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German Pages 332 Year 2015
Christian Steiner Tourismuskrisen und organisationales Lernen
2009-03-23 15-48-02 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 00a1205721883760|(S.
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) T00_01 schmutztitel - 1109.p 205721883768
Christian Steiner (Dr. rer. nat.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Wirtschafts- und Kulturgeographie.
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) T00_02 seite 2 - 1109.p 205721883800
Christian Steiner
Tourismuskrisen und organisationales Lernen Akteursstrategien in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt. Eine Pragmatische Geographie
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) T00_03 titel - 1109.p 205721883824
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 09 (Chemie, Pharmazie und Geowissenschaften) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2008 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.) angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Christian Steiner Lektorat & Satz: Christian Steiner Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1109-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Vorbemerkung
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1 Mit „Sicherheit“ zu einer Pragmatischen Geographie?
15
2 Meta-theoretische Verortung 2.1 Skizzen einer Pragmatischen Geographie
19 20
2.1.1 Die Rolle von Handlung und Wandel im Forschungsprozess nach Dewey 2.1.2 Die soziale Bedingtheit von Wahrheit und Wirklichkeit 2.1.3 Pragmatismus als Wissenschaftstheorie 2.1.4 Zur Rezeption des Pragmatismus 2.1.5 Zwischenfazit: Der Pragmatismus als anderes Erkenntniskonzept
21 27 29 31
2.3 Pragmatismus, Wirtschaftsgeographie und Cultural Turn
32 34 34 37 41 42
3 Forschungsdesign und Methodik 3.1 Auswahl der Untersuchungsländer 3.2 Experteninterviews als Methode des Erkenntnisprozesses
47 50 52
2.2 Handlungstheoretische Grundlagen 2.2.1 Das interpretative Handlungskonzept 2.2.2 Zur Handlungsmächtigkeit überindividueller Akteure 2.2.3 Zwischenfazit
3.2.1 Meta-theoretische Prämissen – Experteninterviews als Instrument qualitiativer Sozialforschung 3.2.2 Der Forschungsprozess und seine schriftliche Darstellungsstruktur 3.2.3 Experteninterviews als Zugang zu einem definierten Wirklichkeitsausschnitt 3.2.4 Auswahl der Gesprächs- und Interviewpartner
52 53 54 55
3.2.5 Zur Ambivalenz von Interviewleitfäden und Experteninterviews 3.2.6 Dokumentation der Interviews 3.2.7 Auswertung der Interviews als interpretativer Akt
3.3 Herausforderungen empirischen Arbeitens in der Arabischen Welt Eine Situation wird unbestimmt: zur Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt 4.1 Entwicklung und Struktur der Tourismusnachfrage in Nordafrika und dem Nahen Osten bis zum Jahr 2000
62 63 64 65
4
4.1.1 Tourismusentwicklung in Nordafrika und der Levante 1990 bis 2000 4.1.2 Tourismusentwicklung in den Staaten der Arabischen Halbinsel von 1990 bis 2000 4.1.3 Zwischenfazit: Grundstrukturen der Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt
4.2 Forschungsstand zum Einfluss von Unsicherheit auf die touristische Nachfrage 4.3 Veränderungen der touristischen Nachfrage in der Arabischen Welt seit dem 11. September 4.3.1 Zeitgeschichtlicher Kontext: Die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers 4.3.2 Lesarten des Konfliktes Exkurs – von Kulturkonzepten und Raumabstraktionen 4.3.3 Forschungsstand zu den Folgen gewalttätiger politischer Unruhen für die touristische Nachfrage seit dem 11. September 4.3.4 Empirisch beobachtbare Veränderungen der touristischen Nachfrage 4.3.5 Eine unbestimmte Situation: zum Einfluss der Nachfrageentwicklung auf die Angebotsseite
4.4 Tourismusentwicklung aus angebotsorientierter Perspektive 4.4.1 Forschungsstand und -perspektiven aus ökonomischer und angebotsorientierter Perspektive 4.4.2 Akteursstrukturen im internationalen Tourismus 4.4.3 Struktur der Hotelwirtschaft in der Arabischen Welt 4.4.3.1 Hotelinvestoren und -eigentümer 4.4.3.2 Arabische Hotelunternehmen 4.4.3.3 Transnationale Hotelunternehmen 4.4.3.4 Integrierte Tourismusunternehmen 4.4.3.5 Zwischenfazit
67 68 72 78 83 85 93 94 100 104
108 109 122 124 124 129 135 136 142 143 147 147
5 Theoretische Brillen und empirische Befunde 5.1 Brille eins: Sicherheitskrisen und Krisenmanagement in der Tourismuswirtschaft 5.1.1 Sicherheitskrisen und die Tourismuswirtschaft 5.1.1.1 Krisen als Herausforderung für die Tourismuswirtschaft 5.1.1.2 Krisenmanagement – Aufgabe des Marketings? 5.1.1.3 Nicht-marketingfokussierte Krisenreaktionen 5.1.1.4 Zwischenfazit: Theoretische Brillen zum Einfluss von Unsicherheit auf die Handlungen angebotsschaffender Akteure 5.1.2 Empirische Befunde I: Modell der Krisenreaktionsmöglichkeiten angebotsschaffender Akteure in der Arabischen Welt 5.1.2.1 Nachfrage stimulierende Optionen 5.1.2.2 Nachfrage generierende Optionen 5.1.2.3 Organisationale Optionen 5.1.3 Empirische Befunde II: Nutzung der Krisenreaktionsmöglichkeiten 5.1.3.1 Nutzung Nachfrage stimulierender Optionen 5.1.3.2 Effektivität und Folgen der Nutzung Nachfrage stimulierender Optionen 5.1.3.3 Nutzung Nachfrage generierender Optionen 5.1.3.4 Effektivität und Folgen der Nutzung Nachfrage generierender Optionen 5.1.3.5 Nutzung organisationaler Optionen 5.1.4 Theoretischer Stellenwert von Sicherheitsbelangen für die organisationalen Strategien TNHU 5.1.5 Neue Fragen
5.2 Brille zwei: Krisenreaktionen aus organisationstheoretischer Sicht 5.2.1 Krisenreaktionen als organisationale Lernprozesse 5.2.1.1 Theorien organisationaler Lernprozesse – ein weites Feld 5.2.1.2 Welches Konzept organisationalen Lernens? 5.2.1.3 Ein pragmatisches Modell organisationalen Lernens 5.2.1.4 Pragmatische Modifikationen des Modells organisationalen Lernens von Argyris & Schön 5.2.1.5 Forschungsstand zum organisationalen Lernen im Tourismus 5.2.1.6 Fazit: Krisenreaktionen in der Tourismuswirtschaft als Formen organisationalen Lernens?
149 151 151 151 153 154
157
158 158 159 160 162 163 173 183 194 198 207 213 214 215 215 218 230 238 241 242
5.2.2 Empirische Befunde: Krisenreaktionsmöglichkeiten als Handlungsoptionen im Prozess organisationalen Lernens von Tourismusunternehmen 5.2.2.1 Nachfrage stimulierende Optionen und Einschleifen-Lernprozesse 5.2.2.2 Organisationale Optionen und ZweischleifenLernprozesse 5.2.2.3 Nachfrage generierende Optionen als neue Art organisationaler Lernprozesse 5.2.2.4 Zwischenfazit: Modifikation des Modells organisationaler Lernprozesse 5.2.3 Neue Fragen
5.3 Brille drei: Lernhemmnisse und sozio-kulturelle Einbettung unternehmerischen Handelns 5.3.1 Lernhemmnisse: zur begrenzenden Wirkung bestehender Strukturen 5.3.1.1 Lernhemmnisse in der Theorie organisationalen Lernens 5.3.1.2 Die Rolle sozio-kultureller Faktoren für Lernprozesse 5.3.2 Empirische Befunde: zur lernbegrenzenden Wirkung organisationaler Wirklichkeiten 5.3.3 Neue Fragen
243 244 246 249 251 253 255 255 256 262 266 280
6 Ergebnisse – wie unsicher ist die Wirklichkeit? Krisenreaktionen und organisationale Lernprozesse
283
7 Ausblick – zur normativen Komponente einer Pragmatischen Wirtschaftsgeographie
285
Literatur Verzeichnis der Interviewpartner Danksagung
289 325 327
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7:
Abbildung 8:
Abbildung 9: Abbildung 10:
Abbildung 11:
Abbildung 12: Abbildung 13:
Modell des Forschungsprozesses nach Dewey Modell der denotativen Methode nach Dewey Fünf Säulen des Forschungsdesigns Entwicklung des Tourismus in Nordafrika und der Levante zwischen 1990 und 2000 Entwicklung des Tourismus in den Staaten der Arabischen Halbinsel 1990 bis 2000 Gewalttätige politische Unruhen und Touristenankünfte in Ägypten 1990 bis 2000 Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach: „Haben wir zurzeit einen Kampf der Kulturen zwischen Christentum und Islam?“ Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach: „Glauben Sie, dass es hier zu Spannungen mit der muslimischen Bevölkerung kommt?“ Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach zum Bild des Islams in Deutschland Veränderung der Passagierkilometer im weltweiten Flugverkehr und der internationalen Touristenankünfte in den USA 2001 bis 2003 Gewalttätige politische Unruhen und Touristenankünfte in Ägypten, Tunesien und den VAE von 2001 bis 2003 Veränderung der Touristenströme in Nordafrika und dem Nahen Osten im Zuge des 11. Septembers Veränderung des Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in Nordafrika und der Levante zwischen 2000 und 2002
22 27 49 74 79 93
105
106 107
110
113 114
117
Abbildung 14: Veränderung des Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in den Staaten der Arabischen Halbinsel zwischen 2000 und 2002 Abbildung 15: Gewalttätige politischen Unruhen und Touristenankünfte in Ägypten, Tunesien und den VAE von 2001 bis 2005 Abbildung 16: Veränderungen der Touristenankünfte und Marktanteile in Nordafrika und der Levante nach Herkunftsregionen zwischen 2000 und 2005 Abbildung 17: Veränderungen des relativen Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in Nordafrika und der Levante von 2000 und 2005 Abbildung 18: Wertschöpfungskette am Beispiel einer Flugpauschalreise Abbildung 19: Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen im Tourismus Ägyptens nach Herkunftsländern Januar 1990 bis Februar 2005 Abbildung 20: Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen im Tourismus Tunesiens nach Herkunftsländern zwischen 1970 und 2003 Abbildung 21: Anteil der von TNHU kontrollierten Hotelzimmerkapazitäten in Ägypten im Jahr 2003 Abbildung 22: Verteilung der von TNHU in Ägypten kontrollierten Zimmerkapazitäten im Jahr 2003, gegliedert nach Herkunft der Unternehmen Abbildung 23: Vergleich des Anteils der von TNHU kontrollierten Zimmerkapazitäten mit den gesamten Hotelkapazitäten in Ägypten, Tunesien und den VAE im Jahr 2003 Abbildung 24: Modell potenzieller Krisenreaktionen Abbildung 25: Entwicklung der durchschnittlichen Zimmerpreise und der Hotelauslastungsquoten in Kairo, Hurghada und Dubai zwischen 1999 und 2005 Abbildung 26: Entwicklung der Investitionen in Hotels und Restaurants in Ägypten, Tunesien und den VAE zwischen 1997 und 2003 Abbildung 27: Strategische Ziele bei der Art der Engagementswahl TNHU Abbildung 28: Zusammenspiel von Sicherheitskrisenintensität, Organisationsmodell und Standortwahl TNHU Abbildung 29: Ein- und Zweischleifen-Lernen nach Argyris & Schön Abbildung 30: Modell organisationaler Lernprozesse Abbildung 31: Modifiziertes Modell organisationaler Lernprozesse
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121 130
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203 210 212 235 239 252
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2:
Akteurstypen im akteurszentrierten Institutionalismus Typologisierung der arabischen Länder entsprechend ihrer touristischen Nachfrageentwicklung seit dem 11. September 2001 Tabelle 3: Kategorisierung der Gesprächspartner nach Akteursgruppen Tabelle 4: Auflistung der Gesprächspartner Tabelle 5: Die größten Hotelgruppen der Welt und ihr Engagement in Tunesien, Ägypten und den VAE zum Jahreswechsel 2003/04 Tabelle 6: Entwicklung der internationalen Touristenankünfte in der Arabischen Welt zwischen 1990 und 2000 in Millionen Tabelle 7: Jüngere Beispiele der wissenschaftlichen Behandlung der Tourismusentwicklung in Nordafrika und der Levante Tabelle 8: Jüngere Beispiele der wissenschaftlichen Behandlung der Tourismusentwicklung in den Staaten der Arabischen Halbinsel Tabelle 9: Struktur der Herkunftsregionen der Touristen in Nordafrika und der Levante bzw. der Arabischen Halbinsel im Jahr 2000 Tabelle 10: Auswahl weltweiter Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund auf Staatsbürger westlicher Industriestaaten oder deren Einrichtungen seit dem 11. September 2001 Tabelle 11: Entwicklung der internationalen Touristenankünfte in der Arabischen Welt zwischen 2000 und 2005 in Millionen
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51 56 58
59
71
72
78
84
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Tabelle 12: Veränderung der Touristenankünfte in der Arabischen Welt nach Herkunftsregionen 2000/2002 Tabelle 13: Perspektiven und Ebenen ökonomischer und angebotsorientierter tourismuswissenschaftlicher Ansätze Tabelle 14: Potenzielle Auslöser organisationaler Lernprozesse Tabelle 15: Ein- und Zweischleifen-Lernen im Vergleich Tabelle 16: Modelle defensiver Mechanismen in der Anwendung handlungsleitender Theorien
115 125 232 237 261
Abkürzungsverzeichnis ADI AJCI AI CBE CIA DTCM
= = = = = =
ECES EGOTH EHA FAZ FTH FSVC GAFI GCC HRW HTC I IDSC
= = = = = = = = = = = =
IWF IATA L.E. LH-M MENA MoP MoT NATO NDP NIB OBG
= = = = = = = = = = =
Ausländische Direktinvestitionen Agence Japonaise de Coopération Internationale Amnesty International Central Bank of Egypt Central Intelligence Agency Department of Tourism and Commerce Marketing, Government of Dubai Egyptian Centre for Economic Studies Egyptian General Organisation of Tourism and Hotels Egyptian Hotel Association Frankfurter Allgemeine Zeitung Fédération Tunisien de l’Hôtellerie Financial Serices Voluteer Corps General Authority for Investment, Arab Republic of Egypt Gulf Coorporation Council Human Rights Watch Housing, Tourism and Cinema Holding, Egypt Befragter Hotelinvestor The Cabinet Information and Decision Support Center, Arab Republic of Egypt Internationaler Währungsfonds International Air Transport Association Livre Égyptien (Ägyptische Pfund) Befragter Manager eines lokalen Hotelunternehmens Middle East and North Africa Ministry of Planning, Vereinigte Arabische Emirate Ministry of Tourism, Arab Republic of Egypt North Atlantic Treaty Organization National Democratic Party, Egypt National Investment Bank of Egypt Oxford Business Group
ONTT
=
OTTI
=
PB RoI R&R SCTDA SHTT SZ TDA TNHU TNHU-EB
= = = = = = = = =
TNHU-RM = TNTU TNU V WTO WTTC
= = = = =
Office National du Tourisme Tunisien, Ministère du Tourisme et de l’Artisanat, République Tunisienne Office of Travel and Tourism Industries – U.S. Department of Commerce Befragter Repräsentant der lokalen Politik und Behörden Return on Investment (= Kapitalrendite) Rest & Recreation Sharjah Commerce & Tourism Development Authority Société Hôtelière et Touristique de Tunisie Süddeutsche Zeitung Tourism Development Authority Transnationale Hotelunternehmen Befragter Einzelbetriebsmanager eines transnationalen Hotelunternehmens Befragter Manager auf der regionalen Ebene eines transnationalen Hotelunternehmens Transnationale Tourismusunternehmen Transnationale Unternehmen Befragter Repräsentant lokaler Tourismusverbände World Tourism Organization World Travel and Tourism Council
Vorbemerkung
Die hier vorliegende Arbeit möchte keine abschließenden Ergebnisse oder Wahrheiten präsentieren. Sie möchte eine Geschichte erzählen. Es handelt sich dabei um diejenige meiner Perspektive auf die Krisenreaktionen der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt nach dem 11. September, so wie sie sich mir nach mehrjähriger Auseinandersetzung mit meinem Forschungsgegenstand und mit meinen Gesprächspartnern präsentiert hat. Wenngleich ich versucht habe, diese Geschichte in sich selbst möglichst konsistent und argumentativ schlüssig darzulegen sowie ihre Entstehung transparent und plausibel zu machen, bleibt es meine Perspektive auf die Ereignisse in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt nach dem 11. September. Andere Autoren hätten diese Geschichte wahrscheinlich anders erzählt. Die hier vorliegende Interpretation ist deshalb nur eine unter vielen alternativ möglichen. Ich hoffe Sie als Leser empfinden die hier entwickelten Interpretationen und Argumentationen als überzeugend und fruchtbar. Ich für meinen Teil war von vielen meiner Ergebnisse überrascht. Ich hoffe Sie teilen mit mir die Freude an den Überraschungen, die Ihnen diese Arbeit hoffentlich ebenfalls bietet. Mainz, im Winter 2008
Christian Steiner
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Mit „Sicherheit“ zu einer Pragmatischen Geographie?
„Theoretisierende Texte der hier gemeinten Art können auch empirische Einzelgegenstände behandeln und ganz empirische Geschichten erzählen, man liest sie aber auch dann nicht unbedingt wegen dieser spezifischen Gegenstände und Geschichten, sondern eher wegen ihrer spezifischen Sicht auf die Welt, nicht wegen einer bestimmten Geschichte, sondern wegen ihrer besonderen Art Geschichten zu erzählen. Kurz, man liest sie, weil sie weniger die Fakten als die Lesarten vermehren und dabei (…) Perspektiven und Einsichten suggerieren, die die konkreten Fälle oft weit hinter sich lassen.“ GERHARD HARD (2003: 13)
Die touristische Nachfragelandschaft in der Arabischen Welt hat sich durch den von den USA angeführten „Krieg gegen den Terror“ und die (islamistischen) Terroranschläge in der Region seit dem 11. September 2001 1 massiv verändert. Bereits vor den Anschlägen in den USA wurde in der wissenschaftlichen Debatte breit diskutiert, dass die jeweilige Sicherheitslage erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Touristenankünfte in der Arabischen Welt mit sich bringt. Die Folgen von Terror, Krieg und Unsicherheit für die Entwicklung der touristischen Nachfrage wurden gerade in zahlreichen Ländern der Arabischen Welt immer wieder in Fallstu1
Der 11. September 2001 dient hier nur als Metapher. Im weiteren Sinne werden in ihr nicht nur die Terroranschläge in den USA zusammengefasst, sondern auch die weltpolitischen Reaktionen auf diese Anschläge wie der (militärisch geführte) „Krieg gegen den Terror“, terroristischen Anschläge sowie die sie begleitenden gesellschaftlichen Debatten.
16 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
dien untersucht. Der 11. September kann jedoch diesbezüglich als Zäsur verstanden werden. Die daraus resultierenden Strukturveränderungen der globalen und insbesondere der arabischen Tourismusnachfrage sind gravierender und persistenter als dies jemals zuvor beobachtet wurde. Die neue Situation lässt sich in aller Kürze wie folgt beschreiben: Einem zunächst sehr starken absoluten und später zumindest relativen Rückgang der Touristenzahlen aus den westlichen Industriestaaten in der Arabischen Welt steht die Neuorientierung arabischer Touristen am Leitbild eines „islamischen“ Tourismus und die Verlagerung ihrer Urlaubsreisen in islamische Länder gegenüber. Es scheint so, als überträgt eine größere Anzahl von Touristen ihre Unsicherheitswahrnehmung von einzelnen Orten auf ganze Regionen und ändert dementsprechend ihr Nachfrageverhalten. Die Folge ist eine zunehmende Regionalisierung der Nachfragestrukturen in Europa wie auch innerhalb der Arabischen Welt. Diese Strukturveränderungen können als Folge zunehmender Akzeptanz konfrontativer geopolitischer Weltbilder, zunehmender gegenseitiger Fremdheit und eines zunehmenden subjektiven Unsicherheitsgefühls konzeptualisiert werden. Während die Studien über den Einfluss von gewalttätigen politischen Unruhen 2 auf die touristische Nachfrage relativ umfangreich vorhanden – wenn auch überwiegend deskriptiver Natur – sind, finden interessanterweise die Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Akteure in den betroffenen Destinationen kaum Beachtung. Die bisherige Forschung hat ihre Aktivitäten – von Ausnahmen abgesehen – ausschließlich auf die Folgen von politischen Unruhen für das Nachfrageverhalten oder auf die Proklamierung der Notwendigkeit zur Entwicklung von Krisenreaktionsplänen durch Tourismusunternehmen konzentriert. Die Veränderungen der Handlungsstrategien im Kontext von Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Akteure in den Zielgebieten bleiben bei fast allen Studien ausgeblendet. Dies ist umso überraschender, als im Zeitalter des Massentourismus die Entwicklung einer Tourismusdestination in erheblichem Maße von den Handlungen der angebotsschaffenden Akteure und insbesondere von transnationalen Konzernen abhängt. Die vorliegende Arbeit möchte dazu beitragen, diese Forschungslücke aus einer wirtschaftsgeographischen Perspektive heraus zu schließen. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Analyse der Krisenreaktionen der im Beherbergungsbereich tätigen Unternehmen und hier insbesondere auf derjenigen der transnationalen Konzerne. In theoretischer Hinsicht werden dazu die Krisenreaktionen der Unternehmen als Handlungen in einem Prozess organisationalen Lernens aufgefasst, in dem die Unternehmen versuchen, sich den geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. 2
Hierunter werden in der Literatur allgemein alle Ereignisse von Krieg und Bürgerkrieg bis hin zu Terrorismus und sozioökonomisch bedingter hoher Gewaltkriminalität subsumiert.
MIT „SICHERHEIT“ ZU EINER PRAGMATISCHEN GEOGRAPHIE? | 17
Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht die Leitfrage, mit welchen Strategien die angebotsschaffenden Akteure mit Bezug zum Hotelsektor in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt auf die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers reagieren und wodurch sich ihre jeweils spezifischen Reaktionen und die damit verbundenen Lernprozesse erklären lassen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung ist es notwendig, eine Reihe von Arbeitsfragen zu beantworten: Wie gehen die Akteure der Tourismusindustrie mit den veränderten Sicherheits(welt)bildern ihrer Kunden und der Krise der touristischen Nachfrage um? Wie hat sich ihre eigene Wahrnehmung der Sicherheitslage in der Region nach dem 11. September verändert? Haben auch sie die medial verbreiteten Bedrohungsszenarien und konfrontativen Weltbilder internalisiert? Welche Handlungskonsequenzen ziehen die Unternehmen aus ihrer Sicherheits- und Krisenwahrnehmung? Durch welche Faktoren werden ihre Wahrnehmungen und Handlungen beeinflusst? Wie an Hand dieser Arbeitsfragen deutlich wird, sind mit der Bearbeitung der Leitfragestellung zahlreiche epistemologische Prämissen verbunden, die meine Forschungsperspektive und damit das meta-theoretische Gebäude der vorliegenden Arbeit fundieren. Diese erkenntnistheoretischen Grundlagen offen zu legen, ist mir ein wichtiges Anliegen.3 Ohne klare erkenntnistheoretische Positionierung – wie sie beispielsweise von DÜRR (1998: 35) angesichts der zunehmenden Theorien- und Paradigmenvielfalt in der Geographie eingefordert wird – wäre es nicht nur unmöglich, eine adäquate Methodik zur Bearbeitung der Fragestellung zu wählen, sondern ohne sie bliebe bereits die Formulierung der Fragestellung(en) und die Auswahl der theoretischen Konzepte zu ihrer inhaltlichen Bearbeitung intransparent. 4 In meta-theoretischer Hinsicht möchte ich dabei einen Weg aufzeigen, der der Wirtschaftsgeographie Ansätze aus ihren Nachbarwissenschaften für die Erklärung empirischer Beobachtungen erschließt und der bisher in der Wirtschaftsgeographie kaum Verwendung gefunden hat. Auf der metatheoretischen Ebene möchte ich insofern dazu beitragen, die der Wirtschaftsgeographie zur Verfügung stehenden „Lesarten“ (HARD 2003: 13) unserer Lebenswelt zu vermehren. Dazu bediene ich mich erkenntnistheoretisch des klassischen Pragmatismus. Der gewählte pragmatische Ansatz basiert in weiten Teilen auf der Philosophie JOHN DEWEYs, der in seiner Theorie der Forschung der Frage nachgeht, wie fragliche, unbestimmte Si3 4
Dass eine solche Offenlegung sinnvoll, ja sogar notwendig ist, hat HARD bereits 1973 an Hand von neun Argumenten demonstriert. In diesem Sinne bemängelt KLÜTER bereits Ende der 1980er Jahre (1987: 134), dass die „Selektionsstrategien für Theorien und Forschungsthemen“ zu oft in der deutschsprachigen Geographie nicht offen gelegt werden. Ein Umstand, der sich erst in jüngster Zeit zaghaft zu ändern scheint.
18 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
tuationen in alltäglichen Forschungsprozessen entproblematisiert und stabilisiert werden und somit wieder eine handlungsorientierende Struktur erhalten. Eine solche pragmatische Perspektive ist für die Beantwortung der oben formulierten Fragestellung besonders gut geeignet, da sie Wandel in das Zentrum der Betrachtungen rückt. Veränderungen und Wandel spielen gerade im Zuge von Lernprozessen eine zentrale Rolle, weshalb sich eine dynamische Perspektive für die Untersuchung der Krisenreaktionen in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt anbietet. In handlungstheoretischer Hinsicht lehnt sich die vorliegende Arbeit an die interpretative Soziologie in der Tradition des symbolischen Interaktionismus an, der erkenntnistheoretisch auf pragmatischen Fundamenten beruht. In der Perspektive der interpretativen Handlungstheorie steht die Frage im Vordergrund, wie und warum sich Handlungsstrukturen und Handlungsmotive verändern. Sie bietet deshalb einerseits eine geeignete, prozessorientierte Basis für die beabsichtigte empirische Analyse der organisationalen Handlungsstrukturen und Lernprozesse in der transnationalen Hotelwirtschaft der Arabischen Welt und ist andererseits anschlussfähig an die gewählte erkenntnistheoretische Perspektive. Mit Hilfe des skizzierten meta-theoretischen Rüstzeugs wird eine theoriegeleitete Interpretation der empirischen Befunde entwickelt. Die vorliegende Arbeit wird dabei anhand des empirischen Materials demonstrieren, dass sich die Handlungen der Akteure nur im Rahmen ihrer sozial konstituierten Wirklichkeiten verstehen lassen. Ziel dieses Vorgehens ist es, nicht nur ein theoriegeleitetes Verständnis der Krisenreaktionen der transnationalen Hotelwirtschaft in der Arabischen Welt zu entwickeln, sondern zugleich exemplarisch das Anwendungspotenzial einer solcherart pragmatisch-sozialkonstruktivistischen Wirtschaftsgeographie aufzuzeigen. Die vorliegende Arbeit möchte mit diesem „doppelläufigen“ Ansatz sowohl eine neue meta-theoretische Alternative für die (Wirtschafts-) Geographie skizzieren, wie gleichzeitig auch der „déformation professionelle“ (HARD 1973: 120) des Wissenschaftstheoretikers entgehen, der sich in seiner „Forschungspraxisferne“ vor den praktisch bedeutsamen Fragestellungen seiner Disziplin in den (meta-)wissenschaftlichen Elfenbeinturm zurückzieht. Unsicherheit und Ungewissheit sind, wie DEWEY (2001: 10) festgestellt hat, Merkmal jeder praktischen Handlung, die wir durch unseren Erkenntnisprozess ausräumen möchten. „Sicherheit“ findet jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht nur als meta-theoretisches Konzept, sondern auch als lebensweltliche Kategorie und als Forschungsgegenstand Beachtung, die offenbar für Menschen lebenspraktisch eine handlungsleitende Funktion hat. Das Thema „Sicherheit“ hat es insofern nicht nur bezüglich unserer Erkenntnismöglichkeit und -situation, sondern auch im konkreten sachlichen Kontext des Tourismus verdient reflektiert zu werden.
2
Meta-theoretische Verortung
„Das Ganze der Wissenschaft ist nichts weiter als eine Verfeinerung des Alltagsdenkens.“ ALBERT EINSTEIN (1954: 290)
Jede wissenschaftliche Arbeit sieht sich mit der Frage konfrontiert, welches neue Wissen sie präsentieren will. Diese Frage verweist nicht nur auf die rein inhaltliche Ebene von „Fakten“ und „Tatsachen“, sondern vor allem auf die Frage, welcher Wissensbegriff zugrunde gelegt wird und wie die Konstitution von Wissen erfolgt. Die traditionelle Konzeption des Wissens, die auf PLATON zurückzuführen ist, versteht Wissen als wahre und gerechtfertigte Meinung (BAUMANN 2002: 39). Wissen und Wahrheit sind demnach untrennbar miteinander verknüpft. Jede wissenschaftliche Arbeit berührt deshalb – gleichgültig, ob man es möchte oder nicht – metatheoretische Fragen, die das Erkenntnis- und Wahrheitskonzept des jeweiligen Wissenschaftlers betreffen. Wie HARD (1973: 110) eingängig formuliert hat, haben wir insofern keine Wahl Meta-Theorie zu betreiben oder nicht – die Frage ist lediglich ob wir es offen und somit kontrollier- und kritisierbar oder „unter der Hand und blindlings“ tun. Erhebt eine wissenschaftliche Arbeit den Anspruch auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit ihrer Argumentation, kommt sie daher nicht umhin, sich mit ihren erkenntnistheoretischen Grundlagen zu befassen. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie erscheint dabei recht simpel. Sie fragt „nach der Begründung unserer Überzeugungen“ (CRAIG 1979: 86). Eine solche Begründung abgeben zu können und sich damit erkenntnistheoretisch zu verorten dient dabei nicht nur der kritischen Reflexion des eigenen Handelns als Wissenschaftler. Viel wichtiger ist, dass die meta-theoretische Verortung die Basis der „Selektionsstrategien für Theorien und Forschungsthemen“ (KLÜTER 1987: 134) bildet. Diese Basis offen zu legen versetzt den Leser dazu in die Lage, den Aufbau der Arbeit, die ihr zu-
20 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
grunde liegende Argumentation sowie ihre Stärken und etwaige Schwächen besser zu erfassen. Eine erkenntnistheoretische Verortung bietet damit zugleich das Potenzial, die Qualität der Arbeit zu steigern wie sie auch kritisch zu hinterfragen. Die Beschäftigung mit Erkenntnistheorie erscheint mir deshalb unausweichlich, auch wenn Sie dem Einen oder Anderen wie „hochgestochenes Gerede“ (HACKING 2002: 98) vorkommen mag, das von den „eigentlich interessanten empirischen Fragen“ (ebd.) ablenkt. Trotzdem „gehört die Metaphysik wesentlich mit zu unserer Geschichte, und Unkenntnis der Metaphysik zieht Verwirrung nach sich“ (ebd.). Öffnet man den Blick nicht für andere Erkenntnisperspektiven, besteht, wie die Theorie organisationaler Lernprozesse (ARGYRIS & SCHÖN 1999) beispielhaft demonstriert, die Gefahr, dass man in den immer gleichen Erklärungsmustern gefangen bleibt und sich dogmatisch der Entwicklung nützlicher Wirklichkeitsinterpretationen verschließt. Die vorliegende Dissertation möchte dazu beitragen, dass die Geographie derartigen Gefahren in Zukunft mit einem möglichst breiten Spektrum pluralistischer Erkenntniszugänge entgegen treten kann. Dazu bedient sie sich der Philosophie des klassischen Pragmatismus. Mit dieser erschließt sie nicht nur eine für die Geographie vergleichsweise neue epistemologische Position, sondern umreißt einen erkenntnistheoretischen Standpunkt, von dem sich mannigfaltige interpretativ-sozialkonstruktivistische Anknüpfungspunkte für praktisch-empirische Arbeiten erschließen lassen. Die vorliegende Arbeit möchte insofern dazu beitragen, der traditionellen empirischen Stärke der deutschen Geographie eine weitere, reflektierte, erkenntnistheoretische Basis zur Verfügung zu stellen und so ihre multiparadigmatische Verfassung zu stärken.
2.1
Skizzen einer Pragmatischen Geographie
Der Pragmatismus ist keine Erkenntnistheorie im klassischen Sinne. Er lehnt es ab, eine Grundlage der Wissenschaften produzieren zu wollen und behauptet, dass es einer solchen nicht bedürfe (RORTY 2003: 14). Erkenntnistheoretisch nimmt er eine agnostizistische Position ein und stellt daher keine ontologischen Fragen nach dem Wesen der Dinge, der absoluten Wahrheit oder der absoluten Erkenntnis. Er postuliert vielmehr, dass wir ontologische Fragen überwinden und uns anderen Fragen zuwenden sollten (RORTY 1994: 35) und interessiert sich statt dessen dafür, was Menschen unter Tatsachen, Erfahrungen, Wissen, Wahrheit und Wirklichkeit verstehen, wie sie zu ihnen gelangen und mit ihnen umgehen (JAMES 2002: 184). Anstatt Erkenntnis wie realistische und positivistische Positionen vom Erkenntnisgegenstand aus zu denken, denkt der Pragmatismus Erkenntnis also vom Erkennenden aus.
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Kernidee des Pragmatismus ist die Überzeugung, dass „die Wahrheit einer Idee in deren möglichen Konsequenzen“ (HICKMAN 2004: 9), in ihrer Bedeutung für unsere Handlungen zu suchen ist. Hat eine Aussage keine Auswirkungen auf unsere zukünftigen tätlichen oder gedanklichen Praktiken, ist sie weder wahr noch falsch, sondern nichtssagend. Die Wahrheit einer Aussage bemisst sich erst daran, ob Sie sich experimentell bewährt, also etwas zur Lösung eines Problems beiträgt und in diesem Sinne etwas nutzt. Ihre Wahrheit hängt also von ihrem Praxiswert ab, wobei der Begriff der Praxis sehr umfassend ist und sowohl Denk-, Sprach- und tätliche Akte einschließt (DEWEY 2001: 237; DEWEY 2002: 132ff). Im Pragmatismus besteht folglich eine enge Verbindung von Wahrheit, Praxis und Erkenntnis(-prozess). Handeln und Erkennen sind für DEWEY so eng miteinander verknüpft, dass sich die Unterscheidung von Theorie und Praxis auflöst, denn Handlung ist untrennbar mit Sinn verbunden, da „menschliches Verhalten (…) nur unter dem Gesichtspunkt von Zwecken interpretiert und verstanden werden [kann]“ (DEWEY 2001: 246). Rekonstruieren wir diese grundlegenden Gedanken und ihre Konsequenzen am Beispiel der Philosophie JOHN DEWEYs, der in den USA als der einflussreichste Vertreter des klassischen Pragmatismus bezeichnet werden kann (NAGL 1998: 16). Warum die Verbindung von Handeln und Erkennen eine so enge ist, wird anhand seines Modells des Forschungsprozess (DEWEY 2002: 132ff) deutlich.
2.1.1 Die Rolle von Handlung und Wandel im Forschungsprozess nach Dewey Die Grundidee des Modells des Forschungsprozesses bei DEWEY basiert – wie er (2002: 19) freimütig einräumt – auf dem belief-doubt-belief-Schema von PEIRCE (2002: 69f), das dieser den handlungspsychologischen Arbeiten ALEXANDER BAINs entlehnt hat. Demnach beruht unser lebensweltliches Verhalten auf einem Wechselspiel von Fürwahrhalten (belief), Zweifel (doubt) und erneutem Fürwahrhalten (belief). In der Ausgangssituation stellt unser Fürwahrhalten die Summe aller bisher als wahr anerkannten Überzeugungen dar. Dieses Fürwahrhalten ist die Grundlage, auf welcher Handlungen überhaupt erst möglich sind, und zugleich eine definierte Ausgangslage, die bestimmte Handlungsdispositionen nach sich zieht (PEIRCE 2002: 69; 5.373). Der Forschungsprozess 5 beginnt damit, dass eine bestimmte Situation unbestimmt und damit fraglich, d. h. ungewiss und
5
DEWEY bezieht sich mit dem Begriff Forschungsprozess wie PEIRCE (2002: 69; 5.374) nicht nur auf wissenschaftliches Forschen, sondern auf die gesamte Bandbreite menschlichen Erkenntnisgewinns inkl. der Klärung alltäglich unbestimmter Situationen. Forschen ist demnach eine zutiefst alltagsweltliche Praxis.
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zweifelhaft wird und endet damit, dass dieser Zweifel ausgeräumt werden kann und die Situation wieder bestimmt wird (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Modell des Forschungsprozesses nach DEWEY Bestimmte Situation
Urteil (Bewährung/ Scheitern)
Unbestimmte Situation
Experiment
Problemidentifikation
Kompatibilitätsprüfung der Hypothese
Abduktive Hypothesenbildung
Quelle: Eigener Entwurf
Dass eine Situation zweifelhaft wird, ist jedoch kein ungewöhnlicher oder ein den Normalzustand störender Fall. Wie DEWEY (2001: 232) herausstellt, ist Ungewissheit vielmehr ein charakteristisches Merkmal jeder praktischen Tätigkeit: „Ungewissheit ist in erster Linie eine Angelegenheit der Praxis. Sie bedeutet die Ungewissheit darüber, wie unsere gegenwärtigen Erfahrungen ausgehen; denn diese Erfahrungen sind von zukünftigen Gefahren wie von inneren Einwänden bedroht.“
Mit Handlung 6 ist folglich Ungewissheit und damit das Risiko des Scheiterns verbunden. Menschen sind jedoch lebenspraktisch auf den Erfolg ihrer Handlungen angewiesen und versuchen deshalb Ungewissheiten durch Erkenntnisgewinn auszuräumen. Der Erkenntnisprozess ist deshalb darauf ausgelegt, eine „problematische Situation in eine entproblematisierte zu transformieren“ (ebd.: 243). Damit wird versucht, Kontrolle über die Situation zu gewinnen und Risiken zu minimieren, um sich alltagspraktisch angemessen verhalten zu können. Erkenntnis dient also dazu, eine Art Handlungsgrundlage zu erhalten. Die im Erkenntnisprozess verwendeten
6
Da wie oben ausgeführt Handlungen für DEWEY sowohl Denk-, Sprachund tätliche Akte einschließen kann eine Handlung in einem Erkenntnisprozess auch in einem Gedankenexperiment bestehen.
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und gewonnenen Theorien können in DEWEYs Sinn deshalb als hypothetische Handlungspläne bezeichnet werden, die mögliche Konsequenzen potenzieller Handlungen widerspiegeln. Erkenntnis, so könnte man formulieren, ist demnach die „unsere Handlungsfähigkeit erweiternde Antwort auf Probleme, die sich in einer bestimmten Situation stellen“ (HÜGLI & LÜBCKE 2005: 146). Diese Vorstellung DEWEYS macht den instrumentalistischen Kern seiner Philosophie aus, denn für ihn (2001: 293f) ist es „ohne jeden praktischen Nutzen zu behaupten, ein Ding sei das, als was es, unabhängig von jeder Erkenntnis, erfahren wird. Wenn jemand Typhusfieber hat, dann hat er es; er muss es nicht suchen oder danach Ausschau halten. Aber um es zu erkennen, muss er suchen: Für das Denken, den Intellekt, ist das Fieber das, als was es erkannt wird. Denn wenn es erkannt ist, dann kommen seine verschiedenen Erscheinungsformen, die direkten Erfahrungen, in eine Ordnung; wir haben zumindest jene Art von Kontrolle, die Verstehen genannt wird, und damit geht die Möglichkeit einer aktiveren Kontrolle einher.“
Für den Erkenntnisprozess muss das sich stellende Problem zunächst genauer bestimmt werden. Die Bestimmung des Problems wirkt zugleich auf die Relevanzbewertung möglicher Daten für eine Problemlösung zurück. Wahrnehmung und Problemstellung sind daher untrennbar verbunden. Auf dieser Grundlage werden abduktiv, d. h. in einem kreativen und spontanen Prozess, Hypothesen als Problemlösungsmöglichkeiten gebildet. Hierzu wird einerseits auf verfügbare Informationen zurückgegriffen, die andererseits erst aufgrund der Hypothesenbildung interpretierbar werden und damit Relevanz erhalten. Aus der Masse der Sinnesdaten und Informationen werden so gezielt spezielle Wahrnehmungen ausgewählt und mit vorhandenen Wahrheiten und Hypothesen verknüpft. Diese für die Erkenntnis notwendige Verknüpfung hebt logischerweise die „Trennung von Erkennen und Tun“, von Theorie und Praxis auf (ebd.: 215). Im Rahmen der Kompatibilitätsprüfung der Hypothese wird deren Anschlussfähigkeit an das bestehende, argumentativ plausible und vorexistierende Interpretationsschema geprüft und soweit möglich hergestellt. Gelingt dies nicht, wird die Hypothese oder das Interpretationsschema verworfen. In einem (Gedanken-)Experiment wird die Hypothese schließlich an ihren Folgen erprobt, worauf entweder ihre Bewährung oder ihr Scheitern folgt und der Kreislauf vorerst endet oder erneut beginnt. Die Wahrheit einer Aussage bemisst sich deshalb nicht daran, ob sie mit einer absoluten Realität korrespondiert, sondern ob sie im Rahmen unserer Überzeugungen sowie vergangener und aktueller Forschungsprozesse funktioniert. Die so gewonnene Erkenntnis ist immer nur so lange gültig bis sie erneut in Frage gestellt wird. Der Forschungsprozess setzt sich insofern potenziell bis ins Unendliche fort. Gegenwärtige Handlungsfolgen, Erkenntnisse und Erfahrungen werden dabei zu zukünftigen Handlungs-
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und Erkenntnisbedingungen (ebd.: 224). Sie bieten damit Anlass und Ausgangspunkt für die Entstehung neuer Zweifel. Erkenntnis ist zudem immanent mit Wandel verbunden, da der Prozess ihrer Herstellung „Veränderung in dem Gegenstand der Erfahrung hervor[bringt]“ (ebd.: 236). Das Erkenntnisobjekt selbst besteht insofern nicht bereits vor der Erkenntnis, sondern nimmt erst durch den Akt der Erkenntnis Form an (ebd.: 229f). Erkenntnis und Erfahrung müssen deshalb als Modi des Handelns verstanden werden (ebd.: 228). Wahrheit wird demnach im Forschungsprozess konstruiert, und zwar als Nebenprodukt aus Verfahren zur Lösung von Problemen. Wahrheit und Wirklichkeit sind deshalb in einem pragmatischen Sinne als „gerechtfertigte Behauptbarkeit“ 7 (DEWEY 2002: 19f) zu verstehen, die im Rahmen eines epistemischen Projektes (BARKE 2003: 1037) kontinuierlich und kontextuell gebunden entstehen. Wie der Pragmatist JAMES, dessen Wahrheitstheorie im Wesentlichen auf DEWEY zurückgeht (JAMES 1994a: 123), herausstellt, muss sich Wahrheit also bewähren und ist nur im Prozess ihrer Überprüfung feststellbar (JAMES 2002: 163): „Wahrheit ist für eine Vorstellung ein Vorkommnis. Die Vorstellung wird wahr, wird durch Ereignisse wahr gemacht. Ihre Wahrheit ist tatsächlich ein Geschehen, ein Vorgang, und zwar der Vorgang ihrer Selbst-Bewahrheitung, ihre Verifikation [sic!].“
DEWEY (2001: 236) schlussfolgert aus diesem Wahrheitskonzept, dass „die Bemühung, eine vollendete Erfahrung direkt aufrechtzuerhalten oder sie genau zu wiederholen, (…) die Quelle irrationaler Sentimentalität und Unaufrichtigkeit“ ist. Situationen und ihre Interpretationen beinhalten insofern immer ein einzigartiges Element, dass eine spätere, akkurate Reproduktion derselben Erkenntnis ausschließt. DEWEY (2001: 228) findet deshalb recht drastische Worte, wenn es um die Idee absoluter Erkenntnis geht: „Die Erreichung des relativ Sicheren und Erledigten findet freilich nur im Hinblick auf genau umgrenzte problematische Situationen statt; die Suche nach einer universalen Gewissheit, die für alle gelten soll ist eine kompensatorische Perversion.“ 8
7 8
Im Englischen: „warranted assertibility“. Diese „Perversion“, wie DEWEY sich ausdrückt, hat erhebliche Folgen wenn sie „die Form des Wunsches annimmt, nicht gestört und beunruhigt zu werden“. Sie führt dann unweigerlich zu „Dogmatismus, Autoritätsgläubigkeit, Intoleranz und Fanatismus auf der einen Seite und zu unverantwortlicher Abhängigkeit und Faulheit auf der anderen“ (ebd. 227f).
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Menschen befinden sich daher grundsätzlich in einem Prozess der stetigen Wahrheitsfindung. Wahrheit ist also endlich konzipiert und kann sich wandeln. Pragmatisten haben insofern im Gegensatz zu Realisten 9 , Positivisten 10 und kritischen Realisten 11 einen dynamischen Wahrheits- und damit auch Wissensbegriff. Während in diesen Erkenntniskonzepten das Unwandelbare, das Wesen der Dinge als (Annäherung an die) absolute Wahrheit im Zentrum stehen, fokussiert eine pragmatische Konzeption genau auf das Gegenteil, nämlich auf die Veränderung und den Wandel des Gegenstandes der Erkenntnis (SUHR 2005: 139f). Unter solchen Vorzeichen kann Erkenntnis nicht mehr sinnvoll als Entdeckung des Gegebenen oder als eine Annäherung an die absolute Wahrheit betrachtet werden sondern gleicht vielmehr einer Interpretation und Konstruktion. Wissen kann sich daher nicht mehr mit Bezug auf einen absoluten Bezugspunkt rechtfertigen, sondern wird immer prozessual hergestellt und unterliegt einer dynamischen Veränderung. Dies bringt in der Konsequenz mit sich, dass Wissen im Pragmatismus nicht objektivistisch verstanden werden kann, sondern nur kontextuell gültig ist. Obwohl dieser Befund enge Parallelen zu dekonstruktivistischen und (post-) strukturalistischen Positionen aufweist ist die Begründung doch eine gänzlich andere: Sie leitet sich nicht ab aus der Dekonstruktion vermeintlich sicherer Er-
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Der Realismus gehen davon aus, dass es eine vom Menschen unabhängig existierende Welt gibt, zu der wir Zugang über unsere Wahrnehmung besitzen. Die Wahrheit einer Aussage über unsere Welt lässt sich dem Realismus zufolge daran messen, ob sie mit der Realität übereinstimmt, mit ihr korrespondiert. Das dieser Beurteilung von Wahrheit zugrunde liegende Axiom wird deshalb auch Korrespondenztheorie genannt (BAUMANN 2002: 155). Die Grundidee des Positivismus liegt darin, dass Erkenntnis nur aufgrund des Gegebenen, des Positiven möglich ist und deshalb „nur die Erfahrungswissenschaften Erkenntnisse gewinnen können“ (POPPER 1973: 511). Für den Positivismus ist objektive Erkenntnis durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden möglich. Der kritische Realismus, der bspw. dem kritischen Rationalismus POPPERS zugrunde liegt, geht davon aus, dass eine vom Menschen unabhängige Welt existiert, die unsere Wahrnehmungen verursacht. Anders als der klassische Realismus vertritt er jedoch die Ansicht, dass uns unsere Wahrnehmung niemals eine sichere Erkenntnis vermitteln kann, weshalb die absolute Wahrheit für den Menschen nicht erkennbar sei (SCHNEIDER 1998: 75ff). Wissen besitzt satt dessen Hypothesencharakter. Im Forschungsprozess ist es möglich diese Hypothesen kontinuierlich zu verbessern und sich so der absoluten Wahrheit anzunähern (POPPER 1984: XXV). Absolute Wahrheit wird deshalb als Bezugspunkt, als „regulative Idee“ (POPPER 1973: 42) benötigt. Ohne die Existenz einer absoluten Wahrheit wäre eine „Verbesserung“ des wissenschaftlich gewonnen Wissens nicht möglich. Der Versuch der Annäherung an die absolute Wahrheit bildet daher für den kritischen Realismus gleichsam den Kern des Wissenschaftsbetriebes (ZEYER 2005: 274).
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kenntnisgrundlagen, sondern bildet die Konsequenz der individualzentrierten Rekonstruktion des alltäglichen, menschlichen Erkenntnisprozesses. Der Pragmatismus vollzieht damit eine Relativierung des absoluten Wahrheitsbegriffs und eine Relativierung des kumulativen Erkenntnismodells. Wissenschaft produziert in diesem Sinn keine sich stetig der absoluten Wahrheit annähernde Erkenntnis. Das bedeutet aber nicht, dass Wahrheit gänzlich relativ ist. Als kontextabhängige Wahrheit ist sie alles andere als beliebig (WILLIAMS 1996: 168), da sie auf Basis eines konsenstheoretischen, nicht objektivistischen Wahrheitsbegriff gedacht werden muss, mit dem „Realität nicht an-sich, sondern nur in gemeinsam interpretiertem Handeln erfahrbar“ ist (MARTENS 2002: 5). Wahrheit und Wirklichkeit manifestieren sich damit als begründete und sozial akzeptierte Behauptungen, deren Konstitution sozialen Regeln folgen muss, wenn sie auf breite Akzeptanz stoßen möchten. Begriffe und Theorien, „mit denen wir die Wirklichkeit beschreiben und erklären“ sind deshalb im Sinne des Pragmatismus „als durch Konventionen bedingte Mittel“ (HÜGLI & LÜBCKE 2005: 515) zu verstehen. Wahrheit ist zudem – so könnte man in aktueller wirtschaftsgeographischer Terminologie (MARTIN 2006) formulieren –und pfad- (und damit kontext-)abhängig, da in sie das bereits vorher erworbene Wissen und die akzeptierten Perspektiven auf Welt einfließen (DEWEY 2001: 23 ; JAMES 2002: 163ff). Diesen Charakter des Forschungsprozesses bezeichnet DEWEY in seinem Buch „Erfahrung und Natur“ (1995: 23ff) als denotativ 12 . Denotativ ist der Forschungsprozess insofern, als Dinge einen tieferen Sinn im seinem Verlauf erhalten, weil sie die Theorie, die in diesen Prozess einfließt, als Bedeutungsstruktur in sich mit aufnehmen (vgl. Abbildung 2). „Der Kern der denotativen Methode besteht (…) darin, Dinge nicht als unmittelbare Gegebenheiten, sondern als Zeichen, als Fragen, als durch Sinn erfüllte Endergebnisse der Anwendung methodischer Forschung aufzufassen“ (SUHR 2005: 166). JAMES (2002: 179) billigt daher in Erklärung des DEWEYschen Wahrheitskonzeptes lediglich unseren Urteilen, aber nicht den in sie eingehenden Tatsachen zu, wahr oder falsch sein zu können. Wie JAMES dahingehend feststellt „sind“ Tatsachen einfach. Sie existieren nicht unabhängig von uns, denn (ebd.: 179) „in dem Reiche der Wahrheitsprozesse tauchen Tatsachen unabhängig voneinander auf und bestimmen vorläufig unsere Überzeugungen. Aber diese Überzeugungen bestimmen unser Handeln, und solange sie dies tun, bringen sie neue Tatsachen zum Vorschein, die wiederum unsere Überzeugungen entsprechend umgestalten. So spielt sich das Aufrollen der Wahrheit unter doppeltem Einflusse ab. Aus Tatsachen ergeben sich Wahrheiten, diese aber dringen wieder weiter
12
Denotation bezeichnet die Anwendung eines Begriffs im Gegensatz zu seiner Bedeutung, seiner Konotation.
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in die Tatsachen ein und fügen neue hinzu. Diese neuen Tatsachen schaffen oder offenbaren neue Wahrheiten und so geht es immer weiter bis ins Unendliche.“
Abbildung 2: Modell der denotativen Methode nach Dewey Alltagserfahrung Primäre Objekte der Sinneswahrnehmung Phänomen mit erweiterter Bedeutung
Überprüfung an der Erfahrung
Erforschung
Überprüfung
Methode
Sekundäre Objekte Theorie
Erklärung
Quelle: SUHR 2005: 152; verändert
Durch die Denotation werden daher im Forschungsprozess aus primären Objekten der Wahrnehmung Phänomene mit erweiterter Bedeutung. Da jeder Erkenntnisgegenstand die im Forschungsprozess verwendeten Theorien und abgeleiteten Interpretationen in sich aufnimmt, vermittelt das Konzept der Denotation zwischen den klassischen Dualismen von Geist und Welt sowie Subjekt und Objekt und löst diese im Erkenntnisprozess auf (DEWEY 2001: 244). Erkenntnis muss dementsprechend als eine Einheit von Vorgängen verstanden werden, die in verschiedenen sich gegenseitig durchdringenden, nicht linear ablaufenden Phasen konzipiert werden. Aus diesen Vorgängen bildet sich eine Erfahrungseinheit, deren Ergebnis allenfalls analytisch in Handlungs- und Geistesebene aufspaltbar ist. Die Welt, die wir erfahren, besitzt deshalb final einen monistischen Charakter.
2.1.2 Die soziale Bedingtheit von Wahrheit und Wirklichkeit Erfahrung als die Summe vergangener Forschungsprozesse ist im Pragmatismus keine rein individuelle Angelegenheit. Das Individuum lernt im Rahmen seiner Sozialisation bestimmte Bedeutungsschemata und die damit verbundenen Sichtweisen auf Welt kennen und übernimmt diese weitgehend (DEWEY 1995: 30f). Der Einzelne findet sich also bereits von Anfang an in einer sozio-kulturell vorstrukturierten Welt wieder (DEWEY 2002: 59ff). Im Kontext der Denotation ist individuelle Wahrnehmung und Erfahrung deshalb immer bereits kulturell durch Bedeutungszuschreibun-
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gen im Rahmen der Sozialisation vorstrukturiert wie JAMES (1994a: 162) verdeutlicht: „Wir dringen vorwärts in das Feld frischer Erfahrungen mit Hilfe der Überzeugungen, die unsere Vorfahren und wir uns bereits gebildet haben. Von diesen Überzeugungen hängt es ab, was wir an dem Neuen bemerken. Was wir bemerken, bestimmt unser Handeln, und durch unser Handeln gelangen wir wieder zu neuen Erfahrungen, und so geht es weiter.“
Jede Wahrnehmung 13 und jeder Forschungsprozess sind deshalb soziokulturell geprägt. Die sozio-kulturelle Bedingtheit unserer Vorstellungen setzt Kommunikation voraus, in der durch symbolvermittelte Interaktion gemeinsam geteilte Bedeutungen produziert werden (DEWEY 1995: 167f). Die sozio-kulturell vorexistierenden Interpretationsschemata der Lebenswelt spiegeln sich in Verhaltensgewohnheiten, kulturell tradierten Verhaltensmustern, Praktiken und Institutionen, die den gesellschaftlich vorhandenen und akzeptierten Vorrat an Wahrheiten und Überzeugungen beinhalten (DEWEY 1995: 267f). Daher ist es nicht möglich, Erfahrung als unmittelbaren, nicht-bedeutungsaufgeladenen Eindruck, als reine Sinneswahrnehmung des Individuums zu erleben (NEUBERT 2004: 115). Wahrnehmung und Erfahrung sind ohne sozio-kulturelle Komponente nicht denkbar. Die sozio-kulturelle Vererbung von Vorstellungen dient der besseren Vorhersehbarkeit des Erfahrungsverlaufs, der Sicherstellung einer gemeinsamen Kommunikationsbasis und der Strukturierung unseres Lebens durch Regeln (JAMES 2006: 91). Kultur ist im Pragmatismus insofern als ein sozial vorstrukturiertes Interpretationsschema zu verstehen, das den Menschen in Verbindung mit (technischen) Fähigkeiten in die Lage versetzt, sich in seiner Wirklichkeit erfolgreich zu bewegen. Kultur, so kann man in Anlehnung an DEWEY (1995: 451f) sagen, bezeichnet den Modus unserer aktiven wie passiven Welterfahrung, also eine sich im Erkenntnisprozess ständig wandelnde Art, wie Menschen sich ihre Welt praktisch tätig erschließen. Kultur muss deshalb in pragmatischer Perspektive als die spezifische Art und Weise verstanden werden, wie Menschen ihre Umwelt sinnhaft strukturieren, interpretieren, gestalten und auf sie reagieren. Vor einem solchen Hintergrund sind alle – und das gilt dann auch für den Bereich der Ökonomie – menschlichen Praktiken kulturelle Praktiken. Wahrheiten gehen also als sozio-kulturell bedingte Interpretationsschemata in unsere Erfahrung ein. Erfahrungen bilden wiederum die Bausteine unserer Wirklichkeiten, unserer Lebenswelt. Wirklichkeiten können deshalb als eine Art „sedimentierte“ Wahrheiten und Erfahrungen (JAMES 13
Ausnahmen hiervon bilden lediglich rein physische Reaktionen, wie das Verbrennen einer Hand an einer Hitzequelle.
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2006: 94) verstanden werden. Wahrheit und Wirklichkeit darf jedoch nicht gleichgesetzt werden, denn nicht die Wirklichkeiten selbst sind wahr, sondern nur unsere Ansichten über sie (JAMES 2006: 126). Mit diesem Wahrheitskonzept so bilanziert es der Neo-Pragmatiker RORTY (2003: 16), zeigt der Pragmatismus, dass es nicht nötig ist, die klassische Erkenntnistheorie und Metaphysik zu widerlegen, sondern verabschiedet 14 sie einfach als Konzepte, deren Wahrheitsbegriff der menschlichen Lebenswelt und Praxis als nicht adäquat erscheinen und deren fruchtbare Verwendung daher in Frage gestellt werden muss.
2.1.3 Pragmatismus als Wissenschaftstheorie Auch wissenschaftliche Methoden und Ergebnisse können im Sinne des Pragmatismus als sozio-kulturell bedingt betrachtet werden und sind deshalb in diesem Rahmen kontingent. Sie könnten sich mit einer Perspektivänderung der wissenschaftlichen Community verschieben (JAMES 1994b: 128f). Wissenschaftliche Theorien, die wir aus unseren Erkenntnissen gewinnen, sind insofern nie ein neutrales Erklärungsangebot, sondern können in einem instrumentalistischen Sinne als von uns ausgewählte Hilfsmittel verstanden werden, mit denen wir uns die Lebenswelt in einer bestimmten Art und Weise erschließen und sie kontrollierbar machen (JAMES 1994a: 33): „Wir liegen nicht ruhig auf dem Faulbett der Theorien, wir dringen vorwärts und bearbeiten mit ihrer Hilfe wiederholt die Natur.“
Eine so verstandene empirische Wissenschaft ist daher nicht geeignet Belege zur Bestätigung oder Kritik einer Theorie zu liefern, sondern produziert methodisch geregelt ein spezifisches Erfahrungswissen durch die Schaffung von Tatsachen und Wahrheiten im Forschungsprozess. Die im Forschungsprozess gewonnenen Theorien sind folglich nicht mehr Lösungen von Rätseln sondern sind eher Werkzeuge, die dazu dienen in einer unsicheren Situation wieder Handlungsfähigkeit herzustellen (JAMES 1994b: 24). Für den Pragmatismus gleicht daher der Erkenntnisprozess eher einer aktiven Teilnahme an der Veränderung der Welt als einer Entdeckung des Gegebenen (DEWEY 2001: 291): „Soweit es die Philosophie betrifft, besteht die erste direkte und unmittelbare Wirkung dieses Übergangs vom Erkennen, das zwar für den Erkennenden einen Unterschied ausmacht, aber keinen in der Welt, zum Erkennen, das eine zielge-
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In der Verabschiedung der klassischen Erkenntnistheorie und Metaphysik ergibt sich eine Gemeinsamkeit des Pragmatismus DEWEYs mit der Philosophie WITTGENSTEINs und HEIDEGGERs.
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richtete Veränderung in der Welt ist, in dem vollständigen Aufgeben dessen, was wir vielleicht den intellektualistischen Fehlschluss nennen können. Damit ist etwas gemeint, was man auch die Universalität der Erkenntnis als Maßstab der Realität nennen könnte.“
Die wissenschaftliche Entwicklung hat so teils konkurrierende aber jeweils funktionierende Theorien hervorgebracht. Den wissenschaftstheoretischen Kern des Pragmatismus kann man insofern mit FEYERABEND (1995: 34) folgendermaßen beschreiben: „Erkenntnis in diesem Sinne ist keine Abfolge in sich widerspruchsfreier Theorien, die gegen eine Idealtheorie konvergieren; sie ist keine allmähliche Annäherung an eine Wahrheit. Sie ist ein stets anwachsendes Meer miteinander unverträglicher (und vielleicht sogar inkommensurabler) Alternativen; jede einzelne Theorie, jedes Märchen, jeder Mythos, der dazugehört, zwingt die andern zu deutlicherer Entfaltung, und alle tragen durch ihre Konkurrenz zur Entwicklung unseres Bewusstseins bei.“
Das Wissenschaftskonzept des Pragmatismus weist hier Parallelen zu der von FEYERABEND (1924-1994) in seinem berühmten Buch „Wider den Methodenzwang“ 15 (1995) dargelegten Idee einer anarchistischen Erkenntnistheorie auf, da beide die Wahl der verwendeten wissenschaftlichen Methoden und Theorien grundsätzlich als kontingent betrachten. 16 FEYERABENDs Wissenschaftstheorie des „anything goes“ wurde oft im Sinne einer irrationalen, begründungslosen, methodischen Beliebigkeit der Vorgehensweise missverstanden. FEYERABEND wendet sich jedoch klar gegen die Behauptung, dass Relativisten Regeln und Standards wissenschaftlichen Arbeitens abschaffen wollen. Er ist sich im Gegenteil sicher, dass Relativisten sogar möglichst viele verschiedene Wissenschaftsentwürfe kennenlernen wollen, um neue Erkenntnisse zu erreichen und daher einem Methodenpluralismus offen gegenüber stehen (1977: 18): „Rather he [the relativist, Anm. d. V.] will try to learn as many of them as possible, he will try to improve them, to make them more flexible. For on his ventures into the unknown he needs all the help he can get.“
Nach FEYERABEND liegt die Pointe des anderen Verhaltens eines Relativisten darin, dass er am Schluss Methoden und Standards wählen und für diese Wahl selbst die Verantwortung übernehmen muss. „Anything goes“ 15 16
Englisches Original: „Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge“ (1975). Diese Parallele wird unter anderm auch von FINE (2000: 68) gesehen, der auf DEWEYs experimentellem Standpunkt eine Verteidigung des relativistischen Standpunktes von FEYERABEND aufbaut.
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bezieht sich in diesem Sinn auf die Wahl nicht auf die Anwendung der Methoden zur Überprüfung von Hypothesen, deren konsistente, transparente und nachvollziehbare Anwendung von FEYERABEND nicht in Frage gestellt wird. Gerade wissenschaftliche Wahrheiten sind in besonderem Maße dem Junktim sozialer Akzeptanz unterworfen. Nicht nur die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens müssen als soziale Konventionen aufgefasst werden, sondern auch die Akzeptanz der Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit ist hochgradig sozial bedingt. Forschung wird (RORTY 2003: 417): „durch die Übernahme gewisser Rechtfertigungspraktiken ermöglicht“, wobei es „für diese Praktiken Alternativen gibt. Diese »subjektiven Bedingungen« sind jedoch keineswegs etwas »Unvermeidliches«, das sich durch »Reflexion auf die Logik der Forschung« entdecken ließe. Sie hängen lediglich davon ab, was eine Gesellschaft, Profession oder sonstige Gruppe für eine gute Begründung gewisser Behauptungen hält.“
Der Mensch steht somit „nicht etwa mit seiner Vernunft über der Welt“ und entdeckt deren Funktionsmechanismen und Zusammenhänge dank einer rationalistischen Methodik, sondern er steht „mit seiner natürlichen Beschaffenheit in ihr drin“, er ist ihr eigener Konstrukteur (CRAIG 1979: 85). Der neutrale wissenschaftliche Beobachter wird zum Akteur, es ist nicht möglich einen Standpunkt von „niemand im Besonderen“ anzunehmen, wie FINE (2000) es metaphorisch mit Blick auf POPPER ausgedrückt hat. Erkenntnis ist in diesem Sinne nicht als Entdeckung oder Annäherung an eine absolute Wahrheit zu verstehen, sondern als Produkt des handelnden Menschen.
2.1.4 Zur Rezeption des Pragmatismus Insbesondere DEWEYS Verständnis „der Erzeugung gemeinsam geteilter Bedeutungen durch Prozesse symbolvermittelter Interaktion“ wurde in der Soziologie aufgegriffen und kann als „genuin sozial-konstruktivistisch“ bezeichnet werden (NEUBERT 2004: 117). Die Grundgedanken der Philosophie DEWEYs wurden von seinem engen Freund, dem Soziologen GEORG HERBERT MEAD (1995) in die Soziologie übertragen und fanden über ihn Eingang in die interpretative Soziologie des „symbolischen Interaktionismus“ von BLUMER (1975) bis hin zu zur Theorie der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ von BERGER & LUCKMANN (2004). Der Pragmatismus ist daher gut geeignet, von seinen Erkenntniskonzepten aus sozialkonstruktivistische Ansätze weiter zu verfolgen, solange das Schlagwort der „sozialen Konstruktion“ als das verstanden wird, als was es von BERGER & LUCKMANN (2004) auch gemeint war: als Metapher für die sozio-kulturelle Bedingtheit unserer Wirklichkeitsentwürfe.
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Obwohl der Pragmatismus als Grundlage der interpretativen Soziologie auch für die Geographie durchaus eine epistemische Alternative darstellt, wurde er in der Geographie bisher nur sporadisch rezipiert (BARNES 2006: 633). Die „Sozialgeographie“ von JACKSON & SMITH (1984) referiert zwar auf Konzepte MEADS, stellt jedoch weiterreichende Bezüge zum philosophischen Pragmatismus nicht her. Im gleichen Jahr skizziert SMITH (1984) in einem Zeitschriftenartikel erstmals Elemente einer humanistisch inspirierten, Pragmatischen Geographie, denen aber ein breites Echo versagt bleibt. Erst ab Anfang der 1990er Jahre nimmt die Anzahl geographischer Arbeiten vor einem pragmatischen Hintergrund geringfügig zu. WESCOAT (1992) befasst sich mit Parallelen zwischen den Arbeiten von WHITE und DEWEY. Während SUNLEY (1996) in seinem Aufsatz dem Pragmatismus Anregungen zur Untersuchung von Kontextabhängigkeit in wirtschaftsgeographischer Perspektive entnimmt und THRIFT (2002; 2004) den aus dem Pragmatismus stammenden Gedanken der Performativität aufgreift, argumentieren BARNES (1996) und GIBSON-GRAHAM (1996) auf der Basis von RORTY gegen den vorherrschenden Essenzialismus in der Wirtschaftsgeographie. PROCTOR (1998) versucht in seinem Artikel, pragmatistische und sozialkonstruktivistische Ansätze zusammenzuführen und so ein neues Verständnis von Natur in der Geographie anzuregen, während andere die Fruchtbarkeit des Pragmatismus für die Gesundheitsgeographie (CUTCHIN 1999) oder für umweltbezogene Fragestellungen betonen (HOBSON 2006). Ist die Rezeptionsgeschichte des Pragmatismus in der englischsprachigen Geographie äußerst übersichtlich, so ist eine Rezeption pragmatischer Ansätze in der deutschsprachigen Geographie praktisch nicht vorhanden. Zaghafte Ansätze zeigen sich im Zuge des linguistic turns, der ein zunehmendes Interesse an semiotischen Theorien und damit vor allem an PEIRCE nach sich zieht. In diesem Sinne hatte bereits HARD (1973: 111) mit Verweis auf PEIRCE und dessen Konzept der abduktiven Hypothesenbildung darauf aufmerksam gemacht, dass eine Trennung von Meta-Theorie und Forschungspraxis eine künstliche Unterscheidung ist, die sich im Erkenntnisprozess aufhebt. Aber auch HARD arbeitet in der Folge nicht weitergehend mit pragmatischen Ansätzen. Erste Ideenskizzen auf der Grundlage von PEIRCE Philosophie liegen durch BERWING (2005) vor, zeigen jedoch bisher keine intensivere Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen des Pragmatismus jenseits von PEIRCEs Semiotik.
2.1.5 Zwischenfazit: Der Pragmatismus als anderes Erkenntniskonzept Zusammenfassend kann der Pragmatismus als ein Erkenntniskonzept verstanden werden, dass sich rigoros von (kritisch-)realistischen und positivistischen Position unterscheidet und sich gegen rigide Absolutheitsan-
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sprüche sowie den objektivitätsbesessenen, pluralismusfeindlichen und zur Einheitswissenschaft drängenden Szientismus wendet (LANGBEHN 2006: 185; NAGL 1998: 56). Die anti-realistische und antifundamentalistische Ontologie des Pragmatismus verabschiedet sich von der Vorstellung eines absoluten Bezugspunktes von Wahrheit oder Wirklichkeit und ermöglicht damit die Anerkennung pluraler Wirklichkeitsentwürfe. Der Pragmatismus fragt daher nicht nach dem Wesen der Dinge, der absoluten Wahrheit oder absoluten Erkenntnis, sondern nimmt erkenntnistheoretisch eine agnostizistische Position ein. Folglich gibt er auf ontologische Fragen keine Antworten, da diese Antworten zwangsläufig einen dogmatischen Charakter haben müssten. 17 DEWEY kommt deshalb wie auch FEYERABEND, zu der Überzeugung, dass wir derartige Fragen überwinden und uns anderen zuwenden sollten (RORTY 1994: 35). Ausgehend von einer praxisorientierten Perspektive bietet eine Pragmatische Geographie einen dynamischen, prozessorientierten, postmetaphysischen und final monistischen Ansatz, um interpretativ die Konstitution von Wahrheit zu rekonstruieren und auf diesem Weg zu verstehen, wie Menschen sich ihre Lebenswelt sinngeleitet handelnd erschließen. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht möchte er kein sicheres Fundament des Forschungsprozesses bieten, sondern setzt Forschung als Prozess bereits voraus. Eine pragmatische Perspektive ermöglicht so, die prozessuale Herstellung von Sinn und Bedeutung durch Individuen im Kontext ihrer Handlungen zu rekonstruieren und die sich kontinuierlich verändernden Strukturierungsprozesse der Lebenswelt aus einer Akteursperspektive heraus nachvollziehbar zu machen. Sie ist sowohl hinsichtlich ihrer Erkenntnistheorie, wie ihres Forschungsdesigns und ihres Untersuchungsgegenstandes prozessorientiert und rückt deshalb „Wandel“ in das Zentrum ihrer Betrachtungen. Mit dem Übergang von realistischen und positivistischen Perspektiven zu einem pragmatischen Ansatz verschiebt sich damit der Fokus (wirtschafts-)geographischer Untersuchungen von mehr oder weniger statischen, situationsbeschreibenden und analysierenden Forschungsansätzen hin zum Verständnis prozessualer Veränderung von Bedeutungen und Handlungsmotiven, wie sie für die in der vorliegenden Arbeit thematisierten organisationalen Lernprozesse konstitutiv sind. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass der Pragmatismus auf breiter Front mit vertrauten Denkschemata bricht und so im Sinne HARDs (2003: 13) der Geographie eine vergleichsweise neue Perspektiven eröffnet Dinge anders zu sehen. Eine pragmatische Perspektive bietet der Geographie einen komplementären, epistemologischen Zugang 17
Im Sinne RORTYS kann man den Pragmatisten daher als illusionslos bezeichnen, da er nicht davon ausgeht, dass ein Ereignis das Ergebnis eines höheren (Welt-)Planes ist oder es einen Weltzweck gibt (NAGL 1998: 167).
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zu unserer Lebenswelt aus einer dynamischen, pluralistischen, handlungsund subjektorientierten Perspektive an, der sich neben andere, stärker semiotisch- oder kommunikationstheoretische, nicht-metaphysische, antifundamentalistische Alternativen gesellt. Gleichzeitig zwingt er uns als Wissenschaftler dezidiert Verantwortung zu übernehmen für die Wahl unserer Perspektive auf Welt. Nimmt man ihn an, nötigt er dazu sich vom „Erkennen“ ab und zum „Interpretieren“ hinzuwenden. Jedes wissenschaftliche Projekt, so die pragmatische Bilanz, ist ein anthropogenes Projekt, das immer kulturell geprägt ist und dessen Ergebnisse in Verbindung mit ihrem kulturellen Kontext zu sehen sind. Insofern ist jede humanwissenschaftliche Arbeit immer auch eine „kulturwissenschaftliche“ Arbeit. Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass die Grenzen einer Arbeit in der Humangeographie zwischen Sozial-, Wirtschafts- und Politischer Geographie verschwimmen – ein Umstand auf den bereits NATTER & WARDENGA (2003: 79) hingewiesen haben.
2.2
Handlungstheoretische Grundlagen
Aufgrund der pragmatischen Perspektive bietet sich für die vorliegende Arbeit ein handlungstheoretischer Zugang an, um auf der Basis von Handlungsstrukturen und Handlungsgründen die Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Akteure in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt zu untersuchen und die dort abgelaufen Lernprozesse zu verstehen.
2.2.1 Das interpretative Handlungskonzept Handlungstheoretische Perspektiven besitzen spätestens seit WERLENS Gesellschaft, Handlung und Raum (WERLEN 1987) einen prominenten Platz in der deutschsprachigen Geographie. Wie WERLEN (2004: 321) feststellt, gibt es jedoch natürlich nicht die eine Handlungstheorie. Vielmehr existiert eine Vielzahl von Theorieangeboten, die eine Entscheidung für eine bestimmte handlungstheoretische Perspektive notwendig macht. Hierzu bieten sich zwei mögliche Entscheidungskriterien an. Erstens ist „die Frage zu klären, welches Handlungsmodell für welche Art von Problemen die besten Voraussetzungen bietet, um angemessene Lösungsvorschläge unterbreiten zu können“ (WERLEN 1987: 113). Zweitens muss sich das gewählte Modell in das angelegte erkenntnistheoretische Modell einfügen. Aufgrund dieser Selektionskriterien macht sich die vorliegende Arbeit das handlungstheoretische Konzept der interpretativen Soziologie zu Eigen. Seine Hintergrundannahmen spielen eine wichtige Rolle für die angelegten fachtheoretischen Perspektiven im empirischen Teil der Arbeit. Was aber sind die Gründe für diese Wahl?
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Um diese Frage zu beantworten bietet es sich an, die Vorteile einer pragmatisch-interpretativen Perspektive dadurch heraus zu arbeiten, dass man sie mit anderen Handlungskonzepten kontrastiert. Aus forschungspolitischen Überlegungen erscheint es dazu sinnvoll, auf das heute in der deutschen Sozialgeographie sicherlich einflussreichste handlungstheoretische Konzept von WERLEN (1997: 141ff) zurück zu greifen, das dieser in Anlehnung an GIDDENS Theorie der Strukturation (1997) entwickelt hat. Gegen die Wahl einer sozialgeographischen und handlungstheoretischen Perspektive in Anlehnung an WERLEN (1987: 163ff) spricht bereits deren erkenntnistheoretische Verortung. WERLEN lehnt sich mit dem Entwurf seiner Sozialgeographie bewusst an das Drei-Welten Modell POPPERs (1973: 174ff) sowie den kritischen Rationalismus (WERLEN 1987: 25ff; WERLEN 1999: 24) an und verortet sich damit in einer kritischrealistischen Ontologie. Diese erkenntnistheoretische Position ist jedoch mit einer pragmatischen Perspektive inkommensurabel. Die gewählte interpretative Perspektive im Anschluss an MEAD (1995) basiert statt dessen ideengeschichtlich auf der Pragmatischen Philosophie, entwickelt diese für die Soziologie weiter (FUCHS-HEINRITZ et al. 1995: 511) und ist deshalb hier direkt erkenntnistheoretisch anschlussfähig. Die Wahl der handlungstheoretischen Perspektive ist aber nicht nur in erkenntnistheoretischer Hinsicht sinnvoll, sie erscheint im Kontext des Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit unter den möglichen Alternativen auch am besten geeignet zu sein, um die Lernprozesse in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt verstehen zu können. Doch worin liegt der Vorteil einer interpretativen Perspektive? Betrachten wir zur Beantwortung dieser Fragen kurz die Grundgedanken des interpretativen Paradigmas. Das hier verwendete interpretative Handlungskonzept basiert auf der Theorie des symbolischen Interaktionismus, den BLUMER aufbauend auf der Soziologie MEADs entwickelt hat (BLUMER 1975: 80). Der symbolische Interaktionismus geht davon aus, dass Menschen auf der Basis von Bedeutungszuschreibungen handeln, die erst in sozialen Interaktionen entstehen und die in einem Interpretationsprozess entwickelt und modifiziert werden (BLUMER 1975: 81). Akteure zeigen sich dabei in und durch ihre Handlungen gegenseitig ihre Situationsinterpretationen an, beziehen sie aufeinander und konstruieren aktiv eine gemeinsame soziale Wirklichkeiten (ebd.). 18 Die entstehenden sozial konstituierten Sinnstrukturen müssen folglich als Produkte menschlichen Handelns verstanden werden, die kontinuierlichem Wandel unterworfen sind.
18
In der Idee, dass Wirklichkeit und Wahrheit performativ entstehen und nicht dem Prozess der Welterkundung vorausgehen wird die Nähe des interpretativen Paradigmas zum Pragmatismus (vgl. Kapitel 2.1) deutlich.
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Bedeutungszuschreibungen müssen damit im interpretativen Paradigma als der Motor für die Ordnung, Strukturierung und Auswahl der Dinge (im weiteren Sinne) der Lebenswelt eines Menschen verstanden werden (ABELS 2004: 45). Als sozial verhandelte Sinnstrukturen werden sie vom Individuum objektiviert und bilden somit den Bedingungsrahmen zukünftiger Handlungen, wie BERGER & LUCKMANN (2004) in ihrem Konzept der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit ausführen. Der Sinn einer Handlung ist also kontextabhängig. Mit diesem sozialkonstruktivistischen Handlungskonzept unterscheidet sich das interpretative Paradigma bspw. erheblich von dem WEBERs (2005: 17f), das stark ergebnisorientiert ausgerichtet ist. Handeln ist demnach – will es nicht seine sinnhafte Orientierung verlieren – entweder wertrational und damit dogmatisch begründet oder es ist zweckrational auf die Erreichung eines Zieles orientiert. Sinn entsteht also nicht erst in einer Handlung, sondern geht ihr voraus. Problematisch an diesem Handlungskonzept ist dabei, wie SCHÜTZ (1974: 9) feststellt, dass WEBER sich nicht dafür interessiert wodurch Sinn entsteht – er setzt ihn schlicht als gegeben voraus und erklärt ihn zum Ziel des Handelns. Wie im Handlungskonzept WEBERs, ist auch das Handlungskonzept WERLENs (2004: 318) stark ergebnis- im Sinne von zielerreichungsorientiert. Ergebnisorientierte Handlungstheorien scheinen mir jedoch eher für die Beschreibung und Erklärung eines „statischen“ Zustandes als eines dynamischen Prozesses geeignet zu sein. Zugespitzt gesagt geht es bei ihnen darum, wie sich bestimmte Bedeutungsstrukturen erklären lassen, und nicht darum, warum sie entstehen und sich wandeln. Haben sich bestimmte Bedeutungsstrukturen und Handlungsmuster herausgebildet, die stimmig funktionieren, tragen sie gegenseitig zu ihrer Reproduktion bei, womit das System einen stabilen, quasi-statischen Zustand erreicht, der sich nur im Zuge „unbeabsichtigter Handlungsfolgen“ (WERLEN 1997: 151) oder durch externe Einwirkung wandeln könnte. Die Stabilität der mit den untersuchten Handlungsmustern verbundenen Bedeutungsstrukturen ist daher der Normalfall, ihre Veränderung resultiert i. d. R. aus einer Störung des sozialen Systems. Ergebnisorientierte Handlungstheorien tendiert in der Folge dazu, Wandel unterzukonzeptionalisieren. Da im interpretativen Paradigma Sinn nicht bereits als dem Handeln vorausgesetzt verstanden wird, besitzt die Ergebnisorientierung in der interpretativen Soziologie nicht das starke Gewicht, das ihm WEBER und WERLEN beimessen. Bemisst sich der Sinn einer Handlung nämlich an ihrem sich wandelnden Kontext und entsteht erst im Handlungsvollzug so ist klar, dass Handeln nicht geradlinig auf ein bestimmtes vordefiniertes Ziel zusteuert (ABELS 2004: 38). Der Sinn von Handlungen wird daher in der interpretativen Soziologie nicht ergebnisorientiert, wie bei WEBER und WERLEN, sondern prozessorientiert gedacht. Wandel ist in diesem Verständnis der Normalfall, Stabilität allenfalls temporär gegeben. Mit der in-
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terpretativen Soziologie ist deshalb in der Tradition des Pragmatismus nicht die Analyse eines bestimmten Systemzustandes das Ziel, sondern sie fragt vielmehr danach, wie die sinnhaften Strukturen unserer Welt entstehen und wie sich ihre kontinuierlichen Veränderungen erklären lassen. Die damit verbundene Perspektivverschiebung wird durch die zentrale Stellung der Bedeutungskonstitution innerhalb des Ansatzes der interpretativen Soziologie deutlich, der davon ausgeht, dass „Menschen [nicht] handeln (…), weil sie sich funktional zu Strukturbedingungen verhalten, sondern, weil sie den Bedingungen eine Bedeutung geben und damit die Bedingungen selbst schaffen“ (ABELS 2004: 44). Die Wirklichkeit befindet sich in diesem Modell in einem stetigen Fluss, der durch die Forschungsprozesse der handelnden Akteure erzeugt wird. Untersuchungsgegenstand im interpretativen Paradigma sind deshalb nicht Handlungsstrukturen, sondern der im Handlungsvollzug des Individuums sichtbar werdende kontinuierlich ablaufende Konstitutionsprozess sozialer Wirklichkeit, der vom Forschenden interpretativ rekonstruiert wird (REUBER & PFAFFENBACH 2005: 110). Für die Untersuchung dynamischer Prozesse – wie sie für Lernprozesse konstitutiv sind, in denen sich qua Definition die Perspektive auf Welt permanent weiterentwickelt – bietet die interpretative Soziologie deshalb eine geeignetere Grundlage als die Handlungstheorie WERLENs.
2.2.2 Zur Handlungsmächtigkeit überindividueller Akteure Bei der Beschäftigung mit wirtschaftsgeographischen Fragestellungen ist es oftmals – wie auch in der hier vorliegenden Arbeit – notwendig, sich mit den Handlungen überindividueller Akteure wie Unternehmen zu beschäftigen. Diese Beschäftigung sieht sich aus einer akteursorientierten, handlungstheoretischen Perspektive dem Problem gegenüber, dass die klassische Handlungstheorie auf der Basis des methodologischen Individualismus (WERLEN 1997: 151) davon ausgeht, dass nur Individuen handlungsmächtig sind (GLASZE 2003: 46). Überindividuelle Akteure wie Unternehmen werden zwar im methodologischen Individualismus insofern als „real“ betrachtet als sie das Handeln von individuellen Akteuren beeinflussen, ihnen wird jedoch keine eigenständige Handlungsmächtigkeit zuerkannt (GLASZE 2003: 46). Wie MEUSBURGER (1999: 104ff.) moniert, findet eine Konzeptualisierung des im Diffusen gelassenen Einflusses überindividueller Akteure auf das Handeln individueller Akteure bei WERLEN aber nicht statt. Diese „Unterbelichtung“ der Bedeutung von „Institutionen und Organisationen“ (BLOTEVOGEL 1999: 22) in der sozialgeographischen Handlungstheorie ist aus wirtschaftsgeographischer Perspektive unbefriedi-
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gend. 19 Gerade für wirtschaftsgeographische Arbeiten ist es unverzichtbar, Handlung auch in Bezug auf überindividuelle Akteure zu denken und das Handeln von Individuen im Rahmen ihrer institutionellen Einbettung zu konzeptionalisieren und zu verstehen (SCHAMP 2003: 154), da sonst eine Analyse der Handlungsstrategien von Unternehmen und anderer sozialer Organisationen nicht möglich ist. Notwendig ist insofern ein Konzept, das in Opposition zum methodologischen Individualismus davon ausgeht, dass auch soziale Organisationen handeln können. Dazu ist es zunächst wichtig zu fragen, was ein Unternehmen als eine Spezialform einer Organisation ausmacht. COASE (1937) unternimmt bereits in seinem zum Klassiker gewordenen Aufsatz aus einer realistischen Perspektive heraus den Versuch zu definieren, was ein Unternehmen charakterisiert, bietet aber keinen Anhaltspunkt, um zu verstehen, wodurch sich kollektive von individuellen Handlungsmöglichkeiten unterscheiden. Auch aus organisationstheoretischer Perspektive drängt das Problem auf eine Lösung, denn wie ARGYRIS & SCHÖN (1978: 10) deutlich machen, ist auch 40 Jahre später nicht hinreichend genug geklärt, was ein Unternehmen ausmacht, dass es handeln und lernen könne. Um auf diese Fragen Antworten zu finden, verschmilzt das hier entwickelte Akteursverständnis nachfolgend Grundelemente der interpretativen Soziologie mit Elementen des akteurszentrierten Institutionalismus des Juristen und Politikwissenschaftlers SCHARPF (2000) und bettet sie ein in eine organisationstheoretische Perspektiven in Anlehnung und Weiterentwicklung des pragmatisch beeinflussten Konzeptes organisationalen Lernens nach ARGYRIS & SCHÖN (1978; 1999). Unternehmen können demnach als Spezialform sozialer Organisationen vor einem organisationstheoretischen, interpretativ beeinflussten Hintergrund zunächst verstanden werden als ein „komplexes Netzwerk von zwischenmenschlichen Beziehungen“ (PROBST & SCHEUSS 1984: 480), als „vom Menschen geschaffene Systeme, die Bedeutung für ihre Mitglieder durch ihre Wahrnehmung, Deutung und Interpretationen gewinnen“ (ROSENSTIEL 2000: 238). Sie können als (ebd.: 225) „ihrer Umwelt gegenüber offene Systeme definiert [werden], die zeitlich überdauernd existieren, spezifische Ziele verfolgen, u. a. aus Individuen bzw. Gruppen zusammengesetzt sind und eine bestimmte Struktur zur Koordination der einzelnen Tätigkeiten aufweisen, die in der Regel durch Arbeitsteilung und eine Hierarchie von Verantwortung gekennzeichnet ist.“
19
Wenn diesbezüglich hier die handlungstheoretische Perspektive WERLENS kritisiert wird, muss allerdings angemerkt werden, dass in raumwirtschaftlichen Ansätzen überhaupt keine Rede von Akteuren ist (KLÜTER 1987: 241).
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Durch die organisationale Strukturierung des sozialen Systems werden, so PROBST & SCHEUSS (1984: 480) „menschliche Aktivitäten, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten institutionalisiert und generell geregelt und die für die Erreichung von Zielen notwendigen Beziehungen eindeutig bestimmt.“ Nach ARGYRIS & SCHÖN (1999: 24) wird erst dann aus einer Gruppe von Individuen eine Organisation mit eigener Identität, wenn sie drei Bedingungen erfüllt: Erstens muss die Gruppe sich Regeln geben, um Entscheidungen im Namen der Gruppe fällen zu können, zweitens muss sie Einzelnen die Handlungsvollmacht für die Gruppe übertragen, und drittens muss sie sich von der Restwelt in irgendeiner Weise abgrenzen können. Sie wird dann im altgriechischen Sinne eine polis (ebd.): „Bevor eine Organisation irgendetwas anderes sein kann, muss sie „politisch“ sein, denn erst als politisches Gebilde kann die Gesamtheit als Organisation handeln. (…) Sobald Mitglieder einer Gesamtheit solche Regeln aufstellen, die wir „konstitutionell“ nennen, und zu einer polis werden, haben sie sich organisiert.“
Erst durch den Prozess der Organisation erlangt die Gruppe eine kollektive Handlungsfähigkeit, die es rechtfertigt, sie als „komplexen Akteur“ (SCHARPF 2000: 97) zu behandeln. Die Notwendigkeit kollektiv zu handeln ergibt sich dabei schon aus dem beständigen Zwang, sich gegenüber sich stetig verändernden Situationen angemessen zu verhalten (ABELS 2004: 50). Im kollektiven Handeln zeigen sich die Individuen an, welche Bedeutung sie einem Sachverhalt beimessen, wie sie eine Situation interpretieren. Über diese gemeinsam geteilten Interpretationen sind die individuellen Handlungen miteinander verkettet und ergeben auch nur deshalb einen kollektiven Sinn (BLUMER 1975: 98f). Die Idee, dass auch Organisationen handeln können und damit komplexe Akteure darstellen, ist deshalb zwangsläufig mit einem „Doppelcharakter“ des Akteurskonzeptes verbunden (SCHARPF 2000: 97). Diese Doppelung entsteht, da mit dem Konzept eines komplexen Akteurs vorausgesetzt wird, dass „eine Fähigkeit zu intentionalem Handeln oberhalb des individuellen Akteurs vorhanden sein muss“ (ebd.). Da Intentionalität aber nur von Individuen ausgehen kann, muss die Handlungsfähigkeit auf einer höheren Ebene „durch interne Interaktion erzeugt werden“ (ebd.). Diese „internen Interaktionen“ können mit BLUMER (1975: 99) im Sinne des symbolischen Interaktionismus als „Netzwerke von Handlungen“ oder „Institutionen“ bezeichnet werden. Netzwerke umfassen dabei eine „Verkettung und Interdependenz verschiedener Handlungen von verschiedenen Personen“, wie sie „zum Beispiel in der Arbeitsteilung gegeben“ sind. In Anlehnung an SCHARPF (2000: 97) lässt sich deshalb in analytischer Hinsicht eine Innen- und eine Außenperspektive in Bezug auf komplexe Akteure unterscheiden. Demnach können soziale Organisationen entweder „von innen, (als institutionelle Struktur, innerhalb derer interne Akteure in-
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teragieren)“ oder „von außen (als komplexer Akteur mit bestimmten Ressourcen und einer größeren oder geringeren Fähigkeit, diese Ressourcen in strategischen Handlungen umzusetzen)“ untersucht werden. Konzepte und Hypothesen in Bezug auf externe Interaktionen können demnach auch auf interne Interaktionen angewandt werden; sie müssen aber nicht auf die interne Ebene zurückgeführt werden, um externe Interaktionen zu erklären. Entscheidend ist nämlich, dass die Komplexität der vorhandenen Interaktionen es erlaubt, „größere Einheiten als Akteure zu behandeln, deren Entscheidungen unter Hinweis auf Faktoren erklärt werden können, die auf der Ebene der größeren Einheit definiert werden“ (ebd.: 97). Die erhebliche Komplexität der Interaktionen ist dabei nur auf der organisationalen Ebene möglich. Ihre Realisation bedingt, dass gemeinsam geteilte Situationsdefinitionen und Interpretationsschemata die Mitglieder einer Institution überhaupt in die Lage versetzen, kollektiv im Sinne der Institution zu handeln (BLUMER 1975: 100). Diese Bedingungen machen deutlich, dass man mit diesem Akteurskonzept zwischen verschiedenen Typen komplexer Akteure differenzieren muss, denn (SCHARPF 2000: 98) „selbstverständlich unterscheiden sich kollektive Einheiten erheblich im Ausmaß ihrer Integration, und deshalb ist es auch in unterschiedlichem Maße möglich, zutreffende Erklärungen zu gewinnen, ohne dass man auf Informationen über individuelle Akteure und ihre Aktionen auf der Mikroebene zurückgreifen muss.“
SCHARPF (2000: 98ff) differenziert deshalb zwischen drei Gruppen sozialer Akteure: aggregierte, kollektive und korporative. Diese unterscheiden sich hinsichtlich des Integrationsgrades ihrer Handlungen, Ziele, Ressourcen und Entscheidungen (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1:
Handlung Ziel Ressourcen Entscheidungen
Akteurstypen im akteurszentrierten Institutionalismus Aggregierte Kollektive Akteure Akteure z. B. Koalition z. B. Verband Individuell Gemeinsam Gemeinsam Individuell Individuell Kollektiv Individuell Individuell Kollektiv Individuell Vereinbarung Abstimmung
Korporative Akteure Organisational Organisational Organisational Hierarchisch
Quelle: SCHARPF 2000: 105; verändert
Aggregierte Akteure bilden im eigentlichen Sinne keine soziale Gruppe und handeln auch nicht als solche. Sie sind eher als eine kategoriale Zusammenfassung einzelner Individuen mit parallel verlaufenden Handlungen zu verstehen, die bestimmte Merkmale teilen. Als komplexe Akteure bezeichnet SCHARPF nur kollektive und korporative Akteure. Unter komplexen Akteuren versteht er soziale Organisationen, bei denen sich die Ab-
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sicht des Handelns „auf die von den beteiligten Individuen erwartete gemeinsame Wirkung koordinierten Handelns bezieht“ (SCHARPF 2000: 101). In Beziehung zu ökonomischen Organisationsformen lässt sich dies wie folgt ausdrücken (ebd.): „Der Gebrauch von akteurstheoretischen Konzepten oberhalb der individuellen Ebene setzt voraus, dass die beteiligten Individuen die Absicht haben, ein gemeinsames Produkt zu schaffen oder ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Bloße Tauschbeziehungen oder Markttransaktionen würden dieses Kriterium nicht erfüllen, wohl aber Joint Ventures.“
Der wesentliche Unterschied zwischen kollektiven und korporativen Akteuren besteht in deren Abhängigkeit von den Präferenzen ihrer Mitglieder (ebd.). Während kollektive Akteure hier ein höheres Maß an Abhängigkeit an den Tag legen, ist die Entscheidungsfindung bei korporativen Akteuren hierarchisch organisiert. Die Entscheidungen werden zudem von Arbeitnehmern exekutiert, die dazu durch einen Arbeitsvertrag verpflichtet sind. Beiden Akteurstypen ist jedoch gemeinsam, dass sie zusammen ein Ziel erreichen wollen und die individuellen Akteure deshalb kooperativ handeln. Scharpf (2000: 102) unterscheidet innerhalb der kollektiven Akteure vier Gruppen: Koalitionen, soziale Bewegungen, Clubs und Verbände, die sich hinsichtlich der individuellen oder kollektiven Ziele ihrer Mitglieder, der Integration ihrer Handlungsressourcen und des Weges der Entscheidungsfindung differenzieren lassen. Sie sind zudem immer als Bottom-upOrganisationen definiert und dazu da, den Interessen ihrer Mitglieder zu dienen. Dies unterscheidet sie maßgeblich von korporativen Akteuren, die als Top-down-Organisationen in einem hierarchischen Prinzip von oben nach unten geleitet werden (ebd.: 104f). SCHARPFs kategoriale Differenzierung überindividueller Akteure ermöglicht eine Antwort auf die Frage inwieweit welche Art sozialer Organisationen eine kollektive Handlungsintentionalität und -fähigkeit unterstellt werden kann. Sein Modell zeigt, dass mit unterschiedlichen Organisationsformen sozialer Akteure verschiedene Handlungspotenziale verbunden sind. Dabei besitzen aggregierte Akteuren die geringsten, korporative Akteuren die weitestgehenden kollektiven Handlungsmöglichkeiten.
2.2.3 Zwischenfazit Die vorliegende Arbeit operiert hinsichtlich ihrer handlungstheoretischen Basis aus einer interpretativen Perspektive. Deren Wahl begründet sich einerseits aus ihrer Anschlussfähigkeit an die entwickelte pragmatische Perspektive und andererseits durch ihre inhaltlich-konzeptionellen Vorzüge. Die Wahl einer interpretativen Perspektive rückt durch ihre Prozessorientierung Wandel in das Zentrum der Betrachtung, was für die spätere Untersuchung von Lernprozessen als elementar erscheint, da in deren Unter-
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suchung gerade die Frage im Vordergrund steht, wie und warum sich Handlungsstrukturen und Handlungsmotive verändern. Aufbauend auf der interpretativen Handlungstheorie und dem akteurszentrierten Institutionalismus wird ein komplexes Verständnis sozialer Organisationen als handlungsmächtigen Akteuren entwickelt. Die Idee des interpretativen Paradigmas eines im Handlungsvollzug hergestellten sozial bedingten Wirklichkeitsentwurfes ist konstitutiv dafür, Organisationen eine eigenständige, überindividuelle Qualität zuzubilligen, aus der sich eine kollektive Handlungsfähigkeit ableiten lässt. Wie mit Hilfe des akteurszentrierten Institutionalismus demonstriert werden konnte, verfügen überindividuelle Akteure in unterschiedlichem Ausmaß über eine kollektive Handlungsmächtigkeit. Korporativen Akteuren, wie Tourismusunternehmen, kann dabei am ehesten die Fähigkeit zu kollektivem Handeln unterstellt werden. Das vorgestellte pragmatisch-sozialkonstruktivistische Akteurs- und Handlungskonzept bildet damit eine wichtige Brücke zwischen der pragmatischen Grundlage der vorliegenden Arbeit sowie den in Kapitel 5 verwendeten fachtheoretischen Perspektiven, die es ermöglicht, interpretativ ein handlungs- und akteurszentriertes Verständnis der Krisenreaktionen und organisationalen Lernprozesse in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt zu entwickeln.
2.3
Pragmatismus, Wirtschaftsgeographie und Cultural Turn
Wirtschaftsgeographische Arbeiten mit einem pragmatischen Hintergrund sind nur sehr vereinzelt anzutreffen (bspw. BARNES 1996; GIBSONGRAHAM 1996; SUNLEY 1996; THRIFT 2002; 2004). 20 Der Einfluss des Pragmatismus auf diese Arbeiten beschränkt sich zudem vor allem auf die in Anschlag gebrachten Forschungsperspektiven oder einzelne Elemente des Pragmatismus. Arbeiten, die durchgängig mit einem pragmatischen Konzept operieren und die pragmatische Ideen sowohl auf der metawissenschaftlichen, wie auf der fachtheoretischen Ebene sowie im Rahmen ihres empirischen Forschungsdesign verfolgen, liegen dagegen bislang nicht vor. Dieser Befund wirft die Frage auf, wie sich eine Pragmatische Wirtschaftsgeographie in die Disziplin einfügen würde. Bei der Beantwortung dieser Frage ist man zunächst mit erheblichen Problemen konfrontiert, da meta-theoretische Reflexionen in der traditionellen deutschen Geographie in der Vergangenheit nur in einem sehr bescheidenen Rahmen stattgefunden haben (WARDENGA 2006: 32ff). Die meta-theoretischen Prämissen 20
Vgl. Kapitel 2.1.4
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(wirtschafts-)geographischer Arbeiten bleiben daher oft im Diffusen oder werden gar nicht thematisiert. Eine kritische Evaluation der Anschlussfähigkeit einer pragmatischen Perspektive an existierende Arbeiten in der Wirtschaftsgeographie wird dadurch erheblich erschwert. Betrachtet man sich die Art der Fragestellung, das verwendete Theoriegebäude und das Forschungsdesign einzelner Arbeiten, so deutet sich jedoch an, dass vielen wirtschaftsgeographischen Studien anscheinend eine positivistische oder (kritisch-) realistische Perspektive unterliegt. Die verbreitete Nicht-Thematisierung erkenntnistheoretischer Fragen (HARD 1973: 106; ARNREITER & WEICHHART 1998: 76f) stützt diese Vermutung, zeigt sie doch indirekt, dass bestimmte erkenntnistheoretische Paradigmen das Fach offenbar so weit dominieren, dass das in ihnen enthaltene Welt- und Wissenschaftsbild kaum hinterfragt wird (JOHNSTON 1983; INKPEN 2005: 25ff; WARDENGA 2006: 32ff). WARDENGA (2002: 10) erklärt dies dadurch, dass die Mehrheit der Geographen in der Vergangenheit in realistischer (bzw. positivistischer) Perspektive sozialisiert wurde und diese Sozialisation meist nicht in Frage stellt. Die dadurch entstehende Hegemonie der etablierten Paradigmen hat so (auch in der Wirtschaftsgeographie) nicht unbeträchtlich zu einer langjährigen Beharrlichkeit in der Verfolgung positivistischer, realistischer und kritisch-realistischer Konzepte von Geographie beigetragen (SAHR 2003: 240f). 21 Vor diesem Hintergrund scheint es so, als wären weite Teile der (deutschen) Wirtschaftsgeographie in einer Art Defensiv-Routine (vgl. Kapitel 5.3.1.1) ihres epistemologischen und methodischen Forschungsdesigns gefangen, wie sie ARGYRIS in seinen Arbeiten als Lernhemmnisse in sozialen Systemen thematisiert hat (ARGYRIS in FULMER & KEYS 1998: 23). Positivistische Ansätze verlieren zwar in der Geographie bereits seit den 1970er Jahren zunehmend an Überzeugungskraft (HARD 1973: 113), sind aber nach wie vor weit verbreitet. Kritisch-rationalistische Ansätze haben sich insbesondere mit der quantitativen Wende fest in der Wirtschaftsgeographie etabliert. Sie gehen, wie der raumwirtschaftliche Ansatz der Hannoveraner Schule (bspw. SCHÄTZL 1998), von der Existenz einer objektiven Wahrheit aus, an die mit naturwissenschaftlichen Methoden eine Annäherung möglich ist. Die Bedeutung des Forschenden für die Produktion der Forschungsergebnisse wird hier systematisch ausgeblendet. Eine Anschlussfähigkeit zwischen einer pragmatischen und den skizierten 21
Ein Umstand, den zwar bspw. schon HARD in zahlreichen Publikationen seit den 1970er Jahren beklagt hat, an dem sich jedoch trotzdem bisher nur sehr begrenzt etwas geändert hat. Mit dieser Feststellung soll die Vielfalt an Ansätzen und erkenntnistheoretischen Konzepten in der Geographie (vgl. hierzu bspw. ARNREITER & WEICHHART 1998; DÜRR 1998; MIGGELBRINK 2002) keineswegs negiert werden. Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass realistische und positivistische Positionen nach wie vor offenbar von einer Mehrheit der (Wirtschafts-)Geographen vertreten werden.
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kritisch-rationalistischen Perspektiven besteht aufgrund ihrer erkenntnistheoretischen Inkommensurabilität 22 nicht. In forschungspraktischer Hinsicht stellt diese Inkommensurabilität keine unüberwindbare Hürde dar, denn beide Ansätze auf einander zuzuführen würde nicht unbedingt eine neue Methodik notwendig machen. So ist es in pragmatischer Hinsicht durchaus unproblematisch mit quantiativen Methoden zu arbeiten. Allerdings erfordert ihre Anwendung vor einem pragmatischen Hintergrund einen Paradigmenwechsel des ihnen unterliegenden Wissenschaftsverständnisses. Verändern müsste sich hier vornehmlich ihr Verständnis der Interpretation und Bewertung der mit quantitativer Forschung erzeugten Ergebnisse (STEINER 2009). Größere Berührungspunkte und Schnittflächen als zu kritischrationalistischen ergeben sich zu den Akteurs- und Handlungsorientierten Ansätzen, wie bswp. dem der Relationalen Wirtschaftgeographie von BATHELT & GLÜCKLER (2003). Wie im Ansatz von BATHELT & GLÜCKLER betont auch der Pragmatismus die Relationalität ökonomischer Beziehungen. Beide Ansätze sind sich insofern einig in ihrem grundsätzlichen Plädoyer für qualitative Forschungsdesigns und ihre Sympathie für handlungsorientierte Ansätze. Die Relationale Wirtschaftgeographie teilt jedoch mit den kritisch-rationalistischen Ansätzen deren kritischrealistische Basis (BATHELT & GLÜCKLER 2003: 67f; GLÜCKLER & BATHELT 2003: 172) und lehnt sich an den methodologischen Individualismus und das Handlungskonzept WERLENs an. Wie in Kapitel 2.2.2 eingehend diskutiert wurde, bringt dies jedoch für wirtschaftsgeographische Arbeiten einige erkenntnistheoretisch motivierte Probleme mit sich, die unter Beibehaltung einer kritisch-realistischen Perspektive nur schwer auflösbar erscheinen. Der pragmatische Ansatz verfolgt zwar grundsätzlich mit seiner Handlungsorientierung eine ähnliche Stoßrichtung, wie die Relationale Wirtschaftsgeographie. Er fundiert seine Aussagen jedoch in anderer Weise, ermöglicht dadurch eine Lösungsmöglichkeit für das Problem der Handlungsmächtigkeit überindividueller Akteure und könnte – unter der Voraussetzung der Akzeptanz seiner erkenntnistheoretischen Prämissen – hier dazu beitragen einige der aufgeworfenen Probleme zu lösen. Unproblematisch anschlussfähig ist eine Pragmatische Wirtschaftsgeographie dagegen an sozialkonstruktivistische Perspektiven (vgl. Kapitel 2.1.4), denen sie ein alternatives erkenntnistheoretisches Fundament bieten könnte. Interpretativ-konstruktivistische Ansätze, wie sie im Zuge des Cultural Turns in der Sozial- und Kulturgeographie populär geworden sind, bleiben in der Wirtschaftsgeographie bislang jedoch weitgehend ungenutzt und befinden sich in der Minderheit (SCHULZ 2005: 93ff). Zwar haben interpretativ-konstruktivistische Ansätze seit längerem Einzug in die angelsächsische Wirtschaftsgeographen gefunden (bspw. AMIN & THRIFT 22 Vgl. hierzu Kapitel 2.1.1
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2000; BARNES 1996, 2005; BARNES 2001; RAY & SAYER 1999; THRIFT 2000), doch spiegelt sich dies, wie BOECKLER & BERNDT (2005: 67) feststellen, kaum in der deutschsprachigen Wirtschaftsgeographie wieder, in der die Arbeit von SCHULZ (2005) eine der wenigen konstruktivistischen Ausnahmen darstellt, die die Regel bestätigen. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass konstruktivistischen Position oft unterstellt wird, sie würden die Existenz der „realen“ Welt in Abrede stellen oder zumindest unzulässig vernachlässigen (WARDENGA & WEICHHART 2006: 23). Ein pragmatisches Kulturverständnis zeigt jedoch, dass es im Gegenteil nicht möglich ist, Denken von Handeln, Geist von Materie und Kultur von Ökonomie zu trennen. Einerseits bietet eine pragmatische Perspektive daher die Chance zur Rematerialisierung konstruktivistischer Ansätze (STEINER 2009), andererseits weist sie mit der Betonung der kulturellen Bedingtheit unserer Erkenntnisprojekte jedoch auch darauf hin, dass Wirtschaftsgeographie zu betreiben ein zutiefst kulturgeographisches Projekt ist. Eine Pragmatische Geographie bietet sich damit als alternative erkenntnistheoretische Grundlage für wirtschaftsgeographische Arbeiten im Zuge des Cultural Turns an, die erst in jüngerer Zeit Fuß in der deutschen wirtschaftsgeographischen Debatte fassen (bspw. BERNDT & GLÜCKLER 2006; BOECKLER 2005; BOECKLER & BERNDT 2005; BOECKLER & LINDNER 2000). Eine Pragmatische Geographie ist damit ebenfalls anschlussfähig an die sich seit einigen Jahren formierende Neue Kulturgeographie in Deutschland (BLOTEVOGEL 2003; BOECKLER & BERNDT 2005; BOECKLER & LINDNER 2000; GEBHARDT et al. 2003; NATTER & WARDENGA 2003). Sie trägt damit dazu bei, der Wirtschaftsgeographie neue und komplementäre epistemologische Anknüpfungspunkte an sozialund kulturwissenschaftliche, handlungsorientierte und individualzentrierte Theorien zu erschließen. Das Konzept einer Pragmatischen Geographie sieht sich in diesem Sinn als einen Beitrag zum Cultural Turn in der Wirtschaftsgeographie, der darauf abzielt, nicht nur dessen Sinnhaftigkeit zu verargumentieren. Ziel ist es vielmehr exemplarisch zu verdeutlichen, dass der Pragmatismus mit seiner Prozessorientierung (vgl. Kapitel 2.1) sowohl in methodologischer Hinsicht, wie auch in Bezug auf die Untersuchung von dynamischen wirtschaftlichen Veränderungen, wie bspw. organisationalen Lernprozessen, in besonderer Weise geeignet und fruchtbar ist, um ihn für empirische wirtschaftsgeographische Arbeiten zu verwenden.
3
Forschungsdesign und Methodik
Wie in Kapitel 2 begründet, kann das Ziel von Forschung in pragmatischer Perspektive nicht sein, objektive Wahrheiten zu produzieren, noch unterscheidet sich wissenschaftliche Forschung grundsätzlich von einem alltagsweltlichen Erkenntnisprozess. RORTY (2003: 417) suggeriert, dass die Wahl des Forschungsdesigns und der gewählten Methodik kontextabhängig ist. Forschung wird für ihn „durch die Übernahme gewisser Rechtfertigungspraktiken ermöglicht“, wobei es „für diese Praktiken Alternativen gibt. Diese »subjektiven Bedingungen« sind jedoch keineswegs etwas »Unvermeidliches«, das sich durch »Reflexion auf die Logik der Forschung« entdecken ließe. Sie hängen lediglich davon ab, was eine Gesellschaft, Profession oder sonstige Gruppe für eine gute Begründung gewisser Behauptungen hält.“ Der wesentliche Wissensproduktionsstandard liegt im Wissenschaftsbetrieb in der Transparenz des Vorgehens, der inneren Widerspruchsfreiheit sowie der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit. Um den Transparenzund Intersubjektivitätsgeboten gerecht zu werden, wird das gewählte Vorgehen relativ ausführlich erläutert, zumal die Wahl von bestimmten Methoden zuallererst eine Frage persönlicher und kontingenten Entscheidung des Forschenden darstellt. Im Sinne der inhaltlich-logischen Widerspruchsfreiheit bietet es sich an, das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit erstens aus ihrer pragmatischen Perspektive und zweitens aus der übergeordneten Fragestellung abzuleiten. Das gewählte Forschungsdesign spiegelt den zirkulären Ablauf des Erkenntnisprozesses wider, wie er im Pragmatismus insbesondere DEWEYs (vgl. Kapitel 2.1.1) dargelegt wird, die verwendeten Methoden sind überwiegend interpretativ-verstehender Art. Mit RORTY (2003: 347) lässt sich diese Art der zirkulären, im weitesten Sinne hermeneutischen Methodologie damit begründet, dass wir einzelne Elemente eines Systems nicht verstehen können, wenn wir nicht bereits ein Vorverständnis des
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Systems entwickelt haben. Dabei bewegen wir uns so lange zwischen verschiedenen Vermutungen vor und zurück, bis wir uns vertraut zu fühlen beginnen. „Nach diesem Interpretationsbegriff ist das Verstehen eher wie das Kennenlernen einer Person als wie das Durchlaufen eines Beweisganges“ (ebd.). In diesem Vorgehen kann sich die vorliegende Arbeit in grundlegenden Teilen an die von STRAUSS (1998) ausgearbeitete Methodik der „Grounded Theory“ anlehnen, die ihre erkenntnistheoretischen Grundlagen einerseits im klassischen Pragmatismus 23 und andererseits in der interpretativen Soziologie 24 der Chicagoer Schule findet (ebd.: 30). Außer ihrer meta-theoretischen Verortung teilt die vorliegende Arbeit mit der »Grounded Theory« zudem deren vier grundlegende Charakteristika (HILDENBRAND 1998: 11ff): 1. jeden Forschungsgegenstand als eigenständige Untersuchungseinheit zu betrachten, der sich für die Akteure und den Forscher in einmaliger Weise darstellt; 2. wissenschaftliche Erkenntnisse als Produkt kreativer Prozesse aufzufassen, in dem der Wissenschaftler seine eigene Interpretation25 der Wirklichkeit produziert; 3. eine Kontinuität zwischen alltagsweltlicher und wissenschaftlicher Forschungspraxis zu bejahen, die einen wissenschaftlichen Zugang zu alltagsweltlichem Wissen ermöglicht; sowie 4. grundsätzlich eine Offenheit in der sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung mitzubringen, die den Wandel interpretativer Muster auch sprachlich reflektiert. Das Forschungsdesign der Arbeit baut auf einem Methodenmix von fünf Säulen auf (vgl. Abbildung 3). Die erste (Haupt-)Säule bilden umfangreiche Literaturarbeiten, die sowohl meta- wie fachwissenschaftliche Texte, Dokumente und Informationen zu den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Tourismusentwicklung in Tunesien, Ägypten und den VAE, Informationsquellen zur Entwicklung des internationalen Tourismusmarktes, Unternehmensberichte und „graue Literatur“ umfassen. Die zweite Säule bilden univariate Analysen sekundärstatistischer, 23
24
25
STRAUSS Ansatz ist Gegenstand zahlreicher Missinterpretationen (bspw. REUBER & PFAFFENBACH 2005: 169f), indem seiner Theorie eine Nähe zum kritischen Rationalismus sowie eine positivistische Epistemologie unterstellt wird. Wie STRAUSS selbst dargelegt hatte, bezieht sich seine Theorie auf ein pragmatisches Weltbild. STRAUSS war eng mit HERBERT BLUMER befreundet, der als Schüler MEADS wesentliche Gedanken des Pragmatismus in seinen „Symbolischen Interaktionismus“ integrierte (HILDENBRAND 1998: 15). Die Interpretation der Wirklichkeitsinterpretationen der befragten Akteure kann als hermeneutische Konstruktion zweiter Ordnung begriffen werden, der kein Anspruch darauf unterliegt, eine vermeintlich objektive Realität abzubilden.
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 49
makroökonomischer Daten, der Tourismusentwicklung und der Investitionstätigkeit im Tourismussektor. Das solcherart entwickelte Bild wurde auf Forschungsreisen durch Beobachtungen, Kartierungen und Fotodokumentationen ergänzt. Die Datenaufnahme und -analyse wird in der vierten Säule (karto-)grafisch visualisiert, um einen räumlichen Eindruck aktueller Entwicklungen vermitteln zu können. Die fünfte Säule der vorliegenden Arbeit stellen Befragungen dar. Abbildung 3: Fünf Säulen des Forschungsdesigns
Experteninterviews
Kartographische Visualisierung
Beobachtung/Kartierung/ Fotodokumentation
Univariate Analyse sekundärstatistischer Daten
Literaturauswertung
Forschungsdesign
Quelle: Eigener Entwurf
Da für die Analyse von Organisationen qualitative Methoden besonders gut geeignet sind (ROSENSTIEL 2000: 238), wurden hierzu problemzentrierte, leitfadengestützte Experteninterviews und Hintergrundgespräche durchgeführt. Diese wurden während acht Forschungsreisen in die Region zwischen Frühjahr 2004 und Herbst 2005 mit einer Gesamtdauer von rund sechseinhalb Monaten Länge realisiert. Weitere Interviews konnten in Großbritannien und Deutschland geführt werden. Der Besuch verschiedener Tagungen, Konferenzen und Messen 26 rundete das Bild ab. Eine Rundreise zu den wichtigsten Destinationen und Sehenswürdigkeiten für den internationalen Tourismus mit Besichtigung ausgewählter Hotelanlagen und Gesprächen mit regional und lokal tätigen Tourismusmanagern vermittelte einen Eindruck der Situation in der Region. 26
Besucht wurden u. a. die ITB in Berlin, die Waterfront-2005-Dubai Konferenz und der Arabian Travel Market 2005.
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„Das methodische Handeln stützt sich somit auf die Sammlung und Verknüpfung von Fakten 27 , so dass daraus eine Rekonstruktion der Ereignisse und Tatverläufe, ein „Bild“ entsteht. Die „Rekonstruktion“ ist demnach wiederum nur eine (neue) Konstruktion. Die Mosaiksteine, aus denen das Bild zusammengesetzt wird, können vielfältig sein: „Beobachtungsprotokolle, Befragungsprotokolle oder Mitschnitte von offenen, themenzentrierten (selten auch standardisierten) Interviews“ (SEDLACEK 2002: 44f). Insgesamt kann dieses Zusammenspiel von quantitativen und qualitativen Methoden damit als eine Art methodologische Triangulation (FLICK 2000: 309ff) bezeichnet werden, die zu einem tieferen Verständnis des untersuchten Gegenstandes führen soll. Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sind im Rahmen eines DFG-geförderten Forschungsprojektes über die „Folgen des 11. Septembers für die Destinationsentwicklung im internationalen und islamischen Tourismus der Arabischen Welt“ zwischen Januar 2004 und Dezember 2006 erarbeitet worden. Das DFG-Projekt stand unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Meyer und wurde von mir gemeinsam mit Dr. Ala Al-Hamarneh durchgeführt, wobei ich mich in dem von mir bearbeiteten Teilprojekt schwerpunktmäßig mit den Krisenreaktionsstrategien der transnationalen Hotellerie beschäftigte, während sich Ala Al-Hamarneh in einem anderen Teilprojekt hauptsächlich den Strategien der arabischen Hotelinvestoren zuwandte.
3.1
Auswahl der Untersuchungsländer
Um den Einfluss der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers auf Akteursstrategien in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt abschätzen zu können, ist es nötig, die Untersuchungsgebiete für die empirische Forschung genauer zu definieren und so die Anzahl potenzieller Akteure einzugrenzen. Aus arbeitstechnischen Gründen ist zudem eine Beschränkung der Arbeiten auf wenige Ländern sinnvoll. Dazu wurden die Länder der Region in Gruppen eingeteilt (vgl. Tabelle 2). Die so entwickelte Typologisierung der touristischen Destinationen in der Arabischen Welt diente als Grundlage für die Auswahl der Untersuchungsgebiete. Aufgrund ihrer relativ geringen touristischen Nachfrage wurden die Länder der Destinationsgruppe 1 nicht weiter berücksichtigt. Aus der Gruppe 2 wurde Tunesien für die Untersuchungen ausgewählt, da die Nachfragestrukturen hier stärker als in Marokko durch den internationalen Tourismus geprägt sind und multinationale Konzerne in der Tourismuswirtschaft Tunesiens eine weitaus höhere Bedeutung haben – besonders was den Hotelsektor angeht. 27
Fakten sind hier im Sinne SEDLACEKs (2002: 40) zu verstehen als „das Gemachte“ und nicht als etwas Gegebenes.
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 51
Tabelle 2:
Typologisierung der arabischen Länder entsprechend ihrer touristischen Nachfrageentwicklung seit dem 11. September 2001
Destinationsgruppe 1
Destinationsgruppe 2
Länder mit schwach Länder mit vorwieentwickeltem Tou- gend internationarismus lem Tourismus und Nachfragerückgängen Algerien, Bahrein, Irak, Jemen, Katar, Kuwait, Libyen, Oman, SaudiArabien 28 , Sudan Anm.:
Marokko, Tunesien
Destinationsgruppe 3
Destinationsgruppe 4
Länder mit internationalem und intraarabischem Tourismus und relativ konstanter Nachfrage Ägypten, Jordanien 29
Länder mit internationalem und intraarabischem Tourismus und Nachfragezuwachs Libanon, Syrien, VAE
Ohne Berücksichtigung des Nachfragerückgangs im internationalen Tourismus während des Irak-Kriegs und durch SARS im ersten Halbjahr 2003 sowie etwaiger Zunahmen grenzüberschreitenden Kleinhandels in Nordafrika; streng genommen ist der intra-arabische ein Teil des internationalen Tourismus. Letzterer soll hier jedoch den nicht-arabischen, überregionalen Tourismus bezeichnen.
Aus der Gruppe 3 wurde Ägypten ausgewählt, da es den bedeutendsten touristischen Markt in Nordafrika und der Levante darstellt und dort alle Formen des internationalen und intra-arabischen Tourismus anzutreffen sind. In der Gruppe 4 fiel die Wahl auf die VAE. Die Emirate weisen nicht nur eine äußerst dynamische Expansion des Tourismus auf, sondern sind auch v. a. wegen der Heterogenität der tourismuspolitischen Ansätze (tendenziell offener und liberaler in Dubai; konservativer und stärker „islamisch“ ausgerichtet in Sharjah) interessant. Diese Auswahl bot sich darüber hinaus auch deshalb an, weil sich in Ägypten und den VAE, und hier vor allem in Dubai, das Regionalmanagment der transnationalen Hotelkonzerne befindet. Das Regionalmanagment kann je nach Unternehmen mehr oder weniger eigenständig strategisch operieren, weshalb es sinnvoll erschien, die regionale Unternehmensebene maßgeblich in die empirische Arbeit einzubeziehen und sich insofern aus einem zu stark auf Einzelländer orientierten Vorgehen zu lösen.
28
29
Saudi-Arabien hat eine Sonderrolle aufgrund des Pilgertourismus. Die weitgehende und erst jüngst abgemilderte Abschottung gegenüber anderen Tourismusarten lässt aber eine Zuordnung in diese Gruppe als sinnvoll erscheinen. Jordanien mit leichten Rückgängen nach dem 11. September, die aber m. E. im Kern als Fortsetzung des negativen Trends in der touristischen Nachfrage durch die Zweite Intifada in Palästina interpretiert werden müssen.
52 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
3.2
Experteninterviews als Methode des Erkenntnisprozesses
Während für die (karto-) graphische Aufbereitung statistischer Daten ein weitgehender Konsens über die dafür zu beachtenden Konventionen besteht (bspw. ARNBERGER 1993; KOHLSTOCK 2004; RIEDWYL 1987; WILHELMY et al. 2002), ist die methodische Bandbreite im Bereich der qualitativen Sozialforschung deutlich heterogener ausgeprägt und macht damit eine klarere Explikation des verwendeten Ansatzes notwendig.
3.2.1 Meta-theoretische Prämissen – Experteninterviews als Instrument qualitativer Sozialforschung Die vorliegende Arbeit lehnt sich methodologisch grundsätzlich an den Entwurf der „Grounded Theory“ an, unterscheidet sich jedoch signifikant von dem Ansatz STRAUSS’ (1998). Erstens das Ziel der vorliegenden Arbeit nicht darin gesehen eine Theorie zu entwickeln, sondern darin einen schlüssigen Interpretationsansatz zu präsentieren. Zweitens geht es hier nicht um ein soziologisches Projekt i. e. S., sondern um die Kontextualität unternehmerischen Handelns. Die der Auswertung zugrunde liegende Rekonstruktionsabsicht organisationaler Handlungsstrukturen und -motive unterscheidet sich wesentlich von einer individualzentrierten Perspektive, die theoriegenerierend vorwiegend mit narrativen Interviewformen operiert. Die Grundperspektive der „Grounded Theory“ wird deshalb modifiziert durch die Integration von Ansätzen zur Arbeit mit Experteninterviews (BOGNER et al. 2005; GLÄSER & LAUDEL 2004; MEUSER & NAGEL 1991), die es ermöglichen mit Individuen als Repräsentanten sozialer Organisationen zu arbeiten. Die Befragung von Experten drängt sich angesichts des wirtschaftlichen Fokusses der vorliegenden Studie geradezu auf. Experteninterviews sind hinsichtlich ihrer klaren Themen- und Problemzentrierung mit fokussierten Interviews verwandt ( MERTON ET AL. 1956; MERTON & KENDALL 1993), im Vergleich zu diesen jedoch deutlich offener im Interviewverlauf gestaltet (LAMNEK 1995: 79). Problemzentrierte Experteninterviews operieren aufgrund ihrer Themenfokussierung mit Interviewleitfäden. Der Leitfaden ist im Sinne der Denotation als theoriegeleiteter Ausgangspunkt (DEWEY 2001: 244) des Forschungsprozesses zu verstehen, in dem die Hintergrundannahmen zu Beginn des Forschungsprojektes deutlich werden (LAMNEK 1995: 75). Aufgrund ihrer Themenfokussierung wird von problemzentrierten Interviews auch als „halb-strukturierten“ Interviews gesprochen (REUBER & PFAFFENBACH 2005: 133). Gleichzeitig „halb-offen“ (MEUSER & NAGEL 1991: 448) bleiben die Interviews deshalb, weil sie zwar einem „Roten Faden“ folgen, diesen jedoch nicht dogmatisch verstehen sondern individuell und thematisch flexibel handhaben. Die Öffnung und Flexibilisie-
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rung der Interviewführung ist wichtig, um einer zu starken Einengung des Themenfokus und damit einem drohenden Informationsverlust zu begegnen. Je nach Forschungsgegenstand flexibel zu sein in Bezug auf die angewandten Methoden, ist ein Charakteristikum, das das Konzept von MEUSER & NAGEL mit der „Grounded Theory“ von GLASER & STRAUSS (GLASER & STRAUSS 1967; STRAUSS 1998) oder mit FEYERABEND (1977; 1995) teilen.
3.2.2 Der Forschungsprozess und seine schriftliche Darstellungsstruktur Die Notwendigkeit methodischer Flexibilität ergibt sich bereits aus der Prozesshaftigkeit qualitativer Forschungen, deren hervorstechendstes Merkmal die stetige Veränderungen der Erkenntnisgegenstände darstellt. Die vorliegende Arbeit versucht diesem Befund durch die Zirkularität ihrer Anlage gerecht zu werden. Der bereits von PEIRCE und DEWEY (vgl. Kapitel 2.1.1) geschilderte prozessuale Aufbau einer jeden Forschungstätigkeit ist verbunden mit einer ständigen Neukalibrierung der Fragestellungen. 30 Problemidentifikation, Hypothesenbildung und empirische Erprobung sind allenfalls Aposteriori analytisch zu trennen (DEWEY 2002: 132ff). Forschung setzt im Sinne des hermeneutischen Zirkels immer bereits Vorwissen voraus (SEIFFERT 1996: 123). Die im Forschungsprozess kontinuierlich neu gewonnenen Urteile werfen wiederum neue Fragen auf und bilden somit unmittelbar neue Ausgangspunkte für weitere und andere Fragestellungen. Erkenntnisse verdichten sich im Erfahrungsprozess des Forschenden, klären unbestimmte Situationen und lenken die Aufmerksamkeit hin zu neuen Problemstellungen. So gleicht auch der Ablauf des vorliegenden Forschungsprojektes einem zirkulären Prozess, in dem sich Aufmerksamkeiten verschieben und kontinuierlich neu kalibrieren. Im empirischen Teil der Arbeit wird versucht die zirkuläre, sich inhaltlich kontinuierlich wandelnde Anlage des Forschungsprozesses zu verdeutlichen. Ausgangspunkt ist die Beschreibung der bestimmten Situation am Anfang des Forschungsprozesse und des Anlasses für ihre Zweifelhaftigkeit (vgl. Kapitel 2.1.1). Hierauf folgt eine Schilderung des nun einsetzenden Forschungsprozess anhand einer analytischen Unterscheidung dreier Hauptschleifen der Forschung. Trotz dieses auf den ersten Blick klar strukturierten Ablaufes muss betont werden, dass der Forschungsprozess in seiner Anlage eher anarchistische als rationalistische Züge trägt. Erkenntnisfortschritte laufen zumeist in zeitlicher und thematischer Hinsicht nicht wohlgeordnet ab. Man wird in der Arbeit unterbrochen, muss sich mit alltäglichen universitären Verwaltungs- und Lehrtätigkeiten beschäfti30
Und damit der in den Interviewleitfäden formulierten Fragen und abgedeckten Themenbereiche.
54 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
gen, redet mit Kollegen über die eigene und deren Arbeiten, wird gezwungen, sich mit Dingen des wissenschaftsexternen Lebens zu beschäftigen, und erhält so Gedankenanstöße, auf die man mit gezielter Suche nie gestoßen wäre. Im Arbeitsprozess erschließt man sich immer wieder neue theoretische Perspektiven aus der Literatur oder durch Vorträge und Kommentare von Kollegen, die den Forschungsgegenstand in immer wieder wechselndem Licht erscheinen lassen. Dieser verändert kontinuierlich seine Gestalt, regt zu neuen Hypothesenbildungen an und scheint kaum wirklich „gegenständlich“ greifbar. Empirische Erfassung, theoretische Konzeptionalisierung und inhaltliche Interpretation der Arbeit verschmelzen in einer zirkulären und infinit fortgesetzten Gleichzeitigkeit, die kaum schriftlich unmittelbar dokumentierbar ist und so immer auch subjektive und nachträgliche Rekonstruktion bleibt. Man muss sich bewusst sein darüber, dass eine „authentische“ Abbildung des eigenen Erkenntnisweges nicht möglich ist und jede Rekonstruktion nur einen möglichen unter vielen kontingenten Wegen darstellt, die eigene Geschichte zu erzählen. In diesem Sinn ist die hier gewählte Darstellung in Form von drei Erkenntnisschleifen das Resultat einer bewussten Entscheidung, die einerseits die grundlegende Zirkularität des Forschungsprozesses beispielhaft demonstrieren und andererseits dessen textliche Präsentation nicht strukturell überkomplex gestalten möchte. Nichtsdestotrotz – man hätte anstatt von drei auch zwei, vier oder fünf Schleifen unterscheiden und darstellen können. Der in seiner Grundanlage infinite Forschungsprozess wurde schließlich willkürlich abgebrochen, als die eingangs zweifelhafte Situation hinreichend bestimmt schien.
3.2.3 Experteninterviews als Zugang zu einem definierten Wirklichkeitsausschnitt Methodisch lehnt sich die vorliegende Arbeit in Konzeption und Vorgehen an die von MEUSER & NAGEL (1991) sowie GLÄSER & LAUDEL (2004) dargelegten Überlegungen zu Experteninterviews an. Das Ziel von Experteninterviews ist ganz generell die Gewinnung „bereichsspezifischer und objekttheoretischer Aussagen“ (MEUSER & NAGEL 1991: 446). Im Rahmen von hierarchisch organisierten, korporativen Akteuren (SCHARPF 2000: 98ff) wie Unternehmen, 31 kann man die hierzu notwendigen Informationen nur anhand qualitativer Interviews mit Personen gewinnen, die „in irgendeiner Weise Verantwortung (...) für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung“ tragen, oder die „über einen privilegierten Zugang zu Informationen (…) oder Entscheidungsprozessen“ verfügen (MEUSER & NAGEL 1991: 443). Experten sind in diesem 31
Vergleiche zur Problematik der Anwendung der Handlungstheorie auf soziale Organisationen auch Kapitel 2.2.2.
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 55
Sinne nicht deshalb interessant, weil ihr Wissen Apriori einen höheren Stellenwert als das anderer Personen genießen würde, sondern vor allem weil sie als Praktiker über die Chancen und Möglichkeiten verfügen, ihre Deutungen in der (organisationalen) Praxis durchzusetzen (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 13; BOGNER & MENZ 2005: 46). Experten sind insofern vornehmlich als Funktionsträger innerhalb eines organisatorischen oder institutionellen Kontextes von Interesse, der ihnen Möglichkeiten eröffnet, ihre Deutungs- und Handlungsmuster (hegemonial) durchzusetzen. Mit dieser Durchsetzung strukturieren Experten wiederum praxiswirksam für andere Akteure im gleichen Aktionsfeld deren Handlungsbedingungen. Die mit ihrer Funktion verbundenen Kompetenzen, Aufgaben und Tätigkeiten und ihre Erfahrungen und Wissensbestände sind als „klar definierte Wirklichkeitsausschnitte“ (MEUSER & NAGEL 1991: 444) Gegenstand der Interviews. Experten werden dabei Apriori als „Repräsentanten ihrer Zunft“ (MEUSER & NAGEL 1991: 452) bzw. ihrer Organisation oder Institution definiert, 32 in deren organisationsinterne Sinnproduktion und die damit verbundenen praktischen Erfahrungsbestände sie Einblicke geben können (FROSCHAUER & LUEGER 2005: 224f). Unternimmt man eine Studie mit wirtschaftlichem Bezug, wird man aus diesem Grunde häufig auf Manager als Experten zurückgreifen. Experteninterviews bieten damit im Deweyschen Sinne die Möglichkeit, Forschungsprozesse organisationaler oder institutioneller Schlüsselpersonen zum Gegenstand der Untersuchung zu machen und damit einen Einblick in die Konstitutionsprozesse sozialer und wirtschaftlicher Entwicklungen zu bekommen.
3.2.4 Auswahl der Gesprächs- und Interviewpartner Im Rahmen der oben genannten Forschungsaufenthalte wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit Managern der Tourismusbrache durchgeführt. Die Auswahl der Interviewpartner erweiterte sich entsprechend des veränderten Erkenntnisstands im Laufe des Forschungsprozesses. Einzelne Vorstellungen mussten revidiert werden, neue Gesprächspartner zur Kontrastierung der aufgefundenen Sachverhalte interviewt werden. Aus den oben geschilderten Gründen gehörten die Interviewpartner zwar normalerweise zur Funktionselite eines komplexen Akteurs, oft sind sie jedoch nicht auf der obersten Leitungsebene angesiedelt, sondern auf einer zweit-, oder drittrangigen hierarchischen Position. Hier werden Entscheidungen vorbereitet und umgesetzt, hier ist das dichteste und detaillierteste Wissen
32
Dies darf nicht in der Hinsicht missverstanden werden, als ob hiermit ein Repräsentativitätsanspruch der generierten Aussagen vorliegen würde. Als „repräsentativ“ müssen die interviewten Experten lediglich für den von ihnen vertretenen komplexen Akteur angenommen werden – sonst wären ihre Aussagen nicht interpretierbar.
56 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
über themenspezifische Angelegenheiten vorhanden (MEUSER & NAGEL 1991: 443f). Im vorliegenden Fall konzentrierten sich die Interviews mit Vertretern transnationaler Hotelkonzerne auf die Gruppe der Regionalbzw. Ländermanager sowie des fachlich für Hotelentwicklung verantwortlichen Führungspersonals. Das hier gewonnene Bild wurde abgerundet durch Interviews mit Managern einzelner Hotelanlagen. Die Handlungsstrategien transnationaler Konzerne dürften jedoch kaum angemessen zu verstehen sein, würde man sie isoliert von ihrem (Inter-)Aktionsfeld betrachten. Die Äußerungen der interviewten Manager werden deshalb ergänzt und kontrastiert mit den Handlungs- und Deutungsmustern lokaler und regionaler Hotelinvestoren und Projektentwicklern, lokaler Hoteliers, Repräsentanten nationaler Hotelverbände und staatlicher Institutionen (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3:
Kategorisierung der Gesprächspartner nach Akteursgruppen
Transnationale nicht- Lokales Management arabische Akteure mit einzelner Betriebe Unternehmensteilen in den Zielgebieten Vollintegrierte Unternehmen Hotel(management)25 unternehmen
Länder-/ Regional- Regionalmanagemanagement vor ment in den UnterOrt nehmenszentralen 2
1
19
2
Arabische Akteure
Management / Staatssekretär
Immobilieninvestoren / Projektentwickler Hotel(management)unternehmen Incoming-Agenturen Hotelverbände Tourismusministerum/ -behörde Regionalbüros d. Tourismusbehörden
8
Eigentümer/ Minister 2
14 1 4 8
1
5
Anm.: Mehrfachkategorisierungen möglich
Insgesamt wurden im Rahmen des Forschungsprojektes Gespräche mit 80 Personen geführt, wovon etwa 65 als Interviews angelegt waren. 56 dieser Interviews wiesen einen Bezug zum Thema der vorliegenden Arbeit auf und wurden daher in die Auswertung einbezogen. 33 Die meisten meiner 33
Die restlichen Interviews betrafen ausschließlich andere Teilprojekte des DFG-Forschungsprojektes.
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 57
Forschungsreisen sowie 33 der 56 in die Auswertung einbezogenen Interviews wurden gemeinsam mit Ala Al-Hamarneh absolviert. 34 Acht der in der empirischen Analyse verwendeten Gespräche führte Ala Al-Hamarneh alleine. Dankenswerter Weise war es mir möglich, für die empirischen Analysen auf die daraus entstandenen Mitschriften und Protokolle zurück zu greifen, um so einige wichtige Grundperspektiven arabischer Akteure in die vorliegende Arbeit einfließen zu lassen. 15 Interviews wurden von mir alleine geführt, darunter die für die vorliegende Arbeit zentralen Gespräche mit den Managern in den Konzernzentralen der transnationalen Hotelunternehmen (TNHU) sowie die überwiegende Mehrheit der Interviews mit deren Managern auf der Regionalebene. Insgesamt basieren die empirischen Aussagen über die Strategien TNHU in der Arabischen Welt damit auf 24 Interviews mit Managern, die Leitungsfunktionen auf regionaler Ebene oder in den Konzernzentralen einnehmen sowie auf weiteren zehn Gesprächen mit Hotelmanagern einzelner Hotelbetriebe. Die dort gewonnen Erkenntnisse wurden in den weiteren, oben aufgeführten Gesprächen ergänzt. Insgesamt konnten so mit einer großen Bandbreite von Unternehmen, Institutionen und Behörden Interviews und Hintergrundgespräche geführt werden (vgl. Tabelle 4). Die Zugänglichkeit zu potenziellen Interviewpartnern stellte sich insgesamt als sehr gut heraus, wobei die Kontaktaufnahme und Vereinbarung der Interviewtermine am schwierigsten waren. Gerade zu Anfang der Arbeit reagierten viele der angeschriebenen Unternehmen nur zögerlich. Entscheidend war daher der erfolgreiche Erstkontakt zu sogenannten „Türöffnern“ (MERKENS 2000: 288). Glücklicherweise konnte dazu in Ägypten der Dean 35 der Kairener Hoteliers gewonnen werden, während in den VAE vor allem das Büro des Emirs von Sharjah sowie der Director for Tourism Affairs des Dubai Department of Tourism and Commerce Marketing (DTCM) als Türöffner fungierten. Sie stellten Namens-, Telefon- und E-Mail-Adresslisten zur Verfügung, die eine direkte Ansprache potenzieller Interviewpartner ermöglichten. Der Dean der Kairener Hoteliers vermittelte zudem auch direkt Kontakte, wodurch unter anderem ein Interview mit dem ägyptischen Tourismusminister realisiert werden konnte. Das so entstehende Netzwerk wurde in der Folge in einem Schneeballsystem sukzessive ausgeweitet. Der Zeitaufwand hierfür war jedoch erheblich.
34
35
Die Gesprächsleitung bei gemeinsamen Interviews richtete sich daran aus, in welches Teilprojekt die Analyse der Aussagen des jeweiligen Interviewpartner in erster Linie einfließen sollten. Der „Dean“ bekleidet eine mehr oder weniger informelle Funktion, die traditionell vom dienstältesten Hotelmanager eines 5-Sterne-Hotels in Kairo eingenommen wird. Über ihn werden bspw. informelle Treffen organisiert und der Kontakt zu staatlichen Stellen gepflegt.
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Tabelle 4:
Auflistung der Gesprächspartner
Akteursgruppe
Unternehmen, Institution bzw. Behörde
Immobilieninvestoren/Projektentwickler
Abu Dhabi National Hotels, Arenco Real Estate, Dubailand, EBKOT for Development & Tourism, EMAK Marsa Alam, Nakheel, Orascom Hotels Holding, Orascom Projects & Touristic Development S.A.E., Taba Tourism Development Company
Hotel(management)- Abu Nawas Hotels, Accor (inkl. Sofitel, Novotel, Mercure, unternehmen Coralia, Ibis), Balbaa Hotels and Resorts, Basma Hotel Aswan, El Mouradi Hotels, Flamenco Hotels & Resorts, Golden Yasmin Hotels, Hilton International (inkl. Conrad), Hyatt International, Iberotel/Sol y Mar, Intercontinental Hotels Group, Jumeirah International, Kempinski Hotels & Resorts, Le Meridien Hotels & Resorts, Marriott Hotels & Resorts, Mehari Hotels & Resorts, Mövenpick Hotels & Resorts, Nesima Resort, Oberoi Hotels & Resorts, Oceanic Hotel, Radisson SAS Hotels & Resorts, Ras al Kheima Hotel, Renaissance Hotels & Resorts, Ritz-Carlton Hotel Company, Rotana Hotels & Resorts, San Giovanni Hotels & Resorts, Starwood Hotels & Resorts (inkl. Sheraton), Steigenberger Hotels & Resorts, TUI Beteiligungsgesellschaft (inkl. RIU, Magic Life, Robinson Club) IncomingAgenturen
Dubai Desert Tourism, Thomas Cook Egypt, TRAVCO L.L.C., Wings Tours & Nile Cruises
Hotelverbände
Egyptian Hotel Association, Fédération Tunesienne de l’Hôtellerie (FTH)
Tourismusministerium/ -behörde
General Authority for Investment and Free Zones Egypt (GAFI), Department of Tourism and Commerce Marketing Dubai (DTCM), Fujairah Tourism Bureau, Ministry of Tourism, Egypt, Office National du Tourisme Tunisien (ONTT), Sharjah Commerce & Tourism Development Authority (SCTDA), Tourism Development Authority Egypt (TDA)
Sonstige
American Hotel & Lodging Educational Institute, EFG Hermes Private Equity, Egyptian Centre for Economic Studies (ECES), Financial Services Volunteer Corps, Egypt (FSVC), German Arab Chamber of Industry and Commerce, Cairo, Information and Decision Support Centre (IDSC), Rycx Legal Consultants Dubai
Als problematisch für die Intervieworganisation stellte sich die umfangreiche, sich teils kurzfristig ergebende Reisetätigkeit der Interviewten dar. Interviewgespräche weit im voraus zu vereinbaren, erwies sich deshalb als kaum erfolgreich. Teilweise mussten etliche Anläufe auf mehreren Forschungsreisen unternommen werden, bis es zu einem Interview kam. In zwei Einzelfällen wurden die auftretenden Terminprobleme über Telefoninterviews gelöst. Um so erfreulicher ist es, dass fast alle weltweit führenden Unternehmen befragt werden konnten, die mit nennenswerten Hotelkapazitäten in den Untersuchungsländern vertreten sind (vgl. Tabelle 5).
Accor (Evry, Frankreich)
Choice Hotels International (Silver Spring, USA) Hilton Hotels Corp. (Beverly Hills, USA) Best Western International (Long Beach, USA) Starwood Hotels & Resorts (New York, USA) Carlson Hospitality Worldwide (Minneapolis, USA) Hilton Group PLC (Watford, UK)
4
5
10
9
8
7
6
3
2
InterContinental Hotels Group (Windsor, UK) Cendant Corp. (New York, USA) Marriott International (Washington D.C., USA)
1
Sheraton, Four Points Sheraton, Westin, W Hotels, St. Regis, The Luxury Collection Regent International Hotels, Radisson Hotels & Resorts, Park Plaza Hotels & Resorts, Country Inns & Suites By Carlson, Park Inn Hotels Hilton International, Scandic Hotels, Conrad Hotels
InterContinental, Crowne Plaza, Holiday Inn, Express by Holiday Inn, Hotel Indigo, Staybridge Suites, Candlewood Suites Amerihost Inn, Days Inn, Howard Johnson, Knights Inn, Ramada, Super 8, Travelodge, Wingate Inn Marriott Hotels & Resorts, JW Marriott Hotels & Resorts, Renaissance Hotels & Resorts, Courtyard, Residence Inn, Fairfield Inn, Marriott Conference Centers, TownePlace Suites, SpringHill Suites, Marriott Vacation Club, Horizons, The RitzCarlton Hotel Company, The Ritz-Carlton Club, Marriott ExecuStay, Marriott Executive Apartments, Marriott Grand Residence Club Atria, Suitehotel, Ibis, Etap, Formule 1, Red Roof Inns, Motel 6, Studio 6, Accor Thalassa, Accor Vacances, Sofitel, Novotel, Mercure Comfort Inn, Comfort Suites, Quality, Sleep Inn, Clarion, MainStay Suites, Econo Lodge, Rodeway Inn Hilton Hotels, Conrad Hotels, Doubletree, Embassy Suites Hotels, Hampton Inn, Hampton Inn & Suites, Hilton Garden Inn, Homewood Suites by Hilton Best Western
Zugehörige Hotel-Marken (kursiv = i. d. Region geschäftl. aktiv)
463.427(1) 3.973(1) 388.618 4.810 348.483 2.173 310.245 4.110 233.000 756 147.624 881 98.689 392
241 2 1.327 7 300 1 1.682 8
-
762 4 -
25 1 2.930 8 674 2 6.241 20
-
3.591 17 -
-
48 1 476 2 -
-
1.952 8 -
Weltweit VAE Ägypten Tunesien Zimmer/ Zimmer/ Zimmer/ Zimmer/ Hotels Hotels Hotels Hotels 536.318 1.922 5.778 3.540 6 12 518.747 484 407 6.402 3 3 227 490.564 1.017 2.992 2.718 5 7 1
Die größten Hotelgruppen der Welt und ihr Engagement in Tunesien, Ägypten und den VAE zum Jahreswechsel 2003/04
Rang Gesellschaft (Firmensitz)
Tabelle 5:
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 59
81
79
57
47
41
39
32
28
23
22
13
12
11
Hyatt Hotels/Hyatt International (Chicago, USA) Sol Meliá SA (Palma de Mallorca,. Spanien) TUI AG/TUI Hotels & Resorts (Hannover, Deutschland) Club Mediterranée (Paris, Frankreich) Le Méridien Hotels & Resorts (London, UK) Fairmont Hotels & Resorts (Toronto, Kanada) Golden Tulip Hotels, Inns & Resorts (Amersfoort, NL) Iberostar Hotels & Resorts (Palma de Mallorca, Spanien) RIU Hotels Group(1) (Platja de Palma, Spanien) Shangri-La Hotels & Resorts (Hong Kong, China Four Seasons Hotels & Resorts (Toronto, Kanada) Steigenberger Hotels AG (Frankfurt/Main, Deutschland) LTI International /REWE Touristik Hotels & Investments Gmbh (Köln, Deutschland) LTI International Hotels
Steigenberger Hotels & Resorts, InterCityHotels
Four Seasons
Shangri-La Hotels & Resorts
RIU
Iberostar
Golden Tulip Hotels, Tulip Inns
The Fairmont
Le Méridien
Atlantica Hotels, Dorfhotel, Gran Resort Hotel, Grecotel, Grupotel, Iberotel, Magic Life, Nordotel, Paladien, Robinson Club, Sol y Mar, RIU Club Med
Meliá Hotels, Tryp Hotels, Sol Hotels, Paradisus, Hard Rock Hotels
Hyatt, Hyatt Regency, Grand Hyatt, Park Hyatt 89.602 208 80.494 331 76.000 290 36.106 103 35.589 143 32.700 82 28.385 253 25.250 74 25.000 106 20.227 41 16.033 62 13.352 79 11.148 40 -
-
481 2 -
-
2.447 12 394 1 322 4 -
-
-
1.074 2 -
771 3 208 1 1.212 2
-
157 1 -
1.573 3 698 3 6945 29 239 1 1.893 4 -
1.101 3
-
-
400 2 3.814 11 2.425 10
-
5.425 13 4744 18 2.068 5 -
-
60 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
Interviewt
-
Rotana Hotels/Suites/Resorts
Abou Nawas
Sonesta
Oberoi
Dusit Hotels & Resorts, Royal Princess Hotels & Resorts
Kempinski
Mövenpick
Nicht interviewt
Mövenpick Hotels & Resorts (Adliswil, Schweiz) Kempinski Hotels & Resorts (Genf, Schweiz) Dusit Thani Company Ltd. (Bangkok, Thailand) The Oberoi Group (Delhi, Indien) Sonesta International Hotels (Boston, USA) Abou Nawas Hotels (Tunis, Tunesien) Rotana Hotel Management Corp. Ltd. (VAE) Orascom Hotel Holdings (Kairo, Ägypten)
9.735 49 7.327 35 5.400 22 5.291 37 6.330(1) 25(1) 4.054(1) 16(1) 3.467 17 3.158(1) 15
(1) RIU mit 49% Minderheitsbeteiligung der TUI AG Anm.: Ab Rang zehn sind in der Tabelle nur Unternehmen aufgeführt, die auch in den Untersuchungsländern geschäftlich aktiv sind Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Geschäftsberichten der Unternehmen; Stand Ende 2004
270
227
204
179
168
164
127
91
2.135 10 -
-
-
232 1 583 2 174 1 -
1.385 4 2.619 14
683 3 2.001 9 -
-
3.624 13 -
-
4.054 16 -
-
-
-
264 1 -
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 61
62 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
3.2.5 Zur Ambivalenz von Interviewleitfäden und Experteninterviews Vor dem Hintergrund des Flexibilitätsgebotes qualitativer Forschung ist es nicht verwunderlich, dass Interviewleitfäden keine starren Instrumente darstellen können. Die Organisationen, in denen die Interviewten tätig sind sind genauso einzigartig wie die Individuen, die in ihnen arbeiten. Sich mit diesen Einzigartigkeiten vor einem Interviewtermin zu beschäftigen ist – gerade im Wirtschaftsbereich – ein unverzichtbares Zeichen von Sachkompetenz (MEIER KRUKER & RAUH 2005: 65), die man als Forschender unbedingt aufrecht erhalten muss, will man den Interviewten fachlich auf „gleicher Augenhöhe“ begegnen (PFADENHAUER 2005). Der Interviewer muss, um ein Interview erfolgreich zu gestalten, selbst zum Experten werden und ein erhebliches Maß an Vorwissen mitbringen. Dies ist nach meiner Erfahrung gerade bei Gesprächspartnern auf der Managementebene unverzichtbar, um deren Informationsbereitschaft zu erhalten. Experteninterviews bieten insofern kaum eine Möglichkeit Erkenntniswege abzukürzen, sondern sind im Gegenteil extrem voraussetzungsvoll (ebd.: 127). Um als „interviewender Experte“ von den Befragten ernst genommen zu werden, muss der Interviewleitfaden individuell den Gesprächspartnern angepasst werden. Interviewleitfäden sollten deshalb eher als eine Art Merkposten für anzusprechende Themenbereiche betrachtet werden, als dass sie „standardisierten“ Frageblöcken und einem vorstrukturierten Interviewablauf gleichen (LAMNEK 1995: 65). Der Fragenkatalog der Interviews musste nicht nur bezüglich des jeweiligen Interviewpartners modifiziert werden, sondern hat sich zudem kontinuierlich thematisch verändert, indem weitgehend geklärte Fragen im Laufe der Zeit fallen gelassen und neue integriert wurden. Auf eine jeweils verschriftlichte Neuformulierung des Leitfadens wurde dabei aus praktischen Gründen verzichtet. In der Konsequenz, unterscheiden sich pragmatisch angelegte Experteninterviews von einer realistischen Perspektive, die Interviews als Instrument einer Art Wissensarchäologie versteht, mit dem vorhandene Wissensbestände möglichst unbeeinflusst und „objektiv“ freilegt werden sollen. Interaktionen zwischen Forscher und Experte werden hier als Störungen betrachtet (BOGNER & MENZ 2005: 47f). In pragmatischer Hinsicht kann es jedoch keine adressatenneutrale Äußerung geben, da jede Kommunikationsbotschaft immer in Bezug auf ihren Adressaten zu sehen ist. 36 Der Anspruch des Neutralitätspostulats an den Interviewer reflektiert insofern die Idee eines unabhängigen Beobachters, dessen Position einzunehmen wir, wie in Kapitel 2.1 gezeigt wurde, nicht in der Lage sind. 36
PEIRCE (1931-1935: 2.228; 2000: 188) wies bereits darauf hin, dass sprachliche Zeichen immer für jemanden in gewisser Hinsicht für etwas stehen.
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 63
Aus Perspektive einer Pragmatischen Geographie sind Interviewsituationen deshalb „von ihrer sozialen Dimension nicht ablösbar“ (ebd.: 48) sondern resultieren gerade aus der Interaktion zwischen Befragtem und Befrager. In methodologischer Hinsicht muss dem archäologischen Modell der Interviewführung insofern ein Interaktionsmodell entgegen gestellt werden (ebd.). In ihm formuliert der Befragte „seinerseits Fragen, um vom Interviewer Informationen zu erhalten und dessen eigene Position und Einschätzungen kennen zu lernen (…).“ (ebd.: 50). Der Interviewer muss in diesem Fall die Rolle des kompetenten Diskussionspartners einnehmen, von dem Anregungen abseits des betrieblichen Alltags erwartet werden (TRINCZEK 2005: 217). Das Ergebnis ist ein stärker diskursiv-argumentatorischer Interviewstil (ebd.: 218). In einem solchen Gespräch kann es gerade in Experteninterviews allerdings der Fall sein, dass Befragte Sachverhalte, die für den Forschenden von erhöhtem Interesse sind, nicht ansprechen, „weil für ihn viele Dinge so selbstverständlich sind, dass er gar nicht auf die Idee kommt sie zu berichten“ (LAMNEK 1995: 96). Wie sich im Verlauf des Projektes gezeigt hat, werden zudem gerade in Experteninterviews in der Wirtschaft sensible Sachverhalte angesprochen, die die Befragten nicht ohne weiteres von sich aus preiszugeben geneigt sind. In solchen Fällen kann es für den Interviewer sinnvoll sein, in einer Art vorzugehen, die vor einem realistischen Theoriehintergrund entschieden abgelehnt werden müsste, nämlich suggestiv zu fragen: „Manchmal kann man nur durch suggestive Fragestellung bewirken, dass Dinge offenbart werden, an die der Befragte, weil sie eben für ihn selbstverständlich sind, nicht denkt“ (ebd.). Im vorliegenden Projekt hat sich zudem gezeigt, dass mit Suggestivfragen Sachkompetenz demonstriert werden kann, die dem Interviewten signalisiert, dass die angesprochenen sensiblen Sachverhalte dem Interviewer bereits bekannt sind. Eine Bestätigung oder Ablehnung der damit verbunden Aussagen kann dem Befragten dann erheblich leichter fallen, da er keinen „Geheimnisverrat“ mehr begeht bzw. sich nicht „illoyal“ gegenüber seiner Organisation verhält. Wie TRINCZEK (2005: 219) bereits dargelegt hat, sind außerdem gerade Manager aufgrund des von ihnen oftmals erwarteten diskursiv-argumentatorischen Interviewverlaufs eher geneigt ihr Wissen zu teilen, je stärker der Interviewer selbst Position bezieht und damit Kompetenz demonstriert. Suggestivfragen einzusetzen hat sich deshalb forschungspraktisch bewährt.
3.2.6 Dokumentation der Interviews Die durchgeführten 56 Interviews variieren stark in der Dichte der Informationen und ihrer Länge, die zwischen 20 Minuten und zweieinhalb Stunden schwankt. Alle Interviews wurden schriftlich dokumentiert (wörtliche Transkriptionen bzw. Gedächtnisprotokolle), 42 von ihnen digital als Tondokumente aufgezeichnet. Diese Anzahl problemzentrierter Interviews
64 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
bietet eine vergleichsweise gute Basis für eine Auswertung (REUBER & PFAFFENBACH 2005: 139). Dass nicht alle der durchgeführten Interviews tonaufgezeichnet wurden, ist überwiegend äußeren Umständen geschuldet: Einige Interviewpartner wünschten keinen Tonbandmitschnitt, einige Male ließ der Lautstärkepegel der Umgebung keine erfolgreiche Aufzeichnung zu, in Einzelfällen versagte die Technik bzw. ihr Bedienender. In diesen Fällen wurden soweit möglich bereits während der Interviews Notizen angefertigt 37 und unmittelbar im Anschluss Gedächtnisprotokolle der Gesprächsinhalte niedergelegt. Auch wenn dies sicherlich im Vergleich zur unmittelbaren Tondokumentation keine ganz ideale Vorgehensweise – sondern eine erste Interpretationsleistung des Forschenden darstellt – konnten auf diese Weise wesentliche Aussagen zu den inhaltlich behandelten Thematiken dem Projekt gesichert werden. Die verschriftlichten Interviewdokumentationen wurden anschließend gegebenenfalls mit einem Postskriptum bzw. mit Zusatzprotokollen (FLICK 2002: 138; LAMNEK 1995: 98; GLÄSER & LAUDEL 2004: 187) versehen, die weitere Sachinformationen bzw. Eindrücke zur Person des Gesprächspartners, seiner organisationalen Funktion, zu den Rahmenbedingungen des Interviews und Bemerkungen zur Nachinterviewphase enthalten und so dazu beitragen, die Interviews angemessen interpretieren zu können.
3.2.7 Auswertung der Interviews als interpretativer Akt Während die Vergleichbarkeit der Erkenntnisse vornehmlich durch die thematische Fokussierung der Interviews und die Auswahl der Gesprächspartner sicher gestellt wird (MEUSER & NAGEL 1991: 451f), wird die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Vorgehens durch eine systematische Auswertung gewährleistet. Wie SEDLACEK (2002: 45) treffend festgestellt hat, ist „qualitative Forschung (…) weitgehend Textanalyse und zwar in der Regel Analyse relativ unstrukturierter Texte.“ Deshalb müssen die Textkorpora zunächst strukturiert werden. Hierfür wurden in der inhaltsanalytischen Auseinandersetzung mit den Interviewtexten Strukturkategorien als Suchraster entworfen, mit deren Hilfe die für die Fragestellung als relevant bewerteten Passagen unter Anwendung des Computerprogramms ALTLAS.TI extrahiert worden sind. GLÄSER & LAUDEL (2004: 193) verwenden bewusst den Begriff der Extraktion in Abgrenzung zu dem Begriff der Codierung. Dieser sei von einer Quantifizierungslogik durchdrungen, indem Texte indexiert und so verarbeitbar gemacht würde. Die Extraktion möchte demgegenüber dem Text Informationen entnehmen und diese interpretativ auswerten. „Extraktion heißt, den Text zu lesen und zu entscheiden, welche der in ihm enthal37
Zur Methodik und den Problemen bei der Anfertigung von (Feld-)Notizen vgl. FLICK (2002: 247).
FORSCHUNGSDESIGN UND METHODIK | 65
tenen Informationen für die Untersuchung relevant sind. Diese Informationen werden den Kategorien des Suchrasters zugeordnet, das heißt unter der entsprechenden Kategorie eingetragen“ (ebd.: 194). Dabei ist es möglich, eine Interviewpassage mit mehreren Schlagworten zu versehen. In dieser selektiv-interpretativen Auswertungsstrategie liegt ein Unterschied zu inhaltsanalytischen Methoden, wie sie mit stärker quantitativer Ausrichtung z. B. MAYRING (1997; 2000) beschrieben hat. In dem Relevanz bewertenden Vorgehen der Extraktion besteht nämlich bereits die erste Interpretationsleistung des Textes. Mit Hilfe des sich stetig verändernden Strukturrasters werden anschließend Textpassagen anderer Interviews extrahiert. Für den thematischen Vergleich der Aussagen werden anschließend „Passagen aus verschiedenen Interviews, in denen gleiche oder ähnliche Themen behandelt werden, (...) zusammengestellt“ (MEUSER & NAGEL 1991: 459). Für die Interpretation der Interviews werden dabei Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Abweichungen und Widersprüche in den Aussagen herausgearbeitet und mit Originalzitaten veranschaulicht. Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt im Kapitel 5.
3.3
Herausforderungen empirischen Arbeitens in der Arabischen Welt
Empirisches Arbeiten in der Arabischen Welt unterliegt im Vergleich zur Forschungspraxis in Europa oder Nordamerika erschwerten Bedingungen. Hierbei stehen gerade bei wirtschaftsgeographischen Themen nicht so sehr Sprachprobleme im Vordergrund. Als internationale Wirtschaftssprachen sind Englisch und Französisch so weit verbreitet, dass sprachliche Probleme i. d. R. beherrschbar sind und sich meist darauf beschränken, dass sich beide Seiten nicht in ihrer Muttersprache ausdrücken können. Ausdruck und Wortwahl sollten deshalb in der Interpretation der Interviews nicht überschätzt werden. Die wesentlichen forschungspraktischen Probleme empirischen Arbeitens in der Arabischen Welt liegen vielmehr in deren politischer und staatlicher Verfasstheit begründet. In Nordafrika und dem Nahen Osten existiert kein arabisches Land, das demokratischen Standards genügt. Stattdessen ergibt sich ein buntes Bild weitgehend unfreier monarchischer, autokratischer, autoritärer oder neo-patrimonialer Herrschaftsstrukturen. Gerade in nicht-demokratischen Systemen unterliegt empirische Forschung mannigfaltigen Restriktionen. Forschungsgenehmigungen und Auskünfte zu politisch-ökonomisch sensiblen Sachverhalten oder Fragen der Sicherheitspolitik sind nur schwierig zu erhalten. Diesen Problemen kann nur mit dem Aufbau von Vertrauen im Rahmen einer Intensivierung der Interviewinteraktion entgegengewirkt werden, die eine hohe soziale Kompatibilität des Interviewers und des Interviewten erfordert sowie hohe Ansprüche an
66 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
den Interviewer stellt. Das Risiko, dass ein Interview in Bezug auf sensible Fragestellungen nicht erfolgreich verläuft, ist dennoch hoch. Die Auskunftsdichte zu sensiblen Fragen fällt deshalb naturgemäß geringer aus, was in der Auswertung berücksichtig werden muss. Befragungen oder nicht-verdeckte Kartierarbeiten im öffentlichen Raum sind kaum möglich, (sekundär-)statistische Daten sind manches mal entweder aus politischen Gründen nicht oder nur unter erheblichen Mühen zu erhalten oder werden von staatlichen Institutionen gar nicht oder nicht konsistent erhoben. Die in der vorliegenden Arbeit präsentierten offiziellen sekundärstatistischen Daten konnten vor diesem Hintergrund nur unter großen Mühen zugänglich gemacht werden. Der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nochmals spürbar abnehmenden Auskunftsfreudigkeit arabischer Behörden über Investitionsströme war nur mit Hilfe teils kreativer und unorthodoxer Methoden Abhilfe zu leisten. Wie der deutsche Wirtschaftswissenschaftler WURZEL (2000: 1) diagnostiziert hat, stellt insbesondere Ägypten „ein extrem schwieriges Terrain für empirische Forschungsarbeiten dar, da verlässliche statistische Dokumentationen weitgehend fehlen“, oder nur sehr schwierig zugänglich sind, denn „erschwerend tritt hinzu, dass die ägyptische Seite auch vor Verschleierungsmanövern und bewussten Irreführungen (...) nicht zurückscheut. Damit geht ein massives Misstrauen sämtlicher staatlicher Stellen gegenüber externen Beobachtern allgemein und ausländischen Wirtschaftsforschern im Besonderen einher“ (ebd.). Nach meinen Erfahrungen ist es deshalb erforderlich, persönliche Netzwerke mit Personen zu etablieren, die bereit sind, über das übliche und offizielle Maß hinaus Informationen zugänglich zu machen und weitere Informationskanäle zu eröffnen. Die Etablierung dieser Netzwerke ist enorm zeitaufwendig. Ohne Vor-Ort-Präsenz und „Face-to-Face“-Kontakt lassen sich kaum Informationen und noch nicht einmal offizielle Veröffentlichungen von Statistiken erhalten, geschweige denn speziellere Daten gewinnen. Trotzdem weisen die so erlangten Datenreihen oftmals Lücken oder statistische und logische Brüche und Inkonsistenzen auf, die sich einer nachträglichen Rekonstruktion weitgehend entziehen. Zeitreihen von Daten aus unterschiedlichen staatlichen Quellen wiesen so z. T. nicht nur deutliche Abweichungen, sondern sogar gelegentlich gegenläufige Trends auf. Die Auswahl der Daten konnte in derartigen Fällen nur nach ihrer Plausibilität erfolgen. Es muss deshalb nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass trotz der aufgewendeten Sorgfalt statistische Daten mit Vorbehalt zu interpretieren sind.
4
Eine Situation wird unbestimmt: zur Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt
Die historisch gewachsene Nachfrageentwicklung und -struktur stellen wesentliche Kontexte organisationaler Handlungen der Tourismusunternehmen dar und spannen damit im Sinne einer Pfadabhängigkeit 38 den Handlungsrahmen für zukünftige Entwicklungen auf. Deshalb soll – obwohl die vorliegende Arbeit sich empirisch auf die Krisenreaktionen transnationaler Unternehmen konzentriert – in diesem Kapitel ein knappes Bild der Entwicklung und Struktur der touristischen Nachfrage sowie der Akteursstruktur in der Tourismuswirtschaft Nordafrikas und des Nahen Ostens vermittelt werden. Ohne ihre Darlegung bliebe eine Analyse der Handlungen der angebotsschaffenden Akteure entankert. Die historisch gewachsene Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt wird nachfolgend im DEWEYschen Sinne als Ergebnis vergangener Forschungsprozesse interpretiert. 39 Aus dieser pragmatischen Perspektive (vgl. Kapitel 2.1) dient die Schilderung des Handlungskontextes erstens dazu, ein Bild der „bestimmten Situation“ vor Eintritt in den hier untersuchten Forschungsprozess der Tourismusunternehmen zu skizzieren. Zweitens ist es mit Hilfe der Schilderung des Handlungskontextes und der Folgen der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers für die touristische Nachfrage in der Region 38
39
Zum Konzept der Pfadabhängigkeit vergleiche den Überblicksartikel von MARTIN (2006). Die Relevanz des Konzeptes im Rahmen organisationaler Lernprozesse, wird eingehender im Kapitel 5.3.1.2 thematisiert. Damit verbunden ist gleichzeitig, dass die nachfolgende Schilderung nicht als eine Art „verkappte“ realistische Darstellung missinterpretiert werden sollte. Sie ist vielmehr ganz im Sinne des Pragmatismus als Konstruktionsleistung und Situationsinterpretation zu interpretieren, die im Rahmen meines Forschungsprozesses entstanden ist.
68 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
möglich zu verstehen, warum und inwiefern die geschilderte Situation für die Tourismusunternehmen in der Region nach dem 11. September fraglich wurde. Beides ist deshalb von erhöhter Wichtigkeit, da die historischsozial entstandene Situationsdefinition erheblichen Einfluss auf Problemidentifikation und Hypothesenbildung ausübt und damit potenzielle Problemlösungsstrategien der Unternehmen beeinflusst. Die organisationalen Krisenreaktionen von Tourismusunternehmen ohne eine Situationsanalyse verstehen zu wollen, wäre deshalb aus pragmatischer Perspektive heraus zum Scheitern verurteilt.
4.1
Entwicklung und Struktur der Tourismusnachfrage in Nordafrika und dem Nahen Osten bis zum Jahr 2000
Die Entwicklung des internationalen Tourismus in der Moderne blickt in Nordafrika und dem Nahen Ostens auf ein lange Geschichte zurück. Mit Napoleons Ägypten-Expedition im beginnenden 19. Jahrhundert wird in Europa ein bis dahin ungekanntes gesellschaftliches Interesse für die Arabische Welt angeregt. Die Napoleon begleitenden Wissenschaftler publizieren nach dem gescheiterten Feldzug die Description de l’Égypte, die ein starkes Interesse der europäischen Oberschicht an den ägyptischen Altertümern auslöst (IBRAHIM & IBRAHIM 2005: 138). Die Reisen von Schriftstellern, Malern und Photographen in die Region und die Verbreitung ihrer Gemälde und Photographien in Europa bedient maßgeblich die Entstehung eines romantisch-verklärten und exotistisch geprägten Orientbildes, das zu immer mehr Reisen des Adels und der bürgerlichen Oberschicht nach Nordafrika und in die Levante anregt (BERGAOUI 2003: 13f; GREGORY 1999, 2001; SAID 2003). Insbesondere die Photographien von Lehnert & Landrock aus Nordafrika (FAVROD & ROUVINEZ 1998) prägen das Bild der Europäer. In dieser orientalistischen Perspektive wird der Orient als das kontrastierende irrationale, exotische, geheimnisvolle und mystische Gegenüber Europas konstruiert. Nur in der Abgrenzung von diesem als grundsätzlich different wahrgenommen „Anderen“ ist es möglich, sich einer gemeinsamen europäischen Identität und Kultur zu versichern. Der Orient wird damit als Differenzbildner integraler Bestandteil europäischer Identität (SAID 2003: 1f). Insofern ist es nicht verwunderlich, dass seit Anbeginn der touristischen Entwicklung Nordafrikas und des Nahen Ostens, „orientalische Exotik“ sowie kunst- und kulturgeschichtliche Attraktionen die initialen Anziehungspunkte für den zunächst europäisch dominierten, internationalen Tourismus darstellen (GREGORY 1999). Thomas Cook, der nicht nur das Konzept der Pauschalreise erfindet, sondern als Wegbereiter des weltweiten Massentourismus gelten kann
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 69
(GRAY 1998: 92), bietet 1869 schließlich die erste komplett organisierte und geführte Reise nach Oberägypten an (HUNTER 2003: 160). Cook weitet seine Aktivitäten schnell auch nach Syrien und Palästina aus und expandiert im gesamten nordafrikanischen Bereich. Das Unternehmen richtet nacheinander Büros in Kairo (1872), Jaffa (1874), Jerusalem (1881), Konstantinopel (1883), Algier (1887), Tunis (1901) und Karthum (1901) ein (ebd.: 157). 40 Bereits weit vor der Jahrhundertwende und befördert durch die Kolonisierung 41 der Arabischen Welt durch Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien dehnt sich so ein stetig wachsender Tourismus auf Nordafrika und die Levante im Zuge einer Erweiterung der so genannten „Grand Tour“ aus, der sich auf die heiligen Stätten, antiken Ruinen und großen Metropolen konzentriert (HAZBUN 2007; HOLDEN 2005; HUNTER 2003, 2006; LÜSEBRINK 1991; MCLAREN 2006; PERKINS 2006; REID 2006). Wie GREGORY anhand des ägyptischen Beispiels darlegt, sind deshalb viele der heute noch persistenten Tourismusstrukturen in der Arabischen Welt ohne den Rückgriff auf ihre historisch-kulturelle Entwicklung nicht zu verstehen (GREGORY 1999, 2001). Da der Tourismus in dieser Zeit jedoch fast ausschließlich ein Oberschichtphänomen darstellt, bleibt die Anzahl der Touristenankünfte vor den Weltkriegen nach unseren heutigen Maßstäben bescheiden und beläuft sich bspw. in Ägypten vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gerade einmal auf geschätzte 50.000 jährlich (IBRAHIM & IBRAHIM 2005: 138). Im Zuge der Unabhängigkeit der arabischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg bahnt sich dann, oft staatlich gelenkt, eine Expansion des Tourismus an. Insbesondere Tunesien, aber auch Ägypten bauen ihre touristische Infrastruktur aus und können so erhebliche Zuwächse der Touristenzahlen verzeichnen. Während sich in Tunesien seit den 1970er Jahren vor allem eine Angebotsentwicklung für den einsetzenden europäischen Massenbadetourismus Bahn schlägt, konzentrieren sich die anderen arabischen Staaten Nordafrikas und der Levante zunächst weiterhin auf die klassischen Segmente des Kultur- bzw Pilgertourismus. Die Expansion der tou40
41
Um eine bessere Lesbarkeit zu erreichen, folgt die Umschrift arabischer Begriffe und (Orts-)Namen im Weiteren nicht immer entsprechend den internationalen Transkriptionsregeln, sondern orientiert sich stattdessen an weithin etablierten Schreibweisen im deutschen Sprachraum. Die touristische Entwicklung verläuft, wie HUNTER (2006) ausführt, weitestgehend parallel zur Kolonisierung der Arabischen Welt und nimmt folgerichtig ihren Anfang 1830 mit der Eroberung Algeriens durch die Franzosen. Wie HUNTER an anderer Stelle am ägyptischen Beispiel ausführt (2003: 163) bestand eine enge Verzahnung von Imperialismus und Tourismus, die beispielsweise Thomas Cook beim Ausbau seines Unternehmens und andererseits Großbritannien beim Ausbau seines Empires half. So organisiert Thomas Cook bspw. nach der Schlacht von Tel-Kabir die Evakuierung der verwundeten britischen Soldaten mit einem Dampfschiff und organisierte 1884-85 Truppentransporte in den Sudan.
70 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
ristischen Märkte der Arabischen Welt beginnt in den 1980er Jahren Fahrt aufzunehmen, die dynamischste Expansionsphase ist zumeist jedoch erst ab den 1990er Jahren zu verzeichnen. Die jüngere Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt ist vor allem durch ein im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich starkes Wachstum des internationalen Tourismus gekennzeichnet (vgl. Tabelle 6). 42 Der 1990 noch wenig touristisch entwickelte Oman kann im Laufe der 1990er Jahre eindrucksvolle durchschnittliche Wachstumsquoten von mehr als 25 % jährlich realisieren. Aber auch bereits etablierte touristische Destinationen wie Ägypten, Jordanien und Syrien erreichen durchschnittliche Wachstumsraten von mehr als 11 % bzw. 15 %. Selbst die im Jahr 1990 größte internationale Tourismusdestination der Arabischen Welt, Tunesien, kann mit einem jährlichen durchschnittlichen Wachstum von 5,8 % den weltweiten Durchschnitt von 5,1 % überbieten. Durch dieses starke Wachstum gelingt es den Weltmarktanteil von geschätzten 3,6 % 1990 auf rund 4,8 % im Jahr 2000 zu steigern.
42
Die vorliegende Zusammenstellung ist das Ergebnis äußerst aufwändiger Datenrecherchen, da die einzelnen Länder und auch die Welttourismusorganisation nicht zwingend vergleichbare Datenniveaus veröffentlichen. Üblicherweise geben die veröffentlichten Daten für Algerien, Libyen, Ägypten, Syrien, Kuwait und Bahrain Besucherankünfte (Visitor Arrivals) anstatt Touristenankünfte (Tourist Arrivals) an. Erstere umfassen jedoch im Gegensatz zu letzteren auch Tagestouristen und würden eine vergleichende Übersicht daher stark verzerren. Die präsentierten Daten, insbesondere aus Algerien und aus den Golfländern, müssen zudem mit großer Vorsicht interpretieren werden, da verschiedene Quellen unterschiedliche Werte und sogar unterschiedliche Trends angeben. Die Probleme höchst inkonsistenter Datenreihen mögen einerseits darin begründet sein, dass einige Staaten erst im Verlauf der 1990er Jahre konsistente statistische Erfassungssysteme für ihre Tourismuswirtschaft aufgebaut haben. So hat Saudi-Arabien z. B. seine Statistiken erst im Jahr 2000 den Standards der WTO angepasst und erst im Jahr 2004 Touristenvisa für Gruppenreisen eingeführt. Bis dahin galten religiöse Pilgereisen nach Mekka im Zuge von Hadj und Umrah nicht als touristische Aktivitäten und waren daher in den Tourismusstatistiken nicht enthalten (BURNS 2007). Andererseits sind jedoch auch Fälschungen oder statistische Fehler als Ursache nicht auszuschließen, wie sie ZOUBIR (2001: 220f) bspw. für die algerischen Daten vor 1995 vermutet. Die Widersprüchlichkeit der Daten setzt sich in den von der WTO publizierten Daten fort. Die Angaben zahlreicher Publikationen der WTO weichen z. T. erheblich voneinander ab. Die vorliegende Zusammenstellung hat sich mit Hilfe von Plausibilitäts- und Konsistenzprüfungen einer großen Menge von Datenquellen bemüht, die vorhandenen Inkonsistenzen so weit wie möglich zu reduzieren und eine Vergleichbarkeit der Daten herzustellen. Hierzu wurde versucht ausschließlich die internationalen Touristenankünfte darzustellen, was bis auf den Fall Algeriens auch geglückt ist. Da eine Präsentation der internationalen Touristenankünfte Ziel war, mussten dazu die Daten für Marokko, Algerien, Jordanien und die VAE um die Ankünfte von im Ausland lebenden Staatsbürgern bereinigt werden.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 71
Tabelle 6:
Entwicklung der internationalen Touristenankünfte in der Arabischen Welt zwischen 1990 und 2000 in Millionen
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 jährl. Wachstum Marokko Algerien Tunesien Libyen Ägypten Jordanien Syrien Libanon SaudiArabien Kuwait Bahrain Katar VAE(3) Oman Jemen Summe Welt gesamt Weltmarktanteil (4)
2,978 3,190 3,252 2,945 2,293 1,524 1,632 1,679 1,813 2,153 2,325 -2,2 % 0,686 0,722 0,624 0,572 0,336 0,098 0,093 0,095 0,107 0,141 0,176 k. A.(1) 3,204 3,224 3,534 3,656 3,856 4,120 3,885 4,263 4,718 4,832 5,058 5,8 % 0,096 0,090 0,089 0,063 0,052 0,056 0,088 0,050 0,032 0,178 0,174 8,1 % 2,411 2,112 2,944 2,291 2,356 2,871 3,528 3,656 3,213 4,490 5,116 11,2 % 0,572 0,437 0,661 0,766 0,858 1,075 1,106 1,132 1,490 1,463 1,240 11,7 % 0,562 0,622 0,684 0,703 0,718 0,815 0,830 0,891 1,267 1,386 1,416 15,2 % k. A. k. A. 0,210 0,311 0,380 0,450 0,424 0,558 0,631 0,673 0,742 31,7 %(2) 2,209 2,094 2,582 2,869 3,229 3,325 3,458 3,594 3,700 k. A. 6,585 k. A.(1) 0,015 0,004 0,065 0,073 0,073 0,072 0,076 0,079 0,077 0,084 0,078 0,7 %(2) 1,376 1,674 1,419 1,450 1,560 1,396 1,201 1,571 1,750 2,019 2,420 7,6 % 0,136 0,143 0,141 0,160 0,241 0,294 0,327 0,333 0,320 0,357 0,378 17,8 % 0,633 0,717 0,944 1,088 1,239 2,107 2,339 2,200 2,663 2,973 3,311 k. A.(1) 0,149 0,161 0,192 0,256 0,283 0,279 0,349 0,376 0,424 0,503 0,571 28,3 % 0,052 0,044 0,072 0,070 0,040 0,061 0,074 0,080 0,088 0,058 0,073 4,0 % 16,5
16,6
19,
18,9
19,1
20,2
21,2
22,7
24,7
24,3
33,2
10,1 %(4)
455,9 446,0 503,0 518,0 544,0 550,4 594,0 611,0 625,0 639,6 689,0 5,1 % 3,6% 3,6% 3,8% 3,7% 3,5% 3,7% 3,6% 3,7% 4,0% 3,8% 4,8%
(1) (2)
Nicht berechenbar wegen statistischer Inkonsistenzen Die Werte für den Libanon bzw. Kuwait errechnen sich aus den Zeiträumen 1992-2000 bzw. 1994-2000 (3) Daten für die VAE beziehen sich für den Zeitraum vor 1995 nur auf Dubai (4) Der errechnete Weltmarktanteil sollte wegen nicht zu beseitigender Dateninkonsistenzen insgesamt eher als Schätzwert, denn als statistisch belastbare Größe verstanden werden. Quellen: Europäische Kommission 2001; MoT (div. Jahre); WTO 1992; 1993; 1994; 1995; 1996; 1997a; 1997b; 1999; 2000a; 2000b; 2001; 2003a; 2003b; 2005; 2007
Das Wachstum der Touristenankünfte und der steigende Weltmarktanteil der Region am internationalen Tourismus geht einher mit einem weltweit zu beobachtenden Wandel von fordistischen zu postfordistischen Angebots- und Nachfragestrukturen (BUHALIS 2001; IOANNIDES & DEBBAGE 1998b; MEETHAN 2001; RITZER & LISKA 2000) sowie einer Diversifizierung des touristischen Angebots (Aufbau neuer Destinationen, Erschließung peripherer Regionen für den Tourismus und Entwicklung neuer Tou-
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rismustypen) 43 , die in den touristisch boomenden Ländern der Region wie Ägypten oder den VAE deutlich sichtbar sind (AL-HAMARNEH 2004; ALHAMARNEH & STEINER 2004; KAGERMEIER 2001; KAGERMEIER & POPP 2000; PFAFFENBACH 2001). In vielen Stranddestinationen prägen Ferienanlagen mittlerweile ganze Küstenabschnitte (KAGERMEIER 2001, 2004; STEINER 2004). Auch der Binnentourismus gewinnt zunehmend an Bedeutung und prägt in verstärktem Maß die Standort- und Destinationsentwicklung (BERRIANE 1999; IBRAHIM & IBRAHIM 2005; MEYER 2004; MEYER & GLASZE 2003; PFAFFENBACH 2001).
4.1.1 Tourismusentwicklung in Nordafrika und der Levante 1990 bis 2000 Forschungsarbeiten zur touristischen Nachfrageentwicklung in Nordafrika und der Levante liegen in umfangreichem Maße vor (vgl. Tabelle 7), wozu vor allem deutsche Wissenschaftler und hier insbesondere Geographen einen erheblichen Beitrag geleistet haben. Tabelle 7:
Bezugsraum
Jüngere Beispiele der wissenschaftlichen Behandlung der Tourismusentwicklung in Nordafrika und der Levante Beispiele wissenschaftlicher Publikationen seit 1995
Marokko
AIT HAMZA & POPP 2000; BARBIER 2001; BELLAOUI 1996; BERRIANE 1999; KAGERMEIER 2001, 2004; LESSMEISTER 2004; LESSMEISTER & POPP 2004; POPP 1991, 2000; WEIß 1999 Algerien FRAHI 1998; KAGERMEIER 2004 Tunesien HÖHMANN & ZEHNER 1999; KAGERMEIER 2001, 2004; KASSAH 1997; PASKOFF 2004; POPP 2000; ROUSSEAUX 2005 Libyen BRAUN et al. 2008; DITTMANN 2001; PFAFFENBACH 2001 Ägypten HAZBUN 2007; HOMA 2007; MEYER 1996a, 1996b, 2004; MEYER & GLASZE 2003; STANDL 2003; STEINER 2004; VON SARNOWSKI 2004; WAHAB 1996a; WOLF & BRECHT 2001 Jordanien AL-MAHADIN 2007; BARHAM 2004; DAHER 2007; KOPP & BARHAM 2002 Syrien HOPFINGER 2004; KOPP & BARHAM 2002 Libanon DAHER 2007; GLASZE 1999, 2004 Levante KAGERMEIER & POPP 2000 Anm.: Ausgeklammert wurden Studien mit Fokus auf Angebotsentwicklung und politischer Ökonomie des Tourismus. Quelle: Eigene Zusammenstellung
43
Hier sind in der Arabischen Welt vor allem Trekkingtourismus (Marokko), Wüstentourismus (Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, VAE, Oman) und Golftourismus (Tunesien, Ägypten, VAE) zu nennen (AIT HAMZA & POPP 2000; BERRIANE & POPP 1999; KAGERMEIER 1999, 2001, 2004; KAGERMEIER & POPP 2000; LESSMEISTER & POPP 2004; PFAFFENBACH 2001; POPP 2000, 2001a)
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Im Maghreb werden ihre Studien vor allem von Kollegen aus Frankreich, bzw. den frankophonen Staaten Nordafrikas ergänzt, während angloamerikanische Forscher sich häufig auf die ehemals britisch verwalteten Gebiete konzentrieren. Die touristischen Hauptdestinationen der Region liegen im Jahr 2000 in Ägypten, Tunesien und Marokko (vgl. Abbildung 4). Ägypten kann mit seinen antiken Sehenswürdigkeiten, Bade- und Tauchdestinationen im Jahr 2000 rund 5,1 Mio. Touristen anziehen und trotz innenpolitischer und erheblicher Sicherheitsprobleme ein durchschnittliches jährliches Wachstum zwischen 1990 und 2000 von 11,2 % realisieren. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Ägypten beträgt im Jahr 2000 sechs Nächte. Von allen Besuchern 44 des Landes stammen rund 73 % aus den westlichen Industriestaaten. 45 Arabische Touristen besuchen Ägypten traditionell im Rahmen von Städtereisen nach Kairo und Alexandria, bei denen Unterhaltung, Einkaufen und Kultur- bzw. Strandleben im Vordergrund stehen. Immer größerer Beliebtheit bei arabischen Touristen erfreuen sich zudem auch die Badedestinationen an der Mittelmeerküste und am Roten Meer, so dass im Jahr 2000 immerhin 18 % der Besucher in Ägypten aus der MENA-Region stammen. Syrien verzeichnet in den 1990 Jahren ein noch stärkeres Wachstum seiner Touristenzahlen von durchschnittlich 15,2 % und zieht im Jahr 1999 rund 1,4 Millionen Touristen an, die vor allem seine kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten, christlichen und islamischen Pilgerziele, die dynamischen Metropolen Damaskus und Aleppo und seine Sommerfrischeziele im Bergland aufsuchen. 44
45
Hier sei nochmals auf den Unterschied zwischen Besucherankünften (Visitor Arrivals) und Touristenankünften (Tourist Arrivals) in den Statistiken der World Tourism Organization verwiesen. Für Algerien, Libyen, Ägypten, Kuwait und Bahrain werden nach Herkunftsregionen differenzierte Daten nur für Besucherankünfte veröffentlicht. Alle im Folgenden angegebenen Daten und Angaben über Touristenankünfte stammen – soweit nicht anders angegeben – von der WTO (s. Quellenangaben Tabelle 6). Unter der Kategorie „westliche Industriestaaten“ wurden folgende Regionskategorien der World Tourism Organisation zusammengefasst: Nordamerika, Nord-, West- und Südeuropa (außer der Türkei) sowie Australien und Neuseeland. Mir ist bewusst, dass der Terminus „westliche Industriestaaten“ einen problematischen Begriff darstellt, denn er droht mit der Unterscheidung in Touristen aus westlichen Industriestaaten und in Touristen aus arabischen Ländern dazu beizutragen, die eingangs kritisch angerissene Differenzkonstruktion zwischen Orient und Okzident zu reproduzieren. Andererseits ist es aufgrund des im Durchschnitt recht unterschiedlichen Nachfrageverhaltens von arabischen und nichtarabischen Touristen sinnvoll hier eine Kategorisierung vorzunehmen. Diese soll daher in erster Linie als eine geographische Einteilung der Quellmärkte verstanden werden und kein dualistisches Kulturkonzept postulieren. Die Problematik der verwendeten Begrifflichkeit wird in Kapitel 4.3.2 im „Exkurs – von Kulturkonzepten und Raumabstraktionen“ noch näher aufgegriffen und diskutiert.
Abbildung 4: Entwicklung des Tourismus in Nordafrika und der Levante zwischen 1990 und 2000
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Die Touristen stammen weit überwiegend aus anderen arabischen Ländern und werden von einer geringen Anzahl Touristen aus den westlichen Industrieländern ergänzt, die das Land vor allem wegen der reichhaltigen Kulturgüter besuchen (HOPFINGER 2004). Die Struktur der Touristenherkunft mit 67 % der Touristenankünfte aus der MENA-Region und nur rund 13 % der Ankünfte aus den westlichen Industriestaaten im Jahr 1999 46 bildet damit fast ein Spiegelbild der Verhältnisse in Ägypten, wobei die Bedeutung des arabischen Tourismus nicht überschätzt werden darf: Der intraregionale Tourismus zeichnet sich gerade einmal für 39 % aller Übernachtungen verantwortlich, wohingegen auf interregionale Touristen 40 % aller Übernachtungen entfallen (WTO 2003: 102f). Marokko und Tunesien weisen im Jahr 2000 2,3 bzw. 5,0 Mio. Touristenankünfte aus und sind mit 88 % bzw. 68 % Touristen aus den westlichen Industriestaaten überwiegend das Ziel europäischer Touristen. In Marokko besuchen die Europäer oftmals in Form von Rundreisen die kulturellen Sehenswürdigkeiten und großen Städte mit ihren gut erhaltenen Altstädten. Zunehmend wichtiger wird jedoch auch für Marokko das Segment des Badetourismus, dessen Standorte sich vorwiegend im Süden im Bereich von Agadir konzentrieren (POPP 1991). Im Vergleich zu den anderen arabischen Staaten fällt auf, dass Marokko in den 1990er Jahren sein touristisches Potenzial nicht adäquat abrufen kann und sich mit einem negativen durchschnittlichen jährlichen Wachstum von -2,2 % auf dem letzten Platz aller arabischen Länder befindet. Dies ist jedoch fast ausschließlich einer Schließung der Grenze zu Algerien geschuldet, die erhebliche Rückgänge der Einreisen aus dem Nachbarland verursacht (KAGERMEIER 2004: 391f). Tunesien ist im Jahr 1990 die größte Destination der Arabischen Welt mit rund 3,2 Mio. Touristen. Um so erstaunlicher ist es, dass das Land im Laufe der 1990er Jahre trotzdem ein durchschnittliches Wachstum von 5,8 % realisieren kann, das somit deutlich über dem Weltdurchschnitt liegt. Dies erklärt sich z. T. über sehr preisaggressive Strategien Tunesiens mit dem auf die touristischen Massenmärkte abgezielt wird. Daher dominiert in Tunesien seit vielen Jahren der europäische Badetourismus an den Küsten des Mittelmeeres die Struktur der Destination, wenn auch kulturhistorische Sehenswürdigkeiten und wüstentouristische Angebote in Form von Ausflügen oder Rundreisen nachgefragt werden (BIERWIRTH 1987; KAGERMEIER 2004). Die verhältnismäßig lange Verweildauer der Touristen in Hotels von durchschnittlich 6,6 Nächten im Jahr 2000 spiegelt die starke Position Tunesiens im internationalen Pauschaltourismus wider. Algerien spielt bislang wegen des Bürgerkriegs, der von 1992 bis 2003 angedauerte, nur eine untergeordnete Rolle im Tourismus Nordafrikas und 46
Nach Herkunftsregionen differenzierte Daten sind für Touristenankünfte im Falle Syriens nur für das Jahr 1999, nicht aber für das Jahr 2000 verfügbar.
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kann im Jahr 2000 nur 176.000 Besucher anziehen. Noch Anfang der 1990er Jahre sind die Einreisen nach Algerien mit 686.000 Besuchern relativ hoch. Ein erheblicher Teil davon besteht jedoch aus Staatsangehörigen anderer Maghrebstaaten, die Preisvorteile der in Algerien stark subventionierten Grundnahrungsmittel und Medikamente für sich nutzen. Diese Praxis findet im Jahre 1994 ein Ende als die Grenze zwischen Marokko und Algerien geschlossen wird, weil Marokko den algerischen Geheimdienst für einen Terroranschlag in Marrakesch verantwortlich macht. Bedingt durch den 1992 beginnenden Bürgerkrieg bleibt Algerien trotz eines hohen kulturellen und naturlandschaftlichen Potenzials hinter den Möglichkeiten seiner touristischen Entwicklung zurück (ZOUBIR 2001). Eine touristische Entwicklung Libyens ist aufgrund der von 1993 bis 2003 geltenden UN-Sanktionen faktisch unmöglich. Bereits Ende des letzten Jahrtausends leitet Libyen jedoch mit einer massiven Öffnungsstrategie für den europäischen Quellmarkt seine touristische Entwicklung ein. Seit dem Fall der Sanktionen entwickelt sich Libyen zu einer zunehmend wichtigeren Tourismusdestination, u. a. als Markführer im reinen Wüstentourismussegment (KAGERMEIER 2001). Den klassischen Marktsegmenten des Rundreise-, Besichtigungs- und Kulturtourismus sowie des Badetourismus wird auch in Libyen eine äußerst dynamische Marktentwicklung prognostiziert (DITTMANN 2001). Den entsprechenden politischen Willen der libyschen Regierung vorausgesetzt, könnte sich das Land damit zu einem möglichen „Emerging Market“ (POPP 2000) im Tourismus Nordafrikas entwickeln. Im Jahr 2000 überwiegen jedoch in Libyen die Besucher aus Nordafrika sowie dem Nahen Osten mit 55 % bzw. 41 % der rund 963.000 Ankünfte. Hinsichtlich der Ankünfte aus den Staaten Nordafrikas ist zudem kritisch anzumerken, dass sie zu einem recht großen Teil keinen Tourismus im engeren Sinn repräsentieren, sondern vielfach Symptome eines blühenden grenzüberschreitenden Kleinhandels darstellen. Dementsprechend waren im Jahr 2000 rund 82 % aller Einreisenden Tagestouristen. Von nur 176.000 Touristen im Jahr 2000 entfallen mit rund 33.000 gerade einmal 18 % auf Reisende aus den westlichen Industriestaaten. Ein erheblicher Teil dieser Reisenden dürfte hierfür geschäftliche Gründe gehabt haben. Das touristische Potenzial des Tourismus in der Levante ist vor allem in deren kultureller und landschaftlicher Vielfalt zu sehen, die mit ihren religiösen Stätten, historischen Sehenswürdigkeiten und pulsierenden Metropolen wie Damaskus und Beirut eine große Anzahl westlicher aber vor allem auch arabischer Besucher anzieht (AL-HAMARNEH 2005; ALHAMARNEH & STEINER 2004; GLASZE 2004; HOPFINGER 2004; KOPP & BARHAM 2002). Der Libanon ist bereits vor dem Bürgerkrieg als „Paris des Orients“ in der Arabischen Welt berühmt. Als Sommerfrischedestination wird er Ziel zahlreicher wohlhabender arabischer Touristen und kann bereits im Jahr
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1974 mehr als 1,4 Mio. Touristenankünfte verbuchen (GLASZE 1999). Nach dem Ende des Bürgerkriegs (1975-1990) durchläuft der Libanon, gestärkt durch den Wiederaufbau des Stadtzentrums in Beirut (SCHMID 2002) und befördert durch das schnell wieder zunehmende Interesse europäischer Touristen an den reichen, historischen Kulturgütern des Landes eine äußerst positive Tourismusentwicklung (GLASZE 2004). Im Jahr 2000 besuchen bereits wieder 742.000 Touristen das Land, wovon 41 % aus der MENA-Region und 42 % aus den westlichen Industriestaaten stammten, wobei viele der Touristen aus den westlichen Industriestaaten libanesische Migranten darstellen dürften, die zwischenzeitlich die Staatsangehörigkeit der Länder ihres Wohnsitzes angenommen haben. Zwischen dem Jahr 1992 und 2000 belegen durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von rund 32 % in beeindruckender Weise den rasanten Wiederaufstieg des Libanon zu einer Tourismusdestination ersten Ranges in der Region. Jordanien kann vor allem in drei Bereichen vom internationalen Tourismus profitieren. Zum Einen bietet das Land mit seinen antiken Städten bedeutende Attraktionen, zum Anderen profitiert Jordanien nicht unerheblich vom christlichen Pilgertourismus zu den biblischen Stätten östlich des Jordans. Drittens stellen seine spektakulären Naturräume wie das Tote und das Rote Meer oder die Wüstengebiete des Wadi Mujeb und des Wadi Rum bedeutende touristische Anziehungspunkte dar (BARHAM 2004). Dennoch stammen im Jahr 2000 nur 33 % der insgesamt 1,24 Mio. internationalen Touristen aus den westlichen Industrieländern. Dies lässt sich auf zwei Umstände zurückführen: erstens profitiert Jordanien von seiner Lage als Transitland zwischen Saudi-Arabien, den Golfstaaten und Syrien, weshalb alle auf dem Landweg Reisenden Jordanien passieren müssen. Auf diese Transitposition, in weit geringerem Maße auch auf Tagestouristen aus Israel und den besetzten Gebieten, ist es deshalb zurückzuführen, dass im Jahr 2000 41 % aller Besucher Jordanien am Tag ihrer Einreise wieder verlassen. Zweitens hat sich Amman zu einem bedeutenden Wirtschaftszentrum innerhalb der Arabischen Welt entwickelt, in dem bspw. ein großer Teil der transnationalen Geschäfte mit dem Irak abgewickelt wird. Der Prozentsatz der Touristen aus der MENA-Region liegt mit 61 % im Jahr 2000 dementsprechend hoch. Eines der wesentlichen Hauptprobleme der Tourismusentwicklung in Nordafrika und der Levante besteht in den immer wieder aufflammenden regionalen politischen Konflikten sowie in wiederkehrenden gewalttätigen politischen Unruhen.47 Sie beeinflussen die touristische Nachfrage in der gesamten Region nachhaltig negativ und verursachen immer wieder tem47
Hier ist vor allem der Nahostkonflikt zu nennen, jedoch spielen auch die Kriege am Persisch-Arabischen Golf, terroristische Aktivitäten in Israel, Palästina und Ägypten sowie Entführungen von Reisenden in der algerischen Sahara eine nicht unerhebliche Rolle.
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poräre Einbrüche der Touristenankünfte (BEIRMAN 2002; GLASZE 1999; HOLLIER 1991; KOPP & BARHAM 2002; MEYER 1996b; MANSFELD 1996, 1999; POIRIER 2001; SAKR & MASSOUD 2003; STANDL 2003; STEINER 2007; WAHAB 1996a). 48 Innerhalb Ägyptens ist der Süd-Sinai bei zunehmender Diversifizierung und starkem Ausbau des touristischen Angebotes besonders durch den Palästina-Konflikt in seiner Entwicklung betroffen (SANMARTIN 1999; VON SARNOWSKI 2004). Die touristische Entwicklung in Palästina ist wegen der schwierigen Lage durch die israelische Besatzung weit davon entfernt, eine Art von „Normalität“ zu erreichen. Bedingt durch die kriegerischen Auseinandersetzungen im immer wieder offen aufflammenden Nahostkonflikt bleibt sie weit hinter ihrem Potenzial zurück. Aufgrund der instabilen Situation sind belastbare Aussagen zur touristischen Entwicklung der besetzten Gebiete äußerst schwierig zu treffen. Die touristische Entwicklung Palästinas vor dem Hintergrund der politischen Komplexität einer über 40jährigen Besatzungsgeschichte auch nur grob skizzieren zu wollen, würde daher den hier gesetzten Rahmen sprengen und wird deshalb nicht weiter verfolgt.
4.1.2 Tourismusentwicklung in den Staaten der Arabischen Halbinsel von 1990 bis 2000 Der Forschungsstand zur touristischen Nachfrageentwicklung der Länder am Persisch-Arabischen Golf stellt sich im Vergleich zu dem in Nordafrika und der Levante als äußerst unbefriedigend dar (vgl. Tabelle 8). Tabelle 8
Bezugsraum Kuwait Irak Saudi-Arabien Bahrain Katar VAE
Oman Jemen Anm.: Quelle:
48
Jüngere Beispiele der wissenschaftlichen Behandlung der Tourismusentwicklung in den Staaten der Arabischen Halbinsel Beispiele wissenschaftlicher Publikationen seit 1995 (keine bekannt) (keine bekannt) BURNS 2007; SEDDON & KHOJA 2003 (keine bekannt) (keine bekannt) HENDERSON 2006; JUNEMO 2004; SHARPLEY 2002 (Tourismusentwicklung als Teil von Länderstudien: DAVIDSON 2005; SCHARFENORT 2004) MERSHEN 2007 BURNS & COOPER 1997; WILLHARDT 2002
Ausgeklammert wurden Studien mit Fokus auf Angebotsentwicklung und politischer Ökonomie des Tourismus. Eigene Zusammenstellung
Hierauf wird im Besonderen noch in Kapitel 4.2 eingegangen.
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Publizierte RITTER noch in den 1980er Jahren (1985; 1986) zwei Überblicksartikel zur Entwicklung am Golf bzw. in den Vereinigten Arabischen Emiraten, so scheint die Tourismusentwicklung in den arabischen Staaten am Golf erst zu Beginn des neuen Jahrtausends, nach der dynamischen Entwicklung der 1990er Jahre, das wissenschaftliche Interesse wiederzuerwecken. Wie die verfügbaren statistischen Daten, die dünne Literaturlage und eigene empirische Beobachtungen demonstrieren, weist die Tourismusentwicklung auf der Arabischen Halbinsel erhebliche Differenzen zu derjenigen Nordafrikas und der Levante auf. Bis auf den traditionellen, religiös motivierten Pilgertourismus nach Saudi-Arabien, ist die Tourismusentwicklung hier ein vergleichsweise junges Phänomen und setzt im Wesentlichen erst im Verlauf der 1990er Jahre ein. RITTER (1986) stellt in dieser Beziehung fest, dass hierfür zumeist eine starke Zurückhaltung bzw. teilweise auch Abneigung der herrschenden Eliten verantwortlich war, ihre Länder für den internationalen Tourismus zu öffnen. Hat sich dies in einigen Golfländern zwischenzeitlich gewandelt, muss jedoch festgestellt werden, dass in Kuwait, Katar, dem Jemen und dem Oman der Tourismussektor auch im Jahr 2000 in absoluten Zahlen gemessen noch wenig entwickelt ist (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5: Entwicklung des Tourismus in den Staaten der Arabischen Halbinsel 1990 bis 2000
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Der Irak ist zwar als Zentrum des Zweistromlandes reich an kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten, jedoch wegen seiner kriegsgeschüttelten jüngeren Geschichte seit den 1980er Jahren inklusive der Kriege gegen den Iran und Kuwait sowie der UN-Sanktionen von 1991 bis 2003 als touristische Destination praktisch nicht existent. Saudi-Arabien hat aufgrund des islamischen Pilgertourismus zu den heiligen Städten des Islam in Form der Hadj und der Umrah eine enorme touristische Bedeutung in der Golfregion, hat sich jedoch bis vor kurzem von anderen Arten des Tourismus mit Ausnahme von Geschäftsreisenden fast vollständig abgeschottet. Pilgerreisen galten vor dem Jahr 2000 nicht als touristische Aktivitäten und wurden daher auch nicht in den offiziellen Statistiken aufgeführt. Vor dem Jahr 2001 war es praktisch unmöglich als Tourist das Land zu besuchen, wenn man kein Geschäftsvisum besaß und nicht aus den Mitgliedstaaten des Gulf Cooperation Council (GCC) stammte, dessen Staatsangehörige sich in Saudi-Arabien frei bewegen dürfen. Pilgern anderer Staatsangehörigkeit ist es erst seit 2001 erlaubt, auch andere als die heiligen Städte Mekka und Medina zu besuchen. Touristenvisa für Gruppenreisen von Nichtmuslimen werden erst seit dem Jahr 2004 ausgestellt und finden vor allem bei einer kleinen Anzahl Kulturreisender Interesse. Die relativ restriktiven Regularien für den Tourismus spiegeln sich in dessen Struktur wider: Von den rund 6,6 Mio. Touristen im Jahr 2000 besuchten knapp 1,4 Mio. Touristen im Rahmen der Hadj und fast 2,3 Mio. im Rahmen der Umrah das Land, was einem Anteil von 58 % entspricht. Ein weiterer großer Anteil Besucher gibt als Reisegrund den Besuch von Freunden und Verwandten an (BURNS 2007: 229; WTO 2003: 56ff). Hierunter dürften zu einem erheblichen Teil Reisende aus Südasien und Südostasien fallen (21 % bzw. 9 % aller Touristenankünfte), die entweder ihre in Saudi-Arabien arbeitenden Verwandten besuchen oder sich im Rahmen illegaler Arbeitsmigration im Land aufhalten. Der Anteil der Touristen aus den westlichen Industrieländern ist mit gerade einmal 3 % außerordentlich niedrig. Kuwait, Katar, Oman und Jemen weisen im Jahr 2000 im Vergleich zu Saudi-Arabien nur einen bescheidenen internationalen Tourismus auf. Der Jemen kann aufgrund der instabilen Sicherheitslage und der mangelnden zentralstaatlichen Kontrolle des Landes nur wenige internationale Touristen anziehen. Immer wieder kommt es zu Entführungen von Touristen durch lokale Stämme, die die Reisenden als Druckmittel in innenpolitischen Konflikten einsetzen, um so bspw. Verbesserungen der infrastrukturellen Erschließung ihrer Dörfer zu erreichen. Auch wenn die Entführungen i. d. R. friedlich gelöst werden und Touristen nicht ernsthaft zu Schaden kommen, so haben die Entführungen doch eine negative Wirkung auf den internationalen Tourismusmärkten. Zusätzlich zu diesen Sicherheitsproblemen erschweren administrative Hürden die touristische Entwicklung im Land, so dass der Tourismus weit davon entfernt ist, das ökonomisches Potenzial abrufen zu können, das das reiche kulturelle und städtebauliche
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Erbe sowie der einzigartige Naturraum des Landes bieten (BURNS & COOPER 1997; KOPP 2005: 127ff; WILLHARDT 2002). Zwischen 1990 und 2000 kann der Jemen daher seine Touristenankünfte lediglich um durchschnittlich 4,0 % pro Jahr steigern und bleibt damit deutlich unter dem Weltdurchschnitt. Von den knapp 73.000 Touristen des Jemen entfallen aufgrund der ungünstigen Umstände nur 35 % auf Besucher aus den westlichen Industriestaaten, während sich Reisende aus anderen arabischen Staaten für 38 % der Ankünfte verantwortlich zeigen. Das Sultanat Oman wird im Jahr 2000 von rund 571.000 internationalen Touristen besucht. Hiervon stammen 54 % aus den westlichen Industriestaaten, 23 % aus der MENA-Region und 13 % aus Süd- und Südostasien. Dass das Sultanat in absoluten Zahlen gemessen nicht sehr erfolgreich im internationalen Tourismus zu sein scheint trügt jedoch. Betrachtet man die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten der internationalen Touristenankünfte in der Arabischen Welt, fällt auf, dass der Oman mit rund 28 % abgesehen vom Sonderfall Libanon das größte Wachstum aller untersuchten arabischen Staaten realisieren kann.49 Der Oman kann damit relativ betrachtet als die oder zumindest eine der aufstrebenden Tourismusdestinationen der Arabischen Welt bezeichnet werden. Die touristische Entwicklungsstrategie des Omans war lange Zeit sehr zurückhaltend, um das Land nicht sozial und kulturell zu überfordern. Dementsprechend versucht das Sultanat nicht touristische Massenmärkte zu bedienen, sondern konzentriert sich auf möglichst soziokulturell verträgliche, touristische Hochpreissegmente und zieht damit vor allem gebildete Reisende mit einem Alter von mehr als 50 Jahren an. Hochpreisiger Strandtourismus und Bildungsrundreisen stellen somit das Kernprodukt der omanischen Tourismuswirtschaft für Besucher aus den westlichen Industriestaaten dar. Intraregionale Touristen besuchen das Land dagegen vorwiegend wegen seiner schönen Landschaften. Insbesondere der Süden zieht während der Monsunmonate August und September mit seinen grünen Landstrichen um Salalah viele Golfaraber an (MERSHEN 2007; WTO 2003: 81f). Der Tourismus in Katar ist mit 378.000 Ankünften im Jahr 2000 noch fast kaum entwickelt, obwohl er im Verlauf der 1990er Jahre auf Wachstumsraten von durchschnittlich 18 % zurückblicken kann. Im Jahr 2000 wird die General Tourism Authority gegründet, die die touristische Entwicklung Katars stärker dynamisieren soll. Der Tourismus beschränkt sich vornehmlich auf Geschäftsreisende und Touristen, die im Land Freunde und Verwandte besuchen. Dementsprechend liegt der Hauptquellmarkt Katars in der Region selbst, und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Hotels beläuft sich lediglich auf 1,2 Tage (WTO 2003: 88). 49
Ähnlich hohe oder sogar noch höhere Wachstumsraten sind zwar eventuell auch in den VAE zu verzeichnen, hier jedoch aufgrund der Inkonsistenzen der statistischen Daten nicht berechen- und daher nicht vergleichbar.
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Kuwait weist im Jahr 2000 1,9 Mio. Besucher, jedoch nur 78.000 Touristenankünfte und ein äußerst schwaches durchschnittliches Wachstum von 0,7 % für den Zeitraum zwischen 1992 bis 2000 aus. Von allen Besuchern stammen rund 62 % aus der MENA-Region. Intraregionale Besucher bereisen das Land weit überwiegend (zu 75 %!) aus geschäftlichen Gründen (WTO 2003: 77f). Nur fünf Prozent der internationalen Besucherankünfte stammen aus westlichen Industrieländern und 27 % aus Südasien, wobei letztere vorwiegend Freunde und Verwandte im Land besuchen – was wie in anderen Golfstaaten auf die hohe Anzahl Arbeitsmigranten aus Südund Südostasien zurückzuführen ist. Bahrains Tourismus wächst in der Dekade zwischen 1990 und 2000 mit durchschnittlich 7,6 % pro Jahr. Im Jahr 2000 kann Bahrain 2,4 Mio. Touristenankünfte verzeichnen. Rund 80 % seiner rund 3,7 Mio. Besucherankünfte entfallen auf intraregionale Besucher, wovon wiederum der weit überwiegende Anteil aus Saudi-Arabien stammt. Saudis besuchen das Emirat vornehmlich als Wochenendtouristen und nutzen die dortigen im Vergleich deutlich liberaleren Unterhaltungs- und Vergnügungsangebote. Dementsprechend entfallen 75 % aller Übernachtungen in Bahrain auf den Wochenendtourismus, weshalb die durchschnittliche Aufenthaltsdauer nur 2,4 Nächte beträgt (WTO 2003: 91f). Besucher aus den westlichen Industriestaaten sind nur für rund 9 % aller Ankünfte verantwortlich. Die Vereinigten Arabischen Emirate verzeichnen dank massiver Investitionen eine äußerst dynamische Expansion des Tourismus, die mit einer eindrucksvollen städtebaulichen und wirtschaftlichen Entwicklung (SCHARFENORT 2004) einher gehen. Nach dem Oman weisen die VAE mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate der Touristenankünfte von geschätzten 25 % das zweithöchste relative Wachstum aller Golfstaaten auf. Die Touristenankünfte sind bis zum Jahr 2000 auf über 3,3 Mio. gestiegen, was dem höchsten absoluten Wachstum aller Staaten der Arabischen Halbinsel entspricht. Dubai kann unter allen Emiraten den größten Marktanteil mit geschätzten 72 % aller Touristenankünfte auf sich vereinigen. Auf Touristen aus der MENA-Region und aus den westlichen Industrieländern entfallen im Jahr 2000 33 % bzw. 31 % aller Touristenankünfte, weitere 17 % stammten aus Süd- und Südostasien. In Asien sind vor allem Indien, Iran und Pakistan wichtige Quellländer für Reisende in die Emirate. Während Inder und Pakistanis vorwiegend entweder als Geschäftsleute oder für einen Besuch von Freunden und Verwandten in die Emirate kommen, befinden sich unter den Reisenden aus dem Iran relativ viele Familien, die das liberalere Ambiente und die Einkaufsmöglichkeiten Dubais zur Freizeitgestaltung nutzen und hier Kurzurlaube, z. B. über das iranische Neujahrsfest, verbringen. Wie für die iranischen Touristen sind das liberalere Ambiente und die Einkaufsmöglichkeiten Dubais ebenfalls für viele Golfaraber wichtige Gründe für einen Besuch des Landes. Sie fragen zudem stark das Vergnügungsangebot des Nachlebens in Dubais nach und
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besuchen die Emirate vorwiegend als Wochenendurlauber. Touristen aus den westlichen Industriestaaten besuchen die Emirate hauptsächlich zu Bade- und Erlebnisreisen, wobei der Aufenthalt in der Wüste und das Unterhaltungsangebot der Emirate – insbesondere Dubais – einen wesentlichen Besuchsgrund darstellen. Viele der Besucher nutzen zudem die Möglichkeit eines Zwischenstopps auf dem Weg nach Asien, um das Emirat zu erkunden. Abgesehen von Privatreisenden stellen die Emirate als eines der wirtschaftlichen Zentren am Golf auch ein wichtiges Ziel für Geschäftsreisende dar, die sich tendenziell ebenfalls kürzer im Land aufhalten. Diese Faktoren bewirken in der Summe eine relativ kurze durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Land von nur rund zwei Tagen.
4.1.3 Zwischenfazit: Grundstrukturen der Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt Während die touristische Entwicklung in Nordafrika und in der Levante auf eine lange Geschichte zurückblickt, ist die Tourismusentwicklung am Persisch-Arabischen Golf ein vergleichsweise junges Phänomen. Die unterschiedlichen touristischen Entwicklungsgeschichten sind zudem ursächlich für die Unterschiede der Tourismusstrukturen beider Regionen. Während vor allem in Nordafrika der Tourismus seit seinen Anfängen stark durch europäische Gäste geprägt ist, hat sich der Tourismus am Golf in den 1990er Jahren als Nebenprodukt der wirtschaftlichen Entwicklung und Integration der GCC-Staaten entwickelt, wozu vor allem die Visa-Freiheit für Bürger der GCC-Staaten in den anderen Mitgliedsländern (GCC 2007) entscheidend beigetragen haben dürfte. Der Summe dieser Faktoren ist es zu verdanken, dass sich die Struktur der Herkunftsregionen in Nordafrika und der Levante einerseits und am Golf andererseits fast spiegelbildlich von einander unterscheiden (vgl. Tabelle 9). 50 Während in Nordafrika und der Levante 60 % aller Touristen aus den westlichen Industrieländern stammen, sind dies am Golf nur 12 %. Diese Touristen sind in tourismuswirtschaftlicher Hinsicht deshalb besonders „wertvoll“, weil sie im Rahmen von kultur- und strandtouristischen Aktivitäten eine längere Aufenthaltsdauer mit überdurchschnittlich hohen Ausgaben pro Nacht verbinden. Insgesamt ist der Tourismus in Nordafrika und der Levante überwiegend von kultur- und badetouristischen Aktivitäten geprägt und wird überwiegend im Rahmen von Pauschalreisen von den europäischen Quellmärkten gespeist.
50
Für eine auf Länderebene differenzierte Darstellung sei auf die beiden Karten der Abbildungen 4 und 5 verwiesen.
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Tabelle 9:
Struktur der Herkunftsregionen der Touristen 51 in Nordafrika und der Levante bzw. der Arabischen Halbinsel im Jahr 2000
Zielmarkt Herkunftsregion
Nordafrika & Arabische Halb- Arabische Welt Levante insel gesamt
MENA-Region Subsahara-Afrika Süd- und Mittelamerika Ostasien Südostasien Südasien Westliche Industriestaaten, davon: Westeuropa Nordamerika Australien & Ozeanien Osteuropa Sonstige
32% 1% 1% 1% 1% 2% 60% 56% 4% 1% 2% 1%
59% 3% 0% 1% 6% 18% 12% 9% 2% 1% 2% 0%
45% 2% 0% 1% 3% 9% 37% 33% 3% 1% 2% 0%
Quellen: WTO 2007; eigene Berechnung
Der Anteil intra-regionaler Touristen ist dagegen am Golf mit 59 % gegenüber den nordafrikanischen und levantinischen Staaten mit 32 % sehr hoch, was um so stärker ins Gewicht fällt, als intra-regionale Touristen in Nordafrika und in der Levante oftmals Transitreisende oder Tagestouristen sind, die keine touristischen Absichten i. e. S. verfolgen. Zwar geben Touristen aus den Golfstaaten i. d. R. überdurchschnittlich viel Geld pro Übernachtung aus, jedoch ist ihre Aufenthaltsdauer gerade in den Golfstaaten selbst oft nur auf einen Zeitraum von wenigen Tagen beschränkt. Eine längere Aufenthaltsdauer im intraregionalen Tourismus können lediglich die Pilgerstädte Saudi-Arabiens sowie Metropolen wie Kairo, Alexandria 51
Basierend auf den bei der WTO verfügbaren Daten der Touristen-, bzw. Besucherankünfte nach Herkunftsländern. Die angegebenen Daten basieren auf den Daten der Touristenankünfte für Marokko, Tunesien, Libanon, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien, Oman, Jemen und die VAE, während für Algerien, Libyen, Ägypten, Kuwait und Bahrain die Daten der Besucherankünfte in die Berechnungen mit eingeflossen sind. Die Daten für Syrien beziehen sich auf das Jahr 1999. Aus statistischen Gründen wäre es sinnvoll gewesen, hier ein einheitliches Datenniveau zu verwenden. Werden Besucherankünfte angegeben, ist der Anteil aus den (benachbarten) MENAStaaten immer größer, als dies bei Daten der Touristenankünfte der Fall wäre. Hierdurch werden die aggregierten, relativen Anteile der Besucher nach Herkunftsregionen verzerrt. Trotz intensiver Bemühungen hier ein einheitliches Datenniveau herzustellen, war dies jedoch nicht möglich: Leider führen die erfassten Länder ihre Primärstatistiken nicht einheitlich und hinreichend detailliert. Die Zusammenstellung kann daher nur approximativen Charakter besitzen.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 85
und Beirut oder die Sommerfrische- und Badeorte in der Levante und auf dem südlichen Sinai erreichen, in denen zahlreiche Golfaraber die heißen Sommermonate verbringen. Viele der „Touristen“ aus Asien sind in engem Zusammenhang mit der klassischen Arbeitsmigration in die Golfstaaten zu sehen. Es ist anzunehmen, dass die übergroße Mehrheit der asiatischen Touristen entweder in der Region arbeitende Freunde und Verwandte besucht, oder dass sie illegal einer Beschäftigung insbesondere als Hausangestellte oder als Prostituierte nachgehen. Der Tourismus in den Golfstaaten wird zusammenfassend also bis zum Jahr 2000 durch einen sehr starken intraregionalen Anteil im Rahmen von Pilgerreisen und Wochenendausflügen geprägt, wobei insbesondere im Rahmen von Wochenendausflügen Unterhaltungs- und Einkaufsmöglichkeiten stark nachgefragt werden. Die zweite große Säule des Tourismus in den Golfstaaten bilden Geschäftsreisende und die dritte Touristen aus Asien, die im Zusammenhang mit der hohen Zahl von Arbeitsmigranten die Golfstaaten besuchen und die nur bedingt touristische Dienstleistungen i. e. S. nachfragen.
4.2
Forschungsstand zum Einfluss von Unsicherheit auf die touristische Nachfrage
Wie im vorhergehenden Kapitel angedeutet, spielen gewalttätige politische Unruhen und Sicherheitsprobleme in der Tourismusentwicklung der Arabischen Welt eine herausgehobene Rolle. Das folgende Kapitel präsentiert daher eine kurze Zusammenfassung des Forschungsstandes über den Zusammenhang von Unsicherheit und touristischer Nachfrageentwicklung und thematisiert eingehender Fallbeispiele in der Arabischen Welt, um diesen Aspekt der Nachfrageentwicklung besser verstehen zu können. Es liegt in der Natur des Tourismus begründet, dass er mit Risiken und Unsicherheit verbunden ist (ROEHL & FESENMAIER 1992; WITTICH 2004). Reisen impliziert i. d. R. die Begegnung mit unbekannten Orten und Menschen in ungewohnten sozialen Kontexten, was eine natürliche Verhaltensunsicherheit und ein erhöhtes Gesundheitsrisiko zur Folge haben kann – Touristen produzieren damit einen Großteil der Gefahren, denen sie sich ausgesetzt sehen, durch ihre Reisetätigkeit selbst (SHELLER & URRY 2004: 5). 52 Tourismus kann dementsprechend verschiedene Grade von Risiko beinhalten – von einfacher Unzufriedenheit mit dem Erlebnis der Reise bis hin zu ernsthaften Erkrankungen, Verletzungen oder gar Tod 52
Dies gilt natürlich nur, wenn man sich dem Unbekannten auch aussetzt und nicht immer wieder die gleichen Ziele besucht, um eben die mit dem Reisen verbundenen Risiken zu minimieren.
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(SÖNMEZ & GRAEFE 1998: 120), weshalb der Einfluss von Unsicherheit auf den Tourismus in der Forschung eine breite Beachtung gefunden hat (SANTANA 2001). Die vorliegende Arbeit operiert jedoch nicht mit einem derart breit angelegten Verständnis von (Un-)Sicherheit, sondern konzentriert sich auf die Störung der Sicherheitslage durch so genannte gewalttätige politische Unruhen, worunter von (organisierter) Kriminalität über Terroranschläge bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen und Kriegen eine breite Palette von Phänomenen subsumiert werden (HALL & O'SULLIVAN 1996: 109; PIZAM & MANSFELD 1996). Während großmaßstäbliche Naturkatastrophen und Seuchen die Tourismusindustrie in einer Destination zwar auch signifikant beeinflussen können, scheinen anthropogene Bedrohungen wie gewalttätige politische Unruhen einen sehr viel negativeren und länger andauernden Einfluss auf die touristische Nachfrage auszuüben. Im Vergleich zu Naturkatastrophen, scheinen sie von Touristen deutlich negativer beurteilt zu werden. Ein wesentlicher Grund dafür liegt anscheinend darin, dass diese Art Krisen grundsätzlich – da anthropogen verursacht – als vermeidbar angesehen werden (SANTANA 2001: 238). Die Literatur stimmt daher heute darin überein, dass Frieden, stabile politische Verhältnisse und Sicherheit notwendige Bedingungen für eine prosperierende Tourismuswirtschaft sind (CAVLEK 2002: 478; HALL & O'SULLIVAN 1996: 117; SANTANA 2001: 225). Terrorismus, politische Unruhen und Krieg als Ausdruck politischer Instabilität wirken sich negativ auf die touristische Attraktivität einer Destination aus und können eine anhaltende Barriere für die touristische Entwicklung eines Ortes bilden (HALL 1994; HOLLIER 1991; SÖNMEZ 1998). Dabei macht es nur einen graduellen Unterschied, um welche Art von politischer Instabilität es sich handelt, zumal die Grenzen zwischen den Phänomenen fließend sind (WEBER 1998). Wie SÖNMEZ (1998) in ihrem Überblick über den Forschungsstand zur Beziehung zwischen politischer Instabilität und Tourismus dargestellt hat, liegen die Foki der bisherigen Studien auf • den Motiven der Terroristen, Touristen oder die Tourismusindustrie zu ihren Zielobjekten zu machen, • den Effekten politisch motivierter Gewalt auf das Destinationsimage, • dem Einfluss des Terrorismus auf die touristische Nachfrage, • den Risikominimierungsstrategien der Touristen und • dem Krisenmanagement und den Marketinganstrengungen mit dem Ziel der Erholung der touristischen Nachfrage. Den größten Schaden für die Tourismuswirtschaft verursachen kriegerische Auseinandersetzungen und gezielte terroristische Angriffe auf Touristen (SÖNMEZ 1998). Gerade das Zusammenspiel von Terrorismus und Tourismus war deshalb in der Vergangenheit Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Bemühungen. Die Forschung zeigt, dass die Anvisierung
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von Touristen oder der Tourismusindustrie als Ziel von Anschlägen Terroristen hilft, unterschiedliche Zwecke gleichzeitig zu verfolgen. Wie KARBER (1971: 527ff) feststellt, fungieren terroristische Anschläge als symbolische Akte, die Teil eines Kommunikationssystems sind und wie andere Medien der Kommunikation analysiert werden können. KARBER versteht demnach terroristische Anschläge als Mittel der Kommunikation, mit denen von den Terroristen an die beabsichtigten Empfänger eine Nachricht (terroristischer Akt) übermittelt werden soll. Die Reaktion der Regierungen und der Medien auf den Terroranschlag stellt in diesem Kommunikationssystem als eine Antwort auf die Nachricht eine Art Empfangsbestätigung dar und ist insofern eine für die intendierte erfolgreiche Kommunikation notwendige Voraussetzung. Vor diesem Hintergrund bilden Touristen ein genuin ideales Ziel von Terroristen (RICHTER & WAUGH 1986), da die Betroffenheit von Ausländern den Terroristen ein internationales Medieninteresse und das Gelingen ihrer Kommunikationsabsicht der Bekanntmachung ihres Anliegens garantiert (COUSINS & BRUNT 2002: 20). Mit dem Fortschritt der Kommunikationstechnologie hat sich dieser Einfluss noch potenziert. Ein Ereignis kann heute fast in Echtzeit weltweit Schlagzeilen machen (KEOWNMCMULLAN 1997). Terroristen inszenieren deshalb zunehmend ihre Anschläge als Medienevent, womit die Beziehung von Massenmedien und Terroristen immer mehr zu einer Art symbiotischen Zusammenspiels beider Akteursseiten wird (WEIMANN 1990; WEIMANN & WINN 1994). RICHTER & WAUGH (1986) identifizieren ideologische, strategische und taktische Motive für Terroranschläge, die sich teilweise überschneiden können. Touristen können so zum Beispiel aus ideologischen Motiven angegriffen werden, weil sie als indirekte Repräsentanten zu bekämpfender Regierungen interpretiert werden. Touristen werden aber auch zu Zielscheiben des Terrorismus, weil sie als Symbole eines abgelehnten Wertesystems verstanden werden und diese Werte durch ihr Verhalten und ihre Reisetätigkeit in ihre Gastgeberländer transportieren. Demnach spielen sozioökonomische und kulturelle Erklärungsansätze für ideologisch motivierte Anschläge eine wichtige Rolle. Fallstudien in Ägypten zeigen die Relevanz dieser Erkenntnisse besonders innerhalb der Arabischen Welt im Kontext eines islamistischen Terrorismus (AZIZ 1995). Mit strategisch begründeten Anschlägen auf den Tourismus kann zusätzlich die Tourismusindustrie sowie die Volkswirtschaft eines Landes geschwächt und damit die ökonomische Legitimierung der einheimischen Regierung im Sinne einer politischen Umsturzabsicht untergraben werden (HALL & O'SULLIVAN 1996). Dies gilt um so mehr, als der Tourismus in zahlreichen arabischen Ländern einen strategischen Wirtschaftssektor darstellt, der mit seinen ökonomischen Effekten erheblich zur Stabilisierung der lokalen, autoritären Regime beiträgt (STEINER 2006). Anschläge auf Touristen werden daher oftmals im Rahmen einer Widerstands- bzw. Be-
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freiungskampflogik begründet. Anschläge auf touristische Einrichtungen und auf Touristen sind deshalb für regimefeindliche Gruppen ideale Mittel, um ihre Ziele zu kommunizieren und zu erreichen (SÖNMEZ et al. 1999: 15): „Simply put, the literature demonstrates, that tourism can be the message as well as the medium of communication initiated by terrorists. (…) For terrorists, the symbolism, high profile, and news value of the international traveller are too valuable to be left unexploited.“
Der Einfluss von gewalttätigen politischen Unruhen auf die Nachfrage wird entweder aus einer realistischen oder aus einer i. w. S. kognitionstheoretischen bzw. konstruktivistischen Perspektive erklärt. CAVLEK (2002: 481) bietet eine gute Zusammenfassung einer realistischen Sichtweise, die verschiedene (messbare) Einflussfaktoren auf die touristische Nachfrage identifiziert und somit ein quantitativ-testendes Forschungsdesign ermöglicht. Demnach werden Veränderungen der Nachfrage beeinflusst von der räumlichen Dimension der krisenauslösenden Ereignisse (lokal, regional, national, international), dem Schadensausmaß (Anzahl der Toten und Verletzten, Grad der Zerstörungen der touristischen Infrastruktur), der zu erwartenden Dauer bis zur Stabilisierung der Lage (kurz- oder langfristig anhaltende Störung; Einzel- oder sich wiederholende Ereignisse), der Reaktion der Regierungen in den Quellmärkten (Reisewarnungen, Sicherheitshinweise) sowie der Interessenlage und den Reaktionen der großen Reiseveranstalter (z. B. Angebot von Umbuchungen) (STEINER et al. 2006: 100). In kognitionstheoretischer bzw. konstruktivistischer Perspektive 53 kann dagegen davon ausgegangen werden, dass die touristische Nachfrage leidet, wenn anhaltende Sicherheitsprobleme die Wahrnehmung der Touristen prägen und das positive Image einer Destination nachhaltig beschädigen (SANTANA 2001; SÖNMEZ 1998; WAHAB 1996a), da das Image einer Destination einen entscheidenden Faktor für die Reiseentscheidung darstellt (GARTNER 1993; SANTANA 2001: 239; UM & CROMPTON 1992). Eine Verschlechterung des Destinationsimages kann daher eine Gefahr für den gesamten Entwicklungsprozess einer Destination beinhalten (SANTANA 2001: 213). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung des Sicherheitsimages einer Destination in starkem Maße durch Art und Ausmaß der Medienberichterstattung über Sicherheitsprobleme geprägt wird 53
Wenn hier zahlreiche Autoren nachfolgend aufgeführt werden, soll dies nicht bedeuten, dass deren Arbeiten einer kognitionstheoretischen oder konstruktivistischen Perspektive zugerechnet werden können. Im Gegenteil weisen die meisten der zitierten Arbeiten erhebliche realistische oder positivistische Momente auf.
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(COUSINS & BRUNT 2002; MASON et al. 2005; STEINER et al. 2006), denn die Medien beeinflussen nicht nur generell die öffentliche Meinung, sie spielen auch eine Hauptrolle in der Formation des Images, das sich Konsumenten von einer Destination machen (HALL 2002; LAWS et al. 2002; WEIMANN & WINN 1994). Eine anhaltend negative Berichterstattung hat deshalb das Potenzial, das Image einer Destination nachhaltig negativ zu beeinflussen. Image kann vereinfacht als Summe von Vorurteilen, Interpretationen, Eindrücken, Ideen und Wahrnehmungen aufgefasst werden, die Menschen sich von anderen Menschen, ihrem Verhalten, von Objekten und Geschehnissen machen (DICHTER 1985). Da die mediale Darstellung von Ereignissen, ihren Hintergründen und ihren Interpretationen für die meisten potenziellen Touristen die einzige Möglichkeit zur Information über Krisenereignisse darstellt, üben die Medien eine Schlüsselfunktion in der Imagebildung aus (TAYLOR 2006: 173). Daher wird die öffentliche Wahrnehmung eines Themas in erheblichem Maß durch die Nachrichtenmedien beeinflusst. Hier gilt, dass je weniger Kenntnisse die Menschen in einem touristischen Quellmarkt über die sozioökonomischen, politischen und naturräumlichen Lebensverhältnisse der Bevölkerung in einer Tourismusdestination besitzen, desto mehr sind potenzielle Touristen zur Bildung ihrer Destinationsimages auf die von den Medien verbreiteten Darstellungen, Informationen und Interpretationen angewiesen. Die Medien interpretieren Ereignisse und weisen ihnen durch die Art und das Ausmaß der Berichterstattung mehr oder weniger Bedeutung zu (HALL 2002: 458). Sicherheitsprobleme haben folglich dann das Potenzial die Tourismusentwicklung zu stören, wenn sie – medial vermittelt – die Wahrnehmung potenzieller Touristen erreichen. Nicht wenige Autoren weisen darauf hin, dass in der Vergangenheit oft erst eine unverhältnismäßige Berichterstattung Krisen der Tourismuswirtschaft ausgelöst hat und damit die Medien das Potenzial besitzen, einen „zerstörerischen Einfluss“ auf die Destinationsentwicklung auszuüben (FAULKNER 2001; KEOWNMCMULLAN 1997; RITCHIE 2004; SANTANA 2001; ZERMAN 1995). Daraus kann geschlossen werden, dass gewalttätige politische Unruhen erst dann das Image einer Destination oder sogar Region nachhaltig prägen, wenn Gewalt zum dauerhaften Medienevent wird. Aus dem bewaffneten Kampf terroristischer Gruppen kann so „bewaffnete Propaganda“ werden, wenn sich Terroristen in ihren Handlungen den Erfordernissen der medialen Inszenierung anpassen und ihr „Produkt“ mediengerecht gestalten (WEIMANN & WINN 1994). Wie COUSINS & BRUNT (2002) darlegen, behandeln die Medien terroristische Ereignisse zumeist in einer sensationsheischenden Form. Im Rahmen ihrer Studie kann zwar kein zweifelsfreier Zusammenhang zwischen der Art der Berichterstattung und dem Ausmaß der Auswirkungen auf die touristische Nachfrage nachgewiesen werden. Es wird aber als hochgradig wahrscheinlich angenommen, dass
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ein Zusammenhang existiert und die Dauer und Art der Berichterstattung eine wesentliche Rolle spielt. Eine anhaltend negative Berichterstattung würde sich demnach auch als wesentlicher Erklärungsfaktor dafür anbieten, dass Rückgänge der Touristenzahlen nicht nur während einer aktuellen Krise, sondern weit darüber hinaus zu verzeichnen sind und in ihrer Dauer und Stärke entsprechend den Charakteristika der Krise und ihrer medialen Darstellung stark variieren. Auch wenn das persönliche Risiko statistisch als sehr gering einzustufen ist, kann das wahrgenommene Risiko aufgrund der vorangegangenen ausgedehnten Medienberichterstattung hoch sein. „And as »perception becomes reality« tourist arrivals to affected areas decline“ (COUSINS & BRUNT 2002: 21). Es ist deshalb davon auszugehen, dass eine anhaltende Medienberichterstattungen über Sicherheitsprobleme zu einer Verschlechterung von Destinationsimages beiträgt, was eine Verschiebung der touristischen Nachfrage zu Folge hat (ENDERS & SANDLER 1991; PIZAM & FLEISCHER 2002; SANTANA 2001: 226). Sehen sich potenzielle Touristen durch Störungen der Sicherheitslage bedroht, führt dies dazu, dass sie ihre Reisepläne im Rahmen des so genannten Substitutionseffektes in Richtung auf als sicherer eingestufte Destinationen ändern (GU & MARTIN 1992; BAR-ON 1996; SÖNMEZ & GRAEFE 1998). Die Globalisierung der Tourismusbranche fördert mit ihrer Multioptionalität eine hohe Volatilität der Touristenströme, die sich dementsprechend schnell von einem Ziel zu einem anderen verlagern können. Dabei wird, wie ENDERS et al. 1992 in ihrer positivistischen, ökonometrischen Analyse des Einflusses von Terrorismus auf die Deviseneinnahmen festgestellt haben, das Terrorismusrisiko auch auf benachbarte Länder, die nicht direkt betroffen sind, übertragen, so dass durch diesen „Nachbarschaftseffekt“ auch unbeteiligte Länder der Region einen Rückgang der Touristenzahlen zu verzeichnen haben. Eine größere Anzahl Touristen tendiert also offenbar dazu, Sicherheitsprobleme an einzelnen Orten auf ganze Regionen zu übertragen. Der Nachbarschaftseffekt wurde von verschiedenen positivistisch arbeitenden Wissenschaftlern an Hand diverser Beispiele aufgezeigt. 54 Er trat beispielsweise während der Balkankriege im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens ein, so dass die Touristenankünfte aus den USA auch in Deutschland und Österreich zurück gingen. Ein gleichzeitiger Nachbarschaftseffekt zeigte sich demgegenüber bezüglich der Touristenankünfte in Deutschland und Österreich aus anderen europäischen Staaten nicht (MIHALIý 1996). HOLLIER (1991) konnte den gleichen Effekt für die unbeteiligten arabischen Staaten anlässlich des Irak54
Hierbei wird allgemein davon ausgegangen, dass Sicherheitsprobleme direkt und nicht vermittelt ihrer Wahrnehmung und Interpretation eine Wirkung auf touristische Nachfragestrukturen ausüben.
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Kuwaitkriegs 1990/91 und der „Operation Desert Storm“ zur Befreiung Kuwaits belegen und wird in seinen Ergebnissen von MEYER (1996b) bestätigt. Obwohl von den kriegerischen Kampfhandlungen am Golf nicht direkt betroffen, gingen während der politisch-gesellschaftlichen Krise in der gesamten Arabischen Welt – bis hin zum tausende Kilometer vom Kriegsgebiet entfernten Marokko – die Touristenankünfte zurück. Vor dem Hintergrund dieser Befunden erscheint es daher aus einer pragmatisch-konstruktivistischen Perspektive heraus sinnvoll, „Distanz“ und „Nähe“ im Kontext der Erklärung des Entstehens des Nachbarschaftseffektes nicht als physische, sondern vielmehr als soziale Distanz zu verstehen (STEINER et al. 2006). Diese Überlegung erklärt sich daraus, dass die Medien bestimmte Repräsentationen und Interpretationen von Orten aus der Vielzahl der inhaltlichen und zeitlichen Möglichkeiten auswählen (HALL & O'SULLIVAN 1996: 108), um die Komplexität der lokalen Situation für den Medienkonsumenten zu reduzieren. Dadurch entstehen Vereinfachungen und Generalisierungen, die auch vor stark verallgemeinernden Raumabstraktionen nicht halt machen. STEINER et al. (2006) nehmen an, dass die im Zuge der Berichterstattung durch die Medien verbreiteten Generalisierungen und Regionalisierungen dazu führen, dass negative Destinationsimages nicht auf konkret betroffene Orte beschränkt bleiben, sondern im Zuge eines Nachbarschaftseffektes auf ganze Regionen übertragen werden. Die Übertragung von negativen Images auf „benachbarte“ Destinationen würde erstens umso leichter vorgenommen werden, je höher die soziale Distanz zwischen potenziellen Touristen und Medienberichterstattern einerseits und den Menschen in der jeweiligen Destination andererseits ist und zweitens je geringer sie zwischen den Menschen in den als „benachbart“ wahrgenommenen Destinationen sei. Aufgrund der sehr komplizierten Querverbindungen ist eine solche Theorie nur schwierig empirisch zu untersuchen. Die Theorie von STEINER et al. korrespondiert jedoch mit den Ergebnissen und Vermutungen anderer, zum Teil eher positivistisch argumentierender Autoren. SÖNMEZ (1998) nimmt bspw. an, dass ein Unterschied zwischen intra-regionalem und inter-regionalem Tourismus hinsichtlich der Neigung zur Ausprägung von Nachbarschaftseffekten besteht. Sie unterstellt, dass intra-regionale Touristen ggf. ruhige Destinationen in der Nachbarschaft des Konfliktgebietes aufsuchen, während inter-regionale Touristen ihre Konfliktwahrnehmung generalisieren, auf die gesamte Region übertragen und damit den „Nachbarschaftseffekt“ auslösen. Diese Annahme korrespondiert mit den Forschungsergebnissen von ENDERS & SANDLER (1991), die anhand von zwölf europäischen Ländern festgestellt haben, dass der Rückgang der Touristenzahlen nach gewalttätigen politischen Unruhen nicht, wie zunächst zu vermuten wäre, direkt nach den Ereignissen einsetzt, sondern erst mit einer Zeitverzögerung von
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etwa drei bis sechs Monaten. Obwohl es unklar ist, wie es genau zu dieser Zeitverzögerung kommt, bieten sich zwei Erklärungsansätze an. Eine Interpretationsmöglichkeit besteht darin, dass bereits verbindliche Buchungen und Stornierungsgebühren einen früheren Nachfrageeinbruch verhindern. Ein anderer ebenso plausibler Erklärungsansatz geht davon aus, dass sich erst die andauernde Medienpräsenz nach terroristischen Anschlägen auf die Touristenströme auswirkt, da sich Destinationsimages erst mit zunehmender Medienpräsenz verändern. Diese Interpretationsmöglichkeit erhält durch eine Studie von PIZAM & FLEISCHER (2002) zusätzliches Gewicht, die zeigt, dass die Frequenz der Störung der Sicherheitslage größeren Einfluss auf die touristische Nachfrage besitzt als ihr Ausmaß. Destinationen können deshalb sogar schwere gewalttätige Unruhen verkraften und sich schnell wieder von Nachfragerückgängen erholen, solange sich die auslösenden Ereignisse nicht wiederholen. Wie CAVLEK (2002: 492) am Beispiel Kroatiens zeigt, implizieren deshalb länger andauernde kriegerische Auseinandersetzungen mit ihrer Kombination von wiederkehrenden und schweren gewalttätigen politischen Unruhen das größte Potenzial, um die Entwicklung einer Destination langfristig und nachhaltig negativ zu beeinflussen. Wenn auch die Gründe für die Entstehung von Nachbarschaftseffekten empirisch nur schwer zu eruieren sein dürften, so erscheint es zusammenfassend doch sinnvoll anzunehmen, dass die Entstehung von Nachbarschaftseffekten erstens mit der Stärke und Frequenz von gewalttätigen politischen Unruhen, zweitens mit der Intensität und Art der medialen Berichterstattung und drittens mit der sozialen Distanz zwischen potenziellen Touristen und den Menschen in den betroffenen Destinationen zusammenhängt. In Nachbarschaftseffekten können auch neben lokalen Störungen der Sicherheitslage die wesentlichen Gründe für die negativen Auswirkungen terroristischer Anschläge, politischer Unruhen und von Kriegen auf die touristische Nachfrage gesehen werden, wie sich am Beispiel Ägyptens eindrücklich demonstrieren lässt (vgl. Abbildung 6). Die Grafik veranschaulicht die heftigen Schwankungen der touristischen Nachfrage, die vor allem auf gewaltintensive Sicherheitsstörungen folgen können. Der IrakKuwait-Krieg 1990/91 und das Luxor-Attentat vom 17. November 1997 führen kurzfristig zu dramatischen Nachfrageinbrüchen von im einen Fall mehr als 70 % und im anderen Fall von mehr als 50 %, die sich jedoch nach sechs bis zwölf Monaten wieder normalisieren und – wie an den heftigen positiven Ausschlägen abzulesen ist – später geradezu überkompensiert werden, so dass im Durchschnitt in etwa die vorherigen Wachstumsraten erreicht werden können.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 93
250 2. Intifada 200 150 LuxorAttentat
Hochphase terroristischer Anschläge militanter Islamisten
100 Irak-KuwaitKrieg
50 0 -50
Gleitender Durchschnitt über je zwei Monate
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
-100 1990
Veränderung der Tourstenankünfte gegenüber dem gleichen Monat im Basisjahr 1989 in %
Abbildung 6: Gewalttätige politische Unruhen und Touristenankünfte in Ägypten 1990 bis 2000
Lineare Trendentwicklung der Gesamtperiode
Quellen: Ministry of Tourism, Arab Republic of Egypt (div. Jahre); eigener Entwurf
Die Folgen gewalttätiger politischer Unruhen für die touristische Nachfrage in der MENA-Region wurde mit Hilfe der Analyse von statistischen Daten bspw. für Israel ( bspw. BAR-ON 1996; BEIRMAN 2002; BRUNT & COUSINS 2000; DRAKOS & KUTAN 2003; MANSFELD 1996, 1999), den Libanon (bspw. GLASZE 2004; ISSA & ALTINAY 2006) und Ägypten (bspw. AZIZ 1995; BAR-ON 1996; BRUNT & COUSINS 2000; HALL & O'SULLIVAN 1996; MEYER 1996b; SAKR & MASSOUD 2003; STEINER 2004; WAHAB 1996a) eingehend demonstriert.
4.3
Veränderungen der touristischen Nachfrage in der Arabischen Welt seit dem 11. September
Die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers haben katalytische Wirkungen auf die touristische Nachfrageentwicklung in der Arabischen Welt gezeitigt, die im Folgenden dargestellt werden. Um die Nachfrageentwicklung verstehen zu können ist es notwendig, zuerst die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers in Erinnerung zu rufen, um danach die wichtigsten Lesarten des Konfliktes in den westlichen Industriestaaten und in der Arabischen Welt zu erläutern. Sich mit den Ereignissen und ihren gängigen Interpretationen zu beschäftigen ist deshalb wichtig, weil diese – wie sich später zeigen wird – das Verhalten der potenziellen Touristen sowohl in den westlichen Industriestaaten wie auch innerhalb der Arabischen Welt entscheidend beeinflussen. Die Schilderung des sich damit wandelnden Handlungskontextes für die Angebotsschaffenden Akteure ist notwendig,
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da ohne dessen Verständnis die Untersuchung ihrer organisationalen Handlungsstrategien entankert bliebe.
4.3.1 Zeitgeschichtlicher Kontext: Die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers Die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 auf das World Trade Centre in New York und das Pentagon in Washington mit über 3.000 Toten stellen eine neue Größendimension des internationalen Terrors dar. Die Anschläge lösen weltweit Betroffenheit aus und auch in der Arabischen Welt überwiegt der Schock über die Ereignisse (OWEN 2004: 219), auch wenn die Reaktionen durchaus ambivalent sind (ELGAWHARY 2002). Die Anschläge werden dem radikal-islamistische 55 Ziele verfolgenden Terrornetzwerk Al-Qaida zugeschrieben. Die Anschläge vom 11. September sind als Zeichen des militanten Islamismus so deutlich sichtbar wie noch nie. Im Sinne KARBERs (1971) sowie WEIMANN & WINs (1994) kann konstatiert werden, dass es mit diesen Anschlägen den militanten Islamisten erfolgreich gelungen ist, ihre Botschaft als mediales Massenevent um die ganze Welt zu transportieren und die Schlagzeilen über Monate und Jahre hinweg zu dominieren. Die Ereignisse des 11. Septembers ziehen weitreichende Folgen für das weltpolitische Geschehen im neuen Jahrtausend nach sich. Die USA unter der Regierung Bush verstehen die Anschläge vom 11. September als Kriegserklärung und rufen einen „Krieg gegen den Terror“ aus, für den die meisten Länder der Welt den USA Unterstützung zusagen. Die USA setzen in ihrer Terrorismusbekämpfungsstrategie nicht nur auf polizeiliche, 55
Als Islamismus wird eine fundamentalistische Richtung des Islams bezeichnet, die ihn als politische Ideologie betrachtet und die Errichtung einer islamischen, politischen Ordnung anstrebt (HAFEZ 2001: 8). Obwohl das Begriffskonzept selbst durchaus problematisch – weil kaum klar abgrenzbar ist – findet es sich in dem weit überwiegenden Teil der Literatur zu den Hintergründen der Anschläge des 11. September wieder. Aufgrund des begrenzten Umfanges der vorliegenden Arbeit kann weder näher auf die Hintergründe des Islamismus noch auf die Problematik des Begriffskonzeptes eingegangen werden. Es sei deshalb zum Einen auf den knappen und hervorragenden Einführungsartikel von HAFEZ (2001) und zum Anderen auf das Kapitel über Islamismus und Terrorismus bei KASSEM (2004) verwiesen, die analytisch sehr pointiert die Entwicklung des politischen und militanten Islam darstellt. Da Ägypten als das Geburtsland des Islamismus in der Moderne verstanden werden kann, sei die Aufmerksamkeit zudem auf zwei Werke zum Thema Islam und Islamismus aus den 1990er Jahren gelenkt: das Standardwerk zum Thema Islamismus „Der Prophet und der Pharao: das Beispiel Ägypten: die Entwicklung des muslimischen Extremismus“ von KEPEL (1995) sowie die sehr fundierte Arbeit von SULLIVAN & ABED-KOTOB (1999) über die Geschichte des Islams und des Islamismus in Ägypten.
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sondern vor allem auf geheimdienstliche und militärische Mittel. 56 Die NATO ruft am 12. September erstmals in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall aus und unterstützt die USA bei deren Krieg gegen das TalibanRegime in Afghanistan, das Al-Qaida Zuflucht bietet. Die Hauptphase des Afghanistan-Kriegs beginnt am 7. Oktober 2001 mit Luftangriffen und endet mit der Vertreibung der Taliban aus Südafghanistan im Dezember 2001. Im Rahmen der Kampfhandlungen der s. g. Operation „Enduring Freedom“ und der Besetzung Afghanistans sind deshalb zahlreiche NATO-Staaten, darunter Deutschland, beteiligt. Nach dem Krieg werden die Besatzungstruppen einem UN-Mandat unterstellt, unter dessen Leitung es schließlich zur Wahl eines neuen Parlamentes und einer neuen Regierung kommt. Seit der Vertreibung der Taliban befindet sich das Land jedoch in einer instabilen Sicherheitssituation mit einem stetig eskalierenden Guerillakrieg im Süden und zunehmenden terroristischen Aktivitäten in anderen Landesteilen. Die neue Regierung kann sich nur mit Hilfe der ausländischen Truppen an der Macht halten (MAASS 2006). 57 Seit dem Einmarsch der Koalitionstruppen in Afghanistan sind bis 04. Oktober 2007 insgesamt 705 Soldaten der Koalitionstruppen ums Leben gekommen (Iraq Body Count Project 2007). Die Angaben der Anzahl ziviler und nichtziviler Toter auf afghanischer Seite ist unklar. Sie dürfte jedoch mehrere zehntausend betragen. So starben allein im Jahr 2006 über 4.000 Menschen, während es bis Oktober 2007 bereits knapp 5.100 waren, wovon geschätzte 3.500 aufständischen Truppen zugerechnet werden (Spiegel Online 2007). Die USA richten direkt nach dem Afghanistan-Krieg in Guantanamo (Kuba) eigens ein Gefangenenlager für die in Afghanistan aufgegriffenen Terrorverdächtigen ein und weigern sich, ihnen die Rechte von Kriegsgefangenen zuzubilligen, wie auch sie der Zivilgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Die USA erfinden hierzu eigens den Status „feindlicher Kämpfer“, der weder von der Haager Landkriegsordnung noch der Genfer Konvention gedeckt wird und damit gegen Völkerrecht verstößt. Den Gefangenen 56
57
Diese Politik bringt zwei wesentliche Probleme mit sich: Erstens sind Terroranschläge – egal welche Maßstabsebene sie haben – völkerrechtlich nicht mit zwischenstaatlichen Konflikten gleichzusetzen. Sie stellen im Gegensatz zu kriegerischen Aktivitäten schlicht Straftaten dar, für deren Bekämpfung in einem Rechtsstaat mit klarer Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben Polizei und Justiz zuständig sein sollten und nicht Militär und Regierung. Die Verfolgung terroristischer Aktivitäten mit militärischen Mitteln bedroht daher unmittelbar rechtsstaatliche Grundsätze. Zweitens ist die starke Konzentration auf die Verfolgung terroristischer Straftaten um so kritischer zu betrachten, als gleichzeitig relativ wenige Ressourcen für die Beseitigung der soziopolitischen Ursachen des Terrorismus aufgewendet werden. Die instabile politische und militärische Situation hält uneingeschränkt auch noch im Winter 2007 an, in dem dieses Kapitel geschrieben wurde.
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werden rechtsstaatliche Gerichtsverfahren verwehrt, sie werden ohne Gerichtsbeschluss unbefristet festgehalten und es wird wiederholt über Folterungen in Guantanamo berichtet. Darüber hinaus verdichten sich die Anzeichen, dass die USA mit ihrem Auslandsgeheimdienst CIA Gefangenentransporte in Drittstaaten durchführen, die dem Zweck dienen, die Gefangenen in Staaten verhören zu lassen, in denen die angewendeten Verhörmethoden durch keinerlei rechtsstaatliche Grenzen beschränkt werden (AI 2007; HEINZ 2004: 34ff). Weltweit werden von Regierungen nach dem 11. September s. g. AntiTerrormaßnahmen ergriffen, die zum Teil jedoch dazu dienen, auf polizeilichem, militärischem und geheimdienstlichem Wege innere Probleme zu lösen und Oppositionsgruppen zu unterdrücken. In jedem Fall werden die Bürgerrechte – z. T. sogar erheblich – eingeschränkt. In arabischen Staaten nimmt die Repression der religiös-konservativen sowie islamistischen Opposition stark zu (HRW 2003: 405ff; NÜSSE 2002). In den USA ist gleichzeitig eine wahre Erosion der Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit unter der Regierung Bush zu verzeichnen (HEINZ 2004: 34) und auch in Europa werden polizeiliche und geheimdienstliche Befugnisse immens ausgedehnt und die Überwachung der Bevölkerung stark ausgeweitet. Hierbei werden bspw. in Deutschland insbesondere rassistische und antiislamische Elemente der neuen Sicherheitspolitiken, wie die stigmatisierende Rasterfahndung, stark kritisiert. In den USA und in zahlreichen westlichen Industrieländern werden die Visa-Vergaberegularien teils drastisch verschärft und nehmen in Teilen rassistische Züge an, da vor allem arabischstämmige Reisende unter Terrorismus-Generalverdacht gestellt und intensiv kontrolliert oder ihnen Einreisen gänzlich verweigert werden (ALHAMARNEH & STEINER 2004: 175). In Teilen der europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften schlagen sich zudem islamophobische Tendenzen Bahn, die sich in einer Muslimen und Arabern gegenüber angespannten, teilweise sogar feindlichen, Stimmung ausdrückt und die Pogromen gegen arabischstämmige Einwohner der USA nach dem 11. September zugrunde liegen. Parallel zu den Anti-Terror-Maßnahmen in den USA und Europa nehmen terroristische Anschläge mit islamistischem Hintergrund stark zu und erhalten eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Ziel der Anschläge sind erstens Einrichtungen der USA und ihrer europäischen Verbündeten im Ausland, zweitens Bürger dieser Staaten, die sich entweder aus beruflichen oder touristischen Gründen im Ausland aufhalten und drittens „weiche“ Ziele wie Nahverkehrseinrichtungen in den europäischen Staaten selbst (vgl. Tabelle 10). Insbesondere die Terror-Anschläge von Djerba und Bali im Jahr 2002 fordern hohe Opferzahlen unter Touristen. Die Sprengstoffanschläge auf Bali stellen zudem die schwerste jemals gegen Touristen gerichtete Terrorattacke der bisherigen Geschichte dar (FRANGIALLI 2002: 3).
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Nachdem die Bush-Regierung den Führern der Al-Qaida und insbesondere Osama bin Laden in Afghanistan nicht habhaft werden können, richtet sich der Fokus der internationalen Aufmerksamkeit im Verlauf des Jahres 2002 auf den Irak, dem von der Bush-Administration eine Unterstützung des internationalen Terrorismus und die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen vorgeworfen werden. Insbesondere Letzteres wäre ein Verstoß gegen die geltenden UN-Resolutionen seit dem Irak-Kuwait-Krieg gewesen. In einer Rede zur Lage der Nation am 29.01.02 spricht Bush schließlich von der „Achse des Bösen“ (BUSH 2002), zu der er neben dem Irak auch Nordkorea und Iran zählt. Diese Rede ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die mühsam geschmiedete Koalition gegen den Terror erheblich geschwächt wird. Der Iran – damals noch unter dem als Reformer geltenden Präsident Chatami – stellt seine nach dem 11. September zaghaft eingeläutete Öffnungspolitik gegenüber den Vereinigten Staaten ein und wendet sich von den USA ab. Innerhalb der Arabischen Welt führt Bushs Rhetorik ebenfalls zu einer Polarisierung. Trotz dürftiger Beweislage erhöhen die USA stetig ihren Druck auf den Irak und versuchen im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zu erwirken, die sie explizit zum militärischen Eingreifen im Irak ermächtigen würde. Die USA können sich jedoch mit ihrem Anliegen trotz der Unterstützung Großbritanniens nicht durchsetzen. Insbesondere die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Russland, unterstützt von Deutschland, lehnen eine solche Resolution ab. Angesichts der offenen Konfrontationspolitik Frankreichs und Deutschlands gehen auch andere Staaten wie Mexico im Sicherheitsrat in Opposition zu den USA. Als Kompromiss wird schließlich im November 2002 die Resolution 1441 verabschiedet, die die Wiederaufnahme der Waffeninspektionen im Irak fordert, in ihren anderen Teilen jedoch betont unkonkret bleibt. Die Inspektionen werden wieder aufgenommen, jedoch wird dem Irak im Februar 2003 von den USA im Sicherheitsrat vorgeworfen, weiterhin Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Hierzu legt der damalige Außenminister Colin Powell dem Sicherheitsrat Beweise vor, die sich später als falsch herausstellen werden. Den USA gelingt es im Zuge ihrer immer offener „expansiv“ agierenden Irakpolitik mit Hilfe ihrer „Propaganda“ (HIPPLER 2004: 4) über angeblich existierende Massenvernichtungswaffen eine zunehmend breitere „Koalition der Willigen“ für einen Einmarsch im Irak zu schmieden, der neben Großbritannien noch die konservativ regierten Länder Spanien, Italien, Polen sowie Südkorea, Japan und Australien und eine größere Anzahl kleinerer Staaten angehören. Trotz erheblichen weltweiten Widerstandes und zuletzt sogar der Weigerung der Türkei, einen Militärschlag der von den USA angeführten Truppen gegen den Irak zu unterstützen, marschieren die Koalitionstruppen ohne weitere Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat und ohne formelle Kriegserklärung am 20. März 2003 im Irak völkerrechtswidrig ein und eröffnen damit den dritten Golfkrieg.
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Tabelle 10:
Datum
Auswahl weltweiter Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund auf Staatsbürger westlicher Industriestaaten oder deren Einrichtungen seit dem 11. September 2001
Ort
11.09.01 New York & Washington (USA) 11.04.02 Djerba (TN) 08.05.02 Karachi (PK) 14.06.02 Karachi (PK) 12.10.02 Bali (ID) 28.11.02 Mombasa (KE) 12.05.03 16.05.03 05.08.03 08.11.03 16.11.03 20.11.03 11.03.04 20.04.04 01.05.04 29.05.04 07.10.04 07.04.05 30.05.05 30.05.05 07.07.05 16.07.05 23.07.05 09.11.05 24.04.06 (1)
Anm.:
Ziel
Art Menschlicher Schaden VF ~ 3000 T
World Trade Centre, Pentagon Synagoge SP 21 T Hotel SP 14 T, 23 V US-Konsulat SP 12 T, 50 V Clubs, Bars, Restaurants SP 202 T, 303 V Von israelischen Touristen SM 18 T besuchtes Hotel Riad (SA) Wohngebiete westlicher SP 35 T, 194 V Ausländer Casablanca (M) Westliche und jüdische Ein- SP 45 T, über 100 V richtungen Jakarta (ID) Marriott Hotel SP 12 T, 149 V Riad (SA) Wohngebiete westl. Aus- SP 10 T, 100 V länder Istanbul (TR) 2 Synagogen SP 24 T, 300 V Istanbul (TR) Britisches Konsulat SP 25 T, 390 V Madrid (ESP) Nahverkehrszüge SP 191 T Riad (SA) Wohngebiet SM 17 T, 100 V Janbu (SA) Hafen SP 25 T (5 Ausländer) El Khobar (SA) Wohngebiete GS 22 T westl.Ausländer Taba, Ras Sheitan, Hotel, 2 Camps SP 34 T, 105 V (zumeist Nuweiba (EG) Israelis) Kairo (EG) Suq SM 3 T Kairo (EG) Ägyptisches Museum SP 9 V Kairo (EG) Bus mit Touristen GW Keine London (GB) 3 U-Bahnen, ein Bus SP 56 T, 700 V Izmir (TR)(1) Minibus mit Touristen SM 5 T, 14 V Sharm el-Sheikh Hotel, Minibushaltestelle, SP 88 T, 200 V (EG) Ortszentrum Amman (JO) 3 Hotels SM 58 T Dahab (EG) Restaurants, Supermarkt SP 22 T, 150 V
Bei diesem Anschlag ist ungeklärt, ob er Al-Qaida, der kurdischen PKK oder einer neuen türkisch-nationalistischen Verschwörergruppe zugeschrieben werden muss. ESP = Spanien, ID = Indonesien, JO = Jordanien, KE = Kenia, M = Marokko, PK = Pakistan, SA = Saudi.Arabien, TN = Tunesien, TR = Türkei, EG = Ägypten; VF = Anschlag mit entführten Verkehrsflugzeugen, SP = Sprengstoffanschlag, SM = Selbstmordanschlag, GS = Geiselnahme, GW = Gewehrbeschuss; T = Tote, V = Verletzt
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 99 Anschläge in Israel/Palästina, Irak und Afghanistan wurden wegen der dortigen Besatzungs- bzw. (Bürger-)Kriegssituation nicht berücksichtigt. Das Gleiche gilt für Anschläge in Russland und Tschetschenien sowie die Entführung von 14 Sahara-Touristen in Algerien von April bis August 2003 und die wiederholten Entführungen von Touristen im Jemen, da sie i. d. R keinen islamistischen Hintergrund aufweisen. Quellen: FAZ 2005; SPIEGEL ONLINE 2006a, 2006b; SZ 2005
Der Widerstand des irakischen Militärs bricht unerwartet schnell zusammen. Bereits am 7. April erobern die Koalitionstruppen Bagdad, am 2. Mai erklärt Präsident Bush die Hauptkampfhandlungen für beendet. Seit der Invasion des Iraks sind mit Datum zum 4. Oktober 2007 4.110 Soldaten der Koalitionstruppen, schätzungsweise 2.300 irakische Soldaten während der Kampfhandlungen, mindestens rund 7.500 irakische Polizisten und Soldaten seit Wiederaufbau der irakischen Sicherheitsorgane und knapp 82.400 irakische Zivilisten ums Leben gekommen (Iraq Body Count Project 2007; WHITE & KUTLER 2007). 58 Eine Studie der Johns Hopkins University geht sogar bis Juli 2006 von geschätzten 655.000 getöteten Irakern seit Beginn der Kampfhandlungen aus, was 2,5 % der gesamten Bevölkerung entspräche (BURNHAM et al. 2006). Mehr als 2,5 Mio. Iraker befinden sich innerhalb und außerhalb des Landes auf der Flucht (ZOROB 2007). Die anhaltenden Kampfhandlungen und die stetig prekärer werdende Sicherheitslage in Afghanistan sowie im Irak scheinen unter dem anhaltenden Besatzungsregime in beiden Ländern zunehmend in bürgerkriegsähnliche Zustände überzugehen. In beiden Ländern kann sich eine zentrale Staatlichkeit bisher nicht durchsetzen, ein staatliches Gewaltmonopol ist in weite Ferne gerückt. Die Gefahr, dass sich sowohl Afghanistan wie Irak mittel- bis langfristig als s. g. „failed states“, d. h. als Staaten ohne hinreichende souveräne Kontrolle über ihr Territorium erweisen, erscheint momentan groß. Nach dem Einmarsch in Irak und Afghanistan drohen militante islamistische Gruppen zunehmend auch Terroranschläge in Europa an, zu denen es zuerst im März 2004 in Madrid, dann im Juli 2005 auch in London kommt. Beide Anschläge richten sich gegen den öffentlichen Nahverkehr und haben eine große Anzahl an Toten und Verwundeten zur Folge. Während Spanien unter dem Eindruck der Madrid-Anschläge und dem kurz darauf folgenden Regierungswechsel einen Truppenabzug im Irak einleitet, bleiben die britischen Truppen im Irak. Die Wende in der spanischen Politik löst nachfolgend eine Welle von weiteren Truppenabzügen aus Staaten der Koalition der Willigen aus dem Irak aus. Dies ermuntert militante Islamisten und Aufständische im Irak und in Afghanistan, im Gegen58
Die Zahl der Getöteten dürfte um ein Vielfaches höher liegen, da vom Iraq Body Count Project nur durch Medien und Hilfsorganisationen dokumentierte und nicht in Kampfhandlungen verwickelte getötete Zivilisten gezählt werden.
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zug zunehmend Ausländer zu kidnappen oder Anschlagsdrohungen auszusprechen, um so weitere Staaten zum Ende ihres militärischen Engagements in Afghanistan und Irak zu bewegen. Ein Truppenabzug weiterer Staaten ist in beiden Ländern jedoch gegenwärtig nicht absehbar.
4.3.2 Lesarten des Konfliktes Die oben geschilderten gewalttätigen politischen Unruhen im Zuge des 11. Septembers werden in vielen verschiedenen Arten medial aufbereitet und interpretiert. Potenzielle Touristen bilden sich aus den von den Medien zur Verfügung gestellten Informationen und Lesarten des Konfliktes ein Bild seiner Ursachen und bauen darauf die Risikoabschätzung für ihre Reiseabsichten auf. Um zu verstehen, warum sich in welcher Art und Weise die touristische Nachfrage nach dem 11. September verändert hat, ist es deshalb notwendig kurz die in der Öffentlichkeit dominierenden Lesarten 59 des Konfliktes darzustellen. Aus der Sicht der militanten Islamisten wendet sich ihr Kampf nach zahlreichen Terroranschlägen gegen US-Einrichtungen in den 1990er Jahren am 11. September gegen einen vermeintlichen amerikanischwestlichen „Imperialismus“, der generell für die Unterentwicklung der arabischen Gesellschaften und die Stabilisierung der als illegitim betrachteten Regime in der Arabischen Welt verantwortlich gemacht wird (KASSEM 2004: 159f). Die USA und ihre Verbündeten werden in dieser Logik als Aggressoren verstanden, gegen die es sich zu wehren gilt (STEINBERG 2002: 12). Insbesondere die USA werden dabei metaphorisch als der „große Satan“ betrachtet, der zu bekämpfen ist (BAHR 2005). 60 Innerhalb der arabischen Gesellschaften sind die Reaktionen ambivalent. Einerseits sind die meisten Menschen geschockt von den inhumanen und moralisch inakzeptablen Anschlägen mit tausenden von Opfern, andererseits schwingt bei vielen auch liberalen und demokratisch gesinnten Arabern eine gewisse Genugtuung darüber mit, dass „dieses mal“ die USA getroffen wurden. Die ambivalente Reaktion lässt sich mit der Genugtuung oder Schadenfreude von im Selbstbild Machtlosen erklären, die die An-
59
60
Dabei können selbstverständlich nicht alle möglichen Lesarten dargestellt werden. Insbesondere sehr differenzierte Perspektiven, wie sie häufig im Wissenschaftsbetrieb anzutreffen sind, können hier nicht vollumfänglich referiert werden. Die Auswahl der vorgestellten Perspektiven ergibt sich erstens aus den Perspektiven der beteiligten Konfliktakteure sowie zweitens aus ihrer Durchdringung der gesellschaftlichen Meinungsbildung. Dies ist natürlich eine extrem verkürzte Darstellung, die nicht im Entferntesten den sehr komplexen Hintergründen gerecht werden kann. Für detaillierte und deutlich weitergehende Interpretationen der Ereignisse des 11. September sind bspw. der sehr eindrückliche Sammelband von STEIN & WINDFUHR (2002) sowie der Artikel von STEINBERG (2002) zu empfehlen.
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schläge vom 11. September als eine Quittung für die Nahostpolitik der USA interpretieren, als die Ernte des Sturmes, den die USA selbst in Jahrzehnten verfehlter Politik im Nahen Osten gesät hätten. Die Nahostpolitik der USA wird von vielen Arabern für eine fortgesetzte politische Unterdrückung in Palästina, das Elend der unter den UN-Sanktionen leidenden Irakern und ihre eigene Unfreiheit unter den sie beherrschenden und von den USA gestützten autokratischen Regimen der Arabischen Welt verantwortlich gemacht. Die imperialistische, amerikanische Nahostpolitik, so der Vorwurf, billige und ermögliche die Entrechtung, Unterdrückung und Ausbeutung der arabischen Bevölkerungen durch ihre autoritären Regime solange diese als Vasallen an der Seite der USA stünden (ARMBRUSTER 2002; EL-GAWHARY 2002; KASSEM 2004). Diese Wahrnehmung produziert ein Gefühl fortgesetzter Demütigung und positioniert die arabische Seite in der Opferrolle, die geeignet ist, „Gegenwehr“ zu rechtfertigen oder zumindest zu billigen (HIPPLER 2004: 5; HUSSEINI 2007). Die christlich-evangelikal geprägte Bush-Regierung versteht die Anschläge vom 11. September spiegelbildlich als Kriegserklärung an die „zivilisierte Welt“ und setzt sich damit ebenfalls in die Opferrolle. Bush sieht im islamistischen Terrorismus eine Manifestation des „Bösen“, das es zu vernichten gälte. Diese Konfliktinterpretation zeigt sich in dem von ihm erklärten „Kreuzzug gegen den Terror“ (BUSH 2001), den er bereits am 16. September erklärt. Die religionsgeschichtlich unsensible Begriffswahl führt in der Arabisch-islamischen Welt zu heftigen Verstimmungen, so dass Bush den Begriff kurz darauf zurücknimmt. Dies ändert jedoch nichts an seinen Interpretationskoordinaten des Konfliktes, die er mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch von der „Achse des Bösen“ (BUSH 2002) erneut unter Beweis stellt. Ironischerweise operieren sowohl die islamistische Lesart Al-Qaidas wie auch die der Bush-Administration mit einem dualistischen Weltbild des Kampfes des „Guten“ gegen das „Böse“– nur dass beide Seiten den jeweils anderen als den Inbegriff des Bösen ausmachen. Beide Seiten benutzen hierzu apokalyptische Weltbilder, um ihre Politik zu legitimieren. Der jeweils Andere wird zuerst dämonisiert und entmenschlicht, um ihn dann ohne humanitäre Zweifel und mit allen Mitteln zu bekämpfen. Dabei setzen beide Seiten eine „neue pathologisch-religiöse Weltordnung“ (BAHR 2005: 1113) in Szene, die es ihnen erlaubt, sich zum Retter der eigenen Gruppe vor den „satanischen Mächten“ aufzuschwingen (ebd.: 1111). 61
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Beide Seiten ignorieren allerdings ein wesentliches theologisches Moment, nach dem im Rahmen der Apokalypse sowohl das Urteilen wie auch das Vollstrecken der Urteile ausschließlich Gott überlassen bleibt. Dies ist um so bemerkenswerter, da sich insofern sowohl die tiefreligiöse BushRegierung wie auch die islamistische Al-Qaida Gott gleich stellen, was so-
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Während diese religiös verbrämte Konfliktinterpretation besonders in Europa kaum Anhänger gewinnen kann, mag die perspektivische Koalition zwischen der Bush-Regierung und Al-Qaida dennoch dazu verführt haben, dass trotz der weltweiten Solidaritäts- und Beileidsnoten nach dem 11. September an die Adresse der USA, die sogar aus Iran und Syrien entsandt werden, die Anschläge von zahlreichen Kommentatoren in das Interpretationsschema eines „Kampf der Kulturen“ (HUNTINGTON 1993, 1998) eingeordnet werden. In diesem Anfang der 1990er Jahre diskutierten und in der Wissenschaft weitgehend abgelehnten Konzept prognostiziert HUNTINGTON nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes einen „clash of civilizations“, 62 der sich an den Bruchlinien vermeintlich homogener Kulturen und Kulturräume abspielen würde. Dabei sei der Konflikt zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“ eine der konfliktträchtigsten Bruchlinien der Zukunft. HUNTINGTONs These basiert daher im Wesentlichen auf einer Essenzialisierung von Kultur und operiert mit strategischen, quasihomogenen geopolitischen Raumabstraktionen (WOLKERSDORFER 2006). Die sehr vereinfachende Perspektive von HUNTINGTON entspricht somit in struktureller Hinsicht spiegelbildlich weitgehend der dualistischen, antagonistischen und ebenfalls essenzialistischen Perspektive der militanten Islamisten, wie sie von Al-Qaida und anderen Organisationen vertreten werden (STEINBERG 2002: 13). HUNTINGTONs These des Kampf der Kulturen sowie der militante Islamismus benutzen den jeweils anderen zur antagonistischen Versicherung ihrer eigenen Identität und demonstrieren insofern eindrücklich die Aktualität der Grundthesen des Orientalismus (SAID 2003) bzw. des Okzidentalismus (BURUMA & MARGALIT 2005). 63 Beide Lesarten operieren mit starken Simplifizierungen der Konfliktlinien und bedienen sich dazu Essentialisierungen und Homogenisierungen des Anderen, die dazu geeignet sind, die Wahrnehmung kultureller Pluralität und Differenz zunehmend zu verdrängen. Dies führt, so der Psychoanalytiker HILGERS (2002) zur „dauerhaften Entdifferenzierung der politischen Debatte und (…) zur festen Etablierung von Feindbildern.“ Diese Lesarten des Konfliktes eignen sich bestens, um die eigene Anhängerschar zu vermehren – je mehr beide Seiten ihre im Kern xenophobe 64 und fundamentalistische Sichtweise verbreiten können, desto mehr wird sie Wirklichkeit. Die islamistischen Extremisten aus der Arabischen Welt, die Rechtspopulisten, die fundamentalistisch Christlich-Evangelikalen und ei-
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wohl im Christentum, wie auch im Islam, als Häresie bewertet wird (BAHR 2005: 1117). So der englische Originaltitel des Buches. Für eine kurze und prägnante Zusammenfassung der Ursprünge des Orientalismus und des Okzidentalismus siehe auch THIELMANN 2006. Xenophobie beschreibt eine Einstellung, die alles als fremd Klassifiziertes ablehnt oder vor diesem Furcht empfindet..
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nige Neokonservative aus den westlichen Industriestaaten arbeiten insofern aus zwei unterschiedlichen Perspektiven an der Durchsetzung eines Weltbildes, das in beiden Fällen den gleichen strategischen Interessen dient (SCHARENBERG 2006: 263). Obwohl bereits kurz nach den Anschlägen zahlreiche europäische, amerikanische und arabische Journalisten, Intellektuelle und Politiker (bspw. HABERMAS 2002; SAID 2002) das Erklärungsmuster eines Kampfes der Kulturen zurückweisen und nicht müde werden immer wieder zu erklären, dass ein solches Bild unangemessen ist (bspw. RAMADAN 2006; STEINMEIER 2006), gewinnt die Deutung der Anschläge als Teil eines „Kampfs der Kulturen“ seit dem 11. September stetig an Bedeutung. Sämtliche große deutsche Tages- und vor allem Wochenzeitungen haben dem Islam und der Frage, inwieweit er in seinem Wesen gewalttätig sei oder nicht, immer wieder Titelgeschichten gewidmet. Das Spiegel Spezial Heft „Allahs blutiges Land – der Islam und der Nahe Osten“ oder das Stern-Titelblatt mit der Schlagzeile „Wie gefährlich ist der Islam?“ (Spiegel Spezial 2003; Stern 2007) sind nur zwei beredete deutsche Beispiele dafür, wie Medien versuchen, mit konfrontativen, essentialisierenden Bildern des Islam und der Arabischen Welt ihre Auflagen zu verbessern und damit öffentliche Diskurse prägen, indem der Islam in direkter Nähe zu Gewalt und Terrorismus dargestellt wird. Die Berichterstattung der Printwie der elektronischen Medien über den Islam ist von wissenschaftlicher Seite wiederholt in den letzten Jahren kritisch analysiert worden. Wie die Arbeiten von HAFEZ (HAFEZ 2002; HAFEZ & RICHTER 2007) zeigen, liegt der Schwerpunkt der Berichterstattung immer wieder auf einer vermeintlichen Verbindung von Islam und Gewalt und unterrepräsentiert Bilder des normalen Alltagslebens. Dabei wird die Analyse der Ursachen des Terrors zumeist an Hand der Frage aufgerollt, ob er seine Wurzeln im Islam hat. Zugleich mangelt es teils in denselben Berichten durchaus nicht an Stimmen von aufgeklärten Journalisten, die vor einer Pausschalverurteilung von Muslimen und der Gleichsetzung von Islam und Islamismus warnen. Eine Ursachenforschung, die nicht auf der religiösen Ebene ansetzt, sondern Terrorismus von seinen politischen und gesellschaftlichen Bezügen her denkt, ist jedoch stark unterrepräsentiert. HAFEZ bezeichnet diese ambivalente Islamfixierung im Konfliktbild der Medien deshalb als eine Art „aufgeklärte Islamophobie“ (HAFEZ 2002: 227). Auch wenn sich kausale Wirkketten der Art von Medienberichterstattung auf die öffentliche Meinungsbildung wegen metawissenschaftlicher und methodischer Probleme kaum nachweisen lassen, ist es aufgrund theoretischer Überlegungen (vgl. Kapitel 4.2) sinnvoll anzunehmen, dass hier eine Verbindung besteht.
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Exkurs – von Kulturkonzepten und Raumabstraktionen Das essentialistische Kulturkonzept HUNTINGTONs wie das der militanten Islamisten hält einer wissenschaftlichen Diskussion nicht stand. Es bietet sich an, die Wirklichkeit weitaus weniger homogen und klar strukturiert zu begreifen, als beide Seiten suggerieren. Die wissenschaftliche Debatte um Kulturkonzepte hat sich deshalb weit von dieser Art „platter Stammtischrhetorik“ entfernt. Laut der klassischen Begriffsdefinition von TYLOR (1873: 1) ist unter Kultur der „Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten“ zu verstehen, „welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat.“ Ein solches Kulturkonzept kann jedoch weder statisch noch überindividuell homogen sein, da unterschiedliche Menschen einer Gesellschaft in verschiedenen sozialen Gruppen mannigfaltige Wertesysteme und Handlungsmuster entwickeln. GEERTZ (1983: 9) definiert daher Kultur in einem semiotischen Sinne als „Bedeutungsgewebe“, in dem Menschen verstrickt sind und das sie selbst kontinuierlich verändern. Kultur wird hier als Zeichensystem verstanden, mit dessen Hilfe Bedeutung und damit Differenz produziert wird. Man kann Kultur also als eine Art „symbolische Sinnwelt“ (BERGER & LUCKMANN 2004: 114) verstehen, als eine sozial bedingte, sich im Erkenntnisprozess ständig wandelnde Art, wie Menschen sich ihre Welt praktisch tätig erschließen (vgl. Kapitel 2.1.2). Aus einem solchen semiotisch und handlungspraktisch beeinflussten Kulturkonzept heraus kann aber von Kultur nur in der Mehrzahl die Rede sein. Homogene Kulturen kann es demnach nicht geben, da Kulturen einer kontinuierlichen Veränderung und faktisch unendlichen Ausdifferenzierung unterworfen sind. Vor einem solchen Hintergrund stellt ein Kulturbegriff, der Kulturen ein eigenständiges, homogenes Wesen zuerkennt jedoch eine Simplifizierung der Komplexität unserer Lebenswelt dar, die ihr in keiner Weise gerecht wird. In diesem Sinne sind natürlich alle räumlichen Kategorien problematisch, die auf derartigen kulturellen Homogenisierungen aufbauen. Begriffe wie „der Westen“, „der Orient“ oder „die Arabische Welt“ müssen in diesem Sinne als soziale Konstrukte, als „geographical imaginations“ (GREGORY 1998) verstanden werden. Derartige Raumabstraktionen stellen „Simplifikationen sozialer Systeme zum Zwecke der anonymisierten Fremd- und Selbststeuerung des Handelns mit einfachsten Mitteln“ dar (HARD 1987: 132). Sie dienen dazu „komplexe Sachinformationen durch einfachere räumliche Informationen zu ersetzen“ (HARD 2002: 238). Problematisch an ihnen ist, dass sie eine hohe Wirkmächtigkeit entfalten können: „Überbau, Gesellschaftliches wird auf Physis abgebildet und gewinnt derartige Plausibilität, dass Kontingenz ausgeschlossen erscheint. Raumabstraktion erscheint als Materialisierung des Immateriellen, als kommunikables Modell von Gesellschaft. (…) Ihre PseudoPhysikalität, ihre Überzeugungskraft ist so stark, dass sie Steuerung ohne
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direkte Befehle, ohne formale Organisation (nach außen) gestattet – und so Organisiertes als selbstgesteuerte Orientierung erscheinen lassen. (…) Raumabstraktion versagt nicht in funktional differenzierten Gesellschaften, im Gegenteil, sie gehört zu den Mechanismen, die sie garantieren“ (KLÜTER in einem Brief zit. nach HARD 1999: 155f). Ihre Verwendung muss deshalb immer kritisch erfolgen, wenn sie auch aus kommunikationspraktischen Erwägungen nicht unterlassen werden kann – letzteres allein schon deshalb nicht, weil sie in den gesellschaftlichen Debatten verwendet und insofern auch in wissenschaftlicher Tätigkeit aufgegriffen werden müssen, sobald man sich diesen Diskursen wissenschaftlich widmet. Dass man sich damit als Wissenschaftler an der Reproduktion der zunächst kritisierten Diskurse und Raumabstraktionen beteiligt, ließe sich jedoch ironischerweise nur dann vermeiden, würde man schweigen, denn „die Sprache selbst ist das Vehikel des Denkens“ (WITTGENSTEIN 1971: Nr.329, 135). Wie eine repräsentative Studie des Institutes für Demoskopie Allensbach (NOELLE-NEUMANN & PETERSEN 2006) zeigt, findet die Perspektive des Kampfes der Kulturen immer mehr diskursiven Einfluss und kann, zumindest in der deutschen Öffentlichkeit, mittlerweile eine hegemoniale Position besetzen. Zwischen August 2004 und Mai 2006 nahm der Anteil der Befragten, die der Frage „Haben wir zurzeit einen Kampf der Kulturen zwischen Christentum und Islam“ zustimmen von 46 % auf 58 % zu, während der Anteil der Befragten, die diese Aussage als nicht zutreffend zurückwiesen von 43 % auf 22 % gesunken ist (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7: Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach: „Haben wir zurzeit einen Kampf der Kulturen zwischen Christentum und Islam?“
-34
Aug./Sep. 2004
46 Nein
Ja
-25
Mai 2006
-50
-30
56
-10
10
30
50
70
Angaben in Prozent der Befragten Quelle: NOELLE-NEUMANN & PETERSEN 2006; eigener Entwurf
Sogar Daniel Cohn-Bendit, einer der Urväter Grüner multikultureller Politik äußert die Vermutung, dass HUNTINGTON recht gehabt haben könnte, und die FAZ konstatiert, dass HUNTINGTONs These im Jahr 2006 „allge-
106 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
meiner Grundkonsens in der Weltwahrnehmung deutscher Meinungsbildner“ zu sein scheint (EHRHARDT 2006). Daraus lässt sich schließen, dass die Kommunikationsstrategie der Terroristen des 11. Septembers aufgegangen ist: Mit Hilfe von Kommentatoren und Politikern aus den westlichen Industriestaaten ist es ihnen gelungen, einer Perspektive auf die Strukturen der internationalen Beziehungen zum hegemonialen Durchbruch zu verhelfen, die in den USA und Europa bis dahin nur eine marginale Rolle spielten. Wie konfrontativ die Bilder des „anderen“ mittlerweile geworden si nd, lässt sich daran ablesen, dass der Anteil derjenigen, die mit Spannu ngen zwischen Muslimen und Deutschen rechnen, stark gestiegen ist (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8: Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach: „Glauben Sie, dass es hier zu Spannungen mit der muslimischen Bevölkerung kommt?“
13. Sep. 2001
-43
49 Nein
Mai 2006
Ja
-22
-50
-30
-10
58
10
30
50
70
Angaben in Prozent der Befragten Quelle: NOELLE-NEUMANN & PETERSEN 2006; eigener Entwurf
Während nach dem 11. September in Deutschland „nur“ 49 % Spannungen mit der muslimischen Bevölkerung erwarten, steigt ihr Anteil bis Mai 2006 auf 55 % an. Nur noch 22 % der Befragten gehen im Mai 2006 davon aus, dass das Zusammenleben auch in Zukunft spannungsfrei sein wird, während es nach dem 11. September noch 43 % waren. In Verbindung mit der Karriere des konfrontativen Weltbildes eines Kampfes der Kulturen hat sich daher das bereits eher negative Image des Islams seit dem 11. September stark verschlechtert (vgl. Abbildung 9). Die gewalttätigen politischen Unruhen seit dem 11. September und ihre mediale Reflexion sowie die hegemonialen Perspektiven auf die vorliegenden Konflikte führen in den westlichen Industriestaaten zu einer gestiegenen Bedrohungswahrnehmung (HIPPLER 2004: 5). Analog des Modells von STEINER et al. (2006) ist deshalb davon auszugehen, dass die soziale Distanz zwischen den Menschen in den traditionellen europäischen Quellmärkten und den Menschen in der Arabischen Welt in den letzten Jahren zugenommen haben dürfte. Dem Modell entsprechend wären relativ persistente Nachbarschaftseffekte und Veränderungen der Nachfragestrukturen zu erwarten.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 107
Abbildung 9: Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach zum Bild des Islams in Deutschland Islam assoziiere ich mit der Benachteiligung von Frauen Der Islam ist von Fanatismus geprägt Der Islam ist intolerant Der Islam ist rückwärtsgewandt Der Islam ist undemokratisch 0
10
20
30
40
50
Angaben in Prozent der Befragten
60
70
Mai 06
80
90 100
Aug./Sep. 2004
Quelle: NOELLE-NEUMANN & PETERSEN 2006; eigener Entwurf
Gleichzeitig hat das Image der westlichen Industriestaaten kontinuierlich in der Arabischen Welt gelitten aufgrund der sich verschärfenden und stark auf arabische Staatsbürger abzielenden Sicherheitsmaßnahmen und Visaverschärfungen in Europa und Nordamerika sowie der Invasion im Irak. Das Bekanntwerden der Vorgehensweise der USA im Kampf gegen den Terror führt in der Folge zu einem massiven weltweiten Ansehensverlust der USA und einer Verstärkung antiamerikanischer Einstellungen in der Arabischen Welt. Die hohen Opferzahlen vor allem im Irak, die offensichtliche Rechtlosigkeit des Gefangenlagers von Guantanamo, der Folterskandal von Abu-Ghraib und die enge Kooperation des CIA mit Geheimdiensten autoritär regierter und wegen ihrer Menschenrechtsverstöße kritisierter (arabischer) Staaten haben zu einer gravierenden Verschlechterung des Images der USA in der Bevölkerung der Arabischen Welt beigetragen (FAATH & MATTES 2004). Die Janusköpfigkeit der USA zwischen politischem Anspruch und faktischer Realität dient nachfolgend militanten Kräften dazu, ihren Widerstand gegen die Politik der USA zu legitimieren. Mit zunehmender Besatzungsdauer des Irak wird zudem die Kritik an den USA auch auf deren Koalitionspartner übertragen. Die USA verschärfen so mit ihrer expansiven und Menschenrechtsbelange ignorierenden Nahund Mittelostpolitik die Ursachen politischer Gewalt immer weiter (HIPPLER 2004: 4). Auch hier ist die soziale Distanz also tendenziell eher im Steigen begriffen. Trotz ihrer Beteiligung am Afghanistan-Feldzug und der Operation „Enduring Freedom“ genießen europäische Länder und insbesondere Deutschland sowie Frankreich nach wie vor eine vergleichsweise hohe Glaubwürdigkeit und ein hohes Ansehen in der Arabischen Welt (FAATH
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& MATTES 2004). Hierzu hat entscheidend die in den arabischen Gesellschaften sehr deutlich wahrgenommen Weigerung zur Unterstützung des Irakkriegs und die Verhinderung einer weitergehenden, kriegslegitimierenden UNO-Resolution beigetragen (HIPPLER 2004: 5).
4.3.3 Forschungsstand zu den Folgen gewalttätiger politischer Unruhen für die touristische Nachfrage seit dem 11. September Der Einfluss der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers auf die touristische Nachfrage hat erstaunlich wenig wissenschaftliche Resonanz erfahren. Bereits sehr zeitnah nehmen KUSCHEL & SCHRÖDER (2002) die Anschläge zum Anlass für eine Zusammenfassung des Forschungsstandes über den Einfluss von Terrorismus auf die touristische Nachfrage und skizzieren die unmittelbaren Wirkungen der Anschläge des 11. Septembers auf die globalen Nachfragestrukturen. Sie reißen Folgen der Nachfrageveränderungen für verschiedene touristische Leistungserbringer, wie die Hotellerie, den Transportsektor, Reiseveranstalter oder Reisemittler an und schließen mit einer Schilderung des gegenwärtigen und einer Empfehlung für ein zukünftiges Sicherheitsmanagement im Tourismus. Andere Autoren bleiben in ihrer Aufarbeitung der Ereignisse noch deskriptiver und beleuchten wie bspw. DIETSCH (2002) den Einfluss der Ereignisse im Marktsegment der Studienreisen. HALL (2002), KAGELMANN & RÖSCH (2002) sowie ULMANN (2002) befassen sich mit den direkten Auswirkungen der Anschläge auf den Tourismus in den USA, während die Folgen auf den asiatisch-pazifischen Märkten von EDMONDS & MAK (2006) näher untersucht werden. Wissenschaftliche Studien über die Auswirkungen der gewalttätigen politischen Unruhen im Kontext des 11. Septembers auf die touristische Nachfrage in der Arabischen Welt existieren bisher abgesehen von der Arbeit von AL-HAMARNEH & STEINER (2004) nicht. Sie beschreiben, wie sich in der Arabischen Welt als Folge der Anschläge konfrontative Perspektiven auf den jeweils Anderen verhärten und so einerseits die Touristenankünfte aus Westeuropa und Nordamerika zurück gehen und wie es andererseits zu einer Stärkung des intraregionalen Tourismus innerhalb der Arabischen Welt im Kontext eines Islamischen Tourismus kommt. 65 65
Eine ähnliche Strukturverschiebung wurde von SANTANA (2001: 236) auch in Bezug auf die Nachfolgestaaten Jugoslawiens beobachtet. Kroatien hat bspw. im Zuge des Kriegs große Teile seiner traditionellen, westeuropäischen Quellmärkte verloren und konnte diese Verluste nur durch einen Anstieg der Touristenzahl aus dem slawischen Raum (Tschechien, Ungarn, Slowenien und Slowakien) ausgleichen. Der Charakter und die Struktur des Tourismus in Kroatien habe sich mit dieser Regionalisierung der Nachfrage jedoch hin zu einem sehr viel niedrigeren Preisniveau nachhaltig verändert.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 109
STEINER et al. (2006) interpretieren dies als zunehmende Regionalisierung globaler Nachfragestrukturen durch die Verstärkung eines zweiseitigen Nachbarschaftseffektes, der sich nach dem 11. September durch eine Erhöhung der sozialen Distanz zwischen den Menschen in den Quell- und Zielmärkten der westlichen Industriestaaten einerseits und der Arabischen Welt andererseits erklären lasse. Auf diese Befunde und Interpretationen wird im nächsten Abschnitt noch näher eingegangen werden.
4.3.4 Empirisch beobachtbare Veränderungen der touristischen Nachfrage Trotz der einschneidenden Ereignisse bleiben die Folgen des 11. Septembers für den internationalen Tourismus überraschend begrenzt. Wie der Generalsekretär der Welttourismusorganisation während einer Rede im November 2002 feststellt, ist der von einigen Beobachtern erwartete weltweite Kollaps des Tourismus nach dem 11. September nicht eingetreten (FRANGIALLI 2002). Gegenüber dem Vorjahr gehen die weltweiten Touristenankünfte im Jahr 2001 nur um 0,6 % zurück (WTO 2002b). Obwohl sich dieser Rückgang zunächst nicht sehr bedeutend ausnimmt, ist er gleichsam bemerkenswert, stellt er doch den ersten Rückgang der weltweiten internationalen Touristenankünfte seit 1982 dar (WTO 2002a). Die Folgen des 11. Septembers für den internationalen Tourismus sind zudem regional äußerst unterschiedlich, wirken erst relativ spät im Jahr 2001 und kommen so zum Teil erst im Jahr 2002 zum Tragen. Die Folgen der Anschläge und des sich anschließenden Afghanistan-Kriegs für den internationalen Tourismus sind trotzdem erheblich: In den USA brechen die Touristenankünfte im September um 33 %, im Oktober um 39 %, im November um 35 % sowie im Dezember um 26 % ein (OTTI 2007) und die Zahl der weltweit geflogenen Passagierkilometer geht nach Angaben der IATA 66 (2007b) allein im Oktober nach den Anschlägen um 23 % zurück (vgl. Abbildung 10). Neben dem US-amerikanischen und allen vom US-Quellmarkt abhängigen Märkten leiden besonders Fernreisedestinationen und arabische Ziele unter starken Nachfragerückgängen. Von September bis Dezember 2001 verzeichnen die amerikanischen Kontinente sowie die Kriegsregion Südasien einen Rückgang der Touristenankünfte um 24 %, während es im Nahen Osten sogar etwas über 30 % sind. Die weltweit am stärksten von den Anschlägen betroffene Destination ist Ägypten, das im Oktober 2001 sogar einen Rückgang der Touristenankünfte um 55 % zu verbuchen hat (WTO 2002a). Gleichzeitig haben jedoch weltweit der Binnentourismus 66
In der IATA (International Air Transport Association) haben sich mehr als 240 Fluggesellschaften zusammengeschlossen, die rund 94 % des internationalen Luftverkehrs abwickeln (IATA 2007a).
110 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
und der intraregionale Tourismus erhebliche Wachstumszahlen zu verzeichnen, da potenzielle Touristen offenbar auf Destinationen in der Nähe ihrer Heimatorte ausweichen, um Risiken für sich zu minimieren (FRANGIALLI 2002). Abbildung 10: Veränderung der Passagierkilometer im weltweiten Flugverkehr und der internationalen Touristenankünfte in den USA 2001 bis 2003 Veränderung gegenüber dem gleichen Monat im Basisjahr 2000 in %
50 40
Afghanistan-Krieg
Irak-Krise
30 20
11. September
10
Djerba-Anschlag Bali-Anschlag
Irak-Krieg
0 -10 -20 -30 -40
SARS
Passagierkilometer
Sep
Nov
Jul
Mai
Mär
2003 Jan
Sep
Nov
Jul
Mai
Mär
2002 Jan
Sep
Nov
Jul
Mai
Mär
2001 Jan
-50
Internationale Touristenankünfte in den USA
Quellen: IATA 2007b; OTTI 2007; eigener Entwurf
Dass die Rückgänge der Touristenankünfte in den Staaten der Arabischen Welt nach dem 11. September überdurchschnittlich stark sind – obwohl sie dessen Ereignisse nicht direkt betreffen und in ihren Territorien keine Störung der Sicherheitslage zu verzeichnen ist – demonstriert, dass hier von potenziellen Touristen das höchste Risiko vermutet wird. Auch wenn die touristischen Nachfrageveränderungen im Zuge des 11. Septembers nicht monokausal auf den alleinigen Einfluss des Terrorismus zurückgeführt werden können, 67 ist es jedoch evident anzunehmen, dass angesichts der weit überproportionalen Nachfrageeinbrüche insbesondere Nordafrika und der Nahe Osten generalisierend in Verbindung zum islamistischen Terrorismus gebracht werden (FRANGIALLI 2002; SEN GUPTA 2002) und so ein „Nachbarschaftseffekt“ durch das Aufkommen neuer Reise- und Terror67
Ab dem Jahr 2001 sieht sich die Weltwirtschaft einer konjunkturellen Schwächephase ausgesetzt, die zu einer Abschwächung der touristischen Nachfrage beiträgt. Diese exakt von den Folgen des 11. Septembers abzugrenzen, dürfte analytisch kaum möglich sein. Wie die Analysen der Welttourismusorganisation jedoch zeigen, kann der weltweite Tourismus in den ersten acht Monaten des Jahres 2001 trotz der ökonomisch ungünstigen Bedingungen um durchschnittlich 2,8 % anwachsen (WTO 2002a).
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 111
ängste ausgelöst wird. Die arabischen Staaten leiden also anscheinend unter einem Nachbarschaftseffekt, der offensichtlich nicht durch physischtopographische Nähe, sondern nur in Verbindung von relativ hoher sozialer Distanz zwischen den Menschen in den Quell- und Zielmärkten und massenmedialer Berichterstattung über die Anschläge des 11. Septembers zu erklären ist (STEINER et al. 2006: 105). Viele Europäer und USAmerikaner haben so ihre Reiseziele geändert und sich für Destinationen im eigenen Land bzw. innerhalb Europas entschieden, die als sicherer wahrgenommenen werden (CLEVERDON 2002). Dementsprechend sind in der Arabischen Welt die Länder mit einem hohen Anteil an europäischen und US-amerikanischen Touristen – wie Marokko, Tunesien und Ägypten – besonders betroffen. Die nachfragedämpfenden Effekte des 11. Septembers und des sich anschließenden Afghanistan-Kriegs überlagern sich mit den Einflüssen der Ereignisse des Jahres 2002. Im Verlauf des ersten Halbjahres 2002 beginnt sich die touristische Nachfrage zunächst weltweit zu erholen, als eine neue Periode von Unruhen anbricht, die durch terroristische Anschläge in Tunesien, Kuwait, Jemen, Pakistan und Kenia (vgl. Tabelle 11), anhaltende Spannungen in Palästina sowie den drohenden Irak-Krieg ausgelöst werden. Zusammen mit den Terroranschlägen von Bali (Indonesien) sorgen diese dafür, dass das Thema des islamistischen Terrorismus sowie ein negatives Bild „der Muslime“ und „der Arabischen Welt“ im Fokus der medialen Aufmerksamkeit bleiben. Der Eindruck bei den Konsumenten, dass „nicht länger irgendwelche sicheren Destinationen“ (FRANGIALLI 2002) existieren, verfestigt sich und wird zu einem zunehmenden Problem der internationalen Tourismuswirtschaft. Schädlicher als der 11. September erweist sich für den Tourismus in Tunesien der schwere Terroranschlag von Djerba, der sich direkt gegen Touristen richtet. In der Folge der gesamten Ereignisse im Zuge des 11. Septembers leidet besonders die Nachfrage westeuropäischer Touristen in den etablierten Zielmärkten Nordafrikas und der Levante. Die Veränderungen der touristischen Nachfrage spiegeln sich jedoch erstaunlicherweise nur bedingt in den jährlichen Daten der Touristenankünfte in der Region. So zeigt Tabelle 11, dass nur drei Länder – Marokko, Libyen und Ägypten – einen Rückgang ihrer jährlichen absoluten Touristenankünfte im Vergleich des Vorkrisenjahres 2000 zum Jahr 2002 zu verzeichnen haben. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich mit Hilfe einer Reihe von Diagnosen erklären und relativieren: Wie die Grafik der Veränderung der Touristenankünfte im Vergleich zum jeweiligen Monat des Vergleichsjahres 2000 exemplarisch für Ägypten, Tunesien und Dubai demonstriert (vgl. Abbildung 11), konzentrieren sich die negativen Nachfrageeffekte auf das Ende des Jahres 2001 und den Beginn des Jahres 2002 und werden dadurch teilweise durch die Ergebnisse Anfang 2001 und Ende 2002 kompensiert.
112 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
Tabelle 11: Entwicklung der internationalen Touristenankünfte in der Arabischen Welt zwischen 2000 und 2005 in Millionen 2000
Marokko Algerien Tunesien Libyen Ägypten Jordanien Syrien Libanon Saudi-Arabien Kuwait Bahrain Katar VAE Oman Jemen Summe(1) Welt gesamt Weltmarktanteil(2)
2001
2002
2003
2004
2005
Ø jährl. Wachstum 2,326 2,250 2,222 2,224 2,708 3,056 6,3 % 0,176 0,196 0,251 0,305 0,369 0,441 30,1 % 5,058 5,387 5,064 5,114 5,998 6,378 5,2 % 0,174 0,169 0,135 0,142 0,149 k.A: -3,6 % 5,116 4,357 4,906 5,746 7,795 8,244 12,2 % 1,240 1,304 1,971 1,940 2,373 2,475 19,9 % 1,416 1,801 2,186 2,085 3,033 3,368 27,6 % 0,742 0,837 0,956 1,018 1,278 1,140 10,7 % 6,585 6,727 7,511 7,332 8,599 9,100 7,6 % 0,078 0,073 0,096 0,094 0,091 k.A. 4,2 % 2,420 2,789 3,167 2,955 3,514 3,914 12,3 % 0,378 0,376 0,587 0,557 0,732 0,913 28,3 % 3,311 3,579 4,776 5,078 k.A. k.A. 17,8 % 0,571 0,829 0,817 1,039 1,195 k.A. 27,3 % 0,073 0,076 0,098 0,155 0,274 0,336 72,1 % 33,242 34,508 38,793 40,386 42,222 43,666 10,5 %(2) 689,000 688,000 709,000 697,000 766,000 808,000 3,5 % 4,8 % 5,0 % 5,5 % 5,8 % 6,2 % 6,3 %
(1)
Differenzen zwischen rechnerischen und den hier angegebenen Summen sind auf Rundungsabweichungen zurückzuführen. Die Gesamtsumme ist aus den Rohdaten berechnet. Die Rohdaten (vor allem Libyens, Algeriens und SaudiArabiens) weisen teils erhebliche Inkonsistenzen auf, so dass auch die Summenangaben mit Vorsicht zu interpretieren sind. (2) Werte für 2004 und 2005 geschätzt. Der errechnete Weltmarktanteil sollte wegen nicht zu beseitigender Dateninkonsistenzen insgesamt eher als Schätzwert, denn als statistisch belastbare Größe verstanden werden. Anm.: Die angegebenen Werte wurden abweichend von den offiziellen Daten für Marokko, Algerien, Jordanien und die VAE um die Ankünfte von im Ausland lebenden Staatsbürgern bereinigt. Hieraus können sich Unterschiede von mehreren hunderttausend bis über eine Million Touristenankünfte im Vergleich zu den offiziell publizierten Zeitreihen ergeben. Die Daten für den Libanon enthalten keine Touristenankünfte aus Syrien und Palästina. Die Daten für Algerien sind keine Touristenankünfte sondern Besucherankünfte (inkl. Tagestouristen), Daten der Touristenankünfte sind für Algerien nicht erhältlich. Quellen: WTO 2007; eigene Berechnung
Betrachtet man sich Abbildung 11 genau, fällt auf, dass die einzelnen gewalttätigen politischen Unruhen in unterschiedlichem Ausmaß Folgen für die touristische Nachfrage in den drei Beispielländern mit sich bringen. Dubai ist relativ gesehen am stärksten durch den Anschlag in Bali und den Irakkrieg betroffen, während Ägypten am stärksten unter den Anschlägen des 11. Septembers sowie dem Krieg in Irak und Tunesien unter fast allen gewalttätigen politischen Unruhen gleichermaßen leidet.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 113
100
Bali-Anschlag
80 Afghanistan-Krieg
60 40
11. September
20 0 -20 Zweite Intifada
-40
Djerba-Anschlag
-60
Irak-Krise Irak-Krieg
Ägypten
Tunesien
Nov
Jul
Sep
Mai
Mär
Nov
2003 Jan
Jul
Sep
Mai
Mär
Nov
Jul
Sep
Mai
2002 Jan
2001
Jan
-80 Mär
Veränderung der Touristenankünfte gegenüber dem gleichen Monat im Basisjahr 2000 in %
Abbildung 11: Gewalttätige politische Unruhen und Touristenankünfte in Ägypten, Tunesien und den VAE von 2001 bis 2003
Dubai
Quellen: MoT div. Jahre, DTCM 2004, ONTT div. Jahre; eigener Entwurf
Deutlicher als in den Veränderungen der jährlichen Gesamtsummen der Touristenankünfte zeigen sich die Folgen der gewalttätigen politischen Unruhen jedoch in Bezug auf die strukturelle Zusammensetzung der Touristenankünfte. Vergleicht man die Zusammensetzung der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen fällt auf, dass zwar im Jahr 2002 nur in Marokko, Libyen und Ägypten die Gesamtsumme der Touristenankünfte rückläufig war im Vergleich zum Jahr 2000, allerdings sind in insgesamt acht Ländern die Touristenankünfte aus den westlichen Industriestaaten im gesamten Jahr 2002 zurück gegangen (vgl. Abbildung 12). Die stärksten Rückgänge der Touristenankünfte aus westlichen Industriestaaten haben Jemen, Jordanien, Syrien, Tunesien und Ägypten zu verkraften, während die Rückgänge im Oman, in Marokko und in Katar vergleichsweise gering ausfallen (vgl. Tabelle 12). Den Golfstaaten gelingt es sogar auf niedrigem absoluten Niveau (vgl. Kapitel 4.1.2) Touristen hinzuzugewinnen. Dies dürfte in nicht unerheblichem Maße daran liegen, dass hier erstens aufgrund der Hub-Funktion von Flughäfen am Golf die Zwischenaufenthalte von Europäern nach Asien tendenziell zunehmen und zweitens ein großer Teil der in der Region Urlaub machenden Europäer in der Golfregion arbeitet und bspw. aus Saudi-Arabien über das Wochenende nach Dubai oder Katar fliegt.
Abbildung 12: Veränderung der Touristenströme in Nordafrika und dem Nahen Osten im Zuge des 11. Septembers
114 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 115
Tabelle 12:
Land Marokko Algerien Tunesien Libyen Ägypten Jordanien Syrien Libanon Saudi-Arabien Kuwait Bahrain Katar VAE Oman Jemen
Veränderung der Touristenankünfte in der Arabischen Welt nach Herkunftsregionen 2000/2002 Veränderung der Touristenankünfte aus westlichen Industriestaaten MENA -5 % 7% 43 % 54 % -21 % 52 % 3% -13 % -21 % 13 % -35 % 113 % -35 % 21 % 10 % 40 % 0% 16 % 18 % 17 % 34 % 19 % -3% 88 % 47 % 43 % -11 % 51 % -40 % 134 %
Gesamtveränderung -4 % 43 % 0% -11 % -6 % 49 % 20 % 29 % 14 % 19 % 25 % 55 % 43 % 13 % 35 %
Quellen: WTO 2007; eigene Berechnung
Wie anhand Abbildung 12 deutlich wird, können die arabischen Staaten mit Ausnahme Marokkos und Ägyptens den Rückgang der Einreisen aus den westlichen Industriestaaten durch einen starken Zuwachs der intraregionalen Touristenankünfte kompensieren. Dies erklärt sich dadurch, dass sich ein großer Teil der Araber in wachsendem Maße bei Reisen nach Nordamerika und Westeuropa Anfeindungen und verschärften Einreisekontrollen ausgesetzt sieht, die als diskriminierend bzw. schikanös wahrgenommen werden. Ein großer Teil der einkommensstarken arabischen Oberschicht zieht es daher vor, seinen Urlaub in der eigenen Heimatregion zu verbringen, anstatt sich im Ausland „Repressalien“ oder „Anfeindungen“ auszusetzen. Insbesondere die USA verzeichnen deshalb dramatische Rückgänge der Touristenzahlen aus arabischen Ländern, während islamische Länder in der Gunst der arabischen Touristen steigen (ALHAMARNEH & STEINER 2004). Die Arabische Welt weist daher deutliche Gewinne im intra-arabischen Tourismus auf (SEN GUPTA 2002). Vor allem die Verlagerung der Urlaubsreisen wohlhabender Golf-Araber, Libanesen und Jordanier aus Nordamerika und Europa in die Region führen zu diesem beeindruckenden Wachstum, das der aufbrechenden Krise entgegensteuert. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass im Libanon in den ersten sechs Monaten des Jahres 2002 der intra-arabische Tourismus um 30 % zunimmt, wobei die größten Wachstumsraten auf Besucher aus der Golfregion entfallen. Auch Ägypten profitiert zwischen Januar und April 2002 von einem An-
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stieg im arabischen Tourismus um 6 %. Besonders dynamisch ist die Entwicklung in den VAE, wo Dubai eine Zunahme der Touristenankünfte im ersten Halbjahr 2002 um 27 % registrierte (JOHNSON 2002). Die Stärkung des intra-arabischen Tourismus wird von politischer Seite massiv unterstützt. Politiker und Journalisten führen in den Medien unter dem Eindruck des 11. Septembers einen neuen Diskurs unter dem Stichwort eines „islamischen Tourismus“ (AL-HAMARNEH & STEINER 2004). Der Herausgeber der monatlichen Zeitschrift „Al-Mousafir“ fasst die Situation in einem Editorial 68 wie folgt zusammen (AL-TAYAR 2002): „Nach den Ereignissen des 11. Septembers, herrscht eine Feindseligkeit gegenüber Muslimen in der Mehrheit der Länder der Welt vor. Deswegen ist es notwendig, den Binnentourismus [sic!] unter den muslimischen Ländern zu entwickeln und zu fördern.“ Die Vermischung von religiösem Kulturtourismus mit arabischem Shopping-, Städte- und Sommerfrischetourismus in der Levante funktioniert gerade vor dem Hintergrund des sich verschärfenden internationalen politischen Klimas offensichtlich in einigen Teilen der Arabischen Welt hervorragend. Insbesondere Katar, den VAE, Jemen, Jordanien, Libanon, Bahrain und Syrien gelingt es vor diesem Hintergrund erhebliche Wachstumsraten ihrer Touristenankünfte von 20 % und mehr zu erreichen: Während die intra-regionalen Touristenankünfte in den Staaten am Arabischen Golf und in der Levante stark wachsen, kann Nordafrika hiervon kaum profitieren. Das intra-regionale Wachstum lässt sich hier vor allem auf eine extrem starke Zunahme von Reisenden aus Libyen in Ägypten (+73.000) und Tunesien (+595.000) zurückführen, die vor allem auf Veränderungen des Grenzregimes zurückzuführen ist. Der Anstieg der Touristenzahlen aus Libyen geht zudem nicht mit einer signifikanten Steigerung der Hotelübernachtungen von libyschen Staatsbürger einher, so dass davon auszugehen ist, dass es sich bei ihnen nicht um Touristen i. e. S. handelt, sondern es sich um Grenzübertritte im Zuge von Transitreisen (über die Flughäfen Tunis oder Kairo), Verwandtenbesuchen oder um grenzüberschreitende Einkaufs- oder Kleinhandelsaktivitäten handelt. Rechnet man diesen Anstieg der Grenzübertritte aus den tunesischen Statistiken heraus, so ergibt sich auch für Tunesien ein Rückgang der Gesamttouristenankünfte zwischen dem Jahr 2000 und 2002 um rund 12 %. Das Wachstum des Tourismus in Algerien stellt ebenfalls einen Sonderfall dar. Der Anstieg der Ankünfte aus den westlichen Industriestaaten resultiert hier hauptsächlich aus der vermehrten Einreise von Franzosen, von denen vermutet werden muss, dass es sich zu einem großen Teil um algerisch-stämmige Migranten handelt, die im Zuge der sich beruhigenden Sicherheitslage
68
Die Übersetzung aus dem Arabischen ins Deutsche erfolgte durch Ala AlHarmeneh.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 117
wieder vermehrt einreisen. Damit stellt Algerien jedoch einen absoluten Einzelfall dar, der sich nicht in die allgemeinen Trends einbetten lässt. Insgesamt kommt es so zu dem paradoxen Effekt, dass die Staaten der Arabischen Welt zwar am stärksten von den Nachfrageeinbrüchen des internationalen Tourismus nach dem 11. September betroffen sind, jedoch gleichzeitig die höchsten Wachstumsdaten zu vermelden haben. Die negativen und positiven Effekte sind gleichzeitig regional stark unterschiedlich verteilt. Die Strukturveränderungen der touristischen Quellmärkte ist für Nordafrika und die Levante am deutlichsten sichtbar, da hier einerseits erhebliche Nachfragerückgänge der traditionell stark entwickelten europäischen Quellmärkte wirken, wie gleichzeitig der Boom des intra-regionalen Tourismus dafür sorgt, dass sich die Zusammensetzung der Touristenströme erheblich verändert hat. Spielten vor den Ereignissen im Zuge des 11. Septembers in Nordafrika und der Levante die Touristen aus den westlichen Industrieländern mit einem Anteil von im Durchschnitt rund 60 % an allen Touristenankünften die bedeutendste Rolle, 69 so verlieren diese Quellmärkte innerhalb von nur zwei Jahren rund 12 % Marktanteil, während der intra-arabische Tourismus seinen Anteil um 9 % auf nun 41 % ausbauen kann (vgl. Abbildung 13). Abbildung 13: Veränderung des Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in Nordafrika und der Levante zwischen 2000 und 2002 Anteil der Herkunftsregion an allen Touristenankünften 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
60% 2000 32%
48% 2002 41%
Westliche Industriestaaten
MENA
Quellen: WTO 2007; eigener Entwurf
69
Natürlich differiert dieser Befund erheblich zwischen den einzelnen Staaten in Nordafrika und der Levante. Für eine nach Ländern differenziert Darstellung vergleiche die Karte in Abbildung 12. Die Länder Nordafrikas und der Levante sind aber insofern vergleichbar, als sich hier gleichartige Marktverschiebungen beobachten lassen, die so auf der Arabischen Halbinsel im Durchschnitt nicht beobachtbar sind und sich lediglich in den wenig entwickelten Märkten des Omans und des Jemens abzeichnen.
118 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
Wie bereits geschildert, ist eine vergleichbare Strukturveränderung der touristischen Quellmärkte für die Destination am Persisch-Arabischen Golf aufgrund ihrer verschiedenartigen Marktcharakteristik nicht feststellbar (vgl. Abbildung 14). Abbildung 14: Veränderung des Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in den Staaten der Arabischen Halbinsel zwischen 2000 und 2002 Anteil der Herkunftsregion an allen Touristenankünften 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
12% 2000 59%
12% 2002 58%
Westliche Industriestaaten
MENA
Quellen: WTO 2007; eigener Entwurf
Wie in Abbildung 15 ersichtlich, hatte der sich anbahnende und im März 2003 ausbrechende Irak-Krieg noch einmal erhebliche Folgen für die touristische Nachfrage in der Arabischen Welt, die jedoch bereits nach rund drei Monaten überwunden sind. Die nachfragedämpfenden Effekte des Konfliktes überlagerten sich mit der SARS-Krise in 2003, so dass die Wirkungen beider Ereignisse methodisch nicht klar von einander zu trennen sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die SARS-Krise vor allem für die Nachfrageeinbrüche in Asien verantwortlich ist, während in der Arabischen Welt vor allem der Irak-Krieg Auswirkungen gehabt haben dürfte (MASON et al. 2005; WTO 2003c). Eine Ausnahme von dieser Diagnose stellen sicherlich die Destinationen am Arabischen Golf dar, die mit ihrer Hub-Funktion Europa und Asien verbinden und in denen sich beide Effekte aufaddiert haben dürften und so die teils zu verzeichnende Stagnation des Wachstums erklären. Diese Interpretation würde beispielsweise erklären, dass Dubai relativ wenig unter den Folgen des 11. Septembers oder des Kriegs in Afghanistan leidet, jedoch im Herbst 2002 nach dem Bali-Anschlag und im Frühjahr 2003 große Einbrüche seiner Touristenankünfte zu verzeichnen hat. Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund, fanden sie innerhalb oder außerhalb der Arabischen Welt statt, beeinflussen seit dem Irak-Krieg bis Ende 2005 zwar deutlich aber nur in begrenztem Maß die touristische Nachfrage. Trotz der Anschläge ist über das jeweilige Gesamtjahr hinweg
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 119
ein deutlich positives Wachstum der Touristenankünfte zu verzeichnen (vgl. Tabelle 11). 70 Interessant ist dabei, dass Tunesien mit seinen stark nach Westeuropa ausgerichteten touristischen Massenmärkten in den Jahren 2004 und 2005 die größten Schwankungen seiner Touristenankünfte verkraften muss. Abbildung 15: Gewalttätige politischen Unruhen und Touristenankünfte in Ägypten, Tunesien und den VAE von 2001 bis 2005 Veränderung der Touristenankünfte gegenüber dem gleichen Monat im Basisjah 2000 in %
140
LondonMadrid-Anschläge Anschläge Anschläge in Anschläge in Saudi-Arabien Taba/Nuweiba & der Türkei
120
Bali-Anschlag
100 80
Afghanistan-Krieg
60
11. September
40 20 0 -20
Zweite Intifada
-40
DjerbaAnschlag
-60
Irak-Krise
KairoAnschläge Sharm el-Sheikh Anschläge
Anschläge in Saudi-Arabien
Irak-Krieg
Ägypten
Tunesien
Okt
Jul
Jan
Apr
2005
Jul
Okt
Apr
Jan
2004
Jul
Okt
Jan
Apr
2003
Jul
Okt
Jan
Apr
2002
Jul
Okt
Jan
2001
Apr
-80
Dubai
Quellen: MoT div. Jahre, DTCM 2004, ONTT div. Jahre; eigener Entwurf
Im Vergleich zu den Anschlägen des 11. Septembers und den Auswirkungen des Irakkrieges bleiben insbesondere in Dubai und Ägypten die Folgen der Anschläge von Madrid und selbst die schweren Anschläge von Taba und Nuweiba relativ begrenzt. Die Anschläge in London und in Sharm el-Sheikh verstärken sich dagegen offensichtlich in ihrer Wirkung und verursachen größere Nachfragerückgänge, die jedoch bereits nach drei Monaten überwunden sind. Dass Tunesien zwischen 2000 und 2005 im Durchschnitt über fünf Prozent jährliches Wachstum realisieren kann und 70
Für das Jahr 2006 liegen noch keine Daten vor. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass der Krieg Israels gegen den Libanon erhebliche Nachfrageeinbrüche in der Region nach sich gezogen haben dürfte. Die bis dahin sehr dynamische touristische Entwicklung im Libanon kam durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die unverhältnismäßige Zerstörung der libanesischen Infrastruktur durch die israelische Armee im Zuge deren Kampfes gegen die libanesische Hisbollah-Miliz im Jahr 2006 vollständig zum Erliegen. Die schweren Schäden an der Infrastruktur des Landes dürften eine Erholung der Nachfrage auf das Vorkriegsniveau für lange Zeit unmöglich machen. Die Auswirkungen des Kriegs auf die touristische Nachfrage dürfte zudem auch in Syrien erheblich sein.
120 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
Ägypten und die VAE sogar rund 12 % bzw. rund 18 % durchschnittliches jährliches Wachstum erreichen können, ist vergleichsweise überraschend, wäre doch vor dem Hintergrund des bisherigen Forschungsstandes und der Erfahrungen der Vergangenheit damit zu rechnen gewesen, dass die Frequenz und die Schwere der gewalttätigen politischen Unruhen mit erheblichen andauernden Nachfragerückgänge einher gehen müssten, die frühestens nach sechs bis zwölf Monaten überwunden sein dürften (vgl. Kapitel 4.2). Es deutet sich daher an, dass sich die Risikowahrnehmung von Touristen in Bezug auf Sicherheitsprobleme verändert (STEINER et al. 2006: 105). Anscheinend ist die Bereitschaft gestiegen, Risiken einzugehen und ist schneller als früher wieder bereit Destinationen anzusteuern, die von Sicherheitskrisen betroffen waren. Risiken werden daher offenbar zunehmend als (ubiquitärer) Teil des Alltagslebens akzeptiert (BORN zit. nach KRESTA & EMMERLICH 2005): „Der Tourismus ist in der Wirklichkeit angekommen. Selbst wenn man zu Hause bleibt, ist man nicht sicher.“ Doch so überraschend und einfach diese Diagnose erscheint, so irreführend ist sie auch. Pendelt sich die touristische Gesamtnachfrage anscheinend schneller nach Terroranschlägen als früher wieder ein, so zeigt ein Blick auf die Struktur der touristischen Nachfrage ein deutlich differenzierteres Bild. Durch die gestiegene soziale Distanz im Zuge der Ereignisse des 11. Septembers zeichnet sich eine nachhaltige Strukturverschiebung in der touristischen Nachfrage innerhalb der Arabischen Welt ab. Die Touristenankünfte aus den westlichen Industriestaaten haben zwar in allen Ländern der Region spätestens im Jahr 2004 den Vorkrisenstand überschritten, allerdings hat sich die Zusammensetzung der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen stark verändert. Wie der Vergleich der absoluten Touristenankünfte nach Herkunftsregionen zwischen dem Jahr 2000 und 2005 demonstriert (vgl. Abbildung 16), haben zwar zwischenzeitlich alle Herkunftsregionen Nachfragezuwächse zu verzeichnen, jedoch hat sich der Marktanteil der einzelnen Regionen nachhaltig verschoben. Während die intra-regionalen Quellmärkte acht Prozentpunkte und der osteuropäische Markt fünf Prozentpunkte hinzu gewinnen konnten, haben die westeuropäischen und nordamerikanischen Quellmärkte zwölf bzw. einen Prozentpunkt verloren. Offenbar haben die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers einen nachhaltigen Trend zur Stärkung des intraregionalen Tourismus befördert, während der inter-regionale Tourismus in den Hintergrund tritt. Betrachtet man die Strukturverschiebung des relativen Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in Nordafrika und der Levante zwischen 2000 und 2005 (vgl. Abbildung 17) zeigt sich, dass der Anteil der Touristen aus den westlichen Industriestaaten seit dem 11. September stark nachgegeben hat und sich heute einem relativen Bedeutungsverlust gegenüber sieht. Gleichzeitig haben die intra-regionalen Quellmärkte enorm an Bedeutung gewonnen und liegen bereits fast gleich auf mit de-
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 121
nen der westlichen Industrieländer. Wie STEINER et al. (2006: 105) ausführen, lässt sich diese Strukturverschiebung mit einem Anstieg der sozialen Distanz in der Folge des 11. Septembers erklären. Abbildung 16: Veränderungen der Touristenankünfte und Marktanteile in Nordafrika und der Levante nach Herkunftsregionen zwischen 2000 und 2005 5 Veränderung der Touristenankünfte zwischen 2000 und 2005 in Mio.
15 4 3
10
+ 8%
2
+5%
5
1
+0% 0
0 -1%
-1
-5 -2 -10
-3 -4
- 12 %
-15
Gewinn & Verlust an Marktanteilen zwischen 2000 und 2005 in Prozentpunkten
20
6
-5 -6
-20 MENA
Osteuropa
Südasien
Westeuropa Nordamerika
Quellen: WTO 2007; eigener Entwurf
Abbildung 17: Veränderungen des relativen Anteils der Touristenankünfte nach Herkunftsregionen in Nordafrika und der Levante von 2000 und 2005 80 Anteil an allen Touristenankünften in %
70
60 56
60
48
46
47
48
41
42
42
40
2002
2003
2004
2005
50 40 30 32
35
20 10 0 2000
2001
Westliche Industriestaaten
Quellen: WTO 2007; eigener Entwurf
MENA
122 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
Die gestiegene Distanz zwischen Menschen in den westlichen Industrieländern und der Arabischen Welt hat demnach Nachbarschaftseffekte verstärkt, die Regionalisierungsprozesse der touristischen Nachfrage sowohl in den westlichen Industrieländern wie der Arabischen Welt zur Folge haben. Diese Entwicklung wurde durch den massiven Ausbau des touristischen Angebotes in der Arabischen Welt begünstigt und steht mit ihm in einem engen gegenseitigen Zusammenhang. Angebots- und Nachfragewachstum sind in diesem Sinne zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Ereignisse des 11. Septembers sind in diesem Sinne sicherlich nicht alleine für die Zunahme des intra-arabischen Tourismus verantwortlich, sondern wurden durch eine entsprechende Angebotserweiterung befördert. Da eine zielgruppenspezifische Angebotsentwicklung für intra-arabische Touristen jedoch die Ausnahme darstellt, kann davon ausgegangen werden, dass das überdurchschnittliche Wachstum des intra-arabischen Tourismus nach dem 11. September im Wesentlichen durch Veränderungen auf der Nachfrageseite bedingt ist. Auf die Entwicklungen und Handlungsstrategien auf der Angebotsseite wird noch im empirischen Teil der Arbeit ausführlich eingegangen.
4.3.5 Eine unbestimmte Situation: zum Einfluss der Nachfrageentwicklung auf die Angebotsseite Die Verschlechterung der Destinationsimages (der Arabischen Welt einerseits und „westlicher“ Destinationen andererseits) kann aus einer ökonomischen, angebotsorientierten Perspektive als eine Zunahme von Transaktionskosten interpretiert werden, da sie als psychologische Kosten undifferenzierte Reiseängste oder Investitionszurückhaltungen auslösen können (SIMON 2002). Durch die Erhöhung der Transaktionskosten besitzen gewalttätige politische Unruhen unmittelbar das Potenzial, die Strategien und die Organisation von Tourismusunternehmen und damit auch die Entwicklung touristischer Destinationen nachhaltig zu beeinflussen. Die Verschiebungen in den Nachfragestrukturen ist außerdem von Bedeutung für die angebotsschaffende Seite, da arabische Touristen, besonders aus den Golfstaaten, andere Nachfragercharakteristika als westeuropäische oder amerikanische Touristen aufweisen (vgl. Kapitel 4.1). Sie reisen meist in Gruppen von vier und mehr Personen, was bei europäischen Gästen die Ausnahme bildet. Europäer und Araber bevorzugen zudem unterschiedliche Reisezeiten. Hochsaison besonders für arabische Gäste aus der Golfregion in Nordafrika und der Levante sind die Sommermonate wegen der in ihren Heimatländern vergleichsweise noch höheren Temperaturen. Insbesondere Urlaub an der Mittelmeerküste oder im Libanongebirge ist daher als klassische Sommerfrische äußerst beliebt. Die Sommermonate werden hingegen von europäischen Touristen zumeist eher gemieden, die das Frühjahr und den Herbst als Reisezeit vorziehen. Shop-
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 123
ping ist vor allem für Touristen aus den Golfstaaten ein wichtiger Reisegrund, und auch das räumliche touristische Nachfrageverhalten weicht von dem der Touristen aus den westlichen Industrieländern erheblich ab (MEYER 1996a; SEN GUPTA 2002). Araber nutzen in der Regel hochklassige Hotels oder mieten Appartements. In diesem Zusammenhang kann ebenfalls beobachtet werden, dass arabische Touristen verstärkt Appartements in Beirut und Kairo als Ferienwohnungen erwerben. Arabische Touristen besuchen traditionell die großen Städte wie Beirut, Aleppo, Damaskus, Kairo oder Alexandria mit ihren Vergnügungs- und Einkaufsmöglichkeiten, mieten sich aber vor allem auch an der Mittelmeerküste und in den letzten Jahren zunehmend am Roten Meer und auf dem Sinai für Strandurlaube ein. Kulturtouristische Angebote, wie ein Besuch der zahlreichen Altertümer in der Region, werden von Muslimen abseits religiöser Pilgerstätten verhältnismäßig schwach nachgefragt. Besonders für konservative Muslime ist im Zuge eines islamischen Tourismus eine an ihren Bedürfnissen orientierte Anpassung der oft auf Touristen aus den westlichen Industriestaaten und auf liberale Araber ausgerichteten Infrastruktur wichtig. Das Vorhandensein von Gebetsräumen, geschlechtergetrennten Fitness-, Wellness- und Poolbereichen spielt für dieses Klientel ebenso eine Rolle für ihre Hotelwahl, wie die Existenz von Familienbereichen in Restaurants. Strukturveränderungen der touristischen Nachfrage bergen daher das Potenzial direkt und indirekt die Strategien der angebotsschaffenden Akteure zu beeinflussen. 71 Einerseits kann eine verstärkte Nachfrage direkt die Schaffung eines neuen Angebotes anregen und zweitens können indirekt die Erwartungen der angebotsschaffenden Akteure bezüglich der zukünftigen Nachfrage ebenfalls zur Schaffung neuer Angebote führen, die dann wiederum durch entsprechende Marketingmaßnahmen gefüllt werden müssen. Es liegt also nicht nur an der faktischen Veränderung der Nachfrage inwieweit sich in Destinationen Veränderungen der Angebotsstruktur abspielen, sondern ganz wesentlich auch an der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Akteure und ihren daraus resultierenden Strategien der Angebotsentwicklung. Gerade führende Unternehmen im Tourismus können nicht die realen Veränderungen des Marktes abwarten, sondern sind zur Verteidigung ihrer Marktpositionen gezwungen, offensive Strategien zur Anpassung ihrer Angebotsstrukturen an erwartete touristische Trends zeitnah umzusetzen. Ihre Unternehmensstrategien beinhalten damit das Potenzial, auftretende Nachfrageveränderungen zu stabilisieren, zu befördern
71
Umgekehrt beeinflussen die Strategien der angebotsschaffenden Akteure z. B durch einen Kapazitätsausbau der Infrastruktur und entsprechende Marketingmaßnahmen auch erheblich die Nachfrageentwicklung. In den nächsten Kapiteln wird im Rahmen des empirischen Teils hierauf noch genauer eingegangen.
124 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
und mitzulenken. Sie geben mit ihrem Verhalten folglich nicht nur Antworten auf Wandlungen externer Bedingungen, sondern gestalten sie aktiv mit. Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, mit welchen Strategien die angebotsschaffenden Akteure auf die Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren – und aus ihrer Perspektive reagieren sollen – und inwiefern sie diese mitgestalten.
4.4
Tourismusentwicklung aus angebotsorientierter Perspektive
Im folgenden Kapitel wird ein kurzer Überblick über den Forschungsstand und die Forschungslücken hinsichtlich der Tourismusentwicklung aus angebotsorientierter Perspektive in der Arabischen Welt dargelegt. Die identifizierten Forschungslücken werden entweder noch in diesem Abschnitt mit Hilfe empirischer Befunde adressiert und ausgeräumt, oder dienen dazu, in Kapitel 5 Forschungsfragen zu formulieren, denen im weiteren empirischen Erkenntnisprozess nachgegangen wird. Um den Forschungsstand zu strukturieren, bietet es sich an drei Dimensionen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu unterscheiden. Dazu wird zunächst kurz umrissen, aus welchen Forschungsperspektiven die angebotsorientierten, wissenschaftlichen Arbeiten argumentieren und welches Ziel damit verfolgt wird. Zweitens ist zu klären, ob und welche Analysen der Akteursstrukturen in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt vorhanden sind und wie diese aussehen.
4.4.1 Forschungsstand und -perspektiven aus ökonomischer und angebotsorientierter Perspektive Arbeiten zur Tourismusentwicklung der Arabischen Welt aus ökonomischer und angebotsorientierter Perspektive sind in der Forschungslandschaft gegenüber nachfrageorientierten Arbeiten stark in der Minderheit. Die vorliegenden Studien lassen sich nach der Maßstabsebene kategorisieren, auf der sie sich bewegen, und nach den wissenschaftstheoretischen Perspektiven, auf deren Basis sie arbeiten. Mit Hilfe dieser Unterscheidungen ergibt sich eine Matrix, mit der sich die verschiedenen Perspektiven kategorisieren lassen (vgl. Tabelle 13). Auch wenn die Kategorisierung recht schematisch erscheint und im jeweiligen Forschungsdesign die Übergänge statt dessen mehr oder weniger fließend sind, liefert dieses Unterscheidungsraster einen brauchbaren ersten Überblick über die Forschungslandschaft. Politisch-ökonomische Arbeiten operieren systembedingt auf der Makroebene. Ziel politisch-ökonomischer Arbeiten ist es, die Bedingungen zu untersuchen, unter denen die Produktion in einem Staat organisiert wird,
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 125
bzw. wie die Produktionsverhältnisse mit den gesellschaftlichen Verhältnisse zusammenhängen. Der wissenschaftstheoretische Hintergrund politisch-ökonomischen Arbeiten basiert entweder auf klassisch nationalökonomischen oder auf marxistischen Ansätzen. Tabelle 13:
Perspektiven und Ebenen ökonomischer und angebotsorientierter tourismuswissenschaftlicher Ansätze
Ebene Makroebene Perspektive Neoklassisch/ marxistisch
Deskriptivanalytisch (positivistisch) Akteurs/Handlungsorientiert
Politische Ökonomie Makroökonomische/ volkswirtschaftliche Studien
Mikroebene – Betriebswirtschaftlich orientierte Studien
„Alternative Development“ „Community based tourism“Ansätze Ökotourismus-Ansatz Wertschöpfungskettenanalysen „Pro-poor tourism“-Analysen Biographische Analysen Analysen lokaler Machtstrukturen mit entwicklungsökonomischem Fokus Länderstudien der Angebotsentwicklung
Quelle: eigene Zusammenstellung
Erstere lassen sich historisch auf ADAM SMITH (1978) und DAVID RICARDO (1980) zurückführen, letztere auf KARL MARX (1969). Aus den klassisch-nationalökonomischen Ansätzen entwickeln sich in Bezug auf Studien der politischen Ökonomie des internationalen Tourismus zunächst modernisierungstheoretisch inspirierte Perspektiven (bspw. DAVIS 1968), später als diese zunehmend unter Druck geraten (bspw. BRYDEN 1973; DE KADT 1979) werden sie weitestgehend durch neoklassische Arbeiten verdrängt (bspw. BROHMAN 1996). Vor einem marxistischen Hintergrund entwickeln sich parallel dazu dependenztheoretische Perspektiven (bspw. BRITTON 1982, 1991, 2005; WILLIAMS & SHAW 1998). Dementsprechend konzipieren die Arbeiten aus makroökonomischer Perspektive die Entwicklung der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt entweder aus einer vermeintlich ideologiefreien neoklassischen, positivistischen Perspektive, die dazu neigt, sich in einer deskriptivanalytischen Variante in Form von theoriefreien Länderstudien zu „radikalisieren“ 72 , oder sie versuchen in der Tradition von MARX die Entwicklung der Tourismuswirtschaft in Abhängigkeit und im Zusammenspiel mit Gesellschaft und Politik zu verstehen. 73 72 73
Vgl. bspw. den Rational-Choice-Ansatz der „Neuen politischen Ökonomie“ von KIRSCH (2004). Die hier beschriebenen Grenzen sind allerdings – so muss nochmals betont werden – fließend. Dies allein schon deshalb, weil die meisten Autoren ihre
126 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
Marxistisch inspirierte Studien sind in der Arabischen Welt, auch wenn man die Definition sehr weit fasst, relativ rar. Die vorhandenen Arbeiten versuchen vor allem die im der marxistischen Nationalökonomie fußende Rentierstaatstheorie (BEBLAWI & LUCIANI 1987) mit der Tourismusentwicklung zusammen zu denken. So thematisieren BARHAM & KOPP (2001) die Idee einer Rentenmentalität als Determinante touristischen Unternehmerhandelns in Jordanien. 74 STEINER (2006) unternimmt zudem den Versuch, die Rentierstaatstheorie auf den Tourismus anzuwenden und die Ergebnisse im Kontext des Ziels einer Armutsreduktion durch den internationalen Tourismus zu diskutieren, während RICHTER & STEINER (2008) sich mit Liberalisierung, sektoralem Wandel und Rentengenerierung in der Tourismuswirtschaft Ägyptens auseinandersetzen. Eine größere Anzahl von Arbeiten beschäftigt sich mit der sich verändernden staatlichen Steuerung der Tourismusentwicklung und greift dazu insbesondere Liberalisierungspolitiken und ihren Einfluss auf die touristische Angebotsentwicklung in Syrien (GRAY 1997; HAZBUN 2004), Jordanien (AL-MAHADIN 2007; HAZBUN 2004; KELLY 1998), Ägypten (GRAY 1998; HAZBUN 2004; HOMA 2007; VAR & EL ADLI IMAM 2001; WAHAB 1996b), Dubai (HENDERSON 2006) und in Abu Dhabi (SHARPLEY 2002) auf. In dem geschilderten Kontinuum zwischen neoklassisch inspirierten und deskriptiv-analytischen Arbeiten sind die Publikationen von POIRIER (1995; 2001) über Tunesien, von ZOUBIR (2001) über Algerien oder von IBRAHIM & IBRAHIM (2002) über Ägypten sicherlich Grenzfälle, da sie zwar sehr deskriptiv vorgehen, ihre Beschreibungen aber auf neoklassische Hintergrundannahmen schließen lassen. Makroökonomische Studien über die Bedeutung des Tourismus sind rar vertreten. Die Studien von TOHAMY & SWINSCO (2000) und SAKR & MASSOUD (2003) über die Bedeutung des Tourismus für die ägyptische Volkswirtschaft bzw. seine Verletzlichkeit durch Terroranschläge seien hier stellvertretend angeführt. Einen weiteren Versuch, die Bedeutung der Tourismuswirtschaft makroökonomisch darzustellen, bilden die s. g. Tourism Sattelite Accounts der Welttourismusorganisation (WTTC 2007), mit denen versucht wird, die gesamten direkten
74
Interpretationsperspektive nicht explizit machen. Wenn im Folgenden Arbeiten der einen oder anderen Richtung zugeordnet werden, so geschieht dies deshalb aufgrund meiner Interpretationen der genannten Veröffentlichungen und muss sich nicht mit der theoretischen Selbstverortung der zitierten Autoren decken. BARHAM & KOPP operieren hier interessanterweise auf der Mikroebene eines einzigen Standortes, nämlich von Petra. Die Arbeit ist insofern schwer in das vorliegende Schema einzuordnen, da sie einerseits mit politischökonomischen Bezügen arbeitet, diese aber auf eine Fallstudie anwendet. Die daraus entstehenden Probleme werden offensichtlich darin, dass der theoretische Ansatz sich kaum in der Arbeit spiegelt, sondern lediglich als Interpretationshilfe für die Ergebnisse verwendet wird.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 127
und indirekten wirtschaftlichen Effekte des Tourismus in einer Volkswirtschaft abzuschätzen. Mittlerweile liegen hier Daten für alle arabischen Mitgliedsländer der WTO vor. Die meisten auf einer Makroebene arbeitenden tourismusgeographischen Studien in der Arabischen Welt stellen vor einem überwiegend positivistisch anmutenden 75 Hintergrund deskriptiv-analytisch das touristische Potenzial oder die Angebotskapazitäten des Tourismuswirtschaft einer Destination bzw. Region in den Mittelpunkt der Betrachtungen (bspw. BARHAM 2004; BERRIANE & POPP 1999; BIERWIRTH 1987; GLASZE 1999; HOPFINGER 2004; KAGERMEIER 1999, 2001, 2004; KAGERMEIER & POPP 2000; KOPP & BARHAM 2002; MEYER 1996b; MEYER & GLASZE 2003; OBERWEGER 1989; PFAFFENBACH 2001; POPP 1991; RITTER 1985; SANMARTIN 1999). Betriebswirtschaftlich operierende Studien, wie sie in Europa in der Tourismuswissenschaft häufig sind, liegen für Fallbeispiele in der Arabischen Welt meiner Kenntnis nach bisher nicht vor. Zahlreiche Studien haben jedoch auf einer Meso- und vor allem Mikroebene den Beitrag des Tourismus für die Entwicklung der Arabischen Welt in Form von lokalen Fallstudien untersucht bzw. die Entwicklung der touristischen Nachfrage ins Zentrum der Betrachtungen gerückt und dabei z. T. auch den Einfluss unterschiedlicher Akteure thematisiert. Die vorliegenden Studien lassen sich fast ausnahmslos im Rahmen des „Alternative Development“Ansatzes (bspw. SMITH & EADINGTON 1992) verorten, der für eine Graswurzelperspektive eintritt und sich auf ökonomische, soziale und ökologische Folgen des Tourismus für lokale Gesellschaften konzentriert. Typische Ansätze dieses Paradigmas sind daher das Konzept des Nachhaltigen Tourismus bzw. des Ökotourismus oder des „Communitybased-tourism“ oder des „Pro-Poor-Tourism“, die die Verbindung eines ökonomisch, ökologisch und sozial verträglichen Tourismus propagieren, von dem vor allem arme Bevölkerungsschichten profitieren sollen. Ganz in diesem Sinne untersucht bspw. GOODWIN (2006) Wohlfahrtseffekte, die im Tourismus beschäftigte Binnenmigranten aus dem Niltal mit ihrer Arbeit in Sharm el-Sheikh (Ägypten) erzielen können, während PASKOFF (2004) die Chancen für die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus auf Djerba (Tunesien) evaluiert. Im Feld des „Community-based-tourism“ bewegt sich nicht nur MERSHEN (2007) an Hand von Fallbeispielen im Oman, sondern auch die Arbeiten von AIT HAMZA & POPP (2000) sowie LESSMEISTER & POPP (2004) lassen sich hier konzeptionell verorten. Sie stellen fest, dass der wachsende Trekking-Tourismus im Hohen Atlas Marokkos sowie der Wüstentourismus eine zunehmend wichtiger werdende 75
Fast immer wird die wissenschaftstheoretische Perspektive nicht explizit gemacht. Die Argumentationsweise und die Struktur der zitierten Arbeiten deutet jedoch stark auf eine positivistische Verortung hin.
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Einkommensquelle für die lokale Bevölkerung darstellen. WEISS (1999) und POPP (2001b) entwickeln eine detaillierte Analyse der Effekte des Tourismus für die Entwicklung des Berberdorfes Ait Ben Haddou in Marokko. Die ökonomischen Effekte einer staatlich geplanten Tourismusentwicklung in peripheren Regionen Tunesiens (Tabarka) und Marokkos (Quarzazate) auf die Regionalentwicklung im Kontext von LinkageEffekten stehen im Zentrum der Untersuchungen von KAGERMEIER (1999; 2001). Er stellt bei der Betrachtung der handelnden Akteure im Tourismussektor beider Orte fest, dass in quantitativ unterschiedlichem Maß lokale Bevölkerungsgruppen und nationale Akteure an der Entwicklung partizipieren und auf sie Einfluss nehmen. KASSAH (1997) untersucht die Auswirkungen des Tourismus auf die Oasen in Süd-Tunesien. Die Tourismusentwicklung hat dort eine beachtliche Anzahl neuer Arbeitsplätze entstehen lassen und gleichzeitig zu einer allgemeinen Verbesserung der physischen und sozialen Infrastruktur beigetragen. Allerdings profitiert die lokale Bevölkerung in der Oase Douz, wenn überhaupt, nur indirekt von den Entwicklungen, da sich die lokale Tourismuswirtschaft fast vollständig in der Hand von auswärtigen, national agierenden Akteuren befindet – eine Diagnose, die für den Sinai in Bezug auf den Nutzen der Tourismusentwicklung für die dortige, beduinische Bevölkerung durch VON SARNOWSKI (2004) bestätigt wird. Auch wenn diese Studien wegen ihres Mikroansatzes keinen Aufschluss über die strategischen Handlungen der angebotsschaffenden Akteure auf nationaler Ebene enthalten können, bieten sie einige nützliche Einsichten für den Kontext der vorliegenden Arbeit, indem Sie die Verwobenheit von politischer Steuerung und touristischer Entwicklung auf der lokalen Ebene exemplarisch herausarbeiten. Studien, die versuchen die Gründe für die Entwicklung der spezifischen Angebotsstrukturen ganzer Destinationen aus einer angebots- und akteursorientierten Perspektive zu erklären, sind dagegen äußerst rar. 76 Arbeiten, die sich mit der Bedeutung der Strategien der wirtschaftlichen und politischen Akteure für die Angebotsentstehung in der Arabischen Welt beschäftigen und sie erklären, existieren auf der Makro-Ebene bislang fast nicht. WAHAB (1996b) oder auch GRAY (1998) evaluieren zwar
76
Eine Übertragung theoretisch informierter, wirtschaftsgeographischer Ansätze auf den Bereich des Tourismus findet insgesamt in der Tourismusforschung kaum statt, wie IOANNIDES & DEBBAGE (1998a) in dem Einleitungskapitel zu ihrem Sammelband feststellen, der zugleich eine der wenigen Ausnahmen von diesem Befund darstellt. Die gemeinsame Geschichte von Wirtschafts- und Tourismusgeographie lässt sich vor allem als eine der verpassten Gelegenheiten charakterisieren (DEBBAGE & DANIELS 1998). Werden in der Tourismusforschung wirtschaftliche Aspekte in Akteursperspektive behandelt, herrschen entweder anwendungsbezogene tourismuswissenschaftlich ausgerichtete Studien oder deskriptiv-analytische Ansätze der Tourismusgeographie vor.
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für Ägypten die Entwicklungsperspektiven, die die Veränderung der staatlichen Regulation im Kontext der Wirtschaftsreformen der 1990er Jahre für den Ausbau des Tourismussektors eröffnet hat und analysieren darauf aufbauend die Entwicklung des Hotelangebotes, sie thematisieren jedoch mit keinem Wort die handelnden Akteure. ROBERT & JUYAUX (1997) agieren dagegen mit ihrer Studie über Know-how-Transfers in der Hotelindustrie Tunesiens zwar auf der Ebene der wirtschaftlichen Akteure, schenken der Betrachtung der Akteursstrategien jedoch genauso wie WAHAB und GRAY keine Aufmerksamkeit. Eine der wenigen Ausnahmen, die versucht die Erklärung der Entwicklung der Tourismuswirtschaft radikal an eine Akteursperspektive zu koppeln, stellt die historisch-biographisch angelegte Arbeit von BERGAOUI (2003) dar, der in seinem Buch die Verbindung der Biographien von Einzelpersonen mit der Entwicklung des Tourismus in Tunesien veranschaulicht. Abseits dieser biographisch zentrierten Forschung argumentieren gegenwärtig lediglich die Arbeiten von SCHERLE und DÖRRY aus einer Akteurs- und Handlungsorientierten Perspektive. 77 Beide operieren mit ihrem Forschungsdesign auf der Basis der Analyse von Beziehungen in touristischen Wertschöpfungsketten. SCHERLE (2005; SCHERLE & COLES 2006) untersucht vor allem die Machtverhältnisse, sozialen Beziehungen und Hindernisse interkultureller Kommunikation zwischen deutschen Reiseveranstaltern und marokkanischen Zielgebietsagenturen, während DÖRRY (2008a; 2008b) an Hand des Beispiels von Pauschalreisen von Deutschland nach Jordanien analysiert, welche Handlungsmacht insbesondere kleine und mittelständische Reiseveranstalter entwickeln können.
4.4.2 Akteursstrukturen im internationalen Tourismus Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass die Akteursstrukturen der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren haben, obwohl sie aus akteursorientierter Perspektive maßgeblich dafür verantwortlich sind, welche Handlungsoptionen einzelnen Akteuren zur Verfügung stehen. Will man die Handlungen der Akteure und die daraus resultierende Destinationsentwicklung nachvollziehen, ist es daher zunächst nötig, die Akteursstrukturen im Tourismus zu verstehen. Es bietet sich an, die generellen Akteursstrukturen im internationalen Tourismus analog des Wertschöpfungskettenansatzes zu skizzieren. Demgemäß lässt sich die Wertschöpfungskette einer Flugpauschalreise nach
77
Die hierin offensichtlich werdende konzeptionelle Lücke bestätigt auch für Forschungen in der Arabischen Welt damit den Befund, dass kaum ein Austausch zwischen Wirtschafts- und Tourismusgeographie stattfindet.
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erbrachten (Kern-)Leistungen und Leistungserbringern aufgliedern (vgl. Abbildung 18).78 Abbildung 18: Wertschöpfungskette am Beispiel einer Flugpauschalreise Kernprodukt
Zusatzleistungen
Leistungserbringer
Beratung & Verkauf
Reisebüro
Einkauf und Bündelung der Leistungen
Reiseveranstalter
Flug
Charterfluggesellschaften
Transferleistung
Mietwagen
Vorwärtsintegration
Automobilverleih
Zielgebietsagentur, Busunternehmen
Ortsreiseleitung Ausflüge Hotelleistungen
Hotel(kette) Zielgebiet
Rückwärtsintegration
Quelle: MUNDT 1998: 337; verändert
Schon bevor die Touristen in ihrem Zielgebiet ankommen, ist eine ganze Reihe von Leistungen nötig. Diese reichen von Beratung und Verkauf der Dienstleistungen, über den Einkauf und die Bündelung der verschiedenen Leistungen zu Paketen bis hin zur Organisation und Abwicklung der notwendigen Verkehrsdienstleistungen. Dementsprechend sind von Reisebüros über Reiseveranstalter bis hin zu (Charter-)Fluggesell-schaften bereits eine Vielzahl von Akteuren in die touristische Leistungserbringung eingebunden, bevor die Touristen ihr Reiseziel erreichen. In der Destination selbst ist die Zahl der Akteure, die touristische Kernleistungen erbringen, recht überschaubar. Zielgebietsagenturen organisieren die Transfers vor Ort, stellen die Ortsreiseleitung und organisieren Ausflüge. Hotelgesellschaften erbringen Restaurationsleistungen und alle mit der Übernachtung verbundenen Hotelleistungen. In Einzelfällen können zudem Leistungen von Mietwagenfirmen nachgefragt werden. Innerhalb der touristischen Wertschöpfungskette ist eine horizontale oder eine vertikale Integration der Leistungen möglich (IOANNIDES & DEBBAGE 1998b: 102). Eine horizontale Integration besteht dann, wenn 78
Dieses exemplarische Vorgehen bietet sich besonders deshalb an, da der internationale Tourismus in der Arabischen Welt überwiegend als organisierter Pauschaltourismus stattfindet.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 131
Unternehmen andere Unternehmen auf der gleichen Stufe der Wertschöpfungskette aufkaufen und in ihr Unternehmen integrieren, um Größenvorteile zu realisieren – eine Strategie, die vor allem für Hotelgesellschaften typisch ist (VORLAUFER 2000: 52). Eine vertikale Integration liegt dann vor, wenn vor- oder nachgelagerte Leistungserbringer dem Unternehmensportfolio hinzugefügt werden. Hierdurch entstehen so genannte integrierte Unternehmen. Insbesondere Reiseveranstalter (in Deutschland bspw. TUI und Neckermann bzw. Thomas Cook) haben in der Vergangenheit den Weg der vertikalen Integration gewählt. Hierdurch können die Unternehmen sich die Kontrolle über für sie ausreichende Angebotskapazitäten in den Zielgebieten sichern, die Qualitätskontrolle der Leistungskette verbessern, Synergieeffekte erzielen und die Umsatzrendite erhöhen (STEINECKE 2006: 89). Insbesondere der letzte Punkt ist ein wesentlicher Treiber der vertikalen Integrationsstrategie von Reiseveranstaltern angesichts der Tatsache, dass bspw. 1992 durchschnittlich nur ~10 % des gesamten Reisepreises beim Reiseveranstalter verbleiben, ~12 % an das Reisebüro sowie ~3 % an die Zielgebietsagentur gehen und je ~35-40 % auf Hotel und Flug entfallen. So kommt es, dass die Reiseveranstalter bei einem hohen nominellen Umsatzvolumen nur eine relativ bescheidene Umsatzrendite von ~1 % des gesamten Reiseumsatzes erzielen können und daher bestrebt sind, andere Glieder der Wertschöpfungskette zu integrieren (VORLAUFER 1993b: 275). 79 Die touristischen Kernleistungen werden durch eine große Anzahl von komplementären Leistungen ergänzt, die jedoch in der Leistungserstellung nicht immer klar der Tourismuswirtschaft zugeordnet werden können. Sie reichen von der Nutzung kultureller Angebote (Museen und Ausstellungen, Theater oder Konzertbesuche) über Souvenirhandel bis hin zu öffentlichen Verkehrsleistungen, Frisörbesuchen, gastronomischem Angebot und dem Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs bis hin zu längerfristigen Konsumgütern. Die Anzahl aller beteiligten Akteure ist deshalb realiter wesentlich größer, als dies das vereinfachende Wertschöpfungsschema suggeriert. Unter den Leistungserstellern in den Zielgebieten sind Zielgebietsagenturen sowie Hoteliers die wichtigsten Akteure. Auf sie entfällt der weitaus größte Teil der Wertschöpfung. Ihre Anzahl ist zudem im
79
Die Anteile differieren stark je nach Zielgebiet, Reiseart und Qualitätskategorie. Die durchschnittlichen von VORLAUFER angegebenen Anteile dürften sich seit 1992 aufgrund des starken Preiswettbewerbs, insbesondere unter den Fluggesellschaften, verschoben haben. Wie STEINECKE (2006: 89) passend zu diesem Befund anmerkt, kursieren unterschiedliche Angaben zur Umsatzverteilung nach Leistungserbringern. So entfallen nach MUNDT (1998: 89) auf den Flug nur etwa 30-35 % des Reisepreises. Eigene Erfahrungen deuten zudem darauf hin, dass der Anteil der Hotels dagegen gestiegen ist und sich – je nach Reise und Kategorie – zwischen 35 % und bis zu über 50 % bewegt.
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Vergleich zu der der komplementären Leistungserbringer noch verhältnismäßig klein und überschaubar. Zielgebietsagenturen und Hotelbetriebe stellen daher die handlungsmächtigsten Akteure innerhalb der Destinationen dar. Da auf die Hotelbetriebe jedoch, wie oben ausgeführt, zwischen 35 % und 50 % des Pauschalreisepreises entfallen, übt ihr Verhalten unter dem aller wirtschaftlichen Akteure im Zielgebiet den größten Einfluss auf die Destinationsentwicklung aus, weshalb sie im Zentrum der nachfolgenden Betrachtungen stehen. Unter den Hotelbetrieben spielen wiederum multinationale Hotelkonzerne eine herausgehobene Rolle (STEINER 2004; VORLAUFER 1993a, 1993b, 1994, 1996a, 2000). Ihre Präsenz oder Nichtpräsenz an einem Standort entscheidet wegen der ihnen zur Verfügung stehenden internationalen Vertriebsmöglichkeiten, Markterschließungsund Marktlenkungspotenziale zu einem großen Teil über die Zukunft der jeweiligen touristischen Destination. Die Hotelwirtschaft ist organisatorisch äußerst heterogen verfasst, so dass ein Blick auf die vorhandenen Organisationsformen nötig ist, um die Handlungen der Akteure verstehen zu können. Hotelbetriebe lassen sich entsprechend der Eigentums- und Organisationsformen nach verschiedenen Betreiberformen unterscheiden (MUNDT 1998: 310ff; VORLAUFER 1993a: 300f; VORLAUFER 2000: 73f): 1. Eigentümerbetriebe. Bei Eigentümerbetrieben übernimmt der Hoteleigentümer auch den Betrieb des Hotels. 2. Franchisebetriebe. Bei Franchisebetrieben handelt es sich um eine Sonderform eines Eigentümerbetriebs, der über einen Franchisevertrag an eine Hotelkette angebunden ist. Der Hoteleigentümer muss dazu als Franchisenehmer eine Lizenzgebühr an die Hotelkette abführen und kann dafür auf deren Markennamen, Marketing- und Distributionskanäle zurückgreifen. 3. Pacht- oder Mietbetriebe. Bei Pacht- oder Mietbetrieben übernimmt ein Pächter oder Mieter den Betrieb und muss für die Nutzung der Hotelanlage ein festgesetztes Entgelt an den Eigentümer abführen. Die Laufzeit der Pacht- und Mietverträge bewegt sich meistens in einem mittelfristigen Bereich von unter zehn Jahren. 4. Managementbetriebe. Bei Managementbetrieben befindet sich das Hotel nicht im Eigentum, Miete oder Pacht, sondern wird über einen Managementvertrag von einem Managementunternehmen – zumeist einer Hotelkette – für den Eigentümer betrieben, das im Namen und auf Rechnung des Eigentümers handelt. Der Hoteleigentümer ist Arbeitgeber der Mitarbeiter und trägt das finanzielle Risiko. Das Managementunternehmen stellt das Know-How zum Betrieb, seine Marketing- und Distributionskanäle sowie die Markenrechte der Hotelkette zur Verfügung. Für den Betrieb des Hotels erhält es im Gegenzug eine Managementgebühr, die i. d. R. eine fixe oder umsatzabhängige und eine ge-
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 133
winnabhängige Komponente enthält. Die Verträge haben je nach Objekt eine langfristige Laufzeit von zehn bis 30 Jahren. Die vorgestellten Betreiberformen weisen unterschiedliche Vor- und Nachteile für die beteiligten Akteure auf. Bei Eigentümerbetrieben behalten die Eigentümer die volle Kontrolle über die Produktionsmittel und müssen die erwirtschafteten Profite nicht mit Dritten teilen, tragen jedoch das finanzielle Risiko allein. Eine erfolgreiche Bewirtschaftung eines Hotels setzt Know-How im Betrieb eines Hotels sowie ein gut funktionierendes Marketing- und Vertriebssystem voraus. Fehlt letzteres, so werden Franchisesysteme für den Eigentümer attraktiv, die ihm kostengünstig die Vorteile der Einbindung seines Betriebs in eine Hotelkette bieten, ohne die Kontrolle über sein Hotel abzugeben. Verpachtet oder vermietet ein Hoteleigentümer, hat dies für ihn den Vorteil, das Geschäftsrisiko abgeben zu können. Dafür verlängert sich für ihn der Amortisationszeitraum; der Return on Investment (RoI) seines Hotels verschlechtert sich. Für den Pächter oder Mieter wiederum bietet das Pachtverhältnis vor allem den Vorteil, seine Investitionskosten minimieren zu können, wodurch seine Kapitalrendite steigt. Managementverträge bieten für den Hoteleigentümer erstens den Vorteil, die Kontrolle über sein Hotel zu behalten, zweitens oftmals nicht vorhandenes Know-how für den Betrieb von Hotels und fehlende Marketingund Distributionsmöglichkeiten einkaufen zu können, und drittens eine Markenidentität zu erhalten – letzteres insbesondere dann, wenn er einen Managementvertrag mit einem transnationalen Hotelunternehmen (TNHU) abschließt. Damit sinkt das Investitionsrisiko für den Eigentümer. Für die Managementunternehmen hat diese Betreiberform den Vorteil, dass sie einen noch geringeren Kapitaleinsatz als bei Pacht oder Mietbetrieb leisten müssen und so ihre Kapitalrendite und ihre Expansionsgeschwindigkeit erhöhen können, während das Geschäftsrisiko weitgehend beim Eigentümer verbleibt. Die Vertragslaufzeiten sichern den Managementgesellschaften auch langfristig die volle Kontrolle über den Betrieb der Hotels und über deren Bettenkapazitäten, während sie grundsätzlich eine gewisse Flexibilität in der Ausrichtung ihres Hotelportfolios behalten. Die meisten TNHU agieren überwiegend mit Managementverträgen und verzichten auf Investitionen in eigene Hotelanlagen. Kapitalbeteiligungen treten in ihrer Bedeutung daher auf der globalen Bühne immer mehr in den Hintergrund (DUNNING & MCQUEEN 1981: 202; MUNDT 1998: 311; VORLAUFER 2000: 71f.), was insbesondere auch für Entwicklungsländer gilt (STEINER 2004: 372f; UTHOFF 1996: 95; VORLAUFER 1996b: 127). TNHU haben gegenüber ihren nationalen Wettbewerbern einige wichtige unternehmensspezifische Wettbewerbsvorteile, die es für Hoteleigentümer attraktiv machen, mit ihnen zusammen zu arbeiten. TNHU besitzen einen international bekannten Markennamen. Die Be-
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kanntheit der Hotelmarke und die mit ihr assoziierte berechenbare Dienstleistungsqualität verschaffen den TNHU einen Vorteil gegenüber national agierenden Wettbewerbern, da Tourismusdienstleistungen klassische Erfahrungsgüter sind, deren Qualität erst im Moment des Konsums geprüft werden kann. Im Falle von Pauschalreisen müssen diese Dienstleistungen jedoch vorab bezahlt werden, was für den Kunden eine hohe Unsicherheit mit sich bringt. Die durch die Markennamen repräsentierte Reputation des TNHU reduziert die Unsicherheit des Kunden mit Hilfe klar definierter Qualitätsstandards. Reiseveranstalter bevorzugen daher die Zusammenarbeit mit TNHU, weil deren Hotelmarken verlässliche Qualitätsstandards signalisieren, die die Veranstalter wiederum ihren Kunden garantieren müssen. Die Leistungen TNHU sind daher insbesondere gegenüber qualitätsorientierten Touristen leichter vermarktbar, was die starke Position von TNHU in den gehobenen Marktsegmenten erklärt. Sie besitzen zudem im Allgemeinen Skalen- und Know-how-Vorteile und bessere internationale Marketing- und Vertriebsmöglichkeiten als ihre lokale Konkurrenz (BUCKLEY & GEYIKDAGI 1996: 105f; DUNNING & MCQUEEN 1981: 202f; MUNDT 1998: 310f). Diese Wettbewerbsvorteile erleichtern es ihnen, eine führende Rolle im internationalen Tourismus einzunehmen. Lokal operierende Hotels und Hotelketten können ihrer transnationalen Konkurrenz gegenüber jedoch eine detailliertere Kenntnis lokaler Kontexte und eine bessere persönliche Vernetzung entgegen setzen und so für sich ebenfalls Wettbewerbsvorteile erschließen. Die Entkoppelung von Funktionsebenen geht historisch auf die Expansion US-amerikanischer Hotelketten in den 1940er Jahren zurück (MUNDT 1998: 310f.), so dass heute die großen Hotelketten kaum noch über Eigentum an Hotelimmobilien verfügen und ihre historisch entstandenen Hotelbeteiligungen stetig zurückfahren. Ausnahmen bilden hierbei Einzelimmobilien an strategischen Standorten. Im Großen und Ganzen müssen daher heute zwei Kernbereiche der internationalen Hotellerie unterschieden werden (SCHULTZE 1993: 120ff): 1. der Bereich der Hotelentwicklung und Investition mit der (Bau-) Planung, Finanzierung und ggf. dem Verkauf der Immobilie, die häufig von branchenfremden Investoren oder Immobilienentwicklern gemanagt werden. Die Immobilien befinden sich insbesondere in den Industrieländern oft im Eigentum von Immobilienfonds oder institutionellen Anlegern. 2. der Hotelbetrieb in Form von Pacht-, Miet- oder Managementverträgen durch meist transnational, seltener national agierende Hotelmanagementgesellschaften. Vor diesem Hintergrund unterscheiden Dunning & McQueen (1981: 197) schon zu Beginn der 1980er Jahre zwischen einer „equity-based-control“ und „contract-based-control“ der Produktionsmittel im internationalen
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Tourismus und schlussfolgern, dass „some of the traditional ideas about the nature of international production need re-examination; in particular, the criteria for identifying and defining the ownership and control of assets.“ Eine genaue Analyse der Akteursstrukturen der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt muss folglich der Untersuchung ihrer Handlungsstrategien vorausgehen.
4.4.3 Struktur der Hotelwirtschaft in der Arabischen Welt Die Strukturen der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt waren in der Vergangenheit abseits von Studien auf der Mikroebene einzelner (mehr oder weniger peripherer) Standorte kaum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Ausnahmen bilden hierbei lediglich die bereits zitierten Arbeiten von SCHERLE (2005; SCHERLE & COLES 2006) und DÖRRY (2008a; 2008b), deren Analyse jedoch das Verhältnis von Reiseveranstalter und Zielgebietsagentur tangieren und die Hotelindustrie weitgehend ausklammern. Deshalb erscheint es sinnvoll eine kurze Vorstellung der Strukturen der Hotelwirtschaft in der Arabischen Welt zu präsentieren, die auf der Analyse von sekundärstatistischen Daten und – soweit nicht anders angegeben – eigenen empirischen Untersuchungen sowie Beobachtungen beruht. Die in Kapitel 4.4.2 beschriebenen Akteursstrukturen im internationalen Tourismus lassen sich, was deren allgemeinen Strukturaufbau angeht, auf die arabischen Länder übertragen. Die spezifischen Akteursstrukturen müssen jedoch als das Ergebnis eines historisch-evolutionären Prozesses aufgefasst werden. Sie sind für jedes einzelne Land erklärbar aus einem Zusammenspiel • der allgemeinen Internationalisierung von Tourismusunternehmen im Zuge einer fortschreitenden wirtschaftlichen Globalisierung, • der Entwicklung der politischen Ökonomie und Wirtschaftsordnung eines jedes Landes, • des sich international verändernden Regulationsrahmens sowie • der individuellen Strategien der beteiligten Unternehmen und Personen. Das Ausmaß der transnationalen Durchdringung des Hotelsektors in der Arabischen Welt ist grundsätzlich von der Öffnung der arabischen Volkswirtschaften für transnationale Unternehmen und Investoren abhängig. Ein Engagement von TNU ist dabei natürlich nur möglich, wenn TNU auch Lizenzen für ihre Arbeit erhalten. Dies war vor allem in der Phase des arabischen Sozialismus nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen der Fall. Inwieweit ein Engagement TNU mit Kapitalbeteiligungen möglich ist, hängt zudem stark von den Regelungen für Auslandsinvestitionen und des Immobilieneigentumsrechts ab, die den Erwerb von Unternehmensan-
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teilen oder von Immobilieneigentum stark einschränken oder unterbinden können (vgl. für Ägypten bspw. RICHTER & STEINER 2007). Während heute transnationale Tourismusunternehmen (TNTU) in fast allen etablierten touristischen Destinationen Lizenzen für ihr operatives Geschäft mehr oder weniger unproblematisch erhalten können, 80 schränken viele arabische Staaten die Möglichkeiten des Immobilienerwerbs für ausländische – insbesondere für nichtarabische – Unternehmen und Personen stark ein. So räumen gegenwärtig die VAE, wie auch die meisten Staaten des GCC, nur Unternehmen aus dem GCC-Raum die Möglichkeit zum Immobilienerwerb ein. 81 Während also die Möglichkeit von Investitionen und Kapitalbeteiligungen durch TNTU in den einzelnen arabischen Staaten durch unterschiedliche staatliche Regularien erheblich schwankt und insofern eine stark unterschiedliche transnationale Durchdringung der einzelnen Märkte zu erwarten wäre, ist das Ausmaß an ausländischen Investitionen jedoch selbst in entsprechend liberal verfassten Ökonomien wie Ägypten sehr begrenzt. Die Akteursstrukturen gleichen sich daher in den meisten arabischen Staaten. In der Hotelwirtschaft der arabischen Staaten lassen sich vereinfachend vier Akteurstypen unterscheiden: (arabische) Hotelinvestoren und eigentümer, arabische Hotelunternehmen, transnationale Hotelunternehmen und integrierte Tourismusunternehmen.82
4.4.3.1 Hotelinvestoren und -eigentümer Die Hotelanlagen befinden sich in der Arabischen Welt weit überwiegend in lokalem oder ausländisch-arabischem Eigentum. Dies ist nicht nur wie bereits erwähnt auf erhebliche Beschränkungen des ImmobilienEigentumsrechtes für Ausländer in zahlreichen Staaten der Region zurückzuführen. Auch in Ländern mit relativ liberalem Ordnungsrahmen wie Ägypten und Tunesien ist der Anteil an ausländischen, nichtarabischen Investitionen trotz starker Einbindung beider Märkte in den internationalen Tourismus relativ gering.
80
81
82
Die Probleme beschränken sich zumeist auf die von vielen TNTU beklagten bürokratischen Hürden und langwierigen Genehmigungsverfahren, die insbesondere bei dem Eintritt in neue Märkte erhebliche Transaktionskosten verursachen können. Allerdings wird seit Jahren über eine Liberalisierung diskutiert, die de facto über das Instrument von Freihandelszonen bereits bspw. durch das Emirat Dubai betrieben wird. Dubai hat zudem – im Widerspruch zum föderalen Recht der VAE – mit dem Dubai Property Law No. 7 den begrenzten Eigentumserwerb für Ausländer ermöglicht (GHORFA 2006). Zwischen diesen Kategorien gibt es durchaus in empirischer Hinsicht Überlappungen. Diese werden in den nachfolgenden Abschnitten noch thematisiert.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 137
In Ägypten zeichnen sich zwischen 1990 und 2005 83 europäische und nordamerikanische Direktinvestitionen nur für 16,9 % aller ausländischen Direktinvestitionen (ADI) im Tourismus verantwortlich, während rund 62 % aller ADI aus anderen arabischen Staaten – zuvorderst aus SaudiArabien, Kuwait und Katar – nach Ägypten fließen (vgl. Abbildung 19). Aus ADI stammen zudem nur etwa 14 % aller Tourismusinvestitionen zwischen 1990 und 2005, wobei der Anteil der Investitionen aus Europa und Nordamerika an allen Investitionen gerade einmal bei etwa 5 % liegt (CBE div. Jahre; GAFI 2005; eigene Kalkulation). 84 Abbildung 19: Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen im Tourismus Ägyptens nach Herkunftsländern Januar 1990 bis Februar 2005
D I USA Sonstige
100%
GB
75%
Panama
Katar Syrien VAE
50%
Kuwait
25%
SaudiArabien
0%
Quelle: GAFI 2005; eigener Entwurf
In Tunesien zeichnen sich zwar ADI aus Nordamerika und Europa mit rund 44 % für einen viel größeren Anteil der ADI verantwortlich und der Anteil der arabischen ADI liegt mit rund 52 % im Vergleich zu Ägypten recht niedrig (vgl. Abbildung 20). Der Anteil aller ADI an den Gesamtinvestitionen im Tourismussektor des Landes ist mit rund 7 % deutlich geringer als in Ägypten, weshalb trotz ihres höheren ADI-Anteils nur knapp 3 % aller Investitionen im Tourismussektor aus Europa und Nordamerika stammen (ONTT 2004; div. Jahre; eigene Kalkulation). Dass in Tunesien, Ägypten und den VAE gleichzeitig relativ viele TNHU operieren, lässt vermuten, dass in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt eine weitgehende Trennung der Funktionsebenen zu verzeichnen ist. Die vorherr-
83
84
Dieser Zeitabschnitt ist identisch mit der von RICHTER & STEINER (2007) identifizierten Hauptphase der Investitionstätigkeit im ägyptischen Tourismussektor. Jüngere Daten liegen hierzu gegenwärtig nicht vor. Die Angaben für den ADI-Anteil an allen Investitionen können nur näherungsweise berechnet werden, da die Daten der General Authority for Investment (GAFI) nach Kalenderjahren, die Daten der Central Bank of Egypt (CBE) jedoch nach Fiskaljahren veröffentlicht werden. Aufgrund des betrachteten Zeitraumes von rund 15 Jahren dürften die sich daraus ergebenden Ungenauigkeiten jedoch minimal sein.
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schende Funktionstrennung wird von den befragten Managern der TNHU für die gesamte Region bestätigt. TNHU engagieren sich demnach in der Arabischen Welt insgesamt fast kaum mit ADI. Abbildung 20: Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen im Tourismus Tunesiens nach Herkunftsländern zwischen 1970 und 2003 100%
CH L D GB A E I USA Sonstige
75%
F
Libyen VAE Singapur
50%
Kuwait
25%
SaudiArabien
0%
Quelle: ONTT 2004; eigener Entwurf
Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die arabischen Wirtschaftsakteure für die Angebotsentstehung eine große Rolle als Investoren für die Errichtung von touristischer Infrastruktur, insbesondere von Hotelanlagen, spielen. Sie treten als Investoren und Eigentümer der Hotels auf, während multinationale, nichtarabische Unternehmen zumeist das operative Geschäft der Anlagen übernehmen (STEINER 2007). Während insbesondere in den unteren Hotelkategorien, auch viele Eigentümerbetriebe existieren, sind die für den internationalen Tourismus besonders relevanten Hotels der Drei bis Fünfsterne-Kategorie in den 1950er und 1960er Jahren durch staatliche Unternehmen und danach idealtypischer Weise zu einem großen Teil von ursprünglich Branchenunerfahrenen, arabischen Investoren und Immobilienentwicklern errichtet worden. Heute ist die Eigentümerstruktur stark von privaten Investoren geprägt. Staatliche Unternehmen spielen demgegenüber nur mehr eine nachrangige Rolle. 85
85
Staatliche Hotelgesellschaften als Akteure sind vor allem in der Phase des arabischen Sozialismus prägend für den Hotelsektor in Nordafrika und der Levante. Die Egyptian General Organisation of Tourism and Hotels (EGOTH) sowie die Société Hôtelière et Touristique de Tunisie (SHTT) sind hierfür gute Beispiele. Sie haben bis in die 1970er Jahre hinein eine nahezu monopolistische Position inne, die sich erst im Zuge der einsetzenden wirtschaftlichen Öffnung abschwächt. Im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre geraten die staatlichen Hotelgesellschaften teilweise ausgelöst durch Auflagen des IWF unter Privatisierungsdruck. Die EGOTH wird so bspw. im Jahr 2000 mit anderen staatlichen Tourismusunternehmen in der Housing, Tourism and Cinema Holding (HTC) zusammengefasst, mit der Egyptian Hotels Company fusioniert und nachfolgend zahlreiche Hotelan-
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Typisch für die Arabische Welt ist dabei, dass die Immobilieneigentümer i. d. R. keine Immobilienfonds oder institutionellen Anleger sind, sondern Privatleute oder Immobilien- und Investmentgesellschaften. Die Eigentümer stammen zumeist aus der lokalen oder regionalen wirtschaftlichen, politisch-administrativen oder militärischen Elite und besaßen oft bereits vor ihrem Investment im Tourismus Unternehmen in anderen Wirtschaftsbranchen, mit denen sie Kapital erwirtschafteten, für das sie nach profitablen Anlageformen suchten. 86 Die im Tourismus engagierten wirtschaftlichen Eliten weisen in der Mehrzahl der arabischen Länder aufgrund der neo-patrimonialen Strukturen (PAWELKA 2000a, 2000b) der politisch-ökonomischen Systeme weitgehende personelle Überschneidungen mit der politischen Elite auf oder stehen mit ihr in engen Interdependenzbeziehungen. Ihre dominierende wirtschaftliche Position in den oberen Marktsegmenten des internationalen Tourismus der Arabischen Welt ist dabei sowohl Ergebnis wie auch konstitutives Element des politisch-ökonomischen Systems. Diese enge Verbindung ermöglicht es ihnen, ihre persönlichen Kontakte für den Ausbau ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten zu nutzen. Ohne derartige Kontakte wäre umgekehrt die Nutzung der sich bietenden Investitionschancen im Tourismus kaum möglich gewesen. Wie RICHTER & STEINER (2007) exemplarisch an Hand des ägyptischen Falles demonstrieren, kann die starke Expansion des Tourismussektors teilweise dadurch erklärt werden, dass die politische Elite neue Rentenquellen im Tourismus geschaffen hat, um sich die Loyalität der wirtschaftlichen Elite zu sichern. In der Folge konnte die wirtschaftliche Elite – ihre persönlichen Beziehungen ausnutzend – die neuen attraktiven Investitionsoptionen zur Anlage ihres überschüssigen Kapitels nutzen und so wirtschaftliches Wachstum anregen, dass zur Sicherung des politischen Machterhaltes beiträgt. Diese übergeordneten gesellschaftlichen Strukturen erklären, warum die Akteursstruktur auf der Seite der Hoteleigentümer extrem von Einzelpersonen und persönlichen Beziehungsgeflechten geprägt ist. Viele der Großinvestoren haben beispielsweise einen Bezug zur Baubranche. So sind indirekt alle drei großen Bauunternehmen Ägyptens über ihre Eigentümer oder Geschäftsführer im Tourismusgeschäft engagiert.
86
lagen aus staatlichem Eigentum an private Investoren verkauft (BERGAOUI 2003: 84ff; GRAY 1998). Insbesondere in Tunesien und Ägypten nutzen Manager aus den staatlichen Tourismusbehörden und Unternehmen im Verlauf der 1970er Jahre und dann später im Zuge der Privatisierungswelle der 1990er Jahre ihre Kenntnisse und Verbindungen, um eigene Tourismus- und Hotelunternehmen auf- oder auszubauen (BERGAOUI 2003). Hierauf wird in Kapitel 4.4.3.2 noch näher eingegangen.
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Osman Ahmed Osman, der über viele Jahrzehnte als Vorstandschef seines im Verlauf der 1960er Jahre verstaatlichten Unternehmens Arab Contractors fungierte, und später seine Söhne haben so die Osman Gruppe aufgebaut, der neben zahlreichen Tochterunternehmen im Bereich Bauen, Informationstechnologie, Handel, Industrie und Landwirtschaft auch Osmason (sic!) for Real Estate Investments angehört – eine Immobilientochter, die sich im Bau von Hotelprojekten engagiert (OSMAN GROUP 2007). Verbindungen der Alexandria Construction Company in den Tourismussektor ergeben sich über ihren Eigentümer Talaat Mustafa, der mit der ebenfalls ihm gehörenden Alexandria Real Estate and Development Company (AREI) in Tourismusprojekten auf dem Sinai, am Roten Meer und in Kairo tätig ist und dem bspw. die beiden Four Seasons Hotels in Sharm elSheikh und in Kairo gehören. In der Person Talaat Mustafas wird zudem die enge personelle Verbindung zwischen wirtschaftlicher und politischer Elite deutlich – Talaat Mustafa ist Mitglieder der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) Mubaraks und langjähriges Parlamentsmitglied (SOWERS 2003: 227). Die Orascom Construction Industries weisen im Rahmen der Orascom Gruppe und ihrer Eigentümer, der Familie Sawiris, Verbindungen zu Orascom Hotels and Development auf. Die Entwicklung der Orascom Gruppe nahm in den 1960er Jahren mit dem gleichnamigen Bauunternehmen ihren Anfang. Orascom ist heute eines der größten Firmenkonglomerate der Arabischen Welt mit einem in sieben Staaten aktiven Telekommunikationsunternehmen, einem der größten Bauunternehmen der Region, einem IT-Dienstleister und seiner Tourismustochter, die in Ägypten (El Gouna und Taba Heights), Jordanien (Tala Bay), den VAE (The Cove), Oman (Sifah und Salalah), Marokko (Oued Chbika), der Schweiz (Andermatt) und Mauritius aktiv ist (Orascom Hotels and Development 2007). Auch die Familie Sawiris unterhält engste Beziehungen in die politische Elite Ägyptens. Fouad Sultan, der als ehemaliger Tourismusminister die touristische Erschließung der Küstengebiete betrieb, musste 1994 wegen Korruptions- und Vetternwirtschaftsvorwürfen von seinem Amt zurücktreten. Wenig später wurde er Aufsichtsratsmitglied von Orascom Projects and Tourism, dem Vorgängerunternehmen der Orascom Hotels and Development (SOWERS 2003: 223). Wie eng die politische Funktionselite und die wirtschaftliche Elite verzahnt sind, zeigt sich auch im Falle Ahmed El-Maghrabys, der nicht nur als ägyptischer Teilhaber in einem Joint-Venture mit Accor Miteigentümer von Accor S.A.E. Egypt und Eigentümer zahlreicher von Accor S.A.E. betriebener Hotelanlagen ist, sondern der zudem seit langen Jahren die Mitgliedschaft der NDP besitzt und zwischen Juli 2004 bis Dezember 2005 als Tourismusminister amtierte. Enge, fast schon symbiotische Beziehungen zu transnationalen Unternehmen unterhalten auch andere Hoteleigentümer wie Ahmed El-Chiaty,
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der zusammen mit der TUI AG je 49 % bzw. 51 % an Travco, der größten Zielgebietsagentur Ägyptens87 hält. Chiaty besitzt zudem mit der Travco Group of Hotel Companies (TGHC) das Eigentum an den meisten der von TUI-Töchtern betriebenen Hotels in Ägypten. Die TUI wiederum ist seit 1997 mit Hotelbeteiligungen in der TGHC engagiert. Die Verbindung zwischen Parteimitgliedschaft in der NDP und wirtschaftlicher Aktivität ist auch bei Mohamed Farid Khamis offensichtlich. Khamis war nicht nur Parlamentsmitglied für die NDP, sondern ist Chef der Oriental Weavers und kaufte sich mit einem Konsortium in der NabqEntwicklungszone, 10 km nördlich von Sharm el-Sheikh, günstig ein (SOWERS 2003: 224). In den Golfstaaten ist die Verbindung zwischen den Teileliten aufgrund der geringeren Bevölkerungszahlen noch enger als in Nordafrika und der Levante, so dass teilweise kaum eine Trennung zwischen staatlichen und privaten wirtschaftlichen Aktivitäten gezogen werden kann. Am Golf werden im Zuge der später einsetzenden Unabhängigkeit neue (halb-) staatliche Hotel- und Projektentwicklungsgesellschaften gegründet, als diese in Nordafrika und der Levante bereits an Bedeutung verlieren. Abu Dhabi National Hotels im Besitz der Abu Dhabi regierenden Familie Al-Nahyan ist hierfür ein gutes Beispiel. In den 1980er und 1990er Jahren sowie verstärkt seit der Jahrtausendwende entstehen in fast allen Golfstaaten eine Flut neuer Unternehmen. Emaar, Nakheel und Jumeirah International im Eigentum der Herrscherfamilie Dubais Al-Maktoum investieren nicht nur in Hotels wie das Burj Al-Arab oder die Emirates Towers und betreiben diese anschließend sondern zeichnen sich bspw. auch für die Errichtung der Aufsehen erregenden künstlichen Inselwelten der Palm Islands und von The World verantwortlich. Mit dieser Projektentwicklungsstrategie bilden sie ein Vorbild für gleichartige Unternehmen am gesamten Golf und haben sich mittlerweile zu wichtigen regional bzw. global agierenden Unternehmen entwickelt. Enge Verbindungen zwischen Investoren und Politik bestehen auch bei einigen der großen (Tourismus-)Investoren der Region. Die KingdomHolding im Eigentum von Prinz Walid bin Talal Al-Saud88 aus der Herrscherfamilie Saudi-Arabiens ist hierfür ein gutes Beispiel. Die KingdomHolding ist nicht nur Eigentümer zahlreicher Hotelobjekte in der gesamten Arabischen Welt, sondern hält ebenfalls Unternehmensanteile an einer Reihe namhafter transnational agierender Unternehmen wie bspw. AOL/Time Warner, Coca Cola, Hewlett-Packard, McDonald's, Motorola
87 88
Travco ist mittlerweile auch in anderen arabischen Staaten geschäftlich aktiv, unter anderem in der VAE. Prinz Walid bin Talal Al-Saud ist laut dem Magazin Forbes (2007) der 13. reichste Mann der Erde mit einem geschätzten Gesamtvermögen von US$ 20,3 Mrd.
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und Procter & Gamble. Gleichzeitig hat sich Prinz Walid mit Minderheitsbeteiligungen in namhafte internationale Hotelketten wie Four Seasons (45 %) und Mövenpick (33,3 %) eingekauft und die Hotelkette Fairmont zusammen mit einem Partner gänzlich übernommen. Die Beteiligungen an den Hotelketten erlauben dem Prinzen, deren Geschäftsstrategien direkt zu beeinflussen. Auch aus diesem Grund expandieren alle drei Ketten in den letzten Jahren verstärkt in der Arabischen Welt. Die Verbindung politischen und gesellschaftlichen Einflusses und persönlicher Kontakte ermöglicht dem Prinzen gleichzeitig „seinen“ Hotelketten Hilfestellungen bei ihrer Expansion zu leisten (Kingdom Holding Company 2007). Eine ganze Reihe von Großinvestoren engagieren sich wie Prinz Walid ebenfalls im großen Stil in der Tourismus- und Hotelentwicklung der Region. Exemplarisch sei hier auf die Aktivitäten und Firmenkonglomerate der Familien Al-Habtoor (Habtoor Hotels) und Al-Futtaim (Mall of the Emirates, Ski Dubai, Dubai Festival City, Kairo Festival City, The Wave Oman) aus Dubai sowie auf den kuwaitischen Unternehmer Nasser AlKharafi (Port Ghalib Ägypten) verwiesen, die alle mit Teilen ihrer Unternehmenskonglomerate im Bausektor aktiv sind und sich in diversen Immobilienentwicklungsprojekten und Hotels engagieren.
4.4.3.2 Arabische Hotelunternehmen Arabische Hotelunternehmen treten in drei Erscheinungsweisen auf: als Einzelbetriebsunternehmen, als nationale Hotelketten oder seltener als transnationale Hotelunternehmen. Einzelbetriebsunternehmen sind überwiegend in den niedrigeren Hotelkategorien bis maximal drei Sterne zu verorten. Vereinzelt kann es jedoch auch vorkommen, dass ein höherklassiges Hotel als Einzelbetriebsunternehmen geführt wird. Kleine bis große national operierende Hotelketten sind dabei bereits deutlich öfter vertreten. Ihre Wurzeln gehen oft auf die Pionierphase der Tourismusentwicklung in Nordafrika zurück, in der ihre Eigentümer – zumeist Privatpersonen oder Familien – die sich bietenden Gelegenheiten des auslaufenden arabischen Sozialismus nutzen, um sich mit eigenen Ketten in ihren Heimatmärkten zu etablieren. 89 Zahlreiche Beispiele dieser Akteursgruppe finden sich vor allem in Tunesien (BERGAOUI 2003), die in den 1970er und 1980er Jahren den tunesischen Markt fast vollständig beherrschten, woraus sich die noch heute 89
Die in der Phase des arabischen Sozialismus dominierenden staatlichen Hotelunternehmen spielen heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Viele von ihnen wurden seit den 1970er bis 1980er Jahren privatisiert und haben oftmals den Betrieb der von ihnen im Eigentum gehaltenen Hotelanlagen abgegeben. Ihre Strategien als Hotelunternehmen oder als Hoteleigentümer unterscheiden sich zudem nicht erkennbar von denen ihrer privatwirtschaftlichen Konkurrenz. Sie werden daher hier nicht als eigenständige Akteursgruppe in der Analyse weiter thematisiert.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 143
im Vergleich zu Ägypten relativ geringe transnationale Durchdringung des tunesischen Hotelmarktes erklärt. Ein Beispiel für ein solches Hotelunternehmen ist El-Mouradi Hotels im Eigentum von Neji Mheri. Lag der Ursprung der Unternehmensgruppe zunächst noch in der Möbelindustrie, expandierte die Familie Mheri schon zu Beginn der 1970er Jahre in den Tourismussektor und besitzt Ende 2007 mit den El-Mouradi Hotels 16 Hotelanlagen in ganz Tunesien mit insgesamt ~13.500 Betten (El-Mouradi Hotels 2007). Ein ähnliches, wenn auch ungleich jüngeres Beispiel aus der Golfregion stellt die Habtoor Hotels Gruppe dar, die aus den VAE stammt und sich im Eigentum der Familie Habtoor befindet. Die Gruppe umfasst Ende 2007 insgesamt fünf Hotels mit 1.370 Zimmern. Der Firmensitz befindet sich in Dubai, wo auch vier der Hotels zu finden sind. Im Jahre 2001 hat sich die Gruppe durch die Expansion nach Beirut internationalisiert, wo gegenwärtig ein weiteres Hotel im Bau ist (Habtoor Group 2007). Die Rotana Hotels Management Corporation ist dagegen ein Beispiel für eine Hotelunternehmen, das sich auf Hotelmanagement spezialisiert hat und nach seiner Gründung 1992 erst innerhalb der VAE operierte, um sich dann zunehmend zu internationalisieren.90 Rotana betreibt Ende 2007 insgesamt 23 Hotels in den VAE, Ägypten, Syrien, Libanon, Kuwait und Sudan. Projekte in Katar, Jordanien, Saudi-Arabien und Oman sind in Entwicklung (Rotana Hotels Management Corporation 2007). Rotana hat in der Vergangenheit eine starke Expansionsstrategie verfolgt und ist heute ein in der gesamten Region agierendes TNHU mit einem vergleichsweise guten Branding im Vier und Fünfsterne-Segment. Die starke Expansion war nur dadurch möglich, dass das Unternehmen nicht wie die oben geschilderten Beispiele El-Mouradi oder Habtoor Hotels im Eigentum betreibt, sondern wie die internationale Konkurrenz die Eigenkapitalbindung durch Managementverträge so niedrig wie möglich hält. Rotana dürfte gegenwärtig das einzige arabische Hotelmanagementunternehmen sein, das im internationalen Vergleich gegenüber den nord-amerikanischen, europäischen und asiatischen Konzernen konkurrenzfähig ist.
4.4.3.3 Transnationale Hotelunternehmen Wie in der Tabelle 5 im Kapitel 3.2.4 der Methodik bereits ersichtlich, kontrollieren TNHU erhebliche Zimmerkapazitäten in den drei Untersuchungsländern Tunesien, Ägypten und den VAE. Unter den größten Hotelgesellschaften in der Region befinden sich viele der bekannten Namen wie Four Seasons, Hilton, Hyatt, Intercontinental, Le Méridien, Marriott, Mövenpick, Starwood oder TUI – um nur die bekanntesten zu nennen. Ei90
Rotana und Habtoor stellen damit die einzigen bekannten arabischen Hotelunternehmen dar, die gleichzeitig der Gruppe der transnationalen Hotelunternehmen zugerechnet werden können.
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nige dieser Firmen sind wie Hilton, Intercontinental oder Starwood bereits seit den 1950er oder 1960er Jahren in der Region geschäftlich aktiv. Hyatt, Marriott, Accor oder Le Méridien traten in umfangreicherem Maße erst im Verlauf der späten 1970er bis frühen 1990er Jahre in die arabischen Märkte ein, während die Expansion Mövenpicks, Four Seasons, der TUI oder Kempinskis in der Region im Wesentlichen erst im Verlauf der letzten etwa zehn Jahre stattfand. Um ein Gefühl für die Marktposition der TNHU zu erhalten, bietet sich ein Blick auf eine stark in den internationalen Tourismus eingebundene Destination wie Ägypten an. TNHU kontrollieren hier mit ihren ~44 Tsd. Zimmern im Jahr 2003 zwar „nur“ 32 % der gesamten Kapazitäten von ~176 Tsd. Zimmern, aber 58 % der Kapazitäten im für den internationalen Tourismus entscheidenden Marktsegment der Drei bis Fünfsternehotels (vgl. Abbildung 21).
Hotelzimmer (tsd)
Abbildung 21: Anteil der von TNHU kontrollierten Hotelzimmerkapazitäten in Ägypten im Jahr 2003 150 125 44 100 75
76 137
50 25 0 Ein- bis Fünfsternehotels
Drei- bis Fünfsternehotels
Von TNHU kontrollierte Kapazitäten
Quellen: MoT div. Jahre; Hotels Magazin 2004; Unternehmensberichte; eigener Entwurf
Der ägyptische Tourismussektor ist dementsprechend global aufgestellt: Sehr viele große transnationale Hotelgesellschaften sind im Land vertreten (vgl. Abbildung 22). 91 TNHU aus dem Vereinigten Königreich (Interconti, Hilton) stellen mit ~31 % den größten Teil der von transnationalen Unternehmen kontrollierten Hotelkapazitäten. Die zweitgrößte Gruppe bilden
91
Zudem unterhalten fast alle großen Reiseveranstalter Incoming-Agenturen im Land oder sind mit lokalen Unternehmen eng verbunden.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 145
die Unternehmen aus den USA (Marriott, Starwood, Hyatt) gefolgt von Deutschland (TUI-Hotelketten, LTI, Steigenberger), Frankreich (Accor, Club Med), Schweiz (Mövenpick) und Spanien (Sonesta). Das arabische Ausland nimmt mit den Emiraten und seiner Hotelkette Rotana hier erst den 7. Platz ein, gefolgt von Kananda (Four Seasons), Indien (Oberoi) und den Niederlanden (Golden Tulip). Abbildung 22: Verteilung der von TNHU in Ägypten kontrollierten Zimmerkapazitäten im Jahr 2003, gegliedert nach Herkunft der Unternehmen
IN CA VAE
100%
USA
E NL
CH
75%
F
50%
D
25%
GB
0%
Quellen: MoT div. Jahre; Hotels Magazin 2004; Unternehmensberichte; eigener Entwurf
Im Vergleich zu Ägypten ist die Marktdurchdringung TNHU in Tunesien aufgrund historischer Gründe92 etwas geringer. 93 Sie kontrollieren dort ~27 Tsd. der insgesamt ~111 Tsd. Zimmer, was einem Anteil von ~24 % entspricht. Die Marktmacht TNHU ist am Arabischen Golf dagegen deutlich höher ausgeprägt (vgl. Abbildung 23) – unter anderem, weil hier die Phase des arabische Sozialismus entfallen ist und die Staaten am Golf erst spät, dann aber um so schneller eine touristische Entwicklung forciert haben. In den VAE können TNHU daher ~16 Tsd. der ~38 Tsd. Zimmer kontrollieren, was einem Anteil von ~41 % gleich kommt (WTO 2007; Hotels Magazin 2004; Unternehmensberichte; eigene Kalkulation).
92
93
Die staatlichen Stellen in Tunesien unternahmen zu Beginn des Ausbaus des Tourismussektor den Versuch – ähnlich wie in Ägypten unter Sadat – den Betrieb hochklassiger Hotels an transnationale Unternehmen abzugeben. Die Ergebnisse der Zusammenarbeit waren aber so unbefriedigend, dass man sich entschloss, den Betrieb selbst zu übernehmen. Dies gilt nach eigenen Erfahrungen in ähnlicher Weise z. B. auch für Marokko und Jordanien. Die Marktmacht TNHU ist von den jeweiligen staatlichen Rahmenbedingungen abhängig. Daher sind TNHU kaum präsent in Ländern, in denen es schwierig ist, Lizenzen für ihren operationalen Betrieb zu erhalten oder die in der Vergangenheit Sanktionen der UNO oder der USA unterlagen, wie bspw. Libyen oder Syrien.
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Abbildung 23: Vergleich des Anteils der von TNHU kontrollierten Zimmerkapazitäten mit den gesamten Hotelkapazitäten in Ägypten, Tunesien und den VAE im Jahr 2003 Anteil kontrollierter Zimmerkapazitäten an den gesamten Hotelkapazitäten in %
100 32
24 41
75
50 68
76 59
25
0 Ägypten
Tunesien
Einheimischen Hotelunternehmen
VAE TNHU
Quellen: MoT div. Jahre; Hotels Magazin 2004; WTO 2007; Unternehmensberichte; eigener Entwurf
Wie bereits erwähnt und an den (Direkt-)Investitionsdaten ablesbar, operieren TNHU i. d. R. mit Managementverträgen in der Region. Nur wenige engagieren sich mit Hotelbeteiligungen oder wären dazu bereit – und dies auch nur, um sich aus strategischen Gründen Hotelkapazitäten zu sichern (bspw. TUI) oder um bestimmte Hotels an ausgewählten, zentralen Standorten langfristig zu kontrollieren (bspw. Accor). Joint Ventures, Miet- oder Pachtverträge sind äußerst selten und treten nur in Einzelfällen auf. Joint Ventures übernehmen zumeist als Managementunternehmen den Betrieb der Hotels des lokalen Partners, während die TNHU in das gemeinsame Unternehmen die operativen Managementkompetenzen einbringen. Ein prominentes Beispiel für eine solche Joint Venture Konstruktion bildet, wie oben bereits erwähnt, Accor S.A.E. (Ägypten). Mietbetriebe wurden von den befragten Unternehmen kaum unterhalten, sind jedoch insbesondere unter den Clubhotels in Tunesien anzutreffen. Durch die teilweise sehr enge und langjährige Verbindung zu den Eigentümern ihrer Hotels können sie zudem mittelbar deren persönliche Netzwerke innerhalb der wirtschaftlichen und politischen Eliten der Region nutzen, 94 um so Zugriff auf attraktive neue Projekte zu erhalten und die Marktführerschaft anzustreben oder zu verteidigen. Durch die Beziehung
94
Der Zugriff auf die Netzwerke der arabischen Geschäftspartner stellt einen wesentlichen Anreiz für Kapitalbeteiligungen und Joint Ventures dar.
TOURISMUSENTWICKLUNG IN DER ARABISCHEN WELT | 147
zu den Hoteleigentümern ist es den TNHU möglich, die Auswirkungen ihrer auf einer schlechteren Kenntnis lokaler Gegebenheiten basierenden Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren lokalen Konkurrenten zu minimieren, während sie vor allem in den stark von Pauschalreisen geprägten Tourismusmärkten innerhalb der Arabischen Welt ihre unternehmensspezifischen Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren lokalen Konkurrenten bestens ausnutzen können.
4.4.3.4 Integrierte Tourismusunternehmen Von den integrierten Tourismusunternehmen sind die TUI AG und die Rewe Touristik GmbH mit Hotelgesellschaften in der Region aktiv, wobei sich deren Hotelaktivitäten bis Ende 2003 auf Nordafrika beschränken. 95 Im Gegensatz zur TUI AG unterhalten deren Gegenspieler die Thomas Cook AG und die Rewe Touristik GmbH keine Hotelbeteiligungen in der Region. Alle drei Unternehmen sind jedoch i. d. R. mit eigenen Zielgebietsagenturen oder Beteiligungen an Zielgebietsagenturen in der Region tätig. 4.4.3.5 Zwischenfazit Die Eigentümerstruktur der Hotelanlagen in der Arabischen Welt ist stark durch einheimische und regional agierende arabische Investoren geprägt. Investitionen oder Kapitelbeteiligungen TNHU sind dagegen eher Ausnahmen. Die aus der Arabischen Welt stammenden Investoren sind meist Privatleute oder Immobilien- und Investmentgesellschaften in Privatbesitz. Die Investoren gehören i. d. R. der wirtschaftlichen und politischen Elite in der Arabischen Welt an. In der Unternehmensstruktur der Hotelindustrie spielen dagegen auf operationaler Ebene TNHU eine herausgehobene Rolle als Marktführer und Trendsetter. Sie haben besonders im gehobenen Pauschal- und Geschäftsreisetourismus eindeutige Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren lokalen Konkurrenten, die konsequenterweise überproportional in den unteren Qualitätssegmenten tätig sind und dort ein preisbewussteres Klientel bedienen. Integrierte Tourismusunternehmen spielen im Hotelsektor fast nur in den Destinationen Nordafrikas eine Rolle.
95
Die Rewe Touristik GmbH unterhält zwei LTI Hotels in Ägypten und drei in Tunesien, die TUI AG ist mit mehreren Hotelunternehmen und Hotelbeteiligungen in Marokko, Tunesien und Ägypten vertreten (vgl. Kapitel 3.2.4). Die TUI AG verfolgt dem Vernehmen nach außerdem Pläne für den Aufbau eigener Hotelkapazitäten in den VAE.
5
Theoretische Brillen und empirische Befunde
Vor dem Hintergrund des im vorherigen Kapitel beschriebenen Einflusses der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers auf die touristische Nachfrage stellt sich die Frage, mit welchen Strategien die angebotsschaffenden Akteure hierauf reagieren und wodurch sich diese Reaktionen erklären lassen. DieserFrage nachgehend erscheint es aufgrund der Verschränkung von abduktiver Hypothesenbildung mit empirischer Erkenntnisgewinnung im Pragmatismus sinnvoll, die Darstellung der gewählten fachtheoretischen Perspektiven und der empirischen Forschungsergebnisse eng miteinander zu verzahnen. Zu diesem Zweck werden in den folgenden Kapiteln die empirischen Befunde der vorliegenden Arbeit mit Hilfe von drei theoretischen „Brillen“ betrachtet. Mit jeder theoretischen Brille verschiebt sich nicht nur perspektivisch der Blick auf den Forschungsgegenstand, sondern er nimmt durch die denotativ in ihn mit aufgenommene Theorie eine neue Form an. Jede Theorie stellt damit den Blick auf jeweils spezifische Dinge „scharf“ und lässt andere Aspekte „verschwimmen“ oder ganz „verschwinden“. Mit jeder verwendeten Theorie sieht man den Forschungsgegenstand daher nicht nur „anders“ sondern vielmehr „neu“, da er im Prozess der Forschung die Theorie als Bedeutungsstruktur in sich mit aufnimmt. Die Nutzung einer anderen Theorie ist deshalb eher mit dem Aufsetzen einer anderen „Brille“ zu vergleichen, als mit einer schlichten perspektivischen Verschiebung. Die so produzierten Erkenntnisse gleichen aufgrund des denotativen Charakters des Forschungsprozesses nicht beobachterunabhängigen Ergebnissen, sondern stellen bereits eine spezifische Sicht auf die Dinge dar. Jede Brille leitet zu jeweils eigenen Fragen an und führt zu spezifischen Diagnosen im Sinne von (Zwischen-)Ergebnissen hin. Die neu gewonnenen Erkenntnisse werfen wiederum neue Fragen auf, die mit Hilfe komplementärer theoretischer Brillen erneut Forschungsprozesse anregen.
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Es sei an dieser Stelle explizit darauf hingewiesen, dass die nachfolgend präsentierten empirischen Befunde nicht den Anspruch erheben eine absolute Wirklichkeit abbilden oder ein möglichst genaues Bild einer objektiven Realität schildern zu wollen – was angesichts der erkenntnistheoretischen Verortung dieser Arbeit auch unsinnig wäre. Vielmehr geht es darum zu verstehen, welche Bedeutungen die Akteure mit der Situation nach dem 11. September verbinden und wie sich diese Bedeutungen in den geschilderten Handlungen spiegelt. Äußerungen der Befragten über die Handlungsstrukturen und Motive Dritter in die Interpretation ihrer Aussagen einzubeziehen – was vor einem realistischen Erkenntniskonzept methodisch fragwürdig wäre – ist deshalb aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus (vgl. Kapitel 2.2) unverzichtbar. Sinn bildet demnach nämlich erst in einer interpretativen Interaktion der jeweiligen Akteure heraus. Will man den Sinn individueller Handlungsstrukturen interpretativ im Forschungsprozess rekonstruieren, muss man also auch die Bilder heranziehen, die sich die befragten Akteure über die Handlungen anderer Akteure machen. Die präsentierten empirischen Befunde sollten daher nicht als ein Spiegel der Realität, sondern als Schilderungen von Lebenswirklichkeiten der befragten Akteure verstanden werden, die von mir geordnet, in einen bestimmten Kontext und interpretiert wurden und damit als hermeneutische Konstruktionen zweiter Ordnung konzeptionalisiert werden müssen. Dabei werden in den empirischen Befunden insbesondere die Wirklichkeitsinterpretationen der Akteure vorgestellt, die von größeren Akteursgruppen geteilt werden und deshalb für diese eine objektivierte Gültigkeit beanspruchen können. 96 Die Darstellung des gesamten Forschungsprozesses erfolgt in Form von drei Hauptschleifen. Die Reihenfolge der vorgestellten Sichtweisen orientiert sich dabei an dem Verlauf des Erkenntnisgewinns während des empirischen Forschungsprozesses. Die abwechselnde Verschränkung von Theorie, empirischen Befunden, Schlussfolgerungen und neuen Fragen stellt dabei ein exemplarisches Spiegelbild des zirkulären Forschungsprozesses dar, dessen Ergebnisse hier dokumentiert sind.
96
Eine kaum auflösbare Schwierigkeit liegt darin, diese erkenntnistheoretische Perspektive auch sprachlich zu verdeutlichen, ohne stetig wiederholend auf den hermeneutischen Charakter der Ausführungen zu verweisen. Eine Möglichkeit bestünde darin, die paraphrasierten Schilderungen der Akteure in den Konjunktiv zu setzen. Wie das Beispiel des Romans Klausen von ANDREAS MEIER (2004), der komplett im Konjunktiv verfasst ist, jedoch demonstriert, ist eine solche Sprachform zwar literarisch interessant, steigert jedoch nicht gerade die Lesbarkeit des Textes. Die vorliegenden Ausführungen greifen daher nur an den Stellen auf den Konjunktiv zurück, in denen Aussagen über die Handlungen Dritter gemacht werden.
THEORETISCHE BRILLEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE | 151
5.1
Brille eins: Sicherheitskrisen und Krisenmanagement in der Tourismuswirtschaft
Während Folgen gewalttätiger politischer Unruhen für die touristische Nachfrageentwicklung in der Arabischen Welt vergleichsweise intensiv erforscht wurden (vgl. Kapitel 4.2), existiert überraschenderweise nur eine relativ geringe Anzahl an systematischen Forschungsarbeiten über konkrete empirische Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Akteure (FAULKNER 2001: 136). Wie RITCHIE (2004: 669) treffend feststellt, “[is] this lack of interest and research (...) somewhat surprising, considering that crisis management, disaster recovery and organisational continuity are important competencies for managers in both the public and private sector.” Die erste theoretische Brille betrachtet deshalb die Tourismusentwicklung in der Arabischen Welt nach dem 11. September aus der Perspektive von Theorien über den Zusammenhang von Sicherheitskrisen und Krisenmanagementstrategien in der Tourismuswirtschaft.
5.1.1 Sicherheitskrisen und die Tourismuswirtschaft Die Auswirkungen von gewalttätigen politischen Unruhen auf die Tourismuswirtschaft sind abseits von unmittelbaren Personenschäden und Sachbeschädigungen vorwiegend indirekter Natur, da sie dazu führen, dass das Vertrauen der Konsumenten in eine Destination erschüttert wird und sich die Nachfrage nach touristischen Dienstleistungen vor Ort abschwächt (SANTANA 2001: 227). In der Vergangenheit trug vor allem die starke Absenkung von Transaktionskosten wesentlich zur Internationalisierung und Globalisierung der Tourismuswirtschaft und der touristischen Leistungserstellung sowie der touristischen Nachfrage bei. Durch gewalttätige politische Unruhen, wie die Ereignissen im Zuge des 11. Septembers kommt es zu einem massiven Anstieg „psychischer“ Kosten, die als eine gestiegene allgemeine Reiseangst oder als Angst vor Reisen in bestimmte Länder und Regionen sichtbar wird. Die Verunsicherung potenzieller Konsumenten touristischer Dienstleistungen stellt eine Hürde für Reisetätigkeiten dar und kann insofern aus ökonomischer Perspektive als eine Zunahme der Transaktionskosten verstanden werden (SIMON 2002; VESTER 2001). Steigen die Transaktionskosten sehr plötzlich und massiv an, wie dies typisch ist für die Auswirkungen von gewalttätigen politischen Unruhen, kann eine Krise der betroffenen Tourismuswirtschaft folgen.
5.1.1.1 Krisen als Herausforderung für die Tourismuswirtschaft Wie STEINER et al. (2006) dargelegt haben, ist das Auftreten von Krisen jedoch grundsätzlich etwas ganz Normales. Krisen können allgemein als ein Ausdruck von Veränderungen innerhalb oder außerhalb von Unternehmen verstanden werden, die diese zu Verhaltens- oder Organisations-
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anpassungen zwingen. Insofern ist es keine Frage, ob Krisen entstehen, sondern eher wann welche Art Krise auftritt und wie vorbereitet die betroffenen Organisationen darauf sind (KASH & DARLING 1998: 179). Analytisch kann zwischen intern und extern verursachten Krisen unterschieden werden (FAULKNER 2001: 136). Intern verursachte Krisen können bspw. durch eine versäumte Anpassung an neue Nachfragetrends (Gewinneinbruch) oder die Umstellung auf neue Produktionsstrukturen (interne Organisationskrise) entstehen. Extern verursachte Krisen konfrontieren demgegenüber Organisationen mit plötzlichen, unvorhersehbaren Ereignissen, auf deren Entstehung sie wenig bis keinen Einfluss haben. Sie sind demnach gleichbedeutend mit externen Schocks. Externe Schocks stellen die Tourismuswirtschaft vor erhebliche Probleme, da sie auf deren Entstehung und Verlauf kaum Einfluss ausüben kann und sie über Länderund Staatsangehörigkeitsgrenzen hinweg wirken. Von Krisen sind im internationalen Tourismus deshalb immer Bürger aus mehr als einem Staat betroffen (STEINER et al. 2006: 99). Die Tourismuswirtschaft ist häufig extern verursachten Krisen ausgesetzt: Sicherheitskrisen, wie die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers 2001, oder Epidemien und Naturkatastrophen, wie SARS im Jahr 2003 oder der Tsunami in Süd- und Südostasien an Weihnachten 2004, sind hierfür besonders exponierte Beispiele (ebd.: 98). Auch wenn die Unterscheidung zwischen intern und extern verursachten Krisen analytisch sinnvoll ist und in praktischer Hinsicht Vorteile bietet, muss jedoch betont werden, dass sie empirisch nur schwer aufrecht zu erhalten ist, da das Ausmaß, mit dem eine extern verursachte Krise ein Unternehmen trifft, zu einem sehr großen Teil von dessen (interner) Vorbereitung abhängt. Jede Krise beinhaltet daher empirisch betrachtet externe und interne Elemente. Was macht nun eine Krise aus? Für KEOWNMCMULLAN (1997) wird eine Krise durch drei Elemente charakterisiert. 1. verursacht ein Ereignis signifikante Veränderungen in der organisationalen Umwelt eines Unternehmens oder hat dazu zumindest das Potenzial. Werden Veränderungen wahrgenommen, lösen sie dann eine Krise aus, wenn 2. die Organisation befürchtet, dass sie nicht fähig ist, die Veränderungen zu bewältigen, und wenn 3. die Veränderungen eine signifikante Bedrohung für das Überleben der Organisation in ihrer gegenwärtigen Form darstellen. Ein solcher Fall träte im Rahmen der Tourismuswirtschaft dann ein, wenn potenzielle Touristen wegen eines Sicherheitsproblems ihre Gesundheit vor Reiseantritt massiv gefährdet sähen, aufgrund der gestiegenen Transaktionskosten ihr Reiseziel oder -verhalten grundlegend änderten und wenn daraufhin ein Tourismusunternehmen einer Umorganisation bedarf, da ihm andernfalls Verluste bzw. langfristig der Konkurs drohen würde
THEORETISCHE BRILLEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE | 153
(STEINER et al. 2006: 98). Analog der „Krisen-Klassifikations-Matrix“ von BURNETT (1998: 482f) können als schwerwiegendste Art der Krisen jene identifiziert werden, die hohen zeitlichen Druck mit niedrigen Kontrollmöglichkeiten, einem starken Gefährdungspotenzial und wenigen Reaktionsmöglichkeiten der betroffenen Akteure verbinden. Durch den Einfluss auf die Transaktionskosten besitzen gewalttätige politische Unruhen als Krisenauslöser das Potenzial, die Strategien, die Organisation und sogar den Bestand von Tourismusunternehmen nachhaltig zu beeinflussen.
5.1.1.2 Krisenmanagement – Aufgabe des Marketings? ANDERSON (2006: 1292ff) stellt fest, dass in weiten Teilen der Tourismusindustrie praktisch keine Krisenmanagementplanung oder ausgearbeiteten Krisenreaktionspläne existieren. Dies ist jedoch notwendig, damit die Tourismuswirtschaft in einer Destination Krisen effizient bewältigen kann, denn (CAVLEK 2002: 487) „planning is an essential element of control. Without it, an organization is at the mercy of events.“ Die existierenden Arbeiten zum Thema stellen deshalb weit überwiegend die Notwendigkeit und den idealen Aufbau von akuten Krisenmanagementstrategien heraus. Sie konzentrieren sich dazu hauptsächlich auf Forderungen nach verstärkten Marketing- und Public-RelationsAnstrengung-en, in denen sie Schlüsselmomente zum Abbau der negativen Destinationsimages sehen (BEIRMAN 2002; BURNETT 1998; CAVLEK 2002; FALL & MASSEY 2005; HENDERSON 2003; SÖNMEZ et al. 1999; SÖNMEZ et al. 1994; TAYLOR 2006). Einzelne Autoren betonen, dass intensivierte Marketing-Anstrengungen auch schon während einer akuten Krisensituation fruchtbar seien und Erfolge aufweisen können (bspw. CAVLEK 2002: 488). Eine weitere Gruppe von Publikationen stellt die Bedeutung eines gezielten Marketings heraus und fordert die Entwicklung und Implementierung von Krisenmanagement-Leitfäden und -Prozeduren (bspw. EVANS & ELPHICK 2005; MANSFELD 1999), die vereinzelt mit der Forderung nach deutlich sichtbaren Anstrengungen zur Verbesserung der Sicherheitslage kombiniert werden (WAHAB 1996). Krisenmanagement wird in diesem Kontext zumeist als Werkzeug zum Abfedern wirtschaftlicher Nachteile verstanden (RITCHIE 2004: 679): „The main goal of an organisation or destination is to control the crisis or disaster and reduce its severity or to stop it completely.“
Tourismus-Krisen folgen in dieser Logik einer Art Lebenszyklusmodell (FAULKNER 2001; SANTANA 2001), das immer wieder nach dem mehr oder weniger gleichen Schema abläuft und dessen Verlauf durch ein erfolgreiches Krisenmanagement entschärft werden kann. Seit dem 11. September sind einige Arbeiten publiziert worden, die sich mit den Krisenmanagementstrategien von Tourismusunternehmen auseinandergesetzt haben. Nichtsdestotrotz ist ihre Anzahl vergleichsweise
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überschaubar und ihr inhaltlicher Fokus sowie ihre empirische Bandbreite sind relativ begrenzt. Die vorliegenden Arbeiten beschäftigen sich überwiegend mit den kurzfristigen und unmittelbar auf die Krise folgenden Reaktionen von Unternehmen, wobei fast ausschließlich das Verhalten von Reiseveranstaltern betrachtet wird. So analysiert FRIEDL (2005) die Hintergründe und Strategien für ein pragmatisches Sicherheitsmanagement im Wüstentourismus Nordafrikas, um Touristen vor Entführungen zu schützen. DIETSCH (2002) beschreibt das Krisen- und Sicherheitsmanagementsystem des Studienreiseanbieters Studiosus nach dem 11. September, während EVANS & ELPHICK (2005) Reaktionen von in Großbritannien ansässigen Reiseveranstalter untersuchen. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass vor allem die Kundenkommunikation über sicherheitsrelevante Fragen verbessert wurde. EVANS & ELPHICK berichten darüber hinaus von diversen Kosteneinsparungsmaßnahmen, einer Reduktion der gebuchten HotelKapazitäten, der Offerierung von Sonderangeboten und einer Einschränkung von Werbung für die betroffenen Destinationen. FALL & MASSEY (2005) untersuchen, wie Manager in lokalen Tourismusämtern innerhalb der USA nach den Anschlägen versuchen, mit Marketinginstrumenten die Nachfrage in ihren Destinationen zu stabilisieren. Ebenfalls in einer Marketing-orientierten Logik untersucht BEIRMAN (2002) die Destinationsmarketingstrategien für den Tourismus in Israel nach Ausbruch der AlAqsa-Intifada, und HENDERSON (2003) und PUTRA & HITCHCOCK (2006) versuchen die Folgen der Bali-Anschläge für die touristische Nachfrage abzuschätzen und unterziehen die Krisenreaktionsstrategien der Tourismusmarketingagenturen einer Untersuchung.
5.1.1.3 Nicht-marketingfokussierte Krisenreaktionen Nur zwei Arbeiten beschäftigen sich mit Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Seite außerhalb des Marketingkontextes (ANDERSON 2006; CAVLEK 2002). 97 ANDERSON zeigt in seiner Untersuchung, dass die austra-
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Kurz vor Fertigstellung der vorliegenden Arbeit erschien die überwiegend deskriptiv-analytisch angelegte Dissertation Aschauers (2008) zu den Auswirkungen von Terroranschlägen in Bali, Madrid und auf dem Sinai. Der inhaltliche Fokus seiner Studie liegt auf der quantitativen Messung von Einstellungen und Verhaltensweisen von Touristen und des Einflusses von Terrorereignissen auf die touristische Nachfrage. Zudem behandelt Aschauer Belange des Krisenmanagements in der Tourismuswirtschaft der betroffenen Destinationen und thematisiert dazu auch das Krisenmanagement in Hotelunternehmen. Seine empirischen Ergebnisse zu den Krisenreaktionen der Hotelunternehmen bleiben allerdings „bewusst eher beschreibend“ (Aschauer 2008: 461). Ihre Aussagekraft ist deshalb in theoretischkonzeptioneller Hinsicht sehr begrenzt. Gleichwohl untermauern sie auf der deskriptiven Ebene jedoch Teile der empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit hinsichtlich der Verwendung von preispolitischen und Kosten
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lische Tourismuswirtschaft kaum auf die Schockereignisse des Jahres 2001 98 vorbereitet war und nur sehr bedingt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, Krisenreaktionen zur Kosteneinsparung im Personalbereich zu entwickeln. 99 Der Essay von Cavlek (2002) bietet das bisher reichhaltigste Bild von Krisenreaktionen in der Tourismuswirtschaft, auch wenn dessen empirische Fundierung äußerst begrenzt erscheint. Eigene empirische Erhebungen bei Tourismusunternehmen wurden anscheinend nicht durchgeführt und die Quellenlage der Ausführungen bleibt in weiten Teilen unklar. Es muss vermutet werden, dass der Essay auf allgemeinen Beobachtungen und der Analyse von öffentlich zugänglichen Quellen beruht. Nichtsdestotrotz sind die von Cavlek präsentierten Aussagen zu den Krisenreaktionen von Reiseveranstaltern bemerkenswert. Anhand der Entwicklung des Tourismus der Nachfolgestaaten Jugoslawiens im Anschluss an die dortigen Kriege beleuchtet Cavlek die Rolle der großen Reiseveranstalter in Westeuropa. Sie begründet dies mit der wichtigen Funktion der Reiseveranstalter für die Destinationsentwicklung (Cavlek 2002: 479): „This rapid development of international tourism can partly be explained by the tremendous surge in international air traffic and the favourable package holidays promoted nationally and internationally. Indeed, tour operators represent one of the most powerful and most influential entities in the tourism industry. They have a strong influence on international flows from main generating markets to various destinations. (…) Therefore, the success of many destinations depends on whether foreign tour operators include them in their programs.“
Dieser Einfluss macht sich laut CAVLEK auch im Zuge von Krisen bemerkbar, denn das Verhalten der Reiseveranstalter könne Touristenströme signifikant beeinflussen (ebd.: 480). Reiseveranstalter sind in hohem Maße rechtlich verantwortlich für die physische Integrität ihrer Kunden. Sie können sich der Verantwortung nur im Falle höherer Gewalt entziehen. Dies hat zur Folge, dass Reiseveranstalter eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit ihrer Kunden zu garantieren. Es ist die logische Folge, dass sie die Sicherheitslage einer Destination sehr kritisch beobachten. Um Risiken zu vermeiden, entscheiden Reiseveranstalter darüber, ob
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senkenden Antworten auf auftretende Krisen und bestätigt den Befund, dass Unternehmen sich bemühen ihre Quellmärkte stärker zu diversifizieren. Wie Anderson (2006) hervorhebt, verunsicherten im Jahr 2001 nicht nur die Anschläge des 11. September die australische Tourismuswirtschaft. Auch der Kollaps der HIH Versicherungsgesellschaft und der Konkurs von Ansett Airlines spielen hier eine große Rolle. Anderson diskutiert zudem, inwiefern Unternehmen abseits ihrer direkten Krisenreaktionen (die ja kaum stattfanden) aus der Krise gelernt hätten. Auf diesen Teil seiner Untersuchung wird noch in Kapitel 5.2.1.5 eingegangen.
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sie Destinationen oder Resorts mit besonderen Risiken in ihr Programm aufnehmen, aus diesem entfernen oder alle Reisen dorthin (kurzzeitig) stoppen. Langfristig kann dies auch bedeuten, die in einer Destination kontrollierten Kapazitäten zu reduzieren oder spezielle Maßnahmen zu ergreifen, um die eigene Kundschaft zu schützen. Wird das Risiko in einer Destination den Reiseveranstaltern zu groß, ist der potenzielle Imageschaden, der für sie selbst entsteht, wenn ihre Kunden zu Schaden kommen, entscheidend dafür, dass sie sich aus der Destination zurückziehen und diese aus ihrem Programm streichen (ebd.: 282f). Ihr konkretes Verhalten wird dabei von einem Bündel von Faktoren beeinflusst, wie der Krisenart und -ursache, der Dimension der Krise (Schadensausbreitung), der voraussichtlichen Krisenlänge (Schadensdauer), den möglichen Krisenkonsequenzen (Schadensausmaß), eigenen Geschäftsinteressen in der Destination (Investitionen) und Regierungsentscheidungen im Quellmarkt (Reisewarnungen etc.). Mit ihrem Verhalten beeinflussen die Reiseveranstalter indirekt auch die Art und Weise mit der eine bestimmte Destination betrachtet wird, da ihr Verhalten Signalwirkung für alle potenziellen Touristen hat (ebd.: 283). Sie beeinflussen insofern direkt das Image einer Destination und üben einen direkten Einfluss auf die Tourismuseinnahmen eines Landes aus. Wie CAVLEK (2002: 490) zeigt, wird auch ein großer Teil der Individualtouristen durch das Verhalten und die Positionierung der großen Reiseveranstalter beeinflusst, da sie oft zumindest in der Reisevorbereitungsphase auf deren Informationsmittel oder Vertriebskanäle zurückgreifen. Lokale Akteure haben laut CAVLEK demgegenüber nicht die Marktmacht, um eigenständig hinreichenden Einfluss auf das Destinationsimage ausüben zu können. Sie bräuchten die Hilfe der ausländischen Medien und Unternehmen (CAVLEK 2002: 489): „Clients will trust their tour operators more than the local ones and hospitality officials of a receiving country.“
Von Krisen betroffene Destinationen seien deshalb auf die Hilfe von ausländischen Reiseveranstaltern angewiesen, die die europäischen Touristenströme kontrollieren. Diese hätten die Möglichkeit, erheblich zur Erholung einer krisengetroffenen Destination beizutragen und den Erholungsprozess zu beschleunigen (ebd.: 493). CAVLEK nimmt an, dass die Bereitschaft der Reiseveranstalter zu einem Erholungsprozess beizutragen wesentlich von ihrer eigenen Interessenlage getragen wird. Die Geschäftslogik gebiete, sich stärker in Destinationen zu engagieren, in denen man finanziell gebunden sei (ebd.: 485): „If a tour operator is a shareholder in some hotels in the respective destination, or if its owners are a company which has made some direct foreign investments there, it is only natural that the tour operator tries to return to this country more quickly than to another one without such business interests.“
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CAVLEK schließt aus dieser Annahme, dass das Ausmaß der vertikalen Integration eines ausländischen Reiseveranstalters in einer Destination bestimmend für sein Engagement im Erholungsprozess der Destination sei. Dies begründe sich durch die enorm hohe Kapitalintensität bei der Integration von Hotelkapazitäten. Daher, so CAVLEK (2002: 486), seien Reiseveranstalter nur in jenen Ländern bereit das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen, die attraktiv für Direktinvestitionen seien und die entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen böten (ebd.: 486). SANTANA (2001: 232) geht in seinem recht allgemeinen Überblicksartikel davon aus, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen der Nachfrage- und der Angebotsseite in der Reaktion auf Sicherheitsprobleme liegt: “Although it seems that potential tourists have a relatively short memory, the implications for investment in the industry may be a different matter altogether. Investors are usually more cautious and would prefer »safer« locations and/or guarantees on their investment.“
In einer ähnlichen Richtung argumentiert auch SIMON (2002). Ihm zufolge spielen Risikoaspekte bei Investitionsentscheidungen im Tourismus eine Schlüsselrolle. Terrorrisiken wirken sich demnach stark negativ auf die Bereitschaft des Führungspersonals aus, im Ausland zu arbeiten. Dies erschwere massiv einen internationalen Know-how-Transfer durch die Internationalisierung von Unternehmen. Eine Verlangsamung der Multinationalisierung der Hotelwirtschaft in den betroffenen Destinationen wäre die logische Folge. SIMON folgert daraus, dass von Terroranschlägen vermutlich die Länder am stärksten betroffen seien, die in hohem Maße auf Direktinvestitionen, Know-how-Transfer und Tourismus angewiesen sind.
5.1.1.4 Zwischenfazit: Theoretische Brillen zum Einfluss von Unsicherheit auf die Handlungen angebotsschaffender Akteure Der Kenntnisstand über Krisenreaktionen angebotsschaffender Akteure in der Tourismuswirtschaft ist äußerst begrenzt. Von der Vielzahl an Akteuren, die von Krisenereignissen betroffen sind, wurden bisher fast ausschließlich die Krisenreaktionen von Reiseveranstaltern untersucht, wobei das unmittelbare Krisenmanagement im Vordergrund stand. Die Mehrzahl der existierenden Publikationen erschöpft sich in inhaltlicher Hinsicht vor allem vor dem 11. September in der Forderung nach Krisenreaktionsplänen, während nach dem 11. September auch einzelne empirische Studien zur Untersuchung der faktischen Krisenreaktionen der Reiseveranstalter durchgeführt wurden. Insgesamt wird in den Arbeiten festgestellt, dass sich die Krisenreaktionen der Unternehmen auf Kostenreduktions- und Marketingmaßnahmen konzentriert haben. Zudem werden die für die vorliegende Arbeit relevanten Hypothesen formuliert, dass Investoren auf Sicherheitsrisiken mit Investitionszurückhaltung reagieren und sich die In-
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ternationalisierung der Tourismuswirtschaft unter der Bedingung von Sicherheitsproblemen verlangsamen würde. Beide Theorien finden nachfolgend Eingang in die empirischen Analyse und werden dort im Rahmen des Forschungsprozesses „erprobt“.
5.1.2 Empirische Befunde I: Modell der Krisenreaktionsmöglichkeiten angebotsschaffender Akteure in der Arabischen Welt Da der empirische Forschungsstand äußerst begrenzt ist, geht die vorliegende Arbeit in zwei Schritten vor. In einem ersten Schritt wird auf der Basis explorativer empirischer Erhebungen und eigener Überlegungen ein analytisches Modell möglicher Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Akteure vorgestellt, wobei der Akteursfokus auf der (transnationalen) Hotellerie und den Hotelinvestoren liegt. Im zweiten Schritt werden die dargelegten Krisenreaktionsmöglichkeiten der angebotsschaffenden Akteure anhand derer empirisch erfassten Krisenreaktionen veranschaulicht und kontrastiert. 100 Dabei werden die Reaktionen der Reiseveranstalter mittelbar als Handlungskontexte einbezogen und ein besonderes Augenmerk auf Reaktionen der Hotelinvestoren gerichtet. Auf der Basis der empirischen Befunde ist es möglich, das entwickelte Modell hinsichtlich seiner empirischen Anwendbarkeit sowie die Übertragbarkeit der in der Literatur formulierten Hypothesen auf den hier untersuchten Fall zu überprüfen und offene Forschungsfragen zu entwickeln. Den angebotsschaffenden Akteuren in der Hotel- und Tourismusbranche der Arabischen Welt steht grundsätzlich eine breite Palette an Krisenreaktionsmöglichkeiten offen. Diese lassen sich analytisch in drei Kategorien einteilen: Nachfrage stimulierende, Nachfrage generierende und organisationale Optionen.
5.1.2.1 Nachfrage stimulierende Optionen Zu den Nachfrage stimulierenden Optionen gehören alle Arten von Marketing-Maßnahmen, die darauf abzielen, die einbrechende Nachfrage wieder anzuregen. Zusätzliche Werbekampagnen und gezielte Kundenansprachen sind nur einige der möglichen Handlungsoptionen in diesem Feld. Eng mit dem Gebrauch von Marketinginstrumenten verbunden sind Instrumente der Preispolitik, mit denen in Form von Sonderangeboten oder einer generellen Preisreduktion die Preiselastizität der touristischen Nachfrage adressiert wird. Schließlich stehen den Unternehmen noch Maßnahmen zur Kostenreduktion zur Verfügung. Hier sind vor allem temporäre (unbezahl100 Soweit nicht anders angegeben, basieren die Aussagen in den Kapiteln 5.1.2 und 5.1.3 auf der im Methodikkapitel 3 beschriebenen zirkulären Analyse der empirischen Erhebungen.
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te) Beurlaubungen oder Entlassungen von Personal sowie die temporäre Einstellung vorgehaltener Dienstleistungen und die Schließung einzelner Restaurants und Serviceeinrichtungen möglich. Im Gegensatz zu preispolitischen Maßnahmen begegnen diese Handlungsoptionen auftretenden Krisen eher reaktiv. Kostensenkungsmaßnahmen sind kaum von preispolitischen Maßnahmen zu trennen, da sie betriebswirtschaftlich eine Voraussetzung bilden, um Preise absenken zu können und Gewinneinbrüche oder Verluste zu vermeiden. Die Kosten- und Leistungsreduktion als Teil des Krisenmanagements dient insofern indirekt der Nachfragestimulierung. Für die Wahl Nachfrage stimulierender Handlungsoptionen sprechen generell ihr kurzfristiger Wirkungshorizont sowie die relativ geringe Komplexität ihrer Anwendung bzw. Implementierung.
5.1.2.2 Nachfrage generierende Optionen Nachfrage genierende Optionen zielen demgegenüber darauf ab, zusätzliche Nachfragepotenziale zu erschließen und so die Krisenanfälligkeit und damit das Geschäftsrisiko zu verringern. Mit Nachfrage genierenden Optionen werden also vor allem die direkt kundenorientierten Strukturen der Unternehmen angepasst. Dazu bieten sich grundsätzlich drei Möglichkeiten an: Entweder man diversifiziert die Quellmärkte, man diversifiziert das Angebot, oder man wertet es auf und erschließt so neue Nachfragerpotenziale. Zur Erschließung neuer Tourismusarten und zum Ausbau der Aktivitäten in Nischenmärkten bietet es sich an, Wüsten- bzw. Treckingtourismus, ökotouristische Angebote, Wellnessangebote oder Golf- und Yachtingmöglichkeiten auszubauen. Produktoffensiven dienen vor allem dazu, die Produktqualität anzuheben, um so verstärkt wohlhabendere Kundensegmente zu erreichen und höhere Umsätze zu generieren. Konsistente Produktoffensiven müssen dabei sowohl an einer Verbesserung der Servicequalität, wie einer Aufwertung der materiellen Infrastruktur ansetzen. Der mit ihnen verbundene organisatorische und finanzielle Aufwand ist bereits erheblich und erfordert umfangreiche Investitionen in die Personalentwicklung und -qualifizierung sowie in Hotel- und Sportanlagen und die Verkehrsinfrastruktur. Ohne ein koordiniertes Vorgehen staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteure sind Produktoffensiven deshalb nicht erfolgreich durchführbar. Eine Kooperation zwischen privaten und staatlichen Akteuren ist auch für eine Marktdiversifizierung sinnvoll, um bspw. über die nationalen Tourismusämter konzertiert neue Quellmärkte bewerben zu können, Planungsvorgänge für neue Angebotsformen erfolgreich abwickeln zu können und mit einer landesweiten Qualitäts- und Qualifizierungsoffensive eine Imageaufwertung für eine gesamte Destination bewerkstelligen zu können. Ihre Wirkungen können die vorgestellten Maßnahmen daher erst mittelfristig entfalten.
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5.1.2.3 Organisationale Optionen Unternehmen können mit Hilfe von organisationalen Optionen (i. e. S.) auf die Veränderungen der Nachfragestruktur strategisch auf dreierlei Arten reagieren. Erstens ist eine Anpassung der Engagementsintensität in der Region möglich. Hierzu können Strategien gewählt werden, die das Geschäftsrisiko minimieren, indem bspw. in Managementverträgen geringere Gewinnbeteiligungen und höhere Grundvergütung für das Management von Hotelanlagen vereinbart oder Standorte ganz aufgegeben werden. Zweitens können laufende Hotelprojekte gestoppt oder verzögert werden, um neue Hotelanlagen nicht auf einem kontrahierenden Markt platzieren zu müssen. Drittens kann die organisationale Kernstruktur verändert werden, indem das Investmentportfolio angepasst wird und Kapitalbeteiligungen veräußert werden. Unternehmen können sich so bspw. aus Hotelbeteiligungen zugunsten von Managementverträgen oder auch gänzlich aus einem Markt zurückziehen. Im Sinne der Organisationstheorie stellen Nachfrage stimulierende wie generierende Reaktionsmöglichkeiten organisationale Optionen in einem weiteren Sinne dar. Mit den hier als organisationale Optionen gekennzeichneten Reaktionsmöglichkeiten werden jedoch die organisationalen Kernstrukturen verändert, weshalb sie als organisationale Optionen i. e. S. begriffen werden. Diese organisationalen Optionen stehen nicht allen Akteuren im Hotelsektor gleichermaßen zur Verfügung. Lokale Hotelmanagementgesellschaften besitzen lediglich risikominimierende Handlungsmöglichkeiten, wobei ein Rückzug aus ihrem Markt gleichbedeutend mit einer Aufgabe ihrer Geschäftsaktivität wäre. Die wenigsten Hotels mit lokalem Management werden jedoch als Managementbetriebe geführt, sondern sind weit überwiegend Eigentümerbetriebe. Eigentümerbetrieben wie lokal tätigen Hotelinvestoren bieten sich jedoch die wenigsten Handlungsoptionen. Sie können lediglich neue Projekte aufschieben oder Kapitalanteile bzw. gesamte Projekte an Dritte veräußern. Eine weitergehende Nutzung organisationaler Krisenreaktionen wäre nur unter der Bedingung möglich, sich aus dem Tourismusgeschäft zurückzuziehen. Regional oder überregional tätigen Investoren bietet sich statt dessen die Möglichkeit ihr Investitionsportfolio von einer Destination zu einer anderen umzuschichten und weiterhin im Tourismusgeschäft unter Aufgabe einzelner Destinationen tätig zu bleiben. Disinvestment als Ultima Ratio der Palette organisationaler Handlungsmöglichkeiten ist jedoch schwierig zu nutzen, da in einer akuten Krise Hotelbeteiligungen am Markt nur mit erheblichen Preisabschlägen zu platzieren sind. Transnationale Hotelunternehmen verfügen verglichen mit ihren lokalen Geschäftspartnern und Wettbewerbern über die breiteste Palette an organisationalen Handlungsoptionen und können – abhängig davon, ob sie Kapitalbeteiligungen in Hotelanlagen besitzen – alle drei Krisenreaktionsmöglichkeiten nutzen.
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Organisationale Optionen scheiden als kurzfristig implementierbare und wirksame Krisenreaktionen aus, da mit ihnen immer ein erheblicher rechtlicher Regelungsbedarf verbunden ist. So müssen bspw. bestehende Verträge aufgelöst oder modifiziert sowie Kaufverträge abgeschlossen werden. Änderungen der bestehenden Organisationsstruktur setzen zudem den Abschluss teilweise komplizierter unternehmensinterner Strategieentscheidungen sowie komplexe interne und externe Koordinierungsarbeiten voraus. Neue Verträge mit Geschäftspartnern müssen verhandelt und die internen Organisationsstrukturen angepasst werden. Organisationale Optionen gehen daher mit einer hohen Komplexität ihrer Implementierung einher und sind kaum kurzfristig zu realisieren. Ihr Wirkhorizont ist zudem bei Hotelinvestitionen und den teils sehr langen Laufzeiten von Managementverträgen als langfristig einzustufen. Zusammenfassend steigt der Aufwand für die Implementierung der vorgestellten Reaktionsoptionen von Nachfrage stimulierenden über Nachfrage generierenden bis zu den organisationalen Optionen an. Preise zu reduzieren ist in diesem Sinne weniger voraussetzungsvoll, als neue Märkte zu erschließen, Hotelanlagen umzubauen oder bestehende Verträge zu modifizieren. Gleichzeitig nimmt der zeitliche Wirkhorizont der zur Verfügung stehenden Optionen ebenfalls zu. Auf Grundlage dieser Überlegungen lässt sich folglich ein Modell der Krisenreaktionsmöglichkeiten in der Hotelindustrie skizzieren, das analytisch nach deren instrumentellem Ansatzpunkt, ihrem zeitlichen Wirkhorizont und der Komplexität ihrer Anwendung bzw. Implementierung differenziert (vgl. Abbildung 24). Abbildung 24: Modell potenzieller Krisenreaktionen
Quelle: Eigener Entwurf
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Die Positionierung der Handlungsoptionen im Rahmen des Modells sollte lediglich als Anhaltspunkte verstanden werden, denn die exakte Positionierung einzelner Optionen in der Matrix wird je nach unternehmerischem Einzelfall variieren. Kurzfristig wirksam als Antwort auf Sicherheitsprobleme sind jedoch sicherlich nur Nachfrage stimulierende Optionen, während Nachfrage generierende Optionen längere Zeit brauchen, um Früchte zu tragen und organisationale Optionen langfristig die erheblichsten Auswirkungen implizieren.
5.1.3 Empirische Befunde II: Nutzung der Krisenreaktionsmöglichkeiten Im Gegensatz zu den Befunden von ANDERSON (2006) haben die meisten der im Rahmen der vorliegnden Fallstudie untersuchten TNHU seit den Ereignissen des 11. Septembers Krisenmanagementpläne entwickelt, wie das Statement des Vice Presidents Egypt, Sudan, Syria, Jordan & Lebanon eines großen britischen TNHU veranschaulicht (TNHU-RM8) 101 : „We basically have an off-the-shelf kind of crisis management plan, which we can click into within any given period of time and effect within weeks. And it goes right through (…) what we can afford to do, what we can’t afford to do. (…) Everybody knows what’s required when those kind of things happen.“
Die Ereignisse des 11. Septembers können dabei als seine Art „Weckruf“ für die Unternehmen verstanden werden. Da die nächsten größeren Störungen der Sicherheitslage mit dem Afghanistan- und dem Irakkrieg absehbar waren und die Wahrscheinlichkeit von Terrorattacken exponentiell anstiegen, wuchs der Druck sich auf die zu erwartenden Krisen vorzubereiten (TNHU-RM 18): „We have a contingency plan. And I just laughed, because it was the same contingency plan, (…) we just changed the dates, September 11th, Iraq War…“
Die implementierten Krisenreaktionspläne beinhalten z. T. Sicherheitsmaßnahme wie Evakuierungspläne für die Hotels und die Belegschaften,
101 Da den Interviewpartner die Anonymität ihrer Aussagen zugesichert wurde, wird die Herkunft der wörtlichen Zitate nur mit Kürzeln kenntlich gemacht, die jeweils eine Gruppe von Gesprächspartner repräsentieren. Das Kürzel „TNHU-RM“ bezieht sich bspw. auf interviewte Manager, die für transnationale Hotelunternehmen auf der regionalen Ebene tätig sind. Die Gesprächspartner jeder Gruppe wurden fortlaufend durchnummeriert. Die einzelnen Kürzel werden im Folgenden jeweils bei ihrem ersten Auftreten erklärt.
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konzentrieren sich jedoch vorwiegend auf die Nutzung Nachfrage stimulierender Optionen.
5.1.3.1 Nutzung Nachfrage stimulierender Optionen Nachfrage stimulierende Krisenreaktionen werden von allen befragten Hotelunternehmen häufig genutzt und stellen gleichsam das Standardinstrumentarium unternehmerischer Krisenreaktionen dar. Nutzung von Instrumenten des Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit Bei ihren Bemühungen, die Nachfrage in Krisenzeiten zu stimulieren, sehen sich die Unternehmen vor allem Problemen der Sicherheitswahrnehmung in Verbindung mit Nachbarschaftseffekten gegenüber. Der Area General-Manager eines belgischen TNHU in den VAE beschreibt eindrücklich die resultierenden Marketing-Herausforderungen (TNHURM17): „The biggest problem we face is [that] people in Germany, in the States, anywhere in Europe, they do not know the geography. They do not know that we are not in the Middle East, not Iraq. This is not Saudi-Arabia. But they (…) say: »That is the Arab World, it’s one place, there is fighting (…).« Unfortunately, every time we go to a congress now, we have to educate the people. »It’s a very safe country; it’s a very safe country. And it has no risk or whatever.« But you have to explain and show the maps, because they think: »Oh, no, no, no, there is fighting, killing.« (…) So you try to increase slightly the marketing, you know, that it’s a safe area, there is nothing in this area.“
Bei dieser Art „Konsumentenaufklärung“ sind transnationale Unternehmen gegenüber ihren lokalen Konkurrenten aufgrund ihres unmittelbaren, internationalen Marktzugangs im Vorteil. Die Intensivierung der Marketingaktivitäten ist deshalb eine der zentralen Antworten von TNHU, die dazu ihre internationalen Vertriebskanäle nutzen, wie der Vice President Sales Middle East, Africa & Subkontinent eines großen US-amerikanischen Hotelunternehmens veranschaulicht (TNHU-RM16): „We mobilize our marketing intelligence and sales distribution to really help, provide and support.“
Insbesondere lokale Einzelbetriebsunternehmen und Hoteliers sind dagegen für die Nutzung von Marketinginstrumenten auf staatliche Unterstützung und Koordination angewiesen, die in allen drei Untersuchungsländern nach den Ereignissen des Jahres 2001 und im Verlauf des Jahres 2002 intensiv betrieben worden ist. So haben die tunesischen Behörden vor allem ihre Präsenz auf internationalen Tourismusmessen ausgeweitet, während das ägyptische Tourismusministerium umfangreiche Werbekampagnen in den Printmedien und den Fernesehsendern seiner wichtigsten Quell-
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märkte anstößt, die über eine Umlagebeteiligung von den Hotels im Land mitfinanziert werden. In Dubai initiiert und koordiniert das Department of Tourism and Commerce Marketing (DTCM) die Marketingaktivitäten nach dem 11. September. Die Strategie zielt auf eine schnelle Erholung der Nachfrage in den Hauptquellmärkten wie Großbritannien, Deutschland und Frankreich ab. Innerhalb von drei Monaten werden ca. 1.500 Journalisten aus den europäischen Hauptquellmärkten zu einem Besuch Dubais eingeladen. Die Kosten dafür übernehmen Emirates Airlines sowie die beteiligten Hotels. Ziel ist es zu demonstrieren, dass Dubai eine attraktive und sichere Destination ist. Die ergriffenen Maßnahmen greifen so gut, dass Dubai bereits im Jahr 2002 einen neuen Besucherrekord aufstellen kann. Bei dieser schnellen Erholung profitiert die Destination jedoch auch von der Verschiebung der Touristenströme aus den Golfstaaten, weg von den USA und Europa hin zu Destinationen in der Arabischen Welt. Der Director of Tourism Affairs der DTCM (PB6) 102 stellt dazu lakonisch fest: „I have to add to that, we are also looking at a situation, where many of our bordering countries in the Gulf Cooperation Council, Kuwait, Saudi, Oman, Bahrain – they had stopped going to Europe and to the States. (…) So we were benefiting clearly from the region at the effects of the perception of what was to be Arabian at that time.“
Die konzertierte Aktion der angebotsschaffenden Akteure und der Regierung in Dubai ist auch aus der Perspektive der Tourismuswirtschaft entscheidend für die schnelle Erholung (LH-M7) 103 : „I have a strong personal believe that one of the great successes of Dubai tourism has been the ability of the hotels to come together to try to promote Dubai and this comes very much from (…) the Department of Tourism and Commerce Marketing and that has been most beneficial for all in the past.“
Die herausgehobene Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik demonstriert außer dem oben beschriebenen Fall Dubais vor allem die neue Kommunikationsstrategie Ägyptens nach den Terroranschlägen in Taba und im Nord-Sinai im April 2004. Unmittelbar danach erfolgt eine Einladung des neuen Tourismusministers Ahmed al-Maghrabi an alle Regionalmanager der großen Hotelketten in Ägypten zu einem Krisentreffen. Als Ergebnis des gemeinsam veranstalteten Brainstormings wird verabredet, in der Kommunikation mit den Medien besonders hervor zu heben, dass die Anschläge Anlagen gegolten haben, die vorwiegend von Is102 Das Kürzel „PB“ bezieht sich auf interviewte Repräsentanten der lokalen Politik und Tourismusbehörden. 103 Das Kürzel „LH-M“ bezieht sich auf interviewte Manager lokaler Hotelunternehmen.
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raelis frequentiert wurden. Sinn dessen ist es, damit implizit zu kommunizieren, dass für andere Nationalitäten kaum eine Gefahr besteht. Zudem wird eine gemeinsame Medienpolitik verabredet, die von allen privaten und gouvernementalen Akteuren auch eingehalten wird. Kern ist die Übereinkunft, ohne neue Ermittlungsergebnisse nur für die Dauer von drei Wochen für Auskünfte zum Thema zur Verfügung zu stehen. Damit wird sicher gestellt, dass nicht immer wieder neue Interpretationen der Anschläge eine Grundlage für eine lang andauernde internationale Medienberichterstattung bieten. Gleichzeitig werden Fotografien der beschädigten Hotels und Camps untersagt und der Informationsfluss für ägyptische Medien erheblich eingeschränkt (I4) 104 : „The Minister of Tourism had a philosophy and it was actually successful (…), they made an agreement with the Egyptian Minister of Information not to talk a lot about this problem. Stop talking about the problems in Taba, because usually the international news magazines or newspapers, they say, »referring to Egyptian newspapers« (…). So they said, we would try in this time, that we stop talking about this in the Egyptian magazines and newspapers.“
Die Anschläge sollen so langsam von der internationalen Medienagenda verschwinden, um die Zunahme des Unsicherheitsgefühls in den europäischen Quellmärkten einzudämmen. Dass und welchen Erfolg diese Politik hat, überrascht sogar die lokalen Akteure (I4): „This happened really, it was really successful. That, I mean, the problems of Taba or this accident did not make a lot of propaganda outside. So it affected only Taba, it did not affect all Egypt.“
Die Auswirkungen der Anschläge können mit dieser Strategie der Beschneidung von Presse- und Informationsfreiheit erheblich eingedämmt werden. Die folgenden Nachfragerückgänge beschränken sich fast vollständig auf israelische Touristen, konzentrieren sich auf die Orte im NordSinai und halten nur wenige Wochen an. Bereits in Sharm el-Sheikh sind die Nachfragerückgänge kaum mehr zu spüren, während in Kairo allenfalls eine Stagnation der Nachfrage zu verzeichnen ist und die Tourismusdestinationen am Roten Meer weiterhin gute Ergebnisse erzielen. Die Marketingunterstützung der Reiseveranstalter für die von Krisen getroffenen Destinationen der Arabischen Welt hält sich im Vergleich dazu in Grenzen. Ein langjähriger Hotelmanager eines US-amerikanischen TNHU (TNHU-EB10)105 bemerkt dazu, die Reiseveranstalter hätten
104 Das Kürzel „I“ bezieht sich auf interviewte Hotelinvestoren. 105 Das Kürzel „TNHU-EB“ bezieht sich auf interviewte Einzelbetriebsmanager TNHU.
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„gar nicht so ein riesiges Marketing gemacht für z. B. Ägypten.“
Nutzung preispolitischer Instrumente Reiseveranstalter spielen eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, Preisinstrumente als Krisenreaktionen zu nutzen. Sie üben in derartigen Situationen einen erheblichen Druck auf die Hoteliers aus, ihre Zimmerpreise zu senken, wie diese immer wieder betonen (TNHU-EB10): „Im Prinzip sind es ja Veranstalter, die die Preise kaputt machen.“
Die Frustration über die Geschäftspolitik der Reiseveranstalter ist in der Hotellerie weit verbreitet, wie die leicht enervierte Aussage eines Managers verdeutlicht (TNHU-RM7): „Und wie (…) die Tour Operator mit den Hotels verhandeln, ob die jetzt den Preis drücken. (…) Sie fangen immer an zu weinen. Da wird das Benzin teuer, da weinen sie. Da geht der Dollar hoch, da weinen sie. Da ist eine Krise in Hongkong, da weinen sie. Da ist SARS, da weinen sie. Die weinen immer. Die sind also mit Taschentüchern geboren worden.“
Die Politik der Reiseveranstalter hat aus ihrer Perspektive gute Gründe. Sie müssen ihr Umsatzvolumen halten, um den „Cash-Flow“ sicher zu stellen, damit sie ihre vertraglichen Verpflichtungen bedienen, ihre eigene betriebliche Infrastruktur und ihre Personalkosten decken und ihre Investitionen refinanzieren können. Die Reiseveranstalter müssen zudem die von ihnen bei den Charterfluggesellschaften gebuchten bzw. die sich direkt in ihrem Eigentum befindlichen Transportkapazitäten auslasten, wollen sie keine Verluste erwirtschaften. Der Druck, die Nachfrage zu stimulieren ist daher erheblich. Der Griff zu Preisinstrumenten ist zudem durchaus nachvollziehbar und sinnvoll. Wenn die Nachfrage in den bisherigen Kundenschichten einbricht, müssen neue Kundengruppen geworben werden, die das verlorene Geschäftsvolumen ausgleichen. Sind die Quellmärkte nur wenig diversifiziert oder reagieren relativ ähnlich auf Sicherheitskrisen und soll die Schaffung zusätzlicher Nachfrage schnell erfolgen, kommen als Zielgruppen nur potenzielle Kunden in bereits erschlossenen Quellmärkten in Frage, die sich bisher Reisen in die fraglichen Zielgebiete nicht leisten können. Preisreduktionen folgen insofern einer Marktlogik, die von der Preiselastizität der touristischen Nachfrage ausgeht (LH-M2): „Rate cutting kommt, ja sicher. (…) Der [Reiseveranstalter] sagt: »Ok, Leute, wir haben ein gemeinsames Problem. Wir können etwas für euch tun, weil wir vermarkten euch ja.« TUI, Thomas Cook, (…) the big players wie wir sie nennen. (…) Die können einem ja helfen. Aber (…) die kommen dann schon mit 20,
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30 % discount und sagen: »Wir machen eine campaign, aber wir brauchen das und das«.“
Je besser es dem Reiseveranstalter dabei gelingt, den Preisdruck an die Hotelunternehmen weiter zu geben, desto eher ist es ihm möglich, eigene Verluste zu vermeiden oder zu minimieren. Dabei erzeugen Reiseveranstalter aber nur in denjenigen Marktsegmenten einen Preisdruck, die stark durch Pauschalreisen geprägt sind. Ihre Verhandlungsmacht steigt in Krisenzeiten an, da dann tendenziell ein Überangebot an Hotelzimmern auf dem Markt ist. Der Vice President eines britischen TNHU erklärt dies folgendermaßen (TNHU-RM8): „If you have a 70 % leisure business, than you have a relationship with (…) tour operators who are selling your business on your behalf to the customer. There is always going to be (…) a lively discussion on what the rates are going to be (…). Now, the boot is either on one foot or the other. If there is a lack of rooms in the market place (…), the operators like us, are always going to be much more aggressive on the prices point of view, want to get the yield up. (…) And of course, when the business is cuss then, you know, the boot is on the other foot and the operators can drive, can place their margins and sell us for cheaper.“
Der Preisdruck, den Reiseveranstalter ausüben können, ist jedoch nicht nur von der Relation von Angebot und Nachfrage abhängig. Er scheint um so höher zu sein, je stärker der Markt von Pauschalreisen abhängt und je weniger Reiseveranstalter den internationalen Vertrieb der Destination und die dortigen Hotelkapazitäten kontrollieren. Tunesien ist in diesem Sinne ein gutes Beispiel einer Destination, die fast vollständig von Pauschalreisen abhängig ist. Zudem besteht eine traditionell hohe Bindung an nur wenige Quellmärkte, auf denen vor allem wenige große Reiseveranstalter den Vertrieb bündeln. Einige der großen Reiseveranstalter haben zudem in Tunesien mit ihren konzerneigenen Hotelketten erhebliche Bettenkapazitäten im Eigentum oder halten sie zumindest durch Lease- oder Managementverträge unter Kontrolle. Wie der Area General-Manager eines US-amerikanischen TNHU berichtet, würden sich die Reiseveranstalter in Krisensituationen die Situation in Tunesien zu Nutze machen und zuerst die Bettenkapazitäten ihrer eigenen Hotelketten füllen, bevor sie andere Hotels gezielt bewerben würden. Da es unüblich ist, dass Verträge zwischen Reiseveranstaltern und Hotelunternehmen die Buchung von Bettenkontingenten durch vereinbarte Mindestauslastungsquoten garantieren, verbleibt das Geschäftsrisiko bei den Hotelunternehmen. Dies ermöglicht es faktisch den Reiseveranstaltern, in Krisensituationen die Zimmerpreise zu diktieren, da es in ihrer Hand liegt, die verbliebenen Touristenströme zu lenken. Insbesondere lokale Unternehmen können mit ihren eingeschränkten eigenen Vertriebswegen und ihrer geringeren Marktmacht den Reiseveranstaltern keine aus-
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reichend große Verhandlungsmacht entgegen setzten und müssen sich dem Druck beugen, da viele Hoteleigentümer – genauso wie die Reiseveranstalter – darauf angewiesen sind, das Umsatzniveau wenigstens annähernd zu halten, um zahlungsfähig zu bleiben. Obwohl tunesische Hotelunternehmen den Hotelmarkt des Landes aus historischen Gründen dominieren, sind sie also in erheblichem Maße auf europäische Reiseveranstalter angewiesen. In der Hoffnung darauf, dass eine höhere Zimmerauslastung die Einbußen zumindest teilweise kompensiert, nehmen lokale Hotelunternehmen in den Pauschalreisemärkten der Arabischen Welt unter diesen Bedingungen niedrigere Zimmerpreise in Kauf. Eigentümer kreditfinanzierter Hotelanlagen, wie sie sich insbesondere in den neu erschlossenen Destinationen Ägyptens finden, sind hier unter erheblichem Handlungsdruck (V4 106 ; TNHU-RM7): „Because most of the investors (…) were demanding on the loans so they got also on the outcome of the operation they have.“ „Die sind doch meistens noch mit am Paniken, die Hoteleigentümer. (…) Die leihen sich das Geld. (…) Und dann müssen sie sehen, dass sie das Geld rauskriegen. Da werden Abschlüsse gemacht teilweise, das hält man nicht aus.“
Die Eigentümer geben den Refinanzierungsdruck mit einem klaren Handlungsauftrag an das Management ihrer Hotels weiter. Diese müssen ebenfalls ihre Liquidität bewahren, wie die Aussage eines Area Mangers verdeutlicht (TNHU-RM17): „You have to at least cover your expenses. That’s why. (…) Instead of loosing a big – you just minimize your losses.“
Da der Handlungsdruck sehr groß ist, müssen die Hotelunternehmen bei Verhandlungen mit den Reiseveranstaltern Preise offerieren, mit denen sie in einem schrumpfenden Markt die der Konkurrenz unterbieten, um für die gesamte Saison wettbewerbsfähig zu sein (TNHU-RM12): „The [resort] hotel industry is relatively (…) prone to these dramatic changes, (…) they believe that »Oh my god, if I don’t connect myself now, the whole year will be gone«. Because you get brochures, your brochures include prices, if you are not in a competitive zone, the whole year is gone. You cannot make the tactical change there after. So you have got to take a strategic decision on your rates that last you for a year. And most of the people want to take their decision based on the cautious side.“ 106 Das Kürzel „V“ bezieht sich auf interviewte Repräsentanten lokaler Tourismus- und Hotelverbände.
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Die Mechanismen des Zusammenhangs zwischen einbrechender Nachfrage, Politik der Reiseveranstalter und Preisreduktion der Hotellerie besitzt schon fast Lehrbuchcharakter, wie der gleiche Manager weiter ausführt (TNHU-RM12): „It is a typical phenomenon everywhere in the world that the immediate reaction of the hotel industry is to succumb into pressure. This pressure is usually created by the client perception, aided by the tour operators who see an opportunity to put more people into an otherwise prime destination at a low cost. So they put pressure on the hotel industry and the hotel industry usually blinks and says »Ok, I will lower my price«. This lowering of the price usually begins from the bottom of the pyramid of the hotel structure and it starts from the three stars to four stars and the gap becomes so wide between four stars and luxury that luxury is required to remarket (…) its hotel. It’s a classical cycle that happens time after time in every destination, nothing new that has been seen post-9/11 in Egypt. It is the same example of what has happened post-Tsunami in the Far East, it’s the same thing that happened after SARS in the Orient, the classic example of what happens. You can write copy book stories on this.“
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Preisreduktionen insbesondere in den von Pauschalreisen geprägten Destinationen Ägypten und Tunesien aber kaum in den VAE zu beobachten sind. Während die beiden nordafrikanischen Märkte überwiegend von europäischen Reiseveranstaltern dominiert werden, ist deren Einfluss in den Golfstaaten gering. Sowohl Tunesien wie Ägypten kämpfen zudem bereits seit Jahren mit einer volatilen Preislandschaft, deren Auf und Ab – besonders im Fall Ägyptens – erheblich durch vergangene gewalttätige politische Unruhen bedingt ist. Das starke Angebotswachstum in Ägypten während der 1990er Jahre (RICHTER & STEINER 2008) hat in dieser Situation dazu beigetragen, dass es zu keiner Angebotsverknappung kam, die eine Stabilisierung der Preise hätte nach sich ziehen können. Obwohl viele Manager die Nutzung von Preisinstrumenten sehr kritisch sehen, 107 wendet eine breite Mehrheit der befragten Unternehmen diese Instrumente an, wobei sich ihrer Anwendung hochpreisige Hotels am ehesten entziehen können. Die Auswirkungen können jedoch verheerend sein, wenn daraus ein Race-to-the-bottom entsteht, also eine negative Preisspirale in Gang kommt. In Kairo beklagt so bspw. ein Area GeneralManager eines US-amerikanischen TNHU, dass während des Irakkriegs ein Fünfsternehotel seine Preise von 105 US$ auf 65 US$ abgesenkt hat. Derartige bei Sicherheitskrisen regelmäßig angewendeten Preissenkungen führen dazu, dass, wie ein anderen Area General-Manager schildert, der
107 Die Kritik an der Verwendung von Preisinstrumenten wird noch eingehend in Kapitel 0 thematisiert.
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übliche Zimmerpreis in der Fünfsternekategorie bei rund 90 % aller Hotels zwischen 50 und 80 US$ liegt und nur wenige Hotels in der Lage sind, höhere Preise zu erzielen. Noch heftiger dreht sich die Preisspirale in den reinen ResortStandorten Tunesiens und Ägyptens. Nach Auskunft eines Area GeneralManagers einer bedeutenden US-amerikanischen Hotelkette werden in Hammamet nach dem Djerba-Anschlag Hotelzimmer bereits für 1720 TND (ca. 12-15 €) 108 inklusive Halbpension in Vier- und Fünfsternehotels angeboten. In Ägypten fallen die Preise in Resort-Hotels, insbesondere in Hurghada, nach dem 11. September und dann erneut im Zuge des Irakkriegs noch weiter (PB8): „Now after the events of September the 11th, (…) it was getting crazy because at one stage, you know, they were dropping to 15 US a night.“
Dass selbst dies noch nicht das Ende der Preisspirale ist, verdeutlicht die Schilderung eines Area General-Managers eines US-amerikanischen TNHU, der in einzelnen Hotelanlagen von Preisen von nur 50 L.E. (ca. 1012 €) 109 für ein Zimmer inklusive Vollpension berichtet. Wie der Vice President Development eines britischen TNHU bestätigt, hat sich in der Folge des exzessiven Gebrauchs von Preisinstrumenten der durchschnittliche Zimmerpreise in Hurghada in den Vier- und Fünfsternehotels auf einen Korridor von 20 bis 40 US$ abgesenkt. Das Hauptproblem der Nutzung von Instrumenten der Preispolitik besteht darin, nach dem Überstehen der Krise das alte Preisniveau wieder zu erreichen, wie ein Repräsentant der EHA ausführt (V4): „The main issue, in my opinion, is that the rates went down, and it’s so easy to go down with rates. It’s not easy to go up all of the sudden, it takes time.“
Ein Manager eines lokalen Hotels in Ägypten bestätigt diese Aussage und erläutert, wie lange es dauert, bis sich die Preissituation wieder einigermaßen entspannt (LH-M2): „Es ist sehr, sehr schwer. Sie brauchen mindestens zwei Jahre, um wieder einigermaßen dorthin zu kommen, wo sie eigentlich hinkommen wollen. (…) Das folgende Jahr ist immer sehr schwierig.“
108 Der Wechselkurs entspricht im Frühjahr 2002 etwa 1 € = 1,35 TND. 109 Die hier angegebene Preisspanne in Euro ist abhängig vom Wechselkurs für April 2002 bis April 2003 angegeben und verschlechtert sich danach zuungunsten der Hotels weiter. Der Wechselkurs des Ägyptischen Pfunds hat zwischen 01.01.2002 und 01.01.2005 stark nachgegeben. Entsprachen Anfang 2002 einem Euro 4,06 L.E. so mussten zum Jahrswechsel 2004/05 für einen Euro bereits 8,14 L.E. veranschlagt werden.
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Das Hauptproblem liegt aus der Perspektive der Hotelunternehmen im Habitus der Reiseveranstalter gegenüber Preissenkungen begründet. Der Director of Tourism Affairs der DTCM erklärt dazu (PB6): „Now, the problem with that is (…) the moment you do that, it’s over. It’s finished. (…) I had the same experience in other parts of the world, where hotels and hotel groups desperate for business will start to drop their rates to ridiculous prices, because they simply don’t want to close the property or close part of it. What then happens unfortunately is that the European tour operators begin to squeeze. And after a couple of seasons, they will say, »No, no, no, no you offered us, you know, 50 Dollars a night. You can’t now come and say it’s 120«.“
Dass von dem Druck der Reiseveranstalter aber nicht nur lokale Hotelunternehmen sondern sogar konzerneigene Hotelgesellschaften betroffen sind, veranschaulicht die Klage des Managing Directors einer auch in Ägypten operierenden Hotelkette, die sich im Eigentum eines großen vollintegrierten Reisekonzerns befindet (TNHU-RM14): „We had two and a half years of very, very low trade, very, very low occupancies and low rates. The problem is rates. When you have an exhibition and you had low rates for two years, to go back at this is very difficult. Tour operators take advantage of this. And the public, the consumer are used for a probably a vacation for 400, 500, 600 Euros a week including flights. It’s a lot cheaper than stay at home. It’s not easy to bring back these prices up.“
Vor diesem Hintergrund versuchen die Hoteliers, ihre Verhandlungsposition gegenüber den Reiseveranstaltern so gut wie eben möglich zu stärken. Eine Alternative zur Reduktion der regulären Zimmerpreise besteht darin, spezielle Angebote für klar definierte Kundengruppen anzubieten (TNHURM17): „Encourage some people who cannot travel (…) to fill the gap. (…) You look: »Is there anybody travelling?« Maybe the middle class is travelling. So middle class: that’s the package we can build to attract. Instead of five gonna bring seven. So let’s make (…) special packages to attract additional people. (…) You can make special offers for that period. (…) It’s a survival for that period of crisis.“
Beliebt sind vor allem Angebote in denen sieben Nächte für den Preis von fünf oder sechs Nächten angeboten werden, spezielle Sonderpreise für mitreisende Kinder oder Anreize im Food- & Beverage-Bereich, wie kostenlose Abendessenmenüs bei einem bestimmten Mindestaufenthalt. Dass zwischen dem Einräumen der geschilderten Sonderangebote und einer generellen Absenkung der Zimmerpreise nicht nur ein semantischer Unter-
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schied besteht, veranschaulicht die Aussage des General Managers eines lokalen Hotels in Ägypten (LH-M2): „Deswegen geben sie ja, sie geben ja keine Rate (…). Sie geben eben einen discount. Das heißt, sie deluten ja nicht ihre Rate, sondern sie geben einen special discount. (…) Weil sonst haben sie bei der Verhandlung ein Problem, wenn sie sagen: »Ok, 20 % runter ergibt einen Betrag von 20 Euro. Also, für diese Saison kriegt ihr 20 Euro«. Normalerweise hättest du 25 sagen müssen. Ein Beispiel: der sagt: »Oh letztes Jahr hatten wir 20. 22 wird ja wohl reichen.« Da sage ich: »Nie im Leben, der hatte 25, wir haben dem 20 % discount gegeben, um das Geschäft anzukurbeln«.“
Nutzung von Instrumenten zur Kostenreduktion Vor dem Hintergrund einer schrumpfenden Nachfrage und des Preisdrucks greifen viele der befragten Unternehmen auch auf Instrumente zur Kostenreduktion zurück. Insgesamt unterscheiden sich die Handlungsoptionen zwischen TNHU und ihren lokalen Wettbewerbern hier nicht. Häufig setzen Kosteneinsparungen vor allem beim Personal an. Vor allem lokal geführte Hotels greifen, soweit ihnen das rechtlich möglich ist, auch auf Entlassungen zurück (LH-M4): „Was wir halt gemacht haben, wir haben dann den staff reduziert, wir haben nur ein Minimum und wir haben überlebt.“
Zur Personalkostenreduktion wird insbesondere von höherklassigen TNHU wenig auf Entlassungen zurückgegriffen. Viele Hoteliers lehnen Entlassungen in Krisensituationen ab oder versuchen sie zu vermeiden, wie zwei Zitate von in Ägypten und in den VAE tätigen Managern demonstrieren (TNHU-EB6; TNHU-RM19): „We didn’t kick out the staff like the other hotels did. We kept the staff, we kept paying the salaries.“ „Es gab also in den zwei Extremfällen 9/11 als auch dem Irak-Krieg sehr viel Panikreaktion in Bezug auf die Ratenstruktur, »Dump the price and stay-alive«, in Bezug auf die Angestelltenstruktur, »Send people away, send them home«. Wir haben hier immer sehr große Vorsicht walten lassen.“
Statt dessen wird das Personal oft aufgefordert (Rest-)Urlaub zu nehmen oder Mitarbeiter werden in unbezahlten Urlaub geschickt, um die Kosten zu senken (TNHU-RM18; I4): „And then what we obviously did is operationally, we really streamlined and you know, gave off to people, sent them on vacation and so on. And we did that quite successfully without laying off anybody.“
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„We are always against firing people. We don’t do this unless it’s at the end. (…) We start of course to send the staff for, to use their vacation balance. So instead of having a lot of balance, so they go out for vacation and come back. But still they come back.“
Eine weitere von vielen Managern erwähnte Krisenreaktionsmöglichkeit besteht darin, auf die natürliche Fluktuation zu setzen, auslaufende Verträge nicht zu verlängern oder einen Einstellungsstopp zu erlassen und so auch ohne Entlassungen Personalkosten zu sparen. Eine weitere Möglichkeit, Kosten im laufenden Betrieb einzusparen, besteht darin, das Angebot zu reduzieren. Dazu können in neueren Hotelanlagen – soweit die Haustechnik das zulässt – einzelne Etagen von der Versorgung abgetrennt und geschlossen werden wie folgende Äußerung verdeutlicht (I4): „Our hotel is designed with a (…) Building Management System (…). So this weekend it closed a lot of areas and manoeuvred the operation through a system that – working hours of the air-condition in these zones, electricity; shot down of electricity and water and a lot of things, so this reduces the operating system. (…) Then we can make separation for the building (…) with total stop of this, I mean stopping all expenses.“
Allerdings ist diese Art der Einsparung laufender Betriebskosten nur in wenigen neuen Anlagen möglich. Eine andere und deutlich häufiger zu beobachtende Variante der Angebotsreduzierung besteht darin, einige der Hotelrestaurants oder Freizeiteinrichtungen zu schließen.
5.1.3.2 Effektivität und Folgen der Nutzung Nachfrage stimulierender Optionen Im Kontrast zu ihrer Popularität, muss die Effektivität von Nachfrage stimulierenden Instrumenten während aktueller Krisen in Frage gestellt werden. Effektivität des Marketings So äußert eine größere Anzahl von Managern aus der Branche, dass eine Intensivierung des Marketings in einer anhaltenden Krise Geldverschwendung wäre, da verlorenes Vertrauen nicht durch Marketingmaßnahmen zurückzugewinnen sei (TNHU-RM17): „It’s senseless increasing marketing. It’s like: »Tell me what you wanna see?« You increase marketing, people are afraid to come, how do you bring them. You can’t bring them.“
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Ein seit vielen Jahren in der Region tätiger Manager eines TNHU betont, dass Marketingmaßnahmen an der falschen Stelle ansetzen würden, da politische Lösungen gefragt seien (TNHU-RM13): „You can not only take a piece of paper and talk about marketing plans, when you have a disaster like this, one after the other. You have to talk about the major terrorism to war, what else. I don’t know whether it’s going to war or what’s happening in Palestine. So (…) these are very tragic events, I mean, you – It’s the worst possible thing happening in the neighbourhood. What else do you want?“
Effektivität preispolitischer Instrumente Auch die Effektivität von Preisinstrumenten wird von vielen Managern in Frage gestellt, wie die Aussage eines Directors of Sales & Marketing Arabian Peninsula eines britischen TNHU bezüglich der Wirksamkeit von Preisinstrumenten im Irakkrieg 2003 veranschaulicht (TNHU-RM9): „If we’d given people rooms free at that time, they wouldn’t have come. »We have free rooms in the Middle East: come!«.“
Dass Preissenkungen in anhaltenden Sicherheitskrisen vor allem in der Luxushotellerie keine neue Nachfrage generieren, verdeutlicht die Aussage des Vice Presidents einer internationalen Luxushotelkette in Dubai (TNHU-RM18): „We didn’t really cut rates because it doesn’t really drive our business because our customers – unfortunately we get always hurt the most. Because our customers, it doesn’t matter if you give them half price, they wouldn’t come. They can go like during Iraq-war. They knew it was always safe, they didn’t come because they can afford to go to Florida or wherever – Palm Beach. In Palm Beach they lay on the beach and they say: »We go next time to Dubai«. These are our customers, so there is no use to cut.“
Auch der für viele Städte in der Arabischen Welt so wichtige Markt der Geschäftsreisenden ist kaum durch Preisanreize beeinflussbar. Die Reisetätigkeit wird gerade im Geschäftstourismus aufgrund von Dienstanweisungen der Arbeitgeber eingestellt und erst wieder aufgenommen, sobald deren Sicherheitseinschätzungen es wieder erlauben. Auch die von Reiseveranstaltern dominierten Massenmärkte lassen sich durch Preissenkungen offenbar nur schwerlich stimulieren, wie die Aussage des Managing Director einer Hotelkette in Ägypten belegt, die einem großen europäischen Reiseveranstalter gehört (TNHU-RM14): „So, what we do in this case, we reduce rates. Although right after September 11th there was no need to do anything, because even low rates do not attract –
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even free travelling would not have attracted anyone. So we gave low rates, but that didn’t have a very high impact.“
Zusammenfassend scheint es so, als würden Preissenkungen ausschließlich denjenigen potenziellen Touristen in die Hände spielen, die ohnehin keine Reiseangst haben oder Reisen nicht vermeiden können (TNHU-RM17): „If you cut down your rates and nobody is coming, the only (…) people who gonna profit from it, [are] people [who] are coming anyway. They look at you and laugh, because you cut the rates.“
Ein Vergleich zwischen der Entwicklung der durchschnittlichen Zimmerpreise und der Hotelauslastungsquoten der hochklassigen Hotellerie in Kairo, Hurghada und Dubai 110 (vgl. Abbildung 25) bestätigt die Aussagen der interviewten Manager, dass das Verhältnis zwischen Preissenkung und erhöhter Zimmerauslastung nicht dem theoretisch zu erwartenden Zusammenhang entspricht und untermauern so die qualitativen Befunde. Obwohl die Auslastungsquoten im Jahr 2000 in Kairo und Hurghada fast gleich sind und Dubai sogar vier Prozentpunkte hinter Kairo zurückliegt, kann Dubai mit 105 US$ einen um 22 % höheren Zimmerpreis als Kairo mit 86 US$ erzielen. 111 Das den Massenpauschalreisemarkt bedienende Hurghada ist bereits zu diesem Zeitpunkt mit 41 US$ weit davon entfernt, ähnliche Erlöse erwirtschaften zu können, obwohl seine Auslastung drei Prozentpunkte höher ist als die Dubais. Als Effekt der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers sinken die Hotelauslastungsquoten im Jahr 2001 ab. Hurghada und Kairo reagieren auf die sinkende Nachfrage noch im Jahr 2001 bzw. im Jahr 2002 mit einer deutlichen Absenkung der Zimmerpreise. Während die durchschnittlichen Preise in beiden ägyptischen Destinationen bis nach dem Irakkrieg auf niedrigem Niveau verharren, ist in Dubai lediglich ein geringfügiger Rückgang der Preise im Jahr 2001 zu verzeich110 Vergleichbare Daten liegen leider für Tunesien nicht vor. Legt man jedoch die aus dem Jahre 1999 stammenden Daten aus einer Studie des tunesischen Tourismusministerium und der Agence Japonaise de Coopération International (ONTT & AJCI 2001: A7-19) zugrunde, kann davon ausgegangen werden, dass sich das Preisniveau insgesamt für Tunesien in einem ähnlichen Bereich wie in Hurghada bewegt. Die Äußerungen der befragten Manager weisen, wie im vorigen Kapitel ausgeführt, zudem darauf hin, dass der Preiswettbewerb in quantitativer Hinsicht dem in Hurghada ähnelt. 111 Da die hier präsentierten Stichproben die günstigere Hotellerie ausblenden, die vor allem in Hurghada große Marktanteile hat, erscheinen die Unterschiede zwischen Dubai und Hurghada geringer, als dies tatsächlich der Fall ist. Die durchschnittlichen Zimmerpreise und die Auslastungsquoten aller Hotels in Hurghada liegt deutlich niedriger, als es die hier präsentierten Daten suggerieren. Um jedoch zu analysieren, wie sich der Hotelmarkt in vergleichbaren Hotelkategorien entwickelt, liefern die vorliegenden Statistiken eine gute Grundlage.
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nen, der bereits 2002 einem Wachstum über das Vorkrisenniveau hinaus weicht. Während Dubai in der laufenden Krise trotz steigender Zimmerpreise eine höhere Auslastungsquote erzielen kann, können die ägyptischen Destinationen ungeachtet des Absenkens ihrer Preise die Auslastungsquoten nicht verbessern.
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20
10
0
Hotelauslastungsquote (%)
Ø Zimmerpreis (US$ )
Abbildung 25: Entwicklung der durchschnittlichen Zimmerpreise und der Hotelauslastungsquoten in Kairo, Hurghada und Dubai zwischen 1999 und 2005
0 2000
Zimmerpreise: Kairo Zentrum
2001 Hurghada
2002 Dubai
2003
2004
Hotelauslastungsquote: Kairo Zentrum
2005 Hughada
Dubai
Anm.:
Den Daten liegt eine Stichprobe aus der gesamten MENA-Region von insgesamt 150 Hotels im Vier- und Fünfsternehotelbereich mit rund 45.000 Zimmern zugrunde. Die Ergebnisse von Hotels der absoluten Luxusklasse wurden ebenso ausgeblendet, wie die von Ein- bis Dreisternehotels, um eine Vergleichbarkeit der Daten sicher zu stellen. Quelle: HVS International 2007; eigener Entwurf
Obwohl Hurghada im Jahr 2002 mit rund 27 % Preisnachlass auf 30 US$ den stärksten Nachfrage stimulierenden Impuls der drei Destinationen aussendet, weist es die schlechtesten Auslastungsquoten in den Jahren 2002 und 2003 auf. Im Jahr 2003 wächst die Differenz der Auslastungsquoten zwischen Dubai und Hurghada auf rund 13 %-Punkte an. Erst im Jahr 2004 kann Hurghada nach der überstandenen Irakkrise schließlich aufgrund seiner Preispolitik zu der Auslastungsquote Dubais aufschließen. Im Jahr 2005 bewegen sich die Belegungsraten der befragten Hotels in den drei Destinationen wieder in einem ähnlichen Bereich zwischen 75 % und 82 %. Der Abstand zwischen den Zimmerpreisen Dubais und seiner ägyptischen Konkurrenten hat sich jedoch zwischenzeitlich vervielfacht und beträgt nun in Dubai 192 US$, während Kairo und Hurghada mit 87 US$ bzw. 47 US$ gerade wieder das Vorkrisenniveau überschritten haben. Auch wenn für diese Entwicklungen sicherlich nicht allein die unterschiedlichen Preispolitiken und Marktstrukturen verantwortlich gemacht
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werden können, untermauern die vorliegenden statistischen Daten jedoch den Eindruck aus den Interviews, dass Preissenkungen nicht zwangsläufig zu einer Belebung der Nachfrage führen müssen. Auch der Umkehrschluss, dass steigende Auslastungsquoten mit steigenden Preisen einhergehen ist offensichtlich nicht zulässig, wie das Zitat eines Kairener Hotelmanagers belegt (TNHU-RM7): „Andere Städte fangen an zu bauen, wenn sie 80 % Belegung haben. Und wir fangen an, mit der Rate runter zugehen. Da stimmt doch was nicht.“
Effektivität von Kostensenkungsmaßnahmen Doch nicht nur die Effektivität von Preissenkungen, auch diejenige von Kostensenkungsmaßnahmen durch Entlassungen und unbezahlten Urlaub wird von diversen Hotelmanagern in Frage gestellt. Ein wesentliches Problem der Nutzung dieser Instrumente ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsrecht, das insbesondere in Ägypten und Tunesien durch Kündigungsschutzklauseln und -fristen eine kurzfristige Reduzierung der Beschäftigten erschwert. 112 Zudem wird angeführt, dass die zu erzielenden Kosteneinsparungen eher gering seien, da man nur auf weniger qualifizierte Mitarbeiter verzichten könnte (LH-M5): „Die teuren [Mitarbeiter] bleiben ja meistens. Die billigen fallen dann weg, aber die machen es gerade nicht fett. Wenn sie zehn Kellner verlieren, haben sie Lohnkosten von 2.000 Pfund oder 3.000 im Monat [gespart].“ 113
Die obigen Ausführungen zeigen, dass die Effektivität Nachfrage stimulierender Krisenreaktionen in großen Teilen in Frage zu stellen ist. Doch über ihre zweifelhafte Effektivität hinaus bringen sie eine Reihe von unerwünschten Folgen und Problemen mit sich. Folgen und Probleme preispolitischer Instrumente Da durch Preissenkungen zumindest in einer akuten Krise kaum Nachfrage stimulierende Effekte für die gesamte Destination zu erzielen sind, lösen Preissenkungen eine Art Kannibalisierung des Angebotes aus, in denen ein Hotel dem anderen durch Preissenkungen Gäste abwirbt, wie folgende
112 Die relativ umfassenden Kündigungsschutzbestimmungen für Arbeitnehmer gerade in Ägypten lassen sich historisch durch ihren politischen Entstehungskontext im Rahmen des arabischen Sozialismus erklären. Eine kurzfristige Reduzierung der Arbeitnehmeranzahl wird daher überwiegend dadurch bewerkstelligt, dass Beschäftigte entlassen werden, die nicht offiziell angemeldet waren oder dadurch, dass Kettenzeitverträge mit kurzer Laufzeit nicht verlängert werden. 113 Dies entspricht im Frühjahr 2003 bei einem Kurs von 6,25 L.E./€ einem Betrag von etwa 320-480 €.
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Aussage eines Fünfsternehotel-Managers aus Kairo veranschaulicht (TNHU-RM7): „Und wir hatten mitten im Irakkrieg, letztes Jahr, da hatte ich mal die ganzen GMs eingeladen und einer ging mit der Rate runter (…). Und da habe ich gesagt: »So, dann erzähl mir doch bitte mal deine Marketing-Philosophie, wie viel mehr Kunden krieg ich jetzt nach Ägypten rein, wenn ich mit dem Preis auf 65 Dollar runter gehe von 105?« (…) Und da fing der John (…) an zu lachen, weil der wusste ganz genau, wo ich hin wollte. Ich hab gesagt: »Ich muss das mal fragen, (…) Du scheinst ein Marketingfachmann zu sein, erzähl mir doch mal, wie viele Kunden kommen deswegen jetzt mehr nach Ägypten« Und der John hat gesagt: »Ich kann dir das schon beantworten« Sag ich: »Erzähl mal« Sagt er: »Keinen einzigen. Nur, der kriegt sie alle von dir« Sag ich: »Danke, mehr wollte ich nicht wissen«.“
Nachfrage stimulierende Wirkungen für die gesamte Destination abseits einzelbetrieblicher Effekte zeigen sich erst, sobald die Sicherheitskrise abklingt und sich die Sicherheitswahrnehmung der potenziellen Touristen verbessert. In diesem Moment können Preisinstrumente durchaus eine Erholung der Auslastungsquoten beschleunigen, wie das Beispiel Hurghada gezeigt hat. Einem hohen Funktionär des tunesischen Hotelverbandes zufolge bringt dies jedoch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich. Durch das Absenken der Preise wird nämlich ein anderes Klientel angesprochen als vorher. Die Folge ist eine Substitution wohlhabender Touristengruppen durch vor allem Last-Minute- und All-Inklusive-Reisende. Diese Entwicklung wird von den Reiseveranstaltern befördert, um auf weniger lukrativen Märkten Geschäftsvolumen kreieren zu können (TNHU-EB2): „The problem with the tour operators right now is – they are not going for quality. They just need very low rates. That’s it, especially for the East Europeans as well as for the Russians. (…) They just need mass production and a very low rate.“
Der Area Manager eines britisches TNHU in Ägypten beschreibt diesen Prozess als Diversifizierung der Quellmärkte durch die Abwesenheit einer konsistenten Preispolitik, deren Ergebnisse zunehmend am Roten Meer zu sehen seien. Ein Vertreter der Egyptian Hotel Association schildert die Entwicklung folgendermaßen (V4): „The rates went down so we found new markets, who would never have been dreaming to come to this area. I mean, they couldn’t afford. For instance it’s now booming for the Russians in Sharm El Sheikh. Six, seven years ago you wouldn’t see a single Russians here in Sharm El Sheikh. There are Polish, there are Czech, some Eastern block countries they started to come to the area.“
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Aus dem Verfall der Preise und dem Wechsel der Kundenschichten ergeben sich vor allem für die hochklassige Hotellerie Probleme hinsichtlich ihres Markenimages, dem sie versuchen entgegenzuwirken (TNHURM17): „We do specify our will for tour operators, whom we want and where we want to get it from, not open market. (…) Sometimes we get people, who will not pay, we don’t want them, because they do not fit into the hotel here. (…) We have to maintain certain standards, and a certain (…) image. (…) We have some around, they can pay ten times what anybody else can. But I say »thank you very much, you know, we don’t have room.« We know, they will spoil the image and they spoil the customers we have.“
Insbesondere Friktionen mit den etablierten Kundengruppe bleiben vor einem solchen Hintergrund nicht aus und stellen ein großer Problem für die Hotels dar, die sich gefangen sehen in dem Dilemma Geschäftsvolumen zu produzieren und gleichzeitig ihre Kundenbasis nicht zu erodieren (LHM5): „Ich muss es mal so sagen, alle wollen einen Markt haben, und alle sagen sie, sie wollen ihn aber nicht, weil sie ihnen die anderen Märkte kaputt machen. Aber alle laufen diesen Märkten nach. Das sind Märkte, die man absolut braucht. Man kann nicht daran vorbei gehen. Dass ist, »if you sell peanuts, you get monkeys«, es ist das Sprichwort, das trifft auf die gerade auf die Reisehotellerie auf jeden Fall zu 100 % zu. Und wenn ich für »X« verkaufe, und dann kann ich nicht »Y« erwarten.“
Dass der durch Krisenereignisse verschärfte Preiswettbewerb nicht nur für einzelne Hotels ein Problem darstellt, wird deutlich, wenn man dessen Auswirkungen auf die Destinationsentwicklung betrachtet, die sich z. B. im Südsinai nach Ansicht eines Managers von einem exklusiven Zielgebiet hin zu einem Massenmarkt verschiebt (TNHU-EB2). „The Russian (…) like to come over here, especially to that area, to South Sinai and Sharm El Sheikh. They are everywhere. (…) The prices are very reasonable for them, mainly it’s the prices. (…) Now, there is the East Europeans and they are coming by, you know, I tell you, huge. So, now (…) we are depended on a mass production. (…) Not like before that this was exclusive.“
Wie der Vice President der FTH feststellt, führt die Substitution kaufkräftiger durch preisbewusste Touristen zu einer Verschlechterung der Profite. Dadurch geraten nicht nur die Hoteliers unter Druck, sondern auch andere touristische Dienstleister wie Souvenierhändler, Taxifahrer oder Guides, was diese leider oft dazu verleiten würde, die Touristen zu übervorteilen. Dadurch würde das Destinationsimage jedoch zusätzlich belastet, weshalb
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noch mehr kaufkräftige Touristen ausbleiben und sich der Druck auf die Angebotsakteure zusätzlich erhöhen würde. Vor dem Hintergrund sinkender Preise und eines sich verschlechternden Images äußern nicht wenige der Interviewten Befürchtungen, dass sich Ägypten und Tunesien zunehmend in Niedrigpreis-Destinationen verwandeln könnten. Folgen und Probleme von Kosteneinsparungen Diese Bedenken erhalten zusätzlich dadurch Nahrung, dass die fast immer mit einem steigenden Preis- und Kostendruck verbundene Schließung von Hotelteilen ebenfalls nicht unproblematisch ist. Mit ihr einher geht ein Verlust der Angebotskonsistenz, da eine Reduktion des Angebots für den Gast fast immer mit einem Qualitätsverlust verbunden ist – wenn man von den geschilderten technischen Möglichkeiten zu Abschaltung einzelner Gebäudeflügel absieht. Die Folge ist zwangsläufig eine steigende Kundenunzufriedenheit, da das faktische mit dem versprochenen Angebot nicht übereinstimmt (LH-M2): „Ich glaube das ist das Wichtigste überhaupt, dass man das hält, was man verspricht, ja. (…) Ich muss das bieten, was ich irgendwann mal verkauft habe oder angeboten habe. Und ich glaube, da kann sich Ägypten sicherlich noch verbessern, den Kunden nicht als unmündig zu behandeln (…) weil ich ein Billigpreis Urlaubsland bin. Also (…) ich muss einfach das bieten, (…) für was ich Geld verlange.“
Folglich können Hotelanlagen, die sich zur Schließung von Hotelteilen entscheiden, i d. R. den für ihre Klassifikation üblichen Angebotsstandard nicht halten (TNHU-EB10): „Es ist ja auch teilweise abenteuerlich, was die Leute hier Fünfsterne nennen. Die (…) müssen (…) irgendwo die Qualität reduzieren, um ihrem Preis, den sie anbieten, nahe zu kommen. Was ja eigentlich schizophren ist. (…) Entweder ich habe ein Produkt und verkaufe das zu dem Preis, ja, da muss sich der Preis dem Produkt anpassen. Was wir sehr oft sehen, gerade wenn die Zeiten so ein bisschen schwieriger werden, dann passt man das Produkt dem Preis an, den ich kriege. Ja, und das ist ja tödlich, weil (…) den Preis kriege ich von heute auf morgen geändert, die Qualität ja nicht.“
Auch Kosteneinsparungen durch personalpolitische Maßnahmen sind im Sinne der Qualitätssicherung gerade in Märkten mit einem Fachkräftemangel als problematisch zu beurteilen und können hohe Folgekosten nach sich ziehen. Entlassungen oder unbezahlter Urlaub wirken sich negativ auf die Motivation der Beschäftigten aus, wodurch die Angestelltenfluktuation steigen kann (LH-M2):
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„Ich meine, wir haben in dem Golfkrieg (…) unser ganzes Personal behalten. (…) Ich kann es mir nicht leisten, die Leute noch einmal zu schulen für ein halbes Jahr. (…) Das wurde damals mit dem Besitzer abgesprochen. (…) Und dann irgendwann muss ich die nach Hause schicken und dann finden die einen besseren Job. Dann fange ich ja wieder bei null an.“
Die erhöhte Personalfluktuation macht wiederum eine kontinuierliche Neuausbildung von Servicekräften erforderlich, so dass erhebliche Folgekosten entstehen und zwischenzeitlich negative Auswirkungen auf die Servicequalität möglich sind. Instrumente der Preispolitik und der Kostenreduktion beinhalten deshalb neben ihren Nachfrage- und Verlustvermeidungseffekten die Gefahr, das Image und die Reputation einzelner Hotels, oder einer ganzen Destination, zu beschädigen. Gelingt es den betroffenen Destinationen nach Krisen nicht, ihre Preise wieder anzuheben, werden sie nicht im Stande sein, den schleichenden Qualitätsverlust des Angebots und das sich deshalb verschlechternde Image aufzuhalten. Wie oben gezeigt sind nach überstandenen Krisen trotz steigender Nachfrage Preisreduktionen nur schwer rückgängig zu machen. Instrumente der Preispolitik bergen deshalb die Gefahr mittel- bis langfristiger Schäden für die Profitabilität der Hotels. Sie führen oftmals zu einem Verharren auf dem gleichen Preisniveau, während die Inputpreise weiter steigen. Renovierungen werden damit bspw. erschwert (THNU-RM7): „Wir können mit dem Geld einfach nicht mehr Rücklagen bilden. Wir machen zwar mehr Umsatz (…) aber (…) wenn ich jetzt eine Renovierung mache, (…) muss ich doch vieles von außen importieren. Ich kriege hier keine Fernseher von der Qualität, wie wir sie brauchen. Ich krieg hier keine Minibars, in der Qualität, die wir brauchen. (…) Das hat einen gewissen Domino-Effekt.“
Dadurch ergeben sich für die Hotels Probleme ihr Qualitätsniveau zu halten (TNHU-RM8): „The lower the yield, the less your margins and the more it effects the quality and service and what you are able to give.“
Das Ergebnis ist im schlechtesten Fall ein Teufelskreis. Wenn die Hotels ihre Qualität nicht halten oder anheben können, können Sie auch ihre Preise nicht erhöhen. Ohne höhere Preise fehlen ihnen aber die Mittel, um die Qualität zu halten. Ägypten fällt so bspw. zunehmend im Wettbewerb hinter Destinationen wie Dubai zurück (TNHU-RM13): „If you want to keep a level of hotels like the Dubais of this world or Beiruts of this world (…), you got to be able to reinvest in your building.“
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Das gleiche Problem wie für Ägypten sehen mehrere Befragte auch für Tunesien. Aufgrund der sinkenden Profite ergeben sich dort ebenfalls Schwierigkeiten bei der baulichen Erhaltung der Hotelanlagen. Viele Hotels würden deshalb aus der Substanz leben und könnten auf Dauer ihre Qualität nicht halten. Dies beschleunige die oben beschriebene Verschlechterung des Destinationsimages, weshalb zunehmend mehr Geld in Marketing investiert werden müsse. Die Nutzung von Preisinstrumenten erhöht zugleich den Druck auf den Return on Investment (RoI). Wenn, wie oben aufgezeigt, die Erholung der Nachfrage hinter den Erwartungen zurück bleibt, können Preisreduktionen erheblich die Refinanzierung von Hotelinvestitionen erschweren (LH-M2): „Es geht nicht darum jetzt das große Geld hier zu verdienen. (…) Es geht darum, dass man (…) Geld verdient, dass man auch damit abzahlen kann, was abzubezahlen ist. Ich kann nicht ewig zuschießen. Wie die das in Hurghada machen – verschiedene Hotels – ist mir ein Rätsel. (…) Ich weiß nicht, wie das finanzierbar ist.“
Wenn große Reiseveranstalter die prekäre Lage der Hotelbesitzer in Krisenzeiten ausnutzen und diese zum Abschluss von zwei bis drei Jahre laufenden Verträgen mit niedrigen Preisen drängen, kann die Profitabilität der Anlagen mittelfristig derart sinken, dass die gesamte Destinationsentwicklung durch die daraus resultierenden Liquiditätsengpässe der Investoren behindert wird. Die Folgen der sinkenden Erlöse für die Kapazitätsentwicklung wird in Kapitel 0 noch eingehender thematisiert. Nachfrage stimulierende Instrumente beeinflussen die Destinationsentwicklung auf der Makroebene jedoch nicht nur hinsichtlich des Kapazitätswachstums. Sie bringen einen abnehmenden wirtschaftlichen Nutzen für die gesamte Volkswirtschaft mit sich, da der wirtschaftliche Gesamteffekt stark von der Höhe der Ausgaben pro Tourist abhängt, wie die Reflexion eines Managers in Ägypten verdeutlicht (TNHU-RM12): „Because how beneficial is it to the economy, if you have x million tourists who are spending a very small sum of money per day? Because (…) with each individual who comes into your economy there is an addition and a subtraction. There are fixed costs in the economy that will not change. (…) If we have 20 million tourists [instead of eight], you would need more roads, you would need more transport, you would need more airports, you would need more etcetera, etcetera. (…) There is a long-term cost to building them. When those tourists arrive and if the implemental addition to the economy is very low, then you are not recovering your investment.“
Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass die Nutzung Nachfrage stimulierender Krisenreaktionsmöglichkeiten hochgradig kritisch zu sehen ist. Ihre positiven Effekte müssen erheblich in Zweifel gezogen
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werden und treten wenn überhaupt nur auf der einzelbetrieblichen Ebene auf. Aus der Perspektive einer gesamten Destination scheinen sie dagegen eher dazu beizutragen, ungünstige Marktstrukturen und bestehende Probleme ans Licht zu bringen und zu verschärfen. Bereits vor dem 11 September bestanden so bspw. in Tunesien laut Vertretern der FTH erhebliche Probleme.114 Der Markt habe eine zu starke Konzentration auf die westeuropäischen Quellmärkte und eine zu geringe Diversifikation des Angebots aufgewiesen. 115 Das Alter der Hotelanlagen und ihr teilweise schlechter Zustand aufgrund des ohnehin schon in der Vergangenheit niedrigen Preisniveaus hätten bereits vor den jüngsten Ereignissen erhebliche Qualitätsmängel mit sich gebracht. Insbesondere Teile der lokalen Hotellerie seien in Bezug auf Know-how nicht mehr auf dem Stand der Zeit gewesen und die Qualität des Personals sei teilweise nicht hinreichend. Diese Probleme verschärften sich durch den Nachfrageeinbruch im Zuge von Sicherheitskrisen und durch die Nutzung preispolitischer Instrumente. Gewalttätige politische Unruhen beinhalten insofern das Potenzial, katalytisch vorhandene Probleme zu verschärfen und durch die verbreitete Anwendung insbesondere preispolitischer Maßnahmen zur Entstehung einer Abwärtsspirale der Destinationsentwicklung hin zu Niedrigpreisdestinationen beizutragen.
5.1.3.3 Nutzung Nachfrage generierender Optionen Die Nutzung Nachfrage generierender Optionen ist weit verbreitet und wird vornehmlich von staatlichen Tourismusbehörden und der hochklassigen Vier- und Fünfsternehotellerie getragen. Zur Diversifizierung der Quellmärkte und der Erschließung neuer Nachfragerpotenziale schließen die Hoteliers gezielt Verträge mit Reiseveranstaltern ab, die für sie Geschäftsvolumen in neuen Quellmärkten generieren, oder sie bewerben selbst gezielt die neuen Märkte mit ihren unternehmenseigenen Marketingkanälen, wobei meist eine Kombination aus beiden Möglichkeiten Verwendung findet. Die Präsenz auf Tourismusmessen ist in diesem Kontext für die Hoteliers unabdingbar, da hier Kontakte zu Geschäftspartnern in den neu zu erschließenden Quellmärkten geknüpft und Verträge abgeschlossen werden. Sie werden dabei von den staatlichen Akteuren unterstützt, die Messestände für die Gesamtdestination buchen und Marketingaktivitäten direkt an die Endkunden adressieren, um so die Nachfrage in den jeweiligen Märkten anzuregen. Die verschiedenen Nachfrage generierenden Optionen stehen in enger Verbindung zueinander und können oftmals nur in einem Zusammenspiel realisiert werden.
114 Vgl. hierzu auch ONTT & AJCI 2001. 115 Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen der Analyse der statistischen Daten in Kapitel 4.1.1.
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Nutzung von Produktoffensiven Auffällig sind die seit dem 11. September vornehmlich in Ägypten und Tunesien laufenden Produktoffensiven. TNHU müssen kontinuierlich ihr Qualitätsniveau verteidigen, um ihren Markennamen als zentralen eigentumsspezifischen Vorteil zu schützen. Sie versuchen daher vor allem mit Renovierungen und Personalentwicklungsmaßnahmen die Markenkonsistenz zu bewahren. Das diesbezügliche Leitmotiv der hochklassigen TNHU bringt der Vice President Sales einer großen US-amerikanischen Hotelkette folgendermaßen auf den Punkt (TNHU-RM16): „We believe in being very competitive. I think we believe in giving value proposition to our customers.“
Daher versuchen einzelne, vor allem hochklassige Hotels mit kapitalkräftigen Eigentümern, sich aus eigener Kraft der Preisspirale mittels Renovierungen zu entziehen (TNHU-RM7): „Wenn wir unsere Zimmer mal renoviert haben, »na hallo«. Da freue ich mich schon. Da kann ich endlich mal arbeiten. Da kann ich mich endlich mal um das Wesentliche kümmern.“
Diese Anstrengungen stoßen jedoch nicht nur an Grenzen der Finanzierung. Einzelne Hotels oder Hotelketten können sich der Entwicklung der Gesamtmärkte nicht entziehen. Sie sind deshalb auf Unterstützung von nationalen Tourismusverbänden und staatlichen Akteuren angewiesen. Aufgrund einer massenweise verbreiteten, betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Unternehmenspolitik mit Hilfe Nachfrage stimulierender Instrumente ist eine Kannibalisierung des Angebots und die Entwicklung zu einer qualitativ minderwertigen Niedrigpreisdestination durch einzelne Betriebe oder Unternehmen kaum aufhaltbar. Insbesondere die qualitätsorientierten Hotelunternehmen sind daher für die Unterstützung ihrer Bemühungen durch die staatlichen Akteure dankbar (TNHU-EB2): „The Egyptian Hotel Association in South Sinai, and the Minister; they are following all the rates since last year. (…) We are following and focussing on the rates and anywhere any hotel is out of the frame, they are having a penalty and sometimes they reject, downgrade and reject the license to be approved (…). These are the actions being taken, which is very, very well. It helps us a lot.“
Dass die Tourismusbehörden in Ägypten und Tunesien verstärkt seit dem 11. September bestehende Qualitätsprobleme angehen, um mittelfristig die Destination zu schützen, die Preise und damit Erlöse anheben zu können und so einen größeren volkswirtschaftlichen Nutzen zu erzielen, kann durchaus als Bewusstseinswandel der staatlichen Akteure bezeichnet werden, wie ein Manager in Ägypten feststellt (TNHU-RM12):
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„Egypt is not only interested in the numbers game now, it is interested also in the spend per person story.“
War sowohl die ägyptische wie die tunesische Tourismuspolitik in den 1980er und 1990er Jahren vornehmlich auf die Steigerung der Touristenankünfte ausgelegt, so wächst seit der Jahrtausendwende das Bewusstsein in den staatlichen Institutionen und den privatwirtschaftlichen Tourismusverbänden, dass eine rein auf Quantität ausgerichtete Strategie volkswirtschaftlich nicht zielführend ist. Befördert durch die sich im Zuge des 11. Septembers verschärfenden Probleme, versuchen Tourismusbehörden und die Hotelverbände eine Qualitätssteigerung zu erreichen. Wie im obigen Zitat bereits deutlich wird, ist es ein wesentlicher Ansatzpunkt der Strategie von Politik und Verbänden, Preiskriege zu unterbinden. Ein Vertreter des ägyptischen Hotelverbandes erklärt die zwischen der EHA und dem Tourismusministerium vereinbarte Politik wie folgt (V4): „We started solving this problem since May 2003. There was a visit of the Minister of Tourism, Dr. Beltagi. He came here at this place and we had a very big conference with him here and another conference with the Hotel Association in Ritz-Carlton. This was in May 2003, the 15th. And we decided that we will have for instance like a mystery shopper system. Hotel Association will send mystery shoppers and they will do some procedures, for instance »are there menus in the rooms? A number of items on each buffet – breakfast, lunch and dinner?« so that you cannot go with your price down, if you have [these things]. (…) If you don’t have these items you will lose your stars.“
Der daraus resultierende Druck sorgt für eine stärkere Produktkonsistenz und eine Begrenzung des Preiskampfes. Der Hintergedanke besteht darin, nicht nur den volkswirtschaftlichen Nutzen zu maximieren, sondern einen Regulationsrahmen zu schaffen, der es den Hotels erlaubt, die nötigen Profite zu erwirtschaften, um ihr Qualitätsniveau zu halten und die Anlagen zu refinanzieren bzw. um notwendige Renovierungen durchführen zu können. Ein anderer Ansatzpunkt für Produktoffensiven ist im Servicebereich zu finden. Hier stellt vor allem die Qualifikation der Mitarbeiter ein Problem dar. In Ägypten ist dies im Speziellen auf die hohen Wachstumsraten der Hotelkapazitäten der 1990er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends zurückzuführen, mit der die Ausbildung des Personal nicht Schritt halten konnte (LH-M1): „Well, actually in Egypt there is a big gap in personal. (…)Our biggest problem now in Egypt is staff, qualified staff. There is a lot of people jobless and unemployment is there, you know what I mean. But qualified, I mean, I get people that sometimes are the first time to see a hotel, to come to work in a hotel. It doesn’t work. And this is not only in my case. It’s the case in Egypt. Because really, the
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number of rooms opened in the last 10 years compared to the number of qualified staff, the proportion is not well.“
Nach Auskunft eines Verbandsvertreters der FTH war auch in Tunesien die Ausbildungsquote in den vergangenen Jahren nicht hoch genug, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften decken zu können. Während der Bedarf im Land Anfang des neuen Jahrtausends bei rund 3.500 Absolventen der Tourismusfachhochschulen im Jahr gelegen hätte, wurden jährlich nur 1.000 junge Leute ausgebildet. Nach Ansicht der befragten Verbandsfunktionäre sowohl in Tunesien wie auch in Ägypten ist eine Qualitätsverbesserung des Services dringend geboten, will man das im Zuge der Sicherheitskrisen unter Druck geratene Preisniveau anheben. Auch die im Servicebereich vorexistierenden Mängel wurden durch das Auftreten der Krisen virulent und drängen auf eine Lösung. Dabei ist jedoch nicht nur die Wachstumsgeschwindigkeit der Tourismusbranche ein Problem wie ein Vertreter der EHA einräumt (V4): „Frankly speaking the expansion of this industry in Egypt is very big. The outcome of the education is not enough. Even those who are graduated from hotel schools and the university, let’s say the Faculty of Tourism or whatever. You cannot say that they are 100 % educated to be fit in a certain position.“
Der ägyptische Hotelverband hat deshalb ein Qualifizierungsprogramm aufgelegt, das sich vor allem auf die Servicemitarbeiter mit direktem Kundenkontakt konzentriert (V4): „The concept is that, you know, we concentrate on three occupations. The first service agent from the office, the waiter and restaurant server for the food and beverage, the room attendance for the housekeeping. According to the numbers done by the Ministry of Tourism (…) there are more than 45 thousand working on those jobs (…) all over the country. So to train this huge number you need a group of trainers. The idea was, is to make a departmental trainer in each hotel, so this program concentrates on supervisors. Every hotel sends us one of his potential supervisors (…) and we train him something called the CHDT, the Certified Hospitality Department Trainer. Actually it’s four, three days training and then two more days, we train him how to train his staff on the skills they need for the job and the information.“
Mit Hilfe dieser Schneeballstrategie soll möglichst schnell eine direkt für die Kunden spürbare Qualitätsverbesserung des Services erreicht werden. Wie der Manager einer TNHU in Tunesien dagegen betont, ist die Qualität der Ausbildung dort kein Problem, da die Hotelfachschulen ein hohes fachliches Niveau erreicht hätten. Ein Vertreter der FTH sieht das Qualifikationsproblem auch in der Hotellerie kaum gegeben, da diese durch hausinterne Schulungen viele Schwächen kompensieren würde.
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Qualifikationsprobleme würden jedoch in anderen Bereichen der Wertschöpfungskette, insbesondere bei Guides, Gastronomiemitarbeitern, den Incoming-Agenturen und im Transportsektor offen zu Tage treten. Auch die FTH bemüht sich daher in Zusammenarbeit mit den tunesischen Tourismusbehörden, durch gezielte Schulungsprogramme die Servicequalität zu erhöhen und die Ausbildungsquoten zu verbessern. Daneben wird versucht, durch Öffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung für den ökonomischen Stellenwert des Tourismus zu sensibilisieren, um Belästigungen und Übervorteilungen von Touristen zu minimieren. Dass die Qualitätsverbesserung auf Personalebene nicht nur eine kontinuierliche Aufgabe ist, demonstriert die Äußerung eines in Ägypten tätigen Hotelmanagers, der gerade in Instrumenten der Kostenreduktion durch personalpolitische Instrumente ein Potenzial identifiziert, um in Krisen eine Qualitätsverbesserung auf Personalseite zu erreichen (TNHU-RM7): „Man muss halt dann sehen, dass man die richtigen Leute sich behält (…). Weil hier hat man das System, nach drei Monaten kann man die Leute entlassen oder bzw. wird der Vertrag nicht verlängert und dann nach einem Jahr noch mal. Also (…) man [muss] sich dann wirklich die Zeit nehmen, zum Trainieren, zum Gucken, wen behält man, wen behält man nicht. Und dann das Team halt richtig gestalten. Und das haben wir gemacht. Wir haben also echt ziemlich stark umstrukturiert. Wir haben jetzt ein wesentlich besseres Team als wir es vorher hatten.“
In Tunesien identifiziert der Leiter der ONTT zudem einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssteigerung in dem stärkeren Engagement TNHU, für die sich das Land in Zukunft in einem größeren Umfang als bisher öffnen möchte, um seinem Image als preisgünstige Destination entgegen zu wirken. Eine langsam anlaufende Multinationalisierung des Angebots ist dabei durchaus zu registrieren, wie der Manager eines hochklassigen Hotels im Management eines TNHU auf Djerba bestätigt. Ein leitender Mitarbeiter der Tourismusbehörde führt dies maßgeblich auf einen Generationswechsel bei den Hoteleigentümern zurück. Dieser würde eine Qualitätsoffensive durch Multinationalisierung befördern. Die geschilderten Maßnahmen zu Produktoffensiven sind in den VAE bisher nicht Gegenstand der Debatte. Hierfür lassen sich mehrere Gründe anführen. Zum Einen haben sich die VAE bisher erfolgreich jeder Art von Preiswettbewerb entzogen. Qualitätsprobleme als Folge eines Preiswettbewerbs sind daher in den Emiraten kein Thema. Zum Anderen sind die Emirate klassische Ziele der Arbeitsmigration. Mangelnde Ausbildungsqualität ist insofern kein Problem, weil nur qualifiziertes Personal angeworben wird bzw. sich als untauglich erweisendes Personal relativ schnell ersetzt werden kann. Zunehmend findet jedoch auch in den Emiraten eine Qualifizierungsoffensive außerhalb der hotelinternen Schulungen statt. Diese zielt vornehmlich auf die Qualifizierung der eigenen Bevölkerung
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ab, um diese stärker in die Wirtschaftprozesse des Landes zu integrieren. Zuletzt ist der Hotelmarkt in den Emiraten so stark multinationalisiert, wie es weder die Märkte Ägyptens noch Tunesiens sind. Eine Qualitätssteigerung durch eine noch stärkere Multinationalisierung ließe sich daher kaum erreichen, zumal viele Luxushotelunternehmen bereits in den Emiraten und besonders in Dubai präsent sind oder dementsprechende Pläne verfolgen. Ein Beispiel unter vielen ist hier sind die Pläne für die Eröffnung eines Bulgari-Hotels in Dubai. Nutzung von Maßnahmen zur Marktdiversifizierung Anstrengungen zur Marktdiversifizierung wurden im Zuge der Ereignisse des 11. Septembers von fast allen Akteuren in allen Untersuchungsländern intensiv voran getrieben. Durch Marktdiversifizierung soll im Wesentlichen eine Streuung des Risikos erreicht werden (V4): „We don’t want to put all the eggs in one basket. The most important thing for this industry is the risk. Because you know, problems will rise all over the world and you don’t know what happened tomorrow here or there. So, if you put all your eggs in one market, (…) this is a very big risk.“
Die entsprechenden Diversifizierungsanstrengungen wurden durch das Einbrechen der Nachfrage im Zuge der Sicherheitskrisen angetrieben (TNHU-RM16): „You know, certain markets closed, we open certain other markets”
Dabei galt es aus Sicht der Hoteliers vor allem die Abhängigkeit von sicherheitssensiblen, Quellmärkten zu verringern (TNHU-RM18): „What we did is, (…) that was after September 11th, that we changed our market mix. And we really worked with customers that were less sensitive to risk. (…) So that’s what we did and that’s why the second time after the new Iraq War, we actually survived the crises much better.“
Galt es speziell im Sinai die Bedeutung des israelischen Quellmarktes zu begrenzen, stand insgesamt in Ägypten und Tunesien die Absicht im Vordergrund, die Abhängigkeit von den sicherheitssensiblen westeuropäischen Quellmärkten aufzubrechen (TNHU-RM10): „I think in some of the hotels that have been operating for a while before 9/11, there was a structure very much aimed at the Western European market. And that was diversified fairly quickly in order to get a sound of base for the longevity, especially on some of the resort properties down the beach.“
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Eine erfolgreiche Diversifizierung der Quellmärkte basiert dabei nicht unerheblich auf einem Zusammenspiel von staatlichen Akteuren in den Tourismusministerien und Fremdenverkehrsämtern mit privaten Akteuren aus der Hotellerie. Da nur TNHU einen hinreichend international aufgestellten Marktzugang besitzen, um eine Diversifizierung der Quellmärkte aus eigener Kraft zu betreiben, sind vor allem lokale Hotels auf die Unterstützung der Tourismusbehörden und -verbände angewiesen. Insbesondere in einem von TNHU nicht so stark durchdrungenen Markt wie Tunesien ist eine Beteiligung der staatlichen Akteure sowie der Tourismusverbände daher notwendig, um schnell und effektiv eine Marktdiversifizierung betreiben zu können. Eine Möglichkeit mit Marktdiversifizierung auf die wiederholt auftretenden Sicherheitskrisen zu reagieren hat sich – wie eine geraume Anzahl von Managern abseits der Tonaufzeichnungen ausführt – ironischerweise erst durch den Einmarsch der von den USA angeführten Truppen in den Irak entwickelt. Seitdem die USA im Zuge der Besatzung des Irak umfangreiche Truppen im Golf zusammengezogen haben, sind in den Nachbarstaaten des Irak an ausgesuchten Standorten sogenannte Rest and Recreation Programme (R&R) angelaufen, in denen US-amerikanische und britische Truppen zu „Front“urlauben in Hotels der umliegenden Länder geschickt werden. Insbesondere Kuwait und Jordanien haben in touristischer Hinsicht von den R&R Programmen sowie der Nachfrage der internationalen Presse, von Hilfsorganisationen und transnationalen Unternehmen profitiert. Ein wesentliches Problem bei der Durchführung von R&R Programmen ist die damit verbundene Nachfrage nach Prostituierten, weshalb einige Destinationen in der Arabischen Welt für derartige Programme praktisch nicht in Frage kommen. Entweder ist das dafür notwendige Angebot nicht in ausreichendem Maß vorhanden, oder Prostitution ist offiziell verboten und wird nur sehr begrenzt geduldet, weshalb das Angebot an Prostituierten schwer aufzufinden ist und für die Durchführung von R&R Programmen nicht ausreicht. Für eine Diversifizierung der Quellmärkte stehen abseits des militärischen Sondermarktes grundsätzlich drei Optionen zur Verfügung: eine Stärkung des intra-arabischen Tourismus, eine Erschließung osteuropäischer Märkte und die gezielte Öffnung der Tourismusdestinationen hin zu den aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften – allen voran China und Indien mit ihren wachsenden Mittelschichten. Während zwar viele der befragten Akteure von dem Potenzial der neuen asiatischen Märkte reden und äußern, diese in Zukunft stärker erschließen zu wollen, bleiben die diesbezüglichen Erfolge bisher recht begrenzt. Ein Anstieg des Marktanteils der Touristen aus Asien ist zwischen dem Jahr 2000 und 2003 in keinem arabischen Land zu verzeichnen (WTO 2007). Wie es scheint, müssen die diesbezüglichen Absichten vor allem im Sinne von Absichtserklärungen interpretiert werden.
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Die osteuropäischen Quellmärkte inklusive Russlands sind dagegen, wie in Kapitel 5.1.3.2 bereits diskutiert, durch die großen Reiseveranstalter vor allem mit Hilfe von Preisanreizen erfolgreich adressiert worden (TNHUEB2): „We shifted to the Russian as well as the East European [market]. (…) We went there and we encouraged the tour operators as well as the travel agents over here. They helped us a lot to grab a lot of business of these destinations.“
Dass die Erschließung der osteuropäischen Märkte insbesondere mit Hilfe der im Massenpauschalreisemarkt tätigen Reiseveranstalter erfolgt ist, wird daran deutlich, dass es von allen im Kapitel 4.3.4 betrachteten arabischen Ländern nur Tunesien und Ägypten zwischen den Jahren 2000 und 2003 gelungen ist, den Marktanteil der osteuropäischen Quellmärkte zu steigern. In Tunesien steigt ihr Marktanteil von 4 % auf 6 % während er sich in Ägypten sogar von 2 % auf 13 % erhöhen kann (WTO 2007). Ein gezielte Hinwendung zu den arabischen Quellmärkten mit verstärkten Marketinganstrengungen wird von vielen der befragten Managern für ihre Hotels in der gesamten Region geschildert (TNHU-RM18): „We went after the GCC market which was very successful. So now the GCC market is nearly 20% of our business from zero really.“
Während einige Manager berichten, dass sie ein Marketingteam für den GCC-Bereich neu aufgebaut oder zumindest verstärkt hätten, wird die Fokussierung des intra-regionalen Tourismus vielen befragten Managern nicht als etwas Neuartiges wahrgenommen. Sie sehen in dieser Strategie lediglich eine stärke Hinwendung zu Quellmärkten, die sie sowieso bereits in der Vergangenheit bedient hätten (TNHU-HQ1)116 : „The customer shift was already pretty driven by where they were. So, you know, it wasn’t as if we suddenly found the Red Sea empty and had to work out a market.“
Offensichtlich stellt sich bei einigen Akteuren sogar so etwas wie eine Habitualisierung in Bezug auf die Verschiebung ihrer Marketingaktivitäten in Krisenzeiten ein (TNHU-19): „Es gab also in den zwei Extremfällen 9/11 als auch dem Irak-Krieg sehr viel Panikreaktion. (…) Unsere erste und Hauptreaktion ist (…) immer, dass wir unser ganzes Gewicht auf die [Golf] Region dann konzentrieren“
116 Das Kürzel „TNHU-HQ“ bezieht sich auf interviewte Manager TNHU, die in deren Konzernzentralen tätig sind.
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Nutzung von Maßnahmen zur Produktdiversifizierung Da arabische Touristen andere Nachfragemuster aufweisen als Reisende aus Europa, müssen die Hotels ihre Angebotsstrukturen erweitern und ggf. anpassen, wollen sie sich diese Kundengruppe neu erschließen oder ihre Marktanteile in dieser Touristengruppe ausbauen. Eine Marktdiversifizierung geht daher oftmals mit einer Produktdiversifizierung einher. Für das unterhaltungsorientierte arabische Publikum beschränken sich die Anpassungen vornehmlich auf die Einrichtung von entsprechenden Freizeitangeboten, wie ein Kairener Hotelier veranschaulicht, der umfangreiche Neuerungen in seinem Hotel für die Sommersaison eingeführt hat (TNHURM7): „Also habe ich das ganze Hotel umgestellt (…) Ein Open Air Kino auf dem Dach mit 250 Sitzplätzen. Da kann man Shisha rauchen, man wird bedient, man kann trinken, essen, man guckt arabische Filme. (…) Die neuesten, die es hier auf dem Markt gibt. Dann (…) bauen wir eine kleine Go-Kart Bahn auf, eine Eisenbahn (…) für Kinder. Rutschbahnen und Spiele und Tischfussball und Computerspiele und so weiter. Und das läuft dann von mittags um fünf bis nachts um eins. Dann haben wir einen Nachtklub offen drei Tage die Woche mit vollem Programm bis morgens um vier, fünf Uhr. Dann haben wir die anderen vier Tage einen Bauchtanz (…) angefangen, und das (…) haben wir heute noch. (…) Dann haben wir die Öffnungszeiten geändert von zwei Restaurants. Das Egyptian Night ist jetzt offen bis vier Uhr morgens, also in der Zeit. Das Promenaden-Café ist auf bis morgens um vier. Und dann auch schon wieder ab sieben Uhr für Frühstück. Dann haben wir die, den Pool und Health Club aufgemacht 24 Stunden (…) und zwei Restaurants sind auch für 24 Stunden [offen].“
Ein anderer Hotelmanager in Dubai berichtet davon, dass er erst ein der Zielgruppe entsprechendes arabisches Serviceangebot schaffen musste, da vorher in seinem Hotel weder arabischsprachiges Servicepersonal noch arabisches Essen vorhanden war, was in der sehr stark von Arbeitsmigration geprägten Gesellschaft Dubais in einem Hotel mit Konzentration auf den europäischen Quellmärkten nicht ungewöhnlich ist (TNHU-RM18): „We did introduce (…) a »GCC concierge«, which is somebody who is in charge of any requests, speaks Arabic, and is there full-time. Because very often our GCC customers they want to, you know, have a table for 12 – now. You know, not more at eight o’clock, it’s, you know, has to happen now. And then they get very upset when it doesn’t happen. So we made sure that our reaction process was very quick, that we have people that speak Arabic because, you know, the worst thing is if somebody can’t communicate in an Arabic country. (…) And then the food, of course you know we did the mezzes and the fuls and so on, we adapted our F&B offering to their needs.“
Auch in Fujairah berichtet der Manager eines Hotels davon, dass das Angebot an arabischem Essen und arabischer Musik erheblich ausgeweitet
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worden ist. Über die beschriebenen Anpassungen hinaus werden weitere notwendig, will man ein konservatives arabisches Klientel ansprechen. Als Standard darf es bezeichnet werden, einen Koran in jedem Hotelzimmer zu haben, Gebetsräume anzubieten, Alkohol zumindest auf Nachfrage aus den Minibars zu entfernen oder seltener auch spezielle Frauenzeiten in den Fitnessbereichen der Hotels einzurichten (TNHU-RM16): „You have to accommodate all different needs (…) of the religious tourism. (…) I mean (…) they are bringing Arabic channels on TV in the rooms, they are putting prayer-knits in the rooms, they are putting Koran in the rooms and they are also building prayer rooms for example. (…) Dubai has took all these segments. If you want to be, there are, you know, Islamic hotels here, non-alcoholic hotels, you can go and stay there. (…) There are no bars in those hotels, and there is no entertainment.“
Andere Anpassungen sind dagegen in bereits existierenden Hotelanlagen nur mit höherem Aufwand zu realisieren. So berichtet ein Hotelmanager in den Emiraten, er habe die Zugänge zur Diskothek bzw. zum Nachtklub etwas zurückversetzen lassen, so dass sie nicht so auffällig wären. Ein anderer berichtet von einem Hotel im Oman, in dem Umbaumaßnahmen notwendig waren, um sowohl den Bedürfnissen der europäischen wie der arabischen Gäste zu entsprechen (TNHU-HQ1): „There is a private beach there, where people can act as if they were on a Western beach. But we had to build in two elevators. The main elevators you can’t go in your swimwear. The second elevator takes you straight from the guest floors (…) down (…) to the outdoors and not going into the lobby. So there is no risk that the people – any of the locals, when they are dining or anything – because it is still quite a traditional country – would be offended by the sight of some white British woman wandering through in her bikini.“
Den denkbaren Möglichkeiten, wie z. B. geschlechtergetrennte Poolanlagen, sind in bestehenden Hotelanlagen enge Grenzen gesetzt. Ein Reihe von Managern stellt in diesem Sinne fest, dass sie über Anpassungen ihrer Hotels nachgedacht hätten, ihnen aber schlicht die baulichen Möglichkeiten und der Platz fehlen würden. Der Director Lodging Development eines großen US-amerikanischen TNHU stellt dagegen klar, dass sich entsprechende Umbauten natürlich auch betriebswirtschaftlich rechnen müssen (TNHU-RM6): „At the end of the day, as I said, it’s the owner’s property. We manage it so we need to make sure as we will give the owner a certain, you know, request or ask them like, (…) it is possible to do a ladies pool, we’d suggest to do because we think it is viable. It must be commercially viable, if not we couldn’t do it.“
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In einer ganzen Reihe von Hotels – insbesondere in den Emiraten – sind Anpassungen der Hotelinfrastruktur gar nicht nötig, da die Hotels von Anfang an darauf ausgelegt sind, unterschiedliche Kundengruppen zu bedienen (TNHU-HQ1): „We didn’t have to change the settings of the hotels (…) – you know, suddenly put bidets in and more private bathing area (…). Because most of the hotels are either built to schedule one group or the other or whether there is any overlap you just build it to cope with both.“
So weisen insbesondere Appartementhotels in den VAE bereits oftmals geschlechtergetrennte Pools und Fitnessbereiche auf. Wichtiger als Anpassungsmaßnahmen im baulichen Bestand durchzuführen ist es daher, die Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen bei Neuplanungen von Hotelprojekten zu berücksichtigen. Dass angepasste Planungen zunehmend auch außerhalb der Golfstaaten sinnvoll sind, verdeutlichen die Ausführungen eine Repräsentantin des tunesischen Hotelverbandes. Sie betont, dass die stark gestiegene Anzahl von Touristen aus Libyen, die überwiegend in großen Familien nach Tunesien kommen, kein entsprechendes Angebot der Hotellerie vorfinden würde, da der Appartementhotelmarkt bisher praktisch nicht entwickelt sei. Dieses Klientel würde sich daher größere Villen anmieten, so dass die Hotelbranche von ihnen bisher kaum profitiert. Dies ist ein Anreiz dafür, dass mittlerweile auch die großen TNHU zunehmend darauf achten, Hotelanlagen zu managen, die für eine breites Publikum nutzbar sind. In diesem Sinn führt ein Manager einer europäischen Hotelkette aus, dass sein Unternehmen gerade an der Planung eines großen Stadthotels mit geschlechtergetrennten Bereichen beteiligt wäre. Das Hotel würde bspw. über eine Frauenetage verfügen. Auf dieser befände sich eine separate Lounge mit einem Café und die Etage werde von speziellen Sicherheitskräften bewacht. Auf der Frauenetage befände sich dann auch die nur für Frauen reservierte Fitnessanlage. Daneben wären noch ein Fitnessraum nur für Männer und ein gemischter Fitnessbereich in Planung. Eine Diversifizierung des touristischen Produktes wird als strategische Option vor allem von den Behörden und Verbänden propagiert. Mit ihr sollen neue touristische Märkte erschlossen werden, um so die Abhängigkeit vom Bade-, Kultur- und Geschäftsreisetourismus zu verringern. Religiöse Angebote im Sinne eines islamic tourism, ökotouristische Angebote in den Oasen und Wüsten sowie Abenteuertourismus in den Wüsten- und Bergregionen stellen laut des ägyptischen Tourismusministers Kernelemente der Diversifizierungsstrategie des Landes am Nil dar. Sie finden sich jedoch auch in den Strategien Tunesiens und der VAE sowie vieler weiterer arabischer Staaten. In Tunesien soll vor allem der traditionell starke Thalasso- und Wellnessbereich weiter ausgebaut werden, während die Expansion des Golf- und Shoppingtourismus in allen drei näher unter-
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suchten Ländern auf der Agenda steht. Tunesien plant zudem mit kleinen Boutiquehotels 117 stärker in höherpreisige Märkte vorzustoßen und möchte hier vor allem für wohlhabende Individualreisende interessant werden. Der Leiter der ONTT bemerkt dazu im Gespräch (PB3): „Massentourismus haben wir jetzt genug.“
Bewusst ist man sich in dem Maghrebland auch darüber, dass die Attraktivität der touristischen Infrastruktur durch Bausünden der Vergangenheit z. T. stark gelitten hat. Nach Aussage des Vizepräsidenten der FTH ist die Bebauungsdichte an den Küsten teilweise zu hoch, so dass die Pläne der Regierung darauf abzielen, in Zukunft eine solch dichte Bebauung nicht mehr zuzulassen und auch die Höhe der Gebäude in den nördlichen Waldgebieten und in den Oasen der Baumhöhe anzupassen. Wie oben bereits angerissen steht die Realisierung verschiedener Nachfrage generierender Optionen oft in enger Verbindung zueinander. Alle drei Optionen können häufig nur in einem Zusammenspiel realisiert werden. Ihre Realisierung ist daher verglichen mit der von Nachfrage stimulierenden Optionen vergleichsweise komplex und aufwändig.
5.1.3.4 Effektivität und Folgen der Nutzung Nachfrage generierender Optionen Nachfrage generierende Krisenreaktionen haben sich in der Arabischen Welt als überaus erfolgreich erwiesen. Effektivität von Maßnahmen zur Marktdiversifizierung Durch die Anwendung von Instrumenten zur Marktdiversifizierung konnten, wie bereits in Kapitel 5.1.3.3 ausgeführt, absolute und relative Verringerungen der Touristenzahlen aus den traditionellen Quellmärkten Westeuropas in der Arabischen Welt abgefedert und teilweise sogar überkompensiert werden. Allerdings wird auch die Effektivität Nachfrage generierender Optionen von einigen interviewten Managern kritisch hinterfragt und beleuchtet. Ein Hotelmanager in Tunesien betont in diesem Sinne, dass Anstrengungen zu Marktdiversifizierungen als kurzfristig angelegte Krisenreaktionen sinnlos seien. Er stellt heraus, dass derartige Anstrengungen insbesondere im Pauschaltourismus eine Vorlaufzeit von mindestens einem halben bis dreiviertel Jahr bräuchten, bis sie deutlich sichtbare Früchte trügen. Marktdiversifizierungen scheiden insofern als unmittelbare Krisenreaktionen aus, solange damit nicht nur eine Schwerpunktverlage-
117 Mit dem Begriff Boutique-Hotels werden i. d. R. kleine und sehr luxuriöse Hotel bezeichnet, die oft als Eigentümerbetriebe geführt werden und sich von den großen Hotelketten durch einen individuellen Service und eine individuelle Ausstattung abheben.
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rung der Marketingaktivitäten in ohnehin bediente Quellmärkte gemeint ist. Die bewusste Entscheidung für eine Marktdiversifizierung setzt insofern ein Problembewusstsein voraus, das über den Zeithorizont einzelner Krisen hinausreicht. Dass diese von vielen befragten Unternehmen verfolgte Diversifizierungsstrategie aufgegangen ist, lässt sich jedoch nicht unbedingt dem Marketinggeschick der Unternehmen zuzuschreiben, wie der folgende Manager aus Kairo mit Blick auf den intra-arabischen Tourismus erklärt (TNHU-RM7): „Also habe ich das ganze Hotel umgestellt, was wir dieses Jahr auch wieder machen, auf den Markt. Wir haben also darauf hingearbeitet. (…) Wir haben wirklich gedacht, was machen wir, um diesen Markt wirklich zu kriegen auch. Hätten wir eigentlich gar nicht machen brauchen, weil die kamen sowieso.“
Führt eine Vertreterin des tunesischen Hotelverbandes die gestiegene Anzahl intra-regionaler Touristen in Tunesien vor allem auf eine signifikante Verbesserung der bilateralen Beziehungen des Landes mit seinen Nachbarn zurück, so äußern vor allem für Ägypten, die Levante und die Arabische Halbinsel zuständige Hotelmanager TNHU, dass die Verschärfung des Klimas gegenüber arabischen Reisenden in den USA und Europa diese zur intra-regionalen Verlagerung ihrer Reisen animiert habe (TNHU-RM9; TNHU-EB10): „The same time the Americans have treated local Arabs following September 11th in a very heavy handed and world-wide related manner.“ „Das ist (…) eine natürliche Entwicklung, weil Amerika zu ist, Europa fast zu. Ja, denn wer möchte gerne zwei Stunden an einem Flughafen in Paris oder New York oder wo auch immer stehen, und da gefilzt werden bis zum geht nicht mehr. Jeder der ein Kopftuch und einen Bart trägt, (…) hat den Finger ja schon am Abzug. Und das lassen die Leute sich nicht mehr gefallen. Und das hat man ganz deutlich gemerkt. Und das hat man gemerkt in Beirut ganz deutlich. Das hat man gemerkt in Kairo.“
Dabei haben sich nach Auskunft eines Vice Presidents eines TNHU die Reisen vor allem weg von den europäischen Großstädten hin zu Beirut und anderen arabischen Städten verlagert (TNHU-RM8): „The Arab nations generate a less comfortable travelling outside Arab speaking countries now. And if you talk to some of my colleagues in Europe, particularly places like Paris, Geneva, London, where the Arab population would normally populated at given periods of time, they are not there anymore. They’re here or they’re in Beirut or they’re in some Arab speaking destination, where they can go and have fun and do whatever they wanna do.“
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Es sind daher vor allem die städtischen Destinationen in der Arabischen Welt, die von einer Belebung des intra-arabischen Tourismus profitieren. Sein Ausbau ist daher nicht eine für alle Hotels gleichermaßen vielversprechende Möglichkeit. Dennoch zeichnet sich ein langsamer Wandel der Nachfragemuster im intra-arabischen Tourismus ab, registriert doch eine große Anzahl der Gesprächspartner aller Akteursgruppen eine zunehmende arabische Nachfrage in den Resortstandorten. Dass der Trend der Verlagerung von Urlaubsreisen weg aus Nordamerika und Europa hin zu intra-regionalen Reisen auch im Laufe des Jahres 2003 noch anhält, ist jedoch nicht nur der politischen Situation geschuldet, sondern wird durch weitere Faktoren verstärkt, wie die Aussage eines Kairener Hoteliers zeigt (TNHU-RM7): „Die kamen (…) weil SARS im Fernen Osten, (…) Bush in Amerika, Euro in Europa. (…) Die kamen in den Libanon und zu uns. Und das lief, das lief und das wird dieses Jahr auch wieder laufen.“
Die Fokussierung auf eine Steigerung des intra-arabischen Tourismus ist zudem nicht ohne Schwierigkeiten. Ein wesentliches Problem liegt dabei in der Saisonalität der Nachfrage, weshalb arabische Touristen kaum etwas zu einer konstanten ganzjährigen Grundauslastung der Hotels beitragen können (LH-M1): „Arabs are coming in a very limited time. They come in July, August. And they come in the midyear vacation, which is generally in end of December beginning of January. You cannot build your strategy on, from our point of view, on this is short business.“
Auch bezüglich der Entwicklung in den osteuropäischen Märkten wird von einem Managing Director eines mit einem Reiseveranstalter verbundenen TNHU in Frage gestellt, ob die dort erzielten Erfolge das Ergebnis einer gezielten Diversifizierungsstrategie sind, oder ob die Entwicklung nicht durch die Quellmärkte selbst voran getrieben wurde (TNHU-RM14). „It sounds very nice, it sounds very nice. What actually happened is that the Russian market, the Eastern Europe market, have simply liberated by themselves.“
Dass die Diversifizierung der Quellmärkte das Ergebnis eines willentlich herbeigeführten Prozesses sind, bezweifelt auch der Director of Operations Egypt einer britischen Hotelkette (TNHU-RM13): „It’s diversified because in the absence of a real politics of pricing, then the other people who are ready to come for this price, right.“
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Erfolgt die Diversifizierung, wie bereits diskutiert, in diesem Sinn als unintendierte Handlungsfolge preispolitischer Maßnahmen, können sich daraus Probleme mit der Konsistenz der Kundengruppen ergeben, wie weiter deutlich wird (TNHU-RM13): „So if you fall into, what I call a certain category of travel, you gonna take it to a certain category of guests, like you have to be ready for it. And you see that more and more on the Red Sea.“
Ein anderer Hotelmanager in Tunesien hebt in diesem Diskussionszusammenhang besonders hervor, dass die Erschließung des russischen Marktes durch preispolitische Instrumente problematisch sei, da Russen bei westeuropäischen Gästen ein schlechtes Image hätten. Dies führe dazu, dass letztere ein Hotel mieden, wenn der Anteil russischer Gäste ein deutlich wahrnehmbares Ausmaß annehme. Das jeweilige Hotel sei dann „verbrannt“ – insbesondere bei Kunden in der Luxuskategorie. Die Frage, ob die Erschließung, bzw. der Ausbau komplementärer Märkte hauptsächlich Veränderungen auf der Nachfrage- oder auf der Angebotsseite geschuldet ist, erscheint mit ihrer „Entweder-Oder“ Struktur aus meiner Sicht nicht weiterführend. Vielmehr drängt es sich auf anzunehmen, dass für die erfolgreiche Erschließung neuer Märkte sowohl Veränderungen auf Seiten der Nachfrage wie des Angebots notwendig sind. Effektivität von Produktoffensiven und Maßnahmen zur Produktdiversifizierung Ergebnisse von Produktoffensiven liegen bisher nur sehr beschränkt vor. Soweit sich in Bezug auf Personalfortbildungen bereits erste Ergebnisse abzeichnen, scheinen diese Mut zu machen, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Eine Fortbildung des Personals beinhaltet nicht nur das Potenzial die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, sondern kann auch einen Betrag zur Kostensenkung und Einnahmesteigerung leisten, da in der Folge die Produktivität steigt, während (kostenintensive) Fehler seltener werden (V4): „We have some ideal results of even increasing revenues in some outlets, decreasing errors in some places, decreasing costs in some properties.“
Weil darüber hinaus gehende Produktoffensiven und die beabsichtigten Produktdiversifizierungen erst mittel- bis langfristig zum Tragen kommen dürften und zudem kontinuierliche Veränderungsprozesse voraussetzen, ist eine Effektivitäts- und Folgenabschätzung zum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegenden Arbeit noch nicht möglich. Hier wäre eine Evaluation mit einem Zeitabstand von mindestens acht bis zehn Jahren sinnvoll. Trotzdem erscheinen die gewählten Strategien als sehr sinnvoll und zukunftsträchtig.
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5.1.3.5 Nutzung organisationaler Optionen Die Nutzung organisationaler Krisenreaktionsmöglichkeiten fällt im Vergleich zu der Nachfrage stimulierender und generierender Optionen verhalten aus. Bezüglich organisationaler Krisenreaktionen lassen sich Krisenreaktionen in Bezug auf bestehende oder bereits angelaufene Projekte und Krisenreaktionen hinsichtlich neuer oder zukünftiger Vorhaben unterscheiden. Die nachfolgenden Abschnitte werden diese Unterscheidung immer wieder aufgreifen. Anpassungen der Engagementsintensität TNHU Eine Anpassung der bestehenden Engagementsintensität zur Risikoreduzierung kann bei keinem der befragten TNHU festgestellt werden. Die Struktur der Managementverträge und die Anteile der in ihnen festgelegten fixen bzw. gewinnabhängigen Managementgebühren haben sich nicht im Sinne einer Risikominimierung verändert, wie stellvertretend für viele andere die Aussage des Director of Business Development einer großen europäischen Hotelkette veranschaulicht (TNHU-RM4): „No attempts to reduce operation fees due to security reasons have been undertaken.“
Der Vice President Development eines britischen Hotelunternehmens erklärt diesen Umstand folgendermaßen (TNHU-HQ2): „It [the construction of management contracts] is still very standard. If you speak to any, (…) operator, generally speaking, they will take a percentage of total revenue and they will take a percentage of total profit. So, I mean, the fact is, that yes, clearly if profitability declines then we take a lower fee, but we don’t have any financial exposure as such. (…) If the hotel would have run completely empty and didn’t generate any revenue then obviously we wouldn’t take a fee, but we wouldn’t have any mortgage to service or any equity invested.“
Eine Veränderung der Betreiberformen kann ebenfalls in der Arabischen Welt nicht beobachtet werden. Eine Umwandlung von risikointensiveren Pacht- oder Mietbetrieben in Managementbetriebe hat anscheinend nicht stattgefunden. Dies wäre vor allem in Tunesien eine Handlungsoption für Hotelunternehmen gewesen, da dort einige (Club-)Hotels als Mietbetriebe geführt werden. Auch ein Rückzug von Hotelunternehmen aus bestehenden Managementverträgen und die Aufgabe einzelner Standorte oder Hotels ist nicht bekannt geworden. Anpassungen des Investmentportfolios Auf Seiten der befragten Hotelinvestoren lässt sich keine Tendenz erkennen, ihr Investmentportfolio zugunsten einer Risikominimierung zu verändern. Das bedeutet jedoch nicht, dass Unternehmen nicht in Konkurs ge-
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gangen oder wegen eines drohenden Konkurses verkauft worden wären. Diese Veränderungen sind jedoch nicht als Nutzung organisationaler Handlungsoptionen im hier verwendeten Sinne zu verstehen, da ihnen keine strategische Absicht unterliegt, sondern operationale, betriebswirtschaftliche Zwänge handlungsleitend sind. In einem speziellen Fall in Ägypten wurde jedoch bekannt, dass Hotelinvestoren auch Hotelanteile als Krisenreaktion verkauft haben. Aber auch in diesem Fall geht die Entscheidung der Investoren nicht auf strategische Erwägungen, sondern auf betriebswirtschaftliche Zwänge zurück. Der angesprochene Fall wird im Zuge der Thematisierung von Marktinterventionen staatlicher Akteure noch näher erläutert. Die Möglichkeit der Anpassung des Investmentportfolios wurde ebenfalls von keinem der befragten TNHU, die mit Kapital an Hotelanlagen in der Arabischen Welt beteiligt sind, genutzt. Anders sieht es mit einer potenziellen Änderung der Betreiberformen und der Anpassung der Investmentportfolios im globalen Maßstab aus. Hier berichten einige Manager von einer allgemeinen Tendenz der TNHU sich aus Kapitalbeteiligungen und Mietverträgen zugunsten von Managementverträgen zurückzuziehen. Diese bereits vorher angelaufene Entwicklung sei durch die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers verstärkt worden (TNHU-HQ2): „In the past we used to own hotels, we used to invest our money in hotels, we used to lease hotels. In fact until very recently we used to lease hotels. (…) The lessons of the last few years, particularly subsequent to 9/11 (…), most hotel operators that you speak to, moving away from the ownership or real estate and investment in real estate, really concentrating instead upon hotel operations and therefore managing hotels on behalf of owners in return for fees.“
Persistenz organisationaler Strukturen TNHU in der Arabischen Welt Die organisationalen Krisenreaktionen TNHU in der Arabischen Welt reflektieren die oben beschriebene globale Entwicklung offenbar nicht. Eine Veränderung ihrer strategischen Positionierung ist in dieser Hinsicht nicht feststellbar. Interessanterweise werden auch ihre Expansionspläne anscheinend kaum durch die wiederholt auftretenden Krisen seit dem 11. September beeinflusst, wie in einer typischen Aussagen eines Vice Presidents Development eines britischen TNHU deutlich wird (TNHUHQ2): „Frankly speaking, after 9/11, I think we felt very little impact in terms of our development pipeline.“
In Tunesien sehen sich im Jahr 2003 entgegen dieses vorherrschenden Trends zwei TNHU dazu veranlasst, jeweils zwei geplante Expansionsprojekte einzufrieren. Es muss allerdings betont werden, dass abgesehen von
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diesen beiden Ausnahmen organisationale Krisenreaktionen der TNHU nicht feststellbar sind. Von einer Verlangsamung der Multinationalisierung der Hotelwirtschaft seit dem 11. September – wie sie analog der Arbeit von SIMON (2002) zu erwarten wäre – kann folglich nicht die Rede sein. Organisationaler Krisenreaktionen der Hotelinvestoren Die Persistenz organisationaler Strukturen der TNHU sind nicht gleichbedeutend damit, dass organisationale Krisenreaktionen nach dem 11. September nicht vorkommen würden. Sie werden allerdings in erster Linie von den Akteuren ergriffen, die Kapital in Hotelanlagen investiert haben. Dies erklärt, warum TNHU bezüglich der Anwendung organisationaler Krisenreaktionen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die in Kapitel 0 beschriebenen sinkenden Gewinnmargen in Tunesien und Ägypten üben in Krisenzeiten einen erheblichen Druck auf die (Re-) Finanzierbarkeit von Renovierungsmaßnahmen oder von neuen Hotelprojekten aus. Als Folge der sinkenden Einnahmen ist sowohl bei den TNHU, die mit Kapitalbeteiligungen in der Region tätig sind, wie bei den arabischen Hotelinvestoren eine Investitionszurückhaltung in Tunesien und Ägypten zu bemerken, wie die folgenden beiden Manager erklären (TNHU-RM14; LH-M4): „Of course there was a slow down during 9/11, after 9/11. Because, I mean, when your revenues are decreasing, your properties are decreasing, and then therefore you have less, you have less cash to do this.“ „Was wir halt gemacht haben, wir haben dann (…) nicht investiert.“
Das Ausmaß der Investitionszurückhaltung ist jedoch nicht nur von der Preisentwicklung, sondern auch von der Finanzierungssituation der Hotelanlagen abhängig. In Tunesien sind z. B. viele der Hotels aufgrund ihres Alters bereits abgeschrieben. Die sinkenden Zimmerpreise führen deshalb hier nicht zu Kreditrefinanzierungsproblemen, sondern behindern in erster Linie die Rücklagenbildung der Hoteliers (vgl. Kapitel 5.1.3.2). Wie eine Vertreterin der FTH erklärt, reagieren diese hierauf mit einer Verringerung bestandserhaltender Investitionen, so dass die Hotels aus der Substanz leben müssen und es zu dem bereits beschriebenen kontinuierlichen Qualitätsverlust der Hotelanlagen kommt. Ein gleichartiger Effekt lässt sich z. T. auch bei älteren ägyptischen Hotels beobachten. Dauert die Investitionszurückhaltung in bestehenden Hotelanlagen länger an, birgt sie die Gefahr, zu der bereits in Kapitel 0 beschriebenen drohenden Degradation der gesamten Destination beizutragen. Zu einem existenziellen Problem entwickeln sich die sinkenden Gewinne dann, wenn die Eigenkapitalausstattung der Hotels unzureichend ist und die Anlagen zu einem zu großen Teil über Kredite finanziert werden. Eine noch laufende Kreditfinanzierung der Hotelanlagen ist vor allem in
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Ägypten aufgrund der späten Boomphase der dortigen Kapazitätsentwicklung ab Mitte bis Ende der 1990er Jahre anzutreffen. Hier ergibt sich denn auch ein wesentlicher Unterschied der Situation in Ägypten zu der in Tunesien und den VAE. Während die Anlagen in Tunesien bereits zu einem erheblichen Teil abgeschrieben sind und die Hoteleigentümer auf der Arabischen Halbinsel über eine hinreichende Kapitalausstattung verfügen, um auch Liquiditätsengpässe zu überwinden, stellt sich die Kreditfinanzierung vieler ägyptischer Hotelanlagen als problematisch dar. Wie Interviewpartner wiederholt berichten, seien Kredite in Ägypten oftmals hoch risikobelastet, da die Eigenkapitalausstattung häufig unzureichend gewesen sei. Ein kurzfristiger Einbruch der Liquidität führt vor einem solchen Hintergrund zu einer sofortigen Gefährdung der Zahlungsfähigkeit und dem Risiko des Konkurses und damit des Kreditausfalls (TNHU-RM7): 118 „Die [Hoteleigentümer] bauen hier, die investieren Geld, was sie nicht haben, ja. (…) Die leihen sich das Geld. (…) Und dann müssen sie sehen, dass sie das Geld rauskriegen. Da werden Abschlüsse gemacht teilweise, das hält man nicht aus. (…) Die bleiben einfach nur im Cashflow drinnen, aber die werden nie Abtrag fürs Hotel zahlen. Die müssen Refinanzieren oder Schulden aufstocken oder die Bank schreibt was ab oder weiß der Teufel was. Ich weiß nicht, wie sie’s machen. (…) Normalerweise müssten die schon längst alle pleite (…) sein.“
Das sich im Zuge der zweiten Intifada im Jahr 2000 und des 11. Septembers 2001 erheblich verschärfte Kreditrisiko führt vor diesem Hintergrund dazu, dass die Banken die Kreditvergabe für Hotelprojekte in Ägypten, und hier insbesondere auf dem Sinai, deutlich restriktiver handhaben als früher (I3): „The banks are not offering any loans in the last few years (…). The tourism industry is not favourite anymore by banks.“
Wie in Hintergrundgesprächen abseits der Tonaufzeichnung von mehreren Gesprächspartnern ausgesagt wird, sei die Kreditpolitik in Ägypten jedoch nicht allein auf eine höhere Risikobewertung für Tourismusprojekte nach dem 11. September oder eine zu geringe Eigenkapitalausstattung der Hotels zurückzuführen. Die Gründe seien vielmehr in Problemen im Finanzsektor Ägyptens zu suchen, die zu einer Kapitalknappheit und zu einer
118 Dieser Umstand mag eventuell dazu beitragen, die in Kapitel 5.1.3.2 beschriebene, z. T. nicht mehr nachvollziehbare Preispolitik einzelner Hoteleigentümer zu erklären, da diese in der geschilderten Situation ohne Rücksicht auf mittelfristige Folgen existenziell darauf angewiesen sind, Umsatz zu generieren und so ihre Liquidität zu erhalten.
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neuen Vorsicht gegenüber der Finanzierung von Tourismusprojekten kurz vor der Jahrtausendwende geführt hätten. In der Boomzeit des Hotelkapazitätswachstums in den 1990er Jahren sei eine häufig auftretende Mischung aus Kreditbetrug von Investoren und Korruption von Bankmitarbeitern zu beobachten gewesen, die zur Entstehung einer großen Zahl an Hochrisiko behafteten, faulen Krediten geführt habe. 119 Demnach sind trotz geringer Eigenkapitaldecken bemerkenswert hohe Kredite für Hotelprojekte genehmigt worden. Ein Teil der Kreditsumme sei anschließend als Bestechung an die Entscheidungsträger der Banken geflossen, ein weiterer Teil der Kreditsumme sei von den Investoren als Vermögen ins Ausland verschoben worden. Insbesondere letzteres habe die Nachfrage nach Devisen in Ägypten explodieren lassen. Oft seien dann nur etwa zwei Drittel der Kreditsumme in das eigentliche Projekt geflossen. Mit diesen Mitteln wäre es aber nicht möglich gewesen, Hotelprojekte zu realisieren, die den im Kreditantrag und in den Projektplänen angegebenen Standards entsprochen hätten. Die Folge seien erhebliche Qualitätsmängel gewesen. Die Hotels hätten deshalb zwar oft eine Fünfsternekategorisierung erhalten, jedoch nur dem Standard von Dreisternehotels entsprochen. Aufgrund dieser Diskrepanz sei es schwierig gewesen, die notwendigen Einnahmen zur Kredittilgung zu erzielen. Als dann Nachfrage und Preise einbrachen, sei es den Investoren nicht mehr gelungen, ihre Kredite zu bedienen. Da ägyptische Banken sich in großem Maßstab im Tourismus engagiert hätten, habe dies massive Probleme im Bankensektor Ägyptens nach sich gezogen, 120 woraufhin die Banken mit einer Restriktion der Neukreditvergabe reagiert hätten.121
119 Auch wenn diese Aussagen weder in makrowirtschaftlicher noch in einzelbetrieblicher Hinsicht im Rahmen dieser Arbeit nachprüfbar sind, erscheint es gerechtfertigt sie vorzustellen, da die beschriebenen Zusammenhänge von mehreren Gesprächspartnern geschildert wurden und vor dem Hintergrund der nachfolgend ausgeführten statistischen Dateninterpretation plausibel erscheinen. 120 Gleichartige Vorgänge lassen sich zu dieser Zeit auch in anderen Immobilienteilmärkten in Ägypten, insbesondere im Zuge des Baus von Gated Communities beobachten (MEYER 2004: 143). Die Liquiditätskrise des ägyptischen Bankensektors darf daher nicht allein auf Unregelmäßigkeiten in einem bestimmten Wirtschaftssektor zurückgeführt werden, sondern hat ihre Gründe in weitverbreiteter Korruption, erheblichen strukturellen Problemen der Bankenaufsicht und häufigen Fällen von Kreditbetrug, die anscheinend bei jeder Art von Immobilienprojekten aufgetreten sind. 121 Die existierenden Finanzierungsprobleme ägyptischer Investoren für neue Hotelanlagen haben sich durch die zwischen 1999 und 2005 vorhandenen Schwierigkeiten Ägyptens, seinen Devisenbedarf zu decken (EIU 2004: 57f; EIU 2006: 41), erheblich verschärft. Dadurch wurde es auch für solvente Hotelinvestoren schwierig, Zugang zu Devisen zu erhalten. Ohne diese ist jedoch ein Hotelneubau oder eine Grundrenovierung nicht möglich, da viele Hotelausstattungsgegenstände wie Küchengeräte oder Haus-
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Wenn diese Schilderungen zutreffen, lässt sich der starke Rückgang der Hotelinvestitionen in Ägypten (vgl. Abbildung 26) nicht allein aus der strategische Erwägung erklären, dass Investoren vor dem Hintergrund sinkender Preise und Nachfrage in Krisenzeiten den Zeitpunkt des Markteintritts ihrer geplanten Projekte genau abpassen müssten, wie es der Director of Lodging Development Middle East einer großen USamerikanischen Hotelkette erklärt (TNHU-RM6): „You know, timing is definitely of essence, you know, when you enter a market. You might enter it at a very bad period and then you have the first few years not performing very well then of course it defects your return on investment for the owners. So it’s definitely important to make sure that (…) we enter at the right time.“
Abbildung 26: Entwicklung der Investitionen in Hotels und Restaurants in Ägypten, Tunesien und den VAE zwischen 1997 und 2003
Indexwert (1997=100)
200
150
100
50
VAE Anm.: Quelle:
Ägypten
200 3
200 2
200 1
200 0
199 9
199 8
199 7
0
Tunesien
Daten für Ägypten beziehen sich auf die Fiskaljahre 1997/98 bis 2003/04 CBE 2006; MoP 2005; ONTT div. Jahre; eigene Berechnung
Vielmehr scheint vor allem die Art der Hotelfinanzierung eine erhebliche Wirkung auf die Investitionen und damit auch die Kapazitätsentwicklung auszuüben. Werden Neubauten vornehmlich durch Kredite von wenig solventen Investoren finanziert, ist in Krisenzeiten offenbar mit einem Rückgang der Bautätigkeit zu rechnen, da sich dann nicht nur die wirtschaftlitechnik importiert werden müssen. Die Krise ägyptischen Finanzsektors trug so insgesamt erheblich zu der Verlangsamung der Kapazitätsentwicklung in Ägypten bei.
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chen Rahmenbedingungen verschlechtern, sondern auch der Kapitalzugang erheblich durch eine restriktivere Kreditpolitik der Banken erschwert wird. Dies behindert und verteuert auch für solvente Investoren die Finanzierung neuer Hotelprojekte, so dass es nicht nur zu einem Ausfall der bestandserhaltenden Investitionen kommt, sondern auch ein Rückgang der Neubauten unvermeidlich wird. Die zu verzeichnenden Krisenreaktionen der Hotelinvestoren sind deshalb offenbar im Wesentlichen nicht auf strategische Erwägungen, sondern eher auf die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und auf die Finanzierungsmodi der Hotelanlagen zurückzuführen. Diese Interpretation liefert einen möglichen Erklärungsansatz für die statistisch beobachtbare, völlig unterschiedlich verlaufende Investitionstätigkeit in Hotels und Restaurants in Ägypten, Tunesien und den VAE zwischen 1997 und 2003 (vgl. Abbildung 26). Dass vor allem die hohe Kapitalverfügbarkeit am Golf ein entscheidender Faktor für die Hotelkapazitätsentwicklung ist, wird in der Aussage des Vice Presidents Development eines britischen TNHU deutlich (TNHU-HQ2): „We hotel operators, we follow the developers, we follow the equity and we follow the debt. And where there is availability of debt and where there is an availability of equity, hotels do get built and we get into operate. And certainly that’s never been a challenge in the UAE. Equity is plentiful, debt is available (…). I think if investors and lenders would genuinely be very nervous about the longterm predicament then these things just wouldn’t get funded. And that simply hasn’t been the case. There has been no shortage of equity, no shortage of debt.“
Die Hotelinvestitionen wachsen in den von Gewinneinbrüchen und Finanzierungsproblemen unbehelligten VAE daher ungeachtet der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers ungebremst weiter, während es in Ägypten zu einem deutlichen Abschwung des Investitionszuwachses kommt und in Tunesien eine Stagnation bzw. ein leichter Rückgang des Investitionsvolumens zu beobachten ist. Offenbar üben daher Sicherheitsbedenken nicht den negativen Einfluss auf die Investitionstätigkeit aus, wie bspw. SANTANA (2001: 232) annimmt. Ließe sich der unterschiedliche Verlauf der Investitionen jedoch nicht auch alternativ durch die Entwicklung der Nachfrage und Zimmerpreise erklären? Wie ein Vergleich mit Abbildung 25 verdeutlicht, ist die Investitionstätigkeit anscheinend völlig von der Hotelauslastungsquote und damit der reinen Nachfrageentwicklung abgekoppelt. Dagegen ist ein ähnlicher Verlauf der Zimmerpreisentwicklung und der Investitionstätigkeit im Falle der VAE ersichtlich. Der Einbruch der Investitionen in Ägypten ist jedoch deutlich stärker und länger anhaltend als der der Preisentwicklung. Weder das Auftreten von Sicherheitsproblemen, noch die Preisentwicklung allein sind damit offensichtlich hinreichend in der Lage, die Investitionsentwicklung zu erklären. Erst wenn man die unterschiedlichen Modi der Investitionsfinanzierung und der Kapitalverfügbarkeit in den VAE, Ägypten und
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Tunesien berücksichtigt, ergibt sich eine weitgehende Passung der qualitativen und der quantitativen Datenanalyse. Es scheint so, dass erst dann Sicherheitsprobleme zu einer Verlangsamung der Destinationsentwicklung führen, wenn daraus resultierende Nachfragerückgänge und Preiseinbrüche nicht vermieden werden können und deren negative Effekte sich katalytisch mit denen einer hohen Kreditfinanzierung von Hotelanlagen sowie mit Marktungleichgewichten im Finanzsektor verstärken. Unter solchen Bedingungen ist erst mit einer Belebung der Investitionstätigkeit zu rechnen, wenn der Markt sich erholt und wieder höhere Gewinne erzielt werden (V4): „Because most of the investors (…) were demanding on the loans they got (…). So, of course you know, tourism volume went down after 9/11 and rates and prices went down (…). That’s why everybody stopped. (…) And then, they didn’t want to risk the money. When it starts to recover, they start to redevelop.“
Marktinterventionen staatlicher Akteure Um die Investitionstätigkeit zu befördern, die Marktstörungen abzumildern und die Gefahr einer Degradation des Angebots abzuwenden, haben sich nach dem 11. September 2001 sowohl in Tunesien, wie in Ägypten die staatlichen Akteure zu Marktinterventionen entschlossen. In Tunesien übt die Regierung Ende 2002, Anfang 2003 vor allem Druck auf die nationalen Banken aus, damit diese die Laufzeiten von bestehenden Krediten strecken und ihre Kreditvergabekriterien lockern. Die Intervention staatlicher Organe ist in Ägypten im Vergleich dazu deutlich massiver. So wenden sich bspw. die Hotelinvestoren in Taba im Jahr 2004 an das Tourismusministerium mit der Bitte um Hilfe in Form einer Einflussnahme auf die Kreditpolitik der Banken. Die Investoren erhoffen sich zunächst lediglich, dass die Banken den Markt mit neuem Geld versorgen, so dass der seit der Intifada im Jahr 2000 in Taba ins Stocken geratene Destinationsausbau wieder in Schwung kommt und die Destination mit neuen Hotelprojekten die kritische Angebotsmasse erreicht, um für Reiseveranstalter attraktiv zu werden (I3): „The investors in Taba (…) communicated with the government and we told it that we need some support. (…) That these hotels need some more money (…) and the banks are not (…) giving loans anymore. Some of them, they have already agreements with banks and the banks stopped to give them any money. Because in Taba we need to have a destination, you know. (…) We were in real problems, because we were only, (…) three hotels – less than 1.500 rooms that was not interesting to any tour operator.“
Der neue Tourismusminister Ahmed Al-Maghrabi initiiert daraufhin eine große Konferenz unter Leitung der ägyptischen Zentralbank in Taba, an
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der alle wichtigen Akteure aus Wirtschaft, Politik und Finanzwirtschaft teilnehmen (I4): „The Central Bank of Egypt made a big conference for all Egyptian banks in Taba. They made a conference in Taba for the investors of Taba. Just to find solutions for those hotels. (…) As an exception, because all of them they have suffered from years of (…) bad market. (…) So they made this conference with the Governor of the South Sinai, the Governor of the Central Bank and the chairmen of all the banks. (…) And they came out to some good recommendations, that the banks will make a debt equity swap. (…) Not for the whole debt. (…) For (…) the part the project cannot afford.“
Um die Hotels mit höherem Eigenkapital auszustatten, kauft sich gleichzeitig die National Investment Bank of Egypt (NIB) mit Minderheitsbeteiligungen von 20 % und mehr in neun Hotelanlagen ein. Dieser Verkauf der Hotelanteile durch die Hotelinvestoren in Taba ist der einzige Fall, in dem Gesprächspartner davon bereichten, dass Hotelinvestoren von einer Anpassung ihres Investmentportfolios Gebrauch gemacht haben. Dieser Anpassung unterliegt jedoch ebenfalls keine strategische Entscheidung, sondern wie dargelegt ein operationaler, betriebswirtschaftlicher Handlungszwang. Diese Investitionen der NIB lassen sich eindeutig auf politische Entscheidungen zurückführen, die von der Regierung und nicht der Bank getroffen werden (I4): „The government (…) decided that the National Investment Bank will participate (…) to make Taba as a destination.“
Das Engagement der NIB und die Ergebnisse der Taba Konferenz sind vor allem auf die persönliche Intervention des Tourismusministers zurückzuführen, der selbst als Joint Venture Partner einer großen europäischen Hotelkette stark in der Tourismuswirtschaft Ägyptens verwurzelt ist (I4): „That was (…) the result of Mr. Maghrabi, the Minister of Tourism as a business man, you know. He thinks in a logic way that how to make those projects successful. (…) Mr. Maghrabi (…) is tackling the straight and short way to solve the problems. Because he has of course interests. I mean not, because he has a hotel in Taba, but I mean, he sees, what are the problems that affect the investors, because he feels those problems and he finds the solutions.“
Über die Gründe dieser politisch motivierten Intervention kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Es drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass die beschriebene staatliche Intervention nicht nur durch wirtschaftspolitische Erwägungen motiviert ist. Wie RICHTER & STEINER (2008) demonstrieren, nimmt der Tourismussektor für die politische Elite Ägyptens eine Schlüsselfunktion in der Herrschaftssicherung ein. Die im Tourismus er-
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wirtschafteten Erlöse können demnach zu einem erheblichen Teil als Renten bezeichnet werden, die der Loyalitätssicherung gegenüber dem politischen System dienen. Die Verteilung der Renten erfolgt dabei nicht unbedingt auf direktem, monetären Weg. Vielmehr zeigen die Autoren, dass der Staat anstatt Renten zu verteilen, der wirtschaftlichen Elite vor allem Rentenquellen durch die Art der Tourismusentwicklung zugänglich gemacht hat. Wenn nun eine staatliche Intervention mit dem Ziel stattfindet, die Tourismusentwicklung wieder in Gang zu bringen, damit einzelne Akteure erneut Gewinne erwirtschaften können, so kann vermutet werden, dass damit Politik im Sinne einer Loyalitätssicherung der privatwirtschaftlichen Akteure betrieben wird. Als Zwischenfazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Verlangsamung der Destinationsentwicklung in Tunesien und Ägypten hauptsächlich auf die Krisenreaktionen der Hotelinvestoren und auf die Probleme des Finanzsektors zurückgehen, während staatliche Akteure versuchen dieser Verlangsamung durch Marktinterventionen entgegen zu wirken. TNHU machen von den ihnen theoretisch zur Verfügung stehenden organisationalen Optionen in der Arabischen Welt keinen Gebrauch, obwohl man sich der Möglichkeit dieser Optionen sehr wohl bewusst ist. Dieser Befund ist äußerst überraschend, angesichts der Äußerungen der TNHU über den generellen Stellenwert von Sicherheit für ihre Unternehmensstrategien.
5.1.4 Theoretischer Stellenwert von Sicherheitsbelangen für die organisationalen Strategien TNHU Fast ausnahmslos alle Manager auf der Regionalebene äußern, dass einzelne gewalttätige politische Unruhen keinen Einfluss darauf hätten, ob sich ihr Unternehmen an einem bestimmten Standort engagiert, da man als Hotelgesellschaft bereit sein müsse, ein gewisses Risiko zu tragen (TNHU-RM16): „You have to do that, you have to be a risk taking – I mean calculated risk. I mean, we definitely love to do that. And I think that’s why we want to boost out presence in the Middle East.“
Der Sicherheitsaspekt ist deshalb nur einer unter einer Reihe von möglichen Faktoren für oder gegen ein Engagement (TNHU-RM8): „It contributes to the decision making. I wouldn’t say that it drives it.”
Oft erklärt sich vielmehr die Frage, warum ein Unternehmen mit welcher Art des Engagements an einem Standort tätig ist durch die Unternehmensgeschichte und die allgemeinen Markttrends und -bedingungen zum Zeitpunkt der Übernahme des jeweiligen Hotels (TNHU-EB4; TNHU-RM12):
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„Wir besitzen auch. In Europa besitzen wir auch. (…) Ich glaube, vieles kommt von der history. Erst hat man Besitz gehabt und dann Lease und zum Schluss war es dann nur noch Management.“ „A newer trend between all the lead management companies is that they don’t go in with equity participation and it’s mostly only management expertise that is offered for a fee.“
Abgesehen von unternehmensgeschichtlichen Faktoren spielen auch regionale Differenzen des Marktes eine Rolle dafür, welche Strategie Hotelunternehmen wählen müssen, um wachsen zu können (TNHU-RM18): „Europe is more difficult to grow, because it’s very capital intensive. The developers really want the management company to come and invest and you know, or have a lease contract.“
In Nordafrika, der Levante und auf der Arabischen Halbinsel ist dagegen eine Kapitalbeteiligung oftmals rechtlich gar nicht möglich oder nicht möglich gewesen zum Zeitpunkt der Hotelübernahme. Außerdem seien Investitionen der Hotelunternehmen zur Markterschließung nicht nötig, da die meisten Hotelinvestoren in der Region lieber ohne fremde Beteiligungen arbeiten würden (TNHU-RM18): „We are not saying »no« [to equity participation] but like in the Middle East it seems that owners are very much willing to go their own way and take a management company on and work that way.“
Die Frage, mit welchen Arten des Engagements ein Unternehmen im Fall von Hotelneuakquisen operieren möchte, ist in erster Linie eine Sache der jeweiligen Unternehmensstrategie. Bei der Entscheidung für Managementverträge spielt für TNHU ihre Wachstumsorientierung eine wichtige Rolle (TNHU-RM18): „It [to operate with management contracts] helps us to grow faster and in more locations, since we don’t have to bind some of our own capital.“
Eine starke Wachstumsorientierung geht jedoch auf Kosten der Profitabilität des Engagements, die nur durch Investitionen zu erreichen ist (TNHURM6): „The disadvantage [of working as a management company] of course is that real estate can increase dramatically in value which it has done for example here in Dubai. If you are a clever real estate investor you could have made a lot of money.“
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Den Ausschlag für oder gegen Kapitalbeteiligungen gibt in diesem Zielkonflikt oftmals das dritte Hauptziel der Risikominimierung. Mit einem steigenden Risiko steigt auch die Volatilität der Erträge. Insbesondere für börsennotierte Unternehmen mit konservativen Anlagern bildet diese Volatilität eine Hürde für Investitionen (TNHU-HQ1): „The level of volatility in returns in the Middle East is simply too high, given for our investors’ expect. So we don’t take our money from UK shareholders, who want typically UK type shareholder returns, steady returns, low volatility and apply them to the Middle East market. (…) I’m just not putting money in there, because the returns could be 30 % one year and minus 20 % the next year, etcetera. (…) Our shareholders invest (…) to get a certain risk and return profile and putting that money directly into the Middle East would put to much volatility into their earnings. It’s a real corporate finance argument.“
Intensität und Dauer gewalttätiger politischer Unruhen üben deshalb einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmensstrategie aus. Bereits ein niedrigeres Gewalt- und Risikoniveau kann so dazu führen, dass TNHU von Kapitalinvestitionen absehen. Hierbei spielt jedoch auch die Angst um das eingesetzte Kapital eine Rolle. Je höher Intensität und Dauer der gewalttätigen politischen Unruhen werden, desto geringer wird auch bei denjenigen Unternehmen die Neigung, sich an einem Standort mit Kapital zu engagieren, die dies nicht gänzlich ausschließen würden (TNHU-RM13; TNHU-RM9): „It is political unrest, of course. Why should you put your money with a risk?“ „If you were sitting in Europe and you are into buildings, if there is a problem as in Iraq, it’s your buildings who is getting flattened.“
Ein leicht erhöhtes Risiko kann demnach den Ausschlag für risikominimierende Strategien, wie einem Wechsel zu Joint-Ventures oder Mietverträgen, geben. Steigt das Risiko noch mehr an, engagieren sich die Unternehmen nur noch mit Management- oder Franchiseverträgen wie die folgenden beiden leitenden Manager im Bereich Hotel Development erklären (TNHU-RM6; TNHU-HQ2): „In a vulnerable location or in a political unstable area you might have some downturns, upturns. When you’re just purely managing with a certain percentage of management fees, you obviously have less exposure. That’s the advantage of a management company.“ „If you speak to any operator, generally speaking they will take a percentage of total revenue and they will take a percentage of total profit. So, I mean, the fact is, that yes, clearly if profitability declines then we take a lower fee, but we don’t have any financial exposure as such. (…) We have a no risk management fee.
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(…) So we are relatively insulated from financial risk because we are not investing our own money.“
Erst im Angesicht einer sehr hohen Intensität und Dauer gewalttätiger politischer Unruhen wird ein Engagement undenkbar (TNHU-EB4): „Ich glaube nicht, dass (…) [nennt den Namen der Hotelgesellschaft] irgendwelche größeren Risiken eingehen würde. Denn auch als Management Company (…) müssen [wir] am richtigen Platz mit dem richtigen Hotel sein, sonst verlieren wir die Reputation sehr schnell. Wir haben keine major investment, aber wir haben Verantwortung vor unseren Leuten mit Management und so weiter.“
Die Frage, welche Art des Engagements ein TNHU in einer als sicher wahrgenommen Destination wählt, lässt sich folglich nur im Rahmen seiner strategischen Positionierung in einem dreidimensionalen Raum zwischen Profitmaximierung, Wachstumsorientierung und Risikominimierung erklären (vgl. Abbildung 27). Abbildung 27: Strategische Ziele bei der Art der Engagementswahl TNHU Wachstumsorientierung
Profitorientierung
Risikominimierung Quelle: Eigener Entwurf
Dabei sind alle drei strategischen Ziele gleichzeitig nicht erreichbar. Risikominimierung ist zum Beispiel immer mit einen Verzicht auf hohe Renditechancen verbunden. Die potenziell höchsten Renditen lassen sich nur dann erwirtschaften, wenn ein Unternehmen bereit ist, sich auch mit Investitionen in Hotelimmobilien zu engagieren. Die bringt jedoch eine hohe Eigenkapitalbindung in wenigen Hotels mit sich, die einer möglichst dynamischen Unternehmensexpansion und einem hohen Umsatzwachstum entgegensteht. In diesem Zielkonflikt müssen sich die Unternehmen folg-
THEORETISCHE BRILLEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE | 211
lich für eine individuelle strategische Positionierung entscheiden. Steigt dabei das Niveau gewalttätiger politischer Unruhen an, tendieren TNHU im Allgemeinen dazu Risiken zu minimieren, womit die Auswahl zwischen den verschiedenen Möglichkeiten eines Engagements geringer wird. Mit Intensität und Dauer gewalttätiger politischer Unruhen sowie der Wahl der Engagementsart korrespondiert auch die Standortwahl der Unternehmen. Wird eine Destination als sicher eingestuft, werden sowohl gezielt strategische Standorte besetzt, wie auch opportunistisch Möglichkeiten an sekundären Standorten realisiert. Steigt das Gewaltniveau an, konzentrieren sich die TNHU zunehmend auf strategische Standorte – i. d. R. die Primatstädte und wichtige Wirtschaftszentren – da in diesen der relativ sicherheitsunsensible Geschäftstourismus überwiegt, während im ResortBereich sicherheitsbedingte Nachfrageschwankungen das wirtschaftliche Risiko erhöhen. Steigt das Gewaltniveau weiter an, so wird ein Engagement schließlich unmöglich. Bei dem Versuch das dafür notwendige Gewaltniveau zu definieren, tun sich die befragten Gesprächspartner jedoch schwer. Es scheint, als sei es irgendwo im Kontinuum zwischen bürgerkriegsähnlichen Zuständen und einen zwischenstaatlichen Krieg angesiedelt. Um die diesbezüglichen Definitionsschwierigkeiten zu veranschaulichen, greifen eine ganze Reihe der Befragten auf das Beispiel des Iraks zurück (TNHU-RM8): „I don’t think there is a line. I think you have to look at every commercial opportunity (…). There are several international companies who are highly active in Iraq at the moment. And we are not. Because we consider the line to be too high, very high and the buzz is much too high. (…) There isn’t a policy that’s been written, that says, »this is acceptable, this isn’t acceptable«. It stands the people like me to got there, assess the situation and decide whether it’s commercially acceptable or not (…), and whether it’s politically expedient that we do. So if (…) that framework is acceptable, then we’ve got a decision to make. If one or the other isn’t than we walk away from it. (…) It’s a difficult line.“
Die Gründe, warum ein Engagement im Irak als schwierig erachtet wird, werden dabei weniger in einer direkten Sicherheitsbedrohung der Kunden oder des Personals gesehen, sondern sind in erster Line den betriebswirtschaftlichen Auswirkungen von Sicherheitsproblemen, wie der schwieriger werdenden Finanzierung des Hotels durch einen Investor oder Probleme der Versicherung des Hotelpersonals, geschuldet (TNHU-HQ2): „If somebody tomorrow would have opened up a decent quality hotel in Baghdad, I am sure it would deal very well. (…) I think it would be difficult for a developer to finance the hotel in Baghdad at this time. And yes, we would have very serious concerns about our personnel working and travelling in Iraq. You know, from a market perspective, I think it would make a great deal of sense. (…) Even if a hotel got developed and became operational, we would have seri-
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ous concerns about deploy our personnel to work in that market. (…) I am not sure that, to be honest, (…) that we would get insurance for our people to travel to Iraq. (…) And in that case, (…) they wouldn’ t go so. So from a practical perspective, I think it would be very difficult. Although from a ma rket perspective, I am sure the opportunity is probably a good one.“
Zusammenfassend lässt sich daher aus den empirischen Aussagen der befragten Manager ein Modell des Zusammenspiels von Sicherheitskrisenintensität, Organisationsmodell und Standortwahl TNHU ableiten (vgl. Abbildung 28). Ist die Intensität und Dauer von gewalttätigen politischen Unruhen niedrig, engagieren sich TNHU grundsätzliche mit allen möglichen Engagementsarten in einer Destination, abhängig von ihrer individuell strategisch unterschiedlichen Untern ehmenspolitik. Hierzu können ADI und Kapitalbeteiligungen gewählt werden, wenn die Profite maximiert werden sollen, das Unternehmen grundsätzliche risikobereit ist und über einen Überschuss an Eigenkapital verfügt. Will man das Risiko des Immobilieneigentums nicht tragen, hält aber ein erhöhtes Geschäftsrisiko für tragbar, werden Unternehmen Joint Ventures oder Miet- bzw. Pachtbetriebegründen, da mit ihnen höhere Profite als mit Management- und Franchiseunternehmen zu erzielen sind. Die Wahl des Engagements ist hier effizienzorientiert, da mit keiner anderen Art des Engagements eine vergleichbare Ertrags-/Risikorelation des eingesetzten Kapitals möglich ist. Abbildung 28: Zusammenspiel von Sicherheitskrisenintensität, Organisationsmodell und Standortwahl TNHU Intensität und Dauer gewalttätiger politischer Unruhen
Hoch
Niedrig
Management-/Franchisevertrag (Wachstum/risikominimierend orientiert) Joint Venture/Miet- und Pachtbetriebe (Effizienz orientiert)
Engagementsart
ADI/Kapitalbeteiligungen in Hotelimmobilien (Profit orientiert) Strategische &
Strategische
sekundäre Standorte
Standorte
Kein
Standortwahl Engagement
Quelle: Eigener Entwurf
Ist ein Unternehmen risikoavers oder stark wachstumorientiert wird es mit Management- oder Franchiseverträgen tätig werden. Als Hotelstandorte kommen in einer stabilen Sicherheitssituation sowohl strategische wie auch sekundäre Standorte in Frage. Wächst die Intensität und Dauer von gewalttätigen politischen Unruhen an, operieren TNHU nur noch mit sol-
THEORETISCHE BRILLEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE | 213
chen Engagementsarten, die wie Managementverträge ein geringes Risiko mit sich bringen und konzentrieren sich zunehmend auf strategische Standorte. Erst wenn die Intensität und Dauer von gewalttätigen politischen Unruhen sehr hoch wird, ist für sie ein Engagement unmöglich.
5.1.5 Neue Fragen Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Nachfrage stimulierende Instrumente zwar einfach und schnell anzuwenden sind. Ihr Gebrauch erzeugt jedoch einen circulus vitiosus, der immer wieder neue Nachfrage stimulierende Maßnahmen erfordert, ohne dass sich die wirtschaftliche Gesamtsituation substanziell dadurch verbessern würde. Im Gegenteil schädigt die Anwendung insbesondere preispolitischer Maßnahmen nicht nur die Destination, sondern hat auch erhebliche negative Folgen für den jeweiligen Betrieb, der sie nutzt. Da diese Einschätzung von einer großen Mehrheit der interviewten Akteure geteilt wird, stellt sich jedoch die Frage, worin die Erklärung für die Diskrepanz zwischen Handlungsstrukturen und theoretischer Reflexion der angebotsschaffenden Akteure liegt. Die Anwendung Nachfrage generierender Instrumente hat in der Arabischen Welt gute Ergebnisse gezeigt. Jedoch muss kritisch angemerkt werden, dass die Diversifizierung der Quellmärkte zu einem erheblichen Teil anscheinend weniger einer aktiven Strategie der befragten Unternehmen geschuldet ist, sondern entweder als Ergebnis von Veränderungen auf der Nachfrageseite, oder als nichtintendierte Handlungsfolge preispolitischer Instrumente eingestuft werden muss. Trifft letzteres zu, ergibt sich daraus eine ernste Bedrohung für die Konsistenz des Marken- und Destinationsimages. Die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers haben daher – vermittelt durch die Reaktionen der Nachfrager und der Angebotsschaffenden Akteure – katalytisch dazu beigetragen, bestehende Probleme weiter zu verschärfen. Diesen Problemen werden von Politik, Verbänden und einigen qualitätsbewussten Hotelunternehmen – z. T. gegen den Widerstand anderer Hoteliers – Anstrengungen für Produktdiversifizierungen und Produktoffensiven entgegengesetzt, wie das Beispiel des „Mystery-ShopperSystems“ zur verdeckten Qualitätskontrolle der Hotels in Ägypten zeigt. Obwohl die Anwendung Nachfrage generierender Instrumente mittel- bis langfristig deutlich besser als die Anwendung Nachfrage stimulierender Optionen geeignet zu sein scheint, um zu einer nachhaltigen Stabilisierung der Tourismuswirtschaft in den von Sicherheitskrisen seit dem 11. September getroffenen Destinationen beizutragen, macht nur ein relativ kleiner Teil der befragten Unternehmen gezielt und planmäßig von ihnen Gebrauch. Es stellt sich daher die Frage, warum die Unternehmen abseits von baulichen Einschränkungen in einzelnen Hotelanlagen und Kapi-
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talknappheit einzelner Unternehmen nicht in erheblich umfangreicherem Maß von Nachfrage generierenden Instrumenten Gebrauch machen. Bezüglich der Anwendung organisationaler Krisenreaktionsmöglichkeiten hat sich das vielleicht überraschendste Bild ergeben. Die befragten TNHU machen von den ihnen zur Verfügung stehenden organisationalen Krisenreaktionsmöglichkeiten offenbar fast keinen Gebrauch. Die nicht unerheblich gestiegenen Gewinnrisiken für TNHU nach dem 11. September durch eine Anpassung der Engagementsintensität oder eine Anpassung ihres Investmentportfolios abfangen zu wollen, steht für die befragten Unternehmen nicht zur Debatte. Auch die Expansionspläne der TNHU werden anscheinend nicht oder kaum durch die gewalttätigen politischen Unruhen im Zuge des 11. Septembers tangiert. Eine Verlangsamung der Multinationalisierung durch Sicherheitsprobleme wie sie analog der Schlussfolgerungen SIMONs (2000) zu erwarten wäre, kann daher nicht festgestellt werden. Um so mehr überrascht das Verhalten der TNHU – insbesondere da aufgrund ihrer Äußerungen über den Stellenwert von Sicherheitsbelangen für ihre organisationalen Strategien ein anderes Verhalten zu erwarten gewesen wäre. Legt man die diesbezüglich von den befragten Managern in theoretischer Hinsicht gemachten Aussagen zu Grunde, wäre insofern zumindest bei einigen Unternehmen mit risikominimierenden Strategien zu rechnen gewesen. Auch die Hotelinvestoren lassen sich – entgegen der Hypothese von SANTANA (2001: 232) – in den drei arabischen Untersuchungsländern kaum durch die Sicherheitsprobleme im Zuge des 11. Septembers beeinflussen. Ihre Investitionszurückhaltung ist vielmehr auf das Zusammenspiel mehrerer wirtschaftlicher Faktoren zurückzuführen, als dass allein Sicherheitsprobleme für sie die entscheidende Rolle spielen würden. Wie sich zusammenfassend feststellen lässt, weicht das Verhalten der befragten Unternehmen erheblich von den Erwartungen ab. Daraus ergibt sich die Frage, wie sich dieses unerwartete Verhalten der TNHU erklären lässt. Um hierauf Antworten zu finden, wird auf die zweite und dritte theoretische Brille zurück gegriffen.
5.2
Brille zwei: Krisenreaktionen aus organisationstheoretischer Sicht
Das im letzten Abschnitt diskutierte Verständnis von Krisenmanagement als reaktivem Werkzeug zum Abfedern wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit dem Auftreten von Krisen ist für die Erklärung der Abweichung zwischen Verhaltenserwartung und beobachtetem Verhalten weitgehend ungeeignet, da es die verbreitete Auffassung reflektiert, dass sich die Entstehung sicherheitsinduzierter Krisen und die Krisenreaktionen der Akteure kausal auf externe Gründe zurückführen lassen. Würde man
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sich eine solch eindimensionale, mechanistische Perspektive zu eigen machen, ließen sich die Variationen der beobachteten Krisenreaktionen nur schwer erklären, da eine externe Störung in einem stabilen sozialen System bei allen Akteuren gleichartige Folgen bezüglich ihrer Handlungsstrukturen zeigen müsste, um wieder einen stabilen Systemzustand herstellen zu können. 122 Die Gründe für das variierende Verhalten der Unternehmen können also nur teilweise in der unternehmensexternen Dimension gesucht werden und müssen vielmehr auf individuell unterschiedliche Einschätzungen der veränderten Situation zurückgeführt werden. Wichtig ist deshalb ein Verständnis dafür zu entwickeln, warum sich die untersuchten Unternehmen so verhalten haben wie sie es taten. Dazu muss auf eine Perspektive zurückgegriffen werden, die die unternehmensinterne mit der unternehmensexternen Dimension verbindet und so versucht, Handlungsmuster von Unternehmen zu verstehen. Die in der zweiten theoretischen Brille angewendeten Theorien organisationaler Lernprozesse stellen eine Perspektive dar, die genau dies leistet.
5.2.1 Krisenreaktionen als organisationale Lernprozesse In organisationstheoretischer Perspektive besteht die Möglichkeit, Krisenreaktionen von Unternehmen als Handlungen in einem Prozess organisationalen Lernens zu interpretieren, in dem sie sich an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen (RICHARDSON 1994). Der Zweck des Lernen liegt für Wirtschaftsunternehmen als eine Spezialform von Organisationen vornehmlich darin, ihre Effizienz zu steigern und sich in der wirtschaftlichen Konkurrenz zu behaupten (bspw. DODGSON 1993; BOERNER et al. 2003). In diesem Sinne kann organisationales Lernen als Bedingung für das langfristige Überleben von Unternehmen betrachtet werden (KIM 1993: 37).
5.2.1.1 Theorien organisationaler Lernprozesse – ein weites Feld Das wissenschaftliche Interesse an organisationalen Lernprozessen blickt mittlerweile auf rund 50 Jahre Geschichte zurück. Erste Forschungsarbeiten über organisationales Lernen werden bereits Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre durchgeführt. Breiter rezipiert werden Publikationen über organisationale Lernprozesse jedoch erst seit den späten 1970er Jahren, wofür sich vor allem die heute als Klassiker zu bezeichnenden Arbeiten von drei Autorenpaaren verantwortlich zeichnen: erstens CYERT & MARCH (1963) »A Behavioral Theory of the Firm«, zweitens die Arbeiten von MARCH & OLSEN (1975) »The Uncertainty of the Past: Organizational Learning under Ambiguity« in Verbindung mit (1976) »Ambiguity 122 Vergleiche dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2 zu dem Problem Wandel im Rahmen bestimmter handlungstheoretischer Konzept zu erklären.
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and Choice in Organizations« sowie drittens das Buch »Organizational Learning – a Theory of Action Perspective« (1978) von ARGYRIS & SCHÖN (BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003a: 3; EASTERBY-SMITH et al. 2000: 784; PRANGE 2002: 29; SCHREYÖGG & EBERL 1998: 517). Ist das Interesse an organisationalen Lernprozessen in der Entstehungsphase bis in die 1970er Jahre noch sehr verhalten, beschleunigt sich die Forschungstätigkeit in den 1980er Jahren deutlich. Die Krise der europäischen und amerikanischen Automobilindustrie befördert das Interesse an organisationalen Lernprozessen (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 9) bis es am Ende der 1980er Jahre dann in einer Flut von Projekten und Publikationen explodiert (EASTERBY-SMITH et al. 2000: 784). Die Forschungsarbeiten zu organisationalen Lernprozessen sind stark durch eine „westliche“ (Wirtschafts-)Kultur geprägt. Der kulturelle Bias der Studien ist anfangs ausschließlich angloamerikanisch ausgerichtet, bis westeuropäische und japanische Wissenschaftler in den späten 1980er Jahren ebenfalls Beiträge zur Debatte liefern und so komplementäre kulturelle Perspektiven in die Diskussion einbringen. In den 1990er Jahren breitet sich die Forschungsaktivität im Zuge der politisch-ökonomischen Transformation nach Zentral- und Osteuropa aus und erfasst schließlich auch Teile Südostasiens. Nach wie vor sind Studien aus nicht angloeuropäischen Kontexten jedoch selten. Arbeiten in Entwicklungsländern unter Beteiligung einheimischer Wissenschaftler existieren praktisch nicht (BERTHOIN ANTAL & DIERKES 2000: 5). Die vorliegende Arbeit stellt insofern einen Beitrag dar, diesen Mangel abzubauen. 123 Stehen am Anfang der wissenschaftlichen Debatte viele theoretischkonzeptionelle Arbeiten, weist mittlerweile die übergroße Anzahl an Veröffentlichungen einen Anwendungsfokus auf, der sich aus der Perspektive des Managements damit beschäftigt, wie Lernen in Organisationen gefördert werden kann (SCHREYÖGG & EBERL 1998: 533; EASTERBY-SMITH & ARAUJO 1999: 2). Obwohl gerade Unternehmensberatungen Theorien organisationaler Lernprozesse umfangreich anwenden, sind aus diesen empirischen Erfahrungen so gut wie keine theoretisch-konzeptionellen Publikationen entstanden (BERTHOIN ANTAL & DIERKES 2000: 8). Ironischerweise, so lässt sich mit PRANGE (1999: 24) argumentieren, behindert die Maxime, für Manager nutzbares Wissen zu schaffen, die theoretischkonzeptionelle Weiterentwicklung des Ansatzes. Der Anwendungsfokus verstellt so gleichsam den Blick für die Notwendigkeit theoretischkonzeptioneller Arbeit und behindert damit die Grundlagenforschung.
123 Hierzu trägt sicherlich nicht nur der Forschungsgegenstand, sein regionaler Fokus auf die Arabische Welt oder die einheimischen Perspektiven der interviewten arabischen Gesprächspartner bei, sondern auch die Mitarbeit Ala Al-Hamarnehs, der als in Deutschland lebender, aus Jordanien stammender Kollege im Forschungsprojekt beteiligt war.
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Inhaltlich ist das Feld der Publikationen mittlerweile äußerst weit und so unübersichtlich geworden, dass PRANGE (1999: 24) es mit einem zunehmend auswuchernden und immer undurchdringlicher werdenden Dschungel vergleicht. Allein die ausführliche Bibliografie zum organisationalen Lernen von DIERKES et al. (2001) verzeichnet mehrere tausend Titel. Einführende Arbeiten mit unterschiedlichen Fokussen bieten jedoch eine ganze Reihe von Autoren. Einen guten Überblick über die Frühphase der theoretischen Diskussion vermitteln bspw. ARGYRIS & SCHÖN (1978: 319ff) und SHRIVASTAVA (1983). HUBERs Aufsatz (1991) verdeutlicht, dass sich die Arbeiten zu organisationalen Lernprozessen in vier Forschungsfelder aufteilen lassen: den des Wissenserwerbs (knowledge acquisition), der Informationsverteilung (information distribution), der Informationsinterpretation (information interpretation) und des organisationalen Gedächtnisses (organizational memory). Anstatt eines analytisch-kategorialen präsentiert DODGSON (1993) einen themenzentrierten Literaturüberblick. Er rückt vor allem den Beitrag der Forschung zur Erfassung der Ziele organisationalen Lernens sowie die Lernprozesse, deren Treiber und Hindernisse in den Fokus der Betrachtung. BERTOIN ANTAL & DIERKES (2000) bieten eine konzeptionell-wissenschaftshistorische Zusammenfassung der Entwicklung im Bereich der Theorien organisationalen Lernens, der auf die (meta-) theoretischen, kontextuellen und methodischen Aspekte und Fragestellungen der einzelnen Ansätze abhebt. EASTERBY-SMITH et al. (2000) fokussieren demgegenüber in ihrem ebenfalls wissenschaftshistorischen angelegten Artikel die Entwicklung der Forschungsschwerpunkte und -moden in der Forschungslandschaft. Zur theoretischen Orientierung hervorzuheben sind zudem die beiden äußerst umfangreichen Handbücher von DIERKES et al. (2003) mit einer großen Anzahl von Aufsätzen, die das Thema des organisationalen Lernens aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Perspektiven beleuchten, sowie das Handbuch von EASTERBY-SMITH & LYLES (2003a), das einen Schwerpunkt vor allem auf das Thema des Wissensmanagements in Lernprozessen legt. 124 Dementsprechend ist das Feld organisationalen Lernens ausnehmend vielgestaltig (KLIMECKI et al. 2000: 66), während ein zusammenhängendes Theoriegebäude jedoch nicht existiert (DODGSON 1993). Dieser Befund verwundert insofern nicht, als dass das Forschungsfeld organisationaler Lernprozesse von Anfang an interdisziplinär erschlossen wurde. Wissenschaftler, die sich mit Theorien organisationalen Lernens befassen, stam-
124 Für eine Orientierung im Literaturfeld sei zudem hingewiesen auf die gut strukturierten Überblicksartikel von BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003b; EASTERBY-SMITH & LYLES 2003b; EASTERBY-SMITH et al. 2004; GHERARDI & NICOLINI 2003; PRANGE 1999; PRANGE 2002; PAWLOWSKY 2003 sowie SCHREYÖGG & EBERL 1998.
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men aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen wie der Psychologie, der Soziologie, den Politikwissenschaften, der Anthropologie, den Management- und den Organisationswissenschaften, der Wirtschaftsgeschichte, der Industrieökonomie sowie anderen betriebswirtschaftswissenschaftlichen (Sub-)Disziplinen und bringen damit heterogene Perspektiven ein (BERTHOIN ANTAL & DIERKES 2000: 6; DODGSON 1993: 376; EASTERBY-SMITH & ARAUJO 1999: 1; MORGAN 2004: 70ff). 125
5.2.1.2 Welches Konzept organisationalen Lernens? Zu Beginn der Theorieentwicklung basieren die Ansätze zum Verständnis organisationalen Lernens überwiegend auf verhaltenstheoretischen Perspektiven (bspw. CYERT & MARCH 1963; MARCH & OLSEN 1975, 1976), welche jedoch später zunehmend für ihre mechanistische Sichtweise kritisiert werden und deshalb durch kognitionstheoretische Perspektiven (bspw. FIOL & LYLES 1985; HEDBERG 1981) und Studien zur Organisationskultur (bspw. SCHEIN 1985) eine Ergänzung erfahren. Mit der Untersuchung von Organisationskulturen finden nun Kontexte organisationaler Lernprozesse eine stetig anwachsende Beachtung. Arbeiten über kontextbedingte Bedeutungszuschreibungen und Umweltinterpretationen sowie Wahrnehmungsfilter (z. B. RICHTER 1998) führen schließlich zur Entwicklung einer immer stärker auch qualitativ-interpretativ aufgestellten Forschungslandschaft (BERTHOIN ANTAL & DIERKES 2000: 10). Sehr vereinfacht gesprochen, lassen sich zwei grundlegende Perspektiven auf organisationales Lernen unterscheiden (BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003a: 1): Die erste beschäftigt sich damit, wie neues Wissen im Rahmen von Lernprozessen geschaffen wird (Theorien organisationaler Lernprozesse i. e. S.), die zweite damit, wie existierendes Wissen in Organisationen geteilt, benutzt und aufbewahrt werden kann (Theorien des Wissensmanagements) (EASTERBY-SMITH & LYLES 2003b). In beiden Forschungsrichtungen bietet sich ein völlig uneinheitliches Bild der zugrunde gelegten erkenntnistheoretischen Prämissen, wobei methodologische wie epistemologische Differenzen kaum Gegenstand einer pointierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Reflexion sind (EASTERBY-SMITH et al. 2000: 789). Dieser Mangel wird besonders darin deutlich, dass die Antworten auf die Frage, was denn organisationales Lernen sei, in ihrer Vielfalt (PROBST & BÜCHEL 1994: 17) diffus und uneinheitlich wirken. Es existiert weder innerhalb der Disziplinen, die sich mit organisationalem Lernen beschäftigen, noch zwischen ihnen ein Konsens darüber, was der Begriff bezeichnet (DODGSON 1993: 376).
125 Insbesondere MORGAN (2004: 70ff) bietet eine hervorragende Übersicht der verschiedenen Disziplinen, die sich mit organisationalem Lernen beschäftigt haben, ihren Hauptperspektiven und wichtigsten Vertretern.
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Die Frage nach der Definition organisationalen Lernens ist im Gegenteil eher Gegenstand erheblicher und andauernder Kontroversen (BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003b: 921). Die erheblichen Meinungsverschiedenheiten können im Grunde auf den Gegensatz zwischen den weitaus überwiegend positivistisch ausgerichteten Ansätzen einerseits und andererseits interpretativen Epistemologien zurückgeführt werden (EASTERBYSMITH et al. 2000: 788; SPENDER 1996). 126 Die Debatte wird jedoch eher auf der Ebene des Verständnisses von Forschungsgegenständen als auf einer metatheoretischen Reflexionsebene mit der Diskussion der epistemischen Prämissen der jeweiligen Ansätze geführt. Insbesondere Arbeiten mit positivistischem und realistischem Hintergrund (bspw. ALLEE 1997; BALA & GOYAL 1998; BOERNER et al. 2003; BONTIS et al. 2001; CYERT & MARCH 1963; MARCH 1991; MARCH & OLSEN 1976; OLIVERA 2000; ROTH & KLEINER 1998; SCHEURER & ZAHN 1998; WALSH & UNGSON 1991) neigen dazu, ihre epistemischen Prämissen nicht explizit zu machen 127 und verweigern sich tendenziell damit einer metatheoretischen Debatte. 128 Dass diese bislang in weiten Teilen entfallen ist oder vorwiegend nur auf Seiten der interpretativen Perspektiven eröffnet wurde, ist durchaus problematisch. Tatsächlich kann in der fehlenden Debatte ein Hauptgrund gesehen werden, warum sich die Wissenschaftsgemeinde weder auf eine gemeinsame Definition einigen, noch ihre heterogenen Perspektiven mit konkurrierenden, erkenntnistheoretisch klar positionierten und jeweils stringenten Definitionen deutlich machen kann. Gemessen am Publikationsvolumen bleibt die Auseinandersetzung 129 und Unterkonzeptionalisierung mit erkenntnistheoretischen Fragen erschreckend gering.
126 Diese spiegeln sich später hinsichtlich des Forschungsdesigns wider in Kontroversen über die Adäquanz methodologischer Herangehensweisen aus quantitativer bzw. qualitativer Richtung. 127 Wenn Arbeiten ihre Grundlagen nicht offen legen, ist es nicht unproblematisch, einzelne als Beispiele für bestimmte epistemische Perspektiven anzuführen. Die der Kategorisierung zugrunde liegende Einordnung kann sich unter diesen Bedingungen nur auf Indizien (wie eine stark rationalistische und mechanistische Argumentation, behavioristische Theorieansätze, neoklassische ökonomische Theoriegrundlagen, Validations- bzw. Falsifikationsabsichten, usw.) im jeweiligen Theoriekonzept und Forschungsaufbau stützen. Argumentationen müssen jedoch keinesfalls stringent einer Logik folgen, so dass meistens nicht ganze Arbeiten, sondern eher einige ihrer Kernbestandteile einer realistischen oder positivistischen Logik entsprechen. Insbesondere ein objektivistisches und kumulatives Wissenskonzept, das final auf einen absoluten Wahrheitsbegriff referiert (vgl. Kapitel 2.1), kann jedoch als starkes Indiz herangezogen werden, um von positivistischen bzw. realistischen Ansätzen sprechen zu können. 128 Eine lobenswerte Ausnahme bildet vor diesem Hintergrund der Artikel von KIM (2003), in dem er explizit eine positivistische Grundposition einnimmt. 129 Als sehr lesenswerte Ausnahme sei an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit auf den Artikel von SPENDER (1996) gelenkt.
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Die erheblichen eher implizit als explizit ausgetragenen erkenntnistheoretischen Differenzen manifestieren sich für die Forschungsgemeinde vor allem in zwei Problemen anhand derer die unterschiedlichen Perspektiven und ihre Implikationen verdeutlicht werden sollen. Problem eins: Zum Wissenskonzept der Theorien organisationaler Lernprozesse Wie bereits im vorigen Abschnitt angesprochen, beschäftigen sich die Theorien organisationaler Lernprozesse vor allem mit den zwei Fragen, wie neues Wissen im Rahmen von Lernprozessen geschaffen bzw. wie existierendes Wissen in Organisationen geteilt, benutzt und aufbewahrt werden kann. Wissen und Wissensproduktion bilden insofern ihren konzeptionellen Kernbereich. Die Literatur hat eine große Reihe unterschiedlicher Wissenstypologien 130 herausgearbeitet, wovon die populärste wohl die auf POLANYI (1966) zurückgehende Unterscheidung zwischen »explicit« und »tacit knowledge« ist. 131 Obwohl Wissen der zentrale Gegenstand insbesondere des Teils der Disziplin ist, der sich mit Fragen des Wissensmanagements beschäftigt, fällt die reflektiert-kritische Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Frage, was denn Wissen ist, erschreckend rudimentär aus (SCHREYÖGG & EBERL 1998: 532). Obwohl sich die Philosophie seit mehreren tausend Jahren mit der Frage beschäftigt, gehen – zumindest explizit – Anleihen und Anregungen aus der Philosophie kaum in die Debatte ein (SPENDER 1996: 64). 132 Wissen wird zumeist in positivistischer Hinsicht als ein Gegenstand betrachtet, der erworben, unabhängig von seinem Produktionsprozess und seinem Produzenten besessen, aufbewahrt und transferiert werden kann (ROWLAND 2004: 34). Dem liegt ein statisches, objektivistisches Verständnis von Wissen zugrunde, das auf einen absoluten (und kumulativen) Wahrheitsbegriff referiert und das Wissen losgelöst von seinem Produktions- und Anwendungsprozess betrachtet. Dieses Wissenskonzept ist be130 Für eine gute vergleichende Darstellung unterschiedlicher organisationaler Wissenstypologien und -konzepte siehe bspw. PAWLOWSKY (2003: 70). 131 »Explicit knowldege« bezeichnet formulier- und institutionalisierbares Wissen, während »tacit knowledge« Wissen bezeichnen soll, das mit der Ausübung von Fähigkeiten verbunden und insofern nur schwer oder gar nicht kommunikativ vermittelbar ist. Das Konzept geht zwar auf POLANYI (1966) zurück, wurde aber in den 1990er Jahren vor allem von NONAKA & TAKEUCHI (1995) sowie von COOK & BROWN (1999) populär gemacht. 132 Dies ist vor dem Hintergrund der Ausführungen in Kapitel 2 nicht verwunderlich, erfordert die Auseinandersetzung mit derartigen Fragen doch bereits ein kritisches Problembewusstsein, das nur dann gegeben ist, wenn man bereits angefangen hat „intuitive Gewissheiten“ zu hinterfragen. Wissenschaftlern, die aber erkenntnistheoretisch in positivistischer Hinsicht sozialisiert wurden, muss zumindest am Anfang ihrer Forschungstätigkeit ein solches Problembewusstsein fast zwangsläufig fehlen.
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sonders weit verbreitet in der Literatur zum Wissensmanagement in Organisationen und stellt fast gleichsam eine Vorbedingung für die Frage dar, wie Wissen in Organisationen transferiert und aufbewahrt werden kann. Ohne die im meta-theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit dargelegten Ausführungen hier nochmals zu wiederholen, weist SPENDER (1996: 66) m. E. zurecht darauf hin, dass ein wesentlicher Grund für die Fragmentierung der Literatur zu organisationalem Lernen in dieser objektivistischen Wissenskonzeption zu suchen sei, die suggeriert, dass Wissen von Lernprozessen und von Wissensspeicherung zu trennen ist und jeder der drei Gegenstände separat für sich untersucht werden könne. Dass die damit verbundenen Fragen bisher in weiten Teilen nicht gelöst werden konnten, liegt unter anderem an der Natur des erkenntnistheoretischen Konzeptes, das objektivistische und Wesensfragestellungen aufwirft, die meines Erachtens nicht beantwortbar sind. Demgegenüber stehen vereinzelte Ansätze organisationalen Lernens, die Wissen nicht als etwas konzeptualisieren, das besessen werden kann, sondern als etwas, was durch und in Praxis entsteht und deshalb keine stabile Struktur besitzt, sondern kontextgebunden ist (EASTERBY-SMITH et al. 2000: 788). 133 Die dahinter liegenden theoretischen Ansätze sind ebenfalls breit gefächert und reichen von Anlehnungen aus den Praxiskonzepten von BOURDIEU und LATOUR über Handlungskonzepte von GIDDENS bis hin zu interpretativen Theorien im Sinne von MEAD, BLUMER, SCHÜTZ oder BERGER & LUCKMANN (bspw. ARGYRIS & SCHÖN 1978, 1999; BROWN & DUGUID 2001; DODGSON 1993; HUBER 1991; LEVITT & MARCH 1988; ORLIKOWSKI 2002; SWAN & SCARBROUGH 2001). Von Ausnahmen abgesehen, neigen die praxisorientierten Ansätze grundsätzlich zu einer konstruktivistischen Grundperspektive, die Wissen als eine soziale Realität und damit nicht als etwas objektiv Gegebenes betrachtet. Sozialkonstruktivistische Ansätze organisationalen Lernens (bspw. BROWN & DUGUID 1991, 2001; COOK & BROWN 1999; FRIEDMAN 2003; GHERARDI & NICOLINI 2002, 2003; KIM 1993; NICOLINI & MEZNAR 1995; ROWLAND 2004; SCHERER 1999), insbesondere in der Tradition der interpretativen Soziologie, präsentieren sich insofern als Herausforderung an die weitverbreiteten positivistischen Wissenskonzeptionen. Wissen gleicht hier intersubjektiven Interpretationen der gemeinsam geteilten Wirklichkeiten, die immer prozess- und kontextabhängig sind und die zudem kontingent und gegenseitig widersprüchlich sein können. Die Mitglieder eines sozialen Systems zeigen sich ihre Interpretation der Wirklichkeit durch Handlungen an, wobei unter Handlungen sowohl tätli133 Diese in pragmatischer Hinsicht selbstverständliche Idee von Wissen entspricht dem in der kulturell gewendeten Wirtschaftsgeographie zur Mode gewordenen Konzept der „Performativität“ (vgl. hierzu bspw. THRIFT 2002, 2004).
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che wie auch Sprechakte verstanden werden. Durch die Einigung auf eine gemeinsame Situationsinterpretation wird eine soziale Realität geschaffen. Organisationales Lernen ist in dieser Perspektive sowohl Medium wie Ergebnis eines Prozesses organisationaler Wirklichkeitskonstruktion (GHERARDI & NICOLINI 2003: 43), in dem die Regeln und Strukturen von Organisationen „durch das Handeln der Akteure selber geschaffen und verändert werden (…). Die organisatorische Wirklichkeit ist aus dieser Perspektive nicht objektiv vorgegeben sondern ist Ergebnis einer sozialen Konstruktion“ (SCHERER 1999: 12). Das Ergebnis dieser Überlegungen für die Konzeptionalisierung von Wissen ist erheblich: Dort wo traditionelle Zugänge Wissen wie eine gegenständliche Entität auffassen und den Kontext der Wissensproduktion als Container behandeln, löst sich diese Perspektive in der postmodernen interpretativen Theorie auf. Für sie ist die Trennung des Wissens von seinem sozialen Entstehungskontext aufgrund des sie verbindenden Prozesses der Bedeutungskonstitution nicht mehr haltbar (GHERARDI & NICOLINI 2003: 45). Die in metatheoretischer Hinsicht grundlegende Arbeit zu einer praxisorientierten Konzeptionalisierung von Wissen im organisationalen Lernen stammt von ARGYRIS & SCHÖN, die ihr in Anlehnung an DEWEY (2002) entstandenes Konzept bereits 1978 vorstellen, 1999 präzisieren und aktualisieren. 134 ARGYRIS & SCHÖN operieren dementsprechend mit einem pragmatischen Wissenskonzept und einer pragmatischen Epistemologie. 135 Ihr Verständnis von Lernen als Ergebnis einer experimentellen Beziehung zwischen Organisation und Umwelt setzt voraus, dass es keine stabilen Systeme gibt, da nur eine Veränderung auf organisationaler oder auf Umweltseite im Stande ist, Lernprozesse anzuregen. Lernen ist in einem statischen System nicht nötig und wäre allenfalls als eine Art verhaltenstheoretisch begründete Anpassung konzeptionalisierbar. Lernen ist deshalb nur in dynamischen Systemen möglich (HEDBERG 1981: 12).
134 Die Inhalte beider Bücher sind fast deckungsgleich. Das neue Buch von ARGYRIS & SCHÖN stellt im Wesentlichen eine Überarbeitung und Ergänzung des Ausgangswerkes dar, indem allerdings einige wichtige Aspekte klarer gestellt werden als dies vorher der Fall war. 135 Für das grundlegende, pragmatische Konzept der experimentellen Forschung vgl. Kapitel 2.1.1 Auch wenn ARGYRIS & SCHÖN (1999: 13f/26ff) sich explizit an DEWEY anlehnen, muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass sie die wissenschaftliche Sorgfalt (gemessen an den Standards der deutschen Geographie) dabei vermissen lassen. Zitationen und Quellenangaben der von DEWEY entlehnten Gedanken fehlen weit überwiegend. Zudem scheint die Rezeption von DEWEYs Theorie nur fragmentarisch und unvollständig gewesen zu sein – wesentliche Elemente seiner Theorie der Forschung werden von ARGYRIS & SCHÖN einfach ignoriert, andere vereinnahmt ohne die Autorenschaft klar kenntlich zu machen. Hierauf wird noch in den nachfolgenden Kapiteln näher eingegangen.
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Obwohl das Konzept von ARGYRIS & SCHÖN so breite Resonanz gefunden hat, dass einige Autoren sie gar als Väter des Begriffs des organisationalen Lernens bezeichnen (PROBST 1994: 303), wurden interessanterweise nachfolgend keine Arbeiten mit explizit pragmatischer Perspektive in den Theorien organisationalen Lernens in Angriff genommen. Dieser Befund ist um so bemerkenswerter als bspw. LEVITT & MARCH (1988) sowie HUBER (1991) ein Verständnis von Wissen skizzieren, das Wissen als Annahmen über die Konsequenzen organisationaler Handlungen versteht – eine eigentlich zutiefst pragmatische Konzeption. Statt diesen Gedanken weiter zu verfolgen, scheint in wesentlichen Teilen der Literatur ein tiefer gehendes erkenntnistheoretisches Verständnis des Ansatzes von ARGYRIS & SCHÖN nicht gegeben zu sein. So versuchen einige Autoren wie NONAKA & TAKEUCHI (1995), SPENDER (1996) oder COOK & BROWN (1999) positivistische mit konstruktivistischen Wissenskonzepten zu verbinden. In metatheoretischer Hinsicht (vgl. Kapitel 2) müssen diese Versuche jedoch als unbefriedigend und untauglich bewertet werden. Obwohl die Schilderung einer pragmatischen Perspektive in ihrem Aufsatz breiten Raum einnimmt, haben bspw. COOK & BROWN (1999) offensichtlich den von ihnen umfangreich angeführten DEWEY nicht gelesen – er taucht weder mit Zitationen im Text noch im Literaturverzeichnis auf. Dies könnte eine Erklärung darstellen, warum sie die durchaus problematische Trennung zwischen theoretischem Wissen und praktischem Wissen (ebd.: 387f) ausgerechnet mit dem Pragmatismus begründen möchten, der in beidem eine vermittelte Einheit sieht. Die Absicht, statische Wissenskonzepte mit dynamischen Wissenskonzepten zu verbinden, demonstriert insofern eine völlig unzureichende Durchdringung deren fundamental unterschiedlicher epistemischer Ursprünge. Interessanter erscheint da schon der Versuch SPENDERs (1996) mit einem Wissenskonzept zu operieren, das sich an WITTGENSTEIN anlehnt und insofern Berührungspunkte zu einer pragmatischen Perspektive aufweist. Da das Konzept organisationalen Lernens von ARGYRIS & SCHÖN gut entwickelt und anschlussfähig ist an die epistemische Position der vorliegenden Arbeit, bietet es sich an, diesem in den weiteren Ausführungen zu folgen. Problem zwei: Zum Verhältnis von Individuum und Organisation im Lernprozess Das zweite Problem ist mit der Frage verbunden, wie eine Organisation lernt, und ob sie selbst lernen kann oder ob es nicht ihre Mitglieder sind, die lernen. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit Organisationen als Einheiten zu untersuchen. Derartige Forschungsarbeiten blicken von einer Makroperspektive auf Organisationen und betrachten sie als einen einzigen Akteur, dessen Innenleben als „Black-Box“ behandelt wird. Damit wird gleichzeitig unterstellt, dass kollektive Akteure Handlungsmacht be-
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sitzen, denn sonst können sie nicht lernen (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 23). 136 Die vorliegende Arbeit verfährt in weiten Teilen ebenso, da sie auf Fragen der Auseinandersetzung von Organisationen mit ihrer Umwelt fokussiert und sich weniger für organisationsinterne Prozesse interessiert. Trotzdem können die oben aufgeworfenen Fragen nicht ausgeblendet werden, da bereits auf der methodischen Ebene Informanten und Interviewpartner identifiziert werden müssen. Deren Auswahl richtet sich aber im Wesentlichen nach der Frage des Verhältnisses zwischen Individuum und Organisation und der Frage inwieweit Interviews mit Einzelpersonen Rückschlüsse auf organisationale Lernprozesse erlauben. ARGYRIS & SCHÖN (1999: 21) haben daher darauf hingewiesen, dass Betrachtungen der organisationsinternen Prozesse und Strukturen unabdingbar sind. Vor dem Hintergrund der Philosophiegeschichte ist die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Organisation bzw. individuellem und organisationalem Lernen (vgl. hierzu bspw. WIEGAND 1996) überaus nachvollziehbar. Die Theorien organisationaler Lernprozesse haben noch immer mit dem Problem zu kämpfen, dass sie den Begriff der Organisation nicht richtig fassen können (CHILD & HEAVENS 2003: 308) – und das, obwohl bereits ARGYRIS & SCHÖN (1978: 9) danach fragen, was eine Organisation sei, dass sie lernen könne. Organisationales Lernen wird – begründet durch die extrem individualzentrierte europäische Epistemologie seit DESCARTES (2006, Orig. 1637 bzw. 1641) – meist vom Individuum her gedacht. Ganz in diesem Sinn zeigen CHILD & HEAVENS, dass sich die Diskussion des Problems zumeist auf die Frage konzentriert, wie individuelle in organisationale Lernprozesse übersetzt werden (bspw. DODGSON 1993; GHERARDI & NICOLINI 2002; HEDBERG 1981; HUBER 1991; KIM 1993). Wie COOK & BROWN (1999: 382) bilanzieren, herrscht in der Literatur deshalb die Tendenz vor, eine Wissensrangliste aufzustellen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass individuelles Lernen dem organisationalen vorgelagert ist und organisationales Wissen eine Art aggregiertes individuelles Wissen darstellt. Vor einem solchen Erkenntniszugang ist der Transfer von individuellen Prozessen auf organisationales Lernen jedoch äußerst schwierig zu konzeptionalisieren (RICHTER 1998; PROBST & BÜCHEL 1994: 17) und wird insbesondere in den Theorien des Wissensmanagements intensiv diskutiert (bspw. KIM 1993). Das Problem der Verbindung zwischen individuellen und organisationalen Lernprozessen haben ARGYRIS & SCHÖN (1978: 9) folgendermaßen charakterisiert: „There is something paradoxical here. Organizations are not merely collections of individuals, yet there is no organization without such collections. Similarly, 136 Zur Handlungsmächtigkeit von kollektiven Akteuren vergleiche Kapitel 2.2.2
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organizational learning is not merely individual learning, yet organizations learn only through the experience and actions of individuals.“
Das angesprochene Transferproblem ergibt sich jedoch nur vor dem Hintergrund eines individualfixierten, objektivistischen und positivistischen Erkenntniszugangs, der das Subjekt radikal vom sozialen System trennt. Betrachtet man Individuen als gesellschaftlich konstituierte Entitäten, die wiederum mit ihren Handlungen und Wirklichkeitsinterpretationen soziale Systeme schaffen und bedingen, löst sich das Problem erkenntnistheoretisch auf. Organisationale Praxis ist ohne gemeinsam geteilte Sinn- und Wirklichkeitsstrukturen ihrer Mitglieder kaum möglich (FROSCHAUER & LUEGER 2005: 224). Andersherum könnte sogar gefragt werden, wie denn individuelles Lernen konzeptionalisierbar sein sollte, das nicht sozial eingebettet ist. Aus pragmatischer, interpretativer und konstruktivistischer Perspektive erschließen sich so Zugänge zur Konzeption des Verhältnisses von Individuum und Organisation, die nicht-mechanistische Erklärungsansätze anbieten (vgl. Kapitel 2.2.2). Es lassen sich hier zwei „klassische“ Perspektiven auf das Verhältnis von Individuum und Organisation im Lernprozess ausmachen, die beide postulieren, dass organisationales Lernen mehr bzw. respektive etwas anderes sei, als die Lernsumme aller individuellen Organisationsmitglieder. ARGYRIS & SCHÖN (1999: 13) erläutern diesen gemeinsamen Grundgedanken wie folgt: „Wir kennen die komplizierten Wechselbeziehungen zwischen individuellem und organisationalem Lernen. Wir sehen den Ursachenpfeil in beide Richtungen weisen: Das Lernen der interagierenden Individuen ist wesentlich für das organisationale Lernen, das ein Feedback liefert und das Lernen auf individueller Ebene beeinflusst.“
Der Unterschied zwischen den beiden Perspektiven liegt nun darin, aus welcher Richtung man sich dem Phänomen des organisationalen Lernens nähert. Die eine Perspektive betont aus der organisationalen Sicht, dass die bestehenden Organisationssysteme, -strukturen und -prozeduren individuelles Lernen beeinflussen (bspw. FIOL & LYLES 1985). Sie geht davon aus, dass organisationale Lernsysteme historisch entstanden sind und sich unabhängig von einzelnen Mitgliedern in den organisationalen „Geschichten, Symbolen, Leitlinien, Werten und Normen“ widerspiegeln. HEDBERG (1981: 6) fasst diesen Gedanken griffig folgendermaßen in Worte: „Organizations do not have brains, but they have cognitive systems and memories. As individuals develop their personalities, personal habits and beliefs over time, organizations develop world views and ideologies. Members come and go, and leadership changes, but organizations memories preserve certain behaviours, mental maps, norms, and values over time.“
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Diese Konzeptionalisierung ist direkt anschlussfähig an die Theorie von BERGER & LUCKMANN (2004). Aus deren Perspektive kann man in der Beschreibung von HEDBERG durchaus die soziale Konstitution einer organisationalen Wirklichkeit erkennen, deren Weltsicht, Ideologie und Gedächtnis gleichsam sedimentierte Erfahrungen und Wirklichkeitsinterpretationen darstellen. Organisationen bestehen deshalb aus mehr als den kumulierten Wissensbeständen ihrer Mitglieder, sie sind mehr als reine Bibliotheken und Kommunikationssysteme. Ihre sozial konstituierte Wirklichkeit wird von den Organisationsmitgliedern im Rahmen ihrer organisatorischen Sozialisation internalisiert und prägt so deren Lernprozesse (FIOL & LYLES 1985: 804), was Voraussetzung für das gemeinsame Handeln darstellt (FROSCHAUER & LUEGER 2005: 224): „Im Prozess sozialisatorischer Internalisierung in einem spezifischen organisationalen Umfeld entwickeln Akteure sozial typisierte Interpretationsschemata (…), die den Sinnzusammenhang für eine kollektiv verbindliche Handlungskoordination herstellen.“
Durch die Einigung auf gemeinsame Wirklichkeitsentwürfe zwischen den Organisationsmitgliedern wird die Wirklichkeitskonstruktion objektiviert. Neue Mitglieder nehmen sie so als etwas „Gegebenes“ wahr und ordnen sie in eine Art institutionelles Traditionsschema ein (KLIMECKI ET AL. 1991: 19). Im Gegensatz zu individuellem ist organisationales Lernen deshalb durch „kollektive Rationalitäten und den kollektiven Bezugsrahmen“ charakterisiert, womit „überpersönliche Erfahrungswelten [und] kollektiv verbindliche Entscheidungsverfahren“ im Vordergrund stehen. „Organisationales Lernen besitzt demnach eine eigenständige Qualität, die sich von der des individuellen Lernens unterscheidet. Der Unterschied liegt vor allem in der Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Organisationsmitgliedern und ihrer Beziehung zum Ganzen. (…) Damit wird deutlich, dass der Unterschied zwischen individuellem und organisationalem Lernen in der gemeinsam geteilten Wirklichkeit liegt“ (PROBST & BÜCHEL 1994: 20). Die zweite Perspektive hebt aus der individualorientierten Sicht hervor, dass die Ergebnisse von individuellen Lernprozessen aufbewahrt sind in den Systemen, Strukturen und Prozeduren der Organisation (bspw. HEDBERG 1981). ARGYRIS & SCHÖN (1978: 10f.) gehen so von der Prämisse aus, dass bewusste Handlungen die kognitive Struktur des Handelnden widerspiegeln. Teil der Handlung sind also die damit impliziten Werte, Normen und Überzeugungen. Mit seinem zirkulär konstruierten, getesteten und restrukturierten „Wissen“ entwirft der Handelnde seine alltagsweltlichen Handlungstheorien, die als intersubjektiv geteilte Handlungstheorien der Organisationsmitglieder in die Organisationen eingehen und sich dort in Form von Geschichten, Legenden, Organisationsprozessen, Verfahrensweisen, Handlungsmustern, Normen, Institutionen und Artefak-
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ten 137 niederschlagen (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 27f ; PROBST 1994: 302), die dem Zweck (SPENDER 1996: 68) der Organisation angepasst sind. In diesem Sinne können Organisationen auch selbst als institutionalisierte Problemlösungsstrategien zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks aufgefasst werden und sind damit in Gänze bereits Produkte organisationaler Lernprozesse. Organisation und Individuum sind insofern zu verstehen als zwei Seiten der gleichen Medaille, die allenfalls eine analytische Trennung je nach initialer Zugangsperspektive zulassen. Grundsätzlich erscheint es jedoch hilfreich, das Verhältnis zwischen Individuum und Organisation nicht als eines zwischen statischen Entitäten zu konzeptionalisieren, sondern es aus einer pragmatischen Perspektive heraus eher als einen dynamischen, sich wechselseitig beeinflussenden Prozess aufzufassen. Organisationale Lernprozesse können im Sinne DEWEYS gar nicht anders als ein sozialer Prozess aufgefasst werden – auch wenn sie von Individuen durchgeführt werden – denn die Annahmen, die der individuellen Untersuchung zugrunde liegen, sind immer bereits sozial geprägt (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 48). Individuelles wie kollektives Lernen müssen insofern als soziale Phänomene verstanden werden, die durch Kommunikation ermöglicht werden. Individuen haben darin die Funktion von „learning agents“ (ARGYRIS & SCHÖN 1978: 20), die in das soziale System ihre Interpretationsschemata einspeisen, sie mit den anderen Systemmitgliedern kommunikativ abgleichen und die gemeinsam geteilten Wirklichkeiten wiederum internalisieren. Der methodisch-wissenschaftliche Zugang zu organisationalen Lernprozessen kann deshalb durchaus auf beiden Seiten ansetzen, denn (ARGYRIS & SCHÖN 1978: 16f), „Our inquiry into organizational learning must concern itself not with static entities called organizations, but with an active process of organizing which is, at root, a cognitive enterprise. Individual members are continually engaged in attempting to know the organization, and to know themselves in the context of the organization. At the same time, their continuing efforts to know and to test their knowledge represent the object of their inquiry. Organizing is reflexive inquiry.“
Auf dem Weg zu einer Definition organisationalen Lernens Die diametral unterschiedlichen Perspektiven auf organisationales Lernen zeichnen sich logischerweise im Wesentlichen verantwortlich für die Vielfalt an unterschiedlichen Definitionsversuchen (PROBST & BÜCHEL 1994: 17). Ganz allgemein lässt sich Lernen mit FIOL & LYLES (1985: 803) definieren als „process of improving actions through better knowledge and understanding.“ Dabei spielt die Auseinandersetzung mit 137 Diese können aus schriftlichen Dokumenten sowie anderen Gegenständen bestehen.
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der Umwelt eine entscheidende Rolle, denn „der Mensch steht in einem reflexiven Austausch mit seiner Umwelt. Er wählt aufgrund individuell reflektierter Erfahrungen, Erwartungen und Überzeugungen Verhaltensweisen aus und schafft somit seine eigene Umwelt. Lernen ist der individuelle Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt auf der Grundlage bereits erworbener kognitiver Strukturen, die zugleich Möglichkeitsstrukturen sind“ (KLIMECKI et al. 1991: 25). Aus individuellem Lernen wird dann organisationales Lernen (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 31f), „wenn einzelne in einer Organisation eine problematische Situation erleben und sie im Namen der Organisation untersuchen.“
HEDBERG (1981) weist ebenfalls darauf hin, dass die Realität eine weite Spannbreite an Interpretationsmöglichkeiten bietet, aus der Organisationen auswählen und so ihre eigenen Wirklichkeiten schaffen, die ihnen als Handlungsgrundlage dienen. In Anlehnung an MEAD geht HEDBERG (ebd.: 8) davon aus, dass die Art der organisationalen Situationsinterpretation durch die organisationale Weltanschauung bedingt ist. Diese beeinflusst, welche Probleme wahrgenommen werden. Die Organisationen versuchen experimentell die so identifizierten Probleme zu lösen. Die Beobachtung ihrer Handlungsergebnisse wirken in der Folge kontinuierlich auf ihr Wirklichkeitsverständnis zurück. Die Wirklichkeitskonstruktion einer Organisation findet daher in einem kontinuierlich ablaufenden, zirkulären Lernprozess statt, in dem ständig „neue Interpretationsmuster hinzugefügt und alte „unpassende“ ersetzt“ werden (KLIMECKI et al. 1991: 20). Sein experimentelles Verständnis von Lernprozessen entlehnt HEDBERG der Arbeit von ARGYRIS & SCHÖN, die die Erfahrungen und Lernprozesse von Organisationsmitgliedern folgendermaßen beschreiben (1999: 31f): „Sie erleben eine überraschende Nichtübereinstimmung zwischen erwarteten und tatsächlichen Aktionsergebnissen und reagieren darauf mit einem Prozess von Gedanken und weiteren Handlungen; dieser bringt sie dazu, ihre Vorstellungen von der Organisation oder ihr Verständnis organisationaler Phänomene abzuändern und ihre Aktivitäten neu zu ordnen, damit Ergebnisse und Erwartungen übereinstimmen (…). Um organisational zu werden, muss das Lernen, das sich aus Untersuchungen in der Organisation ergibt, in den Bildern der Organisation verankert werden, die in den Köpfen ihrer Mitglieder und/oder den erkenntnistheoretischen Artefakten existieren.“
In diesem experimentellen Lernkonzept wird die Verbindung der Theorie von ARGYRIS & SCHÖN zum Pragmatismus deutlich. Dieser hatte, wir erinnern uns, Erkenntnis als eine ununterbrochene, experimentelle, interpretative Anpassung an die Umwelt verstanden. Lernen, so fassen es in pragmatischer Hinsicht DE HOLAN & PHILLIPS (2003: 396) zusammen, gleicht somit der Assoziationsentwicklung zwischen Handlungen und deren Kon-
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sequenzen. Handeln und Lernen sind deshalb untrennbar miteinander verbunden. Dies, so SUHR (2005: 55), „setzt ein handelndes Wesen mit Bedürfnissen und Zielen voraus; in dem Augenblick, wo eine Phase einer geglückten Anpassung gestört wird und der Organismus in einer Art Schock sich dieser Störung bewusst wird – Bewusstsein ist Aufmerksamkeit –, wird eine Neuanpassung an die Umwelt nötig. Und dies ist der Ort, wo das Erkennen seine Stelle hat.“
Dabei spielen Überraschungen im Konzept von ARGYRIS & SCHÖN (1999: 14), verstanden als Abweichungen der Handlungsergebnisse von den Ergebniserwartungen, eine zentrale Rolle, da durch sie „Menschen neu sehen, denken und handeln lernen können.“ Die Bedeutung von Lernprozessen für Organisationen fassen FIOL & LYLES (1985: 804) wie folgt zusammen: „Learning enables organizations to build an organizational understanding and interpretation of their environment and to begin to assess viable strategies (…). It results in associations, cognitive systems, and memories that are developed and shared by members of the organization.“
Im Lernprozess vermitteln so Handlungen zwischen der Organisationsstruktur einerseits und dem Bild, das sich die Organisation von ihrer außerorganisationalen Umwelt macht, andererseits. Organisationen durchlaufen in diesem Verständnis permanent Lernprozesse, in denen Handlungsstrategien die Annahmen über die außerorganisationale Umwelt und ihre Zusammenhänge erkennen lassen. PROBST fasst dieses Verständnis organisationalen Lernens im Sinne von ARGYRIS & SCHÖN deshalb wie folgt zusammen (1994: 301): „Unter organisationalem Lernen verstehen wir die Prozesse einer Institution als Ganzes, Fehler zu entdecken, diese zu korrigieren sowie die organisationale Wert- und Wissensbasis zu verändern, so dass neue Problemlösungs- und Handlungsfähigkeiten erzeugt werden. Einzuschließen ist auch die Fähigkeit, Handlungskriterien und -strategien auf ihre Sinnhaftigkeit zu überdenken.“
Lernen ist jedoch für ARGYRIS & SCHÖN (1999: 12) in normativer Hinsicht weder positiv noch negativ konnotiert. Ergebnisse von Lernprozessen können durchaus auch in normativer Hinsicht als negativ bewertet werden. Der Erfolg eines Lernprozesses bemisst sich aus pragmatischer Perspektive lediglich instrumentell dahingehend, ob die zu Beginn des Forschungsprozesses bestehende ungeklärte Situation temporal stabilisiert wird und das aufgeworfene Problem als gelöst betrachtet werden kann. Zusammenfassend kann man damit bilanzieren, dass der hier vorgestellte Ansatz organisationalen Lernens von einem kognitiven Lernbegriff
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ausgeht und Organisationen als eigenständige Handlungssysteme begreift, die kontinuierlich experimentell lernen, indem sie die beabsichtigten Folgen von Handlungen mit deren Konsequenzen vergleichen. Die stellvertretend für die Organisation von ihren Mitgliedern vorgenommen Handlungen schaffen eine Realität, die als subjektunabhängig wahrgenommen wird, weil sie auf sozial geteilten Interpretationen beruht. Der gemeinsame Aufbau von Wirklichkeit ist die Voraussetzung der kollektiven Handlungsfähigkeit. Organisationen müssen deshalb zugleich als Bedingung und Konsequenz der sozialen Welt verstanden werden. Organisationen schaffen in diesem Sinne die Rahmenbedingungen für die Konstitution sozial bedingter Wirklichkeitsentwürfe und strukturieren dadurch die Handlungsbedingungen der individuellen Akteure. Organisationales Lernen wird insofern zu einem kollektiven Phänomen sozialer Wirklichkeitskonstruktion im Rahmen einer pragmatischen Erkenntnissuche.
5.2.1.3 Ein pragmatisches Modell organisationalen Lernens ARGYRIS & SCHÖN (1978; 1999) gehen in ihrer Theorie davon aus, dass Mitglieder in Organisationen gemeinsame Grundannahmen bzw. Wirklichkeitsentwürfe entwickeln, die in den Handlungen der Organisation zum Ausdruck kommen. Organisationales Lernen ist dementsprechend gleichbedeutend mit einer Veränderung der gemeinsam geteilten Aktions- oder Handlungstheorie. 138 Die Aktionstheorie wird definiert (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 28): „anhand einer bestimmten Situation S, eines bestimmten, in dieser Situation beabsichtigten Ergebnisses E und einer Aktionsstrategie A, mit der das Ergebnis E in der Situation S erreicht werden soll. Die Aktionstheorie lautet in ihrer allgemeinen Form also: will man das Ergebnis E in der Situation S erreichen, muss man A durchführen.“
Es handelt sich bei der Handlungstheorie also um Erwartungen über Konsequenzen von Handlungen unter bestimmten Bedingungen, die als Prämissen der Auswahl von Handlungsoptionen zugrunde liegen. 139 Die Aktionstheorie wird zusätzlich bestimmt durch zwei weitere Elemente: erstens die Werte, die E zugeschrieben werden und es als erstrebenswertes Ziel erscheinen lassen, und zweitens das der Aktionstheorie zugrunde lie-
138 Die Begriffe Aktions- und Handlungstheorie werden hier von den Autoren synonym verwendet. 139 Die Idee der Aktionstheorie ist damit vollständig deckungsgleich mit dem was DEWEY als Handlungspläne (2001: 223) bezeichnet. Es erstaunt schon sehr, dass dies von ARGYRIS & SCHÖN nicht kenntlich gemacht wurde. Erst die Differenzierung der Aktionstheorie in espoused-theory und theory-inuse ist dann eine originäre Leistung von ARGYRIS & SCHÖN.
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gende Modell der Welt, das es plausibel macht, dass „Aktion A in der Situation S das Ergebnis E erbringt“ (ebd.). Die Aktionstheorie kann in zwei Formen offenbar werden. Die explizit und offiziell „vertretene Theorie“ (espoused theory) rechtfertigt und erklärt (rational) Aktionsmuster. Sie ist in formeller oder informeller Hinsicht gleichbedeutend mit dem Unternehmenszweck sowie der Unternehmenskultur und den ihr impliziten Ideen, Wertvorstellungen, Strategien und Strukturen. Diese werden öffentlich kommuniziert und bilden gleichsam die Unternehmensidentität (PROBST & BÜCHEL 1994: 22ff). Die zweite Form, in der die Aktionstheorie sichtbar werden kann, ist die „handlungsleitende Theorie“ (theory-in-use), die in der Durchführung der organisationalen Aktionsmuster stillschweigend enthalten ist. Sie bezeichnet die Art von Theorien, aus denen sich direkt Handlungen ableiten lassen. Sie sind meist nicht explizit als Theorien artikuliert, sondern resultieren aus den kollektiven Erfahrungen als geteilte, handlungsermöglichende Wirklichkeitsentwürfe. Die handlungsleitende Theorie ist deshalb auch nur interpretativ aus der Beobachtung von Aktionsmustern ableitbar (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 29). Die offiziell vertretene Theorie und die handlungsleitende Theorie müssen dabei nicht konsistent sein, sondern können durchaus voneinander abweichen. Die Theorie organisationaler Lernprozesse von ARGYRIS & SCHÖN (1999: 14) unterscheidet vor diesem theoretischen Hintergrund drei Lernniveaus. 140 Lernprozesse auf der einfachsten Ebene (single-loop-learning oder Einschleifen-Lernen) lassen die Handlungstheorien der Organisation unverändert und passen nur die Anwendungsmodalitäten der bekannten Handlungsmuster an. Lernprozesse auf dem zweiten Niveau (double-looplearning oder Zweischleifen-Lernen) gehen mit einer Veränderung der Handlungstheorien und -muster einher. Das Einschleifen-Lernen gleicht insofern einer Art Erhaltungslernen, bei dem wir lernen, das besser zu machen, von dem wir bereits wissen, wie es geht, während ZweischleifenLernen grundsätzlich fragt, ob wir das Richtige tun (FULMER & KEYS 1998: 26). Lernen auf dem dritten Niveau (deutero-learning) ist dann selbstreflexiv, d. h. dass eine Organisation lernt zu lernen.
140 Die Grundidee dieser Differenzierung stammt von BATESON (1972). Bekannt wurde sie jedoch in der von ARGYRIS & SCHÖN modifizierten und theoretisch ausgearbeiteten Form. In der Literatur existieren noch andere Kategorisierungen von Lernniveaus. So unterscheiden Levy & Merry (1986) zwischen „first-order“ und „second-order-change“ und Fiol & Lyles (1985) reden von „lower-level-“ und „higher-level-learning“. Die Konzepte sind jedoch fast deckungsgleich mit den nachfolgend dargelegten Ideen des Einschleifen- und Zweischleifen-Lernens von Argyris & Schön. Für eine vergleichende Darstellung unterschiedlichster Kategorisierungen siehe Pawlowsky (2003: 77).
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Bevor wir uns aber dem Modell der Lernniveaus zuwenden, ist es lohnenswert sich noch einmal etwas eingehender mit den Auslösern von Lernprozessen zu beschäftigen. Lernauslöser in der Theorie organisationaler Lernprozesse Obwohl die Theorie von ARGYRIS & SCHÖN als pragmatischer Ansatz grundsätzlich eine breite Palette an Lernauslösern zulassen müsste, stellen sie in ihrem Konzept die „überraschende Nichtübereinstimmung zwischen erwarteten und tatsächlichen Aktionsergebnissen“ (1999: 31f) in das Zentrum ihrer Erläuterungen. Ihre Theorie wurde nachfolgend deshalb oft dahingehend verengend interpretiert, dass sie Lernen vornehmlich im Sinne einer „trial and error“ Logik konzeptionalisieren würde, die reaktiv nur auf Fehlerkorrektur ausgelegt sei (SCHREYÖGG & EBERL 1998: 522). Auch wenn in dieser Hinsicht ARGYRIS & SCHÖN unbefriedigenderweise recht unkonkret bleiben, sollte man ihren Ansatz vor dessen pragmatischen Hintergrund meiner Meinung nach so eng nicht verstehen. Da ARGYRIS & SCHÖN sich an DEWEY anlehnen, erscheint es sinnvoll, sein deutlich weiteres Konzept zu verwenden. Demnach muss am Anfang eines Lernprozesses immer eine unbestimmte, zweifelhafte Situation stehen, die einer Klärung bedarf und aus der eine Problemdefinition heraus erfolgt. Durch was kann aber eine Situation für eine Organisation unbestimmt werden? DEWEY bleibt eine konkrete Antwort auf diese Frage schuldig. In der Logik des Pragmatismus ist es jedoch sicherlich plausibel anzunehmen, dass er hier keine mechanistische Verengung in der Theoriebildung vornehmen wollte und deshalb eine grundsätzliche Offenheit für viele Auslösemechanismen bewahren wollte. Die Literatur organisationaler Lernprozesse bietet ein breites Angebot an möglichen Lernauslösern, die vor dem geschilderten pragmatischen Hintergrund grundsätzlich erst einmal alle für eine Theoriebildung erwogen werden sollten. Einen guten analytischen Überblick darüber, wodurch Situationen unsicher werden können, präsentieren bspw. HUBER (1991) und SCHREYÖGG & NOSS (2000). Unsicherheit kann demnach im Rahmen der Erfahrung, der Zielerreichung, des Vergleichs mit anderen oder eines Dissens in der Organisation entstehen und so Lernprozesse anregen (vgl. Tabelle 14). Tabelle 14: Erfahrung
Potenzielle Auslöser organisationaler Lernprozesse Ziel
Vergleich Erwartung/ Differenz Ziel/ Ergebnis Wirklichkeit Quelle: SCHREYÖGG & NOSS 2000: 70
Vergleich
Dissens
Kontrast eigenes/ Wirklichkeitsdifferenzen fremdes Wissen innerhalb der Organisation
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Welche Lernauslöser lassen sich jedoch etwas konkreter empirisch und analytisch unterscheiden und wie lassen sich in diese Typologien Krisensituationen als Lernauslöser einordnen? Einen guten Überblick über die Frage, warum Organisationen in Lernprozesse eintreten, bietet HEDBERG (1981: 16). Ihm zufolge beginnen Organisationen dann nach Lösungen zu suchen, wenn Probleme auftauchen oder wenn Lücken zwischen „Performance“ und Erwartung groß genug werden. Die Problemidentifikation hängt dabei eng mit der gerichteten Aufmerksamkeit der Organisation für ihre Umwelt zusammen. Organisationen widmen üblicherweise nur dem Teil ihrer Umwelt Aufmerksamkeit, in dem Wettbewerber oder andere Teile der Umwelt zu einer Bedrohung ihrer Existenz werden könnten. Lernen, so könnte man in pragmatischer Hinsicht formulieren, ist eine ununterbrochene, zielgerichtete Anpassung handelnder Wesen an ihrer Umwelt. In dem Moment, in dem „eine Phase einer geglückten Anpassung gestört wird und der Organismus in einer Art Schock sich dieser Störung bewusst wird – Bewusstsein ist Aufmerksamkeit –, wird eine Neuanpassung an die Umwelt nötig“ (SUHR 2005: 55). Vor dem Hintergrund der Wahrnehmung von Veränderungen in der außerorganisationalen Umwelt bzw. im Verhalten von Wettbewerbern entstehen Zweifel über die Richtigkeit der gewählten Unternehmensstrategien, die dann zu deren Reevaluation führen. Da bspw. die Entwicklung von Märkten grundsätzlich immer unsicher ist und auch Technologien Risiken beinhalten, können mit DODGSON (1993: 390) die Absichten, mit technischen und mit Marktunsicherheiten besser umzugehen, als wesentliche Gründe für Unternehmen zu lernen identifiziert werden. Gegenüber diesen eher generellen Motiven bestehen die Hauptlernauslöser jedoch zumeist in den bereits von ARGYRIS & SCHÖN beschriebenen Abweichungen von erwarteten und tatsächlich Handlungsergebnissen. Lernen aus Erfolgen und Misserfolgen spielt insofern eine erhebliche Rolle für organisationale Lernprozesse (AASE & NYBØ 2005; CARROLL 1998; STARBUCK & HEDBERG 2003). Zum Lernen aus Misserfolgen können bspw. schlechtere Absatzquoten als erwartet oder fehlgeschlagene Versuche zur Qualitätssteigerung in der Produktion zählen. HEDBERG (1981: 16) folgert daraus: „Learning is typically triggered by problems.“
Klaffen Erwartungen und tatsächliche Situation erheblich und überraschend auseinander, kann die betroffene Organisation in eine Krise oder zumindest in Turbulenzen geraten, was laut PROBST & BÜCHEL (1994: 49ff) einen der häufigsten Lernauslöser darstellt. Nach KOVOORMISRA & NATHAN (2000) seien gerade Krisen besonders gut dazu geeignet, die Aufmerksamkeit einer Organisation für ihre Umwelt zu erregen. Krisen stehen in diesem Sinn nicht nur stellvertretend für Risiken, die es
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zu beherrschen gilt, sondern bieten dadurch, dass sie potenziell einen Anlass für eine grundsätzliche Infragestellung einer Situation darstellen, auch Chancen, die für die Organisationsentwicklung genutzt werden können (NATHAN 2000). Externe Schocks und Krisen bieten deshalb aufgrund ihrer doppelten Natur vielleicht wie kein anderes Ereignis das Potenzial, organisationale Lernprozesse anzuregen (FIOL & LYLES 1985: 808; LANZARA 1983; KOVOOR-MISRA & NATHAN 2000: 33). Krisen als Treiber organisationaler Lernprozesse werden innerhalb der Theorien organisationalen Lernens jedoch eher randlich behandelt, wobei die Arbeiten von LANZARA (1983), NYSTROM & STARBUCK (1984), RICHARDSON (1994) oder WEICK & SUTCLIFFE (1995) für eine solche Perspektive beispielhaft angeführt seien. Sie werden hier als Ausdruck von Veränderungen innerhalb oder außerhalb von Organisationen verstanden, die diese zu Anpassungen oder Organisationsänderungen veranlassen (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 9). 141 Eine unbestimmte Situation muss jedoch nicht im konventionellen Sinne problematisch sein. Die Beobachtung der organisationalen Umwelt kann bspw. auch zur Identifikation von Geschäftschancen führen, die einen Anreiz darstellen können, in Lernprozesse einzutreten, wobei diese Art von Lernauslösern eher selten zu finden ist (HEDBERG 1981: 16). Im gleichen Sinne ist auch die Idee des Lernens von Kunden und Anwendern sowie Konkurrenten und Partnern zu verstehen (DODGSON 1993: 386). Auch hier werden Chancen identifiziert, ohne dass bereits ein existenzieller Problemdruck gegeben sein muss. Ist dem Lernen jedoch keine informationelle und verstehensmäßige Durchdringung des Verhaltens der Konkurrenten unterlegt, muss von einem Lernen in Form von Verhaltensimitation (CZARNIAWSKA 2003; LEVITT & MARCH 1988: 330f) ausgegangen werden. Schließlich können auch abweichende Wirklichkeitsinterpretationen innerhalb eines sozialen Systems Lernprozesse anregen, da sie neue Perspektiven und damit neue Problemlösungen ermöglichen, wenn sie sich gegenüber den etablierten Perspektiven durchsetzen (KLIMECKI et al. 1991; LEVITT & MARCH 1988: 325; : 21). Einschleifen-Lernen Das sogenannte Einschleifen-Lernen (Single-loop learning) (Argyris & Schön 1978: 18f; Argyris & Schön 1999: 35f) kann als operationale Verhaltensanpassung an unvorhergesehene Veränderungen der organisationalen Umwelt verstanden werden (Argyris & Schön 1999: 36): „Bei derartigen Lernereignissen verbindet eine einzige Rückmeldeschleife, die durch eine organisationale Untersuchung zustande kommt, aufgespürte Irrtümer 141 Zur Konzeptionalisierung von Krisen, ihrem Auftreten, ihrer Entstehung und ihrer Relevanz für die Tourismusindustrie vgl. Kapitel 5.1.1.
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– das heißt ein Aktionsergebnis das nicht den Erwartungen entspricht und daher überraschend ist – mit Handlungsstrategien der Organisation und den ihnen zugrunde liegenden Annahmen.“
Sind die Veränderungen relativ gering, werden sie als Fehler des Gebrauchs der Handlungstheorien aufgefasst und durch eine Anpassung der Handlungen eliminiert (vgl. Abbildung 29). Einschleifen-Lernen basiert daher auf einer operationalen Modifikation von Routinen, die die Grundlagen der Routinenbildung unberührt lassen. Der Psychologe WATZLAWICK (1985: 367) hat diese Vorgehensweise daher als eines Strategie des „mehr-desselben-Rezepts“ bezeichnet. Einschleifen-Lernen ist in diesem Sinne vornehmlich auf eine Steigerung der Effektivität von Routinen ausgelegt (CHRIS ARGYRIS in FULMER & KEYS 1998: 26; LEVITT & MARCH 1988: 322). Sinn des Einschleifen-Lernens ist es daher, ein Umfeld zu schaffen, das die Ausbildung von Fähigkeiten erlaubt, „um effizientere Strategien und Techniken besser und schneller zu erkennen und zu implementieren“ (KLIMECKI ET AL. 1991: 28). Dieser in der Literatur auch Verbesserungslernen genannte Lerntyp kann daher zusammenfassend wie folgt definiert werden (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 35f): „Unter Einschleifen-Lernen verstehen wir instrumentales Lernen, das Handlungsstrategien oder Annahmen, die Strategien zugrunde liegen, so verändert, dass die Wertvorstellungen einer Handlungstheorie unverändert bleiben.“
Das Einschleifen-Lernen ist die einfachste Art des Lernens in Organisationen und wird deshalb auch Lernen erster Ordnung (OI) genannt (ebd.: 104). Abbildung 29: Modell des Ein- und Zweischleifen-Lernens Organisation
Governing Values
Handlungen
Misserfolg oder Fehler
Einschleifen-Lernen Zweischleifen-Lernen
Quelle: ARGYRIS & SCHÖN 1990: 94; verändert
Zweischleifen-Lernen Das Zweischleifen-Lernen (Double-loop learning) (Argyris & Schön 1978: 22; Argyris & Schön 1999: 14) geht einher mit Veränderungen der
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zugrunde liegenden Werte (governing values) und der Rahmenbedingungen, in die Werte eingebettet sind. Dies setzt voraus, dass bei den organisationalen Untersuchungen die Bereitschaft bestehen muss, die grundsätzlichen Annahmen, institutionellen Normen und Wertvorstellungen einer Institution zu hinterfragen, die sich in ihren Ansichten über ihre Umwelt, das Verständnis der eigenen Fähigkeiten und ihre organisationalen Strategien ausdrückt. Diese Handlungstheorien werden so kritisch und grundsätzliche neu auf ihre Angemessenheit hin untersucht und mit alternativen Handlungstheorien verglichen. Das Ergebnis ist ein modifizierter kognitiver und normativer Bezugsrahmen der Organisation und eine daraus resultierende Restrukturierung der objektivierten organisationalen Wirklichkeiten. Mit Hilfe dieses auch Veränderungslernen genannten Lerntypus entwickelt eine Organisation folglich eine neue Weltanschauung, die von Nöten ist, um grundsätzlichere Probleme durch andere Handlungsstrategien lösen zu können (vgl. Abbildung 29). Veränderungslernen stellt insofern immer Lernen auf konzeptioneller Eben dar, das eine Fehlerkorrektur mit Hilfe von Handlungen erlaubt, die mit einer Veränderung bestehender Handlungsnormen einher geht (ARGYRIS & SCHÖN 1978: 3). Zweischleifen-Lernen wird deshalb auch „Lernen zweiter Ordnung (OII)“ genannt (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 44). Zusammenfassend kann daher Zweischleifen-Lernen verstanden werden als (ebd.: 36): „ein Lernen, das zu einem Wertewechsel sowohl der handlungsleitenden Theorien als auch der Strategien und Annahmen führt. Die Doppelschleife bezieht sich auf die beiden Rückmeldeschleifen, die die festgestellten Auswirkungen des Handelns mit den Strategien und Wertvorstellungen verbinden, denen die Strategien dienen. Strategien und Annahmen können sich gleichzeitig mit einem Wertewechsel oder als Folge davon ändern.“
Empirisch lässt sich beobachten, dass Zweischleifen-Lernprozesse vor allem auftreten, wenn die etablierten Handlungsstrategien trotz Verbesserungen die Ergebniserwartungen nicht erfüllen und nicht hinreichend zur Problemlösung beitragen können. Das Scheitern des „mehr-desselbenRezepts“ lässt sich mit dem ständigen Wandel der Organisationsumwelt erklären. Passt sich dem eine Organisation in seinen Problemlösungskonzepten nicht an, werden die althergebrachten Lösungsansätze ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr funktionieren, da sie für die veränderte Situation inadäquat geworden sind (WATZLAWICK 1985: 367). In diesem Fall bleibt die unbestimmte Situation weiterhin problematisch, weshalb es schließlich zu einer grundsätzlichen Infragestellung der organisationalen Basisannahmen kommen kann. Selbst wenn einzelne Mitglieder in einer Organisation die alten Handlungstheorien in Frage stellen, können Konflikte mit Vertretern der alten Handlungstheorien durchaus dazu führen, dass sich eine neue Weltanschauung nicht durchsetzen kann. Ein- und
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Zweischleifen-Lernen stellen insofern grundsätzlich verschiedenartige Lernprozesse dar (vgl. Tabelle 15). Tabelle 15:
Merkmale
Ein- und Zweischleifen-Lernen im Vergleich Einschleifen-Lernen (Verbesserungslernen)
Zweischleifen-Lernen (Veränderungslernen)
x Basiert auf Wiederholungen/Modifikationen bewährter Handlungsroutinen x Mechanistische Problemlösungsstrategie x Lernen innerhalb bestehender Strukturen
x Basiert auf kognitiven Prozessen der Wirklichkeitskonstitution x Durchbricht Routinen x Geht einher mit Veränderungen bestehender Regeln und Strukturen
Ergebnisse x Mechanistische Problemlösung x Anpassung der Ausführung bewährter Handlungsoptionen
x Veränderung von Wirklichkeitsentwürfen x Entwicklung neuer Handlungstheorien, Organisationsstrukturen, -kulturen und -strategien
Quelle: In Anlehnung an SCHEURER & ZAHN (1998: 176; stark verändert)
Allerdings konstatieren bereits ARGYRIS & SCHÖN (1999: 40), dass „die Unterscheidung zwischen Einschleifen- und Doppelschleifen-Lernen durch die Organisationsgröße und -komplexität erschwert wird.“ Dass die vorgenommene Trennung nicht unproblematisch sein kann (EASTERBYSMITH et al. 2000: 786), demonstriert HUBER (1991), der über diesen Befund weit hinaus geht und feststellt, dass sich in der Praxis kein Unterschied zwischen Ein- und Zweischleifen-Lernen ausmachen ließe. Die vorliegende Arbeit wird daher auf theoretischer Ebene die Trennung zwischen Ein- und Zweischleifen-Lernprozessen nur als eine rein analytische behandeln. Dreischleifen-Lernen Das Dreischleifen-Lernen (Deutero-learning) (ARGYRIS & SCHÖN 1978: 26f) stellt eine Art selbstreflexives Lernen dar, bei dem Organisationen auf der Metaebene lernen zu lernen. Organisationale Lernprozesse werden hier gleichsam selbst zum Lernobjekt gemacht. Diese Art des Lernens findet zumeist nicht von selbst statt, sondern wird gezielt versucht anzuregen, um Lernhindernisse beseitigen oder zumindest abbauen zu können. Mittels des Dreischleifen-Lernens soll erreicht werden, dass Lernen in Organisationen eine Verschiebung von Lernsystemen erster Ordnung (OI) hin zu Lernsystemen zweiter Ordnung (OII) erfährt (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 85ff, bzw. 119ff). DreischleifenLernen stellt einen aktiv gesteuerten, nach innen gerichteten, organisationalen Lernprozess dar. Dieser kann Zweischleifen-Lernprozesse anregen. Da hier in der vorliegenden Arbeit jedoch vornehmlich nicht das Binnen-
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verhältnis von Organisationen, sondern ihre Handlungsstrategien im Umgang mit ihrer Umwelt von Interesse sind, werden DreischleifenLernprozesse nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein.
5.2.1.4 Pragmatische Modifikationen des Modells organisationalen Lernens von Argyris & Schön Die in den letzten Abschnitten präsentierte theoretische Perspektive von ARGYRIS & SCHÖN betrachtet organisationales Lernen grundsätzlich aus einer pragmatischen Sicht. Vergleicht man ihren Ansatz jedoch mit den Ausführungen in Kapitel 2.1 über den Pragmatismus DEWEYs, so wirkt ihr Ansatz stark unterkomplex und schöpft daher das Potenzial einer pragmatischen Perspektive noch nicht aus. Im Folgenden wird daher das Konzept von ARGYRIS & SCHÖN in pragmatischer Hinsicht konkretisiert und um zusätzliche Aspekte ergänzt sowie ein Brückenschlag zu sozialkonstruktivistischen Ansätzen (vgl. Kapitel 2.2) unternommen, so dass insgesamt ein modifiziertes und ergänztes Modell organisationaler Lernprozesse entsteht, das nachfolgend als Interpretationsrahmen der empirischen Befunde dient. Dem modifizierten Modell organisationalen Lernens liegt die pragmatische Basisannahme zugrunde, dass Wandel den Normalfall darstellt und Stabilität nur scheinbar existiert. Lernen muss aus pragmatischer und sozialkonstruktivistischer Perspektive als infiniter, zirkulärer, sozialer und kulturell geprägter Prozess der Auseinandersetzung der Organisation mit ihrer soziokulturellen Umwelt konzeptionalisiert werden. Organisationales Lernen wird daher verstanden als interaktiver (Forschungs-)Prozess sozialer Wesen, die gemeinsam in spezifischen soziokulturellen, organisationalen und materiellen Bezügen dynamisch ein Verständnis ihrer Umwelt entwickeln und versuchen, ihre kollektiven Handlungs- und Organisationsstrukturen so zu verändern, dass sie möglichst erfolgreich sind. Die Organisationsmitglieder verhandeln und formulieren ihr Verhältnis zueinander, ihre gemeinsame Interpretation der Wirklichkeit und damit ihr Verhältnis zu ihrer Umwelt über das Medium der Handlung immer wieder neu. Damit ist klar, dass organisationales Lernen etwas anderes ist als die Summe der Lernprozesse einzelner Organisationsmitglieder. Lernen als Lernprozess muss vielmehr im Sinne eines Synonyms für Forschung im Sinne DEWEYs verstanden werden. Es stellt dann den Versuch eines sozialen Systems dar, sich Klarheit zu verschaffen über eine von ihm als problematisch und unangenehm empfundene Situation, mit deren Hilfe das identifizierte Problem einer Lösung zugeführt werden soll, die die Situation wieder stabilisiert. Lernprozesse sind daher immer in konkrete sozio-kulturelle Kontexte eingebettet und finden nicht solipsistisch in den Köpfen einzelner Menschen statt. Ist ein Lernprozess abgeschlossen und eine Situation dadurch geklärt, führt dies unweigerlich zum Entstehen neuer zweifelhafter Situationen. Insofern lenken auch erfolgreiche Problemlösungen letztendlich mittelbar
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wieder zur Identifikation neuer Probleme hin, womit der Lernprozess erneut einsetzt. Das Ziel des Lernprozesses kann es daher nicht sein, eine Störung zu beseitigen und den ursprünglichen „störungsfreien“ Zustand wieder herzustellen – dies ist aus pragmatischer Perspektive nicht möglich und hieße, das vorliegende Problem „in Luft aufzulösen“ zu wollen (WATZLAWICK 1985: 366f). Anstatt wie in realistischer Ontologie durch Lernen wieder eine statische System- und Wirklichkeitsstabilität erreichen zu wollen, zielen erfolgreiche organisationale Lernprozesse aus pragmatischer Perspektive darauf ab, eine prozessuale Stabilität herzustellen. Eine solche beruht auf einem dynamischen Gleichgewicht, das zu seiner Erhaltung innerer Schwankungen bedarf und das permanenten Veränderungen unterworfen ist. Das Erreichen oder gar „Wiederherstellen“ eines statischstabilen Zustandes kann deshalb in pragmatischer Perspektive kein Erfolgskriterium für Lernprozesse darstellen. Um den pragmatischen Hintergrund des Lernprozesses sichtbarer zu machen, wird das Modell organisationalen Lernens von ARGYRIS & SCHÖN mit dem Modell des Forschungsprozesse nach DEWEY (vgl. Kapitel 2.1.1) verschmolzen (vgl. Abbildung 30). Abbildung 30: Modell organisationaler Lernprozesse Organisation Bestimmung der zweifelhaften Situation
Zweifelhafte Situation Problemdefinition Organisationale Wirklichkeit
Abduktive Hypothesenbildung
Kompatibilitätsprüfung
Zweischleifen-Lernen – verändert…
Quelle:
Experiment
Informationen
Organisationale Umwelt
Erfolg
Handlungen EinschleifenLernen – verändert…
Misserfolg
Eig. Entwurf in Anl. an ARGYRIS & SCHÖN 1990: 94; DEWEY 2001, 2002; HEDBERG 1981: 10
Der Lernprozess beginnt damit, dass eine Situation zweifelhaft wird, wobei eine Reihe von Lernauslösern (vgl. Kapitel 5.2.1.3) dazu beitragen können, eine Situation in einer bestimmten Hinsicht zu hinterfragen. Wie DEWEY ausführt, hat die Zweifelhaftigkeit immer eine emotionale 142 , eine Willens- und eine intellektuelle Dimension. Die Zweifelhaftigkeit löst Un-
142 Damit wird in theoretisch-konzeptioneller Hinsicht deutlich, dass Emotionen eine wichtige Rolle im organisationalen Lernprozess spielen.
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sicherheit und damit Stress aus, wodurch der Wille entsteht die Situation zu bestimmen, da sonst die organisationale Wirklichkeitskonstruktion instabil zu werden droht und nachfolgend die Handlungsfähigkeit der Organisation hinfällig wäre. Die Folge wäre ein Kontrollverlust, der zu einer existenziellen Bedrohung für die Organisation werden könnte. In intellektueller Hinsicht werden nun Gründe für die Zweifelhaftigkeit gesucht. Die Zweifelhaftigkeit bzw. Fraglichkeit wie DEWEY sie auch nennt, leitet also bereits zur Problemidentifikation hin, da eine Situation nur in einer bestimmten Hinsicht, in einer bestimmten Perspektive fraglich sein kann. Die Problemidentifikation wirkt nun gleichzeitig wieder zurück auf die organisationale Wirklichkeitskonstruktion und beeinflusst so auch die Auswahl der als relevant wahrgenommenen Informationen. Wirklichkeitskonstruktion, Situationsbestimmung und Problemidentifikation finden insofern gleichzeitig statt, wirken jeweils aufeinander ein und sind allenfalls analytisch voneinander trennbar. Nun werden abduktiv Problemlösungshypothesen gebildet, die zunächst auf ihre Kompatibilität mit der organisationalen Wirklichkeit hin überprüft werden. Hypothesen, die nicht kompatibel erscheinen, werden verworfen, die anderen experimentell überprüft. Die Organisation versucht nun ihre Verhaltensmodi operational im Sinne von Einsschleifen-Lernprozessen zu verbessern. Dafür benutzt sie Handlungsmuster, die sich bereits bewährt haben. Die zugrunde liegenden Aktionstheorien bleiben unverändert. Ist die operationale Modifikation der Handlungen erfolgreich, ist die Situation wieder bestimmt und der Prozess kommt bis zum Auftauchen einer neuen zweifelhaften Situation zum Stillstand. Erst wenn die vertrauten Handlungsmuster nicht mehr funktionieren, wird eine Organisation auch ihre organisationale Wirklichkeit und damit ihre handlungsleitenden Theorien in Frage stellen. Damit wird eine veränderte Perspektive auf die zweifelhafte Situation und eine Veränderung der Problemidentifikation möglich. Früher als inkompatibel verworfene oder auch gänzlich neue Hypothesen können sich nun in die veränderte organisationale Wirklichkeit einfügen und werden nachfolgend einer experimentellen Erprobung unterworfen. Sind sie erfolgreich, ist die Situation geklärt und der Prozess kommt zu einem vorläufigen Ende, oder sie scheitern und er beginnt erneut von vorne. Im Erfolgsfall hat so eine Modifikation der organisationalen Wirklichkeit, der handlungsleitenden Theorien und der Handlungsmuster stattgefunden. Dieser Zugang zu organisationalem Lernen ist radikal dynamisch und prozessorientiert. Er stellt Handlungen und Handlungsmuster forschungsmethodisch in den Vordergrund seiner Analyse, da Organisationen durch ihre Handlungsmuster ihre Wirklichkeitsinterpretationen, ihre Aktionspläne anzeigen. Die Beobachtung der Handlungen und Handlungsfolgen (wie Organisationsstrukturen, institutionalisierte Prozessstrukturen und Artefakte) von Organisationen lässt daher interpretativ Rückschlüsse auf ihre handlungsleitenden Theorien zu, die mit den vertretenen Theorien vergli-
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chen werden können. Da Handlung und Lernen folglich eng mit einander verbunden sind, ist „die Durchführung einer beobachtbaren, für eine Organisation neuen Handlung der entscheidende Test dafür (…), ob ein bestimmter Fall von organisationalem Lernen eingetreten ist“ (ARGYRIS & SCHÖN 1999: 23). Mit Hilfe der empirisch beobachteten Handlungen der Hotellerieunternehmen und des vorgestellten Modells organisationaler Lernprozesse soll so interpretativ ein Erklärungsangebot für das Verständnis der Krisenreaktionen der Tourismusunternehmen in der Arabischen Welt entwickelt werden.
5.2.1.5 Forschungsstand zum organisationalen Lernen im Tourismus Organisationale Lernprozesse sind in der Tourismuswissenschaft bisher erstaunlicherweise kaum Gegenstand der Forschung gewesen. Die vorhandene Literatur ist stark anwendungsbezogen und befasst sich vornehmlich mit der Frage, wie Tourismusunternehmen zu „Lernenden Organisationen“ werden können, und was dafür von Seiten des Managements getan werden muss (bspw. AGUT & GRAU 2002; BAYRAKTAROGLU & KUTANIS 2003; GJELSVIK 2002), oder welche Rolle dafür die Personalentwicklung spielt (bspw. AKSU & ÖZDEMIR 2005; BYEONG YONG 2006). SCHIANETZ et al. (2007) gehen sogar noch einen Schritt weiter und fragen danach, wie eine gesamte Destination zu einer Lernenden Organisation werden kann. Erst in jüngster Zeit beschäftigen sich einige wenige Studien auf theoretischkonzeptioneller Basis mit Prozessen und Ergebnissen organisationalen Lernens in der Tourismuswirtschaft. So bspw. MORRISON et al. (2004), die die Frage klären wollen, wie Netzwerke in der Tourismuswirtschaft lernen, oder BEESLEY (2005), die der Frage nachgeht, welche Rolle Emotionen in kooperativen Tourismusforschungsnetzwerken spielen. Auch das Forschungsfeld organisationalen Lernens in Verbindung mit dem Auftreten von Krisen im Tourismus scheint kaum entwickelt zu sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnten lediglich zwei jüngere Arbeiten ausgemacht werden, die versuchen, Theorien organisationaler Lernprozesse vor dem Hintergrund des Auftretens von Krisen im Tourismus zu identifizieren. So hat sich bspw. ANDERSON (2006) mit der bereits geschilderten Untersuchung des Krisenmanagements im Tourismus Australiens im Verlauf des Jahres 2001 als Reaktion auf den Konkurs der australischen HIH-Versicherungsgesellschaft und der australischen Fluggesellschaft Ansett Airlines sowie der Anschläge des 11. Septembers befasst. Im Zentrum der Studie stand die Frage, wie vorbereitet die Unternehmen auf derartige Ereignisse waren, welche Strategien sie in ihrer Personalpolitik nachfolgend einnahmen und ob organisationale Lernprozesse stattfanden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Unternehmen wenig bis gar nicht auf Krisen vorbereitet waren, kaum Neigung zeigten, Personal abzubauen und nur bei wenigen Unternehmen Anzeichen für Lernprozesse ausgemacht werden
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konnten. Insgesamt bleibt der Aufsatz von ANDERSON jedoch stark limitiert, da er weder im Detail aufzuzeigen vermag, worin sich die einsetzenden Lernprozesse äußern, noch in welchen veränderten Handlungsstrategien und Handlungstheorien sie sich zeigen. Die zweite Arbeit, in der eine Verbindung von Krisen im Tourismus mit Theorien organisationalen Lernens angedacht wurde, stammt von RITCHIE (2004). Er präsentiert in seinem Aufsatz (ebd.: 679) jedoch keinen empirischen Ansatz und stellt auch kein analytisches Modell auf, sondern behauptet lediglich eine Verbindung zwischen dem Auftreten von Krisen und Zweischleifen-Lernen auf der einen Seite und dem Auftreten von Katastrophen und dem Ablaufen von Einschleifen-Lernprozessen andererseits, der jedoch mangels empirischer oder theoretisch-konzeptioneller Begründung kaum überzeugen kann. Seine Arbeit verbleibt letztendlich, wie die meisten Arbeiten, die sich mit Krisen in der Tourismuswirtschaft beschäftigen, dem Appell zu rechtzeitigen Krisenvorbereitungen und der Entwicklung von Krisenreaktionsplänen verpflichtet – auch wenn sich dies bei ihm auf einer wesentlich stärker theoretisch-konzeptionell reflektierten Ebene abspielt als bei der oben angeführten Arbeit von ANDERSON. Abschließend stellt RITCHIE (ebd: 681) daher konsequenterweise fest, dass es bezüglich des Krisenmanagements im Tourismussektor erhebliche Forschungslücken gibt. Er führt dies unter anderem darauf zurück, dass die bisherigen Arbeiten hauptsächlich deskriptiv veranlagt waren: „In particular, there is a need for researchers to move beyond simplistic prescriptive models which may provide check lists or information on what managers should do before, during or after crisis toward descriptive models which develop and/or test models, concepts or theories related to crisis management to examine why crises were managed (in)effectively in the tourism industry.“
Als Konsequenz schließt er, dass mehr Fallstudien notwendig sind, um Modelle und Konzepte im Bereich des Krisenmanagements in der Tourismusindustrie einer Überprüfung zu unterwerfen (ebd.: 681), die mit einem phänomenologischen Ansatz versuchen, die Strategien, Haltungen und Meinungen der Manager bezüglich des Krisenmanagements in der Tourismuswirtschaft zu erkunden.
5.2.1.6 Fazit: Krisenreaktionen in der Tourismuswirtschaft als Formen organisationalen Lernens? Zusammenfassend lässt sich aus den Ausführungen schließen, dass es vor einem pragmatischen Hintergrund angemessen und möglich erscheint, Krisenreaktionen im Tourismus als Teil organisationaler Forschungsprozesse im Sinne organisationalen Lernens zu verstehen. Die vorliegende Arbeit greift diese Perspektive auf und versucht dabei eine Forschungslücke zu schließen, indem sie empirische Arbeitsergebnisse mit einer theoretisch-konzeptionellen Perspektive verbindet. Dafür werden einerseits die
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Beobachtungen der Handlungen und Handlungsfolgen der Akteure, wie andererseits auch die Aussagen der befragten Entscheidungsträger aus den Interviews herangezogen.
5.2.2 Empirische Befunde: Krisenreaktionsmöglichkeiten als Handlungsoptionen im Prozess organisationalen Lernens von Tourismusunternehmen Die im Kapitel 5.1.2 identifizierten Krisenreaktionsmöglichkeiten werden nachfolgend vor dem Hintergrund des skizzierten pragmatischen Modells organisationaler Lernprozesse neu interpretiert. 143 Dabei wird in Anlehnung an das Modell des Forschungsprozesses nach DEWEY (vgl. Kapitel 2.1.1) davon ausgegangen, dass durch die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers eine vorher für die angebotsschaffenden Akteure im Tourismus der Arabischen Welt bestimmte Situation fraglich wurde. Mit Hilfe diverser Krisenreaktionen versuchen die Akteure Problemlösungen zu finden, um die fraglich gewordene Situation zu entproblematisieren. Dieser Forschungsprozess kann entsprechend der Theorie organisationalen Lernens als Lernprozess verstanden werden. Macht man sich diese Perspektive zu eigen, ist es für die dementsprechende Re-Interpretation der empirischen Ergebnisse zuerst sinnvoll zu analysieren, ob mit den verschiedenen Krisenreaktionen Ein- oder Zweischleifen-Lernprozesse verbunden sind. Dementsprechend lässt sich ableiten, ob Veränderungen der Handlungstheorien und damit der Wirklichkeitskonzepte den Lernprozessen zugrunde liegen. Schließlich können die handlungsleitenden mit den vertretenen Theorien verglichen werden. Die vertretenen Theorien können dazu aus den bewertenden Äußerungen der Befragten über die Effektivität einzelner Krisenreaktionen sowie aus ihren Aussagen über den theoretischen Stellenwert von Sicherheitsbelangen für die organisationalen Strategien ihrer Unternehmen abgeleitet werden. Die Re-Interpretation der empirischen Befunde erlaubt es damit, ein theoriegeleitetes Verständnis der aufgefundenen Handlungsstrukturen zu skizzieren und daraus Erklärungsansätze für die in Kapitel 5.1.5 aufgeworfenen Fragen zu entwickeln.
143 Hierbei wird – soweit nicht anders angegeben – auf die vorgestellten empirischen Ergebnisse des Kapitels 5.1 Bezug genommen. Die hier getroffenen Aussagen werden nur dann durch Zitate veranschaulicht, soweit neue Sachverhalte Eingang in die Interpretation finden, um Redundanzen der Darstellung zu vermeiden. Gleichartiges gilt für die Re-Interpretation der hier entwickelten Befunde in Kapitel 5.3.2.
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5.2.2.1 Nachfrage stimulierende Optionen und EinschleifenLernprozesse Nachfrage stimulierende Krisenreaktionen können überwiegend als Handlungen in einem Einschleifen-Lernprozess interpretiert werden. Ihre Nutzung zeigt Lernprozesse an, die vornehmlich als Reaktion auf plötzlich auftretende Problemen zu verstehen sind. Für die Kategorisierung insbesondere preispolitischer wie auch Kosten reduzierender Instrumente als Handlungen in Einschleifen-Lernprozessen spricht vor allem, dass ihre Nutzung eine Art Lehrbuch- und Standardinstrumentarium unternehmerischer Krisenreaktionen darstellt, das routinemäßig verwendet und in Form von Krisenreaktionsplänen institutionalisiert wird. Der sich immer weiter verschärfende Preiswettbewerb lässt sich vor einem solchen Hintergrund als Teil des von WATZLAWICK beschriebenen „mehr-desselben-Rezepts“ (1985: 367) verstehen. Ein Grund für den Preiskampf ist demnach darin zu suchen, dass viele Manager anscheinend der Meinung sind, dass sie einfach den Preis noch nicht genug abgesenkt hätten, um wieder hinreichend viel Geschäftsvolumen zu generieren. Die Logik von preispolitischen Maßnahmen besteht dementsprechend darin, dass man nur der günstigste Anbieter sein müsse, damit man in der Lage wäre, das Geschäftsvolumen zu steigern und so mehr Umsatz zu generieren. Stellt sich das gewünschte Ergebnis nach einer Preissenkung nicht ein, senkt man den Preis weiter ab, da die vorherige Preissenkung anscheinend nicht hinreichend war. Dass insbesondere Preisinstrumente keine hinreichende Wirkung entfalten, wird so offensichtlich eher als Fehler im Gebrauch der ihnen zu Grunde liegenden Handlungstheorie interpretiert, als dass darin ein Grund gesehen würde, die mit ihnen verbundene Handlungstheorie in Frage zu stellen. Diese Re-Interpretation hilft damit, den zu beobachtenden, widersinnig erscheinenden Race-to-the-bottom der Zimmerpreise aus einer theoretischen Perspektive heraus zu verstehen. Der in der Logik von Einschleifen-Lernprozessen durchaus verständliche Preiswettbewerb lässt gleichzeitig durch seinen teils ruinösen Charakter vermuten, dass ihm nicht nur eine Radikalisierung des „mehrdesselben-Rezepts“ zugrunde liegt. Vielmehr ist es plausibel anzunehmen, dass diese Radikalisierung auf einer Art Imitationslernen basiert. Imitationslernen zeigt sich immer darin, dass die handlungsleitende Theorie nicht hinreichend verstanden wurde. Dass bei einigen Hoteliers anscheinend keine hinreichende Durchdringung der handlungsleitenden Theorie zu verzeichnen ist, wird empirisch daran offensichtlich, dass diese Akteure durch eine Radikalisierung des „mehr-desselben-Rezepts“ die Kosten ihrer Hotelbetriebe irgendwann nicht mehr decken können und die Profitabilität ihrer Hotelanlagen langfristig schädigen. Das mit Einschleifen-Lernen verbundene „mehr-desselben-Rezept“ und das Lernen durch Imitation des Wettbewerberverhaltens liefern insofern als theoretische Interpretationsmuster eine mögliche Erklärung dafür, warum es überhaupt zu den aus dis-
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tanzierter Perspektive teils grotesk anmutenden Preiswettbewerben kommen kann. Dass Kostensenkungsmaßnahmen trotz ihrer negativen Begleiterscheinungen genutzt werden, und dass viele Unternehmen Zuflucht in einer Intensivierung des Marketings suchen – obwohl Marketingmaßnahmen in einer anhaltenden Krise eine sehr beschränkte Effektivität aufweisen – zeigt die für Einschleifen-Lernen so typische „mehr-desselben“ Logik. Die Nutzung Nachfrage stimulierender Krisenreaktionen gleicht damit – wie im Einschleifen-Lernen typisch – operationalen Verhaltensanpassungen an Veränderungen der organisationalen Umwelt, die die zugrunde liegenden handlungsleitenden Theorien unberührt lassen. Die in Kapitel 5.1.5 festgestellte Diskrepanz zwischen den aufgefundenen Handlungsstrukturen und ihrer kritischen Reflexion lässt sich teilweise dadurch erklären, dass es verschiedene Akteure sind, die die fraglichen Instrumente verwenden bzw. die sie kritisieren. Auf der Seite derjenigen, die Nachfrage stimulierende Optionen häufig nutzen, stehen, wie bereits ausgeführt, vor allem Hotelbetriebe in lokalem Management, Hotels im Drei- bis Viersternebereich und insgesamt Hotels, die stark auf Reiseveranstalter angewiesen sind. Die Kritik an der Verwendung Nachfrage stimulierender Instrumente ist dagegen besonders bei hochklassigen TNHU, staatlichen Akteuren und den Hotelverbänden verbreitet. Sie wird insbesondere von diejenigen Akteuren geäußert, die keine Nachfrage stimulierenden Optionen anwenden. Die kritische Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen Nachfrage stimulierender Krisenreaktionen zeigt bei gleichzeitiger Hinwendung zu anderen Krisenreaktionsmöglichkeiten eine Veränderung der handlungsleitenden Theorien in dieser Akteursgruppe an. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die fragliche Akteursgruppe Zweischleifen-Lernprozesse durchlaufen hat, die nun zu einer kritischen Beurteilung der „alten“ Handlungstheorien führt. Die Diskrepanz zwischen festgestellten Handlungsstrukturen und ihrer Reflexion lediglich auf den Unterschied zwischen dem Ablauf von Einund Zweischleifen-Lernprozessen zurückzuführen, erscheint jedoch als zu einfach. Eine kritische Perspektive auf die Verwendung Nachfrage stimulierender Instrumente macht sich nämlich auch eine ganze Reihe der Befragten zu eigen, die von diesen Instrumenten weiterhin Gebrauch machen. In diesem Falle kann offenbar eine Differenz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie konstatiert werden. Dass nicht generell alle Handlungen in der Gruppe der Nachfrage stimulierenden Krisenreaktionen Einschleifen-Lernprozessen zugeordnet werden können, veranschaulichen die Beispiele der beschriebenen neuen Strategien der Öffentlichkeits- und Medienarbeit in Dubai bzw. Ägypten. In beiden Ländern wurde – vor allem durch die Moderation staatlicher Stellen vermittelt – bemerkt, dass mit den etablierten Handlungsmustern ein Einbruch der touristischen Nachfrage nicht abzuwenden ist. Ist das
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Problem vorher überwiegend in den auftretenden Sicherheitskrisen und im Verhalten der Touristen gesehen worden, worauf Unternehmen bspw. mit einer Art „Aufklärung“ der Konsumenten über die Sicherheitslage oder mit Preisinstrumenten antworteten, so findet nun eine Verschiebung der Problemwahrnehmung statt. Das Problem wird neuerdings in beiden Fallbeispielen verstärkt in der Art der Medienberichterstattung gesehen. Konsequenterweise setzen die daraufhin verwendeten Problemlösungsstrategien nicht mehr beim Konsumenten an, sondern bei den Medien. Die neuen Strategien verfolgen deshalb das Ziel, die Situationsdarstellung der Medien im Sinne der Angebotsschaffenden Akteure zu beeinflussen. Das Ergebnis des Lernprozesses ist folglich in beiden Fällen eine Verfahrensinnovation, der eine Veränderung der Problemidentifikation zugrunde liegt. Die Strategieänderung im Umgang mit den Sicherheitskrisen im Zuge des 11. Septembers indiziert damit offensichtlich eine Veränderung der handlungsleitenden Theorien, so dass davon ausgegangen werden kann, dass in diesen Fällen Zweischleifen-Lernprozesse stattgefunden haben.
5.2.2.2 Organisationale Optionen und ZweischleifenLernprozesse Die Realisierung organisationaler Krisenreaktionen tangiert in jedem Fall die Kernstruktur einer Organisation. Eine Veränderung der organisationalen Kernstruktur ist jedoch nur sinnvoll, wenn sich die Weltanschauung und die darauf aufbauenden Handlungstheorien der Organisation verändert haben. Eine solche Veränderung ist entsprechend der Theorie organisationaler Lernprozesse immer mit dem Auftreten von Zweischleifen-Lernprozessen verbunden. Die Nutzung organisationaler Optionen würde daher darauf schließen lassen, dass Zweischleifen-Lernen stattgefunden hat. Wie in Kapitel 5.1.3.5 ausgeführt wurde, haben die TNHU von organisationalen Krisenreaktionsmöglichkeiten bis auf zwei Einzelfälle keinen Gebrauch gemacht. Eine strategisch motivierte Anpassung des Investitionsportfolios konnte in keiner Akteursgruppe festgestellt werden, wohl aber eine allgemeine Investitionszurückhaltung im Falle neuer Hotelprojekte in Tunesien und Ägypten. Diese ist jedoch kaum strategischen Überlegungen geschuldet, sondern vornehmlich das Ergebnis operationaler betriebswirtschaftlicher Abwägungen und gesamtwirtschaftlicher Zwänge. Die Abwesenheit strategisch motivierter, organisationaler Krisenreaktionen lässt darauf schließen, dass die Akteure in diesem Kontext keine Zweischleifen-Lernprozesse durchlaufen. Dementsprechend kann auch keine Modifikation der handlungsleitenden Theorien mit Bezug auf organisationale Kernstrukturen stattgefunden haben. Dies ist um so erstaunlicher, als zwischen den faktischen Krisenreaktionen und dem theoretischen Stellenwert von Sicherheitsbelangen für die organisationalen Strategien TNHU eine erhebliche Differenz besteht, die in theoretischer Hinsicht als Diskrepanz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie aufge-
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fasst werden kann. Legt man die von den Managern vertretene Theorie zugrunde, so wäre zumindest in Ägypten eine Veränderung der Engagementsintensität zu erwarten gewesen, da dort seit dem 11. September immer wieder terroristische Anschläge auf Touristen zu einer zunehmenden Intensität gewalttätiger politischer Unruhen geführt haben. Wie ist diese überraschende Abweichung und das Ausbleiben von Zweischleifen-Lernprozessen zu erklären? Wie bereits ausgeführt, ist mit einer strategisch motivierten Veränderung der organisationalen Kernstruktur in theoretischer Hinsicht nur dann zu rechnen, wenn sich die in den Handlungstheorien der Akteure enthaltenen Wirklichkeitsentwürfe verändern. Bleibt die organisationale Struktur jedoch gleich, drängt sich umgekehrt die Annahme auf, dass die organisationalen Wirklichkeitsentwürfe nach dem 11. September relativ beständig geblieben sind. Der Grund für das Ausbleiben von Zweischleifen-Lernprozessen auf der organisationalen Ebene könnte dementsprechend mit einer weitgehenden Stabilität organisationaler Wirklichkeitsentwürfe erklärt werden. Sollte die Stabilität organisationaler Wirklichkeitsentwürfe ein Grund für das Ausbleiben organisationaler Zweischleifen-Lernprozessen sein, so müsste sich dies in den Äußerungen der befragten Manager widerspiegeln. Wie in dem nachfolgenden Zitat des Managers eines lokal betriebenen Hotels in Ägypten deutlich wird, sieht er eine Kontinuität von Sicherheitsproblemen in der Region, denen er als externe Schocks für die Nachfrageentwicklung eine gewisse Art von Normalität zuschreibt (LH-M2): „Ich sehe das jetzt nicht als Krieg, ich sehe das als Markteinbruch, wenn irgendwas passiert ist. (…) Ich meine, ich war im, in der Kuwait Krise [1990] war ich in Saudi-Arabien. Es gibt Krankheiten, das ist genau so eine Katastrophe.“
Die meisten Hotelmanager in der Region sind vertraut mit Sicherheitskrisen und betrachten sie daher als Normalität. Dass diese Sicht der Dinge auch bei TNHU verbreitet ist, veranschaulicht die Äußerung des Director of Regional Sales and Marketing eines seit vielen Jahrzehnten in der Region tätigen britischen TNHU über den Einfluss des 11. Septembers auf die touristische Nachfrage in der Region (TNHU-RM9): „I think 9/11 was a hick up.“
Die seit dem 11. September aufgetretenen Sicherheitsprobleme bewirken daher bei den meisten der befragten Manager keine Veränderung ihrer sicherheitsbezogenen Wirklichkeitskonstruktion. Sie betrachten die Ereignisse im Zuge des 11. Septembers nicht als etwas fundamental Neues in ihrem Geschäft, sondern betonen immer wieder, dass das Auftreten von Sicherheitskrisen in der Region (leider) zum Geschäft gehöre. Das Problem der Beeinträchtigung der Nachfrage durch Sicherheitskrisen sei grundsätzlich das Gleiche wie während früherer Krisen, allerdings habe
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das Auf und Ab der Nachfrage an Dynamik stark zugenommen, weshalb die Nachfrage insgesamt volatiler sei als früher (TNHU-HQ2): „Historically our industry has been very cyclical and demand has kind of moved in the shape of a wave in terms of peaks and troughs. I think it’s a result of all this happened over the course of the last few years. The trend is now more of a zigzag, whereby we loose business very, very quickly after an incident such as happened in Sharm El Sheikh at the weekend, but it comes back very quickly. So it’s far more jagged, the pattern of peaks and troughs that has been the case in the past. And I have no doubt that, you know, within a couple of years that the market will have rebounded across assuming nothing else extraordinary happen meantime.“
Die neue „Zick-Zack“-Bewegung der Nachfrage hat für die meisten Manager mittlerweile eine vertraute Form angenommen, der man nur mit einer Art stoischer Gelassenheit begegnen könne, wie folgendes Zitat mit Bezug auf den Irakkrieg veranschaulicht (TNHU-RM7): „Eigentlich (…) mit dem Irak Krieg kann man nichts machen. Da kann man also – den muss man aussitzen. (…) Dass der Irak Krieg nicht ewig dauert, das war mir also relativ schnell klar.“
Über den stoischen Habitus vieler Manager hinaus, scheinen zudem einzelne gewalttätige politische Unruhen wie singuläre Terroranschläge gerade durch ihr weltweites Auftreten und ihre Häufigkeit ihren außergewöhnlichen Charakter zu verlieren. Ihr Auftreten und ihre Gefahr wird als „quasi-ubiquitär“ und „normal“ interpretiert, so dass man ihnen durch organisationale Krisenreaktionen kaum mehr ausweichen kann (TNHU-RM18): „Unfortunately now, global terrorism strikes anywhere. You know, you have Bali, Madrid. I mean, if we say, we won’t go to Madrid because there was an explosion in those trains. Of course we would go to Madrid. You know, even Bali, we are building a second hotel in Bali now, just because unfortunate, these global terrorism acts can happen everywhere. In New York we have two hotels. We can’t say we won’t be in New York (…) So unfortunately nowadays, this [security] is not relevant [for an engagement] anymore.“
Das Zitat verdeutlicht, dass organisationale Krisenreaktionen als Antwort auf Sicherheitsprobleme nur dann als sinnvoll erachtet werden, wenn sich das wahrgenommene Sicherheitsrisiko an einem Standort im Vergleich zu Alternativstandorten erhöht. Steigt das Risiko jedoch im globalen Maßstab an, so bleibt damit das Verhältnis der relativen Risikoexposition an allen Standorten gleich. Dadurch neutralisiert sich der potenzielle Einfluss des steigenden Risikos auf die organisationalen Strategien mit Bezug zu einem bestimmten Standort.
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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Aussagen der befragten Manager die Annahme bestätigen, dass sich die Wirklichkeitskonstruktion der befragten Unternehmen in Bezug auf Sicherheitsbelange nach dem 11. September nicht grundsätzlich gewandelt hat. Die Stabilität der organisationalen Wirklichkeitskonstruktion zeigt sich in der Einschätzung, dass gewalttätige politische Unruhen eine gewisse Art von Normalität aufweisen und in der als unverändert geschilderten, relativen Risikoexposition der TNHU. Wie anhand der oben angeführten Aussagen deutlich wird, reichen derartige graduelle Veränderungen der unternehmensinternen Wirklichkeitskonstruktionen nicht hin, um eine Veränderung der Handlungstheorien zu legitimieren und damit organisationale Krisenreaktionen für die befragten TNHU zu rechtfertigen. Vielmehr scheinen die beschriebenen graduellen Veränderungen der Wirklichkeitskonstruktionen zu einer stufenweisen Erhöhung des Schwellenwertes der Gewaltintensität zu führen, ab dem Sicherheitsprobleme als so drängend wahrgenommen werden, dass die Unternehmen darauf mit organisationalen Instrumenten reagieren müssten. Die festgestellte Differenz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie ist deshalb nur scheinbar ein Widerspruch. Sie erklärt sich der obigen Interpretation gemäß daraus, dass sich die Wirklichkeitsentwürfe der betreffenden Organisationen im Kern offenbar nicht verändert haben. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die abgefragten vertretenen Theorien bezüglich des Zusammenhangs von Organisationsmodell und Sicherheitskrisenintensität deshalb keinen Niederschlag in den handlungsleitenden Theorien der Unternehmen gefunden haben, weil sie für die aktuelle Situationsdefinition als nicht relevant eingestuft werden. Mit anderen Worten: Die Wirklichkeitskonstruktion der befragten Akteure hat sich offensichtlich nicht fundamental geändert, weshalb es auch nicht zur Umsetzung der vertretenen in eine handlungsleitende Theorie gekommen ist.
5.2.2.3 Nachfrage generierende Optionen als neue Art organisationaler Lernprozesse Wenn Nachfrage stimulierende Krisenreaktionen im Normalfall Handlungen in Einschleifen-Lernprozessen entsprechen und organisationale Optionen Zweischleifen-Lernen anzeigen, stellt sich die Frage, mit welcher Art Lernprozesse Nachfrage generierende Krisenreaktionen verbunden sind. Der Anwendung Nachfrage generierender Krisenreaktionen geht zumeist die Erkenntnis über die mangelnde Effektivität, ja sogar die Kontraproduktivität, von Nachfrage stimulierenden Krisenreaktionen voraus. Diese Koppelung entspricht dem theoretischen Befund, dass eine Änderung der Handlungstheorien meist aus einem Scheitern des „mehrdesselben-Rezepts“ in Einschleifen-Lernprozessen resultiert. Die darauf-
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hin verwendeten Nachfrage generierenden Krisenreaktionsmöglichkeiten finden analog zur Theorie folglich ihre Entsprechung in Handlungen in einem Zweischleifen-Lernprozessen. Bei Zweischleifen-Lernprozessen auf der Basis Nachfrage generierender Krisenreaktionen ist eine grundlegende Änderung der Handlungstheorien notwendig, um einen Sinn in Produktoffensiven sowie Produkt- und Marktdiversifizierungen erkennen zu können. Ist ein Akteur der Meinung, dass der gegenwärtige Status Quo strukturell zufriedenstellend ist und mit den bewährten Mitteln verteidigt werden kann, wird er sich keiner der drei Nachfrage generierenden Optionen öffnen, da dies mit der Überwindung erheblicher Widerstände verbunden ist. Um Nachfrage generierende Optionen zu nutzen, müssen nämlich erst die bestehenden Handlungsroutinen durchbrochen werden, um anschließend aktiv neue Wege gehen und neue Handlungsstrukturen schaffen zu können. Findet nach einiger Zeit eine Habitualisierung der Marktdiversifizierungsanstrengungen als Antwort auf akute Krisen statt, hat das neue Instrument seinen Innovationscharakter verloren und wird zu einem standardisierten Problemlösungsansatz in einem Einschleifen-Lernprozess. Die sich im Zuge des 11. Septembers verhärtende Einsicht, dass die traditionellen westeuropäischen Quellmärkte Tunesiens und Ägyptens bspw. auf Sicherheitsprobleme sehr sensibel reagieren, revolutioniert bei vielen Akteuren zuerst jedoch deren Strategien.144 Sie führt im Sinne von Zweischleifen-Lernprozessen eben nicht mehr zu einer Intensivierung des Marketings, sondern zu dem Versuch, das Problem zu umgehen, indem neue weniger sicherheitssensible Märkte durch Markt- und Produktdiversifizierungen erschlossen werden. Dass die erfolgten Marktdiversifizierungen zum Teil anscheinend nicht (nur) auf die strategischen Entscheidungen der Unternehmen zurückgehen, sondern zumindest teilweise durch Veränderungen auf der Nachfragerseite angetrieben werden, 145 könnte als Argument gegen das Ablaufen eines Zweischleifen-Lernens angeführt werden. Dies muss sich jedoch nicht widersprechen, da (Zweischleifen-)Lernprozesse nicht nur durch Probleme, 144 Dies gilt natürlich nicht für diejenigen Akteure, die zu dieser Einsicht bereits früher gekommen waren und daher schon vor dem 11. September Zweischleifen-Lernprozesse durchlaufen hatten. Diese Gruppe befindet sich jedoch im Rahmen der durchgeführten Befragung augenscheinlich in der Minderheit. 145 Nachfragesteigerungen in neuen Märkten wurden zum Teil durch entsprechende Marketingstrategien der staatlichen Tourismusbehörden angetrieben, mit denen diese seit vielen Jahren ein quantitatives Wachstum der Touristenankünfte bezwecken. Während der Erschließung neuer Märkte durch die Tourismusbehörden jedoch früher ausschließlich eine Wachstumsabsicht unterlag, repräsentieren Marktdiversifizierungsanstrengungen mit dem Ziel der Risikominimierung jedoch ebenfalls eine Innovation der verfolgten Handlungstheorien dar.
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sondern auch durch ein Erkennen neuer Chancen angestoßen werden können. Dass einzelne Hoteliers die erfolgte Marktdiversifizierung nicht strategisch betreiben, sondern nur eine sich ihnen bietende Chance nutzen, ändert insofern nichts an der Tatsache, dass sich ihre Handlungstheorien in dem Moment ändern, indem sie neue Geschäftspotenziale durch die Beobachtung ihrer organisationalen Umwelt identifizieren. Dass einige der befragten Manager Marktdiversifizierungen als gezielte Unternehmensstrategien in Frage stellen, demonstriert deshalb lediglich, dass in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt nach dem 11. September offensichtlich verbreitet Lernprozesse aufgrund von sich bietenden Marktchancen in Gang gekommen sind, die nach HEDBERG (1981: 16) normalerweise eigentlich eher selten auftreten. Qualitätsoffensiven setzen im Vergleich zu den anderen beiden Nachfrage generierenden Optionen eine noch tiefer gehende Problem-Reflexion voraus. Für sie ist es erforderlich, dass die Akteure den Willen besitzen, eine langfristige Wirkungsanalyse ihrer eigenen Geschäftspolitiken durchzuführen und aus deren Ergebnissen neue Unternehmenspolitiken für einen nachhaltigen Geschäftserfolg zu entwickeln. Produktoffensiven sind in diesem Sinne schmerzhafter als die beiden Diversifizierungsstrategien, da hier das Problem nicht in erster Linie auf Seiten der Kunden identifiziert wird, sondern eigene Versäumnisse und Fehler ins Zentrum der Reflexion rücken. Dieser Unterschied zwischen Produktoffensiven und den beiden Diversifizierungsstrategien weist darauf hin, dass nicht alle ZweischleifenLernprozesse strukturell gleichartig sind. Während die Diversifizierungsstrategien direkt an der Nachfrage und damit am Kunden ansetzen, beschäftigen sich Produktoffensiven vorwiegend mit unternehmensinternen Strukturen, die nur indirekte Wirkungen auf die Beziehungen der Unternehmen zu ihren Kunden mit sich bringen. Vergleicht man die soeben diskutierten drei Nachfrage generierenden Optionen mit den ebenfalls Zweischleifen-Lernprozesse voraussetzenden organisationalen Krisenreaktionen, so scheinen organisationale Optionen eher mit Produktoffensiven vergleichbar zu sein, als dass sie etwas mit den anderen auf Diversifizierung abzielenden Strategien gemein hätten.
5.2.2.4 Zwischenfazit: Modifikation des Modells organisationaler Lernprozesse Im bisher verwendeten Modell organisationaler Lernprozesse bilden sich die oben skizzierten Unterschiede zwischen verschiedenen Formen des Zweischleifen-Lernens nicht in gleicher Art ab. Es bietet sich daher an, das Modell leicht zu modifizieren (vgl. Abbildung 31). Die Modifikation führt eine Feindifferenzierung des Konzepts der organisationalen Wirklichkeit in das Modell ein. Die Feindifferenzierung leitet sich dabei aus der empirischen Unterscheidung des Fokusses von Zweischleifen-Lernprozessen ab.
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Abbildung 31: Modifiziertes Modell organisationaler Lernprozesse Organisation Bestimmung der zweifelhaften Situation
Zweifelhafte Situation Problemdefinition (Externe) (Interne) Organisationale Wirklichkeit
Abduktive Hypothesenbildung
Kompatibilitätsprüfung
Zweischleifen-Lernen – verändert…
Quelle:
Experiment
Informationen
Organisationale Umwelt
Erfolg
Handlungen EinschleifenLernen – verändert…
Misserfolg
Eig. Entwurf in Anl. an ARGYRIS & SCHÖN 1990: 94; DEWEY 2001, 2002; HEDBERG 1981: 10
Markt- und Produktdiversifizierungen erscheinen hier im Wesentlichen als Strategien, die aus der Feststellung der Akteure resultieren, dass sich auf der Konsumentenseite grundlegende Veränderungen im Marktgeschehen ereignet haben. Daraufhin verändern sich bei den angebotsschaffenden Akteuren die Kunden bezogenen Handlungstheorien. Anders ausgedrückt, ändert sich der Teil der organisationalen Wirklichkeit, der die externen Relationen betrifft. So stellen Hotelunternehmen bspw. fest, dass ihre traditionellen Kundengruppen nicht mehr im gleichen Maß reisen wie früher oder dass sie sehr sicherheitssensibel sind. Anstatt nun zu versuchen, die Konsumenten mit Aufklärungs- und Werbekampagnen zurückzugewinnen, erschließt man sich neue Kundengruppen, die die Verluste kompensieren sollen. Die interne Wirklichkeit des Hotelunternehmens hat sich jedoch offensichtlich nur rudimentär verändert (indem bspw. neue Verkaufteams für die neuen Märkte eingerichtet oder neue angepasste Angebotsformen entwickelt werden). Hätte sich an der grundlegenden Situationseinschätzung der Unternehmen etwas geändert, hätten sie in viel stärkerem Maße interne, organisatorische Konsequenzen gezogen und bspw. ihre Engagementsintensität verringert oder Standorte aufgegeben. Der Unterschied liegt also darin, ob vorwiegend der organisatorische, interne Kern des Unternehmens berührt ist oder ob sich im Wesentlichen seine externe Wirklichkeit angepasst hat. Dementsprechend werden entweder die Handlungstheorien mit direktem Kundenbezug, oder die Handlungstheorien zur internen Verfasstheit des Unternehmens modifiziert. Die Unterscheidung zwischen externer und interner Wirklichkeitskonstruktion muss dabei als rein analytisch verstanden werden, da beide Sphären empirisch in einander übergehen und daher, wie die obigen Beispiele
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zeigen, nicht in Reinform auftreten können. Die analytische Modifikation des Modells liefert jedoch einen wichtigen Hinweis für das angestrebte Verständnis der Krisenreaktionen im Zuge der Ereignisse des 11. Septembers.
5.2.3 Neue Fragen Wie es scheint, tendieren die angebotsschaffenden Akteure vorwiegend dazu, Krisenreaktionsoptionen zu nutzen, die die interne Wirklichkeitskonstruktion unberührt lassen. Dabei ist festzustellen, dass – holzschnittartig vereinfacht – lokale Hotels am ehesten dazu neigen, Krisensituationen mit Hilfe von Handlungen in Einschleifen-Lernprozessen zu bewältigen und dafür Nachfrage stimulierenden Instrumente nutzen. ZweischleifenLernprozesse lassen sich auf breiter Front hauptsächlich in dem Bereich identifizieren, der die externen Relationen der Hotellerie betrifft. Hier wurden von fast allen Akteuren insbesondere Marktdiversifizierungsstrategien verfolgt. Produktdiversifizierungen können dagegen von einzelnen, bereits existierenden Hotels nur eingeschränkt verfolgt werden, weshalb auf diesem Feld besonders staatliche Akteure und Tourismusverbände aktiv sind. TNHU sind – mit staatlicher und Verbandsunterstützung – anscheinend eher bereit als ihre lokalen Konkurrenten, in solche ZweischleifenLernprozesse einzutreten, die auch die interne Wirklichkeit der Unternehmen tangieren und die Handlungstheorien bezüglich der internen Strukturierung der Unternehmen verändern. Hierauf weisen zumindest die Anstrengungen TNHU im Sinne von Produktoffensiven hin. Trotzdem sind jedoch auch bei ihnen Zweischleifen-Lernprozessen auf den Teil begrenzt, der die existenziellen internen organisationalen Wirklichkeitsstrukturen unberührt lässt. Diese theoriegeleiteten Interpretationen tragen zwar auf theoretischkonzeptioneller Ebene zu einem besseren Verständnis der Krisenreaktionen der angebotsschaffenden Akteure in der Arabischen Welt nach dem 11. September bei. Mit ihrer Hilfe ist es bspw. möglich, den scheinbaren Widerspruch zwischen der theoretischen Bedeutung von Sicherheit für die Organisationsstrategien TNHU und ihrem faktischen Verhalten aufzulösen. Die Einschätzung der Sicherheitslage und deren Auswirkungen für ihre Unternehmen hat sich bei vielen der befragten Akteure anscheinend kaum verändert. Diese theoretisch-konzeptionelle Interpretation der empirischen Befunde bringt jedoch auch eine Reihe neuer Fragen hervor. Geht man bspw. davon aus, dass das Faktum, dass in einzelnen Organisationen Ein- in anderen jedoch Zweischleifen-Lernprozesse ablaufen, darin begründet ist, dass im einen Fall die Wirklichkeitsentwürfe offensichtlich stabil sind und sich im anderen Fall zumindest teilweise verändert haben, so drängt sich
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unmittelbar die Frage auf, warum sich bei einigen Unternehmen die organisationale Wirklichkeit nicht ändert, während bei anderen zumindest eine Modifikation ihrer externen Wirklichkeit zu bemerken ist. Kritisch zu hinterfragen ist ebenfalls, wie sich die Differenz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie bei der Gruppe der Akteure erklären lässt, die die Nutzung Nachfrage stimulierender Optionen zwar kritisch beurteilen, sie jedoch weiterhin anwenden. Schließlich überrascht auch die festgestellte Stabilität der internen, organisationalen Wirklichkeitskonstruktion selbst (wie sie anhand der ausgebliebenen organisationalen Krisenreaktionen veranschaulicht wurde). Die überwiegende Anzahl TNHU stammt aus den westlichen Industrieländern und rekrutiert nach wie vor von dort einen großen Teil ihres Führungspersonals. In den westlichen Industriestaaten hat sich das Image und die Sicherheitswahrnehmung mit Bezug auf die Arabische Welt jedoch, wie in Kapitel 4.3.2 beschrieben wurde, seit dem 11. September erheblich verschlechtert. Angesichts dessen hätte es nicht überrascht, wenn sich die Risikoeinschätzung der TNHU im Zuge des 11. Septembers zumindest teilweise analog derjenigen in ihren Heimatmärkten entwickelt hätte. Gleichfalls wäre es durchaus einleuchtend gewesen, wenn die TNHU organisationale Konsequenzen aus einem veränderten Verhalten der Touristen aus ihren angestammten Quellmärkten gezogen hätten und diesen Kunden gefolgt wären. Auch in theoretischer Perspektive wäre ein solches Verhalten nur zu plausibel gewesen. Wie BERGER & LUCKMANN (BERGER & LUCKMANN 2004:139ff) demonstrieren, erscheint uns unsere Wirklichkeit so, wie sie die Gesellschaft, in der wir sozialisiert wurden, für ihre Mitglieder gedeutet hat und weiterhin deutet. Nach unserer Einführung in diese Deutungsmuster im Prozess der Sozialisation wirken wir natürlich an der Weiterentwicklung der Muster mit, verändern sie jedoch normalerweise nicht fundamental. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellt sich daher um so mehr die Frage, warum sich trotz der in Europa und Nordamerika als einschneidend wahrgenommenen Ereignisse im Zuge des 11. Septembers die Wirklichkeitsentwürfe der befragten Akteure als relativ stabil erweisen und sich nicht entsprechend der Deutungsmuster in ihren Heimatländern verändern. Im Kern verweisen diese Fragen alle darauf, warum die organisationalen Krisenreaktionen der befragten Unternehmen auf bestimmte Lernprozesse begrenzt sind. Darauf eine Antwort zu entwickeln, ist Gegenstand des nächsten Kapitels.
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5.3
Brille drei: Lernhemmnisse und soziokulturelle Einbettung unternehmerischen Handelns
Im letzten Kapitel konnte gezeigt werden, dass Krisenreaktionen im Tourismus als Handlungen in einem organisationalen Lernprozess interpretiert werden können. Dabei wurde deutlich, dass eine starke Variabilität von Krisenreaktionen und Lernprozessen zu diagnostizieren ist und eine starke Abweichung zwischen vertretener Theorie (espoused theory) und handlungsleitender Theorien (theory-in-use) besteht. Mit Hilfe der dritten theoretischen Brille sollen nachfolgend theoriegeleitete Erklärungsansätze für diese Befunde entwickelt werden.
5.3.1 Lernhemmnisse: zur begrenzenden Wirkung bestehender Strukturen Wie lassen sich die Variabilität der Lernprozesse bei den befragten Unternehmen, die Stabilität ihrer Wirklichkeitsentwürfe sowie die Diskrepanzen zwischen vertretenen und handlungsleitenden Theorie grundsätzlich erklären? Warum sind die organisationalen Krisenreaktionen der befragten Unternehmen auf bestimmte Lernprozesse begrenzt? Eine Möglichkeit diese Fragen zu beantworten bestünde darin, unterschiedliche Krisenreaktionen als Indikatoren für das mehr oder weniger erfolgreiche Durchlaufen von Lernprozessen zu konzeptualisieren, wobei die Diskrepanz zwischen vertretener und handlungsleitender Theorie als Defizit im Lernprozess diagnostiziert werden müsste. In einer solchen Perspektive ginge es folglich darum, Lernhindernisse zu identifizieren und so zu verstehen, warum es nicht zu bestimmten Lernprozessen kommt. Eine solche Interpretation würde aber eine starke normative Komponente enthalten: Sie würde voraussetzen, dass klare Vorstellungen über „Erfolg“ und „erfolgreiche Lernprozesse“ existieren würden und es dafür eindeutige Maßstäbe gäbe. Ihr müsste damit eine Analyse des Ausmaßes des Erfolgs der Unternehmen vorausgehen, was weder in quantitativ monetärer noch in qualitativer Hinsicht möglich erscheint. Final wäre ein solches normativ-bewertendes Konzept nur funktionsfähig vor einem realistischen oder positivistischen Weltbild, das von einer absoluten Wahrheit ausgeht, an dessen Maßstab sich Entwicklungen bewerten lassen. Vor dem Hintergrund der pragmatisch-konstruktivistischen Perspektive der vorliegenden Arbeit ist jedoch deutlich geworden, dass eine solche Perspektive untauglich erscheinen muss, da Erfolg in Lernprozessen von Menschen uneinheitlich und multidimensional konzeptualisiert wird. Erfolg ist wie jede andere Idee auch ein inhaltlich kontingentes Konzept, das für unterschiedliche Firmen eine unterschiedliche Form annehmen kann. Anstatt Erfolg komparativ messen zu wollen, können wir lediglich diagnostizieren, wann ein Unternehmen in einer Marktwirtschaft mit
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seiner verfolgten Strategie Misserfolg hatte – und das auch nur im finalen Fall seines ultimativen Scheiterns, seines Konkurses. Es kann hier also nicht darum gehen, Entwicklungen normativ bewerten zu wollen, sondern vielmehr darum, sie zu verstehen. Wenn nachfolgend von „Lernhemmnissen“ die Rede ist, soll deshalb damit in keiner Weise suggeriert werden, dass erstrebenswerte Entwicklungen blockiert wurden und damit einige Unternehmen erfolgreicher sind als andere, sondern nur erklärt werden, wieso bestimmte Prozesse in der Art und Weise stattfinden, wie sie es tun. Lernhemmnisse werden hier insofern eher verstanden als Strukturen der organisationalen Wirklichkeit, die Lernprozesse begrenzen. Mit dieser Perspektive weist die vorliegende Arbeit erhebliche Unterschiede zur vorwiegend positivistisch geprägten Literatur auf. Damit rücken über die Brille der organisationalen Wirklichkeitskonstitution auch die sozio-kulturelle Bedingtheit von Organisationen in den Fokus der interpretativen Analyse.
5.3.1.1 Lernhemmnisse in der Theorie organisationalen Lernens Warum es in einem Fall zu organisationalem Lernen kommt und in einem anderen Fall nicht, ist Gegenstand einer breiten wissenschaftlichen Debatte. Einen guten Überblick über mögliche Lernhemmnisse bieten bspw. die Artikel von BERTHOIN ANTAL et al. (2003) oder ELLIOTT et al. (2000). Lernhemmnisse werden hier nicht als absolute Hürden für jede Art des Lernens verstanden. Wie in Kapitel 5.2.1 bereits ausgeführt wurde, durchlaufen Organisationen permanent Lernprozesse. Es geht also nicht so sehr darum, wie durch Lernhemmnisse Lernen überhaupt, sondern wie warum bestimmte Lernprozesse behindert werden. Deshalb ist nicht das Ausbleiben jeglicher Art zu lernen Gegenstand der Debatte, sondern vor allem die Frage, wie es zum Verharren in Einschleifen-Lernprozessen kommen kann, wo theoretisch mit Zweischleifen-Lernen zu rechnen wäre. Die erste systematische Diskussion von Lernhemmnissen geht zurück auf MARCH & OLSEN (1975), die schon früh ein Modell des Ablaufs organisationalen Lernens entwickeln. Demnach weisen Lernprozesse einen typischen Phasenverlauf auf. Auf dem Modell von MARCH & OLSEN aufbauend haben KOVOOR-MISRA & NATHAN (2000) ein Drei-Phasen-Modell präsentiert, das zeitliche Möglichkeitsfenster des Lernens im Zusammenhang mit dem Auftreten von Krisen beschreibt. 146 Während eines unmittelbaren Krisenereignisses tendieren Unternehmen laut KOVOOR-MISRA & NATHAN dazu, sich defensiv zu verhalten und würden vorwiegend danach
146 Das Phasenmodell von KOVOOR-MISRA & NATHAN (2000) entwickelt das Modell von MARCH & OLSEN speziell für Krisensituationen weiter, weshalb es sich anbietet hier direkt ihr deutlich spezialisierteres Konzept zu besprechen, anstatt vorher im Detail auf das Modell von MARCH & OLSEN einzugehen.
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trachten, sich möglichst gut zu schützen, weshalb die betroffene Organisation zu Beginn einer Krise normalerweise in eine Verteidigungsphase (defensiveness) eintrete. Sei die unmittelbare Gefahr vorbei, sei die Bereitschaft zu lernen am höchsten, weshalb diese Phase als Offenheitsphase (openness) bezeichnet wird. Würde dieses Zeitfenster allerdings nicht für Lernprozesse genutzt, würden die mit der Krise verbundenen negativen Erfahrungen verdrängt und damit die Notwendigkeit zu lernen nicht internalisiert, womit eine Vergessensphase (forgetfulness) eingeleitet werde. Verteidigung und Vergessen sind demnach zwei wesentliche Lernhemmnisse. Ein solcher temporal argumentierender Erklärungsansatz bleibt jedoch etwas unbefriedigend wie bereits MARCH & OLSEN (1975) gesehen hatten, denn er vermag keine Auskunft darüber zu geben, warum ein für Lernprozesse günstiges Zeitfenster nicht genutzt wird. Wesentlich sind deshalb bereits für MARCH & OLSEN nicht so sehr der phasenhafte Ablauf von Lernprozessen selbst, sondern vielmehr die Gründe für deren Behinderung. Ihrer Meinung nach führt die Mehrdeutigkeit von Informationen dazu, dass in Organisationen konkurrierende Interpretationsschemata einer Situation existieren. Die Frage lautet deshalb für MARCH & OLSEN, warum Unternehmen wie mit konkurrierenden Interpretationsschemata umgehen. Es zeigt sich dabei ihrer Meinung nach, dass Unternehmen dazu tendieren in so genannte Kompetenzfallen zu geraten (LEVITT & MARCH 1988: 322). Demnach stören erfolgreiche, vergangene Lernprozesse den Ablauf neuer Lernprozesse (NYSTROM & STARBUCK 1984: 53), da Organisationen dazu neigen, den erreichten Status Quo erhalten zu wollen und sich deshalb neuen Lernprozessen tendenziell eher verweigern (FIOL & LYLES 1985: 808). Der Erfolg vergangener Strategien fördert so Problemlösungsroutinen auf Kosten von „Neugier, Kreativität und der Bereitschaft für Veränderung“ (PROBST & BÜCHEL 1994: 52). Wie Probst (1994: 308) feststellt, zeigen deshalb Organisationsstrukturen um so eher „ein erhöhtes Beharrungsvermögen, je erfolgreicher sie waren.“ Eine hohe Problemlösungskompetenz in der Vergangenheit kann so einerseits als Ressourcenreichtum betrachtet werden und andererseits zu Stillstand in der Organisationsentwicklung führen und damit zu einem Problem werden (Probst & Büchel 1994: 49ff). Ein Festhalten an bewährten Interpretations- und Lösungsmustern verhindert in diesem Sinne, dass durch neue Erfahrungen bestehende Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster korrigiert werden und es zu einer neuen Situationsdefinition kommen kann, die alternative Problemlösungen anregen könnte (Argyris & Schön 1999: 34; Schreyögg & Eberl 1998: 519). In der Vergangenheit erfolgreiche Lernprozesse neigen deshalb zur Ausprägung von Kompetenzfallen und damit zu Lock-in Effekten in Einschleifen-Lernprozesse, die zweischleifiges Lernen verhindern (Argyris & Schön 1999: 34). Dieses
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Verhalten sollte jedoch nicht einfach negativ beurteilt werden, denn es ist durchaus logisch rational, wie Watzlawick (1985: 366) zeigt: „Selbst – und gerade – bei Vorliegen maximaler Störungen neigen Systeme erfahrungsgemäß dazu, das kontraproduktive Rezept des »Mehr desselben« anzuwenden und dadurch unweigerlich mehr derselben Problematik zu erzeugen. Dafür bestehen zumindest zwei gute Gründe. Erstens kann kein Lebewesen (…) es sich leisten, die Welt sozusagen täglich neu zu »erfinden«; zweitens besteht meist kein ohne weiteres ersichtlicher Grund, eine erprobte und bewährte, oft unter großen Schwierigkeiten gefundene Lösung wieder aufzugeben.“
Menschen in Organisationen verwerfen ihre augenblicklichen Überzeugungen und Verfahrensweisen kaum aufgrund der Möglichkeit, dass Alternativen bessere Ergebnisse zeigen. Sie sind sich bewusst darüber, dass ihre Überzeugungen und Verfahrensweisen das Ergebnis rationaler Analysen und erfolgreicher Erfahrungen sind und werden deshalb ohne Beleg, dass ihre Überzeugungen und Verfahrensweisen nicht mehr hinreichend situationsangepasst sind, kaum über deren Veränderungen nachdenken (NYSTROM & STARBUCK 1984: 55). Wie etwa HEDBERG (1981), NYSTROM & STARBUCK (1984) sowie DE HOLAN & PHILLIPS (2003) festgestellt haben, erfordert deshalb jeder Lernprozess ein gleichzeitiges Verlernen etablierter Verhaltensweisen und Handlungsmuster. Substanzielle Änderungen der Beziehungen zwischen Organisation und Umwelt erfordern demnach, dass bewährte Antworten auf Problemstellungen verworfen und durch neue ersetzt werden, weil Organisationen sich sonst in der Kompetenzfalle wiederfinden. Wie HEDBERG (1981: 9) festgestellt hat, ist Verlernen deshalb schwierig und benötigt relativ viel Zeit. Ein besonderer Anlass, die eigene Wirklichkeit in Frage zu stellen und somit etablierte Problemlösungsmuster zu verlernen, wird in theoretischer Hinsicht traditionell in externen Schocks und daraus resultierenden Krisensituationen gesehen (vgl. Kapitel 5.2.1.3). Die potenzielle Überwindung von Lernhemmnissen und die Herausbildung von ZweischleifenLernprozessen werden deshalb oftmals in Zusammenhang mit organisationalen Krisenreaktionen diskutiert. Im Kontrast zu dieser Meinung stehen jedoch eine Reihe von empirisch fundierten Arbeiten, die postulieren, dass Organisationen zumeist nicht aus Krisen lernen (KOVOOR-MISRA & NATHAN 2000; ROUX-DUFORT 2000). HEDBERG & WOLFF (2003: 535) verweisen bspw. darauf, dass zwar oftmals von Zweischleifen-Lernen gesprochen, jedoch selten davon berichtet werde – zumindest nicht in der Hinsicht, dass die Strategieebene in Organisationen tangiert sei. Dadurch, dass Lernen in Krisensituationen in Reaktion auf hohen Druck ablaufen muss, würde eher auf bewährte Erfahrungswerte und Erklärungsansätze zurückgegriffen, als dass neue Visionen und Perspektiven entwickelt würden (ROUX-DUFORT 2000: 27). RICHARDSON (1994) schließt daher aus der Perspektive der Managementpraxis, dass die typischen Krisenreaktionen
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von Unternehmen Handlungen in einem Einschleifen-Lernprozess gleichen. NYSTROM & STARBUCK (1984: 55) beschreiben dieses Verhalten folgendermaßen: „When top managers eventually do notice trouble, they initially attribute the problems to temporary environmental disturbances and they adopt weatheringthe-storm strategies: Postpone investments, reduce maintenance, halt training, centralize decision making, liquidate assets, deny credit to customers, raise prices, leave positions vacant, and so forth. During this initial phase of crisis, top managers rely on and respond to routine formal reports, particularly accounting statements, that present only superficial symptoms of the real problems.“
Die Priorität einer krisenbetroffenen Organisation liege im Wesentlichen darin, wieder den ursprünglichen als „normal“ definierten Zustand herzustellen. Dazu versuche sie Störungen zu beseitigen, anstatt sie zum Anlass zu nehmen, Dinge anders zu betrachten und zu verstehen (ROUX-DUFORT 2000: 27). Organisationen seien in Krisen in einem Normalisierungsprozess gefangen, der mit verschiedenen Taktiken verfolgt werden könne und der dazu diene, mit dem gegebenen Handlungsinstrumentarium wieder die vermeintliche Kontrolle über die Situation zu erlangen (ROUX-DUFORT 2000: 28). Dabei seien die betroffenen Organisationen oftmals so von den unvorhergesehenen Ereignissen überrascht, dass sie fast paralysiert seien. Programmiert darauf und strukturiert, um routiniert alltägliche Operationsprobleme zu lösen, fällt es ihnen schwer, abrupt ihre gewohnten Arbeitsweisen und Perspektiven zu ändern (LANZARA 1983: 72). Normalerweise werden in Krisen deshalb Bedrohungen und keine Chancen gesehen. Ob eine Krise jedoch eine Chance oder eine Bedrohung darstellt, liegt im Wesentlichen daran, wie man sie betrachtet und welche Erwartungen mit ihr verbunden sind. Um die sich in einer Krise bietenden Chancen nutzen zu können, müssen Organisationen deshalb bereits vor dem Kriseneintritt dafür offen sein, Chancen zu sehen (NATHAN 2000: 15). Wenn Organisationen in Krisen existenzieller Unsicherheit gegenüber und somit an einem Scheideweg stehen, sind strategische Entscheidungen besonders wichtig. Eine strategische Neuausrichtung kann jedoch nur aufgrund von Zweischleifen-Lernens erfolgen. Um so tragischer ist es, dass Strategien zu reformulieren zumeist organisationaler Trägheit unterworfen zu sein scheint. Versuche, Wandel zu initiieren, werden abgeblockt durch die Mächtigkeit der bereits existierenden Überzeugungen, Strukturen und Prozesse (JOHNSON 1990: 185; HEDBERG & WOLFF 2003: 535). Das Verharren in Problemlösungsansätzen einer Einschleifen-Logik lässt sich daher grundsätzlich sowohl durch eine Wahrnehmungs- wie auch eine Implementationslücke begründen (SCHREYÖGG & EBERL 1998: 522). Verharrt eine Organisation allerdings angesichts einer ernsthaften Krise weiter in einer Einschleifen-Problemlösungslogik und stemmt sich metaphorisch gesprochen „gegen-den-Sturm“, werden die dadurch erzielten Erfolge al-
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lenfalls kurzzeitig wirken, bis die Problem-Symptome wieder auftauchen. Dann stehen der betroffenen Organisation allerdings noch weniger Ressourcen und weniger Zeit zur Verfügung als beim ersten Mal, um erneut auf die Probleme zu reagieren (NYSTROM & STARBUCK 1984: 55). In pragmatischer Hinsicht lässt sich die Blockade von ZweischleifenLernprozessen leicht erklären: Um erfolgreich zu lernen, müssen neue Erfahrungen in einem Mindestmaß an existierende Wissensbestände anschlussfähig sein (BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003a; BEESLEY 2005; SCHREYÖGG & NOSS 2000: 72). In dieser, wie DEWEY es ausdrücken würde, Kompatibilitätsprüfung der Hypothesen ist der Grund zu sehen, warum Organisationen zunächst ihre handlungsleitenden Theorien nicht hinterfragen, sondern vornehmlich zuerst versuchen, ihre Verhaltensmodi operational zu verbessern. Insofern ist die empirisch begründete Schlussfolgerung BEESLEYs (2005: 271), dass neue Informationen in Lernprozessen immer erst einmal zurückgewiesen werden, wenn sie nicht zu den bestehenden Wissensbeständen passen, alter theoretischer Wein in neuen empirischen Schläuchen. Obwohl BEESLEY ihre Befunde als neue Erkenntnisse präsentiert und damit einen erneuten Beleg für die metatheoretische Armut der erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung innerhalb der Organisationstheorien liefert, bleibt aber ihre empirische Diagnose richtig, dass Menschen versuchen, die mit Wandel assoziierte Verunsicherung zu vermeiden, da sie diese als unangenehm empfinden. Zu den grundsätzlichen Problemen Einschleifen- in ZweischleifenLernprozesse zu übersetzen, tritt noch hinzu, dass es, wie ARGYRIS & SCHÖN (1999: 88) ausführen, normal ist, dass Organisationsmitglieder handlungsleitende Theorien vertreten, die Doppelschleifen-Lernprozessen zuwider laufen. Diese handlungsleitenden Theorien drücken sich aus in so genannten Defensivroutinen. 147 Demnach ist ein defensives Denken im Sinne des Modells I (vgl. Tabelle 16) für ein grundsätzliches organisationales Abwehrverhalten und eine daraus resultierende begrenzte organisationale Lernbereitschaft verantwortlich (ebd.: 85ff). Insbesondere der Umstand, dass sich Manager kontinuierlich einer Konkurrenz ausgesetzt sehen, in der sie ihre hierarchische und inhaltliche Position behaupten müssen, führt dazu, dass sie sehr ausdifferenzierte Defensivroutinen entwickeln, um sich selbst zu verteidigen und keine Verantwortung für negative Entwicklungen übernehmen zu müssen (ELLIOTT et al. 2000: 19). Ein solches Verhalten entsprechend des Modells I begrenzt oder verhindert in letzter Konsequenz tiefer gehende organisationale Lernprozesse. Wollen Unternehmen Modell II-Lernen anregen, wird deshalb nicht selten das Führungspersonal ausgetauscht, was einerseits Verlernprozesse 147 Zur Bedeutung von Defensivroutinen im Lernprozess vergleiche auch das Interview mit ARGYRIS in FULMER & KEYS 1998 oder PAWLOWSKY 2003.
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beschleunigen und neue Lernprozesse anregen kann (HEDBERG 1981: 17f), andererseits ironischerweise die Entstehung neuer Defensivroutinen begünstig, da es die Unsicherheit der eigenen Position für Führungsangestellte verdeutlicht. Tabelle 16:
Modelle defensiver Mechanismen in der Anwendung handlungsleitender Theorien
Modell I Leitende Wer- Behalte unilateral die Kontrolle von Situationen te der HanVersuche zu gewinnen, delnden nicht zu verlieren Unterdrücke eigene und fremde negative Gefühle Sei so rational wie möglich Verteidige deine Position HandlungsBeurteile die Gedanken und strategien Handlungen anderer (und deine eigenen) Identifiziere Gründe für alles, was du zu verstehen trachtest
Modell II Benutze valide Informationen Vertritt freie und informierte Wahlmöglichkeiten Gehe von der persönlichen Verantwortung von Menschen aus, wenn es um die Beurteilung derer Effektivität geht
Schaffe Situationen, in denen Teilnehmer authentisch sein und eine hohe persönliche Beteiligung erfahren können (psychologischer Erfolg, Bestätigung, Wesentliches) Sprich in direkt beobachtbaren Kategorien, versuche blinde Flecken zu verkleinern bezüglich der eigenen Inkonsistenzen und Unstimmigkeiten (Schutz des Selbst als gemeinsames, wachstumsorientiert Geschäft) Schutz der Anderen als bilaterale Angelegenheit Lernen wird erleichtert Lernresultate Begrenzt oder verhindert Konsequenzen, die Missver- Zunehmende Reduktion defensiver, organisationaler Routinen wird erleichtert ständnisse begünstigen Zweischleifen-Lernen entsteht Selbstbestärkende, Fehler produzierende Prozesse Einschleifen-Lernen Quelle: in Anlehnung an ARGYRIS (1990) in FULMER & KEYS (1998: 25), verändert
Aus diesem Mechanismus lässt sich logisch schlussfolgern, dass organisationale Systeme um so mehr zu Defensivroutinen neigen, je mehr in ihnen die Schuldfrage eine Rolle spielt und je gravierender die potenziellen Konsequenzen eines Scheiterns für die verantwortlichen Akteure sind. Daraus ergibt sich weiter, dass organisationales Lernen im Sinne von Zweischleifenlernprozessen durch politische Freiheit und eine demokratische Streitkultur erheblich erleichtert werden kann, da in ihnen niemand per se Anspruch auf die richtige Position erheben kann und es daher möglich ist, die Durchsetzung von Perspektivenwechseln nicht als dogmatische Niederlage eines Lagers, sondern als Normalität in der Aushandlung unterschiedlichster Wirklichkeitsentwürfe zu verstehen (COOPEY & BURGOYNE 2000). Andererseits erscheint es sinnvoll anzunehmen, dass oligopolistische und unfreie Machtsysteme die Entwicklung von Lernprozessen eher behindern.
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5.3.1.2 Die Rolle soziokultureller Faktoren für Lernprozesse Mit den obigen Ausführungen wird deutlich, dass das Auftreten von Lernhemmnissen sowohl mit der Wirkmächtigkeit organisationaler Wirklichkeitsentwürfe wie auch der Organisationskultur zusammenhängt. Sozialer Wirklichkeitsentwurf und organisationale Kultur stellen gleichsam den Kontext aller organisationaler Lernprozesse dar und beeinflussen sich gegenseitig (GHERARDI & NICOLINI 2003: 47). Dieser Kontext weist immer eine spezifische Entwicklungsgeschichte auf, da die aktuellen Wirklichkeitsentwürfe das Ergebnis vergangener Lernprozesse darstellen. Organisationale Handlungen weisen in diesem Sinne eine pfadabhängige148 Komponente auf, da sie als Handlungsroutinen im Wesentlichen auf Interpretationen vergangener Erfahrungen basieren (LEVITT & MARCH 1988: 320). Wie sich gezeigt hat, wirkt diese Pfadabhängigkeit nicht nur wirklichkeitsstrukturierend für Unternehmen und ermöglicht bzw. vereinfacht damit organisationale Handlungsprozeduren, sondern sie wirkt gleichzeitig handlungsbegrenzend und damit hemmend auf zukünftige Lernprozesse im Sinne von Zweischleifen-Lernprozessen (ANDERLINI & IANNI 1996; ANTONELLI 1997; CHILD & HEAVENS 2003; COWAN & GUNBY 1996; DAVID 1994). 149 Die Ergebnisse früherer Lernprozesse schreiben sich in die Strukturen, Normen und Routinen der Organisation ein und werden dadurch als organisationale Wirklichkeit objektiviert. Um zu verstehen, wie sich im Sinne des Konzeptes der Pfadabhängigkeit die Ergebnisse früherer Lernprozesse in die Strukturen, Normen und Routinen einer Organisation manifestieren, bietet es sich an, auf das Konzept der Organisationskultur zurückzugreifen (BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003b: 922). Die Unternehmenskultur, so könnte man formulieren, umfasst einerseits als Basis den hegemonial vorherrschenden Wirklichkeitsentwurf einer Organisation und andererseits die Art und Weise, wie die Organisation mit diesem Wirklichkeitsentwurf operational umgeht. ARGYRIS & SCHÖN (1999: 13) verstehen daher unter der „Organisationskultur“ eine Art bewahrendes Umfeld für „Wissen, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen.“ In ihr sind ebenfalls die „Organisationswerkzeuge wie Diagramme, erinnertes Wissen und Programme“ enthalten. Durch und in der Organisationskultur, so könnte man in Anlehnung an ARGYRIS & 148 Die Pfadabhängigkeit wirtschaftlicher Entwicklungen wird selbstverständlich nicht nur innerhalb der Theorien organisationalen Lernens diskutiert. Zu der wesentlich breiteren Debatte der Pfadabhängigkeit in den Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftsgeographie außerhalb der Theorien organisationalen Lernen sei hier exemplarisch auf den hervorragenden Überblicksartikel von MARTIN (2006) verwiesen. 149 Auf diesen Doppelcharakter unserer akkumulierten Erfahrungen und Handlungsfolgen wurde aus unterschiedlichen Perspektiven in der Soziologie bereits von GIDDENS (1997) sowie von BERGER & LUCKMANN (2004) hingewiesen.
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SCHÖN SCHEINs (1985: 6) klassische Definition von Unternehmenskultur umschreiben, manifestieren sich die Handlungstheorien der jeweiligen Organisation. Will man die Problemlösungskapazitäten einer Organisation verändern, muss man daher logisch zwingend auf ihre Kultur und auf die dieser zugrunde liegenden Wirklichkeitsentwürfe einwirken. Für die Entwicklungsfähigkeit einer Organisation ist in diesem Sinne eine grundlegende Offenheit gegenüber neuen Wirklichkeitsentwürfen die Grundvoraussetzung. Die mit dem Konstruieren von Wirklichkeit verbundenen „Deutungsspielräume“ sind entscheidend „für die Wahrnehmung einer Ausgangsproblematik und die Einschätzung eigener Handlungsmöglichkeiten/-chancen in Veränderungsprozessen. Definition und Nutzung solcher Deutungsspielräume entstehen aus Wirklichkeitskonstruktionen der am Entwicklungsprozess beteiligten Individuen und Gruppen“ (KLIMECKI et al. 1991: 3). Dadurch, dass im Zuge pfadabhängiger Entwicklungen Erfahrungen eine hegemoniale, wirklichkeitsstrukturierende Wirksamkeit im Zuge ihres Objektivierungsprozesses erreichen, werden diese Deutungsspielräume erheblich eingeschränkt. Zu einem nicht unerheblichen Grund sind daher Lernblockaden und Lernhemmnisse auf die Pfadabhängigkeit organisationaler Entwicklungen zurück zu führen. Kann ein Wirklichkeitsentwurf aufgrund der Begrenzung der vorhandenen Deutungsspielräume kaum mehr grundsätzlich hinterfragt werden, ist eine Bewältigung qualitativ neuer Problemstellungen über Einschleifen-Lernen hinaus nicht mehr möglich. Der organisationale Wirklichkeitsentwurf erhält einen quasi-dogmatischen Status. Eine starre organisationale Wirklichkeit sowie eine daraus resultierende statische Unternehmenskultur (BERTHOIN ANTAL, LENHARDT et al. 2003; SCHEIN 1985) beinhalten daher das Potenzial, die Entstehung von ZweischleifenLernprozessen erheblich zu behindern. Organisationsstrukturen zeigen nach PROBST (1994: 308) deshalb um so höheres Beharrungsvermögen, je länger (historisch) sie verwurzelt sind, je erfolgreicher sie in der Vergangenheit waren, je ausgebildeter ihre kulturelle Prägung ist und je stärker sie sich von „störenden“ Umwelteinflüssen abkapseln können, in dem sie bspw. Kartelle bilden, Nischen besetzen oder als öffentliche Institutionen eine monopolistische Position einnehmen. Als besonderer Teil der organisationalen Wirklichkeit sind vor diesem Hintergrund natürlich nicht nur die Pfadabhängigkeit der Wirklichkeitskonstitution und die Kultur einer Organisation von Bedeutung, sondern auch die soziale Einbettung aller Lernprozesse. Organisationen, wie auch ihre Mitglieder, bewegen sich selbstverständlich nicht in einem sozialen Vakuum, sondern sind in spezifische soziale Kontexte eingebunden. Organisationales Lernen beinhaltet deshalb auch immer eine soziale Beziehungsdimension. BLACKLER & MCDONALD (2000) weisen deshalb darauf hin, dass mit organisationalen Lernprozessen immer eine kontinuierliche
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Neukalibrierung sozialer Beziehungen innerhalb von Unternehmen verbunden ist. So kann z. B. ein auf Machterhalt ausgelegtes Führungs- und Hierarchiesystem innerhalb einer Organisation Lernprozesse erheblich behindern (CHILD & HEAVENS 2003: 308). Organisationsmitglieder oder Außenstehende können durch Infragestellung ihrer sozialen Position oder Identität insofern geradezu zu Defensivroutinen gedrängt werden (BERTHOIN ANTAL, DIERKES et al. 2003a: 5): „Learning and knowledge creation are triggered, shaped, and constrained by the social constitution of the organizations within which these processes take place. In other words, the structuring of roles, interests, and power between different organizational elements, such as departments or hierarchical levels, generates various paradoxes and tensions that bring into play a set of dynamics that have an impact on learning processes. These dynamics are associated with people’s sense of social identity and can release strong emotions, the effects of which may also foster or hinder learning, depending on the kind of emotion and the specific context involved.“
Insbesondere mit sozialen Beziehungsgeflechten sind immer Emotionen verbunden, die als wesentliche Einflussfaktoren auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern Lernprozesse begünstigen, aber auch behindern können. Obwohl Gefühle in der Vergangenheit keine große Rolle im Rahmen der Theorien organisationaler Lernprozesse gespielt haben, 150 ist es, wie SCHERER & TRAN (2003) ausführen, deshalb äußerst sinnvoll die emotionale Dimension nicht zu vernachlässigen. Kontrollverlust und potenzieller Wandel des organisationalen Umfeldes lösen wie gezeigt immer Unsicherheit aus. Unsicherheit wird jedoch im Allgemeinen als unangenehm wahrgenommen und kann sich daher durchaus negativ auf das soziale Klima für Lernprozesse in Organisationen auswirken. Dass soziale Beziehungen innerhalb von Organisationen sowie die Struktur der Akteursbeziehungen einen erheblichen Einfluss auf Lernprozesse ausüben, zeigt sich in zwei weiteren Beispielen. Marktführer können bspw. mit ihren Entscheidungen Entwicklungspfade vorgeben und damit technologischen Innovationen zum Durchbruch verhelfen, weil sie als erste auf den Markt kommen – und zwar obwohl sie eventuell eine unterlegene technologische Problemlösung darstellen. Das Verhalten von Marktführern setzt insofern neue Standards für eine Branche, die es sinnvoll erscheinen lassen, sich ihnen anzuschließen, auch wenn der Erfolg der neuen 150 Der Grund hierfür liegt, wie SCHERER & TRAN (2003) logisch nachvollziehbar argumentieren, auf der Hand. Gefühle und Leidenschaft werden im Allgemeinen als Gegenstücke zu Rationalität konzipiert. Da Rationalität in den Wissenschaften – und insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften – eine prominente Position einnimmt, konnten sich Emotionen als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand logischerweise schwer durchsetzen.
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Standards faktisch noch nicht absehbar ist. Sich dem Verhalten der Marktführer nicht anzuschließen, würde die Entstehung eines erheblichen sozialen Drucks innerhalb der Branche nach sich ziehen. Eine solche Art der Pfadabhängigkeit von Entwicklungen kann daher Lernprozesse erheblich behindern, indem sie möglicherweise unausgereiften Problemlösungen oder Produkten zur Durchsetzung verhilft (ARTHUR 1989; BOERNER et al. 2003: 95). Mit der beschriebenen Variante der Pfadabhängigkeit von Lernprozessen eng verbunden muss das Konzept des Herdenverhaltens gesehen werden. Herdenverhalten kann demnach die Folge von sozialem Lernen als einer Art des Imitationslernens sein. BANERJEE (1992) demonstriert, dass Herdenverhalten dann als Lernhindernis wirken kann, wenn die Handlungsstrukturen der Akteure, denen gefolgt wird, nicht kritisch genug hinterfragt werden. Organisationen richten hier ihr Verhalten an dem anderer Organisationen aus, da sie davon ausgehen, dass diese Informationen besitzen, über die sie selbst nicht verfügen. Interessanterweise wird dabei der vermeintlichen, unbekannten, fremden Informationsquelle höhere Relevanz als denen eigenen, verfügbaren Informationen zugebilligt. Herdenverhalten ist deshalb sogar in Fällen beobachtbar, in denen die eigene Informationslage von Organisationen ganz andere Handlungsmuster nahe legt hätte, als die, denen gefolgt wurde (BOERNER et al. 2003: 94). Die Finanzmärkte bieten hierfür immer wieder beredete Beispiele (SCHARFSTEIN & STEIN 1990). SCHARFSTEIN & STEIN begründen ein solches ökonomisch irrationales Verhalten im Investmentbereich damit, dass es unter sozialen Gesichtspunkten für Manager sinnvoll sein kann, sich dem Verhalten der Mehrheit anzuschließen und keine Sonderwege zu gehen, da dies einen Schutz für ihre Reputation in der Branche darstellt, die normalerweise „Verhaltensabweichler“ für schlechter informiert hält. Die potenziellen sozialen Kosten im Falle des Scheiterns sind für sie dadurch erheblich niedriger, als wenn sie mit abweichendem Verhalten scheitern würden. Wie die Debatte über den Einfluss der soziale Einbettung auf das Verhalten von Unternehmen innerhalb der Wirtschaftsgeographie gezeigt hat (bspw. BATHELT & GLÜCKLER 2002; BOECKLER & BERNDT 2005; GLÜCKLER 2001a, 2001b, 2005; GRABHER 1993; GRANOVETTER 1985, 2005; UZZI 1996, 1997), sind zudem soziale Faktoren wie Vertrauen und Reputation enorm wichtig, um konkrete Handlungen von Organisationen zu verstehen. Wie UZZI (1996; 1997) bezüglich des Einflusses der sozialen Einbettung von Unternehmen demonstriert, hat diese zunächst positive Effekte, die jedoch in Nachteile umschlagen können, wenn die Einbettung stark anwächst und damit durch soziale Rahmenbedingungen mögliche organisationale Handlungsspielräume eingeschränkt werden. Den ambivalenten Effekt der sozialen Einbettung hat UZZI (1997: 57) deshalb treffend als deren Paradoxon bezeichnet. Die soziale Einbettung eines Unternehmen weist als potenzielles Lernhemmnis insofern Parallelen zur bereits
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diskutierten Pfadabhängigkeit auf, indem sie einerseits Möglichkeiten und Handlungsspielräume eröffnet, jedoch andererseits die Gefahr eines LockIn-Effektes beinhaltet, der Lernprozesse erheblich behindern kann (CHILD & HEAVENS 2003). Vergegenwärtigt man sich diese grundsätzlichen Überlegungen zur Lernprozess begrenzenden Wirkung bestehender soziokultureller Strukturen, lassen sich die Beispiele von ELLIOTT et al. (2000) sowie von BERTHOIN ANTAL et al. (2003) zu Lernhindernissen in Organisationen – wie strukturelle und führungsbedingte Lernhemmnisse, ein ausgeprägtes Misstrauen des Personals gegenüber Veränderungen, eine Dominanz organisationaler Kernüberzeugungen, eine ineffektive Kommunikation sowie Informationsprobleme, ein Ausschluss oder eine Nichtbeachtung der Meinung von Außenstehenden, die kognitive Verengung der Organisation und eine daraus resultierende Ereignisfixierung, eine unzureichende Problemdefinition, ein schlechtes Regulationsregime, eine schrittweise und bruchstückhafte Veränderung des Gesamtsystems oder ein Implementierungsdefizit von als notwendig erkannten Maßnahmen – leicht als Ergebnisse der oben beschriebenen Mechanismen identifizieren. Die organisationale Wirklichkeit, die Organisationskultur und das soziale Beziehungsgeflecht in Organisationen haben daher wie gezeigt einen entscheidenden Einfluss darauf, wie eine Organisation neue Erfahrungen einordnet und interpretiert, welche Schlüsse sie daraus zieht und ob sie die neugewonnenen Handlungstheorien auch operational umsetzt. Eine auf diesen Überlegungen aufbauende Reinterpretation der präsentierten empirischen Ergebnisse wird nachfolgend mögliche Erklärungsansätze für die begrenzten Lernprozesse und die Stabilität der organisationalen Wirklichkeiten in den befragten Tourismusunternehmen aufzeigen.
5.3.2 Empirische Befunde: zur lernbegrenzenden Wirkung organisationaler Wirklichkeiten Welche lernbegrenzenden Faktoren lassen sich nun mit Bezug auf die in Kapitel 5.2.3 aufgeworfenen Fragen feststellen? Versuchen wir zuerst zu klären, warum sich die organisationale Wirklichkeit und die handlungsleitenden Theorien mit Bezug auf die Anwendung Nachfrage stimulierender Instrumente bei vielen Unternehmen anscheinend eine bemerkenswerte Stabilität aufweisen und so einen exemplarischen Beleg für RICHARDSONs (1994) Befund liefern, dass die typischen Krisenreaktionen von Unternehmen Handlungen in Einschleifen-Lernprozessen entsprechen. Die empirischen Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass ein Grund für die Begrenzung der Lernprozesse auf Einschleifen-Lernen in dem von LEVITT & MARCH (1988: 322) beschriebenen Mechanismus der Kompetenzfallen besteht. Kostenreduktionen sind in diesem Sinn unmittelbar erfolg- (und ertrag-)reich. Ihre negativen Folgen stellen sich jedoch erst mit
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erheblicher Zeitverzögerung ein. Der nicht unmittelbare zeitliche Zusammenhang erschwert es dabei, die Zusammenhänge zwischen Krisenreaktion und langfristig negativen Folgen zu erkennen. Erfolg kann auch in Bezug auf preispolitische Maßnahmen dazu beitragen Lernprozesse zu begrenzen. Wer durch preispolitische Instrumente seinen Konkurrenten Kunden wegnehmen kann, hat für sein eigenes Unternehmen einen Erfolg erzielt. Dass dies zu Lasten des volkswirtschaftlichen Ertrags der Gesamtdestination geht und damit langfristig allen Wettbewerbern schadet, tritt daher in den Hintergrund, weil das Problem individuell bewältigt wurde. Diese vordergründige Problemlösung führt dann zu einem Lock-In Effekt in Einschleifen-Lernenprozessen. Kompetenzfallen tragen so direkt zu den von SCHREYÖGG & EBERL (1998) beschriebenen (Problem-) Wahrnehmungslücken bei, die wiederum mit der bereits thematisierten Stabilität organisationaler Wirklichkeitsentwürfe zusammenhängt. Die Stabilität der organisationalen Wirklichkeitsentwürfe lässt sich anhand verschiedener Faktoren erklären. Wie in den in Kapitel 5.2.2.2 ausgeführten Zitaten bereits deutlich wurde, neigt eine große Zahl der befragten Manager dazu, die wiederkehrenden Krisen der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt ausschließlich temporären Störungen der Sicherheitslage zuzuschreiben. Diese Wahrnehmung wird anscheinend dadurch gestärkt, dass eine große Zahl der leitenden Manager TNHU auf viele Jahre, zum Teil sogar Jahrzehnte Berufserfahrung in der Arabischen Welt zurückblickt und mit dem Auftreten und Abklingen von Krisen vertraut ist. Außerdem beschäftigen die TNHU, wie zu beobachten ist und von den Befragten bestätigt wurde, zunehmend arabischstämmige Mitarbeiter in Leitungspositionen, da das Qualifikationsniveau in der Region seit vielen Jahren steigt. Aufgrund ihrer Verwurzelung und Erfahrung in der Region ist die Sicherheitswahrnehmung dieser Manager jedoch eine viel differenziertere, als die durchschnittlicher Touristen aus den westlichen Industrieländern. Sie reflektieren Risiken durch gewalttätige politische Unruhen in einem räumlich sehr differenzierteren Maß. Ein „Nachbarschaftseffekt“ der Risikowahrnehmung ist deshalb bei den Hotelmanagern nicht erkennbar – darauf weist allein schon die bereits zitierte Äußerung hin, dass man sich genötigt sehe, die Touristen aus den traditionellen Quellmärkten immer wieder über die Verhältnisse in der Region aufzuklären. In theoretischer Hinsicht überrascht diese Diagnose nicht, korrespondiert sie doch mit den Modellannahmen von STEINER et al. (2006), die einen wesentlichen Grund für unterschiedliche Sicherheitswahrnehmungen und die Entstehung von sicherheitsbedingten Krisen im Tourismus in einem unterschiedlichen Maß an sozialer Distanz sehen, das bspw. die Entstehung von Nachbarschaftseffekten befördert. Die hier vorliegenden empirischen Ergebnisse weisen in diesem Sinne darauf hin, dass sich die Sicherheitswahrnehmung der TNHU trotz ihrer Herkunft aus den westlichen Industrieländern aufgrund
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der sozialen Einbettung ihrer leitenden Angestellten von der der Touristen aus ihren traditionellen Quellmärkten maßgeblich unterscheidet und durch einzelne Krisenereignisse kaum beeinflussbar ist. Ihr Bild der Sicherheitslage in der Region scheint daher deutlich stabiler zu sein, als das der Touristen in Europa oder Nordamerika. Diese Diagnose ergänzt somit die Aussagen von BLACKLER & MCDONALD (2000) dahin gehend, dass die soziale Verfasstheit von Organisationen nicht nur über interne Beziehungsgefüge, sondern anscheinend auch über die Biographien der Organisationsmitglieder erhebliche Auswirkungen auf Lernprozesse in Unternehmen ausüben kann und das Potenzial besitzt, diese zu begrenzen. Viele der Unternehmen, die Nachfrage stimulierende Krisenreaktionsoptionen anwenden, begreifen daher wiederkehrende Krisen als etwas Unvermeidliches und nicht in ihrer Gewalt Stehendes. Dies gilt um so mehr, wenn einzelne Destinationen von Krisen im Zuge von Nachbarschaftseffekten betroffen sind. Es liegt in der Logik dieser Wahrnehmung, dass die Unternehmen in solchen Fällen davon ausgehen, aktiv nichts dazu beitragen zu können, um das Entstehen einer Krise zu vermeiden. Sie neigen deshalb zu einem reaktiven Verhalten und verharren in der Defensive, anstatt eine neue Sicht auf ihre Probleme zu entwickeln, auf Basis derer neue Problemlösungswege möglich würden. Immer wieder die gleichen Krisenreaktionspläne zu nutzen, routinemäßig erneut Nachfrage stimulierende Krisenreaktionsmöglichkeiten anzuwenden oder Investitionen zu verschieben gleicht dabei in theoretischer Hinsicht der lernbegrenzenden Taktik des sich „gegen-den-Sturm-Stemmens.“ Das Verhalten einer großen Zahl von Hotelunternehmen entspricht insofern weitgehend den in der letzten theoretischen Brille geschilderten Ergebnissen und Ausführungen von ROUX-DUFOR (2000: 27f) sowie NYSTROM & STARBUCK (1984: 55). Mit einer Taktik des sich „gegen-den-Sturm-Stemmens“ sind jedoch, wie bereits in Kapitel 5.1.3.2 empirisch belegt wurde, Erfolge nur kurzzeitig zu erzielen. Die strukturellen Probleme bleiben weiter bestehen oder verschärfen sich sogar zusätzlich, wie die beschriebenen Mechanismen der drohenden Abwärtsspiralen in Bezug auf Preise und der Qualität in Ägypten und Tunesien demonstrieren. Vor dem Hintergrund des sich verschlechternden Gesamtumfeldes, haben die Hotellerieunternehmen dann in der nächsten Krise jedoch noch weniger Ressourcen und damit Zeit, um neue Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Stabilität organisationaler Wirklichkeitsentwürfe trägt über die geschilderten Mechanismen daher in der Hotelindustrie Ägyptens und Tunesiens erheblich zum Lock-In in Einschleifen-Lernprozessen bei. Welche Erklärungsansätze lassen sich jedoch für die Diskrepanz zwischen handlungsleitenden und vertretenden Theorien mit Bezug auf die Anwendung Nachfrage stimulierender Instrumente entwickeln, wie sie in dem bereits angeführten Zitat des Managing Director eines TNHU in Ägypten deutlich wird (TNHU-RM14):
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„So, what we do in this case, we reduce rates. Although right after September 11th there was no need to do anything, because even low rates do not attract – even free travelling would not have attracted anyone.“
Greifen wir dieses Beispiel der Verwendung preispolitischer Instrumente auf, um einen Erklärungsansatz für die scheinbare Diskrepanz zwischen Handlungen und geäußerten Wirklichkeitsentwürfen zu entwickeln. Dafür ist es notwendig zu bedenken, dass eine Vielzahl von Akteuren in der Hotellerie der Arabischen Welt tätig sind. Mögliche Handlungsalternativen und -konstellationen müssen deshalb nicht nur in Bezug auf einen einzelnen Akteur, sondern in Bezug auf eine Vielzahl von Akteuren gedacht werden. Der Verzicht auf die Anwendung preispolitischer Instrumente stellt sich unter diesen Bedingungen nur dann wirtschaftlich als die optimale Lösung heraus, wenn alle Akteure sich gleichartig verhalten und kooperieren. Verfolgt jedoch nur ein Akteur in einer Destination eine egoistische Politik, wird er Umsatzvolumen hinzugewinnen, während die anderen zusätzlich zu den Schäden durch die Krise weiteren Umsatz verlieren. Dass genau dieser Mechanismus für die Akteure in der Hotellerie Ägyptens und Tunesiens ein wichtige Rolle bei der Nutzung preispolitischer Instrumente spielt, demonstriert die folgende, bereits an anderer Stelle zitierte Aussage (TNHU-RM7): „Und da habe ich gesagt: (…) »Wie viel mehr Kunden krieg ich jetzt nach Ägypten rein, wenn ich mit dem Preis auf 65 Dollar runter gehe von 105?« (…) Und da fing der John (…) an zu lachen, weil der wusste ganz genau, wo ich hin wollte. (…) und (…) hat gesagt: »Ich kann dir das schon beantworten. (…) Keinen einzigen. Nur der kriegt sie alle von dir«.“
Geht ein Akteur aufgrund ähnlicher Erfahrungen daher davon aus, dass sich nicht alle seine Wettbewerber kooperativ zeigen, sondern zumindest einzelne eine individuelle Nutzen maximierende Strategie verfolgen, ist es zweckrational für ihn, sich nicht entsprechend der von ihm eventuell anderslautend vertretenen Theorie zu verhalten, sondern selbst preispolitische Instrumente zu nutzen. Würde er dies nicht tun, liefe er Gefahr an Konkurrenzfähigkeit zu verlieren, was die durch die Krise verursachten Umsatzeinbußen potenzieren würde. Während im Falle einer Kooperation zwischen den Hoteliers die geringsten Gesamtumsatzausfälle für alle in einer Destination zu erwarten sind, steht dem eine Potenzierung des unternehmerischen Risikos gegenüber, wenn ein Hotel sich kooperativ verhält, andere dem jedoch nicht folgen. Wie die empirischen Beobachtungen zeigen, tendiert tn dieser Situation eine Vielzahl der Hoteliers in Ägypten und Tunesien – so sie über keine qualitativen Alleinstellungsmerkmale verfügen – dazu, ihr Risiko zu minimieren und sich entgegen ihrer vertretenen Theorien zu verhalten.
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Die empirischen Befunde lassen sich insofern weitgehend in eine spieltheoretische Logik einbetten. Der scheinbare Widerspruch zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie entspricht in dieser Perspektive der Problemstellung des s. g. Gefangenendilemmas (bspw. AXELROD 1980), das analog der obigen empirischen Ausführungen in theoretischer Hinsicht erläutert, wie individuell rationale Entscheidungen auf der kollektiven Ebene zu suboptimalen Ergebnissen führen können. Vor dem Hintergrund einer solchen spieltheoretischen Perspektive löst sich der von SCHREYÖGG & EBERL (1998) als Implementationslücke beschriebene, scheinbare Widerspruch zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie auf. Die Begrenzung der Lernprozesse hängt hier – wie den obigen Ausführungen entnommen werden kann – eben nicht mit einer mangelnden Umsetzung von Einsichten zusammen, sondern geht auf ein streng rationalistisches, nutzenmaximierendes Akteursbild zurück. In konzeptioneller Hinsicht lässt sich daraus schließen, dass innerhalb der betreffenden Unternehmen zwei konkurrierende, vertretene Handlungstheorien existieren. Dass sich der konservative Wirklichkeitsentwurf durchsetzt, überrascht dabei nicht unbedingt, da er einer klassisch betriebswirtschaftlichen Perspektive folgt, in die Manager üblicherweise im Rahmen ihres beruflichen Werdegangs eingeführt werden. Es kann daher vermutet werden, dass in dieser beruflichen Sozialisation der wesentliche Grund für die Durchsetzung und damit die Stabilität der konservativen organisationalen Wirklichkeiten zu suchen ist. Auch die vermeintliche Diskrepanz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie scheint insofern auf unterschiedliche Wirklichkeitsentwürfe hinzuweisen, nur dass diese nicht zwischen verschiedenen Unternehmen bestehen, sondern innerhalb eines Unternehmens in Konkurrenz treten. Dass die Erwartung über das Verhalten der Mitbewerber einen wesentlichen Erklärungsansatz für die Diskrepanz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie bieten kann, wird auch in anderer Hinsicht deutlich. So umschreibt der Director of Business Development einer sehr großen kontinentaleuropäischen Hotelkette den Handlungszwang, dem Hotels in ihren Krisenreaktionen unterstehen, mit der Metapher eines Fischschwarmes. Der Schwarm [gemeint ist damit die Hotelindustrie] schwimme demnach in eine gemeinsame Richtung, die alle für grundsätzlich richtig hielten. Käme dann gleichsam wie ein Hai eine Krise und greife den Schwarm an, könnten die einzelnen Fische nicht ohne weiteres die Richtung ändern oder stehen bleiben, da sie sonst vom Schwarm abgehängt werden würden und höchstwahrscheinlich dem Angriff zum Opfer fielen. Diese metaphorische Schilderung der Handlungsspielräume findet ihre theoretische Entsprechung in dem von BOERNER et. al. (2003: 94) beschriebenen Herdenverhalten. Demnach begrenzt das dafür typische Imitationslernen den Lernprozesses sogar dann, wenn die eigenen Informationen andere Handlungen nahe legen würden.
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Herdenverhalten gesellt sich damit als komplementärer Erklärungsansatz für die scheinbare Diskrepanz zwischen handlungsleitender und vertretener Theorie neben den oben dargelegten spieltheoretischen Ansatz. Werden die Handlungen von Unternehmen auch dann durch Herdenverhalten bestimmt, wenn dies eine Abweichung von ihren vertretenen Theorien bedeutet, so verweist dies wiederum auf konkurrierende organisationale Wirklichkeiten innerhalb der Unternehmen, bei denen sich die konservativen Annahmen behaupten. Die Stabilität der konservativen Wirklichkeitsentwürfe führt in jedem Fall logischerweise zu einem Verharren in Einschleifen-Lernprozessen und damit langfristig zu der bereits beschriebenen Kannibalisierung des Angebots. Der Befund von ROUX-DUFORT (2000) und KOVOOR-MISRA & NATHAN (2000), dass Unternehmen üblicherweise nicht aus Krisen lernen, lässt sich pauschal nicht auf die Hotellerie und insbesondere nicht auf TNHU in der Arabischen Welt übertragen. Die theoriegeleitete ReInterpretation der empirischen Fakten zeigt, dass im Gegensatz zum bisherigen Theoriestand im vorliegenden Untersuchungsfall bei einer großen Anzahl von Akteuren Zweischleifen-Lernen stattgefunden hat. Die katalytische Wirkung der Ereignisse im Zuge des 11. Septembers hat offensichtlich dazu beigetragen, die bereits vorher bestehenden Probleme in Ägypten und Tunesien so zu verschärfen, dass dies insbesondere TNHU sowie staatlichen Akteuren und Hotelverbänden den Anstoß zu ZweischleifenLernprozesse gab. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit untermauern insofern, dass Krisen durchaus als Anstoß zum Lernen betrachtet werden können. Gleichzeitig bestätigt sich empirisch der Befund von HEDBERG & WOLF (2003:535), dass mit Zweischleifen-Lernprozessen normalerweise keine Änderung auf der Strategieebene verbunden sind. Diese konzeptionell anscheinend widersprüchlichen Ergebnisse können durch die eingeführte Differenzierung zwischen externer und interner organisationaler Wirklichkeitskonstruktion aufgelöst werden. Dass trotz des Durchlaufens von Zweischleifen-Lernprozessen keine Änderung auf der Strategieebene zu verzeichnen ist, kann i. d. S. der Stabilität der internen Wirklichkeit TNHU zugerechnet werden. Es ist plausibel davon auszugehen, dass die Stabilität der internen organisationalen Wirklichkeit wenigstens zum Teil auf der relativen Stabilität der organisationalen Einschätzung der Sicherheitslage basiert, die bereits diskutiert wurde und die für praktisch alle Befragten – und damit auch für diejenigen, bei denen Zweischleifen-Lernen zu verzeichnen ist – konstitutiv ist. Der Unterschied zwischen Unternehmen, die Ein- bzw. Zweischleifen-Lernprozesse durchlaufen, ist weniger in einer unterschiedlichen Einschätzung der Sicherheitslage in der Region zu sehen, als in der Frage, wie dieser zu begegnen sei und ob man gegen deren Auswirkungen etwas unternehmen könne.
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Die empirischen Ergebnisse legen zudem nahe, dass die Stabilität der Sicherheitswahrnehmung und der damit zusammenhängenden internen organisationalen Wirklichkeit zu einem großen Teil der zeitlichen Perspektive geschuldet ist, aus der die Manager der TNHU die Entwicklungen in der Arabischen Welt betrachten. Dieser Faktor klang mittelbar schon in den oben andiskutierten langjährigen persönlichen Erfahrungen der für die TNHU tätigen Manager an. Die zeitliche Perspektive hat jedoch eine organisationale und nicht nur eine individuelle Komponente, wie in den Ausführungen des Directors of Lodging Development eines USamerikanischen TNHU deutlich wird (TNHU-RM6): „When we look at this political situation, for example what happened in Iraq, you know the war in Iraq in 2003, we don’t look at this. Long-term it doesn’t affect us. Long-term we don’t think it will have a mayor issue on our decisionmaking. We really look at the Middle East, you know, long-term to the next 20 years.“
Aus einer solch langfristigen Perspektive büßen einzelne Sicherheitskrisen für eine Organisation an Bedeutung ein. Derartige Zeiträume sind in politischer Hinsicht nicht planbar, weshalb man mit plötzlichen Problemen eben leben müsse, wie der befragte Manager weiter ausführt (TNHU-RM6): „Incidences, you know, in the Middle East or anywhere else are unavoidable and you just need to live with it.“
Durch die Dauer des organisationalen Engagements der Unternehmen ergibt sich daher eine ähnliche Wirklichkeitskonstruktion wie bei den einzelnen Managern, wobei sich die langfristige Perspektive der TNHU aus der Natur des Geschäftes in der internationalen Hotellerie und nicht aus persönlichen Biographien erklärt. Insbesondere in der hochklassigen Hotellerie braucht es eine lange Zeit, um eine neue Hotelanlage erfolgreich auf dem Markt zu platzieren und wirtschaftlich voll zu entwickeln, ohne die Markenkonsistenz und den Markennamen zu beschädigen, wie der Vice President & Area General Manager Middle East eines britischen Unternehmens erklärt (TNHU-RM18): „Now in terms of short- or long-term, we always look at long-term. You know, we always look at 20 years and beyond, (…) because what is so important for us is our brand. And going and positioning ourselves takes a lot of time and efforts, and if it’s very important you really get the results only after five years. (…) So we never think of going four, five years into a destination and then getting out again. So we must be really clear, that, you know, a destination can sustain the business for at least a longer period of time. (…) We normally wouldn’t sign a contract less than 20 years, (…) really. I have never heard of signing a contract for five years. It’s something we wouldn’t really do.“
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Managementverträge werden deshalb mit langen Laufzeiten von bis zu 30 Jahren abgeschlossen (vgl. Kapitel 4.4.2). Eine langfristiger Geschäftsstrategie ist für den Erfolg der Unternehmen auch deshalb wichtig, weil die jahrzehntelange Präsenz eines Hotels für eine Bekanntheit im Markt sorgt, die ohne große Marketingaktivitäten Geschäftsvolumen generiert wie ein Manager erklärt (TNHU-RM19): „Für dieses Hotel nach 26 Jahren ist es sicherlich einer der Hauptgründe des Erfolgs: Die langfristige, etablierte Stellung im Markt, das eben sehr viel Geschäft automatisch, wie Sie sagten, zu [uns; nennt den Hotelnamen] kommt.“
Das langfristige Interesse der Unternehmen an einem Engagement reflektiert sich unternehmensgeschichtlich in deren teilweise schon über 50 Jahre andauernden Tätigkeit in der Arabischen Welt (vgl. Kapitel 4.4.3.3). Der Abgleich der Präsenzdauer verschiedener TNHU in der Arabischen Welt und der Stabilität ihrer Wirklichkeitsentwürfe legt dabei interpretativ den Rückschluss nahe, dass die Stabilität der internen organisationalen Wirklichkeit mit zunehmender historischer Einbettung anwächst. Die empirischen Befunde und ihre Interpretation bestätigen daher die Ausführungen von PROBST (1994: 308) sowie KLIMECKI et. al. (1991: 3), die in der Historizität und Pfadabhängigkeit organisationaler Entwicklungen wichtige Gründe für die Stabilität von Wirklichkeitsentwürfen und die Begrenzung von Lernprozessen identifizieren, da durch sie Deutungsspielräume der Situationsanalyse und damit unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeiten einer Problematik eingeschränkt werden. Die interne organisationale Wirklichkeit lässt sich jedoch nicht nur durch Historizität und Pfadabhängigkeit erklären. Auch soziale Beziehungen spielen für die Stabilisierung der organisationalen Wirklichkeitsentwürfe offenbar eine kritische Rolle. Durch die lange Dauer der Managementverträge ergeben sich langjährige Partnerschaften der TNHU mit ihren Hoteleigentümern, wie die folgenden zwei Aussagen verdeutlichen (TNHU-RM9; TNHU-EB4): „These relationships go up to thirty years and we have all different ownerrelationships. I think thirty years is a long-term partnership and I wouldn’t say that I prefer one owner over another. We all have our ups and downs but I think in general there is partnerships that lasted that long, they can’t be bad.“ „Dadurch, dass wir eine enge Verbindung haben, und (…) seit Jahren (…) zusammen arbeiten, kennt man sich. (…) Das ist wie eine alte Ehe, die schon 30 Jahre geführt wird. Das macht natürlich auch einen großen Unterschied. Man weiß, was man erwarten kann, man weiß, was man wählt. (…) Man kennt sich.“
Viele dieser Partnerschaften entwickeln sich zu einer Art strategischer Partnerschaft zwischen TNHU und Hoteleigentümer, die dann mehrere
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Hotels gemeinsam führen. Sie sind für die TNHU existenziell wichtig, da von ihnen ihr eigener Geschäftserfolg abhängt (TNHU-RM16): „We want to make sure that we have satisfied owners (…) because at the end of the day those people, they are the people that come and make you develop and grow. So we invest a lot on developing and making sure that our owners are happy.“
In den Partnerschaften spielt nicht nur die institutionelle Verbindung, sondern vor allem auch die persönliche Beziehung der Hotelmanager zu den Hoteleigentümern eine wichtige Rolle, wie der Vice President Development eines britischen TNHU betont (TNHU-HQ2): „And as you will know, doing business in the Middle East is large parts down to personal relationship.“
Die Bedeutung persönlicher Beziehungen beruht auch darauf, dass die Anzahl der großen Hotelentwickler und -investoren in der Region sehr überschaubar ist, wie ein seit vielen Jahren in der Region tätiger Hotelmanager ausführt (TNHU-EB10): „Anders als in Europa ist der Mittlere Osten sehr Besitzer driven, owner driven. Und, denn es sind ja eigentlich gar nicht so viele Besitzer, die es im Mittleren Osten gibt, es sind sagen wir mal vielleicht, Gott, vielleicht 15 oder 20, (…) die richtig groß sind, ja. Und die haben (…) dann drei Intercontinentals, die haben vielleicht zwei Hiltons (…). Das sind also gar nicht so viele und davon ist natürlich, sehr, sehr viele sind natürlich Saudi (…) oder Saudi-based, das sind dann die Familien. Das heißt, es ist ein unheimlich persönliches Geschäft.“
Die Hoteleigentümer sind in der Arabischen Welt eng untereinander und mit der politischen Elite vernetzt (vgl. Kapitel 4.4.3.1). Dies gilt um so mehr in den Golfstaaten, mit ihren nach wie vor stark auf Familienbanden aufbauenden Gesellschaftsstrukturen. Gute Beziehungen zu den Hoteleigentümern können daher helfen, viele auch alltägliche Probleme leichter zu lösen (TNHU-RM18): „They [personal relationships] are very important. I mean in our business that’s all what it is, you know personal relationships. (…) Sometimes (…) [it] makes it a little easier, because they truly understand local circumstances. (…) Let’s say access on the beach: Sometimes you have cars going back and forth. That’s an ongoing thing, so we try to involve the owning company there, and we’ll just say: »Can you help us?« And they know somebody and then suddenly things go a little easier. Or (...) now they told me, one of you write a letter to this and this person and you copy me and then you know, I am gonna push from my side. So it’s – relationship is very important.“
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Eine enge Verbindung zwischen Hoteleigentümern und Politik ist jedoch nicht nur auf der Arabischen Halbinsel, sondern bspw. auch in Ägypten zu verzeichnen und hat dort historische Gründe. Die Verstaatlichung der großen Hotels unter Nasser führt dazu, dass die Hotelanlagen von staatlichen Unternehmen gemanaged werden. Als hier unter Sadat eine Liberalisierung eintritt, wird das Management zunehmend an TNHU abgegeben. Auf die Auswahl der Unternehmen nimmt die Politik dabei zum Teil entscheidenden Einfluss. Wie am Beispiel des Mena House an den Pyramiden in Kairo deutlich wird (TNHU-RM12): „We have been in Egypt since 1973. (…) We were invited by the government of Egypt to participate in the managing of Mena House with Oberoi.“
Die Einladung erging deshalb an Oberoi, da Ägypten und Indien noch unter Nasser durch die Bemühungen zur Bildung einer Bewegung der blockfreien Staaten enge Beziehungen geknüpft hatten. Auch dieses Beispiel veranschaulicht damit, welche herausgehobene Bedeutung Beziehungen für den Markteintritt und den Geschäftserfolg TNHU in der Arabischen Welt einnehmen. Wie wichtig auch heute noch politische Beziehungen sein können, zeigen die Erfahrungen einiger leitender Manager deutscher und französischer Hotelketten. Demnach hätten sich – nach der Weigerung Deutschlands und Frankreichs 2003 am Irakkrieg teilzunehmen – spürbar mehr Hotelinvestoren mit Angeboten zur Zusammenarbeit an Hotelmanagementgesellschaften aus den beiden Staaten gewandt. Kempinski, Accor und auch die ursprünglich französische Kette Le Merdién berichten darüber, dass sich ihre Expansionsbestrebungen dadurch erheblich vereinfacht hätten. Die Unternehmen profitierten vom sich verschlechternden Image der US-Amerikaner, das im Zuge einer zunehmenden politischen Polarisierung zu einem durchschnittlich eher anti-amerikanischen und proeuropäischen Klima in der Region beigetragen habe, wie ein leitender Manager feststellt (TNHU-RM2): „Da haben sich für uns neue Möglichkeiten eröffnet.“
Die sich aus dem politisch motivierten Vertrauensvorschuss ergebenden Expansionschancen würden die fraglichen kontinentaleuropäischen Hotelketten gerne ergreifen. Dieses „window of opportunity“ wurde auch noch durch einen zweiten Effekt verstärkt, der unabhängig von der politischen Einstellung der Hoteleigentümer zu sehen ist: Als weiche Ziele für Terroristen, muss davon ausgegangen werden, dass Hotels in US-amerikanisch-
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em oder britischem Management deutlich gefährdeter sind,151 als Hotels in deutschem oder französischem Management. Dies führe einerseits dazu, dass sicherheitssensible Touristen die Hotels deutscher oder französischer Ketten bevorzugen und erhöhe andererseits den Anreiz für die Investoren, mit kontinentaleuropäischen Firmen zusammen zu arbeiten. Die Bedeutung guter Beziehungen zu den Hoteleigentümern wird darin deutlich, dass sie den TNHU mittelbar einen Zugang zu den persönlichen Netzwerken und Verbindungen der Hoteleigentümer ermöglichen – vorausgesetzt, sie schaffen es, die Beziehungen langfristig positiv zu gestalten. Zu Störungen der Harmonie zwischen Hotelunternehmen und -eigentümer kann es bereits kommen, wenn ein TNHU mit mehreren Partnern in einer Destination zusammenarbeitet (TNHU-RM4): „It is difficult to have joint partnerships with multiple owners.“
Insbesondere Personenunternehmen auf Seiten der Hoteleigentümer würden in solchen Fällen gelegentlich einen Interessenkonflikt der TNHU vermuten. Sind die persönlichen Beziehungen jedoch geschädigt, kann dies enorme Folgen für ein TNHU mit sich bringen (TNH-EB10): „Wenn der Besitzer glaubt, das wir [uns] nicht richtig um sein Hotel kümmern, dann (…) kann [er] uns wirklich das Leben schwer machen, und zwar stündlich, nicht täglich, sondern stündlich. (…) Die sind super vernetzt. (…) Wenn ich mal irgendwo einen schlechten Ruf habe, sagen wir mal, wenn ich mich mit dem Besitzer wirklich kebbele [streite], also richtig kebbele, dann weiß das eine viertel Stunde später, weiß das jeder.“
In einem Geschäftsumfeld, in dem die Investoren sehr eng miteinander vernetzt sind und darüber hinaus direkte Verbindungen in die lokale Politik besitzen, kann eine Beschädigung des Unternehmensrufs fatale Folgen für die weitere Unternehmensentwicklung haben. Wie der Director of Business Development eines großen kontinentaleuropäischen Hotellerieunternehmens ausführt, liegt dies daran, dass die TNHU gerade in der Arabischen Welt weitgehend auf Beziehungen angewiesen sind, um neue Hotelobjekte zu akquirieren und damit Wachstum zu generieren. Der Informationsvorsprung, der nötig ist, um vor der Konkurrenz auf mögliche Expansionsgelegenheiten zugreifen zu können, ergebe sich vornehmlich aus den Beziehungen zu den Hoteleigentümern, wie das Zitat eines lange Zeit in der Region tätigen Managers stellvertretend für viele Aussagen seiner Kollegen veranschaulicht (TNHU-EB10):
151 Wenn man von den beiden Hotelunternehmen Four Seasons und Fairmont absieht, die in der Region als Prinz Walid Bin Talal Al-Saud zugehörig und daher oft als „quasi-arabisch“ wahrgenommen werden.
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„Da kommt sehr, sehr viel von den Besitzern. Es kommt unheimlich viel von den Besitzern, die dann mit uns ein Hotel in Dubai haben und dann sagen: »Ok, ja mein Bekannter soundso, (…) hat da ein Grundstück, plant da ein Hotel« oder was auch immer.“
Die Hotelunternehmen verfolgen auf diese Art und Weise im Falle sehr enger Beziehungen sogar die regionale Expansion der Hotelinvestoren mit, wie das Beispiel eines vollintegrierten Touristikkonzerns zeigt, der mit einem seiner TNHU dem strategischen Partner aus Ägypten in die VAE gefolgt ist, dort heute dessen erstes Hotel betreibt und sich damit ein neues Zielgebiet erschlossen hat. Die Beziehungen zwischen TNHU und Hotelinvestoren sind teilweise so eng, dass sich auch sehr große TNHU weitgehend ihren strategischen Partner anvertrauen, wenn es um das politische Risiko eines Engagements in einer Destination geht, wie die Erklärung des Director Lodging Development Middle East eines US-amerikanischen Hotelunternehmens bezüglich des jordanischen Beispiels verdeutlicht (TNHU-RM6): „I think (…) the political situation will play a big role on Jordan’s potential to develop. I honestly don’t know where it’s going. Really, that’s more like a political issue. We have one owner in Jordan (…) who is very strong. (…) You know we are with [him] over 25 years. (…) We operate only when he wants, you know, if he wants us to operate it, we will operate it. The people know the situation and the potential much better than the operator, us. And we will rely on him. (…) He is a (…) very experienced developer and we know that we can trust his visions and expertise.“
Wie bereits in Kapitel 4.4.3.1 ausgeführt, ist die Verbindung zwischen Hotelinvestor und TNHU im Falle des saudischen Prinzen Walid bin Talal Al-Saud noch enger, da dieser Beteiligungen an den TNHU Mövenpick, Fairmont und Four Seasons hält. Für die TNHU sind in dieser Beziehung jedoch nicht nur sein Kapitalzugang und seine Beziehungen von Nutzen, sondern auch sein Name, der viele Türen öffnet bzw. Kunden aus der Region gezielt in „seine“ Hotels führt. Gute Beziehungen sind jedoch nicht nur mit den Hoteleigentümern wichtig, sondern insbesondere am Golf auch mit den herrschenden Familien, da viele von ihnen mit den Hoteleigentümern eng verbunden sind. In einer kontinuierlichen Kontaktpflege und dem Aufbau von Vertrauen sieht so bspw. der Vice President Development eines britischen TNHU einen wesentlichen Schlüssel für die Akquisition weiterer Hotelanlagen für sein Unternehmen (TNHU-HQ2): „Being there and being able to meet with the Sheikhs and be able to sit down with them and drink coffee three times a week. And it’s that kind of arrangement
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that I think advances the company’s interest in that region. And, you know, I think we benefit from having a team down there.“
Der Aufbau von Vertrauen in persönlichen Beziehungen nimmt viel Zeit in Anspruch, wie nicht nur der Dean der Kairener Hoteliers bestätigen kann, sondern wie auch am Beispiel einer Managerin in Dubai deutlich wird. Sie hat sich offensichtlich einen direkten Zugang zum Herrscher Dubais erarbeitet und verfügt damit über beste Beziehungen, die für den Ausbau der Hotelkapazitäten des Unternehmens wichtig sind (TNHU-RM18): „First of all, hotel people, the more, people who have been here for a long time like the GM of the (…). She has been here for ten years. She works close with Sheik Mohamed, I think, because they have a lot of development.“
Die Beziehungen zwischen den TNHU und den Hoteleigentümern basieren so weitgehend auf persönlichen Kontakten, die über lange Zeit gepflegt werden müssen. Daher neigen viele TNHU dazu, ihre leitenden Angestellten in der Region längerfristig dort zu binden und von häufigen Einsatzortwechseln abzusehen. Ein solches Verhalten ist für die Unternehmen hochgradig sinnvoll, da persönliche Beziehungen und das in diesen Kontakten entstehende Vertrauen ein erhebliches Kapital für die Firmen darstellen. Eine hohe soziale Einbettung ist eine wesentliche Basis des Geschäftserfolges in der Arabischen Welt. Sie erleichtert das operative Geschäft und kann entscheidend dazu beitragen, schneller als Konkurrenten wachsen zu können. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass bspw. Mövenpick, als ein mit Prinz Walid Bin Talal Al-Saud eng verbundenes Hotelunternehmen, eines der am aggressivsten expandierenden TNHU in der gesamten Region ist. Beziehungen sind jedoch nicht nur auf der persönlichen Ebene für den Geschäftserfolg der TNHU entscheidend. Auch die Beziehungen mit staatlichen Akteuren tragen zu einer Einbettung der Unternehmen in ihr Umfeld ein und können das operationale Geschäft erheblich erleichtern, wenn hier gegenseitiges Vertrauen über eine längere Zeit aufgebaut wurde, wie das Beispiel eines US-amerikanischen TNHU in Dubai aufzeigt (TNHURM19): „Wir haben also über viele, viele Jahre ein sehr, sehr gutes Verhältnis mit dem Department of Tourism. (…) Wenn das Department of Tourism Hilfestellung braucht in Bezug auf Unterkunft für Delegations versuchen wir, ihnen so weit wie möglich entgegen zu kommen und durch unser Network im Mittleren Osten als auch in Europa und in Nordamerika, ihnen natürlich dann auch dort sehr viel Hilfestellungen geben können. Und im Gegenzug hat DTCM uns immer sehr gut unterstützt in Bezug eben auf Repräsentanz des Hotels. (…) [Deshalb] würde ich sagen [das Verhältnis ist] ausgezeichnet. Ich habe vorher angemerkt, das Department of Dubai Immigration, Labour Department. (…) wir haben also seit 26
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Jahren ein gutes Verhältnis mit dem Department of Labour and Immigration. Wir haben in beiden Government Departments einen clean Record für 26 Jahre und das wird von beiden sehr, sehr – uns wird von beiden Departments ein sehr hoher Stellenwert entgegen gebracht. (…) Wir sind also sehr, sehr strikt in Bezug auf, wie wir mit allen unseren Angestellten (…) vorgehen. Und damit haben wir mit denen sehr, sehr gute Erfahrungen gemacht. Same würde ich sagen mit den Security Agencies, sei das Dubai Police, sei das CID oder National Security. Auch da kommt wieder ins Gewicht, dass die uns seit langer Zeit kennen und dass die Authorities, die heute eben in gehobenen Positionen in allen diesen Agencies sitzen, uns von deren Kinderschuhen an kennen. Und als Institution damit großes Vertrauen haben in die Integritität der Organisation, mit denen kommen wir auch wirklich (…) sehr gut aus.“
Das Vertrauen der Partner auf Seiten der Investoren, der Politik oder Verwaltung zu verlieren, kann so schnell nicht nur in der jeweiligen Einzelbeziehung kritisch werden, sondern sich auch durch die teilweise dichte Vernetzung und die Querverbindungen der arabischen Akteure zu einer großen Hürde oder sogar Bedrohung für die weitere Geschäftsentwicklung der TNHU auswachsen. Das Verhältnis zwischen TNHU und Hoteleigentümern basiert daher auf einer gegenseitigen Abhängigkeit, wobei die größere Macht tendenziell sogar eher auf Seiten der Hoteleigentümer zu liegen scheint. Vor einem solchen Hintergrund wäre es aus Sicht der TNHU nicht rational, eine kurzfristige Verbesserung der eigenen Wettbewerbssituation durch eine Belastung der Beziehungen zu den Hoteleigentümern zu erreichen. Eine lange gewachsene Geschäftsbeziehung wegen eines kurzfristigen Vorteils zu kündigen oder Druck auf den Partner hinsichtlich einer Neuverteilung des Geschäftsrisikos auszuüben, kann zu einem erheblichen Vertrauensverlust führen, der die Geschäftsbeziehungen in der Zukunft belasten und erschweren würde. Sollte sich ein Unternehmen mit einer Anpassung seiner Managementverträge durchsetzen oder sich mit Kapitalbeteiligungen aus Hotelobjekten zurückziehen, wäre daher dauerhaft der Geschäftserfolg in der Region gefährdet, da dann eine Vertragsverlängerung oder ein späterer erfolgreicher Wiedereintritt in den Markt erheblich erschwert sein dürfte. Die Struktur und Bedeutung der Beziehungen zwischen TNHU und Hoteleigentümern führt dazu, dass keines der befragten Hotelunternehmen ernsthaft daran gedacht hat, seine Engagementsintensität auf Kosten der arabischen Partner zu verändern. Wie sehr eine solche Möglichkeit abwegig zu sein scheint, verdeutlicht die etwas entgeisterte Reaktion des Senior Vice President Middle East einer kontinentaleuropäischen Hotelkette auf die Frage, ob sein Unternehmen Versuche unternommen hätte, organisationale Krisenreaktionen zu nutzen und das Risiko noch stärker auf die Hoteleigentümer zu verlagern (TNHU-RM2):
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„Und das sollen die Eigentümer sich gefallen lassen?“
Für keines der befragten Unternehmen waren organisationale Krisenreaktionen lebendige Möglichkeiten. Im Sinne DEWEYs kann daraus geschlossen werden, dass der Einsatz derartiger Maßnahmen bereits an der Kompatibilitätsprüfung einer solchen Hypothese mit der organisationalen Wirklichkeit gescheitert ist. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die interne Organisationswirklichkeit folgerichtig erst dann in Frage gestellt wird, wenn ein kundenorientierter Zweischleifen-Lernprozess nicht zum gewünschten Ergebnis der Problemlösung führen sollte. Erst dann wird man auch die organisationale Kernstruktur des eigenen Unternehmens in Frage stellen und bereit sein, gewachsene Beziehungen zu den arabischen Geschäftspartnern aufs Spiel zu setzen. Diese Befunde zeigen, dass nicht nur die sozialen Beziehungen innerhalb von Organisationen entscheidend für das Durchlaufen von Lernprozessen sind (BLACKLER & MCDONALD 2000), sondern auch die nach außen gerichteten sozialen Beziehungen einer Organisation Lernprozesse begrenzen. Die vorliegenden Diagnosen demonstrieren, dass organisationale Lernprozesse auch immer eine externe Beziehungsdimension aufweisen, und dass diese Beziehungen durch Lernprozesse eventuell neu kalibriert werden müssen. Veränderungen etablierter externer Beziehungen sind aber anscheinend bei einem hohen gegenseitigen Abhängigkeitsgrad – wie er im Falle der TNHU und der Hoteleigentümer zu verzeichnen ist – nur schwierig möglich, erfordern ein h ohes Maß an Sensibilität und machen umfangreiche Abwägungsprozesse der Kosten und des Nutzens einer Neukalibrierung der Beziehungen notwendig. Die potenziellen Folgen neuer Lernprozesse für soziale Beziehungsgefüge können Lernprozesse erheblich beeinflussen, hemmen oder die operationale Umsetzung der in ihnen gewonnenen Erkenntnisse behindern. Das Ausmaß der sozialen Einbettung von Unternehmen scheint so entscheidend zur Stabilisierung der internen organisationalen Wirklichkeit beizutragen und auf diese Weise Zweischleifen-Lernprozesse auf die externe Wirklichkeitsdimension und damit auf Nachfrage generierende Krisenreaktionen zu begrenzen. Das erweiterte Modell organisationaler Lernprozesse liefert damit eine Möglichkeit um zu verstehen, warum die befragten Unternehmen von organisationalen Krisenreaktionsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht haben und nicht in weitergehende Lernprozesse eingetreten sind.
5.3.3 Neue Fragen Die theoriegeleitete (Re-)Interpretation der empirischen Befunde der vorliegenden Arbeit war in der Lage, einige wichtige Faktoren der Begrenzung von Lernprozessen in der (transnationalen) Hotelwirtschaft der Arabischen Welt nach dem 11. September zu identifizieren.
THEORETISCHE BRILLEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE | 281
Kompetenzfallen und die den Unternehmen eigene Wahrnehmung der Sicherheitslage führen anscheinend zu einer Stabilisierung organisationaler Wirklichkeiten und Handlungstheorien und legen so einer großen Zahl der Hotelunternehmen ein reaktives Verhalten in Form von DefensivRoutinen nahe. Wie sich gezeigt hat, gibt es deutliche Anhaltspunkte dafür, dass zur Stabilisierung der organisationalen Sicherheitswahrnehmung die biographischen Stationen und die Erfahrungen der Manager der Hotelunternehmen in der Region beitragen. Während die vorliegenden empirischen Befunde nahe legen, dass die befragten Manager eine differenziertere Sicherheitswahrnehmung als die Kunden aus ihren traditionellen Quellmärkten aufweisen, fußen die Annahmen über die Gründe für diese Wahrnehmung allerdings – wie einschränkend angemerkt werden muss – auf einer erheblich weniger dichten empirischen Grundlage. Eine Biographieanalyse der befragten Manager stand nicht im vordergründigen Erkenntnisinteresse der Arbeit. Die Informationen über die Stationen und Erfahrungen der befragten Manager in der Region, erschlossen sich daher in Seitensträngen der Interviews oder wurden nach den Interviews von den Befragten angesprochen. Da insofern keine systematische Erfassung biographischer Faktoren durchgeführt wurde, wäre es sicherlich wünschenswert, wenn die vorliegenden Hinweise dafür, dass die Sicherheitswahrnehmung der Manager auf ihre Erfahrung in den Zielgebieten und ihre relativ geringe soziale Distanz zurückgeführt werden kann, durch eine auf biographische Fragen fokussierende Studie zusätzlich abgesichert würde. Die Diskrepanz zwischen handlungsleitenden und vertretenen Theorien mit Bezug auf die Anwendung Nachfrage stimulierender Krisenreaktionen in Einschleifen-Lernprozessen kann interpretativ einerseits durch Herdenverhalten in Form von Imitationslernen und andererseits durch die Konkurrenz unterschiedlicher Handlungstheorien innerhalb der betreffenden Unternehmen erklärt werden. Ob die Vermutung zutrifft, dass sich in der Konkurrenz der Handlungstheorien in diesen Fällen die konservativere durchsetzt, weil sie eher mit der betriebswirtschaftlichen Sozialisation der leitenden Manager vereinbar ist, lässt sich aus dem vorliegenden Datenmaterial jedoch nicht erschließen und wäre ebenfalls in einer biographische Aspekte und Werthaltungen erfassenden Studie zu klären. Wie sich demgegenüber wieder recht schlüssig aus den vorliegenden Daten interpretieren lässt, haben die Historizität des Unternehmensengagements und die soziale Einbettung von Unternehmen einen großen Einfluss auf deren Sicherheitswahrnehmung und die darauf basierenden organisationalen Lernprozesse. Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass im Falle von Krisenreaktionen in der Tourismuswirtschaft die soziale Einbettung anscheinend einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten transnationaler Unternehmen ausübt. Die vorliegende Studie ergänzt den bisherigen Forschungsstand um eine wichtige Facette in dem sie darauf
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hindeutet, dass soziale Faktoren wie Vertrauen und Reputation auch im Bereich des organisationalen Lernens eine wichtige Rolle spielen. Historizität und soziale Einbettung weisen in diesem Sinn einen doppelläufigen Charakter auf, der mit Hilfe der Unterscheidung von Handlungstheorien mit einem Bezug auf externe oder interne Dimensionen der Unternehmenswirklichkeit herausgearbeitet werden konnte. Einerseits eröffnen die historische und die soziale Einbettung als soziales Kapitel den TNHU Geschäftsmöglichkeiten, die ohne sie nicht zustande gekommen wären, andererseits müssen sie jedoch ebenfalls als eine enorme Hürde für die Kompatibilitätsprüfung neuer Handlungshypothesen verstanden werden, durch die sie einen begrenzenden Einfluss auf organisationale Lernprozesse auszuüben im Stande sind. Ob man aus den vorliegenden Ergebnissen auf einen Lock-In-Effekt schließen kann, ist dabei fraglich. Gerade in Bezug auf ZweischleifenLernprozesse im Sinne der Veränderung der internen Wirklichkeit und der Anwendung organisationaler Krisenreaktionsoptionen muss vor dem geschilderten Hintergrund deren langfristiger Erfolg erheblich in Frage gestellt werden. Wie sich gezeigt hat, gibt es schwerwiegende Argumente dafür, dass eine Anwendung organisationaler Optionen langfristig sehr negative Folgen für die Unternehmen mit sich bringen würde. Wenn die Begrenzung der abgelaufenen Lernprozesse dazu führt, dass derartige „unerwünschte Handlungsfolgen“ nicht auftreten und die Unternehmen so langfristig ihre Beziehungen in der Region entwickeln und einen kontinuierlichen Geschäftserfolg realisieren können, so kann von einem Lock-In im Sinne eines Lernhemmnisses nicht die Rede sein.
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Ergebnisse – Wie unsicher ist die Wirklichkeit? Krisenreaktionen und organisationale Lernprozesse
Die interpretativen Auswertungen der empirischen Erhebungen haben demonstriert, dass die in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt tätigen Unternehmen grundsätzlich mit Nachfrage stimulierenden, Nachfrage generierenden und organisationalen Optionen auf die wiederkehrenden Sicherheitskrisen hätten antworten können. Von diesen Optionen standen TNHU die meisten Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Allerdings haben sie von den ihnen zur Verfügung stehenden Optionen nur sehr eingeschränkt Gebrauch gemacht. Während die Anwendung Nachfrage stimulierender Instrumente weit verbreitet ist, verfolgen bereits deutlich weniger Unternehmen gezielt Nachfrage generierende Strategien. Die Nutzung organisationaler Optionen als strategische Antwort auf die Krisen im Zuge des 11. Septembers wurde in keinem einzigen Fall bekannt. Die Re-Interpretation der Ergebnisse mit Hilfe der Theorien organisationalen Lernens hat gezeigt, dass der Nutzung der Krisenreaktionsmöglichkeiten das Durchlaufen von Ein- oder Zweischleifen-Lernprozesse zugeordnet werden kann. Voraussetzung für das Ablaufen von Zweischleifen-Lernprozessen ist eine Veränderung der organisationalen Wirklichkeit, die sich in veränderten Handlungstheorien der Unternehmen widerspiegeln. Die empirischen Befunde legen nahe, hier zwischen ZweischleifenLernprozessen zu differenzieren, die die Handlungstheorien der Unternehmen mit Bezug auf die externe, kundenorientierte Wirklichkeit verändern und solchen, die den internen organisationalen Kern der Unternehmen tangieren. Während die theoriegeleitete Analyse zeigt, dass sich die Wirklichkeitskonstruktionen der Unternehmen mit Bezug auf ihre Kunden seit dem 11. September deutlich verändert hat, scheinen die internen organisationalen Wirklichkeiten der Unternehmen bemerkenswert stabil zu sein.
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Daraus lässt sich schließen, dass sich die Wahrnehmung der Sicherheitslage zwischen den befragten Unternehmen und den Touristen aus ihren Heimatmärkten in grundsätzlicher Weise unterscheidet. Die TNHU machen sich anscheinend die in ihren Heimatländern zunehmend nach dem 11. September verbreiteten konfrontativen Weltbilder nicht zu Eigen. An ihrer grundlegenden Einschätzung der Sicherheitslage hat sich offensichtlich nichts verändert. Wie die theoriegeleitete Interpretation zeigt, liegt ein möglicher Erklärungsansatz für diesen empirischen Befund in der Historizität des Engagements der TNHU sowie in der sozialen Einbettung der Unternehmen und ihrer Manager. Erfahrung, soziale Beziehungen und Reputation der Unternehmen sowie das aufgebaute Vertrauen zu den arabischen Geschäftspartnern tragen offenbar wesentlich dazu bei, dass Lernen in den befragten Unternehmen maximal auf solche Zweischleifen-Lernprozesse begrenzt bleibt, die den Kernbereich der internen organisationalen Wirklichkeit unberührt lassen. Die Stabilität der organisationalen Wirklichkeit der TNHU übt dabei einen stabilisierenden Effekt auf die Entwicklung der von sicherheitsbedingten Krisen getroffenen arabischen Destinationen aus. Die Präsenz der TNHU muss daher für die Erholung der Krisengetroffenen Destinationen der Arabischen Welt als überaus positiv gewertet werden – zumal die TNHU am ehesten dazu beitragen, neue Problemlösungswege hin zur gezielten Nutzung Nachfrage generierender Krisenreaktionen zu entwickeln und so die Krisenanfälligkeit der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt abzubauen. Ob die Wirklichkeitskonstruktion der befragten Unternehmen dynamisch genug ist, um auch in Zukunft adäquate Antworten auf unvorhergesehenen Veränderungen ihres organisationalen Umfeldes zu entwickeln, hängt nicht nur von ihnen oder ihrer Risikowahrnehmung ab. Ihre organisationalen Handlungen gleichen letztendlich einer Wette auf zukünftige Entwicklungen, die auf den Erwartungen der Unternehmen basiert. Darüber, was die Zukunft bringt, besteht jedoch naturgemäß Unsicherheit. Dies gilt umso mehr in einer Region in der zahlreiche politischmilitärische Konflikte ungelöst sind und die in Zukunft wahrscheinlich noch in viel stärkerem Maß Spielball im globalen Kampf um die Ressource Erdöl zu werden droht.
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Ausblick – Zur normativen Komponente einer Pragmatischen Wirtschaftsgeographie
Die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellte Version der Geschehnisse in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt nach dem 11. September 2001 rückt die Flüchtigkeit von Wahrheiten und Wirklichkeitsentwürfen in zweierlei Hinsicht in den Vordergrund der Betrachtung. Das untersuchte Beispiel des Umgangs mit dem Thema Sicherheit in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt demonstriert, dass eine Sicherheit von organisationalen Wahrheiten und Wirklichkeiten immer nur temporär herstellbar ist. Die Wahrheiten und Wirklichkeiten der Organisationen unterliegen einem andauernden Wandlungsprozess. Dieser Prozess kann nach DEWEY als alltäglicher Erkenntnisprozess verstanden werden, in dem neue Erfahrungen zu einer problematischen Situation führen und diese Erfahrungen mit alten Wahrheiten versöhnt werden müssen, um die problematische in eine entproblematisierte Situation zu transformieren. Dazu werden entweder die Handlungsmodi oder die Handlungstheorien angepasst. Die heute verfolgten Problemlösungsansätze der Tourismuswirtschaft in der Arabischen Welt können insofern nur als aktuelles Derivat der jeweils gegenwärtigen organisationalen Weltsicht aufgefasst werden. Funktionieren die gewählten Problemlösungen auf längere Sicht nicht und sind sie nicht in der Lage zur Bestimmung der problematischen Situation beizutragen, ist davon auszugehen, dass sich die Wirklichkeitsentwürfe der Organisationen wandeln werden, womit sich auch die angewendeten Problemlösungsansätze ändern dürften. Die Unsicherheit, mit der die befragten Organisationen umgehen müssen, ist daher nicht so sehr eine konkrete Bedrohung durch Krieg, Terror oder andere Formen von Gewalt, sondern vielmehr die Unsicherheit über ihre Situation, die es auszuräumen gilt. Wie in theoretischer und empirischer Hinsicht deutlich wurde, zieht jede neue Antwort, jede neue Be-
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stimmung der Situation jedoch unweigerlich neue Fragen und damit neue Unsicherheiten nach sich. Die Geschichten unserer Lebenswelt sind zudem nie abgeschlossen. Auch wenn die Erzählung der geschilderten Geschichte hier endet, setzt sie sich für die handelnden Akteure fort. Wie sich bspw. die konkurrierenden Interessen der USA, Chinas und anderer Großmächte in der Region und ihre Interferenzen mit den Interessen der Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien auf die Perspektiven der Tourismuswirtschaft in der Region auswirken werden, bleibt genauso im Dunkeln, wie die Frage, wie sich der islamistische Terrorismus und die Reaktionen der betroffenen Staaten oder der Nahostkonflikt weiter entwickeln werden. Nicht zuletzt muss in Erinnerung gerufen werden, dass die arabischen Staaten keine Demokratien sind und ihre Regime sich zum Teil nur mit Hilfe erheblicher Repressalien an der Macht halten. Auch hier könnte es also zu beträchtlichen Umbrüchen kommen. Die Aussichten auf eine gewaltfreie Zukunft ohne sicherheitsbedingte Krisen im Tourismus der Arabischen Welt sind daher nicht allzu gut. Ob die TNHU und ihre arabischen Geschäftspartner langfristig die besten Strategien gewählt haben, kann vor einem solchen Hintergrund nur eine Frage an die Zukunft sein und hier keinesfalls abschließend beantwortet werden. Die präsentierten Ergebnisse besitzen daher nur eine kontextgebundene, keine allgemeine Aussagekraft. Dass die in Rede stehende Flüchtigkeit der vorgestellten Wahrheiten und Wirklichkeiten eine doppelte ist, wird daran deutlich, dass auch die verwendeten Forschungsperspektiven Ergebnis eines sich stetig wandelnden Erkenntnisprozesses sind. Die präsentierten Ausführungen bieten nur einige von vielen möglichen Ansatzpunkten, um die Geschehnisse in der Hotelwirtschaft der Arabischen Welt seit dem 11. September zu verstehen. Die gewählte pragmatische Perspektive ermöglicht hier einen dynamischen Zugang zur Entstehung von Wirklichkeiten und Wahrheiten, der Lernen als einen Prozess begreift, in dem ein Akteur versucht, die mit jedem Erkenntnisprozess assoziierte Unsicherheit auszuräumen. Der Umgang, den die Akteure in der Tourismuswirtschaft der Arabischen Welt mit Unsicherheit an den Tag legen, ist insofern weder als Versuch der Wiederherstellung eines „Normalzustandes“ zu interpretieren, wie dies eine positivistische Perspektive tun würde, noch als eine Art Verbesserung des Kenntnisstandes zu interpretieren, wie eine kritisch-rationalistische und andere realistische Perspektiven nahe legen würden. Lernprozesse werden hier vielmehr bereits als konstitutiv für das menschliche Dasein vorausgesetzt. Aus dieser wissenschaftstheoretischen Perspektive heraus bieten die vorgestellten Schilderungen lediglich eine kontingente Momentaufnahme der Ereignisse aus einer bestimmten und sich im Laufe der Arbeit wandelnden Perspektive, die immer wieder zu neuen Fragen führt und damit neue Erkenntnisprozesse im wissenschaftlichen Forschungsprozess anregt. Würde man den betrachteten Zeitabschnitt zudem erweitern oder hätte
AUSBLICK | 287
eingangs andere theoretische Brillen gewählt, so käme man eventuell zu einem ganz anderen Verständnis der Geschehnisse. Eine pragmatisch informierte Wirtschaftsgeographie kann deshalb keine abschließenden und schon gar keine allgemeingültigen Antworten geben. Sich als Wissenschaftler eine Offenheit für die Kontingenz und Flüchtigkeit unserer Erkenntnisse und Wirklichkeitsentwürfe zu bewahren ist deshalb das zentrale wissenschaftstheoretische Moment und das Plädoyer der hier skizzierten Konzeptionen einer Pragmatischen Wirtschaftsgeographie. Heißt das aber, dass alles kontingent und relativ ist? Muss einen ein solches Plädoyer für Offenheit und Pluralität am Ende einer Arbeit nicht mit einem unbefriedigenden Gefühl zurück lassen, weil die orientierenden Strukturen, von denen Wissenschaft sich bemüht sie herzustellen, damit verschwinden? Ich denke derartige Gedanken und Vorbehalte wären nur zu verständlich, würden jedoch auf einem Missverständnis des Ansatzes einer Pragmatischen Wirtschaftsgeographie basieren und dessen normative Komponente sträflich ignorieren. Die vorgestellten empirischen Ergebnisse mögen veränderbar, kontingent und relativ sein – beliebig sind sie deshalb noch lange nicht. Sie sind wohlbegründet, haben sich im Erkenntnisprozess der vorliegenden Arbeit bewährt und „funktionieren.“ Sie stellen im Sinne DEWEYs „gerechtfertigte Behauptbarkeiten“ dar und können daher durchaus einen Anspruch auf „Wahrheit“ in einem nichtabsoluten Sinn erheben – solange keine besser passenden Interpretationsschemata vorliegen. Im Konzept einer Pragmatischen Wirtschaftsgeographie ist implizit zudem ein normatives Element enthalten, das es ermöglicht, in dem Plädoyer für Offenheit und die Anerkennung der Pluralität von Wirklichkeiten nicht nur eine Gefahr für die Orientierungsleistung von Erkenntnis und Wissenschaft zu sehen, sondern auch eine Komponente, die ich in normativer Hinsicht als überaus wünschenswert betrachte. Die antidogmatische und antifundamentalistische Perspektive einer Pragmatischen Wirtschaftsgeographie, die die Welt nicht auf eine Dimension verengen will, sondern die der Pluralität konkurrierender Erklärungsansätze im Prozess unserer individuellen Erkenntnissuche offen entgegen tritt, provoziert nämlich immer neue Fragen. Sie regt geradezu dazu an, neugierig zu bleiben und komplementäre Erklärungsansätze für den Wandel und die Dynamik unserer Lebenswelt zu suchen. Der Abschied von dogmatisch vertretenen Wahrheiten bietet daher die besten Voraussetzungen für eine fruchtbare und dynamische wissenschaftliche Debatte über praktisch sinnvolle Erklärungen und Interpretationen unserer Lebenswelt, die auf der Basis von Dogmen und absoluten Wahrheitsansprüchen nicht möglich ist. Eine Pragmatische Wirtschaftsgeographie fordert deshalb begründete Entscheidungen an Stelle dogmatischer Setzungen. Die Fähigkeit und das Ausmaß zu lernen hängen deshalb auch im Wissenschaftsbetrieb eng mit den jeweiligen Wahrheitskonzepten zusammen.
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Eine pragmatische Wirtschaftsgeographie kann insofern nicht nur einen Beitrag dazu leisten, Lernprozesse besser zu verstehen oder diese innerhalb der Wirtschaftsgeographie selbst zu begünstigen, sondern sensibilisiert auch für deren notwendige demokratische Bedingungen. Wie bereits diskutiert, können Dogmen, Ideologien und Denkverbote wissenschaftliche Lernprozesse erheblich behindern, weil sie Wirklichkeiten für nicht veränderbar erklären, deren Anpassung aber eventuell notwendig wäre, um eine Situation zu entproblematisieren. Eine vorbehaltlose Offenheit für konkurrierende Wirklichkeitsentwürfe und Wahrheiten scheint daher nur in demokratischen Gesellschaften möglich, da autoritäre und totalitäre Regime eine schrankenlose Offenheit bekämpfen müssen, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Offenheit und Anerkennung von Pluralität sind allerdings nicht nur wissenschaftsexterne Bedingung und Ergebnis von Demokratie. Offenheit und Pluralität im Wissenschaftsbetrieb zu fordern, beinhaltet vielmehr eine normative Komponente, da ein solches Plädoyer fast zwangsläufig gleichzeitig auch eines für eine demokratische Gesellschaftsform sein muss. Pragmatische Wissenschaft zu betreiben, bedeutet daher normativ Stellung zu beziehen. Dass eine Pragmatische Wirtschaftsgeographie offenbar eine ideale Basis für das Verständnis von Lernprozessen bietet und damit ein Themenfeld innerhalb der Wirtschaftsgeographie eröffnet, das im Zuge des Wandels zu Informations- und Wissensgesellschaften immer mehr an alltagsweltlicher und wissenschaftsstrategischer Bedeutung gewinnen wird, erscheint vor einem solchen Hintergrund nur als nachrangig. Eine pragmatische Perspektive in der Wirtschaftsgeographie ist nicht nur fachlich nützlich, sondern bietet in normativer Hinsicht eine Orientierung, die das Plädoyer für Offenheit und Pluralität so vielleicht nicht vermuten ließe. Was kann man von einer guten Theorie in einer demokratischen Wissensgesellschaft mehr erwarten?
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Verzeichnis der Interviewpartner
Interviewnummer I1 I2 I3 I4 I5 I6 LH-M1 LH-M2 LH-M3 LH-M4 LH-M5 LH-M6 LH-M7 PB1 PB2
Funktion
Interviewdokument Investor (VAE) Investor (Tunesien) Investor (Ägypten) Investor (Ägypten) Investor (VAE) Investor (VAE) Ägyptisches Hotelunternehmen Ägyptisches Hotelunternehmen Tunesisches Hotelunternehmen Ägyptisches Hotelunternehmen Ägyptisches Hotelunternehmen Ägyptisches Hotelunternehmen Hotelunternehmen aus den Emiraten Tourismusministerium Ägypten Office National du Tourisme Tunisien
PB5
Geschäftsführer Directeur d´Exploitions Eigentümer Eigentümer Eigentümer Eigentümer Area General Manager General Manager Marketing Manager General Manager General Manager General Manager Managing Director Tourismusminister Commissaire Regional au Tourisme ONTT Chef de Division Publicite Vice Commissaire Regional au Tourisme Director
PB6
Director Tourism Affairs
TNHU-EB1 TNHUEB10 TNHU-EB2 TNHU-EB3 TNHU-EB4 TNHU-EB5 TNHU-EB6
General Manager General Manager
Commerce and Tourism Development Authority, Sharjah (VAE) Department of Tourism and Commerce Marketing, Dubai (VAE) Transnationales Hotelunternehmen (GB) Transnationales Hotelunternehmen (GB)
General Manager General Manager General Manager General Manager General Manager
Transnationales Hotelunternehmen (F) Transnationales Hotelunternehmen (CH) Transnationales Hotelunternehmen (CH) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (F)
PB3 PB4
Office National du Tourisme Tunisien Office National du Tourisme Tunisien
326 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN TNHU-EB7 TNHU-EB8 TNHU-EB9 TNHU-HQ1
General Manager General Manager General Manager Senior Vice President, Sales Marketing and Commercial Europe, Middle East & Africa TNHU-HQ2 Vice President Development TNHU-RM1 Area General Manager TNHURegional Director and GenRM10 eral Manager TNHUArea General Manager RM11 TNHUArea General Manager RM12 TNHUGeneral Manager und DirecRM13 tor of Operations Egypt TNHUManaging Director RM14 TNHUVice President Middle East RM15 TNHUVice President Sales Middle RM16 East, Africa & Sub-Continent TNHUArea General Manager RM17 TNHUVice President and Area GenRM18 eral Manager TNHUDep. General Manager & RM19 Area Manager Dubai TNHU-RM2 Senior Vice President Africa Middle East TNHU-RM3 Senior Vice President Middle East TNHU-RM4 Director of Business Development TNHU-RM5 Director of Finance & Administration Middle East TNHU-RM6 Director Lodging Development Middle East TNHU-RM7 Area General Manager TNHU-RM8 Vice President Egypt, Sudan, Syria, Jordan & Lebanon TNHU-RM9 Director of Regional Sales & Marketing - Arabian Peninsula V1 Vice President de la FTH ; President de la FTH de Tunis et les côtes de Carthage V2 Directrice Chargée de la Promotion V3 Secretary General V4 Secretary General South Sinai
Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (GB) Transnationales Hotelunternehmen (GB) Transnationales Hotelunternehmen (GB)
Transnationales Hotelunternehmen (GB) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (I) Transnationales Hotelunternehmen (GB) Transnationales Hotelunternehmen (D) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (B) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (D) Transnationales Hotelunternehmen (CH) Transnationales Hotelunternehmen (F) Transnationales Hotelunternehmen (F) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (USA) Transnationales Hotelunternehmen (GB) Transnationales Hotelunternehmen (GB)
Federation Tunesienne de l’Hôtellerie
Federation Tunesienne de l’Hôtellerie Egyptian Hotel Association Egyptian Hotel Association
Danksagung
Wie die meisten wissenschaftlichen Arbeiten hat sich auch die vorliegende Arbeit nicht allein in einem „stillen Kämmerchen“ entwickelt. Einen besonderen Dank für die Unterstützung meiner Arbeit möchte ich zuallererst an meinen Betreuer Günter Meyer richten. Er hat mich nicht nur ermuntert, den von mir eingeschlagenen Weg nach meinem Studienabschluss weiter zu verfolgen, sondern hat mir meine Arbeiten mit seiner Unterstützung unseres Forschungsprojekts überhaupt erst ermöglicht. Ich möchte mich nicht nur bei ihm für die vielen Diskussionen und Hinweise zu meiner Arbeit bedanken, sondern vor allem auch dafür, dass er mir Forschungsbedingungen für meine Arbeit eröffnet hat, die in Zeiten knapper öffentlicher Mittel nicht alltäglich sind. Verbunden bin ich in diesem Kontext natürlich ebenfalls der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ohne deren großzügige finanzielle Unterstützung unseres Forschungsprojekts meine Promotion inklusive der empirischen Arbeiten in der Arabischen Welt nicht denkbar gewesen wäre. Dank sagen möchte ich auch Ala Al-Hamarneh, der mich auf den meisten meiner Forschungsreisen in der Arabischen Welt begleitet hat. Für die zahllosen und kontroversen Diskussionen über unsere unterschiedlichen Perspektiven bin ich ihm sehr verbunden – ohne sie sähe meine Arbeit heute sicherlich anders aus. In gleichem Maße möchte ich mich auch dafür bedanken, dass Ala mir als „kultureller und sprachlicher Türöffner“ Einblicke in arabische Gesellschaften eröffnet hat, die ich ohne ihn zweifelsfrei in dieser Form nicht erhalten hätte. Sie haben es mir ermöglicht, die Welt auf unseren gemeinsamen Reisen immer wieder neu zu sehen. Ein herzliches „Dankeschön!“ richtet sich an meine beiden langjährigen studentischen Hilfskräfte. Regina Kipper hat sich durch unendlich erscheinende Stunden von Interviewmitschnitten gearbeitet und mich mit der Verschriftung der Interviews unterstützt. Alexander Vey hat sich vor allem durch die Tücken international kaum vergleichbarer Statistiken gearbeitet
328 | TOURISMUSKRISEN UND ORGANISATIONALES LERNEN
und mich mit der Pflege unserer Datenbanken entlastet. Regina und Alexander waren mir bei unendlich vielen Recherchen eine große Hilfe und mit ihrer Begeisterung und Geduld eine große Unterstützung bei den mannigfaltigen Aufgaben im Rahmen eines solchen Projektes. Wie alle empirischen Arbeiten wäre auch diese ohne die Kooperation einer Vielzahl an Gesprächs- und Interviewpartnern nicht möglich gewesen. Ihnen allen gilt mein Dank dafür, sich trotz voller Terminkalender Zeit für mein Anliegen genommen zu haben, ohne Aussicht, dafür in gleichem Maße von mir eine Gegenleistung zu erhalten. In diesem Kontext möchte ich Ullrich Huth besonders danken, der als Dean der Kairener Hoteliers über die Jahre hinweg nie müde wurde, mich bei meiner Arbeit zu unterstützen und mir mit zahllosen Kontakten bis hin zum ägyptischen Tourismusminister weiter geholfen hat. Ein besonderes Dankeschön möchte ich an dieser Stelle auch an Samih Sawiris und sein Team in El Gouna – insbesondere an Daniel Breitbach und Anja Buchloh – richten. Sie hatten nicht nur über viele Jahre hinweg für meine Arbeiten in Ägypten ein offenes Ohr, sondern haben es unserem Projekt auch ermöglicht in El Gouna empirische Befragungen durchzuführen. Im Angesicht des schwierigen Umfeldes, das Ägypten für empirische Forschungsarbeiten darstellt, kann diese Unterstützung kaum genug gewürdigt werden. Besonders gefreut hat es mich, dass es Lars Pilz dankenswerterweise auf sich genommen hat, die erkenntnistheoretischen, metawissenschaftlichen Teile meiner Arbeit kritisch zu begleiten. Für Lars fundierte Anmerkungen und hilfreiche Kritik bin ich in besonderem Maße dankbar. Fruchtbare Hinweise zu dem Kapitel über Unternehmen und Institutionen als handlungsmächtigen Akteuren verdanke ich einer Diskussion mit Eike W. Schamp, dem ich dafür verbunden bin, mir mit kritischen Fragen hier den Weg gewiesen zu haben. Anton Escher bin ich für die Diskussion meiner handlungstheoretischen Ausführungen verbunden, die dazu beigetragen haben, meine Gedanken an dieser Stelle nochmals zu schärfen. Gar nicht genug dankbar sein kann ich Georg Glasze und Sandra Petermann, die mir in zahllosen, thematisch vielfältigen Diskussionen entscheidende, kritische und fruchtbare Gedankenanstöße gegeben haben. Ihre Bereitschaft immer wieder als kritische „Bewertungsinstanz“ für Zwischenergebnisse oder Probleme in der Entwicklung meiner Arbeit zur Verfügung zu stehen und diese mit mir zu diskutieren, hat meine Arbeit an vielen Stellen geprägt. Dieses „kreative Milieu“ war mir eine große Hilfe dabei, meine eigenen Gedanken zu sortieren und verständlich zu machen. Sandra Petermann gebührt darüber hinaus ein besonders herzliches Dankeschön für ihre fast schon unendliche Bereitschaft zum Korrekturlesen des Manuskriptes der vorliegenden Arbeit und für ihre unermüdliche Geduld, meine manches Mal keinen Feierabend kennende gedankliche Arbeit auch zum wiederholten Male kritisch zu begleiten.
Global Studies Moritz Csáky, Johannes Feichtinger (Hg.) Europa – geeint durch Werte? Die europäische Wertedebatte auf dem Prüfstand der Geschichte 2007, 218 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-785-1
Heiner Depner Transnationale Direktinvestitionen und kulturelle Unterschiede Lieferanten und Joint Ventures deutscher Automobilzulieferer in China 2006, 240 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-567-3
Florian Feuser Der hybride Raum Chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der VR China 2006, 344 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-581-9
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2009-03-19 16-10-03 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02a5205377597768|(S.
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Global Studies Anne Karrass Die EU und der Rückzug des Staates Eine Genealogie der Neoliberalisierung der europäischen Integration Januar 2009, 280 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1067-3
Bülent Küçük Die Türkei und das andere Europa Phantasmen der Identität im Beitrittsdiskurs 2008, 236 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1012-3
Christoph Wulf Anthropologie kultureller Vielfalt Interkulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung 2006, 164 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN 978-3-89942-574-1
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Global Studies Christian Berndt, Johannes Glückler (Hg.) Denkanstöße zu einer anderen Geographie der Ökonomie 2006, 172 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN 978-3-89942-454-6
Ines Braune Aneignungen des Globalen Internet-Alltag in der arabischen Welt. Eine Fallstudie in Marokko 2008, 262 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-971-8
Ulrich Heinze Hautkontakt der Schriftsysteme Japan im Zeichen der Globalisierung: Geldflüsse und Werbetexte 2006, 208 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-513-0
Wiebke Keim Vermessene Disziplin Zum konterhegemonialen Potential afrikanischer und lateinamerikanischer Soziologien 2008, 564 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-89942-838-4
Christian Kellermann Die Organisation des Washington Consensus Der Internationale Währungsfonds und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur 2006, 326 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-553-6
Lutz Leisering, Petra Buhr, Ute Traiser-Diop Soziale Grundsicherung in der Weltgesellschaft Monetäre Mindestsicherungssysteme in den Ländern des Südens und des Nordens. Weltweiter Survey und theoretische Verortung 2006, 342 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-460-7
Peter Lindner Der Kolchoz-Archipel im Privatisierungsprozess Wege und Umwege der russischen Landwirtschaft in die globale Marktgesellschaft 2008, 282 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-784-4
Ivo Mossig Netzwerke der Kulturökonomie Lokale Knoten und globale Verflechtungen der Filmund Fernsehindustrie in Deutschland und den USA 2006, 228 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-523-9
Matthias Otten Interkulturelles Handeln in der globalisierten Hochschulbildung Eine kultursoziologische Studie 2006, 318 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-434-8
Jan Pospisil Die Entwicklung von Sicherheit Entwicklungspolitische Programme der USA und Deutschlands im Grenzbereich zur Sicherheitspolitik Juli 2009, ca. 394 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1077-2
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