in gleichem Maße gestei­ gertes Interesse des Käufers an dessen Durchführung entgegen.90 Jedes Zu­ geständnis an den Verkäufer gehe daher notwendig zu Lasten des Käufers. Die Argumente mögen im konkreten Fall zugetroffen haben. Es ist aber doch die Frage erlaubt, warum der Grundsatz auch gelten soll, wenn der Schaden, den der Verkäufer erleidet, sich auf Seiten des Käufers unmittelbar bereichernd niederschlägt. Denn die Ware, die der Käufer nach Ansicht des Reichsgerichts um jedem Preis bekommen soll, ist nach neuer Marktlage eben mehr wert, als er seinerseits an den Verkäufer bezahlen muß. Hinter der Argumentation des Reichsgerichts erkennt man die konsequente Umset­ zung des Gedankens der „außergewöhnlichen Schwierigkeit der Leistung“. Die mit dem Krieg einhergehende massive Preissteigerung ist nur für denje­ nigen Händler ein Problem, der die neuen Marktpreise nicht umgehend an die Abnehmer weitergeben kann. Natürlich hat der Händler zunächst beson­ ders hohe Kosten, wenn er sich die Ware nach der Preissteigerung erst noch beschaffen muß. Doch bleiben diese Kosten in Gestalt der Kaufsache erhal­ ten, da der Leistungsgegenstand zu den neuen Marktbedingungen auch mehr wert ist. Der Händler ist nicht genötigt, wirtschaftlich unsinnige Aufwen­ dungen zu betreiben. Es ist auch weniger der Erfüllungsaufwand, der den Händler trifft. Ihn belastet vielmehr der Umstand, daß der erhöhte Wert der Leistung nicht in Form der Gegenleistung wieder an ihn zurückfließt. Für diesen Aspekt interessierte sich das Reichsgericht aber überhaupt nicht. Das ist nur konsequent angesichts einer Theorie, die nur die Schwere der einzel­ nen Leistungspflicht beurteilen will. Es mag fragwürdig sein, den Schuldner zu zwingen, die Waren zu alten Preisen herzugeben, geradezu zu verschleu­ dern. Doch richtet sich der Vorwurf an den Vertrag und dessen Verknüp­ fung ungleich gewordener Leistungen, nicht an die isolierte Leistungs­ pflicht. Was der Schuldner im Grunde will, ist eine Inhaltskontrolle. Die Rechtsprechung schritt unbeirrt weiter. In aller Regel war, wie im Ausgangsurteil, der Großhandel betroffen, der üblicherweise Waren ver­ kaufte, die er sich selbst noch beschaffen mußte.91 Das Prinzip der Irrele­

90 RG v. 21. März 1916, RGZ 88,172 (175 und 176). 91 RG v. 7. Juli 1916, HansGerZ 1916, 246; RG v. 8. Mai 1917, Wameyer 1917, 252 (253); OLG Hamburg v. 21. Februar 1918, HansGerZ 1919, 23; RG v. 9. April 1918, LZ 1918, 1204 (1205); RG v. 25. Februar 1919, RGZ 95, 41 (43 f.); RG v. 11. März 1919, Wameyer 1919,166; RG v. 21. März 1919, JW 1919,499.

vanz marktmäßig gebildeter Preise wurde aber ebenso auf den Kleinhandel92 und sogar auf die Verkäufe des produzierenden Gewerbes93 angewandt. Der letzte Schritt war nicht selbstverständlich. Anders als in einer Handelskette sind die Opfer auf Seiten des Veräußerers nicht mehr deckungsgleich mit dem Erfüllungsinteresse des Käufers. Ein Fabrikant, der von den gestiege­ nen Marktpreisen für die benötigten Rohstoffe überrascht wurde, mußte un­ ter Umständen eine völlig unrentable Produktion aufrechterhalten, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können. Der 2. Senat zeigte ein Einsehen und mutete dem Fabrikanten, der das bei der Hauptproduktion anfallende Ne­ ben-, ja eigentlich Abfallprodukt bereits verkauft hatte, nicht zu, allein des­ wegen die unrentabel gewordene Produktion fortsetzen zu müssen.94 Noch ein zweiter Unterschied wurde benannt. Der Händler zog seinen Gewinn aus der Differenz von Einkaufs- und Verkaufspreis, während der Produzent sich im wesentlichen die Produktion vergüten ließ. Das Reichsgericht sprach im Falle des Händlers auch schon mal ab wertend von Spekulation und glaubte, dem Händler einen größeren Verlust aufbürden zu können als dem Erzeuger. Dem Produzenten wurde dagegen nicht zugemutet, enorme Kosten zur Auf­ rechterhaltung der Produktion aufzubringen95 Allerdings entschied der 3. Senat im März 1918 gegen einen Fabrikanten, der wegen erhöhter Roh­ stoffpreise das Produkt, Zinntuben, nicht mehr zu den Vorkriegspreisen ver­ kaufen wollte 96 Vergeblich berief der Fabrikant sich darauf, daß man ihn mit dem Großhandel nicht auf eine Stufe stellen dürfe. Er beziehe seinen Gewinn aus der Verarbeitung, während die Rohstoffkosten, hier die Kosten für Rohzinn, neutral weitergegeben werden sollten, trug der Fabrikant vor. Das Reichsgericht ließ sich nicht erweichen, „da der Wert des Rohzinns je­ denfalls einen erheblichen Teil des Wertes der Zinntuben darstellt“.97 Der 3. Senat war also geneigt, gegebenenfalls nach einzelnen Kostenfaktoren zu differenzieren. Das sollte für die Mietrechtsrechtsprechung, die eigentliche Domäne des 3. Senats, noch große Bedeutung erlangen. Der Großhändler durfte auf ein entsprechendes Entgegenkommen des Reichsgerichts nicht

92 KG v. 21. Februar 1918, DJZ 1918,324 (325). 93 OLG Dresden v. 1. Februar 1917, JW 1917, 864, 865; RG v. 15. März 1918, RGZ 92, 322; RG v. 18. März 1918, Warneyer 1918, 261 (263); KG v. 9. Dezember 1918, DJZ 1919, 602 (603). 94 RG v. 29. Januar 1918, Recht 1918, 151, Nr. 302; vgl. RGZ 91, 312 (313): kein un­ wirtschaftlicher Einsatz von teuren Kraftfuttermitteln zur Aufrechterhaltung der Milchgewin­ nung. 95 RG v. 23. Oktober 1917, LZ 1918, 38 (39); RG v. 22. November 1919, Wameyer 1920,83. 96 RG v. 15. März 1918, RGZ 92,322. 97 RG v. 15. März 1918, RGZ 92,322 (325).

hoffen. Noch 1921 hielt der 6. Senat fest, „daß sich der Verkäufer bei gro­ ßen Abschlüssen in marktgängiger Gattungsware, solange ein Marktpreis besteht, seiner Erfüllungspflicht wegen Steigens der Preise regelmäßig selbst dann nicht entschlagen kann, wenn der Marktpreis in einem ganz au­ ßerordentlichen, bis dahin nicht für denkbar erachteten Maße gestiegen ist".98

In der Literatur wurden die Entscheidungen kontrovers diskutiert." Die Folgerichtigkeit in der Argumentation wurde durchaus anerkannt, doch sah man auch, daß die Problematik einseitig gelöst worden war und deshalb bei einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Situation mit neuer Bri­ sanz zurückkehren würde. „Es könnte nicht einmal der Verkäufer nachwei­ sen, daß die Erfüllung all seiner Verpflichtung ihn zugrunde richten würde“, wirft Hachenburg dem Reichsgericht vor100 98 *und brauchte sich mit diesem Verdikt nicht alleine zu fühlen. Auch andere wollten wenigstens die wirt­ schaftliche Vernichtung des Schuldners vereiteln.101 Krückmann schlug vor, nach der Vorhersehbarkeit typische und atypische Risikobereiche zu schei­ den.102 Allein Frankenburger sprach das Problem der Inhaltskontrolle an. Er fragte an, ob die Erfüllungspflicht nicht „durch Berufung auf § 138 Abs. 1 und 2 BGB wegen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung“ beseitigt werden könne, mußte sich aber postwendend vorhalten lassen, daß diese Norm sich nur auf den Abschluß des Rechtsgeschäfts beziehe.103 Sah man die harte Haftung des Großhändlers im Grunde noch ein, so stieß die der Erzeuger und Produzenten auf Kritik.104 Erst nach Kriegsende sollte die Rechtsprechung diese Kritik beherzigen.

98 RG v. 27. Oktober 1921, Wameyer 1922,107 (108). " Neutral: Cahn, Lieferungspflicht trotz stärkster Preissteigerung, LZ 1916, 1165-1167. Zustimmend: Hueck, Kann eine durch den Krieg verursachte Preissteigerung den Verkäufer von der Lieferungsverpflichtung befreien?, DJZ 1916, 855-859; Mittelstein, Marktpreis und Unmöglichkeit der Lieferung, DJZ 1916, 977 f.; Koffka, Zur Frage, ob die durch den Krieg verursachte Preissteigerung den Verkäufer von der Lieferungspflicht befreit, DJZ 1918, 24 f.; Adler, Grundsätze der Unmöglichkeitslehre, DJZ 1918, 533 (535). Kritisch: Hachenburg, JW 1916, 830 f. Anm.; Frankenburger, Leistungsvertrag und Krieg, BayRpflZ 1917, 9-11; Plum, JW 1917, 496 f. Anm.; ders., Besprechung von Sperl, Der Einfluß des Krieges auf lau­ fende Bauverträge, JW 1918, 485 f.; Krückmann, Unmöglichkeit der Lieferung infolge des Krieges, LZ 1918, 961-973. ^Hachenburg, JW 1916,831 Anm. 101 Starke, Lieferungsverträge, S. 37. Krückmann, Unmöglichkeit der Lieferung infolge des Krieges, LZ 1918,961. 103 Frankenburger, Leistungsvertrag und Krieg, BayRpflZ 1917,10; dagegen Klein, Lei­ stungsvertrag und Krieg, BayRpflZ 1917,77. 104 Oertmann, Der Einfluß von Herstellungsverteuerungen auf die Lieferpflicht, JW 1920, 476 (477 f.).

Alfred Hueck wies als einer der wenigen auf eine Alternative hin. Er schlug vor, die Haftung des Schuldners mittels einer konkreten Schadensbe­ rechnung zu mildem.105 Er dachte an die Bekanntmachung gegen übermäßi­ ge Preissteigerung vom 23. Juli 1915, die dem Schuldner zugute kommen sollte. In § 5 Nr. 1 der fraglichen Verordnung wird mit Strafe bedroht, wer „[...] Preise fordert, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse, insbesondere der Marktlage, einen übermäßigen Gewinn enthalten [...]“ Es ist in der Tat nicht fernliegend, die hier zum Vorschein kommende Inhalts­ kontrolle zu nutzen. Die Bekanntmachung hatte aber gleich mehrere Schön­ heitsfehler. Zum einen betraf sie Verträge, die erst nach der Verordnung ab­ geschlossen werden würden. Dann war sie beschränkt auf „Gegenstände des täglichen Bedarfs“ und „Gegenstände des Kriegsbedarfs“ und schließlich war der Gläubiger im Handelsverkehr ausdrücklich befugt, einen Nicht­ erfüllungsschaden mittels des Börsen- und Marktpreises abzurechnen, § 376 Abs. 2 HGB. Die Gerichte sollten all diese Hindernisse überwinden. Die Norm des HGB mußte der neuen Verordnung weichen; dem Käufer wurde nicht mehr Schadensersatz zugesprochen, als er mit Rücksicht auf die Kriegsverordnung durch die Weiterveräußerung der Ware hätte gewinnen dürfen.106 Auch die Einengung auf Gegenstände des täglichen Bedarfs und des Kriegsbedarfs wurde schnell zu Makulatur. Eine verurteilungsfreudige Praxis der Strafgerichte dehnte den Anwendungsbereich der Verordnung immer weiter aus.107 Am Ende wurden selbst Gegenstände erfaßt, aus denen die fraglichen Endprodukte hergestellt werden konnten. Damit waren über­ raschend alle Rohstoffeinkäufe des Großhandels und der verarbeitenden In­ dustrie betroffen.108 Ein dritter Schritt komplettierte das Bild. Die Verord­ nung stellt den überhöhten Gewinn unter Strafe, nicht den Wucher. Für den Gewinn sei aber, so das Reichsgericht, regelmäßig der Einkaufspreis mit zu

105 Hueck, Einfluß der Preissteigerung auf schwebende Lieferungsverträge, DJZ 1917, 642 (643). 106 OLG Hamburg v. 4. Dezember 1916, JW 1917, 238 (239); OLG Dresden v. 16. No­ vember 1916, JW 1917, 237 (238); OLG Kiel v. 31. März 1917, LZ 1917, 1277; vgl. noch: Schumacher, Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung von Lieferungsverpflichtungen in Kriegszeit, LZ 1916, 141-143; Königsberger, Schadensberechnung und übermäßiger Ge­ winn, LZ 1917,113-115. 107 Vgl. die Übersichten in: Kriegsbuch, Bd. 5,165 f.; Bd. 6, S. 664 und Bd. 7, S. 88 f. 108 3. Senat: „Die Begriffe ,Gegenstände des täglichen Bedarfs' und ,Gegenstände des Kriegsbedarfs' müssen nach dem Zwecke der Vorschriften im weitesten Sinne verstanden werden, und werden demgemäß von der Rechtsprechung namentlich auch dahin ausgelegt, daß sie auch Gegenstände, insbesondere Rohstoffe, umfassen, aus denen erst durch Be- oder Verarbeitung die unmittelbaren Gegenstände des täglichen Bedarfs oder des Kriegsbedarfs entstehen“ RG v. 25. November 1919, BayRpflZ 1920,204.

berücksichtigen.109 Plötzlich wurde der geringe Einkaufspreis zur Falle. Ein Gläubiger, der dem Nichterfüllungsschaden den geringen Kaufpreis des un­ erfüllten Vertrages zugrunde legen mußte, konnte selbst dann mit der Ver­ ordnung kollidieren, wenn er die nach aktuellem Kriegsmarkt gängigen Preise berechnete. Im entschiedenen Fall wurde sogar ein unter Mitwirkung der Behörden festgelegter Richtpreis nicht akzeptiert.110 Das Reichsgericht berechnete dem Schuldner für die Ersatzpflicht weniger, als er bei korrekter Erfüllung hätte aufbringen müssen. Dem Schuldner kamen neben der Kriegsbewirtschaftung auch die weit­ reichende Bewirtschaftung der Rohstoffe und der allgemeine Zusammen­ bruch der Rohstoffmärkte entgegen. Die prekäre Lage entspannte aus juristi­ scher Sicht die Situation. Es war aber schon absehbar, daß dieses gleichsam eingefrorene Problem nach dem Ende des Krieges auftauen würde. b) Die Konkretisierung der Erfüllungshandlung Rechtsprechung und weite Teile der Literatur hatten bekanntlich die engen Vorgaben des Gesetzes erweitert und dem Schuldner auch im Falle der blo­ ßen Leistungserschwerung Hilfe in Aussicht gestellt. In RGZ 57, 116 war ein Händler ungeachtet einer - auch in der eigenen Person - bestehenden Leistungsmöglichkeit von seiner Erfüllungspflicht entbunden worden. Auf diese Entwicklung mußte das Reichsgericht nun eingehen, und obwohl in der Leitentscheidung RGZ 88, 172 der Händler ungeachtet gestiegener Lei­ stungskosten an seiner Leistungspflicht festgehalten wurde, bestätigte doch das Gericht das ältere Urteil. Das Reichsgericht entwickelte das Problem der Leistungsschwere innerhalb des Rechtsinstituts der Unmöglichkeit weiter. Es sollte das neue Gebilde schließlich „wirtschaftliche Unmöglichkeit“ nen­ nen, doch war anfangs die Begriffsbildung noch uneinheitlich. Der § 279 BGB erwies sich, ungeachtet der schwierigen Meinungsbildung in der Lite­ ratur und der Gesetzgebung, als erstaunlich geringes Hindernis. Das Reichs­ gericht stellte schlicht fest: „Für die Frage, ob im Sinne des § 279 die Lei­ stung aus der Gattung möglich ist, kommt es [...] darauf an, ob die Ware durch Mittel, mit deren Anwendung nach Treu und Glauben zu rechnen ist, beschafft werden kann.“111 Damit schwand der vielgepflegte Unterschied 109 RG v. 12. Dezember 1919, Wameyer 1920,38 (39). 110 RG v. 12. Dezember 1919, Wameyer 1920,38. 111 RG v. 21. März 1916, RGZ 88, 172 (174). In RGZ 57, 116 (118) war festgehalten worden: „Aber auch § 279 BGB darf nicht dahin ausgelegt werden, daß nur der Untergang der ganzen Gattung den Schuldner befreie, im übrigen aber dieser schlechthin und allein die Gefahr eines solchen zufälligen Ereignisses zu vertreten habe.“ Maßgebend sei, ob die gel­ tend gemachte Schwierigkeit „nach der Auffassung des Verkehrs der Unmöglichkeit gleich­ geachtet werde“, a.a.O., S. 119.

zwischen subjektiver und objektiver Unmöglichkeit. Fortan verlief die Trennlinie zwischen der zumutbaren und der unzumutbaren Leistungs­ schwierigkeit. Die Möglichkeit der Leistung wurde zu einem Abgren­ zungsmerkmal unter mehreren. Die Rechtsprechung entwickelte durch die Vielzahl der Fälle eine weitgehend klare Vorstellung dessen, was als zu­ mutbar zu gelten habe. Einen ersten Ansatzpunkt bot der Markt. Im Großhandel der Vorkriegs­ zeit wurden üblicherweise Waren verkauft, die der Händler sich erst be­ schaffen mußte. Diese Beschaffung sollte, so der Gedanke des Reichsge­ richts, nur insofern geschuldet sein, als ein Markt für die Ware vorhanden war. Brach der Markt zusammen, so war der Händler regelmäßig nicht ver­ pflichtet, dem Gattungsgut anderweitig nachzuspüren, etwa „aus zweiter Hand“ oder nur „gelegentlich“ erhältliche „kleinere Warenposten“ aufzu­ kaufen.112 Nun ist die Differenzierung nach marktgängigen und nichtmarkt­ gängigen Waren eine sehr grobe. Es gibt Märkte für den Groß-, den Zwi­ schen- und den Kleinhandel. Es gibt örtlich zu unterscheidende Märkte, In­ lands- und Auslandsmärkte. Mußte der Händler sich auf sämtlichen Märkten umsehen? Aufgrund der kriegsbedingten Isolierung der Märkte eine nicht unwesentliche Frage. Wenn der Markt ausdrücklich eingegrenzt worden war, dann schuldete der Händler weitergehende Bemühungen nicht. Bei kla­ ren Vereinbarungen war das nicht weiter problematisch. Es stellte sich aber die Frage, welche weiteren Vertragsabreden hier begrenzend wirken kön­ nen.113 Im Überseehandel hatte sich neben dem Direktimport ein Markt für „Loko-Waren“ herausgebildet, das heißt für die am Bestimmungsort selbst erhältlichen Überseewaren. War ein „Abladegeschäft" vereinbart, so wollte das Reichsgericht den Händler nicht auf diese - regelmäßig teureren - Lo­ kowaren verweisen. Denn „die Leistung des Verkäufers wird eine andere, wenn er statt überseeischer Abladung eine am Bestimmungsort eingelagerte Ware liefern muß. Beide Arten der Lieferung gelten im Handel als Leistun­ gen verschiedenen Inhalts, von denen nicht die eine durch die andere ersetzt werden kann“.114 Der Schuldner habe es „im Auge“, sich an dem genannten 112 RG v. 24. Mai 1917, Wameyer 1917, 246 (247); RG v. 9. Februar 1918, Recht 1918, 193, Nr. 402; RG v. 21. März 1919, BayRpflZ 1919,252 (253). 113 Allein die Tatsache, daß Auslandswaren geliefert werden, genügte nicht. Selbst kon­ krete Zollabreden halfen nur selten: RG v. 14. November 1916, Recht 1917,74, Nr. 96; eben­ falls zurückhaltend: RG v. 9. April 1918, Recht 1919, 211, Nr. 330; OLG Hamburg v. 11. Oktober 1916, Recht 1916,631, Nr. 1195. 114 RG v. 2. Januar 1917, HansGerZ 1917, 104; vgl. noch RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88, 71 (73): für ein Abladegeschäft soll allein maßgebend sein, ob „vertragsmäßig abgelade­ ne Waren“ am Markte erhältlich sind; RG v. 28. Juni 1918, Wameyer 1918, 258 (260): die Klausel »Lieferung nach Eintreffen, glückliche Ankunft vorbehalten“ bei Kriegsabschluß könne „ihrer üblichen Bedeutung nach nur so verstanden werden, daß Vertragsgegenstand ei­

Platz direkt und unter Nutzung seiner dortigen Beziehungen einzudecken, erläutert das Gericht in einer späteren Entscheidung zur Abladeklausel, eine anderweitige Eindeckung sei ihm „nicht zuzumuten“.115 Im Falle schlichter cif-Klauseln wurde, zumindest nach Ansicht des OLG Hamburg, dem Schuldner auch eine Eindeckung am Bestimmungsort zugemutet. Obwohl solche Klauseln hinsichtlich des Übergangs der Gefahr regelmäßig wie Ab­ ladegeschäfte behandelt wurden, vermied man in der Frage der Erfüllungs­ pflicht diese Konsequenz.116 Es läßt sich festhalten: Ein Händler, der im Vertrag ausdrücklich nur Importwaren angeboten hatte, mußte sich nach Abbruch der überseeischen Verbindungen nicht auf den zugänglichen euro­ päischen Märkten eindecken. Das galt auch im umgekehrten Fall. War eine inländische Beschaffung vereinbart, so sollte der Schuldner nicht automa­ tisch auf ausländische Märkte verwiesen werden. Vielmehr war im Einzel­ fall zu prüfen, ob diese Art der Eindeckung auch geschuldet sei.117 Unter der Bezeichnung „Galizische Eier“ ist eine Reichsgerichtsent­ scheidung bekannt geworden, in der das Reichsgericht die Leistungspflicht weiter präzisierte. Aufgrund der russischen Eroberung Ostgaliziens befand sich das Handelsunternehmen des Schuldners auf feindlichem Gebiet. Der Händler selbst war nach Westgalizien geflohen, in das von den Mittel­ mächten noch gehaltene Krakau. Obwohl die geschuldete Ware, eben be­ sagte Eier, auf dem westgalizischen Markt durchaus noch erhältlich waren, wollte das Reichsgericht geprüft haben, ob das Verlangen der Leistung „un­ billig und ungerechtfertigt“ sei.118 Weil der Schuldner „bei normalem Ver­ laufe durchaus erfüllungsbereit und erfüllungsfähig“119 gewesen sei, sollte nun maßgebend sein, ob der Schuldner in Person, also unabhängig von der allgemeinen Marktsituation, zur Lieferung angehalten werden könne. Die Entscheidung ist dogmatisch von besonderem Interesse, weil der Schuldner Gattungswaren versprochen hatte und § 279 BGB persönliche Leistungshindemisse von der rechtlichen Beurteilung gerade ausnehmen sollte. Das Reichsgericht hatte bislang ja nicht zuletzt deshalb auf die Marktgängigkeit der Waren abgestellt, weil so die Leistungsschwere unabhängig von dem ne Einfuhrware sein sollte, die sich noch nicht innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches befand“. Anderweitige Beschaffung geschuldet in RG v. 4. April 1918, Recht 1919, 211, Nr. 330, „weil Abladegeschäft nicht ausdrücklich Vertragsbestandteil geworden ist“. 115 RG v. 21. November 1919, Recht 1920, Nr. 365. 116 OLG Hamburg v. 20. November 1915, HansGerZ 1916, 25 (27); OLG Hamburg v. 14. Februar 1916, HansGerZ 1916, 81 (82); OLG Hamburg v. 9. Juni 1916, HansGerZ 1916, 219 (220 f.); in RG v. 24. Juni 1921, RGZ 102, 292 (294) wird allerdings eine cif Hamburg verkaufte Ware als reines Importgeschäft behandelt. 117 RG v. 16. März 1918, Recht 1918,338, Nr. 703 und 706. 118 RG v. 12. März 1920, RGZ 99,1 (2). 119 RG v. 12. März 1920, RGZ 99,1 (2).

konkreten Schuldner ermittelt werden konnte.120 Ein Umsturz in der bishe­ rigen Rechtsprechung also? Vier Jahre zuvor hatte das Reichsgericht sich noch geweigert, einen Händler mit dem Einwand zu hören, sein in Ostpreu­ ßen gelegenes Handelshaus sei aufgrund der feindlichen Besetzung des Or­ tes daran gehindert gewesen, die Waren zu liefern.121 Der Vergleich der bei­ den Urteile ist aufschlußreich. Der Ostpreuße wurde an der Verpflichtung festgehalten, weil er ein „größeres Haus“ führe, welches auch im unbesetz­ ten westpreußischen Danzig tätig war. Er möge sich eben dort eindecken, hielt ihm das Gericht nicht zu Unrecht vor. Der ostgalizische Händler war dagegen in das westgalizische Krakau als Flüchtling gelangt. Sein Handels­ unternehmen war an diesem Ort nicht tätig. Eine Leistung würde von ihm eine ganz andere geschäftliche Tätigkeit verlangen, allem voran den Neu­ aufbau des Handelsgeschäfts an einem völlig neuen Ort. So gesehen fügt sich das neue Urteil nahtlos in die bislang erkennbare Linie der Rechtspre­ chung ein. Bereits die Begrenzung der schuldnerischen Verpflichtung auf bestimmte Märkte berücksichtigte, daß der Schuldner erkennbar mit Hilfe seines bestehenden Unternehmens auf den dadurch erreichbaren Märkten liefern wollte. Er war auch, hier kommt die neue Entscheidung hinzu, an be­ stimmte Orte und bestimmte organisatorische Strukturen gebunden. Wurden diese Strukturen durch einen unerwarteten Zufall gestört, so konnte auch unabhängig von dem Weiterbestehen des Marktes die schuldnerische Lei­ stungspflicht entfallen. Bislang wurden Fälle geschildert, in denen der Händler sich die Ware von Dritten beschaffen mußte. Es gab noch weitere Erfüllungshandlungen, die den Schuldner übermäßig belasten und die Leistungspflicht in Frage stellen konnten. Häufig traten besondere Hindernisse auf, wenn zusätzlich zur Ware deren Transport geschuldet war. Hier mochten ähnliche Überle­ gungen greifen wie im Falle der marktgebundenen Eindeckung. War der Veräußerer landwirtschaftlicher Produkte zugleich deren Erzeuger oder wurde, im Falle einer industriellen Fertigung des Vertragsgegenstands, die Ware unmittelbar vom Produzenten verkauft, so gab es weitere Anknüp­ fungspunkte für eine Konkretisierung der Leistungspflicht. Das Reichsge­

120 So ausdrücklich RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88, 71 873): ,Andererseits ist die Er­ füllung aber nicht schon dann unmöglich, wenn der Verkäufer selbst keine dem Vertrag ent­ sprechenden Abladungen bewirken kann, sondern nur dann, wenn vertragsmäßig abgeladene Waren [...] am Markte überhaupt nicht erhältlich sind.“ Es gab mehrere Fälle, in denen der Schuldner die versprochene Ware nicht beschaffen konnte, weil die für den eigenen Einkauf notwendige Valuta nicht erhältlich war; die Gerichte haben hier durchweg den Schuldner verurteilt: OLG Hamburg v. 30. Oktober 1915, LZ 1916, 257; OLG Hamburg v. 6. Novem­ ber 1915, LZ 1916,346. 121 RG v. 21. März 1916, Recht 1916,350, Nr. 579 und Nr. 582.

richt hat in all diesen Fällen dem Schuldner großzügig geholfen. Der Erzeu­ ger sollte nur denjenigen Teil der eigenen Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte schulden, „der bei Einhaltung der Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft Gegenstand der Veräußerung ist“.122 Ein Gutsbetreiber mußte keine ungewöhnlichen und unwirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen, um aus seinem Gut die versprochene Menge erwirtschaften zu können. Er konnte sogar das „für die eigene Wirtschaft Nötige“ abziehen, jedoch nicht über den Bedarf der Friedenszeit hinaus.123 Der Produzent mußte regelmä­ ßig nur aus der eigenen Produktion liefern, sofern er erkennbar als Produ­ zent die Ware versprochen hatte;124 eine Eindeckung auf dem Markt schul­ dete er dann nicht. Auch eine zusätzliche Transportvereinbarung konnte der Leistungspflicht besondere Grenzen setzen. Das OLG Hamburg verengte sogar bei schlichten cif-Geschäften die Leistungspflichten. Obwohl die cifKlausel dem Händler ausdrücklich nur einzelne Transportkosten aufbürdete, erkannte das Oberlandesgericht in der Organisation des Transportes einen eigenständig geschuldeten Teil der Leistung. Für diesen habe sich ein eigen­ ständiger Markt herausgebildet; der auf diesem Markt tätige Händler pflege in der Regel bestimmte Transportverbindungen, für die er besondere Erfül­ lungsvorkehrungen treffe, etwa langfristige Verträge mit entsprechenden Rabatten abschließe.125 Kostspielige und risikoreiche Umwege über neutrale Staaten muß er deshalb ebensowenig in Kauf nehmen126 wie längere, kapi­ talbindende Zwischenlagerungen.127 Konnte der Transport dagegen ohne „Mehrkosten oder außergewöhnliche Schwierigkeiten“ geändert werden128 oder war der Käufer ausdrücklich bereit, die anfallenden Zusatzkosten zu übernehmen, so sollte ausnahmsweise der Schuldner verpflichtet sein, die vorgesehene Beförderungsroute abzuändern.129 122 RG v. 7. Dezember 1917, RGZ 91,312 (313). 123 Abzug normalen Eigenbedarfs: Urt. v. 7. Dezember 1917, RGZ 91, 312 (313); kein Abzug kriegsbedingten Bedarfs: RG v. 23. Oktober 1918, Recht 1919,65, Nr. 90. 124 RG v. 30. Oktober 1916, RGZ 88, 287 (288); OLG Hamburg v. 9. Januar 1917, LZ 1917,1279; RG v. 30. Januar 1917, Wameyer 1917, 99 (101); OLG Hamburg v. 9. Juni 1917, Recht 1917, 517, Nr. 947; RG v. 13. Mai 1919, Wameyer 1919, 239 (240 f.); RG v. 20. Januar 1920, Recht 1920, Nr. 2322. 125 OLG Hamburg v. 10. Februar 1916, HansGerZ 1916,69 (70). 126 OLG Hamburg v. 9. November 1915, HansGerZ 1916,105 (106 f.); OLG Hamburg v. 25. Mai 1916, LZ 1916, 1266; OLG Hamburg v. 31. Mai 1916, LZ 1916, 1140; RG v. 12. Juli 1917, Wameyer 1917,306 (308). 127 OLG Hamburg v. 26. Februar 1916, Recht 1916,245, Nr. 528; RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88,71 (74). 128 So en passant das OLG Hamburg v. 7. Juni 1916, HansGerZ 1916,187 (187 f.). 129 RG v. 23. Januar 1917, LZ 1917, 596 (597): inländischer Bestimmungsort ist Erfül­ lungsort; RG v. 12. Juli 1917, Wameyer 1917,306 (308) als obiter dictum.

In anderen Fällen weigerte sich die Rechtsprechung hartnäckig, dem Schuldner zu helfen. Ein „Grundsatz" wurde formuliert, wonach „derjenige, der während des Kriegs, wo Metallwaren und die Rohstoffe, aus denen sie hergestellt werden, knapp sind, ihre Zufuhr aus dem feindlichen Ausland und von Übersee eingeengt ist, solche Waren verkauft, ohne daß er die Ware oder, wenn er sie anfertigt, die Rohstoffe dazu im Besitz oder zu seiner Ver­ fügung hat, mit dem Einwand, die Lieferung sei unmöglich, weil die Ware oder die Rohstoffe nicht am Markt zu haben seien, überhaupt nicht gehört werden [kann]“.130 Gerade für den Großhandel und die industrielle Produk­ tion wurde dieser Grundsatz auf andere kriegsbedingt knappe Rohstoffe und Grundnahrungsmittel ausgedehnt. Wer in Zeiten des Krieges derartige Lei­ stung verspreche, der müsse eben mit außergewöhnlichen Verhältnissen rechnen, so der Gedanke des Reichsgerichts.131 Im Rahmen des Vorherseh­ baren wurde es dem Schuldner verwehrt, sich auf behördliche Bewirtschaf­ tungsmaßnahmen oder marktbedingte Verknappungen zu berufen. Selbst mit dem Einwand der Unmöglichkeit wurde er nicht mehr gehört.132 Der 3. und der 7. Zivilsenat verwiesen Händler und Produzenten auf eine reine Vorratswirtschaft: „Die im Frieden und unter normalen Zuständen für den Handelsverkehr geltende Regel, daß der Großhändler auch Waren verkauft und verkaufen darf, die er nicht besitzt und sich erst beschaffen muß, wird im Kriege durchbrochen.“133 Der 2. Senat schloß sich insbesondere für den Großhandel der erhöhten Haftung an,134 vermied aber eine schematische Lö­ sung. Es entspreche der „rationellen Betriebsweise einer Fabrikation“, diese nicht „mit Massen von einstweilen unverwendbaren Rohstoffen“ zu bela­ sten, erläuterte der Senat seine abweichende Ansicht. Des weiteren drohe bei einer „dem augenblicklichen Bedürfnis gar nicht entsprechenden Nach­ frage“ ein allgemeinwirtschaftlicher Schaden135 - vielleicht das maßgebende Argument. In der Tat kann man sich leicht ausmalen, wie sehr die Pflicht einer übermäßigen Vorratswirtschaft die schon bestehende Mangelsituation verschärfen mußte. 130 RG v. 18. März 1918, Wameyer 1918,261 (263). 131 RG v. 3. Oktober 1916, Wameyer 1916, 434 (435); RG v. 4. Oktober 1918, Wameyer 1918,327 (328). 132 OLG Stuttgart v. 3. Oktober 1916, Recht 1917,29, Nr. 32. 133 6. Zivilsenat: RG v. 18. Februar 1918, RGZ 93,17 (18); RG v. 18. März 1918, War­ neyer 1918, 261 (263); 3. Zivilsenat: RG v. 17. September 1918, Recht 1918, 412, Nr. 855; RG v. 25. Oktober 1918, Wameyer 1919, 6 (7); RG v. 7. Januar 1920, Wameyer 1920, 82; auch: 7. Zivilsenat: RG v. 19. Dezember 1919, Recht 1920, Nr. 1162. 134 2. Zivilsenat: RG v. 14. März 1916, Wameyer 1916, 145 (146 f.); RG v. 3. Oktober 1916, Wameyer 1916, 434 (435); RG v. 10. November 1916, Recht 1917, 30, Nr. 35; RG v. 30. Oktober 1917, Holdheim 1919,28; RG v. 4. Oktober 1918, Wameyer 1918,327 (328). 135 RG v. 15. April 1919, RGZ 95,264 (266 und 267).

Die methodischen Gründe für das Kriterium der Vorhersehbarkeit blie­ ben unklar. Es liegt nahe anzunehmen, angesichts der Krise erkläre der Schuldner, auch atypische, der besonderen Situation angemessene Erfül­ lungsopfer erbringen zu wollen. Allerdings müßte dann zumindest die fak­ tische Unmöglichkeit als Schranke der Leistungspflicht erhalten bleiben, was ersichtlich nicht der Fall war. In den meisten Urteilen wird deshalb eine Garantie der Leistungsfähigkeit angenommen. Einige Urteile sprechen von einem Verschulden des Versprechenden. Ein Fall der culpa in contrahendo also? Die Rechtsprechung schweigt sich hier aus. Ebenfalls nur angedeutet findet sich der Gedanke der Verwirkung. Die Kautelarjurisprudenz hat das Problem weitgehend durch die Klausel „freibleibend" gelöst. Eine andere Möglichkeit bestand darin, dem Vertragspartner mitzuteilen, daß die Ware erst noch beschafft werden mußte. In diesem Falle hatte der Veräußerer die aus diesem Umstand resultierenden Risiken nicht zu tragen.136 Allerdings mußte er auf besondere Risiken explizit hinweisen; hatte er dies versäumt, so durfte der Käufer darauf vertrauen, daß die Erwerbsaussichten des Ver­ käufers zumindest den eigenen entsprachen.137 Im Falle drohender Verknap­ pung wurde der Händler zudem angehalten, sich vorzeitig einzudecken.138 Nicht allein die Vorhersehbarkeit konnte dem Schuldner zum Verhängnis werden, auch eigene Handlungen mochten die Leistungspflicht verschärfen. Nach § 275 Abs. 1 BGB wird der Verpflichtete mit dem Einwand der un­ möglichkeitsbegründenden Leistungsschwere nicht gehört, wenn ihn dies­ bezüglich ein Verschulden trifft. Den Verlust der Leistungsfähigkeit kann nur verschulden, wer hierauf einwirken kann, was wiederum voraussetzt, daß nicht bereits der Kriegsausbruch und die unbeherrschbaren Kriegsfolgen die Leistung hinreichend erschwert haben. In der Regel wurde die Frage nach dem Verschulden immer dann virulent, wenn der Schuldner Vorräte besaß und diese aufgrund von Umständen, die er nicht verhinderte oder sol­ chen, die er selbst herbeigeführt hatte, verlor. An erster Stelle ist die Be­ schlagnahme der Warenvorräte zu nennen. Da das Mittel der Beschlagnah­ me oft prophylaktisch angewandt wurde und es zudem erklärtes Ziel war, 136 RG v. 7. Januar 1920, Wameyer 1920,120 (121). 137 RG v. 2. Januar 1920, RGZ 97, 325 (328): „Wer eine Lieferungsverpflichtung über­ nimmt und dabei erkennbar macht, daß deren Aushaltung von der Durchführbarkeit eines vorgängigen Deckungskaufs abhängt, übernimmt damit stillschweigend seinem Vertragsgeg­ ner gegenüber die Garantie, daß die Lieferungsverpflichtungen seines Vormannes ihm ge­ genüber mindestens die gleichen seien, wie die seinen dem Vertragspartner gegenüber, und daß er sich durch das Deckungsgeschäft die gleiche Sicherheit und Wahrscheinlichkeit ge­ schaffen hat, die weiterverkaufte Ware zu erhalten, wie sie der Vertragsgegner sich durch den Vertragsschluß zu verschaffen hofft.“ Vgl. noch RG v. 4. April 1919, JW 1919,570 Nr. 3. 138 RG v. 2. März 1917, Wameyer 1917,162 (163); RG v. 1. Februar 1919, Recht 1919, 212, Nr. 334.

lediglich den Weg der betroffenen Güter im Sinne der Kriegswirtschaft zu kanalisieren, war es nicht aussichtslos, die Waren wieder freizubekommen. Laut Reichsgericht war der Schuldner und Noch-Eigentümer verpflichtet, gegen die Beschlagnahme vorzugehen, um zugunsten seiner Gläubiger die Freigabe zu erlangen.139 Gem wird er es nicht gemacht haben. Da die Ent­ schädigungszahlungen den Kaufpreis der Friedenszeit regelmäßig über­ schritten,140 war eine Beschlagnahme nicht uninteressant, zumal die Recht­ sprechung die Ansicht vertrat, daß im Falle unkonkretisierter Gattungs­ schulden der § 281 BGB nicht eingreife, der Schuldner also den (Über-) Erlös behalten dürfe.141 Die Erfüllungsfähigkeit konnte der Schuldner auch verlieren, indem er Kriegslieferungsverträge übernahm und hierfür seine Lagerbestände auf­ brauchte. Diese Fälle hingen zum Teil eng mit denen der Beschlagnahme zusammen, insofern, als der Schuldner oftmals einer Beschlagnahme seiner Warenbestände zuvorkommen wollte. Auch die großzügigen Kriegsgewinne mochten den Schuldner locken, vielleicht plagten ihn gar patriotische Ge­ fühle. Aus rechtlicher Sicht ist völlig klar, daß die hieraus resultierenden Probleme bei der Erfüllung der Altschulden selbst verursacht worden waren. Der Schuldner mochte immerhin auf den Patriotismus der Gerichte hoffen. Auch das Strafrecht setzte klare Prioritäten, indem es in § 329 StGB die Nichterfüllung von Kriegslieferungsverträgen unter Strafe stellte.142 Das 139 RG v. 7. April 1916, Wameyer 1916,243 (244). 140 Zur Praxis der Entschädigungszahlungen: Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Welt­ krieg, S. 189-193. 141 Zu Anfang war es in der Literatur und in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstritten, ob § 281 BGB auf Gattungsschulden angewandt werden solle. Verneinend: RG v. 30. Oktober 1916, RGZ 88, 287 (288 f.); RG v. 24. November 1916, Wameyer 1917, 2 (3): „Entscheidend ist nämlich, daß der Schuldner denselben Gegenstand, für den er Ersatz er­ langte, geschuldet haben muß. Während der Ersatz immer für bestimmte konkrete Sachen gewährt wird, kann man bei einer noch nicht nach § 243 Abs. 2 BGB individualisierten Gat­ tungsschuld nicht sagen, jene später ersetzten Sachen seien geschuldet gewesen.“ Die Identi­ tät wurde auch vermißt, wenn bereits der Rohstoff für den erst herzustellenden Vertragsge­ genstand beschlagnahmt worden war: RG v. 9. März 1918, RGZ 92, 369 (372); RG v. 20. Dezember 1919, Wameyer 1920, 93 (94); auch für die begrenzte Gattungsschuld sollte § 281 BGB zunächst nicht gelten, RG v. 30. Januar 1917, Wameyer 1917, 99 (101); RG v. 23. Juni 1917, Wameyer 1917, 310; im Juni 1918 wurde diese Rechtsprechung freilich auf­ gegeben, soweit der ganze in Frage kommende Vorrat beschlagnahmt worden ist: RG v. 13. Juni 1918, RGZ 93, 142 (143 f.). Die Literatur fand hier nicht zu einer einhelligen An­ sicht; zur Kontroverse: Starke, Lieferungsverträge, S. 78-81. 142 § 329 StGB lautete: „Wer die mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges, oder über Lebensmittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Nothstandes vorsätzlich entweder nicht zur be­ stimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise erfüllt, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft [...] Liegt der Nichterfüllung des Vertrages Fahrlässigkeit zum Grun­

preußische Kriegsministerium unterstützte den Schuldner mit folgendem Rundschreiben: „Die [...] Abteilung weist [...] darauf hin, daß Sie sich viel­ fach dadurch gegen etwaige Anforderungen Ihrer Privatkundschaft schützen können, daß Sie einwenden, zur Vermeidung eines Verstoßes gegen § 329 StGB seien Sie gezwungen, zuerst die Ihnen gegen die Heeresverwaltung obliegenden Pflichten zu erfüllen. Indem Ihnen die [...] Abteilung ferner hiermit eröffnet, daß die Heeresverwaltung bei Nichterfüllung alter oder neuerer Kriegslieferungsverträge eventuell den ganzen Betrieb der Firma für ihre Zwecke nach dem Kriegsleistungsgesetz in Anspruch nehmen müßte, ist Ihnen ein weiterer Einwand Ihrer Privatkundschaft gegenüber gege­ ben.“143 In der Literatur erntete diese Position freundliche Kommentare.144 Auf die Gnade des Reichsgerichts hofften die beiden Parteien der Kriegslie­ ferungsverträge freilich vergebens.145 Selbst angedrohten Beschlagnahmen mußte nicht nachgegeben werden; der Schuldner war gehalten, die behördli­ che Maßnahme abzuwarten.146 Der Patriotismus machte vor dem Recht halt. Sofern der Händler bereits aufgrund seiner Altaufträge in größerem Um­ fang verpflichtet war, als er seinerseits an Lagerbeständen ausweisen konn­ te, befand er sich unverschuldet in einer ähnlichen Zwickmühle. Isoliert be­ trachtet kann der Schuldner jede einzelne Pflicht erfüllen; was er nicht kann, das ist die restlose Erfüllung sämtlicher Verträge. Man könnte ihm also für jeden einzelnen Fall die Leistungsmöglichkeit attestieren und, sobald er sein Lager für die ersten Verträge geräumt hatte, für den Rest selbstverschuldetes Unvermögen. Sachgerechter ist freilich eine Gesamtbetrachtung. Es sollte keinen Unterschied machen, ob der Schuldner einen einzelnen Vertrag nur teilweise oder mehrere Verträge nur vereinzelt erfüllen konnte. Der Vor­ wurf, sich in größerem Umfang gebunden zu haben als er erfüllen konnte, bleibt ja auch derselbe. Wie ist aber angesichts der Gläubiger zu verfahren? Das Reichsgericht nahm, anknüpfend an ein Vorkriegsurteil, eine „Interes­ sengemeinschaft" aller Altgläubiger an, innerhalb derer die vorhandenen

de, so ist, wenn durch die Handlung einen Schaden verursacht worden ist, auf Gefängnis bis zu zwei Jahren zu erkennen. [...]“ 143 Zitat bei Wassermann, Privatlieferung und Kriegslieferung, JW 1914,1005. 144 Wassermann geht von einem Vorrang der Kriegslieferungsverträge aus und verweist die Altgläubiger auf den Schadensersatzanspruch: Wassermann, Privatlieferung und Kriegs­ lieferung, JW 1914,1006; zustimmend: Neukamp, Die Wirkungen der staatlichen Beschlag­ nahme, Gruchot 59 (1915) 794 f. und 797; Starke, Lieferungsverträge, S. 28 f.; anders Bek­ ker, Privatlieferung und Kriegslieferung, JW 1914,1114 (1115). Becker vermeidet die Scha­ densersatzpflicht, indem er aus dem zitierten Schreiben einen Kontrahierungszwang ableitet. 145 RG v. 2. Juni 1916, Recht 1916, 460, Nr. 903; RG v. 6. Mai 1919, Recht 1919, 285, Nr. 442. 146 RG v. 26. Juni 1917, Recht 1917,407, Nr. 864.

Bestände verhältnismäßig aufzuteilen seien.147 Der Schuldner war also in seiner Auswahl nicht frei, konnte aber, eine richtige Verteilung der Vorräte vorausgesetzt, den Vorwurf des Verschuldens vermeiden. c) Die Konkretisierung der Erfüllungszeit Allen war klar, daß der Krieg und mit ihm die Störungen des Wirtschaftsle­ bens irgendwann einmal zu Ende gehen mußten. Der ex-post-Betrachter wird sogar mit dem Phänomen der allgemeinen Erwartung eines kurzen Krieges überrascht. Unternehmer weigerten sich, in ihre Betriebe zu inve­ stieren, sie auf den neuen kriegsbedingten Bedarf umzustellen. Wenn der Krieg bald vorbei sei, so ihre Kalkulation, würden sie auf ihren hohen Um­ stellungskosten sitzenbleiben. Mit derselben Einstellung wurden laufende Verträge schlicht auf Eis gelegt. Selbst durch Kriegsklauseln gesicherte Schuldner ließen sich häufig auf eine bloße Verschiebung der Erfüllung ein. Neue Verträge wurden ausdrücklich für die Nachkriegszeit geschlossen, zum Teil mit exakten Tagen und Wochenangaben, zu messen ab dem Zeit­ punkt des Eintritts des Friedens. Insbesondere der Baumwollhandel, der ge­ wöhnt war an einen frühzeitigen Verkauf zukünftiger Ernten, verschob mas­ senhaft die Geschäfte auf die Friedenszeit und schloß noch bis weit in das Jahr 1916 hinein neue Lieferungsverträge ab.148 Auch ein rechtlicher Grund verschärfte das Problem der aufgeschobenen Verträge. Die kriegsbedingte Leistungsunmöglichkeit wie auch deren neuer, die Leistungsschwere umfas­ sende Ableger galten als vorübergehende Umstände. Sie sollten Wiederauf­ leben, sofern nicht ein besonderer Fixcharakter der Schuld etwas anderes gebot. Was allein fehlte, war das Ende des Krieges. Und das ließ bekannt­ lich auf sich warten. Die Jahre zogen ins Land. Ab 1916 machte man sich Gedanken, ob nach dem Ende des Krieges der Faden wirklich dort aufgeho­ ben werden konnte, wo man ihn im Herbst 1914 fallengelassen hatte. Zuviel Zeit schien vergangen, zu groß waren die Auswirkungen des Wirtschafts­ krieges, zu weitgehend der Abbruch der Außenwirtschaftskontakte. Mit dem unbeschränkten U-Boot-Krieg im Winter 1916/17 sanken die Hoffnungen auf eine baldige Normalisierung des Welthandels weiter. Und sie schwan­ den vollends, als die Vereinigten Staaten von Amerika sich berufen fühlten, in das Ringen der europäischen Nationalstaaten einzugreifen. Das Reichsge­ 147 RG v. 3. Februar 1914, RGZ 84, 125 (128, 130); RG v. 26. Januar 1918, Wameyer 1918,71 (73); RG v. 24. September 1918, RGZ 94,17 (19); Gläubiger, die ohne Kriegsklau­ sel berechtigt waren, sollten vorrangig vor den klauselbelasteten Gläubigem berücksichtigt werden: RG v. 13. November 1917, RGZ 91,332 (334 f.); RG v. 21. März 1921, Recht 1921, Nr. 2347. 148 Speziell zum Baumwollhandel: Schumacher, Unmöglichkeit der Leistung bei Schie­ bungen von Geschäften auf Friedenszeit, HansRZ 1917,116-119.

richt konnte angesichts der vielen betroffenen Verträge nicht achtlos an die­ ser Entwicklung vorübergehen. Es mußte Antworten finden auf die Frage, ob die Parteien nach dem Krieg noch, wieder oder erstmals, an die zum Teil recht alt gewordenen Verträge gebunden sein sollten. 1916 führte die bis dahin zweijährige Hemmung eines Vertrages über madegassischen Bast zu der höchstrichterlichen Erkenntnis, der Vertrag sei selbst nach dem Kriege nicht mehr zu erfüllen. Nach Ansicht des Gerichts war die Erfüllung nicht nur momentan gehindert, sondern endgültig unmög­ lich geworden, „denn die notwendig gewordene zeitliche Verschiebung ver­ ändert die wirtschaftliche Bedeutung der Lieferung in dem Maße, daß sie, wenn sie in Zukunft einmal beschafft würde, etwas wesentlich anderes sein würde als die im Vertrag bedungene Leistung“.149 Diese Argumentation ist nicht neu. Bereits 1898 hatte das Reichsgericht nach gemeinem Recht ganz ähnlich entschieden. Damals war die Lieferung von Roggenmehl mehr als sechs Monate hinausgezögert worden, weil die für die Vermahlung des Roggens vertraglich vorgesehene Mühle abgebrannt war und erst wieder aufgebaut werden mußte. Auch damals sollte der Schuldner nicht nachlie­ fern müssen. Das Reichsgericht begründete die Entscheidung wie folgt: „Die Unmöglichkeit stellt sich im Sinne des Rechtes auch dann als eine dauernde dar, wenn zufolge einer notwendigen Verzögerung der Lieferung der Leistungsinhalt ein anderer wird.“150 Die Rechtsprechung half dem Schuldner, indem sie die Identität der späteren Leistung mit der geschulde­ ten bestritt, so daß auch ein faktisch vorübergehendes Hindernis die ge­ schuldete Leistung dauernd verhindern und die Rechtsfolge des § 275 Abs. 1 BGB auslösen konnte. Eine einheitliche begriffliche Einordnung wurde vom Reichsgericht nicht vorgenommen. Ungeachtet der bald auf­ kommenden Unterscheidung von „vorübergehender Unmöglichkeit“ und „andauernder Unmöglichkeit“ war die Lösung mit diesen Begriffen nicht zu fassen. Allein die andauernde Befreiung ist für den Schuldner interessant. Eine vorübergehende Behinderung muß er schon angesichts der gesetzlichen Verzugsregelungen nicht fürchten. Besser gelungen war die Differenzierung zwischen der „Unmöglichkeit der Leistung“ und der „Unmöglichkeit der Er­ füllung“.151 Zeitunabhängig sollte ermittelt werden, ob die Leistung an sich möglich ist; ob sie darüber hinaus noch erfüllungstauglich ist, ob die Erfül­ lung der Leistungspflicht also noch möglich ist, das konnte von weiteren Voraussetzungen, auch von einer bestimmten Zeitspanne abhängen. Wie man die Begriffe auch dreht und wendet, ersichtlich wird, daß die Unmög­ 149 RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88,71 (74). 150 RG v. 6. Juli 1898, RGZ 42,114 (115). 151 So Krückmann, Einmal unmöglich immer unmöglich, LZ 1916, 713 (715); die Termi­ nologie findet sich noch in RG v. 2. März 1917, Wameyer 1917,156 (159).

lichkeit angesichts der zeitlichen Hemmung der Leistung ihre zentrale Posi­ tion verloren hat. Wer wissen wollte, ob die in Zukunft mögliche Leistung der versprochenen entspricht, der mußte sich mit dem Versprechen beschäf­ tigen, nicht mit dem Gesetz. Die Überlegung des Reichsgerichts nahm ihren Ausgang bei besonders saisonabhängigen Agrarprodukten. Für Roggenmehl hält das Reichsgericht in der angesprochenen Entscheidung fest: „Es handelt sich um eine Ware, die sehr erheblichen Konjunkturen und Preisschwankungen unterliegt. Und diese Preisschwankungen bestimmen sich [... ] ganz vorzugsweise nach dem Ausfall der Welternte.“152 Ergo sei - zumindest im Großhandel - die Liefe­ rung aus einer überschaubaren, aktuellen Ernte etwas völlig anderes als die Leistung aus einer zukünftigen, noch vollständig unbekannten Ernte. Dieses zu versprechen sei Spekulation, jenes Kalkulation. Im vorliegenden Fall kam das Reichsgericht zu dem Ergebnis, daß das Risiko kommender Ernten nicht übernommen worden war. Geschuldet sei nur Mehl aus einer be­ stimmten Roggenernte. Der Schuldner mußte sich nicht auf die neue Ernte verweisen lassen. Denn: „Der Leistungsgegenstand wird selber verändert und hat die Fähigkeit, als Vertragserfüllung zu dienen, verloren.“153 Das ließ sich auf andere saisonabhängige Agrarerzeugnisse übertragen. Angesichts einer Lieferung von 70 Tonnen Mais grenzte das Reichsgericht die Schuld auf die aktuelle Ernte ein.154 Das OLG Hamburg zog in diesem Sinne einer Lieferung Guatemala-Kaffees enge zeitliche Grenzen.155 Eine Ausnahme galt für den Baumwollhandel, da es bei diesem durchaus üblich war, zu­ künftige Ernten zu verkaufen. Doch dazu später. Für viele Überseeprodukte, insbesondere für mineralische Rohstoffe, konnte die zeitliche Beschränkung nicht auf eine Ernte zurückgeführt werden. Hier kam dem Schuldner aber entgegen, daß bei Abladegeschäften regelmäßig bestimmte Abladezeiten vereinbart wurden, was angesichts der Schwankungen auf den Rohstoff­ märkten auch seinen Sinn hatte. „Eine Abladung außerhalb dieser Zeit gilt nicht als Vertragserfüllung“,156 so das Reichsgericht. Der Schuldner mochte später erfüllen, aber er schulde in jedem Fall nur Waren „von vertragsmäßi­ ger Beschaffenheit und Abladezeit“.157 Weder die Verträge über abgeladene 152 RG v. 6. Juli 1898, RGZ 42,114 (116). 153 RG v. 6. Juli 1898, RGZ 42,114 (116). 154 RG v. 4. Januar 1916, Wameyer 1916, 60 (61): Der Schuldner müsse, „wenn er noch liefern soll, mit einer späteren Ernte rechnen, als mit der er bei Abschluß des Vertrages ver­ nünftigerweise rechnen konnte“. 155 OLG Hamburg v. 12. Februar 1917, LZ 1917,1008 Nr. 11. 156 RG v. 27. Juni 1916, Wameyer 1916, 346; in diesem Sinne auch: RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88,71 (73). 157 RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88,71 (75).

noch die über geerntete Waren sind Fixgeschäfte im engeren Sinne. Ablade­ zeit und Ernte engten aber den Leistungsgegenstand zugunsten des Schuld­ ners ein. Die Hauptprobleme lagen freilich woanders. Bereits die schlichte Auf­ rechterhaltung der Leistungsfähigkeit konnte den Schuldner teuer zu stehen kommen. Überseeprodukte, die wegen der Blockade ihr Ziel nicht mehr er­ reichen konnten, mußten vor Ort eingelagert werden. Die Versicherungsko­ sten für die Ware wie für den Transport stiegen an, nicht selten litt auch die Qualität der Ware. Selbst die für den Export verkauften Inlandswaren wur­ den zunächst eingelagert, wenn eine Inlandsabnahme nicht möglich oder nicht vertragsgerecht war. Diese Aufwendungen und Kosten summierten sich, je länger der Krieg dauerte. In beiden Fällen halfen die Gerichte dem Schuldner. In der eingangs erwähnten, ersten großen Entscheidung war ein Schiff mit einer Ladung Raffiabast, einem bambusartigen Werkstoff, in dem neutralen Teneriffa liegengeblieben. Die Ladung war bereits veräußert. Die Schuldnerin klagte auf Feststellung, daß dem Käufer keine Rechte mehr aus dem Vertrag zustünden, wohl um die Ware anderweitig verkaufen zu kön­ nen, und bekam recht. „Die Leistung würde sich [...] infolge der durch den Krieg verursachten Verzögerung für die Klägerin zu einer ganz anderen Last gestalten, als sie ohne diesen Zwischenfall war“, urteilte das Reichsgericht. Denn: „Sie müßte nicht nur den Kaufpreis jahrelang entbehren, sondern auch die Gefahr der Gewichts- und Wertminderung tragen, ferner für Auf­ bewahrung des Gutes, Versicherung, Beiträge zur großen Haverei Aufwen­ dungen machen, welche nicht wie in Friedenszeiten durch die gewöhnlichen Versicherungen gedeckt würden.“ Die Leistung habe sich „nach Inhalt und wirtschaftlicher Bedeutung“ wesentlich verändert, sei also nicht mit der ge­ schuldeten identisch.158 Ein Fall der Unmöglichkeit also. Spätere Urteile betonten die beträchtlichen Schwierigkeiten, die mit einer langjährigen Auf­ bewahrung verbunden seien.159 Der Tenor war eindeutig: der Verkäufer mochte den Leistungsgegenstand, er mochte auch die Kosten oder zumin­ dest die Organisation eines Transportes versprochen haben. Im Versprechen regelmäßig nicht mit enthalten war aber die kostenintensive und risikoreiche Zwischenlagerung der Waren über den Krieg hinweg. Soweit sich aus den Verträgen nichts anderes ergab, mußte der Verkäufer nach dem Krieg nicht mit der vorhandenen Ware erfüllen. Er konnte die Warenbestände ander­

158 RG v. 4. Februar 1916, RGZ 88, 71 (74); auch: OLG Hamburg v. 26. Februar 1916, OLGE 32,315 (315 f.). 159 RG v. 15. November 1918, JW 1919,103 (104); RG v. 26. März 1919, JW 1919, 717 (718).

weitig verkaufen, ohne befürchten zu müssen, deswegen in Regreß genom­ men zu werden.160 Die Rechtsprechung ging noch einen bedeutenden Schritt weiter. Im Mai 1916 wurde, eher prospektiv, auf eine „ständige Rechtsprechung des RG“ hingewiesen, wonach „die [...] notwendig gewordene Verschiebung der Lieferung um 15 Monate und mehr so wesentlich sei, daß eine Lieferung nach dem dereinstigen, noch nicht absehbaren Ende des Krieges nicht mehr als Erfüllung des Vertrages gelten könne; aus der zeitweiligen sei also eine endgültige Unmöglichkeit der Leistung geworden“.161 In diesem Sinne wur­ de in zahlreichen weiteren Fällen judiziert.162 Eine spätere Leistung sei nicht identisch mit der versprochenen; die frühere, der versprochenen entspre­ chende Leistung sei aber nicht möglich - so lautet der bereits bekannte Te­ nor. Erneut wandte die Rechtsprechung die Rechtsfigur der Unmöglichkeit auf einen sehr weit gefaßten Vertragsinhalt an. Anders als bislang wurden mit dieser Begründung in geradezu inflationärer Weise vertragliche Bindun­ gen in Frage gestellt. Das lag daran, daß die Rechtsprechung sich plötzlich für die „wirtschaftliche Bedeutung der Leistung“163 interessierte und dabei auch die „erkennbare wirtschaftliche Grundlage dieses Versprechens“164 und sogar die „Erreichung der beiderseitigen Vertragszwecke“165 in ihre Überle­

160 Das galt selbst im Falle bereits erfolgter Spezifikation: RG v. 8. Februar 1921, Warneyer 1921, 80 (81 f.); zur Position der Hamburger Kaufmannschaft: Heymann, Die Bedeu­ tung des Krieges für die Lieferungsverträge insbesondere im Ueberseeverkehr, DJZ 1915, 760 f. 161 RG v. 23. Mai 1916, Wameyer 1916,296. 162 RG v. 4. Januar 1916, Wameyer 1916,60; OLG Hamburg v. 12. Februar 1916, OLGE 32,312; RG v. 27. März 1917, RGZ 90,102; RG v. 6. Juli 1917, JW 1918,33; RG v. 15. De­ zember 1917, Recht 1918,63, Nr. 119; RG v. 22. Januar 1918, RGZ 92, 87; RG v. 30. Januar 1918, Wameyer 1918, 129; RG v. 6. Februar 1918, Recht 1918, 192, Nr. 399; RG v. 8. Fe­ bruar 1918, RGZ 93, 341; RG v. 18. Juni 1918, Wameyer 1918, 193; RG v. 15. Oktober 1918, RGZ 94, 46; RG v. 15. Oktober 1918, Wameyer 1919,133; RG v. 22. Oktober 1918, Wameyer 1919,13; RG v. 13. Dezember 1918, Wameyer 1919, 44; RG v. 18. Februar 1919, JW 1919, 444; RG v. 11. März 1919, Wameyer 1919, 166; zustimmend, wenn auch nicht entscheidungstragend: RG v. 2. März 1917, Wameyer 1917,156 (158); RG v. 19. Juni 1917, LZ 1917, 1252 (1253); RG v. 12. Juli 1917, Wameyer 1917, 288 (291); RG v. 16. Januar 1918, Wameyer 1918,131 (133); RG v. 11. März 1919, Wameyer 1919,166. 163 RG v. 4. Januar 1916, Wameyer 1916, 60 (61); OLG Hamburg v. 12. Februar 1916, OLGE 32,312 (313); RG v. 19. Juni 1917, LZ 1917,1252; RG v. 22. Januar 1918, RGZ 92, 87 (88); RG v. 18. Juni 1918, Wameyer 1918, 193 (194); RG v. 11. März 1919, Wameyer 1919,166 (167). 164 OLG Hamburg v. 22. Juni 1917, HansGerZ 1917,221 (222); bestätigt in RG v. 8. Fe­ bruar 1918, RGZ 93,341 (342 f.). 165 RG v. 6. Juli 1917, JW 1918, 33; RG v. 4. Januar 1916, Wameyer 1916, 60 (61); RG v. 27. März 1917, RGZ 90,102 (105).

gungen einfließen ließ. Diffus wird die „sinngemäße Erfüllung“166 in Frage gestellt, sollte die Leistung erst nach dem Krieg möglich sein. In der vielzitierten Entscheidung RGZ 90, 102 erläuterte das Reichsgericht die Überle­ gungen ausführlicher. Für die Schuldnerin gelte: „Müßte sie nach dem Ende des Krieges dennoch erfüllen, so müßte sie die Ware unter jetzt noch unge­ wissen, jedenfalls aber im Vergleich zur vertraglichen Lieferzeit völlig ver­ änderten Verhältnissen beschaffen. Die Leistung wäre für sie infolge des notwendig gewordenen Aufschubs eine ganz andere.“ Auch die Gläubigerin bekäme etwas anderes als das Erwartete. Denn: „Sie würde die Ware für den Handelsbedarf, für den sie gekauft hatte, nicht mehr verwenden können. Wenn sie auch mit gutem Grunde glauben mag, daß sie ihren Vorteil dabei finden würde, so müßte sie doch die Ware unter völlig veränderten wirt­ schaftlichen Verhältnissen verwerten.“167 Nicht das Mögliche entschied über die vertragliche Bindung, sondern das wirtschaftlich Gewollte. Damit ist die Konzeption des Gesetzes, den Schuldner im Rahmen des Möglichen an dem Versprochenen festzuhalten, weitgehend ausgehebelt. Ohne der Nachkriegs­ situation im Detail nachzugehen, ja ohne wenigstens abzuwarten, bis die Schwierigkeiten konkreter benannt werden konnten, konstruierte die Recht­ sprechung „eine der Unmöglichkeit gleich zu achtende Verzögerung und Er­ schwerung der Vertragserfüllung“.168 Das Reichsgericht wollte keine Erfüllungsfristen im Sinne einer Fix­ schuld begründen, und eine generelle Abhängigkeit des Versprechens vom Weiterbestand der wirtschaftlichen Situation des Vertragsschlusses lag dem Gericht ebenfalls fern. Allein die ,„Annahme, daß die zeitliche Verschiebung der Leistung auf ihren Inhalt und ihre wirtschaftliche Bedeutung umgestal­ tend eingewirkt habe“, rechtfertigte die Abschwächung der Geltungskraft der Verträge.169 Eine schlichte Unterbrechung für die Dauer des Krieges ge­ nügte ebensowenig170 wie die bloße Frustration wirtschaftlicher Planun­

166 RG V. 12. Juli 1917, Wameyer 1917, 289 (292); RG v. 6. Februar 1918, Recht 1918, 192, Nr. 399. 167 RG v. 27. März 1917, RGZ 90,102 (105). 168 RG v. 16. Januar 1918, Wameyer 1918,131 (132); in der Literatur waren schon früh ähnliche Ergebnisse vertreten worden: Hueck, Müssen die durch den Krieg unterbrochenen Lieferungsverträge später erfüllt werden?, DJZ 1915, 815 f.; Schreiber, Rechtsfragen des deutschen Exporthandels nach Friedensschluß, DJZ 1915,1181; Cantor vertrat in der Metho­ de die Lösung der Rechtsprechung, warnte aber vor einer großzügigen Annahme der dauern­ den Unmöglichkeit: die Lieferzeit müsse ein „wesentliches Element des Vertragsinhalts“ sein: Cantor, Erfüllungsunmöglichkeit eines Liefervertrages als Kriegsfolge, RuW 1916,166. 169 RG v. 16. Januar 1918, Wameyer 1918,131 (133). 170 Das betraf in erster Linie die verhinderte Ausfuhr von Waren: RG v. 19. Juni 1917, LZ 1917,1252 (1253).

gen.171 Wichtig war der Zusammenhang. Dies war nicht neu. Bereits 1881 hatte das Reichsgericht eine andauernde Unmöglichkeit angenommen, „wenn der Wegfall des Hindernisses aus thatsächlichen Gründen [...] nicht absehbar ist und dadurch der konkrete Vertragszweck vereitelt wird“.172 Damals suchte das Reichsgericht die Lösung noch im Unmöglichkeitsbe­ griff. Die Unmöglichkeit setzt im Grunde ein dauerndes Hindernis voraus; vorübergehende Hindernisse verzögern die Leistung nur. Die Umsetzung dieser begrifflich klaren Trennung scheiterte an der begrenzten Erkenntnis­ fähigkeit des Menschen. Dieser kann bekanntlich die Zukunft nur mittels vager Prognosen ertasten und deshalb oftmals nicht sicher überblicken, ob ein Hindernis später einmal entfallen wird oder nicht. In dem 1881 ent­ schiedenen Fall wußten die Parteien, anders als in den Weltkriegsfällen, in der Tat nicht einmal, ob das Hindernis - die behördliche Erlaubnis für die Erteilung schulischen Unterrichts war verweigert worden - überhaupt je­ mals beseitigt werden konnte. Damals wollte das Reichsgericht die hiermit verbundene Unsicherheit nicht auf den Vertrag übertragen, da der Vertrag ein diesbezügliches Zuwarten nicht vertrug. Die verhinderte Leistung, Un­ terricht für eine Privatschule, war von der unabsehbaren Verzögerung be­ sonders betroffen, da sie andauernd erbracht werden sollte und deshalb sei­ tens des Gläubigers anderweitig sichergestellt werden mußte. Also wurde das unabsehbare Hindernis dem andauernden gleichgestellt, was zur Folge hatte, daß der Schuldner, selbst nachdem er die behördliche Erlaubnis über­ raschend schnell bekommen hatte, die Leistung nicht mehr erbringen konn­ te. Die Leistung war und blieb im Rechtssinne unmöglich.173 Im Weltkrieg war vieles anders. Der Krieg würde ein sicheres Ende nehmen, man wußte nur nicht wann. Und die meisten Lieferungsverträge vertrugen durchaus ein Zuwarten, ganz im Gegensatz zum schulischen Unterricht, der schwerlich nachgeholt werden konnte, ohne seinen Charakter völlig einzubüßen. Geän­ dert hatte sich durch die kriegsbedingte Verzögerung vorwiegend das Risiko einer nachträglichen Erschwerung der Leistung. Daß damit die Leistung ei­ nen anderen Inhalt bekommen habe, kann man schwerlich behaupten. Den­ noch war das Reichsgericht bereit, auch in diesen Fällen die - ja vorwiegend gesetzliche - Risikoverteilung neu zu überdenken. Zunächst wurden Liefe­ rungsverträge über Waren, die aus den Ländern oder Kolonien der Feind­ mächte beschafft werden sollten, aufgehoben. Hier mußten in der Tat nach 171 RG v. 24. März 1920, BayRpflZ 1920,238. 172 RG v. 27. September 1881, RGZ 5,278 (279). 173 Denn die Unmöglichkeit führe zum Fortfall der Verpflichtung. „Dieser Wegfall des vorliegenden Vertrages bedingte zugleich begrifflich die Unmöglichkeit eines Wiederaufle­ bens desselben nach Wegfall des Hindernisses“, RG v. 27. September 1881, RGZ 5, 278 (280).

dem Krieg die wirtschaftlichen Kontakte völlig neu aufgebaut werden. Da aufgrund des enormen Verbrauchs für militärische Zwecke eine besondere Marktsituation zu erwarten war, wurden auch Verträge über kriegstaugliche Rohstoffe wie Erze und andere Rohmetalle aufgehoben. Schließlich sollte fast jede kriegsbedingt nachhaltig veränderte Marktlage die Bindung an den Vertrag in Frage stellen können. Die wirtschaftliche Argumentation stand und fiel mit der Zeitfrage. Nur die unvorhergesehene, unabsehbar lange Behinderung der Leistung recht­ fertigte die Überprüfung des vertraglich übernommenen Risikos. Der kurz­ zeitigen Verzögerung, insbesondere der vorübergehenden Beschlagnahme, wurde diese Qualität abgesprochen.174 Die Urteile bezögen sich nur auf „au­ ßergewöhnliche, nicht voraussehbare Fälle“, betonte das Reichsgericht noch.175 Verträge, die sich über Jahre hinzogen, wurden ausgenommen.176 Auch wer angesichts des Weltkriegs versprach, nach dessen Beendigung ei­ ne Leistung zu erbringen, sollte sich auf die mit der kriegsbedingten Verzö­ gerung einhergehenden Schwierigkeiten nicht berufen können. Nur wenn die zeitliche Verzögerung die Parteien überraschend traf, die Parteien also selbst keine Vorsorge treffen konnten, wollte das Gericht helfend eingreifen. Praktisch stieß dieser hehre Gedanke auf erhebliche Probleme. Die Betrof­ fenen brauchten eben einige Zeit, um die ganze Tragweite eines modernen Weltkriegs überschauen zu können. Hinzu kam ein nicht unwesentlicher psychologischer Aspekt. Mochte man bei neuen Abschlüssen vorsichtig sein, so waren doch die Hemmungen gering, die Lieferungspflichten aus Vorkriegsabschlüssen auf die Friedenszeit zu schieben. Keine der Parteien dachte daran, damit die Risiken grundlegend neu verteilt zu haben. Der Schuldner war in der Regel froh, wenn er zunächst von Lieferungswünschen verschont wurde, während der Gläubiger wenigstens den Vertrag gerettet zu haben glaubte. Auch in vielen Kriegs- und force-majeure-Klauseln der Vor­ kriegszeit war eine schlichte Prolongation vorgesehen. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts wurden die prolongierenden Vorkriegsklauseln dem Schuldner nur selten zum Verhängnis. Der Schuld­ ner habe durch diese Klauseln nicht zugesagt, unter allen Umständen an den Vertrag gebunden sein zu wollen, kann man in vielen Urteilen nachlesen. Eine andere Auslegung sei ungewöhnlich und solle von dem Gericht erst angenommen werden, „wenn es die Überzeugung gewann, daß die Parteien hier in der Tat einen Vertrag von ungewöhnlichem, von dem Gebrauche des 174 RG v. 26. Mai 1916, Recht 459 (901); RG v. 13. Juli 1916, Wameyer 1916, 338 (339); RG v. 2. März 1917, Wameyer 1917,156 (158 f.); RG v. 16. Januar 1918, Wameyer 1918,131 (133). 175 RG Wameyer 1918,131 (133). 176 RG v. 2. März 1917, Wameyer 1917,156 (158).

Verkehrs abweichenden Inhalt haben abschließen wollen und solchen Inhalt in der streitigen Abrede erkennbar zum Ausdruck gebracht haben“.177 Bei den Vereinbarungen der frühen Kriegszeit urteilte das Reichsgericht dage­ gen härter. Bereits eine im Oktober 1914 vereinbarte Aufschiebung lasse „die Berufung auf diesen Befreiungsgrund nicht zu, weil schon damals mit der Möglichkeit einer längeren als der erwarteten Kriegsdauer immerhin zu rechnen gewesen sei“,178 wurde dem Schuldner vorgehalten. Hier und in zahlreichen ähnlichen Fällen verweigerte das Reichsgericht eine Aufhebung des Vertrags.179 Erst als die Bedeutung des Kriegseintritts der USA in das Bewußtsein drang und dann die Kriegslage allmählich kritischer beurteilt wurde, war das Reichsgericht bereit, in der Anfangsphase des Krieges abge­ schlossene oder hinausgeschobene Verträge nach denselben Kriterien auf­ zuheben wie die Vorkriegsverträge. Nun hieß es anläßlich einer im Spät­ sommer 1915 vereinbarten Vertragsaufschiebung plötzlich: „Die wirtschaft­ liche Lage habe sich seit August 1915 von Grund aus [sic!] in einer damals auch nicht entfernt zu übersehenden Weise geändert.“180 In anderen Urteilen ist zu lesen, mit der vereinbarten Verschiebung des zeitlichen Leistungs­ rahmens sei „nur ein gewisser, begrenzter Spielraum gemeint“ gewesen,181 der Schuldner habe durch die Vereinbarung nicht „auf das gesetzliche Recht, die Erfüllung wegen Unmöglichkeit zu verweigern“, verzichtet.182

177 RG v. 4. Januar 1916, Wameyer 1916, 60 (62); vgl. noch OLG Hamm, 9. Oktober 1916, JW 1916,1547; OLG Hamburg v. 17. Oktober 1916, LZ 1917, 351; OLG Hamburg v. 30. November 1916, Recht 1917, 120, Nr. 213; RG v. 27. März 1917, RGZ 90, 102 (104); RG v. 6. Juli 1917, JW 1918, 33; RG v. 15. Dezember 1917, Recht 1918, 63 (119); RG v. 30. Januar 1918, Wameyer 1918, 129 (131); im Grunde ebenso, im konkreten Fall aber an­ ders, weil die fragliche Klausel zu Lasten des Verwenders ausgelegt wurde: RG v. 22. Januar 1918, RGZ 92,87 (88 f.). 178 RG v. 12. Juli 1917, LZ 1248 (1249); zitiert und bestätigt wird hier die Rechtspre­ chung des OLG. 179 OLG Karlsruhe v. 3. April 1917, DJZ 1917, 691; vgl. RG v. 26. Mai 1916, Recht 1916, 459, Nr. 902; OLG Hamburg v. 21. April 1917, LZ 1917, 887; RG v. 12. Juli 1917, Wameyer 1917, 289 (292); RG v. 12. Juli 1917, LZ 1917,1248 (1249); RG v. 16. Ja­ nuar 1918, Wameyer 1918,131 (133); RG v. 11. März 1919, Wameyer 1919, 166 (167); in RG v. 26. Januar 1918, Wameyer 1918,134 (135) scheitert die Begründung nur deshalb, weil das Gericht in den zur Aufschiebung getätigten Schreiben keine Willenserklärung zu erken­ nen vermochte. 180 RG v. 8. Februar 1918, RGZ 93, 341 (342) für einen am 4. August aufgeschobenen Vorkriegsvertrag; in diesem Sinne auch das KG v. 14. Februar 1919, OLGE 39,135, welches sich aber angesichts der älteren Rechtsprechung des Reichsgerichts außerstande sieht, ent­ sprechend zu judizieren. 181 RG v. 1. Oktober 1918, Recht 1919, 210, Nr. 323; in diesem Sinne bereits: OLG Stuttgart v. 4. Juni 1918, Recht 1918,310, Nr. 653. 182 RG v. 6. Februar 1918, Recht 1918,192, Nr. 398.

Nur „aus besonderen Gründen“ könne „auf den Ausnahmefall der vorbe­ haltlosen Bindung“ geschlossen werden.183 In all diesen Fällen wurden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Eine neue Phase der Rechtsprechung, die eine großzügige Aufhebung auch von Kriegsabschlüssen mit sich brin­ gen sollte, kündigte sich an.

3. Die höchstrichterliche Begrenzung der Gegenleistungspflicht Auch die kriegsbedingte Störung auf der Empfängerseite beschäftigte die Gerichte. Ein Fall ist bereits angesprochen worden: Bei einer erheblichen zeitlichen Verzögerung umfaßten die wirtschaftlichen Erwägungen der Rechtsprechung neben der Erfüllungsplanung des Schuldners auch die Ver­ wendungsplanung des Gläubigers. Der Gläubiger müsse „die Ware unter völlig veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen verwerten“, wurde dem leistungsbegehrenden Gläubiger vorgehalten, um die mangelnde Identität zwischen der versprochenen und der erst nach dem Krieg erbringbaren Lei­ stung zu illustrieren.184 Die Argumentation des Gerichts dürfte in dem kon­ kreten Fall den Gläubiger überrascht haben. Mit seiner Klage belegte er ja gerade den Fortbestand seines Interesses. Eine Sachleistung war in Zeiten knapper Güter und schlechten Geldes eben zumeist attraktiv. Eine Frustrati­ on der Verwendungserwartung konnte den Gläubiger aber durchaus treffen. Ließ die Leistung sich nicht anderweitig verwerten, war sie infolge des Krieges gar für jeden potentiellen Abnehmer uninteressant geworden, so war es der Schuldner der Leistung, der auf den Vertrag pochte und seiner­ seits die Gegenleistung einforderte. Diese Fälle sollen nun betrachtet wer­ den. Der Gläubiger ist besonders hart betroffen, wenn er außerhalb der fru­ strierten Verwendungsplanung die Leistung nicht mehr sinnvoll nutzen kann oder wenn diese nun derart im Wert gemindert ist, daß sie die versprochene Gegenleistung nicht mehr aufwiegen kann. Wie mit diesen Fällen umgegan­ gen werden soll, ist bis heute nicht völlig geklärt. Kunstvoll wird zwischen Primär- und Sekundärzweckverfehlungen differenziert. Der Primärzweck ist Teil des vom Schuldner zu erbringenden Erfolgs; sofern keine Gewährlei­ stungsregeln eingreifen, helfen die §§ 320, 323 BGB. Problematisch ist auch die Behandlung der weiteren, der Erfüllungshandlung des Schuldners entzogenen Verwendungsplanung, die Behandlung der sogenannten Se­ 183 RG v. 22. Oktober 1918, RGZ 94, 68 (70); vgl. RG v. 15. Oktober 1918, RGZ 94, 45 (47 und 49); RG v. 15. Oktober 1918, Wameyer 1919,133 (134 und 138); RG v. 22. Oktober 1918, Wameyer 1919,13 (15). 184 RG v. 27. März 1917, RGZ 90,102 (105).

kundärzwecke. Hier vermag die begriffliche Trennung nicht weiterzuhelfen. Die Situation des Gläubigers ist denkbar schlecht. Noch heute, angesichts der Geschäftsgrundlagenlehre, wird betont, daß die wirtschaftliche Verwen­ dung der Leistung im Grunde allein Sache des Gläubigers sei.185 Es gibt aber Ausnahmen. Beuthien will weitere Zwecke berücksichtigen, sofern eine „Zweckeinigung“ der Parteien stattgefunden habe. Diese soll Einfluß neh­ men auf die Leistungspflicht des Schuldners; die Leistungspflicht werde, so Beuthien, zu einer „zweckgebundenen Leistungspflicht“.186 Die Leistung soll „zweckempfindlich" werden. D. h. die Vereitelung der vorgesehenen Verwendung - eine zweckgebundene Leistungspflicht einmal vorausgesetzt - soll die Leistung unmöglich machen, mit der Folge nicht nur des § 275 Abs. 1, sondern auch der des § 323 BGB.187 Das moderne Gegenmodell stammt von Köhler. Wie vor ihm schon Larenz bevorzugt Köhler den Weg über die Geschäftsgrundlage. Das hat den Vorteil, daß die Debatte dort ge­ führt wird, wo regelmäßig die wirtschaftlichen Interessen liegen: bei der Gegenleistung. Köhlers Scheidung der „rein subjektiven Zweckverfehlung“ von der „beachtlichen Zweckstörung“ fällt aber nicht unbedingt schärfer aus.188 Die zeitgenössische Rechtsprechung kannte das Rechtsinstitut der Geschäftsgrundlage nicht, wohl aber die clausula rebus sic stantibus, die auch bald in der Literatur insbesondere für die Reklameverträge empfohlen wurde.189 Mit harschen Worten wandte sich die Rechtsprechung gegen die Annahme einer solchen clausula. Das Recht habe dem Richter nicht die Machtbefugnis erteilt, aufgrund der Härten des Krieges zwischen den Par­ teien einen Ausgleich herbeizuführen, betonte das Reichsgericht mehrmals, als sei die ganze Debatte um die richterliche Rechtsfortbildung nie geführt worden.190 In der Praxis wurde freilich differenzierter geurteilt. Im Fernhandel tauchten die ersten Verwendungsprobleme auf. Der Käu­ fer hatte beispielsweise eine Ware für den Export gekauft, erkennbar durch 185 MünchKommIRoth, BGB, 3. Auflage, Rn. 662 zu § 242 BGB; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Auflage, Rn. 36 zu § 275 BGB. 186 Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 159-196; insbes. S.160 f., 195 f. ^Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 159 f.: „Wenn man die Sachleistungspflicht schon zum Geschäftszweck in Beziehung setzt, ist dort vielmehr bereits die Leistungshandlung zweckbezogen. Sie ist deshalb [...] so sinnlos geworden wie der Leistungserfolg. Sie ist nicht möglicher als dieser.“ 188 Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuld­ verhältnis, S. 98-116. 189 Vgl. Rosenthal, Die Einwirkung des Krieges auf Reklameverträge, DJZ 1914, 1164 (1166 f.); Recken, Einfluß des Krieges auf Reklameverträge, LZ 1914,1696 (1698 f.). 190 RG v. 4. Mai 1915, RGZ 86, 397 (398); RG v. 30. November 1915, RGZ 87, 349 (350); RG v. 3. Juli 1917, RGZ 90,374 (375).

besondere Kostentragungsklauseln wie fob und cif oder durch konkrete Ver­ sendungsabreden. Mußte er die Ware im Inland abnehmen, wenn der Export durch die zahlreichen Ausfuhrverbote oder durch die Blockade vereitelt wurde? Auch ein bezweckter Import von Auslandswaren warf die Frage auf, ob der Käufer die Ware am Ursprungsort abzunehmen hatte, wenn der Im­ port scheiterte. Das Reichsgericht wich nur ungern von der vertraglichen Pflicht ab. Angesichts einer fob Bremen ausdrücklich nur für den Export verkauften Ware sah das OLG Hamburg im Export eine „wirtschaftliche Voraussetzung“, von deren Möglichkeit der Vertrag abhänge,191 mußte sich aber vom Reichsgericht belehren lassen, daß dies allein nicht ausreichen könne: „Eine solche Abhängigkeit hätte erreicht werden können durch Set­ zung einer mit der Unmöglichkeit eintretenden auflösenden Bedingung oder durch eine Einigung dahin, daß bei Eintritt der Unmöglichkeit die Verträge rückgängig gemacht werden sollten. Aber weder das eine noch das andere hat das Berufungsgericht festgestellt, und ebensowenig, daß die Klägerin etwa die Garantie übernommen habe, die Verschiffung werde zur Zeit der Lieferung möglich sein.“192 Anläßlich einer cif Bombay verkauften Ware sah das schon anders aus. Anders als bei der fob-Klausel liefert der Verkäu­ fer nicht lediglich an Bord eines Schiffes; er übernimmt zudem konkrete Kosten der Versendung und vor allem deren Organisation. Ein Teil der Schuld konnte also nicht erbracht werden. Das Reichsgericht hatte sich in diesem Fall damit auseinanderzusetzen, ob die mit der Klausel verbundenen Nebenpflichten wichtig genug sind, um auch die Hauptpflicht zu Fall zu bringen. Sie waren es, da die Käuferin „erkennbar nicht für ihren eigenen Bedarf, sondern zu einem Zwecke gekauft hat, der ohne die Verschiffung überhaupt nicht erreichbar war“, erläuterte das Gericht. „Mit dem Wegfall der Verschiffung würde das ganze Geschäft zu einem andern werden.“193 Die Ausfuhrmöglichkeit konnte auch anderweitig über Versand- und Preis­ vereinbarungen erkennbar in den Inhalt des Vertrags aufgenommen worden sein.194 Der Käufer mußte die Waren weder am Ursprungsort abnehmen noch bezahlen, wenn eine erfolgversprechende Versendung nicht mehr möglich war.

191 OLG Hamburg v. 8. Juli 1915, LZ 1915,1330. 192 RG v. 30. November 1915, Wameyer 1916, 106 (108); im Ergebnis ebenso: OLG Hamburg v. 4. Januar 1916, LZ 1916,484 Nr. 4. 193 RG v. 14. Januar 1916, RGZ 88, 37 (38); im Falle eines überseeischen Abladege­ schäfts ganz ähnlich: OLG Hamburg v. 13. Juli 1915, LZ 1915, 1255; das OLG Darmstadt erachtete in einer Entscheidung v. 2. Februar 1917, Recht 1917, 227 Nr. 428 die Versen­ dungspflicht nicht als erheblich genug. In diesem Fall galt diese als „eine den Inhalt der Hauptleistung nicht berührende Nebenleistung“. 194 RG v. 23. März 1918, Recht 1919,178, Nr. 295.

Auch bei reinen Inlandsgeschäften konnten die Verwendungserwartungen enttäuscht werden. Insbesondere die produzierenden Unternehmen waren hier betroffen. Sie befanden sich in langfristigen Vertragsbeziehungen, als der Krieg ausbrach; sie waren an Kaufverträge mit ihren Lieferanten gebun­ den und an Dienst- und Arbeitsverträge mit ihrer Belegschaft. Unter Um­ ständen hatten sie auch Verträge geschlossen, um für die herzustellenden Produkte zu werben. Und nun wurde die Produktion unrentabel, die Zuwei­ sungen notwendiger Rohstoffe durch die Beschaffungsstellen blieben aus, oder der Betrieb mußte aus anderen kriegsbedingten Gründen eingestellt werden. Die Bezugsverträge waren in diesen Fällen aus naheliegenden Gründen unproblematisch. Rohprodukte fast sämtlicher Art stiegen durch den Krieg im Preis, zumindest bekam der Belieferte ein wirtschaftliches Äquivalent für sein Geld. Anders stellte sich die Situation bei den Werbe­ maßnahmen dar. Niemand hatte ein Interesse an der Werbung für ein Pro­ dukt, das er zu wirtschaftlichen Bedingungen weder herstellen noch anbie­ ten konnte. Das Reichsgericht sah in den Reklameverträgen einzelne Werkleistungen, etwa das Inserat in der Zeitung oder der Aushang eines Plakats in der Straßenbahn. All das konnte aber noch ausführbar sein. Der Werbenutzen aber sei weder versprochen noch geschuldet, eben lediglich der „Beweggrund“ des Bestellers für den Abschluß der Werbeverträge. Er­ go: „Das Vertragsverhältnis zwischen Besteller und [Werbe-]Untemehmer wird deshalb durch den Umstand, daß die Reklame sich nicht als wirksam erweist, nicht berührt.“195 Dem Gläubiger sollte nur geholfen werden, wenn die Verbreitung der Werbung unter dem Krieg litt, die Zeitschrift, in der in­ seriert wurde, nicht mehr so häufig erschien oder die Werbeplakate nicht mehr allgemein einsichtbar waren.196 Unstreitig war diese Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht. Vereinzelt wurde die Ansicht geäußert, auch die „Reklamewirkung“ sei Bestandteil des Vertrags und deshalb zumindest in­ soweit zu berücksichtigen, als das beworbene Produkt noch marktgängig und einem Bewerbungserfolg zugänglich sei.197 Das OLG Frankfurt ent­ schied wegen der „völligen Ungewißheit der zukünftigen wirtschaftlichen 195 RG v. 6. Oktober 1916, JW 1916,1526 (1527). In diesem Sinne schon das KG, Urt. v. 18. Februar 1915,19. April 1915 und 24. Juni 1915, DJZ 1916,245. 196 RG v. 18. Januar 1916, JW 1916, 583 (584); RG v. 6. Oktober 1916, JW 1916, 1526 (1527); KG v. 13. Dezember 1916, LZ 1917,691. 197 Recken, Die Kriegsklausel in Reklameverträgen, LZ 1914, 1875: „besonderer Ver­ tragszweck“; vgl. ders., Einfluß des Krieges auf Reklameverträge, LZ 1914, 1696 (1699); ders., Besprechung zu OLG Frankfurt v. 4. April 1919, JW 1919, 940; enger: Rosenthal, Die Einwirkungen des Krieges auf Reklameverträge, DJZ 1914,1164 (1165); explizit gegen eine Berücksichtigung des beworbenen Produkts: Rothbarth, Rechtfertigt der Krieg die Sistierung von Anzeigenverträgen?, JW 1915, 1131; Ebner, Unmöglichkeit der Leistung beim Anzei­ genvertrag, LZ 1919,960 f.

Entwicklung“ zugunsten eines Bestellers.198 Das OLG Hamburg deutete zumindest die Möglichkeit einer Entscheidung im Sinne der clausula rebus sic stantibus an, sofern „in dem Vertrag ein Hinweis auf bestimmte Waren erfolgt ist“ und „der Vertrieb dieser Waren unmöglich oder so verändert ist, daß der Vertrieb wirtschaftlich als ein ganz anderer Betrieb erscheint“.199 Das Reichsgericht verschloß sich diesen Ansichten. Es verwies den Gläubi­ ger allein auf die wenig attraktive Kündigungsmöglichkeit nach § 649 BGB.200 Sollte der Unternehmer ein Fabrikgebäude gemietet haben, so standen die Chancen ebenfalls schlecht, wenn er sich von dem Vertrag lösen wollte. In einer Vorkriegsentscheidung vom März 1913 hatte sich das Reichsgericht selbst von einem Verbot der in dem angemieteten Fabrikgebäude vorgese­ henen Produktion nicht beeindrucken lassen. Einen Mangel der Mietsache mochte es nicht erkennen, und selbst die Erwähnung der konkreten Fabrika­ tion sollte keinen Zusammenhang zwischen der Mietsache und der Nut­ zungsmöglichkeit begründen. „Eine Zusicherung kann zwar unter Umstän­ den zu dem beiden Vertragsteilen bekannten Verwendungszweck der Sache dann gefunden werden, wenn dieser Zweck in den Vertragsinhalt aufge­ nommen ist“, so das Gericht. „Gerade bei der Miete aber wird die Bezeich­ nung des Verwendungszweckes der Mieträume in dem Vertrage, da sie re­ gelmäßig zu erfolgen pflegt, im allgemeinen nicht genügen [...]“201 Für Dienst- und Arbeitsverträge sollte man eine ähnliche Lösung vermuten, schließlich hatte, wie das Reichsgericht eigens betonte, der Unternehmer die wirtschaftliche Gefahr des Betriebs selbst zu tragen.202 Dennoch öffnete das Reichsgericht dem Dienstberechtigten ein Schlupfloch. Es sah hier eine be­ sondere Situation, weil die Belegschaft ihre Leistung unabhängig vom Be­ trieb nicht erbringen konnte. Das Reichsgericht war deshalb bereit, den Un­ ternehmer von den Vertragspflichten zu entbinden, sofern der Betrieb un­ möglich weitergeführt werden konnte 203 Mit allen Folgen des weiten Un­ möglichkeitsbegriffs: „Diese Unmöglichkeit braucht nicht darin zu beste­ hen, daß Vernichtung, Plünderung oder andere Kriegsereignisse die Hilfs­ mittel des Betriebes zerstört haben, sie ist schon dann gegeben, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen vernünftigerweise und nach Treu und Glau­ 198 OLG Frankfurt v. 4. April 1919, JW 1919,940 (941). 199 OLG Hamburg v. 18. Februar 1921, HansRZ 1921,306 (307). 200 RG v. 25. November 1921, JW 1922,484. 201 RG v. 11. März 1913, JW 1913,596 (597). 202 RG v. 11. Januar 1916, Wameyer 1916,62 (63). 203 RG v. 30. November 1915, RGZ 87, 349 (351); RG v. 11. Januar 1916, Wameyer 1916, 62 (63); RG v. 3. April 1917, Recht 1917, 368, Nr. 723; RG v. 11. Oktober 1918, Recht 1919,66, Nr. 96; so schon OLG Dresden v. 27. April 1915, Recht 1915,521, Nr. 899.

ben dem Dienstberechtigten die Weiterführung unter keinen Umständen zugemutet werden kann.“204 Das Gericht konstruierte hierzu ein außerordentli­ ches Kündigungsrecht. Die Verwendungserwartungen des Leistungsempfängers wurden also nur selten berücksichtigt. Eine echte Ausnahme bilden zunächst die Pachtver­ träge, später sollten die Mietverträge folgen. Im Krieg wurden Orte nicht selten zu Sperrgebieten, die Fremde entweder überhaupt nicht aufsuchen durften oder in denen bestimmte Betätigungen, etwa der Badebetrieb in ei­ nem Küstenort, nicht mehr gestattet waren. Die Landesregierungen rückten auch dem Amüsierbetrieb zu Leibe, weniger aus Gründen der Verteidigung als vielmehr aus solchen der Moral. Um dem Emst der Lage gebührend Rechnung zu tragen, wurden Sperrstunden vorgezogen und konkrete Ver­ anstaltungen eingeschränkt oder gleich ganz untersagt. Mit gravierenden Folgen für die Mieter und Pächter, die nicht nur ihre Einnahmequellen ver­ siegen sahen, sondern auch noch durch hohe Miet- und Pachtkosten belastet waren. Viele versuchten, den fälligen Miet- und Pachtzins zu reduzieren. Hilfesuchend wandten sie sich an die Gerichte. Die Rechtsprechung schied zunächst sauber nach Miet- und Pachtverträ­ gen. Im Falle einer Pacht war sie großzügig bereit, die Verträge aufzuheben. Die Möglichkeit der Fruchtziehung sei mitgeschuldet, hält das Reichsge­ richt in mehreren Urteilen fest.205 Da in der Regel nur einige von mehreren möglichen Fruchtziehungen beeinträchtigt waren, kam es aber darauf an, ob hier engere Grenzen gezogen werden konnten. Einrichtung, bauliche Eigen­ art und örtliche Lage des verpachteten Gegenstands konnten die Nutzung näher bestimmen 206 Auch die Höhe des vereinbarten Pachtzinses mochte den Kreis der vertragsrelevanten Nutzungen einschränken.207 Der Verpäch­ ter partizipierte eben an der konkreten Art der Fruchtziehung, und deshalb sollte eine Einschränkung auch bis zu ihm durchschlagen. Im Falle eines Mietverhältnisses urteilten die Gerichte insgesamt vorsichtiger. Die schlichte Erwähnung der bezweckten Nutzung im Mietvertrag war irrele­ 204 RG v. 30. November 1915, RGZ 87,349 (351). 205 RG v. 9. November 1915, RGZ 87,277 (280 f.); RG v. 15. Februar 1916, RGZ 88, 96 (98); RG v. 20. Februar 1917, RGZ 89, 203 (205); OLG Dresden v. 30. Oktober 1917, LZ 1918,520; RG v. 31. Mai 1918, SeuffertsArch 73, 366 (367); RG v. 1. November 1918, Wameyer 1919, 18; RG v. 21. Januar 1919, Recht 1919, 142, Nr. 245; OLG Hamburg v. 14. Juli 1919, Recht 1919,378, Nr. 559; im Grunde ebenso, im Fall jedoch nicht einschlägig: RG v. 3. Juli 1917, RGZ 90,374 (376 f.); RG v. 14. Juni 1918, RGZ 93,144 (146). 206 Auf die Lage und Einrichtung der gepachteten Immobilie stellen insbesondere ab: RG v. 9. November 1915, RGZ 87, 277 (280 f.); RG v. 31. Mai 1918, SeuffertsArch 73, 366 (367). 207 Auf die Höhe der Vergütung stellen insbesondere ab: RG v. 15. Februar 1916, RGZ 88,96 (98); RG v. 1. November 1918, Wameyer 1919,18.

vant.208 Selbst der Zuschnitt der Räumlichkeiten half dem Mieter nicht un­ bedingt weiter. Der Vermieter habe eben nur den „nackten Saal“ überlassen, erläuterte das OLG Dresden angesichts einer zeitweiligen Untersagung der Nutzung aller dem öffentlichen Verkehr dienenden Räume in der Stadt. Der Mieter hatte den Saal selbst für den Betrieb von „Lichtspielvorführungen“ umgebaut und sollte deshalb das Risiko auch selbst tragen.209 Das galt im Grunde für alle vermieteten Räumlichkeiten. Der Vermieter schuldete re­ gelmäßig die Überlassung geeigneter Räumlichkeiten, nicht aber die Mög­ lichkeit der vom Vermieter intendierten Verwendung.210 Entfiel die Nut­ zungsmöglichkeit vollständig, so ging dies freilich zu Lasten des Vermie­ ters.211 Im Einzelfall blieb vieles unklar und umstritten; insbesondere die Abgrenzung zu Störungen, die in der Person des Mieters begründet lagen, warf viele Fragen auf.212 Das Reichsgericht löste die problematischen Fälle zunehmend zugunsten des Mieters. Es half dem Mieter schließlich auch, wenn der vorausgesetzte Verwendungszweck der ausschließliche oder doch der einzig vernünftige war, so etwa bei der Vermietung von Räumlichkeiten, die aufgrund ihrer Lage in ausgesprochenen Feriengebieten213 oder aufgrund ihrer baulichen Eigenart214 auf eine ganz konkrete Nutzung zugeschnitten waren. In den geschilderten Fällen war die Rechtsprechung bereit, die Verwen­ dungsplanung in den Vertragsinhalt aufzunehmen, den Vertrag also, in den Worten Beuthiens, „zweckempfindlich" zu machen. Nur, wie sollte das methodisch geschehen? Sofern der Mangel der Nutzung im Gegenstand 208 RG v. 15. März 1912, RGZ 79, 92 (94); RG v. 11. März 1913, JW 1913, 596 (597); OLG Posen v. 29. März 1916, Recht 1916,550, Nr. 1044. 209 OLG Dresden v. 4. April 1918, SeuffertsArch 73,368. 210 OLG Königsberg v. 6. Juli 1915, SeuffertsArch 71, 8; OLG Colmar v. 18. August 1915, DJZ 1915, 1042; OLG Colmar v. 1. Oktober 1915, Recht 1915, 560, Nr. 1024; OLG Hamburg v. 11. November 1915, JW 1915, 1379; RG v. 23. Oktober 1917, BayRpflZ 1918,18; RG v. 23. Oktober 1917, Wameyer 1918,46 (47). 211 OLG Celle v. 6. Mai 1915, LZ 1915, 1041; OLG Frankfurt v. 13. Oktober 1915, JW 1915,1380; OLG Königsberg v. 19. Oktober 1915, JW 1915,1377 (1378). 212 Überblick bei: Mittelstein, Kriegseingriffe in Mietverhältnisse, JW 1915,1327-1334. 213 RG v. 26. Oktober 1917, RGZ 91, 54 (55 f.): „Der von beiden Teilen gemeinte und gewollte vertragsmäßige Gebrauch konnte überhaupt nur gewollt und vereinbart werden we­ gen der örtlichen Lage des Ladens inmitten des alljährlichen Inselbadebetriebs.“ Anders OLG Hamburg v. 11. November 1915, JW 1915, 1379: „Auch bei einer in einem Badeort gelegenen Wohnung gehört zu dem vom Vermieter der Wohnung vertragsmäßig zu gewäh­ renden Gebrauch nicht die Möglichkeit, von der Wohnung aus an einem Badeverkehr, wie er sonst regelmäßig am Orte herrscht, teilzunehmen.“ 214 RG v. 3. Januar 1919, RGZ 94, 267 (268): Benzintankanlage; RG v. 4. Mai 1915, RGZ 86,397 (398): Zirkusgebäudes; in diesem Fall scheiterte der Mieter dennoch mit seinem Rücktrittsbegehren, weil einer Zirkusbetrieb noch möglich war.

selbst begründet war, vermochte schon die Mängelgewährleistung den Mietern und Pächtern zu helfen. Die Störungen betrafen aber den Gegen­ stand in der Regel nicht gegenständlich. Die Rechtsprechung nahm gleich­ wohl nicht selten einen Mangel an, § 537 BGB. Zum Teil wurde auch die Möglichkeit der Nutzung in Frage gestellt, mit der Folge des § 323 BGB, oder die konkrete Einordnung wurde gleich ganz offengelassen. Insgesamt läßt sich ein Trend vom Sachmangel zur Unmöglichkeit feststellen. In je­ dem Fall wurde die vorgesehene Verwendung nicht nur in den Vertragsin­ halt, sondern auch in die Leistungspflicht inkorporiert, mit der Folge, daß das Risiko der Nutzungsmöglichkeit vollständig vom Gläubiger auf den Schuldner übertragen wurde. Angesichts einer vertragsgegenständlichen Verwendung stellte das Reichsgericht fest: „Wird diese Art der Verwendung durch außerordentliche Ereignisse, welche in keiner Weise mit der Person des Mieters Zusammenhängen, wie durch behördliche Maßnahmen infolge des Krieges oder auch durch sonstige durch den Krieg herbeigeführten Ver­ hältnisse, unmöglich, so geht die dadurch verursachte Einbuße zu Lasten des Vermieters.“215 Ein wenig abgeschwächt wurde diese Risikoumkehr in­ sofern, als im Falle einer lediglich eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit das Reichsgericht weder einen Leistungsmangel noch eine Leistungsun­ möglichkeit annehmen wollte.216 Die Urteile dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Verwendungs­ erwartungen nur selten berücksichtigt wurden. Im eingangs angesprochenen Fall einer für die Dauer des Krieges verzögerten Lieferung wird die Ver­ wendungsplanung des Gläubigers zwar erwähnt, doch war es hier gerade der Gläubiger, der die Leistung einklagte. Oft wird pauschal angemerkt, der „Vertragszweck“ sei „für beide Teile unerreichbar geworden“ 217 Ob ein ab­ nahmeunwilliger Gläubiger sich allein auf diese frustrierten Verwendungs­ erwartungen hätte berufen können, ist doch sehr fraglich und auch nirgends positiv entschieden worden. Die nach dem Krieg sinnlos gewordenen Kriegslieferungsverträge hätten vielleicht die Gerichte zu einer weitreichen­ den Anerkennung von Zweckstörungen ermuntert. Hier reagierte jedoch der Staat als der größte Abnehmer der Rüstungsprodukte. Am 21. November 1918 erließ der Rat der Volksbeauftragten, ein Organ der Revolution, eine „Verordnung über die Festsetzung neuer Preise für die Weiterarbeit in Kriegsmaterial“, die eine kostengünstige Abänderung der noch nicht ausge­ 215 RG v. 3. Januar 1919, RGZ 94,267 (268). 216 Restriktiv: RG v. 4. Mai 1915, RGZ 86, 397 (398); RG v. 14. Juni 1918, RGZ 93,144 (146 f.); RG v. 3. Juli 1917, RGZ 90, 374 (377); freundlicher: RG v. 1. November 1918, Wameyer 1918,18. 217 RG v. 6. Februar 1918, Recht 1918, 192, Nr. 399; ähnlich: RG v. 6. Juli 1917, JW 1918,33.

führten Kriegsaufträge ermöglichte.218 Im Detail ließ diese Regelung viele Fragen offen. Die bewußt unpräzise Fassung der Verordnung zeigt aber, daß die aufgrund des Kriegsausgangs nutzlos gewordenen Verträge möglichst umfassend erfaßt werden sollten, und zwar nicht nur hinsichtlich des End­ abnehmers, sondern innerhalb der gesamten Lieferkette. Auch der Produzent konnte diese Verordnung seinen Vorlieferanten entgegenhalten. Ersichtlich wurde jenseits der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine einvernehmliche und praktikable Lösung angestrebt. Die in der Literatur anzutreffenden Inter­ pretationsversuche waren daher von geringer praktischer Bedeutung.219

Bilanz der ersten Phase In einer ersten Phase versuchte die Rechtsprechung, den vertraglichen Inhalt und das gesetzlich vorgegebene Rechtsinstitut der Unmöglichkeit fruchtbar zu machen. In zahlreichen Fällen konnte so eine übermäßige Bindung des Schuldners vermieden werden. Soweit die Parteien durch Vorbehalts- und Freizeichnungsklauseln vorgesorgt hatten, wurden die kriegsbedingten Stö­ rungen regelmäßig auch dann anerkannt, wenn die Parteien den Kriegsfall in ihre Klauseln nicht ausdrücklich aufgenommen hatten, wohl aber erkennen ließen, daß die Bindung im Falle außergewöhnlicher Erschwernisse nicht gewollt war. Gegen die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte setzte das Reichsgericht durch, daß sogar die unspezifizierte force-majeure-Klausel in diesem Sinne zu verstehen sei. Im weiteren Verlauf der Krise konzentrierte sich das Reichsgericht darauf, die Auswirkungen der Klauseln im Sinne ei­ nes Interessenausgleichs zu kanalisieren. Der Schuldner konnte sich nicht beliebig auf die Klauseln berufen. Zum Schutze des Gläubigers wurden in­ 218 RGBl 1918, S. 1323; abgedruckt auch in: Kriegsbuch, Bd. 9, S. 91 f. Die wesentlichen Punkte der Verordnung lauteten wie folgt: „1. Soweit nach dem 10. November 1918 noch ausnahmsweise Kriegsarbeiten fortgesetzt werden müssen, setzt die mit den Arbeiten befaßte Beschaffungsbehörde neue Preise für die Weiterarbeit in Kriegsmaterial unter Berücksichti­ gung ihres Charakters als Notarbeit fest. Gegen diese Preisfestsetzung steht innerhalb vier Wochen nach Zustellung dem Lieferer oder Unterlieferer das Recht der Berufung an den Demobilmachungskommissar seines Bezirkes zu. [...] 2. Ein Anspruch auf entgangenen Ge­ winn wegen nicht ausgeführter Kriegsaufträge gegen die Auftraggeber steht den Lieferern oder Unterlieferem nicht zu. 3. Die vorstehenden Bestimmungen schließen eine Einigung über die sofortige Auflösung der Verträge oder Teile derselben [...] zwischen Beschaffungs­ behörde einerseits und Lieferer oder Unterlieferer andererseits nicht aus.“ 219 Vgl. Hachenburg, Die Kriegsaufträge und ihre Abwicklung, JW 1919, S. 14-16, mit Anmerkungen von Pollack, JW 1919, 235, und Gompertzt JW 1919, 236 f.; Marquardt, Die Abwicklung der Kriegsaufträge, JW 1919, 180 f.; Starke, Aufhebung der Kriegsaufträge, KGB11919, 4-6; Rosenzweig, Zur Frage der Abwicklung von Kriegsaufträgen, KGB1. 1919, 57-62.

haltliche und zeitliche Hürden formuliert. Das galt selbst für die im Verlaufe des Krieges aufkommenden „freibleibenden" Vertragsabschlüsse. Fehlten besondere Abreden der Parteien, so behalfen sich die Gerichte mit dem Rechtsinstitut der Leistungsunmöglichkeit. Die Rechtsprechung begnügte sich freilich nicht damit, das faktisch Mögliche zu ermitteln. Vorbildgebend wirkten Theorien der Vorkriegszeit, die unter den Bezeichnungen juristi­ sche, rechtliche, unechte und relative Unmöglichkeit begrifflich Freiraum geschaffen hatten. Suchten diese Theorien die Lösung noch vorwiegend in allgemeinen moralischen und begrifflich-logischen Erwägungen, so interes­ sierte sich das Reichsgericht für den Inhalt des Vertrages. Es wollte geklärt wissen, inwieweit eine zwar kriegsbeeinflußte, aber mögliche Leistung der versprochenen noch entsprach. Vermißte es die Identität zwischen verspro­ chener und (allein) möglicher Leistung, so galt die Leistung als unmöglich erbringbar. Damit entschied nicht mehr allein das objektiv Mögliche über die Grenze der Leistungspflicht, sondern auch das vertraglich Zugesagte. Das Reichsgericht instrumentalisierte das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit in einer Weise, die schon Kübel motiviert hatte, die Unmöglichkeitstheorie Mommsens in den Teilentwurf des Schuldrechts aufzunehmen. Die Grundlagen dieser Rechtsprechung hatte das Reichsgericht bereits vor dem Kriege gelegt. In den unter der Bezeichnung „Mühlenbrandfall" bekanntgewordenen Entscheidungen war der versprochene Vertragsgegen­ stand näher bestimmt worden. So wurde das schlichte Lieferungsverspre­ chen eines Händlers dahingehend interpretiert, daß er nur marktgängige Wa­ re versprochen hatte. Die Ware konnte durch die Herkunftsbezeichnung nä­ her eingeschränkt werden. Eine weitere Begrenzung der Leistungspflicht gelang, da das zu vermahlende Getreide besonders Saison- und ernteabhän­ gig war, auch für die Leistungszeit. Die gesetzliche Regel, wonach eine Gattungsschuld überhaupt nie unmöglich werden kann, solange die Gattung nicht untergegangen ist, hinderte dabei nicht. Der § 279 BGB wurde stark beschnitten und rein im Sinne der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgelegt. Nur eine schlichte Verteuerung der Leistung sollte niemals geeignet sein, die Identität zwischen geschuldeter und möglicher, d. h. verteuerter Lei­ stung zu zerstören. Im Krieg führte die Rechtsprechung diesen Gedanken weiter. Die Kostenfrage blieb tabu; doch für die konkrete Erfüllungshand­ lung sollten weitere beschränkende Umstände dem Vertragsinhalt entnom­ men werden. Die Leistung wurde abhängig gemacht vom Weiterbestand be­ stimmter Märkte, von dem Zugang zu diesen Märkten, von bestehenden Handelsverbindungen und Produktionsmöglichkeiten, auch von nebenver­ traglich übernommenen Abladungen und Transporten. Der Aufbau völlig neuer Handelskontakte sollte im Zweifel genausowenig versprochen worden sein, wie kostspielige Transportumwege oder Zwischenlagerungen. Die

Rechtsprechung half nicht nur dem Schuldner. Auch die vom Gläubiger der Leistung erwartete Verwendungsmöglichkeit wurde in den Vertrag hinein­ gelesen. In engen Grenzen freilich. Überaus treffend ist hier der von Beuthi­ en geprägte Begriff der „Zweckeinigung“. Der Zweck mußte sich im Ver­ trag niedergeschlagen haben, in der Eigenart des Vertragsgegenstands, in der Höhe der vereinbarten Gegenleistung oder in besonderen Nebenpflich­ ten. Bei Werk- und Mietverträgen wurde eine Zweckeinigung nur selten, bei Pachtverträgen dagegen sehr großzügig angenommen. Eine Sonderstellung nehmen die Dienst- und Arbeitsverträge ein. Hier sollte der Berechtigte das Verwendungsrisiko tragen, sofern nicht bereits die Annahme der angebote­ nen Leistung unmöglich geworden war. An die Stelle der Möglichkeitserwägung war das Prinzip der inhaltlichen Identität getreten. Je genauer der Vertragsinhalt gefaßt werden konnte, um so anfälliger wurde der Vertrag für die Unmöglichkeit. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß die Rechtsprechung nur vorsichtig und in gravieren­ den Fällen den Schuldner von der Leistungspflicht entband. In vielen Fällen wurde der Schuldner verurteilt, weil er es versäumt hatte, eine konkrete Er­ füllungsplanung in den Vertragsinhalt mitaufzunehmen, und weil sich diese auch nicht anderweitig im Vertrag, etwa in der Höhe der Gegenleistung, festmachen ließ. Das gesetzliche Unmöglichkeitsrecht, genauer das nach der Anordnung des Gesetzes nur begrenzt bedeutsame Unvermögen, veranlasste das Reichsgericht zu einem zweiten, einschränkenden Prinzip: dem Prinzip der Irrelevanz gestiegener Leistungskosten. Allein dieses Prinzip verhin­ derte in zahlreichen, gar nicht erst zur höchsten Instanz gelangten Fällen die Flucht aus der Vertragsbindung. Zudem galten die meisten Hindernisse als vorübergehende. Der Krieg war eben ein Zustand von begrenzter Dauer. Viele Leistungspflichten drohten nach dem Ende des Krieges wieder aufzu­ leben. Mit zunehmender Dauer des Krieges stellte sich die Frage, ob die Partei­ en nach dessen Ende wirklich noch zur Leistung angehalten werden konn­ ten. Die Rechtsprechung rang sich nach einigem Zögern dazu durch, auch für die Zeit nach dem Krieg dem Schuldner zu helfen. Auch diesmal galt der Inhalt des Vertrags als entscheidendes Kriterium. Anhand der Versprechen wurde ein Zeitfenster ermittelt, in dem die vertragliche Leistung erbracht werden sollte. Wurde dieser Zeitrahmen unvorhergesehen und für die unab­ sehbare Dauer des Krieges verlassen, so galt zwar nicht unmittelbar das Rücktrittsrecht der Fixgeschäfte; anders als im Falle der Erfüllung einer aktuellen Leistungspflicht wurden nun aber ungeniert die wirtschaftlichen Ziele beider Vertragsparteien für das Urteil herangezogen. „Wie das Reichsgericht in zahlreichen Entsch. ausgesprochen hat“, faßte der 2. Senat im Oktober 1919 zusammen, „bewirkte die durch den Krieg notwendig ge­

wordene zeitliche Verschiebung der Leistung als ein der Unmöglichkeit gleichstehender Umstand die dauernde Befreiung des Schuldners mit der Folge einer Auflösung des Vertragsverhältnisses, wenn die Leistung durch die Verschiebung derart verändert wird, daß sie nicht mehr als die beim Vertragsschluß erwartete und gewollte Leistung zu erachten sein würde.“220 Plötzlich hieß es in Umkehrung der gesetzlichen Vorgaben, der Schuldner habe im Zweifel gerade nicht zugesagt, ohne Rücksicht auf die Dauer einer Behinderung unter allen Umständen nach deren Beendigung liefern zu wol­ len. Zu dem Prinzip der inhaltlichen Identität gesellte sich das Prinzip der mrtschaftlichen Identität. Auch für dieses Prinzip sind die Schranken nicht zu vernachlässigen. Die Frage nach wirtschaftlichen Zielen war nur erlaubt, wenn die Leistung aufgrund des Krieges tatsächlich für einen relevanten Zeitraum unmöglich erbracht werden konnte. Deshalb betraf es fast nur die durch den Krieg unterbrochenen Geschäfte des Fernhandels. Die Verschie­ bung einer an sich möglichen Leistung genügte ebensowenig wie die kurz­ zeitige Behinderung.221 Auch die Kenntnis des Hindernisses schadete dem Schuldner. In diesen Fällen galt selbst die unerwartet verzögerte Leistung als vertragsinhaltlich mitgeschuldet. Das betraf insbesondere alle Vereinba­ rungen, die während des Krieges über bestehende oder neue Verpflichtun­ gen getroffen wurden. Doch war das Reichsgericht schließlich bereit, we­ nigstens die in der Anfangsphase des Krieges lediglich prolongierten Ver­ träge wie solche der Vorkriegszeit zu behandeln und gegebenenfalls aufzu­ heben. Die Rechtsprechung traf durchaus die vorherrschende Stimmung. Das zeigen die seltenen und meist zustimmenden Kommentare in den Fachzeit­ schriften. Das primäre Interesse galt der zügigen Publikation der Entschei­ dungen.222 Nicht einmal häufiger als üblich mußten die Urteile der Vorin­ stanzen aufgehoben werden. Kritik entzündete sich vorwiegend an der me­ thodischen Begründung der Urteile. Die Judikatur des Reichsgerichts war in der Tat nicht ganz unproblematisch. Das Reichsgericht verließ die gesetzli­ che Risikoverteilung mittels einer großzügigen Definition dessen, was als Leistungsinhalt zu gelten habe. Nicht den Erklärungen, sondern dem Willen der Parteien, der Verkehrssitte sowie Treu und Glauben wurden diese In­ 220 RG v. 28. Oktober 1919, JW 1920,376. 221 In RG v. 24. September 1920, Wameyer 1920, 226 (227) wurde das dem Gläubiger zum Verhängnis. 222 Hervorzuheben sind: Plum, Der Einfluß des Krieges auf schwebende Lieferungsver­ träge im Lichte der Rechtsprechung, JW 1916, 1359-1370; 1917, 943-952; 1919, 340-352; Starke, Lieferungsverträge - unter Einwirkung des Krieges nach deutschem und oesterreichischem Rechte, Berlin 1917.

halte entnommen. Im Ergebnis handelte es sich um eine ergänzende Ver­ tragsauslegung. Herkömmlicherweise beschäftigte sich die Auslegung aber nur mit dem unmittelbaren Gegenstand der Leistung. Wirtschaftliche Ziele, selbst erkennbare, waren dagegen laut BGB regelmäßig irrelevant. Die vom Schuldner vorgesehenen Wege der Erfüllung brauchten den Gläubiger nicht weiter zu interessieren, genauso wie der Schuldner sich nicht um die Ver­ wendungsplanung des Gläubigers kümmern mußte. Sofern keine anderslau­ tenden Vereinbarungen in Form von Bedingungen in den Vertrag aufge­ nommen wurden, sah das Gesetz eben eine völlig andere Lösung vor. Der Versprechende schuldet demnach eine Leistung im Rahmen des Möglichen, §§ 275, 279 BGB. Das Reichsgericht war sich dieser Problematik wohl be­ wußt. Es hielt sich zunächst stark zurück und betonte später, um weitrei­ chendere wirtschaftliche Abwägungen zu legitimieren, das Moment der zeitlichen Verzögerung. Im Fall einer Verzögerung waren für den Schuldner im Gesetz indessen keine weiteren Wohltaten vorgesehen. Selbst dem Gläu­ biger half das Gesetz nur, sofern der Schuldner die Verzögerung verschuldet hatte, §§ 326, 284, 285 BGB. Darüber hinaus konnte allenfalls aus der Festlegung konkreter Erfüllungszeiten auf ein vertragliches Rücktrittsrecht geschlossen werden, § 361 BGB. Wie mochten alternative Konzepte aussehen? Einige aufhebungsfreundli­ chere Positionen sind bereits eingangs, S. 224, skizziert worden. Hervorzu­ heben sind Carl Crome und Paul Krückmann. Beide stellen umfangreichere, über den Einzelfall hinausweisende Theorien auf und weisen auch insofern Gemeinsamkeiten auf, als sie offen das Problem der Äquivalenz von Lei­ stung und Gegenleistung ansprechen. Crome suchte Windscheids Voraus­ setzungslehre fruchtbar zu machen, während Krückmann auf die clausula rebus sic stantibus zurückgriff. Beide Theorien nutzen die historischen Rechtsfiguren zwar zur Legitimierung des Eingriffs; tiefere Gründe für die Wahl des historischen Vorbilds sucht man aber vergebens. Cromes Lehre ist deutlich objektiver als die Voraussetzungslehre Windscheids, und Krück­ mann argumentiert weit subjektiver, als es eine reine clausula-Lehre erfor­ dert. Der Schuldner müsse nicht unter „Gefährdung seiner eigenen Interessen“ erfüllen - diesen Satz entnimmt Carl Crome den wertenden Unmöglich­ keitslehren.223 Crome sieht hier freilich kein der Leistungsschwere und dem Unvermögen begrifflich zu entnehmendes Ergebnis. In Wahrheit, so Crome, handele es sich um einen Motivirrtum, genauer um einen „Irrtum in der Voraussetzung“. Denn: „Die Berechnungen, auf Grund deren die Festset-

223 Crome, Der Konzessionsvertrag und seine Ausführung im Kriege, AcP 115 (1917), 40 f.

zung von Leistung und Gegenleistung im Vertrag erfolgte, sind durch das unvorhergesehene Ereignis umgeworfen oder überholt, so daß sich Leistung und Gegenleistung in einem erheblichen Mißverhältnis befinden.“ 224 Eine solch nachteilige Entwicklung sei an sich nicht geeignet, den Vertrag in Frage zu stellen. Etwas anderes gelte aber, wenn eine „Voraussetzung“ be­ troffen sei. Hier kommt die Windscheidsche Lehre ins Spiel. Die geheim­ nisvolle Voraussetzung will Crome, anders als Windscheid, ausschließlich gemeinsam von beiden Parteien gesetzt wissen. Sie sei Inhalt der Vertrags­ vereinbarung und ergebe sich „objektiv aus den allgemeinen Verkehrs­ grundsätzen“225 Von Windscheid entlehnt wird die Idee, zwischen die er­ klärten Vertragsinhalte und die unbeachtlichen Motive und Zwecke eine dritte Ebene zu schieben, eben die der Voraussetzung. Auch der Grund, warum das Vorausgesetzte nicht Inhalt der Erklärungen geworden ist, ist derselbe: „Es gibt einen Kreis des stillschweigend Selbstverständlichen, das, weil es selbstverständlich ist, dem im Vertrag ausdrücklich Erklärten gleichsteht.“226 Paul Krückmann ist bereits vor dem Krieg durch seine umfangreich be­ legte Theorie einer „Einrede aus entgegenstehendem Interesse“ bekannt ge­ worden.227 In einem für Leser Krückmannscher Prosa gewohnt langatmigen Aufsatz im Archiv für die civilistische Praxis sowie in zahlreichen Aufsät­ zen in nahezu jeder relevanten Fachzeitschrift versuchte er nun die clausula rebus sic stantibus als allgemeingültiges Rechtsinstitut zu reaktivieren.228 Die clausula rebus sic stantibus war bekanntlich nicht völlig aus dem deut­ schen Rechtsleben verschwunden. In einigen Normen des BGB ist sie auf­ zufinden, und das Reichsgericht hat sich in einigen Entscheidungen auf das Rechtsinstitut gestützt. Krückmann faßte diese einzelnen Fälle unter dem durchaus treffenden Titel beachtliche Unsicherheit der Leistung“ zusam­ men. Das sei aber, so Krückmann, nicht das einzige Anwendungsfeld. Die clausula rebus sic stantibus gehöre vielmehr „zum Rückgrat unseres Schuld­ rechtes“ 229 Krückmann bildet weitere Fallgruppen, von denen zwei interes­ 224 Crome, Der Konzessionsvertrag, AcP 115 (1917), 47. 225 Crome, Der Konzessionsvertrag, AcP 115 (1917), 49. 226 Crome, Der Konzessionsvertrag, AcP 115 (1917), 49. 227 Siehe oben S. 93-98. 228 Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 157-481; ders., Die stillschweigende und die ausdrückliche Kriegsklausel, LZ 1918, 1310-1322; ders., Clausula rebus sic stantibus, HansRZ 1918,577-585; ders., Clausula rebus sic stantibus und Verteilungseinrede, LZ 1920, 545-550, 592-599, 621-626; ders., Zur clau­ sula rebus sic stantibus, LZ 1921, 583-592; ders., Mißverständliches zur clausula rebus sic stantibus, JW 1921,1447-1448. 229 Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 161.

sieren. In der Fallgruppe ,/iichtzumutbare Leistung'' sucht Krückmann die Leistungsschwere mittels der clausula zu erfassen, und hinter der Titelzeile „Unmöglichkeit der Rechtsausübung" verbergen sich gestörte Verwen­ dungsplanungen des Gläubigers. Beide Fallgruppen sollten nach dem Willen Krückmanns nicht länger mittels der Unmöglichkeit gelöst werden. Dem Reichsgericht warf er eine „Verwechslung der Unmöglichkeit der Leistung und der Unmöglichkeit der Erfüllung“ vor.230 Im Ergebnis widersprach Krückmann der Rechtsprechung dagegen nur selten. Was sollte also an die Stelle der von der Rechtsprechung entwickelten Prinzipien treten? „Führt man nun die aufgezählten Fälle auf einen gemeinsamen Grundsatz zurück, so kann dieser nur die synallagmatische Erwägung sein, daß jede Partei sich zu einer Leistung nur um der Gegenleistung willen verpflichtet“, erläutert Krückmann.231 Die Parteien nähmen für die versprochene Gegenleistung zwar besondere Risiken in Kauf, nicht jedoch solche, die unvorhersehbar seien und in maßgebenden Geschäftskreisen als besondere Risiken betrach­ tet würden. „Der bleibende Kem ist immer die Sinn-, Zweck- und Gegen­ standslosigkeit des Vertrages, der für einen solchen Fall, wie er eingetreten ist, eben nach allgemeiner vernünftiger Betrachtung nicht geschlossen wird.“232 Im Ergebnis werden hier ganz ähnliche Überlegungen angestellt, wie sie durch das Reichsgericht bereits formuliert wurden. Nur in Fällen schlichter Leistungsverteuerung ist Krückmann großzügiger bereit, den Schuldner aus der Pflicht zu entlassen, aber auch hier sollte die Rechtspre­ chung, wie noch zu zeigen ist, bald folgen.

230 Krückmannf Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 367. 231 Krückmannf Clausula rebus sic stantibus, HansRZ 1918, 581. In Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 198 ist zu lesen: „Die c.r.s.s. ist nichts als die letzte Folgerung aus der Gegenseitigkeit des Vertrages, sie erschöpft deren letzte Wirkungen, wird aber auch haarscharf genau durch sie begrenzt. Die c.r.s.s. fällt schlechterdings mit den Grenzen des Synallagma zusammen [...]“. 232 Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, HansRZ 1918,582.

Kapitel II

Die zweite Phase: Die Rechtsprechung greift kassierend ein Seit dem Sommer 1915 machte man sich konkrete Gedanken über die Zeit nach dem Krieg. Die Kriegswirtschaft war insbesondere ihren Pionieren, Walther Rathenau und Wichard v. Moellendorff^ ans Herz gewachsen. Unter den Schlagwörtern „Neue Wirtschaft“ und „GemeinWirtschaft“ stellten sie eigene wirtschaftspolitische Konzepte vor, die an die Erfahrungen der Roh­ stoffbewirtschaftung anknüpften und auch nach dem Krieg die staatliche Lenkung mit den älteren Formen der industriellen Selbstverwaltung verbin­ den sollten.1 Auch in der Nationalökonomie gab es eine erhebliche theoreti­ sche Auseinandersetzung, die vorwiegend um die Begriffe „Kriegssozialis­ mus“ und „Staatssozialismus“ kreiste. Dahinter verbargen sich diffuse ord­ nungspolitische Vorstellungen, wobei insbesondere der Brückenschlag zum Sozialismus überaus unklar blieb.2 Gemeinsam war der Gedanke, daß wegen des starken Importbedarfs nach dem Kriege wie auch auf Grund der kriegs­ bedingt hohen Staatsverschuldung der erhebliche Einfluß des Staates auf die Wirtschaft die Kriegszeit überdauern mußte. Einige Nationalökonomen sa­ hen in der Rohstoff- und Lebensmittelbewirtschaftung den Einstieg in eine gebrauchsbedarfsorientierte Ordnung der Wirtschaft. Diese Theorien stießen naturgemäß auf eine Opposition aus Handel und Industrie und sie scheinen selbst in Kreisen der Nationalökonomie nicht mehrheitsfähig gewesen zu sein. Die Wirtschaft sah hier allenfalls kurzzeitige Übergangsphänomene auf dem Weg zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Vorkriegszeit. Die Grundstimmung in der Wirtschaft war durchaus positiv. Man war überzeugt, der Rückkehr zu den Verhältnissen der Vorkriegszeit stünde nichts mehr im Wege, wenn erst einmal der Krieg beendet sei. Das Augenmerk galt kon­ kreteren Problemen. Die nach dem Krieg zwangsläufig ausbleibenden Rü­ stungsaufträge mußten kompensiert werden. Auch wollte man die insgesamt 1 Michalküj Kriegsrohstoffbewirtschaftung, Walther Rathenau und die kommende Wirt­ schaft, S. 485-505. 2 Einen Überblick bietet: Krüger, Kriegssozialismus. Die Auseinandersetzung der Natio­ nalökonomen mit der Kriegswirtschaft 1914-1918, S. 506-529.

als günstig eingestufte Nachfragesituation nutzen. Diese optimistische Ein­ schätzung war nach dem Konsumverzicht der letzten Jahre und den im Krieg gebildeten Rücklagen nicht von vornherein illusorisch. Sie überrascht aber doch angesichts der vielen pessimistischen Äußerungen in der Natio­ nalökonomie. Es kam zu einer Aufbruchsstimmung, die sich in einer Viel­ zahl bereits für die Friedenszeit abgeschlossener Verträge niederschlug. Vor allem über die Einfuhr der besonders vermißten Baumwolle wurden viele neue Verträge geschlossen und alte bestätigt und mit zum Teil sehr konkre­ ten Lieferzeiten versehen. Auch für industrielle, nach Kriegsende erst zu produzierende Güter wurden Aufträge entgegengenommen. Diese Verträge sollten nur selten die Unternehmen beschäftigen, wohl aber die Gerichte. Bekanntlich kam alles viel schlimmer als erwartet. Für die erste Ernüch­ terung sorgte die Kriegserklärung der USA im April 1917. Insbesondere der Baumwollhandel, in dessen Kalkulation der freie Zugang zu den amerikani­ schen Waren- und Terminmärkten wesentlich war, versuchte nun hektisch, die vertraglichen Bindungen wieder zu lösen. Auch fiel nicht, wie man er­ wartet hatte, das Kriegsende mit dem Wiedereintritt normaler Verhältnisse zusammen. Noch vor der Kapitulation des deutschen Reiches verdichteten sich die Anzeichen, daß der Krieg auch nach dem militärischen Ende als wirtschaftlicher fortgesetzt werden würde. Die schlechten Nachrichten häuften sich. Ungeachtet des am 11. November 1918 unterzeichneten Waf­ fenstillstands wurden die wirtschaftlichen Hindernisse nur langsam abge­ baut. Die Blockade überdauerte den Winter 1918/19, und die im Friedens­ schluß vorgesehenen Restriktionen behinderten den Überseehandel noch länger. Das Kriegsende brachte zudem den politischen Zusammenbruch des Kaiserreiches. Durch innere Unruhen und politische Entscheidungen wurden die Produktionsbedingungen nachhaltig verändert. Noch Ende 1918 erließ der Rat der Volksbeauftragten, ein Organ der Revolution, erste Regelungen, welche den Arbeitskampf institutionalisierten und die Bildung innerbetrieb­ licher Arbeiterausschüsse sowie eine deutliche Verminderung der Arbeits­ zeit vorsahen.3 Der Staatssozialismus wurde vorübergehend unter dem Sozi­ aldemokraten Rudolf Wissell und seinem Staatssekretär, dem bereits be­ nannten Wichard v. Moellendorff, zum offiziellen wirtschaftspolitischen Programm erhoben. Zeitweise schien die Kontrolle über die Betriebe den Unternehmensleitungen sogar ganz zu entgleiten. Die industrielle Produkti­ on, die 1918 nur noch 57 % des letzten Vorkriegsstandes erreichte, sank un­ geachtet des Kriegsendes weiter ab, bis 1919 mit 38 % des Standes von

3 Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter v. 23. November 1918, RGBl. 1918, 1334; VO über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten v. 23. Dezember 1918, RGBl. 1918,1456.

1913 der Tiefpunkt erreicht war.4 Erst 1927 sollte das Vorkriegsniveau wie­ der erreicht werden. Zunehmend erschwerte auch die anhaltende Inflation die Kalkulation. Schon während des Krieges hatte ein inflatorischer Prozeß eingesetzt, der zu einer Halbierung des Inlandswerts der Mark geführt hatte. Nach dem Krieg sank der Wert des Geldes weiter. Die Mark hatte im Jah­ resmittel 1919 nur noch eine Kaufkraft von 24 Pfennigen des letzten Vor­ kriegswertes und schwankte von Januar 1920 bis Juli 1921 relativ stabil um 7 Pfennige.5 Wer zu Vorkriegsbedingungen kalkuliert hatte, der sah schon jetzt seine Berechnungsgrundlage zerstört. Schon lange vor der Hyperinfla­ tion der Jahre 1922/23 war die Verarmung weiter Kreise Realität. Im No­ vember 1918 befand man sich nicht am Ende des wirtschaftlichen Not­ stands, sondern mittendrin. Die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Prinzipien der Recht­ sprechung konnten dem (Neu-)Schuldner nur noch bedingt helfen. Das hatte mehrere Gründe. Bislang waren viele Güter durch die Blockade und die Kriegsbewirtschaftung von den Märkten völlig verschwunden. Den Händ­ lern, die nach dem Verständnis des Reichsgerichts regelmäßig versprochen hatten, marktgängige Waren zu beschaffen und zu liefern, kam der Zusam­ menbruch der Märkte natürlich zugute. Nun waren die lang entbehrten Güter aber wieder zu haben, zu stark gestiegenen Preisen allerdings. Auch jenseits des Handels schwanden die faktischen Hindernisse bei steigenden Kosten. Nach und nach entfielen die behördlichen Maßnahmen, welche bislang für zwar hohe, aber stabile Preise gesorgt hatten. Insbesondere die Preise für die Energieträger Kohle und Gas erhöhten sich stark. Per Verordnung vom 1. Februar 1919 wurde den meist öffentlichen Elektrizitäts- und Gaswerken ermöglicht, trotz bestehender, langlaufender Verträge die Preise den Selbst­ kosten anzupassen.6 Ungeachtet der rückkehrenden Soldaten und des daraus resultierenden Überangebots an Arbeitskräften stiegen, insbesondere 1918 und 1919, auch die Arbeitskosten stark an. Natürlich wurden die von den Gewerkschaften und einer streikfreudigen Arbeiterschaft durchgesetzten Lohnerhöhungen von der Entwertung des Geldes schnell wieder eingeholt. Dem Produzenten half das aber nur dann weiter, wenn er inflationsberei­ nigte Preise für seine Waren bekam. Genau hier war das Problem. Es war bislang ein ehernes Prinzip der Rechtsprechung, daß gestiegene Erfüllungs­ kosten dem Gläubiger nicht entgegengehalten werden konnten. Gemäß der modifizierten Unmöglichkeitsdogmatik sollten der Leistungspflicht zwar 4 Zahlen aus: Peukertf Die Weimarer Republik, S. 125. 5 Zahlen aus: Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923, S. 15. 6 VO. über die schiedsgerichtliche Erhöhung von Preisen bei der Lieferung elektrischer Arbeit, Gas und Leitungswasser, vom 1. Februar 1919; RGBl. 1919,135; Kriegsbuch, Bd. 9, S.340.

engere Grenzen gezogen werden als die durch das faktisch Mögliche vorge­ gebenen, doch blieb der Blick immer auf die einzelne Leistung beschränkt. Eine Leistung, die der Schuldner zu alten Preisen nicht erbringen mochte, wohl aber zu neuen, erhöhten Preisen, war eben möglich. Jede andere Be­ wertung hätte eine Zusammenschau von Leistung und Gegenleistung erfor­ dert, die der Unmöglichkeitsdogmatik wie dem Reichsgericht zunächst fremd war. Der Abbau der faktischen Erfüllungshindernisse schadete dem Schuldner mehr, als daß sie ihm half. Hinzu trat ein weiteres Problem. Die Rechtsprechung wollte bekanntlich über den „Inhalt des Vertrags“ ermitteln, ob die mögliche Leistung mit der geschuldeten identisch sei. Je präziser der Vertragsinhalt gefaßt werden konnte, um so anfälliger wurde der Vertrag für die Unmöglichkeit. Es mußte dem Schuldner also entgegenkommen, wenn möglichst viele sogenannter Inhalte in den Vertrag hinein interpretiert werden konnten. Soweit die Par­ teien die kommenden Schwierigkeiten bei Vertragsschluß nicht überblicken konnten, mochte eine ergänzende Interpretation für den nötigen Inhalt sor­ gen. Erkannte und erkennbare Hindernisse hatte der Schuldner aber im Zweifel zu überwinden versprochen - so lautete wenigstens bis dahin die Rechtsprechung. Hier half die ganze ergänzende Vertragsauslegung nichts. Nun gab es auch beim Übergang vom Krieg zum Frieden wahrlich keinen Mangel an überraschenden, unvorhergesehenen und auch unvorhersehbaren wirtschaftlichen Problemen. Aber es gab einen bedeutenden Unterschied: Den Parteien aber war nunmehr klar, daß sie die Verträge in einer Ausnah­ mesituation, der eines Weltkrieges, geschlossen bzw. bestätigt hatten. An­ ders als im Falle der Vorkriegsschlüsse gingen sie nicht vom Weiterbestand der bestehenden, sondern von dem Wiedereintritt längst vergangener Zu­ stände aus. Die Unschuld der Vorkriegsverträge war dahin. Ob das Reichs­ gericht gewillt war, die eben erst entwickelten Grundsätze zu verlassen und dem Schuldner zu helfen, das war Ende 1917 eine durchaus offene Frage. Langsam wurde man gewahr, daß die anhaltende Inflation ein weiteres ernsthaftes Problem darstellte. Die Inflation verteuerte die Leistung und war insoweit ein bekanntes Phänomen. In ihrer neuen Gestalt entwertete sie aber auch die Gegenleistung nachhaltig. Das war neu. Für das Verhältnis der auszutauschenden Leistungen fehlte es bislang an einem eingespielten Rechtsinstitut. Die Unmöglichkeit, wie wirtschaftlich man dieses Rechtsin­ stitut auch immer verstehen mag, beschäftigt sich eben immer nur mit der isolierten Leistungspflicht und nicht mit dem vertraglichen Leistungsgefüge. Eine Störung der Äquivalenz konnte allenfalls mittelbar berücksichtigt wer­ den, insofern als auch die Höhe einer Geldleistung für die (ergänzende) In­ terpretation der hierfür versprochenen Leistung herangezogen werden kann.

In der Literatur häuften sich deshalb Stimmen, die ein grundsätzliches Um­ denken forderten.

1. Verträge für die Nachkriegszeit: Die frustrierte Erfüllungsplanung Die Entwicklung der Rechtsprechung ist verbunden mit der irreführenden Terminologie der „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“. Der Begriff tauchte schon früh auf und ersetzte die von der Vorkriegsliteratur verwendeten Be­ griffe der „relativen Unmöglichkeit“ und der „rechtlichen Unmöglichkeit“. Durch die eigenständigen Unmöglichkeitsbegriffe sollte kundgetan werden, daß die faktische Unmöglichkeit nicht die einzige Unmöglichkeit sei, die als Grenze der Leistungspflicht in Frage komme. Die sich durchsetzende Ter­ minologie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit ist wenig glücklich und ver­ schleiert eine wichtige Wende, welche die Rechtsprechung in dieser Phase genommen hatte: die Wende von der Leistungs- zur Vertragsstörung. Diese kündigte sich an, als die Rechtsprechung zunehmend bereit war, gestiegene Erfüllungskosten zu berücksichtigen. Bislang war die Rechtsprechung nur bei unvorhergesehen eingetretenen und unabsehbar andauernden Erfül­ lungshindemissen bereit, offen anhand der Vertragszwecke zu prüfen, ob eine spätere Erfüllung dem wirtschaftlichen Ziel noch gerecht werden könnte. Die Grenze zur rein wirtschaftlichen Vertragsstörung war fließend. Und sie verschob sich zu Lasten des Gläubigers, als die Rechtsprechung die eingrenzenden Kriterien, insbesondere die Unvorhersehbarkeit und Unab­ sehbarkeit der Erfüllungshemmung, vernachlässigte. a) Die Baumwollverträge und der Kriegseintritt der USA Während des Krieges war die Baumwolle ein seltener und begehrter Roh­ stoff. Da schon vor dem Krieg langjährige Laufzeiten der Lieferverträge nicht unüblich waren,7 neigte man nach Ausbruch des Krieges dazu, die Verträge beizubehalten und großzügig auf die Friedenszeit zu schieben. Bis in das Jahr 1917 hinein wurden alte Verträge bestätigt, nicht selten mit de­ taillierten Regelungen für die geänderten Erfüllungszeiten. Auch völlig neue Verträge wurden abgeschlossen, in einem zur Entscheidung gelangten Fall sogar noch nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den USA. Erst der Kriegseintritt der USA im April 1917 änderte diese Situation. So eifrig, wie die Verträge abgeschlossen wurden, so eilfertig wollten nun 7 Gutachten des Präsidenten der Bremer Baumwollbörse, zitiert bei: Schumacher, Un­ möglichkeit und Schiebungen von Geschäften auf Friedenszeit, HansRZ 1917,118.

die Händler die Bindung gelöst wissen. Vor Gericht waren, ungeachtet des von der Rechtsprechung hochgehaltenen Prinzips der Irrelevanz von Lei­ stungskosten, die Chancen der Schuldnerseite gar nicht so schlecht. Wie erinnerlich, hatte die Rechtsprechung Vorkriegsverträgen eine andauernde Unmöglichkeit attestiert, sofern deren Erfüllung für die ganze Dauer des Krieges nicht bewirkt werden konnte. Nach einigem Zögern sollte dies selbst dann gelten, wenn die Parteien in einer Klausel oder unmittelbar nach Ausbruch des Krieges die Erfüllung hinausgeschoben hatten. Je später die Prolongation vereinbart wurde und je detaillierter die Vereinbarungen den neuen Verhältnissen angepaßt wurden, um so weniger konnte freilich einer späteren Leistung die Erfüllungstauglichkeit allein aus Gründen des Ver­ tragsinhalts abgesprochen werden. In zwei Urteilen versuchte das OLG Hamburg hier Grenzen zu ziehen. Wer inmitten des Krieges Verträge über Baumwolle bestätigte, die aus ei­ nem von den Feindmächten kontrollierten Gebiet (hier: Indien) bezogen werden sollte, der wurde mit dem Einwand andauernder Unmöglichkeit nicht gehört.8 Beide Urteile liegen voll auf der bisherigen Linie der höchst­ gerichtlichen Rechtsprechung. Dennoch sind sie am 22. Oktober 1918 vom 2. Zivilsenat aufgehoben worden.9 Bereits eine Woche zuvor, am 15. des Monats, hatte der 3. Zivilsenat in ähnlich gelagerten Fällen die Zurückhal­ tung aufgegeben und zwei Berufungsurteile, diesmal von den Oberlandesge­ richten Celle und Frankfurt, kassiert. Diese vier binnen einer Woche ergan­ genen Urteile leiten die Wende zur zweiten Phase der Rechtsprechung ein. Das Kriterium der unvorhergesehenen zeitlichen Verschiebung der Lei­ stung, aus dogmatischer Sicht der Passierschein für den Übergang von der vorübergehenden zur andauernden Unmöglichkeit, wurde praktisch fallen­ gelassen. Der 3. Senat betonte: „Wenn auch grundsätzlich daran festgehal­ ten werden muß, daß Verträge zu wahren sind, so darf dies doch nicht dahin führen, ihre Ausführung auch unter völlig veränderten, bei ihrem Abschlus­ se nicht voraussehbaren Verhältnissen zu verlangen.“10 Auch die inmitten des Krieges abgeschlossenen Verträge konnten demnach aufgehoben wer­ den. Der 3. Zivilsenat versuchte gar nicht erst, das Rechtsinstitut der Un­ möglichkeit fruchtbar zu machen; er sprach schlicht von einer „wirtschaftli­ chen Unerträglichkeit“.11 Auch der 2. Zivilsenat bemühte sich um die 8 OLG Hamburg v. 7. März 1918, HansGerZ 1918, 97 (99); OLG Hamburg v. 9. April 1918, HansGerZ 1918,73 (75). 9 RG v. 22. Oktober 1918, RGZ 94, 68: Aufhebung von OLG Hamburg v. 9. April 1918; RG v. 22. Oktober 1918, Wameyer 1919, 13: Aufhebung von OLG Hamburg v. 7. März 1918. 10 RG v. 15. Oktober 1918, RGZ 94,45 (49). 11 RG v. 15. Oktober 1918, Wameyer 1919,133 (136).

§§ 275, 279 BGB nicht weiter. Die bislang allenfalls ergänzend zitierten §§ 157 und 242 BGB sollten es nun richten. Für aus den USA einzuführende Baumwolle hatte das OLG Hamburg schon vor der Kehrtwende des Reichsgerichts dem Händler geholfen. Als maßgebendes Argument für die richterliche Milde wurde der Kriegseintritt der USA genannt. Aus zwei Gründen traf der amerikanische Kriegseintritt die bis dahin optimistischen Baumwollhändler. Auf der Hand lag der erste Grund. In den USA bestand ein wichtiger Baumwollmarkt, zusammen mit Indien der wichtigste der damaligen Weltwirtschaft. Diese Begründung konnte aber kaum genügen. Denn der Zugang zu den amerikanischen Baumwollmärkten wurde durch den Kriegseintritt der USA nicht unterbro­ chen, das war er nämlich schon aufgrund der Blockade. Zudem sollten die Verträge erst nach dem Krieg erfüllt werden. Was hielt das Oberlandesge­ richt davon ab, den von den Parteien vorgesehenen Erfüllungszeitraum ab­ zuwarten? Man hatte Bedenken wegen der Begeisterung, mit der die USA sich in den Krieg stürzten. Auch die bizarre Kriegspropaganda der Ameri­ kaner und deren konsequentes Vorgehen gegen deutsche Staatsbürger ließen eine lang anhaltende, den Krieg überdauernde Verstimmung vermuten.12 Nüchtern betrachtet kam alles ganz anders. Der Kriegseintritt der USA ver­ kürzte den Weltkrieg deutlich, und ausgerechnet die Amerikaner sollten nach der Niederlage und der Demokratisierung des deutschen Reiches die Handelsbeziehungen am schnellsten normalisieren. Also noch einmal ge­ fragt: Warum konnte man diese Entwicklung nicht abwarten? Hier kommt ein zweiter Faktor ins Spiel. In den USA befand sich der letzte große, für deutsche Kaufleute zugängliche Warenterminmarkt für Baumwolle. Der Kaufmann, der effektive Ware zu liefern versprochen hatte, konnten durch einen Einkauf auf dem Warenterminmarkt die Konjunkturrisiken von sei­ nem Vertrag fernhalten. Diese Hedge-Geschäfte machten den effektiven Markt für den Händler kalkulierbar. Stieg der Baumwollpreis im Laufe der Zeit, so verlor der Händler am effektiven Markt, gewann aber auf dem Ter­ minmarkt. Sollten die Preise für Baumwolle dagegen sinken, so verlor er zwar auf dem Terminmarkt, machte dafür im effektiven Geschäft um so größere Gewinne. Der Baumwolleinfuhrhandel beruhte bereits vor dem Krieg weitgehend auf dem Prinzip von Deckung und Gegendeckung.13 In­ mitten des Weltkriegs samt seines unabsehbaren Endes war es besonders wichtig, daß die Gegendeckung funktionierte. Durch den Kriegseintritt der 12 OLG Hamburg v. 27. September 1918, HansGerZ 1918, 182 (183): „Denn nach menschlicher Voraussicht wird der gerade in den Vereinigten Staaten aufgepeitschte Deut­ schenhaß kaum so bald friedlicher Handelsbereitschaft Platz machen.“ 13 Schumacher, Unmöglichkeit und Schiebungen von Geschäften auf Friedenszeit, HansRZ 1917,116-119.

USA und die sofort einsetzenden wirtschaftlichen Sanktionen gegen deut­ sche Staatsbürger wurden diese Gegengeschäfte, selbst wenn sie bereits ge­ tätigt worden waren, zunichte gemacht. Kein noch so schnelles Kriegsende, kein noch so bald normalisierter Warenhandel würden die verlorene Gegen­ deckung zurückbringen. Aus einer normalen Kalkulation war über Nacht ein Risikogeschäft geworden. Ein schlechtes zumal. Das OLG Hamburg be­ rücksichtigte diesen Umstand zugunsten des Schuldners.14 Die Gegendeckung des Geschäfts auf dem Terminmarkt war für das wirt­ schaftliche Kalkül des Händlers relevant. Damit ist es aber noch nicht zum Vertragsinhalt des Hauptgeschäfts geworden. Das Gegengeschäft wurde völlig unabhängig von dem Abnehmer der Waren geschlossen. Warum sollte man es anders behandeln als konkrete Eindeckungserwartungen des Schuldners? Konnte die für die Eindeckung vorgesehene Fabrik nicht lie­ fern, so wurde der Händler eben auf andere Eindeckungsmöglichkeiten ver­ wiesen. Warum nicht auch hier? Man könnte daran denken, daß ein Ge­ schäft ohne Gegendeckung etwas anderes ist als eines mit Gegendeckung. Das OLG Hamburg hat so aber nicht argumentiert, wohl weil sich - anders als eben im Falle von Übersee- und Lokowaren - getrennte Märkte mit ge­ trennten Preisen nicht herausgebildet hatten. Das Oberlandesgericht er­ kannte aber, daß die Parteien beiderseitig von der Möglichkeit der Gegen­ deckung „ausgegangen “ waren.15 In einem anderen Urteil wurde erklärt, diese sei „übereinstimmend gewollt“ gewesen.16 Aber auch wenn die Ge­ gendeckung sich in dem konkreten Geschäft weniger festmachen ließ, wollte das Gericht helfen. Leistungsschwere und Risiko haben sich in einem für den Schuldner drückenden Maße verändert, hielt das Gericht angesichts der Summe der durch den Kriegseintritt der USA aufgetretenen Probleme dem Leser vor Augen. Natürlich hätte der Schuldner auch versprechen kön­ nen, diese Last zu übernehmen, gestand es zu. Doch einen solch atypischen Willen wollte das Oberlandesgericht dem schlichten Leistungsversprechen nicht entnehmen: „Nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Ver­ kehrssitte sind vielmehr in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen der Parteien die Verträge dahin zu verstehen, daß 14 OLG Hamburg v. 20. März 1918, HansGerZ 1918, 85 (86); vgl. noch OLG Hamburg v. 13. Juni 1918, HansGerZ 1918, 131 (132); OLG Hamburg v. 27. September 1918, Hans­ GerZ 1918, 182 (183); OLG Hamburg v. 1. Oktober 1918, HansGerZ 1918, 173 (174 f.). War das Geschäft, etwa im Handel mit Ostindien, wirtschaftlich nicht auf diesem Terminge­ schäft aufgebaut, wollte das OLG Hamburg dem Schuldner dagegen nicht helfen: Urt. v. 29. Juni 1918, HansGerZ 1918,131 (132). 15 OLG Hamburg v. 1. Oktober 1918, HansGerZ 1918, 173 (174 f.): „Erst durch diesen Abschluß vom Terminmarkte waren die zwischen den Parteien laufenden Verträge ihrem In­ halt und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nach [...] völlig verändert worden.“ 16 OLG Hamburg v. 20. März 1918, HansGerZ 1918,85 (87).

der Beklagten nicht mehr als das gewöhnliche, zur Zeit des Abschlusses von einem verständigen Kaufmann zu ermessende Risiko auferlegt werden soll­ te.“17 Soweit das OLG Hamburg. Das Reichsgericht entschied sich dafür, den Knoten durchzuschlagen, statt ihn für jeden Fall neu zu entwirren. Anders als das Oberlandesgericht in Hamburg sprach es deshalb die konkreten Pro­ bleme der einzelnen Geschäfte, wie die Frage der Gegendeckung oder der vereinbarten Provenienz der Baumwolle, nicht an. Entscheidungstragend war nunmehr allein die mit dem Kriegseintritt der USA verbundene Eskala­ tion des Krieges. Im Dezember 1918 beleuchtet der 2. Zivilsenat seine Rechtsprechung wie folgt: „Der erkennende Senat hat in der [...] durch Urt. vom 22. Okt. 1918 erledigten Sache [...] allgemein den Standpunkt ange­ nommen, daß der deutsche Verkäufer von Baumwolle, die von Übersee ein­ geführt und nach Friedensschluß geliefert werden soll, an die in der ersten Kriegszeit übernommene Lieferungspflicht nicht mehr gebunden sei.“18 Nicht nur die rechtliche Begründung trennt die Urteile des 2. Zivilsenats von den oben angesprochenen Urteilen des OLG Hamburg. Auch die fakti­ schen Verhältnisse hatten sich weiter zuungunsten des Überseehandels ver­ schoben. Der Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung kam in ei­ ner ganz besonderen Situation. Am 3. Oktober 1918 hatte der letzte kaiser­ liche Reichskanzler, Prinz Max v. Baden, ein offizielles Waffenstillstands­ ersuchen an die amerikanische Regierung geleitet, womit die Niederlage des deutschen Reiches offen zutage trat. Ist der zeitliche Zusammenhang ein Zu­ fall? In einem Urteil vom Mai 1919 wird die Vermutung bestätigt, auch wenn verklausuliert die Revolution verantwortlich gemacht wird. Dort heißt es,: „Zwar haben die Parteien in ihren Verträgen, weil mit dem unglückli­ chen Ausgang des Krieges zu rechnen war, auch den Fall eines solchen Ausgangs im allgemeinen in Kauf genommen, aber doch nicht jeden un­ glücklichen Ausgang, nämlich nicht einen solchen, der durch Ereignisse herbeigeführt wurde, die im Januar 1916 nicht vorauszusehen waren.“19

17 OLG Hamburg v. 27. September 1918, HansGerZ 1918,182 (183); bestätigt in: RG v. 16. Mai 1919, Wameyer 1919,232 (234). 18 RG v. 13. Dezember 1918, Wameyer 1919,44 (45). 19 RG v. 16. Mai 1919, Wameyer 1919, 232 (234); gern zitiert wird auch RG v. 15. Oktober 1918, RGZ 94,45 (49): „Der deutsche Kaufmann wird eines ganz außerordentli­ chen Maßes von Mut, Kraft und Ausdauer bedürfen, um unter den zu erwartenden Schwie­ rigkeiten nach dem Kriege wieder ersprießliche Handelsverhältnisse herbeizuführen und den deutschen Handel mit dem Auslande neu aufzubauen. Die Erfüllung dieser Aufgabe würde ihm aber in ganz unverhältnismäßiger Weise erschwert [...], wenn er durch alte, aus der Zeit vor dem Krieg stammende [...] Verträge gebunden wäre [...]“ Der Schock der Niederlage ist hier förmlich greifbar.

In klaren Worten wurden die Verträge des BaumWollhandels aufgehoben. Weit weniger klar war die dogmatische Begründung. In der maßgeblichen, auch in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidung heißt es nur: „Ihre Rechtfertigung findet die danach eingetretene Befreiung in der Erwägung, daß eine Leistungspflicht nicht mehr besteht, wenn die Erfüllung unter Umständen stattzufinden hätte, die dem, was die Beteiligten vernünf­ tigerweise beabsichtigt haben, so wenig mehr entspricht, daß der Erfül­ lungszwang mit der durch §§ 157, 242 BGB gebotenen Rücksichtnahme auf Treu und Glauben und auf die Verkehrssitte unvereinbar wäre.“20 Das Prin­ zip der Identität von geschuldeter und möglicher Leistung wird also nicht weiter bemüht. Konkrete Erwägungen im Sinne einer ergänzenden Ver­ tragsauslegung, wie sie noch bei den Entscheidungen des OLG Hamburg anklingen, fehlen ebenso. Auch der § 275 BGB tritt zugunsten des Normen­ paars §§ 157, 242 BGB zurück. Damit ist das in den §§ 275, 279 BGB zum Vorschein kommende Grundprinzip der vertraglichen Bindung durchbro­ chen. Dieses soll nur noch im Rahmen der bei Vertragsschluß überschauba­ ren wirtschaftlichen Verhältnisse gelten. Die konkrete Rechtsfigur, die letztlich die Befreiung rechtfertigen soll, bleibt freilich im dunkeln. Eine generelle, Treu und Glauben zu entnehmende Grenze der Leistungsschwere lag dem Senat sichtlich fern; zu sehr steht der Wandel der Umstände im Vordergrund der Überlegung. Auf der anderen Seite wird der Begriff der clausula rebus sic stantibus sorgfältig vermieden. Paul Krückmann, der in zahlreichen Aufsätzen für die Reaktivierung der clausula rebus sic stantibus eintrat, wird nicht erwähnt. Das Reichsgericht will vielmehr dem „dringen­ den Bedürfnis des deutschen Handels“ Rechnung tragen.21 Der Gedanke des Rechtsmißbrauchs findet sich daneben, mehr angedeutet als angesprochen. Auch andere Lieferungsverträge wurden, sofern exponierte ausländische Märkte für die Beschaffung vorgesehen waren, aufgehoben. Die Wende war, es wurde bereits angesprochen, von zwei Urteilen des 3. Senats eingeleitet worden. In diesen beiden Fällen hatten die Händler Kupferdraht und Palmöl zu liefern versprochen.22 Der 2. Senat versagte einem Liefervertrag über as­ phaltierfähiges Material die Bindungswirkung 23 Der 1. Senat hob sogar ei­ nen Vertrag über Schwefelkies auf, mit den Worten, diese Grundsätze soll­ 20 RG v. 22. Oktober 1918, RGZ 94,68 (69); in diesem Sinne hob der 2. Zivilsenat weite­ re Baumwollverträge auf: RG v. 22. Oktober 1918, Wameyer 1919,13 (15); RG v. 13. De­ zember 1918, Wameyer 1919, 44 (45); RG v. 16. Mai 1919, Wameyer 1919, 232 (234); RG v. 26. Oktober 1920, Wameyer 1921,7 (8). 21 RG v. 15. Oktober 1918, RGZ 94,45 (49). 22 RG v. 15. Oktober 1918, RGZ 94, 45 (49); RG v. 15. Oktober 1918, Wameyer 1919, 133 (136). 23 RG v. 18. November 1919, Wameyer 1920,84.

ten „nicht nur für den Krieg und seine Folgen, sondern auch für die deutsche Revolution und ihre Folgen" Anwendung finden.24 Den Schlußpunkt unter die BaumwollVerträge der Kriegszeit setzte der 2. Senat im Oktober 1920 mit folgenden, sehr allgemein gehaltenen Erwägungen: „Es kann doch nicht verkannt werden, daß sich durch einen Lauf der Ereignisse, wie er von nie­ mandem erwartet werden konnte, die tatsächlichen Verhältnisse und damit alle Grundlagen des Handels und der Industrie, ganz besonders aber gerade auch des Importgeschäfts und obendrein des Importgeschäfts in einem der wichtigsten Rohstoffe in einer Weise umgestaltet haben, daß es ein Unding wäre, Parteien jetzt noch und für die sie nunmehr herangekommene Zeit der Erfüllung an einen im Februar 1916 geschlossenen Vertrag festzuhalten und damit auf Kosten des auf das schwerste geschädigten einen Teiles dem an­ deren Teil einen ebenso maßlosen Gewinn zuzusprechen.“25 Der Rechtspre­ chung öffnete sich ein weites Betätigungsfeld. b) Die Verträge der verarbeitenden Industrie und die Revolution

Die Beschaffungsplanungen des Überseehandels mochten unmittelbar unter der Eskalation des Krieges durch den U-Boot-Krieg und den Kriegseintritt der USA leiden. Die Industrie betraf dies allenfalls mittelbar. Natürlich wurde auch die Rohstoffbeschaffung für die Betriebe erheblich erschwert. Anders als im Falle des Handels stellten die Rohstoffkosten aber nur einen Rechnungsposten unter vielen dar; angesichts der Kosten für Arbeitskraft, Energie und Maschinen sogar einen vergleichsweise geringen. Für die ver­ arbeitende Industrie viel wichtiger als der unglückliche Kriegsausgang wa­ ren die Ereignisse der Revolution, die erhebliche Umwälzungen in der in­ nerbetrieblichen Organisation, ein nun auch offiziell anerkanntes Arbeits­ kampfrecht und - zumindest auf kurze Sicht - sehr ungünstige Tarifverträge mit sich brachten. Das erste und, wie sich später zeigen sollte, auch richtungsweisende Ur­ teil wurde erneut vom OLG Hamburg gefällt. Die Hamburg-Amerikanische Paketfahrt AG hatte bei der Tecklenborg AG in Bremerhaven zwei Schiffs­ neubauten bestellt. Die beiden Schiffsbauten wurden durch die kriegsbe­ dingte Materialknappheit und behördliche Beschlagnahmen erheblich ver­ zögert, und nun, nach dem Ausbruch der Revolution, wollte die Werft an die Lieferungsverpflichtung nicht mehr gebunden sein. Allerdings hatte die Reederei nach Baufortschritt bereits erhebliche Teilsummen geleistet. Laut Urteil des OLG Hamburg war die Tecklenborg Werft nicht verpflichtet, die beiden Neubauten fertigzustellen. Andererseits mußte die Reederei sich 24 RG v. 19. Mai 1920, RGZ 99,115 (116). 25 RG v. 26. Oktober 1920, Wameyer 1921,7 (8)

nicht mit der Rückzahlung der - mittlerweile entwerteten - Teilzahlungen zufriedengeben. Die Reederei sollte abzüglich einer anteilig am Baustand vorzunehmenden Kürzung den Kaufpreis bezahlen; dafür wurden ihr die beiden unfertigen Schiffsrümpfe zugesprochen. Eine Übergabe der bereits begonnenen Rümpfe erwies sich freilich in einem Falle als schwierig, da ei­ ner der Neubauten nicht einmal schwimmfähig war. Mit der Lösung konnte keine der Parteien zufrieden sein. Der Besteller bekam nicht die gewünsch­ ten Schiffe, und die Werft konnte nicht für ein erhöhtes Entgelt Weiterar­ beiten. Wie kam es zu dieser salomonischen Entscheidung? Das OLG Ham­ burg stellte im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung fest, daß Lohn­ erhöhungen und gestiegene Materialpreise keine vertragsbefreiende Wir­ kung entfalten könnten. Dennoch wurde der Vertrag aufgehoben: „Die Sachlage hat sich durch die Revolution wesentlich geändert“, so das Oberlandes­ gericht. „Vor allem durch die Aenderung der Arbeiterverhältnisse und durch die Verschie­ bung des Einflusses, den die Arbeiter auf den gewerblichen Betrieb erlangt haben. Die eingeführten Tarifverträge bringen die wesentliche Neuerung, daß gelernte Arbeiter nicht viel mehr erhalten als ungelernte; die Abschaffung der Akkordarbeit vernichtet den Trieb, durch Fleiß mehr zu verdienen; auf Fähigkeiten und Leistungen wird in der Lohnfrage nicht mehr wie bisher Rücksicht genommen; der unbegabte und nicht eifrige Arbeiter er­ hält genau denselben Lohn, wie der intelligenteste und fleißigste. Dabei ist die Werft in der Wahl und Anstellung ihrer Arbeiter nicht mehr frei, sondern es wird ein weitgehender Zwang ausgeübt. Eine energische Förderung der Arbeit ist somit der Werft versagt; dazu kommt, daß die Arbeiterräte sich in das Bestimmungsrecht über die Betriebsleitung ein­ gemischt haben; die Arbeiter haben das Recht, mitten aus der Arbeit fortzulaufen, um den Arbeiterrat wegen vermeintlicher Beschwerden anzurufen. Dazu kommt ferner die Unter­ sagung der Ueberstundenarbeit. So läßt sich eine zielbewußte Betriebsleitung überhaupt nicht mehr durchführen.“26

Viel Beifall für die Errungenschaften der Revolution kann man hier nicht vernehmen. Um so mehr Verständnis erntete die Tecklenborg AG mit ihren innerbetrieblichen Problemen. Wie schon in den Fällen des Überseehandels wurde nicht erst versucht, die Erfüllungsplanung in den Vertragsinhalt auf­ zunehmen. „Der Gesichtspunkt der Unmöglichkeit der Leistung oder eines der Unmöglichkeit gleichzuachtenden Umstandes dürfte schon bei den über­ seeischen Abladegeschäften über Gebühr in den Vordergrund gerückt sein“, hielt das Gericht fest. Denn natürlich seien die Leistungen nun, nach dem Ende des Kriegs, wieder möglich. Die Rechtsprechung sei im Ergebnis den­ noch richtig und würde auch „von dem Rechtsbewußtsein weiter Kreise“ getragen. „Der Nachdruck würde aber wohl besser darauf gelegt, daß durch die ganz veränderten Umstände den Parteien oder einer Partei die Ausfüh­ 26 OLG Hamburg v. 24. März 1919, HansGerZ 1919,81 (82),

rung nicht zugemutet werden kann.“27 Das Oberlandesgericht sah insbeson­ dere durch die §§ 157, 242 BGB „einen weiten Spielraum gegeben, um zu einem vernünftigen Resultat zu kommen“. Das vernünftige Resultat betraf freilich nur die noch ausstehenden Arbeiten an den Neubauten. Obwohl das Gericht erkannte, daß man sinnvollerweise auf Grund eines neu zu schlie­ ßenden Vertrages die Neubauten fertigstellen sollte, sah es sich nicht beru­ fen, den Vertrag selbst entsprechend abzuändem. Durch die Aufteilung des Vertrags in einen bestandskräftigen und einen aufgelösten Teil schuf es freilich einen faktischen Einigungszwang. Tatsächlich haben sich die Partei­ en, nachdem zunächst Revision eingelegt worden war, entsprechend vergli­ chen. Eine Revision hätte der klagenden Reederei wohl auch nicht geholfen. Für Werklieferungsverträge war der 7. Senat zuständig,28 und der hat in zwei Entscheidungen ebenfalls alten, d. h. vor der Zäsur der Revolution lie­ genden Schiffsbauverträgen die Bindungswirkung versagt. In beiden Fällen hat die beklagte Werft eingewandt, die Herstellung der Schiffsneubauten in­ folge der gesteigerten Lohn- und Werkstoffpreise nicht erbringen zu kön­ nen. Bloße Preissteigerungen seien unerheblich, hatten die beiden Vorin­ stanzen unisono ausgeführt. Das Reichsgericht sah es anders. Hier stünde nicht eine bloße Erhöhung der Kosten in Frage, sondern eine „völlige Ver­ änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ infolge der, wie es verschämt ausgedrückt wurde, „Ereignisse des November 1918“, der Revolution also.29 „Wichtig sind [...] vor allem die Angaben über die gewaltigen, infolge der Revolution eingetretenen Lohnsteigerungen“, läßt der Senat verlauten.30 Und er fährt wenige Zeilen später fort: „Dabei dürfen auch die Schwierig­ keiten nicht unbeachtet bleiben, die namentlich aus der Minderung des Ein­ flusses des Arbeitgebers für den Betrieb der Werft überhaupt und insbeson­ dere für die genaue Arbeit erheischenden Werkleistungen erwachsen.“ Der 7. Zivilsenat suchte ausdrücklich die Kontinuität mit der älteren Rechtsprechung zu wahren. „Der in zahlreichen Entscheidungen des Reichsgerichts ausgesprochene Grundsatz, daß der Verkäufer von seiner Lieferungspflicht frei wird, wenn die Leistung infolge der Verschiebung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Weltkrieg eine völlig andere ge­ worden ist, gilt auch für sonstige zweiseitige Verträge“, betonte der Senat

27 OLG Hamburg v. 24. März 1919, HansGerZ 1919,81 (83). 28 Zur Zuständigkeitsverteilung: K. Müller, Der Hüter des Rechts. Die Stellung des Reichsgerichts im deutschen Kaiserreich 1879-1918, S. 69 f. 29 RG v. 2. Dezember 1919, RGZ 98,18 (20 f.). 30 RG v. 24. Februar 1920, Wameyer 1920,166 (167).

auch in den hier zu entscheidenden Fällen.31 Auslösendes Moment dieser Rechtsprechung war aber, daran sei erinnert, der spezifische Zusammenhang zwischen der Verzögerung und der Änderung der wirtschaftlichen Verhält­ nisse. Der Senat nahm diese Vorgabe durchaus ernst. In der früheren Ent­ scheidung war ein Radschleppdampfer „nicht früher als 14 Monate nach Friedensschluß“ versprochen worden. Der Senat betonte die von der be­ klagten Schuldnerin vorausberechnete Bauzeit von 8 bis 10 Monaten und fuhr fort: „Es wird zu prüfen sein, ob hierauf bei den infolge der Revolution eingetretenen Änderungen auf dem Arbeitsmarkte, noch Gewicht zu legen ist und die damalige Bereitwilligkeit der Beklagten zur Ausführung des Baus noch von Bedeutung sein kann.“32 Einen starken Monat später hatte der 7. Senat sich mit dem Rumpf eines Segelbootes zu beschäftigen, den zu liefern der beklagte Schuldner Ende 1916 versprochen hatte. Ein im Früh­ jahr 1917 erlassenes Bauverbot verzögerte den Bau bis in den Herbst 1918 hinein. „Zu den unabwendbaren Folgeerscheinungen dieser Hinausschie­ bung des Bootsbaues gehörte aber“, so der Senat, „daß, als sich das Bauver­ bot erledigte, die weitere Wirksamkeit der Beklagten durch den unvorherge­ sehenen Ausbruch der Revolution mit ihren das Wirtschafts- und Arbeitsle­ ben von Grund aus ändernden Folgen wesentlich erschwerend beeinflußt wurde.“33 In zwei Bereichen wich der 7. Senat von der Rechtsprechung der ersten Phase ab. Zum einen wurde die durch den Kriegsbeginn ausgelöste Zäsur auf die Revolution übertragen; des weiteren fallen die Hemmungen hin­ sichtlich erhöhter Erfüllungskosten. Schon die erste Modifikation ist frag­ würdig. Die Revolution samt ihrer Folgen wird als ein ähnlich überraschen­ des und fundamentales Ereignis verstanden, wie es der Ausbruch des Krie­ ges für die Vorkriegsrechtsprechung war. Die Revolution ist aber aus dem Krieg hervorgegangen und verschärfte, zumindest im wirtschaftlichen Be­ reich, schlicht die kriegsbedingt bestehenden Probleme. Insbesondere die starke Stellung der Gewerkschaften, die ja die Betriebsbedingungen und -kosten nachhaltiger beeinflußt haben als die Organe der Revolution, be­ ruhte auf einer engen Zusammenarbeit mit dem Militär seit dem Jahres­ wechsel 1917/18.34 Hier setzte sich eine Entwicklung lediglich fort. Hinter 31 RG v. 2. Dezember 1919, RGZ 98,18 (20); nochmals ausdrücklich bestätigt in RG v. 24. Februar 1920, Wameyer 1920,166 (168). 32 RG v. 2. Dezember 1919, RGZ 98,18 (21). 33 RG v. 24. Februar 1920, Wameyer 1920,166 (167). 34 Zu den bereits 1917/18 erlangten sozialpolitischen Zugeständnissen: Bieber, Gewerk­ schaften in Krieg und Revolution, Bd. 1, S. 384-415; Übersicht über die Situation bei Kriegsende bei: Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914 bis 1918, S. 413-423.

der zweiten Modifikation, der großzügigen Berücksichtigung der Erfül­ lungskosten, verbirgt sich eine grundlegend neue Richtung. Der Senat suchte den Bruch mit der älteren Rechtsprechung zu verschleiern, indem er erklärte, die ältere Rechtsprechung gelte eben nur für den Großhandel, des­ sen Geschäfte regelmäßig einen spekulativen Charakter aufwiesen. Die Rechtsprechung des 7. Senats des ermunterte die Oberlandesgerichte zu weiteren Schritten. Und die lagen nicht fern. Die für die Rüstung produ­ zierenden Industrieunternehmen hatten sich in großem Umfang Aufträge für die kommende Friedenszeit gesichert. Die Automobilindustrie tat sich hier besonders hervor. Die Daimler-Motoren-Gesellschaft aus Untertürkheim bei Stuttgart hatte beispielsweise, wie das OLG Hamburg mitteilte, „Bestellun­ gen auf etwa 3.000 Automobile, deren Herstellung auch unter normalen Verhältnissen wenigstens 1 % Jahre erfordert hätte“, entgegengenommen. „Offenbar“, führt der Senat aus, „hat sie damit gerechnet, daß nach dem Kriege eine große Flauheit und ein starkes Sinken der Preise eintreten, und daß sie folgeweise einen großen Gewinn erzielen werde.“35 Das OLG Ham­ burg war etwas ratlos, wie dieses Verhalten zu bewerten sei. Der 7. Senat des OLG Hamburg unterstellte einen spekulativen Abschluß und verurteilte den Vertragshändler der Daimler-Motoren-Gesellschaft - und mittelbar den als Nebenintervenienten dem Streit beigetretenen Produzenten - zur Liefe­ rung der Kraftwagen.36 Anders sah das der 4. Senat des OLG Hamburg, der ebenfalls einen der zahlreichen Verträge beurteilen durfte. Dieser Senat atte­ stierte der Daimler-Motoren-Gesellschaft sogar ein besonders verantwor­ tungsvolles Handeln: „Da die Beklagte mit dem Friedensschluß die bis da­ hin ausschließlich beschäftigende Erzeugung von Kriegsbedarf einzustellen hätte, sicherte sie sich in ihrem Interesse und im Interesse der Arbeiter durch den Abschluß solcher Verträge sofortig ausreichende Beschäfti­ gung.“37 Dem Schuldner sollte diesmal geholfen werden. „Die durch diese Veränderung der Umstände eingetretene Erschwerung der Leistung geht 35 OLG Hamburg v. 17. Mai 1920, HansGerZ 1920,193 (194). 36 OLG Hamburg v. 17. Mai 1920, HansGerZ 1920, 193 (195); in diesem Sinne auch OLG Hamburg v. 23. Juni 1920, HansGerZ 1920,198 für einen im März 1918 geschlossenen Vertrag über ein Kraftfahrzeug: „Wie Zeitpunkt und Inhalt des Vertrages ergeben, sind die Parteien beim Abschluß überhaupt nicht davon ausgegangen, daß der vereinbarte Preis zur Zeit der Lieferung ein angemessenes Entgelt für die von dem Beklagten und den Prestowerken übernommene Leistung sein werde. Der Kläger wollte sich für einen noch unbestimmten Zeitpunkt ein Automobil zu einem bestimmten Preis sichern, gleichviel ob dieser dann höher oder niedriger als der Marktpreis sein würde. Andererseits handelte es sich auf Seiten der Prestowerke [...] um einen spekulativen Abschluß. Sie [die Beklagte und ihr Lieferant] glaubten, gegen den geforderten Preis das Risiko der nach dem Krieg entstehenden Kon­ junktur übernehmen zu können.“ 37 OLG Hamburg v. 18. Juni 1920, HansGerZ 1920,196.

über das Maß dessen hinaus, was der Beklagte nach dem Sinn des Vertrages zu tragen verpflichtet ist." Ihm könne die Erfüllung nicht mehr zugemutet werden.38 Die entgegengesetzte Beurteilung derselben Verträge durch die beiden hanseatischen Senate beruhte nicht auf einer unterschiedlichen Rechtsauf­ fassung hinsichtlich der Bindungswirkung von Verträgen. Selbst der verur­ teilende 7. Senat stellte sich die Frage, „ob der Nebenintervenientin bei Be­ rücksichtigung aller Umstände die Erfüllung des Vertrages zu den alten Be­ dingungen nach Treu und Glauben noch zugemutet werden kann (§§ 157, 242 BGB)“.39 Unterschiedlich bewertet wurde allein der Ausbruch der Re­ volution. Der 7. Senat erkannte hier keine besondere Zäsur zur Kriegszeit: „Daß unberechenbare Ereignisse bis zum Ende des Krieges und bis zur Überführung des Wirtschaftslebens in den Friedensstand eintreten konnten, hat die Nebenintervenientin sich bei Annahme der Bestellungen sagen müs­ sen und auch zweifellos gesagt. Auch die tiefgreifenden Einwirkungen der Revolution fallen also nicht aus dem Rahmen der Veränderungen heraus, deren Risiko die Nebenintervenientin auf sich genommen hat.“40 Der 7. Se­ nat unterschied dagegen zwischen dem „Preis der auf dem Markt zu be­ schaffenden Materialien“ und den „Löhnen und Gehältern“ für eigene Ar­ beitsleistungen. Konkrete Nachwirkungen des Krieges waren am ehesten bei den Materialien, insbesondere den Rohstoffen zu erwarten, so der Gedanke des Senats. In der Kalkulation des Herstellers seien die Arbeitskosten indes­ sen weit wichtiger als die Materialpreise. Die Löhne und Gehälter hätten aber erst infolge der Revolution „eine früher undenkbare Höhe erreicht“. Mit einer solchen Erhöhung der Lohnkosten habe die Daimler-Motoren­ Gesellschaft nicht rechnen können, eher schon, infolge der Rückkehr der Kriegsteilnehmer, mit derem Sinken.41 c) Die Entwicklung einer originären Unzumutbarkeitslehre

Das Interesse an einer kontinuierlichen Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung ist ein hervorstechendes Merkmal der Urteile des Reichsge­ richts in dieser Phase. Zunächst suchte das Reichsgericht die für die Vor­ kriegsverträge entwickelten Prinzipien auf die Kriegsverträge auszudehnen. Der 2. Zivilsenat setzte seine Rechtsprechung fort und betonte nach wie vor die besondere, durch den Krieg notwendig gewordene zeitliche Verschie­ bung der Leistung. Was notwendigerweise entfiel, das war das Moment des 38 OLG Hamburg v. 39 OLG Hamburg v. 40 OLG Hamburg v. 41 OLG Hamburg v.

18. Juni 1920, HansGerZ 1920,196 (197). 17. Mai 1920, HansGerZ 1920,193 (194). 17. Mai 1920, HansGerZ 1920,193 (195). 18. Juni 1920, HansGerZ 1920,196 (196 f.).

überraschenden Kriegsausbruchs. Andere Ereignisse mußten als neue Zäsur herhalten. Die neue Qualität, die der Krieg durch die Forcierung der Kriegswirtschaft erhalten habe, wurde nun angeführt. In Urteilen über den Überseehandel findet sich der Hinweis auf den unbeschränkten U-Boot­ Krieg samt des hierdurch weit in die Friedenszeit hinein zu erwartenden Mangels an Frachtraum, wohl in Überschätzung der Wirkung dieser neuen Waffe. Auch Pläne der Feindmächte zur Fortführung des Wirtschaftskrieges nach einem Friedensschluß, über die man kaum Genaues wissen konnte, werden dem Überseehandel zugute gehalten, schließlich schlicht der Kriegseintritt der USA. Für die Lieferungsverträge der arbeitsintensiven verarbeitenden Industrie galt die Revolution als entscheidendes Moment. Es war der 7. Senat, der gemäß der reichsgerichtsinternen Aufgabenzuweisung über diese Verträge zu entscheiden hatte. Bei den Schiffsbauverträgen nahm die Überlegung zu der befreienden Wirkung der Revolution erstmals Gestalt an. Bald mußte über die Lieferungsverträge von Kraftfahrzeugen entschieden werden. In diesen Fällen war es nun regelmäßig der Vertriebshändler, der verklagt wurde. Was lag näher als diesen Weg in der Handelskette weiterzuverfol­ gen? Tatsächlich sahen die zum Urteil aufgerufenen Oberlandesgerichte hier kein Problem, und auch spätere Reichsgerichtsentscheidungen betonten, daß es keinen Unterschied machen könne, ob der Produzent einen Vertrags­ händler eingeschaltet habe oder selbst seine Produkte veräußerte. Damit hatte das verpönte Argument der Kostensteigerung erstmals den Handel er­ reicht. Schnell wurde der Ausgangspunkt, die Arbeitsintensivität der Pro­ duktion, vergessen. Die Kriegsniederlage und die Revolution dienten als Legitimation für die großzügige Aufhebung von Verträgen, die während des Krieges für die kommende Friedenszeit geschlossen worden waren. Der „November 1918“ wurde eine viel zitierte Zäsur, die großzügig gegen be­ troffene Verträge angeführt werden konnte. Die normativen Grundlagen selbst der herangezogenen älteren Urteile ge­ rieten mit dem Fortgang der Entwicklung allmählich in den Hintergrund. Einmal entwickelte Rechtsprinzipien bekommen ein Eigenleben; sie verlas­ sen ihre normative Heimat und streifen nach und nach die Normen und die mit diesen verbundenen einschränkenden Tatbestandsmerkmale ab. So wer­ den in den meisten Urteilen die §§ 275, 279 BGB nicht mehr erwähnt, un­ geachtet der bedeutenden Rolle, die diese Normen bei der Herausbildung der älteren Rechtsprechung gespielt hatten. Obwohl der 7. Senat das Prinzip der Irrelevanz bloßer Leistungskosten modifizierte, sah er sich in den beiden maßgeblichen Entscheidungen nicht einmal genötigt, auf den § 279 BGB methodisch einzugehen. Nur die Rechtsprechung, die dieses Prinzip entwikkelt hatte, wurde erwähnt und restriktiv ausgelegt. Es liegt in der Logik die­

ser Entwicklung, daß allmählich die neue Rechtsprechung sich verdichtet, dadurch ein Eigengewicht bekommt und die ältere immer weniger benötigt. So wie Normen nach und nach nicht mehr zitiert wurden, so entfiel mit der Zeit auch der Hinweis auf die älteren Urteile. Nicht nur das Prinzip der Ir­ relevanz von Leistungskosten wurde allmählich zurückgedrängt, auch die für die Beurteilung der Verzögerung maßgebenden Kriterien der Unvorher­ sehbarkeit und Unabsehbarkeit verloren immer mehr an Bedeutung. Selbst wenn die Parteien die Verzögerung einkalkuliert hatten, ja wenn eigentlich gar keine atypische Verzögerung mehr vorlag, sollte nun geholfen werden. Die Veränderung der Verhältnisse wurde zum eigentlichen Träger der ver­ tragsauflösenden Urteile. Der 2. Senat erkannte ganz allgemein: „Bei Erwä­ gung der Sachlage und Einberechnung etwaigen Verlustes infolge weiterer Preissteigerungen haben sie [die Schuldner eines Lieferungsgeschäftes] un­ möglich mit einer derartigen Umwälzung rechnen können, wie sie der im November 1918 eingetretene Umsturz zur Folge gehabt hat. Die wirtschaft­ lichen Folgen jener Ereignisse lagen außer dem Bereiche jeder vernünftigen Berechnung und waren so einschneidend, daß sie den Inhalt früher zuge­ sagter Leistungen regelmäßig völlig veränderten.“42 Hier benützte der 2. Se­ nat noch das alte, auf die Unmöglichkeit zugeschnittene Prinzip der inhaltli­ chen Identität. Die Zeit ist aber reif für eine eigenständige Terminologie. Ende 1920 verzichtet der 7. Senat auf das Prinzip der wirtschaftlichen Iden­ tität und benützt nur noch den Begriff der Zumutbarkeit.43 Nach und nach schließen sich die anderen Senate an. Die Unzumutbarkeitslehre entwickelte sich zu einem Rechtsinstitut, das der alten clausula rebus sic stantibus recht nahe kam. Gemeinsam ist das Anliegen, nachvertraglichen Ereignissen Einfluß auf den Bestand des Ver­ trages einzuräumen. Vorbildgebend waren drei Zäsuren: der Ausbruch des Weltkriegs, dessen Zuspitzung seit dem Jahreswechsel 1916/17 und schließlich der November 1918. Offen blieb die Frage, inwieweit auch spä­ tere Entwicklungen Berücksichtigung finden sollten. Jenseits des auslösen­ den Ereignisses verlangte die Rechtsprechung, daß dieses eine besondere Auswirkung auf die Leistungen haben müsse. Die Rechtsprechung half pri­ mär dem Überseehandel und der verarbeitenden Industrie. In diesem Rah­ men hielt sie dem Schuldner nun auch zugute, wenn sich die Leistungsko­ sten erhöht hatten. Das Prinzip der Irrelevanz gestiegener Leistungskosten zeigte erste Risse. Steigende Erfüllungskosten sind freilich nur bei gleich­ bleibendem Wert der Gegenleistung ein echtes Problem. Das mußten auch die vielen Besteller von Kraftfahrzeugen erkennen, denen zwar die Liefe­

42 RG v. 16. September 1921, Recht 1921,436, Nr. 2764 43 RGZ 101,79.

rung zu den alten Vertragsbedingungen verweigert wurde, die aber die Wa­ gen zu erhöhten Preisen neu angeboten bekamen. Das Problem hoher Lei­ stungskosten ist eben auch - wenn nicht sogar primär - ein solches der Ge­ genleistung. Eine Theorie, die nur die Leistungsschwere berücksichtigt, wird hier spätestens dann zu kurz treten, wenn nicht die Leistung verteuert, sondern die Gegenleistung entwertet wird. Tatsächlich war auch in den von dem 7. Senat entschiedenen Fällen die eigentliche Ursache für die Unlust der Werften die geringwertige Gegenleistung. Von Januar 1920 bis Juli 1921 war die zu erwartende Gegenleistung im Verhältnis zum letzten Kriegswert der Mark bereits um das zehnfache vermindert. Kein noch so moderater Lohn, keine noch so kostengünstige Betriebsstruktur hätten diese Entwertung auffangen können. Auch die in der ersten Revolutionsphase vereinbarten Lohnsteigerungen wären, bis zur prospektiven Erfüllung, längst von der Inflation eingeholt worden. Zu einer echten Äquivalenzbe­ trachtung konnten sich die Gerichte aber noch nicht aufraffen. Statt dessen kam das Argument der Bereicherung der Gläubigerseite auf, die dem „Schaden“ der anderen Seite gegenüberstehe. Hier wurde der Gedanke des Rechtsmißbrauchs herangezogen, etwas bemüht freilich, setzte der Rechts­ mißbrauch, zumindest in seinem historischen Vorbild, doch ein besonders geringes Interesse der fordernden Seite voraus. In genauer Umkehr der gesetzlichen Vorgaben, die bekanntlich eine Haftung im Rahmen des Möglichen als Regel vorsahen, heißt es nun: „Die Übernahme aller und jeder Gefahr durch die Verkäufer ist aber nicht zu vermuten, vielmehr als eine seltene Ausnahme zu betrachten, die nur dann angenommen werden darf, wenn der Wille der Parteien, an der Lieferungs­ pflicht für alle Fälle festzuhalten, mögen sich auch die Verhältnisse ändern wie sie wollen, klar und unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist.“44 Im Falle besonderer Garantien und Lieferungszusagen wurde aber durchaus ein Fortbestand der Leistungspflicht angenommen;45 ebenso bei Verträgen, die als ausgesprochene „Spekulationsgeschäfte“ galten, etwa bei besonders lang laufenden Verträgen.46 Aufrechterhalten wurden grundsätzlich auch die Lie­ ferungsverträge des Großhandels 47 Weitere Ausnahmen wurden gemacht,

44 RG v. 28. Oktober 1919, JW 1920,376 (377). 45 OLG Hamburg v. 6. Februar 1922, HansGerZ 1922, 102 für einen Auftrag über ein Kraftfahrzeug mit der Klausel, daß die Fabrik „an den Vertrag auf alle Fälle gebunden sei und späterhin aus keinerlei Preiserhöhungen usw. ein Recht herleiten könne, den Vertrag nochmals umzustoßen“. Ein Fall der Garantie findet sich bei RG v. 4. Mai 1923, RGZ 107, 140 (141). 46 RG v. 9. Januar 1923, RGZ 106,177 (181 f. und 183). 47 RG v. 25. Februar 1919, RGZ 95, 41 (44); RG v. 27. Oktober 1921, Wameyer 1922, 107 (108).

sofern der Gläubiger besonders schutzwürdig schien. Gerade der 7. Senat legte Wert auf eine parteienorientierte Abwägung: „Wenn es sich, wie hier, nicht um eine natürliche, tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit einer Vertragsleistung, sondern darum handelt, ob einer Partei die übernommene Leistung nicht zuzumuten ist und sie deshalb das Vertragsband lösen darf, so ist die Zumutungsfrage nicht einfach vom Standpunkte der Verhältnisse und Interessen der leistungspflichtigen Partei aus zu erledigen. Vielmehr läßt sich eine angemessene Entscheidung nur finden, wenn auch die Interes­ sen der anderen Partei berücksichtigt, die beiderseitigen Verhältnisse im Ganzen ins Auge gefaßt werden.“48 Im konkreten Fall prüfte der 7. Senat, ob der Gläubiger, der sein altes Kraftfahrzeug bereits in Zahlung gegeben hatte, ausnahmsweise den Anspruch auf den Neuwagen behalten sollte, weil der Schuldner das alte Fahrzeug bereits weiterveräußert hatte. Der Senat verneinte dies, deutete aber an, daß im Rahmen der Rückabwicklung der Gläubiger für sein altes Fahrzeug den aktuellen Marktwert erhalten sollte und nicht den älteren und deutlich geringeren Veräußerungserlös. In einem anderen Fall verurteilte der 3. Senat den Schuldner zur Lieferung einer elektrischen Lokomotive, weil der Gläubiger dem Schuldner während des Krieges seinerseits eine damals nicht benötigte Lokomotive überlassen hatte und beide Geschäfte als Einheit anzusehen seien.49 In der Literatur blieb die Entwicklung, die die Rechtsprechung seit Okto­ ber 1918 genommen hatte, nicht unwidersprochen. Erstmals häuften sich kritische Stimmen, die nicht mehr die einzelne Entscheidung angriffen, son­ dern die generelle Richtung des Reichsgerichts. Verstärkt meldeten sich aber auch zustimmende Ansichten zu Wort. Eine Kontroverse setzte ein, die bis 1923 nicht mehr abebben sollte. Eine einheitliche Richtung kristallisierte sich weder in der Methode noch im Ergebnis heraus. Die Rechtsprechung, auch das sei vorweggenommen, schritt auf ihrem evolutionären Weg voran, ohne die Literaturansichten weiter zu würdigen. Erst im Februar 1922, an­ gesichts des erneuten drastischen Wertverlustes der Währung, sollte eine grundsätzliche Neuorientierung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Oertmann erfolgen. Verglichen mit den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist ein grundsätzlicher Wandel zu verzeich­ nen. Die Rechtsprechung zitiert sich nun fast ausschließlich selbst. Nur ver­ einzelt und recht pauschal wird auf zustimmende oder kritische Äußerungen der Literatur verwiesen. Die Literatur dagegen, die ehemals nur selten und illustrativ Urteile angeführt hätte, verfolgte nun aufmerksam jede Wendung der Rechtsprechung.

48 RG v. 10. Dezember 1920, RGZ 101,79 (82 f.), 49 RG v. 8. März 1921, JW 1921,832.

Die Ansatzpunkte für Kritik und Zustimmung sind vielfältig und lassen eine einheitliche Linie nicht erkennen. In der Methode übereinstimmende Wege führten nicht selten aufgrund unterschiedlicher Wertungen zu diver­ gierenden Ergebnissen, wie auch entgegengesetzte methodische Ausführun­ gen dasselbe Ergebnis begründen konnten. In einigen Beiträgen wurden die wirtschaftlichen Folgen der Rechtsprechung gewürdigt. Ernst Fuchs tat sich als profilierter Vertreter einer freirechtlichen Argumentation hervor. „Das Wirtschaftsbedürfnis“, erläutert er, sei „in Wahrheit die Zentral­ Rechtsquelle, die rechtliche Zentral-Sonne, zu der sich alle Rechtsnormen ewig hinbewegen, die sie aber nie ganz erreichen, weil die Zentralsonne selbst sich in ewiger Fortbewegung befindet.“50 Die Verhältnisse hätten be­ reits in die Verträge eingegriffen, so Fuchs’ Credo. Der Richter greife nicht selbst ein, er passe nur den Vertragsinhalt an einen bereits stattgefundenen Eingriff an.51 Nicht nur Fuchs, auch Alfred Rosenthal war der Ansicht, daß das Reichsgericht faktischen Zwängen gehorche. „Es handelt sich darum“, teilt Rosenthal unverblümt mit, „einen erheblichen Teil der deutschen Indu­ strie vor der Vernichtung zu bewahren.“52 Helmut Ellerholz sieht hier im­ merhin eine Kollision wirtschaftlicher Interessen. Dennoch kommt er zu demselben Ergebnis. Das „öffentliche Wohl“ erfordere eben „mehr den Schutz schaffenden Wirkens als den Schutz des Erntewagens“.53 Eine wirt­ schaftliche Betrachtungsweise führte nicht zwingend zu einer aufhebungs­ freundlichen Einstellung. Andere verweisen angesichts der Bedürfnisse des Wirtschaftslebens gerade umgekehrt auf den Schaden, der durch eine Er­ schütterung des Vertrauens in die Verträge hervorgerufen werden könnte.54 Die Rechtsprechung habe sich, so das „Gefühl“ von Heinrich Dove, „von der gut organisierten übermächtigen Industrie vielfach ins Bockshorn jagen 50E. Fuchs, Vertragstreue und Vertragsorthodoxie, RuW 1920,237. 51E. Fuchs, Vertragstreue und Shylockismus, LZ 1921,487. 52 Rosenthal, Vertragstreue. Eine Entgegnung, RuW 1920, 167; so schon Marcuse vor den einschlägigen Entscheidungen: Befreiung von der Lieferungspflicht wegen veränderter Umstände, LZ 1920, 334: es sei möglich, „daß die Rechtsprechung im Interesse der Auf­ rechterhaltung der Betriebe und der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung der Arbeiter den Lieferanten unter Umständen Entgegenkommen zeigen wird.“ 53 Ellerholz, Erfüllungszwang, Vorkriegsschuld und Nachkriegserfüllung, RuW 1920, 159. 54 Dove, Der Anspruch auf Erfüllung von Lieferungsverträgen, JW 1920, 470: „Gerade im internationalen Verkehr aber droht das Ab rücken von der eingegangenen Vertragspflicht zu einem beklagenswerten Moment unliebsamer Einschätzung der Gepflogenheiten der ge­ samten deutschen Geschäftswelt zu werden, das der Wiedergewinnung des Vertrauens im Weltverkehr als wichtigster Vorbedingung der Wiederaufrichtung unserer Wirtschaft ein schweres Hindernis bereitet.“ Vgl. noch: Katz, Vertragstreue, RuW 1920,138; Reichel, Ver­ tragstreue im Auslandsgeschäft, RuW 1920,190; Heinsheimer, Lieferungsverweigerung we­ gen veränderter Wirtschaftslage, DJZ 1920,671.

lassen.“55 Leetz schrieb sogar, „daß der freie Wettbewerb seiner Funktion der Auslese der Tüchtigsten und Leistungsfähigsten und der Ausmerzung der Nichtleistungsfähigen“ nicht nachkommen könne, „wenn der Richter sich schützend vor jeden zusammenbrechenden Schuldner stellen wolle“;56 doch war diese Überspitzung liberalen Gedankenguts eine nur mehr selten anzutreffende Ansicht, zurückzuführen auf „eine einigermaßen veraltete Wirtschaftsauffassung“, wie Klang spottete 57 Ein zweiter, in der Literatur kritisch durchleuchteter Aspekt betraf die Konsistenz der höchstinstanzlichen Urteile. Die Rechtsprechung wurde als Richterrecht weithin akzeptiert, sofern sie nur in sich schlüssig argumen­ tierte. Das bedeutete keine kritiklose Hinnahme der höchstrichterlichen Ju­ dikatur. Insbesondere das formal aufrechterhaltene Prinzip der Irrelevanz von Leistungskosten zog die Kritik auf sich. Es blieb nicht verborgen, daß die industriefreundliche Revolutionsrechtsprechung ungeachtet der gewun­ denen Erklärungen mit diesem Prinzip brach. Den einen waren die Ausnah­ men, die für die Industrie gemacht wurden, ein Dom im Auge;58 andere for­ derten genau umgekehrt, diesen Ausnahmen weitere folgen zu lassen und zu einer neuen Regel voranzutreiben. Praktisch zeitgleich mit der Rechtspre­ chung war von Oertmann und Neukirch darauf hingewiesen worden, daß für die verarbeitende Industrie die Herstellungsverteuerung nicht irrelevant sein könne.59 Insbesondere Paul Oertmann durfte sich von dem Fortschreiten der Rechtsprechung bestätigt fühlen. Er wollte sie sogar auf jede „Umgestaltung der wirtschaftlichen Interessenlage“ ausgedehnt wissen. Es sei angebracht, so Oertmann, „eine solche Umgestaltung auch als Befreiungsgrund anzuse­ hen, wenn sie nicht allein oder überhaupt nicht entscheidend durch die bloß zeitliche, sondern durch die inhaltliche Verschiebung der maßgebenden Herstellungs- und Lieferungsbedingungen hervorgerufen ist“.60 Paul Krückmann forderte die Reichsgerichtssenate auf, „aus ihrer eigenen Recht­ sprechung den Schluß zu ziehen, daß sich der Inhalt unseres Rechtes ge­ wandelt habe unter der umbildenden und umformenden Hand von Praxis und Theorie“, und setzte der „theoretischen Folgerichtigkeit von Stand­ punkten des 1. Januar 1900“ als Alternative eine „entwicklungsgeschichtli55 Dove, Die Krisis des Vertragsrechts, RuW 1921,9. 56Leetz, Die clausula rebus sic stantibus bei Lieferungsverträgen, S. 27. 57Klang, Die Unerschwinglichkeit der Leistung, S. 28 f., Fn. 70. 58 Schäfer, Werklieferungsvertrag und Revolution, LZ 1920,219. 59 Oertmann, Der Einfluß von Herstellungsverteuerungen auf die Lieferpflicht, JW 1920, 477; Neukirch, Die Aufhebung von Lieferungsverträgen in der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts, Holdheim 1919,130. 60 Oertmann, Der Einfluß von Herstellungsverteuerungen auf die Lieferpflicht, JW 1920, 478.

ehe Betrachtung“ des Rechts entgegen.61 Natürlich dachte er dabei an die von ihm eigenständig entwickelte Rechtsfigur der clausula rebus sic stanti­ bus, insbesondere an deren Fallgruppe der „nichtzumutbaren Leistung“.62 Die bislang herrschende begriffsjuristische und normsystematische Be­ trachtungsweise hatte sichtlich ihre beherrschende Stellung eingebüßt. Da­ bei hatten die Puristen es gerade hier leicht. Sie konnten auf das gesetzlich verankerte Rechtsinstitut der Unmöglichkeit und auf die auch anderweitig im Gesetz zum Vorschein kommende Risikoverteilung verweisen.63 Der Hinweis auf das in der Unmöglichkeit enthaltene Kriterium der Leistungs­ schwere konnte aber auch umgekehrt zur Legitimation weitgehender Ver­ tragseingriffe dienen.64 Ganz ohne Korrekturmöglichkeit wollte kaum noch jemand auskommen. Katz schlug vor, schlicht die „allgemeine Not“ als Be­ freiungsgrund zu nennen, um so den Ausnahmecharakter der richterlichen Abhilfe zu betonen. Roth nennt die Aufhebung der Verträge ein „Kind der Kriegsnot“; es sei „vom Richter gefundenes Billigkeitsrecht“.65 Heinshei­ mer erkennt, da die unsicheren Verhältnisse nunmehr hinreichend bekannt seien, kein Bedürfnis mehr für eine Korrektur nach Treu und Glauben.66 Al­ fred Rosenthal verweist ebenfalls auf § 242 BGB und das Kriterium der Un­ vorhersehbarkeit, kommt aber angesichts der anhaltenden Teuerungsspirale zu einem gänzlich anderen Ergebnis 67 Die Gerichte sollten demnach viel

61 Krückmann, Die neueste Wendung in der Rechtsprechung des RG zu § 279 BGB, JW 1920,136. Auf S. 137 führt Krückmann aus: „Das RG muß sich nur erst von seinen eige­ nen Begründungen frei machen, das von ihm selber verdienstlicherweise herbeigeführte praktische Ergebnis als den eigentlichen unverlierbaren Bestand unseres Rechtslebens anse­ hen, hieraus aber die weitere Folgerung ziehen, daß sich der Bestand unseres Rechtes geän­ dert hat, und zwar durch die eigene Rechtsprechung des RG.“ 62 So schon 1918: Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 334—376; nun verteidigt er seine clausula-Lehre in: Die neueste Wendung in der Rechtsprechung des RG zu § 279, JW 1920, 136-137; Clausula rebus sic stantibus und Verteilungseinrede, LZ 1920, 545-550, 592-599 und 621-626; Mißverständliches zur clau­ sula rebus sic stantibus, JW 1921,1447 f. 63 Katz, Vertragstreue, RuW 1920, 137; Schäfer, Werklieferungsvertrag und Revolution, LZ 1920,219; Hueck, Einfluß des Kriegsendes auf Lieferungsverträge, DJZ 1919,224. 64 Wameyer, Hinausschiebung der Vertragserfüllung bis nach Beendigung des Krieges, DJZ 1921,241-243. 65 Roth, Vertragsgefährdung durch unverschuldete Behinderung der Leistung eines Ver­ tragsteiles beim gegenseitigen Vertrag, JW 1920, 475; er schlägt ein Rücktrittsrecht wegen Gefährdung des Vertragszwecks vor. 66 Heinsheimer, Lieferungsverweigerung wegen veränderter Wirtschaftslage, DJZ 1920, 670. 67 Rosenthal, Zur rechtlichen Behandlung schwebender Lieferungsverträge, LZ 1920, 431 f.; ders., Erfüllungszwang und konstitutives Urteil, LZ 1920, 939 f.; ders., Zur Frage der Lieferungsverträge, HansRZ 1920,772.

häufiger eingreifen. Auch Plum und Reiling wünschten sich eine häufigere Anwendung des § 242 BGB.68 Eine Abkehr von dem Argument der Lei­ stungsschwere propagierte, spät zwar, aber mit Blick auf die erläuterten Entscheidungen, Gottschalk. Der Schuldner bleibe gebunden, könne aber vor Schadensersatzansprüchen geschützt werden, wenn er den Vertrag ohne Schuld nicht erfülle. Aber, ist man gleich geneigt einzuwerfen, handelt nicht schuldhaft, wer eine bestehende Verpflichtung nicht erfüllt? Mitnichten, hört man auf Gottschalk. Denn: „Man darf [...] den Lieferanten von Schuld freisprechen, wenn durch den Krieg die Preise sich vervielfachen und er sich deshalb weigert, die nach der Teuerung noch zu bewirkende Leistung zum alten Preise auszuführen.“69 Gottschalk hat nur einen anderen Ort für diesel­ be Überlegung gefunden. Hans Carl Nipperdey entwickelte eine eigenständige Zumutbarkeitstheo­ rie. Die äußere Vertragstreue halte an dem Wortlaut des Vertrages fest. Die innere Vertragstreue berücksichtige dagegen den ursprünglichen „Sinn und Zweck des gegenseitigen Vertrags“. Der ursprüngliche Zweck gehe aber da­ hin, dem Schuldner ein annähernd ausreichendes Äquivalent für seine Lei­ stung zu bieten. In Zeiten schwankender wirtschaftlicher Verhältnisse gehe die innere Vertragstreue der äußeren vor. Der Vertrag sei aufzuheben oder entsprechend anzupassen.70 Auch Alfons Roth äußerte sich grundsätzlicher. Der tiefere Grund des Eingriffs liege in der doppelten Funktion des Rechts. Das Recht habe eine Ordnungs- und eine Gerechtigkeitsfunktion. Beide Funktionen seien prinzipiell gleichberechtigt. Entfalle die allgemeine Basis des Wirtschaftslebens, so sei der Gerechtigkeitsfunktion ein größerer Spiel­ raum eröffnet. Erst „mit Abschluß der Neugestaltung der Wirtschaftsver­ hältnisse u. insbes. mit der Anpassung des V[ertrags]V[erhältnisses] an die labile Wirtschaftsbasis tritt die Ordnungsfunktion des Rechts wieder stärker in Erscheinung“.71 An anderer Stelle argumentiert Roth jedoch positivisti­ scher, im Sinne einer wirtschaftlichen Unmöglichkeit: „Zerfällt mit der Standfestigkeit der allgemeinen Grundlagen der Wirtschaftsführung die Geltung der Kalkulation des für eine Vertragsverpflichtung erforderlichen wirtschaftlichen Aufwands, so ist nicht mehr vorhanden, was Inhalt der Vertragsverpflichtung war. [...] Mit anderen Worten: die kalkulierte Lei­ stung wird wirtschaftlich unmöglich.“72 Andere wiederum sahen die Recht­ 68 Plum, Der Einfluß des Krieges und der Revolution auf schwebende Lieferungsverträge, JW 1921, 51; Reiling, Zur Frage der Aufhebung und Abänderung von Verträgen wegen ver­ änderter Umstände, JW 1921,21. 69 Gottschalk, Die Wirkung des Krieges auf Lieferungsverträge, JW 1922,698. 70 Nipperdey, Vertragstreue und Nichtzumutbarkeit der Leistung, 22 f. 71 Roth, Wirtschaftsumsturz und Vertragstreue, LZ 1921,198. 72Roth, Dauerverträge und Valutaentwertung, LZ 1920,589.

sprechung auf einem Weg, den Paul Krückmann gewiesen hatte: hin zur clausula rebus sic stantibus.73

2. Nachkriegsverpflichtungen: Die frustrierte Ertragsplanung Die Entwicklung der Rechtsprechung war von den betroffenen Kreisen auf­ merksam verfolgt worden. Als sich allmählich die Konturen einer von der Unmöglichkeit unabhängigen Unzumutbarkeitslehre abzeichneten, wuchs die Neigung der Industrie und des Femhandels, generell unerwünscht ge­ wordenen Verträgen die Wirksamkeit abzusprechen. Und einen Mangel an solchen Verträgen gab es nicht. Selbst die nach dem November 1918 abge­ schlossenen Verträge entwickelten sich schlecht. Das hatte diesmal weniger dramatische Gründe. Die Mark, die bereits während des Krieges an Kauf­ kraft eingebüßt hatte, verlor allein von Januar 1919 bis Januar 1920 ca. 80 % des Wertes.74 Die Streikfreudigkeit der (gewerblichen) Arbeiter er­ reichte in dieser Zeitspanne einen nie gekannten Höhepunkt. Der Bergbau verlor 1919 37% der Arbeitstage durch Streik, die eisen- und metallverar­ beitende Industrie 17%, der Maschinenbau und die optische und feinmecha­ nische Industrie immerhin noch 16 % 75 Ende des Jahres 1919 konsolidierte sich die Lage. Die Streikfreudigkeit ließ 1920 deutlich nach, und die Wäh­ rung blieb bis Juli 1921 weitgehend stabil. Die Industrieunternehmen ver­ suchten nun, die seit Kriegsende bis Mitte des Jahres 1919 abgeschlossenen Verträge aufzulösen oder wenigstens eine höhere Gegenleistung zu erlan­ gen. Die Daimler-Motoren-Werke konnten in einer großen Annullierungs­ aktion im Mai 1920 von 2.300 unerledigten Aufträgen immerhin ca. 450 einverständlich aufheben und ca. 600 im Preis anpassen.76 Das war kein Einzelfall. Auch andere Unternehmen suchten auf dem Kulanzweg überra­ schende Kostensteigerungen aufzufangen.77 Es ist verständlich, daß die Un­ ternehmer an die alten Verträge nicht länger gebunden sein wollten. Durch gestiegene Kosten für Arbeit, Energie und Rohstoffe auf der einen Seite und die Entwertung der Gegenleistung auf der anderen war der erhoffte Ertrag 73Boeckei, Bespr. Krückmann, JW 1919, 221; ähnlich: Loewenwarter, Die clausula rebus sic stantibus, JW 1920, 490; dagegen wendet sich zu Recht: Hueck, Die clausula rebus sic stantibus, JW 1920,489. . 74 Indizes für die Entwicklung der Großhandelspreise und des Dollarwechselkurses in Deutschland 1914-1923 aus: Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914—1923, S. 15. 75 Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch 3: Materialien zur Statistik des Deutschen Reiches 1914-1945, S. 114 f. 76Buschmann, Untemehmenspolitik in der Kriegswirtschaft und in der Inflation, S. 371. 77Lindenlaub, Maschinenbauuntemehmen in der deutschen Inflation, S. 98-101.

nicht annähernd mehr zu erzielen. Das Jahr 1919 brachte für viele Unter­ nehmen der verarbeitenden Industrie Verlustabschlüsse.78 Zudem gab es in­ flationsbedingt eine gesteigerte Nachfrage, eine kurze Hochkonjunktur, die erst nach einer Beseitigung der alten, die Produktion weithin auslastenden Verträge genutzt werden konnte. Die Unternehmen kämpften mit rechtlichen und politischen Mitteln ge­ gen die alten Verträge an. Unterstützt wurden sie durch den beim Reichs­ wirtschaftsministerium eingerichteten Wirtschaftsrat, der im Februar 1920 die Einsetzung von Schiedsgerichten verlangte, die alle vor dem 1. Juli 1919 abgeschlossenen Lieferungsverträge überprüfen und gegebenenfalls auflö­ sen sollten.79 Zuvor hatte der Verein Deutscher Motorfahrzeugindustrieller durch Rundschreiben vom 20. Dezember 1919 den Standpunkt mitgeteilt, daß grundsätzlich alle in diesem Zeitraum abgeschlossenen Verträge nicht mehr anerkannt werden könnten.80 Die von der Industrie angestrebte „Ver­ ordnung über die schiedsgerichtliche Änderung laufender Lieferungs- und Werkverträge“ kam jedoch über das Entwurfsstadium nicht hinaus. Erfolg­ versprechender verliefen die politischen Bemühungen auf lokaler Ebene. Der hessische Demobilmachungskommissar hatte durch Beschluß vom 21. November 1919 untersagt, Verträge über Kraftfahrzeuge auszuführen, sofern im Falle einer Lieferung die Selbstkosten des Herstellers nicht ge­ deckt seien.81 Der für die Wiedereingliederung der Kriegsteilnehmer in das Arbeitsleben zuständige Kommissar machte sich Sorgen über die Arbeits­ plätze in der Automobilindustrie. Ein augenscheinlicher Erfolg der Moto­ renwagenfabrik Adam Opel aus dem hessischen Rüsselsheim. Die Rechts­ kraft der Anordnung wurde zwar von dem OLG Celle in Frage gestellt, es sprach von einem der Firma Opel erteilten „Privilegium“, doch das Reichs­ gericht erkannte den Rechtsakt an 82 Selbst die Arbeiterschaft konnte ge­ wonnen werden. Ebenfalls für die Opel Motorenwerke ist belegt, daß die Arbeiter ihre Mitwirkung an der Erfüllung der verlustbringenden Altverträ­ ge verweigerten.83 Die Daimler-Motoren-Gesellschaft folgte dem Beispiel.

78 Lindenlaub, Maschinenbauuntemehmen in der deutschen Inflation, S. 64 f., 124; Czada, Die Berliner Elektroindustrie in der Weimarer Zeit, S. 164 f. 79 Mitgeteilt von Dove, Der Anspruch auf Erfüllung von Lieferungsverträgen, JW 1920, 472. 80 Mitgeteilt von Plum, in: Anmerkung zu RG v. 28. Oktober 1919, JW 1920,376. 81 Mitgeteilt in: OLG Hamburg v. 15. Oktober 1920, HansGerZ 1921,9 (10 f.). 82 RG v. 24. Oktober 1922, JW 1923,986 (987). 83 Buschmann, Untemehmenspolitik in der Kriegswirtschaft und in der Inflation, S. 372; dieses Argument findet sich in den Urteilen LG Hamburg v. 23. Dezember 1919, HansGerZ 1920, 25 (26) mit negativer und LG Hamburg v. 4. Februar 1920, HansGerZ 1920, 93 (95) mit positiver Resonanz.

Auch sie konnte den Arbeiterausschuß bewegen, die Mitarbeit an defizitären Geschäften zu verweigern.84 Anschließend wandte sie sich an das württembergische Arbeitsministerium, das in Württemberg die Funktion eines De­ mobilmachungsamtes ausübte. Das Arbeitsministerium ließ sich tatsächlich überzeugen, daß bei der unveränderten Beibehaltung der Verträge ein großer wirtschaftlicher Schaden drohe. Die Firmenleitung wurde angewiesen, „eine sofortige Änderung aller vor dem Erlaß dieser Verfügung abgeschlossenen Lieferverträge herbeizuführen, bei denen der Preis die infolge des Kriegs und des Kriegsausganges gestiegenen Selbstkosten nicht deckt“. Sofern eine entsprechende Einigung mit der Gegenseite nicht zu erzielen sei, solle ein Schiedsgericht angerufen werden.85 Ein eigenes Eingreifen lehnte das Ar­ beitsministerium jedoch ab. Für den Fall, daß der Vertragsgegner sich weder auf Zugeständnisse noch auf ein Schiedsgericht einlassen sollte, wurde kei­ ne Anordnung getroffen. Das Reichsgericht maß dieser Anordnung deshalb keine zivilrechtliche Bedeutung bei 86 Als Verhandlungsbasis war sie den­ noch nicht unwichtig. Zwischen Juli 1919 und August 1920 wurden ca. 1.550 Verträge einvernehmlich aufgehoben. Im Mai 1921 waren aber immer noch 404 der alten Aufträge ungeregelt, wobei in 158 Fällen Prozesse ge­ führt wurden 87 Die Unternehmer taten gut daran, den politischen Weg einzuschlagen, denn die Rechtslage war alles andere als sicher. Die Unzumutbarkeitslehre der Rechtsprechung war angesichts dreier epochaler Ereignisse gebildet worden, dem Ausbruch des Weltkriegs im August 1914, dem Kriegseintritt der USA am 6. April 1917 und dem Ausbruch der Revolution am 3. No­ vember 1918. Abgesehen von einer Phase der Anbahnung und einer nach­ folgenden Phase der Ungewißheit waren es Ereignisse, die fraglos überra­ schend über die Zeitgenossen hereingebrochen waren und die zudem tief­ greifende Spuren im Wirtschaftsleben hinterlassen haben. Die angesichts dieser Ereignisse von der Rechtsprechung entwickelten Prinzipien sind nur bedingt auf die zwar schlechte, in ihren Rahmenbedingungen aber doch be­ kannte wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1919 und die hiermit verbun­ denen Störungen in der Ertragsplanung zu übertragen. Und noch einen wei­ teren Einwand konnte der leistungsbegehrende Gläubiger dem Schuldner entgegenhalten. Anknüpfungspunkt für das Unzumutbarkeitsurteil war bis­ 84 Mitgeteilt in: RG v. 31. Mai 1923, Wameyer 1924,81 (82); RG v. 25. Juni 1923, Warneyer1924,82. 85 Buschmannj Untemehmenspolitik in der Kriegswirtschaft und in der Inflation, S. 373; RG v. 25. Juni 1923, Wameyer 1924,82. 86 RG v. 31. Mai 1923, Wameyer 1924,81 (82); RG v. 25. Juni 1923, Wameyer 1924, 82 (84). ^Buschmann, Untemehmenspolitik in der Kriegswirtschaft und in der Inflation, S. 374.

lang ausschließlich die Schwere der (Haupt-)Leistung. Die Rechtsprechung hatte sich weder um die Entwertung der Gegenleistung noch um das Wert­ verhältnis der wechselseitig auszutauschenden Leistungen gekümmert. Al­ lein das Steigen der Leistungskosten wurde als Problem angesehen. Die Nachkriegsentwicklung schlägt sich natürlich auch erheblich in den Erfül­ lungskosten nieder. Entscheidend ist aber doch der gesunkene Wert der Ge­ genleistung. Schäfer merkt süffisant an: „Es könnte dem Unternehmer ganz gleich sein, wieviel Stunden gearbeitet wird und wie oft die Arbeiter Be­ triebsversammlungen abhalten, sowie nach welchem System sie entlohnt werden, wenn er nur auf seine Kosten kommt.“88 Die Rechtsprechung tat sich überaus schwer mit den Nachkriegsverträgen. Erstmals seit Beginn der Krise urteilten Reichsgerichtssenate in grundsätzlichen Fragen divergent.

a) Der Einwand der wirtschaftlichen Existenzvernichtung

Am 22. Oktober 1920 traf der 3. Zivilsenat die erste Entscheidung, die unter dem Schlagwort „Ruinrechtsprechung“ berühmt geworden ist. Ein Ver­ tragshändler der Motorenwagenfabrik Adam Opel hatte im Februar 1919 auf eigene Rechnung einen Wagen zum Listenpreis von 12.000 M verkauft. Da der Händler aufgrund zwischenzeitlich veränderter Preisverhältnisse den Wagen von der Fabrik nur zu 13.000 M geliefert bekam, wollte er den Preisaufschlag an seinen Kunden weiterreichen. Der klagte auf Lieferung zum ursprünglichen Kaufpreis. Die Vorinstanz hatte die Klage des Käufers noch wegen der „unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Änderung der Verhältnisse in der Kraftwagenindustrie“ abgewiesen 89 In Worten war das die Rechtsprechung des 7. Zivilsenats. Im Geiste nicht. Aus zwei Gründen. Der Vertrag war nach dem „November 1918“ abgeschlossen; gerade auf diese Zäsur hatte aber der 7. Senat noch großen Wert gelegt. Die betriebli­ chen Probleme der Industrie waren zudem keine des Händlers. Sie wurden zu solchen des Händlers nur insofern, als der sich nur zu gestiegenen Kosten eindecken konnte. Der 3. Senat hatte deshalb zu Recht Bedenken, die Recht­ sprechung des 7. Senats auf diesen Fall anzuwenden. Insbesondere das Ar­ gument der Preissteigerung mißbehagte dem Senat. „Auch eine größere Steigerung des Anschaffungspreises, als hier in Frage steht, könnte für sich allein den Beklagten nicht von seiner Leistungspflicht befreien“, hielt er fest. Aus prinzipiellen Erwägungen: „Das würde jede Sicherheit des Han­ delsverkehrs untergraben und muß deshalb zurückgewiesen werden.“ Hätte der 3. Senat es dabei belassen, er wäre kaum in die Rechtsgeschichte einge­ gangen. Der Senat wollte aber dem Schuldner helfen. Eine Befreiung kom­ 88Schäfer, Werklieferungsvertrag und Revolution, LZ 1920,219 89 RG v. 22. Oktober 1920, RGZ 100,134 (135).

me in ganz besonderen Ausnahmesituationen in Betracht, erklärt er weiter, nämlich „wenn [...] die Vertragserfüllung, sei es auch nur mittelbar, ganz oder nahezu seinen geschäftlichen Ruin zur Folge haben würde“.90 Der Se­ nat anerkannte also die prinzipielle Möglichkeit einer Vertragsaufhebung aufgrund einer gestörten Kostenplanung, und das in der gesamten Handels­ kette und unabhängig von der zeitlichen Zäsur der Revolution.91 Er setzte aber mit dem Kriterium des Ruins bewußt enge Grenzen. Diese „Ruinrechtsprechung“ hat dem 3. Senat viel Schelte eingetragen.92 Die methodische Begründung wirft auch durchaus Fragen auf. In der ersten Entscheidung finden sich nur dürre Worte zur clausula rebus sic stantibus. In einer späteren Entscheidung besserte der 3. Senat nach. Im Falle des dro­ henden Ruins, so das Reichsgericht nun, „ergebe sich die wirtschaftliche und rechtliche Notwendigkeit“, dem Vertrag die Anerkennung zu versa­ gen.93 Das klingt nach der Unmöglichkeitstheorie, die ja einmal aus ver­ meintlich logischen Gründen geschlossen hatte, der Gläubiger dürfe nicht fordern, was er nicht erhalten könne. Weitere Ausführungen zur wirtschaft­ lichen Unmöglichkeit sucht man vergebens. Statt dessen wird erklärt, dem Vertrag sei der „Rechtsschutz“ zu versagen, denn ein anderslautendes Er­ gebnis „würde von ehrbaren Volkskreisen nicht verstanden werden und mit ihrem Billigkeitsgefühl in schroffem Widerspruch treten“.94 Hier klingt die Theorie einer allgemeinen Vertragskontrolle an. Sollte eine diffuse Ver­ kehrsmoral darüber entscheiden, welche vertraglichen Pflichten noch einge­ fordert werden konnten und welche nicht? Ein dritter Erklärungsansatz zielt auf die wirtschaftliche Ertragsplanung der Parteien. „Rechtsgeschäfte ver­ mögensrechtlichen Inhalts sind - wie überhaupt alle Rechtsgeschäfte - nicht Selbstzweck, sondern diese Rechtsgeschäfte haben lediglich die Erreichung der wirtschaftlichen Zwecke zum Ziel, die mit ihnen verfolgt werden“, führt der 3. Senat aus. „Bei der Rechtsfindung auf diesem Gebiete müssen daher 90 RG v. 22. Oktober 1920, RGZ 100,134 (136). 91 RG v. 8. Juli 1921, JW 1921,1597 (1599); mit kritischer Anmerkung von Rabel. 92 Gegen das Kriterium des wirtschaftlichen Zusammenbruchs hatte sich schon Krück­ mann ausgesprochen, Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), 354; explizit gegen die Urteile des 3. Zivilsenats: Krückmann, JW 1920, 961; Mat­ thiessen, Drohender Vermögensruin als Vertragsaufhebungsgrund?, LZ 1921, 253; Oertmann, Die Folgen der Herstellungsverteuerungen in der deutschen Industrie, JW 1921,1515: „reichlich sentimentale Begründung“; Rabel, JW 1921,1598 Anm.; Rosenthal, Zur Reichsge­ richtsentscheidung vom 21. September 1920, I. Folgen und Ausblicke, JW 1921, 7; ders., JW 1921, 833 Anm.; ders., JW 1922, 798 Anm.; Brandis, Zumutbarkeit der Leistung und drohender Ruin, JW 1922,1434. Zustimmend - wen wundert es - Senatsmitglied Oegg, Die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, BayRpflZ 1921,7. 93 RG v. 7. Juni 1921, RGZ 102,272 (273). 94 RG v. 7. Juni 1921, RGZ 102,272 (273).

in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt werden, und das Recht muß ihnen, soweit es nur irgend möglich ist, elastisch angepaßt werden.“95 Reichlich pathetisch wird noch als „wahre Aufgabe“ der Recht­ sprechung der Dienst am „praktischen Leben“ beschworen. Die dogmatische Begründung tritt angesichts der außerordentlichen Verhältnisse sichtlich in den Hintergrund. Den Kritikern werden als letztes Argument schlicht die „Grundsätze von Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB)“ entgegengehal­ ten.96 Die in der Methode unpräzisen und wenig konturierten Ausführungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß der 3. Senat in der Sache einen Kompromiß eingegangen ist. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung mußte das Prinzip der Irrelevanz von Leistungskosten zu erheblichen Härten führen. Andererseits wurde befürchtet, daß bei einer Berücksichtigung der frustrierten Kalkulation über die engen, an dem Kriegseintritt der USA und der Revolution orientierten Urteile hinaus gerade in der vorliegenden Situa­ tion alle Dämme zu brechen drohten. Es wurde also ein Kriterium gesucht, welches einerseits geeignet war, in schwerwiegenden Fällen dem Schuldner helfen zu können, und welches andererseits eine klare, Rechtssicherheit bietende Linie versprach. Daß der 3. Senat hier auf das Kriterium des Ruins verfiel, war weder sonderlich neu noch fernliegend. Der § 275 Abs. 2 BGB kennt das Unvermögen, also die in der Person des Schuldners begründete Grenze der Leistungsfähigkeit. Das von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium der Zumutbarkeit war schon begrifflich ebenfalls schuldnerorien­ tiert, und einige Urteile zur Leistungsschwere sprachen hier auch bislang ruinöse Wirkungen der in Frage stehenden Verträge an 97 In einer mietrecht­ lichen Entscheidung vom Juli 1920 hatte der 3. Senat, auf eigenem Territo­ rium gewissermaßen, den Ruin als tragendes Argument angekündigt 98 Der österreichische Oberste Gerichtshof arbeitete praktisch seit Kriegsbeginn, unter dem Begriff der Unerschwinglichkeit, mit diesem Kriterium.99 Der 3. Senat verließ die bekannten Bahnen nicht durch das Kriterium des Ruins, sondern durch dessen Isolierung. Als selbständiges Kriterium bekommt der Ruin einen ganz neuen Charakter. Plötzlich spielen auch andere, leistungs­ feme Kriterien eine Rolle. Da allenfalls eine erhebliche Disäquivalenz zwi95 RG v. 7. Juni 1921, RGZ 102,272 (274). 96 RG v. 7. Juni 1921, RGZ 102,272 (274). 97 1. Zivilsenat: RG v. 22. November 1919, Wameyer 1920, 83 (84); 7. Zivilsenat: RG v. 2. Dezember 1919, RGZ 98,18 (21). 98 RG v. 8. Juli 1920, RGZ 99,258 (260). 99 OGH v. 26. Oktober 1915, JB1 1915, 613 (614); vgl. noch: OGH v. 28. September 1915, ZB1 34 (1916) 72 (74); OGH v. 5. Oktober 1915, Gerichtshalle 1915, 766 (767); OGH v. 29. Februar 1926, ZB135 (1917), 435.

sehen den Leistungen zu einem Ruin führen kann, kommt dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nunmehr eine tragende Funktion zu. Die Ruinrechtsprechung ist der erste Schritt zu einer Äquivalenzkontrolle. Dabei blieb es aber nicht. Auch andere Faktoren, die mit dem Vertrag und dessen synallagmatischem Austauschverhältnis nichts zu tun haben, können einen Ruin herbeiführen. Diesen Faktoren wird im Grunde dasselbe Gewicht zu­ gesprochen. Das ist kein Zufall, sondern gewollt. Gerade in den beiden Leitentscheidungen des 3. Senats sind die außervertraglichen Faktoren von großer Bedeutung. Denn der einzelne Vertrag - im Ausgangsfall ein Ge­ schäft mit 1.000 Mark Verlust - hätte kaum den Schuldner ruiniert. Der 3. Senat wollte aber von den Vorinstanzen geprüft haben, ob die Summe der vom Händler auch anderweitig abgeschlossenen Verträge, ob also „Bezie­ hungen, die mit dem Vertragsverhältnis des Beklagten zum Kläger an sich nichts zu tun haben“, wie der Senat selbst offen zugibt, geeignet seien, die­ sen zu ruinieren.100 Das Kriterium der drohenden Existenzvernichtung konnte sich innerhalb des Reichsgerichts nicht durchsetzen. Der 1. und der 2. Senat, also die für das Handelsrecht und das Kaufrecht primär zuständigen Zivilsenate,101 lehnten den Ruin als Differenzierungskriterium explizit ab.102 Am freund­ lichsten und mit einigen Abstrichen auch zustimmend äußerte sich ausge­ rechnet der 7. Senat, gegen dessen Rechtsprechung der 3. Senat sich ge­ wandt hatte. In den vom 7. Senat entschiedenen Fällen hatte aber - aufgrund der reichsgerichtsintemen Aufgabenzuweisung - regelmäßig der Hersteller selbst die Ware zu liefern versprochen. Solange die Erfüllung „nicht nur durch Steigerung der Materialpreise, sondern [...] auch durch wesentliche Veränderung der Betriebsverhältnisse des Unternehmens besonders er­ schwert ist“, sah der 7. Senat deshalb keinen Anlaß, seine Rechtsprechung zu ändern. Vielmehr sei es Aufgabe des Gerichts, „den Einfluß des Grund­ satzes, daß Verträge zu wahren sind, einerseits und der Grundsätze über Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte andererseits gegeneinander im

100 RG v. 22. Oktober 1920, RGZ 100,134 (137). 101 Zur Zuständigkeitsverteilung: K. Müllerf Der Hüter des Rechts, S. 69 f. 102 RG v. 8. Dezember 1920, RGZ 101, 74 (76); RG v. 29. November 1921, RGZ 103, 177 (178). Der 2. Zivilsenat wollte a.a.O. S. 178 einen drohenden Ruin nicht berücksichtigen, „weil es zu einer Differenzierung führen muß, je nachdem ob man einen vermögenden Schuldner vor sich hat oder einen Mann, der nichts besitzt“. Das genaue Gegenteil sei der Fall: „Selbst wenn es zum Konkurse kommt und der Schuldner sein Alles hergibt, bleibt er nichtsdestoweniger schuldig. Und das gilt auch von dem, der bei Eingehung der Schuld in entsprechender Vermögenslage war und erst durch Umschwung der Verhältnisse in die Lage versetzt worden ist, rebus sic stantibus nicht leisten zu können, ohne sich vollends zu ruinie­ ren.“

einzelnen Fall abzuwägen“.103 In diese Abwägung mochte ein drohender Ruin als besonderer, auf Seiten des Schuldners zu berücksichtigender Aspekt eingehen; eine allgemeine Regel, wonach der Schuldner ausschließ­ lich bei einem Ruin befreit sein solle, wollte der 7. Senat aber gerade nicht anerkennen. Andere Aspekte konnten ebenfalls eine Rolle spielen, etwa ein besonderes Interesse des Gläubigers an der Leistung oder eine bereits er­ folgte Vorleistung.104 Auch erste Ansätze zu einer Äquivalenzbetrachtung finden sich. „Regelmäßig geht bei gegenseitigen Verträgen der Vertrags­ wille dahin, daß die vereinbarte Gegenleistung ein angemessenes Entgelt für die Leistung darstellen soll“, führt der 7. Senat einmal aus.105 Entspreche das Äquivalenzverhältnis dem „vernünftigerweise“ beabsichtigten so wenig, daß der Erfüllungszwang mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, so solle dem Schuldner die Leistung ebenfalls nicht zugemutet werden. Dem Senat schwebte eine umfasendere Interessenabwägung vor, als es durch den Aspekt des Ruins möglich war.106 Fehlte es an einer ausgesprochenen Betriebsstörung, so urteilte der 7. Senat zurückhaltender. Der bloße Anstieg der Beschaffungskosten sei ir­ relevant, hielt der Senat fest, „es müsste denn sein, daß mit einer außeror­ dentlichen Steigerung der Preise eine außerordentliche Einwirkung auf die Verhältnisse des betreffenden Vertragsteiles verbunden ist, wie etwa in dem Falle, daß die Durchführung des Vertrages für ihn ganz oder nahezu ruinös wirken würde“.107 In dem entschiedenen Fall drohte kein Ruin, so daß die Bemerkung nur en passant erfolgte. Immerhin konnte der 3. Senat, nur drei Monate nachdem er das Kriterium des Ruins aufgestellt hatte, den ersten Zuspruch verzeichnen. Weitere zustimmende Urteile sollten erst folgen, nachdem die Revolution als Argument ausgedient hatte. Die Rechtspre­ chung des 7. Senats war entwickelt worden angesichts des überraschenden Ausbruchs der Revolution und der damit einhergehenden Umwälzung der Betriebsverhältnisse. Nun verzichtete die Industrie nur wegen der Revoluti­ on nicht auf die Produktion und den Vertrieb ihrer Produkte. Auch nach der Revolution wurden Verträge abgeschlossen, die sich schon bald einem er­

103 RG v. 18. Februar 1921, JW 1921,833 (834). 104 RG v. 10. Dezember 1920, RGZ 101,79 (83). 105 RG v. 18. Februar 1921, JW 1921,833. 106 Im Februar 1921 faßte der 7. Zivilsenat seine Rechtsprechung wie folgt zusammen: „Nur dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Erfüllung des Vertrags bei billiger Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage wegen ganz außerordentlicher Verschie­ bung der Verhältnisse, insbesondere ganz übermäßiger Steigerung der Preise für Rohstoffe und Löhne nach Treu und Glauben dem Schuldner nicht zugemutet werden kann, ist eine Aufhebung des Vertrags gerechtfertigt.“ RG v. 18. Februar 1921, Wameyer 1921,82. 107 RG v. 14. Januar 1921, Wameyer 1921,36 (38).

heblichen Kosten- und Inflationsdruck ausgesetzt sahen. Da nun das Argu­ ment der revolutionsbedingten Veränderung der betrieblichen Situation nicht mehr angewandt werden konnte, griff der 7. Senat die Ruinrechtspre­ chung des 3. Senats schließlich ausdrücklich auf.108 Ironischerweise sollte bereits wenige Monate später der 3. Senat seinerseits das Kriterium des Ruins aufgeben, um eine weitreichendere Zumutbarkeitsabwägung vorneh­ men zu können, die zudem der vom 7. Senat ursprünglich intendierten er­ staunlich nahe kam.109

b) Die Gegenbewegung im Zeichen scheinbarer Konsolidierung Bislang waren die vertragsaufhebenden Urteile hervorgehoben worden. Der Eindruck einer eingriffsfreudigen Rechtsprechung täuscht. Viele der zu den Nachkriegsverträgen ergangenen Urteile sind gekennzeichnet durch das Bemühen, die gerufenen Geister zu bändigen und der Bindungskraft der Verträge wieder feste Konturen zu verleihen. Diese gegenläufigen Urteile fallen fast sämtlich in die Zeit zwischen Beginn 1920 und Ende 1922, also in eine Phase, da das Schlimmste überwunden zu sein schien. 1919 waren wichtige Weichen gestellt worden: der Friedensvertrag war unterzeichnet und die Blockade endlich aufgehoben worden. Auf den 11. August 1919 fiel die Verkündung der neuen Verfassung, die, obschon offen für gemeinwirt­ schaftliche und wirtschaftsdemokratische Wege, einer bürgerlichen Demo­ kratie den Boden bereitete. Die arbeits- und sozialrechtlichen Änderungen waren zu einem Abschluß gelangt und zum Teil sogar - man denke an die Zwangsschlichtungen - entschärft worden. Die Inflation hatte einen Kon­ junkturschub zur Folge, der in unerwartet hohem Tempo das Problem der Arbeitslosigkeit entschärfte. Zudem schien die Währung nun eine ruhigere Entwicklung zu nehmen. Seit Januar 1920 waren die allgemeinen Geldwer­ tindizes weitgehend stabil; die allgemeine Preiserwartung folgte mit eini­ gem Zögern dieser Entwicklung. Im Sommer 1920 setzte sich die Erwartung stabiler Preise durch; langfristig wurden damals sogar fallende Preise und eine Erstarkung der Mark erwartet.110 Nachdem noch Ende 1919 die Ma­ schinen- und Fahrzeugbauindustrie ihre Verträge auf Preisvorbehalte und gleitende Preise umgestellt hatten, wurden ab Sommer 1920 verstärkt wie­ der Festpreisverträge abgeschlossen.111 Aus Sicht der Wirtschaft war die wirtschaftliche Lage wieder berechenbarer geworden. In dieser Situation

108 RG v. 15. April 1921, Wameyer 1921,135 (136 f.). 109 RG v. 22. November 1921, Wameyer 1922,104 (105). 110Lindenlaub, Maschinenbauuntemehmen in der deutschen Inflation, S. 52 f.; vgl. auch Hueck, Preissturz und Lieferungsverträge, DJZ 1920,557. 111 Lindenlaub, Maschinenbauuntemehmen in der deutschen Inflation, S. 90 f.

hatte die Rechtsprechung über Verträge zu urteilen, die in einer aufgeregte­ ren Zeit abgeschlossen worden waren. Es schien an der Zeit, der verbreiteten Stimmung, wonach Verträge nicht einzuhalten seien, entgegenzuwirken. Gerade das Kriterium des drohenden Ruins war im Ursprung gegen die allzu großzügige Vertragsaufhebung der unteren Instanzen gerichtet gewesen. Außerhalb des 3. und 7. Zivilsenats wurden andere Kriterien gesucht. Ausnahmen für den Fall besonderer indi­ vidueller Opfer, wie den eines drohenden Ruins, werden von dem 1. Zivil­ senat ausdrücklich verworfen: „Denn über die Rücksicht auf die subjektiven Interessen des Einzelnen steht im Interesse der Allgemeinheit die ethische Rücksicht auf die Vertragstreue und die wirtschaftlich notwendige Rück­ sicht auf die Verkehrssicherheit.“112 Der 1. Senat will im Falle einer „Um­ gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Vertragsschluß und Lieferungstermin“ nicht unumstößlich an dem einmal geschlossenen Ver­ trag festhalten. Die individuelle Ertragssituation interessierte den 1. Senat aber - noch - wenig. Voraussetzung sei vielmehr, daß die Umgestaltung „einerseits in unerwarteter Weise tiefgehend und andererseits so allgemein ist, daß sie entweder das gesamte Verkehrsleben oder wenigstens die Ver­ hältnisse bestimmter Handels- und Industriezweige ergriffen hat“.113 Es ist augenscheinlich das Ziel, die zu den punktuellen Ereignissen Kriegsaus­ bruch, Kriegseintritt der USA und Kriegsniederlage samt Revolution ent­ wickelte Rechtsprechung in eine allgemeingültige Form zu gießen. Interes­ sant ist hier, daß nicht der Eintritt der Umgestaltung selbst durch das Krite­ rium der Unvorhersehbarkeit charakterisiert wird, sondern die Tiefe der hierdurch hervorgerufenen Auswirkungen. Wie der 1. Senat wollte auch der 2. Senat eine zwischen dem Vertragsschluß und der Erfüllung eingetretene Veränderung der Situation nicht völlig ignorieren. Selbst im Fall einer Er­ höhung der Erfüllungskosten war der 2. Senat geneigt, dem Schuldner zu helfen. Er betonte stärker, „daß die bezeichnete Wirkung nur einer ganz be­ sonderen und ganz ausnahmsweisen wirtschaftlichen Neugestaltung einzu­ räumen ist“ und „daß die Änderung der Verhältnisse nicht schon zur Zeit des Vertragsschlusses vorhersehbar gewesen sein darf“.114 Bei den Unter­ schieden soll das Gemeinsame nicht vergessen werden: jetzt sind auch spä­ tere, in der Krisenzeit erst getätigte Vertragsabschlüsse anfällig für nach­ 112 RG v. 8. Dezember 1920, RGZ 101,74 (77). 113 RG v. 8. Dezember 1920, RGZ 101,74 (77). 114 RG v. 21. Februar 1922, Wameyer 1922, 105 (107); vgl. noch RG v. 4. Dezember 1920, Wameyer 1921, 45: „Konnte und musste der Verkäufer mit der Möglichkeit des Ein­ tritts der ihn benachteiligenden oder gar gefährdenden Schwierigkeiten rechnen, so wird er sich, wenn er trotzdem vorbehaltlos Verpflichtungen eingegangen ist, so behandeln lassen müssen, als ob er die betreffende Gefahr bewußt übernommen habe.“

vertragliche Entwicklungen. Nur die Intensität der Auswirkungen und deren Vorhersehbarkeit sollten der Vertragsauflösung Grenzen ziehen. Im Detail war es durchaus schwierig, hier eine klare Grenze zu finden. Das LG Hamburg hatte in zwei Fällen über Lieferungsverträge zu entschei­ den, die ein gewisser Ernst Dello, Vertragshändler der Motorenwagenfabrik Adam Opel, im Januar und März 1919 abgeschlossen hatte. Im Grunde lag diesen Urteilen derselbe Sachverhalt zugrunde, der später den 3. Zivilsenat zu der Ruinrechtsprechung verleiten sollte. In Hamburg waren ein Kauf­ mann und eine Privatperson als Kläger aufgetreten, weshalb zwei unter­ schiedliche Kammern zu entscheiden hatten. Die Kammer für Handelssa­ chen sah keinen Grund, dem Vertrag die Bindungskraft zu versagen. Die Probleme seien bei Abschluß des Vertrags bereits bekannt gewesen, auch wenn sie inzwischen erheblich gestiegen sein mögen, erkannte die Handels­ kammer, und fügte trocken an den Beklagten und die Firma Adam Opel ge­ wandt hinzu: „Es war ihre Sache, ob sie sich trotzdem zur Lieferung des Wagens verpflichten wollten.“115 Die 2. Zivilkammer des LG Hamburg ent­ schied sechs Wochen später völlig anders. Erst im Verlauf des Jahres 1919 hätten sich „die verheerenden Folgen der Revolution“ gezeigt. Aus dem Ab­ schluß der Verträge im Januar und März 1919 und der fehlgehenden wirt­ schaftlichen Prognose der Motorenwagenfabrik folge noch nicht, „daß nach Absicht der Parteien der künftigen Entwicklung der Verhältnisse überhaupt keine Rechnung getragen werden sollte“.116 Diese Begründung ist nicht neu. Sie ist aus den Friedensverträgen der Kriegszeit bekannt und wurde insbe­ sondere auf die BaumwollVerträge angewandt. Nun steht aber nicht ein epo­ chaler Wandel der Lage im Raum. Es hatte keinen neuen Kriegsausbruch gegeben, der den wirtschaftlichen Charakter der Verträge grundlegend ver­ ändert hätte. Auch die revolutionäre Umwälzung der staatlichen Verfassung Deutschlands hatte bereits begonnen, als die Verträge abgeschlossen wur­ den. Das Argument der nachvertraglichen Veränderung wurde von diesen epochalen Ereignissen gelöst. Der Schuldner wurde bereits mit dem Ein­ wand gehört, die wirtschaftliche Entwicklung habe einen ungünstigen Ver­ lauf genommen und seine Ertragsplanung nachhaltig gestört. Bei dem schuldnerfreundlichen Urteil mag es eine Rolle gespielt haben, daß der Zi­ vilsenat des LG Hamburg im Februar 1920 die weitere Entwicklung äußerst pessimistisch einschätzte.117

115 LG Hamburg v. 23. Dezember 1919, HansGerZ 1920,25 (27). 116 LG Hamburg v. 4. Februar 1920, HansGerZ 1920,93 (94 und 95). 117 LG Hamburg v. 4. Februar 1920, HansGerZ 1920, 93 (94): „Es ist auch nicht anzu­ nehmen, daß diese Entwicklung schon ihren Abschluß gefunden hat, es ist vielmehr mit der größten Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, daß die Gesetzgebung auch weiterhin die

Gegen das letztgenannte Urteil wurde erfolgreich Berufung eingelegt. Das OLG Hamburg deutete an, daß ein Fabrikant sich durchaus auch für ei­ nen erst 1919 abgeschlossenen Vertrag „auf die durch die Revolution und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen bedingte Umwälzung der Produktions­ verhältnisse berufen kann“. Im konkreten Fall hätte aber das Fahrzeug noch vor einer Zuspitzung der Situation produziert und geliefert werden können. Dies nicht getan zu haben wurde dem Schuldner vorgeworfen.118 Auch die Revision führte zu einer vertragsgemäßen Verurteilung des Schuldners. Der zur letztinstanzlichen Entscheidung aufgerufene 2. Senat bestätigte das oberlandesgerichtliche Urteil in beiden Punkten.119 Entscheidend war aber allein die verzögerte Lieferung. Ob der 2. Senat ohne diese Verzögerung zugunsten des Schuldners entschieden hätte, wie es im Urteil des OLG Hamburg anklingt und wie es von dem LG Hamburg tatsächlich entschieden worden war, darf bezweifelt werden. Denn im Dezember 1920 wurde, eben­ falls anläßlich eines Vertrags über ein Kraftfahrzeug, festgestellt, „daß die sämtlichen preistreibenden Momente, welche die Beklagte für ihren Stand­ punkt ins Feld führe, also der Rohstoff- und Kohlemangel, Arbeitsunlust, Streiks und Lohnerhöhungen, sowie die Verminderung der Arbeitszeit be­ reits zur Zeit des Kaufabschlusses vorhanden gewesen seien [...]“120 Im Fe­ bruar 1921 wurde der Verkäufer eines Kraftfahrzeugs verurteilt, weil er im März 1919 eine Nachbestellung angenommen hatte. „Damals war die Re­ volution Tatsache geworden und waren seit ihr Monate verstrichen. Es mag schon sein, daß sich die Verhältnisse seitdem dauernder noch schwieriger gestaltet haben. Aber dieser letzteren Entwicklung kommt der Grundsatz pacta sunt servanda denn doch zur Geltung.“121 Für einen im September 1919 abgeschlossenen Vertrag über ein Kraftfahrzeug erkannte der 2. Senat: „Eine Krise, ein plötzlicher Umsturz, hat nicht stattgefunden. Was gesche­ hen ist [...] war nichts als die folgerechte Auswirkung dessen, was zur Zeit des Vertrags längst im Gange war. [...] Sicherheit gab es in dieser Hinsicht freilich nicht, die Anzeichen für eine Verschlechterung waren aber vorhan­ den und deshalb war es Pflicht eines gewissenhaften Kaufmanns, seine Ein­ richtungen danach zu treffen.“122 Ein im Oktober 1919 getätigter Vertrag über ein Kraftfahrzeug veranlaßte den 1. Senat zu ähnlichen Überlegun­

Stellung der Arbeiter und Angestellten auf Kosten der Arbeitgeber stärken wird, und daß die Löhne und Gehälter auch weiterhin steigen werden.“ 118 OLG Hamburg v. 15. Oktober 1920, HansGerZ 1921,9 (9 und 11). 119 RG v. 30. September 1921, RGZ 103,3 (5). 120 RG v. 4. Dezember 1920, Wameyer 1921,45. 121 RG v. 11. Februar 1921, Recht 1921,319, Nr. 2158. 122 RG v. 21. Februar 1922, Wameyer 1922,105 (107).

gen.123 Der 7. Senat betonte anläßlich eines im März 1919 bestellten Kraft­ fahrzeugs ebenfalls, daß die Probleme vorhersehbar gewesen seien.124 Die Verträge wurden sämtlich bestätigt. Die Behandlung der in den ersten drei Quartalen des Jahres 1919 vereinbarten Verträge spaltete das Reichsgericht nicht nur in der Begründung, sondern erstmals auch im Ergebnis. Während der 3. und der 7. Senat zur Vertragsaufhebung neigten, urteilten der 1., der 2. und der 6. Senat zu Lasten des Schuldners.125 Nur die schon bald wieder einsetzende drastische Geldentwertung verhinderte eine grundsätzliche Aus­ einandersetzung. Auch in der Literatur waren die Ansichten geteilt. Schon Heinsheimer hatte davor gewarnt, die schuldnerfreundliche Rechtsprechung der späten Kriegszeit und der Revolution auf nachrevolutionäre Verträge anzuwenden. Wie der 2. Senat stützte auch er sich auf die Vorhersehbarkeit, die zwar für die einzelne Entwicklung in Frage stehen könne, nicht aber für die Unsi­ cherheit der gesamtwirtschaftlichen Lage.126 Ernst Rabel betonte, wie viele Kritiker der Zumutbarkeitslehre, daß den von dem Krieg oder der Revoluti­ on überraschten Vertragsparteien allenfalls mittels einer „Notjudikatur“ ge­ holfen werden sollte. Für alle erst nach der Revolution abgeschlossenen Verträge empfiehlt er, schleunigst zu den alten Rechtsprinzipien zurückzu­ kehren.127 Darboven konstatierte einen besorgniserregenden Zustand der Rechtsunsicherheit, „der nicht nur unerfreulich, sondern unerträglich ist“.128 Solbrig wies auf das Problem der Lieferkette hin.129 Dem Verkehr überlas­ 123 RG v. 23. März 1921, Wameyer 1921, 128 (129) wörtlich: „Zur Zeit des Vertrags­ schlusses - Oktober 1919 - konnte der Geschäftsmann die durch den Krieg und die Revoluti­ on herbeigeführten Zerstörungen im deutschen Wirtschaftsleben erkennen; Streiks waren eine alltägliche Erscheinung und die deutsche Valuta hatte bereits einen außerordentlichen Tief­ stand erreicht. Ein vorsichtiger Kaufmann mußte daher in jener Zeit mit der Möglichkeit rechnen, daß der Kurs der deutschen Valuta seine Abwärtsbewegung fortsetzen und ein wei­ teres Steigen der Arbeitslöhne und Rohstoffpreise eintreten könne.“ 124 RG v. 5. Oktober 1922, HansGerZ 1923,161 (162). 125 Diese Unsicherheit traf auch auf die unteren Instanzen zu; vgl. die Übersicht bei Plum, Schwebende Lieferungsverträge unter dem Einfluß der staatlichen und wirtschaftlichen Um­ wälzung seit Krieg und Revolution im Lichte der Rechtsprechung, JW 1922,635 f. 126 Heinsheimer, Lieferungsverweigerung wegen veränderter Wirtschaftslage, DJZ 1920, 670. 127 Rabel, JW 1921, 1597 Anm.; ders., Die reichsgerichtliche Rechtsprechung über den Preisumsturz, DJZ 1921, 326; die mangelnde Schutzwürdigkeit im Falle von Nachkriegsver­ pflichtungen betont noch Lahusen, Zur clausula rebus sic stantibus, JW 1922,1181. ^Darboven, Die Ruin-Rechtsprechung des Reichsgerichts, HansRZ 1921,164; ähnlich: Meister, Aufhebung von Verträgen wegen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse II, JW 1922,1002. 129 Solbrig, Aufhebung von Verträgen wegen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnis­ se I,JW 1922,1001.

sen wollte Dove das Problem. In diesem Zusammenhang betonte er die tat­ sächlich stark verwendeten Vorbehaltsklauseln.130 Anders sahen das natur­ gemäß alle Rechtsdenker, denen schon die Zumutbarkeitslehre nicht weit und konsequent genug angewandt wurde. Auch sie wollten nicht auf das Kriterium der Vorhersehbarkeit verzichten, doch bezogen sie dieses Kriteri­ um großzügig auf die konkreten wirtschaftlichen Folgen, die in dieser Zeit in der Tat nur schwer vorherzusehen waren. Hans Carl Nipperdey hatte, daran sei erinnert, unabhängig von der Rechtsprechung des 3. Senats gefor­ dert, dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung mehr Beachtung zu schenken. Paul Oertmann empfahl erstmals seine Rechtsfigur der Ge­ schäftsgrundlage.131 Endemann formulierte nun gar ein „Prinzip der Propor­ tionalität der gegenseitigen Leistungsinhalte“. Dem Austauschvertrag liege regelmäßig eine „prästabilierte Äquivalenz“ zugrunde, welche es zu wahren gelte.132 In Zeiten, in denen das Wirtschaftsleben unkalkulierbar schwanke, sei die innere Vertragstreue der äußeren, formalen vorzuziehen, hatte Hans C. Nipperdey festgehalten. Einer Ansicht, der nun auch Justus W. Hede­ mann zuneigte.133 Reiling und Endemann betonten stärker, daß das neue Verhältnis der Leistung zur Gegenleistung weder gewollt noch vereinbart sei. Eine von Treu und Glauben geleitete Ergänzung des Vertragswillens gebiete es, den Schuldner nur gegen ein angemessenes Äquivalent an der Leistung festzuhalten.134 Ernst Fuchs hatte die exceptio doli generalis im Blick. Die „Einrede der Überobligationsmäßigkeit oder Unzumutbarkeit“ sei „nichts anderes als die Anwendung des Verbots des Verstoßes gegen die guten Sitten u. des Wucherverbots auf die Vertragserfüllung“.135 Wichtig ist ihm die Rechtsfigur freilich nicht. In der Rechtsprechung des 3. Senats meint er einen Fortschritt in Richtung auf seine freirechtliche Methode er­ kennen zu können.136 Auch von der Trenck empfahl rechtsschöpferische Urteile zur Bewältigung der Probleme.137 Noch wurden diese Ansichten we­

130 Dove, Aufhebung von Verträgen wegen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnis­ se III, JW 1922,1003. 131 Oertmann, Die Folgen der Herstellungsverteuerungen in der deutschen Industrie, JW 1921, S. 1515. 132Endemann, Preisumsturz und Vertragsbindung, JW 1921,9. 133 Hedemann, Richterliche Umgestaltung laufender Verträge, SJZ1921,308,309 f. 134 Endemann, Preisumsturz und Vertragsbindung, JW 1921, 10; Reiling, Zur Frage der Aufhebung und Abänderung von Verträgen wegen veränderter Umstände, JW 1921,21. 135 E. Fuchs, Vertragstreue und Shylockismus, LZ 1921, 485; so noch: ders., Aufwertung und Systemlogik, HansRZ 1924, Sp. 444. 136 E. Fuchs, Fortschritte und Hemmungen der freirechtlichen (soziologischen) Bewe­ gung, JW 1922,7. 137 Trenck, Vertrag und Revolution, DJZ 1920,713.

nig beachtet. Angesichts des erneut einsetzenden Währungsverfalls im Au­ gust 1921 und der sich seitdem kontinuierlich verschärfenden Geldentwer­ tung bis hin zur Hyperinflation des Jahres 1923 sollte insbesondere der Ge­ danke der Äquivalenz an Gewicht gewinnen.

c) Die schrittweise Anerkennung des gesunkenen Geldwerts

Bislang beurteilte die Rechtsprechung nur die Schwere der Leistung des Verkäufers und des Werkuntemehmers. Mußte der Verkäufer sich die Ware erkennbar erst beschaffen oder der Werkunternehmer diese noch herstellen, so bestand Aussicht, mit dem Einwand der nachträglich eingetretenen Er­ schwerung der Leistung gehört zu werden. Obwohl die Währung in den Monaten zwischen November 1918 und Februar 1920 insgesamt 86 % des Wertes eingebüßt hatte, gemessen am letzten Vorkriegswert sogar 94 %, waren die Aussichten des Schuldners, mit dem Einwand der Geldentwertung gehört zu werden, äußerst gering.138 Sofern die Geldentwertung auf die Lei­ stung des Verkäufers oder Werkunternehmers Einfluß nahm, stand das Prin­ zip der Irrelevanz von Leistungskosten entgegen. Im Rahmen der eben dar­ gestellten Rechtsprechung konnte der Schuldner sich aber in Grenzen auf die Unzumutbarkeit berufen. Die Entwertung der regelmäßig in Geld be­ messenen Gegenleistung sollte dagegen unerheblich sein, ebenso wie ein in­ flationsbedingt gestiegener Wert der Sachleistung. „Der weitere Fortschritt der Markentwertung, auch wo er katastrophale Dimensionen angenommen hat, ist für sich allein kein Grund für die Befreiung von vertraglich über­ nommenen Pflichten“, hob das OLG Hamburg im März 1921 hervor.139 Im November 1921 beurteilte der 5. Reichsgerichtssenat ein 1913 bindend ab­ gegebenes Verkaufsangebot über ein Grundstück ebenfalls in diesem Sinne. Nachdem 1920 die Annahme erklärt worden war, wurde der Anbieter mit dem Einwand der Entwertung der Mark nicht gehört. Weder die Leistung noch die Gegenleistung haben sich in ihrem Inhalt verändert, hob der 5. Se­ nat hervor. Und er fuhr fort: „Nur das Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung hat sich seit dem Jahre 1912 wesentlich verschoben, insofern als der Geldwert erheblich gesunken, der Wert des Grundstücks aber fast um das Dreifache gestiegen ist. Diese außerordentliche Änderung des Wertver­ hältnisses berechtigt aber die Beklagte nicht, sich vom Vertrage loszusa­ gen.“140 Ähnlich rigoros zeigte sich der 6. Senat angesichts eines Vertrags

138 Die Zahlen ergeben sich aus den Indizes für die Entwicklung der Großhandelspreise bei: Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923, S. 15. 139 OLG Hamburg v. 8. März 1921, HansGerZ 1923,92. 140 RG v. 16. April 1921, RGZ 102,98 (101).

über Baumwolle.141 Sogar Paul Krückmann, sonst Vorreiter einer allgemei­ nen clausula rebus sic stantibus, hatte 1918 noch verlauten lassen, man solle im Fall der schlichten Geldentwertung den Schuldner an der Lieferungs­ pflicht festhalten.142 Dennoch stieß das Urteil des 5. Senats auch bei Krückmann auf wenig Gegenliebe.143 Je weiter die Geldentwertung voran­ schritt, um so fragwürdiger mußte diese rigorose Position wirken. Die Urteile fielen in die kurze Phase der Währungsstabilität. Im ersten Halbjahr 1921 hatte sogar eine leichte Erholung der Mark eingesetzt. War der Tiefstand also bereits durchschritten? Fast schien es so. Der 6. Senat wollte in der eben angegebenen Entscheidung einen Baumwollhändler nicht befreien, nur „weil die deutsche Papiermark im Auslande fast wertlos ge­ worden sei“. Denn: „Sei der Beklagte in der Lage, heute noch mit Gold, Sil­ ber oder mit ausländischen Werten zu kaufen, so sei der Preisunterschied gegenüber dem Vertragspreise nicht so bedeutend, wie es auf den ersten Blick erscheine.“ Der in Papiermark zu erbringenden Gegenleistung wurde so indirekt ein relevanter Inlandswert prognostiziert. Der Händler kann ei­ nem nur leid tun. Denn während die Revolution mit ihren Auswirkungen im Arbeitskampf sowie Arbeits- und Sozialrecht tatsächlich zu einem Abschluß kamen, sollte sich die Stabilisierung der Mark als vorübergehender Umstand erweisen. Ab August 1921 sank der Wert der Mark wieder erheblich. Bin­ nen eines Jahres, bis Juli 1922, verlor die Mark weitere 85,8 % an Wert. Gemessen am November 1918 waren nun schon 97,7 %, gemessen an dem letzten Vorkriegswert 99 % des Ausgangswerts vernichtet worden. Die Ge­ genleistung jedes in Festpreisen abgeschlossenen Vertrags verflüchtigte sich, sofern nicht stante pede erfüllt, zur Illusion. Die Rechtsprechung blieb angesichts dieser Entwicklung nicht bei ihrer strikten Position. Der 3. und der 7. Zivilsenat konnten dem Schuldner mit dem Kriterium des drohenden Ruins helfen. Das setzt freilich voraus, daß der Schuldner auch tatsächlich einem ruinösen Druck ausgesetzt war, etwa weil er die Ware erst noch beschaffen oder herstellen mußte. Der 1. und der 2. Zivilsenat verschlossen sich auch noch angesichts des erneuten Wäh­ rungsverfalls dem Argument des Ruins. Der 2. Senat sah in der Ruinrecht­

141 RG v. 6. Juni 1921, RGZ 102, 238 (240). Hier spielte auch die Vorhersehbarkeit eine Rolle: „Wer, wie der Beklagte, unter den unsicheren Verhältnissen einer keineswegs günsti­ gen Kriegslage ein gewagtes Geschäft eingeht, kann sich nicht von seiner Lieferpflicht des­ halb lossagen, weil schließlich das Geschäft infolge des Tiefstandes der deutschen Valuta für ihn ein verlustbringender Fehlschlag geworden ist.“ 142 Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, Kriegsklausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), S. 165. 143 Vgl. die Besprechungen von Krückmann, JW 1921, 1447 und Heymann, JW 1921, 830.

sprechung des 3. Senats aber den „treffenden Gedanken“ formuliert, daß „es von ehrbaren Volkskreisen nicht verstanden werden und mit ihrem Gerech­ tigkeitsgefühl in Widerspruch treten würde, wenn alle Vorteile der neuen, bei Vertragsschluß nicht vorhersehbaren wirtschaftlichen Verhältnisse dem einen Teil allein zugute kommen sollten [...]“144 Wie sollte eine Lösung al­ so aussehen? Der 2. Senat erinnerte sich an die Ausführungen Krückmanns zur clausula rebus sic stantibus. Dieser hatte 1918 als alles überwölbenden Grundsatz die „synallagmatische Erwägung“ formuliert, „daß jede Partei sich zu einer Leistung nur um der Gegenleistung willen verpflichtet“.144 145 Es sei also, so der 2. Senat drei Jahre später, davon auszugehen, „daß die Par­ teien, die einen solchen eingehen, damit einen redlichen Umsatzvertrag schließen wollen, in dem jeder Teil bereit ist, dem anderen eine Leistung zu gewähren, in welcher dieser den vollen Gegenwert seiner Leistung erblickt“. Die Vertragsschwere, ja die Kosten der Vertragserfüllung seien zwar, ganz im Sinne der bisherigen Rechtsprechung, irrelevant. , Anders aber ist es, wenn die Ereignisse zugleich die Wertverhältnisse, insbesondere den Wert des Geldes, dermaßen umgestalten und damit die Werte der im gegebenen Fall zugesagten Leistungen im Verhältnis zueinander so verschieben, daß der Schuldner für seine Leistung eine Gegenleistung erhalten würde, in der ein Äquivalent, das doch nach der Absicht des Vertrags darin liegen soll, auch annähernd nicht mehr erblickt werden könnte.“146 Die Lorbeeren die­ ses Sinneswandels sollte freilich nicht der fleißige Krückmann ernten, son­ dern Oertmann. 1921 hatte Oertmann mit der Schrift „Die Geschäftsgrund­ lage - Ein neuer Rechtsbegriff“ viel Aufmerksamkeit geweckt. Der 2. Senat bezog sich schon im Februar 1922 ausdrücklich auf die Oertmannsche Rechtsfigur. Nun heißt es: ,Allgemein kommt es, um mit den Worten Oertmanns, Geschäftsgrundlage (1921) zu reden, immer darauf an, ob die Grundlage des Geschäfts im Sinne einer beim Geschäftsschluß zutage getre­ tenen Vorstellung der Beteiligten über den Bestand gewisser maßgebender Verhältnisse hinfällig geworden ist. Das ist an sich auch als Folge einer blo­ ßen Valutaverschiebung möglich, wenn die Fortdauer der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung bei Vertragsschluß vorausgesetzt wurde.“147 Damit war die Formulierung gefunden, die im Verlauf der Geldentwertung helfen sollte.148 Selbst der 3. Senat verzichtete fortan auf das Kriterium des Ruins.149 144 RG v. 29. November 1921, RGZ 103,177 (179). 145 Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, HansRZ 1918,577 (581). 146 RG v. 29. November 1921, RGZ 103,177 (179). 147 RG v. 3. Februar 1922, RGZ 103,328 (332). 148 2. Zivilsenat: RG v. 6. August 1923, RGZ 106, 422 (424 f.); 5. Zivilsenat: RG v. 6. Januar 1923, V 246/22, RGZ 106, 7 (9 f.); RG v. 6. Januar 1923, V 183/22, RGZ 106, 11

Die Geschäftsgrundlagenlehre ist weit weniger originell, als der neue Be­ griff vermuten läßt. Wie schon Windscheid in seiner Voraussetzungslehre brach Oertmann mit der dualen Struktur einer Rechtsgeschäftslehre, die das rechtsgeschäftliche Verhalten der Parteien fein säuberlich in Erklärungstat­ bestände einerseits und den ungeäußerten und daher unbeachtlichen Willen andererseits auftrennte. Zwischen beide Kategorien schob er eine dritte, die Geschäftsgrundlage. „Sie gehört“, so Oertmann, „weder dem Gebiete des Willens noch dem der Erklärungen an, sondern nur dem der Vorstellun­ gen“;149 150 und weiter: „Geschäftsgrundlage ist die beim Geschäftsschluß zuta­ ge tretende und vom etwaigen Geschäftspartner in ihrer Bedeutsamkeit er­ kannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die ge­ meinsame Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich auf­ baut.“151 Die fragliche Vorstellung hat die Funktion, den vertragsauslösen­ den Willen aus sich selbst heraus zu beschränken. Soweit stimmt die Oert­ mannsche Lehre mit der Windscheids überein. Genutzt wird der durch die Selbstbeschränkung eröffnete Freiraum aber anders. Die Voraussetzungsleh­ re entspringt, wie oben dargelegt, dem Bereicherungsrecht. Windscheid blickt auf die einzelne Leistung; bedeutsam ist, was der Leistende erkennbar vorausgesetzt hat. Durch das Kriterium der „ersten Zwecke“ marginalisiert Windscheid den Anwendungsbereich seiner Rechtsfigur und sorgt so für ei­ ne systematische Nähe zu den Fällen fehlender causae und modi. Oertmann hatte dagegen von vornherein nur das Gesamtgeschäft im Blick.152 Mit drei gravierenden Folgen. Zunächst kennt Oertmann die Rechtsfigur der ersten Zwecke nicht; sie wäre angesichts des Gesamtgeschäfts auch sinnlos, da im Falle eines Austauschgeschäfts der erste Zweck für die versprochene Lei­ stung naturgemäß die erwartete Gegenleistung ist. Da im Gesamtgeschäft beide Seiten Leistungen erbringen und erwarten, war Oertmann zudem stark darauf bedacht, die Entscheidungskriterien zu objektivieren. Die Vor­ stellung der einzelnen Partei, soll sie von Relevanz sein, darf nicht nur für (12 f.); RG v. 31. Januar 1923, Wameyer 1924,33 (34); RG v. 6. Juni 1923, Wameyer 1924, 87 (88); RG v. 26. Januar 1924, Wameyer 1924, 98 (99); 6. Zivilsenat: RG v. 5. Oktober 1922, HansGerZ 1923, 161 (162); RG v. 29. Oktober 1923, RGZ 107, 124 (126); RG v. 12. November 1923, RGZ 107,156 (160). 149 3. Zivilsenat: RG v. 22. November 1921, Wameyer 1922, 104 (105); RG v. 13. Oktober 1922, JW 1923,753 (754); RG v. 11. Mai 1923, Wameyer 1924,80. 150 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 132. 151 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 37. 152 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 30 f.: „Die Voraussetzung ist, wie Windscheid den Begriff nun einmal entwickelt hat, Grundlage oder Bestandteil der einzelnen Erklärung, nicht des gesamten beiderseitigen Geschäftsaktes." Oertmann wollte eben deshalb „das Wort »Voraussetzung* vermeiden [...]“

diese von Bedeutung sein: „Es muß sich handeln um die objektive Grundla­ ge des Geschäfts als solchen [sic!], nicht nur um die subjektive Grundlage für den Willensentschluß und die Erklärung einer der dabei beteiligten Per­ sonen.“153 Die gesamtgeschäftliche Bedeutung müsse schließlich dem Ge­ schäftspartner erkennbar sein.154 Eine ausführliche Stellungnahme zu Oertmanns Variation einer alten Theorie wurde 1923 im Archiv für die civilistische Praxis publiziert. Locher kritisierte hier den Oertmann und Windscheid gemeinsamen Gedanken einer unabhängig vom Inhalt des Rechtsgeschäfts bestehenden Selbstbeschrän­ kung des vertragsauslösenden Willens. Voraussetzung und Vorstellung hät­ ten „keine psychologische Realität“, wirft er beiden vor.155 Ihm wollte es nicht einleuchten, wie etwas Unvorhergesehenes und daher nicht in die Er­ klärung Aufgenommenes gleichzeitig für den Erklärungsempfänger erkenn­ bar und relevant sein könne.156 Locher sucht die Lösung nicht in vorausge­ setzten oder vorgestellten Umständen, sondern unmittelbar in den Vertrags­ zwecken. Der „Inhalt des Rechtsgeschäfts“ enthalte objektive „Geschäfts­ zwecke“, welche besagen, was „nach dem Willen aller Beteiligten das mit dem Abschluß des Rechtsgeschäfts oder mit seiner Abwicklung zu errei­ chende Ziel sein soll“.157 Regelmäßig sei das Rechtsgeschäft zwar nicht von den damit verfolgten Zwecken abhängig - mangels psychischer Realität ei­ nes solchen Willens. Doch könne die Rechtsordnung die Zweckgebunden­ heit des Rechtsgeschäfts anerkennen, was sie in § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB auch getan habe.158 So seien Zwecke insbesondere dann beachtlich, wenn dadurch das Maß der Leistung besonders beeinflußt werde.159 * Karl Larenz sollte 1957 die Theorie Lochers als „objektive“ und die Oertmanns als „subjektive“ Theorie bezeichnen und dieser Differenzierung eine strikte Trennung nach Fallgruppen folgen lassen - gegen eine damals insbesondere von Heinrich Lehmann vertretene Vereinigungsformel.160 Die Lehre von Larenz prägt das immer noch aktuelle Bild von der Geschäfts­ 153 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 26 f.; an anderer Stelle betont Oertmann, die Geschäftsgrundlage müsse „für beide“ bestanden haben, sie beziehe sich gerade „nicht auf die einzelne Erklärung, sondern auf das Geschäft als Ganzes“, a.a.O., S. 28 und 29. 154 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 132. 155Locher, Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck, AcP 121 (1923), S. 15-18. 156Locher, Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck, AcP 121 (1923), S. 18 f. 157Locher, Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck, AcP 121 (1923), S. 66. 158 Locher, Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck, AcP 121 (1923), S. S. 29-32 und 48 f. 159Locher, Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck, AcP 121 (1923), S. 68 f. ^Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 7-11 (zu Oertmann), 14f. (zu Locher), 18 f.; zu der Lehmannschen Theorie: Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 13. Bearbeitung, § 41, S. 170.

grundlage. So subjektiv, wie Locher und später auch Larenz meinten, war die Theorie Oertmanns aber gar nicht. Oertmann betonte sogar entschieden, „daß es sich dabei nicht oder doch nicht nur um echte Auslegung eines em­ pirisch wirklich vorhandenen Willens handele, sondern um eine Fortbil­ dung, Ergänzung des vorhandenen Willens auf der Grundlage der objektiven Geschäftszwecke, um einen , konstruktiven4 oder hypothetischen’ Partei­ willen [...]"161 Die von Locher (sowie später von Larenz) geübte Kritik trifft deshalb lediglich auf Windscheid zu. Für Oertmann, der das Gesamtgeschäft im Blick hatte und deshalb zwei Parteivorstellungen und ein objektives Rechtsgeschäft in Einklang bringen mußte, ist die Geschäftsgrundlage keine „psychologische", sondern eine „rechtspolitische Frage“.161 162 Deshalb setzt Oertmann auf den § 242 BGB anstatt - wie noch in der Vorkriegsschrift „Rechtsordnung und Verkehrssitte“ - auf den § 275 BGB163 und zieht mit Stammlers „richtigem Recht“ sogar eine Theorie der Sozialphilosophie her­ an.164 Inhaltlich war Oertmann weit weniger ambitioniert. Oertmann suchte den „leitenden Gedanken“ einer Rechtsprechung, die er im Grunde für rich­ tig hielt.165 Die von ihm benannten, mittels der Geschäftsgrundlage zu ent­ scheidenden Fälle wichen auch nicht grundlegend von den höchstrichterlich entschiedenen ab. Auch er will der Vertragspflicht eine Grenze ziehen, „mit deren Überschreitung das Geschäft einen ganz anderen Charakter annimmt“; die Ansätze der Rechtsprechung aufgreifend, sah er einen solchen Charak­ terwechsel insbesondere dort, „wo [...] durch die Entwicklung der Dinge fortan jeder Gedanke an einen auch nur möglichen Verdienst der einen Par­ tei vollständig abgeschnitten wird [...]“166 Warum wurde die Rechtsfigur der „Geschäftsgrundlage“ von der Recht­ sprechung aufgegriffen, während es doch sonst Anregungen aus der Litera­ tur sehr reserviert gegenüberstand? Zunächst eignete sich die Geschäfts­ grundlage als Erweiterung der zum Vertragsinhalt begonnenen Überlegun­ gen hierfür besonders gut. Der neue Begriff bot den Vorteil des methodi­ schen Neubeginns bei größtmöglicher Nähe zu den bislang entschiedenen Fällen. Die Oertmannsche Rechtsfigur der Geschäftsgrundlage ist zudem auf Ausnahmefälle zugeschnitten, während die verwandten, objektiveren Theorien von Krückmann und Locher die vertraglichen Pflichten weitrei161 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 129. 162 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 135. 163 Die ältere Theorie der Willensergänzung wird in: Die Geschäftsgrundlage, S. 133, so­ gar explizit aufgegeben. 164 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 139. 165 Oertmann, Die Folgen der Herstellungsverteuerungen in der deutschen Industrie, JW 1921,1512 und 1515. 166 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 152 und 153.

ehender und grundsätzlicher zu relativieren in der Lage sind. Noch ein drit­ ter Punkt ist hervorzuheben. Oertmanns Monographie ist, verglichen mit anderen Literaturbeiträgen der Zeit, ausgesprochen konventionell. Er bringt einen Abriß der Voraussetzungslehre Windscheids, führt den neuen Rechts­ begriff ein, grenzt diesen begrifflich von bekannten und verwandten Rechts­ figuren ab und reicht einen Kanon gesetzlicher Anwendungsfälle nach, in denen er seine Rechtsfigur systematisch verankert sieht. Angesichts des überwältigenden Ereignisses der Inflation suchte die Rechtsprechung die Lösung des Problems nicht in den modischen freirechtlichen und rechtsso­ ziologischen Überlegungen eines Alfred Rosenthal und eines Emst Fuchs, sondern in einer hergebrachten, fast schon altmodisch anmutenden methodi­ schen Arbeit. Über die konkrete Gestalt und die Grenzen der Geschäfts­ grundlage mußte man sich damals nicht viele Gedanken machen. Das die Geschäftsgrundlage gefährdende Moment war fraglos die voranschreitende Inflation. Die Rechtsprechung sah allerdings nicht die Geldwertstabilität als Grundlage der Geschäfte; das hätte praktisch alle Verträge unsicher ge­ macht. Sie entdeckte die Äquivalenz der auszutauschenden Leistungen als materiale Grundlage des redlichen Austauschgeschäfts - mit der Konse­ quenz, daß die Sachleistung, der bislang doch allein das Interesse galt, für die Entscheidung immer unwichtiger wurde. Noch im April 1921 hatte der 5. Zivilsenat einen Eigentümer verurteilt, der 1913 ein Grundstück langfristig angeboten hatte und dessen Angebot 1920 unter ganz anderen wirtschaftlichen Verhältnissen angenommen wor­ den war. Der Senat vermochte kein Erfüllungshindemis zu erkennen, weil keine der Vertragsleistungen sich verändert habe: „Nur das Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung hat sich seit dem Jahre 1913 wesent­ lich verschoben“, hielt der Senat fest. „Diese außerordentliche Änderung des Wertverhältnisses berechtigt aber die Beklagten nicht, sich vom Vertra­ ge loszusagen.“167 Den beklagten Eigentümer dürfte das Urteil damals nicht überrascht haben. Auch der Händler mußte schließlich aus seinen Lagerbe­ ständen die bestehenden Vertragspflichten erfüllen und diese - notfalls an­ teilig - seinen Vertragspartnern zur Verfügung stellen. Selbst wenn der Markt zusammengebrochen, die Ware im Preis extrem gestiegen und eine Wiederbeschaffung zu den Bedingungen der Gegenleistungen nicht annä­ hernd möglich war, konnte dies den Händler nicht von seiner Vertrags­ pflicht entheben. Diese Rechtsprechung mußte nun revidiert werden. Die Äquivalenzstörung konnte eben auch eingewandt werden, wenn die Lei­ stung in keiner Weise erschwert oder verändert worden war. Im Falle des

167 RG v. 16. April 1921, RGZ 102, 98 (101); für den wieder behinderungsfreien Baum­ wollhandel ganz ähnlich der 6. Zivilsenat in: RG v. 6. Juni 1921, RGZ 102,238 (239).

Großhändlers tat die Rechtsprechung sich schwer, die Konsequenzen zu ziehen. Sie blieb bei der bisherigen Linie, mit der fragwürdigen Begrün­ dung, daß hier regelmäßig ein Spekulationsgeschäft vorliege, da der Händler seinen Gewinn aus der Konjunkturentwicklung ziehe und folglich auch de­ ren Nachteile zu tragen habe.168 Dem Grundeigentümer, der sich langfristig gebunden hatte, wurde in späteren Urteilen aber tatsächlich geholfen. Schon die Disäquivalenz vermochte ihn nun von seinem langfristigen Kaufangebot zu befreien. Eine negative Auswirkung auf den Erfüllungsvorgang selbst wird nicht länger gefordert: „Das Reichsgericht hat sich unter dem Druck der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Anerkennung des Satzes nicht entziehen können, daß auch die bloße Geldentwertung eine sol­ che Verschiebung der Wertverhältnisse herbeiführen kann, daß die Grundla­ ge des Geschäfts hinfällig wird und dem Schuldner die Erfüllung des Ver­ trags nicht mehr zugemutet werden kann.“169 Plötzlich konnte eine Leistungspflicht entfallen, obwohl sie sich weder in der Schwere noch im Inhalt verändert hatte. Nach und nach gab das Reichs­ gericht eine weitere, bis dahin wohl gehütete Schranke richterlichen Ein­ griffs auf. Nun sollte sich auch die im Verzug befindliche Partei auf die Entwertung der ihrerseits erwarteten Gegenleistung berufen können.170 Selbstverständlich dürfe ihr gegenüber der Vertragstreuen Partei keine Ver­ günstigung erwachsen, betont der 6. Senat; aber, fährt er fort: „Was von ihm 168 RG v. 27. Oktober 1921, Wameyer 1922,107 (108); wenigstens für die Berechnung des Entwertungsschadens aufgegeben in: RG v. 12. November 1923, RGZ 107,156 (159 f.). 169 RG v. 6. Juni 1923, Wameyer 1924, 87 (88). Die Wende kam am 6. Januar 1923, als der V. Zivilsenat sich von der Entscheidung RGZ 102, 98 ausdrücklich distanzierte: „Mit der grundstürzenden Verschlechterung der Valuta, deren Eintritt in diesen Ausmaßen für nie­ mand vorhersehbar war, ist die Geschäftsgrundlage, auf der die Vereinbarung getroffen und die beiderseitigen Pflichten bestimmt worden sind, weggefallen; es kann dem Schuldner un­ ter diesen Verhältnissen nicht mehr zugemutet werden, seine Vertragspflichten schlechthin zu erfüllen.“ RG v. 6. Januar 1923, V 246/22, RGZ 106, 7 (9); in diesem Sinne auch: RG v. 6. Januar 1923, V 439/22, BayRpflZ 1923,118; RG v. 6. Januar 1923, V 183/22, RGZ 106, 11 (12 f.); RG v. 31. Januar 1923, Wameyer 1924, 33 (34); RG v. 6. Juni 1923, Wameyer 1924,87 (88); RG v. 22. September 1923, JW 1923,984; RG v. 29. Oktober 1923, Wameyer 1923,89; RG v. 17. November 1923, RGZ 107,183; RG v. 26. Januar 1924, Wameyer 1924, 98 (99). 170 Kritisch: RG v. 25. Juni 1923, Wameyer 1924, 82 (83 f.); Wameyer, Geldentwertung und Vertragserfüllung, S. 25; zurückhaltend: RG v. 18. Juni 1923, Wameyer 1924, 70 (72); zugunsten des im Verzug befindlichen Schuldners schließlich: RG v. 6. August 1923, RGZ 106,422 (424); RG v. 2. Oktober 1923, RGZ 107,19 (22); RG v. 9. Oktober 1923, JW 1924, 174; RG v. 12. Oktober 1923, Wameyer 1924, 65; RG v. 29. Oktober 1923, RGZ 107, 124 (128); RG v. 20. November 1923, Wameyer 1924, 66; RG v. 26. November 1923, Wameyer 1924, 95; RG v. 22. Januar 1924, Wameyer 1924, 100; RG v. 25. Januar 1924, Wameyer 1924, 100; weitere Nachweise bei: Plum, Markentwertung und Aufwertung im Lichte der Rechtsprechung, JW 1924,1450.

[dem in Verzug geratenen Schuldner] nicht verlangt werden darf, ist das Einstehen für den von außen her auf die Gestaltung des Schuldverhältnisses einwirkenden Währungsverfall, der sich aus der zeitweilig für das Reich obwaltenden Unmöglichkeit erklärt, wertbeständiges Geld als zuverlässigen Wertmesser im Geschäftsverkehr zu schaffen.“171 Individuelle Beschaf­ fungsschwierigkeiten blieben dagegen irrelevant, und zwar selbst dann, wenn sie währungsbedingt waren. Auch wer bereits in Zeiten der stabilen Währung seine Geldleistung erbracht hatte, durfte die Gegenleistung nach wie vor fordern.172 Daran sollte sich auch nichts ändern, wenn die Inflation dem Schuldner den Geldwert inzwischen wieder geraubt hatte. Es war Auf­ gabe des Empfängers, das Geld wertbeständig anzulegen.

Bilanz der zweiten Phase Mit dem Gedanken der prästabilierten Leistungsäquivalenz verließ die Rechtsprechung ein gesetzliches Leitbild, welches eine nachvertragliche Entwicklung immer nur als Leistungsstörung, nicht aber als Vertragsstörung begriffen hatte. Bis dahin war das von den Parteien gestaltete Vertragsver­ hältnis, sofern es einmal in freier Willensentscheidung und in akzeptierter Form zustande gekommen war, nicht mehr grundsätzlich hinterfragt wor­ den. Die Rechtsordnung konzentrierte sich darauf, die einzelne Leistung möglichst wortgetreu zu sanktionieren. Selbst angesichts einer Änderung der vertragsbeherrschenden Verhältnisse blieb diese Sichtweise bestehen. Die betroffene Leistungspflicht wurde nur insoweit überdacht, als ihre - notfalls ja auch zwangsweise - Erfüllung nunmehr Opfer erfordern könn­ te, die mit dem faktisch Möglichen, dem wirtschaftlich Sinnvollen, den mo­ ralischen Anforderungen der Gesellschaft oder - so die letzte Entwicklung der Rechtsprechung - dem individuell Zumutbaren nicht vereinbar seien. Die Verbindung mehrerer Leistungen zu einem wirtschaftlichen Gesamtge­ füge, regelmäßig in Form eines Austauschvertrages, begriff die Rechtsord­ nung nur als formale Schicksalsgemeinschaft der einzelnen Forderungen (sog. genetisches und funktionelles Synallagma), nicht aber als inhaltliche und damit einer nachvertraglichen Störung zugängliche Wertgemeinschaft. 171 RG v. 29. Oktober 1923, RGZ 107,124 (128). 172 RG v. 21. September 1922, JW 1923, 285 (286); RG v. 5. Januar 1923, Wameyer 1924, 41; RG v. 26. April 1923, Wameyer 1924, 68 (70); RG v. 31. Mai 1923, Wameyer 1924,81; RG v. 28. Juni 1923, JW 1924,175 (176); RG v. 29. Oktober 1923, RGZ 107,124 (129); RG v. 27. November 1923, DJZ 1923,369; RG v. 14. Dezember 1923, JW 1924, 675. Weitere Hinweise bei Zeiler, Neuere Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Frage der ver­ änderten Verhältnisse und der Geldentwertung, DJZ 1923,451 f.

Es gab eben nur ein Leistungs-, kein Vertragsstörungsrecht. Das von der Rechtsprechung in der ersten Phase aufgestellte Prinzip der Irrelevanz marktgebildeter Leistungskosten ist eine ausgesprochene Konsequenz dieses Denkens. Die stringent auf die einzelne Leistung zugeschnittene Konzeption des Leistungsstörungsrechts wurde im letzten Kriegsjahr und im Verlauf der Nachkriegskrise - der zweiten Phase der Rechtsprechung - sukzessive ge­ lockert. Zunächst waren mehr und mehr die Erfüllungskosten zur Entschei­ dung herangezogen worden. Schon dies geschah mit verstohlenem Blick auf die Gegenleistung. Denn Kosten sind zwar auch noch solche der isolierten Leistung, sie sind für den Schuldner aber eben nur insoweit von Relevanz, als er keine entsprechende Gegenleistung erwarten kann. Auch das Kriteri­ um der wirtschaftlichen Existenzvernichtung hatte mittelbar das Verhältnis der Leistungen zum Anlaß genommen einzugreifen. Der sprichwörtliche Ruin drohte in den fraglichen Fällen nur aufgrund der Diskrepanz zwischen Leistung und Gegenleistung. Problematisch war die Grenzziehung, sollte nicht das alte Modell der Leistungsstörung vollends zugunsten einer nach­ vertraglichen Inhaltskontrolle aufgegeben werden. Der 3. Senat setzte auf besagten Ruin. Natürlich ist es befremdlich, wenn derselbe Vertrag bei ver­ schiedenen Schuldnern eine unterschiedliche Bestandskraft hat. Da das Vollstreckungsrecht vor dem Konkurs nicht haltmacht, konnte der Ruin aber nicht das auslösende Moment gewesen sein, allenfalls das deutliche Zutagetreten des eigentlichen Grundes. Der Ruin sollte, das ist in der Diskussion oft vergessen worden, der Entwicklung nur berechenbare Grenzen ziehen. Gemeint war nicht die ruinöse Wirkung des einzelnen Vertrages, die weder im Handel noch in der Industrie drohte, sondern die hohe Anzahl der ge­ störten Verträge. Entscheidend war, daß die prekäre Situation des Schuld­ ners aufgrund einer allgemeinwirtschaftlichen Notlage eingetreten war. Als in der Phase der Hyperinflation die Gegenleistung einen Wertverfall erlebte, bis sie das Prädikat des Äquivalents nicht mehr verdiente, war die Formel gefunden. Für alle aus der außerordentlichen Inflation resultierenden Risi­ ken sollte das Prinzip der prästabilierten Äquivalenz einer Verschleuderung des schuldnerischen Vermögens vorbeugen. Diese Lösung hatte drei ent­ scheidende Vorteile. Sie galt nur für eine außerordentliche, allgemeinwirt­ schaftliche Notlage. Das gesetzliche Leistungsstörungsrecht blieb also die Regel. Zweitens trug sie dem Willen der Parteien insoweit Rechnung, als ihr die prästabilierte Äquivalenz und eben keine allgemein-ethische ausglei­ chende Gerechtigkeit zugrunde gelegt wurde. Und drittens griff sie nur in den krassen Fällen und nur in der Gestalt eines Rücktrittsrechts ein, mini­ mierte also den Eingriff des Gerichts.

In der Literatur stieß der kassierende Eingriff zunächst auf einige Vorbe­ halte; insbesondere die Ruinrechtsprechung des 3. Zivilsenats forderte die Kritik heraus. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung schmolz der Widerstand jedoch bald dahin. Die Akzeptanz mag dadurch forciert worden sein, daß die Rechtsprechung mit der Geschäftsgrundlage erstmals auf eine fundierte Theorie zurückgreifen konnte. Unwidersprochen blieb freilich auch diese Theorie nicht. Der Gedanke einer allgemeinen Zumutbarkeits­ kontrolle wurde noch hochgehalten,173 wie auch die Rechtsfigur der wirt­ schaftlichen Unmöglichkeit. Immer weniger umstritten war das ausgespro­ chene Ziel der neuen Rechtsfigur, die Gegenleistung in die Überlegungen offen miteinzubeziehen. Paul Krückmann, Hans C. Nipperdey, Paul Oert­ mann und Friedrich Endemann stehen für diese Wende. Friedrich Dessauer wollte das Problem grundsätzlich anders anpacken. Nicht ethische oder in­ dividualwirtschaftliche Argumente, sondern gesamtgesellschaftliche Inter­ essen sollten den Eingriff legitimieren.174 Denn: „In unserer heutigen Lage muß das Bedürfnis der Berufstätigen, der Verbrauchswerte Schaffenden stärker ins Gewicht fallen, als das Mitleid mit dem Verbraucher.“175 E. Ben­ dix konstatiert gar einen Wandel von den „individualistisch-kapitalistischen Grundsätzen“ zu dem „genossenschaftlichen Geiste einer Schicksalsgemein­ schaft aller Angehörigen des bedrängten deutschen Volkes“.176 Dem Richter solle in diesem Sinne ein größerer Gestaltungsspielraum zugestanden wer­ den. Bendix und Dessauer treffen sicher eine wichtige, in der Entwicklung der Äquivalenztheorie nicht fortzudenkende Motivation. Aber eine offene Differenzierung nach wertvollen und wert- und daher schutzlosen Schuld­ 173 Ausdrücklich gegen die Rechtsfigur der Geschäftsgrundlage: Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teilbd. 2, 8. Bearbeitung 1922, § 264a II 1, Fn.8; ebenda S. 119 wird, ganz im Sinne der älteren Rechtsprechung erklärt, der „Erfüllungszwang" müsse ausgeschlossen sein, „wenn die Erfüllung infolge unvoraussehbarer ganz außergewöhnlicher Verhältnisse wirtschaftlich zu einer ganz anderen, als die Parteien wollten, geworden ist.“ Enneccerus wendet sich auch gegen die Versuche, die Unmöglichkeit für das Problem der Geldentwertung heranzuziehen: a.a.O., § 269 I 2, S. 134 und, deutlicher, § 264a II 2, Fn 10, der 9. Bearbeitung 1923. Ähnlich: Kiehl, Die Einwirkung eines Umschwungs der wirtschaft­ lichen Verhältnisse auf Verträge, Gruchot 66 (1923), S. 149-152. Große Unterschiede zur Rechtsprechung gab es nicht, da auch das Reichsgericht die Rechtsfigur der Geschäftsgrund­ lage vorsichtig, aus dem Gedanken einer ausnahmsweise vorzunehmenden Zumutbarkeits­ kontrolle entwickelt hatte: Lobe, Clausula rebus sic stantibus, DJZ 1923,132 f. 174Dessauer, Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, S. 45; vgl. noch a.a.O., S. 47: „Vom Grundsatz der Vertragsbeständigkeit sind nur da Ausnahmen zuzu­ lassen, wo die Vertragserfüllung infolge der GE. [= Geldentwertung] die Zahlungsunfähig­ keit des Sachschuldners oder eine dauernde Minderung seiner Produktion oder eine dauernde und erhebliche Minderung der Beschäftigungsmöglichkeit zur Folge hätte.“ 175Dessauer, Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, S. 53. 176Bendix, Geldentwertung und Rechtsfindung, JW 1923,916.

nern ist sonst nirgends propagiert worden. Überhaupt wurde eine echte Al­ ternative zur reichsgerichtlichen Lösung nicht mehr formuliert. Die Dyna­ mik der Inflation zog die Literatur mit sich. Längst wurde ein anderer, viel weitreichenderer Eingriff diskutiert: der korrigierende Eingriff in Verträge in Gestalt einer Anpassung der Geldschulden an den inflationären Wertver­ lust.

3. Ein Blick auf die Nachbarländer Das deutsche Reich stand, zumindest was die wirtschaftlichen und vertragli­ chen Probleme anbelangt, in dieser Zeit nicht alleine. Der Krieg hatte auf allen Seiten grundlegend in das Wirtschaftsleben eingegriffen, und die In­ flation der Nachkriegszeit war - in Grenzen - ebenfalls ein europäisches Phänomen. Im folgenden soll die richterliche Behandlung der Probleme in drei Nachbarländern skizziert werden: für die cisleithanischen Kronländer der österreichisch-ungarischen Monarchie, für Frankreich und für die Schweiz. Die drei Rechtsordnungen haben einiges gemeinsam. Sowohl das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) als auch der französische Code civil (CC) und das schweizerische Obligationenrecht (OR) bieten keine normative Lösung für die fraglichen Probleme an. Alle drei Gesetzbücher basieren auf rezipiertem römischem Recht. Das OR ist, wie auch das deutsche BGB, ein Kind der Pandektistik. ABGB und CC nehmen zwar für sich in Anspruch, Schöpfung der aufgeklärten Vernunft zu sein; im Detail beruhen aber auch sie auf römischrechtlichen Vorläufern. Das Vertragsrecht des CC wurde nahezu vollständig dem droit ecrit des französischen Südens entnommen. Keine Rechtsordnung hat die clausula rebus sic stantibus übernommen; aber alle kennen mehr oder weniger deut­ lich das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit. a) Österreich Im österreichischen Vertragsrecht nahm, wie im deutschen BGB auch, das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit eine zentrale Stellung ein. Der Begriff selbst taucht im österreichischen ABGB allerdings nur in § 878 als ur­ sprüngliche Unmöglichkeit auf.177 Nachvertragliche Hindernisse werden an zwei Stellen erwähnt: der zufällige Untergang der geschuldeten Sache wirkt befreiend, § 1447 ABGB, und die verschuldete Erfüllungsvereitelung be­

177 § 878 ABGB: „Was geradezu unmöglich ist, kann nicht Gegenstand eines gültigen Vertrages werden. [...]“

gründet eine Haftung auf Schadensersatz, § 920 ABGB.178 Von dieser engen normativen Basis ausgehend, wurde eine umfassende Unmöglichkeitslehre entwickelt, die auch die nachträgliche und die subjektive Unmöglichkeit umfaßte und insgesamt der deutschen Unmöglichkeitslehre recht nahe kam. In der Methode war umstritten, ob § 878 ABGB auch die nachträgliche Unmöglichkeit umfaßt oder ob § 1447 ABGB einen verallgemeinerungsfä­ higen Grundsatz aufstellt. Die österreichische Doktrin kannte noch eine weitere Subform der Unmöglichkeit, die Unerschwinglichkeit. Eine Lei­ stung galt als unerschwinglich, wenn der Schuldner für die Erfüllung des Vertrags ein Interesse aufopfem müßte, welches gegenüber dem Gläubi­ gerinteresse derart überwog, daß eine Inanspruchnahme seitens des Gläubi­ gers den guten Sitten widersprechen würde.179 Die Rechtsfigur der Uner­ schwinglichkeit blieb nicht unwidersprochen.180 Auch war unklar, ob der Rechtsgrund in der Unmöglichkeit oder in den guten Sitten zu finden sei. Wer die Unmöglichkeit bevorzugte, der hob die Grenzen der individuellen Leistungsfähigkeit des Schuldners hervor, während die Gegenseite durch den Bezug auf die guten Sitten nur unwirtschaftliche Opfer der Naturaler­ füllung vermeiden wollte und einen Interessenausgleich, insbesondere fi­ nanzieller Natur, nahelegte.181 Bereits in den ersten Kriegsurteilen bestätigte der österreichische Oberste Gerichtshof das Rechtsinstitut der Unerschwinglichkeit. Der OGH hielt fest: „Nicht nur dann, wenn eine unbedingte Unmöglichkeit der Leistung vor­ liegt, sondern auch schon dann, wenn eine Unerschwinglichkeit der Be­ schaffung der zu liefernden Gegenstände platzgegriffen hat, wird als Folge 178 § 1447 ABGB stellt fest: „Der zufällige Untergang einer bestimmten Sache hebt alle Verbindlichkeiten, selbst die, den Wert derselben zu vergüten, auf. Dieser Grundsatz gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen die Erfüllung der Verbindlichkeit, oder die Zahlung der Schuld durch einen anderen Zufall unmöglich wird. [...]“ Dem korrespondiert der § 920 ABGB: „Wird die Erfüllung durch Verschulden des Verpflichteten oder einen von ihm zu vertretenden Zufall vereitelt, so kann der andere Teil entweder Schadenersatz wegen Nichter­ füllung fordern oder vom Vertrag zurücktreten. [...]“ § 1298 ABGB regelt noch die Beweis­ lastumkehr hinsichtlich des Verschuldens. 179 Kornfeld, Leistungsunmöglichkeit, S. 97-104, insbes. S. 101; Rabel, Zur Lehre von der Unmöglichkeit der Leistung nach österreichischem Recht, S. 831 f.; Handelsgericht Wien v. 23. Oktober 1914, JB1 1915, 258 (259); zum Meinungsstand vgl. Halpern, Die Berück­ sichtigung der Kriegsereignisse bei Erfüllung gegenseitiger Verträge, Gerichtshalle 1918, 193-195; Klang, Die Unerschwinglichkeit der Leistung, Wien 1921. 180 Übersicht über die Literatur bei: Mayr, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechtes, Bd. 2, Reichenberg 1923, S. 170, Anm. 8; Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Bd. 2, HbBd. 1, Wien 1928, S. 352-354; Aktuelle Entwicklungen zur Uner­ schwinglichkeit: Pisko/Gschnitzer, Kommentar zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, Anm. B II zu § 1447. ^Kornfeld, Leistungsunmöglichkeit,S. 102-104.

dieser Leistungsunmöglichkeit die Aufhebung des Vertrages und die Befrei­ ung von der Lieferungspflicht angenommen werden müssen.“182 Aber nur ausnahmsweise, aufgrund von allgemeinen Zumutbarkeitserwägungen, sollte dem Schuldner geholfen werden. Der Oberste Gerichtshof stellte im Oktober 1915 klar: „Die Einrede der Unerschwinglichkeit kann auf der Er­ wägung gegründet werden, daß man einem Schuldner nicht zumuten kann, um seiner Erfüllungspflicht nachzukommen, seine eigene Existenz zu op­ fern. Diese Einrede setzt also eine ganz anormale, übermäßige Leistungs­ notwendigkeit voraus, die ihm nicht zugemutet werden darf.“183 Lange vor dem 3. Senat des deutschen Reichsgerichts war damit das Kriterium der wirtschaftlichen Existenzvernichtung benannt. Diesseits des wirtschaftlichen Ruins war die Rechtsprechung weit weniger geneigt, dem Schuldner nach­ vertragliche Entwicklungen zugute zu halten. In einigen Urteilen wird eine großzügigere Annahme der Unerschwinglichkeit angedeutet. So erklärt das Gericht in einem Fall, die Unerschwinglichkeit liege „gewiß“ vor, „wenn die Leistung Opfer fordert, die dem Schuldner vernünftigerweise nicht zu­ gemutet werden können“.184 Ein andermal soll dem Schuldner mittels der Unmöglichkeit geholfen werden, „wenn die Erfüllung unter Aufwendung außergewöhnlicher, außer jedem Verhältnis zu der wirtschaftlichen Lei­ stungsfähigkeit des zur Lieferung Verpflichteten stehenden Opfer möglich wäre [...]“185 Die praktische Wirkung dieser Urteile darf nicht überschätzt werden. In all diesen Fällen ist dem Schuldner nicht geholfen worden, weil die Erfüllungsopfer nicht das erforderliche Maß erreicht hatten. Nach dem Krieg wurde zudem wieder betont, daß nur im Falle einer drohenden Ver­ nichtung der wirtschaftlichen Existenz geholfen werden sollte.186 Neben dem Einwand der wirtschaftlichen Existenzvemichtung konnte der Schuldner noch den Vorwurf der unverhältnismäßigen Bereicherung gegen den Gläubiger erheben. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist dieser Vorwurf begründet, sofern die „ganz ungerechtfertigte und unverhältnismä­ ßige Bereicherung des einen Teiles“ mit einer „unverhältnismäßigen Schä­ digung des anderen Teiles“ zusammentrifft. Denn „unter solchen Umstän­ den auf der Erfüllung des Vertrages zu beharren würde gegen die guten Sit­

182 OGH v. 26. Oktober 1915, JB11915,613. 183 OGH v. 26. Oktober 1915, JB1 1915, 613 (614); vgl. noch: OGH v. 28. September 1915, ZB134 (1916), 72 (74); OGH v. 5. Oktober 1915, Gerichtshalle 1915,766 (767); OGH v. 29. Februar 1926, ZB1 35 (1917), 435. 184 OGH v. 29. Februar 1926, ZB135 (1917), 435. 185 OGH v. 8. Mai 1917, Fuchs (1918), 12. 186 OGH v. 3. Februar 1920, ZB1 39 (1921), 530 (533); OGH v. 28. Juni 1921, ZB139 (1921), 441 (442).

ten verstoßen“.187 Die beiden Voraussetzungen werfen Fragen auf. Der Gläubiger hat einen Anspruch auf die Leistung; wie also kann diese eine ungerechtfertigte Bereicherung zur Folge haben? Es droht eine petitio principii. Fragwürdig ist auch das Kriterium des unverhältnismäßigen Schadens. Der Gedanke der Unverhältnismäßigkeit ist dem österreichischen Vertrags­ recht nicht fremd. Man verglich hierbei die Kosten der Realerfüllung mit dem durch diese geschaffenen Wert. Je größer die Diskrepanz, um so größer der durch die Erfüllung verursachte Schaden. Steigt aber mit den Erfül­ lungskosten nicht häufig auch der Wert der Sache? Wenigstens in einer kriegsbedingten Mangelsituation ist der Einwand nicht von der Hand zu weisen. Der Oberste Gerichtshof sah das nicht so. In einem Urteil ist die Rede davon, daß es gegen die guten Sitten verstoßen könnte, „die schuldige Leistung in natura zu verlangen“.188 In einem weiteren Fall wird die Einre­ de der unverhältnismäßigen Bereicherung in Aussicht gestellt, „wenn die Preissteigerung in einem ganz abnormalen, exzessiven Umfang eingetreten ist und der Schuldner dadurch zu einem außerordentlichen, zu dem wahren Werte der Sache in keinem Verhältnisse stehenden Aufwande genötigt wä­ re“.189 Die durch den Krieg eingetretene Preissteigerung wird nicht als wah­ rer, im Leistungsgegenstand angelegter Wert anerkannt. Damit ist auch die erste Frage beantwortet. Die im Weiterverkauf abschöpfbare Preissteigerung ist in dem Gegenstand der geschuldeten Leistung nicht angelegt und nimmt daher nicht teil an der bereicherungsrechtlichen causa. Der Vorwurf der unverhältnismäßigen Bereicherung und Schädigung wä­ re eigentlich geeignet gewesen, alle problematischen Verträge zu Lasten des Gläubigers zu beseitigen. So weit ist es aber nicht gekommen. Der Vorwurf wurde marginalisiert durch weitere Kriterien, insbesondere durch das Krite­ rium des Ruins. Es war schon bald ständige Rechtsprechung, kriegsbedingte außerordentliche Preiserhöhungen der Unmöglichkeit dann gleichzustellen, „wenn die unter diesen Umständen vom Verkäufer zu erbringende Leistung ihm ein unverhältnismäßiges, seine wirtschaftliche Existenz gefährdendes Opfer auferlegen, den Verkäufer aber ohne Grund bereichern würde“.190 Zu­ dem war der Vorwurf an sich - also jenseits des Ruins - nur geeignet, die Naturalleistung zu beeinträchtigen. Er beseitigte nicht die Ersatzpflicht. Für die Höhe der Ersatzpflicht sollte der Gedanke der unverhältnismäßigen Be­ 187 OGH v. 1. Juli 1915, JB1 1915, 444; in diesem Sinne noch: OGH v. 8. Februar 1916, Fuchs 1916,4; OGH v. 7. Juli 1915, ZB133 (1915), 812. 188 OGH v. 28. September 1915, ZB1 34 (1916), 72 (74); Kreis, Gegen die Guten Sitten, JB11915,459 f. 189 OGH v. 14. März 1916, Fuchs 1917,2 (3). 190 OGH v. 9. Dezember 1920, OGHE 2 (1920), 342 (344); in diesem Sinne schon: OGH v. 28. September 1915, ZB1 34 (1916), 72 (74).

reicherung aber eminent wichtig werden. Die schlichte Differenz zwischen Vertragspreis und Tagespreis, die normalerweise der abstrakten Schadens­ berechnung zugrunde liegt, wurde gerade in den problematischen Fällen nicht anerkannt. Die hohen Kriegspreise seien nicht das Ergebnis eines normalen freien Verkehrs, hielt der Gerichtshof fest.191 Die Gerichte setzten gemäß § 273 ZPO den Betrag der Ersatzleistung nach freiem Ermessen fest. Die Judikatur prüfte dabei nicht den aktuellen Wert der ausgebliebenen Lei­ stung, sondern den angemessenen Gewinn. Das hatte den Vorteil, daß ge­ ringe Einkaufspreise, wie sie insbesondere durch die Vorkriegsverträge re­ gelmäßig gegeben waren, berücksichtigt werden konnten. Einem Kaufmann, der einen entgangenen Gewinn von 280 % einforderte, wurde entgegenge­ halten, es verstoße gegen die guten Sitten, daß ein leistungspflichtiger Schuldner „einen ganz unverhältnismäßigen, außerhalb jeder Berechnungs­ möglichkeit stehenden Schaden erleiden müsse, damit sich mit demselben sein Abnehmer infolge der durch den langen Kriegszustand bedingten, gera­ dezu abenteuerlichen Preissteigerung bereichern könne“.192 Das war kein Einzelfall. Auch in anderen Fällen wurde der Gewinn auf das Friedensni­ veau gedrückt.193 Dem Gläubiger wurde nicht der Vorteil der Vertragslei­ stung, wohl aber der der zwischenzeitlichen Konjunkturänderung vorenthalten. Die Friedensdividende stand ihm zu, nicht der Kriegsgewinn. Die Verlagerung des Problems in die Schadensberechnung bot den Vor­ teil, daß ein wirtschaftlicher Kompromiß zwischen Gläubiger und Schuldner möglich wurde. Dem Gläubiger wurde der vertragliche Anspruch nicht voll­ ständig genommen, und der Schuldner blieb der ungünstigen Kriegskon­ 191OGH v. 14. März 1916, Fuchs 1916,40; OGH v. 11. April 1917, Fuchs 1917,35 (36): „weil unter den gegenwärtigen außergewöhnlichen wirtschaftlichen Verhältnissen die natürli­ che Preisbildung aus Angebot und Nachfrage durch zahlreiche anderweitige Einflüsse ge­ hemmt wird, also dem Marktpreise, sofern von einem solchen noch gesprochen werden kann, nicht jene Bedeutung zukommt, die er unter normalen Preisen besitzt [...]“ OGH v. 12. Juni 1917, Fuchs 1918,54 (55 f.): „Da kein regelmäßiges Angebot in der Ware vorhanden ist, da derjenige, der dieselbe braucht, gar nicht die Wahl hat, eine andere Ankaufgelegenheit zu su­ chen oder abzuwarten, da die sogenannten Marktpreise aus der Notlage der einen und dem Diktat der anderen hervorgehen in OGH v. 21. November 1916, Fuchs 1917, 40, ist gar von „Wucherhandel“ die Rede. 192 OGH v. 4. April 1916, Fuchs 1916,39. 193 OGH v. 24. April 1917, Fuchs 1917, 33: „Zur Zeit des Krieges, der alle Bürger des Staates in einen gemeinsamen Notstand versetzt, bei einem Geschäft mit Rücksicht auf die Kriegsfolgen einen 860%igen Gewinn zu berechnen, verstößt gegen die guten Sitten im Ver­ kehre und ist nach den §§ 878, 879 ABGB unzulässig.“ Gegen einen 320%igen Gewinn: OGH v. 6. März 1917, Fuchs 1917,34 (35); OGH v. 6. März 1917, Fuchs 1917, 34 (35) setzt an die Stelle des geforderten 320%igen Gewinns einen solchen von 15 %. Ebenfalls 15% be­ kommt der Käufer in OGH v. 13. März 1917, Fuchs 1917,35, zugesprochen, da zu würdigen sei, „daß Kaufleute in der Regel mit einem Gewinn von ungefähr 19 % rechnen“.

junktur nicht schutzlos ausgesetzt. Im Einzelfall stieß diese Berechnung freilich auf Probleme. Der Krieg ließ sich eben nicht fortreden. Ein Gläubi­ ger, der die nicht erlangte Leistung benötigte, konnte sich nur zu den Bedin­ gungen der Kriegslage ersatzweise eindecken. Der Oberste Gerichtshof sah gleichwohl keinen Grund, den tatsächlich vorgenommenen Deckungskauf zu berücksichtigen: „Er [der Gläubiger] durfte an der Ware [...] und ohne Rücksicht auf den Marktpreis nicht mehr als den angemessenen Nutzen ver­ dienen und dieser betrug gewiß bei höherem Einkaufspreis nicht weniger als bei dem geringeren.“194 Der Gläubiger wurde allen Ernstes darauf verwie­ sen, daß ein hoher Deckungskauf einen entsprechend erhöhten Weiterver­ kaufspreis rechtfertige, so daß aus der niedrigeren Gegenleistung des streiti­ gen Vertrags nicht notwendig ein höheres Interesse an dessen Erfüllung fol­ ge. Nur ein tatsächlich entstandener Schaden sollte eine höhere Ersatzlei­ stung nach sich ziehen.195 196 Ein weiteres Problem stellte sich, sofern der Schuldner den verpönten Gewinn selbst mit der an sich geschuldeten Ware machte. Der 2. Senat des OGH fragte sich tatsächlich, „warum [...] gerade der Vertragstreue Käufer sich mit einem »angemessenen4 entgangenen Ge­ winn zufrieden stellen und dadurch etwa dem säumigen Verkäufer die Gele­ genheit zur allfälligen [...] übermäßigen Bereicherung zum eigenen Scha­ den bieten soll".196 Der Senat wollte deshalb dem Gläubiger den höheren Gewinn zukommen lassen. Der 6. Senat des OGH sah das anders. Der Ein­ wand sei unsittlich. Denn der Gläubiger berufe sich „auf ein Recht der Aus­ nützung des durch die Kriegslage geschaffenen Mangels an Ware und [...] auf eine die Allgemeinheit aus Eigennutz schädigende Preissteigerung“.197 Der Streit ist weniger gravierend, als er klingt. Der Gläubiger hatte es in der Hand, einen beim Schuldner befindlichen Leistungsgegenstand unmittelbar einzuklagen. Besaß der Schuldner die geschuldete Ware bereits, so konnte er dem Erfüllungsbegehren des Gläubigers nicht mehr den Einwand der Schädigung entgegenhalten. Ein drittes, eher marginales Problem schuf die staatliche Preisreglementierung. Zuerst weigerte sich der OGH, die staatli­ chen Preisverordnungen gewinnmindernd zu berücksichtigen. Dem Schuld­ ner stehe es nicht zu, „dieses der Allgemeinheit zu bringende Opfer sich zu­ zueignen“, begründet er seine Ansicht.198 In späteren Urteilen wird diese fragwürdige Position rasch aufgegeben. Nun heißt es, der Schuldner könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß dem Gläubiger ein verbote­ 194 OGH v. 3. Juli 1917, Fuchs 1918,47 (49). 195 OGH v. 12. Juni 1917, Fuchs 1918, 54 (56); OGH v. 3. Juli 1917, Fuchs 1918, 47 (50); OGH v. 9. Oktober 1917, Fuchs 1918,53. 196 OGH v. 25. September 1917, Fuchs 1918,57. 197 OGH v. 13. November 1917, Fuchs 1918,51. 198 OGH v. 16. Mai 1916, Fuchs 1916,35 (36).

ner Gewinn entgangen sei.199 Das ist fraglos richtig. Die staatliche Preis­ regulierung stützt ja gerade die Judikatur. Beide wollen dem Gläubiger nur einen „bürgerlichen Gewinn“ zugestehen.200 Sollte der Schuldner die Verpflichtung nach dem Kriegsausbruch über­ nommen haben, so sah er sich vor österreichischen Gerichten denselben Einwänden ausgesetzt wie vor deutschen. „Bei jeder Unmöglichkeit der Lei­ stung ist eine solche nachträgliche Veränderung der Umstände vorausge­ setzt, welche der Schuldner nicht voraussehen konnte“, erkannte der kaiser­ lich-königliche Oberste Gerichtshof.201 Sein Nachfolger, der Oberste Ge­ richtshof der Republik (Deutsch-)Österreich, sah das nicht anders.202 Selbst mit dem Einwand der wirtschaftlichen Existenzvernichtung sollte der Schuldner nun nicht mehr gehört werden. „In der ersten Kriegszeit, in der die Steigerung der Warenpreise den an Stabilität der Preise gewöhnten, mit einem kleinen Nutzen rechnenden legitimen Kaufmann überraschte und in seiner Existenz bedrohte, ließen die Gerichte diese Einrede unter Umständen zu“, betonte der Oberste Gerichtshof den Ausnahmecharakter der Rechtsfi­ gur der Unerschwinglichkeit. „Später gewöhnte sich der Handel an die star­ ken Schwankungen der Preise, die mit der Geldentwertung und dem Wa­ renmangel Hand in Hand gingen, und glich das mit der Preissteigerungsge­ fahr verbundene Risiko durch Hinaufsetzung der Gewinne aus.“203 Das Reichsgericht hatte sich für die späteren Verträge bekanntlich mit besonde­ ren Ereignissen, dem Kriegseintritt der USA, der Kriegsniederlage, der Re­ volution und schließlich der Geldentwertung beholfen. Der österreichische Oberste Gerichtshof hatte diese Umwege nicht nötig. Das Gesetz vom 4. April 1919 über die Errichtung von Einigungsämtern für Streitigkeiten aus bestimmten Lieferungsverträgen sicherte die Fortsetzung der schuldner­ freundlichen Linie. Alle zwischen dem 1. Januar 1915 und dem 1. Novem­ ber 1918 abgeschlossenen Warenlieferungsverträge konnten demnach einem Einigungsamt vorgelegt werden, sofern „durch deren vertragsmäßige Erfül­ lung einem Teile infolge der durch den Ausgang des Krieges verursachten 199 OGH v. 27. Februar 1917, Fuchs 1917,34. 200 OGH v. 6. Februar 1917, Fuchs 1917, 37 (39); OGH v. 24. April 1917, Fuchs 1917, 33 (34); OGH v. 11. April 1917, Fuchs 1917, 35 (36); vgl. noch Halpern, Die Berücksichti­ gung der Kriegsereignisse bei Erfüllung gegenseitiger Verträge, Gerichtshalle 1918, 211 f. m.w.N. 201 OGH v. 29. Februar 1916, GZ 68 (1917), 160. 202 OGH v. 9. Dezember 1920, OGHE 2 (1920), S. 345: „Er [der Schuldner] darf sich seiner Erfüllungspflicht nicht wegen einer angeblichen Unerschwinglichkeit der Leistung entschlagen, die er bei Eingehung des Geschäftes als möglich und wahrscheinlich ins Auge fassen mußte“; in diesem Sinne auch: OGH v. 14. Januar 1919, JB11920, 187; OGH v. 3. November 1920, OGHE 2 (1920), 310 (311). 203 OGH v. 1. Juli 1921, ZB139 (1921), 530 (533).

wirtschaftlichen oder politischen Veränderungen ein unverhältnismäßiger und unbilliger Nachteil entstehen könnte“.204 Wie in der bisherigen Recht­ sprechung auch sollten die Sondergerichte die fraglichen Verträge aufheben und entstandene Schadensersatzansprüche mindern können. Darüber hinaus waren nun, nach „Grundsätzen der Billigkeit“, auch inhaltliche Änderungen möglich. Die Leistung konnte zeitlich verschoben werden, selbst Preis­ nachlässe und Abstandszahlungen sollten nun erzwingbar sein.205 206 Der rich­ terlichen Gestaltungsfreude waren kaum noch Grenzen gesetzt. Das über­ kommene Vertragsrecht war damit verlassen. b) Frankreich

Die französische Rechtsprechung der Kriegs- und Krisenzeit ist schnell er­ zählt. In ständiger Rechtsprechung wurde seitens der Zivilgerichte darauf hingewiesen, „que la guerre n’est pas ipso facto un cas de force majeure; qu 'eile ne saurait etre consideree comme teile que si les consequences qufeile a entrainees avaient mis le debiteur dans l’impossibilite absolue de remplir ses obligations, mais non pas dans le cas oü l'excution du contrat serait seulement rendue plus difficile ou plus onereuse“; des weiteren wurde festgestellt, „qu’on ne saurait reprocher ä cette solution d’etre contraire ä l’equite, de ne pas tenir compte des evenements et de faire supporter aux vendeurs seuls les consequences des malheurs publics; que, d'une part, on ne peut, sous pretexte d'quit, demander aux tribunaux de corriger les rigueurs du sort"; den Schuldnern wurde vor Augen gehalten „que leur missi­ on consiste uniquement ä faire respecter les conventions librement consenties [...]4206

204 § 2 Gesetz vom 4. April 1919 über die Errichtung von Einigungsämtem für Streitig­ keiten aus bestimmten Lieferungsverträgen, Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich 1919,525. 205 § 4 Abs. 2 Gesetz vom 4. April 1919 lautet: „Bei Anwendung der Grundsätze der Bil­ ligkeit steht es dem Einigungsamte frei, den Vertrag ganz oder teilweise aufzuheben oder abzuändem. Es kann insbesondere, ungeachtet entgegenstehender Vertragsklauseln, den Scha­ den unter die Vertragsteile unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse aufteilen, Vertragsstrafen und das Maß des Schadensersatzes herabsetzen, die Vertragserfüllung ganz oder teilweise, bedingt oder unbedingt aufschieben oder aussprechen, daß der Vertrag hin­ sichtlich der noch nicht oder nach Zustellung einer Erklärung gemäß § 23 erzeugten oder fertiggestellten Warenmengen, allenfalls gegen Entrichtung eines Abstandsgeldes, aufgeho­ ben wird oder daß die Waren mit bestimmten Preisnachlässen oder daß Ersatzware zu über­ nehmen oder daß nur teilweise zu liefern ist.“ Eine wichtige Einschränkung befindet sich noch in § 4 Abs. 4: „Zugunsten einer Partei oder eines Beteiligten (§ 22), die nicht schon vor dem 1. Juli 1914 Geschäfte gleicher Art wie der strittige Warenlieferungsvertrag betrieben haben, sind die Grundsätze der Billigkeit nicht anzuwenden.“ Staatsgesetzblatt 1919,525. 206 Cour d'appel v. 21. Dezember 1916, Dalloz 1917, part. 2,33 (36).

Im Code civil war diese rigorose Haltung nicht unbedingt angelegt. Der CC kennt mehrere Gründe, die eine Haftung wegen Nichterfüllung auszu­ schließen geeignet sind. Da verhindert zum einen in Art. 1147 CC die frem­ de Ursache (cause etrangere), die dem Schuldner nicht zugerechnet werden könne, die Haftung.207 In Art. 1148 schließen die höhere Gewalt (force ma­ jeure) und der Zufall (cas fortuit) die Haftung des Schuldners aus.208 Schließlich begrenzt der Art. 1150 CC den Anspruch auch der Höhe nach auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbaren Interessen und Schäden 209 Diese Ansätze wurden nicht genutzt. Dagegen bekam die abso­ lute Unmöglichkeit (l’impossibilite absolue) eine zentrale Position, obwohl sie als Rechtsbegriff im CC überhaupt nicht auftaucht. Ansatzweise findet sich die Unmöglichkeit im § 1302 CC. Demnach erlischt der Vertrag, wenn eine genau bestimmte Sache ohne Verschulden des Schuldners zugrunde geht, außer Verkehr gesetzt wird oder dergestalt verloren wird, daß man von ihrer Existenz nichts mehr weiß.210 Allgemein wurde auch die force majeure des Art. 1148 CC im Sinne einer absoluten Unmöglichkeit verstanden und marginalisiert. Zur Erinnerung: die force-majeure-Klausel der deutschen Kautelarjurisprudenz sollte auch die bloße Leistungserschwerung erfassen. Die enge Praxis der französischen Justiz entspringt einer Vertragstheorie, die den Gedanken der Selbstbindung in aufklärerischer Konsequenz um­ setzte. Stärker noch als das deutsche trennt das französische Vertragsrecht zwischen dem Vertrag und dem ihn hervorbringenden parteilichen Willen. Der Vertrag wird objektiviert. Er wirke für die Parteien wie ein Gesetz, hält Art. 1134 Abs. 1 CC fest.211 Das wurde von der Rechtsprechung durchaus ernst genommen. Der Richter nahm für sich keine rechtsgestaltende und in der Regel nicht einmal eine vertragsbewertende Funktion in Anspruch. Die

207 Art. 1147 CC: „Le debiteur est condamne, s’ il y a lieu, au paiement de dommages et intrts, soit ä raison de l'inexcution de 1'Obligation, soit ä raison du retard dans l’execution, toutes les fois qu’il ne justifie pas que lnexcution provient d’une cause etrangere qui ne peut lui etre imputee, encore qu il n‘y ait aucune mauvaise foi de sa part.“ 208 Art. 1148 CC: „I1 n‘y a lieu ä aucuns dommages et interets lorsque, par suite d’une force majeure ou d*un cas fortuit, le debiteur a ete empch de donner ou de faire ce ä quoi il etait oblige, ou a fait ce qui lui tait interdit.“ 209 Art. 1150 CC: „Le debiteur n’est tenu que des dommages et interets qui ont ete prevus ou qu’on a pu prevoir lors du contrat, lorsque ce n’est point par son dol que l’obligation n’est point executee.“ 210 Art. 1302 CC: „Lorsque le corps certain et dtermin qui etait l’objet de l’obligation, vient ä perir, est de mis hors du commerce, ou se perd de maniere qu’on en ignore absolument l’existence, l’obligation est eteinte si la chose a peri ou a ete perdue sans la faute du debiteur, et avant qu’il füt en demeure. [...]“ 211 Art. 1134 Abs. 1 CC: Les conventions legalement formees tiennent lieu de loi ä ceux qui les ont faites.

Haftung im Falle der Nichtleistung beruhte auf dem Gedanken der Zure­ chenbarkeit, nicht des Verschuldens (Art. 1142 CC). Gesellschaftliche Werte, wie die bonne foi des Art. 1134 Abs. 3 CC oder die soins d*un bon pere de famille des Art. 1137 Abs. 1 CC, wurden über den engen Anwen­ dungsbereich der Normen hinaus nicht zu allgemeinen Rechtsprinzipien fortentwickelt. Sofern die Parteien es versäumten, dem Vertrag eine zeitli­ che Grenze zu geben oder ihn einvernehmlich aufzuheben, konnte er im Grunde Jahrhunderte überdauern. Diese Konsequenz war nicht unumstritten. In der Literatur hatte sich eine theorie de rimprevision herausgebildet, die jenseits des Vorhersehbaren den Schuldner weniger rigoros an dem Vertrag festhalten wollte. Das von den Parteien Gewollte sollte in diesen Fällen stärker zum Vorschein treten. Diese Lehre hat sich aber selbst in der Situa­ tion des Krieges nicht durchzusetzen vermocht.212 Drei Voraussetzungen mußten erfüllt sein, um den Schuldner von Schuld und Haftung zu befreien. In erster Linie wurde ein Hindernis verlangt, wel­ ches die Erfüllung unmöglich machte. Von ,4’impossibilite d’executer le contrat“213 ist meistens die Rede, manchmal auch von einem „obstacle insurmontable" 214 Nicht genügen sollte der Fall „oü l’execution du contrat se­ rait seulement rendue plus difficile ou plus onereuse“ 215 Diese Hindernisse mußten zweitens auf Umständen beruhen, die nicht vorhersehbar gewesen waren, sog. „circonstances impossibles ä prevoir“ 216 und die, drittens, dem Schuldner nicht zugerechnet werden konnten.217 Die letzten beiden Voraus­ setzungen waren angesichts der kriegsbedingten Störungen weniger rele­ vant. Den Schuldner belastete vor allem das erste Kriterium. Einem Fabri­ kanten, der selbst herzustellende Waren zu liefern versprochen hatte, wurde entgegengehalten: „les etablissements [...] ne sont pas places dans le terri-

212 Philippe, Changement de circonstances et bouleversement de l’economie contractuelle, S. 60-63 und S. 79; anders bei Verträgen mit öffentlich-rechtlichem Bezug: a.a.O., S. 71­ 105. 213 Cour de Caen v. 24. Februar 1915, Dalloz 1916, 2, 22 (23); Tribunal commerce de la Seine v. 11. Mai 1915, Dalloz 1917, 2, 47; Tribunal commerce de la Seine v. 6. Juli 1915, Dalloz 1917, 2, 48; in diesem Sinne wurde schon 1872 wegen der Blockade von Paris im deutsch-französischen Krieg 1870/71 geurteilt: Cour de Paris v. 16. Oktober 1871, Dalloz 1873,1,78 (79). 214 Conseil dEtat, Urt. v. 3. Juli 1912, Dalloz 1916, 3, 3; Cour de Paris v. 21. Dezember 1916, Dalloz 1917,2,33 (36). 215 Cour de Paris v. 21. Dezember 1916, Dalloz 1917, 2, 33 (36); Tribunal commerce de la Seine v. 6. Juli 1915, Dalloz 1917, 2, 48; so schon: Cour d'appel de Lyon v. 4. Januar 1872, Dalloz 1872,2,225 (226). 216 Tribunal commerce de la Seine v. 6. Juli 1915, Dalloz 1917, 2, 48; Cour d'appel de Paris v. 21. Dezember 1916, Dalloz 1917,2,33. 217 Cour de Cassation v. 19. November 1872, Dalloz 1873,1,215 (216).

toire envahi par l’ennemi, ni dans le voisinage de la region oü combattent les armees.“218 Neben der feindlichen Invasion und der Lage im unmittelbaren Kriegsgebiet konnte der Fabrikant nur einwenden, er habe in so großem Umfang Verträge mit dem Kriegsministerium abgeschlossen, daß er die Friedensverträge nicht mehr erfüllen konnte. Denn „il est evident qu’elle [die Schuldnerin] ne pouvait se refuser ä conclure les marches que lui demandait 1’Administration de la guerre dans l'intrt superieur de la defense nationale“.219 Für das deutsche Reichsgericht war das in vergleichbaren Fällen weitaus weniger evident. Doch mag die französische Kriegswirt­ schaft hier anders strukturiert gewesen sein. Auf eine Frustration der Ko­ sten- und Ertragsplanung konnte der Fabrikant sich nicht berufen. Es ist schon beinahe unnötig zu erwähnen, daß den schlichten Händler eine kriegsbedingte Preissteigerung auch nicht entlasten konnte 220 Wie das Ge­ richt bereits in dem eingangs zitierten Urteil festgehalten hatte: „on ne peut, sous pretexte d’equite, demander aux tribunaux de corriger les rigueurs du sort.“ Nur der Conseil d'tat, der oberste Staatsgerichtshof, wich von dieser re­ striktiven Linie ab. Die Stadt Bordeaux hatte eine Konzession über Vertei­ lung und Verkauf von Elektrizität und Gas an die Compagnie generale de Bordeaux erteilt. Der 1904 hierzu abgeschlossene Vertrag hatte eine vorge­ sehene Laufzeit von 30 Jahren und legte die Preise für Elektrizität und Gas fest. Nachdem der Kohlepreis - die Kohlevorkommen Belgiens und Nord­ frankreichs befanden sich jenseits der Front in deutschen Händen - extrem gestiegen war, stellte sich die Frage, ob die Gesellschaft noch an das verein­ barte Preisgefüge gebunden sein sollte. Der Conseil d'tat hielt fest, „que l’economie du contrat se trouve absolument bouleversee“.221 Anders als die Zivilgerichte, die den Gedanken der Vertragstreue hochhielten, betonte der Conseil d'tat, „qu’il importe, au contraire, de rechercher, pour mettre fin ä des difficultes temporaires, une solution qui tienne compte tout ä la fois de l’interet general, lequel exige la continuation du Service par la Compagnie ä l’aide de tous ses moyens de production, et des conditions speciales qui ne permettent pas au contrat de recevoir son application normale.“222 Im öf­ 218 Cour d’appel de Caen v. 24. Februar 1915, Dalloz 1916, 2, 23; mit gleicher Begrün­ dung war schon im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 geurteilt worden: Cour d’appel de Lyon v. 4. Januar 1872, Dalloz 1872,2,225 (226). 219 Cour tribunal de Bastia-MM. v. 15. Juni 1915, Dalloz 1916, 2, 24 f.; zu den Staats­ aufträgen vgl. Zweigert, in: Kegel, Rupp und Zweigert, Die Einwirkung des Krieges auf Ver­ träge, S. 235 m.w.N. 220 Zur Preiserhöhung vgl. Zweigert, a.a.O., S. 239 f. m.w.N. 221 Conseil d'Etat v. 30. März 1916, Dalloz 1916,3,25 (33). 222 Conseil d’Etat v. 30. März 1916, Dalloz 1916,3,25 (33).

fentlichen Interesse sollte eine pragmatische Lösung gefunden werden. Als rechtliche Basis der Entscheidung dienten erstens „le bouleversement ou le depassement de l’ala contractuel“, zweitens die besondere Schwere, „1 ‘ag­ gravation considerable“, sowie drittens die Unvorhersehbarkeit. Diese drei Kriterien ließen sich natürlich auch auf andere, insbesondere zivilrechtliche Verträge übertragen. Anders steht es aber mit der Intention des Conseil d’Etat. Maßgebend war eben das besondere öffentliche Interesse an einer ge­ sicherten Energieversorgung. Die Zivilgerichte sahen auch keinen Grund, ihre Entscheidungspraxisdes zu ändern. Am 21. Januar 1918 reagierte der Gesetzgeber auf die richterliche Härte durch das „Loi relative aux marches ä livrer et autres contrats commerciaux conclus avant la guerre“.223 Dieses auch „Loi Faillot" genannte Gesetzes­ werk wandte sich an Vorkriegsverträge mit Handelscharakter, sofern diese Warenlieferungen oder andere, betagte oder sukzessive Leistungen beinhal­ teten 224 Auf Verlangen einer Seite konnten die Verträge durch ein Gericht aufgeschoben oder aufgehoben werden, sofern feststand, daß die Erfüllung der Verpflichtungen einer Vertragspartei infolge des Kriegszustandes mit Lasten verbunden wäre oder einen Schaden verursachen würde, welcher das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vernünftigerweise voraussehbare Maß überschreiten würde.225 Gegebenenfalls hatte das Gericht zudem über eine ausgleichende Ersatzleistung zu entscheiden. In sehr engen Grenzen wurde dem von dem Krieg überraschten Schuldner also doch noch geholfen.

c) Schweiz Auch das schweizerische Obligationenrecht sieht hier keine generelle Lö­ sung vor. Gleichwohl eröffnet es dem Richter mehr Gestaltungsmöglich­ keiten als alle bislang dargestellten Rechtsordnungen. Der allgemeine Teil des schweizerischen Obligationenrechts (OR) kennt, wie das deutsche BGB 223 Journal officiel du 23. Janvier 1918, abgedruckt in: Dalloz 1918,4,261-267. 224 Loi relative aux marches ä livrer et autres contrats commerciaux conclus avant la guerre, Art. 1: „Pendant la duree de la guerre et jusqu’ä l’expiration d'un delai de trois mois ä partir de la cessation des hostilites, les dispositions exceptionnelles suivantes sont applicables aux marches et contrats ayant un caractere commercial, pour les parties ou pour l'une d’elles seulement, qui ont ete conclus avant le 1er aoüt 1914 et qui comportant soit des livraisons de marchandises ou de denrees, soit d'autres prestations, successives ou seulement diffres." 225 Loi relative aux marches ä livrer et autres contrats commerciaux conclus avant la guerre, Art. 2 Abs. 1: „Independamment des causes de resolution resultant du droit commun ou des conventions, les marches et contrats vises dans l’article precedent peuvent etre resolus sur la demande de l'une quelconque des parties, s'il est etabli qu'ä raison de l'etat de guerre l'execution des obligations de l'un des contractants entrainera des charges ou lui causera un prejudice dont l'importance depasserait de beaucoup les previsions qui pouvaient etre raisonnablement faites ä l'epoque de la Convention.“

auch, die nachträglich eintretende Unmöglichkeit als zentralen Befreiung­ statbestand, Art. 119 Abs. I.226 Die Unmöglichkeit half insbesondere bei Importhemmnissen rechtlicher Art; wegen der zahlreichen Exportverbote der kriegführenden Mächte waren diese Fälle keine Seltenheit.227 Ist das rechtliche Hindernis überwindbar oder liegt gar nur ein faktisches Hindernis vor, so war die Anwendung der Norm schon problematischer. Obwohl eine dem § 275 Abs. 2 BGB entsprechende Regelung fehlt, war man sich immer einig, daß unter die Unmöglichkeit auch das Unvermögen, also die subjekti­ ve Unmöglichkeit des gemeinen Rechts, zu fassen sei. Von vornherein wur­ de auch die übermäßige Erschwerung der Erfüllung unter den Begriff der Unmöglichkeit gefaßt 228 Dem Schuldner half diese großzügige Interpretati­ on der Unmöglichkeit gleichwohl nur selten weiter, da er sich weitreichend exkulpieren mußte. Einem zur Lieferung importierten Kupfers verpflichte­ ten Schuldner wurde beispielsweise aufgegeben nachzuweisen, „daß er wirklich alle geeigneten und ihm zuzumutenden Vorkehren getroffen habe, namentlich was die Ermöglichung des Transports und der Einfuhr anbe­ langt, um seiner Einfuhrpflicht zu genügen, und daß ihm deren Erfüllung trotz allem nicht gelungen sei“ 229 Das schweizerische Bundesgericht half insbesondere bei Importwaren über eine einschränkende Auslegung des Leistungsgegenstandes. Sofern der Schuldner eine Importfirma betrieb und die Preiskalkulation erkennbar von - regelmäßig billigerer - importierter Ware ausging, sah sich das Bundesge­ richt berufen, die Verpflichtung des Schuldners auf entsprechend zu impor­ tierende Ware zu beschränken. Einer Schuldnerin, die englische Voile zu liefern versprochen hatte, wurde bescheinigt: „Sie hatte sich unbestrittener­ maßen in England genügend eingedeckt und ein mehreres durfte von ihr nicht verlangt werden. Insbesondere war sie nicht verpflichtet, Voile engli­ scher Provenienz in der Schweiz aufzukaufen.“230 Auch die Leistungszeit wurde näher präzisiert, denn es könne „vernünftigerweise nicht die Meinung der Parteien gewesen sein, sich auf unabsehbare Zeit hinaus zu binden“. 226 Art. 119 OR: (1) Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen. (2) Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, daß ihm keinerlei Verschulden zur Last falle. 227 so etwa BG v. 15. Juli 1916, BGE 42 II 379 (381) 228 Zur Unmöglichkeitsrechtsprechung ausführliche Belege bei Siegwart, Der Einfluß veränderter Verhältnisse auf laufende Verträge nach der Praxis der schweizerischen Gerichte seit dem Kriege, S. 121-132. 229 BG v. 23. März 1917, BGE 43 II170 (177). 230 BG v. 18. Januar 1919, BGE 45 II 37 (42); vgl. noch: BG v. 9. März 1917, BGE 43 II 80; BG v. 23. März 1917, BGE 43 II170 (174 f.).

Dem Schuldner sei eine Aufrechterhaltung der Leistungspflicht nach Treu und Glauben nicht zuzumuten, „wenn die Verhältnisse sich inzwischen der­ art verändert haben sollten, daß die Lieferung nur zu ganz wesentlich er­ schwerten Bedingungen, insbesondere zu bedeutend höheren Preisen als denjenigen zur Zeit des Vertragsabschlusses, erfolgen könnte.“231 232 Man glaubt ein Urteil des Reichsgerichts zu lesen. Wie in der deutschen Recht­ sprechung galt die Preiserhöhung als irrelevanter Umstand, sofern ein Marktpreis noch vorhanden war. „La demanderesse avait accepte la papier dit ,simili Art" que l’on trouvait encore sur le marche, bien qu’ä des prix tres levs", hielt das Bundesgericht angesichts des Einwands der unmöglichen Papierbeschaffung dem Schuldner entgegen. „Si donc l’execution du contrat a rencontre des difficultes, eile ne s’est en tout cas pas heurtee ä un obstacle qui l’eüt rendue impossible."232 Im Werkvertragsrecht enthält das schweizerische Obligationenrecht eine, den Fall veränderter Umstände betreffende Sonderregel. Art. 373 Abs. 2 OR ermöglicht es dem Richter, „nach seinem Ermessen“ den Vertrag anzupas­ sen oder aufzulösen, sofern der Werkuntemehmer die Werkerstellung zu ei­ nem Festpreis zugesagt hatte und ,außerordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung hindern oder übermäßig erschweren [...]“233 Drei Kriterien werden hier ge­ nannt, die durchaus auch jenseits des Werkvertrags beachtlich sein könnten. Um eine „dem Werkvertrag analoge Verpflichtung“ handele es sich laut Bundesgericht bei der vom Vermieter übernommenen Nebenverpflichtung auf Lieferung von Energie 234 Die Analogie war in diesem Fall freilich nur Basis einer Hilfsbegründung. Ansonsten hielten sich die schweizerischen Gerichte mit Analogieschlüssen stark zurück 235 Das Bundesgericht lehnte eine Anwendung der Norm auf einen Kaufvertrag mit den Worten ab: „Il est 231 BG v. 28. Dezember 1918, BGE 44 II519 (526 f.). 232 BG v. 27. März 1922, BGE 48 II119 (124). 233 Art. 373 OR: „(1) Wurde die Vergütung im voraus genau bestimmt, so ist der Unter­ nehmer verpflichtet, das Werk um diese Summe fertigzustellen, und darf keine Erhöhung fordern, selbst wenn er mehr Arbeit oder grössere Auslagen gehabt hat, als vorgesehen war. (2) Falls jedoch außerordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung hindern oder übermäßig erschweren, so kann der Richter nach seinem Er­ messen eine Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrages bewilligen. (3)..." 234 BG v. 14. Juli 1921, BGE 47 II 314 (318 f.); das hat das BG nicht davon abgehalten, für die primär geschuldete Energielieferung einen Kaufvertrag anzunehmen: BG v. 3. No­ vember 1921, BGE 47 II 440,452. 235 Übersicht bei Siegwart, Der Einfluß veränderter Verhältnisse auf laufende Verträge nach der Praxis der schweizerischen Gerichte seit dem Kriege, S. 84-87.

dans l’esprit general du CO de s’en tenir ä l’adagepacta sunt servanda et une application par analogie de l'article 373, al. 2 CO ä d'autres contrats doit se faire avec une extreme prudence si l'on ne veut porter une serieuse atteinte ä la scurit des transactions."236 In den Fällen des Art. 119 Abs. 1 wie des Art. 373 Abs. 2 OR schränkte das Kriterium der Unvorhersehbarkeit die Anwendungsbereiche stark ein. Die schweizerischen Gerichte urteilten in Fragen der Voraussehbarkeit sehr streng. Es genügte bereits, wenn die nachteilige Entwicklung ins Auge ge­ faßt werden mußte.236 237 238 Natürlich galten die Auswirkungen des Krieges im Falle der betroffenen Vorkriegsverträge als unvorhersehbare Ereignisse. Aber für die meisten Verträge, die während der Krisenzeit geschlossen oder auch nur bestätigt wurden, war der Weg zu den beiden Normen versperrt. „Il ne faut pas oublier", stellte das Bundesgericht angesichts der Auswirkungen einer auf Grund des Krieges eingetretenen Papierpreiserhöhung fest, „que le contrat a ete renouvele en 1916, soit ä une epoque oü le bouleversement general provenant de la guerre s’etait dj produit, oü la crise economique allait s’accentuant, oü les prix augmentaient sans cesse et oü les relations commerciales offraient une grande inscurit."238 Eng verbunden mit dem Vorwurf der Vorhersehbarkeit war der des Verschuldens. So durfte ein Schuldner mit der Erfüllung nicht zu warten, wenn die Erfüllungsschwierig­ keiten sich abzeichneten.239 Noch eine weitere Norm verdient Beachtung. Das schweizerische Obli­ gationenrecht anerkennt in Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 einen Irrtum als wesentlich an, „wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde“240 Eingeschränkt wird diese Bestimmung durch den Abs. 2 der Norm: „Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.“ Das schweizerische Bundesgericht hat sich dieser Norm in den hier interessie­ renden Fällen nicht bedient. Woran lag dies? Zum einen an der Terminolo­ gie des „Irrtums“. Irren kann man sich, wie das Bundesgericht bereits kurz nach Kriegsbeginn feststellte, 241 nur über vorausgesehene oder doch vor­ 236 BG v. 4. Mai 1922, BGE 48 II 242 (247). 237 Übersicht bei Siegwart, Der Einfluß veränderter Verhältnisse auf laufende Verträge nach der Praxis der schweizerischen Gerichte seit dem Kriege, S. 107-113. 238 BG v. 27. März 1922, BGE 48II119 (125 f.). 239 BG v. 15. Dezember 1915, BGE 44 (1918) II510 (514). 240 Laut Fick wurde die Voraussetzungslehre Windscheids in das Gesetz eingefügt: Fick, Die „Clausula“ und die ,Aufwertung“ nach schweizerischem Recht, ZSR1925,157. 241 BG v. 27. Mai 1915, BGE 41 II 356 (365 f.); zustimmend: Fick, Die „Clausula“ und die ,Aufwertung“ nach schweizerischem Recht, ZSR 1925,166; Siegwart, Der Einfluß ver­

aussehbare Entwicklungen. Mit anderen Worten: Der Irrtum betrifft nicht das bloße Zukunftsrisiko, also das Risiko, welches bereits deshalb eintritt, weil die Zukunft prinzipiell offen ist. Hinzu tritt die Abgrenzung zum blo­ ßen Motiv. Die fehlerhafte Prognose zukünftiger Energiepreise beziehe sich „einzig auf die Vorstellung über die zukünftige Marktlage“ und könne des­ halb allenfalls ein „Irrtum im Beweggrund“ sein, stellte das Bundesgericht fest,242 weshalb sich der die Energie leistende Vermieter nicht auf einen Irrtum berufen könne, wenn ihn diese Nebenverpflichtung wegen gestiege­ ner Energiepreise teuer zu stehen komme. Der schweizerische Richter durfte sich aufgerufen fühlen, auch jenseits der normierten Regel nach einer Lösung zu suchen. Art. 1 Abs. 2 ZGB war bereits vor dem Krieg in der deutschen freirechtlichen Literatur wiederholt als vorbildgebend zitiert worden. Dabei zieht die Norm nur die Konsequenz aus dem Entscheidungszwang des Richters. Sie ordnet an: „Kann dem Ge­ setze keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Ge­ wohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen }vürde.u Abs. 3 fügt an: „Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“ Zu freirechtlichen Abenteuern hat sich der schweizerische Richter nicht verleiten lassen. Die von der Rechtspre­ chung judizierten Lösungen sind aber vielseitiger als die der anderen be­ sprochenen Rechtsordnungen. In der Tendenz hielten die westschweizeri­ schen Gerichte und der diesen vorangestellte 1. Senat des Bundesgerichts viel stärker an den Verträgen fest, während die deutsch-schweizerischen Ge­ richte und der 2. Senat des Bundesgerichts weniger Hemmungen hatten, die Verträge aufzuheben 243 Einen ersten Ansatzpunkt für die richterliche Kreativität bot der Ver­ tragszweck. Die Zweckerwartung des Gläubigers galt als gestört, sofern der Wert der Leistung durch nachträgliche Umstände objektiv gemindert wurde. Im Falle einer Pacht von Restaurationslokalitäten auf Schiffen des Ver­ pächters stellte das Bundesgericht fest, „dass der Vertragswille auf die An­ nahme des Weiterbestehens der beim Vertragsschlusse gegebenen tatsächli­ chen Verhältnisse gegründet war“. Da der fragliche Schiffsverkehr kriegs­ bedingt reduziert wurde, der Verpächter aber dem Pächter eben „nicht mehr änderter Verhältnisse auf laufende Verträge nach der Praxis der schweizerischen Gerichte seit dem Kriege, a.a.O., S. 141 f. 242 BG v. 14. Juli 1921, BGE 47 II 314 (316); eine Seite später wird allerdings die „ge­ wisse Stetigkeit der Preise“ als „Grundlage“ der Nebenverpflichtung des Vermieters zur Energielieferung bezeichnet; ein Irrtum über den Wert der Leistungspflicht wurde mittelbar anerkannt in: BG v. 27. Mai 1915, BGE 41II356 (364 f.). 243 Siegwart, Der Einfluß veränderter Verhältnisse auf laufende Verträge nach der Praxis der schweizerischen Gerichte seit dem Kriege, a.a.O., S. 163 f.

zumuten und dieser sich nicht zu mehr verpflichten wollte, als was nach den Geboten der Billigkeit und eines gerechten Interessenausgleichs bei der nachteiligen Wendung der Dinge verlangt werden kann“, wurde der Pacht­ zins schlicht herabgesetzt.244 Auch eine in der Person des Schuldners ange­ legte Möglichkeit der Verwendung konnte im Einzelfall in den Vertrag hin­ eingelesen werden, mit der Wirkung, daß ein Verwendungsfortfall die ver­ tragliche AbnahmeVerpflichtung mit sich ziehen sollte. Eine entsprechende „beiderseitige Voraussetzung“ wurde beispielsweise in den Stromabnahme­ vertrag eines Energieuntemehmens mit einem Fabrikanten hineingelesen. Als die Fabrik des Stromabnehmers abbrannte, entfiel zugleich die Abnah­ meverpflichtung.244 245 Im Ergebnis wurde, da der Vertragszweck im Vertrag nicht unmittelbar geregelt war, der Vertrag entsprechend ergänzend ausge­ legt. Die Hauptprobleme der Zeit lagen freilich woanders. Die kriegsbedingte Veränderung der Außenwirtschaftskontakte erschwerte und verteuerte alle Leistungen, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Auslandsbezug auf­ wiesen. Problematisch war insbesondere die bloße Verteuerung der Lei­ stung, da der Schuldner in diesen Fällen sich nicht auf die Unmöglichkeit der Leistung berufen konnte. In einer zentralen Entscheidung des Bundesge­ richts hatten sich die Kosten für Heizung in einem langfristigen Mietvertrag verteuert. Ein Vermieter hatte die Räumlichkeiten inklusive Heizung ver­ mietet. Die Heizungspflicht sei nur ein nebensächlicher Bestandteil der Vertragsleistung, hielt das Bundesgericht fest. Deshalb konnte „die hierfür in die Preisfestsetzung eingerechnete Entschädigung nicht anders, als im Sinne eines Ersatzes der durch die Erfüllung dieser Verpflichtung bedingten effektiven Aufwendungen verstanden sein“.246 Nun habe der Vermieter zwar das Risiko für eine Erhöhung der Heizungskosten übernommen, doch sei „Grundlage“ der Nebenverpflichtung „eine gewisse Stetigkeit der Preise“. Besagte Grundlage habe den Vertragswillen der Parteien beschränkt.247 Ganz wohl konnte dem Bundesgericht nicht gewesen sein, denn es bot noch zwei weitere Begründungen an: Der genannte Vertragszweck sei „verun­ möglicht“, ließ das Bundesgericht in Anlehnung an die deutsche Rechtspre­

244 BG v. 4. Mai 1922, BGE 48 II 249 (250). 245 BG v. 19. September 1922, BGE 48 II 366 (371-373). 246 BG v. 14. Juli 1921, BGE 47 II314 (316 f.). 247 BG v. 14. Juli 1921, BGE 47 II 314 (317): „Trug daher auch die Klägerin das Risiko für Preisschwankungen im Rahmen der normalen Marktlage, so war doch, wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, eine gewisse Stetigkeit der Preise die Grundlage ihrer Nebenverpflich­ tung. Auf die Annahme des Weiterbestehens der beim Vertragsschluß gegebenen Verhältnis­ se gründete sich die Uebernahme der Heizungspflicht, und es war damit auch der Ver­ tragswille der Parteien entsprechend beschränkt.“

chung wissen, da „die Leistung [...] derart verändert worden ist, daß sie nicht mehr als die beim Vertragsschluss nach der übereinstimmenden Par­ teiabsicht gewollte erscheinen kann“.248 Und selbst der Art. 373 Abs. 2 OR wurde bemüht: es handele sich um eine dem Werkvertrag analoge Ver­ pflichtung. Das Argument des verunmöglichten Vertragszwecks wurde schließlich abgelöst durch die Rechtsfigur der clausula rebus sic stantibus. Das Bun­ desgericht hat diese Klausel allgemein anerkannt „für den Fall, wo bei zwei­ seitigen langfristigen Verträgen sich infolge Eintritt von normalerweise nicht vorauszusehenden Verhältnissen die Leistungspflicht des einen Kon­ trahenten im Verhältnisse zu derjenigen des anderen so sehr erschwert, daß das Beharren darauf seinem ökonomischen Ruin gleichkommen würde, oder ihm nach den Regeln über Treu und Glauben die Leistung nicht zugemutet werden kann“.249 Hinter dem Begriff der clausula rebus sic stantibus ver­ birgt sich nicht die historische Rechtsfigur, sondern die in Deutschland ent­ wickelte Zumutbarkeitslehre.250 Im Vordergrund der Überlegung steht hier wie dort das Kriterium des Ruins.251 Das Bundesgericht betont jedoch weni­ ger die persönliche Leistungsfähigkeit als vielmehr die erhebliche Disäqui­ valenz, die im Falle des Ruins nur deutlich zutage tritt. Die juristische Be­ gründung steht angesichts eines als unbillig empfundenen Resultats zurück. „Dans ce demier cas“, stellte das Bundesgericht angesichts der Fälle des drohenden Schuldnerruins fest, „il est non seulement conforme ä Uequite de le liberer dün engagement contracte dans des conditions toutes differentes, mais meme au point de vue juridique cela se justifie, soit qu’on fasse appel aux regles de bonne foi, soit qu’on admette une impossibilite relative d’execution non imputable au debiteur, soit enfin qu’on applique par analo­ gie les dispositions legales relatives au droit de se departir de certains con­ trats.“252 Im Ergebnis wurden die Kriterien schlicht durch richterliche Rechtsetzung formuliert. Die Vertragsaufhebung wurde nicht so weitrei­ chend praktiziert, wie es nun möglich gewesen wäre. Korrigierend wirkte nicht nur der ruinöse Charakter, den der Vertrag angenommen haben mußte. Auch eine lange Laufzeit konnte Argumente für die Bindung liefern. So rechnete das Bundesgericht im Falle eines über 15 Jahre abgeschlossenen 248 BG v. 14. Juli 1921, BGE 47 II 314 (317). 249 BG v. 2. Juni 1920, BGE 46 II157 (162). 250 Heute wird auch die Sozialkatastophe, die als kleine Geschäftsgrundlage durch die deutsche Rechtslehre geistert, als Fall der clausula rebus sic stantibus anerkannt: Bischoff, Vertragsrisiko und clausula rebus sic stantibus, S. 72 f., S. 178 f. und S. 200 f. 251 Übersicht bei: Siegwart, Der Einfluß veränderter Verhältnisse auf laufende Verträge nach der Praxis der schweizerischen Gerichte seit dem Kriege, a.a.O., S. 153-156. 252 BG v. 4. Mai 1922, BGE 48 II 242 (247).

Bierlieferungsvertrages schlicht die guten und die schlechten Jahre gegen­ einander auf und relativierte so erheblich die von der Brauerei geltend ge­ machte Verschlechterung der Situation.253 Dabei mag eine Rolle gespielt haben, daß die Brauerei als der „wirtschaftlich stärkere Teil“ einen bei Ver­ tragsschluß deutlich über dem Marktpreis liegenden Preis durchgesetzt hat­ te. Im Fall der versprochenen langfristigen Energiebelieferung wurde die Aufrechterhaltung der vertraglichen Lieferpflicht wie folgt begründet: „Mit der auf Jahrzehnte hinaus übernommenen Dauerleistung war für sie [die verpflichtete Kraftwerksbetreiberin] untrennbar das Risiko einer Ver­ schlechterung der Konjunktur und damit allfälliger Verluste verbunden.“254 Anders als das deutsche Reichsgericht suchte das Bundesgericht häufig eine vermittelnde Lösung zu finden, die entstandene Nachteile beiden Ver­ tragsparteien aufbürdet. Möglich wurde dies durch eine Differenzierung zwischen der (Primär-) Leistungspflicht und der Pflicht (sekundär) auf Er­ satz des Interesses oder des sonstigen durch die Nichtleistung verursachten Schadens. Über Art. 99 Abs. 3 OR findet der Art. 43 Abs. 1 Anwendung: „Art und Größe des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als auch die Größe des Verschul­ dens zu würdigen hat.“ Der Schweizer Richter kann, anders als der deut­ sche, dem Schuldner auch dann helfen, wenn die Nichtleistung zu dessen Lasten geht. Das Bundesgericht nutzte diese Möglichkeit. Auf der Ebene des Schadensersatzes ermittelte es die Kosten und die Erfolgschancen von weiteren Erfüllungsbemühungen. Hier flossen ganz offen Erwägungen der vertraglichen Risikoverteilung, dessen, „was vernünftigerweise als Partei­ wille zu gelten hat“, sowie „Regeln der Billigkeit und eines gerechten Inter­ essenausgleichs“ ein.255 „Unter solchen Umständen“, also im Falle von au­ ßergewöhnlichen, nicht vorhersehbaren Leistungserschwerungen, „darf an­ genommen werden, daß, wenn der Käufer eine unbeschränkte Haftung für richtige Erfüllung nicht ausdrücklich ausbedingt, er dem Verkäufer nicht mehr zumuten, und dieser sich nicht zu mehr verpflichten wolle, als was nach den Geboten der Billigkeit und eines gerechten Interessenausgleichs

253 BG v. 1. Juli 1924, BGE 50 II 256 (265 f.); vgl. noch BG v. 2. Juni 1920, BGE 46 II 157, und BG v. 4. Mai 1922, BGE 48 II 242; dagegen: BG v. 3. Juli 1919, BGE 45 II 351 (354-356). 254 BG v. 3. November 1921, BGE 47 II 440 (457 f.). Zudem sei hier das Geschäft, an­ ders als die oben besprochene Beheizung von Wohnräumen, ein auf Gewinnerzielung ge­ richtetes Geschäft, was eine weitergehende Haftung begründe. Diese Begründung ist etwas sophistisch, da die Vermietung im ersten Fall auch durchaus ein auf Gewinnerzielung ge­ richtetes Geschäft war. 255 BG v. 23. März 1917, BGE 43 II 170 (177 f.); BG v. 15. September 1921, BGE 47 II 391 (401).

bei der ausnahmsweisen Erschwerung der Warenbeschaffung verlangt wer­ den kann.“256

256 BG v. 15. September 1921, BGE 47 II 391 (401).

Kapitel III

Die dritte Phase: Die Rechtsprechung greift korrigierend ein 1920 schrieb John Maynard Keynes in „The Economic Consequences of the Peace“ über die Folgen der Inflation: „As the inflation proceeds and the real value of the currency fluctuates wildly from month to month, all permanent relations between debtors and creditors, which form the ultimate foundation of capitalism, become so utterly disordered as to be almost meaningless; and the process of wealth-getting degenerates into a gamble and a lottery."1 In der unmittelbaren Nachkriegszeit entwickelten sich die Inflation und die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme zum alles beherrschenden Thema. Die Kautelarjurisprudenz und die Gerichte versuchten den von Keynes drastisch formulierten Konsequenzen entgegenzuwirken. Einiges wurde bereits angesprochen. Vertragsschlüsse wurden oftmals nur noch „freibleibend im Preise“ oder mit anderen Vorbehalten getätigt; die Gerichte wiederum entdeckten die Entwertung der Gegenleistung als Element der Vertragsstörung und sprachen zunehmend Leistungspflichten die Rechts­ kraft ab, denen inflationsbedingt keine als Äquivalent wenigstens annähernd taugliche Gegenleistung mehr gegenüberstand. Die Beseitigung der Lei­ stungspflicht rettete die Rechtsprechung aus der Verlegenheit, Austauschge­ schäfte durchsetzen zu müssen, die von weiten Kreisen der Bevölkerung als zutiefst ungerecht empfunden wurden. Die mit der Inflation einhergehenden wirtschaftlichen Probleme waren damit aber noch lange nicht beseitigt. Bei Dauerschuldverhältnissen konnte die schlichte Vertragslösung mit erhebli­ chen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sein. Hier drohten Ge­ schäftsverbindungen gekappt zu werden, die auch jenseits des problematisch gewordenen Leistungsaustauschs eine wirtschaftliche Bedeutung hatten. Auch das einfache Austauschgeschäft war mit einer Aufhebung zwar juri­ stisch, nicht aber wirtschaftlich gelöst. Die relative Sicherheit, mit der ein produzierender oder sonstwie zu Aufwendungen gezwungener Schuldner mit der Abnahme und der Gläubiger mit dem Erhalt der Leistung rechnen

1J. M. Keynes, The Economic Consequences of the Peace, London 1920, S. 220

konnte, war dahin. Erst der faktische Austausch der Leistungen brachte von nun an Sicherheit. Rechtlich wie wirtschaftlich ungelöst waren die Fälle der Vorleistung. Jede Form der Vorleistung wurde durch die großzügige Praxis der Vertragsaufhebung zu einem unkalkulierbaren Risiko. Wer Geld vorge­ leistet hatte, bekam als Bereicherungsgläubiger entwertetes Geld zurück. Damit wurde derjenige mit dem Inflationsrisiko belastet, der am wenigsten dagegen tun konnte und der - wenigstens bis zur Änderung der Rechtspre­ chung - auch den geringsten Grund dafür hatte; schließlich durfte der Geld­ schuldner glauben, sich durch den Vertrag gerade vor den Inflationsrisiken geschützt zu haben. Waren eine Sache oder ein Sachwert vorgeleistet wor­ den, dann würde eine Wiederbeschaffungspflicht zu genau denselben Pro­ blemen führen, die durch die Lösung des Vertrags gerade vermieden werden sollten - nur mit umgekehrten Vorzeichen. Nicht nur der durch die Vorlei­ stung gegebene Kredit, auch die Probleme des schlichten Darlehens waren mittels der Vertragsaufhebung nicht zu lösen. Hier kam noch ein besonderes Problem hinzu. Da gerade hypothekarisch gesicherte Forderungen in der Regel über viele Jahre getilgt werden sollten, war in vielen Fällen die Geld­ schuld noch vor dem Krieg begründet worden; hier konnte mit einer vorzei­ tigen Kündigung der Darlehen nicht einmal mehr das Schlimmste verhindert werden. Die institutionelle Voraussetzung der geschilderten Probleme ist das Nominalprinzip, das in dem populären Ausspruch „Mark gleich Mark“ ein­ prägsam formuliert wurde. Angesichts der geschilderten Probleme wuchs die Versuchung, vertraglich begründete Ansprüche abzuändem anstatt sie nur aufzuheben. Mit dem Äquivalenzprinzip war bereits ein taugliches ma­ teriales Prinzip formuliert worden. Allein man sträubte sich noch lange.

1. Ein Sonderfall: Die Mietrechtsrechtsprechung des 3. Senats Korrigierende Eingriffe der Rechtsprechung waren nicht neu. Bereits in der ersten Phase sind vereinzelt Miet- und Pachtzinsvereinbarungen einer ge­ minderten Nutzungsmöglichkeit der überlassenen Immobilie angepaßt wor­ den. Voraussetzung war, daran sei erinnert,2 die Störung von vertragsgegen­ ständlichen Verwendungszwecken. Bei der Pacht herrschte der Gedanke vor, der Verpächter partizipiere mittels der Verpachtung an der Fruchtzie­ hung; sei eine bestimmte Fruchtziehung durch Lage und Ausstattung der verpachteten Immobilien und den vereinbarten Pachtzins vorgeprägt, so ha­ be der Verpächter einen Teil des Nutzungsrisikos zu tragen. In geringerem

Maße sollte dies auch bei der Miete zutreffen. Konnte die Sache nicht in der konkreten Form verwendet werden, sollte sich dieser Umstand mindernd auf den Miet- und Pachtzins auswirken. Rechtstechnisch wurde diese Minde­ rung wahlweise mit einem Mangel im Sinne des § 537 Abs. 1 BGB oder mit einer teil weisen Unmöglichkeit begründet, welche nach § 323 Abs. 1 BGB wiederum eine teilweise Reduktion der Gegenleistungspflicht zur Folge ha­ ben sollte. Nach dem Krieg war die Situation nicht selten genau umgekehrt. Miet- und Pachtverträge aus der Vorkriegszeit waren nun, aufgrund des all­ gemeinen Geldverfalls, überaus lukrativ für Mieter wie Pächter. Das galt in gesteigertem Maße, falls der Vermieter nicht nur die Überlassung der fragli­ chen Sache versprochen hatte, sondern zudem die Kosten für Wasser und Energie in den Mietzins eingerechnet hatte. Es stellte sich die Frage, ob nun auch dem Vermieter und Verpächter durch eine Erhöhung des Miet- und Pachtzinses geholfen werden konnte. Nun war die Situation des Vermieters nach dem Krieg in wichtigen Punkten eine andere. Die Störungen spiegelten sich - anders als die kriegs­ bedingten Nutzungsbeschränkungen - in dem unmittelbaren Vertragsgegen­ stand gerade nicht wieder. Der Pächter erwirtschaftete keine ungewöhnli­ chen Überschüsse; der Mieter zog keine erhöhten Nutzungen. Verändert hatten sich allein der Nutzwert des Miet- und Pachtgegenstands sowie der Wert der in Geld bemessenen Gegenleistung. Das BGB sah für eine schlichte Wertverschiebung keine Lösung vor; § 323 erfaßte nur den Lei­ stungsgegenstand selbst, und auch dies nur zugunsten des Gläubigers. Dra­ matisch war die Entwicklung deshalb noch nicht. Mit einer schlichten Wert­ verschiebung hätten Vermieter und Verpächter noch gut leben können. Die wirtschaftliche Situation war aber viel prekärer, sofern der Vermieter im Rahmen des Mietverhältnisses zu laufenden Ausgaben gezwungen war, ins­ besondere, wenn er vertraglich die beim Betrieb vermieteter Immobilien entstehenden Energiekosten übernommen hatte. In den Lieferungsfällen hatte sich das Reichsgericht aber sehr früh auf das Prinzip der Irrelevanz von Leistungskosten festgelegt.3 Obwohl zumindest eine außerordentliche Kündigung nahegelegen hätte, bestätigte der 3. Senat noch im Juli 1920 die­ ses Prinzip für den Fall nebenvertraglich übernommener Energielieferung: „Wie die Mieter sich nicht mit Erfolg darauf hätten berufen können, daß z. B. infolge eines außergewöhnlichen Preissturzes die vertragsmäßigen Lei­ stungen des Vermieters dem vereinbarten Mietzinse nicht mehr gleichwertig seien, so kann umgekehrt der Vermieter nicht aus einer außergewöhnlichen Preissteigerung allein für sich das Recht ableiten, sich vom Vertrage loszu­

3 Siehe oben S. 270-276.

sagen.“4 Bekanntlich war das nicht das letzte Wort. Der Senat hat wenig später - was in der zitierten Entscheidung bereits angedeutet wurde - zu­ gunsten des Leistungspflichtigen das Kriterium des Ruins entwickelt. Später ging der 2. Senat zu einer Äquivalenzbetrachtung über. Diese Entwicklung fand auch im Mietrecht statt. Mehr noch: sie wurde hier vorweggenommen. In zwei Entscheidungen vom September 1920 und Februar 1921 hatte der 3. Senat den Vermieter mit dem Einwand der Kostensteigerung gehört und ihm tatsächlich eine Erhöhung des Mietzinses zugestanden.5 In beiden Entscheidungen betonte der 3. Senat die außergewöhnliche wirtschaftliche Situation, die allein einen solchen Eingriff rechtfertige. Des weiteren verwies er auf das schlechthin unerträgliche Mißverhältnis, in das die beiderseits auszutauschenden Leistungen wegen der außerordentlich ge­ stiegenen Energiepreise geraten waren. Schließlich erkannte er, angesichts des Willens beider Parteien, das Mietverhältnis fortzusetzen, die Notwen­ digkeit eines beiderseitigen Interessenausgleichs. Diesen drei recht klaren Entscheidungskriterien stand eine überaus diffuse rechtliche Begründung zur Seite. Als positivrechtliche ,Anknüpfung“ bot der 3. Senat die §§ 242, 325 BGB an. Die wirtschaftliche Unmöglichkeit wurde angesprochen, in der die clausula rebus sic stantibus „unverhüllt“ zutage trete. Die Energieliefe­ rung sei durch die Veränderung der Umstände „wirtschaftlich unmöglich“ geworden, wodurch eine „Vertragslücke“ entstanden sei. Wie bei anderen Vertragslücken auch sei maßgebend, was die Parteien „verständigerweise geregelt haben würden, wenn sie die Entwicklung der Dinge vorausgesehen haben würden“.6 Diese Begründungsansätze kann man durchaus angreifen; jedoch würde eine methodisch motivierte Kritik an der wahren Intention des 3. Senats vorbeigehen. Methodische Feinheiten lagen dem Senat nicht son­ derlich am Herzen. Er suchte lediglich einen ,„Anhalt" für ein Ergebnis, das aufgrund der „Härten des Krieges“ bereits feststand: „Diese Verhältnisse er­ fordern unbedingt ein Eingreifen des Richters in bestehende Vertragsver­ hältnisse dann, wenn anders nicht ein Treu und Glauben und jedem Gebote von Gerechtigkeit und Billigkeit hohnsprechender, einfach nicht zu ertra­ gender Zustand geschaffen werden soll.“7 In der zweiten, stringenter formu­ lierten Entscheidung fügte der Senat noch an: „Es würde allgemein als eine 4 RG v. 8. Juli 1920, RGZ 99, 258 (260). Dies galt freilich nicht ausnahmslos; auf S. 259 schränkt der Senat ein: „[...] es müßte denn sein, daß mit einer außerordentlichen Steigerung der Preise eine außerordentliche Einwirkung auf die Verhältnisse des betreffenden Vertrag­ steiles verbunden ist [...]“ 5 RG v. 21. September 1920, RGZ 100,129; RG v. 1. Februar 1921, Wameyer 1921,79. 6 RG v. 21. September 1920, RGZ 100,129 (131-133); RG v. 1. Februar 1921, Wameyer 1921,79 (79 f.). 7 RG v. 21. September 1920, RGZ 100,129 (132).

dem gesunden Rechtsgefühle widerstreitende hochgradige Unbilligkeit emp­ funden werden, wenn die von beiden Teilen geforderte Fortsetzung des Mietvertrags sich unter den aller kaufmännischer Voraussicht und Berech­ nung spottenden neuen wirtschaftlichen Verhältnissen in jeder Hinsicht un­ verändert vollziehen würde [...]“8 Die beiden Urteile führten zu heftigen Reaktionen in der Literatur.89 Der Vorgang war in der Tat außergewöhnlich. Zum ersten Mal hatte das Reichs­ gericht vertragliche Leistungspflichten erhöht und damit einer Vertragspar­ tei etwas aufgebürdet, was diese bei bestem Willen nicht versprochen hatte. Ein Durchbruch für die reine Äquivalenzkontrolle? Die Erwägungen des 3. Senats waren gleich in mehrfacher Hinsicht nicht präjudizfähig. Zunächst handelte es sich um ein auf Dauer angelegtes Schuldverhältnis. Die Ver­ mieter waren zu ständigen Ausgaben gezwungen; eine vorhandene Dispro­ portionalität der auszutauschenden Leistungen mußte sich zwangsläufig summieren. Da das Vertragsverhältnis auch während des Rechtsstreits fort­ gesetzt wurde und nach der Intention der Parteien auch in Zukunft fortge­ setzt werden sollte, stand das Reichsgericht vor einer unglücklichen Alter­ native: Wenn es dem alten Vertragsverhältnis die Rechtskraft versagte, mußte es für die vergangene Zeit eine bereicherungsrechtliche Lösung fin­ den. Eine Rückabwicklung würde aber den Mieter hart treffen. Plötzlich trug er das ganze Risiko der immens gestiegenen Energiepreise. Hier schien es praktischer und gerechter, den Vertrag anzupassen. Zudem wurde weni­ ger über die Miete als vielmehr über die Lieferung von Energie entschieden, ein Problem, das damals in ganz Deutschland akut war und als eine Frage des öffentlichen Wohls galt. Die Brisanz erhielt das Urteil aus dem Umstand, daß die Rechtsprechung in eine Domände der Gesetzgebung eingebrochen war. Denn als Maßnahme der Gesetzgebung hätte sich das vom 3. Senat gefundene Ergebnis denkbar unspektakulär in bestehende Vorschriften eingereiht. Am 1. Februar 1920, also fünf Monate vor der ersten einschlägigen Entscheidung, hatte die Reichsregierung eine „Verordnung über die schiedsgerichtliche Erhöhung von Preisen bei der Lieferung von elektrischer Arbeit, Gas und Leitungs­ wasser“ erlassen. In § 1 Abs. 1 stand zu lesen:

8 RG v. 1. Februar 1921, Wameyer 1921,79 (80). 9 Im Ergebnis zustimmend, freilich der eigenen Theorie huldigend: Krückmanny Anm. JW 1920, 963; ebenfalls zustimmend: Rosenthaly Anm. HansRZ 1920, 767 f.; ders.y Anm. 1, JW 1921, 6; Endemann, Anm. 2, JW 1921,10; Stampe, Anm. 3, JW 1921,10; Hachenburg, Anm. JW 1920, 965; v. d. Trenck, Gerichtliche Aufhebung und Abänderung von Verträgen und ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung, RuW 1921, 55 f.; kritisch: Dove, Anm. JW 1920, 962: „Gott bewahre uns vor der ,Sozialisierung* der Rechtspflege“; Mittelstein, Anm. HansRZ 1920,769; Kaiser, Währung und Vertragsaufhebung, DJZ 1921,129 f.

„Wer auf Grund von Abmachungen, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung abge­ schlossen sind, zur Lieferung von elektrischer Arbeit, Gas oder Leitungswasser verpflich­ tet ist, kann Abänderung dieser Abmachungen, insbesondere Erhöhung der Lieferpreise, verlangen, wenn und insoweit infolge der Kriegsverhältnisse die Höhe der Selbstkosten seit der Zeit der letzten Preisvereinbarung so gewachsen sind, daß das Anwachsen bei An­ wendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht vorauszusehen war, und daß billigerweise die Tragung der Mehrkosten dem Lieferer allein nicht zugemutet werden kann.“10

Zuständig sollte ein Schiedsgericht bestehend aus einem Obmann und zwei von den streitenden Parteien gewählten Beisitzern sein.11 Die Reichs­ regierung wollte die Elektrizitäts-, Wasser- und Gaswerke schützen, „weil das Interesse, das die Allgemeinheit an der Erhaltung der Lebens- und Be­ triebsfähigkeit dieser Unternehmen hat, an erster Stelle stand und am ehe­ sten Eingriffe in bestehende Verträge rechtfertigte“.12 Die Verordnung war aber nicht auf diese Unternehmen beschränkt, so daß zumindest dem Wort­ laut nach auch der Vermieter eine Preiserhöhung beanspruchen konnte, so­ fern er die fragliche Leistung dem Mieter gegenüber erbrachte. In einer Verordnung vom 22. Juni 1919 wurde diese Interpretation ausdrücklich be­ stätigt und sogar auf solche Mietverhältnisse ausgedehnt, in denen statt un­ mittelbarer Lieferung von Energie, Gas und Wasser der Betrieb von Sammelheizungs- und Warmwasserversorgungsanlagen zugesagt worden war.13 Schließlich wurde eine Preiserhöhung auch noch für die Lieferung von in Dampf und mechanische Arbeit umgewandelter Energie vorgesehen.14 Es ist nicht klar, warum der 3. Senat die Parteien nicht auf diese Verordnungen verwiesen hat. Vermutlich stand dem im Wege, daß die Vermieterseite die Erhöhung bereits länger, durch die Instanzen hindurch, gefordert hatte und 10 RGBl. 1919,135; Kriegsbuch, Bd. 9, S. 340. 11 Zur Zusammensetzung: Bekanntmachung über die Schiedsgerichte für die Erhöhung von Preisen bei der Lieferung von elektrischer Arbeit, Gas und Leitungswasser, vom 5. März 1919, RGBl. 1919, S. 288; Kriegsbuch, Bd. 9, S. 342. 12 Begründung der Abänderungsverordnung v. 11. März 1920, Kriegsbuch, Bd. 10, S.393. Ganz ähnlich die Bekanntmachungen des Reichskommissars v. 14. Februar und 19. Juni 1919: „Werke, die durch die Kriegsereignisse so geschwächt sind, daß sie die erfor­ derlichen Instandsetzungen und Erweiterungen nicht vornehmen können, sind nicht in der Lage, den Verbrauchern Kraft, Licht, Wärme und Wasser zuzuführen, gefährden außerdem die Ernährung der Bevölkerung und würden durch einen gänzlichen oder teilweisen Stillstand Arbeitslosigkeit hervorrufen.“ Kriegsbuch, Bd. 9, S. 345. 13 Verordnung über die Einwirkung der Heizstoffpreise auf Mietverhältnisse vom 22. Juni 1919, RGBl. 1919,593; Kriegsbuch, Bd. 9, S. 724. 14 VO., betr. Abänderung der VO. über die schiedsgerichtliche Erhöhung von Preisen bei der Lieferung von elektrischer Arbeit, Gas und Leitungswasser, vom 1. Februar 1919. Vom 11. März 1920, RGBl. 1920,329; Kriegsbuch, Bd. 10,392.

deshalb auch rückwirkend einen höheren Mietzins verlangte. Übersehen hat der 3. Senat die Verordnungen jedenfalls nicht.15 16 Senatsmitglied Oegg geht in einem Literaturbeitrag auf die Verordnungen ein und erkennt: „Die Erlas­ sung der VOen bestätigt die Notwendigkeit einer Abhilfe für die von ihnen geregelten Vertragsverh."16 Für den Pachtzins sah der 3. Senat ebenfalls die Möglichkeit einer Erhö­ hung vor.17 Obwohl die Entscheidung ausdrücklich auf das Urteil vom 21. September 1920 Bezug nimmt, weicht sie in einem wesentlichen Punkt von ihm ab. Diesmal ist es der überlassene Gegenstand selbst, der eine Er­ höhung der Gegenleistung rechtfertigen soll. Der 1923 vereinbarte Pachtzins solle „ein angemessenes Entgelt für die Überlassung des Pachtgegenstands [ein Landgut] zu Gebrauch und Nutzung bilden", so der Senat. Ein beson­ ders hoher Gewinn, wie er im vorliegenden Fall durch die Nutzung des Landguts gegen einen nahezu vollständig entwerteten Pachtzins entstehen würde, sei dagegen „nicht vorausgesetzt“.18 Es schließt sich der Kreis zu den Verwendungsstörungen der Kriegszeit. Der Verpächter partizipiert eben in besonderer Weise an der Fruchtziehung. Kam es im Krieg dem Pächter zugute, der eine Minderung der Nutzung geltend machen konnte, so half nun derselbe Gedanke dem Verpächter.19 Heute käme man in dem fragli­ chen Fall mittels des § 593 Abs. 1 BGB zu demselben Ergebnis.

2.

Ansätze der Vertragskorrektur in Rechtsprechung und Lehre

Der korrigierende Eingriff in Vertragsverhältnisse war für die Judikatur wie für die juristische Literatur lange Zeit tabu. Die Zurückhaltung mag den Re­ spekt vor der Vertragsfreiheit und der im Vertrage zutage tretenden Willen­ sentscheidung der Parteien bezeugen. Vor allem jedoch war sie eine nahe­ liegende Folge des gesetzlich vorgegebenen Leistungsstörungsrechts. So­ lange nach dem Vorbild des Bürgerlichen Gesetzbuchs die einzelnen Lei­ stungen isoliert betrachtet und leistungshemmende Umstände als Leistungs­ störung und nicht als Vertragsstörung begriffen wurden, solange lag es aus­ 15 Das vermutet Bühler, Reichsgericht und Gesetzgebung zum Problem der Preisumwäl­ zung, JW 1921,875-78. 16 Oegg, Die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse und die Rechtsprechung des Reichsgerichts, BayRpflZ 1921,8; zur Besetzung des 3. Zivilsenats vgl.: Lobe (Hg.), Fünfzig Jahre Reichsgericht, S. 390 f. 17 RG v. 24. März 1922, RGZ 104,218 (220-223). 18 RG v. 24. März 1922, RGZ 104,218 (222 und 223). 19 Reiling stellt auf den Gedanken prästabilierter Äquivalenz ab: Zur Frage der Aufhe­ bung und Abänderung von Verträgen wegen veränderter Umstände, JW 1921,21.

gesprochen fern, das Problem nachvertraglicher Entwicklungen durch einen Eingriff in das Leistungsgefüge zu lösen. Die Störung wurde eben immer nur in der einzelnen Leistung gesucht, und entsprechend konnte auch die Lösung immer nur innerhalb des einzelnen Leistungsverhältnisses gefunden werden. Die Rechtsfolge eines Eingriffs negierte allenfalls den Leistungsan­ spruch; über die Gegenleistung wurde anschließend formell-synallagmatisch entschieden.

a) Der Gedanke prästabilierter Äquivalenz

Die Situation änderte sich, als die Rechtsprechung das Prinzip der prästabilierten Leistungsäquivalenz entwickelte. Nunmehr sollte dem Vertrag die Anerkennung versagt werden, sofern die wechselseitig auszutauschenden Leistungen aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung sich nicht mehr an­ nähernd gleichgewichtig gegenüberstanden. Wenn das von den Parteien festgehaltene Äquivalenzgefüge als Maßstab für eine Vertragskontrolle her­ angezogen werden sollte, warum dann auf halbem Wege stehenbleiben? Warum nicht gleich im Sinne dieser Äquivalenz den Vertrag abändem? Die Versuchung ist in der Tat groß, und nicht alle widerstanden ihr. Alfred Ro­ senthal vertrat als erster die Ansicht, daß der Vertrag auch den veränderten Umständen angepaßt werden könnte. In mehreren Aufsätzen forderte er ve­ hement, man möge unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glau­ ben unmittelbar den angemessenen Preis für die Lieferung festsetzen und den Schuldner auf Leistung gegen Zahlung dieses Preises verurteilen.20 Bei Rosenthal findet sich neben rechtspolitischen Erwägungen auch erstmals der befremdliche Gedanke, daß der korrigierende Eingriff ein geringerer sei als der kassierende.21 Noch war dies freilich eine vereinzelte Ansicht. Selbst profilierte Fürsprecher einer weitreichenden Zumutbarkeitskontrolle in Fäl­ len der Disäquivalenz sprachen sich gegen eine richterliche Anpassung der Verträge aus.22 Das sollte sich ändern, als der 3. Senat in den oben bespro­ chenen Urteilen dem Vermieter eine Mieterhöhung zugestand, weil die Ko­ sten für Energie sich drastisch erhöht hatten. Beide Urteile des 3. Senats be­ trafen Sonderfragen des Mietrechts und reagierten lediglich auf Engpässe in 20 Rosenthal, Zur Frage der Lieferungsverträge, HansRZ 1920, 771-774; Zur rechtlichen Behandlung schwebender Lieferungsverträge, LZ 1920, 429-433; Erfüllungszwang und kon­ stitutives Urteil, LZ 1920,937-944. 21 Rosenthal, Erfüllungszwang und konstitutives Urteil, LZ 1920,939. 22Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 165-169; Nipperdey, Vertragstreue und Nicht­ zumutbarkeit der Leistung, S. 32. Der Ausgleich divergierender Interessen wurde notfalls in Schadensersatz- und Bereicherungsansprüchen gesucht: Siber, Die stillschweigende Ver­ tragsklausel, Gruchot 60 (1916), S. 476 f.; Krückmann, Clausula rebus sic stantibus, Kriegs­ klausel, Streikklausel, AcP 116 (1918), S. 457-466.

der Energieversorgung, denen damals in besonderem Maße das öffentliche Interesse galt. Dennoch lösten die Urteile eine muntere Debatte darüber aus, ob in den Fällen einer Entwertung der Geldleistung der Richter auch korri­ gierend in den Vertrag eingreifen könne.23 Vorbildgebend wirkte die freirechtliche Denkschule der Vorkriegszeit, die bei veralteten oder dem Einzelfall nicht gerecht werdenden, also kor­ rekturbedürftigen Gesetzen dem Richter ein Gestaltungsrecht einräumen wollte. Völlig unkritisch wurde diese richterliche Freiheit nun auch für kor­ rekturbedürftige Verträge in Anspruch genommen.24 Die Gestaltung des Vertrags ist aber noch problematischer als die des objektiven Rechts. Die überholte gesetzliche Regel wird nicht selten eine Regelungslücke hinterlas­ sen; die Alternative zum Vertrag ist aber, zumindest für die hier in Frage stehenden Fälle, der vertragslose Zustand. Das Gericht ist zudem Teil der Staatsgewalt und mag in Gesetze gestaltend eingreifen können; die Gerichte nehmen aber nicht teil an der Privatautonomie der Parteien. An diesem Punkt setzte auch die Kritik ein. Roth kritisierte in zwei 1920 und 1921 er­ schienenen Aufsätzen: „Die Zuerkennung der Befugnis zur vollständigen Umgestaltung des VV. an den Richter verkennt, daß im Privatrecht den Parteien selbst die gerechte Ordnung ihrer Beziehungen durch die Vertrags­ freiheit anvertraut ist.“25 Noch grundlegender äußerte sich Stammler in ei­ nem Vortrag. Stammler sieht einen ausgesprochenen Widerspruch zwischen der Forderung nach Aufhebung der Verträge und der nach einer Vertrags­ korrektur: „Wenn feststeht, daß veränderte Umstände nur dann von Bedeu­ tung sind, wenn bei ihnen der Inhalt des fraglichen Geschäftes außerhalb der Grenzen der Vertragsfreiheit fallen würde, so ist klar, daß die neue Folge derartiger veränderter Umstände immer nur ein Verweigern der Erfüllung unausgetragener Vertragspflichten sein kann.“26 Den Fürsprechern der Ver­

23 Hedemann, Richterliche Umgestaltung laufender Verträge, SJZ 1920/21,309 und oben, Fn.9. 24 Stampe, Richtlinien für die Clausula-Praxis, Jherings Jahrbücher 72 (1922), S. 363: „Es muß aber auch, wenn die Sachlage es erfordert, eine Aenderung des Vertragsinhaltes möglich sein - namentlich Minderung der eigenen Leistung (in Anlehnung an § 323 I i. f.), oder Er­ höhung der Gegenleistung. Für letztere findet sich freilich im Gesetze kein Spezialanhalt; ih­ re Zulässigkeit ergibt sich aber aus dem rechtspolitischen Grundgedanken, daß die Reaktion gegen die Nachteil bringende Störung stets das Ziel verfolgen muß, die Störung in angemes­ sener Art auszugleichen.“ Vgl. Fuchs, Vertragstreue und Vertragsorthodoxie, RuW 1920, S. 237; Rumpf, Rechtsstaat, Notstand und die Wandlung der Aufgaben der Zivilrechtspre­ chung, DRiZ 1921,37 f. 25 Roth, Wirtschaftsumsturz und Vertragstreue, LZ 1921, 198; vgl. ders., Dauerverträge und Valutaentwertung, LZ 1920, 627 f.; ähnlich schon Breme, Änderung der Rechte und Verpflichtungen aus Verträgen infolge der clausula rebus sic stantibus, LZ 1919,759 f. 26 Stammler, Änderung laufender Verträge, S. 329.

tragskorrektur wirft er „Bestrebungen der zentralisierten Zwangswirtschaft“ vor.27 Fundamentale Kritik dieser Art wurde selten geäußert. Die Idee der Ver­ tragsfreiheit schien an Leuchtkraft eingebüßt zu haben. Die meisten Kritiker der Vertragskorrektur vermißten lediglich eine ausreichende Verankerung im positiven Recht und in der Verkehrssitte; des weiteren wurde bezweifelt, ob ein korrigierender Eingriff notwendig und praktikabel sei.28 Hemmend wirkte in erster Linie der Respekt vor dem Gesetz. Es gab kaum eine Norm, die den korrigierenden Eingriff legitimieren könnte. Nur die ergänzende Vertragsauslegung bot sich an.29 Kann dem tatsächlich Gewollten nicht zum Durchbruch verholfen werden, indem das von den Parteien gestaltete Wert­ verhältnis schlicht aufrechterhalten wird? Die Argumentation ist nicht un­ problematisch. Selbst wenn das prästabilierte Leistungsverhältnis in den Vertrag hineingelesen wird, ist es doch im Grunde irrelevant, ob dieses mit einem anderen Betrag als dem vertraglich Versprochenen erreicht werden könnte. Eine dahingehende Vereinbarung hatten die Parteien nicht getroffen. Auch ein ergänzend konstruierter Wille wird im Bereich dieser essentialia keine Einigung fingieren können. Das zeigen die typisierten Interessen der Parteien. Den Schuldner der Sachleistung trifft es naturgemäß weniger, wenn die Gegenleistung angehoben wird. Gemessen an dem unangepaßten Leistungsverhältnis tritt in jedem Fall eine Verbesserung ein. Problematisch ist eine Vertragsanpassung aber für den Schuldner der Geldleistung, dem plötzlich ein höherer Geldbetrag als der versprochene zugemutet wird. Paul Oertmann kam auf die originelle Idee, die Geldleistung konstant zu halten, dafür aber die Sachleistung zu reduzieren. Völlig wohl war ihm bei dem Gedanken aber nicht.30 Carl Stern meinte wiederum, die Erhöhung der Geldleistung aus dem Willen der Parteien herauslesen zu können, sofern die Parteien nur zum Ausdruck brächten, das Vertragsverhältnis fortsetzen zu wollen: „Nicht der Richter ordnet also an, welcher Preis gilt, sondern die 27 Stammler, Änderung laufender Verträge, S. 330. ^Darboven, Zur Frage der Lieferungsverträge, HansRZ 1920, 663; Titze, Richtermacht und Vertragsinhalt, S. 31-35. 29 Zur Vorsicht mahnt: Leonhard, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, AcP 120 (1922), S. 39 f. 30 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 167: „Es mag weiterhin allenfalls sogar ange­ hen, daß der Schuldner die vollständige Umgestaltung der beim Geschäftsschluß vorhande­ nen und vorgestellten Umstände dazu benutzen darf, um den Betrag der Verpflichtung ohne Minderung seiner Gegenansprüche auf ein der jetzigen Lage einigermaßen entsprechendes Maß herabzusetzen, z. B. so, daß er für den vereinbarten Preis von 1,50 M jetzt nicht einen, sondern nur etwa ein Viertel Zentner Kohle zu liefern hat. Denn dadurch erhöht er wenig­ stens nicht die dem Gläubiger obliegende Pflicht [...] Ganz zweifellos ist freilich auch die Zubilligung einer derart weitgehenden Erlaubnis nicht.“

Parteien haben durch ihr Verhalten den angemessenen Preis zum maßge­ benden Entgelt gemacht.“31 Das Reichsgericht weigerte sich lange Zeit standhaft, jenseits von Mietund Pachtrecht - oder soll man sagen: jenseits der originären Zuständigkeit des 3. Senats? - in Vertragsverhältnisse korrigierend einzugreifen. Der kas­ sierende Eingriff aus Gründen der Disäquivalenz führte aus Sicht der Rich­ ter aber durchaus zu unbefriedigenden Ergebnissen, insoweit, als dem Gläu­ biger einer Sachleistung der Gegenstand seiner Forderung, der ja nicht stö­ rungsbehaftet war, aus der Hand geschlagen wurde. Der Sachschuldner wie­ derum konnte für diesen Leistungsgegenstand die neue Konjunktur ausnüt­ zen, so daß er am Ende von der Vertragsaufhebung doppelt profitierte. Hier verfiel die Judikatur auf den eleganten Kompromiß, den Schuldner der Sachleistung obligatorisch, den Gläubiger - und Schuldner der Geldleistung - aber nur fakultativ an dem als angemessen erkannten Preis festzuhalten. Der Schuldner habe im Falle einer inakzeptablen Äquivalenzstörung den Gläubiger zu einer Erhöhung der Gegenleistung aufzufordern. Erst wenn der Gläubiger dieser Aufforderung nicht nachkomme, solle der Schuldner das Recht haben, den Vertrag zu lösen.32 Das Reichsgericht hielt die Richter der unteren Instanzen an, selbst die angemessene Gegenleistung zu ermitteln: , Ist zu der Zeit die Kaufkraft der in Papiermark bedungenen Gegenleistung soweit,gesunken, daß die Summe wirtschaftlich gegenüber der abzugelten­ den Sachleistung überhaupt oder nahezu bedeutungslos erscheint, so ergibt sich für den Tatrichter die Aufgabe, unter Berücksichtigung aller Sachum­ stände mit Einschluß eines etwa vorgekommenen Verzugs des Lieferungs­ pflichtigen in billiger Abwägung der Interessen beider Beteiligten den Geldbetrag zu ermitteln, um welchen die andere Vertragspartei bei Auf­ rechterhaltung ihres Anspruchs auf Lieferung die von ihr zu zahlende Ver­ gütung zu erhöhen hat.“33 Das galt freilich nur, soweit die beiden Parteien sich nicht auf eine neue, beide Interessen berücksichtigende Gegenleistung einigen konnten. Die Parteien sollten vorrangig selbst die betroffenen Ver­ träge an die veränderten Umstände anpassen. Und der Schuldner der Geld­ leistung sollte in keinem Fall zu einem erhöhten Betrag gezwungen wer­ 31 Stern, Richterliche Änderung von Vertragsbestimmungen, LZ 1921,135; zumindest für Pachtverträge ähnlich: Reiling, Zur Frage der Aufhebung und Abänderung von Verträgen wegen veränderter Umstände, JW 1921,21. 32 RG v. 3. Februar 1922, RGZ 103, 328 (333 f.); RG v. 26. April 1923, Wameyer 1924, 68 (69); RG v. 18. Juni 1923, Wameyer 1924,70 (72); RG v. 2. Oktober 1923, RGZ 107,19 (21); RG v. 29. Oktober 1923, Warneyer 1924, 89 (90); RG v. 22. Januar 1924, Wameyer 1924, 100; RG v. 26. Januar 1924, Wameyer 1924, 98 (99); vgl. noch RG v. 18. Juni 1923, mitgeteilt von Zeiler, DJZ 1923, 450 f.; in diesem Sinne schon Roth, Dauerverträge und Va­ lutaentwertung, LZ 1920,627. 33 RG v. 22. Januar 1924, Wameyer 1924,100.

den.34 Zumindest für eine Seite, die des Empfängers der zu erhöhenden Geldleistung, konnte der Richter den Vertrag verbindlich gestalten. Der Gläubiger der Geldleistung konnte also den anderen zur Nachbesse­ rung des Vertrags auffordern und widrigenfalls ein Rücktrittsrecht geltend machen. Soweit er eine eigene Leistung zu erbringen hatte, also zugleich Schuldner einer Sachleistung war, bot diese Rechtsprechung eine prakti­ kable Regelung an. Schwieriger war die Situation, wenn der Geldgläubiger seinerseits vorgeleistet hatte. Zwar konnte er das Geleistete im Rahmen des Bereicherungsrechts zurückfordern, doch war diese Rechtspostiton eigenen Entwertungsproblemen ausgesetzt. Dem Inhaber eines schlichten Geldtitels konnte mit der Optionslösung überhaupt nicht mehr geholfen werden. Er hatte kein wirtschaftliches Druckmittel in der Hand. Die von der Recht­ sprechung vorgesehene Alternative, die der Kündigung des Vertragsverhält­ nisses, wirkte aus der Sicht der meisten Geldgläubiger sogar ausgesprochen dysfunktional. Sie hofften auf eine Stabilisierung der Mark oder wenigstens auf eine Reaktion des Staates und wiesen nicht selten angediente Geldlei­ stungen zurück, um sich für diese Fälle den Anspruch zu erhalten. b) Eine Frage des Geldes

Seit dem Herbst 1922 verlor die Mark in einem Maße an Wert, daß bezwei­ felt werden konnte, ob die Banknoten der Reichsbank überhaupt noch taug­ liche Zahlungsmittel darstellten. Die staatlichen Währungsgesetze antwor­ teten mit einem klaren Ja. Der Geldcharakter der Münzen und Noten der Reichsbank beruhte auf dem Bankgesetz vom 14. März 1875, zu Kriegsbe­ ginn in der Fassung vom 1. Juni 1909. Es bestand ein rechtlicher Annahme­ zwang für die Papiernoten der Reichsbank. Damit war implizit, wenn auch nicht ausdrücklich angeordnet, daß diese Zahlungsmittel zum Nennwert an­ genommen werden mußten. Dieser Annahmezwang war wenig relevant, so­ lange die Reichsbank ihrerseits verpflichtet war, ihre Banknoten in Gold­ mark einzulösen. Mit dem Beginn des Kriegs entfiel aber die Einlösepflicht zunächst faktisch, dann auch rechtlich.35 Darüber hinaus war normiert wor­ den, daß alte Goldmarkschulden zu ihrem Nennbetrag in Banknoten getilgt werden sollten.36 „Mark = Mark“ lautete der diesen Gesetzen entnommene 34 RG v. 22. September 1923, JW 1923,984: der Vertrag wird aufrechterhalten, wenn die Parteien seinen Inhalt den veränderten Verhältnissen anpassen, sich namentlich auf eine angemessene Erhöhung des Kaufpreises einigen. Hierzu kann aber der Käufer nicht ver­ pflichtet werden.“ 35 Gesetz betreffend die Reichskassenscheine und Banknoten, vom 4. August 1914, RGBl. 1914, S. 347. 36 Bekanntmachung über die Unverbindlichkeit gewisser Zahlungsvereinbarungen, vom 28. September 1914, RGBl. 1914, S. 417.

einprägsame Grundsatz. Zunächst wurde dieser Übergang zu einer reinen Papierwährung ausgesprochen problemlos akzeptiert. Mit der Inflation ge­ riet der Nominalismus jedoch immer mehr in die Kritik; eine Kritik, die we­ niger den Währungsgesetzen als der aktuellen Staatsgewalt galt. Durch die Aufgabe der Goldwährung erst habe die Mark die „feste Relation“37, den Boden unter den Füßen verloren. Den aktuellen, schnell wechselnden Reichsregierungen wurde vorgeworfen, keine neuen tauglichen Berechnungs- und Zahlungsmittel zur Verfügung stellen zu können.38 Der Verkehr floh, soweit es ging, aus der Mark. In dieser Situation bekam der Gedanke der prästabilierten Äquivalenz erneut Auftrieb. Die Aufgabe des Nomina­ lismus war ein verführerischer Gedanke für all diejenigen, die dem Äquiva­ lenzprinzip unter Aufrechterhaltung des Vertrags zum Durchbruch verhelfen wollten. In den Fällen laufender Austauschverträge bestand freilich kein Handlungsbedarf. Hier konnte durch das neue Vertragsstörungsrecht der Ju­ dikatur die Geldentwertung hinreichend berücksichtigt werden. Die Diskus­ sion wurde beherrscht von den reinen Geldschulden. Insbesondere die ding­ lich gesicherten und die auf Goldmark lautenden Forderungen erhitzten die Gemüter und lösten in der Fachliteratur und in der Tagespresse eine Flut von Besserungsvorschlägen aus. Alois Zeiler, von Oktober bis Dezember 1922 Mitglied des 2. Zivilsenats, forderte vehement die Abkehr vom Nominalismus und die Umrechnung al­ ter Markforderungen 39 Auch andere äußerten sich in diesem Sinne.40 Unter der Bezeichnung „Kurswerttheorie" wurde diese Anregung oft diskutiert 37Sokolowski, Lieferungsverträge und Markkatastrophe, LZ 1923,249. 38 „Schuld daran, daß in dem Vertrage kein wertbeständiges Zahlungsmittel angegeben ist, sind weder VK. noch K. sondern das Reich, welches es nicht vermocht hat, einen neuen, wertbeständigen Wertmesser zu schaffen u. dadurch die Parteien zwingt, sich des Wertes Mark zu bedienen.“ Sokolowski, Lieferungsverträge und Markkatastrophe, LZ 1923,250. ^Zeiler, Die „selbständige Anpassung“ als Ausgleich der Geldentwertung, DRiZ 1922, 129-134; ders., Eine Berücksichtigung der Geldentwertung nach geltendem Recht, JW 1922, 684-688; ders., Zur Frage der Geldentwertung, HansRZ 1922,539, und in zahlreichen weite­ ren Beiträgen, auch der Tagespresse; Hinweise in: Zeiler, Meine Mitarbeit, S. 142-146. 40 Früh schon forderte Landgerichtsrat Saar, den Kurswert des Geldes wenigstens langfri­ stigen Lieferverträgen zugrunde zu legen: Saar, Die langfristigen Lieferungsverträge, BayRpflZ 1921, 84 f.; ders., Die Auslegung der Preisvereinbarungen bei langfristigen Liefe­ rungsverträgen, BayRpflZ 1923, 207 f.; nun äußerten sich im Sinne valoristischer Umrech­ nung noch: Springmann, Mark ist nicht gleich Mark, JW 1923, 802; Rosenfelder, Die zivil­ rechtliche Bedeutung der Geldentwertung, Jherings Jahrbücher 71 (1922), 268, 281 (für Kaufvertrag) und 282 f. (für Werkvertrag). Anders aber für das Darlehen; der Darlehensgeber trage „nach typischem Parteiwillen“ das Risiko der Wertschwankungen, S. 296; für die Gold­ mark als Wertmesser: Schneider, Ist die Papiermark unser gesetzliches Wertmaß?, LZ 1923, 46-48; Sontag, Der Einfluß der Geldentwertung auf Hypothekenforderungen und Industrie­ obligationen, S. 76 f.

und mit dem Namen Savignys geziert, der unter völlig anderen faktischen und rechtlichen Vorgaben eine Geldschuld als Geldwertschuld betrachtet hatte, damit aber bereits im frühen 19. Jahrhundert auf Kritik gestoßen war. Viele Freunde fand die Kurswerttheorie auch jetzt nicht. Der Parteiwille mag für alte, vor der Aufhebung der Goldeinlösungspflicht begründete For­ derungen im Sinne einer Wertschuld ausgelegt werden können; spätestens nach dem fraglichen Akt des Gesetzgebers hätten die Parteien, sofern sie der Verselbständigung der Währung ablehnend gegenüberstanden, dies aber zum Ausdruck bringen müssen. Wer schlichte „Mark" vereinbarte, der hatte die gesetzliche Währung akzeptiert. Die automatische Erhöhung der Geld­ leistung stieß zudem auf nicht unerhebliche praktische Bedenken. Es war ja völlig unklar, ob der Schuldner der Geldleistung mit den Veränderungen der Verhältnisse wirtschaftlich Schritt gehalten hatte. Unter Umständen konnte er sich den damit erkauften Vertragsgegenstand unter den neuen wirtschaft­ lichen Verhältnissen gar nicht mehr leisten. Vielleicht war er selbst ein Op­ fer der Inflation geworden. Es wäre unangemessen, ihn zur Leistung eines Geldbetrags zu verurteilen, den er nicht versprochen und für den er folglich auch keine Vorsorge zu treffen hatte.41 Das Inflationsrisiko hätte man einer Partei aufgebürdet, die gerade wegen der Forderung glauben durfte, diesem Risiko nicht ausgesetzt zu sein. Zudem stand dem umgerechneten Geld kein entsprechendes Volksvermögen gegenüber. Viele Werte waren im Krieg buchstäblich verpulvert worden. Noch in der Inflation wurden reale Werte vernichtet. Zeiler schlug vor, den umgerechneten Geldbetrag durch einen Wohlstandsfaktor zu mindern, also gewissermaßen eine Abwertung vorzu­ nehmen. Der durch den Wohlstandsverlust eingetretene Geldwertverfall sollte den Markgläubiger treffen, nicht aber der durch die staatliche Geld­ schöpfung geschaffene.42 Andere, die diesen revolutionären Schritt nicht mitmachen wollten, äu­ ßerten sich immerhin dahingehend, daß das Geld seine Bedeutung als Zah­ lungsmittel zwar behalten, die als Wertmesser aber verloren habe. Zum zi­ vilrechtlichen Umgang mit diesem Phänomen wurden viele Vorschläge ge­ macht. Eine Vertragsauslegung mit Hilfe der §§ 315, 316 BGB schlug etwa Sokolowski vor 43 Galt es ein Darlehen zurückzuzahlen, so bot § 607 BGB einen Anhaltspunkt.44 Auch der „mutmaßliche Vertragswille" wurde be­ müht, in dessen Rahmen der Richter die zumutbare Lösung zu suchen ha­ 41 In diesem Sinne etwa Oberlandesgerichtsrat Faber, Zum Streit über die Preiserhöhung, LZ 1923,507 f. 42 Zeiler, Die „selbständige Anpassung“ als Ausgleich der Geldentwertung, DRiZ 1922, 129 f.; vgl. noch: ders., Die Zeilerschen Umrechnungszahlen, Stuttgart 1924. 43 Sokolowski, Lieferungsverträge und Markkatastrophe, LZ 1923,135. 44Stern, Geldentwertung und Darlehensrückzahlung, JW 1923,902.

be.45 Herzfeld wollte einen Irrtum über die Mark erkannt wissen, um dann dem Richter die Umdeutung nach § 140 BGB zu gestatten.46 Roth wiederum meinte, der Eingriff geschehe nachträglich und von außen her, so daß allein die Billigkeit in der Lage sei, diesen zu rechtfertigen: Denn das Recht habe nicht nur die Aufgabe, Konflikte zu lösen, es solle sie auch gerecht lösen 47 Ein „Geldentwertungsausgleichsanspruch“ sollte ungerechte Ergebnisse vermeiden helfen 48 Eine billige Risikoverteilung suchte Abraham. Er führt nicht nur ethische, sondern sogar gesamtwirtschaftliche Interessen an: „Je höher das Risiko, um so höher die vom Kaufmann geforderte Risikoprämie, um so größer die allgemeine Verteuerung sämtlicher Bedarfsartikel!“49 Auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung gingen die Ansichten auseinander. Geiler wollte dem Darlehnsgeber nicht helfen, empfahl aber bei Austausch­ verträgen, das von den Parteien dem Vertrag zugrunde gelegte Verhältnis der auszutauschenden Leistungen aufrechtzuerhalten.50 Die meisten strebten bereicherungsrechtliche Lösungen an.51 Der Darlehnsschuldner sollte, so­ weit das seinerseits Erlangte noch vorhanden, etwa inflationsresistent ange­ legt worden war, entsprechend mehr zurückzahlen, als er nominell verspro­ chen hatte. Nur der individuell-konkrete Wertverlust sollte Berücksichti­ gung finden. Heymann wollte den Hypothekengläubiger am gestiegenen Nominalwert des Grundstücks beteiligen, wenigstens in Form einer Ver­ zehnfachung des eingetragenen Betrages.52 Die nominelle Leistungspflicht wurde als „innerlich ungerechtfertigt“ schlicht ignoriert,53 als „unannehm­ 45 Braunf Geldentwertung und Wertsteigerung in ihrer Wirkung auf laufende Verträge, BayRpflZ 1923, 3 und 5; Heymann, Schutz der Hypothekengläubiger, DJZ 1923, 213; Trenck, Grenzen oder Grade der Aufwertung, S. 117. ^Herzfeld, Der Irrtum über die Mark, AcP 120 (1922), S. 208 f., 224 f. 47Roth, Die Geldentwertung als Problem der Rechtsfindung, S. 11-13. 43 Roth, Die Geldentwertung als Problem der Rechtsfindung, a.a.O., S. 22. 49 Abraham, Geldentwertung und Geldaufwertung, S. 89 f.; ähnlich: Mügel, Die Gold­ mark als Rechnungswert, S. 8. 50 Geiler, Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, S. 44-48; vgl. ders., Geldentwertung und Privatrecht, S. 39 f. 51 Roth, Die Geldentwertung als Problem der Rechtsfindung, S. 22-30; Marcuse, Einfluß der Geldentwertung auf alte Geldforderungen, namentlich unter Berücksichtigung der Hy­ pothekenforderungen, DRiZ 1922, 218; Boeck, Zur Hypothekenaufwertung: Bereicherungs­ ansprüche aus Goldmarkdarlehen, LZ 1923, 635-637; Lohe, Darlehenshingabe in Goldmark - Rückzahlung in Papiermark?, JW 1923, 451-452; Manigk, Geldentwertung und Zivil­ rechtsmethodik, DJZ 1923, 537; Nipperdey, Vertragstreue und Geldentwertung, DJZ 1922, 661; Best, Zur Aufwertung von Hypotheken, Industrieobligationen und sonstigen langfristi­ gen Geldforderungen, JW 1923, 982 f.; Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1,9. Bearbeitung, § 116a, S. 298 f. 52Heymann, Schutz der Hypothekengläubiger, DJZ 1923,213 und 216 f. 53Ludwig, Hypotheken und Geldentwertung, JW 1923,907.

bar“ bezeichnet,54 über ein Rücktrittsrecht beseitigt55 oder mit dem Stigma des Rechtsmißbrauchs belastet 56 Ludwig Enneccerus, dessen Lehrbuch al­ lein mit der Entwicklung in immer neuen Bearbeitungen Schritt halten konnte, sah den Grund der Vermögensverschiebung nicht im Vertrag, son­ dern in den Währungsgesetzen begründet. Diese, so Enneccerus, hätten kei­ ne Vermögensverschiebung beabsichtigt. Aber auch er reicht eine materiale Begründung nach. Die Verschiebung bedeute „eine schwere Unbilligkeit“ und widerspreche „auch der Gerechtigkeit, da sie den einen auf Kosten des anderen bereichert. Goldmark und Papiermark seien jetzt wirtschaftlich ver­ schiedene Dinge“ 57 Im Ergebnis wollten die hier Genannten, ohne die no­ minelle Basis der Geldschuld zu verlassen, eine Aufwertung nach Grundsät­ zen der Billigkeit vornehmen58

c) Eine Frage der Prärogative Es ist nicht selbstverständlich, daß das Problem des Währungsverfalls zivil­ rechtlich gelöst werden konnte. Die Währung wird von der Staatsgewalt ge­ schaffen, und die hat naturgemäß ein Interesse daran, daß die von ihr ausge­ gebenen Wertzeichen im Verkehr als solche auch verwendet werden. Die eben vorgestellten Lösungen liefen diesem Zweck zuwider. Zwar sollte das staatliche Geld als Zahlungsmittel nicht unmittelbar außer Verkehr gesetzt werden, doch wurde der angegebene Wertgehalt nicht länger akzeptiert. Das mußte die Interessen der Staatsgewalt und die auf dem Gebiet der Währung bestehende öffentlich-rechtliche Kompetenz beeinträchtigen. Ein zusätzli­ ches Hindernis auf dem Weg zur richterlichen Vertragsanpassung also, aber kein unüberwindliches. Gerade in jener Zeit flammte die alte Diskussion über die rechtsetzende Gewalt der Judikatur wieder auf. Das hatte mannig­ fache Gründe. Zum einen waren viele Probleme zu bewältigen. Ein Welt­ 54 Geiler, Geldentwertung und Privatrecht, S. 38. 55 Boeck, Zur Hypothekenaufwertung: Bereicherungsansprüche aus Goldmarkdarlehen, LZ 1923,633 f. 56 Sontag, Zur Polemik gegen die Ansprüche der Hypothekengläubiger, JW 1923, 909; Best, Richter und Schuldnerwucher, JW 1923,111; Marcuse, Einfluß der Geldentwertung auf alte Geldforderungen, namentlich unter Berücksichtigung der Hypothekenforderungen, DRiZ 1922, 218; für den Fall der vorzeitigen Darlehenskündigung: Kretschmar, Jurisprudenz und Gläubigemot, LZ 1923, 206 f.; Abraham, Die Gefährdung der Zivilrechtspflege, DJZ 1923, 271. 57 Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teilbd. 1, 9. Bearbeitung, § 116a, S. 298 f. 58 So etwa schon: Grünebaum, Die Einwirkung der Entwertung des deutschen Geldes auf Dauerrechtsverhältnisse, DJZ 1921, 803; vgl. noch: Mügel, Die Frage der Aufwertung von Hypothekenforderungen vom Standpunkte des geltenden Rechtes aus, JW 1922, 875-877; Oswalt, Die Mark als Wertmesser, JW 1923,879 f.

krieg war verloren worden, und die Reparationsforderungen der Sieger­ mächte lagen noch immer nicht in berechenbarer Größe auf dem Tisch. Die Inflation eskalierte nicht zuletzt im Gefolge des Ruhrkampfes - auch dies eine Folge des verlorenen Krieges. Nach einem revolutionären Umbruch galt es eine demokratische Republik zu etablieren und die damit verbunde­ nen neuen Formen der Entscheidungsfindung zu erlernen. Nicht wenige for­ derten in dieser Lage eine notfalls eigenmächtige Krisenbewältigung der Verwaltungsbeamten und Richter, der Fachleute des alten Regims, unter Umgehung der neuen Staatsführung.59 Ein allgemeiner Vertrauensverlust in die politische Führung spielte hier sicherlich auch eine Rolle; vielleicht so­ gar die generelle Skepsis vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber.60 Die kritischen Stimmen dürfen nicht überschätzt werden. Der Primat des Gesetzgebers sollte unangetastet bleiben. Angesichts der Krise galt die Su­ che nach einer sachgerechten Lösung für die vielgestaltigen Probleme als verantwortungsvolle Vorarbeit für einen notgedrungen hinterherhinkenden Gesetzgeber. Die Fachkreise wollten helfen, nicht opponieren. Der Deutsche Juristentag bereitete eine Verhandlung vor, die sich zentral mit dem Pro­ blem der „Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts“ be­ schäftigen sollte. Der Juristentag fand zwar nicht statt, doch die vorbereite­ ten Gutachten wurden publiziert. Die meisten wollten ein Tätigwerden des Gesetzgebers vorbereiten und sahen die richterliche Kompetenz allenfalls als Notkompetenz vor.61 Auch andere Stimmen mahnten eine einheitliche Lösung an.62 Der beim Reichsgericht angesiedelte Richterverein veröffent­ lichte in der Deutschen Juristen-Zeitung einen konkreten Gesetzesvorschlag. Vorgesehen war eine allgemeine, aber begrenzte Aufwertung, die dem Zei­ lerschen Gedanken recht nahekam - kaum ein Zufall; Zeiler war Vor­ standsmitglied. Interessant ist, daß nicht nur für die reine Geldschuld, son­ dern auch für den noch unerfüllten Austauschvertrag eine zwingende Auf-

59 Rumpf, Rechtsstaat, Notstand und die Wandlung der Aufgaben der Zivilrechtspre­ chung, DRiZ 1921,33-39. 60 So Kübler, Der deutsche Richter und das demokratische Gesetz, AcP 162 (1963), 114 f. 61 Geiler, Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, S. 44-51; Sobernheim, Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, Gruchot 66 (1923), 348-353; Dessauer, Die Geldentwertung als Gesetzgebungsproblem des Privatrechts, S. 9-12; anders aber: Ballin, Die Geldentwertung als Problem der Privatrechtsgesetzgebung, Gruchot 66 (1923), 401: Ballin vertritt die Auffassung, ein Eingriff mit gesetzgeberischen Mitteln sei verhängnisvoll; Ballin spricht hier freilich in erster Linie freilich die unerfüllten Austauschverträge an, für die die Rechtsprechung eine tragfähige Lösung gefunden habe; auf das Problem der Darlehen geht er nur am Rande ein. 62 Best, Goldforderungen und Papiermark, DRiZ 1922, 167; Bühler, Reichsgericht und Gesetzgebung zum Problem der Preisumwälzung, JW 1921,875-878.

Wertung stattfinden sollte, obwohl hier ein Rücktritt möglich und ein korri­ gierender Eingriff nicht nötig war. 63 Allseits wurde erwartet, der Gesetzgeber möge einige der Vorschläge aufgreifen und endlich auf die Vernichtung seiner Währung durch die Hype­ rinflation reagieren. Doch nichts dergleichen geschah. Die Reichsregierung verharrte gelähmt zwischen den unterschiedlichen Interessen.64 Die betrof­ fenen Inhaber von Schuldtiteln waren dabei doppelt im Nachteil. Zunächst waren sie eine breit gestreute und sozial inhomogene Gruppe. Ganz anders die Gegenseite. Hier sahen der bäuerliche Grundbesitz, die Industrie und nicht zuletzt der Staat selbst die Gelegenheit, sich in der Inflation ihrer Schulden zu entledigen. Faktisches Nichtstun - so der zweite Nachteil der Gläubigerseite - mußte die Entscheidung zugunsten der Geldschuldner her­ beiführen. Angesichts dieser Konstellation wurde vorgeschlagen, der Ge­ setzgeber möge wenigstens dem Reichsgericht die Kompetenz übertragen, gegenüber den Folgen der Geldentwertung Ordnung zu schaffen.65 Die Gerichte standen, anders als der Gesetzgeber, unter akutem Entschei­ dungsdruck. Geldgläubiger klagten in dieser Zeit freilich selten; sie ver­ suchten eher die Bezahlung herauszuzögem, bis die Währung sich erholt hatte oder eine politische Lösung gefunden worden war. Es war die Schuld­ nerseite, die die Gerichte beschäftigte. An das Reichsgericht wurde die Fra­ ge herangetragen, ob dem Pächter übereignetes oder von ihm angeschafftes Pachtinventar nach Ablauf der Pachtzeit zum alten Schätzwert oder zum neuen Marktwert zurückzugeben sei. Es mußte weiter entscheiden, ob ein zur Sicherheit übereigneter Gegenstand dem Geldschuldner und Sicher­ heitsgeber gegen Bezahlung in entwerteter Mark zurückgegeben werden mußte und ob ein Anspruch auf Löschung einer Hypothek durch die nomi­ nelle Tilgung der akzessorisch gesicherten Schuld begründet werden konnte. Im Fall des zurückzugebenden Pachtinventars konnte die Vertragsvereinba­ 63 Gesetzentwurf nebst Begründung, betr. Die Ausgleichung der Folgen wirtschaftlicher Aenderungen, im besonderen der Veränderungen des Geldwertes, DJZ 1923, 441 f. Der Ent­ wurf lautet: „§ 1. Bei allen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entstehenden Ansprüchen auf Geldleistung, bei denen die Zahlung später als einen Monat nach der Entstehung erfolgt, ändert sich der zu zahlende Betrag, sofern keine andere Bestimmung getroffen ist, nach dem Verhältnis, in dem die Teuerungszahl zur Zeit der Entstehung und des Anspruchs zu der im Zeitpunkt der Fälligkeit steht. [...] § 2. Wird bei einem gegenseitigen Vertrage dessen wirt­ schaftliche Grundlage vor der Fälligkeit einer Leistung derart geändert, daß einem Teil die Erfüllung billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann, so ist jeder Teil berechtigt, eine solche Umgestaltung des Vertrags zu verlangen, daß die Erfüllung beiden Teilen zuzumuten ist. Ist eine solche Umgestaltung nicht möglich, so kann jeder Teil das Vertragsverhältnis kündigen. [...]“ 64 Hinsichtlich Parteien und Sozialpartner vgl. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 55 f. 65 Henle, Mark gleich Mark?

rung, die 1904 einen damals angemessenen Preis festgesetzt hatte, ohne Probleme nach den in der zweiten Phase entwickelten Prinzipien kassiert werden. Richtig glücklich war das Gericht mit der Lösung nicht. Der aktu­ elle Schätzwert, so der ersatzweise zuständige (inzwischen überholte) § 589 Abs. 3 BGB, schien unbillig hoch, da der Verpächter jahrelang einen viel zu geringen, weil entwerteten Pachtzins bekommen hatte und mit diesem nicht annähernd das Pachtinventar zurückerwerben konnte; der alte Schätzwert, der in einer Vertragsvereinbarung von 1904 konkret benannt worden war, mußte aber den Pächter übermäßig benachteiligen. Das Reichsgericht suchte zunächst in Vergleichsgesprächen und später im Urteil einen Kompromiß herbeizuführen.66 Dem Verpächter wurde letztlich ein erst noch zu ermit­ telnder Abschlag an dem grundsätzlich erforderlichen Wertausgleich zuge­ standen. Eine Abwertung, die verhindern sollte, daß die inflationsbedingte Wertverschiebung wirtschaftliche Einheiten wie die von Pachtgrundstück und Pachtinventar auseinanderriß. Das Urteil ist aus anderen als pachtrecht­ lichen Gründen interessant. Zum ersten Mal wurde offen das Richterrecht für die Lösung inflationsbedingter Probleme angesprochen. Das „Richter­ recht“ sei, so die den Vergleichsvorschlag untermauernde Warnung, neben dem „Parteienrecht“ und dem „Gesetzesrecht“ eine eigenständige Rechts­ quelle, die, subsidiär zwar, volltaugliches Recht schaffen könne.67 In dem Urteil hielt das Gericht schließlich fest: „Weder die vertraglichen noch die gesetzlichen Bestimmungen [§ 589 Abs. 3 BGB] reichen gegenüber dieser Entwicklung aus, um die zur Entscheidung stehenden Fragen zur Lösung zu bringen. Der Richter muß deshalb im Rahmen jener Bestimmungen selbst­ schöpferisch die Entscheidung treffen.“68

Weitgehend unbeachtet von der Literatur verweigerte das Reichsgericht einem Sicherungsgeber den Anspruch auf Rückgabe des sicherungsübereig­ neten Guts gegen entwertete Mark. Denn: „Der Kl. verstößt gegen Treu und Glauben, indem er dem Bekl., der seine Auslagen in vollwertigem Gelde gemacht hat, nunmehr [...] mit einer Summe abfinden will, die nur einen kleinen Bruchteil des vom Bekl. aufgewendeten Vermögenswert darstellt.“69 Das Reichsgericht nutzte hier geschickt die noch ungeklärte Dogmatik der Sicherungsübereignung. Die Sicherungsübereignung wurde damals, da die Sicherungsabrede noch ein unsicheres Gewicht hatte, durch ein Kaufge­ schäft, den sogenannten Sicherungskauf, bereicherungsrechtlich abgesichert. 66 RG v. 27. Juni 1922, RGZ 104,394 (398 f.); Vergleichsvorschlag: JW 1922,910. 67 Beschluß des RG v. 26. Mai 1922, JW 1922,910. 68 RG v. 27. Juni 1922, RGZ 104,394 (397). 69 RG v. 16. März 1923, JW 1923, 919; unter RG v. 26. März 1923, mitgeteilt in: War­ neyer 1924,85.

Das Reichsgericht behandelte Kauf und Rückkauf nun als ein vom Darlehen unabhängiges Geschäft. Nicht das Darlehen wurde aufgewertet, sondern der Rückkauf zum vereinbarten Preis - zufällig dem des Darlehens - verwei­ gert. Bei der gesetzlich als streng akzessorischen Sicherung gestalteten Hy­ pothek mußte dieser Weg scheitern. Selbst Goldklauseln konnten dem Hy­ pothekar nicht helfen. Gesetzlich war die Goldmark der Papiermark nomi­ nell gleichgestellt und aus dem Verkehr gezogen worden. Eine Bezahlung in Goldmark schied demnach aus. Die Goldklausel hätte, ihrem eigentlichen Zweck entsprechend, als Goldwertklausel interpretiert werden können. Dem stünde nur entgegen, so die feste Überzeugung des Reichsgerichts, daß im Grundbuch nur feste Beträge eingetragen werden könnten.70 Als Ausweg blieb die Anpassung der zugrundeliegenden Geldschuld an die inflationäre Wertentwicklung. In Einzelfällen konnte das Reichsgericht tatsächlich ver­ hindern, daß reale Sachwerte gegen nominale Geldwerte herausgegeben werden mußten. Der Nominalismus blieb aber - noch - unangetastet.71 Das OLG Darmstadt hatte hier weniger Skrupel. In zwei Urteilen entschloß es sich zu einer Anpassung hypothekarisch gesicherter Darlehensforderungen an die Geldentwertung.72 Der Darlehensnehmer wurde in beiden Fällen nicht übermäßig belastet. Im ersten Fall hatte er das Darlehen in Goldmark erhalten; im zweiten war der ursprüngliche Wert der Darlehenssumme in Form des damit angeschafften Grundbesitzes noch vorhanden. Das KG (Berlin) ließ sich in zwei ähnlichen Fällen von dem Argument, daß der Schuldner im Besitz eines erheblichen Sachwerts geblieben sei, nicht erwei­ chen 73 Denn: „Die Vorschriften über Treu und Glauben in der Erfüllung könnten nicht dazu benutzt werden, die übrigen gesetzlichen Vorschriften, 70 RG v. 18. Dezember 1920, RGZ 101, 141 (144 f.); RG v. 11. Januar 1922, RGZ 103, 384 (386 f.). 71 Anders Nörr, der dem Reichsgericht bescheinigt, in der Pachtinventarsentscheidung „den Pfad des Nominalismus“ verlassen zu haben: Zwischen den Mühlsteinen, S. 64; im Er­ gebnis mag das stimmen, in der Form nicht; das Gericht hatte nicht über einen fixen Geldan­ spruch zu entscheiden, sondern über einen in der Höhe offenen Erstattungsanspruch für Pachtinventar nach Maßgabe des ehemaligen § 589 Abs. 3 BGB. 72 OLG Darmstadt v. 29. März 1923, JW 1923, 459; OLG Darmstadt v. 18. Mai 1923, JW 1923, 522; in diesem Sinne ebenfalls für eine Aufwertung: LG Münster v. 4. August 1923, JW 1923, 1059; AG Würzburg v. 12. April 1923, JW 1923, 961 f.; gegen eine Auf­ wertung: KG v. 1. Mai 1923, JW 1923, 522. Wer aufmerksam die Fachpresse verfolgt hatte, wurde kaum überrascht; der Schritt hatte sich in Stellungnahmen des OLG-Präsidenten Georg Best angedeutet: Best, Geldentwertung; die Inkonsequenz der Rechtsprechung, JW 1923, 451. 73 Mitgeteilt von: van Velsen, Die Stellung des Kammergerichts in Sachen der Geld­ entwertung, DJZ 1923, 395-397; der Kammergerichtsrat van Velsen schlug die Einrichtung von Schiedsgerichten vor: Nachträge zur Rechtsprechung bei Geldentwertung, DJZ 1923, 680 f.

zu denen auch noch die Währungsvorschriften mit dem Zwangskurse der Mark gehörten, außer Geltung zu setzen.“ Der Verkehr hatte die Währung im Sommer 1923 praktisch aufgegeben. Längst war die Wirtschaft zu Devisen oder wertbeständigem Notgeld über­ gegangen, so daß im Verlauf der Hyperinflation außer der öffentlichen Hand kaum noch jemand in Mark rechnete.74 Auch die Reichsregierung und die anderen Körperschaften des Reichs mußten, wollten sie kreditfähig bleiben, eine stabile Rechnungsbasis vorweisen. Am 15. November 1923 nahm die Rentenbank ihre Tätigkeit auf und etablierte mit der Rentenmark eine neue, stabile Währung. Nun drängte die Frage, ob die neue Währung tatsächlich von der alten abgekoppelt werden konnte. Es drohte ein Währungsschnitt, der den inflationsbedingten, ohne relevante materiale Grundlage eingetrete­ nen Wertverschiebungen Dauer verleihen würde. Die Reichsregierung machte immer noch keine Anstalten, auf dieses Problem zu reagieren - sieht man von dem reichlich eigennützigen Versuch ab, die aus der Inflation re­ sultierenden Gewinne der Schuldnerseite zu besteuern. In dieser Situation schritt der 5. Senat des Reichsgerichts zur Aufwertung.

3. Die Aufwertungsentscheidung und ihre Folgen „Wie eine Bombe“ soll die Aufwertungsentscheidung des Reichsgerichts bei dem frisch gebildeten Kabinett Marx eingeschlagen sein.75 Was war gesche­ hen? Am 28. November 1923 hatte das Reichsgericht seine bis dahin geübte währungspolitische Zurückhaltung aufgegeben und einem Darlehensneh­ mer, der seine hypothekarisch gesicherte Schuld mittels entwerteter Mark begleichen wollte, den Rechtsschutz versagt. Gegenstand des Rechtsstreits war eine Hypothek, welche ein in der Lüde­ ritzbucht gelegenes Grundstück, ein Gebiet des frisch verlorenen Kolonial­ reichs in Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia, belastete. Das Reichsge­ richt verweigerte dem Darlehensschuldner, der zugleich Eigentümer des belasteten Grundstücks war, die angestrebte Löschungsbewilligung. „Auch beim Darlehen besteht seinem Wesen nach die Voraussetzung einer Gleich­ heit zwischen Leistung und Gegenleistung.“ Mit diesen Worten zog der 5. Senat die Parallele zu den bislang entschiedenen Fällen des Austausch­ vertrags 76 Der Hinweis auf die Austauschverträge ist nicht ganz unproble­ matisch. Beurteilt wurde nicht die Äquivalenz von Zins und Wert der zeit­

74Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923, S. 301. 75 Pfleiderer, Das Prinzip „Mark = Mark“ in der deutschen Inflation 1914-1924, S. 80, 76 RG v. 28. November 1923, RGZ 107,78 (91).

weiligen Überlassung des Geldes, also das, was beim Darlehen tatsächlich auf Dauer ausgetauscht wird, sondern die Gleichheit des hingebenden und zurückzugewährenden Darlehenskapitals. Und noch ein zweiter Unter­ schied ist zu verzeichnen: die Darlehenssumme ist bereits geflossen; der Darlehensgeber begehrt deshalb nicht einfach die Kündigung oder eine an­ derweitige Aufhebung des Darlehensvertrags; er will vielmehr die Darle­ henssumme im Wert und nicht im nominellen Betrag zurückerhalten. Aus zivilistischer Sicht sieht das Reichsgericht sich gleichwohl nicht gehindert, dem Darlehensgeber zu helfen. § 607 BGB und selbst der ergänzend ermit­ telte Parteiwille seien dahin zu verstehen, daß ein gewährtes Darlehen nicht nur dem Betrag, sondern auch der Güte nach zurückzuerstatten sei.77 Tra­ gend war weiter die Überlegung, daß der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht in rechtsmißbräuchlicher Weise tilgen könne. Erwähnt wurden „Ge­ setzesbestimmungen, die verhüten sollen, daß der Schuldner in der Lage sei, sich seiner Verbindlichkeit in einer Weise zu entledigen, die mit den Anfor­ derungen von Treu und Glauben und mit der Verkehrssitte nicht vereinbar ist“, namentlich § 242 BGB 78 Einer Rückzahlung des Darlehens in gleicher Güte stünden allerdings - so der Gedankengang des Reichsgerichts weiter die Währungsvorschriften entgegen. Da das Bankgesetz die Banknoten der Reichsbank zum gesetzlichen Zahlungsmittel erhoben und mit einem An­ nahmezwang versehen habe, sei das Währungsrisiko grundsätzlich vom Darlehensgeber zu tragen. Was hinderte das Reichsgericht in diesem Sinne zu judizieren? Öffent­ lich-rechtliche und privatrechtliche Normen forderten entgegengesetzte Lö­ sungen, wird dem Leser des Urteils vor Augen gehalten. Aber nicht nur das Währungsrecht stand einer schlichten Umrechnung der Darlehensschuld im Wege. Wegen der außerordentlichen Entwertung der Mark befriedigten bei­ de Lösungen, die nominelle wie die wertmäßige Rückerstattung der Darle­ henssumme, nicht recht. Hätte das Gericht die nominalistische Tilgung der Schuld akzeptiert, so wäre der ganze Inflationsverlust dem Darlehensgeber zur Last gefallen, und zwar auch dort, wo die Inflation gar keine Werte ver­ nichtet hatte. Das ist der damals viel beschworene Inflationsgewinn, der vermieden werden sollte. Eine vollständige Erstattung des ursprünglich hin­ gegebenen Wertes hätte den Verlust aber auch insoweit dem Darlehensneh­ mer aufgebürdet, als dieser den Darlehensbetrag nicht inflationsresistent verwendet hatte. Konnte man ihm das aber ernsthaft zum Vorwurf machen, wenn er bis zu dem Urteil damit rechnen durfte, ein nomineller Betrag wür­ de zur Tilgung der Schuld schon ausreichen? Gesucht war eine Lösung, die

77 RG v. 28. November 1923, RGZ 107,78 (91,92). 78 RG v. 28. November 1923, RGZ 107,78 (88,91).

eine Bereicherung des Darlehensnehmers verhinderte, zugleich aber dem Darlehensgeber den tatsächlich aufgetretenen Inflationsschaden beließ. Das Gericht segelte nun elegant zwischen der Scylla des nominalen Markbetrags und der Charybdis des hingegebenen Wertes hindurch. Im „Widerstreit“ von öffentlich-rechtlichen Währungsvorschriften einerseits und „der das Rechts­ leben beherrschenden Vorschrift des § 242 BGB“ andererseits solle, so das Gericht, die im Einzelfall existierenden Interessen der Beteiligten abgewo­ gen und eine angemessene Aufwertung vorgenommen werden.79 Die Entscheidung machte das Reichsgericht in weiten Kreisen der Be­ völkerung populär und brachte ihm viele anerkennende Zuschriften ein.80 In der Fachwelt war das Echo gespalten. Erst jetzt meldeten sich verstärkt die­ jenigen zu Wort, denen die Idee richterlicher Gestaltungsakte mißfiel. Kri­ tisch wurde hinterfragt, ob es Aufgabe der Rechtsprechung sei, die mit der Währung verbundenen Probleme zu lösen. Philipp Heck betonte, daß nicht allein private Interessen der Parteien, sondern auch öffentliche Interessen des Staates von der Entscheidung betroffen seien. Und er fährt fort: „Für die Abwägung der bedrohten Privatinteressen und der öffentlichen Interessen an der Stützung der Valuta bestand und besteht kein objektiver, gleichmäßiger Erkenntnis zugänglicher Maßstab. Diese Abwägung kann nur durch einen Willkürakt, eine starre Norm vollzogen werden. Dazu ist der Gesetzgeber befähigt, nicht aber der Richter.“81 Nicht jeder mochte der interessengelei­ teten Theorie Hecks folgen; die Bedenken waren jedoch ähnliche. Walter Grau sah in dem Urteil „nichts anderes als ein[en] Ausdruck des Verfalls des Staates, eine Reaktion auf seine Hilflosigkeit oder seine Unbekümmert ­ heit, eine Notwehr, aber kein[en] Anfang“.82 Neben dieser kritischen Positi­ on wurden ausgesprochene Notrechtstheorien formuliert, die sich nicht pri­ mär gegen die Rechtsprechung wandten, sondern gegen erste Versuche, ei­ nen allgemeinen Aufwertungsbegriff zu konstruieren. „Die Aufgabe, welche die Krise der Inflationszeit der Rechtsprechung stellte, war die Schaffung eines Not- und Übergangsrechts“, ist bei Alfons Roth zu lesen.83 Ähnlich

79 RG v. 28. November 1923, RGZ 107,78 (87,88). 80 Geyerf Recht, Gerechtigkeit und Gesetze: Reichsgerichtsrat Zeiler und die Inflation, ZNR 16 (1994), 349. 81 Heck, Das Urteil des Reichsgerichts vom 28. November 1923 über Aufwertung von Hypotheken und die Grenzen der Richtermacht, AcP 122 (1924), 216-222; Zitat S. 219. 82 Grau, Rechtsprechung oder Gesetzgebung zur Anpassung des Privatrechts an die ver­ änderten Verhältnisse?, AcP 122 (1924), 344; ähnlich zur vorangegangenen Entscheidung des OLG Darmstadt: Rabel, Die Darmstädter Entscheidung, Recht 1923,142: „Der hessische Spruch wollte ein Trompetenstoß sein. Als solcher sei er begrüßt. Möge ihn der Gesetzgeber hören.“ 83 Roth, Die Aufwertung, Bd. 1, S. 37.

äußerte sich noch Hans F. Abraham.^ Die Legitimation für den rechts­ schöpferischen Akt sahen beide in der besonderen Situation der Inflation begründet. Entsprechend zurückhaltend solle die Rechtsprechung agieren. Ob man in der richterlichen Kompetenzanmaßung ein Problem sah oder diese dem Gericht sogar hoch anrechnete, das hing im wesentlichen davon ab, welche Wertentscheidung für die Problemlösung bevorzugt wurde. Heck hatte das öffentliche Interesse betont und traf damit die unter den Kritikern vorherrschenden Wertmaßstäbe. Nach Ansicht Arthur Nußbaums war die Behandlung entwerteter Forderungen „eine Aufgabe, die der Gesetzgeber in voller Freiheit von den Gesichtspunkten des staatlichen Interesses aus, also vorzugsweise nach allgemeinen volkswirtschaftlichen, währungspolitischen und steuerlichen Gründen zu lösen hatte“.* 85 Wer soviel Staatsraison nicht guthieß, für den sah das ganz anders aus. Erich Jung vertrat im Gegensatz zu Nußbaum eine ausgesprochen privatrechtliche Theorie des Geldes. Der Geldcharakter beruhe, so Jung, allein auf der entsprechenden Parteiverein­ barung. Demnach habe nicht das Reichsgericht, sondern der Staat gefehlt. Denn dieser habe einer „öffentlich-rechtlichen Pflicht bei der Herstellung und Ausgabe der Umlaufmittel“ zuwidergehandelt.86 Aus rein zivilistischer Sicht fiel das positive Urteil noch leichter. „Das Währungsrecht bestimmt nur, in welcher Weise eine auf eine bestimmte Summe gesetzlicher Wäh­ rung lautende Geldschuld zu tilgen ist“, erkennt Oscar Mügel. Es sei aber „Sache des bürgerlichen Rechts, darüber Anordnungen zu treffen, welche Summe gesetzlicher Währung geschuldet wird“.87 88 Ähnlich äußerten sich auch Theodor Kipp, Paul Oertmann und Ludwig Enneccerus?3 Damit war der Weg frei für eine rein zivilistische Lösung des Problems, eine Aufgabe, die naturgemäß auch von dem Reichsgericht kompetent vorgenommen wer­ den konnte. Das Reichsgericht verdiene gar „hohe Anerkennung“, so Mügel 34 Abraham, Die Aufwertung als revolutionäres Notrecht, JR 1925,235. 85 Nußbaum, Die Bilanz der Aufwertungstheorie, S. 14; ders., Das Geld in Theorie und Praxis des deutschen und ausländischen Rechts, S. 127: „Das Urteil des Reichsgerichts bürdet deshalb dem Richterstand eine Verantwortung auf, die ihm sowohl in volkswirtschaftlicher wie in seinem eigenen Interesse femgehalten werden sollte“; vgl. noch Auerbach, Hypothe­ kengläubiger und Geldentwertung, BayRpflZ 1923,164-166; Behrend, Währungsgesetz und § 242 BGB, HansRZ 1924, S. 244: „Der Gesetzgeber hat nach heute fast unbestrittener An­ sicht die Befugnis, zu bestimmen, was er will.“ 86 Jung, Das privatrechtliche Wesen des Geldes, S. 21. 87 Mügel, Das gesamte Aufwertungsrecht, S. 160; ähnlich schon in: Die Frage der Auf­ wertung der Hypothekenforderungen vom Standpunkte des geltenden Rechts aus, JW 1923, 875. 88 Oertmann, Besprechung von R. Henle, Mark gleich Mark?, AcP 122 (1924), 129 f.; Kipp, Das bürgerliche Recht in der dritten Steuemotverordnung, JW 1924, 480; Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teilbd. 1,10. Bearbeitung, § 116a, S. 299.

weiter, „daß es, als die Gesetzgebung versagte, trotzdem einen Weg gefun­ den hatte, um eine den Erfordernissen des Rechts und der Wirtschaft in glei­ cher Weise gerecht werdende Lösung der Frage zu erzielen [...]“89 In aller Regel führten auch ethische Anschauungen zu einer positiven Bewertung.89 90 Das trifft auch die heutige historiographische Würdigung des Urteils. Nach erster, politisch und ideologisch motivierter Kritik an der plötzlichen Geset­ zesuntreue der Richter91 wird nunmehr das ethische Moment des reichsge­ richtlichen Urteils betont 92 Kritische Stimmen erwähnen allenfalls das per­ sönliche Interesse einiger Richter an der Aufwertung.93 Dagegen ist von den damaligen währungsrechtlichen und -politischen Bedenken nur noch wenig zu spüren. Der Aufwertungsanspruch mag zivilrechtlich auf schwachen Füßen ste­ hen, aber er war gewiß ein geschickter taktischer Zug des Reichsgerichts. Bereits einmal stand das Reichsgericht vor dem Problem, vorhandene Werte angesichts einer völlig entwerteten Währung so zu verteilen, daß nicht am Ende der eine vom anderen eine unberechtigte Bereicherung erfuhr. Damals, im Fall des Rückkaufs von Pachtinventar, stand freilich nicht das Wäh­ rungsrecht, sondern „nur" eine zivilrechtliche Norm im Wege. Das Gericht tat sich dort in der Umsetzung des einmal als richtig erkannten Ergebnisses leichter. Es ging von dem tatsächlichen Wert des Pachtinventars aus und nahm, um den Geldschuldner und Sachgläubiger zu schonen, eine Abwer­ tung vor.94 Der 5. Senat hätte, diesem Weg folgend, auch für das hypotheka­ risch gesicherte Darlehen eine valoristische Umrechnung des zurückzuge­ 89 Mügel, Kommentar zur Dritten Steuemotverordnung vom 14. Februar 1924, Bd. 1, S.9f. 90 Oertmann, Die Aufwertungsfrage bei Geldforderungen, Hypotheken und Anleihen, S. 40 f.; Oertmann, BGB, 5. Auflage, Anm 3 c) zu § 242 (S. 29); Staudinger/Werner, BGB, 9. Auflage, Komm, zu § 242, S. 53 m.w.N.; Smoschewer, Ist der Richter berechtigt und ver­ pflichtet, ungerechte Gesetze außer Anwendung zu lassen? DRiZ 1924, 221 f.; zu den voran­ gegangenen Entscheidungen des OLG Darmstadt: Zeiler, Die Darmstädter Entscheidungen zur Frage der Geldentwertung, LZ 1923,428 f. 91 Zuletzt: Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 69 f., 82 und 86-88. 92Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 56: „eine bemerkenswerte soziale Tat“; ders., Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit, S. 19: „ein gerechtes Urteil“; Pfleiderer, Das Prinzip Mark gleich Mark in der deutschen Inflation 1914 bis 1924, S. 79: das Reichsgericht habe „für die materielle Gerechtigkeit“ optiert; auch Feldman betont die ethische Kompo­ nente: The Great Disorder, S. 813 f. 93 Geyer konstatiert „vordergründige persönliche Interessen“ einer auf Geldeinkünfte und Geldvermögen angewiesenen Richterschaft sowie eine , fundamentale Krise rechtsstaatlichen Bewußtseins“: Geyer, Recht, Gerechtigkeit und Gesetze: Reichsgerichtsrat Zeiler und die In­ flation, ZNR 16 (1994), 372; Feldman erwähnt, daß der Präsident des OLG Darmstadt, Georg Best, 97.600 Mark hypothekarisch angelegt hatte: Feldman, The Great Disorder, S. 813. 94 RG v. 27. Juni 1922, RGZ 104,394 (399 f.).

währenden Darlehens vornehmen können, um dann eine Abwertung inso­ weit in Aussicht zu stellen, als der Darlehensnehmer die durch das Darlehen erlangten Werte infolge der Inflation verloren hatte. Das hat der Senat aber nicht getan. Der Ausgleich zwischen den Parteien fand genau umgekehrt statt. Ausgehend von dem nominellen Wert sollte nun mit Blick auf die fak­ tischen Werte aufgewertet werden. Warum der umgekehrte Weg, obwohl doch augenscheinlich dasselbe Ergebnis angestrebt wurde? Anders als im Falle des Pachtinventars wurde eben nicht über den Wert herauszugebender Gegenstände, sondern den des staatlichen Geldes entschieden. Das Geld und der dahinterstehende Staat sollten augenscheinlich geschont werden. Das Gericht erkannte die staatsrechtlichen Implikationen und verkaufte einen schon nach zivilrechtlichen Grundsätzen notwendigen Kompromiß als einen zwischen den öffentlich-rechtlichen Währungsvorschriften und dem zivil­ rechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben geschlossenen. Der Reichsre­ gierung wurde mit dem Aufwertungsanspruch ein Weg vorgezeichnet, der die Währung nominell schonte und gleichzeitig das gewünschte Ergebnis begründete. Dennoch brachte die Entscheidung die Regierung in arge Verlegenheit. Die Regierung sorgte sich freilich weder um zivilrechtliche Grundsätze noch um das Währungsrecht, und auch der in der Lüderitzbucht begüterte Darlehensnehmer dürfte den Mitgliedern des Kabinetts gleichgültig gewe­ sen sein. Das Reich war als potentielle Partei betroffen, als Schuldner in gi­ gantischem Ausmaß. Der Krieg war in erheblichem Umfang durch Kriegs­ anleihen und durch Geldschöpfung finanziert worden. Insgesamt neun Kriegsanleihen hatten dem Reich bis Kriegsende einen Ertrag von 97 Milliarden Mark eingebracht, mit dem ungefähr ein Drittel der unmittel­ baren Kriegsausgaben gedeckt worden war. Im November 1923 befanden sich kurzfristige Schuldtitel im Gesamtbetrag von 51,2 Milliarden Mark im Umlauf; die gesamte Reichsschuld lag bei circa 156 Milliarden Reichsmark - bei einem auf 300 Milliarden Mark geschätzten Volksvermögen vor Kriegsausbruch.95 In dieser Situation kam die Inflation den Regierenden nicht ungelegen, eröffnete sie doch die Aussicht, die Schulden mit entwer­ teter Mark begleichen zu können. Nun hatte das Reichsgericht zwar nur eine private Darlehensforderung aufgewertet, aber die Regierung war nicht sehr erbaut über die Aussicht, daß dies auch mit Staatsanleihen und anderen Staatsschulden geschehen könnte. Zudem machte sich der Reichsfinanzmi­ nister Luther gerade Gedanken darüber, wie man die Inflationsgewinne be­ steuern könnte. Eine Reduktion dieser Gewinne würde nur die erwarteten 95 Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914 bis 1918 und ihre Folgen; Tabelle zur schwebenden Schuld: Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923, S. 64 f.; Tabelle zur fundierten Schuld: Haller, Die Rolle der Staatsfinanzen für den Inflationsprozeß, S. 154.

Einnahmen des Staates schmälern. Der Wirtschaftswissenschaftler Franz Eulenburg wies bereits 1924 auf die steuerrechtlichen Zusammenhänge hin: „Der ganze Real- und Sachbesitz ist eben in vollem Umfange schuldenfrei geworden und damit im Verhältnis zu anderen Schichten zweifellos ge­ stärkt. Dadurch ist überhaupt erst die Steuerbelastung möglich und tragbar geworden, daß eine Schuldtilgung stattgefunden hat.“96 a) Die politischen Folgen

Schon am 15. Dezember 1923, also gerade zweieinhalb Wochen nach dem Urteil, präsentierte der parteilose Reichsfinanzminister Luther dem Wirt­ schaftsausschuß des Kabinetts den Entwurf einer neuen - der dritten - Steu­ emotverordnung, deren § 1 auf den ersten Blick wenig mit Steuerrecht zu tun hatte: „Gläubiger von Forderungen, die auf Reichsmark lauten und für die nicht ausdrücklich vereinbart ist, daß sich der Forderungsbetrag mit Rücksicht auf die Geldentwertung nachträglich erhöht, sind nicht berechtigt, eine solche Erhöhung zu verlangen.“97 Der Finanzminister hätte gleich for­ mulieren können: Gläubiger, denen nach der Rechtsprechung des Reichsge­ richts ein Aufwertungsanspruch zusteht, sind nicht berechtigt, diesen zu verlangen. Was veranlaßte Luther zu dem ungewöhnlichen Schritt? Vorder­ hand wurde auf Steuerausfälle hingewiesen, die durch die rechtliche Schwe­ belage entstünden: Die Schuldner könnten die gegen sie laufenden Forde­ rungen zum aufgewerteten Betrag in die Bilanzen einstellen, während die Gläubiger sie als entwertet absetzten.98 Der Entwurf blieb im Kabinett nicht unwidersprochen. Reichsjustizmini­ ster Emminger (Bayerische Volkspartei) warnte vor den negativen Folgen einer Desavouierung des höchsten deutschen Gerichts. Angesichts des ge­ richtlich geschaffenen Aufwertungsanspruchs beinhalte die fragliche Rege­ lung eine Enteignung, so der zweite Einwand. In einer schriftlichen Stel­ lungnahme mahnte er auch die sozialen Konsequenzen an: „Wie die zahllo­ sen der Reichsregierung zugegangenen Eingaben beweisen, befinden sich die Forderungen, um deren Aufwertung es sich handelt, noch in sehr erheb­ lichem Umfange in den Händen der ärmeren Bevölkerungsschichten, die von der Geldentwertung überrascht und nicht imstande gewesen sind, ihre Forderungen rechtzeitig zu verwerten.“99 Er wies darauf hin, daß die Aner­ 96 Eulenburg, Die sozialen Wirkungen der Währungsverhältnisse, in: Jahrbücher für National-Ökonomie und Statistik 122 (1924), S. 759 f. 97 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1: No­ vember 1923 bis Juni 1924, Nr. 25, S. 108, Fn. 1. 98Krohn, Stabilisierung und ökonomische Interessen, S. 46. 99 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd.l, Nr. 48, S. 195 f.

kennung der inflationsbedingten Entschuldung insbesondere die - bis dahin - staatstragenden Schichten träfe. Außenminister Stresemann (DVP) schloß sich dieser Argumentation an. Er erwartete von einer Aufwertung der Staatsschulden sogar zusätzlich eine außenpolitische Entlastung.100 Der Fi­ nanzminister antwortete mit einer Aufstellung überaus rabulistischer Ge­ genargumente.101 Es ist bemerkenswert, daß in der Debatte der Gedanke von Treu und Glauben ebensowenig eine Rolle spielte wie das fundamentale Ge­ rechtigkeitsprinzip der Äquivalenz. Ausgetauscht wurden Argumente der nackten Staatsraison. Nicht selten traten „krasse Gruppeninteressen“102 hin­ ter vermeintlichen gesamtgesellschaftlichen Interessen hervor. Der Emährungsminister Graf v. Kanitz (parteilos) wollte den weitgehend entlasteten bäuerlichen Grundbesitz schützen; Wirtschaftsminister Hamm (DDP) wie­ derum warnte vor den negativen Folgen einer Aufwertung für die Industrie, weil die Inflationsgewinne längst in Anlagen investiert worden seien, die „unserer Wirtschaft zugute kämen“.103 Es ist originell und nicht wenig zy­ nisch, das Argument, daß die Werte noch vorhanden, gar investiert worden waren und gute Gewinne versprachen, zugunsten des Geldschuldners anzu­ führen. Der Aspekt der Bereicherung hatte die maßgebenden Gerichte, das OLG Darmstadt und das Reichsgericht, ja gerade zur Aufwertung veranlaßt. Wenigstens zum Teil setzte sich der reichsgerichtliche Gedanke der Aufwertung durch. Zuerst entschied das Kabinett eine Aufwertung um 5 %, korrigierte diesen knausrigen Beschluß aber später auf 10 %. Im Reichstag beugte man sich der heftigen Kritik und gestand schließlich einen Regelsatz von 15 % zu.104 In der Dritten Steuemotverordnung vom 14. Februar 1924 wurden nicht alle Geldforderungen geregelt, sondern nur kasuistisch aufge­ zählte Vermögensanlagen; Abweichungen von dem Regelsatz waren mög­ lich, zumeist jedoch nur zugunsten des Schuldners. Der aufgewertete Teil sollte zudem erst am 1. Januar 1932 fällig werden.105 Später sollte die Quote weiter angehoben werden, in der Regel aber 25 % nicht überschreiten. Für 100 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1, Nr. 30, S. 128: „Das Ausland habe wiederholt die Stärke Deutschlands zu Reparationslei­ stungen damit begründet, daß es der einzige Staat sei, der den Krieg umsonst geführt habe und nicht durch Staatsschulden belastet sei.“ 101 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1, Nr. 68, S. 262-264. 102 So das Verdikt von Krohn, Stabilisierung und ökonomische Interessen. Die Finanzpo­ litik des Deutschen Reiches 1923-1927, S. 48. 103Krohn, Stabilisierung und ökonomische Interessen, S. 47. 104 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1, Nr. 71, S. 269-271; Nr. 77, S. 291; Nr. 103, S. 360 f. 105 Insbes. Art. 1 § 1 Abs. 2; § 2 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 5 Abs. 1 der dritten Steuer­ notverordnung.

Industrieobligationen und für Schuldverschreibungen der juristischen Per­ sonen des öffentlichen Rechts blieb es bei 15 %.106 Die Gründe für diesen sukzessiven Umschwung dürften in den zunehmend besser organisierten Gläubigerinteressen106 107 und in einer für das Thema sensibilisierten Öffent­ lichkeit zu suchen sein. Selbst im Reichstag wuchs der Druck derart an, daß die Reichsregierung unter anderem deshalb den Reichstag auflösen ließ. Der politische Streit erlosch noch lange nicht. 1926 wurde ein - verfassungs­ rechtlich zulässiges - Volksbegehren schon im Vorfeld durch einen Be­ schluß des Innenministeriums für unzulässig erklärt.108 Bedenken vor einer Machtprobe mit dem höchsten deutschen Gericht mögen hier ebenfalls eine gewisse Rolle gespielt haben;109 angesichts des breiten Widerstands wird die Bedeutung des Reichsgerichts für den späteren politischen Prozeß aber doch entscheidend relativiert. Ungeachtet der Nachbesserungen hatten sich weit­ gehend die Aufwertungsgegner durchgesetzt. Im Ergebnis wurde der - nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bestehende - Aufwertungsanspruch um 75 % bis 85 % abgewertet. Als Gläubiger war die Regierung weitaus groß­ zügiger. Bereits in Verordnungen vom 11. und 18. Oktober 1923, also noch vor der fraglichen Reichsgerichtsentscheidung, war eine volle Aufwertung von Steuernachforderungen angeordnet worden. Ausgerechnet eine rein bürgerliche Regierung Deutschlands hatte massiv in privatrechtliche Verhältnisse eingegriffen. Man kann sich darüber strei­ ten, ob in der begrenzten Aufwertung eine Enteignung in Höhe der verwei­ gerten vorliegt. Dagegen spräche, daß die Regierung nur die Konsequenzen aus der Inflation gezogen hatte. Dieses dem Nominalismus huldigende Ar­ gument verblaßt aber bei Lichte besehen sehr rasch. Die vom Reichsgericht geschaffene Möglichkeit der Aufwertung betraf ja Forderungen, für die der

106 Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen (Aufwer­ tungsgesetz) vom 16. Juli 1925. Zur Regelaufwertung vgl. §§ 4, 9 und 13; zu den Industrie­ obligationen und den Schuldverschreibungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts vgl. §§ 33 und 51 Abs. 1. 107 Childers, Inflation, Stabilization and Politival Realignment in Germany 1924 to 1928, in: Die deutsche Inflation. Eine Zwischenbilanz, S. 409-431; insbes.: S. 424. Hervorzuheben sind: die 1920 gegründete Reichspartei des deutschen Mittelstandes; der 1922 gegründete Hypothekengläubiger-Schutzverband für das Deutsche Reich (der sog. Sparerbund) sowie die hieraus 1926 hervorgegangene Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung; vgl.: W. Fritsch, in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Bd. 2, S. 541-560 und 648-653. 108 Wunderlich, Art. Aufwertung, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Auf­ lage, S. 25-28. 109 So Berkemann, Geschichte, Strategie und richterliche Gesetzeskontrolle im Aufwer­ tungsurteil des Reichsgerichts vom 4. November 1925 (RGZ 111,320), EuGRZ 1986,85 und 88. Berkemann stellt diesen Aspekt in den Vordergrund und vernachlässigt dabei die öffentli­ che Debatte, die völlig unerwähnt bleibt.

Gläubiger Opfer in realen Werten erbracht hatte. Zudem sollte vorwiegend der Schuldner getroffen werden, der in Sachwerte investiert oder aufgrund anderer Dispositionen in demselben Maße gewonnen, in dem der geldbesit­ zende Gläubiger verloren hatte. Franz Eulenburg berechnete einen Betrag von „mindestens 70 Milliarden M., um den die Realbesitzer, vor allem der städtische und ländliche Grundbesitz, entlastet worden sind“.110 Indem die Regierung den Rückfluß selbst der noch bestehenden Werte in weiten Teilen verhinderte, sanktionierte sie die Inflationsgewinne und -Verluste. Es sollte plötzlich ausdrücklich legitimiert werden, was die Judikatur seit Jahren nur aus Treue zu Vertrag und Gesetz hinnahm und soweit wie möglich zu korri­ gieren suchte.

b) Die Opposition aus der Richterschaft

Die Bedenken gegen den legislativen Kahlschlag waren nicht gering. Bereits im Januar 1924, mitten in die politische Debatte um die Dritte Steuemotver­ ordnung hinein, hatte der Vorstand des Richtervereins beim Reichsgericht die Reichsregierung davor gewarnt, sich über die Judikatur des Reichsge­ richts und die sie tragenden materialen Werte hinwegzusetzen: Der Gedanke von Treu und Glauben sei essentiell für jede Rechtsordnung, „die diesen Eh­ rennamen verdient“ und stehe über der einzelnen Norm.111 Kaum verdeckt wurde gedroht, die noch ausstehende gesetzliche Regelung an Treu und Glauben zu messen. Das Ansehen der Regierung wie auch das Rechtsgefühl der Bevölkerung würden beeinträchtigt, so die höchst vorsorgliche Warnung der Reichsgerichtsräte, „wenn es dazu kommen müßte, daß jemand, der sich im Rechtsstreit auf die neue gesetzliche Vorschrift beriefe, damit von den Gerichten mit der Begründung abgewiesen würde, seine Berufung auf die Vorschrift verstoße gegen Treu und Glauben“.112 Das Schreiben wurde zu­ gleich in der Fachpresse publiziert.113 Natürlich war der Richterverein, ein privatrechtlicher Interessenverband, nicht identisch mit dem Reichsgericht. Da der Vorstand eigenständig gehandelt hatte, ist sogar ungewiß, ob er auf die Zustimmung der eigenen Mitglieder zählen konnte. Federführend waren zudem Mitglieder strafrechtlicher Senate: der Vorsitzende Adolf Lobe sowie

^Eulenburg, Die sozialen Wirkungen der Währungsverhältnisse, in: Jahrbücher für National-Ökonomie und Statistik 122 (1924), S. 760. 111 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1, Nr. 49, S. 200 f. 112 Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1, Nr. 49, S. 201. 113 JW 1924,90, und DRiZ 1924,7.

der bereits hervorgetretene Alois Zeiler.^ Dennoch: der Schritt war ohne Vorbild in der deutschen Rechtsgeschichte. Erstmals maßten sich Reichsge­ richtsräte ein Prüfungsrecht gegenüber einem völlig neuen Gesetz an, einem demokratisch legitimierten zumal. Natürlich wurde der Schritt in der Fach­ presse kritisiert.114 115 Selbst Richter mißbilligten das offene Wort.116 Berück­ sichtigt man die enorme Tragweite des Schrittes, so hielt sich die Kritik ins­ gesamt gesehen jedoch in überschaubaren Grenzen. Im Zentrum des Interes­ ses und der kritischen Auseinandersetzung stand nicht der Richterverein, dem man wenigstens eine lautere Gesinnung attestierte, sondern der Gesetz­ geber. Mit Unbehagen und Erstaunen nahm man zur Kenntnis, daß die Re­ gierung ganz offensichtlich als betroffene Partei agierte und aus Gründen vermeintlicher Staatsraison in großem Umfang Geldschuldner entlasten wollte.117 In die sachliche Kritik an der Position der Regierung in der Aufwertungs­ frage mischten sich Gedanken über die Machtbalance in Zeiten einer parla­ mentarischen Demokratie. „Im tiefsten Grunde ist der Absolutismus, gegen den sich das in der reichsgerichtlichen Kundgebung zum Ausdruck gekom­ mene Rechtsgefühl auflehnt, der demokratische Absolutismus der Mehr­ heit“, konstatiert James Goldschmidt.118 Und er fährt fort: „Daß in der De­ mokratie die Gefahr eines Absolutismus der Mehrheit besteht, ist allgemein bekannt. Gegenüber den aus einem solchen Absolutismus erwachsenden Ge­ 114 Lobe war Vorsitzender des 1. Strafsenats; Zeiler war vom 1. Oktober 1922 bis 1. Ja­ nuar 1923 Mitglied des 2. Zivilsenats; danach wechselte er zum 1. Strafsenat; vgl. Fünfzig Jahre Reichsgericht, hg. v. A. Lobe, S. 390-394. 115 Karger, Treu und Glauben als oberster Rechtsgrundsatz, DJZ 1924, 137; Stoll, Rechtsstaatsidee und Privatrechtslehre, Jherings Jahrbücher 76 (1926), S. 202 f.; Rümelin, Gesetz, Rechtsprechung und Volksbetätigung auf dem Gebiet des Privatrechts, AcP 122 (1924), S. 266 f.; Dessauer, Recht, Richtertum und Ministerialbürokratie, S. 10 f.; Hedemann sieht gar das „Gespenst vollkommener Auflösung“: Staatsgesinnung, DJZ 1924,189. 116 Matthiessen, Zur Erklärung des Richtervereins beim Reichsgericht, DRiZ 1924, 41 f.; Münch, Die Abhängigkeit des Richters vom Recht, DRiZ 1924,339 und 343; Jacusiel, Ist der Richter berechtigt und verpflichtet, ungerechte Gesetze außer Anwendung zu lassen?, DRiZ 1924,73; Michaels, Aufwertung und Systemlogik, HansRZ 1924,634; Kritik kam auch vom Präsidenten des Reichsgerichts Simons: Das Reichsgericht in Gegenwart und Zukunft, DJZ 1924, 242 und 243; zur mittelbaren Kritik aus Kreisen des Reichsgerichts vgl. noch: Nörr, Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit, S. 19 f. 117 Juristische Arbeitsgemeinschaft für Gesetzgebungsfragen, DJZ 1924, 406: die Regie­ rung handle in „einseitig fiskalischem Interesse“; hinter der Arbeitsgemeinschaft verbergen sich die ständige Deputation des deutschen Juristentags, der Deutsche Juristenbund, die Ber­ liner Juristische Gesellschaft, der Preußische Richterverein zu Berlin, der Berliner Anwalts­ verein sowie Mitglieder der Juristischen Fakultät Berlin. Vgl. noch: Smoschewer, Ist der Richter berechtigt und verpflichtet, ungerechte Gesetze außer Anwendung zu lassen?, DRiZ 1924,224; Goldschmidt, „Gesetzesdämmerung“, JZ 1924,248. 118 Goldschmidt, „Gesetzesdämmerung“, JZ 1924,248.

fahren bedarf das Recht eines ganz anderen Schutzes als gegenüber dem Absolutismus eines Monarchen. Offensichtlich hat die moderne Staats­ rechtslehre in Gestalt der Formen des Rechtsstaats zunächst nur die Mittel eines Schutzes des Rechts gegen den monarchischen Absolutismus entwikkelt, indem sie das Recht gegen Eingriffe der Verwaltung sicherzustellen sucht. Um das Recht im ,Volksstaat4 gegen den Absolutismus der Mehrheit zu schützen, bedarf es seiner Sicherstellung gegen Verfehlungen der gesetz­ gebenden Organe.“ Goldschmidt forderte deshalb die Justiz auf, Gesetze ei­ ner materialen Kontrolle zu unterziehen. Eine inhaltliche Gegenposition, an der eine Prüfung hätte stattfinden können, wurde allerdings nicht aufgebaut. Einen formaljuristischen Ansatzpunkt für eine Minimalkontrolle bot die Verfassung. Alois Zeiler weist auf die Möglichkeit hin, daß der „Einwand der verletzten Verfassungsmäßigkeit" es wenigstens in Grenzen gestatte, „dem Gerechtigkeitsgefühl ohne formalen Rechtsbruch nachzukommen“.119 Zeiler sprach sich in der Sache ebenfalls für ein weiterreichendes Prüfungs­ recht aus. Sollten etwa zivilrechtliche Prinzipien oder ethische Werte dem Gesetzgeber Schranken setzen? Einige untere Gerichte scheuten tatsächlich nicht davor zurück, die Rechtsgültigkeit des staatlichen Akts zu bestreiten. Die Reichsregierung, ei­ ne Minderheitenregierung, war über ein Ermächtigungsgesetz legitimiert gewesen, Notverordnungen ohne konkrete parlamentarische Zustimmung zu erlassen, und nun wurden Bedenken geäussert, ob eine Regelung dieser Tragweite von der Ermächtigung erfaßt sei. Man vermisste ein formales Ge­ setz mit echter parlamentarischer Mehrheit. Zudem wurde bezweifelt, ob die Verordnung dem in der Verfassung niedergelegten Eigentumsschutz ent­ spreche.120 In der Literatur wurde häufig ein Eigentumseingriff angenom­ men.121 Originell sah Adamkiewicz in dem legislativen Eingriff der Staats­ gewalt einen Akt „höherer Gewalt“, der nach Grundsätzen der Billigkeit ausgeglichen werden sollte.122 Ein Gesetz auf einer Stufe mit einem Erdbe­ ben oder einer Sturmflut? Das Reichsgericht wenigstens hielt sich zurück. Bereits im März 1924 durfte der 5. Senat über die Steuemotverordnung ur­ teilen. Am 4. November 1925 stand das Aufwertungsgesetz auf dem Prüf­ stand. Eine Kontrolle anhand zivilistischer Grundsätze wies das Reichsge­ richt weit von sich. Selbst einen Verfassungsverstoß mochte das Gericht nicht annehmen; es nutzte aber die Gunst der Stunde, um das richterliche Prüfungsrecht zu präzisieren und bekräftigte dabei den Standpunkt, daß eine 119 Zeiler, Zur Aufwertungsfrage, DRiZ 1924,112. 120 So etwa LG Berlin v. 21. Februar 1924, JW 1924,332 f. 121 Nachweise zur Literatur bei: Staudinger/Werner, BGB, 9. Auflage, Komm, zu § 242, S.58. 122 Adamkiewicz, Zur Aufwertungsfrage, Recht 1924,376.

gesetzliche Regelung der richterlichen Kompetenz unnötig sei.123 Das Reichsgericht sollte die Geister, die es gerufen hatte, nicht so bald wieder loswerden. Der Streit um das richterliche Prüfungsrecht von Gesetzen ging noch lange weiter.124 Doch wurde fortan um das schlichte Verfassungsrecht gestritten. Ein eigenständiges, an zivilrechtlichen Grundsätzen orientiertes Prüfungsrecht - etwa anhand von Treu und Glauben - wurde nicht mehr vertreten. In der Historiographie wurde den Reichsgerichtsräten die Auflehnung gegen den Gesetzgeber übel angekreidet; antidemokratische Gesinnung wurde hier ebenso vermutet wie eigennützige Motive oder wirtschafts- und währungspolitische Blauäugigkeit.125 Die Stellungnahmen sind geprägt von dem Scheitern der ersten deutschen Demokratie. Doch waren es nicht zu­ letzt die neuen politischen Entscheidungsträger selbst, die der Demokratie einen schlechten Start bescherten? Heute sollte man zu einem freundliche­ ren Urteil gelangen. Die Nachprüfbarkeit von Akten der Gesetzgebung ist in einem parteiendemokratischen System, in dem die Machtbalance nicht mehr zwischen Legislative und Exekutive, sondern zwischen Regierungs- und

123 RG v. 1. März 1924 (5. Senat), RGZ 107,370 (373-375): geprüft wurde nur die Trag­ fähigkeit des Ermächtigungsgesetzes: „Ob die getroffene Regelung zweckentsprechend und zur Erreichung des angestrebten Zieles tatsächlich geeignet ist, kann vom Gericht bei der Prüfung ihrer Rechtsgültigkeit nicht untersucht werden.“ Der 3. Zivilsenat hatte in RG v. 25. Januar 1924, RGZ 107, 315 (317) angesichts der Abgeltungsverordnung eine ähnliche Zurückhaltung gezeigt. Das Aufwertungsgesetz wurde später im Hinblick auf Art. 153 WRV untersucht und für zulässig befunden: RG v. 4. November 1925, RGZ 111, 320 (324 f.); zu der Auseinandersetzung zwischen Reichsregierung und Reichsgericht ausführlich: J. W. He­ demann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, S. 184-191; Berkemann, Geschichte, Strategie und Intensität richterlicher Gesetzeskontrolle im Aufwertungsurteil des Reichsgerichts vom 4. November 1925 (RGZ 111,320), EuGRZ 1986,80-94. 124 Plädoyer für ein Prüfungsrecht bei Stoll, Rechtsstaatsidee und Privatrechtslehre, Jhe­ rings Jahrbücher 76 (1926), 195-203, mit weiteren Hinweisen zur zeitgenössischen Debatte; aus soziologischer Sicht noch: Dessauer, Recht, Richter und Ministerialbürokratie, S. 2-12. 125 Eyck, Geschichte der Weimarer Republik, Bd. 1, S. 381-384; Rosenbaum, Naturrecht und positives Recht, S. 70, 86-88. Kritik klingt auch an bei: Winkler, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, S. 245; Kübler, Der deutsche Richter und das demokratische Gesetz, AcP 162 (1963), 114 f.; zum Vorwurf der Eigennützigkeit vgl. o. Fn. 91; völlig anders Pfleiderer: die feste Haltung des Reichsgerichts gegenüber dem Gesetz­ geber sei ein „Ruhmesblatt in der Geschichte des Reichsgerichts“, da es dem „Gedanken der Gerechtigkeit“ zum Sieg verholfen hätte: Pfleiderer, Das Prinzip „Mark = Mark“ in der deut­ schen Inflation 1914 bis 1924, S. 82; zur Stellungnahme des Richtervereins ders.: „Diese Eingabe des Richtervereins [war] in der Tat ein höchst ungewöhnlicher und dramatischer Schritt; aber sie war veranlaßt durch eine nicht weniger ungewöhnliche Reaktion der Reichs­ regierung auf ein höchstrichterliches Urteil, das aus dem geltenden Recht einen grundsätzli­ chen Aufwertungsanspruch herleitete“ Pfleiderer, Die Reichsbank in der Zeit der großen In­ flation, die Stabilisierung der Mark und die Aufwertung von Kapitalforderungen, S. 198.

Oppositionsparteien verläuft, inzwischen völlig anerkannt. Selbst Art. 100 GG, einst als Privileg des neuen parlamentarischen Gesetzgebers in die Ver­ fassung aufgenommen, hat diese Entwicklung nicht zu verhindern vermocht. Eine ganze Reihe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts sorgten in den vergangenen vierzig Jahren dafür, daß Staats-, Parteien- und Regie­ rungsraison nicht gar zu unverhüllt in bestehende Besitzstände der Bürger eingreifen konnten. Die zum Eigentumsschutz und Gleichheitsgebot entwikkelten Kriterien und Grenzen sind dabei denen des Reichsgerichts nicht un­ ähnlich.126 In diesem Zusammenhang und angesichts der besonderen poli­ tisch wie staatsrechtlich noch ungesicherten Situation127 büßt die Gesetzes­ kontrolle doch viel von ihrer Brisanz ein.

c) Die zivilrechtlichen Folgen

Die Aufwertungsentscheidung zeitigte noch weitere Folgen. In der Literatur tauchte die Frage auf, wie die Aufwertung zivilrechtlich zu begründen sei. Nach Ansicht einiger war der Nennwertzwangskurs durch Gewohnheitsrecht entfallen;128 andere schlossen - a minore ad maius - von der gesetzlichen Teilregelung auf einen allgemeinen Aufwertungsanspruch129 oder akzep­ tierten die Aufwertung als richterlichen Gestaltungsakt.130 Des weiteren wurde vertreten, daß durch die Aufwertung gar kein zivilrechtsfremdes Recht geschaffen worden sei. Es sei allein Aufgabe des Zivilrechts, die Hö­ he einer Forderung festzustellen, während das Währungsrecht dann Aus­ kunft darüber gebe, wie diese Schuld beglichen werden könne. Durch die gesetzliche wie richterliche Aufwertung seien also nur zivilistische Grund­ sätze angewandt worden.131 Für den Freirechtler Emst Fuchs stellte sich die Frage nicht, da - Zivilrecht hin, staatliches Währungsrecht her - die Inflati­ on selbst die Fakten geschaffen habe. Nur methodisch empfiehlt er den 126 Renger, Aufwertung und richterliches Prüfungsrecht. Zur Leistung des Reichsgerichts in Aufwertungsfragen, FS Gebhard Müller, S. 285; vgl. noch a.a.O., S. 287 f. 127 Laut Nörr fand das Reichsgericht „ein judizielles und offenbar auch politisches Vaku­ um vor“, das es ausgefüllt habe: Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 59. 128 Stoll, Rechtsstaatsidee und Privatrechtslehre, Jherings Jahrbücher 76 (1926), S. 188; Zacharias, Die Aufwertung von Geldschulden nach geltendem Recht, JW 1924, 85 f.; Rei­ chel, Darlehnsaufwertung, Recht 1924, 116; Staedel, Forderungsaufwertung oder Schuld­ nachlaß der dritten Steuernotverordnung?, JW 1924,485; weitere Nachweise bei: Mügel, Das gesamte Aufwertungsrecht, S. 159 f. 129 Reichel, Darlehnsaufwertung, Recht 1924,116. 130 Roth, Die Aufwertung, S. 20 und 34-38; Abraham, Die Aufwertung als revolutionäres Notrecht, JR 1925, S. 235; ders., Aufwertungskrise, DJZ 1926, S. 1066. 131 Mügel, Das gesamte Aufwertungsrecht, S. 160 f.; Zeiler, Die Geldentwertung als eine Erscheinung einheitlicher Art, JR 1925, 451 f.; Kipp, Das bürgerliche Recht in der dritten Steuemotverordnung, JW 1924, 480.

§ 242 BGB, „dieses Tor für den Einzug der soziologischen Rechtsfindung, Rechtsergänzung und Rechtsfortbildung durch Richterrecht“.132 Raum für solche Erörterungen gab es genug, da der Gesetzgeber nur kasuistisch ein­ gegriffen hatte. Die theoretischen Auseinandersetzungen sollen hier nicht weiter verfolgt werden. Es liegt nahe, daß die nominalistischen, gesetzlichen und richterrechtlichen Lösungen zurückhaltender waren als jene, die den Nominalismus zugunsten valoristischer Positionen verlassen wollten. Prak­ tisch wirkten sich diese Divergenzen aber nicht aus. Niemand vertrat ernst­ haft die Meinung, daß jenseits der gesetzlich niedergelegten Fälle der Auf­ wertung eine solche völlig ausgeschlossen sei. Wer von dem nominalen Be­ trag ausging, suchte dem Geldgläubiger mittels einer Aufwertung zu helfen; und wer valoristisch umrechnen wollte, der nahm gleichfalls auf den Geld­ schuldner Rücksicht, nur eben in Form einer Abwertung. „Es handelt sich nicht um eine Aufwertung der Forderung des Gläubigers“, erläutert etwa Staedel, „sondern darum, ob und wie, in welchem Maß und nach welchen Gesichtspunkten man dem Schuldner einen Nachlaß gewähren kann“.133 Um den in den Begriffen Auf- und Abwertung zum Vorschein kommenden me­ thodischen Streit zu umgehen, wurde von Zeiler der neutrale Begriff der „Umwertung“ benutzt.134 Auch die Rechtsprechung ließ sich jenseits der gesetzlichen Regelungen von einer umfassenden Aufwertung nicht abhalten. Neben die gesetzliche trat eine freie Aufwertung für all jene Fälle, die nicht explizit geregelt wor­ den waren. Da in den normierten Fällen durchweg eine Begrenzung der Aufwertung bezweckt war, kam es zu dem befremdlichen Ergebnis, daß in den besonders drängenden Fällen eine geringe gesetzliche und in den weni­ ger relevanten eine freie, nahezu vollständige Aufwertung vorgenommen wurde. Und eine zweite Folge ist zu verzeichnen. Die Aufwertung wurde plötzlich für Fälle relevant, die für sich die Rechtsprechung nie zu einer Aufwertung verleitet hätten. Bislang wurde der Streit beherrscht von der Frage, wie die unterschiedlichen Formen der Vermögensanlage in einer Phase der Hyperinflation behandelt werden sollten. In einem solchen Fall ist die erste Aufwertungsentscheidung ergangen. Diese Priorität ist nicht weiter verwunderlich. Die Entwertung angelegten Geldvermögens entschied über 132 Fuchsj Aufwertung und Systemlogik, HansRZ 1924, 446; als weiterer Anknüpfungs­ punkt wurde noch § 138 Abs. 2 BGB genannt: a.a.O., Sp. 444: es sei „lediglich das Wucher­ verbot anzuwenden auf eine erst nach Vertragsschluß von außen eingetretene Umgestaltung“. 133 Staedel, Forderungsaufwertung oder Schuldnachlaß der dritten Steuemotverordnung? JW 1924,487. 134 Zeiler, Die Abwicklung von Lieferungsgeschäften aus der Inflationszeit, JW 1925, 420; ders., Zur Aufwertungsfrage, DRiZ 1924, 110-114; vgl. noch: Die Zeilerschen Um­ rechnungszahlen, Stuttgart 1924.

die wirtschaftliche Situation weiter, von Geldeinkünften und Geldvermögen geprägter Bevölkerungskreise. Da auch die Richterschaft zu den betroffenen Kreisen zählte, ist das Interesse der Judikatur hier vielleicht sogar besonders naheliegend. Tatsächlich hatte sich Alois Zeiler, der die Vertragsanpassung am meisten forcierte, ebenso intensiv mit der Frage der Anpassung der Richter- und Beamtengehälter an die Geldentwertung beschäftigt.135 Beider­ seits unerfüllte Austauschverträge, insbesondere die bis dahin die Recht­ sprechung dominierenden Kauf-, Werk- und Werklieferungsverträge, waren weitgehend aus den Augen verloren worden. Einem echten Notstand mußte hier auch längst nicht mehr begegnet werden. Das von der Rechtsprechung entwickelte Recht der Vertragsauflösung ermöglichte den billigen Ausgleich der Interessen beider Teile. Die Option des Gläubigers, die Gegenleistung auf einen angemessenen Betrag anzuheben und sich so den Gegenstand der Leistung zu sichern, schützte diesen ausreichend. Eine zwingende Aufwer­ tung war hier nicht notwendig. Dennoch hatte die Aufwertungsentscheidung auch auf diese Vertragsverhältnisse Auswirkungen. Plötzlich sollte der Käu­ fer ohne weiteres zur Abnahme gegen Zahlung eines aufgewerteten Kauf­ preises verpflichtet sein. Den Anfang hatte der Richterverein beim Reichsgericht in seinem Geset­ zesvorschlag vom Sommer 1923 gemacht. Nicht nur die reine Geldschuld sollte gesetzlich aufgewertet werden, auch für die aus gegenseitigen Verträ­ gen resultierenden Gegenleistungsansprüche war eine zwingende Aufwer­ tung vorgesehen worden. Nur falls diese Umgestaltung des Vertrags zu zu­ mutbaren Bedingungen nicht möglich sei, sollte der Vertrag aufgelöst wer­ den.136 In der Begründung wurde weiter festgehalten: ,Jeder Vertragsteil hat ein Recht auf Erhaltung des Vertrages in dem ursprünglichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.“137 Ein später Sieg des Äquivalenzgedankens? Nach der Aufwertungsentscheidung wurden tatsächlich Stimmen laut, die forderten, man möge auch die aus Austauschverträgen resultierenden Geld­ forderungen aufwerten. Ein „allgemeiner Aufwertungsgedanke“ müsse dazu führen, daß eine Geldforderung immer aufzuwerten sei.138 Obwohl das Reichsgericht weder den Aufwertungs- noch den Äquivalenzgedanken in materialer Reinheit verwirklichen wollte, schloß es sich diesem Gedanken­ 135 Näheres bei: Geyer, Recht, Gerechtigkeit und Gesetze: Reichsgerichtsrat Zeiler und die Inflation, ZNR 16 (1994), 351-358. 136 Ein Gesetzentwurf nebst Begründung, betreffend die Ausgleichung der Folgen wirt­ schaftlicher Aenderungen, im besonderen der Veränderungen des Geldwertes, DJZ 1923,441 f.; auszugsweise zitiert in Fn. 63. 137 Ein Gesetzentwurf nebst Begründung, betr. die Ausgleichung der Folgen wirtschaftli­ cher Aenderungen, im besonderen der Veränderungen des Geldwertes, DJZ 1923,444. 138 Literaturhinweise: Staudinger/Werner, BGB, 9. Auflage, Komm, zu § 242, S. 69.

gang an. Der Rücktritt sei eine Ausnahme, die ein Verschulden voraussetze, wurde nun erkannt. In der Regel sei der Vertrag aufrechtzuerhalten und not­ falls eine Aufwertung vorzunehmen. Ein Rücktritt kam nur noch dann in Frage, wenn der Gläubiger der Sachleistung die Aufwertung schuldhaft verweigert hatte. Das half in einigen Fällen den Gläubigem, die vor der höchstrichterlichen Wende zwar das Aufwertungsbegehren abgelehnt hatten, primär aber an dem Vertrag festhalten wollten. Diese konnten sich nun, in Kenntnis der neuen Rechtslage, für eine Aufwertung aussprechen und sich so den Gegenstand der Sachleistung sichern.139 Das Reichsgericht ging in einigen obiter dicta noch weiter und gab dem Verkäufer ein Recht auf eine angemessene Aufwertung des Kaufpreises. Der Geldschuldner konnte zur Aufwertung gezwungen werden.140 Er kam, sollte der Sachschuldner gegen seinen Willen auf dem Vertrag bestehen, plötzlich in die Verlegenheit, sei­ nerseits nachweisen zu müssen, daß ihn die aufgewertete Schuld übermäßig belaste.141 Aus Gründen methodischer Stringenz wurde der schwerwiegen­ dere Eingriff dem geringeren vorgezogen. Das Gericht sah in der Aufrecht­ erhaltung der Verträge zudem das sachlich richtigere Ergebnis gewährlei­ stet, eine Entscheidung, die es noch vor kurzem den Parteien, insbesondere der aufwertungsbelasteten Seite, selbst überlassen hatte. Nachdem der erste Schritt mit der Aufwertung einer hypothekarisch gesicherten Forderung ge­ tan war, hatte das Reichsgericht offenbar keine Hemmungen mehr, korrigie­ rend in weitere von der Inflation betroffene Verträge einzugreifen. Der Eingriff nahm noch intensivere Züge an, als die Frage auftauchte, nach welchen Kriterien die Aufwertung im Austauschvertrag vorzunehmen sei. Anders als im Falle schlichter Geldforderungen gab es neben der Ent­ wertung des geschuldeten Geldbetrags auch noch die Sachleistung, die für eine Wertbetrachtung herangezogen werden konnte. Einigkeit bestand darin, daß die ursprüngliche Wertfestsetzung der Parteien berücksichtigt werden sollte; die prästabilierte, nicht die objektive Äquivalenz gab den Maßstab für die Aufwertung.142 Insbesondere die Früchte der Konjunktur sollten dem Gläubiger der Sachleistung erhalten bleiben. Praktisch stieß dieser hehre Grundsatz auf nicht geringe Schwierigkeiten. Schon bald wurde darüber ge­ stritten, ob die Gegenleistung - wie in den Fällen der reinen Geldschuld nach dem Dollarkurs oder anderen währungsbezogenen Indizes aufzuwerten 139 RG v. 26. Juni 1925, RGZ 111,156 (158); RG v. 4. Juli 1925, JW 1925,2595 (2596); RG v. 19. September 1925, JW 1925, 2597 (2598); RG v. 15. Januar 1926, JW 1926, JW 1926,2360 (2361). 140 RG v. 15. Januar 1926, JW 1926, JW 1926,2360 (2361); bereits angedeutet in: RG v. 4. Juli 1925, JW 1925,2595 (2597). 141 RG v. 30. Januar 1928, RGZ 119,133 (141 f.). 142 So deutlich RG v. 27. Oktober 1924, RGZ 109,97 (99).

sei143 oder ob der aktuelle Marktwert der Sachleistung in Rechnung gestellt werden konnte.144 Hinter diesen Meinungsverschiedenheiten standen weni­ ger divergierende Geldtheorien145 als vielmehr handfeste wirtschaftliche Interessen. Aus vielerlei Gründen waren in den Jahren 1920 bis 1923 die Inlandspreise deutlich hinter den zeitgleich im Ausland erzielten Preisen zu­ rückgeblieben. Eine nur den reinen Währungsverfall berücksichtigende Um­ rechnung sicherte dem Erwerber ein überaus günstiges Geschäft. Die Verei­ nigten Senate entschieden am 31. März 1925 zugunsten des Sachschuldners. Der vorherrschend gewesene niedrige Preisstand sei die „Quelle der heute zu lösenden Zweifel“, erkannten die Vereinigten Zivilsenate in seltener Of­ fenheit. Und weiter: „Die Berücksichtigung jener damals herrschenden un­ gewöhnlichen und vorübergehenden Verhältnisse fällt nach der Auffassung der Vereinigten Zivilsenate in den Bereich des § 242. Daraus ergibt sich, daß es rechtlich zulässig ist, die heutigen Marktpreise bei der Festsetzung der aufzuwertenden Kaufpreise in Betracht zu ziehen.“146 Allein die außergewöhnlichen Marktverhältnisse sollten eine Anpassung der Gegenleistung rechtfertigen können. Daß dem Erwerber die Früchte der normalen Konjunktur gleichwohl erhalten werden sollten, ist, da eine nor­ male Konjunktur nach Ansicht der Vereinigten Senate damals nicht exi­ stierte, eine irrelevant gewordene Reminiszenz an das Prinzip prästabilierter Äquivalenz. In Wahrheit wurde nicht länger die Gegenleistung im Sinne des ursprünglichen Verhältnisses aufgewertet, sondern der Austauschvertrag in seiner ursprünglichen Form korrigiert. Das Urteil der Vereinigten Senate ist Höhe- und Schlußpunkt einer Entwicklung, die immer deutlicher zum ge­ staltenden Eingriff hindrängte. Kaum verhüllt tritt dem Leser der Gedanke der ausgleichenden Gerechtigkeit entgegen.

143 6. Zivilsenat: RG v. 7. November 1924, RGZ 109, 146 (149); 5. Zivilsenat: RG v. 12. November 1924, RGZ 109,158 (163 f.); bevorzugt wurde hier eine schlichte Dollarum­ rechnung; zu den Problemen: Zeiler, Die Abwicklung von Lieferungsgeschäften aus der In­ flationszeit, JW 1925,420-424. 144 1. Zivilsenat: RG v. 17. September 1924, RGZ 108, 379 (382); RG v. 27. Oktober 1924, RGZ 109,97 (100); 2. Zivilsenat: RG v. 27. November 1924, RGZ 109,241 (242). 145 Zu den Geldtheorien vgl. Grobshäuser, Die Einflüsse der Volkswirtschaftslehren auf die Rechtsentwicklung im Bereich des Privatrechts vor und während der Weimarer Zeit, S. 51-62. 146 RG v. 31. März 1925, RGZ 110,371 (378 und 379).

Ausblick

Das Jahr 1923 setzte die entscheidende Zäsur. Mit der am 15. November 1923 erst übergangsweise als Notgeld ausgegebenen und schließlich - die alte Markwährung ist formell erst durch das Münzgesetz v. 30. August 1924 zum 11. Oktober 1924 aufgehoben worden - endgültig geschaffenen neuen Währung begann eine neue Phase der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die wirtschaftliche Situation der mittleren und späten 20er Jahre unterschied sich nicht nur von dem unmittelbar vorangegangenen Krisenjahrzehnt, son­ dern auch von der letzten Vorkriegskonjunktur. Sie war geprägt von leidli­ cher Stabilität, geringem Konsum und mäßigem Wirtschaftswachstum, durch das allmählich der Stand von 1913 wieder erreicht, aber nie weit überschritten werden sollte. Eine kurze Phase zudem, denn schon bald sollte sie in die Weltwirtschaftskrise einmünden. Auch politisch war mit dem aus­ gehenden Jahr 1923 ein Neuanfang verbunden. Mit dem Ruhrkampf war am 26. September 1923 auch der passive Widerstand aufgegeben worden; aus Sicht der Zeitgenossen eine zweiten Kapitulation. Zeitgleich Überstand das Reich Putschdrohungen von rechts wie links. Die Zeit der Notverordnungen und Ermächtigungsgesetze ging zwar nur allmählich zu Ende, aber die staat­ liche Zukunft Deutschlands war gesichert, und allmählich zeichneten sich die Konturen einer leidlich stabilen parlamentarischen Republik ab. Diese politische Stabilität sollte bekanntlich ebenfalls nur von kurzer Dauer sein. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand folgte auch die Rechtswissenschaft der neuen Normalität. Die Aufwertungsentscheidung vom 28. November 1923 schuf die maßgebende Grundlage für die Entscheidungen in der Politik wie in der Justiz. Die Inflationsfolgen waren noch in zahlreichen Urteilen aufzuarbeiten - fast genau 2.000 Urteile des Reichsgerichts hat Zeiler in den Jahren 1927 bis 1931 zusammengetragen. Zahlreich waren auch die Geset­ ze, Notverordnungen und Durchführungsverordnungen sowie die politischen und fachlichen Beiträge in der Literatur, die Fragen der Aufwertung klären sollten. Doch galt die Aufwertung nur noch als Sonderrecht; ein Nachklang der überwundenen Krise, der mit den Inflationsfolgen nach und nach ver­ schwinden würde.1 Nun, in ruhigeren Zeiten, wurde die exzessive Verwen­ dung offener Rechtsbegriffe hinterfragt. Justus Wilhelm Hedemann konsta­ 1 Oertmann, BGB, 5. Auflage, Anm. zu § 242 BGB

tierte bereits 1924 ein Übermaß an Treu und Glauben.2 Ludwig Enneccerus wollte mit ähnlicher Intention gerade bei Treu und Glauben bleiben und sperrte sich gegen eine allgemeinere Fassung der Rechtsfigur der Ge­ schäftsgrundlage.3 Das Privatrecht entwickelte sich wieder stärker zu einem formalen Rechtsinstrument, wenn auch der formale Rechtsrationalismus der Vorkriegszeit nicht wieder erreicht werden sollte. Mit dem Beginn des so­ genannten Dritten Reichs endete auch diese Entwicklung. Die Generalklau­ seln und das Rechtsinstitut des Rechtsmißbrauchs erlebten eine problemati­ sche Renaissance.4 Für die Zeitgenossen waren die wirtschaftlichen Resultate der Rechtspre­ chung prägend für ein weitgehend positives Richterbild. Nicht ganz zu Un­ recht. In wirtschaftlich schwieriger Zeit hatte die Judikatur weitgehend trag­ fähige Ergebnisse hervorgebracht. Das ist ein um so erstaunlicheres Resul­ tat, als das Bürgerliche Gesetzbuch nur wenige Anhaltspunkte bieten konn­ te. Mit Augenmaß war in der Phase des Weltkriegs die Leistungspflicht konkretisiert und damit begrenzt worden. In zahlreichen Fällen wurden Schuldner entlastet, die Produktions- und Beschaffungspflichten übernom­ men hatten und deren Erfüllungsplanungen aufgrund des Kriegsausbruchs frustriert worden waren.5 Das weckte Erwartungen. Unmittelbar nach Kriegsende suchten vor allem die Femhändler und die arbeitsintensiven ver­ arbeitenden Industrien Schutz vor den eigenen, allzu optimistisch auf die 2 Hedemann, Staatsgesinnung. Ein Nachwort zur Aufwertungsfrage, DJZ 1924,189; vgl. ders., Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, S. 348; am bekanntesten sicher: ders., Die Flucht in die Generalklauseln. Eine Gefahr für Recht und Staat, insbes. S. 12-14 und 66-76. 3 Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts Bd. 1, 10. Bearbeitung 1927, § 264a, Fn. 2 (Abt. 2, S. 132). 4 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Natio­ nalismus; Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre - Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens?; Schlegelberger, Vertragsgestaltung durch den Richter, in: E. Bumke zum 65. Geburtstage, Berlin 1939, S. 1-17; Zirker, Vertrag und Geschäftsgrundlage in der Zeit des Nationalsozialismus. Gefährlich war aber weniger der Mißbrauch der bestehenden zivilrecht­ lichen Rechtsinstitute, als vielmehr der Versuch, die Rechtsgeschäftslehre umzugestalten und hierbei das „subjektive Recht“ und den damit verbundenen freiheitlich-liberalen Ansatz des Zivilrechts zu beseitigen; vgl. Zirker, a.a.O., S. 112-137; R. Schröder, Zur Rechtsgeschäfts­ lehre in nationalsozialistischer Zeit, S. 8-44. Selbst in der Krise der Inflation war das Reichs­ gericht nicht auf den Gedanken gekommen, der Privatautonomie derartiges zuzumuten. 5 Heinrich Dörner bescheinigte dem Reichsgericht und seiner Rechtsprechung der ersten Phase „ein beträchtliches Maß an politischer und wirtschaftlicher Instinktlosigkeit“: Erster Weltkrieg und Privatrecht, Rechtstheorie 1986, 292; ähnlich drastisch äußerte sich Armasow, Schuldner- und Gläubigerschutz während des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, S. 123 f. Angesichts der dezidierten Rechtsprechung zum Leistungsinhalt ist dieses Verdikt nicht nachzuvollziehen; vor allem kann dem Reichsgericht schwerlich zum Vorwurf gemacht werden, daß es anfangs den langen Krieg, die Niederlage, die Revolution und die Inflation nicht vorhergesehen hatte.

Friedenszeit abgeschlossenen Verträgen. Die Rechtsprechung scheute sich, den Schuldner auch mit dem Einwand frustrierter Ertragserwartungen zu hö­ ren. Dennoch verschloß sie sich den Hilferufen nicht vollständig. Die unter­ schiedlichen Lösungen, die von den Reichsgerichtssenaten hier vorgeschla­ gen wurden, belasteten den Weg zu den Gerichten mit beachtlichen Unsi­ cherheiten. Nachdem man die Geldentwertung als das zentrale Problem er­ kannt hatte, fanden die Senate wieder zu einer einheitlichen Linie zurück. Nun half man den Schuldnern mit einer maßvoll umgesetzten Theorie prä­ stabilierter Äquivalenz. Inmitten der Hyperinflation wurden Stimmen laut, die Eingriffe auch zugunsten schlichter Geldgläubiger forderten. Ursache war das Dilemma der verschwindenden Währung, das weder durch eine nominalistische Ignoranz noch durch eine valoristische Umrechnung auf­ gelöst werden konnte. Ein Kompromiß war vonnöten, der nur vom Gesetz­ geber kommen konnte. Gelähmt durch vermeintliche Staatsraison und sehr reale Gruppeninteressen handelte dieser aber lange Zeit nicht. Ein mittler­ weile bekanntes Phänomen der parlamentarischen Demokratie, das damals aber weitgehend auf Unverständnis stieß. In dieser Situation agierte das Ge­ richt anstelle des Gesetzgebers und schuf einen eigenständigen Aufwer­ tungsanspruch der inflationsgeschädigten Seite. Wie immer man die rechtli­ chen oder wirtschaftlichen Konsequenzen einer weitreichenden Aufwertung im nachhinein beurteilen mag, ganz offensichtlich traf das Reichsgericht mit seinen Entscheidungen das sittliche und rechtliche Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung. Daß die Regierung zuerst einseitig zugunsten der Schuld­ nerseite eingreifen wollte, um schließlich nach langem politischen Tauzie­ hen die Gläubiger mit einer als Trinkgeld angesehenen Aufwertung abzu­ speisen, hat dieser im Ansehen der Bevölkerung schwer geschadet. Ein schlechter Start für die neue, um Akzeptanz ringende Demokratie. Die Rechtsprechung der Krisenzeit ist auch heute nicht völlig der Ver­ gessenheit anheimgefallen. Noch in neueren Kommentaren häufen sich die Zitate reichsgerichtlicher Rechtsprechung, sobald die Einschränkung ver­ traglich begründeter Pflichten in Frage steht.6 Als bleibendes Resultat sticht fraglos das Rechtsinstitut der Geschäftsgrundlage hervor. Es war nicht von vornherein klar, daß die Geschäftsgrundlage auch nach dem Abklingen der Krise von Bestand bleiben würde; die Skepsis erklärt sich aus den besonde­ 6 Zumutbarkeit der Leistung: MünchKomm/Emmerich, BGB, Vor § 275 Rn. 24-26, 33; a.a.O., § 279 Rn. 10; Soergel/Wiedemann, BGB, § 275 Rn. 38-41; a.a.O., § 279 Rn. 10; Staudinger/Loewisch, BGB, § 279 Rn. 15-20; Vorübergehendes Leistungshindemis: MünchKomm/Emmerich, BGB, Vor § 275 Rn. 27-31; a.a.O., § 275 Rn. 50-56; Staudinger/Loewisch, BGB, § 275 Rn. 24-30; Soergel/Wiedemann, BGB, § 275 Rn. 42-45; Zweck­ störung: Soergel/Wiedemann, BGB, § 275 Rn. 35; Geldentwertung: MünchKomm/Roth, BGB, § 242 Rn. 593-597.

ren Bedingungen der Entstehung der neuen Lehre.7 Das Rechtsinstitut ent­ stand als vermittelnde Lösung angesichts des sehr exzeptionellen Problems der Hyperinfaltion. Und hier überzeugte weniger die Methodik als vielmehr das Ergebnis: Die Geschäftsgrundlage bot eine zivilrechtliche und zugleich vermittelnde Lösung. Gleichwohl, der Gedanke war ausbaufähig. Denn mit der Entwertung des Geldes wurde die in Geld geschuldete Gegenleistung und damit das Verhältnis der auszutauschenden Leistungen als eigenständi­ ges Problem erkannt. Der Geschäftsgrundlage ergänzte des bestehende Lei­ stungsstörungsrecht um ein Vertragsstörungsrecht. Hier gab es durchaus Raum für eine weitere Entfaltung der neuen Rechtsfigur. In einem auf iso­ lierte Leistungen fixierten Leistungstörungsrecht war es eben nur mittelbar und verbrämt möglich, das Wertverhältnis der auszutauschenden Leistungen zu berücksichtigen. Die Lehre entschied sich vorwiegend für die neue Rechtsfigur, sogar unter Vernachlässigung des materialen Gedankens der Äquivalenz.8 Leider ist dabei die Rechtsprechung der ersten Phase weitge­ 7 Philipp Heck sah in dieser wie in der wirtschaftlichen Unmöglichkeit weitgehend aus­ tauschbare Ansatzpunkte für gleichartige Interessenabwägungen, Grundriß des Schuldrechts, S. 95; Ludwig Enneccerus sprach sich bis zuletzt gegen die Rechtsfigur Geschäftsgrundlage aus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Teilbd. 2, 10. Bearbeitung, Marburg 1927, § 264 a, S. 132, Fn. 2. Erst in der Neubearbeitung von Heinrich Lehmann sollte sich das än­ dern; vgl.: Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 13. Bearbeitung 1950, § 41, S. 169 f. 8 Die Geschäftsgrundlage hat sich verselbständigt. Eine einheitliche rechtsethische Legi­ timation sucht man vergebens; individual- und gemeinschaftsorientierte Werte halten sich die Waage. Häufigster Ausgangspunkt ist mittlerweile der Begriff des Risikos, doch bleibt auch dieser Ansatz diffus. Entsprechend vielschichtig sind die vertretenen Lösungen. Zum Teil wird nach der Herkunft der Störungen differenziert (für eine Beschränkung auf Veränderun­ gen in der Sozialexistenz: Werner Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Bd. 2, S. 518-525; Eike Schmidt, Schuldrecht, Bd. 1, S. 41-45), zum Teil nach dessen Ausmaß (hier stehen sich objektive und subjektive Ansätze gegenüber: Leistungsschwere, Zumutbarkeit und Äquivalenz gelten als objektive, Störung von Zwecken und weiteren, gemeinsamen Par­ teivorstellungen als subjektive Ansatzpunkte, doch ist bereits diese Einteilung umstritten), zum Teil soll der Umgang mit der Störung entscheiden (Beherrschbarkeit und Absorptions­ vermögen der Parteien): Ingo Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Aus­ tauschverträgen, S. 211; Jürgen Schmidt, Kommentierung bei Staudinger, 13. Bearbeitung, Rz. 1058-1060 zu § 242. Interessant ist der Versuch, das Problem der Vertragsgrenze konse­ quent unter dem Aspekt des Vertrauens zu lösen; Fikentscher spricht von „Vertrauensgrund­ lage“, Schuldrecht, Rz. 176 (zum Maßstab s. Rz. 178.); Oechsler will das Vertrauen gar zum Verpflichtungsgrund schlechthin erheben: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 211 f., 217. Beide Ansätze erinnern stark an die „Wertungsgrundlage“ Schmidt-Rimplers, der allerdings an das gesamtgesellschaftliche Gut der Verkehrssicherheit (und nicht an das individuelle des Vertrauens) angeknüpft hatte und in völliger Umkehr der bisherigen Sicht­ weise fragte: „Unter welchen Voraussetzungen erfordert die Verkehrssicherheit nicht, daß das Fehlen der Wertungsgrundlage unberücksichtigt bleibt?“ Zum Problem der Geschäfts­ grundlage, FS Nipperdey, S. 12.

hend in Vergessenheit geraten. Ganz anders als im Falle der Geschäfts­ grundlage ist hier die einzelne Leistungspflicht anhand des tatsächlich Ver­ sprochenen eingegrenzt worden. Nur versprochene oder typischerweise mit­ versprochene Erfüllungsbemühungen und -opfer sollten geschuldet sein. Darüber hinaus mochte die Schuld bestehenbleiben - hier gehen die Mei­ nungen auseinander aber einen Rechtszwang sollte sie nicht mehr erzeu­ gen können. Diese richterliche Entwicklung setzte Gedanken fort, die tief im 19. Jahrhundert verwurzelt sind und von Hartmann wie von Kübel vor­ gedacht worden waren. Eine lange Rechtstradition fand hier ihren Höheund Schlußpunkt. Eine moderne Variante der von Kübel und Ubbelohde (de lege ferenda), von Brecht (freirechtlich) und in Ansätzen (dafür de lege lata) von Kleineidam und Kisch vorgedachten Lösungen findet sich immerhin bei Horst Heinrich Jakobs.9 Die Geschäftsgrundlage hat diese der Privatauto­ nomie verpflichtete Strömung jedoch weitgehend verdrängt, auch wenn un­ ter dem Begriff der wirtschaftlichen Unmöglichkeit auch hier eine Fortent­ wicklung durchaus versucht wurde.10 Als weiteres Resultat ist die Sensibilität für materiale Werte zu nennen. In bewegten Zeiten ist ein Rückzug auf materiale Werte nichts Außerge­ wöhnliches. Die Rechtsprechung setzte hier eine Vorkriegsentwicklung fort, die zu einer Materialisierung hindrängte und das liberale Verständnis der Vertragsfreiheit immer weiter in Frage gestellt hatte. In der ersten Phase reifte die Erkenntnis, daß ein vertragliches Leistungsversprechen nicht sel­ ten auf Erfüllungsprognosen beruht und deshalb nicht überstrapaziert wer­ den sollte. Die Bindung an das gegebene Versprechen ist ein Prinzip, ein wichtiges zumal, aber keine schrankenlose Idee. Die Erkenntnis war nicht neu. Sie lag einzelnen Urteilen bereits vor dem Kriege zugrunde und kann sich auf einige prominente Protagonisten einer werthaltigen Unmöglich­ keitslehre berufen. In der zweiten Phase rückte das Verhältnis vertraglich auszutauschender Leistungen in das Zentrum des Interesses. Es stellte sich 9 H. H. Jakobs Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 80 und 156 (zur Leistungserschwer­ nis) und (allgemein) S. 225: „Der Schuldner ist zur Leistung nicht verpflichtet, wenn er die Leistung bei Beobachtung der von ihm zu vertretenen Sorgfalt nicht bewirken kann.“ 10 So Kegel, der die »Änderung des Leistungsinhalts“ und die „Unzumutbarkeit“ als Un­ terfälle der „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“ faßte und mit dieser Einteilung meinungsbil­ dend wurde: Kegel, Rupp, Zweigert, Die Einwirkung des Krieges auf Verträge, S. 71-98; vgl. Armasow, Schuldner- und Gläubigerschutz während des Ersten Weltkrieges und der Nach­ kriegszeit, S. 87-92 und S. 116-118. Für die Ausweitung der Unmöglichkeit heute vor allem Emmerich, vgl.: MünchKomm, BGB, Vor § 275 Rn. 24-26. Ulrich Huber erklärt dagegen jüngst, der Rückgriff auf die „wirtschaftliche Unmöglichkeit“ sei angesichts der Rechtsfigur der Geschäftsgrundlage „nicht nur überflüssig, sondern auch unzulässig“, Leistungsstörun­ gen, Bd. 1, S. 119. Entsprechend disparat fiel hier der Kommissionsentwurf aus: § 275 BGB-KE scheint der Ansicht Emmerichs verpflichtet zu sein; § 306 BGB-KE folgt Huber.

die Frage, ob die aufgrund der allgemeinen Krise oftmals fehlerhaft gewor­ denen Ertragsprognosen Einfluß haben können auf den Bestand der Lei­ stungspflicht. Nach schwankendem Beginn besann sich die Rechtsprechung schließlich auf den Gedanken der Äquivalenz. Ausnahmsweise, nämlich so­ fern besagte „Geschäftsgrundlage “ unter der Krise zusammengebrochen war, sollte der Schuldner seine Pflicht abschütteln können. Auch in dieser Phase griff die Rechtsprechung auf Altbekanntes zurück. Momente der Windscheidschen Voraussetzungslehre und der clausula rebus sic stantibus (insbesondere in der Gestalt, die diese durch Gesetz und Praxis des ALR er­ halten hatte) wurden mit dem uralten moralischen Prinzip der Äquivalenz verbunden. Ganz wohl war den Reichsgerichtsräten dabei nicht. Häufig wurde nun betont, daß es der außergewöhnlichen Situation Rechnung zu tragen gelte. Einen aktiven Akt ausgleichender Gerechtigkeit scheute das Gericht selbst in dieser Situation noch. Und die Äquivalenz, auf die die Ge­ richte sich beriefen, war keine objektive, von außen dem Rechtsgeschäfts aufgedrängte, sondern eine prästabilierte, also von den Parteien vorausge­ setze. Erst die Entwertung der Mark verleitete das Reichsgericht zur richter­ rechtlichen Begründung eines Aufwertungsanspruchs. Die inflationsbe­ dingten Vermögensverschiebungen wurden jedoch auch jetzt nicht schlicht nach dem Grundsatz objektiver Äquivalenz bereinigt; eine vollständige Aufwertung hätte auch sicher den Schuldner zu sehr beeinträchtigt, zumal da dieser nicht selten selbst in der Inflation Vermögenswerte verloren hatte, mit denen er die Erfüllung hätte bewerkstelligen können. Statt dessen erhielt das personale Prinzip der Billigkeit erstmals eine eigenständige, tragende Funktion. Der Entwertungsschaden sollte nach Grundsätzen der Billigkeit auf die Parteien verteilt werden. Konkret suchte das Reichsgericht einen Ausgleich der Interessen herbeizuführen, handelte also, wie vertragsgestal­ tende Parteien oder rechtsgestaltende Gesetzgeber angesichts der Situation hätten handeln sollen. Auch dieser spektakuläre Schritt des Reichsgerichts war nicht ohne Vorbild. Er steht in der kurzen Tradition freirechtlicher Überlegungen. Das Reichsgericht hätte diesen Schritt gern vermieden. Es war letztlich die Reichsregierung, die durch ihr Verhalten die Richter zwang, eine eigene Lösung für die anstehenden Probleme zu finden. Noch ein weiterer Wert soll hier nicht verschwiegen zu werden, der ansonsten kaum noch betont wird. Eine „warme vaterländische Empfindung“ wurde nicht ganz zu Unrecht ausgemacht.11 Schließlich fiel die Hinwendung der Rechtsprechung zum Äquivalenzproblem nicht nur zeitlich sondern auch ar­ gumentativ zusammen mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg.

11 Weyl, Der Weltkrieg im Spiegel der „Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsa­ chen“, FS Reichsgericht, Bd. 2, S. 65.

Gab es über die Entwicklung der Geschäftsgrundlage und die Aufwer­ tung inflationsgestörter Forderungen hinausgehend ein grundsätzlich neues Richterverständnis, gar im Sinne der freirechtlichen Debatte der Vorkriegs­ zeit? Die Bedeutung der Richterschaft ist vor allem in der Historiographie kontrovers diskutiert worden. Eiffler sieht vor allem die ,Anpassungsfähig­ keit des Bürgerlichen Gesetzbuches an das sozio-ökonomische Umfeld“ belegt;12 Müller-Erzbach hält dagegen fest, die Richter des höchsten deut­ schen Gerichts hätten „Bausteine eines neuen Rechts“ gelegt.13 Dörner ge­ langt gar zu dem Urteil: „Wirtschaftliche Notwendigkeit schlägt Buchsta­ bentreue. Interessenanalyse schlägt positivistische Konstruktion. Materiale Vertragsgerechtigkeit schlägt formale Pflichtenbindung. Eine dogmatische Epoche ist zu Ende.“14 Eine „wesentlich neuen Konzeption der Richterrolle“ will Rückert wiederum nicht ausgesprochen sehen, glaubt andererseits aber auch, die Rechtsprechung des Reichsgericht könne als „strukturell natur­ rechtlich“ charakterisiert werden.15 Rückert hat hier sog. außerrechtliche Größen im Blick, wie Leben, Verhältnisse, wirtschaftlicher Kem u.s.w., nicht jedoch dem entgegengestellte rationalistische Vernunftableitungen. Die Rechtsprechung, so das Resümee, war eben krisenbedingt. Auch Nörr betont den besonderen wirtschaftlichen und sozialen Kontext, in welchem Rechtsprechung gesehen werden müsse. Der Ausflug in zwei dem Zivilrecht fremden Räumen, der Politik und der Verfassung, sei aber gleichwohl nicht folgenlos geblieben. Immerhin seien die Weichen gestellt worden zu einem Grundrechtsverständnis, das alle, auch die rechtserzeugenden Kräfte bin­ det.16 Die umfangreichste Darstellung der Rechtsprechung der Krisenzeit stammt von Klemmer. In einer überaus akribischen Untersuchung hat er die Rechtsprechung auf die These hin untersucht, ob die nachhaltigen Folgen der wirtschaftlichen Umwälzungen bei langfristigen Verträgen die Richter generell zu einem freieren Umgang mit den Gesetzestexten bewogen hätten. Durch einen Vergleich mit der sog. krisenunabhängigen Rechtsprechung sollte geklärt werden, wie es mit dem Einfluß der Richtermacht wirklich be­ stellt war.17 Eine schlichte „Fassade“ hat Klemmer ausgemacht, die in einer „Gesamtschau der Urteilsformulierungen“ zum Vorschein trete. Die Wei­ chen zu einer Erweiterung von Haftungstatbeständen seien früher gestellt 12 Eiffler, Die „Feuertaufe“ des BGB: Das Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs und das Kriegswirtschaftsrecht des 1. Weltkriegs, ZNR 20 (1998), 255. 13 Müller-Erzbach, Reichsgericht und Interessenjurisprudenz, FS Reichsgericht, Bd. 2, S.161. 14 Dörner, Erster Weltkrieg und Privatrcht, Rechtstheorie 1986,400 f. ^Rückert, Richtertum als Organ des Rechtsgeistes, S. 297-299. 16Nörr, Der Richterzwischen Gesetz und Wirklichkeit, S. 30-32 17 Klemmer, Gesetzesbindung und Richterfreiheit, S. 31-34; 43.

worden; der Richterspruch habe im Weltkrieg und der Weimarer Republik nur noch eine Ausschmückung mit außerrechtlichen Erwägungen erfahren.18 Die Richtermacht sei dagegen nur vereinzelt als Ausnahme aufgrund der Krisensituation zum Einsatz gekommen.19 Ein Durchbruch der Interessenjurisprudenz ist sicher genausowenig zu verzeichnen wie der Beginn einer freirechtlichen Jurisprudenz. Das zeigte schon die folgende Rechtsentwicklung. Aber selbst angesichts der fraglos exzeptionellen Situation, in der die Urteile gefällt wurden, sollte der Recht­ sprechung nicht jede Bedeutung für ruhigere Zeiten abgesprochen werden. Die Rechtsprechung nimmt in der Krisenzeit eine wichtige erste Stufe zu ei­ nem Zivilrecht, das vertragliche Härten zu Lasten der Privatautonomie ab­ zumildern versucht. Da ist die ergänzende Vertragsauslegung zu nennen, aber auch die Inanspruchnahme der Generalklauseln des BGB für eine rich­ terliche Inhaltskontrolle. Das Gesetz wird seiner herausgehobenen Position als objektive Ergänzung und Korrektur des Gewollten beraubt. Die richterli­ che Kontrolle von Verträgen ist heute im Privatrecht eine verbreitete Er­ scheinung,20 und niemand würde hier - bei aller Kritik im Einzelfall - noch einen Angriff der Jurisprudenz auf den Gesetzgeber vermuten. Die richterli­ che Injhaltskontrolle konkurriert eben nicht mit der Pflicht der Gesetzes­ treue, sondern mit dem Prinzip der Privatautonomie. Eine Fassade wurde hier kaum aufgestellt. Soweit man aber eine Richtermacht im Blick hat, die sich dem Gesetzgeber ausdrücklich entgegenstemmt, ist die Beurteilung von Klemmer sicher nicht unberechtigt. Weit überschätzt wurde von den Zeitge­ nossen das damalige Modethema der richterlichen Gesetzeskontrolle. Allein der Vorstand des Richtervereins beim Reichsgericht hatte mit der Korrektur eines gesetzlichen Aufwertungsverbots anhand zivilrechtlicher Maßstäbe gedroht. Dieses in dramatischen Zeiten und mit politischer Zielsetzung lan­ cierte Schreiben war schon damals von geringerer Brisanz als es den An­ schein hatte. Der Richterverein war mit dem Reichsgericht nicht identisch, und es ist sogar fraglich, ob der Vorstand die Stimmung im eigenen Verein treffend wiedergegeben hatte. Das Reichsgericht selbst nahm nur eine Kon­ trolle anhand der Verfassung vor. Allein das Staatsrecht sollte in der Lage sein, den Aufwertungsverordnungen und -gesetzen die Bestandskraft abzu­ sprechen. Nörr bescheinigt sogar dem Reichsgericht, es habe durch die richterliche Normenkontrolle „sein Territorium“, also das Zivilrecht, nicht erweitert, sondern eingeschränkt; im Ergebnis sei nicht der Gesetzgeber ab-, Klemmer, Gesetzesbindung und Richterfreiheit, S. 427 ff. 19Klemmer, Gesetzesbindung und Richterfreiheit, S. 374. 20 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, München 1992; eine neuere Untersuchung spricht gar von Rechtspatemalismus: Enderlein, Rechtspatemalismus und Vertragsrecht, München 1994.

sondern die Verfassung aufgewertet worden.21 Es überrascht daher im Nachhinein, wie hohe Wellen diese bescheidene und völlig positivistische Gesetzeskontrolle in der zeitgenössischen Rechtslehre geschlagen hat. Ge­ messen am Bundesverfassungsgericht war das Reichsgericht überaus zu­ rückhaltend zu Werke gegangen.22 Allein eine anhand originär zivilrechtli­ cher Werte vorgenommene Gesetzeskontrolle hätte den Primat des Gesetz­ gebers ernsthaft in Frage stellen können.23

2^Nörr, Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit, S. 29 und 27. 22 So auch die überwiegende Einschätzung der neueren Historiographie: Rengerj Auf­ Wertung und richterliches Prüfungsrecht. Zur Leistung des Reichsgerichts in Aufwertungs­ fragen, S. 285 und 287 f.; Berkemann spricht überaus modern von „judicial self-restraint": Geschichte, Strategie und Intensität richterlicher Gesetzeskontrolle im Aufwertungsurteil des Reichsgerichts vom 4. November 1925 (RGZ 111,320), EuGRZ 1986, S. 92. 23 Diese Gefahr ist bis heute nicht ernst genommen worden. Von „eher zivilrechtlicher Naivität“ spricht etwa Berkemann, in: Geschichte, Strategie und Intensität richterlicher Ge­ setzeskontrolle im Aufwertungsurteil des Reichsgerichts vom 4. November 1925 (RGZ 111, 320), EuGRZ 1986,89.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Zur Reichsgerichtsentscheidung vom 21. September 1920. I. Folgen und Ausblicke. Aus: JW 1921, S. 5-8. Anmerkung zu RG v. 28. Februar 1921. Aus: JW 1921, S. 833. -: Anmerkung zu RG v. 29. November 1921 (RGZ 103,177). Aus: JW 1922, S. 798-799. Rosenzweig: Zur Frage der Abwicklung von Kriegsaufträgen. Aus: KGB11919, S. 57-62. Roth, Alfons: Dauerverträge und Valutaentwertung. Aus: LZ 1920, S. 587-592 und S. 626-632. -: Vertragsgefährdung durch unverschuldete Behinderung der Leistung eines Vertragsteils beim gegenseitigen Vertrag. Aus: JW 1920, S. 475-476. -: Wirtschaftsumsturz und Vertragstreue. Ein Versuch zur Klarstellung. Aus: LZ 1921, S. 194-201. -: Die Geldentwertung als Problem der Rechtsfindung. Aus: Die Geldentwertung in der Praxis des deutschen Rechtslebens, Bd. 1, Berlin 1923, S. 5-30. -: Die Aufwertung. Systematische Bearbeitung des Aufwertungsproblems und der Auf­ wertungsvorschriften unter umfassender Berücksichtigung der Rechtsprechung und der Literatur, Bd. 1, Berlin 1925. Rothbarth: Rechtfertigt der Krieg die Sistierung von Anzeigenverträgen? Aus: JW 1915, S.1131. Rümelin, Max: Gesetz, Rechtsprechung und Volksbetätigung auf dem Gebiet des Privat­ rechts. Zweiter Vortrag: Die richterliche Rechtsfindung. Aus: AcP 122 (1924), S. 265­ 317. Rumpf, Max: Rechtsstaat, Notstand und die Wandlung der Aufgaben der Zivilrechtspre­ chung. Aus: DRiZ 1921, S. 33-39. Saar, Fr.: Die langfristigen Lieferungsverträge. Aus: BayRpflZ 1921, S. 84-85. -: Die Auslegung der Preisvereinbarung bei langfristigen Lieferungsverträgen. Aus: BayRpflZ 1921, S. 207-208. Saenger, August: Der Einfluß des Krieges auf abgeschlossene Lieferungsverträge. Aus: Holdheim 1914, S. 213-221. -: Die Bedeutung der Kriegsklausel in Lieferungsverträgen. Aus: Holdheim 1914, S. 237­ 238. Schäfer: Werklieferungsvertrag und Revolution. Aus: LZ 1920, S. 216-220. Schneider, Alexander: Ist die Papiermark unser gesetzliches Wertmaß? Aus: LZ 1923, S. 41-48. Schneider, Konrad: Vom Rechte in Kriegszeiten. Aus: DJZ 1914, S. 1033-1041. Schreiber, Otto: Rechtsfragen des deutschen Exporthandels nach Friedensschluß. Aus: DJZ 1915, S.1176-1181. Schumacher: Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung von Lieferungsverpflichtun­ gen in der Kriegszeit. Aus: LZ 1916, S. 141-143. -: Unmöglichkeit der Leistung bei Schiebung von Geschäften auf Friedenszeit. Aus: HansRZ 1917/18, S. 116-119. Siber, Heinrich: Die stillschweigende Kriegsklausel. Aus: Gruchot 60 (1916), S. 458-479.

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Gerichtliche Aufhebung und Abänderung von Verträgen und ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung, zugleich ein Beitrag zum Geiste der neuen Rechtsprechung des Reichsgerichts. Aus: RuW 1921, S. 55-60. Grenzen oder Grade der Aufwertung? Aus: Die Geldentwertung in der Praxis des deut­ schen Rechtslebens, Bd. 1, Berlin 1923, S. 113-128. van Velsen: Die Stellung des Kammergerichts in Sachen der Geldentwertung. Aus: DJZ 1923, S. 391-397. -: Nachträge zur Rechtsprechung bei Geldentwertung. Aus: DJZ 1923, S. 679-680. Vogels: Krieg und Werkvertrag. Aus: DJZ 1915, S. 1083-1087. Warneyer, Otto: Hinausschiebung der Vertragserfüllung bis nach Beendigung des Krieges nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Aus: DJZ 1921, S. 241-243. -: Geldentwertung und Vertragserfüllung nebst anderen wichtigen, die Geldentwertung betreffenden Fragen. Mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts, Berlin 1922. Wassermann, Rudolf: Privatlieferung und Kriegslieferung. Aus: JW 1914, S. 1005-1006. Wirtz: Zur Frage der Auslegung der Kriegsklausel. Aus: JW 1915, S. 900-902. Zacharias: Die Aufwertung von Geldschulden nach geltendem Recht. Aus: JW 1924, S. 85-88. Zeiler, Alois: Die „selbständige Anpassung“ als Ausgleichung der Geldentwertung. Aus: DRiZ 1922, S. 129-134. -: Eine Berücksichtigung der Geldentwertung nach dem geltenden Rechte. Aus: JW 1922, S. 684-688. -: Zur Frage der Geldentwertung. Aus: HansRZ 1922, S. 537-540. - : Die Darmstädter Entscheidungen zur Frage der Geldentwertung. Aus: LZ 1923, S. 426­ 431. - : Neuere Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Frage der veränderten Verhältnisse und der Geldentwertung. Aus: DJZ 1923, S. 446-452 und S. 526-532. -: Zur Aufwertungsfrage. Aus: DRiZ 1924, S. 110-114. - : Die Zeilerschen Umrechnungszahlen. Zu einer Ausgleichung zwischen Gläubiger und Schuldner nach Treu und Glauben für Durchschnittsverhältnisse, Stuttgart 1924. - : Die Abwicklung von Lieferungsgeschäften aus der Inflationszeit. Aus: JW 1925, S.420-424. - : Die Geldentwertung als eine Erscheinung einheitlicher Art. Aus: JR 1925, S. 449-455.

Dritter Teil: Sekundärliteratur, historiographische Schriften und Quellensammlungen Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik: Die Kabinette Marx I und II, Bd. 1: Novem­ ber 1923 bis Juni 1924, hg. v. K. D. Erdmann, bearbeitet v. G. Abramowski, Boppard am Rhein 1973.

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Entscheidungsregister

Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts 15.05.1872 09.11.1872 01.10.1874 18.11.1875 02.11.1877

Rep. II Rep. II 704/72 Rep. III945/74 Rep. III 966/75 Rep. 11245/79

SeuffertsArch 27,112 ROHG 7,433 ROHGE 14,81 SeuffertsArch 31,110 ROHGE 23,137

144 143 144 143, 145 144 258 36 144 343 150 165

Entscheidungen des Reichsgerichts 15.11.1879 27.09.1881 13.10.1885 03.01.1888 19.06.1888 26.09.1888 13.05.1889 22.05.1889 22.12.1890 10.05.1893 24.05.1895 11.12.1897 06.07.1898 11.04.1901 11.04.1902 16.10.1903 23.02.1904 01.06.1904 28.01.1905 22.09.1906 13.10.1906 16.11.1907 15.03.1912 11.03.1913

RG 127/79 RG IVa 760/80 RG III142/85 RG III 218/87 RG III102/88 RG 1196/88 RG VI 60/89 RG 1105/89 RG VI 244/90 RG V 33/93 RG II 77/95 RG I 269/97 RG 1174/98 RG VI 443/00 RG II407/01 RG II 88/03 RG II 398/03 RGV 539/03 RG VII554/04 RG V 1/06 RG V 154/06 RG V 102/07 RG III 289/11 RG III 443/12

RGZ 1,109 RGZ 5,278 RGZ 14,217 RGZ 19,260 RGZ 21,178 RGZ 22,81 RGZ 24,169 Gruchot 33,933 JW 1891,99 Gruchot 37,995 JW 1895,342 RGZ 40,195 RGZ 42,114 RGZ 48,114 RGZ 50,255 RGZ 55,367 RGZ 57,116 RGZ 58,214 RGZ 60,56 RGZ 64,114 RGZ 64,181 RGZ 67,101 RGZ 79,92 JW 1913,596

153 176, 160 201 291 172173 144 143 144 143, 145 145 155 184, 160 202 154 181,155 182183184, i60202

145 147 154 181, 155 184, 156 186, 160 202 156 188 157 191 155 184, 156 185 260 43 286 150,287152 153 217 207 151 187 217 207 79 55, 267 72, 276 109 217 207 151 167, 162 209 260 43 45 192 116 217 207208 300 208 298 201,300 208

24.09.1913 03.02.1914

RG III178/13 RG II 625/13

RGZ 83,110 RGZ 84,125

192 116 285 147

RG III578/14 RG II 83/15 RG II162/15 RG III145/15 RG II 364/15 RG II 279/15 RG II 344/15 RG III193/15 RG II 337/15 RG II 370/15

RGZ 86,397 RGZ 87,92 RGZ 87,134 RGZ 87,277 Wameyer 1916,5 Wameyer 1916,55 Wameyer 1916,106 RGZ 87,349 Wameyer 1916,57 Wameyer 1916,58

295 190,300 214,301 216 254 23 263 56 299 205 206

RG II 332/15 RG III 353/15 RG II 372/15 RG III 268/15 RG II 409/15 RG III333/15 RG II 417/15 RG II 470/15 RG II 473/15 RG II 25/16 RG II13/16 RG II 40/15 RG II 71/16 RG II 90/16 RG II109/16 RG II108/16 RG II 75/16 RG VII61/16 RG 11113/16 RG II 84/16 RG II144/16 RG II169/16 RG II 98/17 RG II154/16 RG II168/16 RG II168/16 RG II168/16

Wameyer 1916,60 Wameyer 1916,62 RGZ 88,37 JW 1916,583 RGZ 88,71 RGZ 88,96 RGZ 88,143 Wameyer 1916,145 RGZ 88,172 Recht 1916,350 Wameyer 1916,243 Holdheim 1916,167 Wameyer 1916,250 Wameyer 1916,303 RGZ 88,261 Wameyer 1916,296 Recht 1916,459 Recht 1916,460 Wameyer 1916,390 Wameyer 1916,387 Holdheim 1916,186 Wameyer 1916,346 JW 1916,1408 HansGerZ 1916,246 Holdheim 1916,249 Wameyer 1916,338 JW 1916,1333

1915 04.05.1915 20.05.1915 02.07.1915 09.11.1915 16.11.1915 26.11.1915 30.11.1915 30.11.1915 14.12.1915 17.12.1915

254 21 254 21,256 29 296 192 295 190, 298 203, 299 204 254 23 255 26, 256 29

1916 04.01.1916 11.01.1916 14.01.1916 18.01.1916 04.02.1916 15.02.1916 29.02.1916 14.03.1916 21.03.1916 21.03.1916 07.04.1916 14.04.1916 09.05.1916 12.05.1916 23.05.1916 23.05.1916 26.05.1916 02.06.1916 06.06.1916 08.06.1916 23.06.1916 27.06.1916 07.07.1916 07.07.1916 11.07.1916 13.07.1916 13.07.1916

287154,289 162 163165,293

177

298 202 203 296 193 297 196 277 114, 279 f., 286-288 299 205 207 257 34 281 134 270 83, 271 89, 272 90, 276 109 279 121 283 139 255 26, 256 29 263 56 263 56 258 35 289 161 292 174, 293 179 284 145 257 33 254 2123 254 23 287 156 255 27 272 91 254 23, 256 29 292 174, 292 174 255 27

26.09.1916 03.10.1916 06.10.1916 24.10.1916 30.10.1916 10.11.1916 14.11.1916 21.11.1916 24.11.1916 08.12.1916

RG II182/16 RG II 235/16 RG VII161/16 RG II 251/16 RG II 263/16 RG II 273/16 RG II354/16 RG II 348/16 RG II 368/16 RG II 349/16

Wameyer 1916,436 Wameyer 1916,434 JW 1916,1526 Holdheim 1917,69 RGZ 88,287 Recht 1917,30 Recht 1917,74 Wameyer 1917,3 Wameyer 1917,2 Holdheim 1917,69

257 32 281 131,281 134 297 195 196 255 26, 256 29 280 124, 283 141 281 134 277 113 257 34 283 141 257 34

1917 02.01.1917 19.01.1917 23.01.1917 23.01.1917 30.01.1917 09.02.1917 20.02.1917 02.03.1917 02.03.1917 27.03.1917 03.04.1917 08.05.1917 24.05.1917 19.06.1917 23.06.1917 26.06.1917 03.07.1917 04.07.1917 06.07.1917 11.07.1917 12.07.1917 12.07.1917 12.07.1917 25.09.1917 19.10.1917 19.10.1917 23.10.1917 23.10.1917 26.10.1917 30.10.1917

RG I 431/16 RG II 369/16 RG II 467/16 RG II 499/16 RG II 359/16 RG II 497/16 RG III 384/16 RG II 498/16 RG II 594/16 RG II 619/16 RG II 559/16 RG II 574/16 RG II 3/17 RG II 22/17 RG I 88/17 RG II 602/16 RG III 98/17 RG 149/17 RG II 70/17 RG III394/16 RG 1104/17 RG II 46/1917 RG II39/17 RG II105/17 RG II161/17 RG II196/17 RG III 229/17 RG III189/17 RG III 212/17 RG II 213/17

HansGerZ 1917,104 LZ 1917,729 Holdheim 1917,149 LZ 1917,596 Wameyer 1917,99 Holdheim 1917,94 RGZ 89,203 Wameyer 1917,156 Wameyer 1917,162 RGZ 90,102 Recht 1917,368 Wameyer 1917,252 Wameyer 1917,246 LZ 1917,1252 Wameyer 1917,310 Recht 1917,470 RGZ 90,374 Wameyer 1917,293 JW 1918,33 RGZ 90,400 Wameyer 1917,288 LZ 1917,1248 Wameyer 1917,306 Holdheim 1918,65 Holdheim 1918,144 RGZ 91,46 Wameyer 1918,46 BayRPflZ 1918,18 RGZ 91,54 Holdheim 1919,28

277 114 258 35 254 23,256 29 280 129 280 124, 283 141 257 34 299 205 286 151, 289 162, 292 174176 282 138 289 162 165, 290 167, 293 177 298 203 272 91 277 112 289 162, 289 163, 290 170 283 141 284 146 295 190, 299 205, 301 216 254 21,25628 289 162, 289 165, 293 177, 301 217 192 116 289 162, 290 166, 293 179 293 178, 293 179 280 126 129 258 35 255 26, 256 29 34 300 210 300 210 300 213 257 33, 281 134

09.11.1917 13.11.1917 07.12.1917 12.12.1917 15.12.1917

RG II 220/17 RG II 246/17 RG II 286/17 RG 1180/17 RG III 312/17

RGZ91,108 RGZ91,332 RGZ91,312 JW 1918,218 Recht 1918,63

258 35 285 147 273 94, 280 122123 264 61 289 162, 293 177

1918 16.01.1918 22.01.1918 26.01.1918 26.01.1918 26.01.1918 29.01.1918 30.01.1918 06.02.1918 08.02.1918 09.02.1918 18.02.1918 19.02.1918 09.03.1918 15.03.1918 16.03.1918 18.03.1918 23.03.1918 09.04.1918 01.05.1918 31.05.1918 13.06.1918 14.06.1918 17.09.1918 18.06.1918 28.06.1918 28.06.1918 24.09.1918 01.10.1918 01.10.1918 01.10.1918 04.10.1918 11.10.1918 15.10.1918 15.10.1918 22.10.1918

RG 1186/17 RG II304/17 RG I 262/14 RG 1188/17 RG I 262/14 RG II 404/17 RG 1285/17 RG I 259/17 RG II 413/17 RG 1189/17 RG VI 459/17 RG II 349/1917 RG I 235/17 RG III522/17 RG I 275/17 RG VI 460/17 RG V 394/17 RG II 398/17 RG I 343/17 RG III 57/18 RG IV 431/17 RG III 72/18 RG III105/18 RG III108/18 RG III119/18 RG II126/18 RG III145/18 RG II178/18 RG II131/18 RG III150/18 RG II164/18 RG III 201/18 RG III104/18 RG III168/18 RG II187/18

Warneyer 1918,131 RGZ92,87 Warneyer 1918, 71 Warneyer 1918,134 Warneyer 1918,71 Recht 1918,151 Warneyer 1918,129 Recht 1918,192 RGZ 93,341 Recht 1918,193 RGZ 93,17 RGZ 92,225 RGZ 92,369 RGZ 92,322 Recht 1918,338 Warneyer 1918,261 Recht 1919,178 LZ 1918,1204 Warneyer 1918,162 SeuffertsArch 73,366 RGZ 93,142 RGZ 93,144 Recht 1918,412 Warneyer 1918,193 Warneyer 1918,260 Warneyer 1918,258 RGZ 94,17 RGZ 93,330 Recht 1919,210 JW 1919,182 Warneyer 1918,327 Recht 1919,66 RGZ 94,45 Warneyer 1919,133 RGZ 94,68

289-290,292 174 f, 293 179 289 162 163, 293 177 256 28 293 179 285 147 273 94 289 162, 293 177 289 162, 290 166, 293 180, 301 217 289 162 164 293 180

277 112 281 433 34 283 141 27084,273 93 96 97

278 117 273 93,281 130133 296 194 272 91 257 33 299 205 206

283 141 299 205, 301 216 281 133 289 162, 289 163 258 37 277 114 285 147 264 58 61 293 181 264 61 281 131134 298 203 289 162, 314 10, 317 19, 318 22 289 162,314 n,318 20,318 22 314 9, 318 20

22.10.1918 23.10.1918 25.10.1918 29.10.1918 01.11.1918 12.11.1918 15.11.1918 12.12.1918 13.12.1918

RG II167/18 RG 190/18 RG III196/18 RG III156/18 RG III192/18 RG III 229/18 RG III 245/18 RG III175/18 RG II 277/18

Warneyer 1919,13 Recht 1919,65 Warneyer 1919,6 RGZ 94,80 Warneyer 1919,18 Warneyer 1919,8 JW 1919,103 Warneyer 1919,35 Warneyer 1919,44

289 162, 314 9 280 123 281133 256 28 299 205, 301 216 299 207 288 159 258 36 289 162,317 18,318 20

RG III 271/18 RG III 448/18 RG I 208/18 RG III 394/18 RG II 353/18 RG VII 347/18 RG III 483/18 RG 1164/18 RG III 502/18 RG II 435/18 RG III 535/18 RG II 290/18 RG II 391/18 RG II175/19 RG II 226/19 RG II193/19 RG 1146/19

300 214, 301 215 299 205

RG VII 303/19 RG III 211/19 RG VII197/19 RG 1152/19 RG I 484/19

RGZ 94,267 Recht 1919,142 Recht 1919,212 Warneyer 1919,75 RGZ 95,41 Warneyer 1919,166 BayRpflZ 1919,252 JW 1919,717 Nr. 4 JW 1919,570 RGZ 95,264 Recht 1919,285 Warneyer 1919,239 Warneyer 1919,232 JW 1920,376 Recht 1920, Nr. 365 Warneyer 1920,84 Warneyer 1920,83 BayRpflZ 1920,204 RGZ 98,18 Warneyer 1920,38 Recht 1920, Nr. 1162 Warneyer 1920,91 Warneyer 1920,93

282 138 289 162 270 84, 272 91,327 47 272 91,289 162 163, 293 272 91,277112 288 159 282 137 281135 284 145 280 124 317 17,31820 305 220,327 44 278 115 318 22 273 95, 338 97 275 108 321 29,322 3132,338 97 276 109110 281 133 258 36 283 141

RG II 271/19 RG III 208/19 RG III 238/19 RG II 303/19 RG III 252/19 RG VII 413/19 RG II 362/19

RGZ 97,325 Warneyer 1920,82 Warneyer 1920,120 Recht 1920, Nr. 2322 Wamyer 1920,121 Warneyer 1920,166 RGZ 99,1

282 137 281133 282 136 280 124 264 58, 265 62 321 30, 322 31 33 278 118119

1919 03.01.1919 21.01.1919 01.02.1919 18.02.1919 25.02.1919 11.03.1919 21.03.1919 26.03.1919 04.04.1919 15.04.1919 06.05.1919 13.05.1919 16.05.1919 28.10.1919 21.11.1919 18.11.1919 22.11.1919 25.11.1919 02.12.1919 12.12.1919 19.12.1919 20.12.1919 20.12.1919

1920 02.01.1920 07.01.1920 07.01.1920 20.01.1920 07.02.1920 24.02.1920 12.03.1920

18.03.1920 24.03.1920 28.04.1920 11.05.1920 19.05.1920 01.07.1920 08.07.1920 21.09.1920 24.09.1920 29.09.1920 22.10.1920 26.10.1920 20.11.1920 04.12.1920 08.12.1920 10.12.1920 18.12.1920

RG VI 446/19 RG V 286/19 RG V 468/19 RG III 445/19 RG I 229/19 RG III 286/19 RG III 89/20 RG III143/20 RG II 22/20 RG V 145/20 RG III138/20 RG II112/20 RG 1170/20 RG II 285/20 RG 1162/20 RG VII 318/20 RG V 278/20

RGZ 100,134 Warneyer 1921,7 RGZ 100,258 Warneyer 1921,45 RGZ 101,74 RGZ 101,79 RGZ 101,141

RG VII 367/20 RG III 331/20 RG III 243/20 RG II 428/20 RG II 441/20 RG VII 316/20 RG VII118/20 RG III 403/20 RG VI522/20 RG I 319/20 RG VII 371/20 RG V 484/20 RG VI 563/20 RG III 481/20 RG VI 85/21 RG II 80/21 RG III508/20 RG III 32/21 RG II 69/21 RG II 573/20 RG VI 338/21 RG III171/21 RG VII186/21

Warneyer 1921,36 JW 1921,393 Warneyer 1921,79 Warneyer 1921,80 Recht 1921,319 Warneyer 1921,82 JW 1921,833 JW 1921,832 Warneyer 1921,103 Warneyer 1921,128 Warneyer 1921,135 RGZ 102,98 Warneyer 1921,137 RGZ 102,227 RGZ 102,238 RGZ 102,292 RGZ 102,272 JW 1921,1597 Recht 1921,436 RGZ 103,3 Warneyer 1922,107 Warneyer 1922,104 JW 1922,484

Warneyer 1920,169 BayRpflZ 1920,238 JW 1920,642 RGZ 99,115 Warneyer 1921,6 RGZ 99,258 RGZ 100,129 Warneyer 1920,226

256 30, 257 33 291171 265 62 261 51 319 24 257 33 338 98, 381 f., 382 3 382 f. 305 221 265 62 336 89, 337 90, 339 100 318 20, 319 25 258 36 342 114, 344 120 261 50, 339 102, 342 112113 326 43, 328 48, 340 104 398 69

1921 14.01.1921 28.01.1921 01.02.1921 08.02.1921 11.02.1921 18.02.1921 18.02.1921 08.03.1921 21.03.1921 23.03.1921 15.04.1921 16.04.1921 30.05.1921 03.06.1921 06.06.1921 24.06.1921 07.07.1921 08.07.1921 16.09.1921 30.09.1921 27.10.1921 22.11.1921 25.11.1921

340 107 259 39 382 f„ 289 160 344 121 344 121 340 106 340 103 105 328 49 256 28, 285 147 345 123 341 108 347 140,353 167 265 62 259 40 41,261 49 348 141 278 116 337 93 94, 338 95 96 337 91 326 42 344 119 274 98, 327 47, 354 168 341 109,350 149 298 200

29.11.1921

RG II 247/21

RGZ 103,177

339 102 349 144 146

RG V 152/21 RG VI557/21 RG II 640/21 RG II 437/21 RG II 407/21 RG I 405/21 RG VII 455/21 RG VI 608/21 RG III 413/21 RG II 509/21 RG III 531/21 RG III558/21 RG VII 716/21

398 69 260 44, 261 46 349 146,38931 249 5,259 41,260 43,261 50 342 114,344 122 260 44, 261 47 261 48 260 44, 261 46 385 1617 257 34 260 44, 261 46 397 65 67, 403 93

RG VI RG III 5/22 RG VII 613/21 RG I 802/21 RG I 682/21

RGZ 103,384 RGZ 104,114 RGZ 103,328 RGZ 103,414 Warneyer 1922,105 RGZ 104,98 Warneyer 1922,108 Warneyer 1922,71 RGZ 104,218 Warneyer 1922,110 RGZ 104,306 RGZ 104,394 Warneyer 1922,139 JW 1923,285 HansGerZ 1923,161 JW 1923,753 JW 1923,986 RGZ 105,368 RGZ 106,16

355 172 345 124, 349 148 350 149 334 82 260 44 264 58, 265 62

RG VII 904/21 RG V 246/22 RG V 183/22 RG V 439/22 RG VII 403/22 RG II129/22 RG V 229/22 RG VII156/22 RG VI506/22 RG VII102/22 RG III 617/22 RG VI 991/22 RG V 626/22 RG VI 455/22 RG VI 866/22 RG VI 568/22 RG II 215/23 RG V 219/23 RG II165/23

Warneyer 1924,41 RGZ 106,7 RGZ 106,11 BayRpflZ 1923,118 RGZ 106,177 RGZ 106,212 Warneyer 1923/24,33 JW 1923,919 Warneyer 1924,68 RGZ 107,140 Warneyer 1924,80 Warneyer 1924,81 Warneyer 1924,87 Warneyer 1924,70 Warneyer 1924,82 JW 1924,175 RGZ 106,422 JW 1923,984 RGZ 107,19

355 172 349 148, 354 169 349 148,354 169 354 169 327 46 263 55,264 57 349 148,354 169 397 68 355 172,38931 327 45 350 149 335 84 86, 355 172 349 148, 354 169 354 170,38931 335 84-86, 354 170 355 172 349 148 354 169,39033 354 170,389 31

1922 11.01.1922 26.01.1922 03.02.1922 14.02.1922 21.02.1922 22.02.1922 07.03.1922 09.03.1922 24.03.1922 04.04.1922 09.05.1922 27.06.1922 11.07.1922 21.09.1922 05.10.1922 13.10.1922 24.10.1922 17.11.1922 23.11.1922

26148 51

1923 05.01.1923 06.01.1923 06.01.1923 06.01.1923 09.01.1923 19.01.1923 31.01.1923 16.03.1923 26.04.1923 04.05.1923 11.05.1923 31.05.1923 06.06.1923 18.06.1923 25.06.1923 28.06.1923 06.08.1923 22.09.1923 02.10.1923

466 09.10.1923 12.10.1923 29.10.1923 29.10.1923 12.11.1923 17.11.1923 20.11.1923 26.11.1923 27.11.1923 28.11.1923 14.12.1923

Entscheidungsregister

RG II127/23 RG II 778/22 RG VI1269/22 RG V 559/22 RG VI 1286/22 RG V 554/22 RG III 339/23 RG III14/23 RG VI159/22 RG V 31/23 RG III 6/23

JW 1924,174 Warneyer 1924,65 RGZ 107,124 Warneyer 1924,89 RGZ 107,156 RGZ 107,183 Warneyer 1924,66 Warneyer 1924,95 DJZ 1923, 369 RGZ 107,78 JW 1924,675

354 170 354 170 349 148, 354 170,355 171, 355 172 354 169, 389 31 349 148, 354 168 354 169 354 170 354 170 355 172 399-401 355 172

RG VII 776/23 RG III 882/22 RG VII 729/23 RG V 601/22 RG V 129/23 RG I 455/23 RG I 32/24 RG VI198/24 RG V 55/24 RG VI 258/24 RG II 312/24 RG I 274/24 RG V 621/24 RG VI 315/25 RG I 448/25 RG VI 221/27

Warneyer 1924,100 RGZ 107,315 Warneyer 1924,100 Warneyer 1924, 98 RGZ 107,370 RGZ 108,379 RGZ 109,97 RGZ 109,146 RGZ 109,158 RGZ 110,371 RGZ 111,156 JW 1925,2595 RGZ 111,320 JW 1926,2360 RGZ 114,405 RGZ 119,133

354 17°, 389 31 32 411 122 354 170 349 ’48,354 169, 389 31 411122 416 1« 415 141 416 1« 416 142 416 145 415 138 415 138 139 411 122

Nach 1923 22.01.1924 25.01.1924 25.01.1924 26.01.1924 01.03.1924 17.09.1924 27.10.1924 07.11.1924 12.11.1924 31.03.1925 26.06.1925 04.07.1925 04.11.1925 15.01.1926 16.10.1926 30.01.1928

415 138 139

265 652, 266 68 415 140

Entscheidungen der Oberlandes- und Landgerichte 05.03.1908 20.05.1911 15.02.1916 23.05.1914

OLG Kiel OLG Hamm OLG Kiel OLG Hamburg

OLGE16,359 OLGE 23,33 OLGE 32,325 OLGE 33,208

268 73 268 74,270 84 257 32 268’5

KG (Berlin) LG Mannheim KG (Berlin) OLG Dresden

DJZ 1916,245 LZ 1915,653 DJZ 1916,245 Recht 1915,521

297 195 271 88 297 195 298 203

1915 18.02.1915 26.03.1915 19.04.1915 27.04.1915

06.05.1915 24.06.1915 06.07.1915 08.07.1915 08.07.1915 13.07.1915 18.08.1915 21.09.1915 30.09.1915 01.10.1915 13.10.1915 19.10.1915 30.10.1915 06.11.1915 11.11.1915 20.11.1915 07.12.1915 14.12.1915

OLG Celle KG (Berlin) OLG Königsberg OLG Rostock OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Colmar KG (Berlin) OLG Stuttgart OLG Colmar OLG Frankfurt OLG Königsberg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg

LZ 1915,1041 DJZ 1916,245 SeuffertsArch 71,8 OLGE 31,180 LZ 1915,1330 LZ 1915,1255 DJZ 1915,1042 JW 1915,1271 Recht 1915,618 Recht 1915,560 JW 1915,1380 JW 1915,1377 LZ 1916,257 LZ 1916,346 JW 1915,1379 HansGerZ 1916,25 Recht 1916,81 HansGerZ 1916, 81

300 211 297 195 300 210 271 87 258 38, 296 191 296 193 300 210 271 87 271 87 300 210 300 211 300 211 279 120 279 120 300 210 213 278 116 263 54, 264 59 271 88

OLG Hamburg OLG Kiel OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Posen OLG Stuttgart OLG München OLG Stuttgart OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Stuttgart OLG Hamm OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Dresden OLG Hamburg

LZ 1916,484 Recht 1916,401 HansGerZ 1916,69 OLGE 32,312 LZ 1916,701 HansGerZ 1916,81 OLGE 32,315 Recht 1916,550 Recht 1916,350 OLGE 32,353 Recht 1916,400 LZ 1916,1140 LZ 1916,1140 HansGerZ 1916,275 HansGerZ 1916,187 HansGerZ 1916,219 Recht 1917,29 JW 1916,1547 Recht 1916,631 LZ 1917,351 JW 1917,237 Recht 1917,120

296 192 271 87 280 125 289 162, 289 163 255 27, 278 116 271 87 88 280 127, 288 158 300 208 271 87 258 38 256 29 280 126 280 126 271 88 280 128 271 88,278 116 281132 293 177 277 113 293 177 275106

1916 04.01.1916 03.02.1916 10.02.1916 12.02.1916 14.02.1916 14.02.1916 26.02.1916 29.03.1916 14.04.1916 01.05.1916 04.05.1916 25.05.1916 31.05.1916 03.06.1916 07.06.1916 09.06.1916 03.10.1916 09.10.1916 11.10.1916 17.10.1916 16.11.1916 30.11.1916

293 177

468 04.12.1916 13.12.1916

Entscheidungsregister OLG Hamburg KG (Berlin)

JW 1917,238 LZ 1917,691

275 106 297 196

OLG Hamburg OLG Dresden OLG Dresden OLG Darmstadt OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Kiel OLG Karlsruhe OLG Stuttgart OLG Hamburg OLG Stuttgart OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Dresden

LZ 1917,1279 DJZ1917,619 JW 1917,864 Recht 1917,227 HansGerZ 1917,191 LZ 1917,1008 LZ 1917,1277 DJZ 1917,691 Recht 1917,519 LZ 1917,887 Recht 1917,268 Recht 1917,517 HansGerZ 1917,221 LZ 1918,520

280 124 264 61 273 93 296 193 264 59, 265 62 287 155 275 106 293 179 264 59 293 179 264 59 280 124 289 164 299 205

OLG Hamburg KG (Berlin) OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Dresden OLG Hamburg OLG Stuttgart OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg KG (Berlin)

272 91 HansGerZ 1919,23 DJZ 1918,324 273 92 HansGerZ 1918, 97 314 8 HansGerZ 1918,85 316 14,316 16 SeuffertsArch 73,368 300 209 HansGerZ 1918,73 314 8 Recht 1918,192 293 181 HansGerZ 1918,131 316 14 HansGerZ 1918,131 316 14 HansGerZ 1918,182 315 12,316 14,317-17 HansGerZ 1918,173 316 1415 HansGerZ 1919,46 265 62 DJZ 1919,602 273 93

KG (Berlin) OLG Hamburg OLG Frankfurt OLG Hamburg LG Hamburg LG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg

OLGE 39,135 HansGerZ 1919,81 JW 1919,940 Recht 1919,378 HansGerZ 1920,25 HansGerZ 1920,93 HansGerZ 1920,167 HansGerZ 1920,193

1917 09.01.1917 18.01.1917 01.02.1917 02.02.1917 10.02.1917 12.02.1917 31.03.1917 03.04.1917 04.04.1917 21.04.1917 13.04.1917 09.06.1917 22.06.1917 30.10.1917

1918 21.02.1918 21.02.1918 07.03.1918 20.03.1918 04.04.1918 09.04.1918 04.06.1918 13.06.1918 29.06.1918 27.09.1918 01.10.1918 05.12.1918 09.12.1918

Nach 1918 14.02.1919 24.03.1919 04.04.1919 14.07.1919 23.12.1919 04.02.1920 28.04.1920 17.05.1920

293 180 320 26, 321 27 298 198 299 205 334 83,343 115 334 83,343 116117

265 62 64 323 35 36, 324 39 40

18.06.1920 23.06.1920 15.10.1920 18.02.1921 06.02.1922 08.03.1923 29.03.1923 18.05.1923 04.08.1923 21.02.1924 24.04.1979

OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Hamburg OLG Darmstadt OLG Darmstadt LG Münster LG Berlin OLG Stuttgart

HansGerZ 1920,196 HansGerZ 1920,198 HansGerZ 1921,9 HansRZ 1921,306 HansGerZ 1922,102 HansGerZ 1923,92 JW 1923,459 JW 1923,522 JW 1923,522 DRiZ 1924,332 NJW 1979,2409

323 37, 324 38 41 323 36 344 118 298 199 327 45 347 139 398 71 398 71 398 71 410 119 192 117

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs 21.06.1974 26.11.1975 02.10.1987 01.12.1993

V ZR 164/72 VIII ZR 31/74 V ZR 140/86 VIII ZR 259/92

NJW 1974,1552 NJW 1976,235 NJW 1988, 699 NJW 1994,515

204 160 204 160 204 160, 223 225 204 161

Personen- und Sachregister

Die Fundstellen beziehen sich auf die Seiten. Hochgestellte Zahlen verweisen auf Fußnoten

A Abhandenkommen des Leistungsgegen­ stands 28, 27 54, 35 6, 41,48, 72 Abladegeschäft 263 f., 277 f., 287, 296 193, 320 Abnahmeverpflichtung 288, 301, 374, 379,414 Abraham, H. F. 393 f., 402, 412 130 Adamkiewicz 410 Adickes, F. 229, 231,144 139 Adler, K. 263 54, 274 99 aequalitas 173 f., 182 80 aequitas 185 88, 234 anfängliche Umstände - Leistungserbringung 15-18,24-26, 29,30 f., 33,358 - Leistung und Gegenleistung 94,156, 336,398,400,414-416 Äquivalenzprinzip - und Vertragsbindung 117,121 f., 173­ 178,187 f. - und Vertragskontrolle 171-174, 178­ 196,219, 390-394 - in der Rechtsprechung 155 f., 327, 339 f., 347-349, 398-400, 414-416 - prästabilierte Äquivalenz 306, 346, 386-390, 415-416 Aristoteles 171 f., 182, 234 f. Arndts, L. 135 101 103, 143 136, 152 170, 179 67,200 145 Auerbach, H. 402 85

Aufwendungen 288,374,379 - Kraftanstrengung 23 f., 27-29, 66-75, 104 - Unverhältnismäßigkeit 44, 77-79, 94, 100 f., 270-274,395 f. - Unwirtschaftlichkeit 202-205, 255 27 - Vorhersehbarkeit 288,277-282,313­ 319,374 Aufwertung - Rechtsprechung 396-401, 412-416 - und Literatur 65, 226; 390-394, 401­ 403 - und Richterschaft 394-396, 408-412 - und Politik 404-408

B Bähr, O. 137,191 Ballin, J. 395 61 Baron, J. 137, 143 163, 144,200 146, 208 172 Bauer, A. 127, 128 70-72 Baumwollhandel 310,313-318,376 Becker, M. 284 144 Begriffsjurisprudenz 62,223,226,230, 232,239 Behrend, R. 402 85 Bekker, E. I. 22,133,134 10°, 135 101 103 144 169 18

Bendix, E. 357 Bendix, L. 229 22 Bereicherung der Gläubigerseite 327, 360-364

Berndorff, W. 82 f. Berolzheimer, F. 238 71, 239, 243 Beschlagnahme 249, 264-266, 282-284, 292,319 Beseler, G. 179 67 Best, G. 393 51,394 56, 395 62, 398 72, 403 93 Betriebsstörung 253-256, 298 f., 319­ 324 Bierling, E. R. 63 7,231, 240 78, 242 97 Biermann, J. 83-86 Billigkeitskorrektur - des geltenden Rechts 225-244,336­ 339,380-383, 385-405,408-412 - von Verträgen 266-268,324-333, 382-385, 393 f. Bin der 80, 83-86,102 Binder, J. 234 44, 238, 243 Bindewald, P. 160 200 Bindung an das Versprechen - Grund der Vertragsbindung 114-132 - Imperativ nach Hartmann 19-24 - subjektives Recht 166-168,197 Bittinger 267 70 Böcking, E. 144 138 Boeck, M. 393 51, 394 55 Boeckei 333 73 Bornemann, W. 157,159 198 Brandis 337 92 Braun 393 45 Brecht, A. 62 3 5, 73-75, 98,104, 421 Breit 252 18 Breme 387 25 Brie, S. 233 42, 234, 236 Brinz, A. 167 12, 168 14 Bühler 385 15, 395 62 Bülow, O. 229, 232 Bundschuh 253 20, 254 22

c Cahn, H. 274 99 Cantor 290 168

Casper 265 Causa-Lehre 115 f., 135-137,143-145 Cicero 117,182 Clausula rebus sic stantibus - im rationalen Naturrecht 149,152 f. - im ALR 152-159 - im schweizerischen Recht 375 - im BGB 150 f., 159-164 - als Figur der Rechtsprechung 298, 318, 326,337,349,382 - Krückmann 306-308,318,331,348 Cohen, M. 269 Cosack, K. 81 64, 193 121 Crome, C. 80, 81 62, 82 69, 102 148, 269, 306,307 Culpa in contrahendo 282

D Danz, E. 134 ", 229 20, 232 36, 233 43, 240 78 80, 242 97 Darboven, Nic. 345,388 28 Dauerschuldverhältnisse 151, 298-302, 380-385 Deckungsgeschäft 268, 278 f., 280, 282 137,316 f., 363 Dernburg, H. 80 58, 109 f., 135 101,152 176, 157 190, 168 14, 194 123, 200 145, 208 172, 216 147, 218 212 Dessauer, F. 357,359 61, 409 115, 411 124

Dick, O. 191 115, 218 211 212, 219 215 Dicken 255 24 Dove, H. 251 16, 259 41, 260 44, 329, 330 55,335 79, 346,383 9 Düringer, A. 228 13, 229 20, 232 36, 233, 235,254 22

E Ebner, A. 297 197 Eccius, M. E. 157 190 193, 159 198 Eckstein, E. 62 3,100 f., 191 115, 219 213 effizienter Vertragsbruch 197 Ehrlich, E. 134 ",231 f., 237

Ellerholz, H. 329 Elze, H. 231, 241 85, 242 Endemann, F. 98-100, 346,357,383 9 Endzweck 23 f., 28 55,149 162, 153-159 Enneccerus, L. 80 60, 81 64, 82 70, 191 115, 217 207, 218 211, 219 213, 357 173, 393 51, 394, 402, 418, 420 7 Erfüllungskosten (siehe auch: Kosten) - und Gegenleistung 336-341, 347-355 - und Leistungswert 92-94,196-206 - und Verwendungserwartung 294-302 Essentialia 134, 260, 388 exceptio doli generalis 215 Exportbeschränkung 248 4, 288, 295 f.

Gierke, O. 34 3, 113,179 67, 185 92, 189 f., 195 127, 198 136, 215 196, 217 205 Gillis, F. 236 Glück, Chr. F, v. 149,179,185,192 Goldmann, E. 80 60, 81, 83 Goldschmidt, J. 409 f. Gompertz 302 219 Gottschalk 332 Grau, W. 401 Grotius 117 f., 123,173 f., 182 Grub, F. 160 200 Grünebaum 394 59 Gute Sitten 206-221, 222, 346,359-362

F

H

Faber 392 41 Fichte 120,126 f., 221 Fick,F. 372 240241 Fischer, H. A. 86-88 finanzielles Unvermögen 17 f., 28 f., 31, 41,44-46,71,87,103 Fixgeschäft 288, 304 Flad 191 115, 217 205 208, 219 213 216 force majeure 251, 255 f., 365 f. Frankenburger, H. 274 Freirechtslehre 73 f., 231, 238-243, 329, 346, 353, 373, 387, 412 f. Fritze, O. 148 157, 159,161 Fuchs, E. 232,233 42, 237, 240 81, 329, 346,387 24, 412, 413 132, Fuld, L. 216 199 funktionale Äquivalenz 192-196

G Gans, E. 177 Gareis, K. 240 80, 243 Gefühlsjurisprudenz 238 f. Geiler, K. 265 63, 393, 394 54, 395 61 gerechter Preis 173,178-186 Geschäftsgrundlage 160,193,204 f., 295,346,349-353,357

Hachenburg 274, 302 219, 383 9 Hagen, K. 216 198 Hager, L. W. 199 143, 263 54 56,266 68 Halpern, F. 359 179, 364 200 Handelskammer zu Berlin 249 5, 251, 259 41,260 42, 261,343 Handelsklauseln 251-266 - cif-Klausel 251, 263, 278, 280, 296 - fob-Klausel 296,251,263 - force majeure 251, 255 f. - frachtfrei 264 - freibleibend 249, 258-262, 282, 303, 379 Hartmann, E. v. 238 Hartmann, G. 19-30,50,66 f., 134,191, 201 Haußmann, F. 264 Heck, Ph. 231-233,241-243, 401 f., 420 7 Hedemann, J. W. 219, 222 f., 346, 387 23, 409 115, 411 123, 417, 418 2 Hedge-Geschäfte 315 Hegel 174-177,216,238 Heilfron, E. 83, 85 Heinsheimer 329 54, 331, 345 Hellwig 201

Henle, R. 199 143, 396 65, 402 88 Herzfeld, A. 393 Herzog, H. 217 205 Heydemann, L. E. 157 190, 159 198 Heymann, E. 250 10, 289 160, 348 143, 393 Hobbes 118 f., 123 Hoffmann, F. 143 136 Höhere Gewalt 251-258, 366 Höpfner, L. J. F. 121 f„ 149,180, 202 155 Hueck, A. 275,260 44, 267 70,274 ", 290 168, 331 63, 333 73, 341 110 Hugo, G. 129 Hypothek 222,380,393,396,398 f„ 403 f., 415

I Importwaren 79,255, 277 f., 296,309 f., 315,319,370,376 Interessenjurisprudenz 231-233,241­ 243,424 iustum pretium 178,179,182,184

J Jacobi, L. 217 205 Jacubezky, K. A. v. 50-52,55 f„ 198 f. Jacusiel, A. 409 116 Jhering, R. v. 167-169,187 f., 200 146, 201,205,216 Jung, E. 402 Juristische Arbeitsgemeinschaft für Ge­ setzgebungsfragen 409 117

K Kaiser 383 9 Kant 22,112-125,130,174 f., 236 Kantorowicz, H. U. 229 19 20, 232 f., 237,240 Karger, A. 409 115 Katz, E. 329 54, 331 Kaufmann, E. 160 200,163 f. Keller, F. L. v. 179 67,260 146

Keynes, J. M. 379 Kiehl 357 173 Kipp, Th. 80 59, 81 64, 402, 412 131 Kisch, W. 70-72,74 f„ 79 Kiss, G. 234,236 Klang, H. 206 168, 330 57, 359 179 Klein, P. 274 103 Kleineidam, F. 61 1, 67-71,74, 421 Koffka 274 99 Kohler, J. 63 7,80,81 64, 82,88, 191 115, 217 205, 218 209 211 212, 238 71 König 265 63 Königsberger 275 106 Konkurs 31,193 121,201,206,336-343, 348 f., 356 f., 360 f., 375,382 Kornfeld, F. 80 59, 203,359 179 181 Kosten der Leistung - Deckungskauf 259, 271-273, 303 f., 313-319,327 f.,339 f. - Produktion 273,303 f., 311,319-324, 339 f., 336-341 - Transport 363 f., 280, 288, 296, 302 f. Kraftanstrengung 23,27-29,66-75,104 Kreis, S. 361 188 Kreittmayr 153 Kretschmar, P. 394 56 Kriegsklausel 251-262,285 Krückmann, P. 62 3, 93-98,105,205, 269,274,286 151, 306-308,318,330, 331 61,333,337 92,348 f., 352,357, 386 22 Kübel, F. Ph. F. v. 36-43,48 41, 57,66 f., 109,146,151,152 171,181,183 81, 186,190,195,303,421 Kuhlenbeck, L. 73,75,79,80 57, 81, 82 67 71

L Laband, P. 200 Laesio enormis 178-186 Lahusen 345 127

Landsberg, E. 178, 236 Leetz 330 Leistungsschwierigkeit - Leistungshandlung 276-285 - Leistungskosten 270-276 - Leistungszeit 285-302 Leistungsverzug 5,27,30,34,40,41, 54,55, 275,340 f., 373 Leistungswert 92-94,196-206 Lemberg 267 70 Lenel, O. 140,144 140, 146 f. Leo, M. 263 54 Leonhard, F. 388 29 Leonhard, R. 216 197 Lilienthal, L. 80 60, 81, 83 Lobe, A. 357 173,408,409 114 Locher, E. 351 f. Loewenwarter 333 73 Lohe 393 51 Lotmar, Ph. 217 205, 218 Löwenstein 254 22 Ludwig, A. 393 53

Natur der Sache 12,33 2,160 Naturzustand 111 f., 118 f., 121-123 Neukamp, E. 266,267 69, 284 144 Neukirch 330 Nipperdey, H. C. 332,346,386 22, 393 51 Nußbaum, A. 402

M

o

Maas, G. 49 42 Maier, K. H. 259 40, 260 44 Manigk, A. 393 91 Mansfeld, K. 251 17, 266,267 69 Marcuse, H. 329 52, 393 51,394 56 Marquardt, H. 302 219 Matthias, M. 160 200 Matthiessen 337 92, 409 116 Mayer, B. 271 86 Mayr, R. 359 180 Meister 345 128 Mellin, G. S. A, 127 69, 128 70 Menger, A. 34 3,113,190 Menger, C. 113 17, 189 106 Michaels 409 126 Michelet, C. L. 177 Miet- und Pachtvertrag 194 f., 299,304, 373 f., 380-385

Mißverhältnis - von Leistung und Gegenleistung 94, 192,178-193,207,274,307,382 - von Leistungsaufwand und -erfolg 68, 92-94,196-206 Mittelstein, M. 274 49, 300 212, 383 9 Mitwirkung Dritter (Eigentümer) 14, 72 Mommsen, F. 10-19,22,30,31,„ 42,80, 200 145, 202 f. Mügel, O. 393 49, 394 58, 402 87, 403 89, 412 128 137 Mühlenbruch, C. F. 179 67 Münch 409 116

N

Oegg 337 92,385 Oertmann, P. 77 48, 80 56 58, 85, 100, 102 f., 160-164,191-193,236-237, 240 77 78 80, 242 97, 258 38, 274 104, 330,337 92, 346,349-353,357, 386 22,388, 402,403 90 91 Oßwald 253 20,254 22 Oswalt 394 58

P Pfaff L. 159,140 20, 143 136, 148 157, 149 157, 150 164, 153 176 Planck, G. 72-75,77,81,82 67 71, 85 f., 92,258 38 Plum 265 63, 274 ", 305 222, 332, 334 80, 345 125, 354 170 Pölitz, K. H. L. 129,132 Pollack 302 219 Pörschke, K. L. 127-131,165,174 44

prästabilierte Äquivalenz 306,346, 386­ 390,415-416 Puchta, G. F. 136,179 67, 200 145 Pufendorf 119-122,174,202 155

R Rabel, E. 80 59, 103-105,337 91 92, 345, 359 179, 401 82 Radbruch, G. 114,133, 170,221 221, 230 23, 234 44, 238,244 105 Ramdohr 201 154 Ravit, A. 220 Rechtsgefühl 189, 235 f., 240 Rechtsmißbrauch 212-215,219,318, 327,394,418 Recken 295 189, 297 197 Regeisberger, F. 151 166, 169, 135 101, 144 138, 150 163, 151 161, 169 18, 200 146, 208 172, Reiche 254 22 Reichel, H. 232 35,233 43,241 85, 329 54,412 128 129 Reigers 254 22 Reiling, E. 332,346,385 14, 389 31 remissio mercedis 193 195 Richterverein beim Reichsgericht 414 Riezler, E. 191 155, 217 205, 218 212, 219 213 Röder, K. D. A. 131,178 Rosenfelder, M. 391 40 Rosenthal, A. 295 189, 297 197, 329,331, 337 92,353,383 9,386 Rosenzweig 302 219 Roth, A. 230,235,237,241,243 103, 248 4,249 7,283 140,331,332,387, 389 32, 393,401,412 130 Rothbarth 297 197 Rotteck, C. v. 129,132,174 44 Rudorff, A. 136 Ruinrechtsprechung 336-341 Rümelin, M. 225 1, 234 44, 235,236 53, 409 115

Rumpf, M. 227 9, 228 n, 229 20, 233, 236,322,387 24, 395 59

s Saar, Fr. 391 40 Saenger, A. 268,253 20,254 22, 255 24, 267 70,268 76, 270 85 Savigny, F. C. v. 22,24,112,129-131, 134,165,200 145,235,392 Schäfer 330 58, 331 63, 336 88 Scheuri, Ch. G. A. v. 135 101,136 107 Schikaneverbot 198-201,211,215 Schilling, F.A. 131 Schmalz, Th. 125 f. Schmölder, K. 235,237 Schmöller, G. 133,178,188,189 105 Schneider, A. 391 40 Schneider, K. 199 143, 267 70 Schreiber, O. 290 168 Schulze, G. E. 131,179 69, 185 89 Schumacher 275 106, 285 148, 313 7, 315 13 Schuppe, W. 168 13 Seuffert, J. A. 208 172, 215 196 Siber, H. 65,73,75,89-93,100,102 148, 269,386 22 Siegel, H. 115 25 Siegwart, A. 370 228, 371 235, 372 237 241, 373 243, 375 251

Silberschmidt 151 166 Simons 409 116 Sinzheimer, H. 242 f., 228 11 Sittlichkeitskontrolle 206-221,269 78, 346,359-362 Smoschewer 403 90, 409 117 Sobernheim 395 61 Sokolowski, J. 391 37 38,392, Solbrig 345 Sontag, E. 391 40,394 56 Spezieskauf 17,66 Springmann 391 40 Staadecker 251 15,254 22

Staedel, E. 412 128,413 Stahl, F. J. 131,166,167 8, 216 Stahl, L. 160 200,164 Stammler, R. 102, 110, 151 166, 159, 163 f„ 216 f., 221, 224 105, 238,352, 387,388 27 Stampe, E. 154,156,158,229 20,232, 240 81, 241 86, 242 f., 383 9,387 24 Starke, A. 270 f., 251 15 16, 253 20, 254 22,256 31,259 39, 260 44, 274 Wl, 283 141, 284 144, 302 219, 305 222 Steinbach, E. 216 200 Stern, C. 388,389 31,392 44 Stintzing, W. 90 101,178 61 Stobbe, O. 179 67 69, 215 196 Stoll, H. 409 115, 411 124, 412 128 subjektive Äquivalenz 306,346, 386­ 390,415-416 subjektives Recht 166-168,197, 211 183

T Tevenar 116,121 f„ 132,148 156, 149, 180,202 155 Thibaut, A. F. J. 149 f. Thomas von Aquin 172 f., 182 Thomasius, Chr. 174 Thon, A. 167 Titze, H. 61 1, 76-79,83,94,102,388 28 Trenck, S. v. d. 346,383 9,393 45 Trendelenburg, A. 131 91, 178 Tuhr, A. v. 100,169, 205 f., 191 115, 217 205, 218 211 212, 219 213, 258 38

U Ubbelohde, A. 66 f., 421 Unerschwinglichkeit 80,94,100,338, 358-365 Unmöglichkeit der Leistung - Mommsen 10-19 - Gesetzgebung 33-58 - Vorkriegsliteratur 61-104 Unger, J. 229 19 21, 232 36, 235,244 105

V Velsen, van 398 73 Verwendungszweckstörung 294-302 Vogels 267 70 Voraussetzungslehre 31 f., 133-147,150, 160-164,170,269,306 f„ 350 f., 422 Vorhersehbarkeit der Aufwendungen 288,277-282,313-319,374

w Wächter, C. G. v. 134 10°, 135,136 107, 143,150 163, 200 145 Warneyer, O. 331 64 Warnkönig, L. A. 131,178 Wassermann, R. 284 143 144, Weber, A. D. 122 54, 149, 153,180 Wegfall der Gechäftsgrundlage 160,193, 204 f., 295,346,349-353,357 Wegfall des Interesses an der Leistung 294-302 Weiß, Chr. 127,128 77 71 73 74 Wendt, O. v. 135 101, 144 138, 199 143, 208 172 Werkvertrag 87,371,375,267 70, 391 40 Windscheid, B. 10,22,30-32,34,37, 63 7,81,134 f., 137-143,146,150 163, 152,160-162,167,168-170, 179 123, 197 f., 200,205,208 172, 215 169, 236,269,350 Wirtz 255 25 Wolff, Chr. 174 Wucher 113,206 f„ 186-192,213,222 f„ 239,346 Wüstendörfer, H. 240 80, 241,242

Z Zachariä, K. S. 127 69, 128 71 72 Zacharias 412 228 Zeiler, A. 355 172, 389 32, 391-396, 409-417 Zeiller, F. v. 127,128 f., 174 44, 180 Zitelmann, E. 231

Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts Herausgegeben von Knut Wolfgang Nörr, Joachim Rückert, Bernd Rüthers und Michael Stolleis

Alphabetische Übersicht Bast, Jürgen: Totalitärer Pluralismus. 1999. Band 22. Becker, Lothar: Schritte auf einer abschüssigen Bahn. 1999. Band 24. Benöhr, Hans-Peter (Hrsg.): Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen Versorgung in der neueren deutschen Rechtsgeschichte. 1991. Band 5. Bohle, Thomas: Einheitliches Arbeitsrecht in der Weimarer Republik. 1990. Band 3. Dettling, Heinz-Uwe: Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965.1997. Band 19. Emmert, Jochen: Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten. 2001. Band 32. Etzel, Matthias: Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat (1945-1948). 1992. Band 7. Gebhardt, Cord: Der Fall des Erzberger-Mörders Heinrich Tillessen. 1995. Band 14. Grohmann, Marc: Exotische Verfassung. 2001. Band 30. Gusy, Christoph: Weimar - die wehrlose Republik? 1991. Band 6. Heil, Thomas: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Thüringen 1945-1952.1996. Band 18. Hetzel, Marius: Die Anfechtung der Rassenmischehe in den Jahren 1933-1939.1998. Band 20. Hueck, Ingo J: Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik. 1996. Band 16. Jung, Otmar: Plebiszit und Diktatur: die Volksabstimmungen der Nationalsozialisten. 1995. Band 13. Jung, Susanne: Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse. 1992. Band 8. Kersten, Jens: Georg Jellinek und die klassische Staatslehre. 2000. Band 28. Kohl, Wolfgang: Das Reichsverwaltungsgericht. 1991. Band 4. Lambrecht, Peter: Die Lehre vom faktischen Vertragsverhältnis. 1994. Band 10. Lösch, Anna-Maria: Der nackte Geist. 1999. Band 26. Hörr, Knut Wolfgang: Zwischen den Mühlsteinen. 1988. Band 1 - Die Leiden des Privatrechts. 1994. Band 11. - Die Republik der Wirtschaft. Teil 1.1999. Band 25. Paulson, Stanley L. und Schulte, Martin (Hrsg.): Georg Jellinek. 2000. Band 27. Riechers, Arndt: Das Unternehmen an sich4.1996. Band 17. Rückert, Joachim und Dietmar Willoweit (Hrsg.): Die Deutsche Rechtsgeschichte in

der NS-Zeit. 1995. Band 12. Simon, Dieter: siehe Stolleis, Michael. Schäfer, Herwig: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941-1944.1999. Band 23. Schoppmeyer, Heinrich: Juristische Methode als Lebensaufgabe. 2001. Band 29. Schulte, Martin: siehe Paulson, Stanley L.

Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts Spindler, Gerald: Recht und Konzern. 1993. Band 8. Stolleis, Michael und Dieter Simon (Hrsg.): Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus.

1989. Band 2. Waibel, Dieter: Von der wohlwollenden Despotie zur Herrschaft des Rechts. 1996. Band 15. Willoweit, Dietmar: siehe Rückert, Joachim. Wolf, Wilhelm: Vom alten zum neuen Privatrecht. 1998. Band 21.

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